Mobilitat in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt: Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 11, 2011 9783515108836, 9783515108911, 3515108831

Das 11. Internationale Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums in Stuttgart galt der Mobilität in den Kultu

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Inhalt
Vorwort
Reiseliteratur im Altertum: die periegesis in hellenistischer Zeit
Die Wanderjahre des Dion von Prusa
Mobilità di sapienti e di saperi nell’Alessandriadei primi Tolemei
Mobility and Proto-Capitalism in the Hellenistic and Early Roman Mediterranean
Wandernde Handwerker zwischen Ost und West in der früharchaischen Zeit?
Verschiebungen eines Mythos im Mittelmeerraum. Aiaia, die Insel der Kirke
Mobilità tra Grecia e Sporadi nordorientali. Lemno, Halonnesos e una nuova interpretazione di riferimentialla contemporaneità nel Filottete di Sofocle
Tracce di itinerari greci nel Mediterraneo orientale dal Tardo Bronzo all’Arcaismo
Makedonien I bis IV Verhinderte Mobilität oder Forscherkonstrukt?
Überlegungen zu den Reiseberichten bei Diogenes Laertios
Regionale Mobilität im privaten Warenaustauschim römischen Ägypten. Versuch einer Deutung im Rahmen der Prinzipal-Agenten-Theorie
Truppen- und Gerätetransporte zur Seein der römischen Antike
Reisen und Mobilität späthellenistisch-augusteischer Universalhistoriker
Das Artemision von Ephesos. Ein antikes Pilgerziel im Spiegel der literarischen und epigraphischen Überlieferung
Der Reiz des Nil. Die Reise des Aelius Aristides nach Ägypten und ihr Einfluss auf seine Reden und Werke
Mobilität am und auf dem Roten Meer im Altertum: naturräumliche Bedingungen, lokale Netzwerke und merkwürdige Inseln. Interpretationen zum Periplus Maris Erythraei und zu Ptolemaios’ Geographie
Τηλοῦ πατρίδος. Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen
Arbeitsmigration in den römischen Grenzprovinzen
Überlegungen zur sozialen Mobilität von Metökenin hellenistischen Polei s
Tekmeria. Die Wanderungen der Heroen als Problem der antiken Historiographie
Senatoren auf Dienstreise
Die ›Iranische Diaspora‹Kontext, Charakter und Auswirkung persischer Einwanderung nach Kleinasien
Vom Niederrhein ins Vercellese. Neue Überlegungen zur letzten Etappe der Kimbern und Teutonen
An Egyptian Priestly Corporation at Iran. A Possible Case of ›Forced Mobility‹ on the Eve of the Macedonian Conquest
Die Basaltgrabstele des Zabedibolos für Gennaios und Zebeisin Edessa/Şanlıurfa
Zum Wirkungsraum antiker Künstler. Grenzenlose Mobilität oder nationale Verhaftung?
An example of mobility in mythology. Heracles’ journey on the occasion of the Tenth Labour
Der bewegte Alltag des M. Tullius Cicero
Mobilität und Stabilität in der griechischen Welt der römischen Kaiserzeit
Orientierungshilfen für antike Reisende in Bild und Wort
Die Überquerung von Wasserläufen durch das Militär im Spiegel der antiken literarischen Quellen
Mobilität und Kulturtransfer in den Tres Galliae um die Zeitenwende
Zur Mobilität von Berufsgruppen im mykenischen Griechenland
Die Verlockung der Fremde? Mobilitätsmotivation im archaischen Griechenland zwischen Abenteuerlust und Notwendigkeit
Zur Bedeutung des ekecheiria-Personenschutzes für die Pilger
Auf den Spuren der Salzhändler
Raumbewältigung und Geschwindigkeiten in der Odyssee
Reisen von Frauen im literarischen Diskurs der Antike unter besonderer Berücksichtigung der loca-sancta-Pilgerin der christlichen Spätantike
Menschen, Heroen, Götter
Geographica und Völker
Sachen
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Mobilitat in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt: Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 11, 2011
 9783515108836, 9783515108911, 3515108831

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Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.)

Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 11, 2011

Alte Geschichte Franz Steiner Verlag

Geographica Historica – 31

Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.) Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt

geographica historica Begründet von Ernst Kirsten, herausgegeben von Eckart Olshausen und Vera Sauer Band 31

Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.)

Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 11, 2011

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit Unterstützung der Ernst-Kirsten-Gesellschaft. Internationale Gesellschaft für Historische Geographie der Alten Welt und des Vereins der Freunde des Historischen Instituts der Universität Stuttgart

Satz: Vera Sauer Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Druck: Laupp & Göbel, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10883-6 (Print) ISBN 978-3-515-10891-1 (E-Book)

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Mariachiara Angelucci Reiseliteratur im Altertum: die periegesis in hellenistischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Tønnes Bekker-Nielsen Die Wanderjahre des Dion von Prusa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Serena Bianchetti Mobilità di sapienti e di saperi nell’Alessandria dei primi Tolemei . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

John Bintliff Mobility and Proto-Capitalism in the Hellenistic and Early Roman Mediterranean . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

Iris von Bredow Wandernde Handwerker zwischen Ost und West in der früharchaischen Zeit? . . . . . .

55

Veronica Bucciantini Verschiebungen eines Mythos im Mittelmeerraum. Aiaia, die Insel der Kirke . . . . . . .

71

Floriana Cantarelli Mobilità tra Grecia e Sporadi nordorientali. Lemno, Halonnesos e una nuova interpretazione di riferimenti alla contemporaneità nel Filottete di Sofocle . . . . . . . . .

81

Michele R. Cataudella Tracce di itinerari greci nel Mediterraneo orientale dal Tardo Bronzo all’Arcaismo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Frank Daubner Makedonien I bis IV. Verhinderte Mobilität oder Forscherkonstrukt? . . . . . . . . . . . . . 113 Jan Dreßler Überlegungen zu den Reiseberichten bei Diogenes Laertios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Kerstin Droß-Krüpe Regionale Mobilität im privaten Warenaustausch im römischen Ägypten. Versuch einer Deutung im Rahmen der Prinzipal-Agenten-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . 137 Peter Emberger Truppen- und Gerätetransporte zur See in der römischen Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Johannes Engels Reisen und Mobilität späthellenistisch-augusteischer Universalhistoriker . . . . . . . . . . 159

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Inhalt

Josef Fischer Das Artemision von Ephesos. Ein antikes Pilgerziel im Spiegel der literarischen und epigraphischen Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Christian Fron Der Reiz des Nil. Die Reise des Aelius Aristides nach Ägypten und ihr Einfluss auf seine Reden und Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Klaus Geus Mobilität am und auf dem Roten Meer im Altertum: naturräumliche Bedingungen, lokale Netzwerke und merkwürdige Inseln. Interpretationen zum Periplus Maris Erythraei und zu Ptolemaios’ Geographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Anna Ginestí Rosell Τηλοῦ πατρίδος. Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen . . . . . . . . 241 Herbert Graßl Arbeitsmigration in den römischen Grenzprovinzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Linda-Marie Günther Überlegungen zur sozialen Mobilität von Metöken in hellenistischen Poleis . . . . . . . . 267 Andreas Hartmann Tekmeria. Die Wanderungen der Heroen als Problem der antiken Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Matthäus Heil Senatoren auf Dienstreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Andreas Klingenberg Die ›Iranische Diaspora‹. Kontext, Charakter und Auswirkung persischer Einwanderung nach Kleinasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Peter Kritzinger Vom Niederrhein ins Vercellese. Neue Überlegungen zur letzten Etappe der Kimbern und Teutonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Ivan A. Ladynin An Egyptian Priestly Corporation at Iran. A Possible Case of ›Forced Mobility‹ on the Eve of the Macedonian Conquest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Ergün LaflI, Eva Christof Die Basaltgrabstele des Zabedibolos für Gennaios und Zebeis in Edessa/Şanlıurfa . . . 355 Margit Linder Zum Wirkungsraum antiker Künstler. Grenzenlose Mobilität oder nationale Verhaftung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Giuseppe Mariotta An example of mobility in mythology. Heracles’ journey on the occasion of the Tenth Labour . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

Inhalt

7

Eckart Olshausen Der bewegte Alltag des M. Tullius Cicero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Angela Pabst Mobilität und Stabilität in der griechischen Welt der römischen Kaiserzeit . . . . . . . . . 401 Michael Rathmann Orientierungshilfen für antike Reisende in Bild und Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Hélène Roelens-Flouneau Die Überquerung von Wasserläufen durch das Militär im Spiegel der antiken literarischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Jonas Scherr Mobilität und Kulturtransfer in den Tres Galliae um die Zeitenwende . . . . . . . . . . . . . 455 Klaus Tausend Zur Mobilität von Berufsgruppen im mykenischen Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Sabine Tausend Die Verlockung der Fremde? Mobilitätsmotivation im archaischen Griechenland zwischen Abenteuerlust und Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 Maria Theotikou Zur Bedeutung des ekecheiria-Personenschutzes für die Pilger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Isabella Tsigarida Auf den Spuren der Salzhändler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Heinz Warnecke Raumbewältigung und Geschwindigkeiten in der Odyssee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Nicola Zwingmann Reisen von Frauen im literarischen Diskurs der Antike unter besonderer Berücksichtigung der loca-sancta-Pilgerin der christlichen Spätantike . . . . . . . . . . . . . 531 Register Menschen, Heroen, Götter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 Geographica und Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563

Vorwort

Das 11. Internationale Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums fand vom 23. bis 26. Juni 2011 an der Universität Stuttgart statt. Es wurde dankenswerter Weise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, von der Vereinigung von Freunden der Universität Stuttgart und vom Verein der Freunde des Historischen Instituts der Universität Stuttgart unterstützt. Ganz im Sinn von Ernst Kirsten, dem Initiator dieser Kolloquien, diente es dem interdisziplinären Diskurs. Es fand sowohl in der Fachwelt, insbesondere bei Althistorikern, Archäologen, Klassischen Philologen und Mediävisten, als auch in der interessierten Öffentlichkeit großen Zuspruch. Das Kolloquium stand unter dem Dachthema »Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt«. Damit schloss es an die Kolloquien von 1999 »Zu Wasser und zu Land. Verkehrswege in der antiken Welt« (GH 17) und 2002 »›Troianer sind wir gewesen‹. Migrationen in der antiken Welt« (GH 21) an. Dem bewährten Grundsatz der Stuttgarter Kolloquien zur Historischen Geographie folgend, den Kolleginnen und Kollegen unter dem ›Dach‹ des gegebenen Themas große Freiheit bei der Wahl der Fragestellung ihrer Beiträge zu lassen und sie weder in theoretischer, noch in methodischer oder thematischer Hinsicht in eine bestimmte Richtung lenken zu wollen, hatte auch dieses Kolloquium nicht den Anspruch, eine völlig ›runde Sache‹ mit ›griffigem‹ Ergebnis zu sein. Ziel war es vielmehr, ein Forum dafür zu bieten, zwar dem Dachthema zuordenbare, im einzelnen aber ganz individuelle Forschungen vorstellen zu können. Im Sinn der so verstandenen Offenheit des Kolloquiums und der Eigenständigkeit der Beiträge sehen wir es nicht als unsere Aufgabe an, die Ergebnisse der Kolleginnen und Kollegen in einem Vor- oder Nachwort zu dem vorliegenden Band auszuschreiben und daraus ein Fazit des Kolloquiums insgesamt abzuleiten. Es sei aber auf Schwerpunkte des Forschungsinteresses hingewiesen, die im Rahmen des Kolloquiums erkennbar wurden. Viele Beiträge widmen sich der Frage, wie sich Mobilität in literarischen Quellen spiegelt. So untersuchen T. Bekker-Nielsen, J. Dreßler und J. Engels Schilderungen von Mobilität im Spannungsfeld ›Realität – Topos‹, N. Zwingmann den literarischen Diskurs über Reisen von Frauen, P. Emberger und H. Roelens-Flouneau, wie antike Autoren Aspekte des Mobilitätsmanagements als Kriterium der Beurteilung von Feldherren und Herrschern nutzten, V. Bucciantini und G. Mariotta den Einfluss der Erweiterung des geographischen Horizonts auf Mythengestaltung und -interpretation, A. Hartmann, wie Mobilität als Erklärung für vermeintliche Relikte von Heroen und für die Multilokalität bestimmter Kulte und M. Angelucci, wie Bewegung im Raum als historisch-literarisches Ordnungsprinzip genutzt wurde. Chr. Fron geht dem Einfluss von Reisen auf das Werk des Aelius Aristides nach, H. Warnecke der in der Odyssee geschilderten Mobilität. Besondere Aufmerksamkeit galt den Bedingungen und den Nachwirkungen von Mobilität. So wird die Frage nach den Motiven, die zu Mobilität führten, nahezu in jedem Beitrag gestellt, besonders aber von S. Tausend und J. Fischer. So befasst sich K. Geus mit naturräumlichen Bedingungen für Mobilität, M. Rathmann mit der Orientierung im Raum.

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Vorwort

Dem Zusammenhang von Mobilität und kulturellem Wandel, Technik- und Kulturtransfer gehen J. Scherr und I. von Bredow nach. A. Ginestí Rosell nimmt den Zusammenhang von Sprache und Identität von Migranten und deren Nachkommen in den Blick, L.M. Günther die soziale Mobilität von Metöken, A. Klingenberg die ›iranische Diaspora‹ in Kleinasien. A. Pabst schließlich widmet sich mit dem Phänomen des ›griechisch bleiben‹ einer Form von Stabilität und damit gleichsam einem Gegenpol von Mobilität. Als weiterer Schwerpunkt des Forschungsinteresses erwiesen sich die Themenfelder ›Mobilität und Herrschaft‹ bzw. ›Mobilität und Politik‹. Mobilität von Amtsträgern als Grundprinzip römischer Herrschaft thematisiert M. Heil, die vermeintliche Einschränkung von Mobilität als Instrument römischer Herrschaft in Makedonien F. Daubner, Deportation als Instrument achaimenidischer Herrschaft in Ägypten I. A. Ladynin. Die Bedeutung von Lemnos für die Vorherrschaft Athens beleuchtet F. Cantarelli, M. Cataudella die Herrschaft von Griechen im östlichen Mittelmeerraum von mykenischer bis in archaische Zeit. S. Bianchetti geht der Kulturpolitik der Ptolemäer nach, E. Lafli und E. Christof der Ausstrahlung römischen Einflusses auf Edessa. M. Linder arbeitet heraus, dass in vielen Fällen politische Konflikte im klassischen Griechenland nicht zur Einschränkung der Mobilität von über die Polisgrenzen hinweg arbeitenden Künstlern führten. Dabei fand die Mobilität bestimmter Einzelpersonen – Aelius Aristides (Chr. Fron), Cicero (E. Olshausen), Dion von Prusa (T. Bekker-Nielsen) – v.a. aber folgender Personengruppen großes Interesse: Gelehrte (vgl. die Beiträge von T. Bekker-Nielsen, S. Bianchetti, J. Dreßler, J. Engels, Chr. Fron), ›Agenten‹ im Rahmen der Verwaltung privaten Landbesitzes bzw. des privaten Warenaustausches (J. Bintliff bzw. K. Droß-Krüpe), diverse Berufsgruppen (K. Tausend), speziell Künstler (M. Linder) und Händler (H. Graßl, K. Geus, I. Tsigarida), pagane wie christliche Pilger (M. Theo ti kou bzw. N. Zwingmann), Senatoren – sei es als Amtsträger (M. Heil), sei es im Rahmen der peregrinatio (E. Olshausen), Frauen (N. Zwingmann), Völker (P. Kritzinger) und Armeen (P. Emberger, P. Kritzinger, H. Roelens-Flouneau). Da sich die meisten Beiträge gleich mehreren dieser Rubriken zuorden lassen, schien uns deren gleichsam neutrale alphabetische Anordnung geraten. Aus verschiedenen Gründen konnten folgende Beiträge nicht abgedruckt werden: Peter Kehne, Vertrieben, verschleppt, versklavt – zur Zwangsmobilität militärisch unterlegener Stadtbevölkerungen in Hellas und zu alternativen Behandlungsformen; Mark Mersiowsky, Das Fortdauern der Antike – Mobilität im Ostgotenreich; Christian Mileta, Indigene Binnenwanderungen bei Städtegründungen im hellenistischen Kleinasien und Syrien; Karl Strobel, Intellektuelle Mobilität: Soldaten, Offiziere, Söldner, foederati – das römische Heer als Ebene von Mobilität in den und in die Kulturen des Mittelmeerraumes; Christian Winkle, Die Mobilität von Pilgern in Latium Vetus – Ursachen für die ›überregionale‹ Bedeutung von Heiligtümern in republikanischer Zeit. Den Mitveranstaltern des Kolloquiums, den Herren Professoren Dr. Peter Scholz (Stuttgart) und Dr. Klaus Geus (Berlin), den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Historischen Institut der Universität Stuttgart und besonders Herrn Dr. Frank Stini danken wir herzlich für ihre Hilfe bei der Vorbereitung und Durchführung des Kolloquiums. Vera Sauer, Eckart Olshausen

Mariachiara Angelucci

Reiseliteratur im Altertum: die periegesis in hellenistischer Zeit

1. Die Entwicklung der antiquarischen Forschung in hellenistischer Zeit und der Ursprung der periegetischen Schriften: das literarische Schaffen von Polemon, Diodoros und Anaxandrides Aus Sicht der heutigen Forschung stellt sich der Hellenismus als eine Zeitspanne dar, die von einer dynamischen Konzeption des Wissens und einem intensiven kulturellen Austausch zwischen Orient und Okzident geprägt war, deren wechselseitige Annäherung und Durchdringung eine von der griechischen Sprache getragene Kultur entstehen ließ. Waren in klassischer Zeit die griechischen poleis, allen voran Athen, von einer intensiven Befassung mit Politik gekennzeichnet, deren Grundlage der lebendige und partizipatorische Zusammenhalt der Gemeinschaft war und die sich in Literaturgenres widerspiegelt, welche das ganze Volk einbezogen, z.B. Rede und Tragödie, verlieren die Städte in hellenistischer Zeit an Einfluss und politischer Bedeutung und der rhetorische Impetus räumt gelehrsamer Reflexion das Feld. Athen wird gleichsam zur Pilgerstätte, die man aufsucht, um einer uralten Tradition zu huldigen und die Weihen der Wissenschaft zu empfangen: voll Eleganz und Raffinement, um immer neue Monumente reicher, lebt Athen von seiner Geschichte und wird zum Inbegriff griechischer Kultur und Zivilisation. Die Intellektuellen sind nicht länger die Männer, die sie in der Vergangenheit gewesen waren, die auch mit gerichtlichem und politischem Handeln befasst waren, die im Heer kämpften und an den Volksversammlungen teilnahmen. Nun betätigen sie sich zum größten Teil nur mehr als Schriftsteller in den kulturell immer noch führenden Städten oder im Dienste mächtiger Mäzene. In alexandrinischer Zeit entwickelt sich die Philologie aus dem dringenden Bedürfnis, Ordnung in das gewaltige Erbe der klassischen Literatur zu bringen. Ausgehend von Homer, über die Lyriker, die Tragödien- und Komödiendichter bis zu den Prosaautoren, werden deren Werke in ›Bücher‹ gegliedert, herausgegeben und kommentiert. Es ist gewissermaßen eine Atempause, in der man die Notwendigkeit spürt, all das zu katalogisieren, was die Vergangenheit hinterlassen hat, um es der Nachwelt möglichst vollständig weiterzugeben. Nun wird eingehend untersucht, gesammelt, geordnet – und selbst das Schaffen folgt stets einem vorwiegend gelehrten Ansatz. Analog dazu scheint es den Intellektuellen das Gebot der Stunde, ein Inventar der Denkmäler, Traditionen, Kulte und historischen oder mythisch-historischen Ereignisse zu erstellen, an denen die griechischen Städte so überreich waren. Stadt für Stadt, Ort für Ort sammeln und ordnen sie eine große Anzahl von In-

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Mariachiara Angelucci

formationen und folgen dabei einem bald realen, bald ideellen Plan, der sie zu sämtlichen Monumenten und Überresten als greifbare Zeichen einer ruhmreichen Vergangenheit leitet. Die hellenistische periegesis ist nicht Geographie, sie ist vielmehr Lokalgeschichte und antiquarisches Interesse, mag auch der Leitfaden immer ein topographischer sein. Der Erzählfluss verläuft nicht zielstrebig und rasch, weil man versucht, das zu Berichtende so auszuwählen, dass ein homogener Überblick möglich wird, sondern geht da und dort maßlos in die Breite – mit der Technik des nichts weglassenden Excursus jagt man einem Vollständigkeitsideal nach. Indem sich der antiquarische Perieget zum Sprachrohr von Traditionen macht, die mit einer Landschaft oder oft winzigen Teilen einer solchen verbunden sind, auf die er seine minutiöse und fast schon zwanghafte, bis ins kleinste Detail gehende antiquarische Aufmerksamkeit richtet, qualifiziert er sich eben als Lokalgeschichtsexperte. So erweist es sich oft als schwierig zu entscheiden, ob von antiquarischer periegesis, von Lokalgeschichte oder schlicht von Antiquarischem zu sprechen ist.1 Der Ursprung der periegetischen Schriften liegt in der Neugier, welche die ionischen Logographen ausgezeichnet und auch Herodots Schaffen durchdrungen hatte. Eben in hellenistischer Zeit wird dem Werk des Hekataios der Name Περιήγεσις gegeben, um dem Bedürfnis, das gesamte literarische Erbe zu katalogisieren und mit Gattungsnamen zu versehen, Genüge zu tun. Aber das Schaffen der ionischen Logographen lag nun, obzwar lebendig erinnert, zeitlich weit zurück und so war es vor allem die Gelehrsamkeit des Peripatos, in dem die Aktivität der Periegeten ein fruchtbares Betätigungsfeld fand.2 Unter den in hellenistische Zeit fallenden Autoren haben einige eine äußerst geringe Zahl von Bruchstücken hinterlassen, von anderen ist mehr erhalten geblieben. Obwohl die Zahl der erhaltenen Fragmente nicht gerade groß ist, geben sie aber eine Vorstellung von der periegetisch-antiquarischen Literatur dieser Epoche. Ich werde mein Augenmerk besonders auf drei zu dieser Bewegung gehörende Autoren richten – Polemon aus Ilion, Diodoros und Anaxandrides aus Delphi. Diese haben bedeutende Werke geschaffen und ihre Aufmerksamkeit gilt vor allem zwei Städten: Athen und Delphi. Wie man aus der Anzahl der Namen ersehen kann, die die Tradition überliefert hat, gibt es viele andere Autoren, die dieser Bewegung sowohl in hellenistischer Zeit als auch in der folgenden Epoche zuzurechen sind.3 Leider sind uns nur die Titel ihrer Werke und wenige Fragmente erhalten und ihre zeitliche Bestimmung kann außerdem nicht immer mit Sicherheit erfolgen. Die von mir ausgewählten Autoren sind also nur gleichsam Stellvertreter und bilden nur einen kleinen, wenn auch bedeutenden, Querschnitt der periegetischen Literatur der hellenistischen Zeit. 1

Was die antiquarische Forschung generell betrifft: A. Momigliano, L’origine della ricerca antiquaria, in: ders., Le radici classiche della storiografia moderna, Firenze 1992 (Sather Classical Lectures), 59–83. Siehe auch E. Gabba, True History and False History in Classical Antiquity, in: JRS 71, 1981, 50–62. 2 Vgl. A. Dihle, Eraclide e la periegesi ellenistica, in: F. Prontera (Hg.), Geografia storica della Grecia antica, Roma/Bari 1991, 67–77, hier: 68. 3 H. Bischoff, s.v. Perieget, in: RE 19.1, 1937, 726–742.

Reiseliteratur im Altertum

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Der bedeutendste dieser drei ist ohne Zweifel Polemon aus Ilion, sowohl aufgrund der Anzahl der Fragmente als auch wegen der Vielfalt und Fülle seiner Schriften. Seine Lebenszeit kann zwischen dem Ende des 3. und der Mitte des 2. Jh. v.Chr. angesiedelt werden, dies auf der Grundlage von Angaben, die aus literarischen Quellen, seinen eigenen Fragmenten und vor allem einer Inschrift aus dem Jahr 177/6 v.Chr. stammen, worin ihm die delphische Proxenie verliehen wird. Dies stellt einen gesicherten zeitlichen Referenzpunkt zur Bestimmung der Blütezeit seines literarischen Schaffens dar: Die Verdienste, die er sich mit seinen Schriften über die Stadt, die bekannteste Orakelstätte der griechischen Welt, erworben hatte, und sein Ruhm als Schriftsteller mussten groß genug gewesen sein, um eine solche Ehrung zu rechtfertigen.4 Im Anschluss an seine zahlreichen Reisen verfasste er, neben vielen anderen, seine periegetischen Schriften, Episteln und polemische Schriften, von denen rund hundert Bruchstücke erhalten sind.5 Erwähnenswert sind vor allem die erstgenannten Schriften als die für den Autor repräsentativste Gruppe, der er den Namen ›Perieget‹ verdankt. Das periegetische Werk Polemons wird teilweise zu unrecht als περιήγησις κοσμικὴ ἤτοι γεωγραφία bezeichnet.6 Der Ausdruck περιήγησις κοσμική, der nie in den Schriften Polemons zitiert wird, bezieht sich nicht auf ein einziges Werk, sondern auf verschiedene einzeln herausgegebene Schriften. Was den Ausdruck ἤτοι γεωγραφία betrifft, darf man auf keinen Fall an eine geographische Beschreibung im eigentlichen Sinn des Wortes denken: ἤτοι γεωγραφία ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine von der Suida hinzugefügte Glosse, die nicht zwischen der geographischen und antiquarischen περιήγησις unterscheidet.7 Auch wenn Polemon Städte, Flüsse oder Berge erwähnt, ist die Absicht immer antiquarisch und nichts gibt uns Grund zu glauben, dass er eigentlich geographische Forschungen betreibt. Polemon beschäftigt sich nicht mit der ganzen oikumene, sondern mit Griechenland oder mit den Gebieten griechischer Kultur und zeigt eine besondere Vorliebe für Athen. Unter den periegetischen Schriften lassen sich, auf der Basis der Titel, die in den Fragmenten erhalten sind und auf Grundlage der Suida, welche nur einige Titel wiedergibt, vier Gruppen identifizieren: (1) Griechenland, mit Attika, Argolis, Sikyon, Lakonien, Elis, Arkadien, Böotien, Fokis und Epirus; (2) das Gebiet um Ilion; (3) die Städte von Pontos, Karien und die Inseln; (2) die Städte in Italien und auf Sizilien. Von den 38 seinen periegetischen Schriften zugeordneten Fragmenten beziehen sich 11 auf Attika, eine Region, die die Aufmersamkeit des Periegeten besonders anzieht. In Bezug auf Attika, insbesondere auf Athen sind es die Schriften περὶ τῶν δήμων und περὶ μνημάτων von Diodoros,8 einem Autor der zweiten Hälfte des 3. Jh. v.Chr., von dem 4 5

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M. Angelucci, Polemone di Ilio: fra ricostruzione biografica e interessi antiquari, in: Studi Classici e Orientali 49, 2003, 165–184. L. Preller, Polemonis Periegetae Fragmenta, Leipzig 1838, ND Amsterdam 21964; FHG III, 108– 148. Über Polemon: G. Pasquali, Polemone di Ilio, in: Enciclopedia italiana 27, 1935, 617; K. Deichgräber, Polemon, in: RE 21.2, 1952, 1288–1320. Suida s.v. Πολέμων … ἔγραψε περιήγησιν Ἰλίου ἐν βιβλίοις γʹ, κτίσεις τῶν ἐν Φωκίδι πόλεων καὶ περὶ τῆς πρὸς Ἀθηναίους συγγενείας αὐτῶν, περὶ τῶν ἐν Πόντῳ πόλεων, περὶ τῶν ἐν Λακεδαίμονι πόλεων, καὶ ἄλλα πλεῖστα, ἐν οἷς καὶ κοσμικὴν περιήγησιν ἤτοι γεωγραφίαν. G. Pasquali, Periegesi, in: Enciclopedia italiana 26, 1935, 751; F. De Angelis, Pausania e i periegeti. La guidistica antica sulla Grecia, in: E. Vaiani (Hg.), Dell’antiquaria e dei suoi metodi, Pisa 1998, 1–14, hier: 2–4. Diodoros: FGrH 372; FHG II, 353–359.

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uns vierzig Fragmente erhalten geblieben sind, wovon dreiunddreißig aus dem zuerst genannten Werk stammen. Die Fragmente der Schrift περὶ μνημάτων sind zwar weniger zahlreich, aber länger und aus inhaltlicher Sicht interessanter. Ich werde mich in diesem Beitrag vor allem auf diese beziehen. Das Problem, das sich beim Studium des Polemon und des Diodoros stellt – wie im Übrigen bei allen Schriftstellern, die sich den antiquarischen Periegeten zuordnen –, ist die Unmöglichkeit, sich ihre Werke in vollständiger Form vorzunehmen. Die Aufmerksamkeit für Athen beweist noch einmal die kulturelle Zentralität der Stadt und das Interesse, das ihr die Periegeten aus dieser Epoche entgegenbrachten. Die erhaltenen Bruchstücke lassen auf jeden Fall erahnen, dass das Interesse des Autors für bestimmte Regionen oder Städte nicht zufällig, sondern von der speziellen politischen und kulturellen Situation der jeweiligen Epoche bestimmt ist. Man sieht während der hellenistischen Zeit eine rege kulturelle Aktivität. Diese wird begünstigt von den Zentren Alexandria, Pergamon und Rhodos und führt zur Entwicklung der Wissenschaften. Man beobachtet auch Umwälzungen auf internationaler Ebene, welche die Auflösung der früheren politischen Realitäten und das Auftauchen neuer Mächte herbeiführen. Dadurch wird eine allgemeine Verunsicherung erzeugt, auf welche die Intellektuellen damit reagieren, dass sie großen Wert auf die Verbindung mit der Vergangenheit legen, die gesichert ist durch mythische Überlieferungen, den Kult und die Baudenkmäler. Diese ist somit die Garantie einer kulturellen Überlegenheit, auf welche die griechische Welt damals noch den Erbanspruch erhob. Man versteht deshalb die besondere Aufmerksamkeit für Athen, das Zentrum der Intellektuellen, den Ort, an dem die unterschiedlichsten Strömungen zusammenfließen, der an Gemälden, Skulpturen und Baudenkmäler überreich ist. Unter diesem Gesichtspunkt werden die großen Heiligtümer gleichsam zu einer obligatorischen Etappe sowohl der Periegeten als auch der Pilger: Delphi, heilige Stätte seit ältester Zeit, war ein erstrangiges religiöses und politisches Zentrum. Delphis Weihegaben und Schätzen widmet Polemon eine ganze Schrift mit dem Titel περὶ τῶν ἐν Δελφοῖς θησαυρῶν. Analog dazu ist Anaxandrides von Delphi,9 Adressat einer Schrift des Polemon und folglich sein Zeitgenosse oder etwas älter als er, Verfasser eines wohl περὶ τῶν συληθέντων ἐν Δελφοῖς ἀναθημάτων betitelten Textes,10 der aus mehreren Büchern bestand, von denen uns nur acht Fragmente erhalten sind. Die Beschreibung der Thesauroi der Tempel war von Anekdoten begleitet, die an die Ereignisse erinnern sollten, welche zur Weihe der Opfergaben geführt hatten. Die Heiligtümer waren überreich an Inschriften, die für antiquarische Studien sehr bedeutsam wurden. Die unermesslichen Reichtümer des Heiligtums wurden von den Phokern unter Philomelos 356 v.Chr., von den Galatern 279 v.Chr. und letzten Endes 66–67 n.Chr. von Nero geplündert, der 500 Bronzestatuen nach Rom brachte, wie Pausanias berichtet.11 Die Beschreibung des Anaxandrides, der nach den Raubzügen der Phoker und Galater, aber vor Nero lebte, muss sehr kenntnisreich und gewiss ausführlicher als jene des Pausanias gewesen sein, der die großen Verluste beklagt, die das Heiligtum erlitten hat. Leider gibt uns die ziemlich geringe Zahl erhalten gebliebener Fragmente nur eine Ahnung von den tatsächlichen Dimensionen dieses Werkes. Man kann vermuten, 9 10 11

Anaxandrides: FGrH 404; FGH III, 106f. Der Titel der Schrift des Anaxadrides ist tatsächlich umstritten: Jacoby, FGrH 404 Komm. S. 218. Paus. 10,7,1; 10,19,1; 10,19,5f.

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dass die Schrift des Anaxandrides von den Führern verwendet wurde, welche die Weihegaben und die vorhandenen Bauten des Heiligtums erläuterten. Gewiss war es nicht nur das Heiligtum von Delphi, welches das Interesse der Periegeten weckte. Wieder ist es Polemon, der am eingehendsten über Dodona und Olympia schreibt und in Bezug auf das bekannte Heiligtum in Elis interessante Informationen hinterlässt, die Pausanias Werke ergänzen, welcher der einzige Perieget ist, dessen Werk uns vollständig überliefert ist.

2. Gelehrte Forschung, Bestandsaufnahme und Gebrauch des Excursus: drei Schlüsselelemente der hellenistischen periegesis Bedauerlicherweise erschwert die Bruchstückhaftigkeit der uns zugänglichen Texte das Ziehen von Parallelen. Es ist auch schwierig festzustellen, ob die drei Autoren wechselseitig Kenntnis voneinander hatten. Es ist jedoch möglich, einige Themenbereiche zu identifizieren, aus denen sich offenkundige gemeinsame Interessen und eine analoge Herangehensweise an das antiquarische Metier ableiten lassen, so dass diese drei Schriftsteller als Vertreter der besonderen Richtung der hellenistischen periegesis angesehen werden können, auch im Bewusstsein der Problematik, hier von einem Literaturgenre zu sprechen,12 und trotz aller Komplexität und Heterogenität der Autoren, die sich dieser Richtung zuordnen lassen. Das Augenmerk Polemons ist auf die griechische Antike gerichtet, auf die Monumente, die Mythen, die Traditionen all jener Städte, welche sich in Griechenland, wie auch in Sizilien, in Großgriechenland und in Kleinasien in der Vergangenheit durch ihre besondere politische, religiöse und kulturelle Rolle hervorgetan hatten. Die in seinen Schriften behandelten Argumente sind vielfältig: es sind Aufzeichnungen mit mythologischem Charakter überliefert, Anekdoten und Informationen über Maler, Hetären und Olympiasieger; der Perieget hatte zudem ein besonderes Interesse für die Herkunft der Orts-, Völker- und Wettkampfnamen sowie für das Variieren bestimmter Namen von einer Region zur anderen; des weiteren bemerkenswert ist die Vorliebe Polemons für Kulte, Feste und deren mythologische Hintergründe.13 Verbreitet ist das Motiv des πρῶτος εὑρετής. Ihn zieht alles an, was besonders, charakteristisch und ungewöhnlich ist. Dasselbe Interesse an der antiquarischen Forschung findet sich bei Diodoros und Anaxandrides. Der Umfang der von ihnen behandelten Themen mag zwar, auch aufgrund der 12

S. L. E. Rossi, I generi letterari e le loro leggi scritte e non scritte nelle letterature classiche, in: BICS 18, 1971, 69–94. Zu den Problemen der Klassifizierung der Autoren anhand der antiken geografischen Terminologie: H. Berger, Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen, Leipzig 1890, 74–77; C. van Paassen, The Classical Tradition of Geography, Groningen 1957, 1– 32; D. Marcotte (Hg.), Géographes grecs. Pseudo Scymnos: Circuit de la terre, Paris 2000, LV– LXXIII; P. Cappelletto (Hg.), I frammenti di Mnasea. Introduzione, testo e commento, Milano 2003, 29–31. 13 Berücksichtigt man nicht nur die periegetischen Schriften, sondern auch seine anderen Werke, die sich im Übrigen, was ihre Inhalte betrifft, nicht so sehr von jenen unterscheiden, wirkt die Vielfalt der behandelten Themen, mögen sie auch stets antiquarischen Charakter haben, noch beeindruckender: Der Schriftsteller erstellt Aufzeichnungen über Botanik und Zoologie, er beschäftigt sich mit Epitheta und Homonymie und er liebt den Gebrauch und die Deutung von Sprichwörtern; er geht der Bedeutung wenig gängiger Termini der griechischen Sprache nach, was fast schon an eine lexikographische Arbeit denken lässt.

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geringeren Anzahl der uns erhaltenen Fragmente, die einen nur partiellen Überblick zulassen, geringer sein, folgt aber der von Polemon vorgegebenen Richtung. Insbesondere zeigt sich bei den drei Autoren das gleiche Interesse für die Herkunft von Namen, für Götterund Heroenkulte und den damit verbundenen Monumenten und Ereignissen. Sowohl Polemon als auch Anaxandrides halten besondere Tages- und Monatsnamen fest und erklären deren Herkunft. Harpokrations Angaben zufolge versichert der Perieget von Ilion,14 dass der letzte Tag des Monats, in Athen ἕνη καὶ νέα genannt, von den Athenern zu Ehren des Demetrios Poliorketes ›Demetriades‹ genannt und dem zehnten Monat des attischen Jahres, dem Mounichion (April), der Beiname ›Demetrion‹ gegeben wurde.15 Wenn Harpokration die Erklärung des Ausdrucks ἕνη καὶ νέα dem Hypereides zuschreibt, kann man durchaus annehmen, dass auch der Perieget sich damit beschäftigt und die zur Zeit des Poliorketes gebräuchliche Bezeichnung angegeben und erläutert hat: die Athener betrachteten den letzten Tag des Mondmonats als eine Übergangsperiode zwischen dem alten und dem neuen Mond, weil er, wenn diese Phase mit den astronomischen Mondphasen zusammenfiel, nicht sichtbar war. Daher der Name ›alter und neuer Tag‹, mit dem man ohne Unterschied den neunundzwanzigsten oder den dreißigsten Tag des Monats bezeichnete, je nachdem ob dieser neunundzwanzig oder dreißig Tage dauerte.16 In einem Abschnitt der Αἴτια Ἑλληνικά, einer Schrift antiquarischen Charakters,17 beschäftigt sich Plutarch mit Berufung auf Anaxandrides mit der Frage, warum der in Athen Anthesterion genannte Monat (Februar/März) in Delphi Βύσιος heißt, und berichtet, dass die Pythia in alter Zeit nur einmal im Jahr das Orakel ausgab, und zwar am siebenten Tag dieses Monats.18 Anaxandrides kann, zusammen mit Kallisthenes, der mit ihm erwähnt 14

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Polemon F 7 Preller: Harpocr. ε 54 s.v. ἕνη καὶ νέα· Ὑπερείδης ἐν τῷ Πρὸς Ὑγιαίνοντα (fr. 168 Jensen) τὴν ὑφ’ ἡμῶν τριακάδα καλουμένην ἕνην καί νέαν καλοῦσιν Ἀθηναῖοι ἀπὸ τοῦ τὴν τελευτὴν ἔχειν τοῦ προτέρου μηνὸς καὶ τὴν ἀρχὴν τοῦ ὑστέρου. Πολέμων δέ φησιν ὅτι ἐκάλεσάν ποτε αὐτὴν Ἀυηναὶοι Δημητράδα ἐπὶ τιμῆ Δημητρίου τοῦ Μακεδόνος. Philochoros, FGrH 328 F 166; Plut. Demetrios 12,2. L. S. Amantini u.a. (Hg.), Plutarco, Vita di Demetrio, Milano 1995, 336f. Es handelt sich um Ehrungen, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Jahr 294 v.Chr. zurückgehen und von kurzer Dauer waren – wie auch andere Ehren, welche die Athener dem Poliorketes zuteil werden ließen. Zu den Ehrungen des Poliorketes: Plut. Demetrios 10–13; Diod. 20,46,1–3. Vgl. W. Dittenberger, s.v. Demetrion (3), RE 4, 1900, 2767; O. Andrei, R. Scuderi (Hg.), Plutarco, Vite parallele: Demetrio, Antonio, Milano 21994, 150 Anm. 86; B. Virgilio, Lancia, diadema e porpora. Il re e la regalità ellenistica, Pisa 22003, 66, 88–91. Aristoph. Nub. 1134. Vgl. G. Guidorizzi, D. Dal Corno (Hg.), Aristofane, Nuvole, Milano 1996, 320. Für eine reichhaltige Bibliographie zum attischen Kalender vgl. J. A. Walsh, The Omitted Date in the Athenian Hollow Month, in: ZPE 41, 1981, 107–124, hier: 107 Anm. 1. I. Gallo, I generi letterari in Plutarco, in: I. Gallo, C. Moreschini (Hg.), Berichte des VIII. Kongresses der International Plutarch Society – italienische Abteilung (Pisa, 2–4 giugno 1999), Napoli 2000, 9–17, hier: 17; ders., Forma letteraria nei Moralia di Plutarco: aspetti e problemi, in: ANRW II 34.4, Berlin/New York, 3511–3540, hier: 3527. Anaxandrides, FGrH 404 F 3: Plut. qu.Gr. 9,292 Τίς ὁ παρὰ Δελφοῖς ὁσιωτὴρ καὶ διὰ τί Βύσιον ἕνα τῶν μηνῶν καλοῦσιν; … Ὁ δὲ Βύσιος μήν, ὡς μὲν οἱ πολλοὶ νομίζουσι, φύσιός ἐστιν· ἔαρος γὰρ ἄρχει καὶ τὰ πολλὰ φύεται τηνικαῦτα καὶ διαβλαστάνει· τὸ δ’ ἀληθὲς οὐκ ἔχει οὕτως· οὐ γὰρ ἀντὶ τοῦ φ τῷ β χρῶνται Δελφοὶ, καθάπερ Μακεδόνες, βίλιππον καὶ Βαλακρόν καὶ Βερονίκην λέγοντες, ἀλλ’ ἀντὶ τοῦ π καὶ γὰρ τὸ πατεῖν βατεῖν, καὶ τὸ πικρὸν βικρὸν ἐπιεικῶς καλοῦσιν. Ἔστιν οὖν Πύσιος ὁ Βύσιος, ἐν ᾧ πυστιῶνται καὶ πυνθάνονται τοῦ θεοῦ. Τοῦτο γὰρ ἔννομον καὶ πάτριον. Ἐν τῷ μηνὶ γὰρ τούτῳ χρηστήριον ἐγίγνετο, καὶ ἑβδόμην ταύτην νομίζουσι τοῦ θεοῦ γενέθλιον, καὶ πολύφθοον ὀνομάζουσιν, οὐ διὰ τὸ πέττεσθαι φθοῖς, ἀλλὰ πολυπευθῆ καὶ πολυμάντευτον οὖσαν.

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wird, zu Recht zu Plutarchs Quellen gezählt werden, wenn es um die Erklärung des Terminus Βύσιος geht, der richtig Πύσιος zu lesen wäre, da man im Delphischen den Buchstaben π wie β aussprach, zum Unterschied vom mazedonischen Dialekt, in dem φ wie β gelesen wurde. Die etymologische Herkunft des Terminus fände sich demnach im Stamm des Verbums πυνθάνομαι und nicht von φύειν, wie man aufgrund der Parallelität zwischen dem Monat Anthesterion, in dem man das Blütenfest feierte,19 und dem delphischen Monat, den man als den Zeitraum verstand, in dem Blumen und Pflanzen keimen, allgemein annahm. Das etymologische Augenmerk auf Namen wie auch auf die unterschiedlichen Bezeichnungen von einer Region zur anderen ist nicht allein für Anaxandrides charakteristisch, sondern für alle Periegeten hellenistischer Zeit. Plutarch fährt in seiner Erörterung mit der Behauptung fort, dass so, wie Βύσιος der Monat der Orakelverkündung ist, der siebente Tag dieses Monats πολύφθοος nicht deshalb so genannt wird, weil man die heiligen Opferkuchen zu Ehren des Apollon bäckt, sondern weil er der Tag ist, an dem man dem Gott Fragen stellt und die Antworten empfängt:20 οὐ διὰ τὸ πέττεσθαι φθοῖς, ἀλλὰ πολυπευθῆ καὶ πολυμάντευτον οὗσαν. Die Passage von πολύφθοος bis πολυπευθῆς ist tatsächlich eher schwer aufrechtzuerhalten. Hier beruft sich Plutarch explizit auf Anaxandrides, der ja bezeugte, dass die Pythia in alter Zeit nur einmal im Jahr, an eben diesem Tag, ihr Orakel verkündete.21 Anaxandrides, der in antiquarischen Angelegenheiten als glaubwürdige Autorität gelten musste, wird am Ende der plutarchschen Ausführung zur Unterstützung einer schwer aufrechtzuerhaltenden These ausdrücklich als Referenz genannt. Auch bei Diodoros lässt sich, trotz der geringen Bruchstücke die uns erhalten geblieben sind, eine Stelle finden, in der er sich mit der Herkunft eines Terminus befasst.22 Unter Berufung auf Hellanikos23 erklärt er den Ursprung des Ortsnamens Mounichia, Halbinsel und Hafen von Athen: Die von den Thrakern geschlagenen Einwohner von Orchomenos in Böotien sind zur Zeit des Königs Mounichos nach Athen gewandert; der König gestattete ihnen, den Ort zu bewohnen, der später ihm zu Ehren benannt wurde. Die Aitiologie stellt das Hauptmotiv vieler Stellen bei den antiquarischen Periegeten dar. Auch in den Fragmenten, die Informationen über Kulte und Feste liefern, fehlen niemals Nachforschungen was die Ursachen für Ehren betrifft, die bestimmten Göttern und Heroen erwiesen wurden. 18 19 20 21 22

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Ὀψὲ γὰρ ἀνείθησαν αἱ κατὰ μῆνα μαντεῖαι τοῖς δεομένοις πρότερον δὲ ἅπαξ ἐθεμίστευεν ἡ Πυθία τοῦ ἐνιαυτοῦ κατὰ ταύτην τὴν ἡμέραν, ὡς Καλλισθένης καὶ Ἀναξανδρίδης ἱστορήκασι. A. Carrano (Hg.), Plutarco, Questioni greche, Napoli 2007, 108. Apollon wurde insbesondere am siebenten Tag des Monats verehrt: Hes. erg. 770f.; Hdt. 6,57,2; Aischyl. Sept. 800–803; Kall. h. 4,249–254; Plut., Quaestiones convivales 8,1,2 717D. Der Übergang von einmal jährlichen zu monatlichen Orakelbefragungen ist nicht gut belegt. Siehe dazu H. W. Parke, The Days for Consulting the Delphic Oracle, in: CQ 37, 1943, 19–22. Diodoros FGrH 372 F 39: Schol. Demosth. 18,107b ἐκλήθη δὲ Μουνύχια, ὥς φησιν ὁ Διόδωρος παραφέρων τὰ Ἑλλανίκου λέγοντος ὅτι Θραῖκές ποτε στρατεύσαντες κατὰ τῶν οἰκούντων τὸν Μινύειον Ὀρχομενὸν τὸν τῆς Βοιωτίας ἐξέβαλον αὐτοὺς ἐκεῖθεν· οἱ δὲ ἐξαναστάντες ἦλθον εἰς Ἀθήνας ἐπὶ Μουνύχου βασιλέως· ὁ δὲ ἐπέτρεψεν αὐτοῖς οἰκῆσαι τὸν τόπον τοῦτον, τὴν Μουνυχίαν, ὅστις οὕτως ὠνομάσθη, παρ’ αὐτῶν πρὸς τιμὴν τοῦ βασιλέως. Hellanikos, FGrH 4 F 42.

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Diodoros24 berichtet, dass man Theseus25 in Athen nicht nur am Achten des Monats Pyanepsion ehrt, dem Tag, an dem er mit den jungen Leuten von Kreta heimkehrte, sondern auch am Achten jedes Monats, sei es weil er am achten Tag des Monats Hekatombaion erstmals von Troizen ankam, sei es weil man diese Zahl mehr als jede andere mit ihm verband, seitdem man ihn den Sohn des Poseidon nannte, der ebenso am Achten jedes Monats geehrt wurde.26 Nicht zu vergessen, dass Diodoros der Verfasser nicht nur von Περὶ μνημάτων, sondern auch der Schrift Περὶ τῶν δήμων war und sich daher mit lokalen Kulten und Traditionen gut auskannte. In ähnlicher Weise liefert Polemon die Erklärung eines Kults und erhellt den delphischen Brauch, nach dem derjenige, der bei den Theoxenien der Leto die größte γηθυλλίς27 brachte,28 am rituellen Mahl teilnehmen durfte: die Göttin hatte nämlich, als sie von Apollon schwanger war, Appetit auf γηθυλλίς gehabt.29 Es handelte sich also um eine kuri-

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Diodoros FGrH 372 F 38: Plut. Theseus 36,4f. καὶ κεῖται μὲν (sc. ὁ Θησεύς) ἐν μέσῃ τᾐ πόλει παρὰ τὸ νῦν γυμνάσιον, ἔστι δὲ φύξιμον οἰκέταις καὶ πᾶσι τοῖς ταπεινοτέροις καὶ δεδιόσι κρείττονας, ὡς καὶ τοῦ Θησέως προστατικοῦ τινος καὶ βοηθητικοῦ γενομένου καὶ προσδεχομένου φιλανθρώπως τὰς τῶν ταπεινοτέρων δεήσεις. θυσίαν δὲ ποιοῦσιν αὐτῷ τὴν μέγιστην ὀγδόη Πυανεψιῶνος, ἐν ᾗ μετὰ τῶν ἠιθέων ἐκ Κρήτης ἐπανῆλθεν. οὐ μὴν ἀλλὰ καὶ ταῖς ἄλλαις ὀγδόαις τιμῶσιν αὐτόν, ἢ διὰ τὸ πρῶτον ἐκ Τροιζῆνος ἀφικέσθαι τῇ ὀγδόῃ τοῦ Ἑκατομβαιῶνος, ὡς ἱστόρηκε Διόδωρος ὁ περιηγητής, ἢ νομίζοντες ἑτέρου μᾶλλον ἑκείνῳ προσήκειν τὸν ἀριθμὸν τοῦτον ἐκ Ποσειδῶνος γεγονέναι λεγομένῳ. Über die Theseia: A. Mommsen, Feste der Stadt Athen im Altertum, Leipzig 1898, 288–290; L. Deubner, Attische Feste, Hildesheim/New York 21969, 224; J. D. Mikalson, The Sacred and Civil Calendar of the Athenian Year, Princeton 1975, 70–79; H. W. Parke, Festivals of the Athenians, London 1977, 81f. Plutarch notiert für Poseidon das Epitheton Γαιήοχος, das zu verstehen ist als ›der die Erde hält‹. Der vor Erdbeben schützende Gott wurde am Achten jedes Monats verehrt, weil die Acht als Zahl der Stabilität und der Solidität galt. Das Epitheton kann jedoch auch in ganz gegensätzlichem Sinne verstanden werden, als ›der die Erde erschüttert‹, worauf andere Beinamen des Gottes, Ἐνοσίχθων und Ἐννοσίγαιος, hindeuten. Vgl. W. Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, Stuttgart/Berlin 1977, 203 und Anm. 21 mit Bibliographie. Über den Zusammenhang zwischen Poseidon und dem achten Tag: R. Flacelière, Sur quelques Passages des Vies de Plutarque I Thésée – Romulus, in: REG 61, 1948, 67–103, hier: 84f. Der Terminus γηθυλλίς, Verkleinerungsform von γήθυον/γήτειον (lat. pallacana, vgl. Plin. nat. 19,105.), bezeichnet die Zwiebel (Allium cepa; so A. Carnoy, gethyllis, in: Dictionnaire étymologique des noms grecs de plantes, Louvain 1959, 130) oder den Schnittlauch (Allium schoenoprasum; so S. Amigues (ed.), Théophraste. Recherches sur les plantes, I, Paris 1988, 86). F. Pfister, Theoxenia, RE 5A2, 1934, 2256–2258; M. P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion, I, München 31967, 160–162; A. D. Nock, The Cult of Heroes, in: id. (Hg.), Essays on Religion and the Ancient World, Oxford 1972, 582–602, bes. 585–587; D. Flückiger-Guggenheim, Göttliche Gäste. Die Einkehr von Göttern und Heroen in der griechischen Mythologie, Frankfurt 1984, 25–27, 164f.; M. H. Jameson, Theoxenia, in: R. Hägg (Hg.), Ancient Greek Cult Practice from the Epigaphical Evidence. Proceedings of the Second International Seminar on Ancient Greek Cult (22–24 November 1991), Stockholm 1994, 35–57; D. Gill, Greek Cult Tables, Oxford 1991, 11–15; B. Kowalzig, Xenia, in: DNP 12.2, 2003, 610–612; L. Canfora (Hg.), I Deipnosofisti: i dotti a banchetto, Roma/Salerno 2001, II, 932 Anm. 3 und 7. Polemon F 36 Preller: Athen. 9,372a–b Πολέμων δ’ ὁ περιηγητὴς ἐν τῷ περὶ Σαμοθρᾴκης καὶ κιττῆσαί φησι τῆς γηθυλλίδος τὴν Λητώ, γράφων οὕτως· ›διατέτακται παρὰ Δελφοὶς τῇ θυσίᾳ τῶν Θεοξενίων, ὃς ἂν κομίσῃ γηθυλλίδα μεγίστην τῇ Λητοῖ, λαμβάνειν μοῖραν ἀπὸ τῆς τραπέζης. ἑώρακα δὲ καὶ αὐτὸς οὐκ ἐλλάτω γηθυλλίδα γογγυλίδος καὶ τῆς στρογγύλης ῥαφανῖδος. ἱστοροῦσι δὲ τὴν Λητὼ κύουσαν τὸν Ἀπόλλωνα κιττῆσαι γηθυλλίδος· διὸ δὴ τῆς τιμῆς τετυχηκέναι ταύτης.‹

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ose und eigenartige – vom Periegeten präzise festgehaltene – Gepflogenheit; die in Delphi gefeierten Theoxenien unterschieden sich darin von jenen, welche in anderen poleis Griechenlands stattfanden. In der bedeutenden Orakelstätte waren sie Apollon und Leto geweiht und fanden im Monat Theoxenios statt, der dem attischen Monat Elaphebolion (März/April) entsprach. Die Bürger der poleis kamen anlässlich der Feste zusammen, die ihren Kalender markierten und wichtige Zusammenkünfte darstellten. Es ist daher nicht schwer nachzuvollziehen, warum die Periegeten sich für diese Feiern interessierten, die städteübergreifend sein konnten oder auch ganz eigene und exklusive Ausprägungen hatten. So verwundert es nicht, wie aufmerksam Polemon die herakleischen Feste von Theben beobachtet hat – er widmet ihnen eine ganze Schrift. Feste zu Ehren des Herakles fanden auch in Attika, Sikyon, Syros, Kos, Agyrion auf Sizilien und in vielen Städten Kleinasiens statt,30 aber jene von Theben, wo der Heros besonders verehrt wurde, waren die bekanntesten im griechischen Kulturkreis. Polemon betont, dass der dem Sieger überreichte Preis jenem bei den uralten Lykaia31 gleich war, die Pausanias zufolge32 sogar den Panathenäen vorausgingen,33 und von einem anderen bedeutenden zivilisatorischen Heros, Lykaon, dem Sohn des Pelasgos, eingeführt worden waren. Zum Fackellauf in Athen merkt er an, dass dieser bei drei Festen stattfand: bei den Panathenäen, den Hephaistia und den Festen des Prometheus.34 Tatsächlich gab es ihn auch bei anderen Gelegenheiten, aber Polemon nennt die drei wichtigsten Anlässe. Das Fragment ist zu kurz, um erahnen zu können, wie der Perieget seine Schilderung fortgesetzt hat. Man darf vermuten, daß er mit der Beschreibung des Wettkampfs und der Erinnerung seines Ursprungs fortfuhr. Er kann zu Ehren des Prometheus entstanden sein, der dem Menschen das Feuer gebracht hatte, oder auch weil es nötig war, das Feuer so rasch wie nur möglich von einem Altar zum nächsten zu tragen.35 In diesem Zusammenhang sei an das Schicksal 30

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L. Couve, Herakleia, in: EAA 3, 1905, 78; P. Stengel, s.v. Herakleia, in: RE 8.1, 1912, 439f.; Deubner (wie Anm. 25), 226. Über den Herakleskult generell: L. R. Farnell, Greek Hero Cults and Ideas of Immortality, Oxford 1921, 134–137; F. Graf, A. Ley, Herakles, in: DNP 5, 1998, 387– 394 mit Bibliographie. Unter den zahlreichen Autoren, die die Feste Herakleia zitieren, sind Plut., De fraterno amore 492c; Aristoph. Ach. 867; Diod. 4,39; Paus. 9,11,4; 9,322; Schol. Pind. P. 9,156b; I. 1,79b; 4,117; N. 4,32. Polemon F 26 Preller: Schol. vet. Pind. O. 7,153d. Πολέμων ἐν τῷ περὶ τῶν Θήβῃσιν Ἡρακλείων φησὶ χαλκὸν τὸ ἆθλον εἶναι τοῖς ἐν Ἀρκαδίᾳ Λυκαίοις, ὥστε ἀπὸ κοινοῦ τὰ ἔργα καὶ τὸ χαλκὸν ληπτέον, ὅταν φησὶν ὁ Πίνδαρος· ὅ τ’ ἐν Ἄργει χαλκὸς ἔγνω νιν τά τε ἐν Ἀρκαδίᾳ ἔργα καὶ Θέβαις. δίδοται γὰρ ἐν ταύταις τρίπους χαλκοῦς … Paus. 8,2,1. Hinsichtlich der chronologischen Reihenfolge der Einführung der verschiedenen Feste ist Aristoteles (fr. 637 Rose) anderer Ansicht und setzt die Eleusinischen Spiele und die Panathenäen auf den ersten bzw. den zweiten Rang und die Lykaia auf den vierten, gefolgt von den Olympischen Spielen, die auf Rang sieben stehen. Wahrscheinlich rührt die Überzeugung vom höheren Alter der Eleusinischen Spiele und der Panathenäen daher, dass diese beiden Feste göttlichen Ursprungs sind, da sie von Demeter bzw. Athena eingeführt wurden; dem steht der heroische Charakter der Lykaia gegenüber. Polemon F 6 Preller: Harpocr. s.v. λαμπάς· … τρεῖς ἄγουσιν Ἀθηναῖοι ἑορτὰς λαμπάδος, Παναθηναίοις καὶ Ἡφαιστίοις καὶ Προμηθείοις, ὡς Πολέμων φησὶν ἐν τῷ περὶ τῶν ἐν τοῖς προπυλαίοις πινάκων. N. Wecklein, Der Fackelwettlauf, in: Hermes 7, 1873, 437–452.

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des Euchidas erinnert,36 der nach dem Sieg bei Plataiai nach Delphi lief, am selben Tag das Feuer zum Entzünden der Altäre nach Athen brachte und dann vor Erschöpfung starb. Die Periegeten werden zum Sprachrohr des Lebens in den Städten, das sich nicht in politischen Fakten erschöpfte, sondern auch die alltäglichen Ereignisse umfasste, wie auch zu Berichterstattern der Feste, die damals wie heute den Lebensrhythmus bestimmten, und den kleinen und großen Erfolgen, deren sich die Bürger rühmen konnten. Siegte ein Bürger bei Wettkämpfen, galt das als Grund für Stolz der ganzen Stadt und trug dazu bei, diese in den Augen von ganz Griechenland groß zu machen. Im Zusammenhang mit dem delphischen Heiligtum erwähnt Polemon in F 2737 den Schatz der Sikyonier und das Weihegeschenk der Dichterin Aristomache von Erythrai, Siegerin bei den Isthmischen Spielen. Es handelt sich hierbei um ein wertvolles Zeugnis, ist es doch die einzige Erwähnung der Dichterin, die sonst nicht bekannt wäre.38 F 28 wiederum erzählt eine Anekdote von einem Besucher, der, in eine Statue verliebt, sich in der Schatzkammer der Stadt Spina hatte einschließen lassen.39 Die Ereignisse, deren Protagonisten die poleis gewesen waren, konnten an den Weihegaben in den großen Heiligtümern abgelesen werden. So wurde die detaillierte Beschreibung der dort zur Schau gestellten Votivgeschenke keine reine und kalte Katalogisierung als Selbstzweck, sondern diente der Erinnerung an die Geschichte der Städte und ihrer Größe. Die Annäherung der Periegeten an die Weihegaben ist zweigeteilt: einerseits beschreiben sie minutiös die Weihegeschenke im Sinne der Bestandsaufnahmepraxis von Exegeten,40 andererseits aber auch die Ereignisse, die Anlass der Opfergabe gewesen waren, Letzteres unter Einsatz der Technik des excursus. Polemons Bericht über die Thesauroi von Olympia41 ist deshalb besonders interessant, weil keine einzige der Weihegaben, die sich darin befanden, erhalten ist42 und weil der Be36 37

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Plut., Aristeides 20. Polemon F 27 Preller: Plut., Quaestiones convivales 5,675b. Καὶ ›Τοῦτο μέν, ἔφην, τὸ ἀνάγνωσμα τῶν οὐκ ἐν μέσῳ ἐστίν· τοῖς δὲ Πολέμωνος τοῦ Ἀθηναίου περὶ τῶν ἐν Δελφοῖς θησαυρῶν, οἶμαι, πολλοῖς ὑμῶν ἐντυγχάνειν ἐπιμελές ἐστι καὶ χρή … πολυμαθοῦς καὶ οὐ νυστάζοντος ἐν τοῖς Ἑλληνικοῖς πράγμασιν ἀνδρός· ἐκεῖ τοίνυν εὑρήσετε γεγραμμένον ὡς ἐν τῷ Σικυωνίων θησαυρῷ χρυσοῦν ἀνέκειτο βιβλίον Ἀριστομάχης ἀνάθημα τῆς Ἐρυθραίας ἐπικῷ … ποιήματι δὶς Ἴσθμια νενικηκυίας.‹ Vgl. O. Crusius, s.v. Aristomache, in: RE 2.1, 1895, 943f. Polemon F 28 Preller: Athen. 13,606a-b Πολέμων δὲ ἢ ὁ ποιήσας τὸν ἐπιγραφόμενον Ἑλλαδικόν· ›ἐν Δελφοῖς, φησίν, ἐν τῷ Σπινατῶν θησαυρῷ παῖδές εἰσιν λίθινοι δύο, ὧν τοῦ ἑτέρου Δελφοί φασι τῶν θεωρῶν ἐπιθυμήσαντά τινα συγκατακλεισθῆναι καὶ τῆς ὁμιλίας καταλιπεῖν στέφανον. φωραθέντος δ’ αὐτοῦ τὸν θεὸν χρωμένοις τοῖς Δελφοῖς συντάξαι ἀφεῖναι τὸν ἄνθρωπον· δεδωκέναι γὰρ αὐτὸν μισθόν.‹ Was die Aktivität der Exegeten und das Inventar der Heiligtümer betrifft, vgl. S. Reinach, Exegetae, in: Dictionnaire des antiquités greques et romaines 2, 1892, 883–886; O. Kern, Ἐξηγηταί, in: RE 6.2, 1909, 1583f.; M. Guarducci, Epigrafia greca, vol. II: Epigrafi di carattere pubblico, Roma 1970; T. Linders, The Purpose of Inventories: a close Reading of the Delian Inventories of the Independance, in: D. Knoepfler (Hg.), Comptes et Inventaires dans la cité grecque, Actes du colloque international d’épigraphie tenu a Neuchâtel du 23 au 26 septembre 1986 en l’honneur de Jacques Tréheux, Neuchâtel 1988, 37–47; De Angelis (wie Anm. 7), 4. Polemon F 22 Preller: Athen. 11,479f–480a Κρατάνιον· μήποτε τὸ νῦν καλούμενον κρανίον ἔκπωμα οὕτως ὠνόμαζον οἱ ἀρχαῖοι. Πολέμων γοῦν ἢ ὅστις ἐστὶν ὁ ποιήσας τὸν ἐπιγραφόμενον Ἑλλαδικὸν περὶ τοῦ ἐν Ὀλυμπίᾳ λέγων Μεταποντίνων ναοῦ γράφει καὶ ταῦτα· ›ναός Μεταποντίνων,

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richt die Angaben, die uns von Pausanias überliefert sind, ergänzen hilft, insbesondere an den Stellen, wo diese vage oder lückenhaft sind. Dies gilt für den Schatz der Byzantiner,43 den Pausanias nur kurz erwähnt.44 Durch Zusammenführen der Informationen, die wir von Polemon und von Pausanias haben, ist es daher möglich, ein vollständigeres Bild der großen Anzahl und der Art der Wertgegenstände in den Thesauroi zu gewinnen. Aus dem Schatz der Metapontier45 erwähnt Pausanias46 das teilweise elfenbeinerne Standbild des Endymion;47 Polemon hingegen lässt den Blick auf der großen Menge kostbarer Gefäße ruhen, die sich darin befanden: φιάλαι ἀργυραῖ ἑκατὸν καὶ τριάκοντα καὶ δύο, οἰνοχόαι ἀγυραῖ δύο, ἀποθυστάνιον ἀργυροῦν, φιάλαι τρεῖς ἐπίχρυσοι. Analog dazu listet Polemon im Zusammenhang mit dem imposanten Hera-Tempel – Pausanias beschreibt nur die Statuen und andere Votivgegenstände –48 die verschiedenen Arten von Gefäßen auf: φιάλαι ἀργυραῖ τριάκοντα, κρατάνια ἀργυρᾶ δύο, χύτρος ἀργυροῦς, ἀποθυστάνιον χρυσοῦς, κρατηρ χρυσοῦς, Κυρηναίων ἀνάθημα, βατιάκιον ἀργυροῦν. Diese Passage zitiert Athenaios anlässlich der Erklärung des Terminus κρατάνιον, Trinkgefäß ungewisser Herkunft und von unbekannter Form, wofür Polemon die einzige schriftliche Quelle darstellt.49 Aus dem Kontext der Deipnosophisten heraus, woraus diese Stelle des Periegeten von Ilion genommen ist, ergibt sich, dass sie offensichtlich vornehmlich Gefäße betrifft: Athenaios überliefert sie nämlich im Zusammenhang mit der Beschreibung verschiedener

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ἐν ᾧ φιάλαι ἀργυραῖ ἑκατὸν καὶ τριάκοντα καὶ δύο, οἰνοχόαι ἀργυραῖ δύο, ἀποθυστάνιον ἀργυροῦν, φιάλαι τρεῖς ἐπίχρυσοι. ναὸς Βυζαντίων, ἐν ᾧ Τρίτων κυπαρίσσινος ἔχων κρατάνιον ἀργυροῦν, σειρὴν ἀργυρᾶ, καρχήσια δύο ἀργυρᾶ, κύλιξ ἀργυρᾶ, οἰνοχόη χρυσῆ, κέρατα δύο. ἐν δὲ τῷ ναῷ τῆς Ἥρας τῷ παλαιῷ φιάλαι ἀργυραῖ τριάκοντα, κρατάνια ἀργυρᾶ δυό, χύτρος ἀργυροῦς, ἀποθυστάνιον χρυσοῦν, κρατῆρ χρυσοῦς, Κυρηναίων ἀνάθημα, βατιάκιον ἀργυροῦν.‹ U. Jantzen, Olimpia, in: EAA 5, 1963, 635–656, hier: 647f.; A. Mallwitz, Olympia und seine Bauten, Darmstadt 1972, 163–166; U. Sinn, Olimpia, in: EAA Suppl. 4, 1996, 69. Zu Olympia vgl. auch F. W. Hamdorf, Olimpia, in: EAA Suppl. 1970, 560–566. Zum Schatzhaus von Byzantion und seiner möglichen archäologischen Identifizierung: Mallwitz (wie Anm. 42), 170; K. Hermann, Beobachtungen zur Schatzhaus-Architekture Olympias, in: U. Jantzen (Hg.), Neue Forschungen in griechischen Heiligtümern, Tübingen 1976, 339–343; ders., Die Schatzhäuser in Olympia, in: W. Coulson, H. Kyrieleis (Hg.), Proceedings of an International Symposium on the Olympic Games, Athen 1992, 25–32, hier: 29; G. Maddoli u.a. (Hg.), Pausania, Guida della Grecia, VI. L’Elide e Olimpia, Milano 1999, 322f. Paus. 6,19,9. Pausanias erwähnte vielleicht den Schatz der Metapontier in Abschnitt 6,19,8 wo es eine Lücke gibt. Siehe Mallwitz (wie Anm. 42), 174; A. Mallwitz, H. V. Hermann, Die Funde aus Olympia. Ergebnisse hundertjähriger Ausgrabungstätigkeit, Athen 1980, 148; A. Moustaka, Großplastik aus Ton in Olympia, in: OlF 22, 1993, 98–103, hier: 99; 118–125, hier: 120, 122–124; 158–165, hier: 158f. Paus. 6,19,11. Bedeutende mythologische Figur in den Gründungsmythen der Wettkämpfe. Ihr Grab befand sich am Rand des Stadions (Paus. 6,20,9). Vgl. A. Mallwitz, Das Stadion, in: Bericht über die Ausgrabungen in Olympia 8, 1967, 16–82, hier: 21f.; T. Scheer, Endymion, in: DNP 3, 1997, 1027; Maddoli, Nafissi, Saladino (wie Anm. 43), 326. Paus. 6,16,1; 6,17–20. Vgl. W. Dörpfeld, Alt-Olympia: Untersuchungen und Ausgrabungen zur Geschichte des ältesten Heiligtums von Olympia und der älteren griechischen Kunst, II, Berlin 1935, 35f., 137–189; U. Jantzen, Olimpia, in: EAA 5, 1963, 643–645; Mallwitz (wie Anm. 47), 137–149. L. Couve, Kratanion, in: Dictionnaire des antiquités greques et romaines 3.1, 1900, 869.

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Arten von Trinkgefäßen. Wir wissen jedoch nicht, wie der Perieget seine Beschreibung fortgesetzt hat, dürfen aber vermuten, dass er auch die von Pausanias aufgezählten Statuen und Weihegeschenke erwähnt hat. Demselben Interesse an Weihegaben begegnen wir bei Anaxandrides. Den Weihegeschenken in Delphi widmet er eine eigene Abhandlung, aus der hier ein Fragment erwähnenswert scheint: jenes über das Schatzhaus von Brasidas und der Akanthier, in dem Lysanders Weihegeschenke zu sehen waren:50 eine Trireme aus Gold und Elfenbein, die ihm von Kyros anlässlich eines seiner Siege gesandt worden war, und ein Depot im Wert von einem Talent, zweiundfünfzig Minen und elf Silberstateren. Das Verzeichnis der Gaben, das Polemons detailgenaue und den Wert der Gegenstände berücksichtigende Darstellungspraxis widerspiegelt, muss man sich um die historischen Begebenheiten bereichert vorstellen, die die Weihung veranlaßt hatten. Mangels näherer Hinweise bei Plutarch, der ja Anaxandrides als Quelle benützt, sind sich die heutigen Forscher nicht einig, um welchen Sieg es sich gehandelt hat. Manchen zufolge bezieht sich die Weihegabe auf die Schlacht bei Aigospotamoi, da Plutarch in dem Kapitel, dem die Stelle entnommen ist, die darauf folgenden Geschehnisse behandelt;51 andere wiederum meinen, die Gabe müsse mit der Schlacht von Notion in Zusammenhang gebracht werden, und zwar aufgrund von Plutarchs Bemerkung,52 Kyros habe Kleinasien vor der Schlacht bei Aigospotamoi, im Frühling des Jahres 405 v.Chr. verlassen.53 Der Rekurs auf den excursus veranlaßte die Periegten dazu, sich in diesem Fall, wie in vielen anderen, die man hier auch anführen könnte – wie etwa die Erwähnung der Grabmäler des Thukydides bei Polemon54 oder jener des Hyperides und des Themistokles bei Diodoros55 –, mit Episoden und historischen Gestalten aufzuhalten, mögen wir auch keine spezifische Dokumentation diesbezüglich besitzen. Abschließend gesagt, erhebt die in diesem Beitrag vorgenommene Analyse der Tätigkeit der untersuchten Autoren keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ist vielmehr als ein Querschnitt durch die periegetische Literatur aus hellenistischer Zeit zu verstehen. Es zeigt sich, dass der antiquarische Perieget mehr auf Vollständigkeit denn auf Synthese abzielt und alle Elemente ins Licht rücken will, die dazu beigetragen haben, die betreffende Stadt oder Region groß zu machen. Gegenüber einer universeller werdenden Sichtweise tritt er als derjenige auf, der sich die Bewahrung der griechischen Kultur auf die Fahnen ge50

51 52 53 54 55

Anaxandrides FGrH 404 F 2: Plut., Lysandros 18 ὁ δὲ Λύσανδρος ἔστησεν ἀπὸ τῶν λαφύρων ἐν Δελφοῖς αὑτοῦ χαλκῆν εἰκόνα καὶ τῶν ναυάρχων ἐκάστου καὶ χρυσοῦς ἀστέρας τῶν Διοσκούρων, οἳ πρὸ τῶν Λευκτρικῶν ἠφανίσθησαν. ἐν δὲ τῷ Βρασίδου καὶ Ἀκανθίων θησαυρῷ τριήρης ἔκειτο διὰ χρυσοῦ πεποιμένη καὶ ἐλέφαντος δυεῖν πηχῶν, ἣν Κῦρος αὐτῷ νικητήριον ἔπεμψεν. Ἀναξανδρίδης δ’ ὁ Δελφὸς ἱστορεῖ καὶ παρακαταθήκην ἐνταῦθα Λυσάνδρου κεῖσθαι τάλαντον ἀργυρίου καὶ μνᾶς πεντήκοντα δύο καὶ πρὸς τούτοις ἕνδεκα στατῆρας, οὐχ ὁμολογούμενα γράφων τοῖς περὶ τῆς πενίας τοῦ ἀνδρὸς ὁμολογουμένοις. D. Hamilton, Lysander, Agesilaus, Spartan imperialism and the Greeks of Asia Minor, in: The Ancient World 23, 1992, 43 Anm. 55. Plut., Lysandros 9,1f. J.-F. Bommelaer, Lysandre de Sparte. Histoire et traditions, Paris 1981, 10 Anm. 10; M. G. Angeli Bertinelli u.a. (Hg.), Plutarco, Le vite di Lisandro e di Silla, Milano 1997, 261. Polemon F 4 Preller. Diodoros FGrH 372 F 34 und F 35.

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schrieben hat und sich zum Hüter einer Welt macht, deren Größe er auf der einen Seite erkennt und deren Niedergang er auf der anderen Seite vorausahnt und fürchtet. Mariachiara Angelucci Via Montorfano 28, I-21100 Varese [email protected]

Tønnes Bekker-Nielsen

Die Wanderjahre des Dion von Prusa

Einleitung In seiner 13. Rede berichtet Dion von Prusa, wie er in eine Intrige am Hof Domitians verwickelt wurde und Rom verlassen musste. Er ist nach Griechenland gegangen, um in Delphi den Rat des Orakels zu suchen. Apollon hat ihm gesagt, er solle sich »bis an das äußerste Ende der Erde« (ἐπὶ τὸ ὕστατον τῆς γῆς)1 begeben; diesem Rat folgend ist Dion »überall« (πανταχοῦ)2 als armer Philosoph umhergewandert, bis er schließlich nach dem Tod Domitians rehabilitiert wurde. Alle Angaben über Dions Exil, die uns überliefert sind, gehen direkt oder indirekt auf seine eigenen Aussagen zurück. Leider ist gerade sein größtes Werk aus den Wanderjahren, die Getika, verloren. Was in den erhaltenen Texten über die Umstände seines Exils zu lesen ist, bleibt ziemlich dürftig. Die meisten Details bietet uns die bereits zitierte 13. Rede περὶ φυγής. Hier sind die Ursachen seiner Abreise in deutlich ironisierender Weise dargestellt: Als es geschah, dass ich in die Verbannung ging wegen der mir nachgesagten Freundschaft zu einem Mann,3 der nicht schlecht war, und der den damals Glücklichen und Mächtigen besonders nahe stand; er kam aus eben diesem Grunde ums Leben, aus dem er den meisten, ja beinahe allen, glückselig schien, nämlich wegen seiner Nähe und Verwandtschaft zu jenen. Gegen mich wurde die Beschuldigung erhoben, dass ich dem Manne Freund und Ratgeber sei; denn so wie man bei den Skythen mit den Königen auch Mundschenke, Köche und Konkubinen begräbt, so ist es Brauch der Tyrannen, den von ihnen ums Leben Gebrachten noch viele andere hinzuzufügen ohne jeglichen Grund. Damals also, als meine Verbannung beschlossen war …4

Eine etwas andere Auslegung der Umstände, die zu Dions Wanderungen führten, bietet Philostratos im Leben der Sophisten: Seine Fahrt zu den getischen Völkern darf ich nicht ›eine Verbannung‹ nennen, denn die Abreise wurde ihm nicht befohlen; aber auch nicht ›eine Reise‹, weil er außer Sicht kam, den Augen und 1 2 3

Dion Chrys. or. 13,9. Dion Chrys. or. 13,11. Dieser Mann lässt sich nicht sicher identifizieren; wahrscheinlich handelt es sich um Flavius Sabinus, Vetter des Kaisers, oder L. Salvius Otho Cocceianus, den Neffen des ehemaligen Kaisers Otho. Beide kamen in den frühen achtziger Jahren in den Verdacht, nach dem Purpur zu trachten, und beide mussten dafür mit ihrem Leben bezahlen (Suet. Dom. 10). Hierzu auch H. J. Klauck, Dion von Prusa. Olympische Rede, Darmstadt 2000, 13f. 4 Dion Chrys. or. 13,1, Übers. nach C. Krause, Strategie der Selbstinszenierung. Das rhetorische Ich in den Reden Dions von Prusa, Wiesbaden 2003 (Serta Graeca 16), 38.

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Tønnes Bekker-Nielsen Ohren der Menschen entwich und hier Dieses, dort Jenes gemacht hat, aus Furcht vor dem Tyrannen der Stadt Rom, durch welchen alle Philosophie geächtet wurde.5

Philostratos’ Versuch, Dions Exilgeschichte verdächtig zu machen, wird von der Mehrheit der Forscher abgelehnt: »Dio [nahm] unter echten Bedingungen das unstete Leben eines wandernden Philosophen als das ihm von den Göttern bestimmte Geschick auf sich«;6 »on the basis of Dio’s own works and his frequent and very bitter references to Domitian it is plain that the exile was real enough and that Dio was barred from his own province«;7 »there is little reason to doubt the fact of the exile’s wanderings«;8 »a technical measure of banishment was in fact taken«.9 Einige stehen der Selbstdarstellung Dions jedoch skeptischer gegenüber: »it is clear that the exile was not unmitigated hardship … in any event, the ›conversion‹ of Dio Chrysosotomos is a fraud‹;10 »a self-constructed aitology for Dio’s reputation as a brave and outspoken purveyor of Greek ideas in the face of Roman authority«;11 »aus den Aussagen, die Dion in dieser Rede macht, lässt sich allerdings nicht eindeutig auf ein vom Kaiser befohlenes Exil schließen«.12 Heinz Bellen schließlich verwirft ganz und gar die Berichte Dions zu Gunsten der Darstellung des Philostratos und schließt daraus, dass Dions Exil nur von 93 bis 96 dauerte.13

Exil oder Flucht? Das griechische Wort φυγή kann sowohl ›Flucht‹ als auch ›Verbannung‹ bedeuten. Deshalb wird aus Dions eigenem Bericht nicht klar, ob er förmlich exiliert, also vor Gericht verurteilt wurde oder einfach entwichen ist, um seine Haut zu retten. Im Bericht des Philostratos dagegen ist die Sache ganz klar: Dions φυγή war freiwillig, wurde ihm nicht auferlegt, war also kein wirkliches Exil. Wenn letzteres der Fall gewesen sein sollte, würde es aber schwer fallen zu verstehen, warum Dion sich nicht einfach in seine bithynische Heimatstadt begeben hat, wo er Haus und Land besaß. In seinen späteren Reden hebt er gerade hervor, wie sein bithynisches Besitztum durch seine lange Abwesenheit gelitten hat, seine Sklaven geflohen seien usw.14 Nach römischem Recht gab es mehrere Formen des Exils, mit oder ohne Konfiskation des eigenen Vermögens,15 und man hat versucht, auf der Grundlage von Dions Angaben festzustellen, welche Form seine Exilierung hatte. Dies setzt aber voraus, dass Dion in 5 6 7 8 9

10 11 12 13 14

Philostr. soph. 488. E. L. Grasmück, Exilium. Untersuchungen zur Verbannung in der Antike, Paderborn 1978, 141. S. Swain, Hellenism and Empire. Language, Classicism, and Power in the Greek World AD 50– 250, Oxford 1996, 189. J.-M. Claassen, Displaced Persons. The Literature of Exile from Cicero to Boethius, London 1999, 164. P. Desideri, Dio’s Exile. Politics, Philosophy, Literature, in: J. F. Gaertner (Hg.), Writing Exile. The Discourse of Displacement in Greco-Roman Antiquity and Beyond, Leiden 2007, 193–207, hier 193. J. Moles, The Career and Conversion of Dio Chrysostom, in: JHS 98, 1978, 79–100, hier 95, 100. T. Whitmarsh, Greece is the World. Exile and Identity in the Second Sophistic, in: S. Goldhill (Hg.), Being Greek under Rome, Cambridge 2001, 269–305, hier 290. Krause (wie Anm. 4), 40. H. Bellen, Grundzüge der römischen Geschichte II, Darmstadt 1998, 93. Or. 40,2; 45,11.

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einem formalen Prozess vor Gericht oder in camera verurteilt wurde. Es war dem Kaiser jedoch auch möglich, auf Grund eines administrativen Aktes jemandem das Exil anzuordnen, oder aber ein vom Gericht verhängtes Exil zu mildern. Bei solchen Maßnahmen war der Monarch wohl nicht an die Kategorien des amtlichen Strafkatalogs gebunden.16 Einen neuen Weg hat Gianluca Ventrella eröffnet mit seiner Hypothese, Dion sei zwar formell angeklagt worden, aber nie vor Gericht erschienen.17 Um zu verhindern, dass Verdächtige sich durch Flucht der Justiz entzogen, gab es nach römischem Recht die Möglichkeit, einen abwesenden Angeklagten als requirendus in die amtliche Liste einzutragen, adnotare, und ihn gleichzeitig per Steckbrief vor Gericht zu laden. Der Besitz eines solchen requirendus adnotatus wurde vom Gericht beschlagnahmt; hat der adnotatus sich nicht innerhalb eines Jahres dem Gericht gestellt, fiel sein Besitz dem Fiskus zu. Es war Aufgabe des Provinzstatthalters und der Gemeindevorsteher nach dem adnotatus innerhalb ihres Amtsbezirks zu fahnden, um ihm die Vorladung zu verkünden. Wenn Dion ein solcher requirendus adnotatus gewesen wäre, würde es einleuchten, dass er nicht in seine Heimatprovinz Bithynia et Pontus zurückkehrte – dort wäre er schnell von den Behörden gefaßt worden. Verständlich würde so auch, dass er in seinen späteren Reden die Umstände seiner Abwesenheit nur ungenau beschrieb, denn ein geflohener requirendus zu sein, war wohl nicht gerade ehrenhaft. Gegen diese Hypothese spricht, dass wir in der 45. Rede, wo Dion die Schäden auflistet, die sein Vermögen erlitten hat,18 nichts von einer förmlichen Beschlagnahme durch die Behörden hören. Doch hat Eugenio Amato in der sehr kurzen 54. Rede über Sokrates eine mögliche Anspielung auf die Konfiskation von Dions Güter gefunden: »Ein Vermögen, das man, wie es bei Verurteilten üblich ist, von Staats wegen hätte einziehen können, besaß er [Sokrates] nicht«.19 Die Forschung hat sich intensiv mit den juristischen und philosophischen Aspekten von Dions Exil beschäftigt, d.h. mit dessen Ursachen und mit dessen Folgen für seine geistige Entwicklung. Man hat sich weniger damit beschäftigt, was zeitlich dazwischen liegt, die Wanderjahre als solche: wann, wohin, wie weit ist Dion gewandert? Es gibt zwei Kategorien von konkreten Angaben zu dieser Frage im dionischen Corpus. Erstens werden einzelne Reisen von A nach B beschrieben. Diese Reiseberichte sind natürlich Teil der Selbstinszenierung des Verfassers und als solche sorgfältig literarisch-rhetorisch ausgearbeitet. Zweitens gibt es die Möglichkeit, alle Ortsnamen, die in irgendeiner seiner Reden genannt sind, kartographisch zu erfassen. Dadurch erhält man ein, wenn auch sehr ungenaues, Bild von den geographischen Kenntnissen Dions und auch vom Umfang seiner Reisen. 15

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Zu den verschiedenen Formen des Exils, F. Stini, Exil in der römischen Kaiserzeit, in: E. Olshausen, H. Sonnabend (Hg.), »Troianer sind wir gewesen« – Migrationen in der antiken Welt. Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 8, 2002, Stuttgart 2006 (Geographica Historica 21), 300–309, bes. 301; ders., Plenum Exiliis mare, Untersuchungen zum Exil in der römischen Kaiserzeit, Stuttgart 2011 (Geographica Historica 27), 36–48, 203–206. Grasmück (wie Anm. 6), 147; Stini (wie Anm. 15), 117–128. G. Ventrella, Dione di Prusa fu realmente esiliato? L’orazione tredicesima tra idealizzazione letteraria e ricostruzione storico-giuridica, in: Emerita 77, 2009, 33–56. Or. 45,10f. Or. 54,4, übers. von W. Elliger, Dion Chrysostomos: sämtliche Reden, Stuttgart 1967; E. Amato, Datierung und Vortragsort, in: H.-G. Nesselrath (Hg.), Dion von Prusa: Der Philosoph und sein Bild, Tübingen 2009 (SAPERE 13), 41–51, bes. 50f.

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Reiseberichte Dion beschreibt in seinen Reden vier Reisen, die er während seiner Wanderjahre unternahm. Aus der 13. Rede erfahren wir, wie er Rom verlassen musste und nach Griechenland ging. Da die Route über Brundisium kürzer und bequemer war als der Landweg über Aquileia, und Dion im Übrigen in seinen überlieferten Werken keinen einzigen Ort auf dem westlichen Balkan nennt, können wir davon ausgehen, dass er über die Via Appia nach Brundisium gelangt ist, von dort per Schiff entweder nach Dyrrhachium oder direkt in den Golf von Korinth. Eine zweite Reise unternahm er nach Kyzikos an der Marmaraküste, um sich mit seinen bithynischen Freunden zu treffen. Dion betont ausdrücklich, er wollte sich nicht dicht an die Grenze seiner Heimatprovinz begeben, sondern nur bis nach Kyzikos.20 In der ersten seiner vier Reden peri basileias, die er kurz nach der Jahrhundertwende in Rom vor Kaiser Trajan gehalten hat, erzählt Dion, wie er auf der Peloponnes herumreiste, als armer Bettler gekleidet, die großen Städte scheuend, und wie er unweit Olympia einer alte Frau begegnete, die ihm den baldigen Tod Domitians und das Ende seines Exils prophezeit hat.21 Damit muss diese Reise also in seine letzten Wanderjahre fallen. Schließlich hören wir in der 12. Rede von Dions Besuch bei den römischen Truppen an der Donaugrenze22 und in der 36. Rede von seiner Fahrt ins Land der Geten und seinem Besuch in der alten griechischen Kolonie Olbia an der Nordküste des Schwarzen Meeres, vielleicht im Lauf derselben Reise. Letztere ist die einzige Fahrt jenseits der Grenzen des Imperium Romanum, die in den Werken Dions erwähnt wird. Ihre Datierung ist umstritten: Im ersten Satz sagt Dion, er sei in Borysthenes im Sommer μετὰ τὴν φυγήν gewesen. Ist dies als ›der Sommer nach seiner Flucht von Rom‹ (84 oder 85 n.Chr.)23 oder als ›der Sommer nach dem Ende seines Exils‹ (97 n.Chr.) zu verstehen?24 Eine fünfte Reise lässt sich nur unsicher in die Exilszeit datieren, und dies auch nur unter der Voraussetzung, dass sie überhaupt stattgefunden hat. In der Einleitung von Dions siebter Rede berichtet der Ich-Erzähler von seinem Schiffbruch während einer Fahrt von Chios nach Euboia, wo er sich an Land gerettet habe und von einem armen Jäger auf freundlichste Weise empfangen worden sei. Der Jäger hat ihn eingeladen, seine einfache Unterkunft und 20 21 22

Or. 19,1. Or. 1,55. Or. 12,17–20; cf. Philostr. soph. 488. C. P. Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, Cambridge, Mass. 1978, 53 plädiert für eine Datierung der Donaureise ins Jahr 101; seine Hypothese, Dion sei in der Entourage des Kaisers mitgereist, verträgt sich aber schlecht mit Dions Behauptung (or. 12,19f.), er sei allein und unbemerkt unter den Soldaten herumgegangen. Auch das Jahr 105 ist vorgeschlagen worden, vgl. Klauck (wie Anm. 3), 27 mit weiteren Literaturhinweisen. Vgl. hierzu auch Anm. 24. 23 So Whitmarsh (wie Anm. 11) 293 Anm. 109; T. Bekker-Nielsen, G. Hinge, Dio Chrysostom in Exile: Or. 36,1 and the Date of the Scythian Journey, in: CQ 65, 2015 (im Druck). 24 So Jones (wie Anm. 22), 52: Dion hat während seines Aufenthalts am nördlichen Schwarzmeer im Sommer 97 die Nachricht vom Tod Domitians und seine eigene Rückberufung erhalten. Demgegenüber argumentiert H.-G. Nesselrath, Dion von Prusa. Menschliche Gemeinschaft und göttliche Ordnung: Die Borysthenes-Rede, Darmstadt 2003, 13f. mit Hinweis auf or. 36,25 für einen Besuch Dions in Borysthenes im Jahre 96, also noch während der Exilszeit; die Angabe μετὰ τὴν φυγήν wird für eine spätere Interpolation gehalten: Nesselrath, op.cit., 66 Anm. 4; H. v. Arnim, Leben und Werk des Dion von Prusa, Berlin 1898, 302.

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seine Mahlzeit zu teilen. Hieran knüpfen sich mehrere Erzählungen moralisch-philosophischer Art an, die ineinander verschränkt sind, sowie eine längere Darlegung der Sozialphilosophie des Verfassers. Die Rede muss zehn Jahre oder noch länger nach dem Ende des Exils verfasst worden sein, da sich Dion eingangs als alten, geschwätzigen Mann darstellt. Die vielen Ähnlichkeiten zwischen Dions Jäger-Idylle und dem homerischen Bericht von der Landung des Odysseus auf Ithaka und dessen Empfang durch Eumaios wecken den Verdacht, Dion habe seine Erlebnisse auf Euboia stark literarisch bearbeitet, wenn nicht gänzlich erfunden.25 Sei es, dass der Bericht teilweise authentisch ist, sei es dass er reine Fiktion ist, in jedem Fall spielt sich die Geschichte dicht an der geographischen Mitte Griechenlands ab und ändert damit nichts an der Tatsache, dass wir in Dions Werken nur für eine einzige Reise jenseits der Grenzen des Imperiums sichere Belege finden.

Geographische Kenntnisse Eine Aufzählung der geographischen Namen in Dions Werken – mit Ausschluss der Werke, die nachweislich oder mit großer Wahrscheinlichkeit vor der Exilszeit abgefasst sind26 – führt zu einem ähnlichen Ergebnis: Westliches Mittelmeer Kroton Metapontum Rom Sybaris Syrakus Syrte Tarent Thurii

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Griechisches Festland Amphipolis Athen Delphi Dion Eleusis Epidauros Heraia Korinth Megara Olympia Pella Piräus Pisa bei Olympia Plataia Sounion Sparta Stageira Tegea Theben Thermopylai

Ägäis Andros Athos Chios Euboia Ios Kalymna Karpathos Karystos Knidos Kreta Kythera Kythnos Mykonos Mytilene Salamis Samos Seriphos Tenedos Thasos

Westliches Kleinasien Bomos Chrysês Didyma Ephesos Hellespont Kaunos Kelainai Kolophon Pergamon Smyrna Troia

Propontis und Schwarzes Meer Apameia in Bithynia Apollonia Borysthenes Byzanz Chersonesos Kyzikos Nikaia Nikomedia Prokonnesos Prusa Sinope Soloi

Levante Adana Aigai Antiochia a.O. Apameia a.O. Sidon Tarsos Tyros Zypern

Zu dieser Frage Krause (wie Anm. 4); D. Reuter, Untersuchungen zum Euboikos des Dion von Prusa, Weida 1932, bes. 20f.; A. Milazzo, Dimensione retorica e realtà politica. Dione di Prusa nelle orazioni III, V, VII, VIII, Hildesheim 2007 (Spudasmata 115), 161–226. 26 Nur etwa ein Drittel der dionischen Reden lassen sich auf Grund ihrer Inhalte (z.B. Erwähnung eines Kaisers oder Statthalters) einwandfrei datieren. Die übrigen hat die Forschung versucht, auf verschiedene Weise zeitlich einzureihen: philosophisch (eine Entwicklung Dions vom Sophisten zum Philosophen widerspiegelnd); thematisch (Reden verwandten Inhalts sind etwa gleichzeitig); oder literarisch (Reden, die dieselben stilistischen Merkmale aufweisen, gehören zeitlich zusammen). Oft überschneiden sich aber die Ergebnisse der verschiedenen Methoden. Um nur ein Bei-

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Es fällt auf, dass die Mehrheit der genannten Orte auf dem griechischen Festland oder den ägäischen Inseln zu suchen ist. Von den übrigen waren Dion die Griechenstädte Süditaliens ohnehin aus der Literatur bekannt, vielleicht auch von seinen vorexilischen Reisen. Dass er als geborener Prusaner mit den Städten Bithyniens und der Marmaraküste vertraut war, ist selbstverständlich. Kolophon, zu Dions Zeit längst verödet, wird nur in Verbindung mit Homer erwähnt,27 Kreta nur in Verbindung mit Lykurg28 und dem Mythos vom Labyrinth,29 Sinope nur in Verbindung mit Diogenes,30 Zypern nur in Verbindung mit Kimon.31 – Offensichtlich kannte Dion diese Orte hauptsächlich oder ausschließlich aus der Literatur. Auch seine Beschreibung der großen Syrte stimmt in vielen Details mit dem neunten Buch von Lukans Pharsalia überein.32 Dion weist in seinen Reden mehrmals auf die Kolonnaden von Antiochia hin,33 aber diese Stadt könnte er bereits auf seiner Reise nach Alexandria, die nicht während des Exils stattfand,34 besucht haben. Wenn die erste tarsische Rede (or. 33) in die Zeit vor Dions Exil zu datieren ist,35 dann scheiden Tarsos, Adana und Aigai wie auch Kroton, Metapontum, Sybaris und Thurii aus der Liste aus.36 Kurz zusammengefasst: es gibt unter den Ortsnamen, die in seinen Werken genannt werden, wenige Indizien dafür, dass Dion während seines Exils ›überall‹ gereist ist. Auch mit den Reisen anderer griechischer Intellektueller seiner Zeit verglichen sind die Fahrten des Wanderphilosophen Dion wenig beeindruckend (vgl. Abb.). Die Reisen Strabons führten diesen von seiner Heimatstadt Amaseia nach Armenien, nach Italien und bis an die Südgrenze Ägyptens. Der gebürtige Nikomedianer Arrian verfolgte eine Beamtenkarriere, die ihn sowohl an den Euphrat und die Donau als auch an die Straße von Gibraltar führte. Als junger Wanderredner kam Lukian von Samosata nach Gallien; er ist dann später in den griechischen Osten heimgekehrt. In die Gegenrichtung fuhr Dions Schüler Favorinus, der im gallischen Arelate geboren war, in Massalia und Rom ausgebildet wurde, dann in Ephesos lehrte und nach eigenen Angaben nach Chios exiliert wurde (letzteres mag freilich eine Fiktion sein, wohl in Anlehnung an das Exil seines verehrten Lehrers). 26

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spiel zu nennen, sind die zwei tarsische Reden (or. 33 und 34) zwar inhaltlich nahe verwandt, unterscheiden sich aber stark vom Stil her. C. Bost Pouderon, Dio Chrysostome. Trois discours aux villes (Or. 33–35), Salerno 2006, II, 37 setzt – gegen die Mehrheit früherer Forscher, aber vermutlich mit Recht – die erste tarsische Rede vor, die zweite nach das Exil. Die Hypothese von A. R. R. Sheppard, die erste tarsische Rede sei während des Exils gehalten worden (A Dissident in Tarsus, in: Liverpool Classical Monthly 7, 1982, 149f.) hat keinen Anklang gefunden. Or. 47,5. Or. 2,44. Or. 71,6; 80,9. Or. 4,1; 6,1; 8,1. Or. 73,6. Or. 5,8–11; Lucan. 9,303–342. Or. 40,11; 47,16f. C. P. Jones, The Date of Dio of Prusa’s Rhodian and Alexandrian Orations, in: Historia 41, 1992, 407–419. Siehe Anm. 26. Zwar treten Sybaris und Kroton auch in or. 64 auf, aber diese Rede ist kaum von Dions Hand.

Die Wanderjahre des Dion von Prusa

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Dions Exilort Offensichtlich hat Dion den größeren Teil seiner Exilszeit gar nicht am äußersten Ende der Erde verbracht, sondern in Griechenland. Wo und unter welchen Umständen? Wieder fehlen uns sichere Belege und genaue Angaben, aber auch hier bieten die Ortsangaben in seinen späteren Werken Anhaltspunkte. Erstens fällt eine Konzentration um den Saronischen Golf (Athen, Epidauros, Eleusis, Korinth, Megara, Piräus, Salamis, Sounion) auf, was freilich auch einfach daran liegen kann, dass es hier besonders viele erwähnenswerte Orte gab. Zweitens fällt ins Auge, dass die meisten Orte Hafen- oder Inselstädte sind. Das könnte darauf hindeuten, dass Dion nicht seine ganze Exilszeit hindurch kreuz und quer durch Hellas wanderte, sondern eher zeitweise auf dem Seeweg unterwegs, zeitweise in Athen oder in Korinth, sesshaft war. Athen und Korinth finden in seinen Reden oft Erwähnung, und aus beiden käme man leicht zu den Inseln der Ägäis sowie an die Hafenstädte von Makedonien oder Asia. Aus der 19. Rede, die seine Reise nach Kyzikos beschreibt, hören wir, wie Dions Freunde ihn seit längerer Zeit aufgefordert hatten, sie zu besuchen; deshalb hat er mit ihnen ein Treffen in Kyzikos verabredet.37 Dies setzt einen regelmäßigen Briefwechsel voraus, was wiederum einen festen Wohnsitz oder mindestens eine feste Anschrift des Empfängers erfordert. In dem Selbstporträt, das Dion uns in seinen nachexilischen Reden bietet, noch mehr im Zerrbild, das Philostratos aus den Angaben Dions erarbeitet hat, sieht seine Reisetätigkeit freilich etwas anders aus. Offensichtlich hat Dion die Erfahrungen seiner Wanderjahre nicht nur bearbeitet, sondern umgedeutet und literarisch ergänzt. In seiner Darstellung überschneiden sich Fakten und Fiktion, wie es auch im 20. Jh. in den Autobiographien literarischer Persönlichkeiten öfter vorkommt, man denke z.B. an André Malraux oder Stephan Hermlin. Vor diesem Hintergrund erscheint es gewagt, wenn Simon Swain den Inhalt der Reden als ›autobiographische Fakten‹ bezeichnet und daraus schließt, dass Dion den größten Teil seines Exils auf dem Lande verbrachte: »during his exile Dio presumably spent most of his time in the countryside and among peasants«.38 Denn aus seinen späteren Reden, besonders der 45. und 47., geht deutlich hervor, wie schwierig Dion es fand, sich nach seinem Exil dem mittelstädtischen Leben der Heimatstadt Prusa anzupassen.39 Das wäre leichter zu erklären, wenn Dion sich an das kosmopolitische Milieu von Athen oder Korinth gewöhnt hätte, als wenn er seine Exilszeit hauptsächlich unter Bauern und in Dörfern verbracht hätte.

Dions Exil zwischen Fiktion und Wirklichkeit Es muss Dion zugestanden werden, dass er einen Teil seiner Exilszeit tatsächlich als Wanderphilosoph am äußersten Ende der Welt verbracht hat, und dass er – jedenfalls nach eigener Aussage – kurz vor Exilsende in ähnlicher Gestalt auf der Peloponnes herumgewandert 37 38 39

Or. 19,1. S. Swain, Dio Chrysostom. Politics, Letters, and Philosophy, Oxford 2000, 101. T. Bekker-Nielsen, Urban Life and Local Politics. The Small World of Dion Chrysostomos, Aarhus 2008, 122–125, 130–132.

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ist. Es kann nicht überraschen, wenn seine jüngsten Erlebnisse die älteren überschatten, und die letzten Wanderjahre als pars pro toto für die ganze Exilszeit eintreten. Auch muss daran erinnert werden, dass Dion uns nirgendwo in Aussicht gestellt hat, er werde sein Leben ›wie es eigentlich gewesen‹ darstellen: was er seinen Zuhörern zu bieten hat, ist eine literarische Bearbeitung im Sinne der zweiten Sophistik, in Anlehnung an die Vorbilder des alten Griechenland. Für Dion waren als solche Diogenes und Odysseus besonders wichtig, denn beide boten Modelle für seine eigene Selbstinszenierung: der eine als armer Wanderphilosoph, der rücksichtslos dem Reichen wie dem Armen, sogar dem Kaiser die Wahrheit sagt;40 der andere als welterfahrener Aristokrat, der nach jahrelangen Reisen in die Heimat zurückkehrt. Als seine Bauprojekte in Prusa Kritik und Widerstand hervorrufen,41 weist er auf seine weiten Reiseerfahrungen hin: Aber macht nur, was ihr wollt, denn wozu brauche ich hier in Prusa eine Säulenhalle? Wie wenn ich nicht sonstwo spazierengehen könnte, wie ich wollte, in der Bunten Halle von Athen, in der Persischen von Sparta, in den goldenen Hallen von Rom, in den Hallen von Antiocheia und Tarsos, wo man mir mit mehr Achtung begegnet!42

Solche Aussagen haben zum Bild des Weltbummlers Dion beigetragen,43 ebenso wie seine Identifikation, implizit oder explizit, mit Odysseus: In der 45. Rede z.B. – auch diese an die Volksversammlung von Prusa gerichtet – vergleicht er die Schäden, die seine Ländereien während seiner Abwesenheit erlitten haben, mit den Verlusten, welche die Bewerber im Haus des Odysseus verursachten: Viele Sklaven waren mir davongelaufen, so viele Menschen haben mir Hab und Gut genommen, so viele besaßen Land von mir [?], da sie niemand daran gehindert hatte. Auch Odysseus, der seinen Vater, seine vortreffliche Frau und seine Freunde zu Hause zurückgelassen hatte, musste sich wegen seiner Abwesenheit große Verachtung gefallen lassen … Musste man da nicht erwarten, dass auch ich von vielen viel derartiges Unrecht zu erleiden haben würde, zumal ich bereits von allen aufgegeben war?44

Die homerischen Anspielungen in der 7. Rede sind bereits erwähnt, und die Antwort, die Dion seiner 13. Rede zufolge von Apollon erhalten haben will, ähnelt, was Dion auch selbst betont, dem Rat, den Odysseus von Teiresias bekommen hat: »gehe, bis Du dorthin kommst, wo die Leute das Meer nicht kennen«.45

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Or. 45,1. Bekker-Nielsen (wie Anm. 39), 126f. Or. 47,17; Übers. nach W. Elliger (wie Anm. 19). Zur Selbstdarstellung Dions: Krause (wie Anm. 4); Moles (wie Anm. 10); M. Pretzler, Greek Intellectuals on the Move, in: C. Adams, J. Roy (Hg.), Travel, Geography and Culture in Ancient Greece, Egypt and the Near East, Oxford 2007 (Leicester Nottingham Studies in Ancient Society 10), 123–138, bes. 129–131; J. Hahn, Auftreten und Wirken von Philosophen im gesellschaftlichen Leben, in: H.-G. Nesselrath (Hg.), Dion von Prusa. Der Philosoph und sein Bild, Tübingen 2009 (SAPERE 13), 241–258, bes. 248. 44 Or. 45,10f.; Übers. von W. Elliger (wie Anm. 19). 45 Hom. Od. 11,121f. Weitere Beispiele für Dions Selbstidentifikation mit homerischen Gestalten bei J. F. Kindstrand, Homer in der zweiten Sophistik, Uppsala 1973, 35f.

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Zusammenfassung Eine Analyse der Ortsnamen und Reiseberichte in seinen Schriften weckt den Verdacht, dass der nach eigener Aussage vielbewanderte Exulant Dion von Prusa gar nicht so weit gewandert ist, sondern einen erheblichen Teil seines Exils in Griechenland und wohl hauptsächlich in Athen verbracht hat. Die Behauptung des Philostratos, Dions Wanderjahre seien kein wirkliches Exil, wäre vor diesem Hintergrund leichter zu verstehen; sie kann jedoch nach wie vor kaum aufrecht erhalten werden. Die in der Forschung vorherrschende Theorie, Dion sei mit relegatio und interdictio certorum locorum bestraft worden, stimmt mit dem Befund überein: Als Exulant durfte Dion weder in Rom noch in der Provinz Bithynia verweilen, konnte aber ungestört in Achaia, Macedonia oder Asia wohnen und herumreisen. Auch die Hypothese von Ventrella, Dion sei ein requirendus adnotatus gewesen, bleibt interessant; ob diese aber auch der herkömmlichen relegatio-Theorie vorzuziehen ist, bleibt noch zu klären. Tønnes Bekker-Nielsen University of Southern Denmark, Institute of History and Civilization Campusvej 55, DK-5230 Odense M [email protected]

Der Umfang von Dions Reisen während der Exilszeit (Di) im Vergleich mit den Reisen von Strabon (St), Arrian (Ar) und Lukian (Lu).

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Mobilità di sapienti e di saperi nell’Alessandria dei primi Tolemei

Nel contesto di una tematica che può essere analizzata da prospettive diverse si cercherà qui di enucleare in particolare due punti: 1. L’individuazione di una possibile linea guida nella costituzione di Alessandria quale centro del sapere articolato mediante una pianificazione che prevedeva una mobilità di sapienti, funzionale alle esigenze culturali del regno lagide. 2. La connotazione politica di un mecenatismo che, attraendo intellettuali da precise aree geografiche, perseguiva intenti propagandistici anche attraverso la scelta dei contesti geografici nei quali il ›ritorno di immagine‹ dei sovrani lagidi sarebbe stato tanto più grande quanto più gli intellettuali di corte avessero lavorato alla diffusione del modello elaborato a Alessandria.

1. Alessandria, centro del sapere e del potere Un famoso passo di Strabone (13,1,54 C308s.) dice: Di Scepsi erano originari i filolofi socratici Erasto, Corisco e suo figlio Neleo, il quale non solo era allievo di Aristotele e di Teofrasto, ma ereditò anche la biblioteca di quest’ultimo che comprendeva quella di Aristotele. Dunque Aristotele donò la sua biblioteca a Teofrasto al quale lasciò anche la scuola e fu il primo, per quanto ne so, a collezionare libri e a insegnare ai re d’Egitto come si organizza una biblioteca. Teofrasto lasciò la sua biblioteca a Neleo, il quale la portò a Scepsi e la affidò ai suoi eredi che erano persone private e tennero i libri chiusi a chiave senza conservarli con cura. Ma quando costoro vennero a sapere con quanto zelo i re attalidi – cui era soggetta la città – stavano cercando libri per mettere su la biblioteca di Pergamo, li nascosero sotto terra in una specie di cunicolo. Molto tempo dopo, però, quando erano stati ormai danneggiati dall’umidità e dai tarli, i loro discendenti vendettero i libri di Aristotele e di Teofrasto a Apellicone di Teo per una grande somma di denaro … Anche Roma dette un grande contributo a ciò (scil. recupero del pensiero aristotelico): infatti subito dopo la morte di Apellicone, Silla, che si era impadronito di Atene, portò la biblioteca di Apellicone a Roma e lì il grammatico Tirannione, che era un ammiratore di Aristotele, riuscì a entrarne in possesso dopo essersi guadagnato le simpatie del bibliotecario …

Strabone non menziona qui la Biblioteca alessandrina e non la menziona neppure in 17,1,8 C793 dove descrive, per averla personalmente visitata, la città di Alessandria con la tomba di Alessandro e con il Museo.

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Da questi passi alcuni studiosi, tra cui Erskine,1 hanno dedotto un legame particolare instaurato fino da Tolemeo I con Aristotele che, in quanto maestro di Alessandro, avrebbe costituito un importante riferimento nel progetto lagide di costruire una ideale continuità tra la politica macedone e quella egiziana, soprattutto in rapporto alle mire espansionistiche di coloro che tendevano a presentarsi come i legittimi continuatori dell’impero di Alessandro.2 Va preliminarmente osservato che il rapporto, suggerito da Strabone, tra Aristotele e i sovrani di Alessandria suscita dubbi di ordine cronologico, visto che il filosofo era già morto quando Tolemeo I cominciò a ragionare nel senso di una politica di grandeur per la capitale del suo regno. Si deve, a questo punto, prendere in esame la testimonianza di Ateneo3 (1,3a) che dice: »Il nostro conterraneo Tolemeo, detto Filadelfo, acquistò tutti i libri da Neleo e li fece portare nella bella Alessandria insieme a quelli provenienti da Atene e da Rodi«. Risulta chiaro da questo passo che l’acquisto della biblioteca aristotelica fu fatto da Tolemeo II con il quale comincia il vero e proprio lavoro di raccolta e di catalogazione di un amplissimo materiale. Di questa opera, in effetti, già Demetrio Falereo, esule ad Alessandria dal 297, poteva aver posto le basi. Il ruolo di Demetrio è discusso perché, da un lato, a lui è attribuita già una grande importanza nella costituzione della Biblioteca nella Lettera di Aristea a Filocrate,4 dall’altro, viene sottolineato invece – specialmente da parte del peripatetico Ermippo di Smirne, riportato da Diogene Laerzio, e dalla Suda –5 la rapida scomparsa del Falereo già sotto Tolemeo I. Nella versione di Ermippo, Demetrio avrebbe consigliato il Soter di favorire i figli che questi aveva avuto da Euridice, anziché quello avuto da Bereni1

A. Erskine, Culture and power in ptolemaic Egypt. The Museum and Library of Alexandria, in: G&R, s. II, 42.1, 1995, 38–48. 2 Sul collegamento con Alessandro cfr. anche L. Canfora, La biblioteca scomparsa, Palermo 1986, 59–63. 3 Cfr. E. A. Parsons, The Alexandrian Library. Glory of the hellenistic world. Its rise, antiquities and destructions, New York, 1952, 8–18; M. Berti, V. Costa, La Biblioteca di Alessandria. Storia di un paradiso perduto, Roma 2010, 52. Cfr. Diog. Laert. 5,52 per il testamento di Aristotele. 4 FGrH 263 F 23. Sui problemi di datazione di questo testo, che oscilla tra il III sec. a.C. e il I d.C., con una prevalenza per una datazione tra fine II e inizio I a.C. cfr. P. M. Fraser, Ptolemaic Alexandria, I, Oxford 1972, 310, 320–322; F. Calabi, Lettera di Aristea a Filocrate, Milano 1995, 27– 35; B. Virgilio, Storiografia e regalità ellenistica, in: E. Luppino Manes (ed.), Storiografia e regalità nel mondo greco (Chieti 2002), Alessandria 2003, 303–330; R. Hunter, The Letter of Aristeas, in: A. Erskine, L. Llewellyn (eds.), Creating a hellenistic world, Swansea 2010. Sul ruolo di Demetrio Alessandria cfr. Plut. mor. 189d; Ail. var. 3,17. In proposito cfr. A. Bouché-Leclercq, Histoire des Lagides, I, Paris 1903, 83–93; R. Pfeiffer, Storia della filologia classica dalle origini alla fine dell’età ellenistica, Napoli 1973 (tr. it. Oxford 1968), 172–174; L. Canfora, Le biblioteche ellenistiche, in: G. Cavallo (ed.), Le biblioteche nel mondo antico e medievale, Bari 1988, 5–28; D. Delia, From romance to rhetoric. The alexandrian Library in classic and islamic tradition, in: The American Historical Review 97, 1992, 1449–1467; C. Mossé, Démétrios de Phalère: un philosophe au pouvoir?, in: C. Jacob, F. De Polignac (eds.), Alexandrie IIIe siècle av.J.-C. Tous les savoirs du monde ou le rêve d’universalité des Ptolémées, Paris 1992, 82–92; L. Canfora, La Biblioteca e il Museo, in: G. Cambiano, L. Canfora, D. Lanza (eds.), Lo spazio letterario della Grecia antica, I La produzione e la circolazione del testo, 2. L’ellenismo, Roma 1993, 11–29; N. L. Collins, The Library in Alexandria and the Bible in greek, Leiden/Boston/Köln 2000, 82–114 con ampi riferimenti bibliografici.

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ce, cioè il futuro Tolemeo II: una volta salito quest’ultimo al trono, Demetrio avrebbe pagato con l’esilio e poi con la morte i suoi consigli. Questa versione, che getta una luce inquietante sul comportamento di Tolemeo II, può probabilmente intendersi come una critica da parte del peripatetico Ermippo a Tolemeo II il quale, come risulta dalla nostra tradizione, sembra aver prevalentemente favorito la componente platonica negli studi, a svantaggio di quella aristotelica nella quale era stato educato grazie alla presenza del peripatetico Stratone ad Alessandria.6 La Suda, che pure riporta la morte di Demetrio per il morso di un aspide, riconduce l’evento agli anni di Tolemeo I, quasi a sottolineare – seppure in maniera soft – che l’attività del Falereo si concentrò essenzialmente negli anni di regno del Soter. L’autore della Lettera di Aristea a Filocrate immagina invece che il testo riporti il racconto degli inviati di Tolemeo II a Gerusalemme al fine di acquisire i primi cinque libri della Bibbia da far tradurre in greco dai Settanta studiosi, raccolti all’uopo nell’isola di Faro. La partecipazione di Demetrio all’impresa contrasta con la versione della Suda che vuole il Falereo morto sotto Tolemeo I. Ma la traduzione dei Settanta è attribuita dalle nostre fonti a Tolemeo I o Tolemeo II, come sottolinea Clemente Alessandrino (strom. 1,22,148) che riporta entrambe le ipotesi, mentre Eusebio (Pr. Ev. 13,12,2) connette direttamente il lavoro di Demetrio a Tolemeo II.7 Le contraddizioni della nostra tradizione appaiono sanabili se si considera che l’attribuzione a Tolemeo II della traduzione dei Settanta potrebbe sottolineare la continuità e la comunità di impegno dei primi due Tolemei. La presenza – vera o artificiosa – di Demetrio all’impresa iniziata sotto il Soter e proseguita sotto il Filadelfo potrebbe ribadire, in questa prospettiva, la continuità della componente peripatetica nella politica culturale lagide mentre questa componente, in realtà, sembra già attenuarsi sotto Tolemeo II, proprio per il ruolo svolto da intellettuali come Callimaco e Eratostene. La notizia dell’allontanamento da Alessandria deciso da Tolemeo II per Demetrio, con la conseguente morte del Falereo può essere poi intesa – a mio avviso – come una trovata di Ermippo, il quale avrebbe legato a un episodio specifico la politica di progressivo allontanamento di Tolemeo II dalla scuola aristotelica (da notare che Stratone era stato maestro del giovane principe) per una scelta di indirizzo più nettamente platonico. 5

S.v. Δημήτριος; cfr. Diog. Laert. 5,78s. dove la notizia dell’imprigionamento di Demetrio da parte di Tolemeo II è riportata a Ermippo. Cfr. anche Cic. Rab. Post. 23 in P. Strork, J. M. von Ophuijsen, T. Dorandi (eds.), Demetrius of Phalerum. The sources, text and translation, in: W. W. Fortenbaugh, E. Schütrumpf (eds.), Demetrius of Phalerum. Text, translation and discussion, New Brunswick 2000, 85 e, per l’insieme delle testimonianze, 1–310. Cfr. anche S. V. Tracy, Demetrius of Phalerum: who was he and who was he not, ibid., 331–345; H. B. Gottschalk, Demetrius of Phalerum: a politician among philosophers and a philosopher among politicians, ibid., 367–380. 6 Diversa la spiegazione di A. Pelletier, Lettre d’Aristée à Philocrate, Paris 1962, 67, il quale data la Lettera agli inizi del II sec. a.C. e pensa che Aristea citasse il Filadelfo anziché il Soter perché lo riteneva un sovrano di maggior prestigio e associava perciò il fondatore della Biblioteca al Tolemeo più noto. 7 Per un ridimensionamento del ruolo di Demetrio, considerato da Wilamowitz colui che aveva »das universale Museion in Alexandria gestiftet« cfr. Pfeiffer (v. n. 4), 174, il quale data la Lettera di Aristea »probabilmente alla fine del II sec. a.C.« (ibid.). Cfr. ora Hunter (v. n. 4).

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La prevalenza dell’insegnamento platonico è in effetti chiara nel filone di studi di natura astronomica, che si sviluppa a partire dalle teorie di Eudosso di Cnido, strettamente legatoforse da vincoli di discepolato – al fondatore dell’Accademia. A fronte dunque di una documentazione che lascia intuire una corrente alternata nella trasmissione del metodo aristotelico nell’Alessandria dei Tolemei, abbiamo – come rilevato all’inizio del nostro discorso – la testimonianza di Strabone, il quale sottolinea invece la continuità del sapere aristotelico, salvato infine a Roma da Apellicone. Strabone tende a suggerire, in sostanza, una continuità tra l’insegnamento di Aristotele e il sapere sviluppatosi a Roma, in funzione della quale viene sottolineato il collegamento privilegiato che Tolemeo I aveva istituito con la scuola di Aristotele, attraverso la personalità di Demetrio Falereo, allievo di Teofrasto. Quanto questo atteggiamento possa suonare polemico nei confronti ad esempio degli sviluppi della scienza alessandrina (il caso di Eratostene potrebbe essere emblematico) è questione che esula dal nostro tema di ricerca ma che merita probabilmente ulteriore approfondimento. Se si può individuare, dunque, un indirizzo culturale nelle scelte dei primi Tolemei, questo sembra in qualche modo orientato dall’intenzione di mantenere un legame con la scuola di Aristotele, verosimilmente anche per quanto l’insegnamento aristotelico aveva pesato nella formazione di Alessandro, del quale la monarchia lagide si reclamava erede nella concezione del potere. Su questa tendenza originaria si sviluppa un mecenatismo che è stato studiato nelle sue diverse componenti e nella diversa prospettiva storiografica moderna: O. Murray 8 ha fatto di recente il punto sulla problematica affrontata per la prima volta da C. G. Heyne nel 1763 e ha posto in rilievo, attraverso l’esempio offerto dall’Encomio di Tolemeo scritto da Teocrito, come alla poesia di corte fosse richiesta una legittimazione della dinastia che utilizzava precipui elementi di religiosità. In particolare, la centralità della divinizzazione di Tolemeo I e Berenice I costituisce il cardine di una concezione politico-religiosa dalla quale deriva la stabilità del governo e, con esso, il patrocinio alle forme di cultura che, a loro volta, dovevano esaltare e diffondere il modello di monarchia lagide. Il mecenatismo tolemaico, che trova una sua originale articolazione nella sintesi symposion-Museo-feste religiose con la piena esaltazione della monarchia lagide, si indirizza a persone e ad aree del sapere che traducono in forme più universali possibili un messaggio che suona, al contempo, come legittimazione del potere lagide e come elogio di quella libera espressione del pensiero resa possibile dal governo di sovrani di discendenza divina.

2. Mobilità di sapienti e propaganda lagide Per quanto riguarda il secondo punto di questa disamina e cioè la mobilità degli intellettuali in relazione al tipo di selezione operata dai primi Lagidi, va osservato che già a partire da Tolemeo I la scelta di coloro che vengono invitati a corte si indirizza ad aree specifiche: il Mediterraneo orientale, in particolare, sembra costituire il serbatoio privilegiato e dal quale provengono i sapienti chiamati a lavorare a Alessandria. Questa tendenza risulta consolida8

O. Murray, Ptolemaic royal patronage, in: P. Mc Kechnie, P. Guillaume (eds.), Ptolemy II Philadelphus and his world, Leiden 2008, 9–24.

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ta sotto Tolemeo II il quale, a partire dal 280/79, stabilizza la sua influenza su Mileto, su Samo, sulla Caria e, con ogni probabilità anche su Licia, Panfilia, Cilicia.9 In funzione di questo orizzonte politico mi pare pertanto possa essere letta la chiamata di intellettuali la cui mobilità sembra rispondere alle esigenze propagandistiche di una dinastia impegnata a giustificare e a diffondere le ragioni della rivendicata eredità di Alessandro.10 Da Cos veniva Filita, precettore del futuro Tolemeo II, nato anche lui a Cos.11 Dalla stessa isola veniva Teocrito, che era siracusano ma che si era fermato a Cos prima di arrivare a Alessandria. Anche Evemero12 era di Cos. Da Samo venivano Callicrate, l’astronomo Conone, l’epigrammatista Asclepiade.13 Da Bisanzio veniva Aristofane, allievo di Callimaco e successore di Eratostene a capo della Biblioteca. Gli ultimi due, Callimaco e Eratostene, venivano, come noto, da Cirene. E’ il testo di uno di questi letterati trapiantati a Alessandria, l’Idillio XVII di Teocrito,14 che fornisce qualche elemento di riflessione sul rapporto politica-cultura a Alessandria e 9

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Per il passaggio di Samo sotto il potere tolemaico dopo la battaglia di Curopedion cfr. E. Bevan, The House of Ptolemy. A history of Egypt under the ptolemaic dynasty, Chicago 21968 (1927), 63; P. M. Fraser, Two hellenistic inscriptions from Delphi, in: BCH 78, 1954, 49–67, in part. 55; E. Will, Histoire politique du monde hellénistique, I, Nancy 21979, 140s.; R. S. Bagnall, The administration of the ptolemaic possessions outside Egypt, Leiden 1976, 82–88; C. Marquaille, The foreign policy of Ptolemy II, in: P. Mc Kechnie, P. Guillaume (eds.), Ptolemy II Philadelphus and his world, Leiden 2008, 39–64. Sulle conseguenze della vittoria di Seleuco su Lisimaco cfr. A. Mastrocinque, Osservazioni sui rapporti tra i diadochi e le città d’Asia Minore, in: Xenia. Studi in onore di P. Treves, Roma 1985, 121–128; F. Landucci Gattinoni, Lisimaco di Tracia nella prospettiva del primo ellenismo, Milano 1992, 214–221; H. S. Lund, Lysimachus. A study in early hellenistic kingship, London 1992, 80–85. Sulla tradizione, citata dalla Suda s.v. Λάγος e ricordata da Paus. 1,6,2, e da Curt. 9,8,22, secondo la quale Tolemeo sarebbe stato figlio di Filippo II e, quindi, fratellastro di Alessandro, cfr. N. L. Collins, The various fathers of Ptolemy I, in: Mnemosyne 50, 1997, 436–476; E. Kosmetatou, Constructing legitimacy: The ptolemaic Familiengruppe as a means of self-definition in Posidippus’ Hippika, in: B. Acosta-Hughes, E. Kosmetatou, M. Baumbach (eds.), Labored in papyrus leaves. Perspectives on an epigram collection attributed to Posidippus (P.Mil.Vogl. VIII 309), Washington 2004, 241–246. Raccolta dei Frammenti poetici di Filita in L. Sbardella, Filita. Testimonianze e frammenti poetici, Roma 2001. Sulla scelta di affidare ai migliori intellettuali l’educazione del principe eredeitario cfr. P. Green, The politics of royal patronage. Early ptolemaic Alexandria, in: Grand Street 5, 1985, 151–163, in part. 157, che sottolinea come Tolemeo I avesse emulato il comportamento di Filippo II, che aveva affidato Alessandro a Aristotele. Cfr. Call. fr. 19 Pfeiffer, che chiama »vecchio improglione« Evemero, autore di una Cronaca sacra, scritta tra il 280 e il 270. Cfr. L. Bertelli, L’utopia greca, in: L. Firpo (ed.), Storia delle idee politiche, economiche e sociali, Torino 1982, 463–581, in part. 559. Asclepiade di Samo, Edilo di Samo (o di Atene: cfr. Fraser II [v. n. 4], 557–558) che con Posidippo di Pella formano un trio di scrittori di epigrammi. Su Posidippo e Edilo »selvatici fiori campestri« nella Corona di Meleagro cfr. M. M. Di Nino, I fiori campestri di Posidippo. Ricerche sulla lingua e lo stile di Posidippo di Pella, Göttingen 2010, 11s. Cfr. R. Hunter, Theocritus: Encomium of Ptolemy Philadelphus, Berkeley 2003. Marquaille (v. n. 9), 51s. sull’ »imagined empire« tratteggiato da Teocrito, il quale non cita Cipro ma cita Arabia e Etiopia, regioni che non furono mai sotto diretto possesso di Tolemeo II. La studiosa sottolinea il carattere propagandistico della poesia teocritea che trova riscontro nel ruolo, più volte ribadito nei molti documenti epigrafici giuntici, dei Tolemei quali difensori della terra egizia dagli assalti provenienti da nemici esterni (ibid. 53, in part. n. 64). Cfr. anche Murray (v. n. 9), 9–24. Sulla

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che permette di ipotizzare una relazione tra la mobilità degli intellettuali e le scelte politiche lagidi. Ai vv. 85–93 Teocrito descrive il dominio di Tolemeo II: καὶ μὴν Φοινίκας ἀποτέμνεται Ἀρραβίας τε καὶ Συρίας Λιβύας τε κελαινῶν τ’ Αἰθιοπήων· Παμφύλοισί τε πᾶσι καὶ αἰχμηταῖς Κιλίκεσσι σαμαίνει, Λυκίοις τε φιλοπτολέμοισί τε Καρσί καὶ νάσοις Κυκλάδεσσιν, ἐπεί οἱ νᾶες ἄρισται πόντον ἐπιπλώοντι, θάλασσα δὲ πᾶσα καὶ αἶα καὶ ποταμοὶ κελάδοντες ἀνάσσονται Πτολεμαίῳ, πολλοὶ δ’ ἱππῆες, πολλοὶ δέ μιν ἀσπιδιῶται χαλκῷ μαρμαίροντι σεσαγμένοι ἀμφαγέρονται.

a) L’impero è diviso in due aree: quella all’interno della quale il sovrano si è ritagliato un pezzo (ἀποτέμνεται) (Fenicia, Arabia, Siria, Libia, Etiopia) e quella di cui è padrone totale (Panfilia, Licia, Cilicia, Caria, isole Cicladi).15 Relativamente alla prima, va detto che comprende zone di frontiera (Fenicia, Siria) e delle quali il poeta non poteva in effetti affermare la totale pertinenza lagide. Altre, come l’Etiopia o l’Arabia, indicano aree molto ampie nelle quali la penetrazione lagide risultò frenata dall’ostilità delle popolazioni locali e da obiettive difficoltà di ordine geografico. In Etiopia, ad esempio, Tolemeo II condusse probabilmente una spedizione alla ricerca degli elefanti,16 in funzione della guerra antiseleucide, ma la penetrazione nell’ interno risultò difficile. E’ addirittura probabile che la spinta esplorativa direttasi lungo le coste del Mar Rosso (v. oltre) e testimoniataci da una ricca documentazione sia stata resa necessaria proprio dalle difficoltà incontrate dalle spedizioni nell’interno del continente africano. La menzione dell’Arabia, poi, è stata variamente intesa:17 sembra assai verosimile che si debba pensare all’azione compiuta da un tale Aristone sotto Tolemeo II e menzionata da 14

propaganda di corte cfr. R. A. Hazzard, Imagination of a monarchy. Studies in ptolemaic propaganda,Toronto, 2000, 103–109; P. van Nuffelen, Hellenistic historians and royal epithets, in: P. van Nuffelen (ed.), Faces of hellenism. Studies in the history of the eastern Mediterranean (4th century B.C.–5th century A.D.), Leuven 2009 (Studia Hellenistica 48), 93–111. 15 Sull’effettiva pertinenza lagide di alcuni dei territori citati (ad esempio la Cilicia) cfr. Fraser II (v. n. 4), 933s. 16 Diod. 1,37,5 su cui cfr. J. Desanges, Recherches sur l’activité des Méditerranéens aux confins de l’Afrique (VIe siècle avant J.C.–IVe siècle après J.C.), Paris 1978, 252–258, che fissa la spedizione ai primi anni di regno, prima della grande processione descritta da Callisseno e che vedeva sfilare animali provenienti dalle regioni meridionali. S. Burstein, Elephants for Ptolemy II. Ptolemaic policy in Nubia in the third century B.C., in: P. Mc Kechnie, P. Guillaume, Ptolemy II Philadelphus and his world, Leiden 2008, 135–148, propende per una data intorno agli anni ’70. 17 Contro l’interpretazione di W. Otto, Beiträge zur Seleukidengeschichte des 3. Jh., München 1928 (ABAW 34), 3–5, che ipotizzava una espansione di Tolemeo II fino alla Persia, deducibile dalla menzione di Prstt, inteso come Persia nella stele di Pithom, W. W. Tarn, Ptolemy II and Arabia, in: JEA 15, 1929, 9–25, contestava la possibilità di una circumnavigazione dell’Arabia da parte del lagide e riferiva Prsst a una regione dell’Arabia nord-occidentale, senza rapporto alcuno con la prima guerra siriaca. Cfr. in questo senso anche Desanges (v. n. 16), 264s. Per una interpetazione di Prsst – Palestina in senso lato cfr. D. Lorton, The supposed expedition of Ptolomy II to Persia, in: JEA 57, 1971, 160–164; K. Winnicki, Bericht von einem Feldzug des Ptolemaios Philadelphos in der Pithom-Stele, in: Journal of Juristic Papyrology 20, 1990, 157–167 (»terra dei Filistei«); B. Virgilio, Lancia, diadema e porpora, Pisa 1999, 103s.

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Diodoro.18 Si sarebbe trattato, in sostanza, di una attività volta a frenare il monopolio dei Nabatei lungo la costa ma che ottenne, a quanto pare, risultati limitati. Proprio i limitati esiti di questo tentativo sembrano aver contribuito a indirizzare sulla costa occidentale del Mar Rosso gli sforzi di penetrazione lagide: di lì potevano muovere infatti le rotte verso Oriente e dalle basi costiere potevano partire anche missioni verso l’interno dell’Etiopia. Quanto al riferimento alla Libia, nei versi di Teocrito, si è pensato da parte dei più a Cirene: in realtà le vicende che videro lo scontro tra Maga di Cirene e Tolemeo II risultano concluse nel 275 con uno status quo che vedeva la Cirenaica indipendente. Maga sposò, come noto, Apama, figlia di Antioco I e queste nozze suonano come il sigillo di una entente tra Maga e i Seleucidi contro i Tolemei. Solo le nozze, combinate da Maga poco prima della sua morte, della figlia Berenice con Tolemeo III e avvenute probabilmente prima della morte di Tolemeo II, avrebbero sancito la fusione della Cirenaica con l’Egitto lagide.19 Anche il fatto che, secondo l’anonimo epigramma di AP 7,42 che riecheggia il prologo degli Aitia, il giovane Callimaco20 sia portato dalla Libia all’Elicona, potrebbe lasciare intendere che la città del poeta era parte di una Libye non ancora assimilata all’Egitto. Il riferimento dunque, nei versi teocritei, alla Libia come una regione solo in parte tolemaica può contenere l’auspicio per un recupero di quell’area cirenaica che costituiva una spina nel fianco dei sovrani di Alessandria e che i poeti di corte contribuivano a legittimare nella sua pertinenza egiziana. Il lavoro di Callimaco e di Eratostene, sollecitato dagli eventi successivi alle nozze di Berenice con Tolemeo III, dovette essere sotto questo aspetto particolarmente importante. Non compare tra i paesi dominati in toto o in parte Creta, che in effetti entra nell’orbita tolemaica dopo la prima guerra siriaca (274–271): elemento, questo, che contribuisce a rafforzare una datazione dell’Idillio di poco precedente il 270.21 In questa direzione sembra andare soprattutto la definizione di Tolemeo »semidio« che dovrebbe precedere perciò la 18 19

Diod. 3,42,1 su cui Desanges (v. n. 16), 264. Sulle implicazioni antitolemaiche delle nozze di Maga con la figlia di Antioco I cfr. W. W. Tarn, Ptolemy II, in: The Journal of Aegyptian Archaeology 14, 1928, 246–260; Bevan (v. n. 9), 63. Sulle vicende di Cirene cfr. A. Laronde, Cyrène et la Libye hellénistique, Paris 1987, passim. 20 Cfr. fr. 2 Pfeiffer. 21 Per una datazione del poemetto tra il 278 e il 270 (data di morte di Arsinoe II) cfr. P. E. Legrand, Bucoliques grecs, I. Théocrite, Paris 1925, 143s.; A. S. F. Gow, Theocritus, II, Cambridge 1950, 326; G. Longega, Arsinoe II, Roma 1968, 75; Fraser (v. n. 4), 933s.; R. Pretagostini, La nascita di Tolomeo II Filadellfo nell’ Idillio XVII di Teocrito e la nascita di Apollo nell’Inno a Delo di Callimaco, in: R. Pretagostini, Ricerche sulla poesia alessandrina II, Forme allusive e contenuti nuovi, Roma 2007, 113–124, in part. 123, con osservazioni sul rapporto – anche cronologico – tra l’Idillio teocriteo e l’Inno a Delo di Callimaco. Sulla data della morte di Arsinoe II e sul culto del sovrano in Egitto cfr. C. Préaux, Le monde hellénistique. La Grèce et l’Orient de la mort d’Alexandre à la conquête romaine de la Grèce (323–146 av.J.-C.), I, Paris 1978, 251–261; H. Heinen, Apects et problèmes de la monarchie ptolémaïque, in: Ktema 3, 1978, 177–199; H. Cadell, À quelle date Arsinoé II Philadelphe est-elle décédée?, in: H. Melaerts (ed.), Le culte du souvrain dans l’Égypte ptolémaïque au IIIe siècle avant notre ère, Leuven 1998, 1–3; H. Hauben, Aspects du culte des souverain à l’époque des Lagides, in: L. Criscuolo, G. Geraci (eds.), Egitto e storia antica dall’ellenismo all’età araba. Bilancio di un confronto, Bologna 1989, 441–467; S. N. Consolo Langher, Il culto del sovrano nell’Egitto tolemaico, in: N. Bonacasa, A. M. Donadoni Roveri, S. Aiosa, P. Minà (eds.), Faraoni come Dei, Tolemei come Faraoni, Torino/Palermo 2003, 63–69. Il culto di Arsinoe Philadelphos risulta introdotto prima della morte della regina secondo L. Criscuolo, Philadelphos nella dinastia lagide, in: Aegyptus 70, 1990, 90–93; contra cfr. H. Hauben, La

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deificazione del sovrano e la morte di Arsinoe Filadelfo (270), considerata nel testo ancora viva. A favore di una datazione tra la fine della guerra e la morte della regina vanno anche i vv. 95–105, che sembrano fare riferimento a una situazione di stabilità e di pace per l’Egitto, difficilmente conciliabile con gli anni della prima guerra siriaca. b) L’area della quale Tolemeo risulta invece signore indiscusso è costituita dal Mediterraneo orientale. I vv. 91–94, che sottolineano la potenza navale dei Lagidi che rende »tutto il mare, la terra e i fiumi sonori sudditi di Tolemeo«, sembrano rispecchiare l’apirazione a un ecumenismo a vocazione prettamente marina e che si concentra sulle isole e sulle regioni affacciate sul Mediterraneo. Il tema geografico, che qui interessa in particolare e che nell’Idillio teocriteo è trattato in chiave propagandistica, sembra trovare un importante precedente e una sintomatica analogia con l’esaltazione dell’Egitto e del suo sovrano – Tolemeo I – presente negli Aigypthiaka di Ecateo di Abdera:22 i 30.000 villaggi citati da Diodoro (1,31) – molto verosimilmente dipendente da Ecateo – sembrano trovare un’eco nei 33.333 villaggi egizi dei vv. 80–84 del nostro Idillio e non escluderei neppure che il riferimento alla conquista parziale dell’Arabia, della quale si è appena detto, possa echeggiare la menzione dell’impresa di Aristone, citata ancora dallo stesso Diodoro (3,42,1) e risalente, con una certa probabilità, allo stesso Ecateo. Nel fatto che l’area del Mediterraneo orientale graviti, soprattutto con Tolemeo II, nell’orbita lagide sembra aver giocato un ruolo di rilievo Arsinoe II, moglie-sorella del lagide sposata, in prime nozze, con Lisimaco. Infatti alla morte del marito, Arsinoe risulta già godere di una posizione di rilievo a Efeso, a Samotracia (dove si era rifugiata prima di tornare in Egitto) e forse anche a Delo:23 la primogenita di Tolemeo I e di Berenice sposa il fratello Tolemeo II per motivi che non sono del tutto perspicui ma dai quali va escluso l’eventuale vantaggio che sarebbe venuto a Tolemeo II sull’eredità di Lisimaco. Questa infatti sarebbe giunta più facilmente a Tolemeo II in quanto marito di Arsinoe I, figlia di Lisimaco, che in quanto marito di Arsinoe II, vedova di Lisimaco e perciò priva di diritti sui possessi del marito. Le nozze incestuose, poco gradite ai Macedoni che costituivano la classe politica al potere nell’Egitto ellenistico, potevano trovare una ragione, più che nell’opportunità offerta al debole Tolemeo di occuparsi della cultura lasciando alla sorella/sposa la politica, nell’effettivo ruolo politico della regina.24 Essa aveva infatti, già con il primo matrimonio, 21

chronologie macedonienne et ptolemaique mise a l’épreuve. À propos d’un livre d’Erhard Grzybek, in: Chronique d’Égypte 67, 1992, 143–171, in partic. 161. 22 Su Ecateo cfr. F. Jacoby, Hekataios von Abdera, in: RE 7.2, 1912, 2750–2769; O. Murray, Hecataeus of Abdera and pharaonic kingship, in: JEA 56, 1970, 141–171; L. Bertelli, L’utopia greca, in: L. Firpo (ed.), Storia delle idee politiche, economiche e sociali, I, Torino, 1982, 463–581; W. Spoerri, Hekataios von Abdera, in: RAC 14, 1988, 275–310; J. Dillery, Hecataeus of Abdera: Hyperboreans, Egypt and the interpretatio graeca, in: Historia 47, 1998, 255–275. 23 Documentazione in Longega (v. n. 21), 30–42. 24 Sulla propensione di Tolemeo II ai piaceri più che alle cure dello stato cfr. Str. 17,5,25–30; FGrH 81 F 40=Athen. 12,536d–e. Status qaestionis sul ruolo di Arsinoe II nell’Egitto di Tolemeo II in S. B. Pomeroy, Women in hellenistic Egypt. From Alexander to Cleopatra, Detroit 1984, 14–20. Riserve al quadro offerto dalle fonti in K. Buraselis, The problem of the ptolemaic sibling marriage: a case of dynastic acculturation?, in: P. Mc Kechnie, P. Guillaume (eds.), Ptolemy II Philadelphus and his world, Leiden 2008, 291–303, che intende il matrimonio come un misto di sentimenti personali e ragion di stato. Sulla data e sui motivi delle nozze cfr. Fraser I (v. n. 4), 367; H. Hei-

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acquisito un ruolo di spicco in quell’area orientale del Mediterraneo la cui importanza appariva vitale per la politica lagide. In sostanza, la dote maggiore di Arsinoe era costituita da un peso politico che è testimoniato da dediche e omaggi alla sua persona. Questo elemento poteva essere di grande utilità per l’Egitto, soprattutto in prospettiva dell’antagonismo con lo stato seleucidico destinato a evolevere, di lì a poco, in uno scontro diretto (1° guerra siriaca). Il ruolo di Arsinoe risulta dunque importante soprattutto in quell’area mediterranea orientale verso la quale si indirizza, non a caso, la spinta espansionistica lagide:25 una ricca documentazione epigrafica testimonia infatti la fondazione di numerose città nel Mediterraneo greco con il nome di Arsinoe (alcune in Siria e Celesiria) e nelle Cicladi sono state trovate numerose iscrizioni che citano la regina. Un elemento di particolare interesse, in questa prospettiva, è dato dalla personalità del navarco Callicrate di Samo,26 rimasto in carica dal 280/78 agli anni 270/65. A Callicrate è collegata infatti l’espansione del culto della regina Arsinoe-Afrodite27 e la dedica di un tempio a Arsinoe Zefiritide sul promontorio Zefiro, a est di Alessandria. Questo tempio, ricor-

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nen, Untersuchungen zur hellenistischen Geschichte des 3. Jh. v.Chr., Wiesbaden 1972 (Historia Einzelschriften 20), 4; V. Förtmeyer, The dating of the pompe of Ptolemy II Philadelphus, in: Historia 37, 1988, 102–104; D. Ogden, Argean Macedon and hellenistic royal families, in: B. Rawson (ed.), A Companion to families in the greek and roman worlds, Chichester/West Sussex 2011, 99–107 con bibliografia. Cfr. anche la nuova edizione della stele di Pithom a cura di C. Thiers, Ptolémée Philadelphe et les prêtres d’Atoum de Tjékou. Nouvelle édition commentée de la ›stèle de Pithom‹ (CGC 22183), Montpellier 2007 (Orientalia Monspeliensia 17). 25 Sull’espansione tolemaica cfr. W. Kolbe, Die griechische Politik der ersten Ptolemaeer, in: Hermes 51, 1916, 530–553; H. Kortenbeutel, Der ägyptische Süd- und Osthandel in der Politik der Ptolemäer und römischen Kaiser, Diss. Berlin 1931; Bagnall (v. n. 9), 80–88; H. Hauben, Arsinoé II et la politique extérieure de l’Egypte, in: E. Van’t Dack, P. Van Dessel, W. Van Gucht (eds.), Egypt and the hellenistic world, Leuven 1983 (Studia Hellenistica 27), 99–127; su Samo cfr. in particolare G. Shipley, A history of Samos 800–188 B.C., Oxford 1987, 182, 298–301. 26 Su Callicrate: W. W. Tarn, Nauarch and Nesiarch, in: JHS 31, 1911, 251–259; Will, I (v. n. 9), 149; H. Hauben, Callicrates of Samos. A contribution to the study of the ptolemaic admiralty, Leuven 1970 (Studia Hellenistica 18), 65–70; I. L. Merker, The ptolemaic officials and the League of islanders, in: Historia 19, 1970, 141–170, in part. 156–157; P. Bing, Posidippus and the Admiral. Kallikrates of Samos in the Milan epigrams, in: GRBS 43.3, 2002–2003, 243–266. Sugli epigrammi di Posidippo in cui è esaltata la figura di Arsinoe-Afrodite cfr. Fraser I (v. n. 4), 239s., 557; G. Bastianini, C. Gallazzi, C. Austin, Posidippo di Pella. Epigrammi (P.Mil.Vogl. VIII, 309), Milano 2001, 155–157; M. Fantuzzi, R. Hunter, Tradition and innovation in hellenistic poetry, Cambridge 2002, 377–392; S. A. Stephens, For you, Arsinoe …, in: B. Acosta-Hughes, E. Kosmetatou, M. Baumbach (eds.), Labored in papyrus leaves. Perspectives on an epigram collection attributed to Posidippus (P.Mil.Vogl. VIII 309), Washington 2004, 173–176; P. Bing, The politics and poetic of geography in the Milan Posidippus. Section one: on stones (AB 1–20), in: K. Gutzwiller (ed.), Posidippus. A hellenistic poetry book, Oxford 2005, 119–140; W. Lapini, Capitoli su Posidippo, Alessandria 2007, 228–248. Sull’epiteto Γεραίστος con cui Posidippo connota Posidone (P.Mil.Vogl. VIII 309, Col. IV, 1–6), protettore delle terre e delle isole (verosimilmente le Cicladi) su cui si estende il dominio di Tolemeo II, cfr. D. Petrain, Homer, Thocritus and the Milan Posidippus (P.Mil.Vogl. VIII 309, Col. III, 28–41), in: CJ 98, 2003, 359–388, in part. 379. 27 Cfr. Longega (v. n. 21), 104; Fraser I (v. n. 4), 238–240; Stephens (v. n. 26); J. A. Foster, Arsinoe II as epic queen. Encomiastic allusion in Theocritus Idyll 15, in: TAPhA 136, 2006, 133–148; Di Nino (v. n. 13), 48 sulle ampie prerogative – non solo legate alla navigazione – della dedica a Arsinoe-Afrodite.

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dato dai contemporanei (Callimaco scrisse un epigramma)28 deve risalire infatti al periodo nel quale Callicrate era navarco, come risulta da due epigrammi di Posidippo scritti per l’occasione.29 La personalità di Posidippo di Pella, contemporaneo di Callimaco offre, a sua volta, lo spunto, attraverso il testo degli epigrammi giuntici, di valutare quanto la sua prospettiva macedone fosse in qualche modo complementare, più che antitetica,30 a quella mediterraea di Callimaco: il nesso di Alessandro con la Tracia e con la Macedonia non tende infatti a mettere in secondo piano l’Egitto – come rilevato di recente da Susan Stephens – ma piuttosto a ribadire una continuità con quella stirpe macedone che aveva trovato nei Lagidi i naturali continuatori della politica di Alessandro.31 Appare anche poco convincente l’ipotesi della stessa studiosa che attribuisce a Arsinoe – che sarebbe raffigurata nel mosaico di Thmuis –32 una simbolica trasmissione delle prerogative guerresche e regali (lancia e diadema) da Alessandro ai Tolemei.33 Mi pare più verosimile, invece, che le prerogative attribuite da Posidippo a Arsinoe-Zefiritide, protrettrice dei naviganti, ribadiscano in maniera esplicita quell’indirizzo espansionistico-marino il cui progetto è ricondotto, da alcuni studiosi, proprio alla regina sorella del Filadelfo. A fronte di questa interpretazione, fondata essenzialmente sulla presenza di dediche a Arsinoe in un’area molto ampia del Mediterraneo, oltreché naturalmente in Egitto, vi sono, a mio parere, elementi che indirizzano in una direzione diversa: è probabile, in sostanza, che l’utilizzazione in chiave propagandistica dell’immagine di Arsinoe, già consolidata con le nozze con Lisimaco, faccia capo allo stesso Tolemeo II. La politica marina dell’Egitto, svolta da ammiragli come Timostene di Rodi34 o Callicrate di Samo, era iniziata infatti prima delle nozze con Arsinoe e queste stesse nozze – come ipotizzato poc’anzi – sembrano 28

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Sull’epigr. 5 Pfeiffer=GP 14 cfr. C. Meillier, Callimaque et son temps. Recherches sur le caractère et la condition d’un écrivain à l’époque des premièrs Lagides, Lille 1979, 210; 217 sull’ektheosis successiva alla morte della regina; cfr. anche 169–194 sul significato del mare nella poesia callimachea. Bastianini, Gallazzi, Austin (v. n. 26), 150–157; Lapini (v. n. 26), 231s.; Di Nino (v. n. 13), 46–58. In questo senso cfr. invece S. A. Stephens, Battle of the books, in: K. Gutzwiller (ed.), Posidippus. A hellenistic poetry book, Oxford 2005, 232–248. Poco convincente l’ipotesi della studiosa che confronta il velo di lino volato da Arsinoe con il diadema di Alessandro in Arr. 7,22,2–5. W. A. Daszewski, Corpus of mosaics from Egypt, I, Mainz 1985, 146–158, individua nella personificazione della città di Alessandria la regina Berenice II, signora del Mediterraneo contro A. Kuttner, Hellenistic images of spectacle from Alexander to Augustus, in: B. Bergmann, C. Kondoleon (eds.), The arts of ancient spectacle, Washington 1999, 97–124, la quale vedeva nel mosaico due diverse figure, Berenice II e Arsinoe II. La figura femminile che, nell’affresco di Boscoreale, reca uno scudo interpretabile come una personificazione della Macedonia, è confrontata da Daszewski (v. n. 32), 149s., con la monetazione dei primi Tolemei, in cui ricorre lo scudo. Sull’affresco di Boscoreale, copia di un soggetto commissionato probabilmente da Antigono II Gonata poco dopo il 277 e eseguito intorno al 40 a.C., secondo i gusti dell’aristocrazia romana, cfr. R. R. R. Smith, Spear-won land at Boscoreale: on the royal painting of a Roman villa, in: Journal of Roman Archaeology 7, 1994, 100–128. Sullo scudo, prerogativa della monarchia macedone passata da Alessandro ai Lagidi e sulla monetazione dei primi Tolemei cfr. Virgilio (v. n. 17), 73–75; A. Cavagna, L’oro dei Theoi Adelphoi, in: G. Zanetto, S. Martinelli Tempesta, M. Ornaghi (eds.), Nova Vestigia Antiquitatis, Quaderni di Acme 102, Milano 2008 , 161–182 (con bibliografia).

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rientrare strumentalmente nel progetto politico lagide, volto a rafforzare un’area particolarmente importante nel contenzioso con i Seleucidi. Tanto l’attività di Posidippo, che esaltava gli aspetti rituali della presenza di Arsinoe in territori gravitanti nell’orbita egiziana, quanto quella di Callimaco che nel prologo degli Aitia, la chiamava »decima Musa«35 sottolineano il ruolo di Arsinoe nella politica culturale, parte integrante della politica estera tolemaica. Quanto questa politica potesse comprendere anche una mobilità di intellettuali chiamati a Alessandria essenzialmente dall’area del Mediterraneo orientale mi pare ricavarsi dal famoso frammento di Callisseno36 contenente la descrizione della grande processione svoltasi a Alessandria in onore di Tolemeo II. Il corteggio onorava Dioniso, trionfatore degli Indiani, e ne facevano parte, con Alessandro, i sovrani Tolemeo I e Berenice I. La data della processione è discussa e oscilla dal 279/8 al 274/3 al 271/70. Il riferimento all’Arabia nel contesto delle imprese di Tolemeo II farebbe pensare che la pompe fosse successiva alla spedizione citata da Diodoro (1,37) ma anche questo non contribuisce a fissarne la data. Neanche aiuta il testo dell’Idillio teocriteo XVII (dove compaiono Etiopia e Arabia, ma non India). Un indizio può essere dato dalla mancata menzione di Arsinoe II, forse già morta. In questo caso potremmo accogliere la data bassa, ipotizzata da Goukowski e da Desanges. E’ stato ampiamente sottolineato dai moderni37 come i riferimenti all’Arabia e all’India nel testo di Callisseno siano indicativi di una estensione più teorica che non reale del regno di Tolemeo II: soprattutto l’India, allusiva di un Oriente popolato da animali esotici e produttore di piante e pietre preziose, è apparsa evocativa di quell’eredità di Alessandro a più riprese rivendicata dai Tolemei. Coarelli, in particolare, ha sottolineato come un’opera come il mosaico nilotico di Palestrina, con animali indiani e etiopi, sia indicativa del potere 34

Su Timostene cfr. E. A. Wagner, Die Erdbeschreibung des Timosthenes von Rhodos, Leipzig 1888; F. Gisinger, Timosthenes, in: RE 6 A 2, 1937, 1310–1322; F. Prontera, Periploi: sulla tradizione della geografia nautica presso i Greci, in: L’uomo e il mare nella civiltà occidentale: da Ulisse a Cristoforo Colombo, Genova 1992, 27–44; D. Meyer, Hellenistische Geographie zwischen Wissenschaft und Literatur. Timosthenes von Rhodos und der griechische Periplus, in: W. Kullmann, J. Althoff, M. Asper (eds.), Gattungen wissenschaftlicher Literatur in der Antike, Tübingen 1998, 193–215. 35 Cfr. G. B. D’A lessio, Callimaco, Aitia. Giambi e altri frammenti, Milano 1996, 379, per l’ipotesi che la decima Musa sia allusiva di Arsinoe, non nominata espicitamente. In questo senso già Longega (v. n. 21), 104. 36 FGrH 627 F 2=Athen. 5,25–35. Sulla pompe cfr. Fraser I (v. n. 4), 231 per una datazione agli anni ’70 e una separazione netta tra i Ptolemaieia e la pompe in questione Desanges (v. n. 16), 253; P. Goukowski, Essai sur les origines du mythe d’Alexandre, II, Nancy 1978, 81 per una data intorno al 271/0; E. Rice, The grand procession of Ptolemy Philadelphus, Oxford, 1983, 184–187 per una data più alta (280–275), sulla quale si era già pronunciato W. W. Tarn, Antigonus Gonatas, Oxford 1913, 261 n. 10 (per il 275/4); id., The struggle of Egypt against Syria and Macedonia, in: CAH 7, 1964, 669–731, qui 731 n. 1 (per il 279/8); Förtmeyer (v. n. 24), 102–104 per l’inverno 275/4 su basi di computi astronomici; Hazzard (v. n. 14), 59–65 per una data intorno al 262. 37 F. Coarelli, La pompé del Filadelfo e il mosaico di Palestrina, in: Ktema 15, 1990, 225–251, qui 244, 250; P. Schneider, L’Éthiopie et l’Inde. Interférences et confusions aux extrémités du monde antique, Rome 2004, 321–324. Sul mosaico di Palestrina, valutato negli aspetti che sembrano realisticamente richiamare l’Egitto, cfr. A. Steinmeyer-Schareika, Das Nilmosaik von Palestrina und eine ptolemaische Expedition nach Äthiopien, Bonn 1978, 123, con una datazione agli inizi del II sec. a.C.; B. Andreae, Antike Bildmosaiken, Mainz 2003, 108s.

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simbolico di immagini di grande impatto su un pubblico come quello dell’Alessandria tolemaica.38 Va tuttavia rilevato che il simbolismo di certe rappresentazioni si fonda su elementi di natura storica e che si prestano a amplificazioni e rielaborazioni in chiave propagandistica: in particolare le allusioni all’India, che certo intendono riecheggiare le imprese di Alessandro, contengono verosimilmente riferimenti a relazioni con l’estremo Oriente che Tolemeo II tentò di stabilire, essenzialmente a scopi commerciali. Il dato è ricavabile dal riferimento a una ambasceria al regno maurya menzionata da Plinio39 e che lascia intravedere contatti – o aspirazioni a contatti – con un mondo le cui risorse dovevano apparire notevolmente interessanti ai sovrani di Alessandria. Se l’India e l’Arabia appaiono perciò confini ideali di un regno che cerca in ogni caso le opportunità per una espasione coerente con i piani di Alessandro, va anche detto che una politica di così ampio respiro trovava una reale corrispondenza nella potenza navale egiziana, strumento essenziale della politica imperiale. Nel testo di Callisseno sono elencate infatti le componenti di una flotta che è la più imponente di tutte quelle esistenti: »Due navi a trenta file di rematori, una a venti file, quattro a tredici file, due a dodici, quattro a undici, trenta a nove, trentasette a sette, cinque a sei, diciassette a cinque e il doppio delle navi che avevano quattro o tre file di rematori. C’erano poi le navi inviate alle isole e alle altre città sulle quali dominava e quelle (inviate) in Libia e che ammontavano a più di 4.000.«40 A questo elenco segue, quasi in in una successione causa/effetto, la menzione dell’attività culturale che si svolgeva a Alessandria, dove si raccoglievano i sapienti. Il riferimento alle isole, alle città e alla Libia in relazione alla potenza navale non può che indicare il Mediterraneo orientale (isole e città) e quello occidentale (Libia) su cui si protendeva il potere politico, qui esplicitamente saldato a quello culturale. Le isole, in particolare, riportano a quella Confederazione dei nesiotai che testimonianze epigrafiche41 documentano aver effettivamente partecipato ai Ptolemaeia istituiti in onore di Tolemeo I dal suo successore. Quanto alle città che gravitavano nell’area lagide e che si trovavano sulla costa, non è difficile cogliere anche qui il riferimento a un’area egea che si spingeva verosimilmente fino a Bisanzio. Una spedizione lagide a Bisanzio, fissata da Otto 42 sotto Tolemeo II, è testimo38 39

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Cfr. anche Schneider (v. n. 37), 323s., per la »confusione« India-Etiopia presente in gran parte della letteratura antica. Plin. nat. 6,58; cfr. schol. Apoll. Rhod. 2,904 con la menzione di un Dionisio non meglio identificato e su cui cfr. Fraser I (v. n. 4), 180s., il quale rileva peraltro che i mercanti egiziani non avevano conoscenza diretta dell’India; Marquaille (v. n. 9), 50s. FGrH 627 F 2: πολλῶν δὲ ὁ Φιλάδελφος βασιλέων πλούτῳ διέφερε καὶ περὶ πάντα ἐσπουδάκει τὰ κατασκευάσματα φιλοτίμως, ὥστε καὶ πλοίων πλήθει πάντας ὑπερέβαλλεν. τὰ γοῦν μέγιστα τῶν πλοίων ἦν παρ’ αὐτῷ τριακοντήρεις δύο, εἰκοσήρης μία, τέσσαρες δὲ τρισκαιδεκήρεις, δωδεκήρεις δύο, ἑνδεκήρεις δεκατέσσαρες, ἐννήρεις λʹ, ἑπτήρεις λζʹ, ἑξήρεις εʹ, πεντήρεις δεκαεπτά· τὰ δ’ ἀπὸ τετρήρους μέχρι τριηρημιολίας διπλάσια τούτων. τὰ δ’ εἰς τὰς νήσους πεμπόμενα καὶ τὰς ἄλλας πόλεις ὧν ἦρχε καὶ τὴν Λιβύην πλείονα ἦν τῶν τετρακισχιλίων. περὶ δὲ βιβλίων πλήθους καὶ βιβλιοθηκῶν κατασκευῆς καὶ τῆς εἰς τὸ Μουσεῖον συναγωγῆς τί δεῖ καὶ λέγειν, πᾶσι τούτων ὄντων κατὰ μνήμην. Syll.3, 390 su cui Will I (v. n. 9), 202. W. Otto, Zu den syrischen Kriegen der Ptolemäer, in: Philologus 36, 1931, 400–418. Per il graffito ritrovato in Crimea con una nave egizia (SEG 35, 756; 45, 997) e la possibile correlazione con la politica di Tolemeo II cfr. Marquaille (v. n. 9), 51.

Mobilità di sapienti e di saperi nell’Alessandria dei primi Tolemei

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niata infatti da un passo di Apollonio di Afrodisia:43 »Außerdem berichtet Apollonios im siebzehnten Buch der Karika (FGrHist 740 F 14), die Galater hätten als Neuankömmlinge mit Mithridates und Ariobarzanes ein Bündnis geschlossen, darauf die von Ptolemaios dorthin geschickten Ägypter bis zum Meer verfolgt, die Anker von deren Schiffen erbeutet und sie als Siegerlohn angenommen, um später aus dem Erlös daraus Städte zu errichten.« (trad. Billerbeck). Della Libye si è già detto e colpisce qui una coincidenza con i vv. di Teocrito poc’anzi citati dove ricorre anche il riferimento alle grandi ricchezze di Tolemeo II.44 Si tratta di motivi che costituiscono evidentemente i temi di una propaganda che aveva trovato i suoi portavoce più accreditati in intellettuali trasferitisi a Alessandria da aree coinvolte nella politica tolemaica. Questa provenienza costituiva un elemento aggiuntivo che contribuiva, da un lato, a rafforzare l’idea del potere lagide e, dall’altro, a ampliare in una sorta di grancassa, gli effetti di una ricercata politica del consenso. Questa mobilità dovette essere dunque sollecitata e indirizzata da motivazioni di ordine politico, come fin qui evidenziato, e che trasformarono – a detta di Timone di Fliunte – il Museo di Alessandria in una »gabbia«45 di uccelli rari pronti in ogni caso a adulare i sovrani. L’isolamento degli intellettuali del Museo, criticata forse non senza motivo da Timone, permette di intuire il rapporto tra l’intellettuale e il suo mecenate: esso si configura nei termini di un consenso alle scelte del sovrano al quale si deve il trasferimento a Alessandria e, con esso, il sostegno a una propaganda che investe anche e soprattutto le aree dalle quali quegli intellettuali provenivano. Quello che doveva essere l’atteggiamento auspicato a corte lascia trapelare tuttavia alcuni segni di dissenso che si colgono ad esempio in un Frammento della biografia dedicata da Eratostene a Arsinoe III, moglie di Tolemeo IV: lo scienziato sembra condividere il giudizio critico di Arsinoe sui Lagynophoria46 organizzati da Tolemeo IV e che avevano portato a corte la gente più varia e meno apprezzabile, agli occhi della regina. Non abbiamo elementi per ricostruire il tipo di rapporto che poteva legare Eratostene a Arsinoe III e che risulterebbe qui improntato a una libertà di parola che derivava probabilmente dal fatto che lo scienziato era stato il precettore del giovane Tolemeo IV. Dal sovrano il maestro poteva aspettarsi comportamenti moralmente diversi e poteva usare perciò di una libertà certo non concessa a tutti gli intellettuali di corte. A parte questo episodio, indicativo comunque del clima di corte, forse cambiato nel passaggio da Tolemeo III e Tolemeo IV, si pecepisce anche – dai Frammenti della Geografia – che Eratostene si sentiva assolutamente debitore nei confronti di quei reges che avevano reso possibile la sua opera consistente nel misurare e disegnare il mondo abitato. Il fatto che il geografo abbia evitato di tracciare i confini dei continenti e abbia utilizzato invece solo di43 44

FGrH 740 F 14=Steph. Byz. s. v. Ἄγκυρα. Cfr. anche il riferimento di Posidippo al »fiume indiano Idaspe« nel primo poema dei λιθικά (ABI, 1): esso sembra evocare gli estremi dell’impero di Alessandro in una prospettiva di continuità tra la monarchia lagide e quella argeade: in questo senso Bing (v. n. 26), 119–140, il quale sottolinea l’intersezione di politica e geografia poetica in P.Mil.Vogl. VIII 309. 45 Fr. 12 Diels=60 Wachsmuth: »Molti pascolano nel popoloso Egitto, scarabocchiando i papiri, litigando senza posa nella gabbia delle Muse«. Cfr. Pfeiffer (v. n. 4), 171. 46 FGrH 241 F 16=Athen. 276a–c su cui cfr. Fraser II (v. n. 4), 345, 699; G. Agosti, Eratostene sulle Muse e il re, in: Hermes 125, 1997, 118–123.

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visioni geometriche della terra (sphragides) può trovare una giustificazione – come ho già ipotizzatio –47 nella necessità di non entrare nel problema del confine Asia-Libye, particolarmente vivo per il contenzioso tra Lagidi e Seleucidi. Questo elemento, insieme alla centralità attribuita nella carta alessandrina al Mediterraneo – e in particolare a quello orientale, costituisce una spia del carattere non del tutto ›neutrale‹ dell’opera di Eratostene. Come gli altri intellettuali trasferitisi a Alessandria, lo scienziato contribuiva dunque con la sua opera alla formazione di un sapere che era la summa della cultura del tempo. Questo sapere portava con sé, insieme ai risultati scientifici brillantemente conseguiti, l’impronta di un potere politico che, selezionando da una ›carta geo-politica‹ gli intellettuali da accogliere a corte, aveva trasformato la mobilità di questa élite in un formidabile strumento indispensabile a realizzare il grande progetto dei Tolemei. Serena Bianchetti Università degli Studi di Firenze, Dipartimento di Studi storici e geografici Via S. Gallo 10, I-50129 Firenze [email protected]

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S. Bianchetti, La carta di Eratostene e la sua fortuna nella tradizione antica e tardo-antica, in: Geographia Antiqua 16–17, 2007–2008, 25–39.

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Mobility and Proto-Capitalism in the Hellenistic and Early Roman Mediterranean

The emergence of giant Hellenistic kingdoms followed by the even more expansive Roman Republican Empire broke down the innumerable city-territories and small kingdoms previously typical for the states around the Mediterranean Sea (Alcock 1993). This had a far greater significance than mere political reorganisation, especially as the policy of these new states was still to delegate a major part of their local administration to existing cities. It is rather on the economic plane that the remaking of the Mediterranean map caused radical and unanticipated transformations in society. Owning land had been largely confined to the citizens of the preceding smaller-scale geographical units, however now it was legal to buy property and other resources across the entire scale of a Hellenistic kingdom or the Roman state. Clearly such an opportunity was of little relevance to small landowners, but of central importance to ambitious, wealthy individuals. It should come as no surprise to learn therefore, anecdotally, that when Cicero had to flee his enemies in Rome he sought refuge in a large estate owned by his friend Atticus (now in presentday Albania). Also in this context noteworthy, is the construction of aqueducts, often tens of kilometres long. Although stimulated by the greatly increased demand for public bathing establishments that Romanisation brought, the ease with which they crossed former city-state boundaries is a further symptom of the breakdown of barriers and yet, also, of local rights (Doukellis 1995). Owning a large estate in a distant region had become normal already within the late Classical and Early Hellenistic kingdom of Macedon, where members of the court, the elite class of the state, were awarded extensive lands in conquered or annexed territory, as Macedon expanded in all directions. The large villas this gave rise to (Adam-Veleni et al. 2003), well beyond the scale of the typical small farm of the high Classical era over much of Greece, anticipated the ubiquitous Roman villa centuries later. Cicero, again, notes the advantages of investing in foreign countries, stressing that you have the option to go there to get rich, or stay in Italy and exploit such opportunities through agents. It was Jeremy Paterson (1998) who underlined the central role of the latter in spreading a new form of economics through the final centuries BC of Mediterranean history (cf. also Rizakis 2001). The rich of the Hellenistic and Roman world soon appreciated the potential of the new ›Common Market‹ opening up through the expansion of giant states, employing an increasing web of individuals who acted as modern financial portfolio brokers, local financial officers for distant investors, people prepared to travel on behalf of their clients, and everyday workers who operated on the ground for networks of inter-regional elites. The Roman negotiatores were people of elevated status, though not

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elite, ›money-men‹ involved in investment portfolios, but most agents were more lowly people, usually liberti (freed slaves) and actual slaves. The latter two classes would not normally get rich, but through patronage their income could be assured, and their influence extended well beyond their own status, due to their association with the powerful wealthy individuals they serviced. The scale of long-distance investment can be illustrated by a lucky and remarkable find from the island of Delos, preserved due to its sack in 88 BC (van Berchem 1991). In a house of the Skardhana quarter, thousands of impressions were unearthed, from seals used to close papyrus contracts. They represent a very wide range of financial deals from a wide geographic area, including Roman magistrates, dignitaries of a Near Eastern kingdom and several cities in Asia Minor. The house is interpreted as belonging to a banker or lawyer specialising in inter-regional business contracts. The context appears to confirm the very modern idea of a virtual economy, where goods themselves can be negotiated without their physical presence, through paper management. An intriguing and even more revolutionary concept has recently come into the discussion, and that concerns the makeup of both the Roman business community and beyond that, of Roman towns. It is very striking that Greek cities of the city-state or polis type, are on average controlling remarkably small territories: a one-hour, to one and a half-hour radius on foot is the norm, following the exhaustive researches by Mogens Hansen and his international team of scholars (Hansen 2004). They also appear to contain an unusually high proportion of the total population, following archaeological studies: in the Aegean as much as 70–80% of citizens live in the polis-centre (Bintliff 1997a, 2006). In contrast, pre-Industrial urban populations in Europe have generally fluctuated around 10–20% of the total, since recorded statistics. Roman towns in Italy and elsewhere generally have an inverted (and hence more usual) ratio of 20–30% urban and 70–80% rural population (de Graaf 2012). Moreover, the internal structure of Roman towns shows a considerable emphasis on public buildings, shops and industrial facilities, and extensive dwellings for a wealthier class of citizen, in contrast to the monotonous ranks of small independent citizen homes typical for earlier Greek polis urban plans (Bintliff 2010). The Greek polis is indeed full of citizen-farmers, since the share of traders and manufacturers was always in the minority, and it is precisely this class of non-elite farmer which in Roman times has been displaced or chosen to move into the countryside – whether independent producers, tenants, or agricultural slave-workers. The parallels to the rise of Medieval and Post-medieval towns in Europe seem at first evident, where the urban population is predominantly focussed on economic activities complementary to farming. And indeed a recent monograph by Mayer (The Ancient Middle Classes, 2012) directly compares this new Roman urban ›middle class‹ to the rise of the European bourgeoisie in the last two centuries before the present. But there is a great gulf between the Early Modern urban middle class and the typical non-elite individuals occupying our streamlined Roman towns and acting, as we have seen, as agents or service-providers for the wealthy. There is growing evidence for Roman towns, that the vast majority of people acting in manufacturing, commerce and financial services were far removed from assertive, wholly independent mini-entrepreneurs. A new study of the city of Rome (Mouritsen 2011) argues that the population were mostly ex-slaves or

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liberti (freedmen) and their descendants. While this might not seem so extraordinary for the multi-ethnic imperial capital, our interest lies in whether such an imbalance might more generally hold for provincial Roman towns. Strikingly, a new paper by de Ligt and Garnsey on the population of Roman Herculaneum (2012) concludes that some 40% of the total urban population were slaves, while almost 70% of the male free citizen population were freedmen. Slaves and freedmen and their families represent of course all, displaced people, emanating from places other than where our epigraphic records find them. They are thus not local, embedded inhabitants of the urban landscape. Moreover, the slaves by definition, but it also appears that the larger part of the freedmen, are working for the rich and powerful, their masters and patrons respectively. These displaced people are nonetheless those whom we find dominating the everyday business of trade and manufacturing. Like their novel origins so it seems their economic role also breaks with previous working patterns, and with the creation of wide, open markets and a virtual economy of financing at distance, so the mentality of this new class will be a very different one from that of the self-sufficient citizen farmer of Classical Greek city states. When we consider the impact of Rome on the long-urbanised landscapes of Classical Greece, one is struck by the apparent decline of whole communities. Surface survey shows again and again on the Southern Mainland, that towns shrink and the countryside empties of its peasant farmsteads (Bintliff 2012, Chapter 13). Shrunken Roman cities and landscapes typified by villa estates take their place. This could be seen as overall civilizational decline, with Roman expansion contributing to collapse, through the generally violent nature of Rome’s involvement with the Greek cities from the 3rd to the 1st centuries BC. Yet here is a puzzle: the great mercantile city of Corinth was depopulated and destroyed by the Roman army in 146 BC, then a century later refounded as a colony by Caesar, indeed subsequently promoted to become the provincial capital of Southern Greece, the province of Achaea. Yet in place of the great Classical city of some 500 walled hectares the Roman colony is planned on a grid at a mere 240 hectares, and is quickly replanned for just 140 hectares, to suit the actual incoming population (Romano 2003). The city is embellished with fine public monuments and surely much wealth accumulated, yet considering the immense increase in the territory it controlled, why does it occupy so small a fraction of the space required by its predecessor? The answer surely lies in our previous model of streamlined Roman towns. These centres were places for the elite landowners and provincial authorities (usually one and the same class), and where commerce and trade were primarily (but not exclusively) focussed. The bulk of the agricultural producers lived outside (notably on the estates of richer landowners) and would visit the city for legal services, exotic products, festivals and games. And note: the colonists at Corinth were freedmen and their families. Yet at Corinth, apart from the imperial officials of free citizen origin, there must have been some freedmen who did get rich from their businesses. Initially it seems that the regional Greek populations were negative to such predominantly low-status immigrants and their strange non-Greek customs, but over time Greek native elites in other cities, now used to a world where patronage was central to wealth-creation and career advancement, sought alliances through marriage with the ›new people‹ of Corinth as well as the governor’s household (Mueller 2002; A. Spawforth, personal communication).

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These highly-significant changes in the economics of the Mediterranean world and in the form and function of towns, also had demonstrable effects in the private domestic sphere (Bintliff 2010). Typically the Classical Greek house was closed to the outside world, its interior domestic family life filling its rooms and courtyard, where just invited guests could enter. Male non-family visitors might dine with the male family-head in a generally secluded room, the andron, usually the focus of decoration. From Hellenistic times, the importance of patronage and social networking displaced the previous emphasis on participation of citizen males in the political assembly, the lawcourt and gymnasium, thus in the public spaces of the polis. The house needed to become a semi-public sphere for welcoming and entertaining people who could benefit the family through business deals, marriages and wider contacts (Westgate 2000). We observe a general trend in the larger homes, for the first courtyard entered through the front door to become a display area, with porticoes, several dining rooms, even sculpture and water features. The former family yard, where domestic life was usually focussed throughout the year, is now relegated to a more distantly-accessed part of the house. One final but positive point: the Classical city-state was ›a male club‹ and women of the house were also expected to keep well away from the entertainment of male visitors. The shift from a focus on public to private space for a large part of the citizens’ social, political and economic negotiations elevated the role of women. It was they after all who could act as vital links in marriage alliances and the deployment of relatives to assist personal advancement. By the time the Romans incorporated Greece into their empire, they already allowed their women to participate in domestic social events, and this custom spread into Roman Greece. Lisa Nevett (2002) has suggested that the observable trend to open up more than one door into the family home symptomizes a more relaxed attitude to visitor access to the house and may mark the end to the seclusion of women in the presence of visitors. John Bintliff Universiteit Leiden, Archeologie Reuvensplaats 3–4, NL-2311 BE Leiden [email protected]

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Iris von Bredow

Wandernde Handwerker zwischen Ost und West in der früharchaischen Zeit?

Bei Untersuchungen des Kulturtransfers vom Vorderen Orient bzw. von Ägypten nach Griechenland vom 10. bis 7. Jh. v.Chr. fällt immer wieder das Stichwort ›wandernde Handwerker‹. Danach hätten Orientalen sich auf der Suche nach besseren Arbeitsbedingungen und höherem Gewinn nach Griechenland aufgemacht, um dort ihre hochwertigen Produkte herzustellen bzw. ihre intellektuellen Fähigkeiten anzubieten. Einmal in Griechenland niedergelassen, hätten sie ihre griechischen Nachbarn mit ihrer Kunst begeistert und Demiurgen angelernt.1 Denn allein von einem wie auch immer gearteten Handel hätte der enorme Einfluss vorderorientalischer Kultur auf die frühgriechische Welt nicht stattfinden können. Die tatsächlich vorhandenen Parallelen zwischen altorientalischen Kulten und Kulttexten haben u.a. auch zur These von wandernden Priestern und Sängern geführt.2 Ich werde mich in diesem Zusammenhang auf vier grundsätzliche Fragen konzentrieren: 1. Wie hoch war die Mobilität von vorderorientalischen Handwerkern? 2. Für wen hätten die vorderorientalischen Handwerker in Griechenland gearbeitet? 3. Sind wandernde fremde Handwerker im frühen Griechenland überhaupt direkt oder zumindest indirekt nachzuweisen? 4. Auf welche Art hätten sich griechische Handwerker orientalische und ägyptische Technologien aneignen können? Die antiken Schriftsteller aus der archaischen und klassischen Zeit übergehen mit einigen wenigen Ausnahmen Leben und Leistungen von Handwerkern. Fremde Demiurgen treten in der Literatur überhaupt nicht in Erscheinung. Handwerker bildeten eine Berufsgruppe, die für die Oberschicht zwar notwendig war, mit der sie aber keine Berührungspunkte haben wollte. Die Sicherung des Lebensunterhalts durch die Herstellung von verkäuflichen Waren widersprach den aristokratischen Werten. Die Geringschätzung der eigenen, griechischen Handwerker wurde daher auch auf die fremden übertragen, auch wenn man sich für ihre Leistungen begeistern konnte. So schreibt Herodot über die ägyptischen Hermotybier: »Keiner von ihnen (d.h. den Hermotybiern, die als Krieger bezeichnet werden) hat ein Handwerk gelernt. Sie widmen sich nur der Kriegskunst.«3 Und weiter 167: »Ob die Grie1

Man findet diese These ohne jegliche Argumentation und Reflexion in vielen Handbüchern über das archaische Griechenland, vgl. z.B. Boardman 1980, 55 oder Martini 1990, 29. 2 Burkert 1983, 115–119. 3 Hdt. 2,166.

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chen dies auch von den Ägyptern übernommen haben, kann ich nicht entscheiden. Ich sehe, dass auch bei den Thrakern, den Skythen, den Persern, den Lydern und fast allen Nichtgriechen die Handwerker und ihre Nachkommen geringer geachtet werden als die übrigen Bürger. Wer von körperlicher Arbeit frei ist, gilt für edel, besonders wer sich der Kriegskunst widmet. Das haben sämtliche Griechen übernommen, vor allem die Lakedaimonier. Am wenigsten aber verachten die Korinther die Handwerker.« Das allerdings ist die griechische Sicht der Dinge, denn der Autor widerspricht sich schon im folgenden Kapitel,4 wo er berichtet, dass die Handwerker wie die Priester in Ägypten »abgabenfreie Äcker als Ehrengeschenke erhalten«. Wenn wir von ›handwerklicher Technologie‹ sprechen, so ist dieser Begriff für die Antike erheblich weiter zu fassen, als wir es heute gewohnt sind. Denn als handwerklich wurden in Griechenland auch Berufe angesehen, die wir als akademische bzw. künstlerische bezeichnen würden: Ärzte, Ingenieure, Bildhauer u.ä. Im Vorderen Orient und in Ägypten bildeten diese intellektuellen Berufe eine eigene soziale Gruppe, nämlich die der ›Schreiber‹, d.h. der Gelehrten an den Tempeln und Palästen, die einen sehr viel höheren Status besaßen als die Produzenten materieller Werte für die breite Maße des Volkes. Inwieweit in Griechenland mykenische Handwerke, Fähigkeiten, Technologien und Motive bis in die archaische Zeit tradiert wurden, ist eine höchst kontrovers diskutierte Frage, auf die ich hier nicht weiter eingehen möchte. Zweifellos aber mussten gerade diejenigen Handwerke, welche die Grundlagen der hohen materiellen Kultur der archaischen Zeit schufen, wieder neu entstehen. Heute kann nicht mehr daran gezweifelt werden, dass z.B. Elfenbeinschnitzerei, Architektur, Steinbearbeitung u.a. keine ›mykenische Renaissance‹ erlebten, sondern aus dem Orient und Ägypten im 8. bis 7. Jh. ›geholt‹ wurden. Während vom 11. bis wohl bis zum Ende des 9. Jh. nur in sehr wenigen griechischen Produktionszweigen ein spezialisiertes Handwerk existierte, zeigen der Vordere Orient und Ägypten keine Unterbrechung ihrer Traditionen beim Übergang von der späten Bronze- in die frühe Eisenzeit. Das betrifft nicht nur ihre Produkte und die Verfahren ihrer Herstellung als solche, sondern auch das soziale Umfeld, in dem sie hergestellt wurden. Dieser Umstand bedingte dort das spezifische Verhältnis von Tradition und Innovation. Ganz allgemein gesagt, gehörten im Alten Orient und in Ägypten Fachkräfte jeder Art zu den wertvollsten Ressourcen eines Landes. Aus diesem Grund gehörten sie im Fall eines Krieges auch zu einer erstrebenswerten Beute des Siegers.5 Sie wurden nicht versklavt, sondern gerieten unter eine neue Verfügungsgewalt. Gerade weil man in den östlichen Ländern die Bedeutung der Handwerker für ihre Gesellschaft sehr genau wahrnahm, wurden sie so gut wie möglich geschützt und Flucht oder Abwanderung (auch Abwerbung) verhindert.6 Sie standen mehrheitlich unter staatlicher Verfügungsgewalt ohne aber Sklaven zu sein, und dementsprechend wurden sie versorgt.7 Die bronzezeitliche Gepflogenheit, dass Herrscher ihre besten Fachkräfte zeitweilig für bestimmte Aufgaben einem befreundeten Monarchen ›ausliehen‹, gab es auch noch im 1. Jt.8 Handwerker konnten ebenfalls aus 4 5 6

Hdt. 2,168. Man findet sie auf vielen assyrischen Beutelisten. Zaccagnini 1987, 250: Verträge zwischen Mursili II. und Vasallen über die Rückgabe geflohener Handwerker. Hier handelt es sich höchstwahrscheinlich um unfreie Handwerker. 7 Zaccagnini 1987, 249. 8 Hdt. 3,1: Ein ägyptischer Augenarzt, der von Amasis zu Kyros geschickt worden sein soll.

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einem untergeordneten Staat für spezielle Projekte angefordert werden.9 Es war auch möglich, dass sie als Gastgeschenke von einem Palast zum anderen weitergegeben wurden. Hier ist eine Mobilität also im Auftrag eines Regenten anzusetzen, nicht aber aus privatem Antrieb. Tatsächlich arbeiteten die altorientalischen wie auch die ägyptischen Handwerker nicht ausschließlich für den Staat und für staatliche Aufträge.10 Sie konnten mit Geschick ihr Einkommen in der Privatwirtschaft in ihrem näheren Umfeld erhöhen. Ein Handwerker lebte und arbeitete in einem jeweils sehr spezifischen Netzwerk von Akteuren, die alle aufeinander angewiesen waren. In den gesellschaftlichen und produktiven Prozessen konnte er gar kein Einzelgänger sein. Denn Produktion ist gesellschaftliches Handeln. Der Handwerker produziert nicht für sich, sondern für soziale Bedürfnisse, die real existieren und sich in Aufträgen ausdrücken. Dazu kommt, dass ein Handwerker bei seiner Arbeit, je nach dem, was er herstellt, auf eine kleinere oder größere Reihe anderer Fachkräfte aus anderen Bereichen angewiesen ist. Diese sind selbst Handwerker, Händler oder Dienstleistler verschiedener Art. Er ist ein Akteur in vielen Kreisen, die miteinander verbunden und ohne diese Netzwerke nicht zu produktiver Arbeit fähig sind.11 Dies sind die Gründe dafür, dass direkte oder auch nur indirekte Hinweise auf orientalische Wanderpriester oder überhaupt wandernde Handwerker innerhalb der altorientalischen Staaten in den Dokumenten des Vorderen Orients fehlen: sie haben gar nicht existieren können. Die Konstatierung, dass sie ihr »Wanderleben über den ganzen Alten Orient« führte, ist eine Vermutung ohne Beweise aus den Quellen.12 Eine weitere Schwachstelle dieser These liegt darin, dass sie von der heutigen Marktwirtschaft ausgeht, in der ein Arbeiter seine Arbeit zum Verkauf anbieten kann. Doch es gab damals keinen Arbeitsmarkt, weder einen lokalen noch einen internationalen, auf dem sich Fachleute selbst Aufträge holen konnten. Was hätte phönikische oder nordsyrische Handwerker zu einer Emigration veranlassen sollen, die sie in ein ›Barbarenland‹ führen würde, wo ihre Produkte und deren Nutzung weithin unbekannt waren und wo sie kaum Äquivalente erwarten konnten? Und wo, was kaum in Betracht gezogen wird, eine Sprachbarriere bestand, welche eine Arbeit nicht nur sehr schwierig, sondern einfach unmöglich machte? Bessere Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten hätte er im ägäischen Raum in der geometrischen Epoche auf jeden Fall nicht gefunden. Manchmal werden in der Literatur die häufigen Kriege im Vorderen Orient als Motivation für eine Emigration östlicher Handwerker vermutet. Tatsächlich war Syrien vom 10. bis 6. Jh. ständig von Kriegen jeder Art erschüttert. Doch wir wissen aus den Quellen von keinen Massenemigrationen. Besonders aus dem AT sind Fluchtorte in solchen ernsthaften Krisenzeiten bekannt: Man suchte sie in Gebirge und Wüsten, in denen man sich in der Hoffnung versteckte, sobald wie möglich in die Stadt und das Haus zurückzukehren. Nur Eliten flüchteten in andere, meist be9

Z.B. Schiffbauer aus Byblos in Tyros: Ez 27; oder Arbeiten des Königs von Hama: J. D. Hawkins, Corpus of Hieroglyphic Luwian Inscriptions I.2, Berlin/New York 2000, IX 11–12 HAMA 6 und 7. 10 Z.B. 1 Kg 7,13f.: der Bronzeschmied Hiram aus Tyros, der für Salomo gearbeitet haben soll. Trotz der Schwierigkeiten, welche diese Texte für die Datierung und den historischen Gehalt bieten, kann diese Angabe als allgemeine Möglichkeit, ausländische Handwerker zu beordern, der Realität im 8. oder 7. Jh. entsprechen. 11 Zu diesem soziotechnologischen Aspekt Rammert 2007. 12 Rollinger 1996, 206.

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nachbarte Länder, aber das diente in solchen Fällen als zeitweiliges politisches Asyl, das so schnell wie möglich wieder verlassen werden sollte. Das gilt noch mehr für ›intellektuelle Handwerker‹. Mit der Verbreitung von altorientalischen literarischen Motiven, Kulten und Omina hätten sie jenen entscheidenden Kulturtransfer geleistet, der zur Orientalisierenden Epoche der früharchaischen Zeit geführt habe.13 Tatsächlich gibt es keinerlei Quellen zu wandernden orientalischen Handwerkern in der gesamten griechischen Literatur. Die Versuche, indirekte Indizien dafür ausfindig zu machen, sind in keiner Weise belastbar: Wenn in dem Vertrag von Lyttos-Afrati um 500 eine Mann namens Spensithios als ποινικαστάς bezeichnet wird, so ist eine Herkunft dieses Wortes als »Reflex vermittelnder Personen« keinesfalls evident.14 Ebenso verhält es sich mit dem zweiten, vom selben Autor angeführten Dokument aus Kyrene, dessen Datierung zudem höchst unsicher ist (um 600 oder 400), in dem eine altorientalische Fluchformel erscheint. Da die nordafrikanische Küste seit dem 9. Jh. starkem phönikischem Einfluss ausgesetzt war, muss hier kein phönikischer Wanderpriester am Werk gewesen sein. Wenn man tatsächlich versucht, sich solche altorientalischen Wanderer in Griechenland vorzustellen, wird man sehr schnell skeptisch. Abgesehen von der eben aufgeworfenen Frage, warum sich Priester, Ärzte, Wahrsager, also ›intellektuelle Handwerker‹ aus dem Osten nach Griechenland aufgemacht haben könnten, ergeben sich zahlreiche weitere, kaum rational zu lösende Probleme. Denn um in Griechenland hohe geistige Werte vermitteln zu können, mussten mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Solche mutmaßlichen orientalischen ›Gelehrte‹ hätten in Griechenland einen langen und erfolgreichen Akkulturationsprozess durchlaufen müssen, um überhaupt wirken zu können. Das umfasst nicht nur die perfekte Beherrschung der Sprache, sondern auch die Kenntnisse der damaligen griechischen Kultur wie z.B. die Volksdichtung, eventuell die Anfänge des Epos (die sogenannte Oral Poetry), das Kultwesen, die Bräuche und überhaupt die Lebensweise. Andernfalls hätten sie mit den Griechen in keine Kommunikation treten können. 2. Selbst wenn wir die Existenz solcher Personen annehmen würden, blieben Mechanismus und Motivation einer Rezeption von Seiten der Griechen unerklärlich. Die Kontakte wären beliebig gewesen. Als wandernder Fremder besaß auch ein Intellektueller kein soziales Prestige, um als ›Reformer‹ wirken zu können. Durch die Reden und Gespräche mit solchen einzelnen fremden Männern, unabhängig von ihrer tatsächlichen Qualifikation, wären die damaligen Griechen, unabhängig von ihrem sozialen Rang, kaum bereit gewesen, sich in einer Umwelt Schrift, Motive der altorientalischen Literatur, Vorstellungen über die Welt und die Götter usw. anzueignen, in der solche Kenntnisse nicht notwendig waren. 3. Die Idee von einer Motivation von gebildeten Orientalen, in das noch relativ kulturarme Griechenland so etwas wie Aufklärung zu bringen, ist absurd. Die Phöniker haben auch im westlichen Mittelmeer nie eine ›Kulturpolitik‹ betrieben. 4. Wie den Produzenten materieller Werte fehlte auch solchen Orientalen das soziokulturelle und soziotechnologische Umfeld. Geistige Inhalte wurden im Osten an Tem13 14

Burkert 1983, 115–119. Rollinger 1996, 204, mit der Einschränkung »äußerst vage Vermutung«, Anm. 341 mit Literaturangaben.

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peln und in Schulen vermittelt, tradiert und erweitert. Man lehrte sie nicht wie im klassischen Athen an öffentlichen Plätzen. Und noch unwahrscheinlicher, ja absurd, ist die Vorstellung, ein phönikischer oder nordsyrischer Barde hätte in Griechenland vor einem staunenden Publikum das Gilgameš-Epos oder gar Enuma eliš in eigener griechischer Übersetzung rezitiert. Eine Voraussetzung für materielle und geistige Produkte ist in jedem Fall unabdingbar: Die Nachfrage, d.h. Auftraggeber, welche nicht nur die erhältlichen Artefakte oder geistigen Leistungen kannten, sondern auch ihre Funktionen und Anwendungen. In einer Kultur, wie sie in der früh- und mittelgeometrischen Zeit in Griechenland existierte, war aber keine Nachfrage nach kostspieligen Luxuswaren vorhanden. Es fehlten noch diejenigen aristokratischen Schichten, die für ihren Status Symbole benötigten. Die damaligen Griechen hätten solche Gegenstände nicht nur nicht bezahlen, sie hätten auch keinen wesentlichen Gewinn in ihnen erkennen können. Sie besaßen damals weder die privaten Räume, in denen sie zur Mehrung ihres Ansehens solche Importe zeigen konnten, noch öffentliche, in denen sie sich als Hochgestellte präsentieren konnten. Anders ausgedrückt: östlichen Importen fehlten jegliche soziale Relation. Erst mit der Etablierung der frühgriechischen Aristokratie begann man ein solches Netzwerk sozialer Beziehungen zwischen Standesgenossen und ›dem Volk‹ aufzubauen, in dem die Statussymbole eine immer wichtigere Rolle zu spielen begannen. Dann, und nicht früher, entwickelte sich eine Nachfrage, die zu verstärkten Importen, griechischen Imitationen und schließlich griechischen Luxusgütern führte. Damit ergaben sich neue Relationen zwischen Artefakten und Akteuren, welche sich in die soziale Entwicklung des frühen Griechenlands einschrieben. Solche Gegenstände gerieten also in neue soziotechnologische Beziehungen, auf deren Entwicklung der Orient direkt oder indirekt Einfluss genommen hatte. Einige wenige wandernde orientalische Handwerker hätten eine solche gesellschaftliche Entwicklung nicht in Gang bringen können. Nach einer anderen These waren es Griechen selbst, welche handwerkliche Fähigkeiten im Vorderen Orient und in Ägypten erworben und in Griechenland verbreitet hätten. Sie hätten im östlichen Ausland und in Ägypten die erstaunlichen Gegenstände, Skulpturen und Bauten gesehen und diese dann in ihrer Heimat hergestellt und ihr vom Osten genährtes Können als wandernde Handwerker in der ganzen griechischen Welt verbreitet. Es stellt sich zudem die Frage, ob man überhaupt wandernde Handwerker in der archaischen Zeit Griechenlands ansetzen sollte. Unter wandernden Handwerkern versteht man Fachkräfte, die aus eigenem Antrieb von Oikos zu Oikos bzw. von Polis zu Polis zogen, um ihre Dienste anzubieten. Die Grundlage dieser Vorstellung, die sich weitgehend durchgesetzt hat, kommt aus der Archäologie: Um die Verbreitung verschiedener neuer Motive, Stile und Technologien in Griechenland zu erklären, werden wandernde Handwerke vermutet, welche diese verbreitet hätten. So sollen z.B. Handwerker Ende des 8. und in der ersten Hälfte des 7. Jh. aus Kreta nach Delphi, Dodona und sogar nach Milet gewandert sein. Als Argument dienen z.B. nordsyrische, getriebene Bronzeschalen und -schilde, die einen einheitlichen Stil und eine einheitliche Technologie aufweisen.15 Doch für solch eine Verbreitung sind andere Erklärungsmuster möglich und sogar wahrscheinlicher. Zusätzliche Hinweise darauf, dass ein und dieselben Handwerkergruppen an so entfernten Orten tätig 15

Boardman 1980, 58.

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gewesen wären, wie Personennamen oder herkunftsspezifische Funde, sind bisher nicht entdeckt worden. Auch die schriftlichen Quellen können zu wandernden Handwerkern nichts Erhellendes beitragen. Es gibt zu diesem Thema eine einzige Stelle aus der Odyssee, die stereotyp als Beweis für ihre Existenz angeführt wird. Es sind Worte, die der Schweinehirte Eumaios an Antinoos, einen Freier in Odysseus’ Haus richtet, als dieser ihn tadelt, einen »störenden Bettler« zum Mahl mitgebracht zu haben: »Antinoos, obwohl du edel bist, hast du nicht gut gesprochen. Wer nämlich ruft denn einen Fremden (xeinon) von woanders her, indem er sich ihm selbst naht, außer von denen, die Demiurgen sind? Einen Wahrsagepriester oder Arzt gegen die Übel, oder einen Zimmermann, oder einen herrlichen Sänger, der mit seinen Liedern wohl erfreut. Diese nämlich sind unter den Sterblichen auf der unermesslichen Erde zu rufen.«16 Es sind mehrere Punkte, die als Argumente für fremde wandernde Handwerke angesehen werden: 1. Die Angaben über landesfremde Demiurgen: Fremde, von woanders her, »auf der unermesslichen Erde«. 2. Die Handwerker werden wegen ihres Fachwissens benötigt (κλητοί). 3. Es geht um die Handwerke eines Wahrsagers, Arztes, Zimmermanns und Sängers. Allerdings sprechen alle diese Punkte gerade nicht für wandernde Handwerker aus nicht griechischen Gebieten: Ein »Fremder« kann jeder beliebige Mann aus einem Gebiet außerhalb der eigenen Gemeinde sein; dasselbe gilt auch für das »ἄλλοθεν«, und »auf der unermesslichen Erde« ist ein epitheton ornans, das in der Odyssee öfters auftritt. Gegen nichtgriechische Fremde sprechen zudem die Handwerke des Wahrsagers und der Sängers selbst, da, wie oben schon dargelegt, solche nicht als Träger eines Kulturtransfers ausgemacht werden können. Und man würde sich fragen, warum man z.B. ausländische Zimmerleute brauchen sollte. Zweifellos gab es im damaligen Griechenland (7. Jh.) genügend gute Fachkräfte auf diesem Gebiet. Es gibt in diesen Worten des Eumaios noch nicht einmal einen Hinweis darauf, dass überhaupt wandernde Handwerker gemeint sind. Mehrere Ausdrücke weisen darauf hin, dass diese Fachleute nicht von sich aus kamen, sondern dass man sie suchen und rufen musste, um ihre Dienste in Anspruch zu nehmen: Man muss sie »rufen«, »selbst an sie herangehen«, sie »müssen gerufen werden«. Über solche abrufbare Handwerker gibt es auch in den Historien des Herodot viele Angaben, die sich auf die archaische Zeit beziehen.17 Es handelt sich durchweg um in Griechenland weithin berühmte ›Handwerker‹ (Künstler, Ärzte, Wahrsager, Sänger, Ingenieure), welche zu bestimmten Arbeiten eingeladen und aus (anscheinend) freier Entscheidung Aufträge in anderen Poleis, an Tyrannenhöfen oder Heiligtümern annehmen konnten. Sie wanderten nicht herum, sondern wurden zu Aufträgen eingeladen, wie es Homer beschreibt. Kein einziger von ihnen trägt einen fremden Namen oder wird als Nichtgrieche bezeichnet. Und noch eine weitere, späte Quelle wird oft herangezogen, um wandernde Handwerker im frühen Griechenland zu belegen. Bei dem Sophisten Flavius Philostratos (2. bis 3. Jh. 16 17

Od. 17,381–386. Z.B. Hdt. 1,51; 3,60; 3, 129–137.

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n.Chr.) wendet sich in der Vita Apollonii, der Biographie des berühmten Apollonios von Tyana, dieser an den Kapitän eines Schiffes, der viele wertvolle Gegenstände mit sich führt. Er versucht ihn zu überreden, ihn als Passagier mitzunehmen, u.a. mit der Bemerkung, dass die »alten Handwerker« nur ihre Hände, ihre Werkzeuge sowie auch kostbare Steine und Elfenbein mitnahmen, wenn sie sich zur Arbeit woandershin begaben.18 Diese Textstelle wie auch das ganze Werk besitzt offensichtlich nur einen geringen historischen Quellenwert, am wenigsten für die archaische Zeit. Die ganze Biographie ist sehr romanhaft ausgeschmückt und hat keinen historiographischen Anspruch. Der Hinweis auf die »alten Handwerker« dürfte nicht mehr als eine Floskel sein. Vor allem ist völlig offen, ob es sich um wandernde Handwerker gehandelt haben soll, die sich auf Suche nach Arbeit auf die Reise begeben haben sollen, oder ob sie Aufträgen folgten, welche sie im Ausland angenommen hatten. Reisende Handwerker müssen nicht unbedingt wandernde Handwerker sein. Um das Bild von wandernden griechischen Handwerkern zu erhärten, greift man gern zu ethnographischen Vergleichen, wo man plausible Beispiele dafür finden kann: Wandernde Schmiede, Zimmerleute usw. Diese auf die griechische Gesellschaft der geometrischen und archaischen Epochen zu übertragen, ist jedoch methodisch unzulässig, denn entweder sind die Beispiele von sogenannten ›fahrenden Völkern‹ genommen oder aus Gesellschaften, in denen zeitlich beschränktes Wandern von jungen Handwerkern üblich war. Im archaischen Griechenland sind ›fahrende Völker‹ abgesehen von der saisonal bedingten Transhumanz in einigen Gebirgsregionen nicht bekannt. Diese Hirten kommen aber kaum als Vermittler östlicher Kulturgüter in Frage. Und junge Handwerker nach Gesellenprüfung auf Wanderung hat es sicher nicht gegeben: Sie wurden im Rahmen der Familie ausgebildet und hatten dort zu arbeiten. Aber abstrahieren wir von der Vorstellung von wandernden Handwerkern in Griechenland und betrachten die Möglichkeiten einer handwerklichen Ausbildung von Griechen im Osten und in Ägypten: Nur die seit der zweiten Hälfte des 8. Jh. gegründeten Kolonien gaben auch Handwerkern die Möglichkeit, ihren Heimatort zu wechseln, aber wiederum im Rahmen der Emigration, die von ihrer Gemeinde gelenkt wurde. Wie die Phöniker in ihre Stützpunkte in der Ägäis auch Handwerker holten, so hatten Griechen dort, wo sie längerfristig und relativ kompakt zusammenwohnten, ebenfalls qualifizierte Fachleute, die das herstellten, was sie innerhalb ihres isolierten Soziums benötigten. Zwar besaßen die Griechen weder im Vorderen Orient noch in Ägypten Kolonien, aber sowohl in Naukratis und anderen ägyptischen Städten wie auch in einigen Militärlagern Südsyriens sind sie anhand schriftlicher und archäologischer Quellen bezeugt. Bis zum 6. Jh. existieren keine eindeutigen Quellen über griechische Handwerker in Ägypten. In Memphis zeigen einige karische Grabstelen deutlich einen ostionischen Stil.19 Da es sich aber um ein rein karisches Milieu handelt, ist es fraglich, ob Griechen oder doch nicht eher Karer ihre Produzenten gewesen sind. Dennoch ist mit Sicherheit zu erwarten, dass es schon früher griechische Handwerker in Ägypten gab. In Naukratis schufen sie eine griechische Umwelt mit Tempeln, Wohnhäusern, Haushaltsgegenständen usw. Es ist nicht daran zu zweifeln, dass sie zusammen mit den übrigen ostionischen Ansiedlern in diese 18 19

Philostr. Ap. 5,20. Kammerzell 1983, 134–139.

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Stadt kamen. Ihre Auftraggeber waren natürlich die maßgebenden und wohlhabenden Männer der Stadt, vermutlich Handelsherren. Man lebte in Naukratis nicht in einer abgeschirmten Enklave, sondern in einem ständigen Kontakt zu den ägyptischen Behörden und auch der ägyptischen Bevölkerung in der Umgebung. Die Kontaktsituationen und -bedingungen können nicht präzise rekonstruiert werden, doch offensichtlich existierten sie. Sicher ist es kein Zufall, dass seit der Etablierung dieses griechischen Emporions Rezeptionen aus Ägypten diejenigen aus dem Vorderen Orient übertrafen. Zumindest eine von ihnen, nämlich die Treppe eines Stufenaltars, die sich über die ganze Breitseite erstreckt, ist zum ersten Mal in Naukratis registriert, bevor sie auch in Ionien aufgenommen wurde.20 Von dort aus hat sicher ein erheblicher Transfer nach Griechenland stattgefunden. Doch ohne Berücksichtigung der jeweiligen soziotechnologischen und soziokulturellen Hintergründe kann dieser Transfer nicht erklärt werden. Zudem dürfte Naukratis nicht der einzige Ort gewesen sein, über welchen ägyptisches Wissen nach Griechenland gelangte. Eine zweite gesicherte Kontaktzone sind die südsyrischen Militärlager. Griechische Handwerker waren wahrscheinlich auch in ägyptischen und/oder judäischen militärischen Festungen tätig, wo sie vorrangig für ihre eigenen Landsleute, eventuell auch für die übrigen phönikischen und vielleicht karischen Mitbewohner des jeweiligen Camps arbeiteten.21 Diese Handwerker waren jedoch für griechische Auftraggeber oder zumindest für einen ethnisch und professionell sehr beschränkten Bereich tätig, nämlich den militärischen. Ihre Aufgaben waren Ausbesserungen von Waffen und Rüstungen und die Produktion einfacher Gegenstände für den Alltag. Innerhalb des sehr beschränkten Raumes und seiner Funktion waren sie wohl kaum in der Lage, Kontakte zu ihrer fremden Umwelt aufzubauen, wie sie zur Rezeption von komplizierten Technologien und zur Aneignung weiterer handwerklicher Fähigkeiten notwendig gewesen wären. Während also der Fluss ägyptischer Technologien in Griechenland besonders seit der Mitte des 7. Jh. mit der recht großen Präsenz von Griechen in Naukratis wie auch in anderen Städten des Landes durch griechische Handwerker, die meistens wohl langfristig dort gewohnt hatten, aber in ihre griechische Heimat zurückgekehrt waren, zu einem guten Teil zu erklären ist, bleibt Rezeption vorderorientalischer Handwerkskunst noch im Dunklen. Nach allem, was wir wissen, kamen Griechen vorwiegend als Söldner in die syrischen Staaten und nach Ägypten. Sie waren professionelle Krieger, die sicher keine handwerklichen Kenntnisse besaßen und daher auch keine Motivation, sie sich anzueignen. In solchen Gruppen, die relativ klein war, befanden sich vermutlich keine Handwerker, denn sonst hätte man archäologische Spuren von ihrer Tätigkeit finden müssen. Diese Söldner hingen höchstwahrscheinlich von den Lieferungen ihrer östlichen Auftraggeber ab. Von ihnen ist also keine Rezeption zu erwarten. Man könnte weiterhin vermuten, dass sich Handwerker aus Griechenland gezielt in den Vorderen Orient oder nach Ägypten aufgemacht hätten, um sich dort zu qualifizieren. Ein solches Szenario könnte man sich seit dem 7. Jh. vorstellen, als grundlegende Technologien in Griechenland bereits bekannt waren. Für die Anfangsstadien der Rezeptionen ist solche gezielte Selbstqualifizierung allerdings ausgeschlossen. Dazu fehlten die soziotechnologischen Voraussetzungen in ihrer Heimat, und außerdem hätten sie ohne Beherrschung 20 21

Hölbl 1984, 14. Peleg, Oren 1983, 81–93; vgl. auch Haider 2004, 451.

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der Sprache und der Kenntnisse der technologischen Abläufe und Umgebungen des Handwerks und schließlich ohne finanzielle Mittel keine Ausbildung im Ausland erhalten können. Hier wäre zu fragen, ob und wie dies überhaupt möglich gewesen sein könnte. Doch zuvor sollte man sich vor Augen führen, was der Transfer im produzierenden Handwerk beinhaltete und was für Ausmaße er besaß. Es geht hier nicht nur um kleinteilige Produkte, sondern um komplexe Produktionsorganisationen, in denen mehrere verschieden spezialisierte Handwerker eng zusammenarbeiten müssen und die Logistik des Produktionsprozesses unabdingbare Voraussetzung für das Endprodukt ist. So ist es z.B. in der Steinbearbeitung: Zunächst muss das Steinmaterial gewonnen werden, was meistens in einiger Entfernung zu den Werkstätten geschieht. Die Steinblöcke werden zunächst grob behauen und dann zum Atelier transportiert. Allein schon diese vorbereitenden Arbeitsschritte haben ihre eigenen Technologien, Organisationen und Werkzeuge, die eine lange Tradition voraussetzen.22 Danach kommt die Feinbearbeitung zu einer bestimmten Skulptur oder einem Relief. Hier treten das handwerkliche Geschick und die verschiedenen ikonographischen Traditionen in den Vordergrund. Ausschlaggebend für die Gestaltung ist der jeweilige Auftraggeber, welcher Größe, Motive und Darstellungsart bestellt. Und schließlich wird das Werk durch Bemalung, Einlagen, Aufstellungsvorrichtungen usw. fertig gestellt. Jeder dieser verschiedenen Arbeitsschritte erfordert spezialisiertes Wissen über einen Teilbereich wie auch über das Ineinandergreifen der vielen anderen Produktionsglieder, das keinesfalls über das Ansehen und Analysieren von ›Musterstücken‹ von einem Handwerker, der die Abläufe nicht kennt, nachgeahmt werden kann. Bei vielen handwerklichen Produkten einschließlich der Architektur wurden nicht nur die rein handwerklichen Fähigkeiten, d.h. die erforderlichen Handgriffe rezipiert, sondern man übernahm gleichzeitig den soziotechnologischen Kontext bzw. die entscheidenden Teile davon, sowie auch manchmal Ausschnitte von Vorstellungs- und Ideenkomplexen, die ursprünglich mit einem gegebenen Gegenstand verbunden waren. Gerade dieser sozialkulturelle ›Bestandteil‹ eines Gegenstandes dürfte oft die Motivation für eine Rezeption und den Transfer gegeben haben. Das gilt vor allem für den Sakralbau. In der griechischen Welt begann man um 700 Heiligtümer aus Stein zu errichten. Das war eine der eindrucksvollsten Innovationen zu Beginn der archaischen Epoche. Es lohnt sich daher, diesem Zweig frühgriechischen Handwerks, der zweifellos alle andere durch seinen hoch komplexen Charakter überragte, etwas genauer nachzugehen, denn dadurch können Umfang, Herkunft und Arten von Rezeptionen und Transfer deutlicher bestimmt werden. Ganz allgemein ist der Grund dafür, dass Griechen um 700 die ersten Steintempel errichteten, in der soziokulturellen Entwicklung des früharchaischen Griechenlands zu suchen: Die nun etablierte Aristokratie, die im Rahmen der Polisbildungen begann, mit politischen Mitteln Macht zu erringen und auszuüben, benötigte neue Medien für ihre Ansprüche und ihre Ideologie. Dadurch entstand die Notwendigkeit neuer architektonischer Ausdrucksmittel, die sich zweifellos auch an den damals noch gut erkennbaren bronzezeitlichen Ruinen orientierte. Tatsächlich aber lag zwischen der Idee und der Ausführung ein weiter Weg. Dass dieser Weg nicht von den lokalen Resten alter Steinbauten ausging, zeigt sich am Fehlen einer kontinuierlichen Entwicklung der Steinarchitektur wie 22

Vgl. Hölbl 1984, 5.

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überhaupt der Steinbearbeitung. Eine handwerkliche Tradition geht dann zugrunde, wenn die Produktion unterbrochen wird. Dass die archaischen Baumeister nicht an ein sichtbares mykenisches Erbe anzuknüpfen versuchten, beweisen außerdem die neuen Formen des archaischen griechischen Sakralbaus. Im ersten Viertel des 6. Jh. v.Chr. ist der beeindruckende ›Maßstabsprung‹ in der Architektur des frühen Griechenland zu beobachten: Die Bauten, die schon ab ca. 700 aus Stein errichtet waren, wurden nun monumental. Das veränderte nicht nur das äußere Erscheinungsbild der Sakralbauten, sondern verursachte eine grundlegende Veränderung ihrer Ausgestaltung und des sakralen Raumes allgemein. Dieser Maßstabsprung wird mit einer sehr gründlichen Kenntnis der ägyptischen Steinarchitektur erklärt,23 die in bescheidenen Maßen und ohne Rezeption ägyptischer kultischer Besonderheiten angewandt wurde. Mehrere handwerkliche Methoden, welche an den griechischen Bauten benutzt wurden, stammen nachweislich direkt aus Ägypten. Ich beschränke mich hier auf nur wenige Beispiele: An erster Stelle steht die Maßeinheit, die ägyptische Königselle, von der Herodot berichtet, dass sie auch auf Samos benutzt werde.24 Diese Angabe ist korrekt: Das Maß 52,3– 4cm, ist am ersten samischen Dipteros festzustellen, dessen Ausdehnung genau 100 auf 200 Ellen entspricht.25 Außerdem wurden die einzelnen Blöcke auf Samos wie in Ägypten mit Eisenklammern (Schwalben) zusammengehalten. Eine weitere für Ägypten charakteristische Bauweise ist am zweiten Dipteros von Samos zu beobachten: Nachdem der erste wohl wegen seiner zu schwachen Fundamentierung vom Einsturz bedroht war, riss man ihn ab, um den zweiten, noch um ein Vielfaches größeren zu errichten. Um die Belastbarkeit des Bodens zu verbessern, wandte man eine typisch ägyptische Methode an: Es wurde eine Grube ausgehoben, die mit einem 1m hohen Sandbett aufgefüllt wurde, und darüber schüttete man eine Kalksplittschicht. Damit war ein homogener Unterbau geschaffen, auf dem dann das eigentliche Fundament errichtet wurde.26 Solche Sandbetten unter Heiligtümern waren in Ägypten üblich und besaßen dort sogar eine kultische Bedeutung. Aus dieser Zeit stammen sicher auch verschiedene Kultlegenden über die Errichtung monumentaler Tempel. So besang Pindar den mythischen Ursprung des Apollontempels von Delphi, den Hephaistos und Athena mit Mauern und Säulen aus Bronze (vor)gebaut hätten.27 Dies ist eine der typisch altorientalischen Kultlegenden, wie sie in ganz Mesopotamien, Syrien und Anatolien verbreitet waren. Hier wäre noch kurz auf den sicherlich wichtigsten Bestandteil eines temenos einzugehen, nämlich auf den Altar. Ein temenos brauchte keinen Tempel zu umfassen, konnte aber nie ohne Altar existieren, weil dieser für das wichtigste Ritual, das Opfer, notwendig war. Die gegenseitige Bezogenheit zwischen Tempel und Altar war in Griechenland im großen Ganzen festgelegt: Der Altar befand sich im Normalfall vor dem nach Osten gerichteten Eingang des Tempels, sodass dieser beim Opfern im Rücken blieb.28 Diese Konstellation findet man auch bei den westsemitischen Tempeln. Sie ist in beiden Fällen von den Him23 24 25 26 27 28

Hölbl 1984. Hdt. 2,168. Kienast 2001, 39 Anm. 9. Kienast 2001, 38. Pind. P. 8, fr. 521,63–71 (Maehler 1989); vgl. Wesenberg 1996, 1–15. Ohnesorg 2005, 219–221.

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melsrichtungen bedingt: Die Opfergemeinde war der Sonne zugewandt, da die Rituale meist am Morgen stattfanden, und auch der Tempel mit seinem Bild wurde in dieser Tageszeit von den Strahlen durchflutet. In wieweit zusammen mit architektonischen Konzepten des Sakralbaus auch religiöse Vorstellungen und kultische Praktiken rezipiert wurden, ist noch zu erforschen. Bedeutend aber ist noch ein anderer Aspekt: Bei der Untersuchung der angewandten Technologien sollte man nicht nur das rein Handwerkliche berücksichtigen, die bei einem monumentalen Steintempel ganz andere sind als bei den kleinen Architekturformen, sondern auch die Arbeitsorganisation, die ebenfalls mit dem Maßstabsprung völlig umgestellt und neu gestaltet werden musste. Die griechischen Meister fingen damals zwar nicht von vorne an, da sie bereits Erfahrungen in der Steinbearbeitung und -verwendung gesammelt hatten, doch die Anforderungen veränderten sich wesentlich. Der Planungsphase vor dem eigentlichen Bau gingen zwangsläufig weit gefasste und genaue Überlegungen voraus, die nicht nur in der Bautechnik, sondern auch in Arithmetik, Geometrie, (empirischer) Physik u.a. umfassende und gründliche Kenntnisse voraussetzten.29 Schließlich war auch der Arbeitseinsatz zu planen, vorzubereiten und zu organisieren: die Beschaffung und der Transport des enormen Steinmaterials in und von den Steinbrüchen, die Fragen der Versorgung der Arbeiter mit Werkzeugen, sicher aber auch mit Rationen von Lebensmitteln und Getränken. Das setzt genaue Kalkulationen, d.h. Rechnungsvorgänge voraus, ohne welche die eigentliche Arbeit gar nicht hätte beginnen können. Dazu sind auch die Bearbeitung, Herstellung und Kalkulation aller anderen Bauteile wie Ziegel, Holzteile u.a. vor Ort zu berücksichtigen. H. J. Kienast gibt dazu einige Zahlen: Für das Dach des samischen Dipteros wurden 10.000 Flachziegel und nochmals 10.000 Ziegel zum Abdecken der Fugen benötigt.30 Auch hier stellt sich die Frage nach der Beschaffung des Materials, der Logistik der Herstellung und des Transports zur Baustelle. Neben den rein handwerklichen Fähigkeiten stehen also weitaus mehr Kenntnisse, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Diese fundamentalen und ingenieurwissenschaftlichen Kenntnisse traten anscheinend zusammen mit dem Beginn der Monumentalarchitektur in Griechenland auf und waren wohl von ihr bedingt. Das aber würde bedeuten, dass zusammen mit der Rezeption der Monumentalarchitektur und der vielfältigen Technologien, die für sie erforderlich sind, auch das dazu notwendige grundlegende natur- und technikwissenschaftliche Wissen in das archaische Griechenland gelangt sind. Anders lässt sich dieser ›Maßstabsprung‹ nicht erklären. Dieser Gedanke schließt natürlich nicht aus, dass bereits vorher, im 8. und 7. Jh., Kenntnisse z.B. in Mathematik, Geometrie und Physik vom Vorderen Orient oder Ägypten übernommen worden waren, allerdings eher solche Kenntnisse, welche sich nicht auf den Bau solcher riesiger Gebäude bezogen. Anhand dieser Beispiele kann man ermessen, was für einen weiten Umfang die Rezeption und der Transfer östlicher und ägyptischer Architektur und Bautechnik in historisch unwahrscheinlich kurzer Zeit seit Beginn der archaischen Epoche angenommen hatte. Wie schon hervorgehoben, liegt diesem Können auch ein enormes theoretisches Wissen zugrunde, das auf einer langen Tradition im Alten Orient und einer perfekten (was nicht bedeutet: ganz genauen) Rezeption von Seiten der Griechen beruht. Man könnte dafür den 29 30

Vgl. z.B. zum Bau des Eupalinos-Tunnels auf Samos Käppel 1999. Kienast 2001, 37.

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von Herodot beschriebenen Tunnel des Eupalinos, Sohn des Naustrophos aus Megara, auf Samos heranziehen:31 Nur aufgrund exakter und komplizierter Berechnungen war diese Ingenieurleistung möglich geworden.32 Dass ägyptische Handwerkkunst gerade zu Beginn des 6. Jh. die wichtigste Rolle bei der Entwicklung des archaischen Sakralbaus spielte, ist wegen der gut belegten Kontakte nicht verwunderlich.33 Nach literarischen und epigraphischen Quellen weiß man, dass sich einige Griechen in den höheren ägyptischen Kreisen integriert hatten. Ihnen waren die ägyptische Tradition und die Kenntnissen aus alter wie auch aus ihrer Zeit zugänglich. Man kann eine Reihe von griechischen Rezeptionen aus der ägyptischen Gedankenwelt und Lebensart auf sie zurückführen. Zwar sind diese Personen nicht in dem Kreis zu vermuten, aus dem Rezeption und Transfer von einzelnen Technologien in den verschiedenen Handwerken hervorgegangen sein könnte. Aber einen wichtigen, ja sogar entscheidenden Beitrag könnten sie dennoch geleistet haben. Dank ihrer sozialen und beruflichen Stellung hatten sie einen Eindruck und vielleicht auch persönlich erworbene Kenntnisse über das soziotechnologische Netzwerk, welches für die komplexen Produktionen wie für ein großes Bauunternehmen erforderlich war. Als höhere Zivilverwalter und Militärführer hatten sie vermutlich an Expeditionen zu den Orten teilgenommen, von denen aus die Rohstoffe zur Produktionsstätte transportiert wurden. Sie kannten ebenfalls zweifellos die Logistik solcher Bauprojekte. Es ist aber auch keineswegs abwegig anzunehmen, dass solche Griechen auch Kenntnisse in der Planung von monumentalen Bauten besaßen. In Ägypten, wie auch im Alten Mesopotamien,34 war der Bauherr von Sakralarchitektur immer der König selbst, wobei er nach altägyptischem Glauben von den Göttern beraten und kontrolliert wurde. Offiziell war immer der Pharao derjenige, der den jeweiligen Entwurf beschloss, und die Architekten waren seine Berater. Diese besaßen eine hohe Bildung und waren für die konkreten Entwürfe und die Ausführung der Projekte verantwortlich.35 Der einfache Handwerker, der Details auszuarbeiten hatte, erhielt konkrete, wohl meist durch Zeichnungen mit Maßangaben, formulierte Aufträge. Da die Bauelemente von der Tradition bestimmt waren, konnte solch ein ausgebildeter Spezialist die ihm zugeschriebenen Teile problemlos ausarbeiten. Es ist bekannt, dass sowohl der König als auch seine Architekten bei ihrer Planung auf zahlreiche Schriften zurückgreifen konnten, welche in den Tempel- und Palastbibliotheken aufbewahrt waren.36 Sie enthielten Konzepte, Entwürfe, Zeichnungen und Beschreibungen von verschiedenen Bauten. Wer in den hohen Kreisen verkehrte und Interesse daran hatte, konnte sich Zugang zu ihnen verschaffen. Somit könnten sich Griechen in wichtigen Positionen theoretisches Wissen über die ägyptische Sakralarchitektur angeeignet haben. Vielleicht sind Konzepte der Raumgestaltung und konkrete Entwürfe auf diesem Weg nach Griechenland gelangt. Doch damit sind die Rezeption der Technologien bei den Einzelschritten und der Transfer des gesamten Baukonzeptes immer noch nicht erklärt. Ein 31 32 33 34

Hdt. 3,60. Käppel 1999. Kienast 2001, 38f.; Bietak 2001. Der Ensi Gudea von Lagaš ließ sich mit einer Grundrisszeichnung, Lineal und Griffel darstellen: Dioritstaue, Louvre. 35 Heisel 1993, 76. 36 Heisel 1993, 77.

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hochgestellter Grieche in Ägypten hat natürlich keine Fähigkeiten z.B. im Bau von Terrassen oder Kapitellen erworben. Was er kannte, waren die soziotechnologischen Grundlagen solcher Vorhaben. Damit konnte er selbst Planungen vornehmen. Nach Griechenland mit solchen Kenntnissen und mit der Motivation, einen ähnlichen Bau dort zu realisieren, zurückgekeht, war auch er derjenige, der imstande war, solch ein Projekt durchzusetzen und zu organisieren. Er trat also als der Auftraggeber auf, der die Raumgestaltung, das Baumaterial und die Baugruppen maßgeblich bestimmte.37 Die kultisch einbezogenen Monumentalskulpturen der archaischen Tempel in Didyma (im temenos der Prozessionsstraße) oder auf Samos zeigen deutlich das Verhältnis zwischen Heiligtum und aristokratischen Familien, aus denen höchstwahrscheinlich auch die jeweiligen Bauherren stammten. Dennoch war es solchen auf ägyptische Art gelehrten Herren ohne Ausführende nicht möglich, Anfang des 6. Jh. riesige Bauten entstehen zu lassen. Dazu brauchten sie Fachkräfte, von denen einige im damaligen Griechenland noch nicht vorhanden waren. Die vielen, oben kurz angedeuteten bautechnischen Hinweise zeigen, dass das konkrete technologische Wissen gleichzeitig mit den neuen Konzepten nach Griechenland kam. Dafür gibt es keine andere plausible Erklärung, als dass dringend benötigte Handwerker von dem Bauherrn aus Ägypten mitgenommen wurden. Er hatte mehrere Möglichkeiten, ein solches Team von Fachkräften zusammenzustellen. Die einfachste wäre für ihn gewesen, einen in Ägypten ansässigen griechischen Handwerker für sein Vorhaben anzuheuern. Es müsste allerdings ein akkulturierter Grieche gewesen sein, dem Technologien und soziotechnologische Prozesse gut bekannt waren, also möglichst nicht aus Naukratis. Die Person eines solchen griechischen Handwerkers kann grob umrissen werden: Er kam vielleicht in der zweiten Generation aus einer griechisch-ägyptischen Familie und war von seinem ägyptischen Großvater oder einem anderen nahen Verwandten mütterlicherseits ausgebildet worden. Er war in die ägyptische Gesellschaft integriert, beherrschte aber noch die Sprache seines Vaters. Im Fall, dass er nach Griechenland zurückkehrt, hätte er die Möglichkeit, sein Wissen auf Bestellung anzuwenden und in eigener Familientradition weiter zu geben. Diese Möglichkeit des Transfers wird allerdings stark begrenzt durch das ganz andere kulturelle und soziotechnologische Umfeld in Griechenland. Nehmen wir an, er hat sich auf die Herstellung von Kapitellen spezialisiert. Diese Fähigkeit würde ihm in Griechenland nur nützen, wenn solche Kapitelle auch dort hergestellt würden, d.h. wenn er Aufträge in dieser Richtung bekommen und sich auf das notwendige Netzwerk stützen könnte, das in Ägypten vorhanden war (z.B. die Lieferung von recht genau bemessenen Rohlingen). Er muss also einen festen Platz als Akteur unter anderen Akteuren finden, also sowohl einen Auftraggeber als auch Mitakteure. Nur wenn ihm in Griechenland zumindest ähnliche Bedingungen der Logistik geboten würden, hätte er die Möglichkeit, sein Wissen einzusetzen und zu verbreiten. Eine zweite Möglichkeit bestand darin, sich spezialisierte Sklaven zu verschaffen, welche die noch bestehenden Lücken in seiner Gruppe ausfüllen konnten. Wie oben schon er37

Vgl. dazu auch die Geschichte über den Bau des Apollotempels in Delphi durch die Alkmeoniden (Hdt. 5,62): Zwar war ihnen der Bauplan von der delphischen Amphityonie vorgegeben, aber sie verwendeten besseres Baumaterial.

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wähnt, gehörten Handwerker jeder Art zur Kriegsbeute.38 War dieser hochgestellte Grieche also im Militär tätig, konnte er sich Handwerker als Beuteanteil sichern und zu seinen Sklaven machen. Solche qualifizierten Sklaven waren im Ausland aber auch käuflich zu erwerben. Eine indirekte Bestätigung für die These, dass in der archaischen Zeit ausländische Sklaven als Handwerker nach Griechenland kamen, stellen die vielen ausländischen Namen von Vasenmalern in er archaischen Epoche dar: Ezekias, Amasis, oder Ethnika, die als Sklavennamen benutzt wurden wie Lydos oder Brygos. Und einige mögliche Belege für ägyptische bzw. nubische Sklaven bei Bauarbeiten findet man in Abbildungen auf FikelluraFragmenten aus Milet. Und schließlich bestand in Ägypten und auch im Vorderen Orient für einen vermögenden Mann die Möglichkeit, mit einem Handwerkermeister einen Lehrvertrag für seine griechischen Sklaven oder sonstigen Unterstellte abzuschließen.39 Somit konnte er sich auch die Handwerker verschaffen, die er meinte, nach seiner Rückkehr beschäftigen zu können. Das dürfte aber nur solche spezialisierte Handwerke betreffen, für deren Aneignung es genügte, die Sprache, nicht aber unbedingt auch die Schrift zu beherrschen. Alle diese denkbaren Möglichkeiten haben einen gemeinsamen Nenner, der im Charakter der Hauptakteure liegt: Nur ein im Ausland ausgebildeter Handwerker konnte spezialisierte Kenntnisse und Fertigkeiten rezipieren und in Griechenland verbreiten. Dass Kaufleute einen solchen Transfer geleistet hätten, ist absolut unmöglich. Mindestens genauso wichtig war der übergeordnete Akteur, der Mann, welcher Resultate und Funktionen der Artefakte und die Planungen und Organisationen der gesamten Arbeitsprozesse kannte. Seine entscheidende Rolle liegt in der Initiative des Transfers, den er selbst nur organisatorisch zu leisten imstande war. Er musste versuchen, das Wissen über die wichtigsten Bestandteile einer komplexen Produktion in ihren verschiedenen Arbeitsteilungen und Arbeitsschritten seinen Landsleuten in Griechenland zu vermitteln, wobei er sich zunächst solcher im Ausland ausgebildeter Handwerker bediente. Er wird dann versucht haben, mit den vorhandenen Möglichkeiten ein Netzwerk zu schaffen, das zwar nicht dem im Ausland genau entsprechen konnte, aber imstande war, komplexe, arbeitsteilige Produkte herzustellen. Wie ein Transfer ohne fremde Fachkräfte aussah, können wir vermutlich im Grabhaus aus Lefkandi besichtigen: Die außergewöhnliche Planung wurde offensichtlich von dem Auftraggeber, dem Herrn von Lefkandi erstellt, doch die einheimischen Arbeiter konnten nur das bauen, was sie in ihrer Tradition gelernt hatten. Ähnlich hat man sich den Transfer von handwerklichen Technologien auch in den Jahrhunderten davor vorzustellen, als diese vorwiegend aus Nordsyrien stammten. Das sind zwar Hypothesen, aber keine reine Spekulationen, wenn man den kulturellen und gesellschaftlichen Hintergrund im Vorderen Orient und in Ägypten sowie auch die schnelle Verbreitung theoretischer Kenntnisse im archaischen Griechenland berücksichtigt. Der Transfer handwerklichen Könnens besaß je nach der Art der spezialisierten Produktion sehr unterschiedliche Voraussetzungen der Rezeption und Motivationen und immer einen sehr komplizierten Transfer. Die Rezeptionen auf allen diesen unterschiedlichen 38

Sehr bezeichnend ist in dieser Hinsicht die Beuteliste des Esarhaddon nach seinem Sieg über Ägypten, auf der verschiedene Kunsthandwerker, Ärzte und Wahrsager vorkommen. Leider wird ihre Zahl nicht genannt. Vgl. Onasch 1994, 59. 39 Klengel 1989, 394.

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sozialen Ebenen kamen zwangsläufig durch persönliche, verbale Kontakte und einen langfristigen Aufenthalt im Ausland zustande. Wandernde Handwerker hätten all das nicht leisten können. Iris von Bredow Jahnstr. 107, D-74321 Bietigheim-Bissingen [email protected]

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Verschiebungen eines Mythos im Mittelmeerraum Aiaia, die Insel der Kirke

Aiaia, die Insel der Kirke, ist ein Beispiel dafür, welche historisch-geographischen Folgen die wechselnde Verortung eines mythische Eilands haben konnte: Einerseits zeigen die verschiedenen Positionsbestimmungen von Aiaia vom fernsten Osten bis zum fernsten Westen, in welcher Form der Mythos auf die jeweils aktuellen historisch-politischen Bedürfnisse antwortete. Andererseits – und das ist mit dem ersten Punkt eng verbunden – bietet die Überlieferung über die Heimat der Kirke Anhaltspunkte für einen Vergleich mit der Lage der Inseln des Sonnengottes bei Arrian. Hierbei sind die Nachrichten über die Insel Nosala in der Indiké von besonderem Interesse. Wie bekannt, bewahrt der arrianische Text wohl den Reisebericht des Nearchos,1 eines hetairos Alexanders d.Gr., der in den Jahren 324–323 v.Chr. als Kommandant der See-Expedition von der Indus-Mündung bis nach Susa vorstand.

1.1 Die Insel Aiaia im Osten Die Zauberin Kirke2 ist nach Homer – Od. 10,135–139 – Schwester des Aietes sowie Tochter des Sonnengottes und der Okeanostochter Perse. 1

Für Nearchos und Arrians Indiké vgl.: W. Capelle, Nearchos (1), in: RE 32, 1935, 2132–2154; L. Pearson, The lost histories of Alexander the Great, Cleveland 1960, 112–149; G. Wirth, Nearchos der Flottenchef, in: Acta Conventus XI Eirene, Wroclaw 1971, 615–639; E. Badian, Nearchus the Cretan, in: YClS 24, 1975, 147–170; P. Pédech, Historiens compagnons d’Alexandre, Paris 1984, 159–214; A. B. Bosworth, A historical Commentary on Arrian’s history of Alexander, I Commentary on Books IV–V, Oxford 1995, 361–365; C. F. Lehmann-Haupt, Νεάρχος Nr. 61: in: J. Papastavru (Hg.), Amphipolis. Geschichte und Prosopographie, Leipzig 1936 (Klio Beiheft 37), 117–137; N. Biffi, L’Indiké di Arriano, Bari 2000; C. Dognini, L’Indiké di Arriano. Commento storico, Alessandria 2000; V. Bucciantini, L’Isola del Sole nel Periplo di Nearco: problemi d’identificazione e di rappresentazione, in: Orbis Terrarum 8, 2002, 49–58; A. P. Gadaleta, La vita di Nearco di Creta, in: Annali della Facoltà di Lettere e Filosofia Università di Bari 51, 2008, 63–94; V. Bucciantini, Die heiligen Inseln der Küstenfahrt des Nearchos, in: E. Olshausen, V. Sauer (Hg.), Die Landschaft und die Religion. 9. Internationales Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums in Stuttgart, 4.–8. Mai 2005, Stuttgart 2009 (Geographica Historica 26), 61–68. 2 E. Bethe, Kirke, in: RE 11.1, 1921, 501–505; B. Paetz, Kirke und Odysseus. Überlieferung und Deutung von Homer bis Calderón, Berlin 1970, 11–18; A. Ballabriga, Le Soleil et le Tartare. L’image du monde en Grece archaique, Paris 1986, 110–114, 126–132; P. Janni, Miti e falsi miti, Bari 2004, 43–44; G. Cursaru, Entre l’Est et l’Ouest, à midi. Structures spatio-temporelles dans l’île de Circé, in: Les Études Classiques 76, 2008, 39–64.

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Die »bezaubernde Aiaia« (Αἰαίη δολόεσσα) wird zum ersten Mal Od. 9,32 erwähnt,3 wenn Odysseus den Phäaken von den Hindernissen berichtet, die sich ihm bei dem Versuch, nach Ithaka zurückzukehren, entgegengestellt hatten. Die Zauberin Kirke war eines dieser Hindernisse. Der Wohnsitz der Kirke ist die Insel Aiaia (Αἰαίη)4 – in der Odyssee (10,135f.; 12,268; 12,273) wie in den Argonautika des Apollonios Rhodios (4,559; 4,661).5 Umstritten ist die Lage der Insel: Für das incipit des zwölften Buches der Odyssee (12,1–6) liegt sie im Osten, wo »der rosigen Eos Reigenplätze und Haus und Helios leuchtender Aufgang [liegen]«6 und wo Odysseus am Ende einer Seefahrt auf dem Fluss Okeanos den Ausgang aus dem Reich der Toten erreicht (11,638–640). Odysseus war in diesem Reich am Ende einer einen Tag lang dauernden Kreuzfahrt, die ihn von der Wohnstatt der Kirke in das Land der Kimmerier führte und dann zum Eingang in das Jenseits, wohin ihm der Weg durch die Zauberin gewiesen worden war (11,1–18). Lesky,7 kommt in seiner Studie über das Land Aia zu dem Schluss, dass die Überlieferung die Insel Aiaia klar im Osten lokalisiere,8 der einzigen Heimstatt des Sonnengottes. Wie schwer hinsichtlich der Verortung Aiaias und der Heimat der Kirke das Zeugnis der homerischen Dichtung wog und die hellenistischen Interpretationen beeinflusste, erhellen Strabons prolegomena, wo dieser gegen die Interpretation des Eratosthenes polemisiert: Der Alexandriner hatte jeglicher Bestätigung homerischer Angaben für geographische Gebiete ausserhalb des Homer bekannten Mittelmeerraums die Berechtigung abgesprochen.9 Die bekannte ›Verteidugung‹ Homers durch Strabon ist das Ergebnis einer Diskussion, in der Krates von Mallos die geographischen Kenntnisse des Dichters verteidigt und sogar

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Für eine aktuelle Diskussion zur Bedeutung des Kirke-Mythos vgl. M. Bettini, C. Franco, Il mito di Circe: immagini e racconti dalla Grecia a oggi, Torino 2010, 31–46. Zugrundegelegt wird hier die Beobachtung von U. von Wilamowitz-Moellendorff, Homerische Untersuchungen, Berlin 1884, 165: »es ist unmöglich Aiaia von Aia zu trennen«. Vgl. auch Apollonios Sophistes, Lexicon Hom. 13,15–17; Ps.-Apollod. 134,10; Hesych. 1662,1. Übers. Von Scheffer 1938. A. Lesky, Aia, in: Wiener Studien 63, 1948, 22–68. Für die Behauptungen einer östlichen Verortung von Aia vgl. auch L. Pareti, Omero e a realtà storica, Milano 1959, 70–85. Lesky analysierte: Pherekydes 3 F 18J.; Eur., Phaeton fr. 771–773 N 2; Aischyl., Prometheus 808; Aischyl., Prometheus lyomenos fr. 192 N 2; Stesich. fr. 6D (185 Page). Die gleichen Texten wurden von G. Arrighetti, Cosmologia mitica di Omero e Esiodo, in: Studi classici e orientali 15, 1966, 1–60, hier 23, diskutiert; er lokalisiert Aiaia aber im Westen. S. Bianchetti, Geografia storica del mondo antico, Bologna 2008, 14. Für die Verteidigung Homers bei Strabon vgl.: A. M. Biraschi, Strabone e la difesa di Omero nei Prolegomena, in: F. Prontera (Hg.), Strabone. Contributi allo studio della personalità e dell’ opera, Perugia 1984, 127–153; ders., Dai ›Prolegomena‹ all’Italia: premesse teoriche e tradizione, in: G. Maddoli (Hg.), Strabone e l’Italia antica. Incontri perugini di Storia della Storiografia antica e sul mondo antico 1987 Acquasparta, Napoli 1988, 134–139; F. Prontera, Sull’esegesi ellenistica della geografia omerica, in: G. W. Most, H. Petersmann, A. M. Ritter (Hg.), Philantropia kai Eusebeia. Festschrift A. Dihle zum 70. Geburstag, Göttingen, 1993, 389–394; A. Trachsel, Le géographe Ératosthène contre Homère: un choix de Strabon?, in: C. Cusset, H. Frangoulis (Hg.), Eratosthène. Un athlète du savoir, Saint-Etienne 2008, 105–119, besonders 112–117; A. M. Biraschi, Demetrios von Skepsis (2013), Die Fragmente der Griechischen Historiker continued Part V. Editor in Chief: H.-J. Gehrke, Leiden, Brillonline, 2011.

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über einen exokeanismos des Odysseus, bei dem dieser die Säulen des Herakles passiert habe, spekuliert hatte.10 In 1,2,40 C46f. meint Strabon, dass Homer Kirke dem Modell der Zauberin Medea nachgestaltet hätte und fügt hinzu, dass der exokeanismos ein vom Dichter hinzugefügtes wunderbares Element darstelle, um die Geschichte überzeugender zu gestalten. Der Geograph, der den Spuren des möglichen Weges von Jason und den Argonauten nachgeht, bestreitet die Behauptungen des Demetrios von Skepsis, der diesen für unwahrscheinlich gehalten hatte. Dann zitiert Strabon die Verse des Mimnermos,11 von denen die Zweifel des Demetrios12 genährt worden waren: »Er zog hin in die Stadt des Aietes, wo selbst der eilenden Sonne glühende Strahlen verwahrt liegen im goldenen Saal an des Okeanos Strand; hier landet der göttliche Jason«.13 Demetrios hatte angenommen, dass Homer die Expedition Jasons zum Phasis ignoriert habe und damit auch die Grundlage für den Kult der Rhea, deren Riten Demetrios in Phrygien und in der Troas lokalisierte. In 1,2,10 C20 meint Strabon in der Verteidigung Homers gegen die Angriffe des Eratosthenes und des Apollodorus im Zusammenhang mit der homerischen Geographie, dass Medea und Kirke beide, die eine in der Pontosregion, die andere in Italien, außerhalb des Okeanos wohnen würden. Er versucht auch eine Erklärung für diesen exokeanismos,14 da der Pontos als eine Art von »anderem Ozean« (ἄλλον ὠκεανὸν 1,2,10 C20) angesehen wurde, war, sich in den Pontos – nicht zufällig als »das Meer« par excellence bezeichnet – zu wagen wie sich über die Säulen des Herakles hinaus zu wagen. Es wäre daher eine plausible Erklärung, dass der Dichter zwei Lagebestimmungen des Okeanos auf der Grundlage der alten Gleichsetzung Ozean=Pontos vorgeschlagen hatte.

1.2 Die Insel Aiaia in Kolchis Eine weiterere Richtung der Tradition stellt sich die Aiaia-Insel in Kolchis vor, worüber wir von Apollonios Rhodios unter Bezug auf die Worte des Aietes an die Enkel hören (Arg. 3,309–313): »Denn ich wußte es, weil ich einst im Wagen meines Vaters Helios mitgefahren

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H. J. M. Mette, Sphairopoiia. Untersuchungen zur Kosmologie des Krates von Pergamon, München 1936; M. Broggiato, Cratete di Mallo, I frammenti, Edizione, Introduzione e note, La Spezia, 2001. Mimn. Fr. 11 Bergk=Fr. 11a West: Αἰήταο πόλιν, τόθι τ᾿ ὠκέος ἠελίοιο / ἀκτῖνες χρυσέῳ κείαται ἐν θαλάμῳ, / Ὠκεανοῦ παρὰ χεῖλος, ἵν᾿ ᾤχετο θεῖος Ἰήσων. Vgl. auch: A. Allen, The fragments of Mimnermus, Text and commentary, Stuttgart 1993, 89f. Strab. 1,2,40 C46f.: »Wäre es dagegen so gewesen wie der Skepsier behauptet, indem er sich auf Mimnermos beruft, der den Wohnsitz des Aietes am Ozean beim Sonnenaufgang ansetzt und sagt, Iason sei von Pelias hinaus geschickt worden und habe das Vlies zurückgebracht, dann wäre erstens das Schicken dorthin, um das Vlies zu holen, nicht glaubhaft, da das Ziel unbekannt und unbedeutend gewesen wäre, und außerdem könnte eine Fahrt durch öde, unbewohnte und so weit von den unseren abgelegene Gegenden weder berühmt noch ›allbesungen‹ heißen«. (Übers. Radt 2002). Übers. Franyo, Gan 1981. Für die Verortung der homerischen Geographie in der Ostsee vgl.: F. Vinci, Saggio sulla geografia omerica, Roma 1995; F. Vinci, Omero nel Baltico. Le origini nordiche dell’Odissea e dell’Iliade, Roma 2008.

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bin, als er meine Schwester Kirke in westliche Lande brachte: Wir gelangten an die Küste des tyrrenischen Landes, wo sie auch jetzt noch wohnt, sehr weit entfernt vom kolchischen Aia«.15 Diodor wiederum (4,45) sagt im Kontext der Argonautengeschichte, dass Kirke eine Schwester der Medea war. Verheiratet mit dem König der Sarmaten, die manche Skythen nennen, hatte sie es dank der Fähigkeit, Gifte zu mischen, geschafft, ihren Mann zu vergiften, um ihm auf dem Throne nachzufolgen. Wegen so viel Gewalt und Grausamkeit sei sie aber aus dem Königreich vertrieben worden. Es wäre interessant, sich die Route, die Kirke von Sarmatien/Skythien zum Ozean genommen haben könnte, vorzustellen, oder dem Weg zu folgen, der sie nach Italien geführt haben könnte. Es ist nicht schwer, in den Aussagen Diodors die Spuren einer Lesart der Argonautensage zu identifizieren, die von Timaios – explizit in 4,56 erwähnt – herrührt, und vom nostos des Jason handelt, der von Tanais zum Ozean fährt und, nach langer Reise, durch die Säulen des Herakles in das Mittelmeer und dann nach Italien und Sizilien gelangt.16 Diese Art der Kombination eines östlichen und eines westlichen Wohnsitzes der Kirke, abhängig von der Geschichte Jasons, ist in einem Zweig der Überlieferung versammelt,17 Circaeum in Kolchis lokalisiert18 (was Timaios bestätigt) sowie im Tyrrhenischen Meer.19 Der Doppel-Lokalisierung liegt aller Wahrscheinlichkeit nach der Versuch zugrunde, die Sagenkreise um Odysseus und um Jason zusammenzuführen. Über den Mythos wird schrittweise eine Geographie aufgebaut, die im Einklang mit der durch die Expansion der Griechen neu erlangten Weltkenntnis steht.

1.3 Die Insel Aiaia im Tyrrhenischen Meer Noch eine weiterere Richtung der Tradition stellt sich die Aiaia-Insel im Tyrrhenischen Meer vor. Diese lernen wir bei Hesiod20 kennen: Agrios und Latinos, die Kinder von Odysseus und Kirke, herrschten über die Tyrrhener, ein Volk, mit dem die Griechen in alter Zeit in Berührung gekommen waren, als sie Etrurien auf der Suche nach Metallvorkommen erreicht hatten.

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Übers. Glei, Natzel-Glei, 1996. Cfr. FGrH 566 F 84, 6. Über diese Seeroute und mögliche Verbindungen mit dem Periplus des Pytheas vgl. S. Bianchetti, Pitea di Massalia, L’oceano. Introduzione, testo, traduzione e commento, Pisa 1998, 65–67. Schol. Ap. Rhod. 2,399: Κίρκαιον δὲ τόπος ἐστὶ τῆς Κολχίδος ἀπὸ Κίρκης τῆς Αἰήτου ἀδελφῆς ἢ πεδίον. οὐ δύναται δὲ ἀπὸ τῆς ἑτέρας Κίρκης ὠνομάσθαι· ἐγένοντο γὰρ Κίρκαι δύο, περὶ ὧν ἐν τοῖς ἑξῆς ἐροῦμεν. καὶ Τίμαιος (FGrH 566 F 84,6) δέ φησι πεδίον ἐν Κόλχοις εἶναι Κίρκαιον. Circaeum ist auch bei Plin. nat. 6,13 in Kolchis: oritur in Moschis, navigatur quamlibet magnis navigiis XXXVIII·D p., inde minoribus longo spatio, pontibus CXX pervius. Oppida in ripis habuit conplura, celeberrima Tyndarida, Circaeum, Cygnum et in faucibus Phasim. Schol. Od. 10,32. Hes. theog. 1011–1016.

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Es ist ebenfalls Strabon21 im Kontext der Polemik gegen Eratosthenes, der berichtet, der Alexandriner habe geglaubt, dass Hesiod im homerischen Text die Erwähnung Siziliens und Italiens als Schauplatz der Irrfahrten des Odysseus gefunden hätte. Hesiod hätte die Verweise auf den Ätna und die Insel Ortygia hinzugefügt, während Homer – immer Eratosthenes zufolge – nichts von diesen Orten gewusst hätte und die Episoden der Irrfahrten nicht nach bekannten Orten stattfinden lassen wollte. Hier sind wir mit einem ›update‹ der homerischen Geographie konfrontiert, und zwar – was auch die Forschung der letzten Jahrzehnte nahelegt – einer Neubewertung der homerischen Angaben aus euböischer Perspektive. Besonders Braccesis 22 Studien haben eine präzise Verbindung zwischen den westlichen von Odysseus besuchten Schauplätzen und dem stufenweisen Fortschritt der Handels- und Kolonialmacht von Euböa aufgezeigt. Der euböischen Sichtweise sollten wir also eine neue ›westliche‹, dabei ziemlich frühe (8.–7. Jh. v.Chr.) Interpretation des odysseischen nostos zuschreiben. Kerkyra, die Meerenge von Messina, das Gebiet nordöstlich von Sizilien, in dem die Rinder des Sonnengottes weiden und wo die Kyklopen und die Laistrygonen leben, die Insel Lipari, Standort des Palastes von Aiolos, das Vorgebirge von Sorrent mit den Sirenen und das Gebiet der Phlegräischen Felder mit dem Zugang zur Unterwelt, das Vorgebirge Circeo, dessen Name an den Namen der Zauberin Kirke erinnert, alle diese Orte scheinen in Verbindung zu stehen mit den Routen und Aktivitäten der euböischen Kolonisation, auf die die erste Kodifizierung der westlichen Geographie in der Odyssee gegründet wäre. Eine tyrrhenische Lokalisierung der Insel Aiaia findet sich auch bei Apollonios Rhodios (4,659–664):23 »Rasch fuhren sie von dort durch die Wogen des Ausonischen Meeres, in Sichtweite der tyrsenischen Küste, und kamen zum bekannten Hafen der Kirkeinsel; sie warfen die Haltetaue vom Schiff direkt ans Ufer. Dort trafen sie Kirke an, wie sie ihr Haupt im Wasser des Meeres reinwusch, denn sie war durch nächtliche Träume sehr geänstigt worden«.24 Livrea zufolge25 würde Apollonios Aiaia mit dem Monte Circeo, der zuerst von Skylax26 und Theophrast27 erwähnt wird, identifizieren: In den Argonautika sollte man deshalb die Heimat der Kirke am Monte Circeo28 von der Hauptstadt des Reiches des Aietes, am rechten Ufer des Phasis in Kolchis29 gelegen, unterscheiden.

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Strab. 1,2,14 C23. L. Braccesi, I Greci delle periferie dal Danubio all’Atlantico, 2003, 20–24. Vgl. auch: Apoll. Rhod. 4,850f.: ἀκτὴν Αἰαίης Τυρσηνίδος ἠπείροιο; Schol. Apoll. Rhod. 3,1074; Schol. Apoll. Rhod. 4,277. Für die Geographie von Apollonios Rhodios vgl. E. Delage, La géographie dans les Argonautiques d’Apollonios de Rhodes, Paris 1930, 186–190; J. Ramin, Mythologie et géographie, Paris 1978, 95–103. Übers. Glei, Natzel-Glei, 1996. E. Livrea (ed.), Apollonii Rhodii, Agonauticon Liber Quartus, Firenze 1973, 202. GGM I, S. 19, §8: ΛΑΤΙΝΟΙ. Τυρρηνίας ἔχονται Λατῖνοι μέχρι τοῦ Κιρκαίου. Vgl. A. Peretti, Il periplo di Scilace. Studio sul primo portolano del Mediterraneo, Pisa 1979, 88. Theophr. h.plant. 5,8,4. C. Ampolo, La ricezione dei miti greci nel Lazio: l’esempio di Elpenore ed Ulisse al Circeo, in: La Parola del Passato 49, 1994, 268–279, hier 269. Vgl. Apoll. Rhod. 4,131f.

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Es wurden auch andere Hypothesen zur Lokalisierung von Aiaia im Mittelmeerraum aufgestellt, so wurde sie etwa mit den Inseln Ponza,30 Ustica31 und Ithaka32 identifiziert. Der letztgenannte Ansatz, den Warnecke 33 verfolgt, ist hinsichtlich der möglichen Konsequenzen besonders interessant. Warnecke denkt, dass die Insel Aiaia ein Drehund Angelpunkt für das Verständnis der Odyssee im Allgemeinen und der Irrfahrt im Speziellen ist: Der Inselname Aiaia dürfte danach ein von Odysseus gewähltes Pseudonym für seine Heimatinsel – Ithaka – sein,34 und Kirke könnte ein Deckname für Penelope sein. Warnecke zufolge manifestiert sich in der Erzählung von der fiktiven Irrfahrt des Odysseus die Öffnung des geographischen Horizontes der Griechen zum Westen hin. Diese erstaunliche Erweiterung des Gesichtskreises während des homerischen Zeitalters, die zur griechischen Kolonisation Süditaliens und Siziliens führte, wäre »die eigentliche Botschaft der Aiaia-Geschichte«.

1.4 Die Insel Aiaia im Westen Es wurde schließlich auch eine Lokalisierung im äußersten Westen vorgeschlagen: Homer band an die Figur der Kirke die der Kalypso,35 woraufhin Dion vorgeschlagen hat,36 die Insel Aiaia an den westlichen Grenzen zu lokalisieren. Eine Tagesfahrt trennt Kirke vom Ozean (Od. 11,10–13). Dion zufolge wäre auch Kalypso nicht weit davon entfernt, weil ihr Wohnsitz, wie der ihres Vaters Atlas,37 bei dem sie lebt, an den westlichen Grenzen der Oikoumene gelegen sei. So sollte Dion 38 zufolge die Insel Aiaia, die Heimat der Kirke (Od. 10,135–139), an der südiberischen Küste in der Region Malaga lokalisiert werden. In diesem Fall haben wir es wiederum mit einer neuen Interpretation Homers zu tun, hervorgerufen durch eine Initialzündung politisch-ökonomischer Art: Im 7. Jh. v.Chr. reift bei den Griechen in Asien ein starkes Interesse an der westlichen Region (vgl. Hdt. 1,163), wo die phönizische Konkurrenz wesentliche Impulse zur griechischen Expansion lieferte. Spuren dieser frühen griechischen Ansprüche auf die westlichen Gegenden personalisieren sich auf der Ebene der Mythen in Gestalten wie Kirke oder Kalypsos und ihrer Verortung im Westen.39 30 31

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34 35 36 37 38

V. Beltrami, H. Proto, G. M. Beltrami, Presenza romana nelle isole ponziane, in: L’Africa romana, XIV Sassari 2000, Roma 2002, 1005–1016, hier 1006. A. Wolf, H. H. Wolf, Die wirkliche Reise des Odysseus. Zur Rekonstruktion des Homerischen Weltbildes, neu bearb. Ausg., München 1990, 49–53; A. Wolf, Homers Reise. Auf den Spuren des Odysseus, Köln/Weimar 2009, 52–56. Bei A. Wolf, H. H. Wolf 1990, 143–206 gibt es auch eine Zusammenfassung der Theorien über die Reise des Odysseus: 1 – Mittelmeer (a – Sizilien, b – Latium-Toskana); 2 – Schwarzes Meer; 3 – Ostsee (mit dem so genannten Exokeanismos); 4 – Der Skeptizismus, der jegliche Lokalisierung der Reise des Odysseus für unbegründet hält. H. Warnecke, Homers wilder Westen: die historisch-geographische Wiedergeburt der Odyssee, Stuttgart 2008. Warnecke (wie Anm. 32), 147: »Immerhin liegt auch der Ausgangspunkt der Irrfahrtserzählung nicht in der Märchenwelt, sondern im ägäischen Erdraum.« Er denkt auch, dass für den OdysseeDichter keineswegs ein Aiaia im Osten und ein zweites Aiaia im Westen existiert. Warnecke (wie Anm. 32), 201 Anm. 1280: vgl. Od. 10,415–419; 425–427. Od. 9,29–32. R. Dion, Aspects politiques de la géographie antique, Paris 1977, 135, 145–149. Od. 1,52; 5,43–57. Dion (wie Anm. 36), 136, Abb. 6.

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2. Aiaia im Vergleich mit der Zauberinsel Nosala Es ist nun zu überprüfen, ob die östliche Lokalisierung der Insel in der arrianischen Beschreibung der Zauberinsel Nosala, einer wichtigen Etappe der Seereise des Nearchos, ein Echo gefunden hat (vgl. Abb.). Die Flotte, die der Admiral führt, erreicht nach der Fahrt entlang der Küste der Araber und Oreiten die Küste der Ichthyophagen. An dieser Stelle der Erzählung fügt der Historiker von Nikomedia einen langen Exkurs ein. Er erklärt zunächst die Sitten und Gebräuche der Ichtyophagen (Arr. Ind. 29,9–16), während er in den beiden folgenden Kapiteln (Ind. 30f.) θαυμάσια beschreibt: die Begegnung mit den Walen nach dem Verlassen von Kyzikos (Ind. 30,1–9) und die Sichtung der Sonneninsel (Ind. 31,1–9): Als sie am Lande der ›Fischesser‹ vorbeifuhren, hörten sie einen Bericht über eine Insel, die dort etwa 100 Stadien vom Festland entfernt liegt und nicht bewohnt wird. (2) Die Bewohner des Landes sagten, sie sei dem Helios heilig und heiße Nosala. Kein Mensch wolle dort an Land gehen; wer sie jedoch aus Unkenntnis betrete, werde unsichtbar. (3) Nearch berichtet, ein Boot mit einer ägytischen Besatzung sei nicht weit von der Insel verschwunden. Und dazu versicherten die Lotsen, daß sie bei ihrer Landung aus Unkenntnis verschollen seien. (4) Nearch schickte nun einen Dreißigruderer im Kreis um die Insel herum und befahl, nicht zu landen, sondern nach den Menschen zu rufen, indem sie möglichst nahe vorbeiführen und den Steuermann und andere, deren Namen bekannt waren, beim Namen zu rufen. (5) Als niemand antwortete, sei er selbst zur Insel gefahren, wie er berichtet, und habe die Seeleute gegen ihren Willen zu landen gezwungen. Dann sei er selbst an Land gegangen und habe das Gerücht über die Insel als leeres Geschwätz erwiesen. (6) Er habe weiterhin noch einen anderen Bericht über diese Insel gehört, daß sie nämlich von einer Nereide bewohnt werde, den Namen der Nereide habe man ihm jedoch nicht mitgeteilt. Wer immer sich der Insel nähere, den mache sie zu ihrem Liebhaber, verwandle ihn jedoch vom Menschen zum Fisch und werfe ihn ins Meer. (7) Helios habe sich über die Nereide erzürnt und ihr befohlen, die Insel zu verlassen. Sie habe der Aussiedlung zugestimmt, jedoch darum gebeten, sie von ihrem Fluch zu erlösen. (8) Helios habe eingewilligt und habe aus Mitleid die von ihr in Fische verwandelten Menschen wiederum aus Fischen zu Menschen gemacht. Von diesen stamme das Volk der ›Fischesser‹ ab und bestehe bis in die Zeit Alexanders.40

Die historisch-geographischen Problemen in Verbindung mit der Identifizierung von Nosala habe ich an anderer Stelle behandelt.41 Ich nehme an, dass die Insel weder mit Karnine (Ind. 26,6) noch mit der von Philostratos erwähnten Insel Selera (Ap. 3,56) identifiziert werden kann, sondern dass sie sich wohl einer exakten Positionsbestimmung entzieht: Die Insel hat im Periplus Nearchs eine psychagogische Funktion für die Mannschaft und ist von eher symbolischer Bedeutung, was verstärkt würde, wenn – wie ich zu zeigen hoffe – im nearchischen Werk die evokative Funktion Vorrang vor der rein geographischen Bestimmung hätte.

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Dion (wie Anm. 36), 39 Anm. 71 betont, wie archäologische Funde diese Idee stützen: In der phönizischen Nekropole von Almunecar wurden zwei korinthischen Skyphoi gefunden, die in die erste Hälfte des 7. Jh. v.Chr. datiert werden können. Vgl. J. P. Morel, Les Phocéens en Occident, in: La Parola del Passato 21, 1966, 378–420. 40 Übers. Wirth, von Hinüber 1985. 41 Bucciantini 2002 (wie Anm. 1).

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Einige Elemente scheinen mir in Bezug auf einen möglichen Vergleich mit der homerischen Insel der Kirke hier hervorhebenswert: – Auf der heiligen Insel der Sonne lebt eine Nereide, Tochter des Nereus und der Doris, Tochter des Okeanos. Auch Kirke ist eine Tochter der Sonne und der Perse, wiederum einer Okeanos-Tochter. Über ihre Mütter Doris und Perse, beide Okeaniden, sind Kirke und die Nereide Kusinen. – Die nearchische Nereide verwandelt die Menschen in Fische, während Kirke sie in Schweine verwandelt. Im nearchischen Bericht, der verschiedene homerische Elemente aufweist, bewirkt der Sonnengott, der Vater der Nereide, die Rückverwandlung in Menschen, womit gleich eine Begründung für die Bezeichnung ›Ichthyophagen‹ gegeben wird.42 In Hinblick auf ›homerische Elemente‹ im Periplus scheint mindestens eine weitere Passage der Indiké Zeichen dieser Homer-Lektüre erkennen zu lassen, und zwar die Beschreibung des Treffens zwischen Nearch und Alexander in Karmanien. Dies ist ein entscheidender Punkt der Erzählung, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Beschreibung fast 1/6 der Indiké (33,5–36,9) abdeckt und in der Mitte der Seereise erscheint, für die sie einen wichtigen Meilenstein darstellt. Das Schema dieses zweiten Treffens zwischen dem makedonischen König und Nearch stellt sich folgendermaßen dar: 33,3–6: Zusammentreffen von Nearchs Seeleuten, die auf der Suche nach Wasser ausgezogen waren, mit einem Griechen aus dem Lager Alexanders 33,7–10: Informationen, aufgrund derer Nearch den Entschluss fasst, den König aufzusuchen 34,6f.: Zusammentreffen der Gesandten des Alexander mit Archias und Nearch, unkenntlich durch ihre langen Haare, die Haut schmutzig und salzverkrustet und durch viele Leiden geschwächt 34,8–10: Wiedererkennen des Nearch und Ankunft im griechischen Zeltlager 35,3: die Überlebenden werden von Alexander kaum erkannt43 35,4f.: Tränen Alexanders44 wegen des glücklichen Ausgangs und der Rettung der Seeleute und Nearchs Über das Treffen Nearchs und Alexanders liegen auch alternative Berichte vor: Diodor45 schreibt, dass es in der Küstenstadt Salmunti stattgefunden habe. Während Alexander ei42

Wenig überraschend sind nach den Beobachtungen des Agatharchides Essen und Kochen charakteristische anthropologische Elemente. Vgl. O. Longo, I mangiatori di pesce: regime alimentare e quadro culturale, in: Materiali e Discussioni 18, 1987, 10–55. 43 Der Vorgang verweist m.E. auf ein typisches Element des antiken Theaters, die ἀναγνώρισις (vgl. Aristot. poet. 1452b), um die Spannung der Szenenfolge zu lösen: die Nachrichten von der Ankunft des Flottenführers und die Verzögerung bis zum Wiedererkennen des Nearchos und Archias. 44 Vgl. für den Abschied der Veteranen, die von Opis nach Hause zurückkehren: Arr. an. 7,12,3. A. B. Bosworth, Alexander and the East. The tragedy of triumph, Oxford 1996, 25: »a cynic might comment that those tears came only after Alexander had crushed disaffection in his camp and forced those same veterans to submission by summary execution and a dramatic appeal to his Iranian troops, but there is no doubt about Alexander’s emotional, passionate reactions which could take him to extremes of generosity or savagery«. 45 Diod. 17,106,4–8. Vgl. auch Plut. Alexandros 68,1.

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nen musischen Agon im Theater veranstaltete, kamen die Flotte und die Matrosen nach ihrer Landung dort an und begrüßten den makedonischen König; der Platz war voll von jubelndem Publikum. Bei Diodor findet sich keine Spur von den in der Indiké beschrieben Abenteuern und kein Hinweis auf den gefährlichen Marsch zurück in Richtung Küste. Die ganze Szene findet bei Diodor in der Atmosphäre von Spielen und Feiern statt, welche nach dem Wiedererkennen fortgesetzt werden. Curtius Rufus,46 wiederum bietet eine Version, die chronologisch die Ankunft von Nearch und Onesikritos und die Hinrichtung der Anstifter der persischen Revolte verbindet. Archias wird von Curtius Rufus nicht erwähnt, und Onesikritos erscheint dem Nearchos gleichgestellt. Arrian erwähnt in der Anabasis47 in einer kurzen Passage über das Treffen in Karmanien nichts von Spielen und Opfern, und hängt bei dieser Schilderung wahrscheinlich von Aristobulos ab:48 »Während dieser Zeit traf Nearchos nach Umsegelung des oreitischen, gedrosischen und schließlich des Ichthyophagengebietes in den Küstenorten Karmaniens ein, von wo aus er mit einigen seiner Leute landeinwärts zu Alexander reiste, um diesem von der Fahrt längs der Küste auf dem Großen Meer Bericht zu erstatten.«49 Die unterschiedliche Abfolge der Ereignisse, die sich aus den verschiedenen Quellen ergibt, rief auf Seiten der modernen Interpreten verschiedene Deutungen hervor: Badian 50 spekulierte, dass die Spiele nicht zu Ehren Nearchs geplant waren, während Bosworth 51 annahm, dass der makedonische König ein zweites Fest für Nearch hinzugefügt haben könnte, da es während der Expedition Alexanders in der Tat häufig zu gymnischen und musischen Agonen kam. Bosworth verweist auch auf den bewusst dramatisch gehaltenen Ton von Nearchs Schilderung, um dessen Selbstglorifizierung zu unterstreichen. Für Badian ist dies ein unverwechselbares Element des nearchischen Berichts. Die Besonderheit dieser in der Indiké enthaltenen Geschichte macht es – verglichen mit dem Text der Anabasis und mit anderen Quellen – sehr wahrscheinlich, dass diese Version tatsächlich auf Nearchos zurückzuführen ist. Auch in diesem Fall – wie bereits bei der Episode des Treffens mit Alexander – überarbeitete und dramatisierte Nearch die Darstellung der Festveranstaltung, betonte die Rolle des Königs wie seine eigene und reicherte die Schilderung seiner Heldentaten mit starken epischen Reminiszenzen an. Bereits Pearson betonte, dass die Passage voll von epischen Verzierungen sei.52 Es beginnt in »homeric manner« mit Schiffen, die in einen freundlichen Hafen einlaufen, dem Zusammentreffen mit einem Griechen, der nach epischer Art gefragt wird, wer er ist und woher er kommt, was dann mit einer typisch homerischen Form des Erkennens endet: Der mit Schmutz und 46

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Curt. 10,1,9f. Eodem die sumptum est supplicium de iis quoque, quos auctores defectionis Persarum Craterus adduxerat. Haud multo post Nearchus et Onesicritus, quos longius in Oceanum procedere iusserat, superveniunt. An. 6,28,5=FGrH 139 F 51. Vgl. A. B. Bosworth, Nearchus in Susiana, in: W. Will (Hg.), Zu Alexander dem Großen. Festschrift G. Wirth, Amsterdam 1987, 542–567. Übers. Wirth, von Hinüber 1985. E. Badian, Nearchus the Cretan, in: YClS 24, 1975, 147–170, hier 160. Bosworth (wie Anm. 48), 563, Anm. 66. L. Pearson, The lost histories of Alexander the Great, Cleveland 1960, 134f.

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Salzkruste bedeckte Nearch erinnert deutlich an den auf der Insel der Phäaken gestrandeten Odysseus bei seiner Begegnung mit Nausikaa. Der dem Periplus eigene, geradezu surreale Charakter hilft m.E. zu begreifen, was man als das Kennzeichen des Nearchos definieren könnte. Der Autor des Periplus gab diesem eine homerische Patina, um das Unternehmen Alexanders und seiner Gefährten und ihre Reise nach Indien in die Nähe des iliadischen Unternehmens, die beschwerliche Rückkehr nach Susa in die Nähe der Heimfahrt des Odysseus zu rücken. Die Insel Nosala, die höchstwahrscheinlich als solche nicht existiert, wäre somit – unter der Maßgabe einer odysseischen Einfärbung des Berichts – ein eindrucksvoller Beleg für den zugrundeliegenden Verweis des nearchischen Berichts auf das homerische Modell. M.E. hat das, was in Nosala passiert, im Wesentlichen keine andere Funktion als in der Evokation des literarischen Rollenvorbildes Odysseus die Qualitäten des Anführers erneut zu betonen. Es bleibt zu untersuchen – und das ist keine einfache Aufgabe –, wie sich die literarische Version des Periplus vom bloßen Bericht entfernt hat und wie viel Platz der Persönlichkeit des Protagonisten eingeräumt wird, dem es wohl nicht nur um die Beschreibung des epischen Unternehmens in Indien und der Rückkehr zu tun ist. Sind dies die Gründe für die Lokalisierung und Beschreibung der Insel Nosala durch Nearch, so können wir schlussfolgern, dass es sich bei dem hier vorgestellten Beispiel um die ›erlaubte Nutzung‹ einer bestimmten Setzung (Insel der Kirke – Insel der Sonne) handelt, die sich bereits in der Nearch vorangehenden Überlieferung – abhängig vom historischen Kontext, in den sie eingebettet war – als variabel präsentierte. Es handelt sich weder um eine Bewegung noch um eine Verdoppelung, sondern um die Verwendung eines bestimmten Teils des Repertoirs an Informationen, das gebildet wurde, um daraus einzelne Aspekte der griechischen Geschichte zu rechtfertigen. Als eine vertretbare Hypothese erscheint es, dass dieses Motiv – wie die anderen homerischen Bezüge – dem nearchischen Reisebericht mehr Autorität verleiht, ihn attraktiver und faszinierender gestaltet und es gleichzeitig wahrscheinlich macht, daß der Periplus den Charakter einer Geschichte des indischen Feldzugs Alexanders hatte. Veronica Bucciantini Albert-Ludwigs-Universität, Seminar für Alte Geschichte Platz der Universität 3, D-79098 Freiburg i.Br. [email protected]

Floriana Cantarelli

Mobilità tra Grecia e Sporadi nordorientali Lemno, Halonnesos e una nuova interpretazione di riferimenti alla contemporaneità nel Filottete di Sofocle

Uno dei casi più interessanti di mobilità di individui e gruppi riguarda le isole di Lemno e Halonnesos, punti di approdo per la rotta che specie durante il secondo millennio a.C. ha portato persone e merci tra la Grecia centrale e le isole delle Sporadi nordorientali, l’Ellesponto e le coste del Ponto (fig. 1). Il tratto occidentale di questa rotta iniziava sulle coste della Tessaglia Meridionale nel golfo Maliakós (Acaia Ftiotide)1 e soprattutto di Pagase (Magnesia), passava a sud di Skiathos, Peparethos (odierna Skopelos), Ikos (odierna Alonissos) e il suo arcipelago proseguendo poi tra Lemno e Halonnesos (odierna Agios Eustratios), per poi seguire almeno due diverse direzioni: Imbro e l’Ellesponto o Tenedo e la Troade. Le navi provenienti dal Peloponneso, dal golfo Saronico e dall’Attica, risalivano l’Euripo e a nord dell’Eubea utilizzavano il tratto principale di questa rotta. Antichi legami tra Iolkos2 e Lemno sono riflessi dalla saga degli Argonauti e dal mito di Myrina, figlia di Kritheas, re di Iolkos, che sposa Toante, re di Lemno, dalle nozze nasce Ipsipyle, che diviene, dopo complesse vicende, regina di Lemno.3 I riferimenti a Lemno nell’Iliade confermano il ruolo non secondario avuto dall’isola nell’ambito di questa rotta. La presenza di schiave lemnie, menzionate nell’archivio di Pilo dimostra che donne provenienti da Lemno, ra-mi-ni-ja (come da Mileto, Cnido e Alicarnasso) fossero presenti nel Peloponneso alla fine del XIII a.C. Poiché nell’ambito del mio discorso farò spesso riferimento anche all’isola che si trova 18 miglia marittime a sud di Lemno, occorre precisare che l’antica Halonnesos non è identifi1

L’esistenza di una portualità già in epoca micenea sulle coste del golfo Maliakós è attestata dall’insediamento di Platania (7km a est di Lamia), relativo ad un’insenatura che si è progressivamente interrata. Vedi F. Cantarelli et al., Acaia Ftiotide I, Soveria Mannelli 2008 (Collana Società Antiche), 222–225. 2 A proposito degli eccezionali ritrovamenti di Dimini (il centro del vasto territorio di Iolkos che aveva anche insediamenti costieri connessi) in relazione con la saga degli Argonauti vedi V. Adrimi Sismani, Arkaia Iolkos: mythos kai pragmatikoteta, in: Argonaytiki ekstrateia. Praktikà (Diethenes Sunedrio Omadon Filias Elladas-Georgias ton Koinovoulion Elladas kai Georgias, 12.– 13.6.2008), Volos, 57–71 e foto 72–79. 3 L’importanza dei miti connessi con Lemno è stata recentemente riproposta nell’approfondita analisi delle fonti mitografiche e letterarie di V. Masciadri, Eine Insel im Meer der Geschichten. Untersuchungen zu Mythen aus Lemnos, Stuttgart 2008, passim, part. 164–258.

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cabile con l’isola di Peristera, come ha sostenuto M. Baratin,4 appartiene invece, seguendo la migliore tradizione antica e moderna, alle Sporadi nordorientali ed è identificabile 4

La denominazione moderna Alonissos fu introdotta da un burocrate nel XIX secolo in sostituzione al nome Liadromia, allora più usato dalla popolazione. Il tentativo di M. Baratin (Un seul nom pour deux îles et plusieurs noms pour chacune: de l’Halonnèse à Alonissos, in: Moussyllanea. Mélanges de linguistique et de littérature anciennes, Paris 1998, 213–218) di identificare l’antica Halonnesos con Peristera non mi convince per vari motivi, come spiegherò in altra sede (Particolari di geografia storica riguardanti Lemnos e Halonnesos [A. Eustratios] da Omero a Sofocle e alla tradizione geografica latina, in: Dal paesaggio alla storia. Atti del Colloquio internazionale di Milano, 23.–24.11.2009, a cura di F. Cantarelli e L. Venezia, Bergamo 2014, in corso di stampa). Innanzitutto può essere inteso in altro modo il riferimento alle isole di Strabone (9,5,16): in questo passo, che segue la descrizione della Magnesia, Strabone non segue un rigido schema nord/sud, ma descrive due archi di visuale (per chi guarda dalle cime del Pelio) che si congiungono al centro dell’Egeo con l’antica Halonnesos (odierna A. Eustratios), Strabone menziona pertanto Skiathos, Peparethos e Ikos (tralasciando ovviamente le isole minori dell’arcipelago a est di quest’ultima, quasi del tutto disabitate), menziona poi il punto più esterno di questo arco teorico, vale a dire, l’isola di Halonnesos (A. Eustratios, che è relativamente vicina a Lemno ma è anche oggettivamente al centro dell’Egeo) e chiude l’arco inferiore della figura con Sciro, l’isola a nord-est dell’Eubea. L’utilità di questo schema aveva anche una sua ragione legata alla pratica della marineria: l’isola di Halonnesos (A. Eustratios) è ben visibile da Sciro e viceversa. La figura schematica sottintesa teneva dunque conto di visuali effettive, la geografia straboniana, inoltre, è profondamente storica, pertanto l’indicazione di queste isole significava anche la stretta connessione nell’ambito della principale rotta tra Ellesponto e Grecia, nota dal mito e dalla storia greca. Anche sulle aporie poste dal passo di Pomponio Mela (2,106) e Plinio (nat. 4,72) a proposito di Halonnesos tornerò in altra sede (Particolari di geografia storica, cit. supra), per indicare la loro possibile risoluzione, sia attraverso la loro provenienza mediata dalle fonti greche e quindi dipendenti dal sistema greco di triangolazioni visive, sia tenendo conto dei mutati punti di riferimento usati in età imperiale anche per il calcolo delle distanze. Peristera, che attualmente è un’isola, era in realtà (migliaia di anni prima dell’età classica) una penisola di Alonissos (e il nome Peristera è significativo sul piano geografico), si noti che è tuttora visibile un lungo tratto della falesia calcarea che le univa, mentre per un tratto di circa 600m la formazione rocciosa è visibile poco al di sotto del livello attuale del mare. Si deve tenere conto anche del fatto che nell’età classica il livello del mare era circa 4–5 metri più basso rispetto all’attuale (a Skopelos si possono vedere i resti di un edificio termale di epoca romana che presenta un ambiente quasi sommerso). Anche l’episodio storico della temporanea occupazione di Halonnesos nel IV sec. a.C. da parte di Filippo II aiuta a escludere l’identificazione di questa isola con Peristera proposta da Baratin: se la flotta intenzionata a bloccare i traffici e ad occupare l’Halonnesos-Peristera avesse navigato da nord (l’area meno difendibile in quanto più lontana dalla polis) avrebbe rischiato di naufragare, specie se il vento settentrionale l’avesse risospinta contro uno dei due lati della formazione rocciosa, ma l’operazione non si spiega neppure nel caso che la flotta di Filippo avesse navigato da sud per utilizzare come porto l’insenatura che si apre sul lato ovest di Peristera, poiché prima avrebbe dovuto occupare le insenature utilizzate dalla polis Ikos (Kokkinokastro) e distruggere la polis stessa. Se Peristera fosse stata occupata, Ikos e Peparethos avrebbero reagito militarmente, mentre le lamentele di quest’ultima dimostrano che non era stata occupata, né assediata, mentre le lamentele concernevano l’occupazione da parte di Filippo di Halonnesos, l’isola a sud di Lemno, in quanto questa azione costituiva un pericolo anche per le Sporadi occidentali e soprattutto un danno per i traffici marittimi che transitavano oltre Lemno e A. Eustratios seguendo la rotta principale tra Mar Nero, Ellesponto e Grecia centrale, è evidente che nell’ambito di questa rotta Peparethos, la più popolosa, era una diretta beneficiaria. Già tutti gli elementi che ho indicato consentono, a mio avviso, di escludere che l’isola di Halonnesos temporaneamente occupata da Filippo II possa essere identificata con Peristera. Un altro argomento usato da Baratin concerne il toponimo Aloniki che egli, seguendo L. Bürchner (RE, Suppl. 3, 1912, s.v. Halonnesos no. 2, 880–883), preferisce ricondurre al tema ἁλων- (ἁλωνία, ἁλώνιον, ἁλωνικός, significanti ›aia‹, area ove si batte il grano). In realtà, chi visita A. Eustratios e in particolare il litorale che ha

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con l’isola che dall’età bizantina sino ad ora si chiama A. Eustratios, detta anche Strati a livello locale, nome che si trova anche nella calcografia di F. Ferretti (1579) e in quella di F. Piacenza (1688). La geografia storica dell’isola di Lemno è indirettamente descritta da preziosi riferimenti contenuti in diversi canti dell’Iliade. La vendita di un nemico (Licaone) a Lemno aveva fruttato ad Achille5 ben cento buoi,6 ancor più interessante è un antefatto di questo episodio:7 mercanti fenici che avevano esposto in vari porti un cratere d’argento sbalzato opera di artigiani di Sidone lo avevano in fine dato a Toante; il cratere era poi stato scambiato da Euneo, figlio di Giasone e Ipsipile, con Licaone (il figlio di Priamo caduto in schiavitù per opera di Achille) al fine di poterlo liberare e donare a Patroclo; dopo l’uccisione di Patroclo e di Licaone il cratere fu messo in palio da Achille durante i giochi funebri per Patroclo e fu vinto da Odisseo. Gli episodi sopra richiamati confermano il fatto che a Lemno era fiorente non solo l’allevamento del bestiame (Licaone, il figlio di Paride, poteva ben valere cento buoi all’ignoto compratore lemnio), ma anche il mercato degli schiavi. A Lemno, inoltre, la produzione del vino consentiva di esportare un certo quantitativo e concludere ottimi scambi, come si deduce da altri due episodi. Nel primo,8 anteriore all’inizio della guerra, Agamennone rinfaccia ai guerrieri che durante il periodo trascorso nell’isola di Lemno, mentre mangiavano molta carne di buoi e bevevano vino si vantavano delle grandi imprese che avrebbero compiuto. Nel secondo9 si assiste ad una scena movimentata: i Greci, dopo aver costruito un muro di protezione davanti alle navi, uccidono dei buoi e cenano nelle loro tende, Euneo, dopo aver caricato a Lemno vino su alcune sue navi, sbarca sul litorale troiano e offre vino ai capi greci separatamente, mentre gli altri Achei per avere il vino lo devono scambiare con beni che sono nella loro disponibilità: rame o ferro o pelli o capi di bestiame (vacche vive) o schiavi. A parte l’eventualità dello scambio con il ferro,10 la descrizione informa circa la 5

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conservato, anche se deformato, il toponimo antico, la Παραλία Αλωνίτσι, può constatare (fig. 6) che, né lungo questo litorale, né più all’interno, si potevano coltivare cereali e soprattutto si possono osservare le tracce dei depositi di sale che si depositano in un’ampia area alquanto concava, dato che ben giustificava l’origine del toponimo. La conclusione in definitiva che io sostengo è quella che accetta il dato essenziale della tradizione antica (la collocazione nell’Egeo nordorientale) e l’opinione prevalente degli studiosi moderni: l’antica Halonnesos corrisponde all’isola di A. Eustratios. Quanto detto vale anche per un’altra e suggestiva ipotesi di identificazione dell’antica Halonnesos con l’isola di Kyra Panagia, proposta da E. Skafidà sulla base dell’interesse dei resti archeologici (The Alonnissos Archipelagos, Volos 2002, a cura di Dimos Alonnisou – XIIIesima E.Π.K.A.; con bibliografia precedente). Achille stesso (Hom. Il. 21,100–102) ricorda che prima della morte di Patroclo aveva spesso preso vivi dei Troiani e li aveva venduti (anche a Samo(tracia) e Imbro, cfr. Hom. Il. 24,751–753). Il particolare autorizza in un certo senso l’inclusione di Achille tra i guerrieri che combattevano anche per fini economici personali, questo andare e venire di Achille tra il campo di battaglia e Lemno è interessante anche in quanto presuppone che il bestiame o altri beni ottenuti negli scambi necessitavano di allevatori e custodi a Lemno indirettamente associati alle varie imprese. Hom. Il. 21,40–46; 21,58–59; 21,79. Hom. Il. 23,740–747. Hom. Il. 8,230–232. Hom. Il. 7,467–475. Non è noto se all’epoca convenzionale della guerra di Troia il ferro fosse già scambiato tra gli insediamenti microasiatici e l’isola di Lemno, mancano ancora prove archeologiche, che prevedibil-

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presenza a Lemno dell’allevamento del bestiame e della produzione di vino, ma anche circa la varietà delle forme economiche che consentiva, oltre all’allevamento e all’agricoltura, l’importazione di metalli e il mercato degli schiavi, il che dimostra l’importanza di Lemno non solo come tappa per le marinerie che attraversavano l’Egeo. La rotta più antica era ovviamente praticata anche da gruppi piratici di diversa provenienza: Sporadi nordoccidentali, Sciro, Eubea. La pirateria euboica era quasi certamente connessa con quella che si appostava a est dell’arcipelago delle Sporadi nordoccidentali (Piperi, Pelagonissi, Gioura, Psathura). Più a nord-est era attiva la pirateria del mare tracico e delle coste dell’Ellesponto (Taso, Samotracia, Imbro, Alopeconneso). In un episodio narrato nell’Iliade,11 Poseidon che lega con ceppi d’oro i cavalli nel mare tra Tenedo e Imbro, è conservato un mito che rifletteva una realtà sperimentata già dalle marinerie più antiche: la difficoltà della navigazione a sud di Imbro, prossima all’area di accesso al mare di Marmara, resa pericolosa dalla presenza di correnti sottomarine, la più lenta e difficoltosa navigazione è un dato di fatto che indubbiamente favoriva la pirateria a nord e a sud dell’imboccatura dell’Ellesponto. Nelle Sporadi occidentali, a sud di Ikos (Peristera, Dyo Adelfoi, Piperion) oltre alla pirateria euboica, era attiva quella di Sciro, che aveva un indiscutibile teichos nell’insenatura di Achillion, presso Aspous, sulla costa orientale. Se l’importanza della pirateria dell’Ellesponto e del mar Nero traspare agevolmente da molti episodi dalla saga degli Argonauti, quella di Sciro è indirettamente ricordata dalla tradizione raccolta da Nicolao di Damasco, secondo la quale l’isola in tempi molto antichi era occupata da Pelasgi e Carii (apud Steph. Byz., s.v. Σκῦρος), tradizione questa che si era probabilmente formata anche per l’evidenza sulla stessa costa orientale dell’isola dei resti di un vasto e molto più antico insediamento (preistorico e protostorico) a Palamari. Un altro indizio dell’interesse che potevano avere i pirati per questa isola è testimoniato dalla presenza di una Chryse περὶ Σκῦρον (Steph. Byz., s.v. Χρύση) forse in una delle isole minori prossime a Sciro. La presenza di questo toponimo Chryse12 in numerose località (a Sciro, Lemno, Lesbo, Ellesponto, Bitinia, Caria e India) sembra aver costituito un’isoglossa, che, più che riferirsi a miniere d’oro (Stefano fraintese Dionisio il Periegeta a proposito di una νῆσος Ὠκεανίτις: Steph. Byz., ibid.), indicava probabilmente un luogo di lavorazione di metalli preziosi. Nell’ambito di quanto concerne Lemno e il mio assunto, è notevole il particolare che in un verso della tragedia di Sofocle, Le Lemnie,13 si invochi »Lemno e le vicine colline di Chryse« (ὦ Λῆμνε Χρύσης τ’ ἀγχιτέρμονες πάγοι), quindi Chryse è indicata chiaramente come altra terra o isola rispetto a Lemno. Nel Filottete14 Sofocle menziona Chryse tre volte: v. 194: »si abbatterono su di lui i dolori dalla crudele Chryse«, nei vv. 268–270 Filottete stes10

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mente nei prossimi anni si troveranno in questa isola che era considerata sacra ad Efesto, una divinità forse di origine anatolica (F. Bremmer, Hephaistos aus Anatolien?, in: Proceedings of the Xth International Congress of Classical Archaeology, Ankara-Izmir, 23.–30.9.1973, a cura di E. Akurgal, Ankara 1978, vol. 2, 715–720). Hom. Il. 13,32–38. Cfr. il termine Χρυσός, che secondo P. Chantraine (Dictionnaire étymologique de la langue grec, Paris 81999, 1278) è di origine semitica e secondo É. Masson, Emprunts sémitiques. Recherches sur les plus anciens emprunts sémitiques en grec, Paris 1967, 37–38, hrs ne è il modello più verosimile; nel miceneo c’è il composto ku-ru-so-wo-ko, orefice. Apud Steph. Byz., s.v. Χρύση=fr. 384 Radt (Tragicorum Graecorum Fragmenta, Göttingen 1977). Vv. 1326–1328.

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so racconta di essere stato abbandonato, già colpito dalla cancrena al piede, in una grotta sul litorale (di Lemno) dopo che la flotta era approdata ἐκ τῆς ποντίας Χρύσης, dunque un’isola e si noti che l’aggettivo usato esclude trattarsi di un’isoletta prossima alla costa, ma indica il mare aperto, immagine rafforzata nel verso successivo da quella della stanchezza dovuta al mare in burrasca. Il terzo riferimento a Chryse è contenuto nei vv. 1326–1328: Neottolemo spiega come era accaduta la sciagura che aveva colpito l’eroe quando si era »avvicinato al guardiano di Chryse che stando celato alla vista custodisce il non coperto recinto« (o »sacro recinto« per chi interpreta σηκός come luogo di culto).15 L’episodio del morso non è dunque ambientato da Sofocle a Lemno, come una parte della tradizione mitografica riteneva o deduceva dalla concisa presentazione di Filottete nel Catalogo delle navi16 e neppure nell’isola di Tenedo,17 menzionata nei Canti Cipri. Sofocle, a mio avviso, intendeva effettivamente innovare: poiché le »colline vicine« e visibili da Lemno (fig. 2) sono quelle dell’isola di A. Eustratios (l’antica Halonnesos), ciò significa che intendeva alludere proprio a quest’isola, la »crudele Chryse« (v. 194). Per il v. 194 del Filottete lo scoliaste, forse non in grado di comprendere i riferimenti alla contemporaneità abilmente inseriti dal poeta, immaginava che Chryse fosse una città vicino a Lemno e spiegava la presenza di Filottete con la ricerca dell’altare sul quale Eracle aveva compiuto un sacrificio quando aveva marciato contro Troia. Nel V e poi anche nel IV secolo, nonostante la presenza ateniese sempre più organizzata politicamente a Lemno, la vicina isola di Halonnesos continuava ad essere una delle basi più frequentate dai gruppi piratici18 che infestavano il mare tra Imbro, Lemno e Tenedo. Anche nell’ambito di una diversa interpretazione che intendo proporre del Filottete sofocleo può essere utile a questo punto richiamare gli avvenimenti essenziali per i quali Lemno e l’Egeo orientale acquisirono progressivamente importanza nella politica e nella cultura ateniese. 15

E. Lefèvre, Die Unfähigkeit sich zu erkennen. Sophokles’ Tragödien, Leiden et al. 2001, 195sg., dà credito a uno scolio che inventava un non corrisposto innamoramento della dea Chryse per l’eroe. La punizione all’eroe da parte di una divinità solo per il fatto di essersi avvicinato a un sacro recinto rimarrebbe comunque ingiustificata, nonostante la spiegazione proposta da G. Avezzù e P. Pucci (Sofocle, Filottete, trad. di G. Cerri, commento, Milano 2003, 306) che gli dei non devono spiegare niente. 16 Hom. Il. 2,716–728; cfr. schol. ad Hom. Il. 2,721; Eust. schol. ad Hom. Il. 2,724, p. 330,10. Nel Catalogo delle navi Filottete, viene presentato come il condottiero dei Thaumaci, dei Melibei e degli Olizoni, gli abitanti dei principali centri della Magnesia, ma non viene specificato il luogo del ferimento, bensì l’abbandono di Filottete a Lemno da parte degli Achei. 17 Kypria, apud Procl. Chrest., Arg. 9 (M. L. West, Greek epic Fragments from the seventh to the fifth Centuries BC, London 2003, 74–76); aggiungo che una curiosa conciliazione tra le due tradizioni sembra operata da Stefano di Bisanzio (s.v. Χρύση), che menziona una città Chryse presso un promontorio di Lemno che guarda Tenedo. Le aporie presenti nella voce Chryse di Stefano di Bisanzio sono state ben evidenziate da Masciadri (cit. a nota 3, 112–19), discuterò in altra sede (Particolari di geografia storica, cit. in nota 4) le conclusioni che egli trae (119–128) dalle fonti che in qualche modo collegano Chryse alle »Isole Nuove«. 18 Filippo II (Demosth. 13 [Philippi epistula], 12–15; cfr. Demosth., De Haloneso 2–4, demegoria attribuita a Egesippo) affermò che Halonnesos era stata occupata (poco prima del 343 a.C.) dal pirata Sostrato (ricordato anche da Lukian., Dialogi mortuorum 24). L’isola fu poi temporaneamente da lui occupata suscitando le proteste di Peparethos e di Atene che la considerava un suo antico possesso e che in seguito la riottenne.

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Gli interessi dei Greci per le coste dell’Asia Minore diventano più delineabili tra la fine del VII e gli inizi del VI secolo: Pisistrato conquista l’area attorno al promontorio Sigeo (che già precedentemente gli Ateniesi avevano sottratta a Mitilene). Milziade figlio di Cipselo,19 favorito dai Dolonci, riesce ad acquisire possedimenti di tipo privato nel Chersoneso tracico che lascia al nipote Stesagora,20 alla sua morte i Pisistratidi inviano nel Chersoneso Milziade, figlio di Cimone e fratello di Stesagora, che negli ultimi anni del VI secolo compie una spedizione a Lemno della quale si vanterà come un’azione bellica che gli aveva consentito di dare Lemno agli Ateniesi (Hdt. 6,137,1–140,2). La data dell’episodio è discussa: risalirebbe al 513, l’anno della spedizione scitica di Dario, oppure, in base a Diodoro,21 al periodo compreso tra il 511 e il 507; tuttavia una prima presenza di Ateniesi insediati nell’isola è ritenuta possibile solo dagli ultimi anni del VI secolo. La presa di Lemno fu resa possibile dal fatto che l’isola si era liberata del dominio persiano dopo la morte del tiranno Licareto.22 Secondo Diodoro (ibid.) i Tirreni lasciarono Lemno per timore dei Persiani e dicendo di seguire un oracolo diedero l’isola a Milziade,23 ma Stefano di Bisanzio, s.v. Ἡφαιστία, dopo aver citato Ecateo,24 aggiunge un particolare importante che ricavava da Carace di Pergamo, il quale nel X libro delle sue Storie25 spiegava che mentre Myrina chiuse le porte a Milziade e fu assediata, Ermone, tiranno di Efestia, consegnò la sua città senza combattere.26 L’acquisizione di Lemno da parte di Milziade figlio di Cimone pone un problema storico: Milziade scacciò veramente i Tirreni dall’isola? Le peculiari caratteristiche fisiche dell’isola e la sua ampiezza assicurano che non era possibile eliminare la maggior parte dei Lemni e neppure conveniente, essi conoscevano le correnti e i venti prevalenti, l’ubicazione delle insenature adatte all’attracco e alla portualità, la localizzazione delle sorgenti, dei corsi d’acqua e delle aree di pascolo. Le recenti indagini archeologiche dell’Eforia greca e della Scuola italiana di Archeologia di Atene indicano27 che la presenza degli Ateniesi non aveva impedito il permanere di elementi specifici della civiltà materiale indigena e anche di culti locali. 19 20

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Hdt. 6,34–38. Hdt. 6,38,1 Figlio di suo fratello Cimone Xoalemo, ma, dopo la sua morte in guerra contro i Lampsaceni, i Pisistratidi (528/27–511/10) mandarono ad assumere il governo del Chersoneso il fratello di Stesagora, Milziade figlio di Cimone; nel 516/5, egli fugge nel 514/3 per un attacco degli Sciti, torna nel 496/5 e subisce poi, nel 493/2, l’attacco fenicio che lo costringe a riparare a Imbro e da qui a rientrare ad Atene. Diod. 10,19,6 (Exc. Vat. p. 35), ed. K. T. Fischer, F. Vogel, vol. 2, Leipzig 1890. Vedi, Commento di G. Nenci a Erodoto. Le Storie. Libro VI, Milano, 32007, 315sg. Hdt. 5, 27,2. Cfr. N. Salomon, Milziade, Atene e la conquista di Lemno, in: Istorie. Studi offerti dagli allievi a G. Nenci, a cura di S. Alessandrì, Galatina 1994, 399–408, part. 405. Cfr. Nep., Miltiades 1,3sg. FGrH 1 F 138 a–b=147sg. Nenci. FGrH 103 F 18. Ermone era signore dei Tirreni secondo Diodoro, ma re dei Pelasgi secondo Zenobio (3,85), avrebbe finto di cederla per far cosa grata agli Ateniesi, ma in realtà per paura di Dario. L’espressione Ἑρμώνιος χάρις, il favore di Ermone, divenne proverbiale per indicare cosa che si finge di dare ma perché costretti. Vedi E. Greco, L. Ficuciello, Cesure e continuità: Lemno, dai ›Tirreni‹ agli Ateniesi. Problemi storici, archeologici, topografici e linguistici. Giornata di studi, Napoli 4.5.2011, in: ASAA 88, 2012 (3.10), 149–168.

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L’aspettativa dell’utile economico e la propaganda ateniese avevano probabilmente favorito sin dagli inizi il sostanziale falso storico di una reale cacciata della popolazione da parte di Milziade, indipendentemente dall’eventualità che l’assedio di Myrina avesse indotto singoli o gruppi anche numerosi a lasciare l’isola per rifugiarsi in altre isole e nella Calcidica. Tra gli Ateniesi insediati a Lemno alcuni si erano insediati nell’isola già dalla fine del sesto secolo, poteva trattarsi di persone che avevano combattuto nel Chersoneso sotto Milziade il Vecchio, altri potevano essersi trasferiti a Lemno dopo aver collaborato con le imprese economiche di Milziade, altri vennero da Atene successivamente per attività cantieristiche e mercantili, persone specializzate nel trasporto di merci nel mare tracico (rapporti particolarmente con Taso, Samotracia e Imbro), alcuni avevano ottenuto incarichi sacerdotali nel culto dei Grandi Dei. Il maggior numero degli Ateniesi che si trasferirono gradualmente a Lemno lo poterono fare, probabilmente, non prima del 475, anno della presa di Sciro da parte di Cimone: per le imbarcazioni provenienti dall’Attica la possibilità di approdare con sicurezza a Sciro e da questa isola proseguire per compiere una sosta ad Halonnesos o approdare direttamente a Lemno consentì l’insediamento per scaglioni successivi della colonia, favorito probabilmente, come all’epoca di Ermone, dall’accettazione degli abitanti di Efestia. Una prova indiretta che Milziade non aveva scacciato del tutto gli abitanti di Lemno si deduce dal fatto che i coloni ateniesi a partire dal secondo quarto del V secolo non si insediarono in tutta l’isola, ma solo in una parte: i cippi di garanzia,28 che alcuni di essi facevano incidere per garantire con la terra posseduta i prestiti richiesti, non sono stati trovati in tutta l’isola, ma nella parte orientale, già territorio di Efestia, che la polis non era stata in grado o non aveva avuto interesse29 a mettere sistematicamente a coltura. Lemno aveva, molto più che la Lemno attuale, una certa varietà di potenzialità pastorale e agricola, pertanto dalla colonia di Lemno, come da quella di Imbro e Sciro, Atene ebbe sicuri benefici economici: utilizzo di nuove terre30 per i coloni, transito di cereali e altre merci dal Ponto, controllo della rotta verso l’Attica, persino disponibilità di persone da inviare in battaglia: nel 425/4 a.C. Cleone propone l’utilizzo come soldati di Imbri e Lemnii che si 28

Questi cippi sono stati recentemente ristudiati da E. Culasso Gastaldi, Lemnos: i cippi di garanzia, in: ASAA 84, 2006 (ser. 3a, 6.1), 509–550. L’unico cippo trovato nel territorio di Myrina appartiene a un’altra categoria, in quanto è una garanzia di restituzione della dote in caso di scioglimento del matrimonio. 29 Il territorio occupato dai coloni si trovava a sud di Komi, ove nel V secolo fu eretto quasi certamente dagli Ateniesi un santuario a Eracle, e si estendeva sino alla punta di Skandali. Questa regione (che in epoca protostorica era stata utilizzata specie dall’insediamento costiero di Poliokni), dal punto di vista delle potenzialità agricole era meno favorevole rispetto al territorio di Myrina ed alla parte settentrionale di quello di Efestia a causa della presenza di due lagune costiere, inoltre la costa orientale era più esposta ad attacchi piratici provenienti da Alopeconneso, ma era necessaria agli Ateniesi non tanto per il controllo di Lemno, quanto proprio per mantenere aperta la rotta sia verso Imbro, ove era insediata un’altra colonia ateniese, sia verso l’Ellesponto e Lampsaco, città entrata nel 479 nella lega delioattica e dotata, come specifica Strabone, di un buon porto. 30 Di particolare interesse lo studio di D. Marchiandi, Fattorie e periboli funerari nella chora di Efestia (Lemno): l’occupazione del territorio in una cleruchia ateniese tra V e IV sec. a.C., in: ASAA, 80, 2002 (ser. 3, vol. 1.2), 487–583. La complessità del dibattito storiografico concernente l’evoluzione istituzionale delle presenze ateniesi a Lemno è discussa da D. Marchiandi, Riflessioni in merito allo statuto giuridico di Lemno nel V sec. a.C. La ragnatela bibliografica e l’evidenza archeologica: un dialogo possibile?, in: ASAA 86, 2008 (ser. 3a, vol. 8), 11–40.

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trovavano ad Atene31 (esempio di naturale mobilità con gli ambiti coloniali: poteva trattarsi di parenti di coloni, Lemnii che praticavano attività o commerci con Atene), così pure nel 413 Atene invia in soccorso del proprio esercito contro Siracusa un’ultima flotta comprendente, »in quanto loro coloni«, un gruppo di Imbri e Lemnii.32 L’ignota data della dedica della statua dell’Atena Lemnia è diversamente ipotizzata dagli studiosi o alla partenza dei coloni o successivamente, verso la metà del secolo. Secondo N. Salomon 33 la dedica fu forse concomitante con l’estensione della cittadinanza ateniese all’intera comunità lemnia avvenuta verso la fine del V sec., questa collocazione cronologica avrebbe il vantaggio di rappresentare concretamente i vantaggi economici che i coloni ed anche i loro discendenti, ormai diventati tutti cittadini ateniesi, avevano raggiunto dopo alcuni decenni di attività e intendevano far celebrare in patria. Dopo la metà del V secolo fu costruito ad Atene il grandioso tempio ad Efesto la divinità legata in modo particolare a Lemno ed è significativo che all’interno dell’Ephaisteion fosse stata collocata una statua ad Atena. Alcuni decenni dopo l’insediamento degli Ateniesi a Lemno la cultura ateniese rielabora il filone mitico che aveva narrato le imprese e le vicende di alcuni eroi che la tradizione in qualche modo ricollegava o con le Sporadi nordorientali o con l’Asia Minore. Le aspirazioni e i timori della politica ateniese o della gente comune lasciò talora riverberi nei tragici che si possono cogliere attraverso il crescente interesse per argomenti che si riferivano a Sciro, Lemno e alle coste dell’Asia Minore. Particolarmente utile il confronto degli argomenti delle tre tragedie dedicate a Filottete da Eschilo, Euripide e Sofocle. Nel Filottete di Eschilo il coro è composto da abitanti di Lemno che ignorano l’eroe, in quello di Euripide da abitanti dell’isola che si dispiacciono di aver trascurato l’eroe, in quello di Sofocle invece sono i marinai della nave che ha portato Odisseo e Neottolemo a Lemno per convincere l’eroe a raggiungere l’esercito greco. Nel Filottete di Sofocle Lemno appare descritta dal punto di vista dell’eroe come luogo invivibile, terribile. Letterati, studiosi del mito e antropologi hanno dato risposte varie:34 per esaltare il pathos e la sofferenza dell’eroe ingiustamente abbandonato, oppure per rappresentare l’uomo al limite della natura, o la contrapposizione tra i valori civili della polis35 e l’isolamento che porta alla bestialità della lotta per la sopravvivenza.

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Thuk. 4, 28,4. Thuk. 7, 57,2. Le cleruchie di Atene. Caratteri e funzione, Pisa 1997 (Studi e testi di storia antica 6), 77–81. G. Avezzù, Il ferimento e il rito. La storia di Filottete sulla scena attica, Bari 1988; ampio repertorio bibliografico in Avezzù, Pucci, Cerri, Filottete (cit. nota 15), LXXIII–LXXIX. G. Guidorizzi, L’isola e il monte: lo spazio marginale in Filottete e Baccanti, in: Aa.Vv., I luoghi e la poesia, Atti del convegno di Chieti, 22.4.2004, a cura di M. Vetta e C. Catenacci, Alessandria 2006, 227– 240; M. Massenzio, Anomalie della persona, segregazione e attitudini magiche. Appunti per una lettura del Filottete di Sofocle, in: Magia. Studi di storia delle religioni, memoria di R. Garosi, Roma 1976, 177–195. 35 Un’interpretazione, per altro assai riduttiva, in P. Vidal-Naquet, Su un vaso del museo di Siracusa. Il Filottete di Sofocle e l’efebia, in: J. P. Vernant, P. Vidal-Naquet, Mito e tragedia nell’antica Grecia, ed. ital. Torino 1976, 145–169, secondo il quale Neottolemo riceve da Eracle insegnamenti per rinsaldare i valori oplitici.

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Tra gli studiosi che ammettono nelle opere di Sofocle l’esistenza di echi o motivazioni connesse con vicende storiche del suo tempo L. Canfora,36 ha interpretato la vicenda del problematico ritorno a Troia di Filottete con l’intendimento di Sofocle a favore del rientro di Alcibiade, la lealtà verso la patria sarebbe rappresentata dal personaggio di Neottolemo, il cui inserimento nella vicenda mitica costituisce un’innovazione significativa, grazie alla quale Sofocle »prende le distanze da Teramene/Odisseo e si schiera per la democrazia restaurata, per una democrazia che abbia però in Alcibiade una guida sicura«. Sofocle, per altro, non pare potesse diventare un sostenitore di Alcibiade, la responsabilità morale di riammettere il personaggio che ad Atene sei anni prima era stato giudicato empio (anche da esponenti di fazioni diverse e opposte, considerato da molti come traditore) viene lasciata dal poeta a un volere superiore imposto dalla divinità, un’eventuale allusione al ritorno di Alcibiade appare confinata alle parole sbrigative e autoritarie (allusive forse alla mutevolezza politica dei governanti ateniesi) con le quali il deus ex machina, Eracle, capovolge la situazione nell’apparizione finale (quando ormai Neottolemo ha accettato di lasciare l’isola con Filottete in direzione di Sciro), forzatura37 che incanala il dramma in modo brusco verso il finale, per altro, obbligato: Filottete con il suo arco accetta di tornare a Troia ove sarà curato non dai figli di Asclepio, ma da Asclepio in persona. Nonostante i cambiamenti della politica ateniese dopo il 411 e il decreto di Teramene per il rientro di Alcibiade, il generale per quasi due anni non aveva acconsentito, d’altro canto una parte della popolazione gli era fieramente contraria e sappiamo dalle Elleniche38 che Alcibiade stesso temeva per la propria vita in caso di ritorno. Nel 409/8 attraverso il Filottete, Sofocle, a mio avviso, si rivolgeva per invocare il ritorno non tanto di Alcibiade,39 bensì di quanti un tempo si erano insediati a Sciro, Lemno, e Imbro, affinché rientrassero ad Atene per difendere la patria dopo la sciagura della peste, le alterne vicende della guerra e le grandi perdite di armati nella disfatta subita in Sicilia. La proposta di considerare questa motivazione nella composizione del Filottete esige l’elencazione degli elementi che possono giustificarla. Nella prima scena del Filottete (vv. 1sg.) Odisseo non afferma che tutta l’isola è disabitata, un luogo invivibile, etc., al di là della collocazione della vicenda nel tempo metastorico del mito, il pubblico istruito di Atene sapeva benissimo dai riferimenti omerici a Lemno (e anche dal Filottete di Eschilo e di Euripide) che l’isola era già in tempi remoti popolata. In altri versi è Filottete a lamentare altre connotazioni negative concernenti l’importuosità o 36 37

Storia della letteratura greca, Roma/Bari 2001, 188–193 (cap. XI. Sofocle tra Pericle ed Alcibiade). J. Jouanna, La doppia fine del Filottete di Sofocle: rotture e continuità, in: Aa.Vv., Il dramma sofocleo, Stuttgart/Weimar 2003, 151–173 valorizza invece la continuità, ma di tipo stilistico. 38 Xen. hell. 1,4,18sg. 39 Che Sofocle, al di là del grande impegno artistico e anche morale che fanno di questa tragedia un’opera straordinaria e attuale, avesse nel Filottete auspicato il ritorno di Alcibiade è un’ipotesi che a più riprese è stata espressa negli ultimi due secoli. L. Canfora, ha ben delineato il cambiamento della politica ateniese tra il 411 e il 409, ma non mi pare convincente la conclusione che Sofocle potesse vedere in Alcibiade la »guida sicura« cui affidare le sorti di Atene, la mia è solo una diversa sfumatura: l’appello mi pare fosse rivolto particolarmente a tutti gli Ateniesi dislocati a Lemno, Sciro e Imbro, affinché rientrassero per difendere militarmente Atene rinunciando alle favorevoli posizioni economiche raggiunte nel corso degli anni.

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l’asprezza di Lemno, ma anch’esse rientrano in quell’accezione, presente già nell’Iliade, di terra »inaccessibile/inospitale«, diversamente spiegata dagli scoliasti e dai critici moderni.40 Sofocle descrive come disabitata una parte dell’isola, l’akté,41 zona dell’abbandono di Filottete da parte dei Greci, la mia ipotesi è che si riferisse a un’esperienza importante fatta da Atene nel V secolo, l’insediamento dell’apoichia in quella parte dell’isola che non era stata particolarmente utilizzata da Efestia e che ai primi coloni si era certamente presentata aspra e difficile da coltivare; come ho già sopra precisato, originariamente si trattava della parte sudorientale dell’isola, che si estende dall’area del moderno villaggio di Komi sino alla punta a sud di Skandali. Non sappiamo quanti coloni, nell’ultimo decennio del V secolo, giunti ormai alla seconda o terza generazione, sentirono l’esigenza di tornare ad Atene per difendere la loro patria, nel 404 con la resa di Atene gli Spartani imposero il ritiro degli Ateniesi dall’isola, ma con la pace di Antalcida del 387/6 gli Ateniesi riottennero il possesso di Sciro, Imbro e Lemno (e della vicina Halonnesos) e la polis Myrina si affermò come centro politico della comunità ateniese. La grotta di Filottete descritta da Sofocle aveva due aperture e riceveva il sole anche d’inverno, pertanto era rivolta a sud,42 questi dettagli sembrano riferirsi a un punto noto di questa regione: nell’insenatura di Fanaraki, si apre una serie di grotte (ora denominate Agios Fokas). Davanti a una di queste si nota una grande grotta con antistante una roccia lavorata dal mare che vi ha scavato un doppia apertura (fig. 5),43 particolarità che i marinai ateniesi nel corso delle navigazioni tra la baia di Moudros e la costa sudorientale dell’isola potevano aver notato e descritto ad altri Ateniesi nel corso dei loro viaggi in patria. Da Fakos, la penisola meridionale di Lemno, si vede Agios Eustratios (fig.2) particolare al quale, come già sopra ricordato, aveva alluso Sofocle nella tragedia intitolata Le Lemnie (l’invocazione a Lemno e alle colline di Chryse come vicine a Lemno), anche questo dettaglio denota come Sofocle fosse ben informato dai resoconti dei marinai e degli Ateniesi insediati a Lemno, circa il dato essenziale della vicinanza tra Lemno e Halonnesos e della visibilità di quest’ultima. Filottete nell’addio all’isola non la dipinge più come invivibile, ma anzi saluta le ninfe delle acque e dei prati, le sorgenti, la fonte Licia. L’eroe mostra rimpianto per quella parte di isola nel quale aveva trascorso quasi un decennio ed è significativo che la chiami πέδον ἀμφίαλον (territorio circondato dal mare): si noti che l’aggettivo ἀμφίαλος di per sé sarebbe insensato se applicato a una qualsiasi isola, ma qui descriveva bene l’aspetto isolano della parte sudorientale di Lemno, essendo circondata dal mare su tre lati e con il mare visibile, 40

L. Bettarini, Λῆμνος ἀμιχθαλόεσσα (Il., XXIV 753), in: Quaderni urbinati di cultura classica 74, 2003, 69–88, cui rinvio per la brillante analisi linguistica e la bibliografia relativa, interpreta l’origine di questo attributo come allusione al mito del misfatto compiuto dalle donne lemnie. 41 Vv. 1sg.: Ἀκτὴ μὲν ἥδε τῆς περιρρύτου χθονὸς / Λήμνου, βροτοῖς ἄστιπτος οὐδ’ οἰκουμένη. (Questa è una penisola di suolo roccioso / non calpestata né occupata dai mortali.) 42 Non era dunque quella che il turismo moderno indica sotto lo strapiombo del Kabirion. Dai versi 564–565 del Filottete di Accio (vv. 564sg., ed. Warmington), tragedia che rielaborava il Filottete di Euripide, si deduce che nell’ideazione euripidea l’antro dell’eroe si trovava nella parte settentrionale dell’isola, non lontano da Efestia, ma su un’alta scogliera, quindi non si trattava della grotta marina sotto lo strapiombo del Kabirion. Anche nel racconto di Philostr., Heroicus 28,2, l’antro è sull’alto di una scogliera (o di un promontorio). 43 Χ. Καζουλις, Λήμνος εικόνες και φύση, Μύρινα 1998 (testi di Φ. Κατζιθεοδωριδης). (Ringrazio Ch. Kazoulis per l’autorizzazione a pubblicare due sue fotografie, p. 108 e 112).

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anche da modeste alture, sul quarto lato, vale a dire, oltre la sottile fascia istmica che chiude la baia di Moudros. L’aggettivo ἀμφίαλος usato da Sofocle era stato usato da Omero per descrivere Itaca (Od. 1,386), per questa specifica caratteristica l’analogia con Itaca è reale, in quanto anch’essa è caratterizzata da uno strettissimo istmo e la parte meridionale dell’isola sembra anch’essa un’isola. Un altro elemento che fa pensare all’originario stanziamento ateniese in una specifica parte di Lemno è la menzione di una località di nome Eubea a Lemno,44 tale nome si riferiva probabilmente alla somiglianza tra la forma dell’Eubea rispetto alla Grecia continentale e la forma della parte orientale di Lemno, separata quasi interamente (tranne come già ricordato, per la sottile area istmica settentrionale) da quella occidentale dall’ampia baia di Moudros, assimilabile all’Euripo. Dalla sua grotta fronteggiata da due aperture i lamenti di Filottete venivano riecheggiati dall’ Ἑρμαῖον ὄρος (v. 1459) il toponimo non si riferisce a un semplice simulacro o pilastro dedicato a Hermes, poiché il dio tra le sue prerogative aveva anche quella di protettore dei confini, poteva trattarsi di un genere di edificio specifico, che contrassegnava un punto fortificato lungo il confine tra due poleis,45 una specie di torre-tempio.46 Questo verso sofocleo rimanda anche alla menzione che Eschilo aveva fatto del termine Hermaion nell’Agamennone: v. 283: Ἑρμαίον λέπας / Λήμνου (»le erte rocce dell’Hermaion di Lemno«) ove l’oronimo è inserito in una grande rete di punti di segnalazione visive irradiate »dallo splendore di Efesto« (quindi effettuate con il fuoco) dal monte Ida alle erte rocce dell’Hermaion di Lemno, da qui all’alto Athos, etc., per annunciare la vittoria su Troia. Vediamo ora cosa si vede dall’area della grotta a due aperture situata a Fanaraki, nel sud-est dell’isola:47 in lontananza l’isoletta di Kastrì (ora dominata da una fortificazione moderna) e quasi di fronte lo Skopòs, il colle più alto di Fakos (319 slm, dal quale verso sud si vede l’isola di A. Eustratios); forse è questo il colle sul quale era stato costruito l’Hermaion cui Sofocle fa rivolgere il saluto di Filottete prima dell’imbarco. Alle pendici del colle si nota un tratto del lato nordest della penisola di Fakos ove si trovano i resti di una struttura difensiva, Kastriaki (fig. 4). Kastrì e Kastriaki sono due punti fortificati di rilievo strategico complementare che controllano l’ingresso nella baia di Moudros. Il colle Skopòs era ed è il punto di vedetta più importante dell’intera isola per il controllo dei transiti marittimi nel braccio di mare tra Lemno e A. Eustratios, dallo Skopòs si vede, inoltre, il kastro di Myrina, all’orizzonte verso nordovest 44 45

Strab. 10,15. Dall’uso del termine Hermaion in Pausania si deduce che la costruzione si trovava abitualmente lungo linee di confine, come, ad es. tra i Messenii e i Megalopoliti (8,34,6; 8,35,2). 46 Come ho avuto modo di stabilire trovando un Hermaion su un colle a sud di Bouzi (Ftiotide); vedi: Cantarelli et al., Acaia Ftiotide I (cit. in nota 1), 98–100. La torre-tempio era costruita lungo il confine tra Pereia e Meliteia ed è menzionata dalla famosa iscrizione (Syll.2 546B) che regolava i confini tra le due poleis, nonostante la già avvenuta messa in comune dei rispettivi territori; per la pianta e la foto, F. Cantarelli, Le ultime attività del gruppo italiano: anticipazioni sul sistema difensivo della polis Meliteia, in: Panepistimio Thessalias kai Uporgeio Politismou kai XIII EΠKA (ed.), Archaiologikò ergo Thessalias kai Stereas Elladas, t. 2, Stereà Ellada, 2006 (Volos 16.– 19.3.2006), 1181–1188. 47 L. Beschi, Cartografia, topografia e toponomastica di Lemno (XV–XVIII secolo): alcune osservazioni, in: Journal of Ancient Topography 11, 2001, 23–48, part. 45sg., diversamente, ritiene che la grotta di Filottete fosse stata immaginata presso Efestia e ipotizza che l’Hermaion fosse il monte Skopiàs, sito nel nord-ovest dell’isola.

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la punta del monte Athos e verso nordest l’intera baia di Moudros, la naturale demarcazione tra la chora di Myrina e quella di Efestia fino quasi all’istmo. Forse Sofocle evocando come Eschilo l’Hermaion di Lemno intese proporre anche un’analogia tra l’annuncio della vittoria degli Achei a Troia e quello della vittoria a Sesto nel 411, resa possibile anche grazie a un ampio sistema di segnalazioni ignee nel Chersoneso che avvertirono la flotta ateniese dell’ingresso della flotta spartana nello stretto; questo grande successo (come la vittoria di Cizico nel 410) ridiede temporaneamente fiducia ad Atene sul piano militare e del rifornimento di cereali. Si è visto che l’aver collocato l’episodio del serpente che ferisce l’eroe nell’isola di Chryse costituiva un’innovazione, è possibile che Sofocle volesse alludere in tal modo al precario controllo che Atene aveva dell’isola di Halonnesos a causa dei pirati che avevano le loro basi lungo le coste della Tracia e del Chersoneso, e le ricorrenti difficoltà politico-militari. Appiano48 racconta, nel contesto di operazioni belliche condotte da Lucullo, che in un’isola deserta περὶ Λῆμνον si indicava un altare dedicato all’eroe Filottete, un serpente in bronzo, un arco e una corazza; questo monumento in onore dell’eroe di Lemno probabilmente era stato eretto dai coloni ateniesi per sostenere i diritti di Atene anche sulla vicina isola di Halonnesos. Filostrato49 racconta una vicenda sicuramente raccolta nell’ambiente ateniese: mentre gli Achei erano a Troia, a Filottete sarebbe stata concessa dal re Euneo, figlio di Giasone, una parte dell’isola di Lemno (dal nome allusivo di Akesa, da achesis, a ricordo della cura che i suoi combattenti Melibei gli avevano praticato nell’isola), come ricompensa per essere stato suo alleato nel cacciare i Carii da »piccole isole«; questo singolare racconto sembra rispecchiare molto bene la propaganda ateniese che in età classica raffigurava un’analogia tra l’eroe liberatore antico e gli Ateniesi, quali degni occupatori di una regione dell’isola in qualità di liberatori dai pirati di isole e delle rotte dell’Egeo. Pausania50 parla della scomparsa dell’isola di Chryse, tale scomparsa si colloca dunque tra gli anni settanta del I sec. d.C. e l’epoca di Pausania. Se a Chryse, vale a dire, Halonnesos (A. Eustratios) ai tempi della guerra mitridatica si poteva vedere il monumento dedicato a Filottete e Pausania ricorda Chryse per la sua scomparsa, potrebbe essere utile una migliore conoscenza di quella parte di A. Eustratios che ha conservato nel suo toponimo quello antico di Halonnesos, l’area della Paralia Alonitsi e dell’area interna, molto importante sul piano archeologico per le strutture di epoca protostorica che costituivano un ampio insediamento. L’analisi del paesaggio di questa Paralia consente di capire che la tradizione raccolta da Pausania della scomparsa di Chryse va ovviamente molto ridimensionata nel senso di inabissamento di una parte costiera vicina all’insediamento protostorico, la causa potrebbe essere stata la frammentazione in mare, in seguito a uno o più sismi,51 di una penisola della quale ora rimane il promontorio Maggour, che chiude la Paralia Alonitsi, mentre sopra il livello del mare affiorano ora solo piccoli tratti che formano una serie di isolotti, denominati Agioi Asomatoi, vale a dire, secondo l’uso di questo termine nel culto bizantino, gli arcan48 49 50 51

Mithr. 77. Philostr., Heroicus 28,6. 8,33,4. Cfr. M. Moggi, M. Osanna, Commento a Pausania VIII, Milano 2003, 455. Nelle Sporadi orientali sono frequenti, più che nella Grecia continentale, l’ultimo, che ha colpito gravemente il villaggio di A. Eustratios, risale al 1969.

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geli, in particolare l’arcangelo Gabriele, rappresentato sempre con il drago. Il più consistente di questi isolotti si chiama Agia Eleni (fig. 3), ma anche Velia (carta a scala 30:000) e Roumpos (carta nautica), quest’ultimo toponimo significa freccia, forse in rapporto alla sua forma allungata. Dalla Paralia Alonitsi e ancor più da A. Eleni che la fronteggia si ha una buona visuale della parte sudorientale di Lemno e di Tenedo. Nel passo dedicato alla scomparsa di Chryse Pausania contrapponeva il decadimento o la scomparsa di centri un tempo ricchi ad altri fondati da poco e pervenuti in breve volgere di tempo a grande splendore, in definitiva, se si tiene conto di quanto ho osservato circa gli isolotti che si vedono di fronte alla Paralia Alonitsi, l’impressione è che, al di là del topos delle sventure di luoghi un tempo famosi, quel passo può essere messo in relazione con le conseguenze di uno o più sismi. L’isola di Chryse, come luogo del ferimento di Filottete, più che una variante mitica vera e propria si può considerare un’innovazione che Sofocle aveva introdotto nel mito dell’eroe per l’evidente interesse ateniese a considerare il possesso di Lemno non separabile da quello della vicina isola di Halonnesos. Spero, in conclusione, di avere argomentato la mia ipotesi relativa ai veri destinatari dell’invito al ritorno per difendere la patria in pericolo sottintesi nel Filottete di Sofocle, gli Ateniesi insediati a Lemno, Imbro e Sciro, e aver sottolineato l’interesse che la politica e la cultura ateniese manifestarono per le Sporadi nordorientali specialmente tra il VI e il IV secolo. Floriana Cantarelli Università degli Studi di Milano, Dipartimento di Studi Letterari, Filosofici e Linguistici Via Festa di Perdono 7, I-20122 Milano [email protected]

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Fig. 1: L’Egeo settentrionale, particolare da A. van Kampen, Orbis terrarum antiquus in scholarum usum descriptus, Gothae 1888.

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Fig. 2: Isola di A. Eustratios vista da Fakos, Lemno (foto: Ch. Kazoulis, Lemnos. Scenes and Nature, Myrina 1998, 108)

Fig. 3: Isolotto di A. Eleni a est di A. Eustratios (foto: Cantarelli)

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Fig. 4: Kastriaki (Fakos, Lemno), alle pendici del colle Skopós (foto: Cantarelli)

Fig. 5: Fanaraki (Lemno), la grotta con la doppia apertura (foto: Ch. Kazoulis, Lemnos. Scenes and nature, Myrina 1998, 112)

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Fig. 6: Paralia Alonitsi (A. Eustratios) e l’isolotto di A. Eleni (foto: Cantarelli)

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Tracce di itinerari greci nel Mediterraneo orientale dal Tardo Bronzo all’Arcaismo

La testimonianza ittita In un contributo di qualche anno fa, una relazione al congresso tenutosi a Firenze per il cinquantenario della decifrazione della lineare B,1 avevo illustrato i motivi che mi inducevano a supporre una presenza greca in area anatolica con caratteristiche tali da essere in qualche misura assimilabili a quelle di un ruolo istituzionale. Mi riferivo a quel tal Attaršija, citato come LÚURUAhhija, di cui si parla in un testo che contiene le lagnanze del re ittita nei confronti di Madduwatta, verosimilmente un suo vassallo poco incline a rispettare i limiti di questo suo ruolo (CTH, 147=KUB XIV, 1=AU, XIX).2 Attaršija parrebbe dunque essere rappresentante – fors’anche fra i primi – di una presenza greca rispondente a connotati istituzionali di ambito monarchico, se abbiamo inteso nel modo giusto; ma dov’era la sua sede e base di operazioni? Ci è noto che Attaršija ha cacciato via Madduwatta, dalla sua regione (t[u-e]l KÚR-ja-az; tuel, ›di te‹: è il re che si rivolge al suo vassallo). Sappiamo che il re ha posto sotto il dominio di Madduwatta (se è giusto il supplemento EN-anni) la regione montuosa di Zippašlā, la stessa (Madd. 4,15), KÚRHUR.SAG a cui appartiene anche la regione di Harijati, dove il re dice a Madduwatta di andare ad abitare. Il vassallo, riottoso e malfido, rifiuta, ma quel che più importa è che Harijati è a ridosso della regione di Hatti (4,18, A.NA KÚRURU Hatti maninku), come afferma lo stesso re. La regione di Madduwatta sembrerebbe quindi occupare, grosso modo, un’area centro-occidentale dell’Anatolia meridionale, confinante a nord col regno di Hatti. 1

M. R. Cataudella, Un ›acheo‹ del XV secolo e la monarchia micenea, in: M. R. Cataudella, A. Greco, G. Mariotta (edd.), Gli storici e la lineare B cinquant’anni dopo, Atti del Convegno Internazionale, Firenze 24–25 nov. 2003, Padova 2006, 43sgg. 2 A lui il re ittita si rivolge con la formula A.NA MA. HAR (ib. 7,41), una formula di riguardo che riconosce ad Attaršija un rango superiore, quella stessa che spetta al re, mentre A.NA è quella che spetta a chi è di rango inferiore. Vd., ad es., il trattato fra il re e Šunaššura, su cui M. Liverani, Storiografia politica ittita I. Sunassura, ovvero: della reciprocità, in: Oriens Antiquus 12, 1973, 267sgg. Sul problema vd. ora il punto e bibliografia in R. Fischer, Die Aḫḫijawa-Frage, Wiesbaden 2010, 57sgg.; per il testo vd. eddizione di A. Goetze (Darmstadt 1968) e Sommer, AU, 329sgg.; sulla datazione vd. H. Otten, Sprachliche Stellung und Datierung des Madduwatta-Textes, Wiesbaden 1969; nuovo esame dei problemi in V. Parker, Bemerkungen zur mittelhethitischen Geschichte. Madduuattaš und seine Zeit, in: Klio, 78, 1996, 7sgg.; vd., da ultimo, profilo e bibliografia di R. H. Beal, Hittite Anatolia: A Political History, in: S. R. Steadman, G. McMahon (edd.), The Oxford handbook of ancient Anatolia, 10.000–323 B.C.E., Oxford/New York 2011, 579sgg.

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Sicuramente indicativa sarebbe l’affermazione che il re aveva dato a Madduwatta come sede la regione del fiume Šijanta (21,11), se questo fiume fosse da identificare con l’Halys dei Greci; in tal caso, sarebbe da identificare col Maraššantija degli Ittiti, più o meno alla stessa longitudine dell’isola di Cipro.3 Ed è, più o meno, la stessa ampia area in cui opera Madduwatta dal §22,19 in poi del nostro testo, da padrone dell’intera regione di Arzawa (22,20, KÚRURU Arzawa human daš), con la regione di Hapalla, a est dell’Arzawa, sempre con qualche approssimazione alla longitudine di Cipro, o poco a ovest.4 Intorno a questa area dovette svolgersi la vicenda, in qualche misura parallela, dell’›acheo‹, spinto dall’obbiettivo di distruggere Madduwatta, e quindi prossima di quest’area doveva essere la base operativa per i suoi reiterati attacchi; se poi indizio ulteriore si può tentare di cogliere, uno spunto sembra fornire la sua posizione così come è presentata in 36,84sgg., in un contesto sempre lacunoso e di incerta interpretazione. Un incaricato del re, Mullijara, infatti, va come ambasciatore del re (29,55, LÙ GIŠPA haliki), e chiede conto a Madduwatta di qualcosa che è oggi illeggibile, ma che, con quel che segue, induce a ritenere un’azione riguardante Alašija, Cipro, e a danno del re. E in effetti il vassallo sembra difendersi rivendicando la sua ›estraneità‹ alla vicenda, quando afferma che Attaršija e un non meglio identificato ›uomo di Piggaja‹ walhanniskir la terra di Alašija. E’ la voce verbale walhanniškir, III plur. di un indicativo preterito, a suggerire una prima considerazione: essa è formata dalla rad. *walh-, con l’aggiunta del suffisso -annāi – e poi ancora del suffisso -šk, il primo con valore di continuità, il secondo con valore iterativo. Ne risulta, come mi pare, un significato che richiama in qualche misura il valore ›resultativ‹, ossia di azione compiuta nel passato, ma di effetto perdurante nel presente;5 se così è, il valore dell’azione compiuta da Attaršija, oltreché dall’›uomo di Piggaija‹, sembra delinearsi nel senso della conquista di un dominio nel passato e mantenuto ancora nel presente, il dominio di Alašija appunto, ossia Cipro. A definire ulteriormente la posizione di Attaršija servono le parole che successivamente pronuncia Madduwatta nella sua difesa di fronte alle rimostranze del re; kuriwaneš, il termine con cui Madduwatta indica Attaršija, e l’›uomo di Piggaija‹, è contrapposto a quello che definisce il ruolo del vassallo stesso, Madduwatta, e cioé ÌR DUTUŠI; tutto fa credere allora che l’›acheo‹ occupi una parte del territorio di Alašija, in condizione di completa autonomia, almeno rispetto alla monarchia di Hatti. Per altro verso, la continuità nei secoli e la rilevanza della presenza greca a Cipro ben si colgono attraverso vari indizi: basti pensare alle iscrizioni relative alla cattura di Iam(a)nāia, trovate nel palazzo di Khorsabad;6 ebbene, che Iam(a)nāia sia la resa accadica del gr. ἸάϝονεϚ non par dubbio, dato che è regolare l’esito accadico del ϝ intervocalico 3

L’ipotesi di identificazione nasce dal significato probabile di Šijanta, ossia ›sale‹, lo stesso di Halys verosimilmente, ma non è l’unica; vd. E. Sapir, Hittite Siyanta and Gen. 14.3, in: The American Journal of Semitic Languages and Literatures, 55, 1938, 86sgg., ivi discussione e bibliografia; per E. Forrer, Forschungen I, H.2, Berlin 1926, 112, il Šijanta era ancora più a est, in Cilicia. 4 Vd. Fischer (come n. 2), 50sg. 5 Genesi e caratteristiche del perfetto indeuropeo, ad es., in P.-A. Mumm, Retrospektivität im Rgveda: Aorist und Perfekt, in: H. Hettrich et al. (edd.) Indogermanische Syntax, Fragen und Perspektiven, Wiesbaden 2002, 157sgg. 6 Vd. testi in D. D. Luckenbill, Ancient Records of Assyria and Babylonia, II, Chicago 1927, 41, 46, 51, 61, ecc.

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in m.7 Essi sono definiti come »coloro che abitano in mezzo al mare del sole che tramonta« (ša qabal tam-tim e-reb dšamši) nei Fasti della sala XIV del Palazzo di Sargon II;8 in altri testi dello stesso argomento è usata soltanto la localizzazione ›in mezzo al mare‹ (ša qabal tam-tim).9 La formula, completa o abbreviata, identifica il Mediterraneo, in quanto a occidente rispetto alla regione degli Assiri, e si riferisce a un’isola, Cipro, dal momento che la formula citata richiama (Ia)-ad-na-na, che soprattutto nei testi di Sargon indica l’isola di Cipro.10 Per altro, ogni dubbio può esser fugato, dal momento che Kition si trova a (Ia)-adna-na, come suggeriscono, ad es., la stele di Sargon e un prisma di Nimrud.11 Una conferma del radicamento greco a Cipro sarebbe certamente lo stesso nome (Ia)ad-na-na, se esso fosse da intendere come Ia=isola + D(a)nana=Danuna,12 isola dei Danuna, e questi fossero i Danaoi dell’epica, di cui si dirà più avanti; in ogni caso, l’accenno a Kition richiama un ulteriore elemento nella prospettiva della presenza greca a Cipro: in Genesi, 10,4 – testo ben noto – figli di Javan sono designati Eliša, Taršiš, Kittim, R/Dodanim, e l’unico dei quattro termini del testo biblico relativo ai figli di Javan su cui non sussistano dubbi di sorta è Kittim, etnico che è evidente riferimento ai Greci di Cipro.13 Ma lo stesso testo di Gen. 10,4 è il caso ancora di richiamare per un altro dei nomi citati, Taršiš;14 per Taršiš, ben si sa, prevalgono due ipotesi di identificazione, Tarso e Tartesso, suggerite a diverso titolo da un ovvio motivo di ordine fonetico, anche se la prima può avere dalla sua parte il ricorrere di nomi assimilabili a quello biblico in ambito neoassiro, a cui Tartesso è del tutto estranea. Pensiamo alla testimonianza di Berosso, com’è molto probabile, pervenuta attraverso Alessandro Polistore e in Eusebio, nei Chronica (versione arme7 8 9 10 11 12 13

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Vd. confronti in M. C. Astour, Hellenosemitica, Leiden 1965, 352 e in P. J. Riis, Sukā I, København 1970, 135 n. 515. Vd. Luckenbill (come n. 6), 41, §80. Vd. supra nn. 5 e 7. Vd. Astour (come n. 7), 48sgg. e J. Elayi, A. Cavigneaux, Sargon II et les Ioniens, in: Oriens Antiquus 18, 1979, 59sgg., qui 63sg. Lettura e interpretazione in H. Winckler, Die Keilschrifttexte Sargons, I, Leipzig 1889, 183; C. J. Gadd, Inscribed Prisms of Sargon II from Nimrud, in: Iraq 16, 1954, 173sgg., qui 192sgg. Vd. Astour (come n. 7), 48sgg. Vd. ampio esame in S. Mazzarino, Fra oriente e occidente, Firenze 1947, ristampato con prefazione di F. Cassola, Milano 1989, 114sgg. e passim; G. Garbini, I Fenici, Napoli 1980, 97sgg., ivi bibliografia. In realtà, tutti e quattro i termini relativi ai ›figli di Jāvān‹ interessano chi cerca di individuare i movimenti dei Greci e gli stanziamenti conseguenti, ma l’incertezza predomina. Tuttavia la lettura del testo suggerisce due indizi, anzitutto la constatazione che i primi due termini (älīšāh wetarešīš) sono uniti dalla congiunzione, così pure il terzo e il quarto (kitjim wedōdānjim), mentre invece manca la congiunzione fra il secondo e il terzo termine (wetarešīš kitjim); ciò vuol dire che si tratta di due coppie di termini e non di un elenco senza un ordine apparente. In secondo luogo, è facile notare che gli ultimi due sono plurali e sono degli etnici, i primi due invece appaiono come toponimi: è un punto già messo in luce da M. Liverani in Garbini (citato all’inizio di questa nota); parrebbe quindi naturale l’ipotesi che i primi due siano le sedi rispettive dei due etnici, ossia Eliša di Kittim, Taršiš di Dodanim. A confermare questa ipotesi – ma nulla vale ad attenuare l’incertezza dominante – potrebbe essere l’unico termine di interpretazione relativamente sicura, Kittim, popolo di Cipro; se la rispondenza è fondata, la sede sarebbe Eliša, in cui è lecito vedere con buona verosimiglianza l’Alašija del testo ittita, ossia Cipro (Eliša è un’isola in Ez 27,7). Dei rimanenti ›figli di Jāvān‹ si dirà più avanti, ma l’incertezza domina come e più che per gli altri due, soprattutto riguardo a Dodanim, di cui possiamo prendere in considerazione anche una lettura Donanim (Danaoi?) e una Rodanim (pensiamo alla traduzione Ῥόδιοι dello stesso passo [10,4] nei Settanta). Vd. anche in Chronicon 1,1,7 formula analoga a quella di Gn 10,4.

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na),15 dove leggiamo Tharsin e Tharson; pensiamo a Tarzi, Taršiši, ecc. delle iscrizioni neoassire,16 e se alcune citazioni bibliche di Taršiš possono evocare l’idea di un luogo lontano e di una vocazione essenzialmente navale (ad es., Chronica 1,10,22; 1,22,49; 2,20,36), non si possono ignorare ricorrenze che fanno pensare di più all’area cilicia, e quindi a Tarso (ad es., Ps. 72,10, I re di Taršiš e delle isole …, e l’associazione delle isole al Mediterraneo orientale è tema piuttosto consolidato, che ho sopra richiamato);17 per altro, la derivazione fenicia della ›Tavola dei popoli‹, probabile sicuramente, giustifica un interesse alla grecità delle regioni prospicienti assai più che una prospettiva coloniale, che veda, poniamo, in Eliša Cartagine e in Taršiš Tartesso, e ignori, ad es., la Sicilia. E in effetti, quel che va tenuto in conto prioritario è che deve trattarsi di Greci, in quanto figli di Javan, e per esser detti tali non hanno titoli idonei Cartagine e Tartesso. Il problema comunque resta; in ogni modo, se Taršiš di Gn 10,4 fosse da identificare con Tarso, traccia di una presenza greca, come a Cipro, sarebbe da individuare anche in Cilicia; e parrebbe non essere fenomeno del tutto isolato se il ricorrere di un nome nello stesso testo che abbiamo seguito dall’inizio, il ›Madduwatta‹ (33,75), ossia Mukšaš, attira la nostra attenzione sulla Cilicia fra XV e XIII sec., e su una dinastia di cui tracce più compiute possediamo per un periodo di circa sei o sette secoli più recente, nella forma Mopsos di area fenicia e greca.18 Dalla ben nota bilingue luvio-fenicia di Karatepe si ricava un nome Urikki, re di Adana (nella versione luvia), di Dnnym (nella versione fenicia), appartenente alla ›casa di Mopso‹, ciò che non permette di risolvere il problema di Dnnym, se non per quel che pare certamente verosimile, l’identificazione con i Qwe, Qewe, ecc. dei testi neoassiri della seconda metà dell’VIII sec., dove è definita la posizione di fronte al re di Assiria di un re di Qwe, con lo stesso nome Urikki: consequenziale si profila allora l’equivalenza Dnnym/(Danaoi)=Achaioi/Qewe.19 Che di Greci si tratti è opinione che gode di ampio credito e indizi di notevole rilevanza militavano già in suo favore; la svolta avviene con la pubblicazione 15 16

Trad. di Karst, pp. 13, 17. Vd. materiale e discussione soprattutto in J. D. Bing, A History of Clicia during the Assyrian Period, Bloomington 1969, 137sgg. e id., Tarsus: a forgotten colony of Lindos, in: JNES 85, 1971, 99sgg. 17 Gn 10,4, καὶ υἱοὶ Ιωυαν· Ελισα καὶ Θαρσις, Κίτιοι, Ῥόδιοι. ἐκ τούτων ἀφωρίσθησαν νῆσοι τῶν ἐθνῶν ἐν τῇ γῇ αὐτῶν, ἕκαστος κατὰ γλῶσσαν ἐν ταῖς φυλαῖς αὐτῶν καὶ ἐν τοῖς ἔθνεσιν αὐτῶν. 18 A tal proposito, potrebbe non essere casuale che nello stesso contesto in cui nel ›Madduwatta‹ compare Mukšaš, compare anche l’›uomo di Piggaija‹, se Piggaija è da intendere come toponomo Perge (vd. R. Dussaud, Prélydiens hittites et achéens, Paris 1953, 61), dal momento che Mopso era venerato come ecista di Perge (vd. anche M. J. Mellink, Archaeology in Asia Minor, in: AJA 59, 1955, 231sgg., qui 237); assumerebbe certamente particolare rilievo il misterioso ›uomo di Piggaija‹, se si potesse accettare con sicurezza la lettura Piggaija=Sphēkeia, antico toponimo pertinente a Cipro (ampia documentazione sul nome dell’isola in W. Brandenstein, Kypros, in: RE Suppl. 6, 1935, 212–216), ciò che sarebbe conferma della collocazione cipriota del territorio dell’›Acheo‹. Ipotesi entrambe plausibili, ma nulla più. 19 Una lista di tributari di Tiglat-Phalazar III (744–727) comprende un re di Q(e)we (vd. H. Tadmor, The Inscriptions of Tiglath-Peleser III King of Assyria, Jérusalem 1994, 54sg., 170sg.); una lettera di Sargon II (721–705) indirizzata al capo della regione di Qwe, Aššur-šarru-ụsur, trovata a Nimrud, ND 2759 (vd. H. W. F. Saggs, The Nimrud letters. Part IV: The Urartian frontier, in: Iraq 20, 1958, 182sgg.; G. B. Lanfranchi, Esarhaddon, Assyria and Media, in: State Archives of Assyria Bulletin 2, 1998 (2000), 39sgg.).

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dell’iscrizione di Çineköy, anch’essa una bilingue luvio-fenicia.20 E’ Urikki che scrive, appartenente alla dinastia di Mopso, ed è re di Dnnym; in realtà ›re di Dnnym (mlk Dnnym)‹ non si legge nella versione fenicia, ma è supplemento certo – si può dire – perché tale è Urikki nella versione fenicia di Karatepe, e perché nella versione luvia di Çineköy si legge analoga formula che lo definisce re, hiyawa[ni]s.... REX-tis, espressione confermata dalla presenza dell’etnico corrispondente (§6, hi-ya-wa/i-sa URBS), unito all’etnico degli Assiri, a significare l’alleanza fra i due regni. Questo etnico è, evidentemente, l’elemento nuovo: da esso infatti si ricava l’equivalenza hi-ya-wa/i-sa=Dnnym, che rappresenta la premessa migliore per l’identificazione di questo regno che ha esercitato un ruolo importante nella Cilicia fra IX e VII sec., grosso modo. Ebbene, l’identificazione di hi-ya-wa/i-sa con il ben più noto Ahhijawa (Ahhija) dei testi ittiti è sostenuta e documentata già dal Tekoğlu,21 il quale mette in rilievo, in particolare, che la ›mobilità‹ della a-iniziale è fenomeno tutt’altro che raro (si pensi, ad es., all’alternanza Assyria/Syria, ’SR=su+ra/i-ia-sa [URBS] nella bilingue di Çineköy).22 A ciò si aggiunga il confronto con i testi di più recente scoperta nella cosiddetta ›casa di Urtenu‹ a Ras Shamra, in lingua accadica, grosso modo della fine del XIII sec. (RS 94.2530 e RS 94.2523); destinatario dei documenti è Hammurapi, re di Ugarit, il mittente è un ittita, un re o un’alta alta carica: vi è menzione di ›uomo (uomini) di Hiyawa‹ (LÚ hi-ia-ú-wi-i, LÚ hi-ia-a-ú, LÚ.MEŠ hi-iaú-wi-i); anche qui, dunque, in area diversa, troviamo la forma con aferesi.23 Pertanto la presenza di regni greci in Cilicia, nell’VIII sec. grosso modo, non è da mettere in dubbio, come pare; d’altra parte, anche per gli etnici Qwe e Dnnym, oltre Hiyawa, l’associazione all’ethnos greco appare, indipendentemente, per vari indizi verosimile: che Qwe, Qewe possano essere un esito accadico di (A)chaiϝoi, Hiyawa, (Ah)hijawa non è certo ipotesi peregrina; per altro verso, anche per Dnnym buone ragioni inducono a ritenere che fosse un etnico con cui si denominavano i Greci, come la tradizione epica greca li denominava Danaoi, la cancelleria assira parlava di Danuna, ecc. Il ricorrere di Dnnym, nei testi di Karatepe e, verosimilmente, di Çineköy, negli stessi contesti in cui si trova menzione della città, ’dn, cioé Adana, ha suggerito l’ipotesi che il primo sia l’etnico della seconda; ciò è possibile 20

Ed. e comm. di R. Tekoğlu, A. Lemaire, La bilingue royale louvito-phénicienne de Çineköy, in: CRAI 2000, 961sgg.; nuovo approfondimento da parte di G. B. Lanfranchi, The LuwianPhoenician Bilingual of Çineköy and the Annexation of Cilicia to the Assyrian Empire, in: R. Rollinger (ed.), Von Sumer bis Homer. FS M. Schretter, Münster 2005 (AOAT 325), 481sgg. 21 Cit. in nota prec., 977sgg. 22 Osservazioni di particolare rilevanza in merito risalgono a P. Kretschmer, Nochmals die Hyparchäer und Alaksandus, in: Glotta 24, 1936, 218sgg.; sull’esempio citato, relativo alla denominazione, vd. impostazione del problema a opera di T. Nöldeke, Assurios Surios Suros, in: Hermes 5, 1881, 443sgg., e ora R. Rollinger, The Terms Assyria and Syria again, in: JNES 4, 2006, 283sgg. 23 Vd. S. Lackenbacher, F. Malbran-Labat, Ugarit et les Hittites dans les archives de la ›Maison d’Urtenu‹, in: SMEA 47, 2005, 227sgg.; I. Singer, Ein Brief aus Hattuša an Babu-ahu-iddina, in: Archiv für Orientforschung 33, 2006, 242sgg.; e ora T. Bryce, The Hittite Deal with the HiyawaMen, in: Y. Cohen, A. Gilan, J. L. Miller (edd.), Pax Hethitica, Wiesbaden 2010, 47sgg.; vd. anche id., History, in The Luwians, ed. by H. Craig Melchert, Handbook of Oriental Studies, Leiden/Boston 2003, 78. Può attirare l’attenzione il fatto che sia usato sia il singolare sia il plurale nella menzione di Hi-ya-wa, e non può sfuggire l’analogia con l’espressione ben nota che ricorre nel ›Madduwatta‹, che potrebbe essere contemporanea con larga approssimazione, se se ne accogliesse la cronologia bassa; la posizione e il ruolo di Hi-ya-wa meritano approfondimento (ovviamente in altra sede), e così pure natura e funzione di LÚ-hilki e PAD.MEŠ.

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sicuramente, anche se l’aferesi costante nell’etnico, e rarissima nel nome della città, può favorire qualche riserva.24 In ogni caso, sarebbe un processo analogo a quello, poniamo, di Kittim per designare gli abitanti di Kition, e quindi i Ciprioti e poi i Greci.25

Achei e Danai. Tempi e luoghi di un itinerario La presenza di regni greci autonomi o stati vassalli a Cipro e in Cilicia non appare dunque negabile;26 un tratto sembra essere, in ogni caso, comune alle due esperienze: si tratta di una grecità che ha perso del tutto la sua connotazione culturale e le proprie specificità, fondendosi con la realtà locale, e si è amalgamata con essa fin quasi a soccombere. Il sintomo più rivelatore è la scomparsa della lingua: nessuno di questi documenti, che pur vedono i Greci come protagonisti, o parti in causa, ha una versione in greco, per quanto ne sappiamo; si usava ancora il greco probabilmente, ma doveva essere talmente barbarizzato, da diventare quasi incomprensibile, o almeno sgradevole all’orecchio di un greco puro. Ci si domanda allora se la presenza greca in Cilicia risalga a epoca anteriore a quella dei regni di cui si è detto, visto che almeno al XIII, se non al XV, risaliva la grecità cipriota in una veste istituzionale, per quel che pare più verosimile. Scontata la risposta positiva: due esempi soltanto, il primo è un testo di El Amarna contenente una lettera del re di Tiro Abimilki al faraone Amenophis IV (1370–1352), in accadico (lingua d’uso diplomatico), in cui l’autore dà notizie del re di Danuna e della sua condizione di pace d’intorno al 1365;27 è un regno da collocare in Cilicia con ogni verosimiglianza, se confinava con Ugarit, ed è difficile trovargli uno spazio a sud o a est.28 Secondo esempio: l’iscrizione fenicia di Kilamuwa, re di Sam’āl, qualche secolo dopo quella di Abimilki; ancora qui un mlk Dnnym (l. 7), nemico del re di Sam’āl contro cui questi chiede l’aiuto assiro.29 Probabilmente si potrebbe risalire ancora più indietro con la lettera del re di Biblo Rib-Addi ad Amenophis III (1405–1370), di 24

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Vd., ad es., mlk dn dell’iscrizione di Hassan-Beyli (l. 3), su cui A. Lemaire, L’inscription phénicienne de Hassan-Beyli reconsidérée, in: Rivista di Studi Fenici 11, 1983, 9sgg. Può far riflettere anche il fatto che eponimo di Adana sia Adanos. in Steph. Byz., s.v.; non può sfuggire tuttavia il carattere autoschediastico presumibile di questa notizia, mentre, per altro verso, tale notizia rende assai meno verosimile il legame fra la città e l’etnico Danaoi, che difficilmente avrebbe potuto eludere l’eponimia di Danao all’origine. Vd. Mazzarino (come n. 13), 112sg. e 120sg. E’ un aspetto di un problema di ampia prospettiva e di implicazioni diverse qual è quello dell’incontro fra i Greci e il vicino oriente, tema fertile e sempre attuale, e stimolante nell’esigenza di coinvolgere in un approccio unitario punti di vista che sono propri del classicista, del semitista, dell’anatolista; fra i contributi più recenti, W. Röllig, Asia Minor as a bridge between East and West: the role of the Phoenicians and Aramaeans in the transfer of culture, in: G. Kopcke, I. Tokumaru (edd.), Greece between East and West: 10th–8th centuries BC, Mainz, 1992, 93sgg.; R. Rollinger, The Ancient Greeks and the Impact of the Ancient Near East: Textual Evidence and Historical Perspective, in: R. M. Whiting (ed.), Mythology and Mythologies. Methodological Approaches to Intercultural Influences, Helsinki 2001 (Melammu Symposia 2), 233sgg.; id., Hethiter, Homer und Anatolien. Erwägungen zu Il. 3,300f. imd KUB XIII Nr. 3, III 1f., in: Historia 53.1, 2004, 1sgg.; vd. ora A. M. Greaves, The Greeks in Western Anatolia, in: Steadman, McMahon (come n. 2), 500sgg. J. A. Knudtzon, Die El-Amarna Tafeln, Leipzig 1915, I, lett. 151=Abimilki, lett. 6, ll. 52–55, 624sg. Cfr., ad es., M. C. Astour, Place-Names from the Kingdom of Alalah in the North Syrian List of Thutmose III: a Study in Historical Topography, in: JNES 22, 1972, 220sgg.

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tenore analogo a quella di Kilamuwa nei confronti di un D[an]una, anche se manca la designazione come re;30 ma, in ogni caso, l’antichità dell’istituto monarchico greco in Cilicia non pare da mettere in dubbio, se giuste sono le premesse, e così pure, in linea di massima, lo sviluppo di una vicenda più o meno parallela a Cipro. In contesto greco, per altro, compare probabilmente lo stesso termine Danaoi, in Tj-n3-jj-w, pur di dubbia traslitterazione, etnico o toponimo, nell’area egiziana della stele di Kom El Hetan.31 Ebbene, la tradizione greca più antica dà notizie di questo tenore: nel VII sec. Καλλῖνος (se non è da correggere in Καλλισθένης [West]) δὲ τὸν μὲν Κάλχαντα ἐν Κλάρῳ τελευτῆσαι τὸν βίον φησί, τοὺς δὲ λαοὺς μετὰ Μόψου τὸν Ταῦρον ὑπερθέντας τοὺς μὲν ἐν Παμφυλίᾳ μεῖναι τοὺς δ’ ἐν Κιλικίᾳ μερισθῆναι καὶ Συρίᾳ μέχρι καὶ Φοινίκης.32 E’ naturale che ci fossero anche i Greci fra i diversi popoli (τοὺς δὲ λαοὺς …) condotti da Mopso, greco, a valicare il Tauro e a raggiungere le zone costiere. Ma una notizia più esplicita proviene da Erodoto (7,91): Κίλικες … οὗτοι τὸ [μὲν] παλαιὸν Ὑπαχαιοὶ ἐκαλέοντο, ἐπὶ δὲ Κίλικος τοῦ Ἀγήνορος ἀνδρὸς Φοίνικος ἔσχον τὴν ἐπωνυμίην; ne deriva un primo dato importante, se con l’etnico Ὑπαχαιοί sono indicati i Greci,33 come è ovvia e quasi unanime opinione, ossia la conferma che i Greci erano insediati in Cilicia parecchi secoli prima delle bilingui d’epoca neoassira. Secondo dato importante, l’epoca a cui si riferisce la denominazione dei Greci di Cilicia come Ὑπαχαιοὶ: la tradizione che proviene da Erodoto non dà luogo a dubbi, questo etnico è in uso in età anteriore alla guerra di Troia, addirittura in epoca mitica è proiettato il cambiamento da Hypachaioi in Kilikes da Arriano, citato da Eustazio34 (ὅτι Κίλικες τὸ ἔθνος, καθά φησιν Ἀρριανός, ἀπὸ Κίλικος τοῦ Ἀγήνορος, ὃς ἐκ Φοινίκης κατὰ ζήτησιν Εὐρώπης σταλεὶς καὶ πολλὴν γῆν πλανηθεὶς οὐδενὶ μὲν ἴχνει τῆς παιδὸς ἐνέτυχε, τὴν δὲ πολλὴν τῆς Κιλίκων γῆς κατασχὼν ἀφ’ ἑαυτοῦ τὴν ἐπωνυμίαν τῇ χώρᾳ δέδωκεν), che conclude chiarendo il senso, per altro evidente, delle parole citate di Erodoto: Ἡρόδοτος δὲ λέγει ὅτι πρὸ τούτου Ὑπαχαιοὶ ἐκαλοῦντο οἱ Κίλικες. L’itinerario greco verso la Cilicia si trasferisce quindi in epoca molto antica. 29

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Ed. da F. von Luschan, Ausgrabungen in Sendschirli, IV, Berlin 1911, 374sgg.., e più volte riedita e commentata; vd. anche H. Bossert, Altkreta, Berlin 1937, 68 e J. Friedrich, Eine altphönizische Inschrift aus Kilikien, in: Forschungen und Fortschritte 24, 1948, 76sgg., e, in particolare, messa a punto di diversi problemi in F. M. Fales, Kilamuwa and the Foreign Kings: Propaganda vs. Power, in: WO 10, 1979, 6sgg.; P. Swiggers, Commentaire philologique sur l’inscription phenicienne du roi Kilamuwa, in: Rivista di Studi Fenici 11, 1983, 133sgg. Il testo in Knudtzon (come n. 27), I, lett. 117=Rib-Addi, lett. 32, ll. 91–94, pp. 512sg. Sul ruolo di Cipro rimando al mio saggio, citato all’inizio (n. 1), 43sg.; sulla stele ed. e comm. di E. Edel, Die Ortsnamenliste aus dem Totentempel Amenophis III, Bonn 1966 (Bonner biblische Beiträge 25), 34sgg. Strab. 14,4,3. Sul significato di Hypachaioi contributi di particolare rilievo sono quelli di P. Kretschmer, Die Hyparchäer, in: Glotta 21, 1932–33, 213sgg.; id., Nochmals die Hyparchäer und Alaksandus, in: Glotta 24, 1935–36, 203sgg.; contrari all’identificazione con i Greci il Sommer, AU, 358sgg., naturalmente, in quanto si oppose a qualsiasi ipotesi di allusione ai Greci nei testi ittiti, e I. Lévy, Les inscriptions de Karatepe, in: NClio, 3, 1950, 105sgg., qui 118, che pensò a una equivalenza Hypachaioi=Hilakku, piuttosto difficile da ammettere se l’equivalenza più ovvia di Hilakku sembrerebbe da legare piuttosto a Kilikes, Kilikia. Comm. in Dion. Per. 874.

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L’area d’origine di questo itinerario è ora il passo successivo, essenziale; dal nome stesso, Hypachaioi, è lecito cogliere un’indicazione, che non può essere se non sulla falsariga di formazioni toponimiche in parte analoghe; conosciamo, ad es., Ὑποχαλκίς e Ὑποθῆβαι;35 del primo nome conosciamo la genesi topografica, τὴν Ὑποχαλκίδα καλοῦσι διὰ τὸ ὑπὸ τὸ ὄρος τὴν Χαλκίδα κεῖσθαι.36 Del secondo, Ὑποθῆβαι, conosciamo la definizione omerica, οἵ θ’ ὑπὸ Θήβας εἶχον ἐϋκτίμενον πτολίεθρον,37 e sappiamo che era un πολισμάτιον che, come altri luoghi, prendeva il nome insieme col prefisso (πολλοὶ τόποι καλοῦνται μετὰ προθέσεων), dalla posizione in cui si trovava (διὰ τὴν τοῦ τόπου θέσιν οὕτως ὠνομασμένον). Insomma, Ὑποθῆβαι era Θήβαι ›di sotto‹, la ›Tebe del sud‹, ecc., contrapposta idealmente a una Tebe ›di sopra‹, ›Tebe del nord‹, che si identifica con Θήβαι da cui deriva Ὑποθῆβαι (παρώνυμοι, derivato). L’analogia non si stenta a trovare con Ὑπαχαιοί: così son denominati Ὑπαχαιοί gli ›Ἀχαιοί (di sotto) meridionali‹.38 La conseguenza appare piuttosto ovvia, se così è: la presenza di un nucleo di Ἀχαιοί a nord è da supporre necessariamente, quindi nell’Anatolia settentrionale; d’altra parte, è la stessa forma dei due etnici, Ἀχαιοί e Ὑπαχαιοί a indicare la ›filiazione‹ del secondo dal primo, e quindi anche la provenienza dei secondi dalla regione dei primi, come tutto fa credere: un asse di Greci del nord e Greci del sud. Di questo asse la tradizione fornisce qualche altro indizio: Strabone (14,5,21), ad es., riferisce di Cilici che stanno a Troia al tempo della guerra di Troia, e di Cilici che stanno al di là del Tauro, e che questi ultimi hanno avuto come condottieri i Cilici di Troia (Τῶν δ’ ἐν Τροίᾳ Κιλίκων ὧν Ὅμηρος μέμνηται πολὺ διεστώτων ἀπὸ τῶν ἔξω τοῦ Ταύρου Κιλίκων, οἱ μὲν ἀποφαίνουσιν ἀρχεγέτας τοὺς ἐν τῇ Τροίᾳ τούτων); di Cilici di Troia riferisce pure Callistene, che ne ricorda la partenza dalla piana di Tebe verso sud in Panfilia nella regione tra Faselide e Attaleia (φασὶ δ’ ἐν τῶι μεταξὺ Φασηλίδος καὶ Ἀτταλείας δείκνυσθαι Θήβην τε καὶ Λυρνησσόν, ἐκπεσόντων ἐκ τοῦ Θήβης πεδίου τῶν Τρωικῶν Κιλίκων εἰς τὴν Παμφυλίαν ἐκ μέρους, ὡς εἴρηκε Καλλισθένης).39 E’ una tradizione, come si vede, che conferma uno svolgimento dei fatti più o meno analogo: apprendiamo dalle fonti citate (Erodoto) che in Cilicia, oltre il Tauro, a chiamarsi prima Ὑπαχαιοί e poi Κίλικες era lo stesso popolo (οὗτοι τὸ [μὲν] παλαιὸν Ὑπαχαιοὶ ἐκαλέοντο, ἐπὶ δὲ Κίλικος … ἔσχον τὴν ἐπωνυμίην [Hdt. 7,91]; Ὑπαχαιοὶ ἐκαλοῦντο οἱ Κίλικες [Eust., Comm. Dion. Per. 874]): se Ὑπαχαιοὶ erano greci, dovevano essere greci, di conseguenza, anche questi Κίλικες. L’esistenza dei primi ci è suggerita dal nome stesso Ὑπαχαιοί per logica contrapposizione; ma anche i Κίλικες oltre il Tauro dovevano essere greci, visto che erano gli stessi Ὑπαχαιοὶ a diventare Κίλικες. Ma altri indizi sembrano spingere nella stessa direzione. Tende a delinearsi una sostanziale identificazione etnico-politica di Troia con la Troade e l’intera costa a essa pertinente;40 in Troia (ἐκ τοῦ Θήβης πεδίου τῶν Τρωικῶν Κιλίκων, Strab. 14,4,1; τῶν δ’ ἐν Τροίᾳ Κιλίκων, id. 14,5,21) sono compresi i Cilici. Sono testi già citati, e non altro che esempi; Et35 36 37 38 39 40

Ad es. Eust., Comm. ad Hom. 1,412. Steph. Byz., s.v. Ὑποθῆβαι. Vd. B, 505. Ampio esame di questa materia ha fatto già Sommer, AU, 359, n. 1. Strab. 14,4,1=FGrH 124 (Callisth.) F 32. Strab. 13,1,7: Ἐκ δὴ τῶν ὑπὸ τοῦ ποιητοῦ λεγομένων εἰκάζουσιν οἱ φροντίσαντες περὶ τούτων πλέον τι, πᾶσαν τὴν παραλίαν ταύτην ὑπὸ τοῖς Τρωσὶ γεγονέναι, διῃρημένην μὲν εἰς δυναστείας ἐννέα,

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tore, aggiungiamo, assume la dynasteia del regno cilicio in Tebe Hypoplakia, dopo che Achille ebbe sterminato l’intera famiglia, segno di un’unità politica di massima della Troade, nonostante la presenza di otto o nove dinastie. E’ un dubbio dello stesso Strabone (13,1,7), che del tessuto etnico della regione dà l’informazione più accurata: sommamente indicativo il ricorrere di δυναστεία Τρωικὴ in tale contesto, e la definizione di Τρῶες, che si ripete sette volte, salvo errore, e serve a scandire la complessa configurazione politica della regione. Sintomatica la puntualizzazione in merito da parte di Andromaca: ἄρα γεινόμεθ’ αἴσῃ ἀμφότεροι, σὺ μὲν ἐν Τροίῃ Πριάμου ἐνὶ οἴκῳ, αὐτὰρ ἐγὼ Θήβῃσιν, »οὐκ οἴονται δεῖν ἐξ εὐθείας ἀκούειν, ἀλλὰ καθ’ ὑπερβατόν ἀμφότεροι ἐν Τροίῃ, σὺ μὲν Πριάμου ἐνὶ οἴκῳ, αὐτὰρ ἐγὼ Θήβῃσι«. Tutto questo appare come segno di sostanziale unità etnica, e il comune denominatore è nell’impronta greca, se giuste sono le premesse, anche se a una grecità – vale la pena insistere – ben lontana dalla purezza, (Κίλικες ἔθνος βάρβαρον τῆς ὑπὸ τὸ Πλάκιον ὄρος Θήβης τούτων ἦρχε τῶν Κιλίκων ᾿Ηετίων),41 e il caso di Soli era diventato emblematico (ἀνδρῶν ποτε Ἀττικῶν οἰκησάντων ἐκεῖ … καὶ ἐξαγροικισθέντων διὰ τὸν ἐν Σόλοις οἰκισμόν … σολοίκους λέγεσθαι, ὃ ἔστι βαρβάρους).42 Comunque, era un patrimonio a cui la cultura greca non rinunciava: un esempio possiamo coglierne ancora in Strabone (13,3,1, Τοιαύτης δὲ τῆς πρὸς τοὺς Τρῶας οἰκειότητος ὑπαρχούσης τοῖς τε Λέλεξι καὶ τοῖς Κίλιξι …), dove l’οἰκειότης è in pratica un rapporto di syngheneia, fra Troiani, Lelegi e Cilici, ed è espressione, da diverso punto di vista, di quella unità che lo stesso Strabone ci ha suggerito; in più, se è comune l’ascendenza che a rigore ne deriva, la grecità dei Troiani e dei Cilici diventa una conseguenza della grecità dei Lelegi, che la saga attesta ampiamente (una sorta di proprietà transitiva, per così dire).43 E’ spartano, infatti, il re eponimo dei Lelegi, di cui un figlio ereditò la Laconia e un altro la Messenia; era re Alteo alla vigilia della guerra di Troia;44 per altro, ai Lelegi, in una citazione straboniana di poco successiva, sono accoppiati i Kaukones (καὶ Λέλεγες καὶ Καύκωνες), antico popolo greco del Peloponneso e dell’Arcadia.45 Valenza di effetto più marcato assume la οἰκειότης nel clima propagandistico, autocelebrativo ispirato da Alessandro, quando essa è intesa esplicitamente come la συγγένεια di due dinastie, degli Eacidi e dei Troiani: κατά τε δὴ τὸν τοῦ ποιητοῦ ζῆλον καὶ κατὰ τὴν συγγένειαν τὴν ἀπὸ τῶν Αἰακιδῶν 40 41 42 43

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ὑπὸ δὲ τῷ Πριάμῳ τεταγμένην κατὰ τὸν Ἰλιακὸν πόλεμον καὶ λεγομένην Τροίαν· δῆλον δὲ ἐκ τῶν κατὰ μέρος. οἱ γὰρ περὶ τὸν Ἀχιλλέα. Schol. Hom. in Il. 1,365. Eust., Comm. in Dion. Per. 875. Per un punto di vista orientale cfr., ad es. F. Starke, Troia im Kontext des historisch-politischen und sprachlichen Umfeldes Kleinasiens im 2. Jahrtausend, in: Studia Troica 7, 1997, 447sgg.; A. Altman, Did Wiluša Ever Defect Hatti?, in: Altorientalische Forschungen 31.1, 2003, 57sgg.; S. Heinhold-Krahmer, Zur Gleichsetzung der Namen Ilios-Wilusa und Troia-Taruisa, in: C. Ulf (ed.), Der neue Streit um Troja. Eine Bilanz, München 2003, 146sgg; ead., Ahhijawa-Land der homerischen Achäer im Krieg mit Wiluša, ib., 199sg.; I. Hajnal, Nachbetrachtungen zum Beitrag von Susanne Heinhold-Krahmer, ib., 169sgg.; ancora Heinhold-Krahmer, Ist die Identität von Ilios mit Wiluša endgültig bewiesen?, in: Studi micenei ed egeo-anatolici 46, 2004, 29sgg.; M. Finkelberg, Greeks and Pre-Greeks: Aegean Prehistory and Greek Heroic Tradition, Cambridge 2005. Cfr., ad es., Schol. Eur., Or. 615; Apollod. 3,10,3; Paus. 3,1,1. Già in 13,1,58; e quindi, ad es., Apollod. 3,8,1; Paus. 5,5,4; Kaukon era figlio di Licaone.

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τῶν ἐν Μολοττοῖς βασιλευσάντων, παρ’ οἷς καὶ τὴν Ἀνδρομάχην ἱστοροῦσι βασιλεῦσαι τὴν Ἕκτορος γενομένην γυναῖκα, ἐφιλοφρονεῖτο πρὸς τοὺς Ἰλιέας ὁ Ἀλέξανδρος.46 E’ la συγγένεια fra Greci e Troiani nel segno degli Eacidi, a cui Alessandro apparteneva attraverso i Molossi, che spingeva il re macedone in favore dei Troiani (ἐφιλοφρονεῖτο πρὸς τοὺς Ἰλιέας); era dunque un ghenos comune degli Eacidi, dinastia greca a cui apparteneva Achille, e a cui apparteneva Andromaca, figlia di Eezione, re dei Cilici, moglie di Ettore.47

L’ethnos troiano Il nord troadico è quello di Troia in senso più proprio: Teucro fu il primo a regnare su Troia (Τῆς Τρῳάδος χώρας πρῶτος ἐβασίλευσε Τεῦκρος, υἱὸς ὢν Σκαμάνδρου τοῦ ποταμοῦ καὶ Ἰδαίας νύμφης, ἀνὴρ ἐπιφανής, καὶ τοὺς λαοὺς ἀφ’ ἑαυτοῦ Τεύκρους προσηγόρευσε),48 questi veniva da Creta, e cretese era il padre Scamandro (Strab. 13,1,48); altra tradizione (ibid.) lo dice proveniente dall’Attica, dov’era un demo che prendeva nome dai Troiani (… φασιν ἐκ δήμου Τρώων), e parrebbe nata in antagonismo a quella cretese (Τεύκρους δὲ μεδένας ἐλθεῖν ἐκ τῆς Κρήτης. τῆς δὲ πρὸς τοὺς Ἀττικοὺς ἐπιπλοκῆς τῶν Τρώων τιθέασι σημεῖον), quasi a voler rivendicare una grecità metropolitana d’origine, contrapposta a quella insulare. Questo è il primo Teucro, il fondatore della dinastia; il secondo, coevo della guerra di Troia, è un eacide, figlio di Telamone:49 ne emerge ancora la matrice greca del tessuto etnico prevalente del nordovest anatolico e della sua configurazione costituzionale. Della presenza greca nelle aree meridionali dell’Anatolia si è già detto; si aggiunga, ad es., che Lirnesso e Tebe sono sia a nord, sia a sud, mentre, per altro verso, ruolo essenziale nella stessa prospettiva tiene l’asse troiano-beotico (su cui non mi fermo perché ampio materiale è stato raccolto e discusso soprattutto di recente);50 che in Cilicia Tracheia un Aiace, figlio di Teucro, edifica un tempio a Zeus, e i sacerdoti del tempio si chiamarono in prevalenza Aiace e Teucro (Strab. 14,5,10): segnali, fra i tanti, di questo asse nord-sud, che seguiva una traccia 46 47

Strab. 13,1,27=FGrH 124, T 10 (Callisth.). Recente riesame di F. Battistoni, Rome, Kinship and Diplomacy, in: C. Eilers (ed.), Diplomats and Diplomacy in the Roman World, Leiden/Boston 2009 (Mnemosyne, Suppl. 304), 73sgg.; id., Parenti dei Romani: mito troiano e diplomazia, Bari 2010; vd. anche A. Primo, La storiografia sui Seleucidi, Pisa/Roma 2009, 92sgg.; sul problema di fondo in particolare i contributi di O. Curty, À propos de la suggeneia entre cités, in: REG 107, 1994, 698sgg.; id., La notion de parenté entre les cités chez Thucydide, in: MH 51, 1994, 193sgg.; id., La parenté légendaire à l’époque hellénistique: précisions méthodoligiques, in: Kernos 12, 1999, 167sgg. e D. Musti, La syngheneia e la oikeiotes: sinonimi o nuances?, in: M. G. Angeli Bertinelli, L. Piccirilli (edd.), Linguaggio e terminologia diplomatica dall’antico oriente all’impero bizantino, Atti del convegno nazionale Genova novembre 1998, Roma 2001 (Serta antigua et medievalia 4), 45sgg. 48 Diod. 4,75. 49 Vd. genealogia, ad es., in: Roscher 5, 1916–1924, 403sgg. 50 Ad es., Strab. 14,4,1; 14,4,3; 14,5,21: ὥσπερ ἐν τῇ Παμφυλίᾳ Θήβην καὶ Λυρνησσόν; Eust., Comm. in Dion. Per. 875: Ὅτι Κιλίκων ἐστὶ πόλις καὶ ἡ Λυρνησσὸς, ἄλλη παρὰ τὴν Τρωϊκήν. Per il rapporto con la Beozia vd. I. Achilli, Motivi micenei nel regno di Troia, in: Cataudella et al. (come n. 1), 163sgg., ivi bibliografia. Sulla matrice micenea ha rilevanza con ogni probabilità la documentazione egiziana (pensiamo in particolare a una lettura possibile Thēbai di di-q3j-j3-s nella citata stele di Kom El Hetan, cfr., ad es., E. Edel, Der Name di-q3j’-j3-s in der minoisch-mykenischen Liste En li 8 gleich Θηβαΐς?, in: ZÄS 115, 1988, 30sgg.; O. Carruba, La Grecia e l’Egitto nel II millenio, in: RIL 129, 1995, 141sgg.).

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nota e collaudata, se fu seguita dai Greci che si trovavano a Troia alla fine dei Troikà (τοὺς Παμφύλους τῶν μετὰ Ἀμφιλόχου καὶ Κάλχαντος εἶναι λαῶν μιγάδων τινῶν ἐκ Τροίας συνακολουθησάντων; Strab. 14,4,3). E’ una conclusione, questa, che si può tentare di verificare sotto due diversi punti di vista, la rispondenza eventuale, da un lato, a una connotazione greca dell’immagine culturale che fa capo ai Troiani, e l’esistenza tangibile, dall’altro, di fattori materiali in qualche misura significativi di una presenza greca nella regione. Riguardo al primo punto, è constatazione facile di qualsiasi lettore di Omero che l’atteggiamento dell’aedo greco nei confronti dei Troiani, nemici dei Greci, è caratterizzato da ›simpatia‹ nel senso più ampio e da ammirazione, soprattutto per alcuni personaggi (pensiamo a Ettore in particolare fra gli altri). Per altro, su un piano più concreto, è ben noto che il pantheon è comune a Greci e Troiani (un tempio di Atena è sull’acropoli di Ilio, 6,269sgg.) in linea di massima, i nomi dei Troiani sono per il 70% greci, la lingua è la stessa, se barbarophonoi sono solo i Cari (2,867), sono anche incineratori i Troiani come lo sono i Greci omerici (basti il caso di Patroclo, 23,192sgg.), ecc.; è un materiale che studi numerosi e benemeriti hanno raccolto e opportunamente messo in luce,51 e poco o nulla c’è da scoprire in proposito. Per altro verso, la storiografia romana conserva una tradizione ecistica troiana di Roma, e con l’intento ovvio di esaltarne le origini, affermava la grecità troiana – lapidariamente, quasi – attraverso le parole di Dionigi di Alicarnasso: Ὅτι δὲ καὶ τὸ τῶν Τρώων ἔθνος Ἑλληνικὸν ἐν τοῖς μάλιστα ἦν ἐκ Πελοποννήσου ποτὲ ὡρμημένον, εἴρηται μὲν καὶ ἄλλοις τισὶ πάλαι, λεχθήσεται (Dion.Hal. ant. 1,61,1); ὡς μὲν δὴ καὶ τὸ Τρωικὸν γένος Ἑλληνικὸν ἀρχῆθεν ἦν δεδήλωταί μοι (ib. 1,62,2). Nello stesso senso – ecco il secondo punto – vale la testimonianza del materiale miceneo, ché la ceramica del Tardo Elladico si trova in tal quantità a Hisarlik che avrebbe suggerito l’idea di uno stanziamento coloniale greco – come osservò il benemerito, compianto M. Korfmann –,52 ma la tradizione epica dello scontro greco-troiano ha esercitato un condizionamento dall’esito con ogni probabilità fuorviante anche per i Greci stessi. Nulla di più naturale invece che potesse essere proprio un regno miceneo, come regni o principati (per intenderci) micenei erano a Creta e al centro e al sud dell’Anatolia verosimilmente, se vo51

Per più ampio esame di questo aspetto rimando, ad es., agli studi di J. Latacz, Troia und Homer, München/Berlin 2001; P. Wathelet, Dictionaire des Troyens de l’Iliade, Liège 1988, 116 (in particolare); id., Les Troyens de l’Iliade, Liège/Paris 1989; I. Achilli (come n. 50), 163sgg.; in favore, invece, di un’appartenenza troiana all’area ittito-luvia, ad es., R. Lebrun, L’identité des Troyens, in: L. Isebaert, R. Lebrun (ed.), Quaestiones Homericae, Louvain/Namur 1998, 149sgg., su cui vd. le obbiezioni di G. Mariotta, Contributi recenti al problema della guerra di Troia, in: Sileno 31, 2005, 287sgg. Sulla humus comune dei due ethne e sulla percezione che ne ebbero i Greci stessi vd. in part. E. Hall, Inventing the barbarian Greek self-definition through tragedy, Oxford 1989, 13sgg.; J. M. Hall, Ethnic Identity in Greek antiquity, Cambridge 1997, 45sgg.; J. E. Coleman, Ancient Greek ethnocentrism, in: J. E. Coleman, C. A. Walz (edd.), Greeks and Barbarians, Bethesda, Maryland 1997, 175sgg., qui 175sgg., 186sgg.; opinioni fra loro diverse, in cui trapela comunque lo sforzo comune di spiegare un apparente paradosso, ad es., in P. Wathelet, Les Troyen de l’Iliade. Mythe et histoire, Paris 1989, 186sgg. e G. K. Galinsky, Aeneas, Sicily, and Rome, Princeton 1969, 86sgg. e passim; da ultimo B. Louden (Homer’s Odyssey and the Near East. Cambridge/New York 2011) affront il problema da un punto di vista diverso (non sempre condivisibile), e comunque prescinde, sostanzialmente, dall’area anatolica. 52 M. Korfmann, Beşik Tepe. New evidence for the period of the Trojan sixth and seventh settlements, in: M. J. Mellink (ed.), Troy and the Trojan War, Bryn Mawr 1986, 17sgg.

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gliamo fissare dei termini indicativi di un itinerario dei Greci verso oriente, legato a un disegno politico della monarchia micenea. La lontananza di un’area periferica, per giunta al di là del mare, e la pressione di un’ostilità diffusa di potenze confinanti possono valere tra i fattori determinanti di distacco e di frattura rispetto alla matrice greca originaria. Se così è53 (rimando ad altra sede il problema Ilion-Wiluša per ovvii motivi di spazio),54 appare, il regno di Troia, come uno sbocco dell’itinerario greco che muove dall’occidente; vien naturale pensare a Creta come zona di origine, quasi una testa di ponte, per ovvi motivi geografici, ma anche la tradizione greca fornisce qualche indizio in proposito: Scamandro, padre di Teucro, è cretese, e Teucro, primo re di Troia, proviene da Creta. E c’è anche Mopso, fondatore di una dinastia in Cilicia, come abbiamo visto, e il padre di Mopso era un tal Rhakios, di origine cretese;55 che dire poi se questo nome fosse lo stesso che si legge nelle bilingui citate a suo luogo, ossia Urikki/Wariki.56 Non sappiamo se Mopso sia ›passato‹ da Troia o no, e non è tanto rilevante se egli abbia seguito, o no, la ›via troiana‹; più rilevante è invece se questo itinerario da Creta all’Anatolia, che si è cercato di delineare, è in qualche misura analogo a quello che gli stessi Greci conservavano nel patrimonio della loro storia attraverso le più antiche tradizioni: com’è realmente, se abbiam visto bene. Michele R. Cataudella Università degli Studi di Firenze, Dipartimento di Studi storici e geografici Via S. Gallo, 10, I-50129 Firenze [email protected] 53

Momento essenziale di questa vicenda si coglie verosimilmente nello scontro fra Greci e Persiani nella sua valenza consolidata di scontro fra Europa e Asia, che in tale prospettiva è stato anche scontro fra Greci d’Europa e Greci d’Asia; Troia appartiene all’Asia, e quindi lo scontro fra Greci e Troiani configura una continuità di antica origine dello scontro Europa-Asia con conseguente proiezione del barbaros dal Persiano al Troiano. Ampia analisi della materia in A. Erskine, Troy between Greece and Rome. Local Tradition and Imperial Power, Oxford 2001, 226sgg. E in analoga prospettiva si può intendere anche il ben noto atteggiamento di disprezzo nei confronti dei Greci d’Asia da parte della grecità metropolitana, attica. 54 Il punto ora in Fischer (come n. 2), 46sgg., 64; vd. anche P. Jablonka, Troy in Regional and International Context, in: Steadmann-McMahon (come n. 2), 717sgg. 55 Paus. 7,3,1–3: Κολοφώνιοι δὲ τὸ μὲν ἱερὸν τὸ ἐν Κλάρῳ καὶ τὸ μαντεῖον ἐκ παλαιοτάτου γενέσθαι νομίζουσιν· ἐχόντων δὲ ἔτι τὴν γῆν Καρῶν ἀφικέσθαι φασὶν ἐς αὐτὴν πρώτους τοῦ ῾Ελληνικοῦ Κρῆτας, Ῥάκιον καὶ ὅσον εἵπετο ἄλλο τῷ Ῥακίῳ [καὶ ὅσον ἔτι] πλῆθος, ἔχον τὰ ἐπὶ θαλάσσῃ καὶ ναυσὶν ἰσχῦον· τῆς δὲ χώρας τὴν πολλὴν ἐνέμοντο ἔτι οἱ Κᾶρες … Μόψος δὲ ὁ Ῥακίου καὶ Μαντοῦς καὶ τὸ παράπαν τοὺς Κᾶρας ἐξέβαλεν ἐκ τῆς γῆς. Ἴωνες δὲ ὅρκους ποιησάμενοι πρὸς τοὺς ἐν Κολοφῶνι Ἕλληνας συνεπολιτεύοντο, οὐδὲν ἔχοντες πλέον. E’ da notare la presenza dei due etnici, Ἴωνες e Ἕλληνες, nel passo citato inerente alla migrazione greca da occidente a oriente, in quanto suggerisce due deduzioni; per un verso essa sembra riflettere una matrice antica, ché difficilmente sarebbe compatibile con una collocazione di contesto diverso. Per altro verso, vi si può trovare la conferma di un comune denominatore greco anche di fronte a disegni e itinerari diversi. 56 Di particolare interesse a riguardo i contributi di M. Forlanini, Awariku, un nom dynastique dans le mythe et l’histoire, in: Hethitica 13, 1996, 14sg.; id., Un peuple, plusieurs noms: le problème des ethniques au Proche Orient Ancien. Cas connus, cas à découvrir, in: W. H. van Soldt (ed.), Ethnicity in Ancient Mesopotamia. Actes de la XLVIII Rencontre Assyriologique Internationale, Leiden, 1–4 July 2002, Leiden 2005, 111sgg.; su questo, come su altri aspetti della materia trattata, vari contributi si devono ad A. M. Jasink (ad es., A. M. Jasink, M. Marino, The West-Anatolian origins of the Que kingdom Dynasty, in: Proceedings of the 6th International Congress of Hittitology, Roma 5–9 settembre 2005, 1sgg., ivi bibliografia).

Tracce di itinerari greci nel Mediterraneo orientale

Abbreviazioni AU: F. Sommer, Ahhijawa-Urkunden, München 1932 CTH: E. Laroche, Catalogue des Textes Hittites, Paris 1971 KUB: Keilschrifturkunden aus Boghazköi Madd.: A. Götze, Madduwatta, Darmstadt 1968

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Makedonien I bis IV Verhinderte Mobilität oder Forscherkonstrukt?

Das Thema dieses Kolloquiums war ein guter Anlaß, den Beginn der direkten römischen Herrschaft jenseits der Adria, also die Jahre nach dem sogenannten 3. Makedonischen Krieg und die römischen Regelungen nach der Schlacht von Pydna, unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung der Mobilität des unterlegenen Kriegsgegners zu betrachten, also daraufhin, wie die Römer Bewegungsgrenzen errichteten und aufrechterhielten. Das Thema der römischen Eroberung Makedoniens und der anschließenden römischen Zwangsmaßnahmen ist derzeit fast vergessen und ins Prüfungswissen weggepackt, denn es scheint ja alles geklärt zu sein. Aus den verbreitetsten Überblickswerken zur römischen Geschichte ergibt sich ein konsistentes Bild der Zwangsmaßnahmen nach Pydna. So schreibt Alfred Heuß in seiner Römischen Geschichte: Makedonien wurde »überhaupt aus der Reihe der hellenistischen Staaten gestrichen … [Der makedonische Staat] wurde aufgeteilt in die vier Kantone, aus denen er einst zusammengewachsen war – jeglichem Versuch, die alte Integrität wiederherzustellen, wurde durch die Aufhebung des gegenseitigen privaten Verkehrs vorgebeugt –, und hörte damit auf zu existieren.«1 Herbert Heftner schildert in Der Aufstieg Roms die »vier tributpflichtigen Teilstaaten« wie folgt: Es wurde »eine Reihe von Beschlüssen verkündet, die darauf abzielten, die neu geschaffenen Staaten strikt voneinander zu separieren: Heiratsverbindungen zwischen den Angehörigen verschiedener Republiken wurden ebenso untersagt wie der Besitz und Erwerb von Grundstücken und Häusern in einer anderen als der eigenen Republik.«2 Im an den Universitäten vielbenutzten ›Gehrke/Schneider‹ berichtet Helmuth Schneider kurz: »Das Land wurde in vier unabhängige Gemeinwesen aufgeteilt.«3 Und schließlich Werner Dahlheim in Die Antike: »Den makedonischen Staat zerschlug man in vier Republiken, denen jede Kommunikation untereinander verboten wurde.«4 Dieser Tenor ist nicht etwa der für deutschsprachige Überblickswerke spezifische. Ganz genauso klingt es etwa bei Erich Gruen: »They [die 10 Senatsgesandten] fixed the 1 2

A. Heuss, Römische Geschichte, Paderborn 61998, 117. H. Heftner, Der Aufstieg Roms. Vom Pyrrhoskrieg bis zum Fall von Karthago, Regensburg 1997, 379. 3 H. Schneider, Rom von den Anfängen bis zum Ende der Republik, in: H.-J. Gehrke, H. Schneider (Hg.), Geschichte der Antike. Ein Studienbuch, Stuttgart/Weimar 32010, 261–332, hier: 286. 4 W. Dahlheim, Die Antike. Griechenland und Rom von den Anfängen bis zur Expansion des Islam, Paderborn 31994, 373.

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boundaries of the four districts and authorized installation of the governing bodies for each district. The regions were to be kept strictly separate, only minimal contact between them permitted, no marriages or commercial intercourse across the frontiers. The Roman ruling class had evidently resolved to assure fragmentation, that they might never again have to face a united Macedonia.«5 Auch Peter Derow äußert sich in der zweiten Auflage der Cambridge Ancient History dergestalt: »The four republics were to be firmly separate entities«,6 während Paul Benecke in der ersten Auflage noch ein deutlich gemäßigteres Bild vertrat.7 Wie die Zerschlagung zustandegebracht und wie die Kommunikation verhindert werden sollte, sind die Fragen, denen nachzugehen war. Wie kann in dem riesigen und komplexen Gelände, aus dem die betroffenen Länder bestehen – neben Makedonien wurde auch das illyrische Reich des Genthios zerschlagen, Epiros war bekanntermaßen ebenfalls betroffen –, die Mobilität der Menschen verhindert werden, wie können unabhängige Kleinstaaten an der Kommunikation und am gemeinsamen Handeln gehindert werden, besser: Auf welchen Wegen konnte versucht werden, dieses Ziel zu erreichen? Denn daß es letztendlich nicht funktioniert hat, zeigt der in der Althistorie, die lange Zeit das 2. Jh. v.Chr. schon ganz römisch empfand, aus der Siegerperspektive ›Andriskosaufstand‹ genannte vierte Krieg der Römer gegen die Makedonen. Durch den kombinierten Einfluß der nationalisierten Geschichtsschreibung des späten 19. Jh. und der ideologiekritischen der 68er8 läßt sich erklären, daß man sich noch immer derart schematischer und nahezu manichäischer Bilder bedient: Es schien, als sei der 3. Makedonische Krieg durch eine Gruppe skrupelloser römischer Plebejer ausgelöst worden – 172 v.Chr. waren zum ersten Mal in der römischen Geschichte beide Consuln Plebejer; dasselbe war 171 und 170 der Fall; mit diesen Gestalten freundete sich dann der barbarische Epirote Charops der Jüngere während seines Studiums in Rom an; 169 wurde der Patrizier Q. Marcius Philippus zum zweiten Mal Consul, der aber in der Kunst der Lüge und des Betrugs, der nova sapientia, hinter seinen plebejischen Amtsvorgängern nicht zurückstand. Gegen diese Bande konnte sich der edle Philhellene Aemilius Paullus nicht durchsetzen, der dann widerwillig 70 epirotische Städte geplündert und in der größten Sklavenjagd der römischen Geschichte 150.000 Epiroten eingefangen hat.9 Der besonnene Cato warnte hingegen in der Makedonier- und der Rhodierrede vor Überschwang gerade zur Zeit des größten Triumphes.10 Unterstützt wurde diese Terrorpolitik von den prorömischen Schädlingen in Griechenland – Kallikrates dem Achaier, Charops dem Thesprotier, um ein Haar Demetrios, dem Bruder des Perseus, dessen sich aber der König aus Eifersucht rechtzeitig entledigte, und 5

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E. S. Gruen, Macedonia and the Settlement of 167 B.C., in: W. L. Adams, E. N. Borza (Hg.), Philipp II., Alexander the Great and the Macedonian Heritage, Lanham 1982, 257–267, hier: 259; vgl. ders., The Hellenistic World and the Coming of Rome, Berkeley 1984, 425–429. P. S. Derow, Rome, the Fall of Macedon and the Sack of Corinth, in: CAH VIII2, 1989, 290–323, hier: 317f. P. V. M. Benecke, The Fall of the Macedonian Monarchy, in: CAH VIII, 1930, 241–278, hier: 274. B. Schlink, Die Kultur des Denunziatorischen, in: Merkur 65, 2011, 473–486. H. H. Scullard, Charops and Roman Policy in Epirus, in: JRS 35, 1945, 58–64, hier: 62f. Cato fr. 160–168 Malcovati. Dazu D. Kienast, Cato der Zensor. Seine Persönlichkeit und seine Zeit, Darmstadt 1979, 116–124; A. E. Astin, Cato the Censor, Oxford 1978, 272–280.

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anderen. Insgesamt sorgte dann die neue römische Politik dieser Jahre dafür, daß in Griechenland sämtliche Staatswesen zerschlagen wurden, um sie Kollaborateuren und verräterischen Lumpen wie Charops vorzuwerfen, da Rom sich weigerte, Verantwortung für die eroberten und zerstückelten Gebiete zu übernehmen. Stattdessen arbeitete der Senat darauf hin, die Kommunikationskanäle abzuschneiden, die Wirtschaft zu zerschlagen und eine Art antiken Morgenthau-Plan ins Werk zu setzen. Tatsächlich sind einige Ähnlichkeiten der Pläne frappierend – es ist gut möglich, daß Hans Morgenthau mit seinem klassischen Bildungsweg die entsprechenden Passagen bei Livius kannte. Daß die historischen Akteure unseren Ansprüchen nicht standhalten, kann jedoch keine historisch-analytische Kategorie sein – was freilich nicht heißen muß, daß Kallikrates kein Schädling und Charops nicht der widerlichste aller Menschen gewesen sei. Aber im folgenden sollen nüchtern die wenigen Quellen, die wir haben, geprüft werden. Aus den im Jahre 167 ergriffenen Maßnahmen sollte, wenn man den geschilderten Thesen folgt, erschlossen werden können, wie es der Senat und seine Gesandten erreicht haben, die Staaten zu zerschlagen und die Kommunikation bzw. Mobilität zwischen den einzelnen Teilen zu unterbinden. Das gelingt nun nicht und kann auch nicht gelingen, da die Römer dergleichen weder versucht, noch folglich erreicht haben. Jedoch kann man versuchen, in der Forschungsliteratur auf den Punkt zu stoßen, von dem die heute gängige HandbuchDeutung der Maßnahmen des Paullus und des Senats ihren Ausgang nahm. Während sie in Theodor Mommsens Römischer Geschichte noch nicht vorkommt,11 ist in Fritz Geyers RE-Artikel von 1928 die Zerstückelungs-These schon die gängige.12 Geyer führt an Literatur lediglich Joachim Marquardt an, der in seiner Römischen Staatsverwaltung zwar starke Worte findet, aber aufgrund des antiquarischen Charakters des Werks kaum die argumentative Grundlage der These liefern kann.13 Hugo Gaebler und Benedikt Niese deuteten die römischen Zwangsmaßnahmen ebenfalls als den Verkehr zwischen den vier Teilen Makedoniens strikt unterbindende.14 Argumentativ gestützt wurde die These erstmals durch Tenney Franks Untersuchung zur makedonischen Repräsentativ-

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Th. Mommsen, Römische Geschichte, Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna, Leipzig 1854, Buch 3, Kapitel 10, 589–591 (=Bd. 1, ND Neu Isenburg 2006, 767–769). 12 F. Geyer, Makedonia. VII. Geschichte, in: RE 14.1, 1928, 697–769, hier: 762f.: »M. sollte frei sein in den Grenzen, die es zuletzt gehabt hatte, nur sollte es als Tribut etwa die Hälfte der bisherigen Abgaben bezahlen. In ihren Rechten sollten die Makedonen ungeschmälert bleiben, aber an die Stelle der Könige sollten jährliche Beamte treten … Um für die Zukunft jede Erstarkung M.s zu verhindern, sollten die vier Republiken weder Ehegemeinschaft haben noch gegenseitig das Niederlassungsrecht besitzen … Man kann wohl sagen, daß alle Bestimmungen dieses Friedens mit teuflischer Kunst darauf berechnet waren, das makedonische Volk für alle Zeiten in Abhängigkeit zu halten. Offenbar wurde es den Makedoniern außerordentlich schwer, sich in die unnatürliche Zerreißung des Landes zu finden.« 13 J. Marquardt, Römische Staatsverwaltung I, Leipzig 21881, 317f.: »Die künstlich errichtete Scheidewand zwischen den vier Regionen hinderte jede Verbindung der macedonischen Stämme und gab den Siegern eine Gewähr gegen eine gemeinsame Auflehnung.« 14 B. Niese, Geschichte der griechischen und makedonischen Staaten seit der Schlacht bei Chaeronea III: Von 188 bis 120 v.Chr., Gotha 1903, 180–183; H. Gaebler, Zur Münzkunde Makedoniens III: Makedonien im Aufstand unter Andriskos. Makedonien als römische Provinz, in: ZfN 23, 1903, 141–189, hier: 141f.

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verfassung aus dem Jahre 1914,15 die Jakob Larsen in einigen einflußreichen Arbeiten ausführte und als communis opinio etablierte.16 Die Beiträge Larsens sind es, die zitiert werden, wenn zu diesem Punkt überhaupt zitiert wird.17 Ansonsten scheinen Franks und Larsens Untersuchungen nicht im Detail, aber im handhabbaren Ergebnis Teil des kollektiven Gedächtnisses der Altertumswissenschaften geworden zu sein. Der einzige Beitrag, der gegenläufig argumentiert, das heißt für ein einheitliches und nicht gewaltsam zerstükkeltes Makedonien auch nach 167, stammt von Michel Feyel, wurde von Larsen in der Luft zerrissen und von anderen ignoriert.18 Ohne hier zu sehr in die Details zu gehen, sollte dieses paradigmatische Lehrstück in wissenschaftlicher Meinungsbildung vor allem dazu anhalten, die Quellen, die schriftlichen wie die historisch-geographischen, stets von neuem zu studieren. Betrachten wir das römische Reglement, die Gesetzgebung des Aemilius Paullus, genauer: Livius berichtet an zwei Stellen von den Verfügungen. 45,18,6f. erzählt nach einer annalistischen Quelle von den Senatsbeschlüssen des Jahres 168; 45,29,5–10 beschreibt die Verkündung der Regelungen in Amphipolis im Jahre 167 und folgt dabei Polybios.19 Die Freiheitserklärung an die Makedonen und Illyrer ist konventionell und heißt nichts, als daß das Königtum abgeschafft wurde. Die Einteilung in vier regiones oder partes oder merides mit jeweils eigenem consilium oder concilium ist sowohl unter topographischen, als auch unter politischen Aspekten breit diskutiert worden. Diese Diskussion kann und muß hier nicht nacherzählt werden. Die wichtigsten Ergebnisse dieser in den Handbüchern noch nicht angekommenen Diskussion scheinen zu sein, daß erstens die Einteilung die Fortsetzung der Gliederung Makedoniens unter den Königen ist20 und daß zweitens von römischer Seite keine geopolitischen Strategien damit verbunden sind. Einige Poleis und Stämme werden oder bleiben abgabenfrei: Demetrias geht an Magnesia, die Orestier behalten ihre Freiheit, die sie schon seit dem 2. Makedonischen Krieg besaßen; die Dassareten, die Rom unterstützt haben, bleiben frei – die Dassaretis stand nie unter der Herrschaft des Perseus.21 Ab15 16

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19 20 21

T. Frank, Representative Government in the Macedonian Republics, in: CPh 9, 1914, 49–59. Vgl. ders., Roman Imperialism, New York 1972 (zuerst 1914), 208–210. J. A. O. Larsen, Roman Greece, in: T. Frank (Hg.), An Economic Survey of Ancient Rome IV, New York 1938, 259–498, hier: 294–302; Representation and Democracy in Hellenistic Federalism, in: CPh 40, 1945, 65–97; Consilium in Livy xlv.18.6–7 and the Macedonian Synedria, in: CPh 44, 1949, 73–90; Greek Federal States. Their Institutions and History, Oxford 1968, 295–300. Derow (wie Anm. 6) ist einer der wenigen, die es für angebracht halten, bei der Abhandlung der Teilung Makedoniens Forschungsliteratur anzuführen. M. Feyel, Paul Émile et le synédrion macédonien, in: BCH 70, 1946, 187–198. Larsen wird bei seinem argumentativen Vernichtungsversuch unterstützt von A. Aymard, L’organisation de la Macédoine en 167 et le régime répresentatif dans le monde grec, in: CPh 45, 1950, 96–107. Zu der gesamten Diskussion vgl. F. Papazoglou, Les villes de Macédoine a l’époque romaine, Paris 1988, 53–66. Polybianische Parallelüberlieferung bei Diod. 31,8,8 und Strab. 7 fr. 47 (48). M. B. Hatzopoulos, Macedonian Institutions under the Kings, Athen/Paris 1996, 231–260. Zur Dassaretis N. G. L. Hammond, Epirus. The Geography, the Ancient Remains, the History and the Topography of Epirus and adjacent Areas, Oxford/New York 1981, 633. Die strategische Bedeutung des Seenlandes ist erläutert bei H. J. Dell, Macedon and Rome: The Illyrian Question in the Early Second Century B.C., in: Αρχαία Μακεδονία ΙΙ. Ανακοινώσεις κατά το δεύτερο διεθνές συμπόσιο, Thessaloniki 1977, 305–315. Die Karte in Abb. 2 zeigt sämtliche hier erwähnte Orts- und Landschaftsnamen.

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dera, Maroneia und Ainos werden Makedonien genommen; sie werden trotz heftigen Begehrens nicht dem Attalos überantwortet, sondern erhalten die Freiheit. Die ersten drei merides Makedoniens sind geographisch unproblematisch. Die vierte beschreibt Livius wie folgt: »Den vierten Bezirk bewohnen die Eordaier, Lynkesten und Pelagonier; angeschlossen an diese ist *AUTINCANIAESTRYMEPALISETELIMONITES*; diese ganze Gegend ist kalt, schwer zu bebauen und rauh.«22 In den Standardeditionen und -übersetzungen wird die korrupte Stelle gegeben als Atintania et Tymphaeis et Elimiotis. Stewart Oost zieht daraus weitreichende und weithin akzeptierte Schlüsse über große Gebietsverschiebungen von Epiros nach Makedonien IV.23 Da Oost die Atintania im oberen Aoos-Tal nördlich von Byllis lokalisiert und die Tymphaia epirotisch war, schloß er, daß große Teile von Epiros Makedonien IV zugeschlagen wurden, zum einen als Teil der Bestrafung der Epiroten, zum andern als geostrategische Maßnahme, um das gesamte AoosTal als wichtigen Verbindungsweg dem schwachen Makedonien IV zu unterstellen. Oosts Dissertation aus dem Jahre 1954, die gewiß als Pionierarbeit ihre Meriten und auch große analytische Qualitäten hat, ist in vielen geographischen Details durch mehr als ein halbes Jahrhundert Inschriftenfunde und historisch-geographische Forschungen völlig überholt, zudem kannte der Autor die Gegenden nicht, von denen er schrieb. Nicholas Hammond ergänzt anders: Atintania et Strymepalis et Elimiotis.24 Hammond, dessen Ortskenntnis nun unbestreitbar ist, argumentiert, daß die Atintania nicht das obere Aoos-Tal umfaßte, sondern nordwestlich des Seenlandes lag. Die *Strymepalis verortet er südlich und westlich des Prespas-Sees (Abb. 1). Diese Gegend ist die einzige der in Frage kommenden Region, für die uns kein antiker Name überliefert ist. Der Vorteil dieser Interpretation liegt darin, daß die drei in der korrupten Liviusstelle genannten Landschaften eine geographische Einheit bilden und vor allem zumindest unter Perseus in makedonischer Hand waren, so daß es nicht mehr nötig wäre, eine Verschiebung von epirotischen Gebieten an Makedonien IV anzunehmen. Die wichtigste Route von Zentral-Epiros nach Osten führt nicht durch die Tymphaia, die somit auch keine bedeutende strategische Position innehatte, sondern am Pambotis-See (See von Ioannina) vorbei über den Zygos-Paß, den heutigen Katara-Paß, der bis zur Fertigstellung der Autobahn vor 22 23

Liv. 45,30,6f.: quartam regionem Eordaei et Lyncestae et Pelagones incolunt; iuncta his *AUTINCANIAESTRYMEPALISETELIMONITES*. frigida haec omnis duraque cultu et aspera plaga est.

S. I. Oost, Roman Policy in Epirus and Acarnania in the Age of the Roman Conquest, Dallas 1954, 82, 133. Letztendlich gehen Oosts Argumente auf J. Beloch zurück; vgl. dazu und zu der Verwirrung, die die übliche Livius-Konjektur hervorruft, J. van Antwerp Fine, The Problem of Macedonian Holdings in Epirus and Thessaly in 221 B.C., in: TAPhA 63, 1932 126–155. Zur Atintania siehe auch M. B. Hatzopoulos, Le problème des Atintanes et le peuplement de la vallée de l’Aoos, in: P. Cabanes (Hg.), L’Illyrie méridionale et l’Épire dans l’antiquité II, Paris 1993, 183–190. Zumindest einigen Autoren galten die Atintani als Makedonen. So macht Steph. Byz. s.v. Ἀτιντανία den Atintas zum Sohn des Makedon. 24 Hammond (wie Anm. 21), 633–635. M. Zahrnt, in: Gnomon 55, 1983, 36–46, hier: 38 Anm. 3 schlägt vor, Athamania et Tymphaia et Elimiotis zu lesen. Jedoch grenzt die epirotische Athamania nirgendwo an Makedonien, und dieser Vorschlag verkompliziert die Sache eher. Zudem hat neben vielen anderen der Bund der Athamanen bald nach 167 dem Kassandros aus Alexandreia Troas, der wohl als pergamenischer Offizier die Verhandlungen in Amphipolis mitgestaltet hatte, in Delphi eine Statue gestiftet: FdD 3.1, 218i; vgl. C. Marek, Die Proxenie, Frankfurt a.M. 1984, 188f.; vgl. P. R. Franke, Die antiken Münzen von Epirus, Wiesbaden 1961, 295–299. Siehe außerdem den Grenzstreit der Athamanen mit Ambrakia nach 167: Syll.3 585=SEG 35, 665.

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wenigen Jahren ebendiese wichtige Stellung behalten hatte. Von Rom nach Makedonien kam man am besten über den Verlauf der späteren Via Egnatia. Das Aoostal ist hingegen die direkte Verbindung des Landes der Chaonen mit dem der Molosser. Man sollte also nicht nur erwägen, die lectio difficilior Hammonds zu akzeptieren, sondern vor allem sämtliche aus Oosts Vermutungen resultierenden weitreichenden und einflußreichen Schlüsse zu den großen Länderverschiebungen zwischen Epiros und Makedonien verwerfen. Sodann ergibt sich nämlich ein konsistentes Bild, das mit der römischen Eroberungspolitik davor und danach übereinstimmt: 1. werden funktionierende Verwaltungsstrukturen weitgehend intakt gelassen, und 2. werden territoriale Verschiebungen, die sich auf solche funktionierenden Strukturen auswirken könnten, nach Möglichkeit unterlassen. Es werden also nicht in der kolonialistischen Manier des 19. und des frühen 20. Jh. massiv neue Grenzen am Reißbrett gezogen. Insofern ist es auch nicht naheliegend anzunehmen, große Teile von Epirus seien zu Makedonien geschlagen worden oder umgekehrt. Zur territorialen Gliederung Illyriens durch die römischen Friedensregelungen wissen wir vergleichsweise wenig, da Livius keine Details überliefert. Die Labeaten bildeten einen Teil, also die Bewohner des Beckens von Skodra, zu dem auch Lissos gehörte, und des unteren Drilon (Drin), einen anderen stellte der Küstenstreifen von Olkinion bis zum Golf von Rhizon dar, der dritte muß weiter im Norden gewesen sein.25 Inwiefern die übrigen für Makedonien überlieferten Regeln auch für Illyrien galten, muß noch geklärt werden. Man sollte nicht von einer zwangsläufig einheitlichen Behandlung der drei Großfeinde auf der Balkanhalbinsel ausgehen, wie das Beispiel Epiros deutlich zeigt, auf das unten zurückzukommen sein wird. Was bewirkten nun die übrigen über Makedonien verfügten Einschränkungen? Zu den in Rom gefaßten Senatsbeschlüssen gehörte folgende Regelung: Auch sollte die Verpachtung der makedonischen Bergwerke, weil die Pachtsumme ungeheuer groß war, und die der Landgüter nicht weiter erfolgen; denn sie könne nicht ohne Staatspächter durchgeführt werden, und wo ein Staatspächter sei, dort sei entweder das Recht des Staates ein leerer Begriff oder die Bundesgenossen besäßen keine Freiheit. Aber auch die Makedonen selbst könnten die Pachtsumme nicht eintreiben; wo den Verwaltern die Beute leicht zugänglich sei, dort werde es niemals an Anlaß zu Zerwürfnissen und Streit fehlen.26

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wem die Bergwerke nach der römischen Eroberung gehörten: Der Senat kann sie verpachten oder nicht verpachten, also gehören sie Rom. Gerade die Zusammenstellung der Bergwerke mit dem ehemaligen Königsland, das natürlich nicht so bezeichnet wird, sondern praedia rustica, läßt gar keine andere Möglichkeit zu, zumal auf diesem ehemaligen makedonischen Königsland später die römischen Kolonien ge25

N. G. L. Hammond, F. W. Walbank, A History of Macedonia III: 336–167 B.C., Oxford 1988, 562f. mit Anm. 3. Vgl. die Überlegungen anhand der Münzprägung bei H. Ceka, Questions de numismatique Illyrienne, Tirana 1972, 162–165. 26 Liv. 45,18,3–5: Metalli quoque Macedonici, quod ingens vectigal erat, locationes praediorumque rusticorum tolli placebat; nam neque sine publicano exerceri posse et, ubi publicanus esset, ibi aut ius publicum vanum aut libertatem sociis nullam esse. ne ipsos quidem Macedonas id exercere posse; ubi in medio praeda administrantibus esset, ibi numquam causas seditionum et certaminis defore. Übers. H. J. Hillen.

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gründet werden.27 Hier sollte man innerrömische Konflikte am Wirken sehen, die mit den Zensuren der Jahre 174 und 169 zu tun haben und die wir im Detail nicht nachvollziehen können.28 Jedenfalls leitete Aulus Postumius Albinus Luscus, einer der Zensoren von 174, die insgesamt hochrangig besetzte senatorische Zehnmännergesandtschaft, die die Verhältnisse in Makedonien zu regeln hatte,29 und es ist durchaus anzunehmen, daß ihm und den übrigen Senatoren die verhängnisvolle Macht, welche die Publikanen auszuüben imstande waren, vollkommen bewußt war. Das Ziel war es, die Minen nicht zu verpachten;30 die von der Kommission gefundene Lösung bestand darin, sie zu schließen.31 Der finanzielle Verlust für Rom war angesichts der Kriegsbeute und der künftigen Steuerzahlungen zu verkraften.32 Das Verbot der Gewinnung von Schiffsbauholz läßt sich als Vorsichtsmaßnahme deuten, um Makedonien daran zu hindern, sich wieder eine Flotte zuzulegen. Möglicherweise sollte auch Rhodos getroffen werden, das zumindest bisweilen makedonisches Holz bezogen hatte.33 Schwieriger sind die Regelungen zum Salzhandel zu verstehen. Die LiviusÜbersetzungen und die Forschungsbeiträge gehen durchweg davon aus, daß der Salzhandel verboten wurde. Tatsächlich steht jedoch im Livius-Text et sale invecto uti vetuit,34 was nur heißen kann, daß es verboten war, eingeführtes Salz zu benutzen. Das läßt sich nun schwer erklären, und viel hängt von den jeweiligen Vorannahmen ab. So wird dann entweder vermutet, daß es sich um eine fiskalische Maßnahme handelt, um Makedonien Einkünfte zu entziehen oder im Gegenteil zukommen zu lassen,35 oder aber, so Nicholas Hammonds bestechende Interpretation, es sollte verhindert werden, daß die Hirten das für den Viehtrieb notwendige Salz über die Grenzen der merides schaffen konnten; somit sollte die Fernweidewirtschaft unterbunden werden.36 Auch wurde vermutet, das Salz hätte zur illegalen Verhüttung von Edelmetallen verwendet werden können.37 Zu dieser komplizierten Frage soll hier keine weitere Spekulation unternommen werden. Die Einschränkung von connubium und commercium ist weniger ungewöhnlich, als es den Anschein hat. Für den Thessalischen und den Perrhaibischen Bund etwa kann man nachweisen, daß es keine das gesamte Bundesgebiet umfassende enktesis für die Bürger der 27

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Cic. leg. agr. 1,5: Rullus fordert den Verkauf der »einstigen Krongüter (agri regii) in Makedonien, die teils durch die Tapferkeit des T. Flamininus, teils durch die des Perseus-Siegers L. Paullus erworben wurden« (agros in Macedonia regios qui partim T. Flaminini, partim L. Pauli qui Persen vicit virtute parti sunt). E. Badian, Zöllner und Sünder. Unternehmer im Dienst der römischen Republik, Darmstadt 1997, 44–51. Zu Bergwerken als staatlichem Besitz J. Hoffmann-Salz, Die wirtschaftlichen Auswirkungen der römischen Eroberung. Vergleichende Untersuchungen der Provinzen Hispania Tarraconensis, Africa Proconsularis und Syria, Stuttgart 2011 (Historia Einzelschriften 218) 449f. Liv. 45,17,1. F. Münzer, Postumius 46, in: RE 22.1, 1953, 925–929. Liv. 45,18,3. Liv. 45,29,11. Zur Kriegsbeute H. Müller, Die Kosten des 3. Makedonischen Krieges, in: Historia 58, 2009, 438–467. Pol. 25,4. Ich danke Daniel Kah (Stuttgart) für diesbezügliche Hinweise. Liv. 45,29,11. Allerdings beruht der Text auf einer Konjektur; die Handschrift hat sale innuceto. So Frank, Imperialism (wie Anm. 15), 210. N. G. L. Hammond, The Macedonian State. Origins, Institutions, and History, Oxford 1993, 380. H. Küthmann, Salz zum Würzen?, in: Gestalt und Geschichte. FS Karl Schefold, Bern 1967, 152– 154=AA 1966, 407–410.

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einzelnen Mitgliedspoleis gab; für den Boiotischen Bund ist eine solche Regelung wahrscheinlich.38 Insofern kann es durchaus möglich sein, daß die Römer auch in diesem Fall nichts grundsätzlich Neues und Bedrückendes eingeführt haben.39 Die Erlaubnis für die Grenzregionen, zum Schutz gegen feindliche Einfälle Heere zu unterhalten, ist ebenfalls kein Beleg für eine Zersplitterung und Regionalisierung, denn es gab, wie Polybios’ Bericht über den 4. römisch-makedonischen Krieg, den sogenannten Andriskos-Aufstand zeigt, ein einheitliches makedonisches Heer, mit dem es der Thronprätendent zu tun hat.40 Über die Münzprägung der merides zu handeln ist hier nicht am Platz, jedoch sollte festgehalten werden, daß die Bezugsgröße der Münzen immer Makedonien insgesamt ist, wie denn auch die Teilgebiete keine eigenen Namen erhalten, was ja durchaus möglich und sinnvoll gewesen wäre, wenn sie denn tatsächlich neue unabhängige Staatsgebilde hätten darstellen sollen. Warum die vier Regionen in der Forschung oft Republiken genannt werden, bleibt durchaus rätselhaft. Kein antiker Autor bezeichnet sie so, auch nicht Livius. Wenn sie stets als pars oder μέρη bezeichnet werden, so muß das heißen, daß es eine übergeordnete Institution gegeben haben muß – den makedonischen Staat, oder – die Provinz Macedonia, wenn man gewillt ist, Liv. per. 45 Macedonia in provinciae formam redacta, ernstzunehmen, was kein gängiger Ansatz ist.41 An dieser Stelle wäre methodisch, aber auch sachlich ein Vergleich mit den Verhältnissen in Epiros nach dem 3. Makedonischen Krieg geboten. Notwendig ist dieser Vergleich aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit der epirotischen und der makedonischen Verhältnisse, allerdings können hier lediglich einige Punkte kurz berührt werden. Warum sich die Länder in römischer Zeit so unterschiedlich entwickelten, hat verschiedene Gründe, deren wichtigster wohl die ohne römische Beteiligung erfolgte Entmachtung des molossischen Königshauses im Jahre 231 war. Schon damals sind Regionalisierungbestrebungen zu beobachten. In Epiros gab es bedeutende prorömische Fraktionen, wie in den meisten griechischen Staaten. In Illyrien scheint es solche nicht gegeben zu haben, in Makedonien allerdings mit Sicherheit nicht, dafür hatte Perseus gesorgt, der sogar seinen Bruder Demetrios aufgrund von dessen guten Kontakten zum Senat hatte umbringen lassen. Nach den großen Säuberungen des Jahres 167, der Zerstörung von 70 meist molossischen Städten und dem Sklavenraubzug des Aemilius Paullus wollte die römische Kommission ganz Epiros dem Chaonen Charops überantworten, der einige Freunde im Senat hatte. Das stieß auf begreiflichen und keineswegs als antirömisch zu verstehenden Widerstand. Es scheint in Rom so 38

Für andere Bundesstaaten, besonders für die Aitoler und die Achaier, aber auch für Epiros, läßt sich dazu nichts sagen: D. Henning, Immobilienerwerb durch Nichtbürger in der klassischen und hellenistischen Polis, in: Chiron 24, 1994, 305–344, hier: 324–329. Die kulturellen und historischen Parallelen zum Epirotenbund der Königszeit müssen genauer untersucht werden. Dieser war eine militärische Allianz, keine Sympolitie, und daher gab es, mit allen Konsequenzen, auch kein gemeinsames Bürgerrecht. Vgl. vorerst Hammond (wie Anm. 21), 560f. 39 Hatzopoulos (wie Anm. 20), 354f. 40 Pol. 36,10,4f.; Hatzopoulos (wie Anm. 20), 355f. 41 Der communis opinio entspricht P. Cabanes, Griechenland und die Kyrenaika, in: C. Lepelley (Hg.), Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit II: Die Regionen des Reiches, Leipzig 2001, 309– 339, hier: 309: »Die antiken Quellen erwähnen die Umwandlung Makedoniens in eine römische Provinz nicht explizit.« Vgl. W. V. Harris, War and Imperialism in Republican Rome, 327–70 B.C., Oxford 1979, 143–146. Zum Problem der Phantom-›Republiken‹ siehe die Klärung bei Papazoglou (wie Anm. 18), 60–63.

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etwas wie eine Partei der Vernunft gegeben zu haben, wie die Makedonien- und die Rhodierrede des älteren Cato vermuten lassen.42 Einigen dieser Römer, die auch mit Charops und seinem bestialischen Vorgehen nichts anfangen konnten, war daran gelegen, den Epiroten, die sich nicht dem in Phoinike zentrierten Bund des Charops anschließen wollten, zur Autonomie zu verhelfen. Die Römer griffen öfter ein, um epirotische Abspaltungsbewegungen zu unterstützen. Um Bouthrotos wurde das Koinon der Prasaiben gegründet;43 im Jahre 163 führte Ti. Gracchus einen Feldzug gegen die Kammanoi in der Kestrine genannten Region um Bouthrotos;44 in Thesprotien entstehen unabhängige Poleis, wie der unter römischer Ägide geschlossene Grenzvertrag zwischen Ambrakia und Charadros beweist, der zudem zeigt, daß sich wohl dauerhaft römische Amtsträger in Epiros aufhalten;45 auch um die Grenzstreitigkeiten zwischen den Ambrakioten und den Athamanen kümmert sich der Senat;46 die elischen Kolonien im Süden Thesprotiens scheinen bedeutend an Macht zu gewinnen.47 Das alles geschieht, wie nicht genug betont werden kann, unter ständigem römischem Eingreifen, wie ja auch die schließliche Entmachtung des gänzlich untragbar gewordenen Charops auf Betreiben der Römer geschieht. Was passiert nun in dieser Zeit in Makedonien? Wir wissen durch Polybios von Aufständen und Bürgerkriegen; mehr wissen wir nicht. In Anbetracht der Tatsache, daß wir über die epirotischen Verhältnisse ausschließlich aus Inschriften erfahren, verwundert der Befund nicht: Aus Makedonien haben wir äußerst wenige Inschriften, die nach 167 datieren. Das liegt an der nahezu kompletten Auslöschung der Eliten und dem langwierigen Formierungsprozeß, der eine neue Elite schafft, die sich frühestens in der Zeit der Bürgerkriege zu erkennen gibt, wenn auch die Zahl der makedonischen Inschriften wieder ansteigt. So wissen wir auch nichts über die Bedeutung Makedoniens für Rom. Was jedoch deutlich geworden sein dürfte, ist die Tatsache, daß von einem Morgenthau-Plan für Makedonien nicht die Rede sein kann, also auch nicht von einer Behinderung der Mobilität. Zudem spricht dagegen, daß die Gesetze und Regelungen des Paullus, vor allem auch die von der Forschung für alles Unglück verantwortlich gemachte Regioneneinteilung, bis mindestens in traianische Zeit hinein Bestand hatten.48 Im Gegenteil sehe ich keinen Grund, warum nicht auch der römische Ausbau der Egnatia Odos bereits 167 ins Werk gesetzt worden sein soll,49 in der Sicherheit des römischen Protektorats in Epiros, das sicher nicht zufällig 42 43 44 45 46

47 48 49

Vgl. Anm. 10. P. Cabanes, Les modifications territoriales et politiques en Illyrie méridionale et en Epire, in: Iliria 16, 1986, 75–99, hier: 88. Pol. 31,9. Dazu P. Cabanes, À propos des Kammanoi, in: RPh 113, 1987, 49–56. Syll.3 585=SEG 35, 665. Die Römer tauchen in Z. 38 auf. Dazu P. Cabanes, I. Andréou, Le règlement frontalier entre les cités d’Ambracie et de Charadros, in: BCH 109, 1985, 499–544. IG IX 12.4, 796. Zur Geschichte und zum Status Ambrakias nach der Königszeit C. Habicht, Ambrakia und der Thessalische Bund zur Zeit des Perseuskrieges, in: V. Milojcic, D. Theocharis (Hg.), Demetrias I, Bonn 1976, 175–180. Cabanes, Andréou (wie Anm. 45), 531. Liv. 45,32; Iust. 33,2. IBeroia 61 (flavisch) und 64=SEG 48, 752 (traianisch) erwähnen die merides. Vgl. L. D. Loukopoulou, Provinciae Macedoniae finis orientalis: The Establishment of the Eastern Frontier, in: M. B. Hatzopoulos, L. D. Loukopoulou, Two Studies in Ancient Macedonian Topography, Athen 1987 (Meletemata 3), 61–110, hier: 100 Anm. 186. Der dort angekündigte Artikel von G. Molisani, Cn. Egnatius C. f. e la data di costruzione della via Egnatia, ist meines Wissens nicht erschienen.

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Dyrrhachion und Apollonia sowie das Genusus-Tal bis zum Ochridsee umfaßt, also exakt die Route der Straße.50 Aber das kann an diesem Ort nicht ausgeführt werden. Das, was in diesem polemischen Essay nur angerissen werden kann, werde ich in einer Monographie zum römischen Makedonien ausführen. Ich danke Nadin Burkhardt (Frankfurt a.M.) für die kritische Durchsicht des Manuskripts und Constanze Hirth (Stuttgart) für die Unterstützung bei der Recherche. Frank Daubner Universität Stuttgart, Historisches Institut Keplerstraße 17, D-70174 Stuttgart [email protected]

Abb. 1: Hammonds Strymepalis: Blick vom Vatochorion-Paß nach Nordwest auf den Kleinen Prespassee. Im Hintergrund das Galičica-Massiv, hinter dem der Ochridsee liegt (Photo: F. Daubner, 2004)

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Vgl. dazu den Versuch der kartographischen Darstellung des römischen Protektorats bei N. G. L. Hammond, The Illyrian Atintani, the Epirotic Atintanes and the Roman Protectorate, in: JRS 79, 1989, 11–25, hier: 24 Abb. 3. Zu Entstehung und territorialem Umfang des Protektorats Hammond (wie Anm. 21), 598–601.

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Abb. 2: Städte und Landschaften in Makedonien und Epiros (N. G. L. Hammond, Atlas of the Greek and Roman World in Antiquity, Park Ridge 1981, 12)

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Überlegungen zu den Reiseberichten bei Diogenes Laertios

Reisen spielten eine bedeutende Rolle im philosophischen Leben der Antike. Nicht zuletzt die Mobilität der Philosophen sorgte dafür, dass sich die Philosophie von ihren frühen Zentren in Ionien und West-Griechenland im gesamten griechischen Kulturraum ausbreitete. Und auch späterhin beförderten Reisen – entweder der Philosophen selbst oder ihrer Schüler – wesentlich die Verbreitung neuer Ideen und den wissenschaftlichen Austausch. Die Gründe, sich auf den Weg zu machen, waren vielfältig: Junge Menschen reisten – so sie es sich leisten konnten – in bekannte intellektuelle Zentren, um sich dort von einem erfahrenen Lehrer in der Philosophie unterrichten zu lassen; etablierte Philosophen suchten nach neuen Forschungs- und Lehrmöglichkeiten in anderen Städten, erweiterten ihren Horizont bei ausgedehnten Reisen durch die (damals) bekannte Welt, sowohl in Griechenland als auch darüber hinaus, oder pflegten ihre Kontakte zu den politisch Mächtigen. Manchmal waren es aber auch politische Unruhen oder das Unverständnis der Zeitgenossen gegenüber allzu kühnen Theorien, die die Denker zum Aufbruch bewogen. Auf diese reale Bedeutung des Reisens im philosophischen Leben verweisen auch die Reiseberichte in der biographischen Überlieferung zu den Philosophen. Bekanntlich geht es jedoch in antiken Biographien nicht nur um die neutrale Wiedergabe gesicherter Informationen.1 Die Beschreibung des Lebens und die vielen – oft nicht authentischen – Anekdoten und Aussprüche, die die antiken Autoren dazu aufbieten, sollen vielmehr ein typisiertes, teils idealisiertes Bild des Charakters des jeweiligen Philosophen geben und zugleich dessen Lehre veranschaulichen. Unter diesen Vorzeichen sind auch die Reiseanekdoten zu betrachten, die sich in antiken Philosophenviten wie denen des Diogenes Laertios in großer Zahl finden.2 Sie mögen zwar oft einen wahren Kern haben, doch dienen sie dem Biographen zugleich als intellektuelle und persönliche Charakterisierung der Philosophen, als 1

Zur allgemeinen Charakteristik der antiken Biographie vgl. J. Mejer, Überlieferung der Philosophie im Altertum. Eine Einführung, Kopenhagen 2000, 39f.: »Die antike Biographie ist nicht als Geschichtsschreibung zu verstehen, sie hat vielmehr den Zweck, den geistigen Habitus einer Persönlichkeit zu beschreiben … Es fehlten den Verfassern für die Ausarbeitung solcher Lebensbeschreibungen so gut wie alle Materialien. Man versuchte so weit wie möglich aufgrund von nachgelassenen Schriften der dargestellten Persönlichkeit ein Charakterbild zu zeichnen, und wenn das nicht möglich war, musste man sich mit Anekdoten, Allusionen und selbsterfundenen (Re)Konstruktionen begnügen.« Speziell zur Philosophenbiographie vgl. S. 43–45 und zu Diogenes Laertios S. 48–54. Vgl. auch ders., Ancient Philosophy and the Doxographical Tradition, in: M. L. Gill, P. Pellegrin (Hg.), A Companion to Ancient Philosophy, Malden (MA) 2006, 20–33, hier 28–31. 2 Um den Rahmen dieser kurzen Untersuchung nicht zu sprengen, konzentriere ich mich im Folgenden auf die bei Diogenes Laertios überlieferten Berichte. Anderes Material wird jedoch gelegentlich zum Vergleich herangezogen. Zur Bedeutung des Reisens für die griechischen Philo-

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stereotype Beschreibung des philosophischen Lebens und zum Teil auch als Erklärung und Deutung des Werkes. Ob die Reisen im Einzelnen als historisch einzuschätzen sind, ist dabei erst einmal zweitrangig – und lässt sich in so manchem Fall auch nicht mehr klären. Gefragt werden soll vielmehr, auf welche Weise das Material literarisch verarbeitet und welches Bild des jeweiligen Philosophen sowie des philosophischen Lebens insgesamt durch die Reiseanekdoten konstruiert und vermittelt wird. Dabei sollen drei Formen der Philosophen-Reise nacheinander untersucht werden: Im ersten Abschnitt geht es um Reisen zu philosophischen Lehrern und Schulen, im zweiten um Reisen, die Philosophen aus (im weiteren Sinne) politischen Gründen unternahmen, und der dritte Abschnitt widmet sich schließlich einem speziellen Typus der ›Bildungsreise‹, nämlich den (angeblichen) Besuchen der Philosophen bei den alten Hochkulturen außerhalb der griechischen Welt.

1. Reisen zu intellektuellen Zentren Die Mobilität der Gelehrten war essenziell dafür, dass sich eine Stadt wie Athen überhaupt zu dem herausragenden philosophischen Zentrum entwickeln konnte, das sie durch die gesamte Antike hindurch geblieben ist. Schließlich waren viele der bedeutenden Philosophen, die im 5. und 4. Jh. v.Chr. dort wirkten, keine attischen Bürger.3 Dabei reisten nicht nur die Philosophen selbst, sondern auch ihre Schüler sowie – im Gepäck anderer Reisender – ihre Schriften und Ideen. Der Wissenstransfer, der zur Ausbreitung der Philosophie im gesamten griechischen Kulturraum geführt hat, ist ohne das Reisen also kaum vorstellbar. Dabei soll einer der bekanntesten Philosophen, Sokrates, seine Heimatstadt Athen (außer mit dem Heer) fast nie verlassen haben.4 Doch ist auch diese Information, mag sie nun stimmen oder nicht, vor allem Teil eines literarisch stilisierten Bildes des Philosophen Sokrates: An seiner über das gewöhnliche Maß hinaus gehenden Heimatverbundenheit zeigt sich einmal mehr sein in jeder Hinsicht ungewöhnliches Wesen, seine ἀτοπία. Sokrates’ Immobilität ist also eher die Ausnahme als die Regel. Wenn man jedoch bereits an einem der anregendsten geistigen Orte Griechenlands lebte, ist eine solche Haltung durchaus verständlich.5 Für viele andere dagegen war die Entscheidung, Philosoph zu werden, oft gleichbedeutend mit einer Reise nach Athen oder in ein anderes intellektuelles Zentrum, wo man den passenden Lehrer dazu fand. Die Beschreibung, die der Kyniker Bion von seiner Entwicklung zum Philosophen gibt, ist daher ebenso knapp wie typisch: Ich »siedelte nach 2

sophen (und ihre Wahrnehmung) vgl. auch S. Montiglio, Wandering Philosophers in Classical Greece, in: Journal of Hellenic Studies 120, 2006, 86–105. 3 Vgl. dazu Chr. Lüth, Anstößige Intellektuelle: Die Sophisten als Fremde und Wanderlehrer, in: U. und P. Riemer (Hg.), Xenophobie – Philoxenie. Vom Umgang mit Fremden in der Antike, Stuttgart 2005, 157–176. Zur Rolle von Fremden in der Kultur des klassischen Athen vgl. außerdem M. Ostwald, Athens as a Cultural Centre, in: D. M. Lewis et al. (Hg.), The Cambridge Ancient History. Vol. V: The Fifth Century, Cambridge 1992, 306–369. 4 Diog. Laert. 2,22f.; vgl. Plat. Krit. 52b; Men. 80b. Einmal soll er jedoch zu den Isthmischen Spielen nach Korinth und Aristoteles zufolge (ap. Diog. Laert. 2,23) auch einmal nach Delphi gereist sein. 5 Dass es sich bei ihrer Stadt um das herausragende geistige Zentrum Griechenlands handelte, entsprach durchaus auch der Selbstwahrnehmung der Athener (vgl. etwa Plat. apol. 29d; Prot. 337d; Lach. 183a–b; Isokr. or. 4,50; 15,224–226).

Überlegungen zu den Reiseberichten bei Diogenes Laertios

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Athen über und wandte mich der Philosophie zu«.6 Die Reise und das Verlassen der Heimat als erster Schritt zum Leben als Philosoph ist mithin ein gängiger Topos in den antiken Philosophenbiographien.7 Reisen sind dabei zugleich ein Maß für die intellektuelle Anziehungskraft einzelner Philosophen. Besonders Sokrates und die Sokratiker sollen viele angehende Philosophen nach Athen gelockt haben. Zu Aristipp lesen wir zum Beispiel: Seine »Heimat war Kyrene, doch siedelte er …, angezogen durch den Namen des Sokrates, nach Athen über«.8 Die Kunde von solchen Reisen in der späteren literarischen Überlieferung beschreibt also nicht nur den intellektuellen Werdegang einzelner Denker, sondern zugleich das Prestige ihrer philosophischen Lehrer.9 Doch nicht nur das Ansehen einzelner Philosophen, sondern auch das ihrer Heimatstadt profitierte, wenn Reisende in großer Zahl dorthin kamen, um sich ausbilden zu lassen. Schon Isokrates verweist in der Antidosis auf die vielen Schüler, »die von Sizilien, von Pontos und anderen Orten hierher reisen, um in den Genuss meiner Ausbildung zu kommen«. Das versteht er nicht nur als Eigenlob, sondern auch als Lob Athens: »Offenbar machen sie die Seereise, wenden Geld auf …, weil sie der Ansicht sind, … die hiesigen Lehrer seien weit klüger als die Lehrer in ihrer eigenen Heimat. Darauf aber müssten alle Bürger stolz sein und Männer sehr schätzen, die unserer Polis diesen Ruhm gebracht haben«.10 Die vielen Berichte, die junge wie ältere Philosophen der Weisheit wegen nach Athen reisen lassen, machen die Stadt also auch in der Überlieferung zu dem herausragenden intellektuellen und philosophischen Zentrum, das sie tatsächlich gewesen ist. Daneben konnten Reisen in den Philosophenviten auch die Funktion haben, den intellektuellen Werdegang der Denker nachzuzeichnen – und zu deuten. Aus Reisen ließ sich etwa auf gedankliche Einflüsse und Abhängigkeiten schließen. So geben die Reisen, die der junge Platon unternommen haben soll, zugleich einen Überblick über seine intellektuelle Entwicklung. Wie Diogenes berichtet, ging er »mit noch andern Sokratikern nach Megara zum Eukleides. Darauf reiste er nach Kyrene zum Mathematiker Theodoros und von da nach Italien zu den Pythagoreern Philolaos und Eurytos; von da nach Ägypten zu den Pro6 7

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Diog. Laert. 4,47. (Diogenes Laertios wird zitiert in der deutschen Übersetzung von O. Apelt, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, Hamburg 1998.) Über den Stoiker Kleanthes heißt es: »Als er nach Athen kam, … schloß [er] sich an Zenon an, ward im edelsten Sinne ein Jünger der Philosophie und blieb der Lehre der Schule treu« (Diog. Laert. 7,168). Weitere Beispiele, in denen der Weg zur Philosophie nach Athen führt: 2,65 (Aristipp von Kyrene); 4,24 (Krantor); 4,67 (Kleitomachos); 5,86 (Herakleides Pontikos); 6,10 (›Jünglinge aus dem Pontos‹); 6,21 (Diogenes von Sinope); 8,86 (Eudoxos von Knidos). Eine interessante Version bietet die Vita des Zenon: Dieser sei nur wegen eines Schiffbruchs in die Stadt gekommen, habe dann aber Xenophons Memorabilien gelesen und sich dann, um dem Ideal des Sokrates nachzueifern, Krates angeschlossen und sei schließlich »ein energisch strebsamer Jünger der Philosophie« geworden (7,2f.). Menedemos (2,126) und Timon von Phleius (9,109) wiederum sollen sich nach Megara begeben haben, um sich von Stilpon unterrichten zu lassen (vgl. auch 2,113f.). Diog. Laert. 2,65. Vgl. auch 6,10, wo von »Jünglingen aus dem Pontos« die Rede ist, »die der Name des Sokrates nach Athen gelockt hatte«, und 8,86 (Eudoxos von Knidos). Die Formel κατὰ κλέος Σωκράτους (2,65), τοῦ Σωκράτους (6,10) bzw. τῶν Σωκρατικῶν (8,86) beschreibt dabei die Anziehungskraft der sokratischen Philosophie. Zum Prestige des Stilpon, das sich nicht zuletzt an den Schülern zeigte, die zu ihm kamen, vgl. Diog. Laert. 2,113f.; 2,126; 9,109. Isokr. or. 15,224–226 (Übers. Ley-Hutton).

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pheten«.11 Der Reise- ist also zugleich ein Bildungsweg, gleichsam das im geographischen Raum nachgezeichnete Bild von Platons innerer Entwicklung zum Philosophen. Und erst nachdem er dieses Programm absolviert hatte, begründete er schließlich die Akademie. Umgekehrt ist es freilich auch denkbar, dass aus angenommenen Einflüssen in der biographischen Überlieferung Reisen wurden, die diese Einflüsse durch einen persönlichen Kontakt erklären sollten. Pythagoras soll etwa auf seinen Reisen als junger Mann mit praktisch allen damals erreichbaren Weisheiten, sowohl in Griechenland als auch darüber hinaus, in Kontakt gekommen sein – und eben die Einflüsse, die er dabei gesammelt haben sollte, wollte man dann auch in seiner Philosophie wiederfinden.12

2. Reisen zu politischen Zentren Philosophen unternahmen nicht nur Bildungsreisen. Zumeist waren sie Mitglieder der Oberschicht und angesehene Persönlichkeiten und standen als solche natürlich auch in Kontakt zu den politisch Mächtigen ihrer Zeit.13 Wenn sie an die Höfe der Herrscher reisten, so taten sie dies zum einen als politische Ratgeber – auch wenn ihre Ratschläge, wie Platons unglückliche Sizilien-Reisen zeigte, nicht immer befolgt wurden –, zum anderen als Gelehrte, die sich die Mächtigen zur geistigen Unterhaltung und Erbauung einluden.14 Dass auf philosophischer Seite zuweilen auch eher profane Motive eine Rolle spielen konnten, zeigt das Beispiel des Sokrates-Schülers Aischines: »Man erzählt, seine dürftige Lage habe ihn veranlaßt, nach Sizilien zum Dionysios zu reisen«.15 Nicht für alle Philosophen – nicht einmal für alle Sokratiker – war also die Bedürfnislosigkeit das höchste Lebensideal, und wie auch Aristipp von Kyrene wusste, ließ es sich am Hofe eines Herrschers wie Dionysios gut leben.16

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Diog. Laert. 3,6f. Zu den Reisen Platons in der biographischen Überlieferung vgl. A. S. Riginos, Platonica. The Anecdotes Concerning the Life and Writings of Plato, Leiden 1976, 60–85; F. L. Vatai, Intellectuals in Politics in the Greek World. From Early Times to the Hellenistic Age, London u.a. 1984, 69–83. Siehe unten, Abschnitt 3. Vgl. dazu allgemein Vatai (wie Anm. 11). Diogenes Laertios weiß von mehreren solchen Reisen von Philosophen zu Herrschern zu berichten: zu Aischines vgl. 2,61–63, zu Aristipp 2,66–82 (beide gingen zu Dionysios von Syrakus). Ein Bericht über Platons Sizilienreisen findet sich 3,18–23; vgl. dazu Riginos (wie Anm. 11), 70–85; Vatai (wie Anm. 11), 71–83. Nach Ende seiner zehnjährigen Herrschaft in Athen hat sich der Rhetoriker und Theophrast-Schüler Demetrios von Phaleron an den Hof des Ptolemaios Soter in Alexandria begeben (5,78), wo er sowohl als Berater des Königs als auch als bedeutender Gelehrter und Philologe gewirkt haben soll. Später weilte dann Sphairos als philosophischer Gesprächspartner bei Ptolemaios Philopator (7,177). Zenon von Kition, der Begründer der Stoa (7,7–9), und der Megariker Stilpon (2,115) sollen dagegen die königlichen Einladungen ausgeschlagen haben. Diog. Laert. 2,61; vgl. 2,61–63. Zu Aristipp von Kyrene vgl. Diog. Laert. 2,66–82. Dem Herrscher von Syrakus wird hier auch die Feststellung zugeschrieben, dass »die Philosophen an den Türen der Reichen anklopfen, die Reichen aber nicht an den Türen der Philosophen« (2,69) – was jedoch nicht immer zutraf. Dabei ist Diogenes in seiner Darstellung von Aristipps Neigung zu Genuss, Reichtum und Verschwendung offenkundig von (einer) Quelle(n) beeinflusst, die den Kyrenaikern und ihrer hedonistischen Philosophie (vgl. 2,86–92) wenig wohlgesonnen war(en).

Überlegungen zu den Reiseberichten bei Diogenes Laertios

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Auch weiß die antike Überlieferung von einer Vielzahl von Philosophen zu berichten, die als Gesandte ihrer Heimatstädte unterwegs waren.17 Dabei reisten sie zwar nicht im engeren Sinne als Philosophen, sondern als angesehene Bürger ihrer Heimatstädte, die über rhetorische Fähigkeiten und weit reichende Kontakte im griechischen Raum verfügten und damit für eine solche Aufgabe geradezu prädestiniert waren. Wie das Beispiel der berühmten Sophisten des 5. Jh. v.Chr. zeigt, konnten sie dabei aber durchaus auch ihrer Vortrags- und Lehrtätigkeit nachgehen.18 Auch solche Reiseberichte eigneten sich offensichtlich dazu, das Ansehen und Prestige einzelner Philosophen zu unterstreichen: Diese verkehrten gleichsam in den besten Kreisen, mit Königen und anderen politischen Autoritäten. Und in ihrer Funktion als Gesandte zeigten sie sich als geachtete Mitglieder der sozialen Elite, die ihr Ansehen, ihre Kenntnisse und Kontakte in den Dienst des Gemeinwesens stellten. Die Kontakte und Reisen der Philosophen zu den Monarchen ihrer Zeit waren also allgemein mit einem Prestigegewinn verbunden. Dieser Topos ließ sich dann auch umkehren: Manche Philosophen hatten es gar nicht nötig, zu Königen zu reisen, und schlugen deren Bitten aus, um sich ganz dem philosophischen Leben zu widmen. Stilpon etwa soll sich geweigert haben, zusammen mit Ptolemaios Soter an dessen Hof in Ägypten zu reisen, und sich solange, bis Ptolemaios allein abgesegelt war, in Ägina versteckt haben.19 Freundlicher war Zenon, der Begründer der Stoa: Er ließ wissen, dass er aufgrund seines hohen Alters nicht zu Antigonos Gonatas reisen könne, und schickte dem Makedonenkönig stattdessen zwei andere Mitglieder seiner Philosophenschule.20 Gerne reisten die Philosophen auch zu den großen panhellenischen Festen. Dort konnten sie ihre Kontakte pflegen und sich nicht zuletzt auch der anwesenden griechischen Öffentlichkeit präsentieren.21 Die Kunde solcher publicity-Auftritte wirkte in der literarischen Überlieferung zum Teil noch lange nach. Über den berühmten Sophisten und Rhetoriker 17

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Bei Diogenes Laertios finden sich die folgenden Beispiele: Der Platon-Schüler Xenokrates soll als Gesandter zum Madekonenkönig Philipp gereist sein (4,8f.). Gleiches berichtete der hellenistische Biograph Hermippos auch über Aristoteles (ap. Diog. Laert. 5,2). Unter den Schriften des Krates sollen sich Gesandtschaftsreden (λόγους … πρεσβευτικούς) befunden haben (4,23). Sein Nachfolger als Scholarch der platonischen Akademie, Arkesilaos, reiste als Gesandter zu Antigonos (4,39). Gleich mehrere solcher Reisen werden auch dem Stilpon-Schüler Menedemos zugeschrieben (2,140). Solche Gesandtschaftsreisen sind auch schon für die Sophisten des 5. Jh. v.Chr. belegt (zu Hippias vgl. Plat. Hipp. mai. 281a–c, zu Prodikos 282c und zu Gorgias 282b sowie Diod. 12,53). Zu den Reisen der Sophisten vgl. auch H. Tell, Plato’s Counterfeit Sophists, Cambridge (Ma.)/London 2011, 93–112; Montiglio (wie Anm. 2), 92f. Vgl. etwa Plat. Hipp. mai. 282b–c. Diog. Laert. 2,115. Ein Geldgeschenk soll er dagegen (zumindest zum Teil) gerne angenommen haben. Diog. Laert. 7,7–9. Dass Diogenes hier einen Briefwechsel zwischen Zenon und Antigonos im ›Wortlaut‹ anführt, könnte ein Hinweis auf den fiktiven Charakter des Berichts sein. Ebenso könnte aber ein authentischer Kern später literarisch ›ausgeschmückt‹ worden sein. Zu Empedokles vgl. Diog. Laert. 8,66, zu Anaxagoras 2,10. Über Platon heißt es: »Als er in Olympia erschien, so erzählt es Neanthes von Kyzikos, richteten sich aller Augen auf ihn« (3,25). Und über den Sokratiker Antisthenes berichtet wiederum Hermippos, »er hätte die Absicht gehabt, bei der großen Isthmischen Festfeier die Athener, Thebaner und Lakedaimonier zu tadeln und zu loben; doch habe er diese Absicht aufgegeben angesichts der großen Zahl von Teilnehmern, die sich aus diesen Städten zur Feier eingefunden« hatten (6,2). Selbst der notorisch reisefaule Sokrates soll einmal zu den Isthmischen Spielen nach Korinth (Plat. Krit. 52b; Favorinus ap. Diog. Laert. 2,23) und

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Gorgias heißt es zum Beispiel bei Pausanias, er »sei zu Ruhm gelangt wegen seiner Reden bei der Olympischen Feier und als er im Rahmen einer Gesandtschaft … zu den Athenern kam«.22 Und Philostrat ergänzt, dass ihn »das ganze griechische Volk« bewunderte, »unter dem er bei den Olympischen Spielen von der Schwelle des Tempels aus öffentlich … sprach«.23 Doch traten nicht alle Philosophen ihre Reisen immer ganz freiwillig an.24 Einige gingen ins Exil, weil ihre unkonventionellen Äußerungen für Unmut bei ihren Mitbürgern gesorgt hatten.25 Ausgangspunkt des Konflikts war dabei zumeist ein Asebie-Vorwurf, der sich gegen die (teils auch nur unterstellte) ›Gottlosigkeit‹ des philosophischen Denkens richtete.26 Ob all die Vertreibungsgeschichten, die die antike Literatur zu bieten hat, historisch sind, wissen wir nicht.27 In jedem Fall dienten sie den antiken Autoren oft dazu, den Gegensatz und Konflikt zwischen philosophischer und ›normaler‹ Lebensform in dramatischer Weise zuzuspitzen. So soll Aristoteles, der sich (aus politischen Gründen) in den 320er Jahren der Asebie bezichtigt sah, gemeint haben, er habe Athen verlassen, da »er nicht wollte, dass die Athener bezüglich der Philosophie ein zweites Mal den gleichen Fehler machten, wobei er auf das Schicksal des Sokrates und die Gefahr für sich selbst anspielte«.28 Andere wiederum mussten ihre Heimat aufgrund von politischen Umwälzungen verlassen.29 Dies gab ihnen 21 22 23 24

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einmal nach Delphi (Aristot. ap. Diog. Laert. 2,23) gereist sein. Zu den Auftritten der Philosophen bei Festspielen vgl. auch Tell (wie Anm. 17), 113–131. Paus. 6,17,8=DK 82a7 (Übers. Schirren, Zinsmaier). Philostr. ep. 73=DK 82a35 (Übers. Schirren, Zinsmaier); vgl. Philostr. soph. 1,9,4=DK 82a1. Vgl. dazu allgemein U. Hartmann, Griechische Philosophen in der Verbannung, in: A. Goltz, A. Luther, H. Schlange-Schöningen (Hg.), Gelehrte in der Antike. A. Demandt zum 65. Geburtstag, Köln u.a. 2002, 59–86. Bei Diogenes Laertios finden sich dazu folgende Berichte: In 2,12–14 führt Diogenes aus verschiedenen Autoren unterschiedliche Versionen zum Asebie-Verfahren des Anaxagoras an; wahrscheinlich ist, dass der Philosoph Athen verlassen musste und in seinen letzten Lebensjahren in Lampsakos eine Schule gegründet hat. Protagoras soll wegen seiner agnostizistischen Schrift Über die Götter aus Athen ›verbannt‹ worden sein (9,52). Auch Aristoteles hat Athen später wegen eines Asebie-Vorwurfs verlassen (5,5–8). Theorodos wiederum musste die Stadt wegen seiner Kritik an den Göttern und dem Kult sowie seinen fragwürdigen moralischen Ansichten verlassen (2,101f.; vgl. 99) und soll – wohl aus den gleichen Gründen – auch aus Kyrene verbannt worden sein (2,103). Im Jahr 307 v.Chr. mussten die Philosophenschulen wegen des so genannten Gesetzes des Sophokles den Betrieb in Athen gleich ganz einstellen und Theophrast »wie auch alle übrigen Philosophen [sich] einige Zeit aus der Stadt entfernen« (5,38). Das Gesetz wurde jedoch schon ein Jahr später wieder aufgehoben. Vgl. dazu E. Derenne, Les procès d’impiété intentés aux philosophes à Athènes au Vme et au IVme siècles avant J.-C., Liège/Paris 1930; J. Dreßler, Philosophie vs. Religion? Die Asebie-Verfahren gegen Anaxagoras, Protagoras und Sokrates im Athen des 5. Jh. v.Chr., Norderstedt 2010. Besonders die Überlieferung der Asebie-Verfahren gegen Philosophen im ausgehenden 5. Jh. (ausgenommen natürlich der Sokrates-Prozess) ist zum Teil für unhistorisch erklärt worden (vgl. bes. K. Dover, The Freedom of the Intellectual in Greek Society, in: ders., The Greeks and Their Legacy, London 1988, 135–158; R. Wallace, Private Lives and Public Enemies: Freedom of Thought in Classical Athens, in: A. L. Boegehold, A. C. Scafuro [Hg.], Athenian Identity and Civic Ideology, Baltimore/London 1994, 127–155). Vgl. dagegen die Argumente für die Historizität der Berichte (wenn auch nicht in allen Details) bei Dreßler (wie Anm. 26), 5–7, 81–84, 92f. (mit weiterer Literatur). Ail. var. 3,36 (eigene Übers.); vgl. Derenne (wie Anm. 26), 193 mit Anm. 2. Zwei Beispiele aus Diogenes Laertios: Über Pythagoras heißt es, dass »er sich nach Kroton in Italien« aufmachte, weil er »sein Vaterland unter der Tyrannengewalt des Polykrates fand« (8,2). Und

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dann – zumindest in der biographischen Überlieferung – Gelegenheit, sich als wahrer Philosoph zu zeigen und ihr Schicksal mit Gleichmut zu ertragen. In diesem Sinne wurde Bias von Priene, einem der Sieben Weisen, der bei seiner Flucht aus der Heimat allen Besitz verloren hatte, der berühmte Ausspruch zugeschrieben: omnia mea mecum porto.30 – Der einzig wahre Besitz des Philosophen ist sein Geist, und dieser zum Glück reisetauglich!

3. Reisen zu fremden Kulturen Sind die Reisen der ersten beiden Kategorien, die die Philosophen zu den intellektuellen und politischen Zentren Griechenlands führten, zumeist durchaus glaubwürdig, so gilt dies für die Reisen in den außergriechischen Raum nur bedingt. Der antiken Überlieferung zufolge sollen einige Philosophen fast die gesamte damals bekannte Welt bereist haben. Der Grund ihrer Reisen war dabei jeweils, dass sie sich in die alten und exotischen Weisheiten der von ihnen besuchten Länder einweihen lassen wollten. Besonders Ägypten wird als Reiseziel immer wieder genannt. Auffällig ist dabei, dass besonders extensive Reiserouten ausgerechnet den frühen Philosophen zugeschrieben werden, über deren tatsächlichen Lebensverlauf zumeist nur wenig Gesichertes bekannt war (und ist).31 Am weitesten herumgekommen wäre demnach Pythagoras: »Jung und wißbegierig, wie er war, machte er sich … auf in die Fremde und ließ sich in alle griechischen und barbarischen Mysterien einweihen«. Ursprünglich aus Samos stammend soll er nicht nur Griechenland, sondern auch Ägypten, Kreta und Persien bereist haben, bevor er sich schließlich in Unteritalien niederließ.32 Diogenes zufolge reiste auch Thales nach Ägypten, »wo er in engen Verkehr mit den Priestern trat«,33 ebenso Solon, der außerdem den Lyderkönig Kroisos besucht haben soll.34 Demokrit soll in Ägypten und Persien gewesen sein und es sogar bis nach Äthiopien und zu den Gymnosophisten in Indien geschafft haben.35 Und auch Platon sei »nach Ägypten zu den Propheten« gereist.36 Eine solche Reise war natürlich im 4. Jh. durchaus möglich. Als Ursprung der Berichte kommen aber genauso die vielfältigen Erwähnungen Ägyp29

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Xenophanes, der ursprünglich aus dem kleinasiatischen Kolophon stammte und später ebenfalls in der Magna Graecia wirkte, soll »aus seiner Heimatstadt verbannt« worden sein (9,18; skeptisch dazu allerdings L. Gemelli Marciano, Die Vorsokratiker. Band I, Düsseldorf 2007, 254). Cic. parad. 1,1,8. So bemerkt Gemelli Marciano (wie Anm. 29), 171, über Pythogaras: »Merkwürdigerweise vermehren sich die Angaben über seine Tätigkeit und seine Lehre mit zunehmendem zeitlichen Abstand. Dies hängt vor allem mit der Wiederbelebung des Pythagoreismus seit dem 1. Jh. v.Chr. zusammen«. Auf den Mangel an verlässlichem Material, dessen sich die antiken Biographen bedienen konnten, verweist auch Mejer 2000 (wie Anm. 1), 39f., und 2006 (wie Anm. 1), 29. Diog. Laert. 8,2f.; vgl. dazu Vatai (wie Anm. 11), 38f. Diog. Laert. 1,27. Dass Thales »nach Ägypten zu Amasis und auch nach Sardes zu Kroisos« reiste, berichtet schon Herodot (1,12). Diog. Laert. 1,50. Diese Überlieferung geht schon auf Herodot (1,30; vgl. 2,177) und Platon (Tim. 21c–22a) zurück. Vgl. Montiglio (wie Anm. 2), 88f. Als einer der ›Sieben Weisen‹ ist Solon durchaus mit den frühen Philosophen zu vergleichen, bei denen es sich ja ebenfalls nicht um ›Philosophen‹ im engeren, d.h. späteren Sinne, sondern in erster Linie um ›weise Männer‹ handelte. Diogenes Laertios widmet ihm denn auch eine Biographie (1,45–67). Diog. Laert. 9,35. Diog. Laert. 3,6. Die zusätzliche Information, dass »Euripides sein Begleiter gewesen sein [soll], der daselbst von einer Krankheit befallen und durch eine Seewasserkur von den Priestern geheilt ward«, macht die Geschichte nicht unbedingt glaubwürdiger. Zu Platons Ägyptenreise vgl. auch

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tens in Platons Werk in Frage.37 Zudem war die Reise bedeutender Philosophen zu den alten Hochkulturen außerhalb Griechenlands besonders seit hellenistischer Zeit ein äußerst gängiger literarischer Topos der biographischen Literatur.38 Die Berichte dienten dazu, die Philosophen als weit gereiste, außergewöhnliche Männer zu präsentieren, die sich mit allen erreichbaren Kenntnissen vertraut gemacht hatten. Durch ihre Reisen verfügten sie über fremde, teils verborgene Weisheiten, die ihren Mitmenschen nicht – bzw. nur durch sie – zugänglich waren. Der spätantike Pythagoras-Biograph Porphyrius deutet etwa den Einfluss der Reisen auf die Entwicklung der Lehren des Meisters wie folgt: »Was seine Ausbildung angeht, sagen die meisten, dass er die so genannten mathematischen Wissenschaften von den Ägyptern, den Chaldäern und den Phöniziern von Grund auf erlernt habe. Seit alten Zeiten hätten sich nämlich die Ägypter mit der Geometrie beschäftigt, die Phönizier mit Zahlen und Rechenkunst und die Chaldäer mit den Lehren vom Himmel. Die heiligen Riten für die Götter und die übrigen Vorschriften für die Lebensführung habe er, wie sie sagen, von den persischen Magiern genau gehört und übernommen.«39 Die Kenntnisse, in die Pythagoras auf seinen Reisen eingeweiht worden sein soll, erscheinen hier geradezu als die essenzielle Grundlage seiner Philosophie. Auch in Iamblichus’ Biographie und bei Diogenes Laertios spielen die Reisen eine zentrale Rolle für Pythagoras’ intellektuellen Werdegang.40 Dahinter stand die zwar umstrittene, aber dennoch verbreitete Annahme, dass die Entstehung der Philosophie wesentlich auf Einflüsse aus Ägypten und dem Vorderen Orient zurückzuführen war. Schon Isokrates meint im Busiris, die Ägypter seien die Erfinder der Philosophie gewesen, und stellt dann fest: »Pythagoras reiste nach Ägypten, ließ sich von jenen unterweisen und brachte dann als erster die gesamte übrige Philosophie zu den Griechen«.41 Diogenes Laertios hält zwar dagegen: »Indes man täuscht sich und legt fälschlich den Barbaren die Leistungen der Griechen bei; denn die Griechen waren es, die nicht nur mit der Philosophie, sondern mit der Bildung des Menschengeschlechtes überhaupt den Anfang gemacht haben«.42 Dass er diese Frage prominent in der Einleitung zu seinem Werk behandelt, zeigt jedoch, dass viele anderer Meinung waren.43 (Auch hinderte seine Skepsis in dieser Frage ihn nicht daran, entsprechendes Material in seine Philosophenviten 36 37 38

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Riginos (wie Anm. 11), 64f., zu weiteren Reisen außerhalb der griechischen Welt vgl. 66 (jeweils mit weiteren Quellen). Vgl. Riginos (wie Anm. 11), 64. Zu ›nachgelassenen Schriften‹ als Material der antiken Lebensbeschreibungen vgl. auch Mejer 2000 (wie Anm. 1), 40, und 2006 (wie Anm. 1), 29. Zu diesem Topos vgl. G. E. R. Lloyd, Magic, Reason and Experience. Studies in the Origin and Development of Greek Science, London u.a. 1979, 237f. mit Anm. 39f. Außerdem Gemelli Marciano (wie Anm. 29), 30: »In der hellenistischen biographischen Literatur werden üblicherweise den bedeutendsten Philosophen Besuche in Ägypten zugeschrieben.« Porph. Vit. Pyth. 6 (eigene Übers.). Vgl. Iambl. v.P. 2,11–5,21; Diog. Laert. 8,2f. Isokr. or. 11,28. Der Ursprung der Tradition von Pythagoras’ Ägyptenreise könnte darin liegen, dass man Übereinstimmungen zwischen der Seelenlehre der Ägypter und der der Pythagoreer ausmachte. So waren nach Herodot »die Ägypter die ersten, die die Unsterblichkeit der Seele lehrten. Wenn der Leib stirbt, geht die Seele in ein anderes, gerade geborenes Lebewesen ein … Einige Hellenen haben diese Lehre übernommen, in älteren wie in jüngeren Zeiten. Ich kenne ihre Namen, nenne sie aber nicht« (2,123; Übers. Horneffer). Eine explizite Übereinstimmung von ägyptischen und pythagoreischen Bräuchen wird 2,81 postuliert. Diog. Laert. 1,3.

Überlegungen zu den Reiseberichten bei Diogenes Laertios

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aufzunehmen.) Wenn also die Weisheiten der alten außergriechischen Kulturen tatsächlich in die griechische Philosophie eingeflossen sein sollten, so ließ sich das doch am besten damit erklären, dass Denker, die für deren Entwicklung eine wichtige Rolle gespielt hatten, Reisen dorthin unternommen hatten. In seinem Abschnitt zu Ägypten erwähnt der Historiker Diodor gleich eine Vielzahl von Reisen berühmter Griechen ins Land am Nil, die (nicht nur im Bereich der Philosophie) einen Wissenstransfers aus Ägypten nach Griechenland belegen sollen. So entnahmen (angeblich) die »ägyptischen Priester … ihren heiligen Büchern« – noch im 1. Jh. v.Chr. –, dass Solon, Platon, Pythagoras und Demokrit das Land besucht hätten. Als »Beweis, daß sie alles, was sie in Griechenland so bewundernswert mache, aus Ägypten übernommen hätten«, führten sie dabei die Überlieferung zu deren philosophischem Denken und Wirken an44 – aus der wiederum die Reiseberichte wohl ursprünglich hervorgegangen sind. Demnach hätten »Lykurg, Platon und Solon aus ägyptischen Gebräuchen vieles in ihre Gesetzgebung aufgenommen. Pythagoras soll seine Götterlehre, seine geometrischen Lehrsätze, seine Zahlenlehre und auch seine Idee von der Wanderung der Seele durch alle Lebewesen hindurch von den Ägyptern erhalten, Demokrit, so nimmt man an, fünf Jahre dort gelebt und vieles bezüglich der Astrologie erfahren haben.« Astrologisches und Astronomisches soll auch Oinopides von den Ägyptern gelernt haben, ebenso Eudoxos von Knidos, »so daß er manches davon an die Griechen weitergeben konnte und bedeutenden Ruhm erlangte.«45 Diodors Bericht verweist dabei auch auf das Bestreben hellenisierter Ägypter zu seiner Zeit, die Verdienste ihrer Kultur für die griechische Welt herauszustellen, zu der sie inzwischen gehörten. Das grundlegende Schema, die Leistungen der griechischen Kultur auf die Einflüsse Ägyptens und anderer alter Hochkulturen zurückzuführen, findet sich allerdings schon in vorhellenistischer Zeit in vielen griechischen Texten. Offenkundig war es griechischen Ursprungs, konnte aber, wie sich bei Diodor zeigt, später auch von nichtgriechischer Seite argumentativ verwertet werden. Wesentliche Lehren der griechischen Philosophie sollen also bei den alten Ägyptern schon vorhanden gewesen sein und mussten von dort nur nach Griechenland ›importiert‹ werden – welche Aufgabe den reisenden Philosophen zufiel. Zwar ist ein tatsächlicher Einfluss außergriechischer Kulturen, etwa im Bereich der Technik, der Religion und auch des Denkens, gar nicht von der Hand zu weisen – wenn auch Ausmaß und Bedeutung dieser kulturellen Kontakte im Einzelnen nicht immer leicht zu fassen sind.46 Dennoch ist die 43

Diog. Laert. 1,1–11; vgl. dazu H. Niehues-Pröbsting, Die antike Philosophie. Schrift, Schule, Lebensform, Frankfurt a.M. 2004, 18. 44 Diod. 1,96,2f. (Übers. Wirth). 45 Diod. 1,98,1–4 (Übers. Wirth). Zu Eudoxos’ Reise nach Ägypten vgl. auch 1,96,2; Diog. Laert. 8,87. 46 Dem (möglichen) Einfluss außergriechischer Kulturen wird besonders von Gemelli Marciano in den Erläuterungen zu den von ihr herausgegeben Vorsokratiker-Fragmenten (wie Anm. 29) wieder mehr Beachtung geschenkt, als ihm in der jüngeren Forschung zumeist zukam (vgl. dazu auch ihre ›Einführung‹, 375–377, und [besonders zum Einfluss der persischen Kultur] 402–410). Lloyd (wie Anm. 38), 236–239, kommt dagegen zu dem Schluss »that knowledge of other peoples was at most a necessary, not a sufficient, condition of the specific intellectual developments that we have identified as taking place in Greece.« Zur Frage vgl. jetzt auch W. Burkert, Frühgriechische Philosophie und Orient, in: H. Flashar et al. (Hg.), Frühgriechische Philosophie. Erster Halbband, Basel 2013 (Die Philosophie der Antike 1), 97–125.

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Jan Dreßler

gängige Erzählung der antiken Texte über den ägyptischen bzw. orientalischen Ursprung der griechischen Philosophie in erster Linie als späteres Konstrukt anzusehen: Zum einen galt insbesondere Ägypten den Griechen schon seit Langem als Hort ursprünglicher Weisheiten, die seit Urzeiten von Generation zu Generation weitergereicht wurden.47 Es lag also nahe, zwischen den Weisheiten der ›jungen‹ Griechen und denen der ›alten‹ Ägypter eine Verbindung herzustellen.48 Zum anderen führte das Wissen, das man inzwischen über außergriechische Kulturen hatte, zu der Einsicht, dass es in einigen Punkten durchaus Parallelen zwischen dem griechischen Denken und beispielsweise dem der Ägypter gab – die es nun durch die Annahme eines Kulturtransfers nachträglich zu erklären galt. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die Ausweitung des geographischen und intellektuellen Horizonts in hellenistischer Zeit. Eben dieser Gedanke eines prägenden Einflusses Ägyptens und der orientalischen Kulturen auf das griechische Denken bekommt in den Reisen berühmter Philosophen der Vergangenheit seine gängige literarische Form. Auf den literarischen Charakter der Geschichten verweist dabei auch die Tatsache, dass sie sich zumeist auffällig ähneln.49 Selbst wenn man einen historischen Kern annehmen (oder zumindest für möglich halten) möchte,50 wird dieser durch die höchst stereotype Literarisierung stark überformt. Dass es sich bei den Berichten in erster Linie um literarische Konstrukte handelt, zeigt sich außerdem daran, dass sie oft gerade frühen Denkern zugeschrieben wurden. Schließlich ließ sich ein prägender Einfluss außergriechischer Weisheit auf die Entwicklung der griechischen Philosophie am besten nachweisen, wenn man ihn schon an deren Anfängen aufzeigen konnte. So soll gerade Thales, der halb-legendäre Begründer der ionischen Schule nach 47

Vgl. dazu H. Blumenberg, Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie, Frankfurt a.M. 1987, 49f.: »Ägypter sind aus der griechischen Tradition Vertreter uralter Weisheit, bei denen sich davon etwas zu holen zum obligaten Programm der Philosophenbiographie gehörte.« Zum griechischen Ägyptenbild vgl. allg. Chr. Froidefond, Le mirage Égyptien dans la littérature Grecque d’Homère à Aristote, Gap 1971. 48 Bei Platon etwa erscheinen die Griechen im Vergleich zu den Ägyptern mit ihrer alten, lange zurück reichenden Überlieferung wie »Kinder« (Tim. 22b–23b, Zitat 22b). 49 So ist es geradezu ein Gemeinplatz der Geschichten, dass die Philosophen in Ägypten jeweils mit der Priesterschaft in Kontakt treten und sich in deren überlieferte Weisheiten einweihen lassen: so Thales (Diog. Laert. 1,27), Pythagoras (8,3), Demokrit (9,35). Auch in Bezug auf andere Länder werden fast ausschließlich die Kontakte zu den einheimischen Weisen erwähnt. Weitere Details zu den Reisen fehlen zumeist (eine Ausnahme: 1,27 [zu Thales]), lagen also wohl nicht vor. Diogenes nennt zumeist auch keine Quelle. Eine Ausnahme bildet Demokrits Ägyptenreise, für die er Antisthenes von Rhodos (2. Jh. v.Chr.) und Demetrios von Magnesia (1. Jh. v.Chr.) als Gewährsmänner anführt. Riginos (wie Anm. 11), 64, weist darauf hin, dass auch die Reisen Platons außerhalb Griechenlands erst recht spät in der antiken Überlieferung zu greifen sind. 50 Viele Forscher begegnen der Überlieferung allerdings mit Vorbehalten. So bemerkt G. E. R. Lloyd (wie Anm. 38), 237: »Many of the stories we find in late authors about the extensive travels of philosophers or political leaders must be treated with scepticism, particularly when the writer is arguing a general thesis about the debts of Greek wisdom to the East.« Vgl. auch Froidefond (wie Anm. 47), 71. Skeptisch gegenüber Thales’ Ägyptenreise ist Gemelli Marciano (wie Anm. 29), 30: »Da Thales als der erste griechische Geometer angesehen wurde und die Entdeckung der Geometrie schon von Herodot den Ägyptern zugewiesen wurde, lag es nahe, seine geometrischen Erfindungen auf seinen vermeintlichen Aufenthalt in Ägypten zurückzuführen.« Riginos (wie Anm. 11), 64f., hält die Überlieferung zu Platons Ägyptenreise für unhistorisch.

Überlegungen zu den Reiseberichten bei Diogenes Laertios

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Ägypten gereist sein.51 Genauso Pythagoras, der (wie man später meinte) den Begriff Philosophie geprägt und sich als erster als Philosoph bezeichnet hatte.52 Auch Platon konnte späteren Generationen, und hier natürlich besonders den Neuplatonikern, aufgrund seines ebenso umfangreichen wie wegweisenden Werkes als weitere Gründungsfigur der Philosophie erscheinen. Mit den fiktiven Reisen wurde damit gleichsam eine translatio sapientiae postuliert: Die Weisheit, in deren Besitz die alten Kulturen Ägyptens und Vorderasiens schon seit Langem waren, ging auf die Griechen über und gab der Entwicklung des griechischen Denkens den entscheidenden Anstoß und damit zugleich ein sicheres und autoritatives Fundament. Je nach Einstellung, die der Autor zu den jeweiligen Denkern hatte, konnte er dann entweder argumentieren, dass deren Philosophie schon durch den Transfer dieser uralten Weisheiten über jeden Zweifel erhaben sei.53 Ebenso konnte er aber auch ihre intellektuelle Bedeutung in Frage stellen, da sie doch eigentlich keine neuen Gedanken entwickelt hätten.54

Zusammenfassung Reisen waren ein fester Bestandteil des philosophischen Lebens. Die Reisen der Denker spielten eine wichtige Rolle bei der Etablierung und Ausbreitung der Philosophie. Die Philosophenschulen entwickelten sich zu Anziehungspunkten für Bildungshungrige aus der ganzen griechischen Welt und später auch aus Rom. Und als Gesandte und intellektuelle Unterhalter reisten die Philosophen zu herausragenden politischen Persönlichkeiten. Auf diese tatsächliche Bedeutung des Reisens im philosophischen Leben verweisen auch die Reiseberichte in der biographischen Überlieferung. Zugleich lassen sich die Berichte jedoch auch auf anderer Ebene lesen: Erstens erscheint das Verlassen der Heimat und die Reise zu einem philosophischen Lehrer oft als gleichsam topischer erster Schritt zum Leben als Philosoph. Zweitens war die Anzahl der Schüler, die zu einem Philosophen reisten, zugleich ein Gradmesser für dessen Ansehen und das der Stadt, in der er wirkte. Drittens ließen sich durch (angenommene oder tatsächliche) Reisen (angenommene oder tatsächliche) intellektuelle Einflüsse und Abhängigkeiten erklären. Und viertens schließlich übersetzte sich die Annahme, die Entwicklung der griechischen Philosophie sei wesentlich auf den Einfluss außergriechischer Kulturen zurückzuführen, in literarische Berichte von Reisen, die Philosophen mit der dortigen Weisheit in Kontakt gebracht hätten. Jan Dreßler Weidenweg 35, D-10249 Berlin [email protected]

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Zu Thales als »Protophilosophen« vgl. Blumenberg (wie Anm. 47), 11f. Niehues-Pröbsting (wie Anm. 43), 26, bezeichnet ihn als »die symbolische Stifterfigur der Philosophie« (vgl. dazu S. 20–22). 52 Vgl. Diog. Laert. 1,12. 53 Nach Niehues-Pröbsting (wie Anm. 43), 19, war es in der antiken Literatur gängige »Praxis, eigene Lehren und Meinungen dadurch zu autorisieren, dass man sie als älteste Weisheit beziehungsweise als Weisheit der Alten und Ältesten ausgibt.« 54 Vgl. dazu (in Bezug auf Platon) Riginos (wie Anm. 11), 65.

Kerstin Droß-Krüpe

Regionale Mobilität im privaten Warenaustausch im römischen Ägypten Versuch einer Deutung im Rahmen der Prinzipal-Agenten-Theorie

In unserer modernen Welt sind wir seit langem an die Ubiquität von Waren und Dienstleistungen gewöhnt. Insbesondere Produkte des täglichen Bedarfs und Grundnahrungsmittel sind uns nahezu immer und überall zugänglich. In der Antike stellt sich die Situation anders dar. Das regional verfügbare Angebot von Waren ist durchaus begrenzt, selbst vermögende Personen können offenbar keineswegs immer und überall ihren alltäglichen Bedarf decken.1 Diese Begrenztheit ist dabei nicht nur auf saisonale Güter (wie z.B. bestimmte Lebensmittel) bezogen, sondern betrifft auch Waren, die im Grundsatz ganzjährig angeboten werden könn(t)en, wie beispielsweise Kleidung. Was geschieht aber, wenn ein Produkt vor Ort nicht verfügbar ist? Theoretisch bestehen drei Handlungsoptionen: 1. Verzicht auf das Produkt 2. Ersatz des Produktes durch ein verfügbares Alternativprodukt 3. Beschaffung des Produktes andernorts Im antiken Quellenmaterial finden sich zahlreiche Belege für die dritte Handlungsvariante. Das Transferieren von unterschiedlichsten Gütern durch die Provinz ist vor allem in den kaiserzeitlichen Papyrusbriefen zahlreich belegt,2 wobei diese Transfers sowohl innerhalb einer Familie nachweisbar sind, als auch außerhalb von verwandtschaftlichen Bindungen. Ein typisches Beispiel stellt P.Mich. 8/4813 dar, ein Brief4 des Soldaten Claudius Terentia-

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Vgl. dazu den kurzen Überblick bei C. Kreuzsaler, »… denn durch unsere Briefe wird es sein, als würden wir einander sehen«. Briefe als Kommunikationsmittel im römischen Ägypten«, in: B. Palme et. al (Hg.), Stimmen aus dem Wüstensand. Briefkultur im griechisch-römischen Ägypten, Wien 2010, 17–26, bes. 21f. 2 Zu dieser Quellengattung vgl. C. Palme et. al (Hg.), Stimmen aus dem Wüstensand. Briefkultur im griechisch-römischen Ägypten, Wien 2010. Eine ausführliche Behandlung der Papyrusbriefe wird die jüngst an der Philipps-Universität Marburg eingereichte Dissertation Wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen zu den kaiserzeitlichen Papyrusbriefen von P. Reinard bieten. 3 Mit BL VIII, S. 215. 4 Zum Archiv des Claudius Tiberianus vgl. jüngst S. Strassi, L’archivio di Claudius Tiberianus da Karanis, Berlin/New York 2008 (AfP Beiheft 26) sowie A. Calderini, La corrispondenza grecolatina del soldato Claudio Tiberiano, in: RIL 15, 1951, 155–166; G. B. Pighi, Lettere latine di un soldato di Traiano, Bologna 1964; R. P. Stephan, A. Verhoogt, Text and context in the archive of Tiberianus, in: Bulletin of the American Society of Papyrologists 42, 2005, 189–201.

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nus an Tasoucharion, die er Schwester (ἀδελφή) nennt,5 aus dem frühen 2. Jh. n.Chr. Hier heißt es: κόμισαι παρὰ τ[ο]ῦ ἀποδιδόντος σοι τὸ ἐπιστόλιον καλάθιον ἐν ᾧ ὅ ἐάν εὑρίσκεις αὐτὸ ἀντιγράψις μοι; καὶ διὰ Οὐαλερίου τ[ο]ῦ χρυσοχ[ο]ῦ ἄλλο σοι ἀπέσ[τα]λκα; καλῶς οὖν ποιήσι[ς] κο[μ]ισαμένη ἀντιγράψαι μοι κ[αὶ] πε[ρὶ] τῆς σωτηρίας [ὑ]μῶν καὶ οὗ [ἐ]ὰν χρείαν ἔχῃς; κἀγ[ὼ] γὰρ ἐλπίζω ταχ[έ]ως πρὸς ὑμᾶς ἀν[ε]λθεῖ[ν], πᾶν ποίσο[ν] φρ[ο]ντίσα[ι] ἡμε[ῖ]ν κεράμια δύω τὰ μ[έ]γιστα ὀ[λυ]ρων κ[α]ι ἀρτάβην ἐλαίου ῥαφανίνου; ἐπεμ[ψ]ά σοι ὀριγάνιν τὸ συνπαρὰ τῷ ἐλαίῳ.6

Zwischen den Briefpartnern findet also ein reger Warenaustausch auf privater Ebene statt. Terentianus, der sich mit einiger Sicherheit in bzw. bei Alexandria befindet, hat durch zwei unterschiedliche Mittelsmänner Waren an Tasoucharion nach Karanis im arsinoitischen Gau gesendet.7 Eine erste Warensendung erreicht sie zusammen mit dem oben zitierten Schreiben, eine zweite ist noch unterwegs und soll durch den Goldschmied Valerianus überbracht werden. Im Gegenzug fordert Terentianus Tasoucharion auf, ihm zwei Keramien ὄλυρα8 und eine Artabe Rettichöl zu senden. Oft finden sich in den Dokumenten solche und ähnliche Hinweise darauf, dass die begehrte Ware nicht selbst beschafft, sondern dass stattdessen andere Personen mit der Beschaffung beauftragt wurden und dass zu diesem Zweck entweder die Beauftragten selbst oder aber Mittelsmänner innerhalb Ägyptens unterwegs waren. Der Auftrag konnte dabei an Familienmitglieder ebenso ergehen, wie an ›externe‹ Personen, zu denen abseits von Blutsbanden Kontakte bestanden. Im Beispiel von Terentianus und Tasoucharion waren zwischen der Gegend von Alexandria und dem arsinoitischen Gau immerhin rund 300km zwischen Warenempfänger und -sender zu überwinden. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Modelle und Kategorien der Neuen Institutionenökonomik (NIÖ) gewinnbringend auf die dokumentierten Verhaltensschemata im Falle solcher privater Warensendungen zwischen verschiedenen Orten angewendet werden können. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob Waren geordert werden, die andernorts angekauft werden müssen oder aber solche, die bei der kontaktierten Person ohnehin bereits vorrätig sind, z.B. weil es sich um eigene Erzeugnisse handelt, – oftmals ist die Entscheidung nach Aussage der Quellentexte überhaupt nicht explizit zu treffen. 5

Aus der Ansprache einer Person als Schwester oder Bruder sind nicht zwingend Rückschlüsse auf die Existenz von verwandtschaftlichen Beziehungen möglich. Diese Terminologie wird auch unter Eheleuten verwendet – ohne dass es um Geschwisterehen geht – und kommt außerdem zum Tragen, wenn eine enge persönliche bzw. freundschaftliche Beziehung zwischen Personen zum Ausdruck gebracht werden soll. Zum metaphorischen Gebrauch dieser Begrifflichkeiten vgl. P. ArztGrabner, ›Brothers‹ and ›Sisters‹ in Documentary Papyri and Early Christianity, in: Rivista Biblica 50, 2002, 185–204. 6 Z. 5–20: »Receive a basket from the man who deliveres the letter to you, and write back to me what you find in it. And I have sent you another basket by Valerius the goldsmith. Please write to me, when you receive it, both about your health and anything you may need. For I hope soon to go upcountry to you. Do everything possible to provide for us two keramia (of the largest size) of olyra and an artaba of radish oil. I sent you the marjoram that goes with the oil.« (Übers. nach der editio princeps). 7 Vgl. S. Strassi, L’archivio di Claudius Tiberianus da Karanis, Berlin/New York 2008 (AfP Beiheft 26), 99 mit Anm. 2 und 101 mit Anm. 8. 8 Welches Getreide genau sich hinter dem Begriff ὄλυρα verbirgt, ist unklar. In der editio princeps wird Dinkel vermutet (Komm. zu Z. 17f.).

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Die althistorische Forschung hat die Bedeutung moderner ökonomischer Modelle und insbesondere der NIÖ für die antike Wirtschaftsgeschichte seit einigen Jahren erkannt. So postulieren Walter Scheidel, Ian Morris und Robert Saller in der Cambridge Economic History of the Greco-Roman World: »Social-scientific thought of the past thirty years – particularly in development economics, institutional economics, human capital, and economy sociology may help ancient historians develop more robust theories and methods.«9 Auch Peter F. Bang betont in seiner Rezension dieses Bandes: »New institutional economics would, in many respects, seem congenial to the interests of Greco-Roman historians.«10 Gelegentlich haftet der NIÖ der etwas fade Beigeschmack eines neuen Etiketts an, das im Grundsatz traditionellen Forschungsansätzen beigefügt wird. Neuer Wein in alten Schläuchen also? Die Verfasserin ist überzeugt, dass die NIÖ mehr zum Verständnis der antiken Ökonomie beitragen kann als eine neue Terminologie. So wurde eine gewinnbringende Anwendung der theoretischen Positionen der NIÖ in Bezug auf das Römische Reich beispielsweise eindrucksvoll von Elio Lo Cascio dargelegt.11 Durch die NIÖ eröffnet sich also die Möglichkeit, Sachverhalte, die uns aus dem Quellenmaterial entgegentreten, mit Hilfe moderner Analyseinstrumente verständlich und deutbar zu machen – so auch im Fall der regionalen Mobilität von Waren und Personen in den dokumentarischen Papyri. Kehren wir zurück zum Brief des Terentianus. Das dort zu beobachtende Verhalten zeigt sich in einer Vielzahl von Papyrusdokumenten in dieser oder ähnlicher Form und kann wie folgt schematisiert werden: Person X (Terentianus) hat Bedarf an einer bestimmten Ware, die er – meist aus uns unbekannten Gründen – in der unmittelbaren Umgebung nicht (oder nicht zu für ihn akzeptablen Konditionen) erhalten kann. Daher versucht er, diese Ware durch eine ihm bekannten Person Y (Tasoucharion) an einem anderen Ort beschaffen zu lassen – er delegiert also die Beschaffung der gewünschten Ware an Y. Wir sehen in geradezu klassischer Weise eine Situation vor uns, wie sie in der ökonomischen Vertragstheorie als Prinzipal-Agenten-Beziehung oder agency dilemma beschrieben wird: Ein Auftraggeber (der Prinzipal) delegiert eine bestimmte Aufgabe an einen Vertreter (den Agenten); dieser soll im Sinne seines Auftraggebers, sozusagen als dessen Stellvertreter, agieren. Um die ihm übertragene Aufgabe erfüllen zu können, muss er dabei ei9

W. Scheidel et al. (Hg.), The Cambridge Economic History of the Greco-Roman World, Cambridge 2009, 7. Vgl. außerdem P. F. Bang, M. Ikeguchi, H. G. Ziche (Hg.), Ancient Economies – Modern Methologies. Archaeology, Comparative History, Models and Institutions, Bari 2006 sowie I. Morris et al., Views and Comments on Institutions, Economics, and the Ancient Mediterranean World, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics 160, 2004, 702–706 und J. G. Manning, Property Rights and Contracting in Ptolemaic Egypt, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics 160, 2004, 758–764. 10 P. F. Bang, The Ancient Economy and New Institutional Economics. Rez. zu W. Scheidel et al. (Hg.), The Cambridge Economic History of the Greco-Roman World, Cambridge 2009, in: JRS 99, 2009, 195. 11 Vgl. E. Lo Cascio, La ›New Institutional Economics‹ e l’economia imperiale Romana, in: M. Pani (Hg.), Storia romana e storia moderna. Fasi in prospettiva, Bari 2005, 69–83 und ders., The Role of the State in Roman Economy: Making Use of the New Institutional Economics, in: P. F. Bang, M. Ikeguchi, H. G. Ziche (Hg.), Ancient Economies – Modern Methodologies. Archaeology, Comparative History, Models and Institutions, Bari 2006 (Pragmateiai 12), 215–254. Dieselbe wird auch von D. P. Kehoe, Law and the Rural Economy in the Roman Empire, Ann Arbor 2007 betont.

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genständige Entscheidungen treffen. Um dies zu ermöglichen bzw. zu erleichtern wird dem Agenten eine gewisse Entscheidungsfreiheit eingeräumt. In der Neuen Institutionenökonomik ist eine derartige Form von vertikal hierarchischer Beziehung zwischen Prinzipalen und Agenten an Prämissen geknüpft. Bei dieser elementaren Form der Zusammenarbeit von Wirtschaftssubjekten in einer arbeitsteiligen Wirtschaft werden eigennützige, divergierende Zielsetzungen ebenso unterstellt wie Informationsasymmetrie und unvollkommene Moral.12 Die Prinzipal-Agenten-Beziehung wird eingegangen, weil sie zu einer (gemeinsamen) Wohlfahrtssteigerung der beteiligten Kooperationspartner führt.13 Unterstellt man dabei, dass der Agent mehr als der verlängerte Arm des Prinzipalen ist, also ein Individuum mit eigenen Präferenzen und mit opportunistischem Verhalten, ist die Delegation von Aufgaben mit spezifischen Problemen verbunden: Wie kann der Prinzipal sicherstellen, dass der von ihm gewählte Agent wirklich in seinem Sinne handelt und nicht seinen eigenen Nutzen über den des Auftraggebers stellt? Ein anschauliches Beispiel für diese Problematik findet sich bei Pratt, Zeckhauser: »If I stay home to protect our prehistoric village while you go out to gather berries for dinner, I cannot be sure that you will make a wholehearted effort.«14 Wie die beteiligten Akteure in der prähistorischen Siedlung aus dem Beispiel haben sich Terentianus und Tasoucharion für eine Aufteilung der zu erledigenden Aufgaben entschlossen: Jeder beschafft für den jeweils anderen vor Ort – vermutlich – nicht verfügbare Waren. Beide Parteien haben dabei jeweils spezifische Ziele und Interessen, die durch ihr jeweiliges Verhalten bestmöglich erfüllt bzw. befriedigt werden sollen; individuelle Nutzenmaximierung wird angestrebt. Für die Partei, an die eine Aufgabe delegiert worden ist (Agent), ist diese Aufgabe mit Mühen verbunden, dem sogenannten Arbeitsleid. Im Interesse des Agenten liegt es also, die Waren mit möglichst wenig Anstrengung zu beschaffen. Dabei ist er bei seinen Aktivitäten unbeobachtet durch den Auftraggeber (Prinzipal). Wie kann nun der Prinzipal sicherstellen, dass der Agent wirklich in seinem Sinne handelt? Wie verlässlich ist die Aussage des Agenten, er habe die gewünschten Waren trotz intensiver Suche nicht beschaffen können?15 Hat der Agent wirklich sein Möglichstes getan, um für die Wünsche des Prinzipals Sorge zu tragen? Hier sei erinnert an die Formulierung aus dem Brief des Terentianus, der eindringlich größtmöglichen Einsatz bei der Warenbeschaffung von Tasoucharion einfordert: πᾶν ποίσο[ν] φρ[ο]ντίσα[ι] ἡμε[ῖ]ν (Z. 15f.).16 Zwischen den Akteuren besteht offenkundig keine Interessenharmonie: Der Prinzipal will die best12 13 14 15

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K. P. Kaas, Kontraktgütermarketing als Kooperation zwischen Prinzipalen und Agenten, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 44, 1992, 884–901, hier: 888. A. Trumpp, Kooperation unter asymmetrischer Information. Eine Verbindung von PrinzipalAgenten-Theorie und Transaktionskostenansatz, Neuried 1995, 40. J. W. Pratt, R. J. Zeckhauser (Hg.), Principals and Agents – The Structure of Business, Boston 1985, ix. Ein solcher Fall findet sich z.B. in BGU 4/1095 (57 n.Chr., Thebais): »Aber was die Datteln betrifft, habe ich keine alten (von der alten Ernte) finden können, weder im Diopolites noch im Ombites.« (Übers. nach B. Olsson, Papyrusbriefe aus der frühesten Römerzeit, Upsala 1925, 37). Selbst wenn man dieser Formulierung auf Grund ihres häufigen Auftretens in den Papyrusbriefen auf den ersten Blick einen floskelhaften Charakter beimessen mag, kann man m.E. dennoch nicht verhehlen, dass es sich hier um mehr als eine inhaltsleere Sprachhülse handelt. Vgl. H. Koskenniemi, Studien zur Idee und Phrasologie des griechischen Briefes bis 400 n.Chr., Helsinki 1956, passim.

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mögliche Durchführung der übertragenen Aufgabe durch den Agenten; dies ist sein ›Gewinn‹, den er maximieren möchte. Sein Interesse ist ein möglichst hoher Arbeitseinsatz des Agenten. Der Agent will dagegen einen möglichst geringen Arbeitseinsatz leisten. Diese Interessenkonflikte können über einen Vertrag gelöst werden, der für den Agenten Anreize setzt, die ihm übertragene Aufgabe im Sinne seines Auftraggebers zu erfüllen und so für beide Seiten Verhaltenssicherheit schafft. Der Vertrag hat also eine verhaltenssteuernde Funktion.17 Ein Vertrag meint hierbei ein »Übereinkommen zwischen beiden Parteien, in dem für alle möglichen Eventualitäten, die im Laufe der Beziehung auftreten können, die jeweils zu leistenden Beiträge zur gemeinsamen Zusammenarbeit und die Beteiligung am Erfolg im vorhinein festgelegt sind … Zudem spezifiziert ein Vertrag ein Entlohnungssystem, das den Agenten für seine Bemühungen kompensiert.«18 Ein solcher Vertrag muss dabei kein ausformuliertes Schriftstück sein. Gerade in einer face-to-face society mit längerfristigen sozialen Beziehungsgeflechten spielen soziale und psychologische Faktoren wie Reputation, soziales Ansehen, Reziprozität und vor allem Vertrauen eine ganz entscheidende Rolle.19 Vertrauen ist dabei keine moralisch-ethische Kategorie, sondern vielmehr zu verstehen im Sinne von Verlässlichkeit des Kooperationspartners.20 Die von Karl-Joachim Hölkeskamp für die römische Republik formulierte elementare Bedeutung von Vertrauen trifft ohne Zweifel auf auch die kaiserzeitlichen Gegebenheiten zu: »Als eine erst in ihrer praktischen Umsetzung erfahrbare soziale Qualität gehört fides zum Kernbestand der kollektiven Mentalität einer face-to-face-society, deren Struktur von vielfältigen personalen Beziehungen durchzogen und von deren besonderen Unmittelbarkeit und Gegenseitigkeit geprägt war – und deren alltägliches Funktionieren auf praktisch allen Ebenen davon bestimmt sein mußte.«21 Im Fall von Terentianus und Tasoucharion ist der Fall noch komplizierter: Denn nicht nur die Briefpartner bilden eine wechselseitige Prinzipal-Agenten-Konstellation, sondern auch die mit der Überbringung der Güter betrauten Mittelsmänner fungieren als Agenten. Im Einzelnen: Terentianus tritt als Prinzipal nicht nur der Tasoucharion gegenüber auf, sondern auch gegenüber dem Boten, der besagten Brief und die erste Warenlieferung überbracht hat, sowie gegenüber dem Goldschmied Valerius, der ja mit einer zweiten Sendung noch unterwegs nach Karanis zu sein scheint. Gleichzeitig ist er Agent der Tasoucharion, der er ihr – in zwei Lieferungen – Waren aus Alexandria bzw. dem Delta beschafft hat. Tasoucharion wiederum ist in diesem Beziehungsgeflecht zum einen Prinzipal des Terentianus, da sie Warenlieferungen von ihm empfängt – die sie, so steht zu vermuten, vorher bei ihm geordert hat –, zum anderen ist sie aber auch Agentin des Terentianus, da sie für ihn Waren beschaffen soll. Gleichzeitig erfüllt sie aber gegenüber der Person bzw. den Per17 18 19

P.-J. Jost (Hg.), Die Prinzipal-Agenten-Theorie in der Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 2001, 17. Ebd., 13. K. M. Schmidt, Fairness and Incentives in a Multi-Task Principal-Agent Model, in: Scandinavian Journal of Economics 106.3, 2004, 453–474. 20 Vertrauen muss dabei durch »institutionelle Garantien« gestützt werden. R. Richter, E. G. Furubotn, Neue Institutionenökonomik, Tübingen 42010, 95. Der Verlust an Reputation zeigt sich deutlich in P.Mich. 8/467, einem weiteren Brief aus dem Archiv des Terentianus, in dem die (wiederholte) Unzuverlässigkeit des gewählten Boten kommuniziert wird, der andere als die vereinbarten Waren abgeliefert hat. 21 H.-J. Hölkeskamp, Senatus Populusque Romanus. Die politische Kultur der Republik – Dimensionen und Deutungen, Stuttgart 2004, 114.

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sonen, die Getreide und Öl zu Terentianus ins Delta bringen sollen, die Rolle als Prinzipal. Im Folgenden werden die Boten bzw. Überbringer von Briefen und Waren als ›Agenten 2. Grades‹ bezeichnet, während die Person, an die die Beschaffung von Waren brieflich delegiert wurde, ›Agent 1. Grades‹ genannt wird. Das Beziehungsgeflecht in P.Mich. 8/481 ist also besonders komplex und die Zahl der beteiligten Personen besonders hoch, v.a. wenn man einbezieht, dass im weiteren, stärker fragmentierten Verlauf des Briefes noch die Bitte an den Vater22 des Terentianus, Claudius Tiberianus, formuliert wird,23 durch einen gewissen Melas Spargel an Terentianus zu schicken.24 Hier wird also an eine andere Person (Agent 1. Grades) die Aufgabe Spargel zu beschaffen delegiert, ebenso wird ein weiterer Bote (Agent 2. Grades) im privaten Warenaustausch zwischen den Briefpartnern namentlich genannt. Ob er identisch ist mit dem Überbringer des Briefes an Tasoucharion ist nicht zu entscheiden, ebenso wenig, ob Melas neben dem Spargel auch die weiter oben angeforderten Lebensmittel überbringen wird. Es ist somit gut denkbar, dass insgesamt vier oder fünf verschiedene Personen zwischen Alexandria und dem Fayum hin- und herreisen, um den Warenbedarf von Terentianus und Tasoucharion zu stillen. Die regionale Mobilität in diesem Distributionsprozess ist also beträchtlich, bedenkt man, dass für die zu überwindende Distanz sicherlich jeweils mehrere Reisetage anzusetzen sind. Noch größere Distanzen hat offenbar der Schreiber von BGU 4/1095 überwunden, bei dem Versuch, auftragsgemäß Datteln der letzten Ernte für seinen in der Thebais ansässigen Prinzipal zu erwerben. Sowohl im Diopolites als auch im Ombites hat er versucht, seinen Auftrag zu erfüllen, konnte aber in keinem der beiden Gaue die gewünschten Datteln finden: περὶ δὲ τοῦ φοίνικος παλαιὸν οὐχ εὕρομεν οὐδὲ ἐν Διοπολίτῃ οὐδὲ ἐν Ὀμβιτου.25 Der papyrologische Befund liefert uns eine Vielzahl ähnlicher Beispiele, zum Teil mit geringerer Komplexität. In P.Horak 26 aus dem 3. Jh. v.Chr. schreibt Tharsynon an Agathokles: ἀπέσταλκά σοι Γλαῦκον τὸν καὶ τὴν ἐπιστολήν σοι κομίζοντα, ὅπως παρακομίσηι ἡμῖν τὸ μάραθον.26 Thermuthas schreibt ihrer Mutter Valerias und erbittet Decken und Wollvliese: πέμψον μοι τὰ λοδίκια τῆς τιμῆς καὶ ἐρίδια καλὰ πόκους τέσσαρας.27 Und Herakleides bittet seinen Sohn Heras, er möge ihm weiches Werg schicken: [σ]υναπόστειλόν μοι σιππίου τρυφεροῦ λίτρας δέκα γ(ίνονται) λί(τραι) ι καλῶς κεχειρισμένας τῆς οὔσης παρὰ 22

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Ob es sich dabei um den leiblichen Vater handelt, ist unklar, mit Strassi ist vielmehr anzunehmen, dass ein gewisser Ptolemaios, der in anderen Briefen des Archivs ebenfalls von Terentianus als ›Vater‹ tituliert wird, sein biologischer Vater ist, während es sich bei Claudius Tiberianus eher um einen väterlichen Freund handelt. S. Strassi, L’archivio di Clausius Tiberianus da Karanis, Berlin/New York 2008 (AfP Beiheft 26), 109–112. Vgl. P.Mich. 8/481, Komm. zu Z. 33. Z. 32f.: ἀσπ[αρά]γου πέμψ[ο]ν [....]ιν διὰ Μέλανος. Z. 9–11 mit BL I, S. 96. Die Datteln aus der Thebais waren in der Antike berühmt (Strab. 17,1,52). Z. 2–6: »Ich habe Glaukos, den Überbringer dieses Briefes, zu dir geschickt, auf dass er uns Fenchel hole.« (Übers. nach editio princeps). Zu diesem Brief ausführlich P. Reinard, Fenchel, ein verhandeltes Produkt – Anmerkungen zur papyrologischen und literarischen Überlieferung, in: Marburger Beiträge zur antiken Handels-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte 30, 2012, 27–40. SB 5/7572 (mit BL III, S. 189 und IX, S. 247, frühes 2. Jh. n.Chr., vermutlich aus Philadelpheia): »Send me the blankets of the price (agreed on) and fine wool, four shearings.« (Übers. nach P. W. Pestmann, New Papyrological Primer, Leiden 1990, 40).

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σοὶ τιμῆς.28 Auch aus dem Archiv des Terentianus sind weitere Warenbestellungen überliefert. So bittet Terentianus in einem lateinischen Brief seinen Vater um die Beschaffung von drei Zuchtsäuen und fordert ihn sogar explizit auf, sich zur Erfüllung dieser Bitte auf einem Handelsschiff von Karanis aus ins Delta zu begeben: rogo et or[o te] pa[ter u]t eas ad D[el]ta mer[ca]t[o]r[ia] navi ut em[a]s et mittas tr[e]s toc[adas.29 Nicht immer lässt sich, wie in diesem Beispiel, eruieren, wo sich Schreiber und Empfänger dieser Briefe gerade aufhalten und welche Distanzen zur Beschaffung und Lieferung der gewünschten Güter zu bewältigen sind. Klar ist aber, dass sich ein intensiver Brief und Warenverkehr auf einer privaten Ebene aufzeigen lässt, der mit einer ausgeprägten regionalen Mobilität von Personen und Gütern einhergeht. Jeder dieser Briefe muss überbracht werden, ebenso wie die jeweils angeforderten Waren. Immer handelt es sich im theoretischen Modell der NIÖ um mehrstufige Prinzipal-Agenten-Beziehungen mit den oben geschilderten Problematiken. Interessant in diesem Zusammenhang die Beschwerde der Isidora an Asklepiades: Obwohl sie 120 Drachmen für den Kauf einer Decke zur Verfügung gestellt hatte, hat sie eine Decke erhalten, die ihren Ansprüchen und ihrer Preis-Wert-Relation keinesfalls entspricht. Die gesendete Decke ist in den Augen des Prinzipals allenfalls fünf Drachmen wert.30 Die Briefe liefern aber auch immer wieder Mechanismen, um die Prinzipal-Agent-Problematik zu lösen bzw. die Informationsdichotomie zwischen den Kooperationspartnern zu kompensieren. Neben der Schaffung eines Anreizsystems für den Agenten wird in der NIÖ auch die Einführung von Kontrollindikatoren einbezogen, die die Aktivität des Agenten verifizierbar machen. Zentral ist dabei, dass diese Indikatoren sowohl durch den Prinzipal als auch durch den Agenten beobachtbar und messbar sind – nur so kann entschieden werden, ob die Aufgabe zufriedenstellend erfüllt wurde oder nicht.31 Zunächst soll im Folgenden exemplarisch zusammengestellt werden, welche Kontrollmechanismen uns in den Papyrusbriefen begegnen, um in einem zweiten Schritt einen Erklärungsansatz für die Ausbildung dieser Ausgestaltung der Prinzipal-Agenten-Beziehung zu suchen. Häufig begegnet in den Briefen die Forderung nach Waren einer bestimmten – im Regelfall einer zufriedenstellenden bzw. guten – Qualitätsstufe.32 Der Fenchel, den Tharsynon 28

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BGU 4/1080, Z. 18–21: »Und wenn es dir keine Mühe bereitet und möglich ist, so sende mir zugleich [i.e. mit einem Brief] zehn Pfund weichen Werges, macht 10 Pfund, gut bearbeitetes zu den bei Dir [d.h. vor Ort] geltenden Preisen.« (Übers. nach J. Hengstl, Griechische Papyri aus Ägypten als Zeugnisse des öffentlichen und privaten Lebens, München 1978, Nr. 75). P.Mich. 8/467, Z. 29–31: »I ask and beg you, father, to go to the Delta on a trading boat, so that you may buy and send three breeders.« (Übers. nach editio princeps). Zur Bedeutung von tocadas vgl. H.-J. Drexhage, Schweine und Schweinefleisch in den griechischen Papyri und Ostraka mit besonderem Blick auf die ersten drei Jahrhunderte n.Chr, in: Marburger Beiträge zur antiken Handels-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte 29, 2011, 165–210, hier: 167 mit Anm. 13. BGU 4/1205 (28 v.Chr., Herakleopolites), Z. 17–22: πέπομφά σοι τιμὴν τοῦ ἐνκοιμήτρου [(δραχμὰς)] ρκ, ἐπιγνώσῃ δὲ ἐὰν ἔλθῃς, τίς αὐτὸ εἴληφε. οὐκ ἔστιν δὲ πλέω ἀξιν ε. Ob dies dem tatsächlichen Wert der Decke entspricht, mag dahin gestellt sein, in jedem Fall aber ist die Relation von Preis und Qualität für Isodora nicht zufriedenstellend. H. Laux, Risiko, Anreiz und Kontrolle. Principal-Agent-Theorie – Einführung und Verbindung mit dem Delegationswert-Konzept, Heidelberg 1990, 18. Eine umfangreichere Zusammenstellung bei P. Reinard, Fenchel, ein verhandeltes Produkt – Anmerkungen zur papyrologischen und literarischen Überlieferung, in: Marburger Beiträge zur antiken Handels-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte 30, 2012, 27–40, hier: Anm. 39.

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anfordert, soll χρήσιμος sein;33 Nilus bittet um die Beschaffung von δαλματικαὶ β τέλειοι.34 Diese Angaben sind wohl als Ermahnung zu verstehen, keine minderwertigen Produkte zu senden35 – es sei an die Beschwerde der Isodora erinnert –, können als solches aber nicht ausreichen, um sicherzustellen, dass der Auftraggeber auch wirklich mit der Güte der Waren zufrieden sein wird. Dennoch scheint dieser Hinweis im Regelfall zu genügen, um den Beauftragten zur Sorgfalt bei der Beschaffung zu ermahnen, da in den Briefen – soweit ich sehe – keine dezidierteren Spezifikationen zu finden sind. Überhaupt fällt auf, dass die sich zeigenden Kontrollmechanismen offenbar weniger die Agenten 1. Grades als die Agenten 2. Grades betreffen. Die direkten Überbringer von Geld, Waren und Briefen scheinen einer expliziteren und verifizierbareren Kontrolle zu bedürfen als die Briefpartner selbst. Hier finden sich folgende Vorgehensweisen: Am häufigsten wird der Überbringer des Briefes, der mit dem Auftrag zur Beschaffung bestimmter Waren unterwegs ist, einer vertrauten Person anempfohlen (sogenannte Empfehlungsschreiben). Dabei geht es offenbar nicht nur um den Schutz der betreffenden Person, sondern auch um die Kontrolle ihrer Aktivitäten durch eine vom Prinzipal als vertrauenswürdig eingestufte, ihm näher bekannte Person. So heißt es in einem Schreiben des Harpokration aus dem Archiv des Strategen Apollonios, Apollonios möge sich um den Gehilfen/Mitarbeiter gleichen Namens kümmern, der fortgeschickt wurde, um Waren zu kaufen.36 Auch in P.Horak 26 wird eine solche Bitte formuliert, die allerdings noch detailreicher ausgestaltet ist: Der Briefempfänger, Agathokles, wird gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass Glaukos, der Fenchel beschaffen soll, nicht nur Fenchel guter Qualität erhält, sondern auch in einem angemessenen Preis-Leistungs-Verhältnis. Er soll, so bittet Tharsynon, überprüfen, dass Glaukos nicht durch die Verwendung falscher Maße betrogen werde. Ist diese Bitte auf den ersten Blick ein Hinweis auf mögliche Unregelmäßigkeiten auf dem Markt durch die Verkäufer von Fenchel (und anderer Waren), so stellt der Prinzipal aber durch diesen Arbeitsauftrag an den Empfänger des Schreibens gleichzeitig sicher, dass dieser die Aktivität des Agenten überprüft und gegebenenfalls regulierend im Sinne des Prinzipal eingreift. Ein ganz ähnliches Prozedere begegnet in BGU 2/596:37 καλῶς ποιήσεις συνελθὼν [Α]ἰλουρίωνι τῶι κομίζοντί σοι τὸ ἐπ[ι]στ[ό]λιον, ὅπως εἰς τὴν ἑορτὴν περιστερίδια ἡμῖν ἀγοράσηι. Auch hier soll der Überbringer des Briefes, ein gewisser Ailourion, im Auftrag des Briefschreibers Lebensmittel – Tauben für eine Feierlichkeit – besorgen. Der Empfänger des 33 34 35

P.Horak 26 (2. Hälfte 3. Jh. v.Chr.), Z. 8f. P.Harr. 1/105 (3. Jh. n.Chr.), Z. 8f. Ein ganz ähnliches Beispiel findet sich auch außerhalb Ägyptens, nämlich im britannischen Vindolanda: mala si potes formonsa inveni re centum ova centum aut ducenta si ibi · aequo emantur (T.Vindol. 2/302, Z. 3–5). Zur angemessenen bzw. gerechten Preisgestaltung siehe auch Liv. 7,21,8 sowie Dig. 30,66 und 47,11,6 pr. 36 P.Giss. 75 (mit BL XII, S. 77, 113–120 n.Chr., vermutlich Hermopolites): [παρακ]αλῶ σε, ἄδελφε, συνλαβέσθαι [Ἀπολλ]ωνίωι ἡμετέρῳ χειριστῆι [πεμφθ]έντι ὑπ’ ἐμοῦ χάριν ἀγο[ρασμ]οῦ γενῶν ἐν οἷς. 37 84 n.Chr., Arsinoites; Z. 4–8: »Du wirst gut tun, den Ailûriôn, der dir das Briefchen überbringt, zu begleiten, damit er uns fürs Fest Täubchen kauft.« (Übers. nach B. Olsson, Papyrusbriefe aus der frühesten Römerzeit, Upsala 1925, 49).

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Briefes wird hier ganz ausdrücklich gebeten, Ailourion beim Einkauf zu begleiten. In diesem Fall lassen sich auch wieder vorsichtige Aussagen über den Mobilitätsradius im Rahmen dieser Warenbeschaffung fassen: Der Empfänger des Briefes wohnte in Bakchias, einem Dorf im Fayum, nordöstlich des Moeris-Sees. Da der Absender den Empfänger einlädt, zu ihm herabzukommen, muss er selbst also in einem tiefer gelegenen Gebiet im Westen des Fayum38 oder aber in einem tiefer liegenden Gau leben. Eine weitere Möglichkeit zur Kontrolle ist die exakte Angabe der übersendeten Güter in einer Art ›Warenbegleitschein‹ bzw. die genaue Quantifizierung der Waren, die gesendet werden sollen. Aus den zahlreichen Beispielen seien hier nur zwei herausgegriffen: In dem Brief aus Tebtynis werden im 2. Jh. drei Matia getrockneter Koriander sowie ein Maß Kreuzkümmel angefordert: προνοήσεις δὲ ἐμοῦ κορίου ξηρο[ῦ] μάτια τρία καὶ κυμ[ί]νου μέτρον α.39 In einem Brief aus Oxyrhynchos, der ebenfalls ins 2. Jh. zu datieren ist, werden die überbrachten Waren in ähnlicher Weise exakt gelistet: 4 Kotylen Salbe bzw. Duftöl, je 100 Feigen und Nüsse sowie ein halber Chous Öl (κόμ[ισ]αι διὰ Κ[έ]ρδωνος ὥστε Διονυσίῳ χρίματος κοτύλας δ καὶ σφυρίδιν τραγημάτων ἔχον ἀρίθμια σῦκα ρ κάρυα ρ καὶ ἐλαίου χοὸς ἥμισυ).40 Ein alternatives Vorgehen zeigt sich in dem eingangs erwähnten Schreiben von Claudius Terentianus an Tasoucharion:41 κόμισαι παρὰ τ[ο]ῦ ἀποδιδόντος σοι τὸ ἐπιστόλιον καλάθιον ἐν ᾧ ὃ ἐὰν εὑρίσκεις αὐτὸ ἀντιγράψεις μοι. Tasoucharion soll also brieflich über den Inhalt des erhaltenen Korbes Auskunft geben – so wird für den Absender Terentianus ersichtlich, ob sein Bote den Inhalt vollständig am Bestimmungsort abgegeben hat. Obwohl also die Personen, die das Überbringen einer Ware an Boten delegierten offenbar durchaus über Möglichkeiten verfügten, das Verhalten ihrer Agenten zu kontrollieren, blieb die Wahl dieses Agenten keine leichtfertig getroffene Entscheidung. Es war eben nicht einerlei, wen man mit den Waren auf den Weg schickte. Abseits der Kontrollmöglichkeiten war ein gewisses Grundvertrauen in den Überbringer notwendig. So erwidert Isidora auf die Bitte ihrer Tochter, einen Chiton zu schicken, dass sie dies nur tun werde, wenn sie eine vertrauenswürdige Person als Boten gewinnen kann: ἐὰν εὕρω τινὰ πιστὸν πέμψω.42 Außerdem ist eine gewisse Ortskenntnis von Nöten. So bittet Arsis den Strategen Apollonios, ihm einen geeigneten Boten zu nennen, da Phibas nicht über ausreichende Ortskenntnis verfüge, um allein zu Apollonios zu kommen, um diesem die gewünschten 600 Drachmen zu überbringen: γράψις μοι οὖν, τίνι δῶ ταύτας [καὶ ἄλ]λας [ἔτι] τριακοσίας δραχμάς, ἵνα σοι ἐνέγκ[ῃ,] ἐπὶ Φιβᾶς ὁ αὐτοῦ ἄπειρός ἐστιν τῶν τόπων καὶ οὐ δύνατα[ι] μόνος προσε[λθε]ῖν.43 38 39 40 41 42 43

Vgl. Komm. zu Z. 10. P.Tebt. 2/314, Z. 16–20: »get me three matia of dried coriander and a measure of cumin« (Übers. nach editio princeps). P.Oxy. 3/529, Z. 2–8: »receive through Cerdon for Dionysius 4 cotylae of unguent and a basket of dessert containing 100 figs, 100 nuts, and half a chous of oil« (Übers. nach editio princeps). P.Mich. 8/481. P.Mich. 8/514, Z. 13f: »if I find a trustworthy person I will send it« (Übers. nach editio princeps). P.Giss. 68, Z. 14–19: »Schreibe mir also, wem ich diese und noch weitere 300 Drachmen geben soll, damit er sie Dir bringt, da Phibas, sein Sklave, der Gegend unkundig ist und nicht allein kommen kann.« (Übers. nach M. Kortus, Briefe des Apollonios-Archives aus der Sammlung Papyri Gissenses, Gießen 1999 [Berichte und Arbeiten aus der Universitätsbibliothek Gießen 49], Nr. 21).

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Kerstin Droß-Krüpe

Die hier exemplarisch versuchte Analyse dieser mikroökonomischen Abläufe zeigt, dass die gelegentlich geäußerte Modellvorstellung familiärer oder doch zumindest dörflicher Autarkie, die lediglich nur durch das Verhandeln von Luxusgütern durchbrochen werde, nicht zu halten ist.44 Im Quellenbefund ist die Existenz von privat organisiertem Warenaustausch eindrücklich dokumentiert, der mit einer nicht unerheblichen regionalen Mobilität verbunden war und oftmals eben nicht auf hochpreisige und exotische Luxusgegenstände, sondern vielmehr auf Waren des täglichen Bedarfs bezogen war. Dabei treten interessante mehrstufige hierarchische Beziehungsgeflechte zu Tage, die mit den Instrumentarien der NIÖ als Prinzipal-Agenten-Beziehungen interpretiert werden können. Von besonderem Interesse sind hier neben der zum Teil beträchtlichen territorialen Spannweite der Warensendungen auch die Kontrollmechanismen, die als Verhaltenssicherheit schaffende Maßnahmen vor allem für die Agenten 2. Grades nachweisbar sind. Während die Beziehung zwischen den Briefpartnern (also zwischen Prinzipal und Agenten 1. Grades) offenbar oftmals auf familiären oder sonstigen engen persönlichen Banden – letztlich also auf Vertrauensbeziehungen – beruhen,45 ist die Beziehung zu den Überbringern von Brief und/oder Waren weniger eng und bedarf zusätzlicher verifizierbarer Parameter, um sicherzustellen, dass die übertragene Aufgabe im Sinne des Prinzipals erfüllt wird. Die Existenz von sozialen Netzwerken hoher Qualität sowie die Reziprozität der Warenaustauschbeziehungen scheinen als Anreizsysteme, um die übertragene Aufgabe der Beschaffung bestimmter Güter bestmöglich zu erfüllen, maßgeblich zu sein.46 Die Wechselseitigkeit und Langfristigkeit dieser Beziehungen trägt offenbar erheblich zum reibungslosen Ablauf des privaten Warentransfers auch über größere Distanzen bei. Hier sei noch einmal auf P.Mich. 8/481 verwiesen, in dem nicht nur die Sendung bestellter Waren angekündigt bzw. spezifiziert wird, sondern im Gegenzug auch wiederum Waren angefordert werden. Im Rahmen dieses Beitrages kann nur ein erster kurzer Blick auf diese Aspekte geworden werden, doch zeigt sich zweierlei deutlich: Zum einen liefern die papyrologischen Dokumente beeindruckende Einblicke in private Warenaustauschprozesse sowie die damit verbundene regionale Mobilität, z.T. über einige hundert Kilometer und mehrere Gaugrenzen hinweg. Zum anderen lassen sich die sichtbar werdenden Verhaltensweisen unter Anwendung des informationsökonomischen Ansatzes der Prinzipal-Agenten-Theorie in einen modernen ökonomischen Modellrahmen einfügen – ein erster Ansatz, der in der Zukunft sicherlich für weitere Forschungen in diesem Bereich weiter fruchtbar gemacht werden kann. 44

Etwa bei M. I. Finley, The Ancient Economy, London 21985, 123–149; J. Paterson, Trade and Trades in the Roman World: Scale, Structure and Organisation, in: H. Parke, Chr. Smith (Hg.), Trade Traders and the Ancient City, London/New York 1998, 149–167. Dagegen bereits K. Ruffing, Interdependente, spezialisierte dörfliche Ökonomien, in: T. Mattern, A. Vött (Hg.), Mensch und Umwelt im Spiegel der Zeit. Aspekte geoarchäologischer Forschungen im östlichen Mittelmeergebiet, Wiesbaden 2009 (Philippika 1), 127–145. 45 So wird beispielsweise in SB 5/7572 und BGU 4/1080 je ein Elternteil angeschrieben und Claudius Terentianuns wendet sich in seinem oben ausführlich vorstellten Schreiben an seine Schwester (P.Mich. 8/481). Vgl. zur Bedeutung von verwandtschaftlichen Beziehungen auch A.-C. Harders, Suavissima soror. Untersuchungen zu den Bruder-Schwester-Beziehungen in der römischen Republik, München 2008 (Vestigia 60), bes. 31–43. 46 Vgl. R. Richter, E. G. Furubotn, Neue Institutionenökonomik, Tübingen 42010, 103.

Regionale Mobilität im privaten Warenaustausch im römischen Ägypten

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Großer Dank gebührt Patrick Reinard (Marburg) für fruchtbare Diskussionen und erhellende Hinweise. Weiterhin sei Kai Ruffing (Kassel) und Florian Krüpe (Marburg) ebenso wie Eivind Heldaas Seland (Bergen) und Wim Broekaert (Ghent) für ihre Anmerkungen und Anregungen zu diesem Themenfeld herzlich gedankt. Kerstin Droß-Krüpe Universität Kassel, Teilgebiet Alte Geschichte Nora-Platiel-Straße 1, D-34109 Kassel [email protected]

Abkürzungen BGU: Aegyptische Urkunden aus den Königlichen (später: Staatlichen) Museen zu Berlin. Griechische Urkunden, Berlin 1895– BL: Berichtigungsliste der griechischen Papyrusurkunden aus Ägypten, Berlin et al. 1922– P. Harr.: The Rendel Harris Papyri of Woodbrooke College, Birmingham 1936/1985 P. Horak: H. Harrauer, R. Pintaudi (Hg.), Gedenkschrift Ulrike Horak, Florenz 2004 P. Giss.: Griechische Papyri im Museum des oberhessischen Geschichtsvereins zu Gießen, Leipzig/Berlin 1910–1912 P. Mich. 8: Michigan Papyri, Ann Arbor 1931–1999 P. Oxy.: The Oxyrhynchus Papyri, London 1898– P. Tebt.: The Tebtunis Papyri, London 1902– SB: Sammelbuch griechischer Urkunden aus Aegypten, Berlin et al. 1913– T. Vindol.: Vindolanda: the Latin Writing Tablets, London 1983–2003

Peter Emberger

Truppen- und Gerätetransporte zur See in der römischen Antike

Einleitung Truppentransporte zur See stellten in der römischen Antike zu allen Zeiten ein sehr gefährliches Wagnis sowie eine logistische Herausforderung dar.1 Zugleich wurde die Fahrt auf dem offenen Meer als Glückspiel angesehen, weil man auf Gedeih und Verderb »der Wut von Wind und Wasser« ausgeliefert war.2 Schon Homer ließ den schiffbrüchigen, seit Jahren von Küste zu Küste getriebenen Odysseus die Strapazen auf dem Meer beklagen. Auch die Dichter Roms besangen in ihren Reise- und Geleitgedichten (Propemptika) die Gefährlichkeit der Seefahrt und die Vermessenheit derer, die ihr Leben wagemutig einem Schiff anvertrauen.3 Der römische Geschichtsschreiber Tacitus schildert indessen in seinen Annalen (2,23f.) einen Seesturm, durch den die Flotte des Germanicus im Nordmeer Schiffbruch erlitt. Noch im vierten nachchristlichen Jahrhundert gibt der Militärschriftsteller Vegetius (mil. 4,38) die Warnung aus, wer mit einer Flotte fahre, die Soldaten an Bord habe, müsse die Anzeichen eines Sturmes rechtzeitig wahrnehmen. Durch Stürme und Wellengang seien Liburnen schließlich häufiger untergegangen als durch Feindeinwirkung.4 Daher sah es die Antike als wichtig an, die Zeiten, in denen eine sichere Fahrt auf hoher See möglich ist, zu kennen. Diese finden sich wiederum bei Vegetius (mil. 4,39): 27. Mai – 14. September: Seefahrt sicher (milde Winde) 15. September – 11. November: Seefahrt durch Stürme und Regen gefahrvoll 12. November – 10. März: keine Seefahrt möglich (Stürme, Regen, Schnee) 11. März – 15. Mai: Seefahrt wieder möglich, aber gefährlich Trotz aller Gefahren, die auf dem offenen Meer drohten, sahen sich römische Feldherren immer wieder vor der Notwendigkeit, eine Flotte auszurüsten, um Truppen- oder Gerätetransporte durchzuführen. Vor allem die kriegerischen Auseinandersetzungen mit der See1

Zum Transport von Truppen zur See vgl. Casson, Ships 93, 167, 323; Höckmann, Seefahrt 17, 21, 23, 87, 130. 2 Colum. praef. 8: an bellum perosis maris et negotiationis alea sit optabilior, ut rupto naturae foedere terrestre animal homo ventorum et maris obiectus irae se fluctibus audeat credere semperque ritu volucrum longinqui litoris peregrinus ignotum pererret orbem? 3 Vgl. Hor. carm. 1,3; 3,27; Ov. am. 2,11; Prop. 1,8; Stat. silv. 3,2. Vgl. allgemein Gärtner, νῆες ἀρχέκακοι. 4 Zu Vegetius vgl. Baatz, Bockius, Vegetius.

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Peter Emberger

macht Karthago führten dazu, dass »Roms Griff nach dem Meer«5 als dringlich erachtet wurde. So entschied sich Rom erst im Verlauf des ersten Punischen Krieges zum Bau einer eigenen Flotte, die Polybios zufolge (1,20–22) aus Penteren und Trieren bestand. Bedeutsamkeit erlangte die römische Flotte, auch in der Folgezeit, vor allem dadurch, dass sie zur Durchführung von Truppentransporten über das offene Meer herangezogen wurde.6

Truppen- und Gerätetransport Wie der Militärschriftsteller Vegetius (mil. 4,38) zu Recht betont, waren Truppentransporte zur See in erster Linie vom Wetter abhängig. Stürme und Schlechtwetterperioden hatten zu allen Zeiten großen Einfluss auf das Gelingen von Truppenüberführungen. Zugleich war es wichtig, die Transportschiffe nach Erreichen des Einsatzortes zu sichern, um auch die Rückfahrt möglichst ohne große Schwierigkeiten bewerkstelligen zu können. Hierfür wurden die Transportschiffe an den Strand gezogen, um sie vor Stürmen und hohem Wellengang gesichert zu wissen. Ihr Verlust konnte sich auch auf die Disziplin und den Einsatzwillen der Soldaten auswirken, wie Caesar berichtet:7 In eben dieser Nacht trat Vollmond ein, der am Ozean regelmäßig Springfluten bringt, was unsere Leute freilich nicht wußten. So schlugen gleichzeitig die Kriegsschiffe, mit denen Caesar das Heer übergesetzt und die er aufs Trockene hatte ziehen lassen, voll Wasser, und der Sturm beschädigte die vor Anker liegenden Lastschiffe, wobei die Unseren außerstande waren, etwas dagegen zu tun oder Abhilfe zu schaffen. Da nun mehrere Schiffe zerschellt und die übrigen durch den Verlust von Tauwerk, Ankern und sonstiger Ausrüstung seeuntüchtig waren, ergriff, wie natürlich, das ganze Heer große Niedergeschlagenheit. Es gab ja keine anderen Schiffe zur Rückkehr, es fehlte an allem Notwendigen zur Reparatur der Fahrzeuge … (Gall. 4,298)

Neben der Gefahr eines Sturmes oder eines feindlichen Angriffes war auch darauf zu achten, dass bereits die Einschiffung der Truppen selbst geordnet vonstatten ging. Als Terminus technicus für den Prozess des Einschiffens findet in der lateinischen Literatur der Ausdruck in navem imponere beziehungsweise nur imponere (›einschiffen‹, ›an Bord bringen‹) Verwendung.9 Daneben wird auch in navem recipere (›an Bord nehmen‹)10 oder recipi/re5 6

Schulz, Griff nach dem Meer. Vgl. auch ders., Antike und das Meer 149–156. Vgl. Liv. 21,22,49f.; 22,19; 22,50; 22,57; 23,13,41; 27,29; 28,46,1; 30,18. Vgl. Kromayer, Veith, Heerwesen 610f. Zur antiken Schifffahrt vgl. allgemein Bockius, Schifffahrt; Casson, Ships; Göttlicher, Schiffe; Herz, Flottenwesen; Höckmann, Seefahrt; Schulz, Antike und das Meer; Johnson, History of seafaring; Kienast, Untersuchungen; Köster, Seewesen; Meijer, History of seafaring; Miltner, Seewesen; Rost, Seewesen; Starr, Navy; Thiel, Roman SeaPower before the Second Punic War; ders., History of Roman Sea-Power in Republican Times; Viereck, Flotte. 7 Vgl. hierzu allgemein Schulz, Caesar und das Meer. 8 Übers. O. Schönberger 2003. Eadem nocte accidit ut esset luna plena, qui dies a maritimos aestus maximos in Oceano efficere consuevit, nostrisque id erat incognitum. Ita uno tempore et longas navis, quibus Caesar exercitum transportandum curaverat quasque in aridum subduxerat, aestus compleverat et onerarias, quae ad ancoras erant deligatae, tempestas adflictabat, neque ulla nostris facultas aut administrandi aut auxiliandi dabatur. Compluribus navibus fractis, reliquae cum essent funibus, ancoris, reliquisque armamentis amissis ad navigandum inutiles, magna, id quod necesse erat accidere, totius exercitus perturbatio facta est. Neque enim naves erant aliae quibus reportari possent, et omnia deerant quae ad reficiendas navis erant usui … (ed. Pontet 1962).

Truppen- und Gerätetransporte zur See in der römischen Antike

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ceptus (›an Bord genommen [werden]‹)11 beziehungsweise (in navem) conscendere (›sich einschiffen‹),12 inscendere (›an Bord gehen‹)13 und inicere (›an Bord bringen‹)14 verwendet. Das Substantiv inscensio bedeutet ›das Einsteigen‹, ›das an Bord Gehen‹.15 Zudem findet sich auch tollere (›an Bord nehmen‹, ›laden‹). Die Vergangenheitsformen sustulit/-erunt, sustulerat/-erant bedeuten ›an Bord haben‹;16 dies bringt auch das Verbum portare zum Ausdruck.17 Obwohl dem Vorgang des Einschiffens in der antiken Literatur im Allgemeinen keine große Aufmerksamkeit gewidmet wird, lassen sich dennoch Stellen finden, die das Verschiffen von Truppen ausführlich darlegen. Eine völlig missglückte Einschiffung von Truppen schildert beispielsweise Caesar in seiner Darstellung des römischen Bürgerkrieges: Der von Curio im Lager zurückgelassene Quaestor Marcius Rufus forderte nach der Kunde von dieser Niederlage [der des Gaius Scribonius Curio in Afrika] seine Leute auf, nicht den Mut zu verlieren. Diese beschworen ihn inständig, sie auf den Schiffen nach Sizilien zurückzubringen. Er versprach es ihnen und befahl den Kapitänen, am frühen Abend alle Boote am Strand anzulegen. Doch war die Bestürzung aller so groß, daß die einen sagten, Iubas Truppen seien schon da, andere, Varus rückte mit seinen Legionen heran, und man sehen schon den Staub seiner Marschsäule (wovon überhaupt nichts zutraf), wieder andere argwöhnten, die Flotte der Feinde nahe mit vollen Segeln. In der allgemeinen Panik dachte jeder nur an sich. Die Besatzung der Flotte machte sich eilig an die Abfahrt. Ihre Flucht riß die Kapitäne der Versorgungsschiffe mit; nur wenige Kähne kamen pflicht- und befehlsgemäß zum Treffpunkt. Doch gab es auf dem überfüllten Strand einen so heftigen Kampf darum, wer aus der großen Menge zuerst an Bord käme, daß einige Schiffe durch Überfüllung und Überladung untergingen, die übrigen aber aus Furcht vor gleichem Los zögerten, näher heranzufahren. So kam es, daß nur wenige Soldaten und Familienväter, denen Beliebtheit oder Mitleid halfen, an die Schiffe heranschwimmen konnten, an Bord kamen und glücklich nach Sizilien hinübergelangten. (civ. 2,43–2,44,118) 9

10 11 12 13 14 15 16 17 18

Georges 2, 107f., s.v. impono. Im Gegensatz dazu de navi/ex navi exire ›ausschiffen‹ (Georges 1, 2542, s.v. exeo) beziehungsweise exponere, ›an das Land setzen‹, ›landen‹, ›ausladen‹, ›ausschiffen‹ (Georges 1, 2593, s.v. expono). Georges 2, 1111, s.v. navis. Georges 2, 224, s.v. recipio. Georges 1, 1500, s.v. conscendo. Georges 2, 300, s.v. inscendo. Im Gegensatz dazu egredi (ex) navi, ›vom Schiffe ans Land gehen‹, ›aussteigen‹, ›landen‹ (Georges 1, 2367, s.v. egredior). Georges 2, 275 s.v. inicio. Georges 2, 300, s.v. inscensio. Im Gegensatz dazu escensio, ›Landung‹ (Georges 1, 2467, s.v. escensio). Georges 2, 3142 s.v. tollo. Georges 2, 1793, s.v. porto. Übers. O. Schönberger 2005. His rebus cognitis Marcius Rufus quaestor in castris relictus a Curione cohortatur suos, ne animo deficiant. Illi orant atque obsecrant ut in Siciliam navibus reportentur. Pollicetur magistrisque imperat navium ut primo vespere omnis scaphas ad litus appulsas habeant. Sed tantus fuit omnium terror ut alii adesse copias Iubae dicerent, alii cum legionibus instare Varum iamque se pulverem venientium cernere, quarum rerum nihil omnino acciderat, alii classem hostium celeriter advolaturam suspicarentur. Itaque perterritis omnibus sibi quisque consulebat. Qui in classe erant proficisci properabant. Horum fuga navium onerariarum magistros incitabat: pauci lenunculi ad officium imperiumque conveniebant. Sed tanta erat completis litoribus contentio, qui potissimum ex magno numero conscenderent, ut multitudine atque onere non nulli deprimerentur, reliqui hoc timore propius adire tardarentur. Quibus rebus accidit ut pauci milites patresque familiae, qui aut gratia aut misericordia valerent aut navis adnare possent, recepti in Siciliam incolumes pervenirent (ed. Pontet 1961). Vgl. App. civ. 2,46.

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Eine ordnungsgemäße Einschiffung von Truppen (insgesamt sechs Legionen und 2.000 Reiter), die von Caesar geleitet worden ist, wird im Bellum Africum (2,1) geschildert, wobei der Verfasser angibt, Caesar habe die Legionen und die Reiterei in der Reihenfolge ihres Eintreffens an Bord gehen lassen: Legionibus collectis VI et equitum II milibus, ut quaeque prima legio venerat in navis longas imponebatur, equites autem in onerarias.19 Dieses Vorgehen dürfte auch der üblichen Methode, Truppen zu verschiffen, entsprochen haben. Wie im Bellum civile geschildert (2,43) wurden wohl die einzelnen Schiffskapitäne zunächst aufgefordert, Schiffe am Strand bereitzustellen. Die Truppen hingegen sollten sich am Strand bereithalten, um mannschaftsweise eingeschifft zu werden. Als Transportboote zu den einzelnen Schiffen wurden dabei scaphae und lenunculi herangezogen. Das Einschiffen selbst war eine große Herausforderung und erforderte ein hohes Maß an Disziplin, da jegliche Behinderung durch Feindeinwirkung beziehungsweise auftretende Disziplinlosigkeit unter den Truppen (beispielsweise durch drängelnde Soldaten) eine ungewollte Verzögerung herbeiführen konnte. Zudem liefen die Soldaten Gefahr, mit überfüllten Booten zu kentern und zu ertrinken. Auch Titus Livius schildert eine gelungene Einschiffung von Truppen durch Scipio Africanus: Scipio selbst übernahm es, dafür zu sorgen, dass die Soldaten die Schiffe in Ordnung und ohne Durcheinander bestiegen; C. Laelius, der Kommandant der Flotte, hatte die Seeleute zuvor an Bord gehen lassen und hielt sie auf den Schiffen fest. Die Sorge für das Verladen des Proviants wurde dem Prätor M. Pomponius übertragen; Nahrungsmittel für 45 Tage wurden geladen, darunter Brot für 15 Tage. Sobald nun alle auf den Schiffen waren, schickte er Beiboote umher, die Steuerleute und Kapitäne und zwei Soldaten auf jedem Schiff sollten auf dem Markt zusammenkommen, um die Befehle entgegenzunehmen. Nachdem sie zusammengekommen waren, fragte er sie zunächst, ob sie Wasser für Menschen und Zugtiere für ebenso viele Tage geladen hätten wie Getreide. Als sie antworteten, Wasser für 45 Tage sei auf den Schiffen, da befahl er den Soldaten, sich still und ruhig zu verhalten und den Seeleuten bei der Ausübung ihres Dienstes ohne Streit willig zu gehorchen … Nachdem er diese Befehle gegeben hatte, forderte er sie auf, zu den Schiffen zurückzukehren und am nächsten Tag mit der gnädigen Hilfe der Götter, wenn das Signal gegeben werde, abzulegen. (29,25,5–1320)

Zur Beförderung von Truppen wurden nach Krohmayer/Veith durchwegs requirierte Handelsfahrzeuge herangezogen,21 wobei die Soldaten selbst Ruderdienst zu leisten hatten.22 Der Bau von Schiffen, die nur für den Truppentransport Verwendung fanden, stellte 19 20

Ed. Pontet 1961. Übers. H. J. Hillen 1997. Milites ut naves ordine ac sine tumultu conscenderent ipse eam sibi curam sumpsit: nauticos C. Laelius, qui classis praefectus erat, in navibus ante conscendere coactos continuit: commeatus imponendi M. Pomponio praetori cura data: quinque et quadraginta dierum cibaria, e quibus quindecim dierum cocta, imposita. Ut omnes iam in navibus erant, scaphas circummisit ut ex omnibus navibus gubernatoresque et magistri navium et bini milites in forum convenirent ad imperia accipienda. Postquam convenerunt, primum ab iis quaesivit si aquam hominibus iumentisque in totidem dies quot frumentum imposuissent. Ubi responderunt aquam dierum quinque et quadraginta in navibus esse, tum edixit militibus ut silentium quieti nautis sine certamine ad ministeria exsequenda bene oboedientes praestarent … Iis editis imperiis redire ad naves iussi et postero die dis bene iuvantibus signo dato solvere naves (ed. Conway, Johnson 1964). 21 Kromayer, Veith, Heerwesen 619f. 22 Vgl. Caes. Gall. 5,8,4.

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dagegen eine Ausnahme dar. Dies war vor allem der Fall, wenn keine Transportschiffe verfügbar waren oder die vorhandenen Schiffe nicht als für einen Transport geeignet erachtet wurden. So hat beispielsweise Caesar für den zweiten Britannien-Feldzug eigens einen neuen Schiffstyp von naves actuariae bauen lassen, der breiter und flacher war als die bisherigen Transporter, um möglichst viele Lasten und Zugtiere transportieren zu können. Zugleich konnten diese aufgrund ihrer flacheren Bauweise rascher beladen und an den Strand gezogen werden.23 Die Verwendung von actuariae als Truppentransporter findet sich indessen schon bei der Eroberung von Syrakus im Jahr 212 v.Chr.24 Im Bericht über den Alexandrinischen Krieg findet sich hingegen die Information, dass dieser Schiffstyp durch Anbringen eines Rammspornes in ein Kampfschiff verwandelt werden konnte.25 Caesar selbst setzte nach Viereck im Jahr 54 v.Chr. mit 540 Marinetransportern und 86 Transportschiffen, die jeweils 150 Mann an Bord hatten, und 174 weiteren Schiffen fünf Legionen und 2.000 Reiter nach Britannien über.26 Dass actuariae auch im 1. Jh. n.Chr. Verwendung fanden, bezeugt der römische Geschichtsschreiber Tacitus (ann. 2,6). Er schildert die im Jahr 16 n.Chr. auf Befehl des Germanicus am Rhein erbaute Flotte von 1.000 Schiffen, die zum größeren Teil aus Marinetransportern bestanden haben soll. Diese eignete sich nicht nur zur Beförderung von acht Legionen samt Reiterei, sondern auch zum Transport des Nachschubes, der Verpflegung und des notwendigen Kriegsmaterials.27 Neben diesem Schiffstyp kannte das römische Heer noch den phaselus, der besonders im ersten vor- bzw. ersten nachchristlichen Jahrhundert zum Transport von Truppen eingesetzt worden ist.28 Dieser wurde in unterschiedlicher Größe gebaut und konnte im Notfall, ebenso wie eine actuaria, zum Hilfskriegsschiff umgerüstet werden. Nach Sallust (hist. 3,8)29 waren die größten Schiffe in der Lage, eine ganze Kohorte, rund 500 bis 600 Mann, an Bord zu nehmen.30 Der in augusteischer Zeit lebende Geograph Strabon berichtet indessen, im Jahr 25 v.Chr. habe Aelius Gallus, der Proconsul von Ägypten, den Bau von 130 derartigen Transportschiffen angeordnet, um eine Truppenüberführung vom westlichen zum östlichen Ufer des Roten Meeres durchzuführen.31 Daneben fand nach Appian (Pun. 75,350) im Dritten Punischen Krieg die hemiola zum Transport von Truppen Verwendung.32 Der Fassungsraum antiker Transportschiffe,33 die sowohl zu Versorgungszwecken als auch zum Truppen- und Materialtransport herangezogen wurden, war nach Kromayer/ Veith »nicht ganz gleichmäßig«, so dass es nicht möglich war, die einzelnen Truppen nach 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33

Caes. Gall. 5,1,2. Vgl. Kromayer, Veith, Heerwesen 620; Viereck, Flotte 86. Vgl. Liv. 25,30,10. Viereck, Flotte 86. Bell. Alex. 44,3. Vgl. Höckmann, Seefahrt 70; Viereck, Flotte 86. Viereck, Flotte 86. Viereck, Flotte 86. Vgl. Göttlicher, Schiffe 54f. Et forte in navigando cohors una grandi phaselo vecta a ceteris deerravit, marique placido a duobus praedonum myoparonibus circumventa (ed. Maurenbrecher 1967, p. 112). Viereck, Flotte 88, 137. Strab. 16,4,23. Viereck, Flotte 88. Höckmann, Seefahrt 100, 110; Viereck, Flotte 79f. Vgl. Kromayer, Veith, Heerwesen 620. Zur Vermessungsart der Ladungsfähigkeit antiker Frachter und Transportschiffe vgl. Viereck, Flotte 137. Vgl. auch Köster, Seewesen 158–166.

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vollzähligen Verbänden zu verteilen. Auch die Raumökonomie der jeweiligen Schiffe war zudem zu beachten.34 Hinzukommt, dass der Raum auf den Transportschiffen nur begrenzt verfügbar war, so dass die Soldaten selbst zum Ruderdienst herangezogen wurden.35 Einige Quellen überliefern jedoch Details über die Ladekapazität antiker Transportschiffe. So konnten etwa die naves onerariae Caesars rund 105 bis 220 Mann an Bord nehmen, große Truppentransporter sogar bis zu 600 Legionäre.36 Zwei gestrandete Schiffe des Marcus Antonius hatten nach Caesar (civ. 3,28,3) über 400 Mann an Bord: Harum altera navis CCXX e legione tironum sustulerat, altera ex veterana paulo minus CC.37 Caesar selbst soll für den Transport von zwei Legionen nach Britannien 80 Lastschiffe für ausreichend angesehen haben, zudem ließ er seine Reiterei auf 18 Frachtschiffe verteilen (Gall. 4,22,3f.).38 Zumeist finden sich allerdings nur ungenaue Angaben hinsichtlich der Transportzahlen: So habe etwa Gaius Curio zwei Legionen und 500 Reiter nach Afrika transportiert, wobei Caesar die Anzahl der hierfür herangezogenen Schiffe unerwähnt lässt (civ. 2,231).39 Von A. Allienus, dem 48 bis 46 v.Chr. während seiner Tätigkeit als Prokonsul die Provinz Sizilien unterstand, wird im Bellum Africum 34 berichtet, er habe zwei Legionen, 800 gallische Reiter und 1.000 Schleuderer und Bogenschützen mit Transportschiffen nach Afrika zu Caesar gesandt. Ebenso ungenaue Informationen finden sich auch im Geschichtswerk des Titus Livius: So vermerkt er beispielsweise im 25. Buch (Kap. 27,3), dass der karthagische Flottenpräfekt Bomilcar im Zweiten Punischen Krieg mit 130 Kriegs- und 700 Lastschiffen von Karthago nach Sizilien gesegelt, oder 30,36,2, dass Publius Lentulus im Jahr 202 v.Chr. mit 50 Kriegsschiffen sowie 100 Lastschiffen mit jeder Art Nachschub bei Utica gelandet sei.40 Des Weiteren berichtet er 22,22,1, der römische Senat habe Cornelius Scipio mit 30 Kriegsschiffen, 8.000 Mann und großen Vorräten nach Spanien entsandt.41 Im Jahr 205 v.Chr. soll nach Livius 28,46,1 ein Transport von etwa 7.000 römischen Freiwilligen, die auf 30 Kriegsschiffen untergebracht waren, erfolgt sein, und im Jahr 203 v.Chr. wurden zwei römische Transporte von Sardinien nach Afrika durchgeführt: der eine mit 100 Lastschiffen mit Nachschub unter dem Schutz von 20 Kriegsschiffen, der zweite mit 200 Lastschiffen und 30 Kriegsschiffen.42 Ebenfalls im Jahr 205 v.Chr. habe der Punier Mago 11.000 Fußsoldaten und etwa 2.000 Reiter von den Balearen nach Italien hinüber transportiert, wie abermals Livius bemerkt (28,46,7).43 Ein besonders authentischer Bericht über einen Truppentransport in byzantinischer Zeit findet sich bei Prokop (6. Jh. n.Chr.), wobei er anführt, selbst daran teilgenommen zu haben.44 Hierbei beschreibt er detailreich die Ereignisse rund um die Invasion der Flotte Kaiser Iustinians im Vandalenreich im Jahr 533: 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Kromayer, Veith, Heerwesen 620. Vgl. Caes. Gall. 5,8,4. Kromayer, Veith, Heerwesen 620. Viereck, Flotte 137. Ed. Pontet 1961. Kromayer, Veith, Heerwesen 620. Viereck, Flotte 85, 204. Viereck, Flotte 207. Viereck, Flotte 189. Viereck, Flotte 183,186. Liv. 30,24,5f. Viereck, Flotte 188. Prok. BV 1,12. Vgl. Viereck, Flotte 144, 236.

Truppen- und Gerätetransporte zur See in der römischen Antike

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Gleichzeitig hatte er [Kaiser Iustinian] auch schon seine Streitmacht gegen Karthago kriegsfertig gemacht, zehntausend Mann zu Fuß und fünftausend Reiter … An Schiffen führte das Heer in seiner Gesamtheit fünfhundert mit sich, wobei die größte Tragfähigkeit etwa bei fünfzigtausend Medimnen lag und selbst die kleinsten noch eine solche von ungefähr dreitausend Medimnen besaßen. Dreißigtausend Seeleute fuhren im ganzen mit … Dazu gehörten auch zweiundneunzig ›Langschiffe‹ für den Seekampf … Dromonen heißt man jetzt solche Schiffe; denn sie besitzen eine sehr hohe Geschwindigkeit. Darauf fuhren zweitausend Byzantziner, alle zugleich Soldaten und Ruderer, da es dort keine Begleitmannschaften gab … Zum Oberbefehlshaber … bestellte der Kaiser Belisar … (BV 1,1145)

Bei der Auswertung und Interpretation antiker Zahlenangaben von Truppentransporten ist jedoch daran zu denken, dass diese von der tatsächlich beförderten Truppenzahl erheblich abweichen können; die meisten Quellen bieten nur eine ungefähre gerundete Zahl, die dem Schreiber als realistisch erschienen ist, oder die Zahlen wurden absichtlich vergrößert, um den jeweiligen Transport bedeutsamer erscheinen zu lassen. Vor eben diesem Problem sah sich bereits der römische Geschichtsschreiber Livius, als er Scipios Überfahrt nach Afrika (204 v.Chr.) in seinem Werk Ab urbe condita zu beschreiben beabsichtigte: Bezüglich der Zahl der Soldaten, die nach Afrika hinübergeschafft wurden, weichen meine Quellen erheblich voneinander ab.46 In der einen finde ich 10.000 Fußsoldaten und 2.200 Reiter, in einer anderen 16.000 Fußsoldaten und 600 Reiter, in einer dritten die Sache mehr als verdoppelt: 35.000 Fußsoldaten und Reiter seien eingeschifft worden. Einige haben keine Zahl hinzugefügt; zu denen möchte ich selbst bei der Unsicherheit der Sache lieber gezählt werden. Coelius bringt zwar keine Zahl, erhöht aber den Eindruck der Menge ins Unermessliche; er sagt, die Vögel seien vom Geschrei der Soldaten zu Boden gefallen und eine solche Menge habe die Schiffe bestiegen, dass es schien, als sei kein Sterblicher in Italien oder Sizilien zurückgeblieben. (29,25,2–447)

Doch nicht nur ungenaue Angaben von antiken Schriftstellern bereiten bei der Auswertung von Transportgröße und -kapazität einzelner Schiffe Schwierigkeiten, sondern auch die Lesung des Quellenmaterials selbst. Als Beispiel sei auf eine Stelle bei Livius hingewiesen, der 43,9,5f. berichtet, dass im Jahr 170 v.Chr. der römische Senat beschlossen habe, 2.000 Soldaten von Brundisium nach Issa, einer Insel vor der illyrischen Küste, zu senden. Unklar ist jedoch die Anzahl der hierfür verwendeten Schiffe, da der überlieferte Satz itaque et octo naves ornatas a Brundisio senatus censuit mittendas ad C. Furium legatum Issam48 (»daher beschloss der Senat, acht Schiffe mit voller Ausrüstung von Brundisium zu dem Legaten C. Furius zu schicken«) bei manchen Philologen Zweifel hervorgerufen hat. So vermuten Weissenborn und Müller, ebenso Hillen,49 dass die Zahl nicht richtig überliefert be45 46 47

Übers. O. Veh 1971. Zu den Quellen des Livius: M. Fuhrmann, P. L. Schmidt, Livius III.2, in: DNP 7, 1999, 378. Übers. H. J. Hillen 1997. Quantum militum in Africam transportatum sit non parvo numero inter auctores discrepat. Alibi decem milia peditum duo milia et ducentos equites, alibi sedecim milia peditum mille et sescentos equites, alibi parte plus dimidia rem auctam, quinque et triginta milia peditum equitumque in naves imposita . Quidam non adiecere numerum, inter quos me ipse in re dubia poni malim. Coelius ut abstinet numero, ita ad immensum multitudinis speciem auget: volucres ad terram delapsas clamore militum ait tantamque multitudinem conscendisse naves ut nemo mortalium aut in Italia aut in Sicilia relinqui videretur (ed. Conway, Johnson 1964). Vgl. Rost, Seewesen 19f.; Viereck, Flotte 188. 48 Ed. Briscoe 1986. 49 Titi Livi ab urbe condita libri, bearb. W. Weissenborn, H. J. Müller, Bd. 10, Buch XLIII und XLIV, Berlin 31962, p. 21; T. Livius. Römische Geschichte. Buch XLII–XLIV, lat.-dt., hg.v. H. J. Hillen, Darmstadt 1988 (Sammlung Tusculum), 342, 376.

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ziehungsweise decem ausgefallen ist, also X et octo naves zu lesen sei. Bei acht Schiffen befanden sich demnach 250 Mann auf jedem Schiff,50 bei 18 hingegen nur rund 111. Nach Hillen dürften acht Schiffe »für den Transport von 2.000 Soldaten kaum ausgereicht haben«.51 Im Notfall wurden Transportschiffe aller Art auch für Kampfzwecke verwendet. So habe etwa der Konsul Quintus Fabius auf diese Maßnahme zurückgegriffen, als er im Jahr 209 v.Chr. einen Angriff auf Tarent plante, wie Livius berichtet (27,15,5): naves … partim machinationibus onerat apparatuque moenium oppugnandorum, partim tormentis et saxis omnique missilium telorum genere instruit, onerarias quoque …52 Sogar zum Aufbau einer künstlichen Blockade wurden Transportschiffe eingesetzt: So gibt Caesar (civ. 3,39,2) an, dass der Legat Manius Acilius Caninus als Kommandant in der Stadt Oricum den Eingang zum Hafen durch ein versenktes Lastschiff blockiert und an diesem ein zweites verankert habe.53 Ebenso berichtet Livius (37,14,5), dass im Jahr 190 v.Chr. die Römer planten, die Hafeneinfahrt von Ephesos durch Transportschiffe zu blockieren. Nach Caesar (civ. 1,26,1) habe Pompeius, als er in Brundisium belagert worden war, seine Transportschiffe, die mit zahlreichen Geschützen und Angriffswaffen ausgerüstet waren, sogar als Blockadebrecher eingesetzt, um Flöße zu durchbrechen und Dämme zu sprengen.54 Darüber hinaus stellten Frachtschiffe (naves onerariae) ein begehrtes Beutegut dar.55 Sie wurden aber auch in Brand gesteckt, um die Mobilität des Feindes einzuschränken oder seine Versorgung mit Nachschub zu unterbinden.56 Dies konnte auch absichtlich von der eigenen Besatzung durchgeführt werden, um zu verhindern, dass das Schiff in feindliche Hände fiel. Kriegsschiffe wurden indessen für den Transport von Soldaten wohl nur in geringem Umfang herangezogen, da man mit dem vorhandenen Platz sparsam umzugehen hatte.57 Diese Feststellung findet sich auch bei Livius (24,40,5), der berichtet, Truppen seien auf Lastschiffe gebracht worden, quod longae naves militum capere non poterant.58 Ebenso kennt Cicero das Problem der Raumnot auf antiken Schlachtschiffen (Verr. 2,5,133): ea est enim ratio instructarum ornatarumque navium ut non modo plures sed ne singuli quidem possint accedere.59 Die größeren römischen Penteren mochten nach Kromayer/Veith »immerhin noch eine größere Anzahl von Truppen über die Besatzung hinaus an Bord nehmen können; die Trieren waren jedenfalls als Truppenfahrzeug nicht zu verwenden.«60 50 51 52

53 54 55 56 57 58 59 60

So auch Kromayer, Veith, Heerwesen 620. Hillen (wie Anm. 49), 376. Ed. Conway, Johnson 1964. »Die Schiffe … belud er teils mit Maschinen und Gerät für einen Angriff auf die Mauern, teils rüstete er sie mit Geschützen, Steinen und jeder Art von Geschossen aus, auch die Lastschiffe …« (übers. H. J. Hillen 1997). Vgl. Caes. civ. 3,24,1; 3,100,2; Bell. Alex. 44,3. Vgl. Höckmann, Seefahrt 70; Viereck, Flotte 187. Vgl. Viereck, Flotte 165–167, 209. Viereck, Flotte 166, 206f. Liv. 22,11,6; 25,31,13; 26,47,9; 28,46,14; 30,10,20; 30,24,12. Vgl. Caes. civ. 3,8,3; 323,2; 3,40,3–5; Bell. Afr. 62,5; 63,5. Miltner, nautai 2032; Kromayer, Veith, Heerwesen 619f. Anm. 3. Ed. Walters, Conway 1964. Ed. Peterson 1965. Vgl. Kromayer, Veith, Heerwesen 619f., Anm. 3. Kromayer, Veith, Heerwesen 619f. Anm. 3.

Truppen- und Gerätetransporte zur See in der römischen Antike

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Neben Soldaten, Kriegsgerät oder Nachschub wurden von den Römern auch Pferde per Schiff transportiert. Hierfür fand ein hippegos, hippagogus oder hippago genannter Schiffstyp Verwendung, der über See geschleppt wurde.61 Viereck vermutet, ein kleiner Pferdetransporter konnte ungefähr acht Pferde oder vierzig Mann, ein pergamenischer hingegen etwa 29 Pferde zusammen mit ihren Reitern an Bord nehmen.62 Meist handelte es sich dabei um ausgediente Trieren. Auch im Verlauf der ersten Invasion Britanniens durch Caesar (55 v.Chr.)63 wurden Pferde per Schiff transportiert. Hierfür standen 18 Transporter zur Verfügung.64 Die Tiere selbst wurden nach Viereck wohl mittels Traggurten unter dem Oberdeck gesichert, damit sie bei stürmischer See nicht ausrutschen konnten und sich die Fesseln brachen.65 Welches Schicksal jedoch Pferde, die per Schiff transportiert wurden, unter Umständen ereilte, wenn sie den Feinden in die Hände fielen, schildert Livius. Er berichtet 44,28,7–15, dass während des dritten Makedonischen Krieges im Jahr 168 v.Chr. 35 Schiffe des Eumenes von Pergamon, die mit gallischen Reitern beladen waren, von Makedonen gekapert wurden: Von den Pferden sei ein Teil, als die Schiffe im Meer versanken, umgekommen, einem Teil habe man am Strand die Sehnen durchschlagen. Nur zwanzig Pferde von erlesener Schönheit seien der Verstümmelung durch die Makedonen entgangen und abtransportiert worden. Standen spezielle Pferdetransportschiffe jedoch nicht zur Verfügung, so wurde nach Viereck die römische Kavallerie auch auf herkömmlichen Marinetransportern, zum Beispiel actuariae, so bei der zweiten Britannieninvasion durch Caesar im Jahr 54 v.Chr., oder auf Allzwecktransportschiffen, onerariae, verschifft.66

Resümee Der vorliegende Überblick über die Truppen- und Gerätetransporte zur See in der römischen Antike macht die Vielschichtigkeit des Themas deutlich. Besonders der Prozess des Einschiffens von Truppen hat in der antiken Literatur nur geringe Spuren hinterlassen. An den wenigen Stellen wird aber erkennbar, mit welchen Schwierigkeiten dieser Vorgang verbunden war. Wenn Livius 29,25,5–13 eine gelungene Einschiffung von Truppen durch Scipio Africanus schildert, so will er damit auch dessen Führungsqualität und Fähigkeiten als Feldherr hervorheben. Caesar zeigt indessen am Beispiel des Quaestor Marcius Rufus, wie undiszipliniert eine Verschiffung von Truppen vonstattengeht, wenn er als Feldherr nicht mit führender Hand am Geschehen teilnimmt und lenkend eingreifen kann (civ. 2,43–2,44,1). Insgesamt wird aber klar, dass sich Rom der Schifffahrt und ihren Möglichkeiten für den Transport von Truppen und Gerät nicht entzogen hat. Zwar barg das Meer an sich viele Gefahren, doch war man durchaus bereit, diese Gefahren auf sich zu nehmen, um die Grenzen des römischen Reiches auch auf Gebiete jenseits des Mittelmeeres auszu61 62 63 64 65 66

Burckhardt, hippegos; Höckmann, Seefahrt 11, 69, 110, 130; Viereck, Flotte 85. Vgl. Casson, Ships 93f., 197. Viereck, Flotte, 85. Vgl. Caes. Gall. 4,20–36. Viereck, Flotte 85. Viereck, Flotte 85. Viereck, Flotte 85.

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dehnen. Wenn Aulus Gellius in seinen Noctes Atticae (10,25,5) eine Aufzählung verschiedenster Schiffstypen gibt, so zeigt dies, wie erfahren Rom in dieser Zeit auf dem Gebiet der Seefahrt war. Letztlich war es Rom gelungen, langfristig seine Herrschaft terra marique zu behaupten. Peter Emberger Hadergasse 60, A-5733 Bramberg/Wk. [email protected]

Literatur Baatz, Bockius, Vegetius: D. Baatz, R. Bockius, Vegetius und die römische Flotte, Mainz 1997 Bockius, Schifffahrt: R. Bockius, Schifffahrt und Schiffbau in der Antike, Stuttgart 2007 Burckhardt, hippegos: L. Burckhardt, hippegos, in: DNP 5, 1998, 573f. Casson, Ships: L. Casson, Ships and seamanship in the ancient world, London 1994 Gärtner, νῆες ἀρχέκακοι: U. Gärtner, νῆες ἀρχέκακοι. Schiffe als Unglücksbringer in der antiken Literatur, in: A&A 55, 2009, 23–44 Georges: K. E. Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, 2 Bd., Hannover 81913/81918 Göttlicher, Schiffe: A. Göttlicher, Die Schiffe der Antike. Eine Einführung in die Archäologie der Wasserfahrzeuge, Berlin 1985 Herz, Flottenwesen: P. Herz, Flottenwesen, in: DNP 4, 1998, 568–572 Höckmann, Seefahrt: O. Höckmann, Antike Seefahrt, München 1985 Johnson, History of seafaring: D. S. Johnson, The history of seafaring, London 2007 (dt.: Die große Geschichte der Seefahrt. 3000 Jahre Expeditionen, Handel und Navigation, Hamburg 2008) Kienast, Untersuchungen: D. Kienast, Untersuchungen zu den Kriegsflotten der römischen Kaiserzeit, Bonn 1966 Köster, Seewesen: A. Köster, Das antike Seewesen, Berlin 1923 Kromayer, Veith, Heerwesen: J. Kromayer, G. Veith (Hg.), Heerwesen und Kriegführung der Griechen und Römer, München 1928 Meijer, History of seafaring: F. Meijer, A history of seafaring in the classical world, London u.a. 1986 Miltner, nautai: F. Miltner, nautai, in: RE 26.2, 1935, 2029–2033. Miltner, Seewesen: F. Miltner, Seewesen, in: RE Suppl. 5, 1931, 906–962 Rost, Seewesen: G. A. Rost, Vom Seewesen und Seehandel in der Antike. Eine Studie aus maritim-militärischer Sicht, Amsterdam 1968 Schulz, Antike und das Meer: R. Schulz, Die Antike und das Meer, Darmstadt 2005 Schulz, Caesar und das Meer: R. Schulz, Caesar und das Meer, in: HZ 271, 2000, 281–309 Schulz, Griff nach dem Meer: R. Schulz, Roms Griff nach dem Meer, in: Th. Hantos, G. A. Lehmann, Althistorisches Kolloquium aus Anlass des 70. Geburtstags von Jochen Bleicken, 29–30. November 1996 in Göttingen, Stuttgart 1998, 121–134 Starr, Navy: Ch. G. Starr, The roman Imperial Navy. 31 B.C.–A.D. 324, New York 1941 Thiel, History of Roman Sea-Power in Republican Times: J. H. Thiel, Studies on the History of Roman Sea-Power in Republican Times, Amsterdam 1946 Thiel, Roman Sea-Power before the Second Punic War: J. H. Thiel, A History of Roman Sea-Power before the Second Punic War, Amsterdam 1954 Viereck, Flotte: H. D. L. Viereck, Die römische Flotte. Classis Romana, Herford 1975

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Reisen und Mobilität späthellenistisch-augusteischer Universalhistoriker

1. ›Mobilität‹, Autopsie, thea und empeiria ton poleon kai ethnon als Anforderungen an antike Historiker Das erkundende Reisen als wichtigste Form der ›Mobilität‹ gehört gerade für griechische Historiker seit der Entstehung der ›historio-graphie‹ bei den alten Ioniern durch Hekataios und Herodot zu den signifikanten Bereichen ihrer Vita und ihrer Arbeit. Umso mehr gilt dies für griechische Historiker und Geographen in einer Person. Diese Tradition verpflichtete antike griechische Historiker in noch stärkerem Maße als ihre lateinisch schreibenden Kollegen. Zu Recht wird daher häufig von antiken Historikern bereits Odysseus als prototypisches Vorbild für die Mobilität der Historiker evoziert, der weitgereiste mythische Held, »der vieler Menschen Städte gesehen und Sitten gelernt hat« (Hom. Od. 1,3f.).1 Unter den hellenistischen Universalhistorikern berufen sich z.B. Polybios in seinen Methodenkapiteln der Historien und Diodor im Hauptprooimion der Bibliotheke dezidiert auf ihn (Pol. 12,27,1–12,28,5, insb. 12,27,10f.; Diod. 1,1,2). Die ältere Leitfigur des Odysseus wird dann von Universalhistorikern mit den weiten Reisen und den mühevollen labores des Herakles verschmolzen. So faßt etwa Diodor die Vorbereitung und Abfassung seiner Historischen Bibliothek als eine herkulische Aufgabe auf (und lobt Herakles bereits in 1,2,4). Strabon schließlich verbindet beide bereits in dieser Gattung verbreitete Assoziationen zu Odysseus und Herakles in der Selbstbeschreibung seiner Werke als einer kolossurgia, für die er besonders weite und gründliche Reisen als unverzichtbare Voraussetzung ansieht (Strab. 1,1,23 C14). In diesem Beitrag werden Reisen und Aufenthalte antiker Universalhistoriker im Zentrum stehen, die sie unternahmen, um eine möglichst umfassende thea ton poleon kai topon (Pol. 12,25 und 3,59) zu gewinnen. Hierbei stehen wir aber gravierenden methodischen Problemen gegenüber, zwischen tatsächlichen Reisen und solchen, die lediglich zur Bedienung eines in der Gattung inzwischen bereits tradierten Topos behauptet wurden, oder auch den immer beliebter werdenden, rein fiktiven literarischen Reisen aus Büchern auf der Basis von Vorgängerwerken zu unterscheiden.2 1

Marincola 2007, 1–79, untersuchte Eigenschaften und Rollen, die Odysseus zum Prototyp eines Historikers werden ließen: den vielgereisten Erforscher, den Dulder, der in Gefahren und unter Anstrengung zu seinem Ziel gelangt, den Helden und Anführer, schließlich den Mann, der viele Peripatien erlebte. 2 Zu diesem ›travel fact – travel fiction‹ Problem siehe von Martels 1994 (mit nachantiken Beispielen). Vgl. auch die Diskussion über die angeblichen weitgreifenden Reisen des Apollonios von

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Ich kann hier aus Raumgründen den wichtigen methodischen Punkt der nur eingeschränkten Anwendbarkeit des modernen, primär sozialwissenschaftlich definierten Begriffes der ›Mobilität‹ als ein zentrales Problem der Sozial- und Migrationsgeschichte3 nicht näher vertiefen. Mobilität wird heute primär als Wohnortmobilität oder beruflich-soziale Mobilität von Individuen oder sozialen Gruppen aufgefaßt.4 Der antik klingende, dennoch erst moderne Begriff Mobilität hat nun aber kein annähernd exaktes griechisches oder lateinisches Äquivalent. Denn lateinisch mobilitas meinte ja lediglich die Beweglichkeit, Veränderlichkeit, Behendigkeit, auch generell Regsamkeit.5 Von den antiken (Universal-)Historikern werden jeweils nur Teilaspekte der heutigen umfassenderen Mobilitätsthematik angesprochen, vor allem Reisen, Ein- oder Auswanderungsbewegungen, Vertreibungen, Verbannungen und Umsiedlungen von Bevölkerungsgruppen.

2. Gründe für freiwillig gewählte oder erzwungene ›Mobilität‹ antiker Historiker Für die persönliche Freiheit und die Entfaltungsmöglichkeiten eines antiken Intellektuellen, z.B. auch eines damaligen Historikers, bietet der Grad seiner nachgewiesenen Mobilität nur eingeschränkt einen verläßlichen Maßstab. Freiwillig gewählten Reisen oder Umzügen stehen ähnlich häufig Beispiele erzwungener Mobilität der homines litterati gegenüber. Erhöhte Mobilität eines Historikers kann tiefen Frieden und verbesserte persönliche Entwicklungsmöglichkeiten andeuten, aber auch ganz brutal aus persönlichen Notlagen, Kriegsfolgen und Vertreibungsdruck erklärbar sein. Während heute in Teilen der modernen Berufselite das Ideal des ›globalen städtischen Berufsnomaden‹ gepriesen wird, blieb der griechische ›Wanderhistoriker‹ aus Gründen des Broterwerbes trotz vieler Einzelbeispiele für beruflichen Erfolg und inschriftliche Ehrungen eine Randexistenz. Das Phänomen dieser ›travelling historians‹ ist für dieses Kolloquoium hochinteressant, da sie die älteren sporadischen öffentlichen Lesungen (akroaseis) an berühmten Orten aus Geschichtswerken (bereits in Athen durch Herodot aus seinen Historien) konsequent gerade in der hellenistischen Epoche zu einer eigenen Lebensform ausgeweitet haben (z.B. Kassandros, Polemon oder Neanthes).6 Ihre typischen Themata waren jedoch im Hellenismus die Lokal- und Regionalgeschichte mit der archaiologia, syngeneia und den mythoi bestimmter Städte, nicht 2 3

4 5 6

Tyana, und zur neueren Literatur über die Vita Apollonii des Philostrat siehe Demoen, Praat 2009. Zur Migrationsgeschichte in weiter historischer Perspektive von der Vor- und Frühgeschichte bis in die Gegenwart einführend Harzig, Hoerder 2009, ebenfalls zur Weite des Themas Olshausen, Sonnabend 2006 und jüngst Schunka, Olshausen 2010. Vgl. mit Beispielen aus den Industriestaaten des 19. und 20. Jh. Lipset, Bendix 1959 und Kaelble 1978. Über wichtige technische und infrastrukturelle Voraussetzungen und Rahmenbedingungen antiker Mobilität siehe auch bereits die Beiträge in Olshausen, Sonnabend 2006. Zu dem Typos des Wanderhistorikers und zu Einzelbeispielen siehe Chaniotis 1988, 365–382, und Schepens 2006, 81–102. Während für die Wanderhistoriker der früheren Epochen die panhellenischen Heiligtümer Delphi, Olympia, Epidauros oder Delos sehr hohe Bedeutung als Auftrittsorte hatten, sind diese Orte für die hier untersuchten späthellenistisch-augusteischen Universalhistoriker nur mehr von geringerer Bedeutung im Vergleich mit den Metropolen Rom und Alexandria, in denen es galt, Ansehen und Leser zu gewinnen.

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aber die Universalhistorie. Das ›barbarische‹ Nomadentum gar mit seiner permanenten Mobilität abseits der Welt der Poleis als seßhafter höherer Lebensform hätte kein antiker Historiker freiwillig gewählt. Einflußreiche Philosophen, darunter bereits Platon, wollten die Mobilität von Intellektuellen sogar gesetzlich einschränken. In den Nomoi (12,950d4– 952d5) wird gutgeheißen, Männern unter 40 Jahren die Ausreise aus der Idealpolis zu verbieten, private Reisen ins Ausland generell zu untersagen und nur Ausnahmen bei Reisen in staatlichem Auftrag etwa als Gesandter, Herold oder zu panhellenischen Festspielen zu genehmigen, um nicht durch ungehinderte Mobilität und Kontakte mit dem Ausland die ideale Politeia zu gefährden. Begleitet wird dies in Platons Staatsentwurf durch flankierende Anordnungen über die Aufnahme von Fremden und Fremdenvertreibungen. Bei der Bestimmung der persönlichen Motive für räumliche Mobilität von Universalhistorikern erweist es sich ferner als hinderlich, daß wir hierüber kaum aussagekräftige ›Ego-Dokumente‹ von der Art z.B. der Cicero-Briefe besitzen.7 Seltene autobiographische Texte von Universalhistorikern (Nikolaos von Damaskos) bleiben auch abgesehen von ihrem fragmentarischen Überlieferungszustand problematische Quellen. Inschriften über Historiker sind oft nur recht knapp.8 Selbstaussagen in den antiken Geschichtswerken der Universalhistoriker sind hilfreich, aber sie werden oft durch literarische Topoi und Traditionen überformt. Aufgrund der insgesamt also nur wenigen aussagekräftigen Quellen über die geographische und soziale Mobilität von antiken Historikern können daher auf diesem Forschungsfeld keine für heutige Mobilitätsstudien typischen sozialgeschichtlichen und statistischen Untersuchungen durchgeführt werden. Statt dessen empfielt sich das Studium individueller Motive und Muster der Mobilität einzelner Historiker. Wahrscheinlich dürfte das häufigste Motiv freiwilliger Mobilität antiker Universalhistoriker die gattungseigene Forderung nach Autopsie des Raumes der Geschichte sein, umso mehr, wenn sich ein Universalhistoriker zugleich als Oikumenegeograph verstand, wie Polybios, Poseidonios oder Strabon. Offenbar waren dagegen die alexandrinischen Kollegen Agatharchides, Demetrios oder Timagenes ortsfester. Nicht zuletzt im Hellenismus und der augusteischen Epoche mit ihren dramatischen Veränderungen kommen diplomatische Aufträge als Gesandter einer Polis, eines Landes oder Herrschers häufig auch für Philosophen oder Historiker hinzu (so bei Polybios, Poseidonios, Nikolaos). Jüngere Zentren der Gelehrsamkeit wie Alexandria, Rom und Rhodos – weniger bedeutend wurde bereits Athen – lockten mit guten Arbeits- und Recherchemöglichkeiten in ihren Bibliotheken an, einem zahlreichen und einflußreichen Publikum, höchster kultureller Verfeinerung des Lebens, der Möglichkeit sich in der Konkurrenz mit anwesenden Kollegen anregen zu lassen und sich zu profilieren, schließlich wohl am wichtigsten mit der Chance, zu den wirklich mächtigen Personen der Zeitgeschichte Kontakte zu knüpfen. Literarische und soziale Patronage durch einen hellenistischen Dynasten oder basileus (wie Mithradates oder Herodes) oder 7

Zu Ciceros persönlicher Mobilität siehe den Beitrag von Olshausen in diesem Band und bereits Olshausen 2006, 316–324. Nach den Bildungsreisen seiner Jugend waren später der Besuch seiner Besitzungen, offizielle Ämter (Statthalterschaft) und andere Missionen sowie das Exil die Hauptmotive für Ciceros Mobilität. 8 Einige hellenistische Inschriften enthalten zwar eine lange ›biographische‹ narratio des Geehrten, aber für die hier untersuchten Universalhistoriker ist bisher kein solches Beispiel bekannt. Vergleiche z.B. die kurzen Ehrungen für Polybios in Olympia, in der Heimat Megalopolis und andernorts, Chaniotis 1988, Katalog E 40.

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einen römischen nobilis (z.B. Sulla, Pompeius, später den Prinzeps Augustus) erwies sich anfänglich oft als vielversprechendes Motiv der freiwilligen Mobilität von Historikern, führte aber fast immer zu stark asymmetrischen Abhängigkeiten. Man denke an antike ›embedded historians‹, die lange Jahre auf Kriegszügen ihre Patrone begleiten mußten (wie schon Polybios den Scipio, später Theophanes den Pompeius) oder die Historiker, welche in den unerwarteten Sturz ihres Protektors, eines römischen nobilis oder hellenistischen Herrschers, persönlich hineingerissen wurden (wie Timagenes mit seiner zeitweisen Versklavung, ähnlich Alexander Polyhistor). Weiterhin gab es den Typos des hellenistischen Hofhistorikers, den zur Zeit Alexanders d.Gr. Kallisthenes vorgeprägt hatte, aber er wurde offenbar unter den prominenten Universalhistorikern nicht vorherrschend (mit Ausnahme des Nikolaos). Insgesamt vermute ich, daß überdies die Abhängigkeiten durch solche Patronageverhältnisse bei Dichtern, Grammatikern und Philosophen stärker waren als bei den (Universal-)Historikern.9 Dabei dürfte auch die von Hause aus bereits meist hohe soziale Stellung dieser Universalhistoriker eine gewisse Rolle gespielt haben (hierin wäre Diodor eine Ausnahme). Für erzwungene Mobilität sind mehrere Fälle von Flucht und Vertreibung von Historikern aus der Heimat und langjährigem Exil während der Transformation der hellenistischen Staatenwelt in das augusteische Universalreich bekannt.10 Zwischen der persönlichen Mobilität einzelner antiker griechischer Historiker und der historiographischen Gattung, in der sie bevorzugt schrieben, scheint es einen inneren Zusammenhang zu geben. Hohe geographische Mobilität ist – erwartungsgemäß – seltener nachweisbar bei reinen Lokal- oder Regionalhistorikern, dagegen ist sie deutlich höher bei vielen hellenistisch-augusteischen Universalhistorikern. Vorbehalte gegen reine ›Schreibtischgelehrte‹ (bzw. ›armchair historians‹) waren in dieser Gattung besonders heftig. Exemplarisch sei erinnert an Polybios’ scharfe Kritik an Timaios. Um als Autor wirklich in der Ahnenreihe der Universalhistoriker ernstgenommen zu werden, mußte man selbst eine breite Welterfahrung sammeln oder zumindest selbstbewußt und nachdrücklich solche autopsia und empeiria behaupten (wie Diodor). Hohe Mobilität und große Welterfahrung wurden in der hellenistischen Epoche nämlich endgültig zu unverzichtbaren persönlichen Eignungsvoraussetzungen gerade des Universalhistorikers, auch wenn eine Kenntnis der gesamten Oikumene praktisch damals nicht zu gewinnen war.

3. Vier Fallbeispiele von Universalhistorikern: Poseidonios, Diodor, Nikolaos und Strabon Bei jedem späthellenistisch-augusteischen Universalhistoriker ist unter Fachleuten die Diskussion über den Stellenwert von Reisen und Mobilität für seine Vita und Werke weiterhin offen. Methodisch strenge Kollegen erkennen nur eine für alle Autoren recht beschränkte Anzahl von Orten und Regionen an, von denen die Historiker selbst ausdrücklich betonen, daß sie diese bereist hätten (oder für die andere externe sichere Zeugnisse vorliegen). Andere Kollegen erweitern diese Inseln der nachgewiesenen Mobilität mehr oder weniger plau9

Zu Patronageabhängigkeiten verschiedener Literaten siehe Breebart 1975, 55–75, Gold 1987 und aus jüngerer Zeit mit besonderer Berücksichtigung der Historiker Yarrow 2006, 18–77. 10 Dillery 2007, 51–70, weist in seiner Studie über Exil und Historiker auf die Problematik hin, in Einzelfällen zwischen Exil, Vertreibung, Auswanderung und temporräem Umzug eines Historikers zu unterscheiden.

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sibel um Orte und Regionen, für die sie eine Autopsie als wahrscheinlich annehmen. Ihre Kriterien hierfür sind meist damalige typische Reiserouten zur See oder Straßenverbindungen zwischen zwei von einer Person sicher besuchten Orten. Vorsichtig angewendet, scheint mir dieses Argument auch legitim. Bedenklich hingegen ist eine unter modernen Historikern populärere Methode. Diese Forscher wollen besonders gründliche, geradezu nach Autopsie ›riechende‹ Beschreibungen einzelner Orte und Regionen als hinreichendes Argument für tatsächliche Aufenthalte dort gelten lassen. Hier ist allerdings jeder Einzelfall vorsichtig zu prüfen. Denn solche Beschreibungen können bei jedem hellenistisch-augusteischen Universalhistoriker auch besonders detaillierten, ortskundigen Vorgängerwerken entnommen sein. 3.1 Poseidonios aus Apameia Außer in seinem Geburtsort Apameia lebte Poseidonios längere Zeit in Athen, Rhodos und Rom. Unter allen hier betrachteten Universalhistorikern unternahm er vielleicht die weitesten Reisen in der Mittelmeeroikumene, die auch ausdrücklich zugleich als Forschungsreisen zur Vorbereitung seiner geographischen, philosophischen und historischen Werke geplant waren. Hinzu traten diplomatische Reisen. Genaue Daten, Anzahl und exakte Routen der Reisen und Aufenthaltsorte des Poseidonios sind umstritten.11 Im Mittelpunkt dieser Reisen standen Südgallien, die iberische Halbinsel mit der Atlantikküste und die nordafrikanische Küste, ferner Italien selbst mit den großen umliegenden Inseln, insbesondere Sizilien, und der Adriaküste. Hinzu kam bei dem gebürtigen Apameer eine gute Ortskenntnis Syriens und seiner Nachbarländer. Die Forschungsreisen im Nordwesten und die längeren Aufenthalte in Gallien waren nicht vor dem Ende der Kimbernkriege möglich. Hierzu paßt auch die Vermutung, daß Poseidonios Angaben des Artemidoros von Ephesos (floruit um 100 v.Chr.) in dessen Geographumena zur Ozeanlehre und zu den Gezeiten vor Ort überprüfen wollte. Aus den antiken Zeugnissen ist jedoch nicht zu erweisen, daß die berühmtesten Reisen des Poseidonios nach Iberien direkt mit den Jahren der prokonsularischen Magistratur des P. Licinius Crassus (96–93 v.Chr.) in Hispania ulterior in Verbindung gebracht werden können. Deshalb ist auch keineswegs gesichert, daß das Ozeanbuch des Poseidonios sofort nach 94/3 begonnen und zur Zeit seiner Gesandtschaftsreise 87/6 v.Chr. nach Rom bereits abgeschlossen war. Möglich bleibt auch eine Abfassung erst Ende der 80er Jahre. Die Ausdehnung seiner Reisen im östlichen wie westlichen Mittelmeerraum sowie deren nachweisbarer Charakter als Forschungsreisen heben Poseidonios aus dem Kreis seiner Kollegen sicherlich heraus. Der Philosoph machte nach seiner Übersiedlung nach Rhodos dort eine erstaunliche politische Karriere. Als angesehener Diplomat im Verkehr zwischen Rhodos und Rom, als philosophische Berühmtheit, Gastgeber und Freund führender Römer, z.B. Ciceros (77, erneut 60 v.Chr.), des Pompeius (66 und 62 v.Chr.), auch 11

Lange Zeit hatte die Poseidoniosforschung unter dem Eindruck des einflußreichen RE-Artikels von Reinhardt 1953, 558–826, gestanden. Dieser hatte lakonisch festgehalten (564): »Daten und Zahl seiner Reisen sind nicht bekannt.« Siehe jetzt zu Reisen und Aufenthaltsorten aber nuancierter Malitz 1983, 5–33, Clarke 1999, 129, und Engels 1999, 166–169. Siehe auch die jeweiligen Kommentare in den Fragmentsammlungen von W. Theiler und L. Edelstein bzw. I. G. Kidd zu in den Fragmenten des Poseidonios genannten Orten und Regionen.

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Caesars, Varros, Catos und des jungen Brutus, lebte Poseidonios bis zu seinem Tode überwiegend auf Rhodos, einem Zentrum der Mobilität in der östlichen Mittelmeerwelt. 3.2 Diodor aus Agyrion Bereits Diodors Heimatort und familiäres soziales Milieu schränkten seine Möglichkeiten für langjährige und weitgreifende Mobilität zu Forschungszwecken verglichen mit denen der anderen hier ausgewählten Historiker deutlich ein. Andererseits betont er unter den Mühen seiner Vorbereitung der Historischen Bibliothek selbst nachdrücklich auch seine weiten Reisen (Diod. 1,4,1), deren tatsächlicher Umfang aber in der jüngeren Diodorforschung umstritten bleibt.12 Vielleicht erkennen wir hier lediglich den durchsichtigen Versuch Diodors, durch Evozierung des tradierten Autopsie-Topos nach Polybios und Poseidonios auch selbst als ein ›echter‹, vollgültiger Universalhistoriker anerkannt zu werden, und dies trotz seiner methodisch angesichts des Themas alternativlosen kompilatorischen Arbeitsweise, die Diodor selbst stolz als zeitgemäße, moderne Art verteidigte, Universalgeschichte zu schreiben. Einmal mehr stammen auch bei Diodor alle verwendbaren, wenigen Hinweise auf seine Reisen und Aufenthaltsorte aus seinem eigenen Werk. Methodische Puristen unter den heutigen Historikern erkennen als bedeutende gesicherte Reiseziele und Aufenthaltsorte abgesehen vom heimatlichen Sizilien lediglich Alexandria (seine wichtigste Reise 60/59 bis 56/5 v.Chr., siehe 1,44,1) mit weiteren Orten Ägyptens entlang des Niles, und natürlich Rom an (Zeitpunkt umstritten). Andere Historiker jedoch versuchen, unterschiedlich viele weitere Aufenthalte zumindest auf den Nachbarinseln Siziliens, also auf Malta, Elba, Sardinien und Korsika, sowie an der Küste Etruriens u.a. wegen der Detailfreude der Beschreibungen im fünften, sogenannten ›Inselbuch‹ der Bibliotheke plausibel zu machen. Insgesamt aber fallen Diodors geographische Schwächen und das Desinteresse in topographischer Hinsicht auch an vielen bedeutenden Orten Griechenlands (selbst an Athen oder Rhodos) auf, noch störender vielleicht an Karthago (trotz seiner Bedeutung für Sizilien) und gar am Achaimeniden- bzw. Partherreich und an Indien. Selbst Diodors Stadtbeschreibung Alexandrias ist trotz Autopsie auffällig ungenau, vor allem im Vergleich mit derjenigen Strabons. Das heimatnahe Syrakus, vermutlich über Jahre sein Arbeitsplatz, wird von Diodor dagegen ausführlich beschrieben und häufiger erwähnt als Alexandria, Athen und sogar Rom.

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Die jüngere Diodorforschung hat das bekannte Verdammungsurteil von Schwartz 1903, 663– 709, über die schlechte Qualität der Bibliotheke jedenfalls in Teilen revidiert, vgl. nach Sacks 1990 u.a. Engels 1999, 202–216. Schwartz 1903, 663, hielt lediglich die Reisen Diodors nach Rom und Alexandria bzw. Ägypten für historisch: »Von den vielen Reisen, die D. mit verdächtigem Anklang an Polybios (III 59) gemacht zu haben behauptet (I 4,1) ist in seinem Werk nichts zu spüren.« Sacks 1990, 161, urteilte ebenfalls vorsichtig: »Although he claims generally to have traveled throughout Asia and Europe, there is no indication that he did so.« Ambaglio 2008, 3–7, vermied Festlegungen mangels klarer Quellen. Sulimani 2011 erörterte die Glaubwürdigkeit des Anspruches Diodors über weite Reisen nicht näher. Siehe auch demnächst Rathmann (2009), der einen größeren Radius der Reisen Diodors vermutet, und die Proceedings einer Internationalen Diodorkonferenz in Glasgow 2011, die Lisa Irene Hau, Alexander Meeus und Brian Sheridan.

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3.3 Nikolaos aus Damaskos Unter den späthellenistisch-augusteischen Universalhistorikern ist Nikolaos aus Damaskos der einzige, der auch eine fragmentarisch überlieferte Autobiographie (FGrH 90 T 1; F 131–139) verfaßt hat. Die Zuverlässigkeit seiner autobiographischen Angaben ist aber oft zweifelhaft, ihre apologetische Tendenz klar; ihr Wert als Quelle für seine Mobilität bleibt eingeschränkt. Allerdings vergleicht Nikolaos selbst (F 132,3) einmal seinen Bildungsweg mit einer langen Reise zu sich selbst voller unterschiedlich wichtiger Orte. Er betrachtete verschiedene Lebensstationen also als Weg zur Selbstfindung des peripatetischen Weisen. Aus vornehmer stark hellenisierter Familie dieser multikulturellen Metropole stammend, blieb der Philosoph und Historiker Nikolaos aus Stolz auf die Heimat Damaszener, auch wenn er die meisten Jahre seines Lebens in Alexandria, Jerusalem und Rom verbrachte, drei kulturell sehr unterschiedlichen Metropolen.13 Andere mobile Philosophen und Historiker seiner Zeit strebten dagegen gezielt das neue Bürgerrecht einer berühmten Stadt der griechischen Kulturwelt an und ließen sich dort nieder. So wurden der Apameer Poseidonios ein Rhodier und Theodoros aus Gadara zum Athener. Apion aus dem unbedeutenden Oasis wollte nurmehr als Alexandriner gelten. Ihre räumliche Mobilität führte also zur Ausprägung starker neuer Bürgeridentitäten. Nikolaos wirkte in den 30er Jahren als Erzieher der Kinder des Antonius und der Kleopatra am Hof in Alexandreia (T 2). Nach Actium schaffte Nikolaos eine grundlegende Wende. Er wurde zunächst engster Ratgeber und Hofhistoriker (T 12; F 135 und 136) des römischen Klientelkönigs Herodes. Später entwickelte er sich zum auch von M. Agrippa und Augustus geschätzten politischen Berater für den jüdisch-syrischen Raum. Ca. 20 v.Chr. war er im syrischen Antiocheia, als Augustus einer indischen Delegation eine Audienz gewährte. Er begleitete König Herodes auf einer großen Reise durch Kleinasien und war beim Treffen mit M. Agrippa 14 v.Chr. in der Hafenstadt Sinope dabei. Die Hinfahrt des Herodes und Nikolaos erfolgte damals über Rhodos, Kos, Chios, Mytilene und Byzantion. Nikolaos verteilte damals Geschenke des Herodes u.a. an Nikopolis, Pergamon, die Lykier, Samos und andere Städte. Für seinen Besuch in Ilion entfernte sich Nikolaos ausdrücklich von der offizellen Reiseroute des Herodes, der nach Byzantion vorausfuhr. Wir erfahren das Itinerar aus dem Bericht des Flavius Josephus (ant.Iud. 16,16–23; vgl. bell.Iud. 1,423–425) sowie aus der Autobiographie des Nikolaos (F 134). Nikolaos begleitete Herodes 12 v.Chr. auch auf dessen zweiter Italienreise. Drei Rombesuche sind bezeugt. 12, 8 und 4 v.Chr. (F 135; 8 T 7 und 4 T 8–9 und F 136,8–11). Hauptgrund für diese erstaunliche Mobilität waren Nikolaos’ politische Rollen als Berater, Diplomat und Hofhistoriker. Seit 12 v.Chr. stand Nikolaos auch beim Prinzeps Augustus in hohem Ansehen, dessen erste Biographie in griechischer Sprache er bereits in den 20er Jahren verfaßt hatte. Seine diplomatische Klugheit konnte dem Herodes bis zu dessen Tod 4 v.Chr. die Gunst des Prinzeps erhalten. Nikolaos dürfte Herodes auch einmal nach Olympia begleitet haben. Nach dem Tode des Herodes diente Nikolaos auch noch kurz dessen Sohn und Nachfolger Archelaos als Diplomat in Rom. Der Schwerpunkt der Reisen und seiner Ortskenntnisse liegt ersichtlich eindeutig in der östlichen Hälfte der Mittelmeeroikumene, wie bei Strabon und anders 13

Wacholder 1962, 14–36, bleibt nach dem älteren RE-Artikel Laqueurs 1936, 362–429, bisher die gründlichste Einführung in Leben, Reisen und Aufenthaltsorte des Nikolaos. Siehe Laqueur, 365–367, über die wichtigste Reise 14 v.Chr.

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als bei Poseidonios. Die westliche Mittelmeerregion blieb Nikolaos fremd und ist auch in seiner Universalgeschichte unterrepräsentiert. 3.4 Strabon aus Amaseia Strabons14 Familie wurde bereits bald nach seiner Geburt um 63 v.Chr. durch die Umwälzungen nach dem Sturz des Mithradates Eupator dazu veranlaßt, von Amaseia nach Nysa in Westkleinasien umzuziehen. Dort hörte Strabon den Lehrkurs des Aristodemos, den er später durch Unterricht bei Xenarchos und bei Tyrannion (vielleicht in Rom) vertiefte. Strabon lobt auch Boethos von Sidon, einen Peripatetiker, mit dem zusammen er studiert habe. Leider sagt Strabon hier nicht, wo und wann. Ein erster wichtiger Teil seiner Reisen waren also freiwillige Bildungsreisen zu berühmten Lehrern und Bildungsorten. Auch Strabon rühmt sich selbst seiner weit ausgreifenden Reisen (Strab. 2,5,11 C117). Obwohl hier keine konkreten Namen anderer Historiker genannt werden, erkennt man aus den angegebenen Räumen und dem Kontext der Prolegomena (Bücher 1–2), daß Strabon hier den Vergleich mit seinen jüngeren hellenistischen Vorgängern sucht (vor allem mit Polybios, Poseidonios und Artemidoros). Stolz gibt der Historiker und Geograph die weiten Grenzen seiner eigenen Reisen an, die von Armenien im Osten bis zur tyrrhenischen Küste gegenüber Sardinien im Westen, vom Norden des Schwarzen Meeres bis zu den südlichen Grenzen Äthiopiens gereicht hätten. Dieses Gebiet bildet den Kernraum des geographisch-politischen Interesses Strabons innerhalb der augusteischen Mittelmeeroikumene. Strabon rühmt sich, man werde kaum einen Vorgänger unter den geographischen Autoren finden, der größere Räume und Distanzen durchreist habe als er selbst. Denn diejenigen der früheren Geographen, die tiefer in die westlichen Regionen vorgestoßen seien (z.B. Pytheas, Polybios, Poseidonios und Artemidoros) hätten nur kleinere Räume im Osten der Oikumene durchmessen, und diejenigen, die weiter in den Osten vorgestoßen seien (u.a. Theophanes, die Alexanderhistoriker, Isidor von Charax und Apollodoros von Artemita), hätten weniger von den westlichen Regionen gesehen als er. Aus heutiger Sicht ist aber zu bezweifeln, daß Strabon im Vergleich zu seinen Vorgängern die geographischen Kenntnisse nur einer einzigen Grenzregion der damaligen Oikumene infolge eigenständiger Forschungen und Reisen wesentlich erweitert hat. Was den Westen und Nordwesten betrifft, liegt der beschränkte Radius seiner Reisen durch die Nennung von Populonia in Etrurien als Grenzpunkt klar zu Tage. Im Süden und Südosten waren andere Geographen und Historiker schon in der Alexanderzeit sowie unter den ptolemäischen und seleukidischen Dynastien viel weiter vorgestoßen als Strabon. Alle Gebiete östlich des Euphrat, den indischen Raum sowie die zentralasiatischen Handelsrouten kennt Strabon nämlich nur aus der Lektüre veralteter Werke über den Alexanderzug und aktueller Autoren über die Feldzüge des Lucullus und Pompeius. Im Nordosten dagegen zählt er für die Regionen Pontos, Kolchis und das bosporanische Reich aufgrund seiner Herkunft zu den wohlinformierten Autoren. 14

In die jüngere Strabonforschung über Leben, Reisen und Aufenthaltsorte Strabons führen ein: Engels 1999, 17–44; 2010, 71–86; 2013; Clarke 1999, 193–336; Dueck 2000, 15–30 mit Karte S. 17. Allgemein zur Strabonforschung vgl. auch Dueck, Lindsay, Pothecary 2005 (ND 2011).

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Ich möchte nun noch kurz auf Duecks Versuch einer kartographischen Darstellung der Reisen Strabons eingehen (vgl. Abb.).15 Das Kartenbild Duecks zeigt diese Problematik klar, täuscht vielleicht aber noch zu große Sicherheit unserer Kenntnisse vor. Als methodischen Grundsatz empfiehlt es sich zunächst anzunehmen, daß Strabon nur die Orte selbst gesehen hat, von denen er das auch ausdrücklich bezeugt. Eine detaillierte, auf direkten Eindrücken beruhende Beschreibung eines Ortes in den Geographika beweist nämlich keineswegs immer, daß Strabon selbst dort gewesen ist, weil er solche Augenzeugenbeschreibungen bei seiner hypomnematischen Methode auch von früheren Autoren übernehmen konnte. Durch Selbstzeugnisse Strabons sind nur folgende wenige Orte und Regionen gesichert, die er sicher selbst gesehen hat: Amaseia und das pontische Königreich als Heimat Strabons, Rom mit Teilen Latiums, bestimmte Städte und Orte in Kleinasien, darunter Komana in Kappadokien und Teile Kappadokiens, die Pyramos-Flußgrenze nach Kilikien, Hierapolis am Mäander,16 Magnesia am Mäander, Nysa, Ephesos, Smyrna, wohl Mylasa und Seleukeia. Auf Schiffsreisen von Kleinasien nach Brundisium sah Strabon Inseln (Gyaros), Hafenstädte (Korinthbesuch, eventuell Patras und Nikopolis?) und Küstenstriche entlang der bekannten Reiserouten. Für viele weitere Orte wird nun zwar eine Autopsie in der Forschung teils vermutet, aber auch im Einzelnen angezweifelt, darunter Alabanda, Tralleis, Sinope, Nikaia, Troja, das Ätnagebiet, oder die griechischen Inseln Kreta, Chios, Rhodos, Kos, Tenos, Patmos und Samos. Mit seinen mehrfachen Romaufenthalten reiht sich Strabon ein in den breiten Strom griechischer Intellektueller, Philologen, Rhetoren, Historiker und Künstler, der – auch durch Augustus selbst und Maecenas ermuntert – in die Hauptstadt floß. Längere Italienund Romaufenthalte17 waren in Strabons Lebenszeit für einen gebildeten Griechen von hoher sozialer Stellung üblich. Dipomatische Missionen hat er, anders als Poseidonios oder Nikolaos, aber offenbar nicht übernommen. Strabon besuchte in Italien abgesehen von der Hauptstadt Rom bevorzugt griechisch geprägte Städte und Regionen. Er kannte wohl aus Autopsie mehrere Hafenstädte, Brundisium, Dikaiarcheia und Neapel, ferner die Fernstraßen von Brundisium nach Rom, von Rom über Neapel nach Puteoli, sowie von Rom nach Populonia. Auch Latium und den Golf von Neapel mit Teilen Kampaniens hat er wohl erkundet. Ägyptenreisen waren zu Strabons Lebenszeit bereits sehr beliebt. Bei seiner Reise ist es aufgrund des recht genauen Itinerars in Buch 17 der Geographika aber fraglich, ob es sich primär um eine Forschungsreise zur Materialsammlung für das Geschichts- und Geographiewerk handelte oder doch eher um eine Vergnügungsreise eines Mannes der gebildeten kleinasiatischen Oberschicht in der Begleitung seines hochgestellten römischen amicus, des Präfekten Aelius Gallus. In den 20er Jahren v.Chr. lebte Strabon jedenfalls längere Zeit in Alexandria und bereiste Ägypten bis zur Grenze nach Äthiopien, bis zum westlichen Wüstengürtel und zur Küste des Roten Meeres. Er besuchte u.a. Heliopolis, Memphis, das Labyrinth, die Memnonsäule, Syene, Philai. Über den Arabienfeldzug des Gallus ist Strabon zwar aus erster Hand so präzise wie über keinen anderen augusteischen Kriegszug unter15

Dueck 2000, 17: Eine nützliche Karte, aber ein Fehler in der Lokalisierung und Bezeichnung von Gyaros. 16 Die Beschreibung des Plutoniums als Sehenswürdigkeit belegt übrigens gut, daß nicht nur politisch-militärisch bedeutende Orte durch Autopsie-Notizen Strabons betont werden. 17 Wohl ca. 35, nach 29, vor 7 v.Chr. und eventuell nach 14 n.Chr. zu datieren, vgl. Engels 1999, 29– 35, aber auch diese Daten sind umstritten.

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richtet, hat aber kaum selbst daran teilgenommen, sondern verwendet Augenzeugenberichte und Informationen seines Freundes Athenodoros.

4. Yarrow und die These vom ›draw of Rome‹ Die Mobilität von Historikern und sonstigen Intellektuellen stieg tendenziell von der polyzentrischen Welt der klassischen Poleis bis zum Ende der hellenistischen Reiche an. Hohe Mobilität ist ja ein allgemeines Epochencharakteristikum des Hellenismus. Politisch-militärische Turbulenzen während der gewaltsamen Transformationsprozesse der späthellenistischen Mittelmeerwelt in die augusteische Prinzipatsordnung haben die Mobilität der Historiker ebenfalls eher gefördert. Yarrow untersuchte kürzlich in ihrer wichtigen Studie über Historiographie in der Endphase der römischen Republik die Anziehungskraft (den Sog/draw) wissenschaftlich-kultureller und intellektueller Zentren auf Gelehrte, Literaten, und Historiker.18 Dieser Sog lenkte zunächst in hellenistischer Tradition noch ihre Mobilität aus freiem Entschluß besonders oft nach Alexandria, Athen, Rhodos, Pergamon, Tarsos oder Sinope. Yarrow meint nun aber, daß Rom bereits ab den 70er Jahren v.Chr. alle diese Zentren durch seine Sogkraft eindeutig überstiegen habe. Das könnte m.E. etwas zu früh angesetzt sein. Denn es hielten sich zwar tatsächlich alle wichtigen Universalhistoriker der Epoche, die oft bezeichnender Weise aus der Peripherie des Reiches stammten, auch schon in Rom auf und dies z.T. längere Zeit. Aber es gab doch vor der Errichtung der Prinzipatsordnung für griechische Historiker noch attraktive Alternativen als Lebens- und Arbeitsorte, z.B. die Hauptstädte und Höfe des Mithradates, Tigranes oder vor allem der späten Ptolemäer. Dies änderte sich erst irreversibel während der Prinzipatsherrschaft des Augustus. Johannes Engels Universität zu Köln, Historisches Institut Albertus-Magnus-Platz, D- 50923 Köln [email protected]

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Yarrow 2006, 25–30; siehe aber auch für einen Katalog der in Rom vor dem Tod des Tiberius zeitweise nachweisbaren griechischen Autoren bereits Hillscher 1891.

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D. Dueck, Strabo of Amasia. A Greek Man of Letters in Augustan Rome, London/New York 2000, 17. Reproduced by permission of Taylor & Francis Books UK.

Josef Fischer

Das Artemision von Ephesos Ein antikes Pilgerziel im Spiegel der literarischen und epigraphischen Überlieferung

Pilgerreisen und Wallfahrten1 stellen eine spezifische Form religiös motivierten Reisens in der antiken Welt dar. Es handelt sich dabei um kein spezifisch christliches Phänomen, vielmehr kann das Pilgerwesen – im Gegensatz etwa zur Missionsreise – bereits auf heidnische Vorläufer zurückblicken. Die Gründe für heidnische wie für christliche Pilgerreisen waren und sind vielfältig: sie können motiviert sein aus Dankbarkeit, aus Buße, aus einer grundsätzlichen religiösen Verpflichtung, durch das Bedürfnis nach einer neuen bzw. tieferen religiösen Erfahrung, dem Versuch, sich göttliches Wohlwollen zu erhalten, dem Bedürfnis nach göttlicher Hilfe in Krankheit und Not oder dem Wunsch nach Teilhabe am göttlichen Vorauswissen.2 Wichtige Pilgerziele der griechisch-römischen Antike waren dementspre1

Die beiden Begriffe der Pilgerreise und der Wallfahrt werden in der religionswissenschaftlichen Literatur weitgehend synonym gebraucht. Das deutsche Wort ›Pilger‹ geht auf das lateinische peregrinus zurück, das ursprünglich den Nichtbürger bezeichnete und später den Fremden allgemein meinte. Die Bezeichnung Pilgerfahrt betont stärker als ihr Pendant den Aspekt des Unterwegsseins, der Heimatlosigkeit und auch des asketischen Verzichts auf die Annehmlichkeiten der Heimat. Der Terminus ›Wallfahrt‹ geht zurück auf das mittelhochdeutsche wallevart (von wallaere ›wandern, reisen‹). Auch er bezieht sich also auf die Reise, betont aber mehr deren zielgerichteten Aspekt. Vgl. dazu und zum Folgenden: aa.vv., Wallfahrt/Wallfahrtswesen, in: Theologische Realenzyklopädie 35, 2003, 408–435; aa.vv., Wallfahrt/Wallfahrtsorte, in: Religion in Geschichte und Gegenwart 8, 42005, 1279–1297. Problematisch ist die Frage nach der antiken Terminologie für Pilgerfahrten, da weder das Griechische noch das Lateinische Ausdrücke kennen, die sich inhaltlich vollständig mit den deutschen Termini ›Wallfahrt‹ oder ›Pilgerreise‹ decken. Eine spezifische Wallfahrtsterminologie entwickelte sich erst im späten Mittelalter, insbesondere mit dem Aufschwung der Pilgerreisen nach Santiago de Compostela, wo im frühen 9. Jh. die Gebeine des Apostels Jakobus entdeckt worden waren. Vorher waren relativ unspezifische Bezeichnungen in Gebrauch; in der Spätantike konnte eine christliche Pilgerreise nach Palästina etwa als visitatio ad loca sancta oder peregrinatio religiosa bezeichnet werden. Ιm Griechischen entsprechen der peregrinatio die Termini ἀποδημία oder ξενιτεία, die aber ebenfalls ein recht weites Bedeutungsspektrum abdecken. 2 In vielen Religionen spielt der Aspekt der Askese einer besonders mühevollen Pilgerfahrt eine wichtige Rolle, gerade im Hinblick auf die griechisch-römische Antike ist dieser Gesichtspunkt aber nicht von allgemeiner Bedeutung. Eines der wenigen Beispiele dafür, dass auch die Beschwernisse der Reise von Bedeutung sind, stellt die ὀρειβασία des Teiresias und des Kadmos in den Bacchen des Euripides (191f.) dar: Κάδμος: οὔκουν ὄχοισιν εἰς ὄρος περάσομεν; | Τειρεσίας: ἀλλ’ οὐχ ὁμοίως ἂν ὁ θεὸς τιμὴν ἔχοι. Übers.: »Kadmos: Werden wir also nicht mit Wagen den Berg hinauffahren? | Teiresias: Aber nicht in gleicher Weise würde der Gottheit dann Verehrung zuteil.« Die Übersetzungen griechischer und lateinischer Quellen in diesem Beitrag stammen, wenn nicht anders angegeben, vom Verfasser.

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chend einerseits Orakelstätten wie Delphi, Dodona, Klaros, Lebadeia oder Siwa. Andererseits erfreuten sich Heilstätten wie die Asklepiosheiligtümer von Epidauros, Kos oder Pergamon regen Zuspruchs. Auch jeder andere heilige Ort, selbst wenn er nicht den Charakter eines Orakels oder einer Heilstätte aufwies, konnte zum Ziel von Pilgern werden. Als Pilger sind durchaus auch jene Reisenden zu betrachten, die nach Eleusis oder Samothrake zogen, um sich in die dortigen Mysterien einweihen zu lassen. Als eine Form der Wallfahrt wurde mit Recht auch die θεωρία, die offizielle Festgesandtschaft, die griechische Städte vor allem anlässlich großer Feste in bestimmte Heiligtümer schickten, angesprochen.3 Ob freilich jeder Besucher eines religiösen Festes pauschal als Pilger gesehen werden kann, sei in Frage gestellt.4 Auch liegt nur ein schmaler Grad zwischen einer Pilgerreise und religiösem Tourismus bzw. Kulturreisen an sakrale Orte.5 Die kleinasiatische Stadt Ephesos nahm unter den Pilgerzielen der griechisch-römischen Antike eine wichtige Stellung ein. Größter Anziehungspunkt6 für Wallfahrer war das berühmte Heiligtum der Artemis,7 das bereits im Altertum als eines der sieben Weltwunder galt.8 Der Epigrammatiker Antipatros von Sidon (2. Jh. v.Chr.) hob es unter diesen legendären Bauwerken sogar besonders hervor:

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Vgl. Dillon 1997, 11–26; Elsner, Rutherford, 2005, 12–14. Man denke etwa an die unzähligen Athleten mit ihren Trainern, die bereits ab frühester Zeit professionell von Wettkampf zu Wettkampf zogen, an die zahllosen Händler, die die Besucher der Spiele mit ihren Waren versorgten, die Zuhälter und Prostituierten, die sich bei solchen Anlässen besonders hohe Einnahmen versprachen, aber auch die Besucher selbst, die vielfach eher als Zuschauer eines sozialen, kulturellen und sportlichen Großereignisses denn als Teilnehmer einer religiösen Zeremonie zu betrachten sind. So wird etwa der Perieget Pausanias häufig als ein ›Pilger‹ apostrophiert. Vgl. dazu Elsner 1992; Rutherford 2001. Zu Recht hat sich Scheer 2004 gegen diese Ansicht ausgesprochen. Artemis und ihr Tempel waren bis in die hohe Kaiserzeit der Mittelpunkt des religiösen Lebens in Ephesos. Freilich war Ephesos »nicht nur die Stadt der Artemis«, wie Knibbe 1978 bereits im programmatischen Titel seines Beitrags betont. Auch die Kultstätten und Feste anderer Gottheiten und Heroen in Ephesos haben zu allen Zeiten Pilger angezogen. Diese können im Rahmen des vorliegenden Beitrags freilich nicht ausführlicher gewürdigt werden. Zu den im kaiserzeitlichen Ephesos verehrten Gottheiten und Heroen vgl. Oster 1990. Zu den Zeugnissen ägyptischer Religionsvorstellungen vgl. Hölbl 1978 und Walters 1995. Zur jüdischen Gemeinde von Ephesos vgl. Strelan 1996, 165–273 und Ameling 2004, 147–162. Zur Herrscherverehrung im antiken Ephesos vgl. Burrell 2004, 59–85; Fischer 2012. Im Rahmen dieses Beitrags ist es selbstverständlich nicht möglich, alle wesentlichen Aspekte der Geschichte, Organsiation oder Archäologie dieses Heiligtums ausführlich zu behandeln. Vieles Wichtige kann nur kurz angesprochen oder gar nicht behandelt werden. Ausgangspunkt für jede Beschäftigung mit dem ephesischen Artemision ist immer noch Picard 1922; vgl. für eine allgemeine Einführung Bammer 1984 sowie Bammer, Muss 1996 und den Ausstellungskatalog Seipel 2008; zahlreiche Aspekte behandeln auch die Sammelbände Muss 2001; 2008. Grundlegend zu den literarischen Quellen ist Kukula 1906; zu den epigraphischen Quellen vgl. Engelmann 2001. Auch auf die Geschichte der Stadt Ephesos, mit der das Schicksal des Heiligtums natürlich auf das Engste verbunden ist, kann im Folgenden nicht ausführlicher eingegangen werden. Vgl. dazu Elliger 1985; Karwiese 1995; Knibbe 1998. Vgl. z.B. Ampelius 8; Plin. nat. 36,75; Gell. 3,10,16; Hyg. fab. 223; Mela 1, 85; Mart., Spectacula 1. Allgemein zu den sieben Weltwundern der Antike vgl. etwa Brodersen 1996.

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Καὶ κραναᾶς Βαβυλῶνος ἐπίδρομον ἅρμασι τεῖχος καὶ τὸν ἐπ’ Ἀλφειῷ Ζᾶνα κατηυγασάμην κάπων τ’ αἰώρημα καὶ Ἠελίοιο κολοσσὸν καὶ μέγαν αἰπεινᾶν πυραμίδων κάματον μνᾶμά τε Μαυσώλοιο πελώριον· ἀλλ’ ὅτ’ ἐσεῖδον Ἀρτέμιδος νεφέων ἄχρι θέοντα δόμον, κεῖνα μὲν ἠμαύρωτο, καὶ ἦν· »Ἴδε, νόσφιν Ὀλύμπου Ἅλιος οὐδέν πω τοῖον ἐπηυγάσατο.«9

Und auch der Ingenieur und Fachschriftsteller Philon von Byzanz (3. Jh. v.Chr.) rückte den Bau in ›himmlische Sphären‹: ὁ τῆς Ἀρτέμιδος ναὸς ἐν Ἐφέσῳ μόνος ἐστὶν θεῶν οἶκος. πεισθήσεται γὰρ ὁ θεασάμενος τὸν τόπον ἐνηλλάχθαι καὶ τὸν οὐράνιον τῆς ἀθανασίας κόσμον ἐπὶ γῆς ἀπηρεῖσθαι.10

Im Gegensatz zu den oben genannten Heiligtümern war das ephesische Artemision keine Orakel-11 oder Heilstätte12 im eigentlichen Sinn. Was waren also die Gründe für die Bedeutung des ephesischen Artemisheiligtums? Der Perieget Pausanias (2. Jh. n.Chr.) nennt eine Reihe von Argumenten: Ἐφεσίαν δὲ Ἄρτεμιν πόλεις τε νομίζουσιν αἱ πᾶσαι καὶ ἄνδρες ἰδίᾳ θεῶν μάλιστα ἄγουσιν ἐν τιμῇ: τὰ δὲ αἴτια ἐμοὶ δοκεῖν ἐστὶν Ἀμαζόνων τε κλέος, αἳ φήμην τὸ ἄγαλμα ἔχουσιν ἱδρύσασθαι, καὶ ὅτι ἐκ παλαιοτάτου τὸ ἱερὸν τοῦτο ἐποιήθη. τρία δὲ ἄλλα ἐπὶ τούτοις συνετέλεσεν ἐς δόξαν, μέγεθός τε τοῦ ναοῦ τὰ παρὰ πᾶσιν ἀνθρώποις κατασκευάσματα ὑπερηρκότος καὶ Ἐφεσίων τῆς πόλεως ἡ ἀκμὴ καὶ ἐν αὐτῇ τὸ ἐπιφανὲς τῆς θεοῦ.13 9

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Anth. Pal. 9,58. Übers.: »Sowohl des felsigen Babylon Mauer, die mit Wagen befahren werden kann, als auch den Zeus beim Alpheios habe ich gesehen, sowie die Hängenden Gärten und die Kolossalstatue des Helios und das große hoch aufragende Werk der Pyramiden und das riesige Grabmal des Mausolos. Aber als ich den Tempel der Artemis erblickte, der bis zu den Wolken reicht, da verblassten jene, und ich sagte: ›Nun, abgesehen vom Olymp hat Helios bisher so etwas nicht erblickt.‹« Vgl. unten Anm. 29. Philon 6. Übers.: »Der Tempel der Artemis in Ephesos ist das einzige Haus der Götter. Wer diesen Ort gesehen hat, wird davon überzeugt sein, dass der Ort vertauscht wurde und sich die himmlische Ordnung der Unsterblichkeit auf der Erde niedergelassen hat.« Ratsuchende wandten sich vielmehr an das Apollonorakel von Klaros, das zum ephesischen Artemision in engster Beziehung stand. Karwiese 1970, 322f., 342f. bringt allerdings bestimmte Münztypen mit einem Artemisorakel in Verbindung. Dass im ephesischen Artemision auch Heilungswunder stattfanden, darauf deuten die Funde goldener Augenbleche sowie goldene Darstellungen von Ohren, Beinen, Füßen und Händen hin: Pülz 2009, 47, 182f. Dazu kommen elfenbeinerne Votivgaben von Beinen: Hogarth 1908, 196 mit Tafel XLII 10, 11. Diese wurden entweder der Göttin geweiht, um die Heilung der jeweiligen erkrankten Körperteile zu erflehen, oder aber um für deren bereits erfolgte Heilung zu danken. Als Heilgottheit wurde die ephesische Artemis im gesamten Imperium Romanum angerufen. Als ein ausgewähltes Beispiel sei hier ein Text aus Carnuntum erwähnt, in welchem die Hilfe der Artemis Ephesia gegen die Föhngottheit Antaura beschworen wird (SEG 39, 1093). Berühmt ist ein Orakelspruch, wohl vom Apollonorakel von Klaros, dass eine Statue der Artemis aus Ephesos in eine von einer durch Magie verursachten Seuche heimgesuchte kleinasiatische Stadt gebracht werden solle: Graf 1992. Paus. 4,31,8. Übers.: »Alle Städte verehren die Artemis von Ephesos und die Menschen halten sie mehr in Ehren als die anderen Götter: Der Grund dafür liegt, wie mir scheint, im Ruhm der Amazonen, von denen es heißt, dass sie das Kultbild aufgestellt hätten, und auch dass der Tempel vor sehr langer Zeit errichtet wurde. Drei weitere Aspekte haben darüber hinaus zu ihrem Ruhm beigetragen: die Größe des Tempels, der alle menschlichen Werke übertrifft, die Blüte der Stadt der Ephesier und das sichtbare Wirken der Göttin in ihr.«

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Der Reiseschriftsteller führt das Alter und die Größe des Heiligtums, den Ruhm der Amazonen als seine Gründerinnen, das Wirken der hier verehrten Göttin14 und die allgemeine Blüte der Stadt Ephesos, zu Lebzeiten des Autors ein politisches, wirtschaftliches, kulturelles und religiöses Zentrum ersten Ranges, an. Bereits zwei Jahrhunderte früher, im Jahr 44 v.Chr., hatte der Prokonsul Paullus Fabius Persicus in einem mit der Finanzverwaltung des Artemisions befassten Edikt das Heiligtum wegen seiner Größe, wegen des Alters des dortigen Kultes und wegen des Reichtums der Kultstätte, als »Schmuck der ganzen Provinz« bezeichnet (IvE 18 B Z. 1–5): τό τε τῆς Ἀρτέμιδος αὐτῆς ἱερόν, ὃ τῆς ἐπαρχείας ὅλης ἐστὶν κόσμος καὶ {ὃ} διὰ τὸ τοῦ ἔργου μέγεθος καὶ διὰ τὴν τοῦ περὶ τὴν θεὸν σεβασμοῦ ἀρχαιόττ 5 καὶ διὰ τὴν τῶν προσόδων ἀφθονίαν.15

Betrachten wir die von Pausanias und Persicus angeführten Gründe im Folgenden etwas genauer und beginnen wir mit der in Ephesos verehrten Göttin selbst.

Die Artemis von Ephesos und ihr Kultbild Artemis ist ohne Zweifel eine der interessantesten und vielgestaltigsten Gottheiten der griechisch-römischen Antike.16 Ihre Herkunft ist letztendlich unklar.17 Ganz offenkundig sind aber in ihr zwei ursprünglich getrennte Göttinnen vereinigt, deren Wesenszüge einander in manchen Aspekten sogar deutlich widersprechen. Ursprünglich handelte es sich um eine große weibliche Naturgottheit, die besonders in den Wäldern, auf Bergeshöhen, an Quellen oder in sumpfigen Niederungen verehrt wurde, eine »Göttin des Draußen« (Wilamo14

Für dieses Wirken bieten die literarischen Quellen einige Beispiele. Strabon überliefert etwa in Zusammenhang mit der Gründung der griechischen Kolonie Massilia (4,1,4 C79), dass der Ephesierin Aristarche Artemis im Traum erschienen sei und sie aufgefordert habe, die Phokaier auf ihrem Zug zu begleiten und dabei ein ἀφίδρυμά τι τῶν ἱερῶν mitzunehmen. Was damit gemeint ist, bleibt unklar. Es mag sich um ein Abbild der Kultstatue gehandelt haben oder – wie Radt 2006, 409f. annimmt – um Reste der in Ephesos dargebrachten Opfer. Ein weiteres Beispiel für ein hilfreiches Erscheinen der Göttin im Traum steht in Zusammenhang mit dem Bau des Artemistempels selbst. Der leitende Architekt soll nämlich von den Problemen, die sich bei der Platzierung des Türsturzes ergaben, so gequält worden sein, dass er sogar an Selbstmord dachte, bis ihm im Schlaf die Tempelherrin selbst erschien und am nächsten Morgen der Türsturz sich von alleine an der richtigen Stelle befand (Plin. nat. 36,21 [96f.]). Ebenfalls im Schlaf erschien Artemis der Leukippe, der Protagonistin des Romans des Achilleus Tatios (4,1,4): ἡ γάρ μοι θεὸς Ἄρτεμις ἐπιστᾶσα πρῴην κατὰ τοὺς ὕπνους, ὅτε ἔκλαιον μέλλουσα σφαγήσεσθαι, ›Μὴ νῦν‹, ἔφη, ›κλαῖε· οὐ γὰρ τεθνήξῃ· βοηθὸς γὰρ ἐγώ σοι παρέσομαι.‹ Übers.: »Denn die Göttin Artemis erschien mir neulich im Schlaf, als ich wehklagte, weil ich geopfert werden sollte: ›Weine doch nicht‹, sagte sie, ›denn du wirst nicht sterben; ich werde dir zu Hilfe kommen.‹« 15 Übers.: »das Heiligtum aber der Artemis selbst, das der Schmuck der ganzen Provinz ist sowohl durch die Größe des Bauwerks als auch durch das Alter der Verehrung der Göttin und durch den Reichtum seiner Einkünfte«. Vgl. auch die lateinische Version das Textes (IvE 19 B Z. 2–5): templum [ip]sum Dianae cum sit o[rna]|[m]entum provinciae et operis magnifice[ntia et] | [ve]tustate religionis et abundantia vect[iga]|5[l]ium. Siehe zu diesem Text auch unten Anm. 58 und 66. 16 Zum Wesen der Artemis vgl. etwa Wernicke 1895; Hönn 1946; Nilsson 1955, 481–500. 17 Die bisherige Forschung hat sowohl einen kleinasiatischen (lydischen) als auch einen ägäischen Ursprung vermutet. Ob die in den mykenischen Linear B-Texten vorkommenden Termini a-te-

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witz), die über die Passagen von der Wildheit zur Kultur wachte und eine wesentliche Rolle bei der Initiation (besonders von Frauen) spielte. Sie war eine Göttin des Wachsens und Gedeihens und somit des Ackerbaus, der Jagd und der Wildtiere, aber auch der Haustiere und der Viehzucht. Ihr Zuständigkeitsbereich umfasste aber auch die menschliche Fruchtbarkeit als Göttin der Hochzeit und der Geburt sowie als Behüterin der Kinder. Gleichzeitig war sie aber auch eine Todes- und Kriegsgöttin. Zu einem nicht genauer bestimmbaren Zeitpunkt kam es zur Vermischung des Kultes dieser ursprünglichen Naturgottheit mit dem Letoidenkult, was für das Wesen der Artemis einschneidende Veränderungen mit sich brachte. Das frauenhafte, mütterliche Element trat zurück, und der – im Grunde völlig gegensätzliche – jungfräuliche Charakter der Göttin wurde dominierend. Die nun gerne jugendlich und außerordentlich schön gedachte Artemis verlangte Enthaltsamkeit und strafte jeden Fehltritt. Der Zuständigkeitsbereich der ursprünglich festländischen Göttin, die auch immer mehr an Apollon angeglichen wurde, dehnte sich nun über das Meer aus, sie wurde zur Hüterin der Fischer und Seefahrer, der Häfen und somit auch zur Schutzherrin des Waren- und Marktverkehrs. Die so entstandene Göttin traf immer wieder auf nicht-griechische Kulte, die verwandte Elemente enthielten bzw. zu enthalten schienen. Die entsprechenden Kultempfänger wurden daher in vielen Fällen mit Artemis identifiziert (interpretatio Graeca), auch wenn diese Identifikationen in der Regel nur äußerlich vorgenommen wurden, da die jeweiligen Kulte der griechischen Artemisverehrung im Grunde fremd waren. Am folgenreichsten war die schon früh vorgenommene Identifikation mit der römischen Göttin Diana; andere Gottheiten, die mit Artemis gleichgesetzt wurden, waren etwa Anaïtis, die ursprünglich nur lokal bedeutende Göttin des Flusses Oxus, die von Artaxerxes zur Reichsgöttin erhoben wurde, die thrakische Jagdgöttin Bendis, die kretische Britomartis-Diktynna, die ägyptische Bubastis, die Ma von Komana und die Perasia von Kastabala und eben auch die Göttin von Ephesos, eine einheimische, kleinasiatischen Gottheit, die bisweilen Züge aufweist, die an Kybele oder Hekate erinnern.18 Dies wird in einem Hymnos des Timotheos von Milet auf Artemis deutlich, in dessen einzig erhaltenem Vers die Göttin als θυιάδα φοιβάδα μαινάδα λυσσάδα bezeichnet und so als ›Rasende‹ charakterisiert wird.19 Rückschlüsse auf die Natur der ephesischen Göttin lässt auch ihr Kultbild zu. Im Zentrum der Verehrung stand ursprünglich wohl ein typisches archaisches Xoanon.20 Glaubt 18

mi-to und a-ti-mi-te wirklich mit Artemis zu verbinden sind, muss unsicher bleiben. Für den Namen der Gottheit wurden – neben Versuchen, diesen aus verschiedenen nicht-griechischen Sprachen abzuleiten – Verbindungen mit ἀρτεμής ›heil, unversehrt‹ oder ἀρταμεῖν ›schlachten, zerstückeln‹ erwogen. Vgl. auch Macr. sat. 7,16,27 (quasi ἀερότεμις, hoc est aerem secans), der den Namen der Göttin mit dem Zerschneiden der Luft (durch ihre Pfeile) in Verbindung bringt. 18 Vgl. zur Artemis von Ephesos: Strelan 1996, 41–94; Brenk 1998; Burkert 1999; Schwindt 2002, 103–134; Lesser 2005/6. 19 Timotheos fr. 2b Page bei Plut., De superstitione 10. Vgl. Macr. sat. 5,22,4. 20 Einen Eindruck des ersten Kultbildes könnten vielleicht die anthropomorphen Statuetten geben, die im Artemision gefunden wurden: dargestellt ist dabei eine weibliche Gestalt mit säulenartigem Unterkörper und eng am Körper anliegenden Armen. Vgl. Pülz 2009, 155–158. Auf dieses erste Kultbild bezieht wohl auch am ehesten die Überlieferung, dass dieses »vom Himmel gefallen« (διοπετής) sei; vgl. z.B. Apg 19,35. Es wurde auch vermutet, dass das allererste Objekt der Verehrung ein Baum gewesen sein könnte; vgl. dazu Schwindt 2002, 104 Anm. 264.

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man den Angaben des Mucianus,21 so schuf der Bildhauer Endoios im 6. Jh. v.Chr. ein neues hölzernes Kultbild (vielleicht für den Kroisos-Tempel), das wohl im katastrophalen Brand des Jahres 356 v.Chr. zerstört und durch eine neue Statue ersetzt wurde.22 Dieses neue Kultbild, das nun offenbar bis ins Jahr 401 n.Chr. bestand, ist durch zahlreiche Darstellungen aus hellenistischer und römischer Zeit bekannt.23 Die Göttin trägt einen Polos und ein Schleiertuch mit Tierbildern. Ιhr Prachtgewand ist mit reliefierten Plättchen belegt, welche Tierdarstellungen tragen. Αuf ihren abgespreizten Armen sind Löwen dargestellt, Hirsche flankieren die Statue. All dies charakterisiert die Göttin als πότνια θηρῶν, als Herrin der Tiere. Ihr charakteristischstes – aber auch meist diskutiertes – Merkmal sind jedoch jene seltsamen Objekte,24 die sich oberhalb des Gürtels befinden. Zwei antike Quellen thematisieren diesen Schmuck: sowohl Minucius Felix (3. Jh. n.Chr.)25 als auch Hieronymus (4. Jh. n.Chr.)26 sprechen von Brüsten, und da diese beiden Zeugnisse die einzigen einschlägigen antiken Äußerungen darstellen, sollte man sie auch nicht allzu rasch dadurch abtun, dass man diesen beiden Autoren entweder christliche Polemik vorwirft oder ihnen unterstellt, sie seien zu spät und hätten die wahre Bedeutung dieses Schmucks nicht mehr gekannt. Dazu kommt, dass alternative Interpretationen der modernen Forschung ebenso nicht recht zu überzeugen vermögen.27 Eine Deutung als Brüste würde auf eine Funktion 21 22

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Überliefert bei Plin. nat. 16,79,213f. Allerdings hat bereits der römische Universalgelehrte Zweifel bezüglich der Nachrichten des Mucianus. Einen Eindruck vom Aussehen dieses Kultbildes vermitteln Münzen (RRC 448/3), die Lucius Hostilius Saserna im 1. Jh. v.Chr. prägen ließ, und die das Kultbild der Artemis Ephesia von Massilia zeigen, welches eine Kopie des ephesischen Kultbildes darstellte (Strab. 4,1,4 C179). Zu den Darstellungen der Artemis Ephesia vgl. Fleischer 1973. Die frühesten Darstellungen dieses Schmuckes finden sich etwa ab der Mitte des 2. Jh. v.Chr. auf ephesischen Kistophorenprägungen. Es stellt sich dabei die Frage, ob sich in hellenistischer Zeit ein Wandel im tatsächlichen Schmuck des Kultbildes (und damit ein Wandel im Ritual) vollzogen hat, oder ob es sich nur um einen Wandel in der bildlichen Wiedergabe des Kultbildes handelt, und was entweder das eine oder das andere veranlasste. Min. Fel. 21: Diana interim est alte succincta venatrix, et Ephesia mammis multis et uberibus extructa, et Trivia trinis capitibus et multis manibus horrifica. Übers.: »Diana ist bisweilen eine hoch gegürtete Jägerin, und die Ephesia ist mit vielen Brüsten und Zitzen versehen, und die schreckliche Trivia mit drei Köpfen und vielen Händen.« Hier., Commentaria in Epistolam ad Ephesios (PL 26), 441: Scribebat ad Ephesios Dianam colentes non hanc venatricem, quae arcum tenet, atque succincta est, sed illam multimammiam quam Graeci vocant, ut scilicet ex ipsa quoque effigie, mentirentur omnium eam bestiarum et viventium esse nutricem. Scribebat autem ad metropolim Asiae civitatem, in qua ita idololatria, et quod semper idololatriam sequitur, artium magicarum praestigiae viguerant, ut Demetrius diceret, et magnae deae templum Dianae in nihilum reputabitur, destruetur quoque magnitudo eius, quam cuncta Asia et universus orbis colit. Übers.: »Er (sc. Paulus) schrieb an die Ephesier, welche Diana (Artemis) verehren, nicht die Jägerin, die den Bogen hält und gegürtet ist, sondern jene vielbrüstige, welche die Griechen πολύμαστον nennen, wie aus dem Kultbild selbst ersichtlich ist, dass sie vorgeben, dass sie die Nährmutter aller Tiere und Lebewesen sei. Denn er schrieb an die Hauptstadt Asiens, in welcher der Götzendienst und, was immer dem Götzendienst folgt, die Gaukeleien der magischen Künste blühen, wie Demetrius sagte, und der Tempel der großen Göttin Diana wird für nichts gehalten werden, und auch ihre Größe wird zerstört werden, die ganz Asien und die gesamte Welt verehren.« Neben den Deutungen als Datteln oder Eiern gilt das auch für die verbreitete Interpretation als Stierhoden durch Seiterle 1979 oder als altanatolische Kultobjekte (kuršaš) durch Helck 1984 und Morris 2001, 140–148; 2008.

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der ephesischen Artemis als Natur- und Fruchtbarkeitsgöttin hindeuten. Auf den Münzen der Stadt begegnet die Göttin dagegen als jugendliche Jägerin, und in einer – freilich aus dem weit entfernten Rom stammenden – Inschrift des 2. oder 3. Jh. n.Chr. wird sie sogar als jungfräulich bezeichnet (IGUR I 146): τὴν κυρίαν καὶ εὐεργέτιν θεὰν ἐπήκοον παρ|θέ[ν]ον Ἄ[ρτ]εμιν Ἐφε[σί]αν. Damit sind wir bei den epigraphischen Zeugnissen, in denen die ephesische Artemis häufig als große Gottheit (μεγάλη θεός) bzw. größte Göttin (μεγίστη θεά) angesprochen wird, als sichtbarste Göttin (ἐπιφανεστάτη θεά) oder als heiligste Göttin (ἁγιοτάτη θεά). Eine besonders enge Verbindung belegen die Inschriften zwischen der Göttin und ihrer Stadt. Die Ephesier nennen Artemis ihre Herrin (ἡ κυρία ἡμῶν: IvE 3059) und die Anführerin ihrer Stadt (προκαθηγε[μὼν τῆς πόλεως ἡμῶν θεὰ Ἄρτεμις: ΙvE 26), sie bezeichnen sie als ihre Stammgöttin (ἀρχηγέτις τῆ]ς πόλεως Ἄρτεμις: IvE 1398; vgl. IvE 27 Z. 20) und als ihre Heimatgottheit (ἥ τε πάτριος Ἐ[φεσίω]ν θεὸς Ἄρτεμις: ZPE 97, 1993, 288). Besonders deutlich wird dieses Nahverhältnis in der Inschrift IvE 24 B Z. 8–24: [ἐπειδὴ ἡ π]ροεστῶσα τῆς πόλεως ἡμῶν θεὸς Ἄρτε[μις] [οὐ μόνον] ἐν τῇ ἑαυτῆς πατρίδι τειμᾶται, ἣν ἁ[πασῶν] 10 [τῶν πόλεων] ἐνδοξοτέραν διὰ τῆς ἰδίας θειότητ[ος πεποίη][κεν, ἀ]λλὰ καὶ παρὰ [Ἕλλησίν τε κ]αὶ [β]αρβάρ[ο]ις, ὥ[στε παν]ταχοῦ ἀνεῖσθαι αὐτῆς ἱερά τε κα[ὶ τεμένη, ναοὺς δὲ] αὐτῇ τε εἱδρύσθαι καὶ βωμοὺς αὐτῇ ἀνακεῖσθαι διὰ τὰς ὑπ’ αὐτῆς γεινομένας ἐναργεῖς ἐπιφανείας, 15 καὶ τοῦτο δὲ μέγιστον τοῦ περὶ αὐτὴν σεβασμοῦ ἐστιν τεκμήριον, τὸ ἐπώνυμον αὐτῆς εἶναι μῆνα καλούμενον παρ’ ἡ[μ]ῖν μὲν Ἀρτεμισ[ι]ῶνα, παρὰ δὲ Μακεδόσιν καὶ τοῖς λοιποῖς ἔθνεσιν τοῖς Ἑλληνικοῖς καὶ ταῖς ἐν αὐταῖς πόλεσιν 20 Ἀρτεμίσιον, ἐν ᾧ μηνὶ πανηγύρεις τε καὶ ἱερομηνίαι ἐπιτελοῦνται, διαφερόντως δὲ ἐν [τῇ] ἡμετέρᾳ πόλει τῇ τροφῷ τῆς ἰδίας θεοῦ τῆς Ἐφ[εσί]ας, προσῆκον δὲ εἶναι ἡγούμενος ὁ δῆμος [ὁ] Ἐφεσίων …28

Αrtemis wird hier als Schutzgöttin (ἡ π]ροεστῶσα) der Stadt bezeichnet, Ephesos gleichzeitig als ihre Heimat (ἡ πατρίς) und ihre Amme (ἡ τροφός) angesprochen.29 Gleichzeitig ver28

Übers.: »Weil Artemis, die Schutzgöttin unserer Stadt, nicht nur in ihrer Heimat verehrt wird, die sie durch ihre Göttlichkeit berühmter als alle anderen Städte gemacht hat, sondern auch sowohl bei den Hellenen als auch den Barbaren, sodass ihr überall Heiligtümer und heilige Bezirke geweiht und Tempel errichtet und Altäre gewidmet werden wegen der von ihr ausgehenden leibhaftigen Erscheinung – und dies ist das beste Zeichen ihrer Verehrung, dass ein Monat nach ihr benannt wird, bei uns Artemsision, bei den Makedonen und den übrigen griechischen Stämmen und in deren Städten Artemisios, in welchem Monat Feste und Feiertage abgehalten werden, besonders in unserer Stadt, der Amme ihrer eigenen Gottheit, der Ephesia, beschloss das Volk der Ephesier, dass es gebührend sei …« 29 Vgl. das bekannte Epigramm des Antipatros, in dem der Artemistempel in Anspielung auf seine jungfräuliche Inhaberin ›Parthenon‹ genannt wird (Anth. Gr. 9,790): Τίς ποκ’ ἀπ’ Οὐλύμποιο μετάγαγε παρθενεῶνα | τὸν πάρος οὐρανίοις ἐμβεβαῶτα δόμοις | ἐς πόλιν Ἀνδρόκλοιο, θοῶν βασίλειαν Ἰώνων, | τὰν δορὶ καὶ Μούσαις αἰπυτάταν Ἔφεσον; | ἦ ῥα σὺ φιλαμένα, Τιτυοκτόνε, μέζον Ὀλύμπου | τὰν τροφόν, ἐν ταύτᾳ τὸν σὸν ἔθευ θάλαμον. Übers.: »Wer hat einst vom Olymp versetzt den Parthenon, der vorher in den himmlischen Wohnstätten verankert war, in die Stadt des Androklos, die Königin der flinken Ionier, das im Krieg und in den Musenkünsten höchste Ephesos? Gewiss

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deutlichen die Quellen aber auch, dass – und das war ein wesentlicher Grund für die Bedeutung des Heiligtums – die ephesische Göttin nicht nur für die Bürger der Stadt oder bloß für die Griechen eine wesentliche Bezugsperson darstellte, sondern vielmehr als eine Göttin ganz Asiens betrachtet werden muss.30 Bereits der lydische König Kroisos ließ dem Heiligtum, nachdem er Ephesos seinem Machtbereich hinzugefügt hatte, besondere Aufmerksamkeit zuteil werden.31 So lässt Timotheos von Milet um 400 v.Chr. einen Gefangenen aus Phrygien die ephesische Artemis »seine Göttin« nennen (fr. 18 Page, 160f.): Ἄρτιμις ἐμὸς μέγας θεὸς παρ’ Ἔφεσον φυλάξει (»Artemis, meine große Göttin, wird mich bei Ephesos beschützen«). Der persische Satrap Tissaphernes ließ im Jahr 410 v.Chr. ein großes Opfer für Artemis veranstalten (Thuk. 8,109).32 Und die Magier klagten, als der Tempel im Jahr 356 v.Chr. eingeäschert wurde, dass dies ein großes Unglück für ganz Asien bedeute (Cic. div. 1,47): Qua nocte templum Ephesiae Dianae deflagravit, eadem constat ex Olympiade natum esse Alexandrum, atque, ubi lucere coepisset, clamitasse magos pestem ac perniciem Asiae proxuma nocte natam.33

Auch in der Apostelgeschichte ist die Rede davon, dass die ephesische Artemis in ganz Asien und der ganzen Welt verehrt würde (Apg 19,27).34 Das Artemision von Ephesos war auch nicht das einzige Heiligtum der Artemis Ephesia, vielmehr finden sich im ganzen Mittelmeerraum Kultstätten der Göttin.35 29 30 31

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also hast du, Tityostöterin, mehr als den Olymp deine Amme geliebt, wo du gewöhnlich deine Wohnstatt hattest.« Liv.1,45 kolportiert das Gerücht (fama), dass der Tempel gemeinsam von allen civitates Asiens erbaut worden sei. Hdt. 1,92 berichtet, dass Kroisos dem Heiligtum goldene Kühe und viele der Säulen stiftete (vgl. unten Anm. 43). Zu den Beziehungen der Lyder zum ephesischen Artemision vgl. Kerschner 2008. Im 4. Jh. v.Chr. schickte Tissaphernes Truppen nach Ephesos, um »Artemis zu Hilfe zu eilen« (Xen. hell. 1,2,6). Die Perser nahmen besondere Rücksicht auf das Artemision, das sie als einziges ionisches Heiligtum nicht niederbrannten, wie Strabon bei seiner Schilderung des Heiligtums des Apollon von Didyma berichtet (14,1,5 C634): ἐνεπρήσθη δ’ ὑπὸ Ξέρξου, καθάπερ καὶ τὰ ἄλλα ἱερὰ πλὴν τοῦ ἐν Ἐφέσῳ. Übers.: »Es wurde von Xerxes in Brand gesteckt, so wie die anderen Heiligtümer außer jenem in Ephesos.« Die Zeit der Perserherrschaft hat auf den Artemiskult in Ephesos nachhaltigen Einfluß gehabt, der sich nicht zuletzt im Titel des Oberpriesters, des Megabyzos bzw. Megabyxos, widerspiegelt. Diese Bezeichnung kommt aus dem Persischen (Bagabuxša) und bedeutet soviel wie »der der Gottheit dient«. Das Amt dieses Priesters muss in der Zeit persischer Herrschaft über Ephesos, wohl in der zweiten Hälfte des 6. Jh. v.Chr., eingeführt worden sein und existierte bis in römische Zeit. Strabon berichtet, dass es sich bei diesen Oberpriestern um Eunuchen handelte, die von außerhalb nach Ephesos berufen wurden (14,23 C641). Vgl. zum Megabyzos: Smith 1996; Bremmer 2008. Übers.: »In jener Nacht ist der Tempel der Diana von Ephesos niedergebrannt, in derselben wurde von Olympias Alexander geboren, und als es (an diesem Tag) anfing hell zu werden, klagten bekanntlich die Magier, dass in der kommenden Nacht ein Unheil und Verderben für Asien geboren würde.« Vgl. dazu Plut., Alexandros 3,7; Cic. nat.deor. 2,69. Für den Bau des 356 v.Chr. zerstörten Tempels berichtet Plinius, dass die Kosten von »ganz Asien« getragen wurden (nat. 36,95: Graece magnificentiae vera admiratio exstat templum Ephesiae Dianae CXX annis factum a tota Asia. Übers.: »Das wahrhaftige Staunen über griechische Kunstfertigkeit zeigt sich beim Tempel der Diana in Ephesos, der über einen Zeitraum von 120 Jahren von ganz Asien errichtet worden ist.«). Deutlich wird die ›internationale‹ Geltung des Artemisions auch in den Funden von Aegyptiaka aus dem Heiligtum; vgl. dazu Hölbl 2008.

Das Artemision von Ephesos

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Die Geschichte des Heiligtums Das hohe Alter des Artemisions wurde, wie wir gesehen haben, sowohl von Persicus als auch von Pausanias als ein Grund für die ungeheure Bedeutung des Heiligtums angeführt. Der Perieget hebt zusätzlich den Ruhm seiner Gründerinnen, der Amazonen, hervor. Der früheste Quellentext, welcher diese Erzählung direkt überliefert,36 ist der Artemishymus des Kallimachos aus dem 3. Jh. v.Chr., in welchem der Dichter erzählt, dass die Amazonen zunächst an einem Baumstamm ein Kultbild errichteten, um das sie Tänze vollführten, während der Tempel erst später gebaut wurde: σοὶ καὶ Ἀμαζονίδες πολέμου ἐπιθυμήτειραι ἔν κοτε παρραλίῃ Ἐφέσῳ βρέτας ἱδρύσαντο φηγῷ ὑπὸ πρέμνῳ, τέλεσεν δέ τοι ἱερὸν Ἱππώ· αὐταὶ δ’, Οὖπι ἄνασσα,37 περὶ πρύλιν ὠρχήσαντο πρῶτα μὲν ἐν σακέεσσιν ἐνόπλιον, αὖθι δὲ κύκλῳ στησάμεναι χορὸν εὐρύν· ὑπήεισαν δὲ λίγειαι λεπταλέον σύριγγες, ἵνα ῥήσσωσιν ὁμαρτῇ (οὐ γάρ πω νέβρεια δι’ ὀστέα τετρήναντο, ἔργον Ἀθηναίης ἐλάφῳ κακόν)· ἔδραμε δ’ ἠχὼ Σάρδιας ἔς τε νομὸν Βερεκύνθιον. αἱ δὲ πόδεσσιν οὖλα κατεκροτάλιζον, ἐπεψόφεον δὲ φαρέτραι.38

Wie weit die Kulttradition an dieser Stelle tatsächlich in die Vergangenheit zurückreicht, ist unklar. Bereits die antike Überlieferung nahm jedenfalls an, dass die Verehrung der Göttin in Ephesos älter sei als die griechische Stadt, wie Pausanias berichtet: τὸ δὲ ἱερὸν τὸ ἐν Διδύμοις τοῦ Ἀπόλλωνος καὶ τὸ μαντεῖόν ἐστιν ἀρχαιότερον ἢ κατὰ τὴν Ἰώνων ἐσοίκησιν, πολλῷ δὲ πρεσβύτερα ἔτι ἢ κατὰ Ἴωνας ἐς τὴν Ἄρτεμιν τὴν Ἐφεσίαν ἐστίν. 39

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Vgl. dazu Wernicke 1895, 1385f. Bereits im 5. Jh. v.Chr. hat offenbar Pindar die Amazonen als Gründerinnen des Artemisions angesehen, doch ist dies nur im Referat des Pausanias überliefert. Vgl. unten Anm. 73. 37 Upis ist ein Beiname der Artemis, vgl. dazu Radtke 1961. Bei Mac. sat. 5,22,4f. und Serv. Aen. 11,532 wird der Beiname Opis genannt. Vgl. dazu Bergbach-Bitter 2008, 290–294. 38 Kall. h. 3,237–247. Übers.: »Die kriegslüsternen Amazonen haben dir in dem am Meer gelegenen Ephesos einst am Fuß eines Eichenstamms ein hölzernes Kultbild errichtet, und ein Heiligtum hat dir Hippo fertig gestellt; sie tanzten, o Herrin Upis, rundherum einen Kriegstanz, erst in voller Rüstung einen Waffentanz, dann stellten sie sich im Kreis zu einem weiten Chor auf; dazu sangen zart die hell tönenden Syringes, damit sie im Takt aufstampften (denn sie hatten noch nicht die Knochen von Hirschkälbern durchbohrt, ein für den Hirsch übles Werk der Athena); und der Hall Echo drang bis nach Sardes und in den berekynthischen Distrikt. Sie stampften behende mit den Füßen und die Köcher klapperten dazu.« Dass der Artemistempel ursprünglich an einem Baum entstand, davon erzählt im 2. Jh. n.Chr. auch der Geograph Dionysios von Alexandria, doch nennt er im Gegensatz zu Kallimachos, der von einer Eiche spricht, eine Ulme (Dion. Per. 827–830; vgl. dazu auch den Kommentar des Eustathios (823,33–40). Die Amazonen als Gründerinnen des Heiligtums nennen etwa auch Mela 1,88; Ampelius 8,18; Solin. 40,2. Vgl. unten Anm. 73. 39 Paus. 7,2,6. Übers.: »Das Heiligtum des Apollon in Didyma und das Orakel sind älter als die Einwanderung der Ionier, viel älter noch als die Ionier ist die Verehrung der ephesischen Artemis.« Eine Verbindung der ephesischen Artemis mit der in einem frühgriechischen Linear B-Text (PY Fr 1206) erwähnten po-ti-ni-ja a-si-wi-ja, wie sie Morris 2008 herstellt, ist freilich nur unter größtem Vorbehalt zu sehen.

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Aufgrund archäologischer Funde und Befunde ist bekannt,40 dass das Gelände des Artemisions bereits während der protogeometrischen Periode für kultische Zwecke genutzt wurde.41 Die früheste monumentale Tempelarchitektur entstand allerdings erst im zweiten Viertel des 7. Jh. v.Chr., als der sogenannte Peripteros (Naos 1) errichtet wurde. Dieser bestand aus einer rechteckigen Cella (6,30×11,10m), die von 4×8 hölzernen Säulen umstanden wurde. Im Laufe des 7. Jh. v.Chr. wurde der Tempel wiederholt umgebaut (sogenannter Tempel B bzw. Naos 2); im Rahmen des zweiten Umbaus wurde die Peristasis aufgegeben, und der Innenraum, in dem ein Naïskos für das Kultbild errichtet wurde, blieb nun wohl ohne Überdachung. Im letzten Drittel des 7. Jh. v.Chr. wurde an der Stelle des Tempels B ein neuer Tempel für die Göttin Artemis errichtet. Dieser sogenannte Tempel C, der ebenfalls zwei Bauphasen (Tempel C1 und C2 bzw. Sekos 1 und 2) aufweist, übertraf den Peripteros in seiner Größe (16,35×33,30m) deutlich und wies einen hypaithralen Hof auf, in dem sich eine Basis für das Kultbild und ein Altar befanden. Die Zuschreibung dieses Tempels an den ephesischen Tyrannen Pythagoras muss freilich hypothetisch bleiben.42 Bereits deutlich vor 560 v.Chr., wohl um 575 v.Chr., also vor der Eroberung von Ephesos durch den lydischen König Kroisos, wurden die Arbeiten am großen Marmordipteros (Dipteros 1), dem sogenannten Kroisos-Tempel, begonnen, der den Tempel C ersetzte.43 Die Fertigstellung dieses Tempels, für den der Architekt Chersiphron verantwortlich zeichnete,44 dauerte, wie Plinius d.Ä. kolportiert,45 etwa 120 Jahre, ist also in die Zeit um 455 v.Chr. zu setzen.46 Auch bei diesem Tempel handelte es sich um kein gedecktes Bauwerk; vielmehr war nur der Säulengang überdacht, während die Tempelwände einen großen of40 41 42

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Die Baugeschichte des Artemisions kann an dieser Stelle freilich nur gestreift werden. Vgl. dazu neben den in Anm. 7 genannten Werken Weissl 2002 und Kerschner, Prochaska 2011. Ältere vor Ort getätigte Funde gehören in die Spätbronzezeit, doch ist der Charakter der Nutzung des Geländes im 2. Jt. v.Chr. unklar. Baton von Sinope berichtet, dass ein Orakelspruch dem Tyrannen als Buße für seine Freveltaten aufgetragen hatte, einen neuen Tempel zu errichten (FGrH III 268 F 3). Ob Pythagoras dem im Text erwähnten Orakelspruch nachkam und einen Tempel errichtete, und – falls ja – welcher Tempel dies war, muss freilich unklar bleiben. Wenn Kroisos den Bau des Tempels auch nicht veranlasste, so förderte er doch das Bauvorhaben, das sich bei der Einnahme von Ephesos bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befunden haben muss. So stiftete er etwa viele der Reliefsäulen (columnae caelatae), wie Herodot berichtet (1,92). Diese Stiftung wird durch die Beschriftung mehrerer Säulen des Tempels bestätigt: Βασιλεὺς Κροῖσος ἀνέθηκεν (IvE 1518). Übers.: »König Kroisos hat (diese Säule) gestiftet.« Vgl. Vitr. 7,16: primumque aedis Ephesi Dianae ionico genere ab Chersiphrone Gnosio et filio eius Metagene est instituta, quam postea Demetrius ipsius Dianae servus et Paeonius Ephesius dicuntur perfecisse. Übers.: »Als erstes ist der Tempel der Diana (=Artemis) in Ephesos in der ionischen Ordnung von Chersiphron von Knossos und seinem Sohn Metagenes erbaut worden, den später Demetrios, der ein Sklave der Artemis war, und der Ephesier Paionios vollendet haben sollen.« Über Demetrios, offenbar ein Hierodoule der Artemis, ist nichts weiter bekannt. Das gleiche gilt für Paionios, der zu Unrecht wiederholt mit dem jüngeren, spätklassischen Artemistempel in Verbindung gebracht wurde: die Vitruv-Stelle, die uns als einzige über diesen Architekten informiert, lässt dies m.E. nicht zu. Vgl. oben Anm. 33. Dies entspricht auch dem Ergebnis stilistischer Untersuchungen, etwa an den Sima-Reliefs. Als eine besondere bautechnische Leistung werden von Plinius auch die Maßnahmen zur Fundamentierung des Baus im sumpfigen Gelände hervorgehoben (nat. 36,21), die wohl vom samischen Architekten Theodoros vorgeschlagen wurden (vgl. Diog. Laert. 2,103).

Das Artemision von Ephesos

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fenen Hof, den sogenannten Sekos, umschlossen, in dem sich ein Naïskos für das Kultbild befand. Gleichzeitig mit dem archaischen Dipteros wurde vor dessen Front ein Bau errichtet, der sogenannte Hekatompedos, bei dem es sich wohl um den Altar des Kroisos-Tempels handelt. Sowohl Tempel als auch Altar waren bis in die Mitte des 4. Jh. v.Chr. in Benutzung, als im Jahr 356 v.Chr. eine gewaltige Brandkatastrophe das Heiligtum heimsuchte, für welche die antike Überlieferung einen gewissen Herostratos verantwortlich machte, wie etwa der Grammatiker Caius Iulius Solinus (4. Jh. n.Chr.) überliefert: Ephesus in ea urbs clarissima est; Epheso decus templum Dianae, Amazonum fabrica, adeo magnificum ut Xerxes, cum omnia Asiatica templa igni daret, huic uni pepercerit. Sed haec Xerxis clementia sacras aedes non diu a malo vindicavit; namque Herostratus, ut nomen memoria sceleris extenderet, incendium nobilis fabricae manu sua struxit, sicut ipse fassus est, voto adipiscendae famae latioris. Notatur ergo eadem die conflagravisse templum Ephesi, qua Alexander Magnus Pellae natus est. Quod cum postmodum ad cultum augustiorem Ephesii reformarent, faber operi Dinocrates praefuit, quem Dinocratem Alexandri iussu Alexandriam in Aegypto metatum supra exposuimus.47

Solinus nennt nicht nur den Beweggrund des Herostratos, der durch seine Wahnsinnstat erreichen wollte, dass sein eigener Name durch den von ihm verübten Frevel unsterblich würde,48 sondern auch das exakte Datum des Brandes, nämlich den Tag der Geburt Alexanders des Großen,49 und er erwähnt den Wiederaufbau des Artemistempels unter der Lei47

Solin. 40,2–5. Übers.: »Ephesos ist in dieser [sc. Asia] die berühmteste Stadt; als Zierde besitzt Ephesos den Tempel der Diana (=Artemis), einen Bau der Amazonen, so großartig, dass Xerxes, als er alle asiatischen Tempel dem Feuer übergab, diesen als einzigen verschonte. Aber diese Milde des Xerxes hat den heiligen Tempel nicht lange vor Unheil bewahrt; denn Herostratos hat, damit sein Name durch die Erinnerung an den Frevel überdauert, mit eigener Hand den Brand des berühmten Tempels gelegt, wie er selbst gestanden hat, wegen des Wunsches, möglichst weit verbreiteten Ruhm zu erlangen. So wird denn auch angemerkt, dass der Tempel in Ephesus am selben Tag in Flammen aufgegangen ist, an dem Alexander der Große in Pella geboren wurde. Als die Ephesier diesen für den besonders erhabenen Kult wieder herstellten, stand der Architekt Dinocrates der Arbeit vor; diesen Dinocrates, der auf Befehl Alexanders Alexandria in Ägypten vermessen hat, haben wir oben schon behandelt.« 48 Gerade dies sollte auf Beschluss der Ephesier allerdings – wenn auch erfolglos – verhindert werden, wie Valerius Maximus (1. Jh. n.Chr.) in seiner Sammlung denkwürdiger Taten und Aussprüche (8,14 ext. 5) kolportiert: Illa vero gloriae cupiditas sacrilega: inventus est enim qui Dianae Ephesiae templum incendere vellet, ut opere pulcherrimo consumpto nomen eius per totum terrarum orbem dissiceretur, quem quidem mentis furorem eculeo inpositus detexit. ac bene consuluerant Ephesii decreto memoriam taeterrimi hominis abolendo, nisi Theopompi magnae facundiae ingenium historiis eum suis conprehendisset. Übers.: »Jener Fall von Ruhmsucht führte allerdings zu einem Frevel: Es fand sich ein Mann, der den Tempel der Diana (=Artemis) in Ephesos niederbrennen wollte, damit durch die Zerstörung dieses sehr schönen Bauwerks sein Name in der ganzen Welt verbreitet würde; auf die Folter gelegt, enthüllte jener den Wahnsinn seines Plans. Und die Ephesier hatten gut den Beschluss gefasst, durch eine Verordnung das Andenken an diesen schändlichsten Menschen auszulöschen, indes hat ihn die Begabung Theopomps in der Darstellungskunst in seinen Geschichten (in Erinnerung) behalten.« Neben der oben behandelten Passage aus dem Werk des Solinus nennen Strab. 14,1,22 C640 und Ail. nat. 6,40 den Namen des Herostratos. 49 Vgl. oben Anm. 33. Es entstand die Tradition, die Frage, warum die Göttin Artemis die Zerstörung ihres Heiligtums in Ephesos überhaupt zugelassen habe, dadurch zu erklären, dass sie zum Zeitpunkt des Brandes gerade in Pella gewesen sei, um Olympias, der Mutter Alexanders, als Geburtshelferin bei ihrer Niederkunft beizustehen. Vgl. z.B. Cic. nat. deor. 2,69; Cic. div. 1,47; Plut., Alexandros 3,6.

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tung der Architekten Deinokrates.50 Als Alexander im Jahr 334 v.Chr. nach seinem Sieg über die Heere des Perserkönigs am Granikos nach Ephesos kam und anbot, den Wiederaufbau des Artemisions zu finanzieren, wurde dies von den Ephesiern offenbar mit dem Argument abgelehnt, dass ein Gott anderen Göttern keine Tempel errichten könne.51 Der neue Artemistempel,52 der nun bis in die späte römische Kaiserzeit Bestand hatte und mit den Werken der bedeutendsten Künstler der griechischen Welt ausgestattet wurde,53 stand auf einem hohen Stylobat von 13 Stufen, weshalb nun vom Pronaos eine Treppenanlage in den weiterhin nicht überdachten Innenbereich des Tempels hinabführte. Statt eines Adytons wies der neue Bau ein Opisthodom auf, und an der Front wurden nun drei statt zwei Säulenreihen errichtet. Zum Tempel gehörte auch ein monumentaler Hofaltar. Nach Pausanias war dieser neue Tempel der erste unter den ionischen Heiligtümern, die ohnehin die Bauten in anderen Regionen überträfen: Ἴωσι δὲ ἔχει μὲν ἐπιτηδειότατα ὡρῶν κράσεως ἡ χώρα, ἔχει δὲ καὶ ἱερὰ οἷα οὐχ ἑτέρωθι, πρῶτον μὲν τῆς Ἐφεσίας μεγέθους τε ἕνεκα καὶ ἐπὶ τῷ ἄλλῳ πλούτῳ.54 50

Von diesem Wiederaufbau berichtet auch Strab. 14,1,22 C640f., der kolportiert, dass die Ephesier dafür den Schmuck ihrer Frauen und ihr eigenes Vermögen zusammentrugen und auch die alten Säulen verkauften. Dies überliefern – allerdings in Bezug auf die Säulen richtigerweise, dass es nicht um den Verkauf der alten, sondern um die Stiftung der neuen Säulen ging – auch die pseudo-aristotelische Oikonomika 2,19 (1349a 9–13): Ἐφέσιοι δεηθέντες χρημάτων νόμον ἔθεντο μὴ φορεῖν χρυσὸν τὰς γυναῖκας, ὅσον δὲ νῦν ἔχουσι δανεῖσαι τῇ πόλει· τῶν τε κιόνων τῶν ἐν τῷ νεῷ τάξαντες ἀργύριον ὃ δεῖ καταβαλεῖν εἴων ἐπιγράφεσθαι τὸ ὄνομα τοῦ δόντος τὸ ἀργύριον ὡς ἀνατεθεικότος. Übers.: »Weil die Ephesier kein Geld besaßen, erließen sie ein Gesetz, demzufolge die Frauen keinen Goldschmuck mehr tragen dürften, und den Schmuck, den sie zu diesem Zeitpunkt besäßen, sollten sie der Stadt leihen; von den Säulen im Tempel schätzten sie den Preis, und gestatteten demjenigen, der den Preis bezahlte, seinen Namen als Stifter (auf der jeweiligen Säule) anzubringen.« Hier ist zwar nicht direkt von einem Zusammenhang dieser Geldbeschaffungsmaßnahmen mit dem Wiederaufbau des zerstörten Artemisions die Rede, doch ist dieser anzunehmen. Vgl. dazu die auf den Säulen des spätklassischen Artemistempels erhaltenen Inschriften: IvE 1519. 51 Strab. 14,1,22 C641: Ἀλέξανδρον δὴ τοῖς Ἐφεσίοις ὑποσχέσθαι τὰ γεγονότα καὶ τὰ μέλλοντα ἀναλώματα, ἐφ’ ᾧ τε τὴν ἐπιγραφὴν αὐτὸν ἔχειν, τοὺς δὲ μὴ ἐθελῆσαι, πολὺ μᾶλλον οὐκ ἂν ἐθελήσαντας ἐξ ἱεροσυλίας καὶ ἀποστερήσεως φιλοδοξεῖν· ἐπαινεῖ τε τὸν εἰπόντα τῶν Ἐφεσίων πρὸς τὸν βασιλέα, ὡς οὐ πρέποι θεῷ θεοῖς ἀναθήματα κατασκευάζειν. Übers.: »Als schließlich Alexander den Ephesiern versprach, die bereits gemachten und die künftigen Aufwendungen zu übernehmen, unter der Bedingung, dass die (Bau-)Inschrift seinen Namen tragen würde, hätten sie das nicht gewollt, viel weniger noch hätten sie durch Tempelraub und Unterschlagung nach Ruhm getrachtet; er (sc. Artemidoros) lobt auch jenen der Ephesier, der zum König sagte, dass es einem Gott nicht gezieme, anderen Göttern Weihegeschenke zu bereiten.« Als bedeutend für das Artemision, das zuvor von den Oligarchen geplündert worden war, erwies sich die Anordnung des Makedonenkönigs, dass zukünftig der Tribut, der bisher an die Perser zu entrichten gewesen war, von nun an in die Kassen des Heiligtums fließen sollte (Arr. an. 1,17,10): Τετάρτῃ δὲ ἡμέρᾳ ἐς Ἔφεσον ἀφικόμενος τούς τε φυγάδας, ὅσοι δι’ αὐτὸν ἐξέπεσον τῆς πόλεως, κατήγαγε καὶ τὴν ὀλιγαρχίαν καταλύσας δημοκρατίαν κατέστησε· τοὺς δὲ φόρους, ὅσους τοῖς βαρβάροις ἀπέφερον, τῇ Ἀρτέμιδι ξυντελεῖν ἐκέλευσεν. Übers.: »Am vierten Tag kam er (sc. Alexander) nach Ephesos und rief die Verbannten zurück, welche sie seinetwegen aus der Stadt geworfen hatten, und nachdem er die Oligarchie aufgelöst hatte, richtete er eine Demokratie ein; und er befahl, die Tribute, welche sie gewöhnlich den Barbaren bezahlten, der Artemis zu entrichten.« 52 In der Antike wurden mehrere Bücher über diesen Tempel geschrieben, so von Demokritos, Chersiphron oder Metagenes, doch sind sie alle nicht erhalten (vgl. Athen. 12,525c; Diog. Laert., Demokritos 49; Vitr. 7, proem. 12). 53 Vgl. Strab. 14,1,23 C641 sowie Paus. 10,26,6; 10,38,6.

Das Artemision von Ephesos

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Der Reichtum des Heiligtums Pausanias erwähnt hier den Reichtum des Artemisions, und auch im einleitend zitierten Edikt des Fabius Paullus Persicus war davon die Rede. In der Tat war das Artemision auch als Wirtschaftsfaktor von herausragender Bedeutung.55 Es verfügte über großen Reichtum, der sich etwa in umfangreichem Grundbesitz56 im Kaÿstrostal manifestierte.57 Dieser Landbesitz wurde unter Kaiser Augustus im Jahr 6/5 v.Chr. neu vermessen (IvE 1525; 3513; 3516), und das Heiligtum erhielt seinen Besitz, der in den Kriegswirren der späten Republik teilweise enteignet worden war, wieder zurück.58 Zu einer erneuten Neuvermessung der Ländereien der Artemis kam es einige Jahrzehnte später unter der Herrschaft Domitians.59

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Paus. 7,5,4. Übers.: »Das Land der Ionier hat das ausgewogenste Klima, und es hat Heiligtümer, wie man sie anderswo nicht antrifft; zuvorderst das Heiligtum der Ephesia aufgrund seiner Größe und seines übrigen Reichtums.« Vgl. dazu etwa Cramme 2001, 87–93; Engelmann 2001, 40f. Die Liegenschaften und das Vermögen des Tempels wurden vom Rentamt (μισθωτήριον), das von zwei Sekretären (γραμματεῖς) geleitet wurde (vgl. IvE 1577), verwaltet. Von der Verpachtung von Tempelland ist etwa IvE 8 Z. 33 die Rede. Vgl. dazu Knibbe, Meriç, Merkelbach 1979. Zum Kaÿstrostal vgl. jetzt auch Meriç 2009. Strab. 14,1,26 C642 berichtet, dass auch die Einkünfte aus der Fischerei aus den selinusischen Seen der Artemis zugute kamen. Als römische publicani diese Einkünfte mit Gewalt an sich rissen, sandten die Ephesier den Geographen Artemidoros als Unterhändler nach Rom. Nach dem erfolgreichen Abschluss dieser diplomatischen Mission wurde ihm ein Abbild im Artemision errichtet: Strab. 14,1,26 C642. Auf seinen Ländereien unterhielt das Heiligtum etwa eine Pferdezucht, wie ein im Kaÿstrostal gefundener Grenzstein (ΖPΕ 108, 1995, 89) verdeutlicht: ὅρος ἰερὸς | Ἀρτέμιδος | χώρας τῆς | ἐν ἱπποβότωι. Übers.: »Heiliger Grenzstein des Landes der Artemis auf der Pferdeweide.« Zahlreiche weitere Grenzsteine der Ländereien der Artemis sind bekannt (IvE 3503–3512; 3514f.). Drei Inschriften (IvE 728; 2076; SEG 35, 1985, 1109) nennen das collegium der Tempelweinverkäufer und belegen so den Weinbau auf Grundstücken des Artemisions. Vgl. zu diesen Rohde 2012, 285f. Dies zeigt etwa die Inschrift IvE 3501: Imp(erator) Caesar | Augustus fines | Dianae restituit. | Αὐτοκράτωρ Καῖσαρ |5 Σεβαστὸς ὅρους | Ἀρτέμιδι ἀποκατέ|στησεν. Übers.: »Imperator Caesar Augustus hat der Artemis die Gebiete zurückerstattet.« Vgl. auch IvE 3502. Auch die Wege und Kanäle auf dem Besitz des Artemisions wurden damals neu vermessen (IvE 1523): Αὐτοκράτωρ Καῖσαρ | θεοῦ υἱὸς Σεβαστός, | ὕπατος τὸ ιβʹ, δημαρ|χικῆς ἐξουσίας τὸ ιηʹ, |5 στήλας ἱερὰς τῶν ὁ|δῶν καὶ ῥίθρων Ἀρτέμι|δι ἀποκατέστησεν, | [ἐπὶ ἀνθυπάτου] | [Γαΐου Ἀσινίου Γάλλου] |10 ἐπιμελήᾳ Σέξτου | Λαρτιδίου πρεσ|βευτοῦ. | τὸ ῥεῖθρον ἔχει πλά|τους πήχεις ιεʹ. Übers.: »Imperator Caesar Augustus, der Sohn des vergöttlichten (sc. Caesar), zum 12. Mal Konsul, zum 18. Mal Inhaber der tribunicia potestas, hat die heiligen Stelen der Wege und Kanäle der Artemis wieder hergestellt, unter dem Prokonsulat des Gaios Asinios Gallos, unter der Aufsicht des Legaten Sextos Lartidios. Der Kanal hat eine Breite von 15 Ellen.« Im schon erwähnten Edikt des Paullus Fabius Persicus ist von den Einkünften die Rede, die Augustus der Göttin wieder sicherte: διὰ τὴν τῶν προσόδων ἀφθονίαν τῶν ὑπὸ τοῦ | Σεβαστοῦ ἀποκατασταθεισῶν τῇ θεᾷ (IvE 18 B Z. 5f.) bzw. abundantia vect[iga]|[l]ium, quae a divo Augusto deo deae restitu[ta] | [sun]t (IvE 19 B Z. 4–6). Mit dieser Αktion steht etwa der Grenzstein eines Gutes im Besitz der Göttin vor den Toren der Stadt Metropolis in Verbindung, dem zu entnehmen ist, dass das ephesische Artemision auch dort über Landbesitz verfügte (ΖPE 125, 1999, 143–146, Νr. 4): κατὰ τὴν Αὐτοκρά|τορος Καίσαρος | Δομιτιανοῦ Σεβασ|τοῦ Γερμανικοῦ |5 διαταγὴν ὅρος ἱεροῦ | χωρίου τῆς Ἀρτέμι|δος τεθεὶς ἐπὶ Σέ|ξτου Ἰουλίου Φρον|τείνου ἀνθυπά|10 του διὰ Κλωδίου | Κέλσου πρεσβευτοῦ. Übers.: »Auf Geheiß des Imperator Caesar Domitianus Augustus Germanicus wurde dieser Grenzstein des heiligen Landes der Artemis errichtet unter dem Prokonsul Sextos Iulios Fronteinos durch den Legaten Klodios Kelsos.« Von der Neuvermessung unter Domitian zeugen auch IvE 3506–3510.

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Eine weitere Vermessung der Ländereien des Artemisions ist unter der Herrschaft Trajans (IvE 3511f.) nachweisbar, und auch einige Jahrzehnte später, wohl unter Antoninus Pius, kam es offenbar zu Unklarheiten bezüglich der genauen Grenzverläufe (IvE 15).60 Große Bedeutung besaß das Heiligtum in Ephesos, das der Sophist Aelius Aristeides als ταμεῖον κοινὸν Ἀσίας und χρείας καταφυγή bezeichnet,61 auch als Bank,62 der nicht nur Ephesier, sondern Personen aus allen Teilen der antiken Welt ihre Schätze anvertrauten, wie Dion (ca. 40 bis 120 n.Chr.), der aus dem bithynischen Prusa stammende Redner und Philosoph mit dem Beinamen Chrysostomos, in seiner Rede an die Rhodier sagt:63 ἴστε που τοὺς Ἐφεσίους, ὅτι πολλὰ χρήματα παρ’ αὐτοῖς ἐστι, τὰ μὲν ἰδιωτῶν, ἀποκείμενα ἐν τῷ νεῲ τῆς Ἀρτέμιδος, οὐκ Ἐφεσίων μόνον, ἀλλὰ καὶ ξένων καὶ τῶν ὁπόθεν δήποτε ἀνθρώπων, τὰ δὲ καὶ δήμων καὶ βασιλέων, ἃ τιθέασι πάντες οἱ τιθέντες ἀσφαλείας χάριν, οὐδενὸς οὐδεπώποτε τολμήσαντος ἀδικῆσαι τὸν τόπον, καίτοι καὶ πολέμων ἤδη μυρίων γεγονότων καὶ πολλάκις ἁλούσης τῆς πόλεως.64

Dion führt weiter aus, dass die Ephesier selbst sich auch niemals an diesen im Artemisheiligtum deponierten Reichtümern vergreifen würden: τί οὖν; ἆρά γε καὶ λαμβάνουσιν ἐξ αὐτῶν, ὅταν ᾖ χρεία τις, ἢ δανείζονται γοῦν, ὃ τάχα δόξει μηδὲν εἶναι δεινόν; ἀλλ’ οἶμαι πρότερον ἂν περιέλοιεν τὸν κόσμον τῆς θεοῦ πρὶν ἢ τούτων ἅψασθαι.65

Freilich wissen wir aus anderen Quellen, dass die Angaben des Rhetors nicht ganz zutreffen. So überliefert Strabon (14,1,22 C640) das Gerücht, die Ephesier hätten sich für den Wiederaufbau des 356 v.Chr. zerstörten Tempels an den im Heiligtum deponierten persischen Geldern vergriffen, verwirft diese Anschuldigung jedoch. Im Zuge des Bürgerkriegs zwischen Caesar und Pompeius wollte sich im Jahr 49 v.Chr. Metellus Scipio, der Schwiegervater des Pompeius, an den Schätzen des Artemisions vergreifen, wurde aber durch das rasche Vorrücken Caesars daran gehindert (Caes. civ. 3,33). Als Caesar in Ephesos eintraf, konnte er die Plünderung der Schätze des Artemisions durch Titus Ampius, einen Parteigänger des Pompeius, verhindern (Caes. civ. 3,105). Von der Verlockung, welche die im Heiligtum versammelten Reichtümer darstellten, und dem Missbrauch, der damit getrie60 61 62 63

Von der Verpachtung von Tempelland ist etwa IvE 8 Z. 33 die Rede. Aristeid. 42,522 Jebb. Vgl. dazu Bogaert 1968, 245–254. Ein berühmter Kunde dieser Bank war bereits in klassischer Zeit der athenische Soldat, Geschichtsschreiber und Philosoph Xenophon (Xen. an. 5,3,4–9). Anspielungen auf die Bank im Artemision finden sich auch in den Bacchides (303–314) des Plautus. Die Sicherheit der dort deponierten Gelder wurde dadurch erhöht, dass das Artemision säumige Schuldner pfänden konnte, ohne dass diese durch irgendwelche Rechtsmittel einen Aufschub der Zahlung hätten verhindern können. 64 Dion Chrys. 31,54. Übers.: »Ihr wisst von den Ephesiern, dass sich viel Geld bei Ihnen befindet, zum einen von Privatleuten, das im Artemistempel liegt, nicht nur von den Ephesiern selbst, sondern auch von Fremden und von Menschen woher auch immer, zum anderen sowohl von Gemeinden als auch von Königen, das alle dort der Sicherheit wegen hinterlegt haben, denn niemand hat es jemals gewagt, diesen Platz zu verletzen obwohl bereits unzählige Kriege geführt wurden und die Stadt oftmals eingenommen wurde.« 65 Dion Chrys. 31,55. Übers.: »Was also? Nehmen sie etwa von diesen Reichtümern, wenn Bedarf ist, oder leihen sie sich wenigstens davon, was wohl nicht ungeheuerlich erscheinen würde? Vielmehr, meine ich, würden sie eher den Schmuck der Göttin herabnehmen, als dass sie sich an diesen Schätzen vergreifen würden.«

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ben wurde, ist schließlich auch im schon erwähnten Edikt des proconsul Asiae Paullus Fabius Persicus aus dem Jahr 44 n.Chr. (IvE 18 B) die Rede, wo wir von den unlauteren Machenschaften bei der Vergabe von Priesterämtern und der Bereicherung der Amtsträger hören.66 Sein Vermögen konnte das Heiligtum auch durch Erbschaften vergrößern, da der römische Kaiser das Privileg zugestanden hatte, dass die Artemis von Ephesos – neben einigen anderen ausgewählten Gottheiten – als Erbin in Testamenten bedacht werden konnte.67 Reiche Privatleute wie T. Flavius Aristion Iulianus oder P. Vedius Papianus Antoninus haben auch tatsächlich ihr gesamtes Vermögen dem Tempel vermacht.68

Asyl Ein weiterer, von Persicus und Pausanias jedoch nicht angeführter Grund für den Erfolg des Artemisions ist im Asylrecht des Heiligtums zu suchen, das bereits in den Gründungssagen eine prominente Rolle spielt: Im Jahr 22 n.Chr. ließ – wie der Geschichtsschreiber Tacitus in seinen Annales schildert – der römische Kaiser Tiberius das Asylrecht verschiedener griechischer Städte überprüfen, nachdem es immer häufiger zu Problemen und Missbräuchen gekommen war. Die einzelnen Gemeinden mussten Abordnungen zum Kaiser schicken, welche die Rechtsgrundlagen ihrer Asyle offen zu legen hatten. In diesem Zusammenhang kamen auch Vertreter der Stadt Ephesos nach Rom, die in ihren Ausführungen zur Untermauerung der Ansprüche des Artemisions weit ausholten und Beispiele aus der 66

IvE 18 B: [πολλαὶ γὰρ θεῖαι οἰκίαι ἢ διὰ πυρὸς διεφθαρμέναι ἢ διὰ] |1 συμπτώσεως ἀμόρφως εἰσὶν κατερριμμέναι, τό | τε τῆς Ἀρτέμιδος αὐτῆς ἱερόν, ὃ τῆς ἐπαρχείας | ὅλης ἐστὶν κόσμος καὶ {ὃ} διὰ τὸ τοῦ ἔργου μέγεθος | καὶ διὰ τὴν τοῦ περὶ τὴν θεὸν σεβασμοῦ ἀρχαιόττ |5 καὶ διὰ τὴν τῶν προσόδων ἀφθονίαν τῶν ὑπὸ τοῦ | Σεβαστοῦ ἀποκατασταθεισῶν τῇ θεᾷ, στέρεται | τῶν ἰδίων χρημάτων, ἃ καὶ εἰς ἐπιμέλειαν καὶ εἰς | κόσμον τῶν ἀναθημάτων ἐξαρκεῖν ἐδύ· περισπᾶ|ται γὰρ εἰς τὴν ἄδικον ἐπιθυμίαν τῶν οὕτως τοῦ κοι|10νοῦ προϊσταμένων, ὡς ἑαυτοῖς λυσιτελεῖν νομίζου|σιν· ὁσάκις τε γὰρ ἂν ἀπὸ Ῥώμης ἱλαρωτέρα ἔλθῃ | ἀγγελία, ταύτῃ πρὸς τὸν ἴδιον ἀποχρῶνται πορισ|μὸν τό τε σχῆμα τῆς θείας οἰκίας προκάλυμμα | ποιούμενοι τὰς ἱερωσύνας ὥσπερ ἐν ἀπαρτεί|15ᾳ πιπράσκουσιν καὶ ἐκ παντὸς γένους ἐπὶ τὴν | ὠνὴν αὐτῶν συνκλοῦσιν ἀνθρώπους, εἶτα οὐκ ἐγλέ|γονται τοὺς ἐπιτηδειοτάτους, ὧν ταῖς κεφαλαῖς | ὁ πρέπων ἐπιτεθήσεται στέφανος· προσόδους | [τε ὁρ]ίζουσιν τοῖς ἱερωμένοις, ὅσας ἂν οἱ λαμβάνον|20[τες θε]λήσωσιν, ἵνα ὡς πλεῖστον αὐτοὶ νοσφίζωνται. Übers.: »Viele Gotteshäuser nämlich, entweder durch Feuer zerstört oder durch Einsturz, liegen in hässlichen Trümmern, das Heiligtum aber der Artemis selbst, das der Schmuck der ganzen Provinz ist sowohl durch die Größe des Bauwerks als auch durch das Alter der Verehrung der Göttin und durch den Reichtum seiner Einkünfte, die von Augustus der Göttin wieder gesichert worden waren, wird seines eigenen Vermögens beraubt, das zur Fürsorge für die Weihegeschenke und zu ihrem Schmuck hätte genügen können; denn es wird zur Befriedigung unrechter Bedürfnisse von Leuten verwendet, die ihre führende Stellung im Gemeinwesen so handhaben, wie sie ihrem eigenen Interesse zu nützen glauben; sooft nämlich von Rom eine gnädige Botschaft kommt, missbrauchen sie diese, um sich selbst etwas zu verschaffen, und verkaufen, wobei sie die Würde des Gotteshauses als Tarnung verwenden, die Priesterämter wie auf einer Versteigerung und rufen zu ihrem Kauf Menschen aller Art zusammen, und dann wählen sie auch nicht diejenigen aus, die es am ehesten verdienen, dass man ihnen den Kranz aufs Haupt setzt; und Einkünfte teilen sie den amtierenden Priestern zu, so viele die Empfänger haben wollen, damit sie sich selbst möglichst viel aneignen können.« (Übers. nach H. Wankel) 67 Ulp. fr. 22,6. 68 Vgl. dazu IvE 669; 731; 3076; Neue Inschriften aus Ephesos VIII, ÖJh 53, 1981/1982, Nr. 123.

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antiken Mythologie anführten, die das hohe Alter und die Bedeutung von Heiligtum und Asylie bestätigen sollten: Primi omnium Ephesii adiere, memorantes non, ut vulgus crederet, Dianam atque Apollinem Delo genitos: esse apud se Cenchreum amnem, lucum Ortygiam, ubi Latonam partu gravidam et oleae, quae tum etiam maneat, adnisam edidisse ea numina, deorumque monitu sacratum nemus, atque ipsum illic Apollinem post interfectos Cyclopas Iovis iram vitavisse. mox Liberum patrem, bello victorem, supplicibus Amazonum quae aram insiderant ignovisse. auctam hinc concessu Herculis, cum Lydia poteretur, caerimoniam templo neque Persarum dicione deminutum ius; post Macedonas, dein nos servavisse.69

Die ephesischen Gesandten vor Tiberius erwähnen etwa die lokale Sage, dass Leto, die Geliebte des Zeus, ihre Kinder Artemis und Apollon nicht, wie die bekannteste Version dieses Mythos lautet, auf der Insel Delos zur Welt gebracht habe, sondern in der Nähe von Ephesos.70 Dort lag nämlich der Hain Ortygia, in dem die beiden Götter geboren worden seien, und dort sei noch zur Regierungszeit des Tiberius ein alter Ölbaum gestanden, auf den sich Leto bei der Geburt gestützt habe.71 In diesem Hain Ortygia habe auch der dort geborene Apollon Schutz gesucht, um dem Zorn seines Vaters Zeus zu entgehen.72 Ferner erwähnten die ephesischen Abgesandten die Amazonen, die am Altar der Artemis in Ephesos vor Dionysos Schutz gesucht hätten.73 Diese bei Tacitus überlieferten Traditionen dienten in be69

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Tac. ann. 3,61. Übers.: »Als erste von allen kamen die Ephesier, die daran erinnerten, dass Artemis und Apollo nicht, wie das Volk glaube, auf Delos geboren worden seien: bei ihnen seien der Fluss Cenchreus und der Hain Ortygia, wo die schwangere Leto an einen Ölbaum, der bis zu diesem Zeitpunkt noch stehe, gelehnt diese Gottheiten geboren habe, und auf Geheiß der Götter sei der Hain geheiligt worden, und Apollon selbst sei dort nach der Tötung der Kyklopen dem Zorn des Zeus entgangen. Später habe Liber Pater (=Dionysos), der Sieger im Kampf, den demütig bittenden Amazonen, die sich am Altar niedergelassen hatten, verziehen. Vergrößert sei darauf durch das Zugeständnis des Herakles, als er sich Lydiens bemächtigte, dem Tempel die Heiligkeit (sc. das Asylrecht) worden, und auch unter der Botmäßigkeit der Perser sei das Recht nicht vermindert worden; später hätten es die Makedonen, schließlich wir bewahrt.« Der ephesische Jurist Eubios, ein Anhänger der pythagoreischen Lehren, verfasste in römischer Zeit ein Gedicht auf die Geburt der Artemis (IvE 4328). Dieser Mythos findet sich auch in Strabons in augusteisch-tiberischer Zeit verfassten Geographika (14,1,20 C639f.) vermehrt um die Nachricht, dass auf dem dortigen Solmissos-Gebirge die Kureten gestanden seien, die mit ihren Waffen soviel Lärm gemacht haben sollen, dass die eifersüchtige Hera die Geburt der göttlichen Kinder nicht bemerkte. Diese Nachricht bezieht sich auf folgende Überlieferung: der Arzt Asklepios, der Sohn des Apollon, wurde, nachdem er einen Menschen vom Tode auferweckt hatte, von Zeus durch einen Blitz erschlagen. Aus Zorn darüber tötete Apollon die Kyklopen, welche die Blitze für den Göttervater Zeus herstellten. Nach dieser Tat flüchtete sich Apollon – den ephesischen Abgesandten bei Tacitus zufolge – in das Asyl des heiligen Hains von Ortygia. Die Fürsprache seiner Mutter Leto hielt schließlich Zeus von einer schlimmeren Rache für dieses Vergehen ab. Apollon musste allerdings als Buße für die Tötung der Kyklopen anschließend als Rinderhirte dem sterblichen Admetos dienen. Zur Tötung der Kyklopen durch Apollon vgl. auch Diod. 4,71,3; Apollod. 3,10,4; Serv. Aen. 6,398. Die Variante der Geschichte, dass Apollon bei Ephesos Schutz vor dem Zorn seines Vaters gesucht habe, ist allerdings nur bei Tacitus überliefert. Welcher Mythos hinter dieser Nachricht steckt, ist unklar. Von einem Kampf zwischen Dionysos und den Amazonen ist im 40. Buch der Dionysiaka des Nonnos von Panopolis (5. Jh. n.Chr.) die Rede. Ob man dies freilich mit der Suche der kriegerischen Frauen nach Schutz in Ephesos in Verbindung bringen kann, muss offen bleiben. Die schutzflehenden Amazonen begegnen auch bei Pausanias, welcher auf die bekanntere Geschichte von der Flucht der Amazonen vor Herakles anspielt und gleichzeitig die Überlieferung von der Gründung des Heiligtums durch die kriegerischen

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sonderer Weise der Legitimation und Bestätigung des hohen Alters des ephesischen Asylrechts. Wie weit dieses zeitlich tatsächlich zurückreicht, ist unklar.74 Ab hellenistischer Zeit ist es jedenfalls gut bezeugt: aus dem 2. Jh. v.Chr. stammt eine Inschrift, in der – in durchaus plausibler Ergänzung – vom ephesischen Asyl die Rede ist.75 Die Grenzen des Asylbereiches waren dabei nicht unbedingt mit den Grenzen des Temenos der Artemis identisch. Strabon (14,1,23 C641) skizziert knapp einige Veränderungen in der Ausdehnung der Asylie: Alexander soll die Freistätte auf ein Stadion um das Heiligtum ausgedehnt haben, Mithridates VI. habe die Ausdehnung des Asyls durch einen Pfeilschuss vom Dach des Tempels noch einmal vergrößert, und der Triumvir Marcus Antonius habe diese Weite noch einmal verdoppelt, wodurch auch Teile der Stadt in den Bereich des Asyls kamen, ehe Augustus diese Regelung wieder aufgehoben habe. Kurz danach erfolgte die schon erwähnte tiberische Überprüfung und Bestätigung des Asylrechts,76 das offenbar bestand, solange das Heiligtum existierte.77 Spätrepublikanische Inschriften aus Sardeis sowie Aphrodisias zeigen, dass das ephesische Asylrecht in römischer Zeit beispielhaft war.78 Politische 73

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Frauen verwirft. Vielmehr betrachtet der Perieget einen Einheimischen namens Koressos und einen eponymen Ephesos, einen Sohn des Flusses Kaÿstros, als die Gründer des Artemisions (Paus. 7,2,7). Schließlich nennt das Etymologicum Magnum, ein wohl im 12. Jh. kompiliertes byzantinisches Lexikon, den athenischen Heros Theseus als Verfolger der Frauen (s.v. Ἔφεσος). Die bekannte Anekdote um die Weihung der Stadt Ephesos an das Artemision angesichts der lydischen Bedrohung könnte auf eine allgemeine Anerkennung des Asyls bereits im 6. Jh. v.Chr. hindeuten: Hdt. 1,26; Ail. var. 3,26; Polyain. 6,50. IvE 1520: τὸ τέμενος τῆς Ἀ[ρτέμιδος ἄσυλον] | πᾶν ὅσον ἔσω π[εριβόλου· ὃς δ’ ἂν] | παραβαίνηι, αὐτὸς [αὐτὸν αἰτιάσεται]. Übers.: »Der gesamte Temenos der Artemis, so weit er sich innerhalb der Umfassungsmauer befindet, ist unverletzlich; sollte sich jemand gegen ihn versündigen, wird er dafür zur Verantwortung gezogen werden.« Die hier erwähnte Umfassungsmauer des Temenos ist im Jahr 6/5 v.Chr. von Augustus wieder hergestellt worden (IvE 1522), zu einer erneuten Wiederherstellung kam es unter Titus (IvE 412). Die Probleme mit dem Asylrecht wurden aber nicht dauerhaft beseitigt, denn im 65. der dem Philosophen und Wundertäter Apollonios von Tyana (1./2.Jh. n.Chr.) zugeschriebenen Briefe, der an die Ephesier gerichtet ist, heißt es: Ἔθος ὑμῖν ἅπαν ἁγιστείας, ἔθος δὲ βασιλικῆς τιμῆς. τἄλλ’ ὑμεῖς ἑστιάτορες μὲν καὶ δαιτυμόνες οὐ μεμπτοί, μεμπτοὶ δὲ σύνοικοι τῇ θεῷ νύκτας τε καὶ ἡμέρας, ἢ οὐκ ἂν ὁ κλέπτης τε καὶ λῃστὴς καὶ ἀνδραποδιστὴς καὶ πᾶς, εἴ τις ἄδικος ἢ ἱερόσυλος, ἦν ὁρμώμενος αὐτόθεν· τὸ γὰρ (ἱερὸν) τῶν ἀποστερούντων μυχός ἐστιν. Übers.: »Ihr seid vertraut mit jedem Brauch des Kultes und der königlichen Wertschätzung. Auch wenn ihr keine tadelnswerten Gastgeber und Zecher seid, so seid ihr aber doch tadelnswerte Hausgenossen der Göttin bei Nacht und bei Tag, denn sonst würden nicht der Dieb und der Räuber und der Menschenräuber und jeder, wenn er ungerecht oder ein Tempelräuber ist, von dieser Stelle aufbrechen; denn das Heiligtum ist ein Schlupfwinkel von Räubern geworden.« Andererseits heißt es im Roman Leukippe und Kleitophon des Achilleus Tatios (8,8,9): δεδεμένον δὲ οὐδένα λέλυκεν ἡ θεός, οὐδὲ θανάτῳ παραδοθέντα ἠλευθέρωσε τῆς τιμωρίας. τῶν δυστυχούντων εἰσίν, οὐ τῶν ἀδικούντων οἱ βωμοί. Übers.: »Keinem Gefangenen hat die Göttin je die Fesseln gelöst, und keinen zum Tode Verurteilten von seiner Strafe freigesprochen. Die Altäre sind für die Unglücklichen, nicht für die Ungerechten.« Ephesische Provinzialprägungen des 1. bis 3. Jh. n.Chr. tragen jedenfalls die Legenden Ἄρτεμις Ἐφεσία ἄσυλος bzw. Ἄρτεμις ἄσυλος. Vgl. Karwiese 1970, 331f. Sardeis (SEG 39, 1290, Z. 45ff.): τὸ ἱερὸν Ἀρτέμιδος Σαρδια|νῆς … ἄσυλον εἶναι τ[αύτῶ]ι δικαίωι ὧι κα[ὶ] | τὸ τῆς Ἐφεσίας Ἀρτέμι[δός ἐσ]τιν. Übers.: »Das Heiligtum der Artemis von Sardeis … soll die Asylie haben mit dem gleichen Rechtsstatus wie das Heiligtum der Artemis von Ephesos.« Vgl. zu dieser Inschrift Herrmann 1989. Aphrodisias (Reynolds 1982, Nr. 8, Z. 55ff.): ἐκεῖνο τὸ ἱερόν, ἐκεῖνο τὸ τέμε|νος ἄσυλον [ἔ]στω τούτῳ τῷ δικαίῳ, ταύτῃ τε δισιδαιμονίᾳ ᾧ δικαίῳ καὶ ᾗ δεισιδαιμονίᾳ τὸ ἱερὸν εἴτε καὶ τέμενος Ἀρ|τέμιδος Ἐ[φε]σίας ἐστὶν ἐν Ἐφέσῳ. Übers.: »Jenes

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Flüchtlinge79 fanden hier genauso Aufnahme wie Schuldner80 oder entlaufene Sklaven.81 Immer wieder berichten die Quellen aber auch von Verletzungen des Asylrechts in Ephesos: Bereits für das frühe 6. Jh. v.Chr. weiß die Überlieferung vom Frevel des ephesischen Tyrannen Pythagoras zu berichten.82 Ιm 4. Jh. v.Chr. wurden bei der Ankunft Alexanders d.Gr. die Angehörigen der Familie des Syrphax, der mit persischer Hilfe eine oligarchische Herrschaft über Ephesos errichtet und sich auch an den Schätzen des Artemisions vergriffen hatte, aus dem Heiligtum, in das sie sich geflüchtet hatten, geholt und vom aufgebrachten Mob gesteinigt (Arr. an. 1,17,11f.). Knapp hundert Jahre später wurde Ptolemaios Andromachos, wohl ein illegitimer Sohn des Ptolemaios II. Philadelphos,83 der das ptolemäische Oberkommando in der Ägäis innehatte, kurz nachdem er im Jahr 246 v.Chr. Ephesos wieder für das Ptolemäerreich zurückerobert hatte, gemeinsam mit seiner Geliebten Eirene von seinen eigenen thrakischen Söldnern im Artemision getötet (Athen. 13,64,593ab). Als ein besonders schwarzer Moment in der Geschichte sowohl der Stadt Ephesos als auch des Artemisions kann schließlich der Tag der sogenannten Ephesischen Vesper gelten. Als der pontische König Mithridates VI. im Jahr 89 v.Chr. in die römische Provinz Asia einfiel, schlossen sich ihm – neben den Bewohnern anderer Städte – auch die Ephesier an. Nicht zuletzt aufgrund der Ausbeutung der Provinz durch die römischen Steuerpächter (publicani) hatte sich großer Hass auf die römischen Oberherren aufgestaut, der sich 88 v.Chr. in einem fürchterlichen Blutbad, dem mehr als 80.000 Römer und Italiker zum Opfer fielen, entlud. Appian berichtet, dass in Ephesos auch diejenigen ermordet wurden, die sich in das Asyl des Artemisions geflüchtet hatten (App. Mithr. 22f. [85ff.]).84 Die78

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Heiligtum, jenes Temenos soll ein Asyl sein mit dem gleichen Recht und der gleichen Gottesfurcht wie es mit Recht und Gottesfurcht auch das Heiligtum und das Temenos der Artemis von Ephesos in Ephesos ist.« Warum das ephesische Asylrecht einen Präzedenzfall darstellt, ist unklar; vielleicht ist dies damit zu erklären, dass das ephesische Artemision nach den Ereignissen des Jahres 88 v.Chr. durch Caesar bzw. Servilius Isauricus als erstes Heiligtum Kleinasiens seine Asylie zurückerlangt hat. So flohen hierher einige der Verlierer der Schlacht von Philippi (42 v.Chr.), die – mit zwei Ausnahmen – von Marcus Antonius schließlich auch begnadigt wurden (App. civ. 5,1,4). Vgl. Plut., De vitando aere alieno 828D. Vgl. Plut., Alexandros 42 (Alexander d.Gr. soll den Megabyzos gebeten haben, einen entlaufenen Sklaven aus dem Asyl des Heiligtums zu locken und festzunehmen); Cic. Verr. 2,1,85 (Marcus Aurelius Scaurus wurde mit Gewalt daran gehindert, seinen entflohenen Sklaven aus dem Heiligtum herauszuholen). Achilleus Tatios berichtet in seinem Roman (7,13,3), wie im Heiligtum mit Sklavinnen verfahren wurde, die ihren Herrn anklagen wollten: ταύτην δὲ ἐξῆν ἱκετεύειν τὴν θεόν, οἱ δὲ ἄρχοντες ἐδίκαζον αὐτῇ τε καὶ τῷ δεσπότῃ. καὶ εἰ μὲν ὁ δεσπότης οὐδὲν ἔτυχεν ἀδικῶν, αὖθις τὴν θεράπαιναν ἐλάμβανεν, ὀμόσας μὴ μνησικακήσειν τῆς καταφυγῆς· εἰ δὲ ἔδοξε τὴν θεράπαιναν δίκαια λέγειν, ἔμενεν αὐτοῦ δούλη τῇ θεῷ. Übers.: »Einer solchen war es erlaubt, bei der Göttin Zuflucht zu suchen, und die Archonten richteten über sie und ihren Herren. Und wenn der Herr kein Unrecht begangen hatte, nahm er die Sklavin wieder auf, und er schwor, die Flucht nicht nachzutragen; wenn die Sklavin aber berechtigte Beschwerden vorbrachte, blieb sie dort als Sklavin der Gottheit.« Vgl. dazu oben Anm. 42. Der in Ephesos ermordete Kommandant ist allerdings – entgegen einer häufig vorgebrachten Ansicht – nicht mit Ptolemaios (genannt ›der Sohn‹) gleichzusetzen, der – ehe er gegen seinen Vater revoltierte – von 265 bis 259 v.Chr. Mitregent des Ptolemaios II. Philadelphos gewesen war. Vgl. dazu auch App. Mithr. 62 (256f.). Einer von diesen mag der schwerreiche Römerfreund Chairemon von Nysa gewesen sein, der sich – wie aus einem Schreiben des Mithridates an seinen

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se Greueltaten zogen ein strenges römisches Strafgericht nach sich. Ephesos, das besonders hart bestraft wurde,85 hatte zusammen mit den anderen ionischen Städten hohe Reparationsbeiträge zu leisten. Es verlor wohl seine politische Freiheit, und dem Artemision wurde vermutlich das Asylrecht entzogen; beides wurde wahrscheinlich erst durch Caesar bzw. dessen Statthalter P. Servilius Isauricus zurückerstattet. Kurz darauf soll es erneut zu einem politischen Mord im Artemision gekommen sein, der hier als letztes Beispiel angeführt werden soll. Die – allerdings durchaus widersprüchlichen – Quellen überliefern, dass die ägyptische Herrscherin Kleopatra ihren Geliebten Marcus Antonius dazu brachte, ihre in das Asyl des ephesischen Heiligtums geflohene Schwester Arsinoe IV. zu töten (Ios. ant. Iud. 15,89).86

Kult und Feste Einzelheiten des Kultes der ephesischen Artemis sind trotz seiner Bedeutung nur unzureichend nachvollziehbar. Zwar steht eine Reihe von diesbezüglichen Quellen zur Verfügung, doch beleuchten diese nur schlaglichtartig einzelne Aspekte. Zudem verteilen sie sich zeitlich über mehrere Jahrhunderte, während derer die Verehrung der Göttin in Ephesos sicher wiederholten Veränderungen unterworfen war. Höhepunkte des religiösen Lebens im Artemision stellten die regelmäßig gefeierten Kultfeste87 dar, unter denen die jährlich im Frühjahr (März/April) veranstalteten Artemisia88 wohl die wichtigste Rolle spielten.89 Wie alt dieses Fest ist, kann nicht sicher festgestellt werden. Es besteht jedoch kein Grund, daran zu zweifeln, dass die Tradition der Artemisia bis in die Anfangsjahre des Heiligtums zurückreicht.90 84 85 86

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Satrapen Leonippos (Syll.3 741) hervorgeht – ins Heiligtum der Artemis von Ephesos geflüchtet hat. Vgl. App. Mithr. 61 (252). App. civ. 5,9 (34) berichtet allerdings, dass sich dieser Mord ereignete, als sich Arsinoe als Schutzflehende im Heiligtum der Artemis Leukophryne in Milet aufhielt; hier liegt freilich auf alle Fälle ein Irrtum des Autors vor, denn das Heiligtum der Artemis Leukophryne befand sich nicht in Milet, sondern im nahen Magnesia am Mäander. Cass. Dio 48,24 spricht dagegen nur vom Mord an den Brüdern der Kleopatra, ohne die Schwester zu erwähnen: καὶ ἄλλα τε διὰ τοῦτο πολλὰ καὶ ἄτοπα ἔπραξε, καὶ τοὺς ἀδελφοὺς αὐτῆς ἀπὸ τοῦ ἐν Ἐφέσῳ Ἀρτεμισίου ἀποσπάσας ἀπέκτεινε. Übers.: »Deswegen verübte er noch viele andere ungeheuerliche Dinge, er zerrte ihre (sc. der Kleopatra) Brüder aus dem Artemision in Ephesos und tötete sie.« Vgl. etwa Picard 1922, 312–345. In den Inschriften wird das Fest häufig als τὰ μεγάλα Ἀρτεμίσια bezeichnet. Unter der Regierung des Commodus erfuhren die Artemisia eine Namenserweiterung in Ἀρτεμείσια Κομμόδεια; vgl. dazu TAM II 587. Vgl. dazu Nilsson 1906, 243–247; Lehner 2004, 139–151. Bereits Autokrates, ein Vertreter der älteren attischen Komödie, berichtet von den Tänzen, die anlässlich eines Artemisfestes von lydischen Tänzerinnen vorgeführt wurden (fr. 1 [bei Ail. nat. 12,9]): Αὐτοκράτης ἐν Τυμπανισταῖς: | οἷα παίζουσιν φίλαι | παρθένοι Λυδῶν κόραι | κοῦφα πηδῶσαι κόμαν, | κἀνακρούουσαι χεροῖν, | Ἐφεσίαν παρ’ Ἄρτεμιν | καλλίσταν, καὶ τοῖν ἰσχίοιν | τὸ μὲν κάτω τὸ δ’ αὖ | εἰς ἄνω ἐξαίρουσαι, | οἷα κίγκλος ἅλλεται. Übers.: »Autokrates schreibt in seinen Tympanistai: so tanzen die liebreizenden jungfräulichen Mädchen der Lyder, die behende ihr Haar flattern lassen und mit erhobenen Händen klatschen, zur Artemis von Ephesos, der Schönsten, hin, und indem sie die eine Hüfte senken und die andere wiederum nach oben heben, hüpfen sie wie ein Wasservogel.« Zwar ist hier nicht direkt von den Artemisia die Rede, doch kann durchaus vermutet werden, dass der Umzug der tanzenden Lyderinnen zu diesem Anlass stattgefunden hat. Bierl

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Das Heiligtum und dessen Umgebung wurden an den Artemisia und an den anderen Artemisfesten feierlich mit Kränzen geschmückt. Dafür waren die Priesterinnen zuständig, wie die Inschrift IvE 987 bezeugt, auf der zwei Frauen dafür geehrt werden (Z. 14–18): κ]αταστέψασαν | [τόν τ]ε ναὸν καὶ τὰ πε|[ρὶ αὐτ]ὸν πάντα ἐν ταῖς | [ἐπιφαν]εστάταις τῆς θε|[οῦ ἡμέρ]αις.91 Die Abhaltung eines feierlichen Umzugs, der den Höhepunkt des Festes bildete, ist durch eine Nachricht Plinius d.Ä. (1. Jh. n.Chr.) wohl bereits für das 4. Jh. v.Chr. belegt. Dieser berichtet in seiner Naturalis historia nämlich, dass der berühmte Maler Apelles92 ein Bild dieses vom Megabyzos angeführten Umzugs (pompa) malte: pinxit et megabyzi, sacerdotis Dianae Ephesiae, pompam.93 Die ausführlichste Schilderung dieser pompa, bietet Xenophon von Ephesos (2. Jh. n.Chr.)94 am Beginn seines Romanes Ephesiaka, der die Liebe zwischen dem Mädchen Anthia und dem Jüngling Habrokomes, die einander erstmals bei dieser Prozession begegnen, zum Thema hat: Ἤγετο δὲ τῆς Ἀρτέμιδος ἐπιχώριος ἑορτὴ ἀπὸ τῆς πόλεως ἐπὶ τὸ ἱερόν· στάδιοι δέ εἰσιν ἑπτά· ἔδει δὲ πομπεύειν πάσας τὰς ἐπιχωρίους παρθένους κεκοσμημένας πολυτελῶς καὶ τοὺς ἐφήβους, ὅσοι τὴν αὐτὴν ἡλικίαν εἶχον τῷ Ἁβροκόμῃ. Ἦν δὲ αὐτὸς περὶ τὰ ἓξ καὶ δέκα ἔτη καὶ τῶν ἐφήβων προσήπτετο καὶ ἐν τῇ πομπῇ τὰ πρῶτα ἐφέρετο. Πολὺ δὲ πλῆθος ἐπὶ τὴν θέαν, πολὺ μὲν ἐγχώριον, πολὺ δὲ ξενικόν· καὶ γὰρ ἔθος ἦν ἐκείνῃ τῇ πανηγύρει καὶ νυμφίους ταῖς παρθένοις εὑρίσκεσθαι καὶ γυναῖκας τοῖς ἐφήβοις. Παρῄεσαν δὲ κατὰ στίχον οἱ πομπεύοντες· πρῶτα μὲν τὰ ἱερὰ καὶ δᾷδες καὶ κανᾶ καὶ θυμιάματα· ἐπὶ τούτοις ἵπποι καὶ κύνες καὶ σκεύη κυνηγετικὰ ὧν πολεμικά, τὰ δὲ πλεῖστα εἰρηνικά. ** Ἑκάστη δὲ αὐτῶν οὕτως ὡς πρὸς ἐραστὴν ἐκεκόσμητο … Ὡς 90

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2001, 240 Anm. 369 denkt dagegen an die Epheseia. Diese sind, auch wenn die ältere Forschung fälschlicherweise diese beiden Feste bisweilen gleichgesetzt hat (z.B. Nilsson 1906, 243), deutlich von den Artemisia zu unterscheiden. Bei den Epheseia handelte es sich nämlich ursprünglich nicht um ein Kultfest der Artemis, sondern vielmehr um ein eigentlich mit Poseidon verbundenes Fest des ionischen Koinon, das nach seiner (zeitlich befristeten) Verlegung von Mykale nach Ephesos in der Stadt am Kaÿstros als ephesisches Stadtfest weiter begangen wurde. Vgl. dazu Lehner 2004, 127–138. Vorbild und Aition für den von Autokrates erwähnten Tanz der lydischen Mädchen war jedenfalls der von Kallimachos geschilderte Tanz der Amazonen (vgl. oben). Von den lydischen Mädchen, welche die ephesische Artemis verehren, ist auch im Stück αἱ νεφέλαι (Die Wolken) des attischen Komödienautors Aristophanes, eines Zeitgenossen des Autokrates, die Rede (598–600): ἥ τ’ Ἐφέσου μάκαιρα πάγ|χρυσον ἔχεις οἶκον, ἐν ᾧ κόραι σε Λυ|δῶν μεγάλως σέβουσιν. Übers.: »Selige von Ephesos, du hast einen Tempel aus purem Gold, in welchem die Mädchen der Lyder dich sehr verehren.« Zu den Priesterinnen des Artemisions vgl. Picard 1922, 182–190. Wie Strabon (14,23 C641) kolportiert, mussten diese Jungfrauen sein. Plutarch teilt in seiner Schrift Soll ein Greis politisch tätig sein? (mor. 795E) beiläufig mit, dass jede Priesterin vor Ausübung ihres Amtes erst Novizin war und schließlich, nach ihrer aktiven Zeit, Lehrerin der Novizinnen, und vergleicht dies auch mit den Vestalinnen in Rom. Die Priesterinnen wurden offenbar als μέλισσαι τῆς θεοῦ (›Bienen der Göttin‹) bezeichnet (IvE 2109). Sie wurden über viele Generationen lang von den führenden Familien der Stadt gestellt, wie etwa die Ehreninschrift für Ulpia Euodia Mudiane (IvE 989) verdeutlicht. Apelles stammte zwar aus Kolophon, sein erster Lehrer war aber der Ephesier Ephoros (vgl. Suda s.v. Ἀπελλῆς), und er war viele Jahre in Ephesos tätig. Plin. nat. 35,93. Übers.: »Er (sc. Apelles) malte den Umzug des Megabyzos, des Pristers der Diana (=Artemis) von Ephesos.« Die Herkunft des Autors aus Ephesos ist freilich ungewiss. Sie wird erwähnt in der Suda ξ 50 s.v. Ξενοφῶν, wo Xenophon auch als ἱστορικός bezeichnet und als Verfasser eines Werkes über die Geschichte von Ephesos genannt wird. Beides könnte allerdings aus der Handlung des Romans abgeleitet sein.

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οὖν ἐτετέλεστο ἡ πομπή, ἦλθον δὲ εἰς τὸ ἱερὸν θύσοντες ἅπαν τὸ πλῆθος καὶ ὁ τῆς πομπῆς κόσμος ἐλέλυτο, ᾔεσαν δὲ ἐς ταὐτὸν ἄνδρες καὶ γυναῖκες, ἔφηβοι καὶ παρθένοι.95

Freilich ist diese Schilderung des Festzuges von Mädchen und Knaben, die Opfer, Fackeln, Räucherwerk, diverse Gerätschaften und Tiere mit sich zum Tempel führten, so allgemein gehalten, dass hier kaum spezifisch Ephesisches auszumachen ist.96 Möglicherweise ist dieser Festzug in jener ephesischen Inschrift (ÖJh 55, 1984, 142f., Nr. 4369) gemeint, in der berichtet wird, dass die Mädchen und Knaben den Schmuck der Göttin brachten (Z. 10–12): προσήνενκαν τῇ θεῷ | τὸν κόσμον παῖδες καὶ | παρθένοι. Die wichtigste epigraphische Urkunde zu den Ἀρτεμίσια stellt ein Reskript des proconsul Asiae Caius Popilius Carus Pedo aus dem Jahr 163/4 n.Chr. dar,97 in welchem sich dieser auf ein ψήφισμα des Rates der Stadt bezieht und die Entscheidung seiner Amtsvorgänger bestätigt, die Tage der Ἀρτεμίσια als heilig zu betrachten, und gleichzeitig befiehlt, die gebührende Feiertagsruhe einzuhalten. Es ist anzunehmen, dass es für dieses Edikt einen konkreten Anlass gab, dass also die Feiertagsruhe anscheinend nicht ausreichend beachtet worden war. Wenn die Prokonsuln vor Pedo bereits zu solchen Erlässen genötigt waren, scheint es diesbezüglich bereits wiederholt zu Problemen gekommen zu sein. Es ist dies als ein Indiz dafür gewertet worden, dass Artemis nicht mehr in der gebührenden Weise verehrt wurde, weil ihr Kult (wie auch die anderen traditionellen Götterkulte) im 2. Jh. n.Chr. bereits viel von ihrer Attraktivität verloren hätten. Dem versuchten Rat und Volk von 95

Xen., Ephesiaka 1,2,2–1,2,4; 1,3,1. Übers.: »Es zog gerade der lokale Festzug der Artemis von der Stadt zum Heiligtum; die Entfernung beträgt sieben Stadien. Dorthin mussten alle einheimischen Mädchen aufwendig geschmückt in einer Prozession ziehen und auch die Jünglinge, die dasselbe Alter wie Habrokomes hatten. Dieser war etwa sechzehn Jahre alt, reihte sich unter die Epheben ein und führte den Umzug an. Eine große Menschenmenge, sowohl Einheimische als auch Fremde, waren wegen dieses Spektakels zugegen; denn es war auch Brauch, bei diesem Fest die Bräutigame für die Jungfrauen zu finden und die Frauen für die Jünglinge. Die Teilnehmer am Umzug waren in Reihen aufgestellt: zuerst die Opfer und Fackeln, die Körbe und das Räucherwerk; nach diesen die Pferde und Hunde und Jagdausrüstung, darunter war auch Kriegsgerät, das meiste aber für den Frieden … Jedes der Mädchen war wie für einen Liebhaber geschmückt … Als der Umzug beendet war, kam die ganze Menge in das Heiligtum, um zu opfern, und es löste sich die Ordnung der Prozession auf; es kamen in dieses Männer und Frauen, Knaben und Jungfrauen.« 96 Das gilt selbstverständlich auch für die von Xenophon erwähnte Gepflogenheit, im Rahmen des Artemisfestes Eheverbindungen anzubahnen. 97 IvE 24A: [Γ(άϊος) Πο]πίλλιος Κᾶρος Πέδω[ν] | ἀνθύπατος λέγει· | [ἔ]μαθον ἐκ τοῦ πεμφθέντος [πρός] | με ψηφίσματος ὑπὸ τῆς λαμπροτ[ά]|5της Ἐφεσίων βουλῆς τοὺς πρὸ ἐμ[οῦ] | κρατίστους ἀνθυπάτους ἱε[ρὰς] | νομίσαι τὰς ἡμέρας τῆς π[α]νη[γύρεως] | τῶν Ἀρτε[μισίων] καὶ τοῦτο διατά|γματι δεδηλωκέναι· ὅθεν ἀναγκαῖ|10ον ἡγησάμην καὶ αὐτὸς ἀποβλέ|πων εἴς τε τὴν εὐσέβειαν τῆς θεοῦ | καὶ εἰς τὴν τῆς λαμπροτάτης Ἐφε|σίων πόλεως τειμὴν φανερὸν ποι|15ῆσαι διατάγματι ἔσεσθαι τὰς ἡμέρας | ταύτας ἱερὰς καὶ τὰς ἐπ’ αὐταῖς ἐκε|χειρίας φυλαχθήσεσθαι· προεστῶ|τος τῆς πανηγύρεως | Τίτου Αἰλίου Μαρκιανοῦ Πρίσκου |20 τοῦ ἀγωνοθέτου, ὑοῦ Αἰλίου | Πρίσκου, ἀνδρὸς δοκιμωτάτου καὶ | πάσης τειμῆς καὶ ἀποδοχῆς ἀξίου. Übers.: »Der Prokonsul G. Popillios Karos Pedon gibt bekannt: Ich habe aus dem Beschluss, der mir von dem glanzvollsten Rat der Ephesier übersandt worden war, erfahren, dass die sehr vornehmen Prokonsuln, die vor mir amtierten, die Tage des Festes der Ἀρτεμίσια als heilig betrachtet und dieses durch ein Edikt bekannt gemacht haben; ich hielt es daher für notwendig, auch selbst im Hinblick auf die Verehrung der Göttin und auf die Würde der glänzendsten Stadt der Ephesier es durch ein Edikt deutlich zu machen, dass diese Tage heilig sind und dass ihre Feiertagsruhe beachtet werden muss. Herausgegeben, als Titos Ailios Markianos Priskos, der Agonothet, der Sohn des Ailios Priskos, dem Fest vorstand, ein überaus bewährter Mann, der aller Würde und Ehre wert ist.«

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Ephesos offensichtlich durch ein ψήφισμα entgegenzuwirken, durch welches die Feierlichkeiten ausgeweitet werden sollten, und das festlegte, dass zukünftig sogar der ganze Monat Artemision der Göttin heilig sein soll.98 Im Verlauf dieses heiligen Monats kam es, zumindest im 2. Jh. n.Chr. unter der organisatorischen Verantwortung eines Panegyriarchen, zu zahlreichen Feierlichkeiten und Umzügen, bei denen offensichtlich auch ein Abbild der Göttin auf einem Kultwagen (ἀπήνη) mitgeführt wurde.99 Auf Feste im heiligen Monat der Artemis bezieht sich auch die Nachricht des Achilleus Tatios aus Alexandria (2. Jh. n.Chr.), der einen Roman über die Liebe zwischen Leukippe und Kleitophon verfasste, in dem von Ausschweifungen im Rahmen eines Festes für Artemis die Rede ist.100

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IvE 24B Z. 23–34: προσῆκον δὲ εἶναι ἡγούμενος ὁ δῆμος [ὁ] | Ἐφεσίων ὅλον τὸν μῆνα τὸν ἐπώνυμον τοῦ θ[είου] |25 ὀνόματος εἶναι ἱερὸν καὶ ἀνακεῖσθαι τῇ θεῷ | ἐδοκίμασεν διὰ τοῦδε τοῦ ψηφίσματος [διατιθέ]|ναι τὴν περὶ αὐτοῦ θρησκείαν· διὸ δεδόχ[θαι] | [ὅ]λον τὸν μῆνα τὸν Ἀρτεμισιῶνα εἶνα[ι ἱερὸν πάσας] | [τ]ὰς ἡμέρας, ἄγεσθαι δὲ ἐπ’ αὐταῖς μην[ός τε καὶ] |30 [δι’] ἔτους τὰς ἑορτὰς καὶ τὴν τῶν Ἀρτεμ[ισίων πανή]|[γ]υριν καὶ τὰς ἱερομηνίας, ἅτε τοῦ μηνὸς ὅ[λου ἀνακειμέ]|νου τῇ θεῷ· οὕτω γὰρ ἐπὶ τὸ ἄμεινον τῆς [θεοῦ τιμωμέ]|[ν]ης ἡ πόλις ἡμ[ῶν ἐ]νδοξοτέρα τε καὶ εὐδ[αιμονεστέρα] | εἰς τὸ[ν ἅπα]ντα διαμενεῖ χ[ρόνον]. Übers.: »Es beschloss das Volk der Ephesier, dass es gebührend sei, dass der ganze nach dem göttlichen Namen bezeichnete Monat heilig und der Göttin geweiht sein soll, und entschied, durch dieses ψήφισμα den Kult während dieses Monats zu regeln. Deshalb ist beschlossen worden, dass der ganze Monat Artemision heilig sei, und zwar alle Tage, und dass an diesen Tagen des Monats jährlich die Feiern und das Fest der Ἀρτεμίσια und die Feiertage abgehalten werden sollen, da ja der ganze Monat der Göttin geweiht ist; denn so wird durch die bessere Verehrung der Göttin unsere Stadt äußerst berühmt und glücklich bleiben für alle Zeit.« Handelt es sich bei diesem ψήφισμα um jenen Beschluss, der im Edikt des Pedo erwähnt wird? Immerhin befinden sich das ψήφισμα von Rat und Volk der Ephesier sowie das zuvor behandelte Edikt des Prokonsuln auf der linken und rechten Seite derselben Statuenbasis. Dies ist zwar wiederholt vermutet worden, das Edikt des Prokonsuln spricht aber von einer Feiertagsruhe nur für die Festtage der Artemisia und nicht für den ganzen Monat Artemision. Andererseits ist die Datierung des Ediktes des Pedo in den Vorsitz des Agonotheten Titus Aelius Marcianus Priscus, der auf der Vorderseite derselben Basis unter anderem dafür geehrt wird, dass er die Ausdehnung der Feiertagsruhe auf den gesamten Monat Artemision erreichen konnte (IvE 24C), bemerkenswert: ἡ πατρὶς | Τ(ίτον) Αἴλιον Τ(ίτου) υἱὸν Πα[λατίνα] | Μαρκιανὸν Πρίσκο[ν τὸν] | ἀγωνοθέτην καὶ πανη[γυριάρχην] |5 τῶν μεγάλων Ἀρτεμ[ισίων] | [κα]ὶ πρῶτον αὐτῆς ἀ[γαγόντα] | τὴν πανήγυριν κατὰ τέλειο[ν] | καὶ ἐκεχειρίας εἰς ὅλον τὸν | ἐπώνυμον τῆς θεοῦ μῆνα |10 τυχόντα καὶ τὴν Ἀρτεμισι|ακὴν κρίσιν καταστήσαντα | καὶ τὰ θέματα τοῖς ἀγωνισ|ταῖς αὐξήσαντα καὶ ἀνδρι|άντας τῶν νικησάντων |15 ἀναστήσαντα· | τὴν τειμὴν ἀναστήσαντο[ς] | Λ(ουκίου) Φαινίου Φαύστου | τοῦ συνγενοῦς αὐτοῦ. Übers.: »Die Heimatstadt (ehrt) T. Ailios Markianos Priskos, den Sohn des Titos, aus der Tribus Palatina (?), den Agonotheten und Panegyriarchen der großen Ἀρτεμίσια, der auch selbst als erster Mann der Stadt das Fest auf vollkommene Weise veranstaltet hat und die Feiertagruhe für den ganzen nach der Göttin benannten Monat erreicht hat und die ›Artemisklasse‹ eingerichtet hat und die Kampfpreise für die Wettkämpfer vermehrt und Statuen der Sieger aufgestellt hat. Die Ehrung hat L. Phainios Faustos, sein Verwandter, errichten lassen.« 99 Zwar erwähnen die literarischen und epigraphischen Quellen einen solchen Kultwagen nicht, doch lassen Darstellungen auf kaiserzeitlichen Münzen auf seine Verwendung schließen. Vgl. dazu Oster 1990, 1710. Aufgrund von Darstellungen der Artemis mit Fackeln vermutet Knibbe 1995, 153, dass diese Prozessionen hauptsächlich nachts stattgefunden hätten, doch ist diese Annahme keinesfalls zwingend. Der Prozessionsweg war von Altären gesäumt, an denen Kulthandlungen zu Ehren der Göttin vollzogen wurden; vgl. dazu IvE 1207: Ἀρτέ|μιδο[ς] | βωμός. 100 Ach. Tat. 6,3,2: ἦν δὲ τῆς Ἀρτέμιδος ἱερομηνία καὶ μεθυόντων πάντα μεστά, ὥστε καὶ δι’ ὅλης νυκτὸς τὴν ἀγορὰν ἅπασαν κατεῖχε πλῆθος ἀνθρώπων. Übers.: »Es wurde ein Fest für Artemis gefeiert, und alles war voll von Betrunkenen, und daher hatte die ganze Nacht über eine Menschenmenge von der gesamten Agora Besitz ergriffen.« Davon, dass die Stadt Ephesos von – auch unabhängig

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Einen wichtigen Bestandteil des Festes der Artemisia bildeten die Spiele. Ausgetragen wurden dabei gymnische wie musische Agone; belegt sind sowohl Auseinandersetzungen im Boxen, Pankration, im Pentathlon sowie in Laufdisziplinen als auch Wettkämpfe für Enkomiendichter, Schauspieler und Redner.101 Ein weiteres wichtiges Artemisfest in Ephesos war der Geburtstag der Göttin,102 der am 6. Thargelion (Mai/Juni) gefeiert wurde.103 Auch im Zentrum dieses Festes stand offensichtlich eine große Prozession, bei welcher der Schmuck der Göttin (und vermutlich auch ihr Bild) herumgetragen wurden.104 100

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von den Feierlichkeiten für Artemis – diversen Ausschweifungen erfüllt ist, wird auch an verschiedenen anderen Stellen berichtet, so etwa bei Philostr. Ap. 4,2: ὀρχηστῶν γὰρ ἡττημένοι καὶ πρὸς πυρρίχαις αὐτοὶ ὄντες αὐλῶν μὲν πάντα μεστὰ ἦν, μεστὰ δὲ ἀνδρογύνων, μεστὰ δὲ κτύπων· Übers.: »Sie werden beherrscht von Tänzern und sind bei den Waffentänzen und alles ist erfüllt von Auloi, von Eunuchen und von Lärm.« Zum Programm der Artemisia siehe Lehner 2004, 149–151. Der Geburtstag der Artemis bildet vielleicht auch den Hintergrund für das Fest, von dem in den apokryphen Johannes-Akten die Rede ist, auch wenn im Text vielmehr vom Geburtstag des Artemisions gesprochen wird; es wird dort berichtet, wie der Apostel Johannes in Ephesos wegen seiner Missachtung der Bekleidungsvorschriften beinahe von den Verehrern der Göttin getötet worden wäre (Acta Ioh. 38): Ἦν οὖν μετὰ δύο ἡμέρας ἡ γενέθλιος τοῦ εἰδωλείου. ὁ οὖν Ἰωάννης πάντων λευκοφορούντων μόνος ἐνδυσάμενος μέλανα ἀνῄει εἰς τὸν ναόν· οἳ δὲ συλλαβόμενοι αὐτὸν ἀνελεῖν ἐπειρῶντο. Übers.: »Es war nun nach zwei Tagen der Geburtstag des Hauses des Götzenbildes. Während also alle weiß gekleidet waren, hatte sich Johannes als einziger schwarze Kleidung angezogen und ging zum Tempel hinauf; und sie ergriffen ihn und wollten ihn töten.« Der Apostel wandte sich dann in einer flammenden Rede an die versammelten Menschen und rief Gott an, worauf der Altar der Göttin zerbarst, die Weihegeschenke und Götterbilder umstürzten und das halbe Artemision einstürzte (Acta Ioh. 42); das ist freilich nur fromme Legende, von einer Zerstörung des Artemisions zur Zeit des Johannes ist nichts bekannt. Ein interessantes Detail stellt die in den Johannesakten erwähnte weiße Kleidung der Artemisanhänger dar. Dass es üblich war, an den Festtagen der Göttin weiße Kleidung anzulegen, wird nämlich etwa durch die Inschrift IvE 907 bestätigt, wo von χρυσοφόροι, die weiße Kleidung trugen (οἵδε ἐλευ[κοφόρησαν]), die Rede ist. Vgl. auch IvE 27G (dazu in Anm. 104 unten). Zu den Johannesakten als Quelle für die ephesische Kulturgeschichte vgl. Engelmann 1994. In einer Inschrift (ÖJh 59, 1989, 171–174, Nr. 6) wird C. Iulius Lupus, ἱεροκήρυξ der Artemis, dafür geehrt, dass er Ölspenden zu Ehren des Geburtstages der Göttin auf eigene Kosten ausgab. Der Ritter Caius Vibius Salutaris bestimmte in seiner berühmten Stiftung (IvE 27) die Auszahlung festgesetzter Geldbeträge zur Feier des Geburtstages der Artemis an bestimmte Empfängergruppen. Dafür war anscheinend der Verein der χρυσοφόροι zuständig (vgl. etwa IvE 991). Dieser Verein, der vor der Stadt (πρὸ πόλεως), wohl im Heiligtum der Artemis, seinen Sitz hatte, bestand offenbar aus Priestern und Siegern in heiligen Agonen (ἱερεῖς καὶ ἱερονεῖκαι), wie beispielsweise aus einer Ehrung dieses Kollegiums für Kaiser Hadrian deutlich wird (IvE 276), wo Z. 7–11von den οἱ τὸν | [χρύ]σεον κόσμον βαστά|[ζον]τες τῆς μεγάλης θεᾶς |10 [Ἀρτέ]μιδος πρὸ πόλεως ἱερεῖς | [καὶ] ἱερονεῖκαι die Rede ist. Eine Reihe von Problemen bleibt freilich bei der Interpretation dieses Textes, so etwa die Frage, ob sich das Partizip βαστάζοντες (bzw. χρυσοφοροῦντες in anderen Inschriften) sowohl auf die Priester als auch auf die Hieroniken bezieht, oder ob mit den Hieroniken Sieger in allen heiligen Agonen oder nur in speziellen Wettkämpfen gemeint sind. Man könnte etwa an die ephesischen Artemisia oder andere heilige Agone in der Stadt am Kaÿstros denken; auffällig ist, dass Marcus Antonius Artemidorus, der für das Zustandkommen des hier vorgestellten Beschlusses zuständig war, nicht nur als Priester, sondern auch als Sieger in pythischen Spielen bezeichnet wird. Völlig unklar ist des Weiteren, was von einem auf IvE 650 erwähnten Agonotheten der Priester und Hieroniken bzw. dem auf IvE 889 und IvE 1618 verzeichneten Agonotheten der χρυσοφόροι zu halten ist. Interssant ist in diesem Zusammenhang die Anordnung im Zuge der Stiftung des C. Vibius Salutaris, dass die χρυσοφόροι, welche die von ihm gestifteten Statuen an-

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Mit dem Fest anlässlich des Geburtstags der Göttin standen auch Feierlichkeiten an ihrem bereits oben erwähnten mythischen Geburtsort, dem Hain Ortygia, in Zusammenhang, wie Strabon berichtet: πανήγυρις δ’ ἐνταῦθα συντελεῖται κατ’ ἔτος, ἔθει δέ τινι οἱ νέοι φιλοκαλοῦσι μάλιστα περὶ τὰς ἐνταῦθα εὐωχίας λαμπρυνόμενοι· τότε δὲ καὶ τῶν Κουρήτων ἀρχεῖον συνάγει συμπόσια καί τινας μυστικὰς θυσίας ἐπιτελεῖ.105

Aus einem Fragment aus den Iamben des Kallimachos hat man auf die Unsitte der Teilnehmer an diesem Fest gefolgert, vom heiligen Ölbaum in Ortygia, auf den sich Leto nach der Geburt der göttlichen Zwillinge gestützt haben soll, Rindenstücke abzukratzen und als Souvenir mitzunehmen: τοῦδ’ οὕνεκ’ οὐδὲν πῖον, ἀ[λλὰ] λιμηρά ἕκαστος ἄκροις δακτύλοις ἀποκνίζει, ὡς τῆς ἐλαίης, ἣ ἀνέπαυσε τὴν Λητώ.106

Freilich ist diese Stelle nur als ein vager Hinweis auf eine solche Praxis zu werten. Auch ob sich der genannte Ölbaum wirklich im Territorium von Ephesos befand, muss fraglich bleiben. Zwar ist in den folgenden Versen des Iambos von der Metropole am Kaÿstros die Rede, den heiligen Ölbaum nennt Kallimachos sonst aber – entsprechend der gängigeren Überlieferung – nur für das Apollonheiligtum von Delos.107 Möglicherweise im Rahmen der Geburtstagsfeierlichkeiten für Artemis fand eine Prozession statt, bei der das Bild der Artemis von Jungfrauen und Jünglingen zu einer Daitis (›Mahlzeit‹) genannten Wiese gebracht und dort mit Salz und Eppich bewirtet wurde:

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lässlich des Geburtstages der Artemis und anderer Festlichkeiten zum Theater und wieder zurück begleiteten, im Theater einen Ehrensitz erhalten und weiße Gewänder tragen sollten (IvE 27G). Die Toposinschrift IvE 546 bezeichnet die χρυσοφόροι entsprechend auch als εἰκονοφόροι ›Träger des Kultbildes‹. Vgl. zu den χρυσοφόροι etwa Picard 1922, 242–246. 105 Strab. 14,1,20 C640. Übers.: »Ein Fest findet dort alljährlich statt, bei dem es Brauch ist, dass die jungen Männer besonders danach streben, bei den dort stattfindenden Banketten zu glänzen; dann veranstaltet auch der Verein der Kureten Gastmähler und verrichtet gewisse geheime Opferriten.« Zu den Kureten vgl. Knibbe 1981, 70–92. Die »geheimen Opferriten« waren Teil der Artemismysterien, die in einigen Inschriften auftauchen, über die man aber wenig Genaues weiß. In der Inschrift IvE 3059 wird eine Priesterin wegen ihrer Verdienste um die Artemismysterien geehrt: [— ἱέρειαν τῆς Ἀρτέ]|μιδος, ἱερατεύσασαν | εὐσεβῶς καὶ κοσμίως, | ἀνανεωσαμένην πάντα | τὰ μυστήρια τῆς θεοῦ | καὶ καταστήσασαν τῷ | ἀρχαίῳ ἔθει. Übers.: »[Aurelia], die Priesterin der Artemis, erfüllte ihr Priesteramt fromm und ordentlich, sie erneuerte alle Mysterien der Göttin und hat sie gemäß dem alten Brauch eingerichtet«. Es ist dieser Formulierung zu entnehmen, dass die zu einem unbekannten Zeitpunkt gegründeten Artemismysterien offenbar für einige Zeit in Vergessenheit geraten oder zumindest nicht ordentlich begangen worden waren, ehe diese Priesterin die Angelegenheiten im 3. Jh. n.Chr. wieder gemäß den alten Sitten regelte. Diese Mysterien werden außerdem in der Ehreninschrift IvE 987 und 988 erwähnt, in der es von den Priesterinnen Vipsania Olympias und Vipsania Polla heißt, dass sie diese geziemend feierten: ἱερατεύ|[σασαν] τῆς Ἀρτέμιδος | [ἱεροπρε]πῶς τά τε μυσ|[τήρια]. Außerdem werden beide Priesterinnen dafür geehrt, dass sie an den Festtagen den Tempel und seine Umgebung mit Kränzen schmückten. 106 Kall., Iambos 13,60–62 (fr. 203 Pfeiffer=164 Asper). Übers.: »Und deswegen kratzt jeder nichts Fettes, sondern Mageres mit spitzen Fingern ab, wie vom Ölbaum, der Leto Rast geboten hat.« 107 Kall. h. 4,322f.; Iambos 4,83f. (fr. 194 Pfeiffer=154 Asper).

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Δαιτίς· Τόπος ἐν Ἐφέσῳ. Εἴρηται ἀπὸ τοιαύτης αἰτίας. Κλυμένη θυγάτηρ βασιλέως μετὰ κορῶν τε καὶ ἐφήβων εἰς τὸν τόπον τοῦτον παραγενομένη, ἔχουσα δὲ καὶ ἄγαλμα Ἀρτέμιδος, μετὰ τὴν ἐκ τοῦ λειμῶνος παιδιὰν καὶ τέρψιν, ἔφη δεῖν τὴν θεὸν εὐωχεῖσθαι. Καὶ αἱ μὲν σέλινα καὶ ἄλλα τινὰ συνάγουσαι, ἀνέκλιναν· οἱ δὲ ἔφηβοι, ἐκ τῶν πλησίον ἁλοπηγίων ἅλας λαβόντες, παρέθηκαν τῇ θεῷ ἀντὶ δαιτός. Τῷ δ’ ἑξῆς ἐνιαυτῷ μὴ τούτου γενομένου, μῆνις τῆς θεοῦ καὶ λοιμὸς κατέλαβε, καὶ κόραι καὶ νέοι διεφθείροντο· χρησμὸς οὖν ἐδόθη, δι’ οὗ ἐξηυμενίσαντο τὴν θεὸν, καὶ δαῖτας αὐτῇ ἐπετέλεσαν, κατὰ τὸν τῶν κορῶν καὶ τῶν ἐφήβων τρόπον. Καὶ ἐκ τοῦ συμβάντος παυσαμένου τοῦ λοιμοῦ, ἥ τε θεὸς καὶ ὁ τόπος ἀπὸ τῆς δαιτὸς Δαιτὶς προσηγορεύθη.108

Diese Legende kann mit einiger Wahrscheinlichkeit mit der δειπνοφοριακὴ πομπή, die auf IvE 1577 (a) erwähnt wird, in Verbindung gebracht werden. Auch die Salz- und Eppichträger der Inschrift IvE 14 kann man mit diesem Umzug verbinden.109 Doch nicht nur im Rahmen der großen Feste, sondern das ganze Jahr über vermochten das Heiligtum und seine Herrin eine Vielzahl von Pilgern110 anzulocken, die hier an Zeremonien und Festen teilnahmen, Opfer darbrachten und ihre Bitten an die Gottheit richteten. Über diese Menschen selbst ist uns nichts bekannt, doch kennen wir zumindest einige Vorschriften, die den Besuch des Heiligtums reglementierten. Achilleus Tatios kolportiert, dass der Artemistempel von freien, verheirateten Frauen nicht betreten werden durfte, sondern nur Männern, Jungfrauen und Schutz suchenden Sklavinnen offen stand: τὸ δὲ παλαιὸν ἄβατος ἦν γυναιξὶν ἐλευθέραις οὗτος ὁ νεώς, ἀνδράσι δὲ ἐπετέτραπτο καὶ παρθένοις. εἰ δέ τις εἴσω παρῆλθε γυνή, θάνατος ἦν ἡ δίκη, πλὴν εἰ μὴ δούλη τις ἦν ἐγκαλοῦσα τῷ δεσπότῃ.111

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Etym.m. s.v. Δαιτίς. Übers.: »Daitis: Ein Ort in Ephesos. Der Name hat folgenden Ursprung: Klymene, die Tochter des Königs, die mit Mädchen und Knaben zu diesem Ort gekommen war und eine Statue der Artemis bei sich hatte, sagte nach Spiel und Spaß auf der Wiese, dass die Göttin nun gut bewirtet werden müsse. Und die Mädchen sammelten Eppich und andere Dinge und legten sie nieder; die Knaben aber holten aus den nahe gelegenen Salinen Salz und setzten es der Göttin als Mahl vor. Als im nächsten Jahr dies nicht geschah, zürnte die Göttin, und es brach eine Seuche aus, und sowohl Mädchen als auch jungen Männer starben; ein Orakelspruch wurde gegeben, wie sie die Göttin wieder gnädig stimmen könnten, und sie bereiteten ihr Festmahle nach der Art der Mädchen und Jungen. Und als aufgrund dieses Ereignisses die Seuche aufgehört hatte, wurden die Göttin und der Ort nach dem Festmahl Daitis genannt.« 109 Der Musiker (μολπός), der Gewandträger (σπειροφόρος) und der Schmuckträger (κοσμοφόρος), die in derselben Inschrift erwähnt werden, müssen dagegen nicht unbedingt mit dieser Prozession zu tun haben, sondern können auch in einer anderen πομπή ihren Platz gefunden haben. 110 Auf andere Besucher kann hier nur kurz verwiesen werden. So wurden etwa Beamte und Bürger aber auch Gäste der Stadt regelmäßig von der Göttin reichlich bewirtet. Verantwortlich für diese Ausspeisungen waren die sogenannten ἐσσῆνες (›Bienenkönige‹), ein Zweierkollegium, das unter Beachtung altertümlicher Regeln im Heiligtum lebte (vgl. Paus. 8,13,1). Zu den Pflichten der Essenes gehörte auch die Durchführung des rätselhaften Rituals der Esseneiai und zweier Nachtwachen pro Monat, die Aufnahme von Neubürgern oder die Durchführung spezieller Opfer. Bestellt wurden diese Amtsträger aus dem Kollegium der νεωποιαί (›Tempelbaumeister‹), die von den Phylen der Stadt gestellt wurden. Vgl. zu νεωποιαί und ἐσσῆνες etwa Picard 1922, 190–197, Engelmann 2001, 37f. oder Bremmer 2008. 111 Ach. Tat. 7,13,2f. Übers.: »Von alters her durften freie Frauen den Tempel nicht betreten, erlaubt war es Männern und Jungfrauen. Wenn aber eine verheiratete Frau hineinkam, war der Tod von Rechts wegen die Strafe, außer es handelte sich um eine Sklavin, die den Herrn anklagte.«

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In gleicher Weise überliefert der Traumdeuter Artemidoros,112 der aus Ephesos stammte, Folgendes: γυνὴ ἔδοξεν εἰς τὸν ναὸν ἢ οἶκον τῆς Ἀρτέμιδος τῆς Ἐφεσίας εἰσελθοῦσα δειπνεῖν. ἡ δὲ οὐκ εἰς μακρὰν ἀπέθανε· θάνατος γὰρ ἡ ζημία τῇ εἰσελθούσῃ ἐκεῖ γυναικί. ἑταίρα ἔδοξεν εἰς τὸ τῆς Ἀρτέμιδος ἱερὸν εἰσεληλυθέναι καὶ ἠλευθερώθη καὶ κατέλυσε τὴν ἑταιρείαν· οὐδὲ γὰρ εἰς τὸ ἱερὸν πρότερον εἰσέλθοι ἄν, εἰ μὴ καταλύσειε τὴν ἑταιρείαν.113

Hier muss genau zwischen den verwendeten Begriffen ναός bzw. οἶκος und ἱερόν unterschieden werden: Verheirateten Frauen war nicht das Betreten des Heiligtums, sondern aufs Strengste das Betreten des Tempels verboten. Hetären dagegen durften aufgrund des Gewerbes, das sie ausübten, den gesamten Heiligtumsbereich nicht betreten. Wer das Heiligtum besuchte, deckte bei den örtlichen Händlern auch seinen Bedarf an Andachtsbildern und Devotionalien,114 wovon eine der bekanntesten Episoden, die uns die antike Literatur über das ephesische Artemision überliefert, kündet. Es handelt sich um die Geschichte des Aufruhrs, den das Wirken des Paulus unter den Silberschmieden in Ephesos entfachte. Wohl im Jahr 52 n.Chr. kam der Apostel, den man als den eigentlichen Begründer des Christentums ansehen kann, auf seiner sogenannten 3. Missionsreise nach Ephesos. Zunächst predigte er in der örtlichen Synagoge, als sich dort Widerstand gegen seine Lehren regte, setzte er seine Tätigkeit sehr erfolgreich in der σχολή des ansonsten unbekannten Rhetors und Philosophen Tyrannos fort. Paulus befand sich schon seit mehr als zwei Jahren in der der Stadt am Kaÿstros und plante bereits seine Weiterreise nach Makedonien und Griechenland, als sich jener Vorfall ereignete, über den die Apostelgeschichte des Lukas berichtet: Δημήτριος γάρ τις ὀνόματι, ἀργυροκόπος, ποιῶν ναοὺς ἀργυροῦς Ἀρτέμιδος παρείχετο τοῖς τεχνίταις οὐκ ὀλίγην ἐργασίαν, οὓς συναθροίσας καὶ τοὺς περὶ τὰ τοιαῦτα ἐργάτας εἶπεν, Ἄνδρες, ἐπίστασθε ὅτι ἐκ ταύτης τῆς ἐργασίας ἡ εὐπορία ἡμῖν ἐστιν, καὶ θεωρεῖτε καὶ ἀκούετε ὅτι οὐ μόνον Ἐφέσου ἀλλὰ σχεδὸν πάσης τῆς Ἀσίας ὁ Παῦλος οὗτος πείσας μετέστησεν ἱκανὸν ὄχλον, λέγων ὅτι οὐκ εἰσὶν θεοὶ οἱ διὰ χειρῶν γινόμενοι. οὐ μόνον δὲ τοῦτο κινδυνεύει ἡμῖν τὸ μέρος εἰς ἀπελεγμὸν ἐλθεῖν, ἀλλὰ καὶ τὸ τῆς μεγάλης θεᾶς Ἀρτέμιδος ἱερὸν εἰς οὐθὲν λογισθῆναι, μέλλειν τε καὶ καθαιρεῖσθαι τῆς μεγαλειότητος αὐτῆς, ἣν ὅλη ἡ Ἀσία καὶ ἡ οἰκουμένη σέβεται. Ἀκούσαντες δὲ καὶ γενόμενοι πλήρεις θυμοῦ ἔκραζον λέγοντες, Μεγάλη ἡ Ἄρτεμις Ἐφεσίων.115 112 113

Vgl. dazu Schwabl 1999. Artem. 4,4. Übers.: »Eine verheiratete Frau träumte, sie käme in den Tempel oder den Oikos der Artemis von Ephesos, um dort zu speisen. Nicht lange danach verstarb sie; denn der Tod ist die Strafe für eine verheiratete Frau, die dort hineinkommt. Eine Hetäre träumte, sie sei in das Heiligtum der Artemis gekommen, und sie wurde daraufhin freigelassen und hörte auf, eine Hetäre zu sein; sie könnte nämlich nicht früher in das Heiligtum hineinkommen, als dass sie aufgehört hatte, eine Hetäre zu sein.« 114 Zu den Devotionalien aus Ephesos vgl. auch Künzl, Koeppel 2002, 70–73. 115 Apg 19,24–28. Übers.: »Denn ein gewisser Demetrios, ein Silberschmied, der silberne Tempelchen der Artemis herstellte und den Handwerkern nicht wenig Geschäft verschaffte, versammelte diese und die anderen damit beschäftigten Arbeiter und sagte: ›Männer, ihr wisst, dass von diesem Gewerbe unser Wohlstand herrührt, und ihr seht und hört, dass nicht nur in Ephesos, sondern in fast ganz Asien dieser Paulus eine große Menge verführt und aufgehetzt hat, indem er gesagt hat, dass die mit Händen gefertigten Götter keine Götter seien. Das birgt nicht nur die Gefahr in sich, dass unsere Aufgabe in Verruf gerät, sondern auch dass das Heiligtum der großen Göttin Artemis nichts mehr gelten wird; ihr, die in ganz Asien und auf der ganzen Welt verehrt wird, ist es bestimmt, ihre

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Wie es im Bibeltext weiter heißt, geriet die ganze Stadt daraufhin in Aufruhr, und der aufgebrachte Mob ergriff zwei Mitarbeiter des Paulus, die Makedonier Gaios und Aristarchos, und schleppte diese mit sich ins Theater. Paulus selbst, der ebenfalls ins Theater gehen wollte, wurde von seinen Anhängern sowie von ephesischen Beamten davon abgehalten.116 Einen Juden namens Alexandros, der vor der tobenden Masse die beiden Christen verteidigen wollte, ließ man nicht zu Wort kommen. Erst nachdem die wütende Μenge zwei Stunden lang ihren Ruf »Groß ist die Artemis der Ephesier!« hatte erschallen lassen, konnte der γραμματεύς, der Stadtsekretär, die Versammlung beruhigen und schließlich auflösen. Dieser Text führt uns eine frühe Auseinandersetzung der Heiden mit dem aufkommenden christlichen Glauben vor Augen. Demetrios und seine Kollegen fürchteten um ihren Wohlstand, den sie mit der Produktion und dem Verkauf von Devotionalien an die Besucher des Artemisions von Ephesos erlangt hatten.117

Das Ende des Heiligtums Wie Iordanes berichtet, haben im Jahr 263 die Goten Ephesos überfallen und das Artemision in Brand gesteckt: Quod in omni lascivia resoluto Respa et Veduco Tharuaroque duces Gothorum sumptis navibus Asiam transierunt, fretum Ellispontiacum transvecti, ubi multas eius provinciae civitates populatas opinatissimum illud Ephesiae Dianae templum, quod dudum dixeramus Amazonas condidisse, igne succendunt.118

Zwar wurde das Artemision wieder instand gesetzt, und auch die Kultausübung fand ihre Fortsetzung, doch erstrahlte das Heiligtum wohl nicht mehr in seinem früheren Glanz. 115

Pracht zu verlieren.‹ Als sie das hörten, wurden sie erfüllt von Zorn und sie schrien: ›Groß ist die Artemis der Ephesier!‹« 116 Die Apostelgeschichte spricht hier von Ἀσιάρχοι. Dies ist verwunderlich, da Asiarchen in der Regel alleine amtierten und kein Kollegium bildeten. Dem Verfasser des Bibeltextes scheint hier ein Versehen passiert zu sein. 117 Ein weiteres von mehreren Problemen, welche dieser Text bietet, ist der Umstand, dass sich von derartigen Tempelchen als Devotionalien keine Spur erhalten hat. Burkert 1999, 60, ist der Ansicht, dass der Verfasser der Apostelgeschichte hier den Kult der Artemis mit jenem der Meter verwechselt habe, aus dessen Umfeld silberne Tempelchen erhalten sind (freilich nicht aus Ephesos). Es bietet sich aber noch eine andere Erklärung an: sehr wohl erhalten sind nämlich kleinformatige Statuetten der Göttin selbst, die wohl als Souvenirs beim Artemisheiligtum erstanden werden konnten. Dass es eben diese kleinformatigen Götterbilder waren, die von Demetrios und seinen Kollegen erzeugt und verkauft wurden, darauf deutet auch die Formulierung in Apg19,26 hin, dass nämlich Paulus die Menge aufgehetzt hätte mit der Behauptung, die mit Händen gemachten Götter (und eben nicht Tempel!) seien keine wirklichen Götter. 118 Iord. Get. 20. Übers.: »Weil (Gallienus) in jeder Ausschweifung ermattet war, nahmen Respa, Veducus und Tharuarus, die Anführer der Goten, Schiffe und setzten nach Asien über und überquerten die hellespontische Meerenge, wo sie viele Städte dieser Provinz verwüsteten und jenen berühmten Tempel der Diana von Ephesos, den, wie wir vorhin schon gesagt hatten, die Amazonen gegründet hatten, in Brand setzten.« Zosimus spricht von den Plünderungen der Skythen, die nach Asien übergesetzt waren (1,28,1): Τῶν δὲ Σκυθῶν ὅσον ἦν τῆς Εὐρώπης ἐν ἀδείᾳ πολλῇ νεμομένων, ἤδη δὲ καὶ διαβάντων εἰς τὴν Ἀσίαν καὶ τὰ μέχρι Καππαδοκίας καὶ Πεσσινοῦντος καὶ Ἐφέσου λῃσαμένων …. Übers.: »Da viele der Skythen, die in Europa in großer Sicherheit lebten, schon nach Asien hinübergegangen waren und die Gegenden bis Kappadokien, Pessinous und Ephesos plünderten …«.

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Trotzdem konnte die Artemis von Ephesos bis ins 4. Jh. n.Chr. einen gewissen Einfluss wahren und auf zahlreiche Verehrer zählen. Theodosius I. verbot 391/2 die heidnischen Kulte und ihre Ausübung, und im folgenden Jahrhundert fand offensichtlich auch die Artemisverehrung in Ephesos ihr Ende. Altar und Ringhalle des Artemistempels wurden nun abgetragen und zum Teil als Baumaterial für die Johanneskirche verwendet. Im Sekos des Artemisions wurde eine christliche Kirche eingebaut. Von Kirchenvater Johannes Chrysostomos (344/349–407) ist überliefert, dass er die Statue der Artemis ihres Schmuckes beraubt haben soll,119 doch ist dies historisch zumindest zweifelhaft. Im späten 4. oder frühen 5. Jh., also in der Zeit des Johannes, brüstet sich ein Christ namens Demeas jedenfalls damit, die trügerische Schönheit des Dämons Artemis durch das Zeichen des Kreuzes ersetzt zu haben (IvE 1351): [δαίμ]ονος Ἀρτέμιδος καθελὼν ἀπατήλιον εἶδος Δημέας ἀτρεκίης 5 ἄνθετο σῆμα τόδε, εἰδώλων ἐλατῆρα θεὸν σταυρόν τε γερέρων, νικοφόρον Χριστοῦ σύν10 βολον ἀθάνατον.120

Ausblick: Ephesos als christliches Pilgerziel Das Ende der Artemisverehrung bedeutete freilich nicht das Ende der Bedeutung von Ephesos als Pilgerziel. Ganz im Gegenteil: die Stadt am Kaÿstros121 kann vielmehr, wie an dieser Stelle nur angedeutet werden kann, als der wichtigste christliche Wallfahrtsort im mittelalterlichen Kleinasien gelten.122 Erstaunlich ist freilich, dass nicht die Gottesmutter Maria die Nachfolge der Artemis antrat,123 und dass auch das Wirken des Paulus, von dem bereits die Rede war, keine nachhaltigen Spuren in Form irgendeiner Verehrung des Apostels hinterlassen hat. Das wichtigste Ziel der christlichen Pilger in Ephesos war vielmehr die Grabeskirche des Johannes124 auf dem Ayasoluk. An der Stelle einer Memoria aus vorkonstantinischer Zeit und eines Kirchenbaus des späten 4. bzw. frühen 5. Jh. errichtete Kaiser Justinian (527–565) hier eine prachtvolle Basilika, die im 14. Jh. in eine Moschee umgewandelt und im 15. Jh. endgültig zerstört wurde. Besondere Berühmtheit erlangte das Staubwunder, das jedes Jahr am 8. Mai stattfand. Der Heilige, welcher der Überlieferung zufolge 119 120

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Prokl. or. 20 (PG 65,832): in Epheso Artemida enudavit. Übers.: »In Ephesos entkleidete er die Artemis«. In der Handschrift: artem Midae; die Konjektur von Kukula ist sicher korrekt. Übers.: »Des Dämons Artemis trügerisches Bild hat Demeas heruntergerissen und dieses Zeichen der Wahrheit aufgestellt, indem er Gott, den Vertreiber der Götzen, und das Kreuz ehrt, das unsterbliche Sieg bringende Symbol Christi.« Vgl. Merkelbach, Stauber 1998, 334. Grundlegend zum byzantinischen Ephesos ist Foss 1979, vgl. auch Külzer 2010. Vgl. zum Folgenden Pülz 2010. Allgemein zu Wallfahrten im mittelalterlichen Kleinasien vgl. Foss 2002. Erst ab mittelbyzantinischer Zeit findet sich in den Quellen die Tradition vom Aufenthalt Mariens in Ephesos. Vgl. Pülz 2008. Siehe zu dieser Thiel 2005.

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gar nicht gestorben war, sondern nur schlief, wirbelte mit seinem Atem an diesem Tag wundertätigen, manna genannten Staub mit großer Heilkraft auf, der von den Pilgern in kleinen Tonampullen mit nach Hause genommen wurde.125 Zur Bedeutung der Johannesbasilika als Pilgerziel trugen darüber hinaus drei wertvolle Reliquien bei: ein Kreuzpartikel, das Johannes selbst auf Golgota entnommen haben soll, ein von der Gottesmutter Maria selbst gewebtes und dem Lieblingsjünger übergebenes Hemd ohne Saum und ein in goldenen Lettern geschriebenes Original der Apokalypse des Johannes. Ebenfalls von großer Bedeutung war das Coemeterium der Sieben Schläfer,126 nur von nachrangiger Wichtigkeit waren dagegen die Memoria des heiligen Timotheos auf dem Panayırdağ,127 die sogenannte Paulusgrotte128 und das sogenannte Lukasgrab.129 Erst neuzeitlich ist dagegen die Verehrung der Gottesmutter Maria in Meryemana, dem wichtigsten modernen, für Christen wie Muslime gleichermaßen bedeutenden Pilgerziel in Ephesos, wo aufgrund der Visionen der stigmatisierten Anna Katharina Emmerich († 1824) im ausgehenden 19. Jh. n.Chr. das angebliche Wohn- und Sterbehaus Mariens identifiziert wurde.

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Über diesen Staub berichten auch der nordafrikanische Bischof und Kirchenvater Augustinus (In Iohannis evangelium tractatus 124,2 [CCSL 36, 681f.]) oder Gregor von Tours (MGH SS rer. Merov. 1,2 I: Liber in gloria martyrum 30). Der Legende zufolge sollen sich hier während der Christenverfolgungen unter Kaiser Decius in einer Höhle sieben vornehme junge Männer versteckt haben, da sie das Opfer an heidnische Gottheiten verweigerten. Ihr Zufluchtsort wurde aber verraten und der Zugang zur Höhle zugemauert. Ihr Schicksal soll auf zwei Bleitafeln dokumentiert worden sein, die man vor der Höhle vergrub. Die Jünglinge waren in der Höhle aber nicht gestorben, sondern nur eingeschlafen. Zweihundert Jahre später – die Mauer war von Hirten längst schon wieder abgetragen worden – erwachten die Jünglinge wieder und schickten einen von ihnen in die Stadt, um Lebensmittel zu kaufen. Da er alte Münzen mit dem Bild des Kaisers Decius verwendet, fällt er auf und wird festgenommen. Aufgrund der vergrabenen Tafeln kann die Identität der sieben Jünglinge schließlich geklärt werden. Als Kaiser Theodosius II. in Ephesos eintrifft, um das Wunder der Wiederauferweckung der sieben Schläfer zu sehen, entschlafen die Jünglinge endgültig, und der Kaiser lässt ihnen eine Kirche errichten. Diese Legende lässt sich schon im 5. Jh. n.Chr. in ihrer vollständigen Form greifen, die Nekropole wurde aber schon früher, im 4. vielleicht sogar schon im 3. Jh. n.Chr. angelegt. Das Coemeterium wurde bis in spätbyzantinische Zeit von Pilgern aufgesucht (zu diesem Zeitpunkt wurden längst schon keine Bestattungen mehr vorgenommen), wie zahlreiche Graffiti und Besucherinschriften bezeugen. Neben den sieben Schläfern trug zum Ruhm des Coemeteriums auch bei, dass Maria Magdalena hier ihre letzte Ruhestätte gefunden haben soll. Vgl. zum Coemeterium: Praschniker 1937. Timotheos war ein enger Gefährte des Paulus und wurde von diesem als erster Bischof in Ephesos eingesetzt. Er fand angeblich im Jahr 97 oder 98 n.Chr. den Tod, als er die Teilnehmer am Katagogienfest, einer Feierlichkeit zu Ehren des Dionysos, an ihrem Tun hindern wollte, worauf ihn diese mitten auf dem Embolos mit Stöcken und Steinen so schwer verletzten, das er drei Tage später verstarb. Archäologisch konnte diese Memoria bisher nicht festgestellt werden. Vgl. dazu Keil 1934; Pillinger 2005, 235–238. Hierbei handelt es sich um eine Höhlenkirche mit figuralen Wandmalereien des 6. Jh. n.Chr., deren ursprüngliche Dedikation unklar ist. Die Funktion als Pilgerziel wird allerdings durch zahlreiche Graffiti deutlich. Vgl. dazu etwa Pillinger 2003. Das sogenannte Lukasgrab wurde im 2. Jh. n.Chr. als Monopterosbunnen errichtet und in der zweiten Hälfte des 5. Jh. n.Chr. zu einer Kirchenanlage umgewandelt. Die Benennung des Baus ist freilich modern, die ehemalige Dedikation der Kirche ist unbekannt, und die Funktion als Pilgerziel ist weder literarisch, noch epigraphisch nachgewiesen, sondern wird nur durch die Bautypologie nahe gelegt. Vgl. dazu Pülz 2010b.

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Resümee Die Pilgerreise stellte auch im heidnischen Altertum eine häufige Form religiös motivierten Reisens dar. Eines der wichtigsten Pilgerziele der griechisch-römischen Antike war das kleinasiatische Ephesos mit dem dortigen Artemisheiligtum, das aufgrund des hohen Alters des Kultes, der großen Macht der hier verehrten Göttin, des Asylrechts, seines Reichtums und seiner Funktion als Bank eine hervorragende Stellung unter den Kultplätzen der alten Welt einnahm.130 Zahlreiche Besucher kamen anlässlich der großen Feste (Artemisia, Geburtstag der Göttin) ins Heiligtum; aber auch abseits dieser Feierlichkeiten suchten viele Menschen die Kultstätte auf, baten die Göttin um ihren Beistand, dankten ihr für gewährte Hilfe und kauften jene Souvenirs und Devotionalien, die durch die Überlieferung vom Aufstand der Silberschmiede gegen die Lehrtätigkeit des Paulus Berühmtheit erlangt haben. Seine immense Bedeutung als Wallfahrtsort verlor die Stadt am Kaÿstros auch nach dem Niedergang des Artemiskultes nicht; an die Stelle des Heiligtumes der Göttin traten christliche Monumente wie die Johanneskirche oder das Coemeterium der Sieben Schläfer, die weiterhin eine Vielzahl von Pilgern anlockten. Für wertvolle Hinweise bedanke ich mich bei Stefan Hagel, Michael Kerschner und Georg Rehrenböck. Josef Fischer Fernkorngasse 23/16, A-1100 Wien [email protected]

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Dazu kam auch die verkehrsgeographisch günstige Lage des Heiligtums bei einem der bedeutendsten Handelshäfen Kleinasiens sowie am Ausgangspunkt wichtiger Straßenverbindungen, die ins Landesinnere führten.

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Christian Fron

Der Reiz des Nil Die Reise des Aelius Aristides nach Ägypten und ihr Einfluss auf seine Reden und Werke

»Zahlreiche Stellen der Romrede lassen erkennen, daß diese sogleich nach dem Ägyptenaufenthalt (in den Jahren 151/52) [gemeint ist vielmehr der von Klein ebenfalls vertretene Zeitraum 141/142 n.Chr.; Anm.d.Verf.] abgefaßt wurde, ja, manche Zeilen lassen sich überhaupt nur durch das unmittelbare Erlebnis der Ägyptenreise verstehen.«1 Derartige recht allgemeine Beobachtungen zum Einfluss der Reiseerfahrungen des Aelius Aristides auf dessen Romrede finden sich bereits in einigen anderen Arbeiten über Aelius Aristides.2 Die sich jenseits einer bloßen Feststellung unmittelbar aufdrängenden Fragen, deren Beantwortung zudem weiterführende Rückschlüsse auf die Bedeutung von Reiseerfahrungen für andere Sophisten der hohen Kaiserzeit erlaubt, fanden hingegen bislang kaum Beachtung:3 Welchen Nutzen brachten die auf den Reisen gewonnenen Impressionen und Erfahrungen einem Redner wie Aelius Aristides? Welche Eindrücke hinterließen die jeweiligen Fahrten bei den Gelehrten, und in welcher Gestalt fanden diese wiederum bewußt oder auch unbewußt ihren Weg in die Reden, Schriften und sonstigen Werke der Reisenden? Was hatte ein Redner dabei zu berücksichtigen und wie wählte er aus?4 Diesen Fragen wird die Untersuchung im Folgenden am Beispiel der Ägyptenreise des Aelius Aristides nachgehen. Dazu werden zunächst die Reise selbst und deren Kontext vorgestellt. Dann wird analysiert, in welchen Formen und unter welchen Rahmenbedingungen die Reiseerfahrungen Eingang in seine Reden gefunden haben. Die heute noch auszumachenden Nachwirkungen derartiger Reiseimpressionen werden mittels der Verwendung von indirekten sowie direkten Zeugnissen der Ägyptenreise in dem späteren Oeuvre des Aelius Aristides untersucht. 1 2

Klein, Romrede (1981), 344. Die bloße Feststellung, dass die Eindrücke der Ägyptenreise in der Romrede nachwirkten, findet sich vor den oben genannten Ausführungen von Richard Klein bereits bei Hug, Aristides, 30 sowie Boulanger, Aelius Aristide, 124. 3 An einigen Stellen im Kommentar von Behr (Behr, Complete Works 2) finden sich entsprechende Anmerkungen, welche auf die Reiseerfahrungen des Aelius Aristides und die Zusammenhänge zwischen dessen einzelnen Reden verweisen. Jedoch bleiben die entsprechenden Verweise auf diese Fragestellung äußerst lückenhaft. 4 Der vorliegende Beitrag behandelt einen Teilaspekt meines Dissertationsprojekts, welches sich mit den Reisen griechischer Gelehrter und somit auch mit deren Wahrnehmung des Reisens befasst. Für Korrekturen sowie weitergehende Anregungen zu danken habe ich Prof. Peter Scholz, Prof. Johannes Engels sowie stets auch Dr. Frank Daubner.

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Allerdings sollte man sich zunächst der zahlreichen Hürden einer solchen Untersuchung bewusst werden. So muss sich die vorliegende Studie – mangels anderweitiger, detaillierterer Informationsquellen – bei der Ermittlung der Stationen der Ägyptenreise sowie der allgemeinen Mobilität des Aelius Aristides im Wesentlichen auf die von diesem selbst implizit oder explizit genannten und somit keineswegs vollständig aufgeführten Zielorte sowie Zwischenstationen beschränken. Selbstverständlich können auch nur diese eindeutig identifizierten Orte auf ihre spätere Behandlung in den Schriften und Reden des Sophisten hin untersucht werden. Ein vollständiges und ungetrübtes Bild über den Einfluss von Reiseerfahrungen ist somit von vorneherein nicht erreichbar. Vielmehr wird der Beitrag lediglich die aus dem vorliegenden Quellencorpus zu ermittelnden Facetten dieses komplexen Themas beleuchten können. Schließlich müssen noch einige kritische Anmerkungen zur Verwendung des Gesamtwerkes des Aelius Aristides erfolgen. Insbesondere ist zunächst damit zu rechnen, dass die publizierten Reden gegegenüber den ursprünglich gehaltenen λόγοι Veränderungen erfahren haben – sei es durch den Verfasser selbst, sei es durch andere Personen.5 So bestätigt dieser kaiserzeitliche Sophist selbst, dass er seine Schriften als Zeugnis für die Nachwelt begriff und daher auch in späteren Jahren eine erneute Sichtung seiner Schriften vorgenommen hat (Aristeid. or. 51,52). Dennoch ist durchaus anzunehmen, dass die hier untersuchten Reisebezüge entweder Elemente der ursprünglichen Rede gewesen sind oder zumindest in kurzem zeitlichen Abstand zur eigentlichen Rede bei deren Publikation eingearbeitet wurden: Zunächst wird die vorliegende Untersuchung belegen, dass alle relevanten Passagen zur Verwendung der Erfahrungen aus Ägypten ausschließlich aus Reden stammen, die einen sehr engen Zeitbezug zur eigentlichen Fahrt aufweisen. Ein solcher Zusammenhang ist wohl nicht dem Zufall geschuldet, sondern vielmehr Beleg für die generelle Wirkmacht derartiger, damals noch frischer Reiseimpressionen. Zudem berücksichtigt Aelius Aristides bei der bewussten Einarbeitung seiner Reiseerfahrung in seine Reden das jeweils anwesende Publikum sowie dessen zu erwartenden Kenntnisstand und Erwartungshorizont in einem solchen Maße, dass die Einbeziehung dieser Zeugnisse in die jeweilige konkrete Redesituation äußerst wahrscheinlich erscheint.

Die Reise nach Ägypten und ihr Kontext Die Fahrt nach Ägypten erfolgte ganz zu Beginn der Karriere des Aelius Aristides. Nach einer ausgezeichneten Ausbildung bei berühmten Lehrern in Smyrna, Pergamon und Athen sowie nachdem er vermutlich durch den Tod seines Vaters zu Geld gekommen war, machte

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Eines der üblicherweise angeführten Beispiele für die Nachbearbeitung einer Rede stellt Ciceros Rede Pro Milone dar (Cass. Dio 40,54,1–4); siehe hierzu allerdings Winfried Stroh, Die Macht der Rede, Berlin 2009, 337–340. Zum Prozess der Bearbeitung der eigenen Arbeiten sowie zu den darauf folgenden Veränderungen siehe Gurd, Work in Progress und mit Bezug auf die Kultur der Zweiten Sophistik besonders Gurd, Galen. Jedoch konnte eine Rede auch unverändert publiziert und auch erneut vorgetragen werden (siehe Philostr. soph. 2,8,2/579, wobei Philagros von Kilikien eine bereits publizierte Rede erneut vortrug). Zu der sehr zeitigen Publikation einer eigenen Rede siehe auch Apul. apol. 55,5f.

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sich der junge Sophist wahrscheinlich im Frühjahr 141 von Smyrna aus per Schiff auf den Weg zum Land am Nil.6 Seine Reise führte ihn zunächst entlang der kleinasiatischen Küste über die Stationen Kos und Knidos nach Rhodos und von dort aus nach Alexandria.7 Seine Bemühungen, sich durch seine Reden früh einen Namen zu machen, trugen bei den ersten beiden Stationen zunächst keine Früchte (or. 33,27). Dafür konnte er auf Rhodos und in Alexandria ein länger anhaltendes Renommee gewinnen.8 Von Alexandria aus unternahm er vier Fahrten in das ägyptische Hinterland (or. 36,1) und lernte das Land, einige seiner Bewohner und auch andere Reisende kennen.9 Er verließ Ägypten im Frühjahr 142 n.Chr.10 Sein Rückweg verlief über Palästina und Syrien11 sowie höchstwahrscheinlich von

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Vgl. Behr, Sacred Tales, 10–14. Vgl. ebd., 14f. Die Kontakte zu den Rhodiern hielten mindestens bis zum Jahr 149 n.Chr., als Aelius Aristides sich in einem Brief an sie wandte, um innere Streitigkeiten innerhalb der Polis zu beenden (or. 24); zur Datierung siehe Behr, Sacred Tales, 73f. Bis zu dieser Schrift hielt er mindestens zwei weitere Reden für Rhodos: eine in Alexandria aufgrund des 142 n.Chr. durch ein Erdbeben zerstörten Rhodos (or. 24,2f.) sowie danach aus demselben Anlass vor Ort (or. 25). Die Stadt Alexandria hingegen sowie allgemein die Deltabewohner haben ihm später eine Ehrenstatue geweiht (siehe Philostr. soph. 2,9,1/582). Eine entsprechende Ehreninschrift wurde gefunden (OGIS 709); siehe zu dieser Behr, Sacred Tales, 111 mit Anm. 64 sowie Behr, Complete Works 1, 425 resp. Puech, Orateurs, 140–144 Nr. 44. 9 Die vor Ort besuchten Stätten werden bei den direkten Zeugnissen für die Reiseerfahrungen noch detailliert behandelt. Vor Ort traf er den Exulanten Draukos (36,33) sowie den gelehrten Kreter Euarestos (or. 50,23). 10 Vgl. Behr, Sacred Tales, 21. Entgegen Behr möchte ich mich bezüglich des genauen Monats jedoch nicht festlegen. Die Reise konnte unter Umständen etwas länger dauern. Ein Getreideschiff in Lukians Navigium (1–6; 9), welches auf der Route von Alexandria nach Rom ebenfalls entlang der syrischen Küste segelte, benötigte 70 Tage bis nach Athen; vgl. Salway, Travel 2004, 49f. 11 Ein direkter Weg zurück nach Rhodos ist schon aufgrund der Windverhältnisse im östlichen Mittelmeerraum äußerst unwahrscheinlich; siehe Cornell, Segelrouten, 521, 525; zudem Morton, Seafaring 2001, 38, 48, Abb. 21 sowie Salway, Travel, 49. Die in der gesamten Levante vorherrschenden Nord- und Nordwestwinde erschweren eine solche Überfahrt erheblich. Die Gefährlichkeit der aus Rhodos und somit der direkten Fahrtrichtung entgegen kommenden Winde belegt ein kaiserzeitliches ägyptisches Seefahrerlied, welches die rhodischen Winde darum bittet, still zu bleiben und somit eine sichere Seefahrt zu ermöglichen (P.Oxy. 1383 sowie PGM 29, 1–10). Dass die Windverhältnisse für eine solche Reise auch aus antiker Sicht sehr ungünstig waren, bestätigt zudem eindrücklich das Stück Die Entführung der Europa von Lukian (Dialogi Marini 15). In diesem berichtet der Westwind Zephyr dem bezeichnenderweise über die Ereignisse im Levanteraum uninformierten Südwind Notos über die soeben erfolgte Entführung der Europa nach Kreta. Während dieses Raubes verhalten sich die üblicherweise wehenden Winde still, da sie ansonsten die Überfahrt von Phönizien nach Kreta behindern würden. Zudem liefert uns Aristides selbst möglicherweise einige genauere Hinweise für diese Route. Zunächst wird in der Romrede (or. 36,100) »die schmale und sandige Durchgangsstraße durch das Land der Araber nach Ägypten« (στεναὶ καὶ ψαμμώδεις δι’ Ἀράβων) als einst gefährliche, allerdings nun besonders sichere Strecke dargestellt; zu dieser Stelle siehe Klein, Romrede (1983), 115f. Anm. 132. Zudem könnte sich Aelius Aristides ebenfalls in Skythopolis aufgehalten haben, was aufgrund der nicht eindeutig interpretierbaren Lesung von ἤκουσα δὲ ἔγωγε καὶ τῆς Παλαιστίνης Συρίας ἐν Σκυθῶν πόλει περὶ τὸν τόπον […] λίμνην εἶναι jedoch nicht sicher ist (or. 36,82 mit einem deutlichem Bezug zur persönlichen Besichtigung Palästinas durch Herodot [2,106]); für einen Palästinaaufenthalt spricht sich insbesondere Geiger, Palestine aus. Gegen eine solche Deutung sind hingegen Hug, Aristides, 25 sowie Behr, Complete Works 2.

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dort aus mit dem Schiff über Zypern und eventuell Lykien nach Rhodos12 und schließlich erneut entlang der kleinasiatischen Küste zurück nach Smyrna. Auf dieser Rückreise geriet er in einen Sturm und gelobte Sarapis als Dank für eine glückliche Heimkehr nach Smyrna eine Rede. Diese wurde sicherlich kurz nach der Ankunft in Smyrna gehalten.13 Danach begab er sich im Januar 143 n.Chr. auf dem in den stürmischen Wintermonaten sichereren Landweg über die Via Egnatia nach Dyrrhachion und von dort aus per Schiff und über die Via Appia nach Rom, wo er vom April bis September blieb und seine berühmte Lobrede auf die römische Herrschaft hielt.14 Aus Krankheitsgründen musste er die Pläne einer Fortsetzung der Reise nach Spanien aufgeben (or. 36,91) und machte sich schließlich mit dem Schiff auf den Heimweg nach Smyrna (or. 48,64–69). Aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit befand er sich ab der ersten Hälfte des Jahres 144 n.Chr. längere Zeit zur Kur im Asklepiosheiligtum von Pergamon.15 Die Ägyptenreise steht somit im Kontext einer ausgedehnten Reisetätigkeit des Aelius Aristides. Die Fahrt nach Ägypten selbst verfolgte unterschiedliche Ziele. Zunächst ging es sicherlich ganz wesentlich um einen auch nach außen proklamierten Abschluss der Ausbildung zum Sophisten. Zudem erhoffte sich Aelius Aristides durch seine Darbietungen in den verschiedenen Städten des Imperiums ein in weiten Teilen des griechischen Ostens verbreitetes Renommee als Redekünstler.16 Neben diesen für den Ruf eines Sophisten offensichtlich bedeutsamen Motiven ist zudem anzunehmen, dass auch die Gewinnung von entsprechenden Eindrücken und Kenntnissen von der Welt ein wichtiger Anreiz für den 12

13 14 15 16

Auf Rhodos selbst hielt Aelius Aristides eine Rede (or. 25). Die Autorenschaft dieser Rede wurde Aristides lange Zeit aberkannt. Dafür, dass die Schrift berechtigterweise in das Corpus des Sophisten aufgenommen wurde, sowie für eine Datierung dieser Schrift in den Kontext der Rückreise aus Ägypten trat jüngst Carlo Franco (Aelius Aristides and Rhodes, bes. 218–221) überzeugend ein. Innerhalb dieser Rede kommt der reisende Sophist auch auf die ausgezeichnete Erreichbarkeit der Stadt sowie die einstige nun durch das Erdbeben zerstörte Schönheit der Hafenanlagen zu sprechen. Er beschreibt dies folgendermaßen: »Beim Hineinsegeln sieht man sofort die großartigen Häfen. Sie ragen mit Steinen in das Meer hinaus wie Wellenbrecher, einige nehmen die von Ionien, andere die von Karien und wieder andere die von Ägypten, Zypern und Phönizien auf, so als ob jeder von ihnen für eine andere Stadt als Empfangsplatz gemacht worden wäre« (εἰσπλέοντι μὲν εὐθὺς λιμένες τοσοῦτοι καὶ τηλικοῦτοι, προβλῆσι λίθοις εἰς τὸ πέλαγος ἐξανεστηκότες, οἱ μὲν τοὺς ἀπ’ Ἰωνίας, οἱ δὲ τοὺς ἀπὸ Καρίας δεχόμενοι, οἱ δὲ τοὺς ἀπ’ Αἰγύπτου καὶ Κύπρου καὶ Φοινίκης, ὥσπερ ἄλλος ἄλλῃ πόλει πεποιημένος εἰς ὑποδοχήν (or. 25,3 K; Übers. nach Maupai, Schönheit, 31). Die lobende Erwähnung der günstigen maritimen Lage von Städten ist zunächst ein gängiges Element bei dem Lob auf eine Stadt; Maupai, Schönheit, 19–32. Jedoch werden an dieser Stelle nicht alle nach Rhodos führenden zentralen Seerouten aufgeführt. Insbesondere diejenige nach Festlandgriechenland fehlt. Dies lässt auf eine bewusste Auswahl der Beispiele schließen, welche sich schlüssig mit dem Reiseweg des Aelius Aristides erklären lässt. Dieser verlief auf dem Hinweg über Ionien und Karien sowie auf dem Rückweg über Ägypten, Phönikien und somit wahrscheinlich auch über Zypern. Vgl. Behr, Complete Works 2, 419f. Vgl. Klein, Romrede (1981), bes. 338f. Über die beschwerliche Reise nach Rom gibt Aristides selbst Auskunft im zweiten Buch seiner Hieroi Logoi (or. 48,60–62). Vgl. ebd. 338f. bes. Anm. 11. Zur Beziehung des Aristides zu Asklepios siehe nun PetsalisDiomidis, Beyond Wonders. Eine eigene kritische Einschätzung der Bedeutung solcher Reisen für den Erwerb eines entsprechenden Renommees und Nachruhms sowie der damit verbundenen öffentlichen Würdigung mittels Statuen etc. gibt der Sophist in seinen Hieroi Logoi rückblickend im fortgeschrittenen Alter (or. 51,56; 51,62f.).

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Antritt der Reise dargestellt hat. Zumindest war im Fall von Ägypten sein Interesse am NilLand bereits durch die während seiner Ausbildung gelesene und bearbeitete Literatur geschürt worden.17 Die aus diesen Reiseerfahrungen stammenden Impressionen lassen sich mit einer unterschiedlichen Intensität im Gesamtwerk des Sophisten nachweisen und auf die jeweils zugrundeliegende Intention untersuchen.

Die indirekte Verwendung der eigenen Reiseerfahrungen Folgende Definition für diese Kategorie soll im Folgenden Verwendung finden: Indirekte Zeugnisse der eigenen Reiseerfahrungen sind von der Gestalt, dass der Redner Impressionen von bereits besuchten Orten aufgreift ohne jedoch den jeweiligen Adressaten von dieser eigenen, vorherigen Besichtigung in Kenntnis zu setzen. Derartige Rückgriffe auf die eigenen Vorkenntnisse weisen interessanterweise zumeist einen engen Zeitbezug zum eigentlichen Erlebnis auf, der eine Entnahme aus literarischen Werken unwahrscheinlich macht. Die Länge oder Kürze eines solchen Beispiels hängt von verschiedenen Faktoren ab: Die Interessenslage des Rhetors selbst, der Anlass der Rede, sowie schließlich vor allem die Zusammensetzung des Auditoriums,18 wobei der Redner das Interesse sowie Vorwissen der jeweiligen Zuhörerschaft für ein Thema aus dessen Beschaffenheit richtig einzuschätzen hatte.19 Dies alles berücksichtigte ein hochprofessioneller und in der rhetorischen Theorie seiner Zeit geschulter Redner wie Aelius Aristides bereits bei der Konzeption einer Rede, wobei die Auswahlkriterien von Exempeln, Gleichnissen und Randbemerkungen bei jedem Vortrag einer Veränderung unterlagen. Daher werden diese Faktoren bei der Auswertung der folgenden Exempla zu berücksichtigen sein. Die indirekten Zeugnisse der Ägyptenfahrt des Aelius Aristides belaufen sich auf zwölf Beispiele, von denen sich sechs auf Ägypten im Allgemeinen, fünf speziell auf Alexandria sowie ein einziges auf Elephantine beziehen.20 Der Großteil der Verweise auf Ägypten lässt sich in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur eigentlichen Reise ermitteln. 17

Die besondere Inspiration zu dieser Reise durch Herodot betont Aelius Aristides in seinem Ägyptendiskurs (or. 36,56). Näher betrachtet und kontextualisiert wird diese Stelle weiter unten bei den direkten Zeugnissen für Reiseimpressionen. Dass die Autopsie der Orte, die man in der Literatur kennengelernt hatte, ein wichtiges Stimulans für das Reisen darstellte, bestätigt der Historia Augusta zufolge das Beispiel des Kaisers Hadrian (SHA Hadr. 17,8): Peregrinationis ita cupidus, ut omnia, quae legerat de locis orbis terrarum, praesens vellet addiscere. 18 Zu der sehr differierenden Zusammensetzung des Publikums eines kaiserzeitlichen Sophisten siehe bes. Korenjak, Publikum, 41–65. 19 Aristoteles fasste diese Kriterien griffig zusammen: »Eine Rede besteht nämlich aus Dreierlei: einem Redner, einem Gegenstand, worüber er spricht, und einem Publikum; und der Zweck der Rede ist nur auf ihn, den Zuhörer, ausgerichtet. Ein Zuhörer muß mitdenken oder urteilen, urteilen entweder über Vergangenes oder Künftiges.« (Aristot. rhet. 1,3,1f./1258Af.: σύγκειται μὲν γὰρ ἐκ τριῶν ὁ λόγος, ἔκ τε τοῦ λέγοντος καὶ περὶ οὗ λέγει καὶ πρὸς ὅν, καὶ τὸ τέλος πρὸς τοῦτόν ἐστιν, λέγω δὲ τὸν ἀκροατήν. ἀνάγκη δὲ τὸν ἀκροατὴν ἢ θεωρὸν εἶναι ἢ κριτήν, κριτὴν δὲ ἢ τῶν γεγενημένων ἢ τῶν μελλόντων. Übers. Gernot Krapinger). Dass der Redner oder auch Schreiber die Ausführlichkeit seiner Anmerkungen dem angenommenen Kenntnisstand des Adressaten anpasste, ergibt sich unter anderem aus Menander Rhetor (siehe etwa 1,337,9–13). 20 Dies bezeugt nicht allein die allgemeine Bedeutung der Ägyptenreise für den Sophisten, sondern hebt insbesondere die für ihn exponierte Stellung der Stadt Alexandria hervor. Diese Stadt hatte auch innerhalb der Kultur der Zweiten Sophistik eine besondere Stellung inne; siehe hierzu Trapp, Alexandria.

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Die rhodische Rede (or. 25) In der frühesten auf den Ägyptenaufenthalt folgenden, erhaltenen Rede, die in der durch ein Erdbeben schwer beschädigten Polis Rhodos gehalten wurde, findet sich ein Vergleich der Geräuschkulisse während des verheerenden Bebens mit derjenigen des Nilkatarakts (or. 25,25).21 Dabei wird beim Auditorium, maßgeblich der Bevölkerung von Rhodos, die Kenntnis der Atmosphäre während des Erdbebens in der Stadt selbst als gegeben vorausgesetzt. Diese wird mit einem anderen, weniger dem Publikum sondern vielmehr dem Redner selbst vertrauten Geräusch verglichen. Trotz der von ihm anzunehmenden, sehr unterschiedlichen Kenntnisgrundlage, welche sich beim Publikum vornehmlich auf eine grobe Kenntnis der Lokalisierung der Katarakte beschränkt haben dürfte, wählte Aelius Aristides eine solche Analogie bewußt. Dies verdeutlicht den Einfluss derartiger eigener Eindrücke in Ägypten auf den Rhetor selbst, der den Vergleich mit dem Tosen des Katarakts für angemessen hält, um ein Geräuschambiente für ein solch gewaltiges Naturereignis wie ein Erdbeben zu versinnbildlichen. Jedoch erlaubt der auf die zerstörerische Wirkung des Erdbebens auf Rhodos konzentrierte Anlass der Rede ihm keine nähere Ausführung dieser Analogie. Der Hymnos auf Sarapis (or. 45) Ganz anders verhält es sich bei den Zeugnissen aus der zeitlich nächstfolgenden Rede. Nach einer glücklichen, aber von Stürmen begleiteten Heimkehr nach Smyrna ergab sich vielleicht sogar am 25. April 142 n.Chr. während der Festlichkeiten für Zeus Sarapis und wohl auch in dessen Tempel die Gelegenheit eines Enkomions auf den Gott.22 Zu diesem Anlass konnte der Sophist nun die eigenen Erfahrungen über die Verehrung dieses ägyptischen Gottes in dessen Heimatland in die Rede einbringen. Selbstverständlich konnte es sich aufgrund des Rahmens der Rede bei den Exempla ausschließlich um solche aus dem religiösen Kontext handeln. Trotz der Tatsache, dass es sich mit 34 Paragraphen um ein kurzes Stück handelt und dass Aristides die ersten 14 Paragraphen darauf verwendet, die Gleichwertigkeit eines Prosahymnus mit dem Enkomion eines Dichters zu erweisen, finden sich dennoch drei Belege, die sich mit einiger Sicherheit auf Erfahrungen aus Ägypten zurückführen lassen. Welche weiteren Abschnitte aus dieser Rede auch für das am Sarapiskult interessierte Publikum zu den Neuigkeiten aus erster Hand gehörten und auf feine Unterschiede zum Kult in Smyrna anspielen, wird wohl niemals endgültig zu klären sein. Zunächst liefert der Rhetor einige sicherlich auf die eigene Erfahrung vor Ort zurückzuführenden Details zur Verehrung des Sarapis in dessen kultischem Zentrum Alexandria, wo die Bürger den 21

Auf den Zusammenhang dieser Passage mit der Ägyptenreise, verwies bereits Franco, Aelius Aristides and Rhodes, 221. Vor Aristides verweist bereits Seneca auf das Getöse der Katarakte um den Betrieb in Baiae näher zu schildern (epist. 56,3). Jedoch ist auch er in seiner Jugend in Ägypten gewesen; siehe u.a. Maurach, Seneca, 26f. Im 3. Jh. n.Chr. und somit später als Aelius Aristides berichtet Philostratos von einem Besuch der Katarakte durch Apollonios von Tyana, welcher das Donnerrollen des Nils dort ebenfalls vernahm (Philostr., Vita Apolloni 6,26). 22 Eine Datierung dieser Rede auf den 25. April sowie auch den Tempel als Veranstaltungsort erwägen ebenfalls Höfler, Sarapishymnus, 4; Behr, Sacred Tales, 15 Anm. 44 und 21f. mit Anm. 72 sowie Behr, Complete Works 2, 419.

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Gott als den »Einzigen, den Zeus« anrufen (or. 45,21).23 Zudem werden die 42 Heiligtümer in Ägypten sowie die durch den Gott erwirkte Nilschwelle genannt (or. 45,42). Ein weiteres, aber nicht direkt auf Aristides selbst zurückgehendes Exempel – das durch Sarapis herbeigeführte weite Ausströmen des Süßwassers vom Nil in das Mittelmeer während der Sommermonate (or. 45,29) – hat der Redner vermutlich vor dem Antritt oder während seiner Reise von seinem Gefährten Dion gehört (or. 36,10). Allerdings regten Aelius Aristides diese Anmerkungen zu eigenen Studien an. So überprüfte er die Stärke des Nilausflusses vor Ort soweit als möglich und verifizierte somit den Wahrheitsgehalt der Aussage seines Freundes (or. 36,9). Da dieses Naturphänomen nach Aussage des Dion zusätzlich einen Attraktionscharakter besaß und sich somit ein gewisses Interesse des Publikums erwarten ließ, bot sich eine spätere Einbindung dieses Exempels in den Hymnos des Sarapis als Nilgottheit an.24 Es handelt sich bei dem Beispiel somit ebenfalls um eine für ihn neue, nun durch die eigene Beobachtung bestätigte und somit auch bis zu einem gewissen Grade eigene Erfahrung. Dennoch beschränkt sich der Redner auf eine knappe Erwähnung und auf das für den Hymnos auf Sarapis Relevante.25 Die Romrede (or. 26) Auch in der darauffolgenden Romrede finden sich Anklänge an die Impressionen aus Ägypten. Gehalten wurde die Rede am Kaiserhof vor Antoninus Pius.26 Daher konnte Aelius Aristides von einem aus gebildeten römischen Aristokraten bestehenden Publikum ausgehen.27 Eines der zentralen Ziele dieser Rede ist es, Rom als erfolgreiche Verwaltungsund Herrschaftsmacht eines ausgedehnten Imperiums zu erweisen, weshalb die insgesamt sehr wenigen deutlichen Verweise auf konkrete Orte und Landschaften zur weiteren Illus23

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So ebenfalls Höfler, Sarapishymnus, 2f. Auf die Zeus-Bezüge vor den und während der Feierlichkeiten zu Ehren von Sarapis in Alexandria weist Aelius Aristides auch noch in einem anderen Zusammenhang, im dritten Buch seiner Hieroi Logoi, hin (or. 49,48). Dabei handelt es sich um ein weiteres Beispiel der indirekten Verwendung von Reiseerfahrungen, welches aufgrund der Analogie kurz an dieser Stelle behandelt wird. Diese sind indirekt ebenfalls auf seine genauere Kenntnis der eigentlichen Feierlichkeiten in Alexandria zurückzuführen. Nach Charles A. Behr ist der Traum, in welchem Aelius Aristides dies berichtet in den April 149 n.Chr. zu datieren; vgl. Behr, Sacred Tales. Damit wäre ein zeitlicher Zusammenhang dieses Traumes mit der Niederschrift seiner Abhandlung über die Nilschwelle durchaus denkbar. Behr, Sacred Tales, 15 Anm. 44 folgert ganz richtig, dass Aelius Aristides hier nicht direkt auf seine eigenen Erfahrungen zurückgreifen konnte, da er bereits im Frühjahr und somit vor den Sommermonaten anreiste. Behr vermutet ebenfalls, dass Aristides den Dion erst in Ägypten traf, bringt jedoch keine wirklich stichhaltigen Indizien (ebd., 17 Anm. 53). Im Allgemeinen war es allerdings nicht unüblich, dass Freunde einander auf Reisen begleiteten (or. 48,12). Ohne die eingehendere Erörterung im Rahmen des Nilexkurses (or. 46,10) wäre dieses Exempel nicht als solches zu identifizieren, was noch einmal die Schwierigkeiten und Feinheiten bei der Suche sowie Analyse derartiger Reisezeugnisse untermauert. Eine eingehendere Behandlung der ausführlicheren Passage folgt weiter unten bei den direkten Zeugnissen der Reiseerfahrungen. Siehe Klein, Geschichtsverständnis, 291. Entgegen entsprechenden griechischen Topoi, wie Philostr. soph. 2,10,5/589, kann man von einer allgemeinen griechischen Bildung der römischen Oberschicht ausgehen; vgl. Kaimio, Romans. Neben der Verwendung der griechischen Sprache setzte der Sophist zudem eine größere Kenntnis der griechischen Geschichte voraus: So werden Details aus dem Kalliasfrieden in die Rede eingearbeitet, ohne dass dieser explizit erwähnt wird (or. 26,10); siehe Klein, Romrede (1983), 70 Anm. 11.

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tration dieses Themenschwerpunktes dienen. Dabei behält der Redner stets seinen eigenen Blickwinkel als Mitglied der griechischen Oberschicht28 und greift auf seine eigenen Eindrücke von den Verhältnissen im Imperium Romanum zurück. So werden die Katarakte sowie das Rote Meer zur Markierung der Grenzen des Imperium Romanum herangezogen (or. 26,28).29 Zudem wird die durch die Römer ermöglichte Sicherheit für einen Reisenden anhand der schmalen und sandigen Durchgangsstraße von Arabien nach Ägypten illustriert (or. 26,100).30 Für das Enkomion der Herrschaftsmacht Rom als sehr geeignet erwies sich vor allem die Metropole Alexandria. Sie wird an zwei Stellen ausführlich genannt und verdeutlicht die in Ägypten gemachten eindrücklichen Erfahrungen des jungen Sophisten. Zunächst wird die Stadt als die einzig würdige Hinterlassenschaft Alexanders bezeichnet. Daran anschließend erfolgt ein näherer Hinweis auf den großen Nutzen der Stadt für die Römer sowie eine Einordnung der Polis als zweitgrößte nach Rom (or. 26,26). Innerhalb der Rede stehen diese Ausführungen am Ende des klassischen Vergleichs des Imperium Romanum mit den älteren Großreichen, wodurch das römische Imperium als erfolgreicher Erbe seiner Vorgänger erscheint.31 Auch um die Blüte der einzelnen Städte im Imperium zu illustrieren, wählt er – neben dem ihm selbst auch den Römern und insbesondere dem Kaiser Antoninus Pius gut vertrauten Ionien32 – erneut Alexandria. Die Polis wird an dieser Stelle als »Alexanders ehrbare und gewaltige Stadt in resp. bei Ägypten« (ἡ δὲ σεμνὴ καὶ μεγάλη κατ’ Αἴγυπτον Ἀλεξάνδρου πόλις) angesprochen und ihre besondere Rolle als Zierde des Reiches hervorgehoben (or. 26,95). Die Zielrichtung dieser Verweise auf Alexandria ist eindeutig. Die Metropole wird in Anlehnung an ein klassisches Enkomion mit ihrem Gründer verknüpft, dessen Nachfolge die Römer angetreten haben. Die von dem Sophisten selbst erfahrene und im Rahmen dieser Rede zum Ausdruck gebrachte Blüte der kaiserzeit28 29 30

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Vgl. Klein, Geschichtsverständnis, sowie Pernot, Rome, 188f. Zur Konzeption und Absicht der Rede immer noch aufschlussreich: Bleicken, Preis. Siehe Klein, Romrede (1981), 344. Siehe ebd., 345 sowie insbesondere den Kommentar zu dieser Stelle bei Klein, Romrede (1983), 115f. Anm. 132. Dass Aelius Aristides zumindest die neu errichtete Via Hadriana in Ägypten besucht hat und sich dadurch inspirieren ließ, ist sehr wahrscheinlich (zumal er später auch von den Bewohnern von Antinoopolis geehrt wurde; siehe OGIS 709=IGR 1, 1070). Ein Besuch der ebenfalls an dieser Stelle erwähnten Kilikischen Pforte lässt sich für Aelius Aristides allerdings nicht nachweisen. Zudem erscheint Ägyten als bedeutender Getreidelieferant für die Stadt Rom, ohne dass das Land am Nil neben dem ebenfalls genannten Sizilien und Nordafrika eine besondere Gewichtung erfahren würde (or. 26,12). Somit ist diese Aussage wohl nicht auf einer besonderen Reiseerfahrung begründet. Eine zu deutliche Hervorhebung der wirtschaftlichen Abhängigkeit Roms von einzelnen Teilen der Provinz zugunsten einer Stadt wie Alexandria wäre dem Enkomioncharakter der Rede bei einem derartigen Publikum auch allzu hinderlich gewesen. Die wirtschaftliche Kraft sollte in Rom ihr Zentrum finden (or. 26,11), wobei beispielsweise die Rolle von Alexandria für den Indienhandel ausgeklammert wird (or. 26,12). Ein weiteres Exempel mit gewissem Bezug auf Ägypten ist die Hervorhebung der Gunstbezeugungen der ägyptischen Götter neben denen des Asklepios; es ist sicherlich auf seine günstigen Erfahrungen mit Sarapis zurückzuführen (or. 26,105). Dies ist jedoch nicht als eine explizit auf Ägypten und die dortigen Erfahrungen zurückzuführende Aussage zu verstehen. Zur Gliederung der Rede siehe Bleicken, Preis, 234f. Anm. 22. Antoninus Pius ist ungefähr in den Jahren 135/6 n.Chr. Statthalter der Provinz Asia gewesen (Eck, Statthalter, 178 sowie Philostr. Soph. 1,25,3/534). Daher bot sich die Auswahl dieser dem Redner wie auch dem maßgeblichen Adressaten vertrauten und zugleich florierenden Region an.

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lichen Metropole entspricht erneut dem Hauptthema der Rede, also dem Nachweis der Verwaltungskraft des Imperiums und verdeutlicht dabei zudem die gesteigerte Würdigkeit dieser Nachfolge Alexanders. Schließlich wird auch das römisch-aristokratische Publikum diesen Worten geneigt gelauscht haben.33 Jedoch beschränkt sich die recht allgemeine Darstellung der Blüte der Städte Ioniens und von Alexandria vornehmlich auf deren äußeres Erscheinungsbild. Die kulturelle Blüte wird weitgehend ausgeklammert.34 Damit entspricht der Sophist seiner in der gesamten Rede zu fassenden Darstellung der Stadt Rom selbst, welche die bedeutenden kulturellen Leistungen der Römer weitestgehend unerwähnt lässt.35 Weitere Zeugnisse für die indirekte Verwendung von Reiseimpressionen und ihr Kontext Nach der Romrede begann für den erkrankten Sophisten die langandauernde Zeit der Kuraufenthalte im Asklepiosheiligtum von Pergamon. Im Anschluss daran finden sich nur noch vereinzelt indirekte Hinweise auf die Ägyptenimpressionen. In einem Zeushymnos aus dem frühen Februar 149 n.Chr. wird der Nil noch einmal detailliert thematisiert (or. 43,28), wobei enge Bezüge zur Sarapisrede (or. 45) sowie auch zur gerade im Entstehen begriffenen respektive bereits seit kurzem fertiggestellten Abhandlung über die Nilschwelle (or. 36) bestehen.36 Danach finden sich erst wieder in den Heiligen Berichten einige Bezüge auf Ägypten in der Gestalt von Träumen. So träumt er von einem Aufenthalt auf dem Ägyptischen Meer sowie von einem Gang durch Alexandria (or. 49,3f.) im Frühjahr 146 n.Chr.37 Zuletzt träumt er im Januar 166 n.Chr. vom Heiligtum des Apollon auf dem Berg Milyas. Bei diesem Heiligtum entdeckt er Analogien zu Elephantine (or. 47,24).38 33

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Zu der situativen Anlehnung an Alexander in republikanischer Zeit sowie auch darüber hinaus siehe Weippert, Alexander-Imitatio. Insbesondere der Hinweis des Sophisten auf Alexandria als einzig würdiger Hinterlassenschaft entspricht demgegenüber einem anderen, in der Zeit der Antoninen und nach Trajan ebenfalls anzutreffenden Bild von Alexander als Beispiel für die Vergänglichkeit irdischer Macht, wie es beispielsweise bei den Selbstbetrachtungen Mark Aurels anzutreffen ist; siehe Kühnen, Imitatio Alexandri (2005), 202 bzw. Kühnen, Imitatio Alexandri (2008), 173. So besitzt Ionien in der Darstellung des Aelius Aristides nun äußere Anmut (χάρις) und Glanz (κόσμος), während Alexandria mit einer Halskette (ὅρμος) oder einem Armreif (ψέλιον) einer reichen Frau verglichen wird (95). Später (97) folgt auch eine allgemeine Nennung von repräsentativen Gebäuden in den Städten, von welchen einige (Gymnasien und Schulen) auch eine kulturelle Bedeutung besitzen. Dennoch entsteht auch bei diesen Gebäuden, welche ohne besondere Hervorhebung neben Brunnen und Propyläen gestellt werden, der Eindruck, dass ihnen vornehmlich eine repräsentative Funktion zukommt. Zudem erfolgt diese Auflistung erst nach der Feststellung, dass die Griechen die (kulturellen) Pflegeeltern der Römer sind (96). Zu den subtilen Formen der Kritik in der Romrede des Aelius Aristides siehe Pernot, Rome, 188– 190. Diese Auslassung ist besonders von Interesse, da zunächst Hadrian und in abgeschwächter Form auch Antoninus Pius den Gelehrten einer Stadt große Privilegien zugestanden haben (Dig. 27,1,6,1–12). Zu den Bezügen der Zeusrede auf den Hymnos auf Sarapis siehe Amann, Zeusrede, 28–36 sowie Höfler, Sarapishymnus, 1. Der Ägyptendiskurs wird unten ausführlich behandelt. Nach der Datierung von Charles A. Behr wurde diese Schrift im Zeitraum zwischen 147 und 149 n.Chr. verfasst; siehe Behr, Complete Works 2, 402f. Anm. 1. Datierung nach Behr, Sacred Tales 1968. Datierung nach Behr, Sacred Tales 1968.

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Fazit Insgesamt ließ sich anhand des Sophisten Aelius Aristides zeigen, dass bei der indirekten Verwendung von Reiseimpressionen drei Faktoren – Redner, Anlass und Publikum – eine bedeutende Rolle zukam. Je eindrücklicher die Reiseerfahrungen für den Redner waren, umso geneigter war er, aus diesen passende Beispiele auszuwählen. Passte das Exempel nur am Rande zu den eigenen Eindrücken und konnte er dessen Kenntnis beim Publikum nicht voraussetzen (wie bei der Rhodosrede), musste sich der Sophist auf eine kurze Erwähnung beschränken. Passte jedoch der Anlass und konnte er mit dem Interesse des Publikums rechnen (wie bei der Sarapisrede), konnte er mehrere Verweise anbringen. Dennoch wählte er die Beispiele sorgfältig und berücksichtigte die Interessen des Publikums sowie die eigene Gesamtaussage bei der Betonung von Teilaspekten (wie bei der Romrede). Bei der Verwendung derartiger Reiseimpressionen war ein enger zeitlicher Bezug zur Reise selbst zumeist vorhanden. Im Falle einer späteren Einarbeitung solcher Reiseerfahrungen ließ sich zumeist eine zusätzliche, anderweitige Rückbesinnung auf die Fahrt nach Ägypten während der Entstehungszeit der jeweiligen Schrift vermuten, wenn nicht sogar mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen.

Die direkte Verwendung der eigenen Reiseerfahrungen am Beispiel des Ägyptendiskurses (or. 36) Der ägyptische Diskurs (Αἰγύπτιος; or. 36) nimmt im Werk des Aelius Aristides eine Sonderstellung ein. Die Abhandlung basiert ganz wesentlich auf dem eigenen Besuch des Nillandes im Jahr 141/2 n.Chr. und versammelt zudem nach den Hieroi Logoi die meisten direkten Zeugnisse eigener Reiseerfahrungen. Zur Abfassungszeit der Schrift lag die Reise bereits einige Jahre zurück.39 Ziel und Anlass der Schrift ist eine Untersuchung der Nilschwelle sowie der damit verknüpften Frage nach dem Ursprung des Nils. Gemäß der Kultur der Zweiten Sophistik beschränkt Aelius Aristides sich dabei insbesondere auf die Behandlung der älteren, bereits von Aristoteles oder dessen Schüler Theophrast gesammelten Theorien.40 Damit bewegte sich der Sophist auch auf einem, dem Adressaten seiner Schrift nicht unbekannten Terrain.41 Der erhoffte Adressat dieser Schrift kann nur als gebildet angenommen werden, da dieser die zahlreichen Anspielungen auf die klassische Literatur sowie die Anlehnungen an die Vorgänger bei der Darstellung dieser Thematik verstehen und mit 39

Verfasst wurde diese Schrift höchstwahrscheinlich zwischen 147 und 149 n.Chr.; vgl. Behr, Complete Works 2, 402f. Anm. 1. 40 Vgl. Behr, Complete Works 2, 402f. Anm. 1. Entgegen seiner Behauptung, Aristides beschränke sich ausschließlich auf die aristotelische Sammlung, wird allerdings auch der im 2. Jh. v.Chr. lebende Agatharchides von Knidos mit seiner Regentheorie behandelt. Diese Theorie wird auch von Diodor (1,41,4–8) angeführt und für die glaubwürdigste erachtet. Zu den klassischen Bezugsfeldern bei den kaiserzeitlichen Sophisten und der damit verbundenen Beschränkung der Reden auf Themen aus den Zeitraum vom 6. Jh. v.Chr. bis zum Tod Alexanders, siehe Kohl, Declamationum, 8–89 sowie ihm folgend Korenjak, Publikum, 58–61, bes. 58f. Anm. 58. 41 Zu Recht verweist Schmitz, Bildung, 112f. darauf, dass diese Themenbegrenzung auf das Publikum gerichtet sei. Diesem wurde damit die Möglichkeit gegeben, die Qualität der Darstellung des Sophisten besser mit den λόγοι zeitgenössischer Konkurrenten und berühmter Vorgänger vergleichen zu können.

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den Aussagen des Aelius Aristides vergleichen können musste.42 Dennoch konnte der Sophist nicht davon ausgehen, dass der Leser Ägypten jenseits einer literarischen Kenntnis auch aus eigener Anschauung kannte, weshalb er die Beispiele den anzunehmenden Vorkenntnissen und Interessen dieses Publikums anpasste. Das Vorbild Herodot und der zeitgenössische Tourismus Insbesondere die zahlreichen Anlehnungen an den bedeutendsten antiken Ägyptenreisenden Herodot sind auffallend. Eine vorzügliche Kenntnis der Historien Herodots wird Aelius Aristides vor allem durch seinen Grammatiklehrer Alexander von Kotiaeion erworben haben, der sich intensiv mit Herodot beschäftigte.43 In der Tat war auch nach Aussage des Aelius Aristides diese Reise vor allem durch Herodot inspiriert, der die große Liebe für Ägypten zuerst in ihm hervorrief.44 Insbesondere diese Bezüge auf und der Vergleich mit Herodot sind für die Beurteilung der Verweise auf die eigenen Reiseimpressionen von großer Bedeutung. So gibt es bereits bei der Wahl der ausdrücklich genannten Stationen während des Aufenthaltes in Ägypten einige Parallelen. Gemeinsame direkt genannte und hervorgehobene Stationen auf der Reise durch Ägypten sind: der Moerissee mit seinem Labyrinth, die Pyramiden von Memphis sowie der erste Katarakt mit Elephantine.45 Dabei werden insbesondere das von Herodot ausführlich gelobte Labyrinth am Moerissee sowie die von ihm eingehend behandelten Pyramiden von Aelius Aristides gleich zu Anfang der Schrift hervorgehoben.46 Allerdings sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass sich Aelius Aristides damit durchaus auch am Tourismus im kaiserzeitlichen Ägypten orien-

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Entsprechend wurde auch die Szenerie des Werks als Fortsetzung einer Gelehrtendiskussion (or. 36,1) gestaltet. Dennoch bietet Aelius Aristides an einigen Stellen Hilfestellungen. Bei folgenden Autoren wird die Quelle im Text selbst genannt: Aischylos in §§15 und 18; Demosthenes in §10; Ephoros in §§64 und 85; Euripides in §§13 und 18; Hekataios in §108; Herodot in §§3, 41, 46, 48, 51 und 63; Homer in §§104 und 106; Pindar in §112. Jedoch bleiben die Angaben sehr allgemein und beschränken sich auf eine Nennung des Urhebers des Ausspruchs oder der These. Auch wird beispielsweise die Kenntnis der Person des Ephoros beim Leser vorausgesetzt (§65). Natürlich dienen derartige Hinweise auch der Zurschaustellung der eigenen umfassenden Kenntnisse des Autors. Zudem belegt die Auflistung abermals die enorme Bedeutung von Herodot als Instanz für dieses Werk. Vgl. Dyck, Alexander, 334. Ἡροδότῳ τε καὶ αὐτοῦ τοῦ ἔρωτος χάρις, ὃν ἡμῖν πρῶτος ἐνέβαλεν Αἰγύπτον (or. 36,57). Für die Stationen der Reise bei Aelius Aristides siehe Behr, Sacred Tales, 17 Anm. 51. Die entsprechenden Nennungen bei Herodot finden sich 2,148 (Moerissee); 2,125 (Pyramiden); 2,29 (Elephantine). Auch Naukratis haben beide besucht, jedoch bringt Aelius Aristides hier keinen direkten Beleg, ähnlich wie Herodot. Heliopolis, Theben sowie auch Memphis, von Herodot ausdrücklich aufgeführt (Hdt. 2,3), werden bei Aelius Aristides lediglich erwähnt, jedoch nicht als Reiseziele genannt. Diese von Herodot bereits am Anfang seiner Abhandlung über Ägypten genannten Orte dienen dazu, die ausgedehnten Reisen und die Akribie seiner Untersuchungen in Ägypten zu unterstreichen. Dies wird von Aristides aufgegriffen und mit einer entsprechenden Steigerung auf sich selbst übertragen (or. 36,1). Auf eine nähere Beschreibung der Orte verzichtet Aelius Aristides zunächst, wohl aufgrund der Annahme einer allgemeinen Bekanntheit der Passagen bei Herodot. Auch der Hinweis auf die Tempel könnte einen Bezug zu Herodot aufweisen, da auch dieser ein besonders großes Interesse an der ägyptischen Religion hatte.

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tierte, welcher seinerseits stark durch Herodot geprägt gewesen ist.47 Allerdings tritt in der Literatur der Kaiserzeit zu den seit der Zeit Herodots obligatorischen touristischen Attraktionen mit dem Memnonkoloss eine weitere hinzu.48 Dieser findet jedoch in dem Diskurs des Aelius Aristides keinerlei Berücksichtigung und bleibt gemäß den Vorgaben Herodots unerwähnt. Die Motivation der Reise Als wesentlich wichtiger stellen sich bei der Darstellung der Ägyptenreise die Parallelen zu dem berühmten Vorgänger bei der Motivation und Methode heraus. In Analogie zu Herodot versteht sich auch Aelius Aristides in dieser Schrift als Forschungsreisender, der beispielsweise Abmessungen von Gebäuden dort ergänzt, wo er diese noch nicht in der hinzugezogenen Literatur vorgefunden hat.49 Entgegen Herodot bleibt die von diesem gewählte Thematik der Sitten und Gebräuche in Ägypten von Aristides unbehandelt.50 Thematisch ist die Schrift vielmehr den von Aristides für seinen Diskurs gewählten Fragen zum Phänomen Nilschwelle und dem Mysterium von dessen Ursprung verhaftet. Derlei Frage-

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Ἐπειδὴ γὰρ καὶ μέχρι τῆς Αἰθιοπικῆς χώρας προελθὼν καὶ αὐτὴν διερευνησάμενος Αἴγυπτον τετράκις τὸ σύμπαν καὶ παρεὶς οὐδὲν ἀνεξέταστον, οὐ πυραμίδας, οὐ λαβύρινθον, οὐχ ἱερόν, οὐχὶ διώρυχας (or. 36,1). Das Labyrinth am Moerissee besaß auch in der Kaiserzeit eine gewisse Bedeutung. Genannt wird es als Reiseziel bei Strab. 17,5–29 C811; Alki. 4,16,7 Schepers=4,19,7 Benner, Fobes; SHA Sept. Sev. 17,4. Beschrieben wird es weiter bei Plin. nat. 36,84–89. Die Pyramiden von Memphis erscheinen sehr häufig als Reiseziel. Genannt seien hier für die hohe Kaiserzeit allein: Alki. 4,16,7 Schepers=4,19,7 Benner, Fobes; Lukian., Toxaris 27. Zum Ägyptentourismus siehe Hartmann, Relikt, 202–210. 48 Erstmals erwähnt wird der tönende Koloss bei Strab. 17,1,46 C816. Danach findet sich der Memnonkoloss stets als obligatorische Sehenswürdigkeit in Ägypten bei Tac. ann. 2,61,1; Alki. 4,16,7 Schepers=4,19,7 Benner, Fobes; Lukian., Toxaris 27; Lukian., Philopseudes 33; Paus. 1,42,3; SHA Sept. Sev. 17,4. Ein lebendiges Zeugnis des vitalen Interesses an dieser Attraktion stellt zudem die Vielzahl an Inschriften auf dem Koloss selbst dar; diese sind zentral publiziert bei Bernand, Les inscriptions. Zur Bedeutung des Memnonkolosses als touristisches Reiseziel siehe Foertmeyer, Tourism, bes. 23–25, 66–103 sowie Łukaszewicz, Memnon, der aufzuzeigen vermag, dass die Reparaturmaßnahmen, welche den Koloss erstummen ließen und damit dessen Ende als Reiseziel herbeiführten, in die Zeit Caracallas zu datieren sind. 49 Ἀλλ’ ὧν μὲν ἐν ταῖς βίβλοις τὰ μέτρα ὑπῆρχεν ἐκεῖθεν πορισάμενος, ὧν δὲ μὴ ἐξ ἑτοίμου λαβεῖν ἦν ἐκμετρήσας αὐτὸς μετὰ τῶν παρ’ ἑκάστοις ἱερέων καὶ προφητῶν (or. 36,1). Auch Herodot nennt häufig die Abmessungen und interessiert sich für die diversen Maße, siehe etwa: Hdt. 2,6f.; 15; 110; 121; 125; 134; 138; 149; 155; 158; 168; 175f. Stolze Hinweise von Aelius Aristides auf seine eigenen wissenschaftlichen Beobachtungen finden sich im Ägyptendiskurs in §§9; 18; 30; 34; 46–63; 70; 74; 103; 113; vgl. hierzu auch Behr, Complete Works 2, 403 Anm. 1. 50 Ob dies jedoch für einen Zeitgenossen von Interesse gewesen wäre, bleibt äußerst fraglich. So fasst Jan Assmann das griechisch-kaiserzeitliche Interesse an Ägypten folgendermaßen zusammen: »So wie die erste Epoche dieses Diskurses [vor der Kaiserzeit] von historischen, geographischen, kulturgeschichtlichen und politischen Fragen bestimmt ist, steht die zweite Epoche eindeutig und einseitig im Zeichen der Religion. Religiöse Themen hatten auch in den Ägyptenbüchern der ersten Periode, bei Herodot, bei Hekataios von Abdera und vor allem Diodor eine bedeutende Rolle gespielt. Aber sie bildeten dort einen Teil der Kulturgeschichte. Jetzt bilden sie den ausschließlichen Gegenstand« (Assmann, Weisheit und Mysterium, 29). Belege für das religiöse Interesse an Ägypten finden sich bei Aelius Aristides vor allem in der Sarapisrede. Jedoch auch in dem Exkurs über die Nilschwelle fehlt nicht der Hinweis des Autors, dass er alle Tempel besichtigt habe (or. 36,1).

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stellungen besaßen auch in der Kaiserzeit noch eine hohe Aktualität und waren von großem Interesse.51 Das Erfragen von Informationen vor Ort: Die ägyptischen Priester Insgesamt liefert Aelius Aristides dem aufmerksamen Leser verschiedene Gründe dafür, weshalb seine Forschungsreise nach Ägypten erkenntnisreich und gewinnbringend gewesen ist.52 Zunächst konnte er sich gemäß der gängigen Praxis für ausführlichere Auskünfte an die lokalen Priester wenden und neue Informationen erfragen.53 Auch aus diesem Grund ist sein Hinweis, dass er alle Tempel besichtigt habe, von großer Bedeutung, bezeichnet er doch mit der dortigen Priesterschaft die andere große Informationsquelle vor Ort jenseits der eigenen Autopsie der Lokalitäten. Die Glaubwürdigkeit der Priesterschaft wird insbesondere in Fragen der mythischen Vorzeit höher eingeschätzt als die aus der griechischen Literatur zu entnehmenden Informationen (or. 36,110). Insgesamt nimmt Aelius Aristides, wie auch Herodot vor ihm, gegenüber den üblichen griechischen Autoritäten eine deutlich kritischere Haltung ein und spricht den vor Ort zu entnehmenden Informationen ein höheres Gewicht zu.54 Insbesondere bei einigen auch für das Lesepublikum interessanten Lokalitäten vermag er diese Autorität der ägyptischen Priester zu nutzen. Das eindrücklichste Beispiel hierfür sowie auch für die Bedeutung persönlicher Erkundigungen vor Ort bietet Kanobos, jener berüchtigte Vergnügungsvorort von Alexandria. 51

Insbesondere die Suche nach dem Ursprung des Nils war auch in der Kaiserzeit von großer Bedeutung. Das große Interesse an der Frage des Nil-Ursprungs bezeugt insbesondere die Schrift Das Schiff oder die Wünsche (Πλοῖον ἢ Εὐχαί) von Lukian. In dieser wünscht sich Timolaos einen Zauberring, der die Kraft besitzen soll, ihn fliegend in ferne Länder zu bringen; dies würde es ihm, neben vielen anderen genannten Erkenntnissen, auch ermöglichen, allein die Quellen des Nils zu kennen (Lukian., Navigium 44: καὶ τὰς πηγὰς δὲ τὰς Νείλου μόνος ἂν ἠπιστάμην). Desgleichen bemühte sich auch Nero darum, den Ursprung des Nil zu ergründen (Plin. nat. 6,181; Sen. nat. 6,8,3; Lucan. 10). Der Ursprung des Nil hätte zudem Aufschlüsse über die Ursache der Nilschwelle gegeben. Auch Aristides selbst bezeugt, dass über den Nil häufig gesprochen wird (or. 36,2). 52 Dabei folgt er einer Verfahrensweise, welche Pretzler, Travel 2004 bereits für Pausanias ausmachen konnte: Pretzler unterscheidet bei der Informationsbeschaffung vor Ort zwischen dem »Erfragen von Informationen« und der »eigenen, selbstständigen Suche nach Informationen«. Dieser Unterscheidung werde ich bei Aelius Aristides und seiner Ägyptenreise ebenfalls folgen. 53 Dass man sich für weiterführende Informationen an die lokalen Fremdenführer und auch an die Priesterschaft eines Tempels wendete, war durchaus üblich; siehe etwa Pretzler, Travel, 204– 207. Es gab auch bei Stätten wie Olympia entsprechendes Personal, welches nähere Auskünfte zu den Weihgeschenken sowie zu sonstigen Details gab; siehe etwa Sinn, Olympia, 106. Einen guten Eindruck von der Art dieser Informationen liefert Plutarch in seiner Schrift De Pythiae Oraculis. Insbesondere in Ägypten konnte man sich von der lokalen Priesterschaft einiges Wissen erhoffen (siehe etwa Plut. mor. 354D–E). Ein Unterschied zwischen Aelius Aristides und etwa Herodot besteht allerdings darin, dass die ägyptischen Priester in der Kaiserzeit zumeist griechisch sprachen und der Sophist somit keinen Dolmetscher benötigte; zu den Veränderungen im Bereich der Religion sowie auch zu den Änderungen der Stellung der Priester seit dem Hellenismus siehe Bowman, Egypt, 165–190, bes. 179–183. Die besondere Bedeutung der Priesterschaft für die eigenen Nachforschung ergibt sich bei Aristides gleich zu Anfang. Bei den noch nicht in der Literatur zur Verfügung stehenden Abmessungen wurde die lokale Priesterschaft ausdrücklich von Aristides um Unterstützung gebeten (or. 36,1). 54 Die exzeptionell kritische Grundhaltung Herodots innerhalb des zweiten Buches betont bereits Bauer, Entstehung, 46ff.

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Im Rahmen einer Wiederlegung der Ägypten- und somit auch der Nilkenntnisse Homers (or. 36,106–109) wird dieser Ort auch von Aelius Aristides – analog zu Herodot sowie bereits zu Hekataios von Milet – allein im Kontext der Trojasage genannt und eingehend besprochen, ohne dass die ansonsten dort zu findenden Vergnügungen überhaupt erwähnt werden. Ein eingehender Bezug auf Kanobos selbst erfolgt entsprechend der thematischen Beschränkung des Diskurses nicht. Dem insbesondere in der kaiserzeitlichen Literatur anzutreffenden und auf großes Interesse stoßenden Mythos, der Name der Stadt sei auf den Steuermann des Menelaos zurückzuführen, hält Aelius Aristides diese Autorität der ägyptischen Priesterschaft und somit seine eigenen Erkundigungen vor Ort entgegen. Seinen Nachforschungen zufolge bedeutet Kanobos im Ägyptischen ›goldener Boden‹ (or. 36,109).55 Auch zur Veranschaulichung der beeindruckenden unter der Oberfläche auszumachenden Aktivitäten des Nils sowie um damit die Faszination für diesen Fluss zu steigern, bedient sich der Sophist mit den Pyramiden eines dem Adressaten durchaus vertrauten und Interesse weckenden Vergleichsobjekts. So kann er stolz berichten, dass man allgemein von dem oberen Teil der Pyramiden beeindruckt sei, jedoch ohne darum zu wissen, dass sie unterirdisch ein gleich großes Gegenstück besäßen.56 Zugleich vermag er damit die vermeintlich guten Kenntnisse seiner Adressaten von den allseits bekannten Pyramiden dank der von der lokalen Priesterschaft erworbenen Informationen zu erweitern. Weitere mündliche Informationen: Freunde und Reisebekanntschaften Neben den Priestern kann er vier weitere mündliche Quellen nennen, welche ihm wichtige Informationen zu seinen auf den Nil bezogenen Fragen liefern konnten. Die Hinzuziehung dieser Informanten musste er jedoch jeweils rechtfertigen, auch aus Furcht sein Publikum durch diese ausschweifenden Berichte zu verärgern oder zu langweilen: 1. Zunächst einmal wurde Aristides vor oder während der Reise von seinem Freund Dion berichtet, dass dieser selbst einmal nach Ägypten gesegelt sei und die Matrosen dabei zur Unterhaltung der Passagiere noch vor dem Erreichen von Ägypten trinkbares Wasser aus einer großen Tiefe gezogen hätten (or. 36,10).57 55

Kanobos wird von Herodot zur Bezeichnung einer Region resp. Mündung, jedoch noch nicht als Name für eine konkrete Ortschaft verwendet. Schließlich wird der Begriff im Kontext der Trojasage sowie von Helenas Aufenthalt in Ägypten von diesem genannt (Hdt. 2,113–119). Auch Herodot erkundigt sich bei den Priestern und erfährt, dass die von Priamos geraubten Schätze sowie auch Helena in Ägypten geblieben seien. Diese Erkenntnisse befähigen Herodot zu einer Kritik an Homer. Der Mythos vom Steuermann des Menelaos findet sich nach Aelius Aristides bereits bei Hekataios von Milet, der als Autorität für die Überlieferung dieser Sage besonders hervorgehoben wird (or. 36,108). Eine Zusammenstellung der Quellenzeugnisse zu den kaiserzeitlichen Autoren, die sich auf diese mythische Etymologie des Ortes beziehen, sowie zur Bedeutung von Kanobos in der Kaiserzeit findet sich bei Kees, Kanobus. Zur Bedeutung von Homer auch für Ägyptenreisende siehe Hartmann, Relikt, 205. 56 Νῦν δ’ ὥσπερ τῶν πυραμίδων τὰς μὲν κορυφὰς ὁρῶντες ἐκπληττόμεθα, τὸ δ’ ἀντίπαλον καὶ ὑπὸ γῆς ἕτερον τοσοῦτον ὂν ἠγνόηται, λέγω δὲ ἃ τῶν ἱερέων ἤκουον (or. 36,122). 57 Gewisse Bezüge zu Herodot gibt es jedoch auch hier; vgl. Hdt. 2,5,2. Die Hinzuziehung dieses Berichts erfolgt, um zu veranschaulichen, wie das Nilwasser in das Mittelmeer strömt. An dieser Stelle fungiert die Angabe dieser Quelle als zusätzliche Stütze für die eigene Autopsie (36,9). Dieser Bericht erhält dadurch von Aelius Aristides ein zusätzliches Gewicht und Interesse, dass das Fachwis-

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2. In Hermounthi »am äußersten Ende von Ägypten« (Αἴγυπτον ἀνέπλεον) traf er einen Exulanten mit Namen Draukos. Dessen Bericht, dem zufolge er die letzten drei Jahren am Ende von Ägypten verbrachte habe und dort nicht eine einzige Wolke gesehen habe, ist ein sehr gediegener Beleg dafür, dass Regen nicht der Grund für die sommerliche Nilschwelle sein kann (or. 36,33–35).58 3. Auch eine Begegnung mit einer äthiopischen Gesandtschaft weiß der Sophist zu nutzen und in seine Abhandlung einzubauen. Diese werden ebenfalls nach Regenschauern in Äthiopien sowie nach dem Ursprung des Nils befragt (or. 36,31; 36,55–57).59 4. Zudem wird die Bevölkerung bei den Nachforschungen mit einbezogen. Über Dolmetscher erkundigt sich der Sophist bei den Ägyptern, ob diese Schnee kennen. Dabei gelingt es ihm nicht einmal, den Befragten – zumindest denjenigen, welche das Land am Nil niemals verlassen haben – zu erklären, was Schnee denn eigentlich sei. Somit ist für Aelius Aristides Schnee als Ursache für die Nilschwelle auszuschließen (or. 36,15). Die Macht der persönliche Besichtigung Neben den lokalen personellen Quellen Ägyptens besitzt die eigene Autopsie der Stätten eine mindestens gleichwertige Bedeutung für den reisenden Sophisten. Dass auch diese persönliche Besichtigung von ihm nicht vernachlässigt wurde, verdeutlicht Aristides über den Hinweis auf die Erkundung aller Kanäle.60 Erst dadurch erwarb er eine eigenständige genauere Kenntnis der in der Literatur genannten Stätten.61 Insbesondere bei Elephantine und dem ersten Katarakt werden die Erläuterungen sehr ausführlich. Vor allem an diesem Ort wird die Kritik an der altehrwürdigen Autorität Herodot durch eigene, den zuvor gelesenen widersprechende Beobachtungen möglich. Diese Kritik beginnt im Rahmen der Ablehnung der herodoteischen Erklärung zur Ursache der sommerlichen Nilschwelle (or. 36,41–63): »Obwohl Herodot die wohllautendsten und schönsten Dinge über Ägypten und

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sen seines Freundes hervorgehoben und dieses Erlebnis als übliche Touristenattraktion bezeichnet wird. Die Regentheorie stammt von Agatharchides von Knidos und wird beispielsweise von Diodor (1,41,4–8) für die glaubwürdigste gehalten. Dennoch bedarf der Bericht von Draukos einer gewissen Rechtfertigung und Interpretation (or. 36,35). Offensichtlich befürchtete Aelius Aristides, dass er seine Leserschaft mit einem zu ausführlichen Bericht langweilen könnte. Die Gesandten verneinen sowohl die Kenntnis vom Ursprung des Nils als auch die Existenz von Regen in Äthiopien. Vielleicht auch aufgrund der Beliebtheit der Regentheorie greift Aelius Aristides zur Widerlegung dieser Theorie auf zwei Augenzeugenberichte von länger Ansässigen zurück. Damit kann er für seine Nachforschungen Regen aus Äthiopien als Urheber für das Anschwellen des Nils ausschließen. Zusätzlich unterrichten die Gesandten ihn über den weiteren Verlauf des Nils in Äthiopien sowie über den Weißen und Blauen Nil. Dennoch vergewissert er seine Leserschaft, dass er dies als nähere Information zum Ursprung des Nils anbringen möchte und dass er sich auf das Nötigste beschränkt (or. 36,55). Zu den Kanälen und ihrer Bedeutung für die Mobilität in Ägypten siehe zunächst die Hinweise bei Herodot (2,108) und Strabon (17,1,16) sowie auch Adams, Getting around, 138. Zum Wunsch nach einem eigenen Besichtigen der aus der griechischen Literatur bekannten Erinnerungsorte als durchaus typische Gegebenheit in der Kaiserzeit siehe allgemein Pretzler, Intellectuals, 135. Besonders hervorgehoben wird dieser Wunsch bei SHA Hadr. 17,8.

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den Nil gesagt hat, hat er wohl nur bei wenigen die Wahrheit gesagt.«62 Insbesondere die vermeintlichen Berge zwischen Syene und Elephantine sind für Aristides Stein des Anstoßes (or. 36,46). Hier untermauern ausdrückliche Verweise auf den eigenen Besuch der Stätte und »die äußerst genauen Beobachtungen« (or. 36,47) die Autorität des Sophisten und bilden gleichzeitig eine weitere Parallele zu Herodot selbst. Direkt nach der Wiedergabe von Auskünften, die er von einem Schreiber im heiligen Schatzhaus der Athene aus Saïs über die Gegebenheiten in Elephantine und Syene sowie die angeblichen Berge erhalten hat, betont auch Herodot, dass ihn die Forschungen bis nach Elephantine geführt hätten (Hdt. 2,28f.). Das ganze mündet demgemäß in der Schlußfolgerung, dass Herodot niemals in Elephantine gewesen ist, wobei erneut die eigene Autopsie hervorgehoben wird (or. 36,50–52).63 Analog gelingt ihm mittels der Autorität einer eigenen Besichtigung eine entsprechende Kritik auch an Pindar.64 Das Überbieten der klassischen Vorbilder Jenseits der Kritik an den klassischen Autoren geht es Aelius Aristides darüber hinaus darum, diese zu übertreffen. Insbesondere die Bedeutung des Vergleichs mit Herodot und der Wunsch, diesen zumindest in einigen Punkten zu übertrumpfen, ergibt sich eindrücklich in einem Einschub zu den Anmerkungen zur Glaubwürdigkeit von Herodot sowie zur Topographie von Elephantine und Syene. Hier kann der Sophist unter Hinweis auf seine eigene ausführliche Besichtigung die Angaben, die Herodot zum Abstand von Elephantine zum ersten Katarakt macht, korrigieren (or. 36,47). Danach schweift Aelius Aristides ab und berichtet von seinen Erlebnissen am ersten Katarakt sowie in Philae. Eingeleitet werden diese Anmerkungen mit folgenden Worten: »Aber wenn es notwendig ist, im Stil von Herodot zum reinen Vergnügen und ohne Grund abzuschweifen und die Richtung meiner Abhandlung abzulenken, so geht es in Erfüllung.«65 Der Blick des Lesers wird erneut auf Herodot und dessen Werk gelenkt. Zugleich wird der Adressat darauf vorbereitet, dass Aristides sich von seiner eigentlichen Thematik etwas entfernt. Aber zu welchem Zweck? Es lohnt sich, der Einladung zum Vergleich zwischen den beiden Autoren zu folgen. Nach der Angabe, dass er als Augenzeuge nur bis Elephantine gekommen sei, vergewissert Herodot den Leser, dass er über das weitere Berichte gesammelt hat. Danach berichtet er über den beschwerlichen Weg per Schiff weiter südwärts von Elephantine zum ersten Katarakt sowie von der Insel Tachompso, welche Herodot mit Philae verwechselt. Danach folgen Auskünfte über die Äthiopier (Hdt. 2,29).66 Aelius Aristides lenkt den Blick des kundigen Adressaten auf 62 63

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Ἀλλὰ γὰρ εὐφημότατα καὶ κάλλιστα εἰρηκὼς Ἡρόδοτος περὶ Αἰγύπτου καὶ Νείλου ὀλίγα τῶν ἀληθῶν εἰρηκέναι κινδυνεύει, οὐχ ὡς ἐπὶ τὸ μεῖζον αἴροντος αὐτοῦ (or. 36,46). Dies ist der früheste geäußerte Zweifel am Aufenthalt Herodots in Elephantine; siehe Asheri, Introduction, 53. Eine wohlwollendere Betrachtung dieser Stelle scheint jedoch angebracht; siehe Lloyd, Commentary, 257f. zu Hdt. 2,28,2. Kritik an Pindar übt Aristides aufgrund von dessen Äußerungen zur Stadt Mendes; vgl. or. 36,112f. Die genaue Kenntnis von Pindar wird ebenfalls bereits auf seine Studienjahre bei Alexander von Kotiaeion zurückzuführen sein, der sich ebenfalls mit diesem Lyriker beschäftigte; or. 32,24. Εἰ δὲ δεῖ κατ’ αὐτὸν Ἡρόδοτον καὶ παρεξελθεῖν ψυχαγωγίας ἕνεκα καὶ μὴ δέον, ἔξω τοῦ προκειμένου τὸν λόγον ἐξάγοντα, οὕτως συνέβη (or. 36,48). Zu den Fehlern und Verwechselungen bei Herodot in diesem Abschnitt siehe Lloyd, Commentary, 259.

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diese Stelle, um danach seinen Bericht über die Region jenseits von Elephantine und somit seine über Herodot hinausgehenden Kenntnisse zu präsentieren. Zunächst erfolgt ein Hinweis, dass er landabwärts zu den Altären gereist sei, wo die Äthiopier eine Garnison haben (or. 36,48).67 Dazu folgen jedoch keine weitergehenden Erläuterungen, da diese im Kontext dieses ägyptischen Diskurses auch nicht von Interesse sind. Demgegenüber erfolgen eingehendere Informationen über die Überfahrt nach Philae, welche als Grenzinsel zwischen Äthiopien und Ägypten beschrieben wird. Auch die übrige kaiserzeitliche Literatur zeigt großes Interesse an Philae als Stadt sowie als Grenzort.68 Zudem bringt Aristides einen weiteren Zusatz, welcher als Bezug auf die Worte Herodots und als Korrektur von dessen Verwechselung von Tachompso und Philae verstanden werden kann: Der Nil fließe um diese Insel herum, und diese läge in der Mitte des Flußes.69 Ein touristisches Abenteuer und sein zeitgenössischer Bezug Danach erfolgt die Rückkehr – wiederum auf dem Landweg – von Philae nach Syene. Schließlich plant Aristides nun von Syene aus mit einem leichten Boot zum ersten Katarakt zu reisen (or. 36,49). Der Garnisonskommandant warnt ganz im Sinne Herodots vor der gefährlichen Überfahrt und drückt zugleich seine Bewunderung vor dem Mut des Sophisten aus. Mit der abermaligen Bezeugung der detaillierten Beobachtungen sowie des eigenen Wagemuts endet diese Passage (or. 36,50) und somit auch ein touristisches Abenteuer des Reisenden. Ein Hinweis darauf, dass ein derartiges Erlebnis auch anderen zuteil wurde, findet sich bei Strabon. Dieser berichtet ebenfalls detailliert von derartigen Vorführungen von Bootsmannschaften für die Statthalter (17,1,49 C817f.). Fazit Der Ägyptendiskurs wird von Aelius Aristides selbst als Ergebnis der eigenen Forschungsreise zum Nilland verstanden. Der Behandlungsgegenstand bleibt grundsätzlich der Nil. Dennoch werden auch touristische Aspekte thematisiert, bei welchen ein gewisses Interesse der Leser- und Hörerschaft vom Sophisten vorausgesetzt werden konnte.70 Insgesamt konnte die Bedeutung der Verweise auf die eigenen Impressionen und der starke Bezug auf die klassischen Vorbilder sowie gleichzeitigen Konkurrenten auch im ägyptischen Diskurs erwiesen werden. Die Verweise auf die eigenen Erfahrungen und Begegnungen erfolgten 67

Ein ausführlicher Kommentar hierzu findet sich bei Behr, Complete Works 2, 405f. Anm. 59. Die Wahl des Landweges von Syene nach Philae findet sich auch bei Strab. 17,1,50 C818. 68 Eine Sammlung der Stellen zu Philae als Grenzstadt findet sich bei Török, Between Two Worlds, 20–22. Zum Ort selbst sowie dessen Geschichte siehe Locher, Nilkatarakt, 121–158. 69 Im Kontext des steten Bezugs von Aelius Aristides zu Herodot fällt diese Passage und der Ausdruck ›περιρρεῖ‹ besonders auf. Dieser findet sich als Beschreibung von Tachompso/Philae ebenfalls bei Herodot (2,29). Zudem wird dieser Zusatz, der wahrlich bei einer Insel nicht zwingend nötig ist, nur von diesen beiden Autoren verwendet. 70 Auf die Schwierigkeiten einer Trennung zwischen Bildungsreisen und Tourismus weist KarlWilhelm Weeber (Reisen, 863) ebenfalls hin. Derartige Komplikationen ergeben sich auch bei dieser von ihm selbst als Forschungsreise verstandenen, jedoch eher als Bildungsreise zu betrachtenden Fahrt des jungen Sophisten. Sie wurden jedoch von der antiken Gesellschaft offensichtlich nicht als Problem empfunden (und auch in unserer Gesellschaft gibt es stets entsprechende Überschneidungen).

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sowohl zur Wiederlegung einer zumeist weithin anerkannten literarischen Behauptung oder, um ein ansonsten nicht unmittelbar einleuchtend erscheinendes Argument zusätzlich zu untermauern. Insbesondere die Bezüge auf Herodot und dessen Ägyptendiskurs sind auffallend, aber entsprechend der Kultur der Zweiten Sophistik durchaus naheliegend. Aelius Aristides trachtete danach, dieses schon damals klassische Vorbild für jede Behandlung Ägyptens mit den Verweisen auf seine eigenen Taten und Erlebnisse zusätzlich zu übertreffen. Christian Fron Universität Stuttgart, Historisches Institut Keplerstr. 17, D-70174 Stuttgart [email protected]

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Mobilität am und auf dem Roten Meer im Altertum: naturräumliche Bedingungen, lokale Netzwerke und merkwürdige Inseln Interpretationen zum Periplus Maris Erythraei und zu Ptolemaios’ Geographie

1. Die naturräumlichen Bedingungen am Roten Meer Die Mobilität von Individuen und Kollektiven hing in der Antike, nicht anders als heute, von verschiedenen Faktoren ab.1 Was man aber oft vergisst: Mobilität, wie immer man den Begriff definieren möchte, ist nicht nur eine Sache von individuellen Absichten, materiellem Vermögen, technischen Verfügbarkeiten oder sozialen und politischen Umständen, sondern auch eine Sache der naturräumlichen Bedingungen.2 Am Beispiel des Roten Meeres3 möchte ich in meinem Beitrag aufzeigen, wie diese Bedingungen Einfluss auf die Bewegungen von Personen und Personengruppen genommen haben. Ich greife dabei neben den gut bekannten Quellen des Periplus Maris Erythraei4 und der Naturalis Historia des Plinius vor allem auf die Geographie des Klaudios Ptolemaios zurück. Obwohl dieses Werk fast ausschließlich aus Namen und Koordinatenangaben besteht und daher einen besonders ›statischen‹ Eindruck bei seinen Lesern hinterlässt, werde ich im Folgenden zu zeigen versuchen, dass uns dieses Werk auch einiges über die Mobilität in der Antike verraten kann. Zudem hoffe ich, einige archäologische Funde aus neuester Zeit in den Kontext meiner Fragestellung einordnen zu können. Zunächst aber zu einigen Fakten über die naturräumlichen Bedingungen am Roten Meer. Das Rote Meer ist der nordwestliche Meerbusen des Indischen Ozeans, der nicht nur Ägypten und Arabien, sondern auch die Erdteile Afrika und Asien trennt. Das Rote Meer vom Golf von Akaba bis zum Golf von Aden bildet einen Teil des so genannten Großen 1 2

Vgl. zuletzt den Sammelband von Capdetrey, Zurbach 2012. Vgl. zu den naturräumlichen Bedingungen am Roten Meer aus naturwissenschaftlicher Perspektive die verschiedenen Beiträge in Edwards, Head 1987. 3 Das Thema ›Rotes Meer‹ hatte und hat in den Altertumwissenschaften seit jeher Konjunktur. Um die Nachweise auf ein Minimum zu halten, wurden vor allem Standardwerke, Neuerscheinungen und für unsere Fragestellung besonders ergiebige Spezialstudien zitiert. 4 Der Periplus Maris Erythraei lehrt, wie intensiv zu seiner Zeit – wahrscheinlich um 70 n.Chr. – die Kontakte im Roten Meer und darüber hinaus bis nach China geworden sind. Für eine Kompilation aus verschiedenen Quellen plädiert jetzt Arnaud 2012b.

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Grabenbruchs, einer Riftzone, die sich seit etwa 35 Millionen Jahren gebildet hat und die für das Auseinandertriften der beiden Kontinente verantwortlich ist. Die Länge des Roten Meeres von Suez bis zur 22km breiten Meerenge von Bab el-Mandeb beträgt über 2.200 Kilometer, seine größte Breite – etwa auf der Höhe von Meroe bzw. Adulis – ca. 350 Kilometer.5 Mit 438.000 Quadratkilometern ist das Rote Meer fast so groß wie Spanien. Die Küsten des Roten Meeres sind fast durchweg öde, sandig oder felsig, über weite Strecken auch durch Korallen verbaut. Insgesamt beträgt die Länge des Korallenriffs etwa 2.000 Kilometer. Immer wieder bilden sich dort Lagunen und Untiefen. Obwohl in der Mitte des Roten Meeres Tiefen von über 2.000 Meter gemessen werden, ist etwa ein Viertel weniger als 50 Meter tief (bzw. seicht). Sein Wasser empfängt das Rote Meer aus dem Indischen Ozean, denn es wird nicht von Flüssen oder gar Strömen aus dem Binnenland gespeist, sondern nimmt nur periodische Regenbäche auf. Damit war und ist auch die dauerhafte Versorgung mit Süßwasser ein zentrales Problem dieser Region. Weil Flusstäler fehlen und die Küstenräume durch schroffe Gebirge im Hinterland sehr eng sind, ist der Siedlungsraum am Roten Meer ungewöhnlich stark eingeschränkt. Sieht man von den nördlichen Teil ab, wo in historischer Zeit die orientalischen Großreiche, später die Ptolemäer, Seleukiden und Nabatäer und noch später die Römer bzw. Byzantiner ihren Einfluss geltend machten, gibt es außer dem Reich von Aksum im Westen und den Reichen von Himyar und Saba im Jemen im Altertum keine Macht am Roten Meer, die überregional bedeutsam geworden wäre. An weiteren naturräumlichen Faktoren, die Einfluss auf Mobilität nehmen, sind zu nennen: Im Roten Meer sind relativ starke Gezeiten festzustellen. Der Tidenhub beträgt 1 bis 2 Meter und macht daher oft die Segelschifffahrt zu einem Abenteuer. Da das Roten Meer sich teilweise in der so genannten intertropischen Konvergenzzone befindet, kommt es auf Grund von starken Erwärmungen zu heftigen atmosphärischen Erscheinungen, etwa zu den bekannten Passatwinden und den wolkenbruchartigen Niederschlägen. Im nördlichen Teil des Roten Meeres wehen das ganze Jahr über einigermaßen stetig Nord- und Nordwest-Winde und treiben das Wasser in Richtung Süden.6 Im mittleren und südlichen Teil des Roten Meeres haben wir dagegen saisonal wechselnde Winde: im Sommer ebenfalls Nordwest-Winde; im Herbst und Winter kehren sich die Verhältnisse um: der Wasserdruck aus dem Indischen Ozean treibt dann die Fluten in Richtung Norden. Im Grunde besteht das Rote Meer aus zwei Teilen: einem Nordteil mit ständig nach Süden blasenden Winden, die Fahrten aus der Südrichtung sehr schwierig machen, und einem Südteil mit saisonal wechselnden Winden, die das Segeln in Richtung Süden im Frühjahr und Sommer begünstigten, in Richtung Norden aber fast unmöglich machten (und umgekehrt). Die Grenze zwischen diesen beiden Teilen des Roten Meeres liegt etwa bei Jidda in Saudi-Arabien, der Hafenstadt von Mekka. Der Aufstieg dieser Stadt in arabischer Zeit ist neben dem verstärkten Pilgerwesen auch ihrer Lage als ›nördlichster‹ Punkt dieses ›südlichen‹ Teils des Roten Meeres zuzuschreiben. Diese verschiedenen Faktoren: Untiefen, enger Siedlungsraum, Mangel an Häfen und prekäre Wind- und Strömungsverhältnisse, bewirkten, dass die Schifffahrt im Roten Meer 5 6

Die mittlere Tiefe beträgt 490 Meter, die größte Tiefe 2.211 Meter. Facey 2004.

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ungewöhnlich schwierig und gefährlich war.7 Bis in die Gegenwart hinein wählten daher Schiffe häufig den Weg um Afrika herum, statt durch das Rote Meer und den Suez-Kanal in das Mittelmeer einzufahren. Bereits diese wenigen Fakten dürften deutlich gemacht haben, dass die naturräumlichen Voraussetzungen für Mobilität am und auf dem Roten Meer sehr ungünstig waren. Diese letzte Aussage trifft vor allem auf den nördlichen Teil des Roten Meeres zu, wo die Nordwinde den Schiffen aus dem Süden ständig entgegen blasen und wo in den Zeiten vor dem Einsatz von Schiffsmotoren beträchtliche Muskelkraft von den Ruderern vonnöten war. Vielleicht ist an dieser Stelle zu fragen: Gibt es überhaupt Zeugnisse oder Hinweis auf Reisen, von Mobilität an oder gar auf dem Roten Meer in der Antike? Ist das nur eine Scheindiskussion, die hier geführt wird? Dass dem nicht so ist, versuche ich im Folgenden an einem Beispiel aus der vorptolemäischen Zeit zu zeigen.8

2. Die ägyptischen Punt-Fahrten Handelskontakte zwischen dem Mittelmeerraum und Ostafrika bestanden spätestens seit dem 3. Jt. v.Chr.9 Seit der 5. Dynastie sind Fahrten der Ägypter in Richtung Punt bezeugt.10 Wo immer man dieses sagenumwobene Goldland suchen mag – im eriträisch-äthiopischen Hochland, in der heute quasi autonomen Region Puntland in Somalia oder irgendwo auf der arabischen Halbinsel – die Route ging zumindest teilweise an der afrikanischen Küste des Roten Meeres entlang. Die Punt-Fahrten der Ägypter wurden offenbar bis ans Ende des 2. Jt. immer wieder wiederholt.11 Am Ende des Neuen Reiches, im 11. Jh. v.Chr., endeten die Fahrten der Ägypter nach Punt. Warum? Sicherlich waren die Ägypter weiterhin an den Produkten aus diesem Goldland interessiert. Nichts deutet darauf, dass der Strom von Waren abriss – nur die Expeditionen, die wahrscheinlich eher Kriegszügen oder Piratenüberfällen glichen, wurden nicht mehr unternommen. Meine Vermutung ist, dass im Süden des Roten Meeres eine Macht entstand, die in der Lage war, die imperialistischen Expeditionen der Ägypter in diesem Raum zu unterbinden. Seit einigen Jahren haben wir verschiedene Hinweise auf ein solches Reich.12 Seit kurzem kennen wir sogar seinen Namen: Di’amat oder mit anderer Vokalisierung Da’amat. 7

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Gerade die Sekundärliteratur zur Seefahrt im und aus dem Roten Meer im Altertum ist kaum mehr zu überblicken. Genannt seien vor allem: Rey-Coquais 1989; Huß 2001, 288–290; Young 2001; Tomber 2008; Ruffing 2011; Curtis 2012; Huß 2012, 42–44; Tomber 2012; Ward 2012. Der vorliegende Beitrag versteht sich auch als Paradigma zu einer größeren Studie. In dieser versuche ich nachzuweisen, dass Mobilität in Zeiten einer politischen und militärischen Dominanz – wenn eine Zentralmacht zumindest eine relative Sicherheit für die Reisenden garantieren kann – am größten ist. Für das Rote Meer gehe ich dort auf die Beispiele Di’amat, Ptolemäer; Aksum, Römischer Principat und ›Arabersturm‹ ein. Vgl. zuletzt Mumford 2012. Aus der Fülle der Literatur zu den Punt-Fahrten nenne ich nur Wilcken 1925; Fattovich 2012; Manzo 2012; Breyer 2013 (dort auch die ältere Literatur). In diesem Zusammenhang müssen auch die Kontakte zwischen Salomo und der Königin von Saba erwähnt werden, auch wenn hier die Geschichte aus historischer Perspektive problematisch ist (1 Kg 10,10; Jes 60,6). Vgl. z.B. Fattovich 2004; Keall 2004; Phillips 2004.

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Die Keimzelle dieses Reiches bildete sich im 12. Jh. v.Chr. im Süden der Arabischen Halbinsel, in Saba. Ab 900 lassen sich monumentale Bauten nachweisen, deren Planung und Bau eine differenzierte Gesellschaft voraussetzen, die Zugang zum Wissen der altorientalischen Großreiche hatte. Nur wenige Jahrzehnte später finden wir – 700 Kilometer Luftlinie von Saba entfernt – auf ostafrikanischem Boden dieselben Tempel. Spätestens seit dem 9. Jh. – und die archäologischen Grabungen sind aufgrund der politischen Umstände bestenfalls in einem Anfangsstadium – bestanden zwischen dem Jemen und Eritrea/Nordäthiopien intensive Kontakte, die sich auf den Gebieten der Schrift, der Bautechnik, der Architektur, der Religion, der Kunst, der Handelsprodukte, der Kunst und der Herrschaftsformen nachweisen lässt. Vor kurzem hat das Deutsche Archäologische Institut einen vierten Tempel für den altsüdarabischen Hauptgott Almaqah nachgewiesen.13 Auf Inschriften ist die Anwesenheit von Steinmetzen aus Marib, also aus dem Jemen, belegt.14 In Yeha scheint das politische, religiöse und administrative Zentrum des Reiches gestanden zu haben.15 Die archäologischen Funde zeigen, dass zu Beginn des 1. Jt. v.Chr. nicht nur Einzelpersonen, sondern sogar größere Bevölkerungsgruppen aus dem südarabischen Raum nach Ostafrika gekommen sind. Es handelt sich um Migrations- und Mobitätsbewegungen im größeren Stil.16 Die Gründe für die Anwesenheit der Sabäer in Afrika sind bisher nicht sicher erklärbar. Weder bestand im Jemen ein Mangel an fruchtbarem Land, der zu Siedlungsnot und damit einem Migrationsdruck geführt hätte, noch sind Umsiedlungen von unterworfenen Völkern nachweisbar oder überhaupt in dem erwähnten Kontext wahrscheinlich. Am ehesten kommen wohl wirtschaftspolitische Motive in Frage: das abessinische Hochland war reich an Rohstoffquellen und damit ein begehrtes Ziel.17 Um nun auf die Verhältnisse in der griechisch-römischen Zeit zu sprechen zu kommen: die eingangs beschriebenen Windverhältnisse waren einer der Gründe, weshalb manche Händler es vorzogen, die Route über das Niltal zu wählen statt entlang der Küste nach Norden zu segeln. Für die antiken Fernhändler lohnte es sich sogar, statt den Weg bis Heroonpolis (das ägyptische Pithom am äußersten Nordwestzipfel des Roten Meeres) zu nehmen, in Berenike oder Philotera an Land zu gehen, die Waren auf Wagen zu verladen, über Land bis zum Nil zu reisen, dort die Waren erneut auf Schiffe zu verladen und dann nilabwärts den Mittelmeerraum zu erreichen.18 Die besonderen Windverhältnisse sind auch einer der Gründe, warum die weiter nördlich gelegenen Häfen wie Klysma und Philotera von den weiter südlich gelegenen wie Leu13 14 15

Wolf, Nowotnick 2010a; 2010b. Die Baumaterialen wurden zum Teil aus 150km Entfernung herangeschafft. Das war das Ergebnis eines Vortrages (Südarabien und Äthiopien: Beziehungen zwischen dem Reich von Saba und Di’amat), den Iris Gerlach am 23.05.2011 im Rahmen der Ringvorlesung Das Horn von Afrika in Geschichte und Gegenwart an der FU Berlin hielt. Ein Podcast ist unter http:// www.geschkult.fu-berlin.de/e/fmi/arbeitsbereiche/ab_geus/mediathek/hva/gerlach/index.html abzurufen. Kritisch dazu jetzt Breyer 2012, 129–131. 16 Unsere Quellen legen die – kaum überraschende – Vermutung nahe, dass die Träger der Mobilität in erster Linie Händler und Handwerker waren. 17 Vgl. Pankhurst 2004. 18 Zur Diskussion der Quellen einschließlich eines Neufundes vgl. zuletzt Nadig 2012 (dort auch die ältere Literatur).

Mobilität am und auf dem Roten Meer

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kos Limen oder Berenike bereits in hellenistischer Zeit überflügelt wurden. Insbesondere Klysma, das spätere Suez, spielte im Altertum nur eine marginale Rolle.19

3. Das Rote Meer bei Ptolemaios und im Periplus Maris Erythraei Wie erwähnt, existieren zudem am Roten Meer kaum natürliche Häfen. Der Geograph Ptolemaios, unsere ausführlichste Quelle über diesen Raum, zählt trotzdem an der Westküste des Roten Meeres 19 Häfen auf,20 dazu 23 weitere Orte, hauptsächlich Berge, die offenbar nicht als Häfen, Handelsplätze oder Raststationen, sondern als Landmarken für die Navigation dienten (vgl. umseitig die Karte). Die Kategorisierung der insgesamt 42 Ortsangaben an der Westküste des Roten Meeres ist nicht ganz sicher, weil Ptolemaios selber dazu nichts schreibt und für die meisten Orte Angaben aus anderen Quellen fehlen. So könnte beispielsweise der »Altar des Eros« durchaus ein dauerhaft besiedelter Hafen oder umgekehrt der »Große Strand« ein reiner Navigationspunkt gewesen sein. Hier sind auf Grund von Parallelen im Werk des Ptolemaios nur gewisse Wahrscheinlichkeiten zu erzielen. An der grundsätzlichen Aussage, dass die Griechen und Römer am Roten Meer nur wenige Häfen und Landungsplätze kannten bzw. nutzen, ändert diese Kautel aber nichts.

Karte: Das Rote Meer nach der Geographie des Ptolemaios. Die roten Quadrate be- → zeichnen (bewohnte) Ortschaften, insbesondere Häfen und Ankerplätze auf der afrikanischen, die orangenen entsprechend die auf der arabischen Seite; die braunen Quadrate symbolisieren ›landmarks‹; die schwarzen Kreise geben die Inseln im Roten Meer wieder.

19 20

Einen guten Überblick über die antiken Häfen am Roten Meer gibt Sidebotham 1989. Von Norden nach Süden erwähnt Ptolemaios folgende Örtlichkeiten: Heroonpolisb=Zipfel (des Arabischen Golfes), Arsinoeb, Klysmab, Kap Drepanon, Myos Hormosb, Philoterab, Aias-Berg, Leukos Limenb, Akabe-Berg, Nechesiab, Smaragdos-Berg, Lepte Akra, Berenikeb*, PentadaktylonBerg, Kap Bazion (Ptol. 4,5,13f.); Prionoton-Berg, Chersonesos, Kap Mnemeion, Ision-Berg, Tiefer Hafenb, Hafen der Dioskurenb, Warte der Demeter, Kap Aspis, Kap Diogenes, Satyron-Berg, Monodaktylon-Berg, Gauron-Berg, Hafen der Rettenden Götterb, Euangeloi-Hafenb, Ptolemaios Theronb*, Sabastrikon-Mündung, Altar des Eros, Großer Strandb, Kolobon-Berg, Sabatb, Bergige Chersones, Adulisb*, Kap Kronos, Antiochos-Kanal, Mandaithb, Arsinoeb, Dereb* (Ptol. 4,7,5–9). Mit b markiert sind die (mutmaßlich) bewohnten Städte, Dörfer oder Häfen; mit * markierte Städte gehören zu den sogenannten πόλεις ἐπίσημοι.

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Auf der arabischen Seite nennt Ptolemaios weitere21 30 Orte, davon sind 24 Ankerplätze22 und Häfen.23 Unterstellt man annähernd gleiche morphologische Gegebenheiten und Siedlungsdichte im Osten und Westen, ist die afrikanische Küste Ptolemaios sichtlich besser bekannt als die arabische. Das betrifft vor allem die Navigationspunkte. Während an der Ostund Westküste mit 19 und 24 Beispielen annähernd gleich viele Häfen bekannt waren, nennt Ptolemaios auf der afrikanischen Seite immerhin 23 weitere Punkte, vor allem Kaps und Berge, auf der arabischen Seite aber nur sechs. Bereits dieser Vergleich lässt die Vermutung aufkommen, dass auf der afrikanischen Seite ein höherer Grad an Mobilität vorhanden war als auf der arabischen Seite. Von diesen insgesamt 43 Häfen und Ankerplätzen am Roten Meer, die Ptolemaios bekannt waren, können wir nur sechs sicher – d.h. durch archäologische Zeugnisse – identifizieren. Das sind auf der afrikanischen Seite Klysma, Myos Hormos, Berenike, Adulis, auf der arabischen Elana (bzw. Ailana) und Muza. Bei einem knappen Dutzend von Hafenplätzen sind die Identifizierungen relativ sicher, aber wegen des Fehlens archäologischer Ausgrabungen oder Surveys noch nicht bestätigt.24 Dazu zählen etwa der Hafen der Rettenden Götter, Arsinoe, Dere, Iambia und Okelis. Die Mehrheit der Häfen und Landungspunkte am Roten Meer ist also unbekannt, was in erster Linie der mangelhaften archäologischen Situation – aber nicht nur – geschuldet ist. Besonders trübe sind die Verhältnisse auf der Ostseite des Roten Meeres (ganz besonders im Jemen). Hier ist aufgrund der politischen Lage in den letzten Jahren die Forschung gänzlich zum Erliegen gekommen.25 Eine zweite litararische Quelle, der Periplus Maris Erythraei, ein Segelhandbuch aus dem 1. nachchristlichen Jahrhundert, nennt als Handelsstationen auf der afrikanischen Seite des Roten Meeres nur die vier Häfen Myos Hormos, Berenike, Ptolemais Theron und Adulis.26 Diese Städte sind entweder ptolemäische (Neu-)Gründungen oder waren, wie Adulis, zumindest in ptolemäischer Zeit bekannt. Alle vier Städte sind auch bei Ptolemaios genannt. 21 22 23

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Den Zipfel des Arabischen Golfes bei Heroonpolis erwähnt Ptolemaios sowohl in 4,5,13f. als auch in 5,17,1. Weil Heroonpolis eine ägyptische Stadt ist, wird sie hier zu Afrika gezählt. Zur Terminologie von Emporium u.ä. vgl. jetzt Demetriou 2011. [Horoonpolisb=Zipfel des Arabischen Golfes; vgl. Anm. 21]; Biegung (des Golfs von Akaba), Kap Pharan, Dorf Elanab (Ptol. 5,17,1), Onneb, Modianeb, Berg Hippos, Dorf Hipposb, Dorf der Phoinikerb, Dorf des Rhaunatosb, Kap Chersoneos, Dorf Iambiab, Dorf Koparb, Dorf Argab, Königsresidenz Zabramb, Dorf Kentosb, Stadt Thebaib, Baitios-Mündung, Königsresidenz Badeob*, Stadt Ambeb, Dorf Mamalab, Dorf des Adedosb, Stadt des Pudnosb*, Dorf des Ailosb, Dorf des Napegesb, Stadt Sakatiab, Handelsplatz Muzab*, Hafen des Sosiposb, Pseudokelisb, Handelsplatz Okelisb*; Kap Palindromos (Ptol. 6,7,2–7). Ptolemaios erwähnt 6,7,27 einen binnenländischen Platz Madiama, der vielleicht identisch mit Modiane ist. Iambe wird bei Plinius (nat. 6,168) als insula bezeichnet. Auf umstrittene Einzelheiten bei der Identifizierung kann ich an dieser Stelle wegen der damit verbundenen zahlreichen onomastischen, toponymischen und archäologischen Probleme nicht näher eingehen. Dankbar erwähne ich an dieser Stelle die Unterstützung von Pierre Schneider, der mir aus seiner Datenbank zum Roten Meer wertvolle Informationen zur Verfügung gestellt hat. Vgl. https://sites.google.com/site/mererythree/english-version/3-publications/2-planned-projecta-survey-of-the-african-shore-of-the-red-sea. Die Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts hat daher vor wenigen Jahren seine Aktivitäten vom Jemen über das Rote Meer nach Äthiopien verlagert (auch eine Art von Mobilität). Üblicherweise ging die Reise von Ägypten im Monat Juli aus. Vgl. peripl.mar.Eryth. 14.

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Diese Übereinstimmung zwischen dessen Geographie und dem Periplus bestätigt unsere Vermutung, dass die griechischen bzw. römischen Seefahrer nur eine relativ kleine Anzahl von Landungsplätzen am Roten Meer kannten und nutzten. Vor Zwischenlandungen bzw. vor Ankerungen in Küstennähe, was wegen des geringen Tiefgangs der antiken Schiffe und Boote durchaus möglich gewesen wäre, werden sich die Seefahrer auch wegen möglicher Überfälle gehütet haben. Der Periplus Maris Erythraei warnt mehrfach vor Übergriffen einheimischer Barbaren.27 Und es ist wohl auch kein Zufall, dass sämtliche Gründungen der Ptolemäer an der afrikanischen Ostküste – nicht nur die im Roten Meer – auf Halbinseln lagen, die militärisch leicht zu verteidigen waren.28 Die Häfen am Roten Meer – das lassen die archäologischen Ausgrabungen vor allem in Berenike erkennen – waren unansehnliche und unangenehme Orte.29 Die Häuser waren aus einfachem Mauerwerk hergestellt und scheinen bisweilen nicht einmal Dächer gehabt zu haben. Allerdings legt der Grundriss eine hippodamische Anlage und damit eine Planung durch eine Zentrale nahe. Da nicht während des ganzen Jahres gesegelt wurde, mögen manche Hafenbewohner sich nur vorübergehend in den Häfen aufgehalten haben. Um es anders zu sagen: Diese Häfen existierten für den Handel und wegen des Handels. Auf Grund des extrem trockenen Klimas – die jährliche Niederschlagsmenge wird in Millimeter statt in Zentimeter gemessen – konnte im Umkreis der Häfen nichts angebaut werden. Sogar das Trinkwasser musste in manchen Fällen mit Lasttieren von weit hergeschafft werden. So lagen beispielsweise die Quellen, die Leukos Limen versorgten, 25 Kilometer vom Hafen entfernt.30 Gleiches galt für die Dinge des Alltags: auch diese mussten von weit her, wahrscheinlich großenteils aus dem Niltal, herbeigeschafft werden. Trotzdem legen jüngste Ausgrabungen nahe, dass in Leukos Limen und Berenike Ansätze einer Industrie, oder sagen wir besser: Manufaktur vorhanden waren.31 Die dort produzierten Waren scheinen vor allem Tücher und Glas gewesen zu sein. Da wir über den Umfang dieser Produktion nichts wissen, können wir auch die Frage, ob hier für den lokalen bzw. regionalen Markt oder für den Fernhandel produziert wurde, bisher nicht sicher beantworen. Was die Bewohner der Häfen anbelangt, zeigen die Ostraka, Graffiti und andere Kleininschriften ein sehr gemischtes Bild: es sind Männer und Frauen, Römer und Griechen bzw. Nichtgriechen und Nichtrömer, Leute mit sehr unterschiedlichem sozialem Status, die sich im Handel (in geringerem Umfang auch auf anderen Feldern, etwa der Mission) engagierten. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Nichtgriechen bzw. Nichtrömer in diesem Raum: Dass Nabatäer und Araber am Roten Meer aktiv waren, wussten wir aus literarischen Quellen schon lange. Graffiti aus dem 1. und 2. nachchristlichen Jahrhundert bezeugen aber auch die Anwesenheit von indischen Kaufleuten in Leukos Limen und Berenike in römischer Zeit. Der Fund einer Tonscherbe im November 2007 mit tamilischer Inschrift scheint die Präsenz von indischen Händlern in Quseir al-Qadim, vielleicht dem 27 28 29

Peripl.mar.Erythr. 4; 9; 16; 20; 53; vgl. außerdem 7; 19; 30; 34; 62. Vgl. Peacock, Blue 2007a; 2007b. Zur indigenen Bevölkerung in den Küstenstädten und Häfen des Roten Meeres vgl. zuletzt Sidebotham 2011, 68–86 und Thomas 2012. 30 Zum Thema Wassserversorgung vgl. jetzt Sidebotham 2011, 87–124. 31 Sidebotham 2011, 234f.

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antiken Myos Hormos, sogar bis in das 1. vorchristliche Jahrhundert zurückzudatieren.32 In der Forschung hat man lange die Mobilität der Händler aus dem Osten unterschätzt.33 Wenn nicht alles trügt, waren aber die Inder in der römischen Zeit nicht weniger als die Griechen und Römer an den Fernhandelswegen aktiv. Vor wenigen Jahren wurde beispielsweise auf der Insel Sokotra vor dem Eingang ins Rote Meer eine Höhle entdeckt. Von den knapp 200 Graffiti aus dem 2. bis 4. nachchristlichen Jahrhundert sind nur eine Handvoll griechisch oder palmyrenisch. 190 sind indisch, und zwar nicht von Händler aus der Malabar-Küste, sondern teilweise sogar aus Hinterindien und Pakistan.34 Für die Reisenden aus dem Mittelmeerraum scheint Berenike der zentrale Ausgangspunkt für Fahrten im Roten Meer gewesen zu sein. Berenike trägt in anderen Quellen den Beinamen Berenike Troglodytica und ist mit dem ägyptischen Hafen Baranis in der Foul Bay zu identifizieren.35 Aus Plinius erfahren wir, dass die Handelsschiffe in der zweiten Julihälfte aufbrachen, dann nach 30 Tagen in Okelis oder Kane ankamen.36 Von Südarabien aus stachen sie dann entweder in die offene See oder fuhren der Küste entlang, bis sie etwa Ende September in der Limyrike (an der indischen Malabar-Küste) landeten. Den Oktober und November verbrachten die Seefahrer in Indien, bevor sie mit den wechselnden Monsunwinden im Dezember zurückfuhren. Diese Fahrtroute scheint in der Zeit des Augustus gefunden worden zu sein. Der Periplus Maris Erythraei kennt noch eine weitere Route, die Plinius nicht erwähnt. Danach sind die Schiffe aus dem Roten Meer durch den Bab el-Mandeb an der afrikanischen Ostküste entlang bis nach Aromata, h. Kap Guardafui, gefahren, um von dort aus den Weg über den Indischen Ozean zu wagen. Serena Bianchetti hat auf einem Kolloquium in Stuttgart betont, dass diese beiden unterschiedlichen Routen auch mit unterschiedlichen Schiffstypen in Verbindung zu bringen sind. Die Hochseefahrt setzte neben großen Schiffen auch umfängliche Investitionen und größere Logistik voraus, während die Küstenschifffahrt »mehr von lokalen Bedürfnissen … gesteuert wurde«.37 Bianchetti hat weiterhin herausgearbeitet, dass der Vorzug, den Plinius der asiatischen gegenüber der afrikanischen Route gibt, die Realität am Roten Meer korrekt widergibt, dass also die afrikanische Route nur in der Frühphase der Monsunfahrten eine Rolle spielte. Ich möchte die Ergebnisse von Frau Bianchetti aufgreifen und mit ein paar eigenen Gedanken zur Mobilität ergänzen.

32 33 34 35

Vgl. www.hindu.com/2007/11/21/stories/2007112158412400.htm (abgerufen am 10.02.2012). Sidebotham 2011, 55 nennt für Berenike Dokumente in zwölf verschiedenen Sprachen. Vgl. Strauch 2012. Es ist vor kurzem von dem amerikanischen Archäologen Steven Sidebotham ausgegraben worden. Vgl. bes. Sidebotham 2011. 36 Plin. nat. 6,106; vgl. peripl.mar.Erythr. 14; 24; 39; 49; 56, dazu Casson 1989, 283–291. 37 Bianchetti 2002, 283. Vgl. auch Ruffing 2002.

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4. Die ›Inseln‹ im Roten Meer bei Ptolemaios Was zunächst die Frage anbelangt, in welchem Umfang die Einheimischen an den großen Netzwerken partizipierten, die spätestens seit den Punt-Fahrten einer Hatschepsut über das Rote Meer geknüpft waren, so ist diese sehr schwer zu beantworten. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Küsten des Roten Meeres im Altertum nur schwach besiedelt waren, zumal sich, wie wir gesehen haben, hohe Gebirge nicht weit von der Küste im Hinterland Afrikas und Asiens erhoben und den Wohnraum zusätzlich einengten. Dem Text und der Karte des Ptolemaios zufolge war die gesamte Westküste des Roten Meeres von fischessenden Arabägyptern bzw. arabägyptischen Fischessern bewohnt.38 Außer diesen Ichthyophagen nennt Ptolemaios 16 weitere Völker. Von diesen 17 Völkern sind elf ausschließlich bei Ptolemaios, also nur sechs bei anderen Autoren genannt.39 Beispielsweise ist außer den schon erwähnten Ichthyophagen kein einziges Volk im Periplus Maris Erythraei erwähnt.40 Diese Tatsache spricht dafür, dass Ptolemaios – mittel- oder unmittelbar – Quellen zur Verfügung standen, die uns heute unbekannt bzw. nicht mehr erhalten sind. Einige dieser Quellen nennt Ptolemaios in seiner Einleitung. Es handelt sich um Fahrtberichte von Indien- bzw. Afrika-Fahrern, die etwa zur selben Zeit entstanden sind und etwa dieselbe Form wie der Periplus Maris Erythraei aufwiesen. Wenn trotzdem zwischen dem Periplus und der Geographie ein so auffälliger Unterschied bezüglich der Angaben der Völker und der Häfen besteht, so kann ich mir diesen Unterschied nur dadurch erklären, dass der Autor des Periplus und die Afrika- und Indienfahrer des Ptolemaios in unterschiedliche Netzwerke eingebunden waren, die sich nicht oder nur kaum berührten. Im Folgenden werde ich versuchen, meine Vermutung weiter zu begründen. Die Vorlagen des Ptolemaios gehen ziemlich präzise auf die lokalen Verhältnisse ein. Sie nennen neben den Häfen und Landungspunkten die vielen Völker und die zahlreichen landmarks, die ebenfalls allesamt im Periplus fehlen.41 Umgekehrt beschreibt der Autor des Periplus Reiserouten, die im Süden Afrikas bis nach Rhapta (h. Daressalam in Tansania), im Osten Asiens bis zum Ganges reichten, den Rändern der damals bekannten Welt. Dementsprechend hat er vor allem die großen Häfen und den Fernhandel im Blick. An einer Stelle allerdings spricht auch der Autor des Periplus Maris Erythraei von dem lokalen Handel. Er schreibt dort: 38

Ptol. 4,5,27: Τὴν δὲ παρὰ τὸν Ἀραβικὸν κόλπον ὅλην παράλιον κατέχουσιν Ἀραβαιγύπτιοι Ἱχθυοφάγοι. Der Name zeigt die enge Verbundenheit der Völker der Ost- und Westküste des Roten Meeres. 39 Südlich von Ägypten am Roten Meer wohnten wenig bekannte Völker: die Kolober, die Tabiener, die Sirtiben, die Apirer, die Babyllinier, die Rhizophagen, die Auxumiten bzw. Axumiten, die Saboriden, die Moliben und die Megabarder. Auf der anderen Seite des Meeres siedeln die Thamyditen, die Sidener, die Darren, die Arsen, die Kinaidokolpiten, die Kassaniten und die Alisarer. 40 Die Auxumiten in Ptol. 4,7,29 sind natürlich von weit entfernten Bewohnern der Stadt Axum/Auxume (4,7,25) zu trennen. 41 Dass diese im Periplus Maris Erythraei fehlen, verwundert zwar wenig, weil er den größten Teil der Ostküste des Roten Meeres nicht berührt. Trotzdem überrascht dieser Befund. Er ist nicht zuletzt auch Beweis für die Ansicht, dass Ptolemaios den Periplus Maris Erythraei nicht benutzt hat.

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(7) Ἤδη δ’ ἐπὶ ἀνατολὴν ὁ Ἀραβικὸς κόλπος διατείνει καὶ κατὰ τὸν Αὐαλίτην μάλιστα στενοῦνται. Μετὰ δὲ σταδίους ὡσεὶ τετρακισχιλίους, κατὰ τὴν αὐτὴν ἤπειρον εἰς ἀνατολὴν πλεόντων, ἐστὶν ἄλλα ἐμπόρια Βαρβαρικὰ, τὰ πέραν λεγόμενα, κείμενα κατὰ τὸ ἑξῆς, ἀλίμενα μὲν, ἀγκυροβολίοις δὲ καὶ σάλοις ἔχοντα τοὺς ὅρμους κατὰ καίρον ἐπιτηδείους. Πρῶτος μὲν ὁ λεγόμενος Αὐαλίτης, κατὰ ὃν καὶ στενώτατός ἐστιν ἀπὸ τῆς Ἀραβικῆς χώρας εἰς τὸ πέραν διάπλους. Κατὰ τοῦτον τὸν τόπον μικρὸν ἐμπόριόν ἐστιν ὁ Αὐαλίτης σχεδίαις καὶ σκάφαις εἰς τὸ αὐτὸ προσερχομένων. Προχωρεῖ δ’ εἰς αὐτὴν ὑαλῆ λιθία σύμμικτος καὶ χυλὸς Διοσπολιτικῆς ὄμφακος καὶ ἱμάμτια βαρβαρικὰ σύμμικτα γεγναμμένα καὶ σῖτος καὶ οἶνος καὶ κασσίτερος ὀλίγος. Φέρεται δ’ ἐξ αὐτῆς [sc. ἠπείρου], ποτὲ καὶ τῶν Βαρβάρων ἐπὶ σχεδίαις διαιρόντων εἰς τὴν ἄντικρυς Ὄκελιν καὶ Μούζαν, ἀρώματα καὶ ἐλέφας ὀλίγος καὶ χελώνη καὶ σμύρνα ἐλαχίστη, διαφέρουσα δὲ τῆς ἄλλης. Ἀτακτότεροι δὲ οἱ κατοικοῦντες τὸν τόπον Βάρβαροι. (7) Nunmehr [von hier an, d.h. von Adulis] erstreckt sich der Arabische Busen nach Osten und bei Aualites [Assab?] ist er am engsten. Nach ungefähr 4.000 Stadien, wenn man neben eben diesem Festland nach Osten hinfährt, befinden sich andere barbarische Handelsplätze, die ›Jenseitigen‹ genannt, die in einer Reihe liegen, zwar hafenlos sind, aber für das Ankerauswerfen und Stationieren der Schiffe im Meer zur passenden Zeit geeignete Landungsplätze haben. Der erste [Landungsplatz] ist der, den man Aualites nennt und bei dem die kürzeste Überfahrt von Arabien nach dem jenseitigen Lande ist. In dieser Gegend ist der kleine Handelsplatz Aualites, in dem man in Flößen und Kähnen zusammenkommt. Eingeführt werden dorthin verschiedene Arten von Glassachen, der Saft herber diospolitischer Weintrauben, verschiedenartige gewalkte barbarische Gewänder, Getreide, Wein und wenig Zinn. Ausgeführt werden von da, indem manchmal die Barbaren auf Flößen nach dem gegenüber gelegenen Okelis und Muza übersetzen, Aromata, wenig Elfenbein, Schildkröten und in sehr geringem Maße Myrrhe, die sich aber vor der übrigen auszeichnet. Die Barbaren, die diese Gegend bewohnen, sind ziemlich ungesittet. (Übers. KG)

Wichtig für unseren Zusammenhang ist, dass indigene Händler von der afrikanischen Seite an die Ostküste des Roten Meeres, genauer nach Muza und Okelis, auf Flößen und Kähnen über das offene Meer übersetzten, um dort Handel zu treiben. Die barbarischen Handelsplätze (ἐμπόρια Βαρβαρικά) auf der afrikanischen Seite sind deutlich von den anderen Handelsplätzen, die der Periplus beschreibt, unterschieden – vor allem dadurch dass dort eine Schutzmacht die Sicherheit der Händler und ihrer Fracht garantiert. Die Benennung der Einwohner als »ziemlich ungesittet« ist nicht nur ein Ausflug in die griechische Barbarentopik, sie gewährt auch einen Blick auf die Angst griechischer und römischer Händler vor fehlender Rechtssicherheit in diesen barbarischen Häfen. Über diese barbarischen Handelsplätze sind wir nicht näher informiert. Ein Schlaglicht42 findet sich aber bei dem spätantiken Historiker Prokopios (BP 1,19,17–22): Ὁμηριτῶν δὲ καντανικρὺ ἐν τῇ ἀντιπέρας ἠπείρῳ Αἰθίοπες οἰκοῦσιν, οἳ Αὐξωμῖται ἐπικαλοῦνται, ὄτι δὴ αὐτοῖς τὰ βασίλειά ἐστιν ἐν πόλει Αὐξώμιδι. καὶ θάλασσα, ἡ ἐν μέσῳ ἐστὶν, ἀνέμου μετρίως ἐπιφόρου ἐπιπεσόντος ἐς πέντε ἡμερῶν τε καὶ νυκτῶν διάπλουν διήκει. ταύτῃ γὰρ καὶ νύκτωρ ναυτίλλεσθαι νενομίκασιν, ἐπεὶ βράχος ἐνταῦθα οὐδαμῆ ἐστιν … ὁ μὲν οὖν τῶν Ὁμηριτῶν ὅρμος, ἐξ οὗ ἀπαίροντες εἰώθασιν ἐς Αἰθίοπας πλεῖν, Βουλικὰς ὀνομάζεται. διαπλεύσαντες δὲ ἀεὶ τὸ πέλαγος τοῦτο καταίρουσιν ἐς τῶν Ἀδουλιτῶν τὸν λιμένα. Genau gegenüber von den Homeriten wohnen auf dem gegenüber liegenden Kontinent die Aithiopen, die Auxomiten heißen, weil ihre Königsresidenz in der Stadt Auxome ist. Das Meer, das dazwischen liegt, erstreckt sich, wenn der Wind mäßig von hinten weht, über eine Fahrtdauer von fünf Tagen und Nächten. Dort nämlich ist man sogar gewohnt, weil es an dieser Stelle nirgendwo Untiefen gibt, in der Nacht überzusetzen … (21) Der Hafen der Homeriten, von wo aus 42

Immerhin lässt sich aus dem νενομίκασιν im Text des Prokop auf eine länger geübte Praxis schließen.

Mobilität am und auf dem Roten Meer

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sie gewöhnlich zu den Aithiopen fahren, wird Bulikai genannt. (22) Immer wenn sie dieses Meer überqueren, landen sie im Hafen der Adulitaner. (Übers. KG)

Sowohl im Text des Periplus als auch dem des Prokopios ist nicht vom Fernhandel der Römer bzw. Byzantiner, sondern von dem lokalen Handel der Anrainer des Roten Meeres die Rede.43 In beiden Fällen wird die besondere (primitive) Bauweise der Transportfahrzeuge hervorgehoben.44 Sollte Bulikai mit Okelis oder Muza zu identifizieren sein, wie mehrfach vorgeschlagen wurde,45 wäre dies ein Beweis für die nahe liegende Annahme, dass die Völker auf beiden Seiten des Roten Meeres mobil waren, der Warenaustausch also reziprok und nicht nur von einer Seite monopolisiert war. Einen weiteren Hinweis auf mindestens zwei unterschiedliche Netzwerke am Roten Meer sehe ich schließlich in der Tatsache, dass Ptolemaios erstaunlich viele Inseln bzw. Archipele im Roten Meer nennt. Insgesamt sind es nicht weniger 30 Inseln. Obwohl Ptolemaios sogar die Koordinaten dieser Inseln überliefert, können die wenigsten identifiziert werden.46 Es gibt dort entweder gar keine oder nur unbedeutende Inseln. Selbst die Inseln des Dahlak-Archipels und der Farasan-Islands lassen sich nicht sicher identifizieren. Dies ist weder mit einer fehlerhaften Überlieferung im Text des Ptolemaios noch mit geologischen Veränderungen47 im Roten Meer zu erklären. Dafür ist die Zahl der Inseln zu groß. Weil auch der Ausweg, dass Ptolemaios oder seine Vorlagen diese vielen Inseln ›erfunden‹ haben, nicht gangbar ist, bleibt als Erklärung nur übrig, dass Ptolemaios die Zahl und Bedeutung der Inseln überschätzt hat. Mit anderen Worten: die im Text genannten Inseln sind wahrscheinlich kleine und kleinste Inseln, die aber lokal bzw. regional als Fahrtund Landungspunkte durchaus wichtig sein konnten. Sie sind gleichsam die Knotenpunkte eines Netzwerkes. Ich möchte sogar behaupten: wir fassen in den Inseln Punkte, in denen sich lokale Mobilität abbildet. Denn während die Inseln im Roten Meer für die großen Schiffe des Fernhandels keine Rolle spielten – diese bewegten sich stets entlang der Küste des Roten Meeres – waren sie für Floß- und Kahnfahrten zwischen der Ost- und Westseite, also über das Rote Meer wichtige Stationen. Wie aber ist Ptolemaios an Informationen über diese Barbarenhäfen gekommen? In seiner Einleitung in die Geographie demonstriert er ein großes Interesse an diesem Raum. Mehrfach werden als Quellen Afrika- bzw. Indienfahrer wie Diogenes oder Theophilos genannt.48 Deren Fahrtberichte dürften gelegentlich, wie auch das Beispiel des Periplus Maris Erythraei zeigt, auch Informationen über den regionalen und lokalen Handel enthalten haben, insbesondere wenn dieser sich mit zentralen Punkten des griechischen Fernhandels – wie Adulis, Muza oder Okelis überschnitten hat. 43 44

45

46 47 48

Zu einem Aspekt des lokalen Handels von Aksum vgl. jetzt Sernicola 2011. Vgl. zu den dort verwendeten Schiffstypen auch Artem. 16,778; Agatharchides 101 (GGM I 189); Prok. BP 1,19,23f. Vgl. allgemein zu den Schiffstypen im Roten Meer jetzt Arnaud 2012a. Die genannten Handelswaren – Aromata, Elfenbein, Schildkröten, Myrrhe – sind großenteils leicht verderblich und bilden sich dementsprechend im archäologischen Horizont nicht ab. G. Wirth schreibt in der Teubneriana ad loc.: Βουλικὰς idem emporium est, quod a aliis dicitur Μούζα. Für Okelis votiert u.a. Müller 1855, 276. Mir scheint diese Lösung (Metathese der Konsonanten?) den Vorzug zu verdienen. Es ist sogar denkbar, dass im Altertum die Mangrovenwälder des Roten Meeres als landmarks gedient haben. Vgl. dazu Schneider 2006; 2011. In geringem Umfang gibt es vulkanische und seismologische Aktivität am Roten Meer. Vgl. bes. Ptol. 1,9; 1,17; außerdem 1,14,3. Zu Diogenes vgl. jetzt Geus 2013.

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Fassen wir unsere Ergebnisse kurz zusammen: Die naturräumlichen Rahmenbedingungen am Roten Meer waren für Mobilität im Altertum sehr ungünstig. Entsprechend beschreiben die griechischen, römischen und arabischen Autoren diesen Raum vor allem als eine natürliche Barriere. Eine genaue Interpretation des verstreuten literarischen, epigraphischen und archäologischen Materials lässt aber auch ein anderes Bild aufscheinen: das des Roten Meeres als Raum großer Mobilität. Das liegt zum einen daran, dass das Rote Meer einen wichtigen Transit-Raum zwischen den Mittelmeerkulturen und den Kulturen des Mittleren und Fernen Ostens darstellte. Die Aussicht auf Gewinne, die aus diesem Fernhandel zu ziehen waren, ließ daher diese naturräumlichen Faktoren in den Hintergrund treten und beförderte gerade im 1. und 2. Jh. n.Chr.49 den Handel in einem ungeheuren Ausmaße.50 Diese Situation bildet sich sowohl in unseren schriftlichen wie archäologischen Zeugnissen ab. Zum anderen gab es aber neben dem Fernhandel auch einen lokalen bzw. regionalen Handel, der sehr viel schwieriger zu fassen ist, da er sich mangels archäologischer Untersuchungen und mangels fehlender literarischer Zeugnisse nur mittelbar und punktuell – wie in der Geographie des Ptolemaios – niederschlägt. Klaus Geus Freie Universität Berlin, Friedrich-Meinecke-Institut Koserstraße 20, D-14195 Berlin [email protected]

Literatur Arnaud 2012a: P. Arnaud, La mer, vecteur des mobilités grecques, in: Capdetrey, Zurbach 2012, 89–135 Arnaud 2012b: P. Arnaud, Le Periplus Maris Erythraei: un œuvre de compilation aux préoccupations géographiques, in: Topoi Suppl. 11, 27–61 Bianchetti 2002: S. Bianchetti, Die Seerouten nach Indien in hellenistischer und römischer Zeit, in: E. Olshausen, H. Sonnabend (Hg.), Zu Wasser und zu Land. Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 7, 1999, Stuttgart (Geographica Historica 17), 280–292 Breyer 2012: F. Breyer, Das Königreich Aksum. Geschichte und Archäologie Abessiniens in der Spätantike, Darmstadt/Mainz Breyer 2013: F. Breyer, Punt und die Seefahrer. Zum Nutzen von Logbüchern in der Punt-Diskussion, in: K. Geus, M. Rathmann (Hg.), Vermessung der Oikumene, Berlin/Boston (Topoi: Berlin Studies of the Ancient World 14), 311–319 Capdetrey, Zurbach 2012: L. Capdetrey, J. Zurbach (Hg.), Mobilités grecques: Mouvements, réseaux, contacts en Méditerranée, de l’époque archaïque à l’époque hellénistique, Paris/Bordeaux (Ausonius Éditions. Scripta Antiqua 46) Casson 1989: L. Casson, The Periplus Maris Erythraei. Text with Introduction, Translation, and Commentary, Princeton Curtis 2004: M. C. Curtis, Ancient interactions across the southern Red Sea: new suggestions for investigating cultural exchange and complex societies during the first millennium BC, in: Lunde, Porter 2004, 57–70 Demetriou 2011: D. Demetriou, What is an Emporium?, in: Historia 60, 255–272 Edwards, Head 1987: A. J. Edwards, S. M. Head (Hg.), Red Sea, Oxford u.a. (Key Environments) 49 50

Zur ›Krise des 3. Jh.‹ im Bezug auf den römischen Osthandel vgl. jetzt Nappo 2007. Der Umfang der aus dem Roten Meer nach Italien transportierten Waren war beträchtlich. Strabon (2,5,12) spricht von über 100 Schiffen jährlich nach Indien; in Rom wurden für den Pfeffer eigens besondere Lagerhäuser – horrea piperataria – eingerichtet.

Mobilität am und auf dem Roten Meer

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Anna Ginestí Rosell

Τηλοῦ πατρίδος Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen

Wie verändert sich die Sprache, wenn man den Wohnort wechselt? Und wodurch werden diese Veränderungen verursacht? In der Sprachwissenschaft versucht man seit einigen Jahren in der Forschungsrichtung ›Migrationslinguistik‹ solche Fragen für die modernen Sprachen zu beantworten.1 Können wir das auch für die antike Welt leisten? Leider fehlt für die klassische Philologie genau jene Art von Quellen, die die Migrationslinguistik hauptsächlich nutzt, nämlich das Gesprochene. Trotzdem können wir mit den uns verfügbaren Quellen ähnliche Fragen für die Antike stellen. Objekt der vorliegenden Untersuchung ist die Sprache jener Ausländer, ξένοι, die in klassischer und nachklassischer Zeit in Athen lebten, in einer Polis, die bekanntermaßen viele Ausländer anzog. Als Quelle werden Grabinschriften herangezogen, da sie zum großen Teil Privatinschriften sind und deswegen nicht so stark unter dem Einfluss der Amtssprache der Polis stehen, d.h. sie sind durchlässiger für Formen, die nicht der attischen Norm entsprechen. Andererseits ist ein Grabdenkmal immer eine Darstellung der Familie, eine Inschrift, die nach außen, an die Gesellschaft gerichtet ist. Sie besitzt daher eine repräsentative Funktion, für die die Wahl der Sprache eine wesentliche Rolle spielen kann. 516 Inschriften wurden analysiert. Diese erwähnen zum großen Teil Griechen aus anderen Poleis, weshalb die vorliegende Sprachanalyse genau genommen eine Dialektanalyse ist. Eine kleine Gruppe der Inschriften bezieht sich auf Ausländer nicht-griechischer Herkunft, βάρβαροι, die aber bereits einen gewissen Grad an Hellenisierung zeigen. Insgesamt bilden die Ausländer eine sehr heterogene Gruppe, die negativ definiert wird (Nicht-Athener). Daher weist auch der Gebrauch der Sprache viele verschiedene Tendenzen auf: von Inschriften, die ausschließlich attische Merkmale zeigen, bis zu den Inschriften, die vollständig im Heimatdialekt verfasst wurden. Daneben gibt es auch einige zweisprachige Inschriften für βάρβαροι. Gerade diese Heterogenität in der Sprache macht die Beschäftigung mit diesen Inschriften interessant. Mehrere beispielhafte Fälle werden auf den nächsten Seiten präsentiert und kommentiert.2 Der chronologische Rahmen der Studie reicht vom Ende des 6. Jh. v.Chr. – einer Zeit, in der die griechischen Dialekte sehr lebendig waren – bis zum Ende des 4. Jh. v.Chr – als fast alle Dialekte schon unter dem Einfluss der Koiné aus den schriftlichen Zeugnissen ver1 2

Siehe z.B. Krefeld 2004. Für den vollständigen Katalog der Grabinschriften für Ausländer in Athen vom 6. bis 4. Jh. v.Chr. und eine detallierte Untersuchung aller Inschriften siehe Ginestí 2012.

242

Anna Ginestí Rosell

schwunden waren.3 Für die hier angestrebte Analyse ist es daher ausgesprochen wichtig, stets Bezug auf diese Entwicklung in der griechischen Sprache zu nehmen, die bekanntlich nicht in allen Regionen gleichmäßig verlief.4

1. ›Heimat‹ als Thema des Epigramms Ein beliebtes Thema bei Grabepigrammen für Ausländer ist der Bezug auf die Heimat, oft verbunden mit dem Stolz, dort eine besondere Stellung zu genießen. In solchen Epigrammen kann der Dialekt als Zeichen der eigenen Identität benutzt werden und so die Verbundheit mit der Heimat deutlicher darstellen. Dies geschieht vermutlich in den beiden folgenden Inschriften. 1.1

IG I3 1353 (ca. 445–425 v.Chr.)

Die erste Inschrift, die aus der zweiten Hälfte des 5. Jh. stammt, ist eine öffentliche Ehrung, die von drei athenischen Phylen einem gewissen Pytion gestiftet wurde. Es liegt in diesem Fall also keine Privatinschrift vor. Pythion aus Megara hatte (wahrscheinlich um 446 v.Chr.) eine Einheit aus drei Phylen, die sich zunächst nach Pagai vor dem Einzug der Peloponnesier retten musste und der der gewohnte Rückweg versperrt blieb, durch boiotisches Gebiet nach Athen zurückgeführt.5 Offensichtlich blieb Pythion in Athen und starb dort, sodass ihm die drei Phylen gemeinsam ein Grabmal errichteten. μνῆμα τ[όδ’ ἐστ’ ἐ]πὶ σάματι κείμενον ἀνδρὸς ἀρίστο. Πυθίων | ἐγ Μεγάρω δαιώσας ἑπτὰ μν ἄνδρας, ἑπτὰ δὲ ἀπορρήξας λ|όγχας ἐνὶ σώματι ἐκείνων εἵλετο τὰν ἀρετὰν, πατέρα εὐκ|λείζων ἐνὶ δήμωι. 5 Oὗτος ἀνήρ, ὃς ἔωισεν Ἀθηναίων τρ|ες φυλὰς ἐκ Παγᾶν ἀγαγὼν διὰ Βοιωτῶν ἐς Ἀθήνας, εὔκλ|εισε Ἀνδοκίδαν δισχίλοις ἀνδραπόδοισιν. Oὐδέ{δε}να | πημάνας ἐπιχθονίων ἀνθρώπων ἐς Ἁΐδα κατέβα πᾶσιν μα|καριστὸς ἰδέσθαι, 10 φυλαὶ αἵδ’ εἰσίν· Πανδιονίς, Κεκρ|οπίς, Ἀντιοχίς. Dies Denkmal ist errichtet über dem Grab des trefflichsten Mannes. Pythion aus Megara erschlug sieben Mann; sieben Speere brach er ab in ihrem Leib. Tapferkeit erwählte er sich und brachte seinem Vater Ruhm im Volk. Dieser Mann, der drei Phylen der Athener wohlbehalten von Pagai durch der Boioter (Gebiet) nach Athen führte, brachte Ruhm dem Andokidas durch zweitausend Gefangene. Ohne einem Menschen auf Erden Leid zugefügt zu 3 4

Ob diese Dialekte weiter gesprochen wurden, lässt sich schwer beantworten. Einen guten Überblick über alle Dialekte bieten noch immer Buck 1955 und Schmitt 1977. In den letzten dreißig Jahren wurden aber auch viele Untersuchungen über einzelne Dialekte veröffentlicht. Eine gut aktualisierte Literaturliste findet man bei J. L. García Ramón, Griechische Dialekte, in: DNP 4, 1998, 1231–1236 und in den speziellen Lemmata des DNP. Die Entstehung und Verbreitung der Koiné behandeln das klassische Werk von Debrunner, Scherer 1969, die Arbeiten von López Eire 1993; 1996 und ausführlich auch Horrocks 22010. Einzelne Dialekte tauchen nach dem Ende des 4. Jh. v.Chr. weiterhin in den öffentlichen und privaten Inschriften auf. Ein gutes Beispiel für ein solches Weiterleben bietet das Boiotische (Buttenwieser 1911; Vottéro 1996). 5 Für die Rekonstruktion dieser Episode siehe Meiggs, Lewis 21988, Nr. 51 mit älterer Literatur.

Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen

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haben, stieg er in den Hades hinab, allen als Glückseliger zu erachten. Die Phylen waren folgende: Pandionis, Kekropis, Antiochis. (Übers.: Brodersen, Günther, Schmitt) Attisch: Dorisch:

η < *ᾱ ᾱ erhalten Gen.Pl. -ᾶν < -άων

Das Epigramm zeigt eine interessante Mischung aus attischen (unterstrichen) und dorischen (fett) Formen. In dieser Zeit wurde in Athen das Ionische als Sprache der Epigramme vom Attischen langsam verdrängt,6 weshalb die attischen Merkmale gut ins Bild passen. Das Besondere sind die dorischen Formen, die allerdings nur vereinzelt auftreten und sich nicht konsequent durch das ganze Gedicht ziehen. Dies ist bei der Behandlung des ursprünglichen ᾱ deutlich zu sehen: mal wird es erhalten, mal findet sich das ionischattische η < *ᾱ. Die Verbundenheit Pythions zu seiner Heimat wird in Vers 4 erwähnt und die dorischen Formen im Gedicht sollen dies sinnlich verstärken. Sogar der Name eines Atheners, Andokides, wird in der dorischen Form wiedergegeben (Z. 7) – aber natürlich nicht der Name der Polis Athen (Z. 6). Wie es beispielsweise auch in den Chorpassagen von Tragödien zu beobachten ist, verwendete man auch hier nur solche dorischen Formen, die allen Griechen bekannt waren. Damit erhält das Gedicht ingesamt eine dorische Färbung, die vor allem der Ehrung des Pythion dient, die aber doch noch für attische Leser und Hörer verständlich ist. 1.2

IG II2 7965, ca. 365–340 v.Chr.

Ein weiteres Beispiel dafür, wie Thema und Form sich gegenseitig verstärken, ist das Grabepigramm für Praxinos, einen Mann aus Aigina: [τὄνο]μα μὲν τὀμὸν καὶ ἐμõ πατρὸς ἥδε ἀγορεύ[ει] [στή]λη καὶ πάτραν. πιστῶν δὲ ἔργων ἕνεκα ἔσχο[ν] [Πισ]τὸς ἐπωνυμίαν, οὗ σπάνις ἀνδρὶ τυχεν. Πραξίνος 5 Τερεία Αἰγινήτης Diese Stele gibt meinen Namen und den meines Vaters bekannt, auch meine Heimat. Dank der Zuverlässigkeit meines Handelns bekam ich den Beinamen ›der Treue‹, was selten einem Menschen zukommt. Praxinos, Sohn des Tereias, aus Aigina.

Die Sprache des Epigramms ist hier durchgehend attisch (unterstrichen), so wie es in der Mitte des 4. Jh. v.Chr. in Athen die Regel war. Das Hauptthema ist in diesem Gedicht die Identität des Praxinos. Um dies zu unterstreichen, wurde die einzige nicht attische Form im Genitiv des Namens des Vaters, Τερεία, mit der Endung -ᾱ < *-ᾱο eingesetzt. Hierbei handelt es sich nicht um den Erhalt eines phonetischen Merkmales, wie es in anderen Personennamen für Leute aus Aegina zu beobachten ist,7 sondern um den Erhalt einer morphologischen Form. Im Allgemeinen sind die morphologischen Merkmale, die dem Attischen fremd waren, die ersten, die im Laufe der Verbreitung der Koiné verschwanden, was uns 6

Ionisch ist hier nur die Dativendung -οισιν, Z. 7. Natürlich gibt es neben ionisch-attischen und dorischen auch andere Merkmale, die aus der homerischen Sprache stammen, wie beispielsweise die Tmesis bei ἐπι – κείμενον (Z. 1) oder die Präposition ἐνί (Z. 3 und 4). 7 Siehe IG II2 7952; 7963.

244

Anna Ginestí Rosell

zeigt, dass sie tatsächlich als fremd wahrgenommen wurden. Insbesondere die Genitivendung -ου für männliche Namen aus der Alpha-Deklination wurde zum Exportschlager des Großattischen und verdrängte die anderen Dialektalendungen wie diese hier. Deswegen darf man hinter dem Erhalt der Endung -ᾱ in dieser Inschrift eine bewusste Entscheidung vermuten, und es liegt nahe, dies mit dem Thema des Epigramms in Verbindung zu bringen: der Herkunft und Identität des Mannes.

2. Die Gruppe der Boioter Besonders interessant für die Frage nach dem Sprachverhalten der Ausländer in Athen sind die Inschriften der Boioter, da sie mit 63 Grabinschriften eine relativ große Gruppe bilden. Die Inschriften sind in die Zeit zwischen dem 5. und dem Ende des 4. Jh. v.Chr. zu datieren und zeigen eine klare Trennung zwischen Inschriften mit nur attischen und Inschriften mit nur boiotischen Merkmalen. Als Beispiel werden vier Inschriften angeführt, die attische, aber keine spezifisch boiotischen Merkmale aufweisen. 2.1

IG II2 8883, ca. 360–350 v.Chr.

Ἑλλὰς μὲν πρωτεῖα τέχνης αὐλῶν ἀπένειμεν Θηβαίωι Ποάμωνι, τάφος δ΄ ὅδε δέξατο σῶμα· πατρὸς δὲ μνήμαισιν Ὀλυνπίχου αὔξετ΄ ἔπαινος, οἷον ἐτέκνωσεμ παῖδα σοφοῖς βάσανον. 5 Πατρόκλεια Ποτάμωνος γυνή. Hellas hat den ersten Rang in der Kunst des Aulosspiels dem Thebaner Potamon zugeteilt, und dieses Grab hat seinen Körper aufgenommen. Die Anwesenheit des Vaters Olympichos steigert das Lob noch und erinnert daran, was für einen Sohn er hervorbrachte, einen Maßstab für die Kundigen. Patrokleia, Frau des Potamon. Attisch: Homerisch:

2.2

η < *ᾱ ΘηβαιDat.Pl. -αισιν

IG II2 8888, 4. Jh. v.Chr. Τηλέμα|χος Θη|[βαῖος] Telemachos Thebaner. Attisch:

2.3

ΘηβαιΤηλε- (boiot. Πειλε-) < *kwe-

IG II2 8868, 4. Jh. v.Chr. Ζωπύρα | Κίττου | Θήβαιου | γυνή Zopyra, Frau des Thebaners Kittos. Attisch:

η < *ᾱ Θηβαι-

Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen

2.4

245

IG II2 10096, 330–320 v.Chr. Πλανγὼν Τολμίδου Πλαταική | Τολμίδης Πλαταεύς Plangon, Tochter des Tolmides, Plataierin. Tolmides Plataier. Attisch:

η < *ᾱ Gen.Sg. -ου

Das Ethnikon Θηβαῖος wird in allen Beispielen konsequent in der attischen Form verwendet, die sich von der boiotischen Θειβῆος/Θειβήα der Inschriften 2.5 bis 2.7 unterscheidet. Aber auch alle andere identifizierbaren Dialektmerkmale sind dem Attischen zuzuordnen: das η < *ᾱ, die Genitivendung -ου für männliche Namen der a-Deklination, die Entwicklung Labiovelar zu Dental bei Τηλε-.8 Das gegenteilige Bild mit ausschließlich boiotischen Merkmalen zeigen die folgenden drei Inschriften. 2.5

IG II2 8866, vor der Mitte des 4. Jh. v.Chr. Εὐθενίκα Θειβήα Euthenika Thebanerin. Boiotisch:

2.6

ᾱ erhalten Θειβη-

IG II2 8881, 4. Jh. v.Chr. Πειλεστροτίδας Θειβῆος Peilestrotidas Thebaner. Boiotisch:

2.7

ᾱ erhalten ΘειβηΠειλε- (att. Τηλε-) < *kwe-στροτ-

Agora XVII 498, 4. Jh. v.Chr. Ἱππά[ρ]χα | Θειβ[ήα] Hipparcha Thebanerin. Boiotisch:

ᾱ erhalten Θειβη-

Hier wird durchgehend ein langes α erhalten und das Ethnikon zeigt nur die boiotische Form Θειβῆος bzw. Θειβήα. Die Entwicklung des Labiovelars *kwe zeigt diesmal die boiotische Realisierung als Labial, und das *r bei -στροτ- vokalisiert zu /or/.9

8

Vgl. dasselbe onomastische Element bei 2.6, diesmal mit dem boiotischen Ergebnis Πειλεστροτίδας. 9 Die beiden lezten Merkmale beim Eigennamen Πειλεστροτίδας (2.6).

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Anna Ginestí Rosell

Das heißt, dass in der Gruppe der in Athen lebenden Boioter zwei deutliche Tendenzen zu beobachten sind: der Erhalt des eigenen Dialekts oder die Anpassung an das Attische.10 Die Tatsache, dass diese beiden Gruppen so gut zu trennen sind, zeigt ebenfalls, dass die Wahl der Sprache für die Grabinschrift wohl kein Zufall war, sondern eine bewusste Entscheidung. Diese zwei Tendenzen bei den Boiotern sind nicht chronologisch zu erklären, wobei die Herkunftpolis jedoch eine Rolle gespielt zu haben scheint: Die meisten boiotischen Merkmale finden sich in Inschriften für Personen aus Theben und fehlen komplett bei Personen aus Plataiai, einer Polis mit engen politischen Verbindungen zu Athen. Die Tatsache, dass diese Gruppen so deutlich zu trennen sind, ist wahrscheinlich auf zwei Faktoren zurückzuführen. Erstens darauf, dass der boiotische Dialekt sehr lange erhalten blieb: in den Inschriften der Heimat wurde er bis ins 2. Jh. v.Chr. in offiziellen Texten, in den privaten sogar bis ins 1. Jh. n.Chr. verwendet.11 Zweitens die hohe Anzahl der Boioter in Athen, denn je größer die immigrierte Gruppe, desto häufiger wird der eigene Dialekt gehört und gesprochen und lässt sich dadurch besser vor äußeren Einflüssen bewahren.

3. Arkader Eine Kontrastgruppe zu den Boiotern könnten die Arkader darstellen. Die Zahl der Inschriften ist hier deutlich geringer, denn es sind lediglich sechs aus dem 5. bis 4. Jh. v.Chr. zu verzeichnen. Bei diesen beobachtet man im Gegensatz zu den Inschriften der Boioter eine Mischung aus attischen und arkadischen Merkmalen. Als Beispiel werden zwei Inschriften herangezogen. Bei der ersten wurde der Name mit arkadischem, das Ethnikon aber mit attischem Vokalismus geschrieben. Bei der zweiten ist es umgekehrt: der Personenname zeigt attischen Vokalismus, das Ethnikon aber arkadischen.12 3.1

IG I3 1371 bis, ca. 410 v.Chr. Λίσας Τεγεά[τ]ης Lisas Tegeater. Arkadisch: ᾱ erhalten Attisch: η < *ᾱ

10

Nur fünf der 63 Grabinschriften für Boioter zeigen gleichzeitig attische und boiotische Merkmale: IG II2 8885; 8873; 8892; ΣΕΜΑ 1136; 1392. 11 Siehe Buttenweiser 1911, 82–106 und Vottéro 1996, 81–84. 12 Dass die Eigennamen länger Dialektformen erhalten, ist ein allgemein beobachtetes Phänomen und hängt mit dem konservativen Charakter der Onomastik zusammen. Morpurgo Davies beobachtet dieses Phänomen immer noch in arkadischen Inschriften aus dem 4. und 3. Jh. v.Chr., die in Koiné geschrieben wurden (Morpurgo Davies 2000, 25–30.). Nicht so üblich ist das Gegenteilige, d.h. der Erhalt der Dialektform beim Ethnikon, nicht aber beim Eigennamen, wie in der Inschriftt 3.2. Hier könnte man wieder den Erhalt des arkadischen Merkmals mit der Absicht, die Identität des Mannes deutlich herauszustellen, erklären. Siehe den Ausdruck ›Tegeater und Sohn eines Tegeaters‹ im Vers 2.

Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen

3.2

247

IG II2 10435, Anf. 4. Jh. v.Chr. πάντων ἀνθρώπων νόμος ἐ|στὶ κοινὸς τὸ ἀποθανεν. :| ἐνθάδε κεῖται Θεοίτης παῖς | Τελέσωνος Τεγεάτας Τεγε|άτο : καὶ μητρὸς Νικαρέτης | χρηστῆς γε γυναικός. : χαίρ|ετε οἱ παριντες, ἐγὼ δέ γε τἀ|μὰ φυττω. Gemeinsames Gesetz für alle Menschen ist das Sterben. Hier liegt Theoites, Sohn des Teleson, Tegeater Sohn eines Tegeaters. Die Mutter war Nikarete, eine äußerst vortreffliche Frau. Seid gegrüßt Passanten, ich kümmere mich um mein Schicksal. Arkadisch: ᾱ erhalten Attisch: η < *ᾱ -ττEndung -ται Gen.Sg. -ου

Dies ist wahrscheinlich mit dem frühen Gebrauch der Koiné in den arkadischen Inschriften des 4. Jh. v.Chr. zu erklären und könnte bedeuten, dass die attischen Grabinschriften die Situation in der Heimat widerspiegeln, in der die Koiné und das Arkadische oft nebeneinander zu lesen sind.13 Die Sprache der Arkader war womöglich schon von der Koiné durchdrungen, bevor sie nach Athen kamen.

4. Die Lesbier und das Ionische in der Koiné Noch weitere Grabinschriften geben Aufschluss über die Dialektsituation in der Heimat des Verstorbenen, so zum Beispiel bei den Inschriften für Personen aus Lesbos. Der Weg des Attischen bis zur Koiné bedeutet in der ersten Stufe (das sogenannte Großattische) eine Annäherung an das Ionische. So finden sich in den ersten Koiné-Texten aus dem 5. Jh. v.Chr. viele ionische Merkmale, die später in hellenistischer Zeit nicht mehr üblich sind.14 Diese – nennen wir sie – ionisierte Koiné findet sich in der Epigraphik einiger Gebiete, die nicht ionisch waren, jedoch enge Kontakte mit Ionien pflegten, wie z.B. Lesbos und Makedonien.15 So sind meines Erachtens die seltsamen Formen zu erklären, die in den attischen Grabinschriften für Lesbier zu lesen sind. 4.1

IG II2 8491, Ende 5. Jh. v.Chr. Κληνερήτη ⋮ Ἐρεσία | Μεκακλέιος Klenerete Eresierin, Tochtes des Mekakles. att. Κλειναρέτη 1. ε + ε = att. ει; lesb. η 2. ε statt α? 3. η statt ε? 4. att./ion. η < *ᾱ Verwechslung EI~E (-κλέιος)

13

Ohne dass die Koiné das Arkadische aus den offiziellen Dokumenten vollkommen verdrängt hätte (Dubois 1986). 14 Siehe López Eire 1994; 1998; Crespo 2006. 15 Brixhe, Panayotou 1988; Hodot 1990, 19–23.

248 4.2

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IG II2 9203, Mitte 4. Jh. v.Chr. Ὀνήσιμος Ὀνήτορος Λήσβιος Πρωτονόη ⋮ Νικοστράτη ⋮ Εὐκολίνη Onesimos, Sohn des Onetor, Lesbier. Protonoe, Nikostrate, Eukoline. Attisch-Ionisch: η < *ᾱ Verwechslung Η~E (Λήσβιος)

4.3

IG II2 9967, 4. Jh. v.Chr. Καλλικράτης | Καλλιγένους | Μυτυληναῖος Kallistrates, Sohn des Kalligenes, Mytilener. Attisch: Gen.Sg. -ους Ionisch: Assimilation Υ und Ι (Μυτιλ-)

Alle drei Inschriften zeigen Besonderheiten in der Schreibweise der Vokale. Bei Nr. 4.1 wäre Κληνερήτη auf Attisch Κλειναρέτη. Die attische Endung des Nominativs ist nicht überraschend. Im ersten η könnte man vielleicht das lesbische Ergebnis der Kontraktion von /e+e/ vermuten. Außer als Hyperionismus sind das erste ε und das zweite η nicht zu erklären.16 Eine Verwechslung von EI17 und E18 findet sich in der Endung des Genitivs Μεκακλέιος. Diese vermeintlichen Flüchtigkeiten überraschen in einer so sorgfältig eingravierten Inschrift. Die nächste Inschrift (4.2) zeigt in Λήσβιος wieder eine Vokalverwechslung bei der Schreibweise von kurzem und langem E.19 Bei der dritten Inschrift (4.3) ist erstmals ein rein attisches Merkmal zu sehen: die Endung -ους für den Genitiv der Namen auf -ης. Gleich darauf das nächste ionische Merkmal: die Assimilation Y und I im Ethnikon Μυτιληναῖος. Dieses Phänomen findet sich im Lesbischen nicht, da Ypsilon den phonetischen Wert [u] hat und nicht [ü] wie im Ionischattischen; es findet sich aber oft im Nordionischen und gelegentlich auch in den frühen Dokumenten in Koiné.20 Zusammenfassend bedeutet dies, dass in den Inschriften für aus Lesbos stammende Personen sowohl attische, als auch ionische Merkmale zu beobachten sind, aber keine lesbischen. Dies kann mit dem Einfluss der ionisierten Koiné in der Region erklärt werden. Manche Phänomene beruhen aber ganz deutlich auf einer Unsicherheit beim Gebrauch des Ionischen, was vermuten lässt, dass das Ionische oder Attisch-Ionische als Verkehrssprache wahrgenommen, nicht aber von allen gleich gut beherrscht wurde. 16

17 18 19 20

Im Ionischen sind die Vokale im E-Laut viel häufiger, sodass beim Hörer der Eindruck enstehen könnte, alles würde mit E ausgesprochen. So könnte Κληνερήτη entstanden sein, als Versuch, einen Eigennamen ins Ionische zu übertragen. Die Schreibweise für langes geschlossenes E. Die Schreibweise für kurzes geschlossenes E. Im Weiteren zeigt dieses Phänomen, dass der Iotazismus in der Sprache noch nicht präsent war, da es sonst schwierig wäre, gerade diese Verwechslung zu erklären. Hodot 1990, 57–59.

Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen

249

5. Nicht-Griechen Bei den Nicht-Griechen ist der Prozess der Hellenisierung sehr gut zu beobachten. Als Beispiel dafür sollen die Inschriften für Thraker dienen. Mehrere Indizien lassen vermuten, dass ein großer Teil der hierbei dokumentierten Thraker Sklaven waren: die Einfachheit der Grabmäler, die Knappheit der Inschrift mit nur einem Name und einem Ethnikon sowie die Personennamen an sich, die häufig unter Sklaven zu finden sind (Ἀγάθων, Εἰρήνη, Κτησώ, Κτήσων).21 Drei Inschriften fallen besonders auf: 5.1

IG II2 9288, vor dem Ende des 4. Jh. v.Chr. (Bäbler) Θρᾶι[ττ]α | Ἀνδράβυδος | Μρωνῖτις Thraitta, Tochter des Andrabys, Maroneerin.

5.2

IG II2 9289, nach der Mitte des 4. Jh. v.Chr. - - - Κότυος | [Μαρω]νίτης … Sohn des Kotys, Maroneer.

5.3

IG II2 8927, 4. Jh. v.Chr. Φιλόνικος Βίθυος Θρᾶιξ Filonikos, Sohn des Bithys, Thraker.

Auch der Name des Vaters eines Makedonen belegt einen thrakischen Ursprung: 5.4

IG II2 9269, nach der Mitte des 4. Jh. v.Chr. Σάτυρος | Γόλυος | Μακεδὼν | Πράσσιος Satyros, Sohn des Golys, Makedonier aus Prassos.22

In diesen vier Inschriften werden sowohl die Namen der Verstorbenen, als auch die Namen von deren Vätern genannt, was ein Hinweis darauf ist, dass es sich hierbei nicht um Sklaven handelt. Außerdem können wir den Hellenisierungsprozess daran beobachten, dass alle Namen der Väter thrakischen Ursprungs sind,23 der Name des Kindes aber bereits eine griechische Bildung ist.24 Bezeichnend ist bei der ersten Inschrift – und vermutlich auch bei der zweiten – die Herkunft aus Maronea, das ein wichtiger Handelspunkt für Thraker und Griechen und dazu ein geeigneter Ort für ein Zusammenleben zwischen beiden Völkern war. 21 22 23

IG II2 11689; 8897; 8896; 8913; ΣΕΜΑ 1143; 1144. Für die Bedeutungsansätze zu Πράσσιος siehe Ginestí 2012, 209. Alle vier thrakischen Namen wurden in die griechische u-Deklination aufgenommen. Der Genitiv zeigt dreimal die Endung -υος, was die übliche Form im Ionischen ist, einmal aber die Endung mit Dental -υδος und dadurch eine Verschmelzung der Deklinationen auf -u und auf Dental, eine Entwicklung, die im Attischen und später in der Koiné stattfand (Threatte 1996, 226f. und Ginestí 2012, 52 Anm. 128, 59 Anm. 153). 24 Dies ist ein häufig beobachtetes Phänomen in den griechischen Kolonien, in denen der Kontakt zwischen Griechen und anderen Bevölkerungen sehr eng war.

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Anna Ginestí Rosell

Einige der Inschriften für Nicht-Griechen wurden zweisprachig eingraviert, die meisten davon für Phönizier,25 von denen eine große Gruppe in Athen lebte, hauptsächlich aus Zypern stammend, und die über eine gewisse Organisationsstruktur verfügte, sodass sie im Jahr 333/2 v.Chr. sogar ἔγκτησις bekam, um im Piräus einen Tempel für Aphrodite Urania bauen zu dürfen.26 Die Mehrzahl der zweisprachigen Inschriften unseres Corpus beziehen sich auf diese ebengenannte phönizische Gruppe aus Zypern. Sidon und Askalon sind aber auch vertreten. Die Texte zeigen, dass die Phönizier, die in engem Kontakt zu den Griechen standen, sich oft zusätzlich einen griechischen Namen gaben. Das Besondere daran ist, dass dieser griechische Name oft eine Übersetzung des phönizisch-theophoren Namens durch Gleichsetzung zwischen Gottheiten aus dem phönizischen Pantheon und den griechischen Gottheiten ist. Folgende Beispiele verdeutlichen dies: 5.5

IG II2 9035; KAI 57, zweite Hälfte des 4. Jh. v.Chr. ’nk mhdš bn pnsmlt’š kty Νουμήνιος Κιτιεύς Ich bin MHDŠ, Sohn des PNSMLT, der kitäische Mann. (Übers.: KAI) Numenios Kitäer. MHDŠ ›vom neuen Mond‹=Νουμήνιος

5.6

IG II2 9034; KAI 55, 4.–3. Jh. v.Chr. l-bnhdš bn ῾bdmlqrt bn ῾bdmšmš bn tgns ’š kty Νουμήνιος | Κιτιεύ[ς] Dem BNHDŠ, Sohn des ῾BDMLQRT, Sohnes des ῾BDŠMŠ, Sohnes des TGNS, dem kitäischen Mann. (Übers.: KAI) Numenios Kitäer. BNHDŠ ›Sohn des neuen Mondes‹=Νουμήνιος

5.7

IG II2 10270, ca. 400 v.Chr. Ἀρτεμίδωρος Ἡλιοδώρου Σιδώνιος msbt skr b-hym l-῾bdtnt bn ῾bdšmš h-sdny Artemidoros, Sohn des Heliodoros, Sidonier. Stele des Gedenkens unter den Lebenden für ῾BDTNT, Sohn des ῾BDŠMŠ, den Sidonier. (Übers.: KAI)

25

Zudem eine griechisch-karische Inschrift von ca. 525–520 v.Chr., IG I3 1344, und eine griechischdemotische Inschrift aus der Mitte des 4. Jh. v.Chr., IG II2 9987. 26 Siehe IG II2 337, das Enktesis-Dekret für den Bau des Tempels der Aphrodite. In den Z. 42–45 wird Bezug auf eine ähnliche Enktesis-Verleihung an die Ägypter für den Bau eines Isistempels genommen. Über die griechischen Sprachkenntnisse unter den Phöniziern: Baslez, Briquel Chatonnet 1991.

Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen

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Tinnit=Artemis (῾BDTNT=Ἀρτεμίδωρος) Shamash=Helios (῾BDŠMŠ=Ἡλιοδώρος)

5.8

IG II2 8388; KAI 54, Ende 4. Jh. v.Chr.

Ἀντίπατρος Ἀφροδισίου Ἀσκαλ[ωνίτης] Δομσαλως Δομανω Σιδώνιος ἀνέθηκε ’nk šm bn ῾bd ῾sqlny ’š ytn ’t ’nk d῾mslh bn d῾mhn’ sdny 5 μηθεὶς ἀνθρώπων θαυμαζέτω εἰκόνα τήνδε. ὡς περὶ μέν με λέων, περὶ δὲγ πρῶιρ’ ἰγκτετάνυσται· ἦλθε γὰρ εἰχθρολέων τἀμὰ θέλων σποράσαι· ἀλλὰ φίλοι τ’ ἤμυναν καί μου κτέρισαν τάφον οὕτηι, οὒς ἔθελον φιλέων, ἱερᾶς ἀπὸ νηὸς ἰόντες· 10 Φοινίκην δ’ ἔλιπον, τεῖδε χθονὶ σῶμα κέκρυνμαι. Antipatros, Sohn des Aphrodisios, der Askalonite. Domsalos, Sohn des Domanos, der Sidonier hat es geweiht. Ich bin ŠM, Sohn des ῾BD῾ŠTRT, der Askalonite. Das ist was ich aufstellte, D῾MSLH, Sohn des D῾MHM, der Sidonier.« (Übers.: KAI) Kein Mensch soll sich über dieses Bild hier wundern, dass auf der einen Seite ein Löwe um mich herum ausgestreckt ist, auf der anderen Seite ein Schiffsvorderteil. Denn es kam ein feindlicher Löwe, meinen Körper wegzuzerren. Doch meine Freunde wehrten ihn ab und legten hier ehrenvoll mein Grab an, als sie vom heiligen Schiff ausstiegen. Sie, denen ich immer meine Freundschaft gerne gezeigt habe. Phönizien verließ ich, mein Körper ist in diesem Land begraben. (leicht geändert nach Bäbler) Astarte=Aphrodite (῾BD῾ŠTRT=Ἀφροδίσιος) Sonderformen: περὶ μέν … περὶ δὲ σποράσαι < aor. *σποράζω, √σπορα μου κτέρισαν τάφον statt με κτέρισαν τάφωι (GPoss1←DO2, DO1←Inst.2) οὕτηι statt ταύτηι Koiné: μηθείς -ĕi- < – ēi- (τεῖδε)

So wird Astarte mit Aphrodite (῾BD῾ŠTRT=Ἀφροδίσιος), Tanit mit Artemis (῾BDTNT= Ἀρτεμίδωρος) und der Sonnengott Shamash mit dem griechischen Helios (῾BDŠMŠ= Ἡλιοδώρος) gleichgesetzt. BNHDŠ ›Sohn des neuen Mondes‹ und MHDŠ ›vom neuen Mond‹ wurden beide mit Νουμήνιος übersetzt. Dies lässt vermuten, dass auch andere theophore Namen griechischer Bildung bei den einsprachigen Inschriften für Phönizier aus einer solchen Übertragung entstanden sein könnten: ῾Ηρακλείδης (IG II2 9032; 9033) aus einem Name mit dem Stamm MLQRT, ᾿Απολλόδωρος (IG II2 10265a) aus dem Namen des Gottes Rashap. Dies ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, wie in Inschrift 5.8 zu sehen ist: Neben einer solchen Übersetzung (῾BD῾ŠTRT=Ἀφροδίσιος) findet sich auch eine Transliteration der phönizischen Namen (Δομσαλως Δομανω).

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Anna Ginestí Rosell

Besonders auffällig bei diesem Grabgedicht sind die Fehler, die deutlich zeigen, dass der Verfasser kein Grieche war. Solche Fehler27 zeugen von einer Unsicherheit in der Sprache, die charakteristisch für den Lernprozess von Kindern oder Ausländern ist. Trotzdem kann man das Sprachniveau des Verfassers als fortgeschritten bezeichnen und ihn vermutlich dem Umfeld der phönizischen Bevölkerung in Athen zuordnen.28 Das wäre dann ein weiterer Beweis für Kenntnisse der griechischen Sprache unter den Handelsleuten aus Phönizien.29

Zusammenfassung Insgesamt zeigen die athenischen Grabinschriften, dass die Sprache eine Möglichkeit war, auf die Identität der Verstorbenen aufmerksam zu machen. Die Dialektunterschiede im Griechischen wurden als solche wahrgenommen und so lassen viele Beispiele aus den Grabinschriften vermuten, dass der Erhalt von sprachlichen Merkmalen, die dem Attischen fremd waren, in der Regel auf eine Entscheidung zurückging und nicht etwa zufällig war. Dies wird besonders deutlich in jenen Kontexten, in denen die Identität hervorgehoben werden soll, wie in den Inschriften 1.1, 1.2 und 3.2. Der Verzicht auf die eigene Sprache oder Mundart kann im Gegensatz dazu viele verschiedene Gründe haben: der tatsächliche Wunsch, sich an die athenische Gesellschaft anzupassen (wie wir bei einem Teil der Boioter vermuten); aber auch die Verbreitung der Koiné und der darauffolgende Rückzug des Dialekts bereits in der Heimat (wie es wahrscheinlich bei den Arkadern der Fall war); die Anerkennung des Großattischen als Verkehrssprache (in den Inschriften für Lesbier) oder andere mögliche externe Faktoren, wie der Einfluss des Steinmetzen oder des Ateliers, das das Monument fertigte. Hierbei von einer bewussten Entscheidung des Stifters zu sprechen, ist nicht ohne Weiteres möglich und bedürfte einer Analyse, die alle der genannten Umstände in Betracht zieht. Eine weitere Erkenntnis ist, dass es wohl keinen gesellschaftlichen oder öffentlichen Druck gegeben hat, auf die eigene Sprache oder auf den eigenen Dialekt zu verzichten und dafür das Attische zu übernehmen. Grabmonumente sind eine Darstellung der Familie und so richtete sich der Text an die ganze Gesellschaft, was das Erfüllen bestimmter Konventionen mit sich brachte. Was aber in offiziellen Dokumenten beobachtet wird – der Druck auf andere Poleis, Attisch zu schreiben30 – fand in diesem privaten Bereich wohl nicht statt. Nicht nur, dass andere Dialekte und andere Sprachen akzeptiert wurden (siehe die zweisprachigen Inschriften für Phönizier), sondern auch, dass die von der Polis selbst gestifteten 27

Der Aorist σποράσαι (Z. 7) ist ein Hapax und entstand vermutlich aus einer Verwechslung zwischen dem Substantiv σπορά und dem Verb σπαράσσω; das Adverb οὕτηι (Z. 8) zeigt eine Paradigmenregulierung mit Übertragung des männlichen Stammes οὕτ- auf die ganze Deklination; das Verb κτερίζω wird in der Regel mit dem Akkusativ für die Person und dem Instrumentaldativ gebildet, nicht wie hier mit Akkusativ des Objekts und mit Genitiv der Person (Z. 8); der falsche Gebrauch von περὶ μέν … περὶ δέ … als kopulative Konjunktionen, bei dem nur die erste Präposition Sinn macht. Siehe Ginestí 2012, 341–343. 28 Auch die Ikonographie des Reliefs deutet auf einen phönizischen Handwerker. Eine gute Analyse dieses Reliefs findet man bei Stager 2005. 29 Vgl. Anm. 25. 30 Siehe dafür Crespo 2004.

Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen

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Inschriften den Erhalt von Dialektmerkmalen zeigen,31 vermutlich als Zeichen von Anerkennung: Dies stützt die Vermutung, dass im Alltag Athens in klassischer Zeit viele Mundarten und Sprachen zu hören waren und diese Sprachmischung weitgehend als normal akzeptiert wurde.32 Gleichzeitig beherrschten Ausländer nicht-griechischer Herkunft aber mehr oder weniger die griechische Sprache und wurden Teil eines Akkulturationsprozesses, je nachdem wie intensiv das Zusammenleben mit den Griechen war. Bei einigen Phöniziern wird lediglich eine besondere Übersetzung der theophoren Namen beobachtet, bei einigen Thrakern die Übernahme von griechischen Namen in der Kindergeneration. Die Heterogenität der Ausländer in Athen ist daher nicht nur in der Herkunft, im sozialen Status und in der Wirtschaftskraft festzustellen, sondern auch in der Sprache. Anna Ginestí Rosell Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Universitätsallee 1, D-85072 Eichstätt [email protected]

Abkürzungen Agora XVII: D. W. Bradeen, The Athenian Agora XVII: Inscriptions. The funerary monuments, Princeton, 1974 KAI: H. Donner, W. Röllig, Kanaanäische und Aramäische Inschriften, Wiesbaden 1971–1976 ΣΕΜΑ: V. N. Bardani, G. K. Papadopoulou, Συμπλήρωμα τῶν ἐπιτυμβίων μνημείων τῆς Ἀττικῆς, Athen 2006

Literatur Bäbler 1998: B. Bäbler, Fleißige Thrakerinnen und wehrhafte Skythen. Nichtgriechen im klassischen Athen und ihre archäologische Hinterlassenschaft, Stuttgart/Leipzig Baslez, Briquel Chatonnet 1991: M.-G. Baslez, F. Briquel Chatonnet, De l’oral à l’écrit: le bilinguisme des Phéniciens en Grèce, in: C. Baurain, C. Bonnet, V. Krings (Hg.), Phoinikeia Grammata. Lire et écrire en Méditerranée, Actes du Colloque de Liège, 15–18 novembre 1989, Namur, 371–386 Brixhe, Panayotou 1988: C. Brixhe, A. Panayotou, L’atticisation de la Macédoine: l’une des sources de la koiné, in: Verbum 11, 245–260 Brodersen, Günther, Schmitt 1992: K. Brodersen, W. Günther, H. H. Schmitt, Historische griechische Inschriften in Übersetzung, Bd. 1, Darmstadt Buck 1955: C. D. Buck, The Greek Dialects, Chicago Buttenwieser 1911: M. Buttenwieser, Zur Geschichte des böotischen Dialekts, in: IF 28, 1–106 Crespo 2004: E. Crespo, The Attitude of the Athenian State towards the Attic Dialect in the Classical Era, in: J. H. W. Penney (Hg.), Indo-European Perspectives. Studies in Honour of Anna Morpurgo Davies, Oxford, 109–118 Crespo 2006: E. Crespo, The Language Policy of the Athenian State in the Fifth Century B.C., in: Incontri Linguistici 29, 91–101 Debrunner, Scherer 1969: A. Debrunner, A. Scherer, Grundfragen und Grundzüge des nachklassischen Griechisch, Berlin (Geschichte der griechischen Sprache 2) Dubois 1986: L. Dubois, Recherches sur le dialecte Arcadien, Lovain-la-Neuve 31 32

Siehe Inschrift 1.1 oder auch die Inschrift für einen Proxenos aus Selymbria (Ginestí 2005). Es sei hier an die Kritik des ›Alten Oligarchen‹ erinnert, der Dialekt der Athener sei nicht eigen (ἰδίᾳ), sondern eine Mischung (κεκραμένῃ) aus allem, was sie von anderen Griechen und von Barbaren hörten (ἐξ ἁπάντων τῶν Ἑλλήνων καὶ βαρβάρων) (Ps.-Xen. Ath.Pol. 2,8).

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Ginestí 2005: A. Ginestí, Presencia de extranjeros en Atenas a partir de las inscripciones funerarias: el epigrama en honor de Pitágoras de Selimbria (IG I3 1154), in: J. F. González Castro u.a. (Hg.), Actas del XI Congreso de la Sociedad Española de Estudios Clásicos, vol. 2, Madrid, 303–310 Ginestí 2012: A. Ginestí, Epigrafia funerària d’estrangers a Atenes (s. VI–IV aC)/Die Grabinschriften der Ausländer in Athen (6. bis 4. Jh. v.Chr.), Tarragona (Documenta 19) Hodot 1990: R. Hodot, Le dialecte éolien d’Asie. La langue des inscriptions VIIe s. a.C.–IVe s. p.C., Paris Horrocks 22010: G. Horrocks, Greek. A history of the language and its speakers, Chichester Krefeld 2004: T. Krefeld, Einführung in die Migrationslinguistik. Von der Germania italiana in die Romania multipla, Tübingen López Eire 1993: A. López Eire, De l’attique à la koiné, in: C. Brixhe (Hg.), La koiné grecque antique. I: une langue introuvable?, Nancy, 41–57 López Eire 1994: A. López Eire, Historia del ático a través de sus inscripciones I, in: Zephyrus 47, 157–188 López Eire 1996: A. López Eire, L’influence de l’ionien-attique sur les autres dialectes épigraphiques et l’origine de la koiné, in: C. Brixhe (Hg.), La koiné grecque antique. II: La concurrence, Nancy, 7– 42 López Eire 1998: A. López Eire, Historia del ático a través de sus inscripciones II, in: Zephyrus 51, 175–194 Meiggs, Lewis 21988: R. Meiggs, D. Lewis, A Selection of Greek Historical Inscriptions, Oxford Morpurgo Davies 2000: A. Morpurgo Davies, Greek Personal Names and Linguistic Continuity, in: E. Matthews, S. Hornblower, P. M. Fraser (Hg.), Greek personal names. Their value as evidence, Oxford 2000 Schmitt 1977: R. Schmitt, Einführung in die griechischen Dialekte, Darmstadt Stager 2005: J. M. S. Stager, »Let no one wonder at this image.« A Phoenician Funerary Stele in Athens, in: Hesperia 74, 427–449 Threatte 1996: L. Threatte, The Grammar of Attic Inscriptions. II: Morphology, Berlin/New York Vottéro 1996: G. Vottéro, Koinés et koinas en Béotie à l’époque dialectale (VIIè–IIè s. av.J.-C.), in: C. Brixhe (Hg.), La koiné grecque antique. II: La concurrence, Nancy, 43–92

Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen

Abb. 1: Inschrift 2.1. Grabstele des Potamon, Athen, ca. 360–350 v.Chr.

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Abb. 2: Inschrift 2.4. Grabstele der Plango, Athen, 330–320 v.Chr.

Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen

Abb. 3: Inschrift 2.6. Grabstele des Peilestrotidas, Athen, 4. Jh. v.Chr.

Abb. 4: Inschrift 4.1. Grabstele der Klenerete, Athen, Ende 5. Jh. v.Chr.

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Abb. 5: Inschrift 5.2. Grabstele eines Maroneers, Athen, nach der Mitte des 4. Jh. v.Chr.

Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen

Abb. 6: Inschrift 5.5. Grabstele des Numenios, Athen, zweite Hälfte des 4. Jh. v.Chr.

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Abb. 7: Inschrift 5.8. Grabstele des Antipatros, Athen, Ende 4. Jh. v.Chr.

Herbert Graßl

Arbeitsmigration in den römischen Grenzprovinzen

Ein epigraphischer Neufund in Carnuntum an der Donau soll Ausgangspunkt der folgenden Erörterungen sein:1

1 2 3 4 5

L(ucius) Cominius / T(iti) f(ilius) Romil(ia tribu) / Firmus lixa / annor(um) XXV / h(ic) s(itus) e(st) / T(itus) et C(aius) Comini / fratri posuerunt. Cominius hic iaceo, / sed morte peremptu[s] / [optab]am in patriam [de/hinc]cum fratribus / [ve]rti quos liqui et / morti debita fata dedi / O utinam Italiae poti/us mea fata dedissent, / quam premeret cine[res barbara terra meos].

1 Hier liege ich, Cominius, vom Tod hinweggerafft. 2 Mein Wunsch wäre es gewesen, später mit den Brüdern zurück in die Heimat zu kehren. 3 Ich ließ sie zurück und erfüllte mein dem Tode geschuldetes Schicksal. 4 O hätte mein Schicksal mich eher Italien übergeben, 5 als dass barbarische Erde meine Asche bedeckte. Die Grabstele nennt den mit 25 Jahren verstorbenen römischen Bürger Lucius Cominius Firmus aus der tribus Romilia (=Romulia). In Oberitalien waren die Bürger von Ateste (h. Este) in diese tribus eingeschrieben, eine dortige Herkunft kann also mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Die überlebenden Brüder Titus und Gaius haben das Grabmal wohl im späteren 1. Jh. n.Chr. errichtet. Als Beruf des Verstorbenen wird lixa angegeben, was in der Forschung unterschiedliche Übersetzungen und Deutungen erfahren hat, meist als Marketender; zuletzt hat man an spezielle Sklavenhändler gedacht.2 Lixae standen immer in engem Kontakt und räumlicher Nähe zu Truppenverbänden, wurden aber von den meist zusammen genannten mercatores und negotiatores differenziert.3 Im kollektiven Wortverständnis wird damit auch der Heerestross insgesamt bezeichnet, bei fest stationierten Lagern der Kaiserzeit die Bewohner der Lagersiedlungen. Die eigentliche Biographie des Lucius Cominius Firmus verbirgt sich allerdings in den fünf Grabversen. Darin wird der Wunsch geäußert, dereinst mit den Brüdern nach Italien zurückzukehren, 1

Neuedition der Inschrift: H. Graßl, Das Grabepigramm für L. Cominius Firmus aus Carnuntum, in: Römisches Österreich 32, 2009, 103–106. 2 R. Feig Vishnia, The Shadow Army. The Lixae and the Roman Legions, in: ZPE 139, 2002, 265– 272. 3 ThLL s.v. lixa.

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was aber durch den Tod vereitelt wurde. Eine mentale Einwurzelung in das neue Lebensumfeld an der Grenze des Imperiums ist noch nicht vollzogen, die patria liegt in Italien, das streng von der fremd-feindlichen Außenwelt geschieden wird. Dieses neue epigraphische Zeugnis liefert ein weiteres Beispiel für das Phänomen der Arbeitsmigration in der römischen Welt, genauer der Migration aus Italien in eine der Grenzprovinzen des Reiches, hier Pannonien, wo sich attraktive neue Geschäftsfelder erschlossen. Geschäfte mit und Dienstleistungen für das römische Heer boten offensichtlich Verdienstmöglichkeiten, die in der Heimat nicht ergriffen werden konnten, besonders wenn man an Sklavenhändler denkt. In den letzten Jahrzehnten hat die Forschung einen näheren Blick auf die Formen der Arbeitsmigration in den römischen Provinzen geworfen und erkannt, dass sich die Zahl der Zuwanderer aus Italien insgesamt eher in überschaubaren Größen bewegte, verglichen mit der Zuwanderung aus anderen Regionen.4 Nicht beachtet wurde bislang dagegen das Phänomen der Rückwanderung oder Heimkehr, sowohl der tatsächlichen wie auch der geplanten, wie in unserem Beispiel aus Carnuntum. Ein temporär begrenzter Aufenthalt in der Fremde lässt die ökonomischen Motive der Migration noch deutlicher hervortreten, jedenfalls wird die Trennung von Ökonomie und kulturellem Umfeld deutlich markiert. Eine (geplante) Remigration von Arbeitsmigranten kann aber auf lange geübte Traditionen zurückblicken. Die urbanen Zentren des Altertums waren traditionell Anziehungspunkt vieler Arbeitsuchender, allen voran Rom. Dieser Sog kannte auch keine ethnischen Grenzen, wie das Beispiel des Helvetiers Helico zeigt: Produnt Alpibus coercitas ut tum inexsuperabili munimento Gallias hanc primum habuisse causam superfundendi se Italiae, quod Helico, ex Helvetiis civis, earum fabrilem ob artem Romae conmoratus ficum siccam et uvam oleique ac vini praemissa remeans secum tulisset. Quapropter haec vel bello quaesisse venia sit. (Plin. nat. 12.5) Es wird überliefert, dass Gallien, durch die Alpen, einem damals unüberwindlichem Bollwerk in Zaum gehalten, zuerst diesen Grund hatte, Italien zu überfluten, weil Helico, ein Bürger der Helvetier, der sich ihrer Kunstfertigkeit wegen in Rom aufhielt, eine trockene Feige, eine Traube so4

A. Mocsy, Die Bevölkerung von Pannonien bis zu den Markomannenkriegen, Budapest 1959, 93, 240f.; ders., Gesellschaft und Romanisation in der römischen Provinz Moesia Superior, Amsterdam 1970, 190; E. W. Haley, Foreigners in Roman Imperial Spain, Diss. Columbia Univ., New York 1986; ders., Migration and economy in Roman Imperial Spain, Barcelona 1991, 38, 114; ders., Geographical Mobility in Roman Lusitania, in: ZPE 82, 1990, 249–269; R. J. Rowland, Foreigners in Roman Britain, in: AArchHung 28, 1976, 443–447; M. Harding, G. Jacobsen, Die Bedeutung der zivilen Zuwanderung aus Norditalien für die Entwicklung der Städte in Noricum und Pannonia, in: Classica et Mediaevalia 39, 1988, 117–206; K. Dietz, G. Weber, Fremde in Rätien, in: Chiron 12, 1982, 409–443, hier: 435; L. Wierschofski, Die regionale Mobilität in Gallien nach den Inschriften des 1. bis 3. Jh. n.Chr. Quantitative Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der westlichen Provinzen des Römischen Reiches, Stuttgart 1995; ders., Fremde in Gallien – ›Gallier‹ in der Fremde. Die epigraphisch bezeugte Mobilität in, von und nach Gallien vom 1. bis 3. Jh. n.Chr. Texte, Übersetzungen, Kommentare, Stuttgart 2001; A. Kakoschke, Ortsfremde in den römischen Provinzen Germania inferior und Germania superior. Eine Untersuchung zur Mobilität in den germanischen Provinzen anhand der Inschriften des 1. bis 3. Jh. n.Chr., Möhnesee 2002, 497, 545, 589; N. Branga, Italicii si veteranii din Dacia. Marturii epigrafice si arheologice, Timisoara 1986; L. Zerbini, Vivere lontano dall’Italia: gli Italici in Dacia, in: L. Zerbini (Hg.), Roma e le province del Danubio, Soveria Mannelli 2010, 291–304.

Arbeitsmigration in den römischen Grenzprovinzen

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wie Kostproben von Öl und Wein bei seiner Rückkehr mitbrachte. Deswegen sei entschuldigt, dass man diese Waren sogar durch Krieg zu beschaffen suchte.

Ein Handwerker aus dem barbarischen Norden soll zu einem Zeitpunkt vor dem keltischen Eindringen in Italien längere Zeit in Rom tätig gewesen sein. Die Art der fabrilis ars ist nicht klar auszumachen. Man denkt an einen Metall- oder Holzarbeiter, eventuell war er ein Wagenbauer, blickt man auf den entsprechenden Technologietransfer, wie er sich auch in der Übernahme des keltischen Vokabulars spiegelt. Der Text zeigt auch deutlich, dass der Helvetier für seine handwerklichen Fähigkeiten einen Absatzmarkt suchte, das KnowHow von Nord nach Süd floss. Natürlich darf man in Helico – wenn es sich dabei überhaupt um eine historische Figur handelt – nicht einen Anführer der gallischen Wanderung, ein historisiertes Abbild gallischer Göttergestalten5 oder gar einen als Handwerker getarnten Spion6 sehen. Ich deute ihn als zufällig überliefertes Beispiel von temporärer Arbeitsmigration. Die bei der Rückkehr mitgeführten mediterranen Früchte (Feige, Traube, Öl und Wein) waren natürlich auch nicht der Auslöser für die Kelteneinbrüche nach Italien, wie das offensichtlich von Plinius angenommen wurde. Auch andere antike Autoren haben einen solchen Zusammenhang hergestellt wie Dionysios von Halikarnassos (13,11) oder Plutarch (Camillus 15,3). Livius (5,33,2) ist da viel vorsichtiger, da er dies als Sage einstuft. Es ist auch in der Tat kein römisches oder gar festlandkeltisches Motiv, wie behauptet wurde, sondern eine literarisch vorgebildete Anekdote, die schon der im 4. Jh. v.Chr. schreibende Autor Deinon von Kolophon zur Begründung des Griechenlandzuges des Perserkönigs Xerxes bemüht (Athen. 14,652b): Deinon überliefert zum Beispiel in den Persika: Sie brachten auf den Tisch des Königs alles, was das Land, das der Großkönig beherrschte, an Lebensmitteln hervorbringt, von jedem die erste Ernte. Xerxes war der Auffassung, dass die Könige kein fremdes Erzeugnis verzehren durften, weder beim Essen noch beim Trinken. Daraus wurde später sogar eine Art Gesetz. Denn als einmal einer der Eunuchen unter den übrigen Nachspeisen getrocknete Feigen aus Attika auf den Tisch brachte, fragte der König, woher sie seien. Als er erfuhr, dass sie aus Athen kamen, verbot er den Marktgehern, sie einzukaufen, bis er selbst die Möglichkeit habe, sie zu beschaffen, wann er will, ohne sie zu kaufen. Man sagt, der Eunuch habe dies mit Absicht getan, um den Großkönig an den Feldzug gegen Athen zu erinnern.

Etwas prägnanter ist die Version bei Plutarch (mor. 173c): Man bot ihm (=Xerxes) attische Feigen zum Kauf; dafür gebe er kein Geld aus, sagte er; wenn er das Land, wo sie wüchsen, erobert hätte, dann wolle er sie essen.

Der Wunsch nach Zugriff auf ein Luxusgut dient hier als Kriegsgrund, und erneut sind es Feigen, die dafür herhalten müssen. Diese Anekdote stellt auch in zugespitzter Form zwei konträre ökonomische Konzepte gegeneinander: ein marktwirtschaftliches, symbolisiert im Verkauf von attischen Feigen am persischen Markt, und das redistributive, vertreten im Wunsch des Großkönigs nach tributärer Abgabenleistung, die aber erst durch militärisches 5 6

So T. Köves-Zulauf, Helico, Führer der gallischen Wanderung, in: Latomus 36, 1977, 40–92. So die Deutung von K. Hornig, Wandernde Künstler und ihre Rolle in Migrationsprozessen, in: E. Olshausen, H. Sonnabend (Hg.), »Trojaner sind wir gewesen«. Migrationen in der antiken Welt, Stuttgart 2002, 200–210, hier: 209; vgl. dazu auch K. Tomaschitz, Die Wanderungen der Kelten in der antiken literarischen Überlieferung, Wien 2002, 69–71; M. Hauschild, Keltische Wanderungen nach Italien – Das Bild der antiken Sagen und Quellen, in: M. Schönfelder (Hg.), Kelten! Kelten? Keltische Spuren in Italien, Mainz 2010, 14f., hier: 15.

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Eingreifen sicherzustellen war. Dass freilich der Transfer von technischem Wissen wie auch Kenntnis und Wertschätzung fremder Nahrungsmittel, Kleidung, Schmuck usw. über mobile Bevölkerungsgruppen wie Handwerker laufen konnte, ist dagegen unbestritten. Doch worin könnten für freie Arbeitsmigranten Gründe für eine geplante Rückwanderung von den aufstrebenden Grenzregionen des römischen Imperiums nach Italien liegen? Dazu wollen wir die Auswanderer etwas näher unter die Lupe nehmen. Ebenfalls in Carnuntum wurde Ende des 1. Jh. n.Chr. einem negotiator Publius Satellius Sodalis aus der tribus Scaptia von seinem Onkel Quintus Varius Modestus ein Grabmal errichtet:7 P(ublio) Satellio C(ai) f(ilio) / Sca(ptia tribu) Sodali / negotiator(i) / Q(uintus) Varius T(iti) f(ilius) / Sca(ptia tribu) Modestus / avonculus / posuit. Diese Tribusangabe könnte auf Florentia (h. Florenz) als Heimat hindeuten. Auch dieser Händler hielt sich zum Zeitpunkt seines Todes mit einem Familienangehörigen in der Grenzstadt an der Donau auf wie ein weiterer 25-jähriger lixa Gaius Aemilius aus Patavium (h. Padua):8 C(aius) Aemilius / C(ai) f(ilius) Fab(ia tribu) Pata(vio) / lixa an(norum) XXV / h(ic) s(itus) e(st) / ex testamen/to fieri iussit. Ein Händler aus Iudaea war ebenfalls in Carnuntum verstorben, sein Grabstein wurde zwischen 71 und 135 n.Chr. errichtet:9 [M.?] Mulviu[s ---] / [---] domo Iudaeus an[norum ---] / [--- ne]gotians h(ic) s(itus) e(st) M(arcus) Mul[vius ---] / [---]s et M(arcus) Mulvius Ama[---] / [---]stus e[t M(arcus)?] Mulvius Pro[---] / [---]s M[---] M(arcus)Mulviu[s---] / – ----Weitere lixae sind in Grabinschriften aus Oescus10 (Moesia Inferior), Beroia (h. Aleppo, Syria) oder Noviomagus (Germania Inferior) bekannt, alles Grenzsiedlungen des Imperium. Bei allen genannten Händlern fällt auf, dass auf den Grabsteinen keine überlebenden Frauen oder Kinder genannt sind, was bei Personen im Alter von 25, 40 oder 50 Jahren doch verwundert. Die Grabsteine wurden von Brüdern, erwachsenen Verwandten, Freigelassenen oder testamentarischen Erben errichtet. Es ist kaum damit zu rechnen, dass auch die lixae dem Eheverbot für Soldaten unterworfen waren, die negotiatores und mercatores waren es definitiv nicht. Das fehlende conubium11 mag manchen Händler davon abgehal7

8 9 10

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E. Vorbeck, Zivilinschriften aus Carnuntum, Wien 1980, Nr. 144; jetzt auch in: E. Bruckmüller, F. Humer (Hg.), Erobern, Entdecken, Erleben im Römerland Carnuntum. Niederösterreichische Landesausstellung, Schallaburg 2011, 52. E. Vorbeck, Zivilinschriften aus Carnuntum, Wien 1980, Nr. 11. F. Humer, G. Kremer (Hg.), Götterbilder – Menschenbilder: Religion und Kulte in Carnuntum, St. Pölten 2011, 435 Nr. 1047. Dazu R. Ivanov, Lixa Legionis V Macedonicae aus Oescus, in: ZPE 80, 1990, 131–136; O. Bounegru, Trafiquants et navigateurs sur le Bas Danube et dans le Pont Gauche à l’époque romaine, Wiesbaden 2006, 71–73. Dazu U. Roberto, Forme dell’integrazione dei Romani residenti nelle città d’Asia Minore. Osservazioni sulle strategie di parentela (I a.C.–d.C.), in: H.-J. Gehrke, A. Mastrocinque (Hg.), Rom und der Osten im 1. Jh. v.Chr. Akkulturation oder Kampf der Kulturen? Akten des Humboldt-Kollegs Verona 19.–21. Februar 2004, Cosenza 2009, 326–336, der für den hellenistischen

Arbeitsmigration in den römischen Grenzprovinzen

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ten haben, eine eheliche Verbindung nach dem ius gentium mit einer freien Angehörigen peregrinen Rechts einzugehen, die Freilassung einer einheimischen Sklavin und nachfolgende Eheschließung war aber für Händler jederzeit möglich. Es fällt auch auf, dass alle Zuwanderer aus Italien deutliche Bezüge zur Heimat(stadt) herauskehren; dazu zählen die Angabe der tribus oder origo.12 Dies lässt erkennen, dass sich diese Personen als cives Romani ex Italia verstanden, die eine zeitweilige Residenz in einer Provinz genommen haben. Korporative Zusammenschlüsse dieser Personengruppen sind epigraphisch bestens dokumentiert, z.B. die cives Romani ex Italia et aliis provinciis in Raetia consistentes, die in Celeia (Noricum) um die Mitte des 2. Jh. n.Chr. eine Ehreninschrift für einen verdienten Statthalter setzten (CIL III 5212=ILS 1362a). Eine mangelnde familiäre Bindung in die neue Lebensumwelt war für (potentielle) Heimkehrer ganz typisch. Umgekehrt wurde eine Einwurzelung in den neuen Wohnort durch eheliche Verbindungen mit Frauen des Gastlandes gefördert, wie an vielen Beispielen gezeigt werden kann, in besonderer Weise in Grabgedichten.13 Die Zusiedler und ihre Nachkommen wurden so rasch Teil der provinzialen Gesellschaft. Dieses Faktum hält Tacitus am Beispiel der Bewohner von Köln deutlich fest, wobei er freilich nicht nur Händler im Auge hat: Si qui ex Italia aut provinciis alienigenae in finibus nostris fuerant, eos bellum absumpsit vel in suas quisque sedes refugerunt: deductis olim et nobiscum per conubium sociatis quique mox provenerunt haec patria est; nec vos adeo iniquos existimamus, ut interfici a nobis parentes fratres liberos nostros velitis. (Tac. hist. 4,65) Die Fremdbürtigen aus Italien oder den Provinzen, die sich in unserem Gebiet aufgehalten hatten, hat der Krieg hinweggerafft oder sie flüchteten jeweils in ihre Heimatwohnsitze. Diejenigen aber, die hier seinerzeit als Kolonisten angesiedelt wurden, mit uns in Ehegemeinschaft verbunden sind und ihre seitherigen Nachkommen haben hier ihre Heimat. Wir trauen euch nicht eine so unbillige Forderung zu, dass wir unsere Eltern, Brüder und Kinder töten sollen.

Aus alienigenae ex Italia wurden durch conubium14 mit einheimischen Frauen binnen kurzer Zeit untrennbare Teile der neuen patria; die sich neu formierende provinzialrömische Gesellschaft ist matrilokal geprägt. Die nicht eingewurzelten, sprich unverheirateten Zuwanderer waren vor den kriegerischen Unruhen des Bataveraufstandes vorzeitig in ihre angestammte Heimat geflohen (oder umgekommen).15 Arbeitsmigration war in der römischen Kaiserzeit also nicht per se mit dauerhaftem Wohnsitzwechsel verbunden, dazu bedurfte es weiterer Faktoren. Der (auch mentale) Wechsel von der alten in eine neue patria ist allein vom Migranten und seiner individuellen Lebensplanung zu organisieren gewesen: viele wollten dies und haben diesen Weg geschafft, andere eben nicht. Ähnliche Pro11 12 13 14 15

Osten die Tendenz der Römer zur Endogamie und die Meidung von Mischehen mit peregrinen Frauen wegen des fehlenden Erbrechts der Kinder hervorhebt. H. Pavis d’Escurac, Origo et residence dans le monde du commerce sous le Haut-Empire, in: Ktema 13, 1988, 57–68, hier: 58f. C. Hamdoune, Mouvements de population dans les carmina funéraires africains, in: L’Africa romana XVI, Rom 2006, 1001–1020, hier: 1015. Zur Frage des conubium von Römern und Ubiern W. Eck, Köln in römischer Zeit, Köln 2004, 756. Vgl. dazu L. Wierschofski, Handels und Wirtschaftsbeziehungen der Städte in den nordwestlichen Provinzen des römischen Reiches, in: W. Eck, H. Galsterer (Hg.), Die Stadt in Oberitalien und in den nordwestlichen Provinzen des Römischen Reiches, Mainz 1991, 121–139, hier: 131f.

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zesse können wir auch bei den Veteranen beobachten: eine zunehmende Zahl siedelte sich am Stationierungsort an, andere kehrten zu ihren heimatlichen Wurzeln zurück. Herbert Graßl Universität Salzburg, Fachbereich Altertumswissenschaften Residenzplatz 1, A-5020 Salzburg [email protected]

Linda-Marie Günther

Überlegungen zur sozialen Mobilität von Metöken in hellenistischen Poleis

Metöken sind ›ansässige Fremde‹ in der griechischen Polis, deren Bürger bekanntlich einen großen Teil ihrer Identität aus ihrer exklusiven Zugehörigkeit zum Bürgerverband beziehen. Man denkt zunächst an Athen, dessen rigides Bürgerrechtsgesetz, das 451 von keinem geringeren als Perikles beantragt worden war, jeden von der politischen Zugehörigkeit ausschloss, der nicht von beiden Elternteilen her bereits athenische Bürger zu Vorfahren hatte.1 Kinder aus Ehen von Athenern mit Töchtern von Nichtathenern hatten somit keine Chance auf den Bürgerstatus. Bis 451 war das möglicherweise anders; aus der historiographischen Literatur kennen wir zahlreiche ›vornehme‹ Athener, deren Großväter mütterlicherseits gerade keine Athener gewesen waren, beispielsweise Kimon und Themistokles. Damit ist aber nicht gesagt, dass die nichtathenischen Frauen, mit denen bis 451 eine gültige Ehe noch erlaubt war, Töchter von Metöken waren, dass also die ›fremden‹ Schwiegerväter in Athen ansässig waren.2 Instruktiv ist in diesem Zusammenhang der Fall des älteren Alkibiades, der vor 451 die Tochter des Milesiers Axiochos ehelichte: Die jüngere Tochter dieses Milesiers, Aspasia, konnte dann nicht mehr legitime Gattin des Perikles werden, weil eben jener das neue Bürgerrechtsgesetz eingeführt hatte. Sollte damals tatsächlich auch Aspasias Vater Axiochos in Athen gelebt haben, so war er als ›politischer Flüchtling‹ (phygas) dorthin gekommen3 und nicht als ›Gewerbetreibender‹. An solche Leute denkt man eigentlich nicht, wenn von ›Metöken‹ die Rede ist.4 In spätklassischer Zeit hat man sich, wie aus Xenophons Poroi bekannt ist, in Athen sehr bemüht, möglichst viele Fremde als Metöken in die Stadt zu holen; dabei spielte die Hoffnung auf eine Belebung des Handels und auf Erhöhung der Einkünfte aus dem metoikikon eine Rolle.5 Weil zur Zeit des Übergangs vom 4. zum 3. Jh. allem Anschein nach aber die 1 2 3

Vgl. C. Patterson, Pericles’ Citizenship law of 451/0 B.C., New York 1981. Der Fall Kimons, dessen Mutter eine thrakische Fürstentochter war, stellt eine Ausnahme dar. Vgl. dazu L.-M. Günther, Aspasia und Perikles: Rufmord im klassischen Athen, in: M. H. Dettenhofer (Hg.), Reine Männersache? Frauen in Männerdomänen der antiken Welt, Köln u.a. 1994, 41–67, bes. 52–55. 4 Vgl. dazu u.a. R. P. Duncan-Jones, Metic numbers in Periclean Athens, in: Chiron 10, 1980, 101–109. 5 Xen. Poroi (=Mittel und Wege, dem Staat Geld zu verschaffen) 2,1f.: »… Wenn nun zu den natürlichen Vorteilen als erstes die Fürsorge für die Metöken käme – diese Einnahmequelle scheint mir eine der besten zu sein, da sich die Metöken ja selbst ernähren und dem Staat großen Nutzen bringen, ohne Zuwendungen zu erhalten, sondern sogar noch die Metökensteuer einbringen –, so scheint mir als Fürsorgemaßnahme zu genügen, wenn wir all das abschafften, was dem Staat nicht

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Metökensteuer abgeschafft wurde, hat man in der Forschung vermutet, dass es seit der hellenistischen Zeit keinen Unterschied zwischen Bürgern (samt ihren Frauen bzw. Töchtern) und residenten Nichtbürgern (samt ihren weiblichen Angehörigen) gegeben habe.6 Dieser Schluss ist freilich voreilig, denn selbst wenn der Terminus metoikos/paroikos o.ä. nicht offiziell existiert, so gab es doch die Sache weiterhin. Bezeugt ist dies in den Grabinschriften, die Fremde mit ihrem Ethnikon bezeichnen.7 Dort, wo beispielsweise Frauen bestattet sind, deren zumeist mitbestattete Ehemänner athenische Bürger gewesen sind, kann man davon ausgehen, dass diese Fremden in Athen ansässig gewesen sind und nicht etwa während eines kurzen Aufenthalts oder gar während einer Durchreise in Athen gestorben waren.8 Damit komme ich zu meinem eigentlichen Thema, der sozialen Mobilität. Um hier eine Aussage treffen zu können, müsste man von einer bestimmten Anzahl von Personen, die nicht längere Zeit oder dauerhaft in einer Polis lebten, die nicht ihre Heimatpolis war, wissen, dass sich im Laufe der Zeit ihr sozialer status verändert hatte: Gemeint ist, ob sie während ihres Lebens in einer fremden Stadt entweder sozial aufstiegen oder abstiegen. Zugegebenermaßen fehlt das Quellenmaterial, anhand dessen sich derartige Beispiele in angemessener Menge aufzeigen ließen. Schon ein Blick auf die ›klassischen‹ Metöken in Athen, die zu Leiturgien und Kriegsdienst herangezogen werden konnten, macht deutlich, wie wenig berechtigt es ist, in ›Metöken‹ vornehmlich oder gar ausschließlich Angehörige unterer Schichten zu vermuten. 5

nützt, aber die Metöken zu kränken scheint, und wenn wir auch damit aufhörten, dass die Metöken als Schwerbewaffnete mit den Bürgern in den Krieg ziehen …«; 2,5: »Beteiligten wir überdies die Metöken an weiteren Angelegenheiten, an denen teilnehmen zu lassen ehrenvoll ist, so auch in der Reiterei, dann würden sie, scheint mir, zu einer besseren Gesinnung geführt …«; 2,7: »Wenn wir sogar Metökenbetreuer nach dem Vorbild der Waisenfürsorger als staatliche Behörde einrichteten, und denjenigen eine gewisse Belohnung zukäme, die auf die meisten Metöken verweisen könnten, so würde auch dies die Metöken zu einer besseren Gesinnung bringen, und natürlich würden alle Heimatlosen den Metökenstatus in Athen anstreben und die Einkünfte vergrößern.« (Übers. G. Audring, Xenophon Ökonomische Schriften, Berlin 1992). 6 P. Spahn, Fremde und Metöken in der Athenischen Demokratie, in: A. Demandt (Hg.), Mit Fremden leben. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, 37–56, bes. 55: »Das Metökentum ist in der Antike eine vorübergehende Erscheinung gewesen. Es gehört im wesentlichen in die klassische Epoche, in der es jene politisch aktive und autonome Bürgerschaft gab. Sowohl in der archaischen wie in der hellenistischen Zeit haben Metöken anscheinend keine Rolle gespielt. Zu vermuten ist: weil ihr Gegenpart, der Aktivbürger, fehlte.« 7 Vgl. dazu jetzt generell M. Niku, The Official Status of the foreign Residents in Athens 322–120 B.C., Helsinki 2007. 8 Vgl. dazu generell: R. J. Osborne, S. G. Byrne, The foreign Residents of Athens. An Annex to the Lexicon of Greek Personal Names (Attica), Oxford 1996. – Eine Zusammenstellung von Milesierinnen, die in Athen bestattet waren, ergibt, dass von 25 Frauen, die sich notabene auf den Zeitraum vom 4. bis zum 1. Jh. v.Chr. verteilen, vier unverheiratet waren, elf athenische Ehemänner hatten; die Gatten der verbleibenden zehn Frauen waren in vier Fällen Milesier, die übrigen sechs anderweitiger Herkunft (z.B. aus Ikaria, Plataiai, Theben, Laodikeia). Die Väter solcher Frauen bzw. auch deren männliche Angehörige dürften gleichfalls in der Stadt gelebt haben, es geht also nicht um das Phänomen ›importierter‹ Ehefrauen, sondern um residente Familien aus anderen, fremden Poleis etwa in Athen. Die Frage, ob es hier Möglichkeiten gibt, eine Aussage über den sozialen Status und eine etwaige Mobilität zu treffen, ist m.E. in einzelnen Fällen zumindest für den ersten Teil zu beantworten. Vgl. dazu L.-M. Günther, Milesierinnen im hellenistischen Athen, in: L.-M. Günther (Hg.), Migration und Bürgerrecht in der hellenistischen Welt, Wiesbaden 2012, 127–145.

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Vielmehr dürfte das soziale Spektrum bei den Nichtbürgern in etwa so ausgeprägt gewesen sein wie bei den Bürgern, und zwar nicht nur in Athen und nicht nur in klassischer, sondern auch in hellenistischer Zeit. Man muss also bei der Frage nach dem sozialen Status eines Individuums, das als ›ansässiger Fremder‹ zu identifizieren ist, grundsätzlich damit rechnen, dass es sich nicht zwangsläufig um einen ›kleinen Mann‹ handelte. Illustrieren lässt sich das Gesagte sehr schön an einem epigraphisch bezeugten Fall aus dem hellenistischen Milet, der erst durch einen Inschriftenneufund von 2007 bekannt geworden ist.9 Auf dem Fragment einer Neubürgerliste begegnet ein Mann namens Thallion, Sohn Dions, der etwa um die Mitte des 3. Jh. v.Chr. gemeinsam mit seinem minderjährigen Sohn Eudemos durch Rats-und Volksbeschluss der ionischen Metropole das dortige Bürgerrecht erhielt. Außer Thallion Dionos nennt das Fragment auch noch Dion Megalokleious, so dass wir hier allem Anschein nach drei Generationen von Neubürgern vor uns haben: den Knaben, seien Vater und seinen Großvater. Bei allen Einbürgerungen stellt sich die Frage, ob es sich hier um die ›Naturalisierung‹ von bisher als Fremden in der betreffenden Polis lebenden Männern handelt, oder ob die Personen gerade erst zugewandert waren. Im Fall des Thallion mit Vater und Sohn ergibt sich die Anwort aufgrund der prosopographischen Einordnung des damals noch minderjährigen Eudemos, der identisch ist mit dem prominenten Eudemos Thallionos, der nicht nur am Ende des 3. Jh. das Stephanephorenamt bekleidete, sondern auch als ›Schulstifter‹ Spuren im kollektiven Gedächtnis Milets hinterlassen hat. Von diesem Promineten waren längst nicht nur seine beiden Brüder Menandros und Dion bekannt, sondern auch sein Großvater Eudemos Theodorou, ein Wohltäter der Stadt. Aufgrund des Inschriftenfundes ist nun evident, dass der Euerget Eudemos der Großvater mütterlicherseits des Schulstifters Eudemos war, also dass seine anonym bleibende Mutter einen Fremden geheiratet hatte, der erst später, gemeinsam mit dem ersten Kind, das Bürgerrecht in Milet erhielt. Wenn wir auch nicht wissen können, aus welcher Stadt Thallion und sein Vater Dion stammten, so lässt sich doch sagen, dass der Euerget Eudemos Theodorou, unzweifelhaft ein Angehöriger der milesischen Honoratiorenschicht, seine Tochter nicht einfach mit einem Metöken aus einer anderen sozialen Schicht verheiratet haben dürfte. Für die Frage, ob Thallion als Schwiegersohn dieses Eudemos zum Zeitpunkt seiner Eheschließung als ›ansässiger Fremder‹ in Milet lebte oder ob seine Gattin mit ihm in seiner Heimatstadt lebte und erst zum Zeitpunkt der Einbürgerung Thallions und des ältesten Sohnes in ihre Heimatstadt Milet zurückkehrte, liegt die erste Alternative am nächsten, nämlich mit Blick auf die Benennung des ersten Sohnes nach dem Milesier Eudemos. Somit ist anzunehmen, dass die Dion-Thallion-Familie zwar zu den Metöken in Milet gehörte, aber aus der Honoratiorenschicht ihrer eigenen Heimatstadt stammte. Von einer sozialen Mobilität kann man hier also nicht direkt sprechen, außer, man erkennt in der Verheiratung Thallions mit einer Bürgerstochter und in der dann folgenden Einbürgerung einen ›sozialen Aufstieg‹. Wollte man dies annehmen, müsste man jeden Neubürger als ›sozialen Aufsteiger‹ klassifizieren. Ein etwas anders gelagerter Fall, den zu erwähnen hier gleichwohl instruktiv sein mag, ist der des um 200 in Milet eingebürgerten Deinomenes; er war der um 245 geborene ›Ba9

W. Günther, Funde aus Milet: Hellenistische Bürgerrechts- und Proxenielisten aus dem Delphinion, in: AA 2009, 167–180, bes. 170–173, Nr. 2 II.

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stardsohn‹ (nothos) des Milesiers Battos,10 seine Mutter war also eine Fremde.11 Der Name Battos ist zwar in der griechisch-hellenistischen Welt verbreitet, wie allein zwei milesische Neubürger des 3. Jh. augenfällig machen;12 er ist aber auch in Milet mehrfach bezeugt, beispielsweise bei Münzbeamten des 4. und 3. Jh. v.Chr. sowie bei einem Schatzmeister des Apollon-Heiligtums zu Didyma aus dem Jahr 274/3.13 Dagegen kommt der Name Deinomenes in der milesischen Onomastik sonst nicht vor, er begegnet aber im Patronym des Metrios Deinomenous, eines Unterhändlers der Kretereinbürgerung von 229/8,14 so dass sich nun spekulieren ließe, dass dieser Namensträger der Großvater mütterlicherseits des nothos Deinomenes gewesen sein könnte: Demnach wäre die Nichtbürgerin, mit der Battos eine in Milet nicht ehefähige Verbindung eingegangen war, die Tochter jenes Kreters Deinomenes gewesen. Ob nun jener Kreter Deinomenes mit seinen Angehörigen jemals in Milet ansässig war oder ob Battos die Mutter seines nothos-Sohnes in ihrer Heimat kennengelernt haben könnte, ist nicht beantwortbar, man muss sich hier weitere Spekulationen versagen. Sicher scheint aber immerhin zu sein, dass derjenige Deinomenes, dessen Tochter dem Battos einen Sohn gebar, zur Honoratiorenschicht seiner Heimatstadt gehörte. Einen interessanten Einblick in die ökonomische Potenz von Metöken gibt die Anleihe der Milesier in Knidos, die im Jahr 282 aufgenommen wurde. Inschriftlich sind einerseits die Namen der milesischen Bürgen überliefert, andererseits die Namen und die zugehörigen Beträge der insgesamt 22 Darlehensgeber.15 Das Geld konnte mit oder ohne Zinsen zur Verfügung gestellt werden, wobei sich für die großzügige Variante nur vier Männer entschieden. Die jeweilige Geldsumme war zwischen 15 und 120 Minen hoch, also zwischen 1.500 Drachmen und 12.000 Drachmen. Von den 22 Darlehensgebern waren drei Männer keiner Knidier, sondern Fremde, evidenterweise Ansässige, denn für einen nur ›Durchreisenden‹ hätte es kaum Sinn gemacht, sich einer großen Summe Bargeldes zu entledigen, um sich dafür von Knidiern und Milesiern danken zu lassen. Zwei dieser Fremden, Nikandros und Kallikles, kamen aus dem benachbarten Halikarnassos, wobei der eine 2.000 Drachmen zinslos beisteuerte, der andere für seine 6.000 Drachmen eine Verzinsung erwartete, so wie auch der dritte Metöke, Athenodoros aus Kyrene, der indessen als einziger die sehr hohe Summe von 12.000 Drachmen bereitstellte. Außer dem Halikarnassier Kallikles gaben nur noch drei Knidier 6.000 Drachmen, so dass unter den fünf Männern, die die höchsten Summen aufbrachten, nämlich zusammen 36.000 Drachmen (=360 Minen) und damit 49% der Anleihensumme der Milesier, zwei Metöken waren, die ihrerseits allein etwa ein Viertel der Anleihensumme beisteuerten. Wenngleich zu beachten bleibt, dass ökonomische Potenz nicht identisch ist mit sozialem Prestige, lässt sich doch wohl behaupten, dass Metöken, die über ein beachtliches Vermögen verfügten und dies im Rahmen politischer Maßnahmen investierten, zu den angese10 11 12 13

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IMilet I.3, 78,3. Vgl. D. Ogden, Greek Bastardy in the Classical and Hellenistic Periods, Oxford 1996, 304–310, bes. 307f. IMilet I.3, 71, Kolumne II, Z. 3; Günther (wie Anm. 9), 174 Nr. 3 I 6. Münzmeister: M.-Chr. Marcellesi, Milet des Hécatomnides à la domination romaine. Pratique monétaires et histoire de la cité du IVe au IIe siècle av. J.-C., Mainz 2004 (Milesische Forschungen 3), 172/3, 173/7, 178/33, Tamias: IDelphes 428, 12. IMilet I.3, 38 gg 3. IMilet VI.1, 138; vgl. L. Migeotte, L’Emprunt public dans les cités grecques, 1984, Nr. 96.

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henen Leuten gehört haben. Im Falle der Milesieranleihe in Knidos war der politische Rahmen übrigens die Solidarität von Stadtgemeinden gegenüber den Forderungen des Königs Lysimachos. Da Auflistungen von Geldbeiträgen und ihren Gebern grundsätzlich ein sehr fruchtbares Quellenmaterial für unsere Fragestellung sind, soll hier noch eine Epidosis-Liste vorgestellt werden, die aus Kos stammt, einer sowohl Halikarnassos als auch Knidos benachbarten Insel der Dodekanes; sie hat mit Frauen zu tun, die für die Renovierung bzw. den Ausbau des dortigen Aphrodite-Heiligtums Geld gaben.16 Der Spendenaufruf stand offenbar im Zusammehnang mit der Berufung der Lykaonis Phanomachou zur Aphroditepriesterin, die dann selbst die Liste der insgesamt 23 Bürgerinnen anführt und dabei wie auch acht weitere die höchste hier vermerkte Summe, nämlich 30 Drachmen einzahlte. Neben der Aufzählung der Bürgerinnen gibt es zwei weitere Rubriken, nämlich für die nothai, also Frauen aus der Verbindung eines Bürgers mit einer Nichtbürgerin, und die metoikoi mit jeweils vier bzw. elf Namen, wobei zwar stets das Patronymikon angegeben ist, nicht aber bei den Metökinnen das Ethnikon. Insgesamt sind auf dem fragmentarischen Inschriftenstein also die Namen von 38 Frauen dokumentiert sowie – bis auf zwei Fälle, wo die Zahlenangabe nicht erhalten ist – die zugehörigen Beträge der Stiftungssumme, welche sich zwischen 30 und 10 Drachmen bewegt. Von den Bürgerinnen gaben neun je 30, sieben 20 und fünf 10 Drachmen; bei zwei weiteren dieser Frauen ist die Angabe nicht erhalten, doch scheinen sie eher 10 als 20 Drachmen beigetragen zu haben. Dagegen gaben die vier nothai je 10 Drachmen, während von den elf Metökinnen drei je 20 Drachmen spendeten, eine 15 und die restlichen sieben jeweils 10 Drachmen. Somit ergab die Sammlung insgesamt 665 Drachmen. Der Unterschied zwischen den Gaben der Bürgerinnen und der Nichtbürgerinnen (nothai und metoikoi) ist deutlich und konsequent: bei den erstgenannten ist die Durchschnittsspende 21 Drachmen, bei den anderen mit 12 Drachmen fast nur die Hälfte. Anders gesagt: Unter den 23 Bürgerinnen waren ca. 70% in der Lage und willens 20 und mehr Drachmen einzuzahlen, von den Nichtbürgerinnen aber nur 20%. Und obwohl den 38 Spenderinnen 15, also knapp 40%, keine Bürgerinnen waren, betrugen ihre Gaben nur ca. 28% des Gesamtvolumens der Spenden. Nun ist allerdings ein Vergleich dieser koischen Frauenspendenliste für Baumaßnahmen am Aphrodite-Temenos mit der Darlehensgeberliste aus Knidos für Milet nicht angemessen, denn zum einen kamen bei dem Darlehen die Einlagen – zumeist mit Gewinn – zurück, zum anderen war die spektakuläre Aktion einmalig, während Spendensammlungen für Heiligtümer sich allem Anschein nach regelmäßig wiederholten. So gibt es etwa aus Kos eine zweite, leider viel fragmentarischere Liste mit insgesamt 47 – teils sehr verstümmelten – Namen, wiederum von Frauen; sie ist vom paläographischen Befund her sehr zeitnah.17 Hier ist zu vermuten, dass im fehlenden oberen Teil des Steines die Spenderinnen größerer Beträge verzeichnet waren, denn die erhaltenen Einträge lauten auf nur 10 und 5 Drachmen. Vor allem fehlt eine implizite bzw. explizite Rubrizierung nach Bürgerinnen, nothai und metoikoi; bei zwei der Frauen ist aber ein Ethnikon angegeben, so dass es sich hier si16 17

M. Segre, Iscrizioni di Cos, 1993, ED 178. M. Segre, Iscrizioni di Cos, 1993, ED 179.

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cher um Metökinnen handelte,18 während in vier oder fünf weiteren Fällen ein Ethnikon angegeben gewesen sein dürfte, aber nicht mehr gelesen werden kann.19 Ob man aus dem Befund, dass die Nichtbürgerinnen nicht wieder gesondert rubriziert sind, den Schluss ziehen sollte, dass die nur durch ihr Ethnikon als ›Fremde‹ gekennzeichnete Spenderinnen mithin stärker integriert waren, ist wohl eher fraglich. Eine andere Folgerung aus dem Vergleich beider koischer Spendenlisten erscheint dagegen plausibler: Dass sich nur zwei Frauen, und zwar Bürgerinnen, auf beiden Listen nachweisen lassen,20 legt nahe, dass die Gebefreudigkeit in den Familien nicht sehr ausgeprägt war, möglicherweise weil doch recht häufig zu derartigen Sammelaktionen aufgerufen wurde. Als letztes Zeugnis sei hier eine rhodische Inschrift aus der Zeit um 100 v.Chr. behandelt,21 die insofern aufschlussreich ist, als sie die abgestuften Status dokumentiert, die es für Metöken in der Inselrepublik gab: neben ansässigen Fremden, die als metoikoi bezeichnet werden, treten andere mit einem Zusatz auf, der ihnen das Recht zur dauerhaften Residenz (epidamia) zuschreibt, bzw. sogar solche, die als engenes metoikos offenbar bereits in dieser Polis als Sproß einer Metökenfamilie geboren waren. Auch in diesem Text, der wiederum nur Frauen verzeichnet, geht es um eine Epidosis, bei der es sich möglicherweise um eine Sammlung für einen sakralen Zweck handelte, etwa im Rahmen eines Kultvereins. Bei den Frauennamen ist indessen auch derjenige des jeweiligen kyrios angeführt, so dass die Liste auch 14 Männer verzeichnet, oftmals wohl die Ehemänner der Spenderinnen. Während bei den Bürgerinnen und Bürgern Patronyme genannt sind, fehlen diese bei den Nichtbürgerinnen und Nichtbürgern. Als Beispiel sei hier eine vierköpfige Bürgerfamilie vorgestellt: Aristomachos Alexandrou fungierte als kyrios der Ptolemaís Iasonos, nämlich seiner Gattin, sowie der gemeinsamen Töchter Chryso und Kleupatra. Nur neun der 21 weiblichen Individuen sind rhodische Bürgerinnen, die anderen kommen aus verschiedenen Heimatpoleis, darunter sechs aus Berytos/Laodikeia, Antiocheia, Seleukeia, Tyros, mithin aus dem phönizischen Raum, der somit 50% der hier genannten fremden Frauen stellte. Bei den restlichen sechs fehlt zweimal das Ethnikon, die übrigen sind aus Patara, Halikarnassos und Milet. Die einzelnen Beiträge schwanken zwischen 100 und 5 Drachmen; ähnlich wie in der Epidosis-Liste aus Kos (s.o.) unterscheiden sich in der Höhe die Spenden der rhodischen Bürgerinnen von denjenigen der Nichtbürgerinnen: Die bei den elf Metökinnen eingesammelten 105 Drachmen setzen sich aus neun mal 10 und dreimal fünf Drachmen zusammen. Von den insgesamt 370 Drachmen wurden 265 (=ca. 72%) von Bürgerinnen erbracht, obgleich deren Anteil an den Spenderinnen nur ca. 42% ausmachte. Eine einzige Bürgerin begnügte sich mit dem kleinen Beitrag von 5 Drachmen,

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M. Segre, Iscrizioni di Cos, 1993, ED 179, Z. 5f.: eine Frau aus Magnesia (mit 10 Drachmen); Z. 14f.: eine Frau aus Milet (mit 5 Drachmen). 19 M. Segre, Iscrizioni di Cos, 1993, ED 179 Z. 2 (mit 10 Drachmen), 17, 17f., 19, 19f. (?) mit jeweils wohl 5 Drachmen. 20 Auf jeder der beiden Listen begegnen gesichert nur Habrotie Simou mit erst 20, dann 10 Drachmen, und Phano Kratous mit jeweils 10 Drachmen. 21 SEG 43, 526,38; vgl. L. Migeotte, Une souscription de femmes à Rhodes, in: BCH 117, 1993, 349–358.

Überlegungen zur sozialen Mobilität von Metöken in hellenistischen Poleis

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während eine andere als Einzelperson 100 Drachmen spendete und die drei Frauen aus der Familie des Aristomachos (s.o.) auf 80 Drachmen kamen. Dagegen spendeten Frau und Tochter des Lykiers Dexilas (s.u.) nur je 10, also zusammen 20 Drachmen. Von den schon angesprochenen 14 kyrioi, entweder die Ehemänner oder die Väter, sind sieben Rhodier.22 In einem Fall unter den Nichtbürgern handelt es sich offenbar um den Sohn der als Stifterin fungierenden Frau, nämlich bei Pharnakes, dem kyrios zum einen der Homonoia aus Halikarnassos, zum anderen einer weiteren Homonoia, welche wie er selbst als engenes metoikos klassifiziert ist, ohne dass m.W. bekannt wäre, unter welchen Bedingungen ein Metöke ›engenes‹ werden konnte. Die Halikarnassierin als ›Mündel‹ des Pharnakes war offenbar seine verwitwete Mutter, die andere Frau seine Schwester; leider erfährt man nicht, welcher Abstammung der Vater des Pharnakes gewesen war, doch scheint der Name auf Kleinasien respektive auf den kilikisch-nordsyrischen Bereich zu weisen, so dass man eine ›gemischte‹ Metökenehe annehmen möchte. Instruktiv ist dafür das Beispiel der Milesierin Kleupatra, deren kyrios Dexilas aus dem lykischen Patara war; Pasikrateia, die als Patarís vorgestellt wird und deren kyrios derselbe Dexilas ist, ist evidenterweise die Tochter von Dexilas und Kleupatra. In sieben Eintragungen erscheint Name, Ethnikon und eine Klassifizierung, nämlich metoikos bzw. auch einmal epidamia (bei Euodos Seleukeus); diese Einträge beziehen sich auf 5 Individuen, von denen nur eines eine Frau ist, nämlich eine gewisse Agathanore mit dem Rhodier Trityllos als kyrios. Bei 12 Personen besteht der ›normale‹ Eintrag aus der Nennung lediglich des Namens und des Ethnikon; darunter auch eher ungewöhnlicherweise auch bei drei kyrioi. Eine Erklärung, warum bei vier Personen aus phönizischen Städten eine Klassifizierung als metoikos o.ä. fehlt, hat schon Migeotte versucht und gemeint, es könnte sich um nichtansässige Fremde, gleichsam ›Durchreisende‹, gehandelt haben.23 Wie die diversen Spendenlisten, von denen gerade die Rede war, hinsichtlich der sozialen Stellung der Geldgeber bzw. vor allem der Geldgeberinnen zu interpretieren sein könnten, ist, wie hier deutlich geworden sein sollte, nicht einfach zu sagen. Es wäre schön, wenn man aus dem Erreichen eines Status als metoikos engenes oder als metoikos mit epidamia zuverlässig auf einen ›Aufstieg‹ im Sinne sozialer Mobilität schließen könnte. Zusammenfassend lässt sich immerhin feststellen, dass eine Beschäftigung mit den – zumeist epigraphischen und daher leider auch sehr schwierigen – Zeugnissen für die Metöken in der klassischen bzw. vornehmlich der nachklassischen Staatenwelt lohnend ist: Über den Weg einer Differenzierung der Lebenssituationen von ›ansässigen Fremden‹ und ihren Familien in verschiedenen Poleis und wohl auch in verschiedenen ›schichtenspezifischen‹ Kontexten lässt sich die Frage nach nicht nur geographischer, sondern auch sozialer Mobilität vielleicht eines Tages beantworten. Unergiebig ist jedenfalls ein Fortschreiben der herkömmlichen Ansicht, dass Metöken, denen selbstredend mit dem mangelnden Bürgersta-

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Bei den sechs sicher als solchen erkennbaren Metöken-Paaren fällt auf, dass in vier Fällen die Frauen aus derselben Stadt wie ihr kyrios stammten (aus Antiocheia, Berytos, Laodikeia, Seleukeia), in zwei Fällen aus unterschiedlichen Poleis (Tyros/Sidon; Milet/Patara). 23 L. Migeotte, Une souscription de femmes à Rhodes, in: BCH 117, 1993, 349–358, hier: 355.

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tus ihrer ›Gastpolis‹ ein relevantes Element gesellschaftlichen Ansehens fehlte, grundsätzlich Menschen zweiter Klasse, randständige und sozial deklassierte Bewohner gewesen sein müssten. Linda-Marie Günther Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Geschichtswissenschaft Universitätsstraße 150, D-44801 Bochum [email protected]

Andreas Hartmann

Tekmeria Die Wanderungen der Heroen als Problem der antiken Historiographie

Die Periegese des Pausanias ist nicht zuletzt deshalb eine so interessante Quelle, weil ihr Autor – wie sein großes Vorbild Herodot – nicht nur (s)eine Darstellung der zu berichtenden Sachverhalte gibt, sondern immer wieder auch einen Blick auf die Grundlagen seines Wissens erlaubt. Eine dieser Passagen befasst sich mit dem Fund eines Grabes in der lydischen Ortschaft Temenouthyrai.1 Die ungewöhnliche Größe der Gebeine warf die Frage auf, wer hier wohl bestattet war. Sofort begannen lokale Experten (ἐξηγηταί) unter Bezug auf andere bekannte Denkmäler am Ort mit der Deutungsarbeit, an der sich dann auch Pausanias selbst beteiligte: Es gibt im oberen Lydien eine kleine Stadt mit dem Namen Tore des Temenos; als dort infolge von Regenfällen die Kante eines Hügel abbrach, kamen Knochen zum Vorschein, die von einer solchen Gestalt waren, dass man glauben mochte, sie seien von einem Menschen, doch von ihrer Größe her hätte man das nie gedacht. Sofort verbreitete sich unter der Menge das Gerücht, bei dem Toten handele es sich um Geryoneus, den Sohn des Chrysaor, und auch der Thron gehöre ihm. Es ist nämlich der Thron eines Mannes aus einem Felsvorsprung des Berges geschlagen. Und einen reißenden Fluss nannten sie Okeanos und sagten, dass gewisse Leute dort beim Pflügen schon auf Hörner von Rindern gestoßen seien, denn es wird berichtet, dass Geryoneus hervorragende Rinder gezüchtet habe. Als ich ihnen aber widersprach und darlegte, dass Geryoneus in Gadeira sei, wo sich zwar nicht sein Grab, aber ein Baum mit verschiedenen Blattformen befindet, da enthüllten die Ausleger der Lyder die wahre Geschichte: Es sei also der Tote Hyllos, Hyllos aber sei ein Sohn der Ge, und nach diesem sei auch der Fluss benannt. Von Herakles aber sagten sie, er habe seinen Sohn des Aufenthalts bei Omphale wegen nach dem Fluss benannt.2

Knochenfunde dieser Art sind in der antiken Literatur zahlreich bezeugt.3 In vielen Fällen wird es sich tatsächlich nicht um Gräber, sondern um Überreste einer prähistorischen Me1 2

Wahrscheinlich mit dem heutigen Uşak zu identifizieren: Drew-Bear 1979. Paus. 1,35,7f.: Λυδίας τῆς ἄνω πόλις ἐστὶν οὐ μεγάλη Τημένου θύραι· ἐνταῦθα παραραγέντος λόφου διὰ χειμῶνα ὀστᾶ ἐφάνη τὸ σχῆμα παρέχοντα ἐς πίστιν ὡς ἔστιν ἀνθρώπου, ἐπεὶ διὰ μέγεθος οὐκ ἔστιν ὅπως ἂν ἔδοξεν. αὐτίκα δὲ λόγος ἦλθεν ἐς τοὺς πολλοὺς Γηρυόνου τοῦ Χρυσάορος εἶναι μὲν τὸν νεκρόν, εἶναι δὲ καὶ τὸν θρόνον· καὶ γὰρ θρόνος ἀνδρός ἐστιν ἐνειργασμένος ὄρους λιθώδει προβολῇ· καὶ χείμαρρόν τε ποταμὸν Ὠκεανὸν ἐκάλουν καὶ βοῶν ἤδη κέρασιν ἔφασάν τινας ἐντυχεῖν ἀροῦντας, διότι ἔχει λόγος βοῦς ἀρίστας θρέψαι τὸν Γηρυόνην. ἐπεὶ δέ σφισιν ἐναντιούμενος ἀπέφαινον ἐν Γαδείροις εἶναι Γηρυόνην, οὗ μνῆμα μὲν οὔ, δένδρον δὲ παρεχόμενον διαφόρους μορφάς, ἐνταῦθα οἱ τῶν Λυδῶν ἐξηγηταὶ τὸν ὄντα ἐδείκνυον λόγον, ὡς εἴη μὲν ὁ νεκρὸς Ὕλλου, παῖς δὲ Ὕλλος εἴη Γῆς, ἀπὸ τούτου δὲ ὁ ποταμὸς ὠνομάσθη· Ἡρακλέα δὲ διὰ τὴν παρ’ Ὀμφάλῃ ποτὲ ἔφασαν δίαιταν Ὕλλον ἀπὸ τοῦ ποταμοῦ καλέσαι τὸν παῖδα. 3 Einen umfänglichen antiken Katalog zum Thema bietet Philostr., Heroikos 7,9–8,17; vgl. 10,4. Ich nenne hier nur: Orestes (3m; Hdt. 1,68,3; Plin. nat. 7,74; Gell. 3,10,11; Philostr., Heroikos 8,3; Solin.

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gafauna gehandelt haben, die als Zeugnis eines vormals existierenden Geschlechtes riesenhafter Heroen fehlinterpretiert wurde.4 Die Deutung solcher Funde war – sofern sie nicht mit bereits etablierten Kultplätzen in Verbindung stand – schwierig: Sie hatte auszugehen vom Lokalmythos, der mit den panhellenischen Überlieferungen in Beziehung gesetzt werden musste. Letzte Bestätigung für auf diesem Wege erlangte Hypothesen war letztlich nur durch göttliche Offenbarung, meist durch Orakelbefragung, möglich. Dass dieser Weg auch wirklich beschritten wurde, ist durch Philostrat bezeugt.5 Im konkreten Fall gelangten die Bewohner von Temenouthyrai zunächst zu der Überzeugung, die aufgefundenen Gebeine gehörten Geryoneus, dem Sohn des Chrysaor. Diese Deutung wurde durch Elemente der vorhandenen lokalen Erinnerungslandschaft – Felsenthron und Benennung eines lokalen Flusses – sowie ›Beifunde‹ – Rinderhörner – nahegelegt. Daraus folgt eine wichtige Erkenntnis: Obwohl die Lyder eine aus unserer Sicht eindeutig mythologische Interpretation der Funde vorschlugen, war ihr Vorgehen auf einer abstrakt methodischen Ebene doch keineswegs völlig irrational und fantastisch. Vielmehr erfolgte eine Hypothesenbildung im Rahmen dessen, was durch andere empirische Beobachtungen plausibel erscheinen musste. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass die Antike eine strikte Trennung zwischen ›Mythos‹ und ›Geschichte‹ nicht kannte.6 Der Troianische Krieg war für Artemidor von Daldis beispielsweise ebenso historisch wie die Perserkriege – und zwar weil beide in ihrer Faktizität von einschlägigen Überresten beglaubigt wurden.7 Auch hier tritt 3

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1,90); Theseus (θήκη μεγάλου σώματος; Plut. Theseus 36,2); Antaios (27m; Gabinius ap. Strab. 17,3,8; Plut., Sertorius 9,7); Aias (Kniescheibe so groß wie ein Diskus; Paus. 1,35,5); Orontes (5m; Paus. 8,29,4); prähistorischer Sarg auf einer Insel vor Attika (45m; Phlegon FGrH 257 F 36,17). Antike Autoren glaubten im Rahmen eines pessimistischen Geschichtsbildes an eine ständige Schrumpfung des Menschengeschlechtes: Plin. nat. 7,73f.; Iuv. 15,62–71; Gell. 3,10,11; Phlegon FGrH 257 F 36,15; Paus. 6,5,1; Solin. 1,90f.; vgl. Aug. civ. 15,9 (u.a. unter Berufung auf Plinius). Analoges Räsonnement hinsichtlich der Tierwelt des heroischen Zeitalters bei Paus. 1,27,9. Verg. georg. 1,493–497 projiziert die angenommene Schrumpfung in die Zukunft, wenn er Knochenfunde eines zukünftigen Bauern auf dem Schlachtfeld von Philippi imaginiert: scilicet et tempus veniet, cum finibus illis | agricola incurvo terram molitus aratro | exesa inveniet scabra robigine pila | aut gravibus rastris galeas pulsabit inanis | grandiaque effossis mirabitur ossa sepulchris. Dazu vgl. Hartmann 2010, 52–55. Diese These ausführlich vertreten von Mayor 2000; zustimmende Aufnahme bei Boardman 2002, 33–43. Die Idee, die antiken Berichte über Funde ungewöhnlich großer Knochen, auf Fossilien zu beziehen, findet sich bereits in der älteren Forschung, wurde aber dort nicht systematisch verfolgt: zum Fund in Temenouthyrai etwa Frazer 1898, 483. Nicht alle Fossilienfunde wurden in der Antike mythogen gedeutet: Hartmann 2010, 83–86. Philostr., Heroikos 8,5f.; 8,9f. Zumindest für die Zeit der Kolonisation nennt Plut. de Pyth. or. 27 (~mor. 407f) die ἡρώων ἀπόρρητοι θῆκαι δυσεξεύρετοι als einen wichtigen Gegenstand von Orakelsprüchen. Ein Orakel wurde zumeist dann befasst, wenn an ein Grab ein Heroenkult angeschlossen werden sollte. Dazu Hartmann 2010, 99–101. Vgl. dazu Wardman 1960; Lacroix 1980; Brillante 1990, 99–105; Scheer 1993, 36–53; Marincola 1997, 117–127; Cartledge 2002, 18–35; Saïd 2007; Hartmann 2010, 419–423. Artem. 4,47: μέμνησο δὲ ὅτι τῶν ἱστοριῶν μόναις σοι προσεκτέον ταῖς πάνυ πεπιστευμέναις ἐκ πολλῶν καὶ μεγάλων τεκμηρίων ὅτι εἰσὶν ἀληθεῖς, ὡς τῷ πολέμῳ τῷ Περσικῷ καὶ ἐπάνωθεν τῷ Τρωικῷ καὶ τοῖς ὁμοίοις. τούτων γὰρ καὶ ἐναυλίσματα δείκνυται καὶ τόποι παρατάξεων καὶ στρατοπέδων καθιδρύσεις καὶ πόλεων κτίσεις καὶ βωμῶν ἀναστάσεις καὶ ὅσα ἄλλα τούτοις ἀκόλουθα. Der Troianische Krieg war selbst für Thukydides eine historische Tatsache (1,9; vgl. 1,4: zu Minos und 2,15: über Kekrops und Theseus). Vgl. auch die gegen Eratosthenes gerichtete Diskussion der

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also wieder die Bedeutung von unmittelbar anschaulichen Belegen in Form materieller Zeugnisse zu Tage. Besonders aufschlussreich für das antike Verständnis von ›Mythos‹ und ›Geschichte‹ ist die Behandlung der Cacus-Episode in den Römischen Altertümern des Dionysios von Halikarnassos: Der Historiker erzählt die Geschichte zweimal, und zwar zum einen als μυθικὸς λόγος und zum anderen ἐν ἱστορίας σχήματι.8 Er grenzte also nicht strikt ›Mythos‹ gegen ›Geschichte‹ ab, sondern er wendete sie als zwei verschiedene Erzählmodi auf denselben Vorgang an: Der Gegensatz ›Mythos‹ – ›Geschichte‹ bedeutete für Dionysios also keine Unterscheidung des Stoffes, sondern eine des methodischen Zugriffs und der Darstellungsform.9 Zwar gehörte rationalisierende Mythenkritik seit den Anfängen zum selbstverständlichen methodischen Rüstzeug des antiken Historikers, doch bediente sich die Mythenkritik prinzipiell derselben Plausibilitätserwägungen, die auch in Bezug auf eigentlich historische Stoffe angewandt wurden. Wo aber im Mythos ein wahrer Kern gesucht wird, fasst man ihn nicht als einen grundsätzlich von Geschichte differenten Gegenstand auf, sondern als entstellte Geschichte.10 Dieser Sachverhalt wird von Hans-Joachim Gehrkes Konzept der ›intentionalen Geschichte‹ sehr treffend bezeichnet.11 ›Mythos‹ ist hingegen schon in der Antike ein Begriff, der alles bezeichnen kann, was gerade nicht mehr als ›Geschichte‹, d.h. als historische Wirklichkeit, geglaubt wird, es handelt sich 7

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homerischen Epen bei Pol. 34,2,9f.: ταῦτα δὲ προοικονομησάμενος οὐκ ἐᾷ τὸν Αἴολον ἐν μύθου σχήματι ἀκούεσθαι, οὐδ’ ὅλην τὴν Ὀδυσσέως πλάνην, ἀλλὰ μικρὰ μὲν προσμεμυθεῦσθαι, καθάπερ καὶ τῷ Ἰλιακῷ πολέμῳ, τὸ δ’ ὅλον περὶ Σικελίαν καὶ τῷ ποιητῇ πεποιῆσθαι καὶ τοῖς ἄλλοις συγγραφεῦσιν, ὅσοι τἀπιχώρια λέγουσι τὰ περὶ τὴν Ἰταλίαν καὶ Σικελίαν. Dion. Hal. ant. 1,39,1–1,42,4. Es muss hierbei keineswegs immer die ›mythische‹ Variante auch die ältere sein: Gerade im Fall des Cacus ist eine späte Ausgestaltung der Legende unter griechischem Einfluss wahrscheinlich (Münzer 1911; Sutton 1977 [mit Vernachlässigung der annalistischen Quellen]; vgl. Small 1982, 3–56). Schon Gellius FRH (=H. Beck, Die frühen römischen Historiker, Darmstadt 2001–2004) 10 F 6 bietet eine völlig rationalisierende Darstellung und selbst Cassius Hemina FRH 6 F 5 ist von den Ausgestaltungen des Cacus zum feuerschnaubenden Sohn des Vulcanus in der augusteischen Zeit weit entfernt. ›Mythische‹ und ›historische‹ Narrationen erscheinen hier als zwei parallele Möglichkeiten, aitiologische Erklärungen für Toponyme (forum boarium, scala Caci) bzw. die Kulte des Iuppiter Inventor sowie des Hercules Invictus an der ara maxima zu bieten. Im Wesentlichen hat das schon Wissowa 1902, 229f. zutreffend gesehen, auch wenn er die aitiologische Legendenbildung zu spät ansetzte. Wie sehr die Traditionsbildung im Fluss war, zeigt allerdings Diod. 4,21,2 (nach Timaios?): Hier erscheint Cacius neben einem Pinarius noch als Gastfreund des Herakles. Explizit wird daraus die Benennung der scalae Caciae erklärt, ein Zusammenhang mit der anderweitig bezeugten eigentümlichen Rolle der Pinarii im Kult an der ara maxima (Cic. dom. 134; Dion. Hal. ant. 1,40,4; Liv. 1,7,12f.; Plut. qu.R. 60 [~mor. 278e–f]; Macr. Sat. 3,6,12–14 [unter Verweis auf die Quaestiones pontificales des Veranius]; Serv. auct. Aen. 8,268–270) liegt auf der Hand. Dieselbe Beobachtung lässt sich auch bei Ephoros BNJ (=Brill’s New Jacoby) 70 F 31b machen: Wenn es dort von dem Historiker heißt ἐπιτιμήσας γοῦν τοῖς φιλομυθοῦσιν ἐν τῆι τῆς ἱστορίας γραφῆι καὶ τὴν ἀλήθειαν ἐπαινέσας, dann bedeutet das nicht die scharfe Ausscheidung eines spatium mythicum, sondern eine Kritik an denen, welche fabulöse Traditionen über die Frühzeit kritiklos, d.h. nicht rationalisierend, nacherzählten. Dieses Verhältnis lässt sich bereits bei Hekataios beobachten, der allerdings μῦθος noch nicht in einem pejorativen Sinne gebrauchte: FGrH 1 F 1; ein konkretes Beispiel für solche Mythenkritik in F 26 (Rationalisierung des Diebstahls der Rinder des Geryoneus durch Herakles durch Verlegung nach Epeiros). Ähnliches fand sich auch bei Ephoros (BNJ 70 F 31), was Strab. 9,3,12 massiv kritisiert. Gehrke 1994; 2000; 2001; 2003; 2004; 2005; 2008; vgl. auch den Sammelband Foxhall et al. 2010.

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mithin um eine ganz subjektive und oft polemisch gebrauchte Kategorisierung.12 In diesem Sinne begegnet der Terminus ja auch bereits bei Herodot.13 Wenn sich nun in Temenouthyrai die anfängliche Deutung der Knochenfunde durch die lydischen Experten trotz aller plausibilisierenden Evidenz nicht durchzusetzen vermochte, war dies der Tatsache geschuldet, dass es für eine Wanderung des Geryoneus nach Kleinasien keine Anhaltspunkte in der Tradition gab.14 Pausanias wies aber nicht nur auf diesen Sachverhalt hin, sondern stützte seine konventionelle Lokalisierung des GeryoneusMythos nun auch seinerseits durch die Anführung eines materiellen Zeugnisses – nämlich eines Baumes mit charakteristisch veränderten Blattformen.15 Im Text des Periegeten klingt gleichwohl noch das Bedauern durch, die Gadeira-Hypothese nicht durch den Verweis auf ein dort befindliches Grab des Geryoneus über alle Zweifel erhaben beweisen zu können.16 Dennoch beugten sich die Lyder dem Argument des Pausanias: Gegenüber dieser externen Kritik schien nun selbst eine direkte Verbindung mit dem Heraklessohn Hyllos in dem obskuren Örtchen offenbar nicht mehr als glaubhaft und so begnügte man sich mit einer indirekten Anknüpfung.17 Herakles sollte seinen Sohn wenigstens nach dem lo12

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Diese relative Bestimmung des Begriffs klingt bereits bei Dion. Hal., De Thucydide 6, wo ›Mythos‹ als Geschichten bestimmt wird, die »für unsere Zeit unglaubhaft und irrational erscheinen« (καὶ ἄλλας τινὰς ἀπίστους τῷ καθ’ ἡμᾶς βίῳ καὶ πολὺ τὸ ἀνόητον ἔχειν δοκούσας ἱστορίας). Vgl. auch die Rhetorikerklassifikationen bei Asklepiades ap. S. Emp. adv.math. 1,252f.; Rhet. Her. 1,13; Quint. inst. 2,4,2 und Nikolaos von Myra, Progymnasmata p. 12 Felten: μυθικὰ μὲν οὖν ἐστι τὰ οὐκ ἀναμφισβητήτου πίστεως ἠξιωμένα, ἀλλ’ ἔχοντα καὶ ψεύδους ὑπόνοιαν, οἷα τὰ περὶ Κυκλώπων καὶ Κενταύρων· ἱστορικὰ δὲ τῶν ὁμολογουμένως γενομένων παλαιῶν πραγμάτων, οἷα τὰ περὶ Ἐπιδάμνου. Entscheidend ist jeweils das subjektive Kriterium der Plausibilität. Die Problematik dieses Vorgehens kritisierte bereits S. Emp. adv.math. 1,266–268: πρῶτον μὲν γὰρ οὐ παραδεδώκασιν ἡμῖν οἱ γραμματικοὶ τῆς ἀληθοῦς ἱστορίας κριτήριον, ἵνα καὶ ἐξετάζωμεν πότε ἀληθής ἐστιν αὕτη καὶ πότε ψευδής. Hdt. 2,23; 2,45,1. Schärfer dann Thuk. 1,21,1: ὡς λογογράφοι ξυνέθεσαν ἐπὶ τὸ προσαγωγότερον τῇ ἀκροάσει ἢ ἀληθέστερον, ὄντα ἀνεξέλεγκτα καὶ τὰ πολλὰ ὑπὸ χρόνου αὐτῶν ἀπίστως ἐπὶ τὸ μυθῶδες ἐκνενικηκότα. Die Formulierung τὸ μυθῶδες ist eine Neuprägung des Thukydides zur Bezeichnung einer übertreibenden und ausschmückenden Darstellungsweise. Dazu vgl. Flory 1989–1990. Zur Lokalisierung des Geryoneus und der Insel Erytheia im Westen: Hes. theog. 287–293 (Insel Erytheia jenseits des Okeanos); Stesichoros fr. 184 Davies (Tartessos); Aischyl. fr. 74 TGF (jenseits des Okeanos); Hdt. 4,8,2 (Gades); Pherekydes BNJ 3 F 18 (Gadeira); Ephoros BNJ 70 F 129 (Gadeira); Philistides BNJ 11 F 3 (ebenso); Parthenios, Narrationes amatoriae 30,1 (in der Nähe der Kelten); Diod. 4,17,1f. und 4,18,2f. (Spanien); Dion. Hal. ant. 1,39,1–1,42,4 (Spanien); Ov. met. 9,184 und her. 9,91f. (ebenso); Strab. 3,2,13 und 3,5,4 (Spanien, Gadeira); Sen. Herc.f. 231–233 (Spanien, Tartessos); Plin. nat. 4,120 (Gadeira); Sil. 16,194–196 (ebenso); Apollod. 2,106–109 (ebenso); Paus. 4,36,3 (Spanien); Ptol. 4,1,16 (Mauretanien); Philostr. Ap. 5,4 (Gadeira). Immerhin verlegte Hekat. FGrH 1 F 26 die Episode nach Epeiros. Vgl. Philostr. Ap. 5,5: ἰδεῖν καὶ δένδρα φασὶν ἐνταῦθα, οἷα οὐχ ἑτέρωθι τῆς γῆς, καὶ Γηρυόνεια μὲν καλεῖσθαι αὐτά, δύο δὲ εἶναι, φύεσθαι δὲ τοῦ σήματος, ὃ ἐπὶ τῷ Γηρυόνῃ ἕστηκε, παραλλάττοντα ἐκ πίτυός τε καὶ πεύκης ἐς εἶδος ἕτερον, λείβεσθαι δὲ αἵματι, καθάπερ τῷ χρυσῷ τὴν Ἡλιάδα αἴγειρον. Philostr. Ap. 5,4f. scheint von einem Grab in Gadeira zu wissen (σῆμα, ὃ ἐπὶ τῷ Γηρυόνῃ ἕστηκε [sc. Herakles]); andererseits wird id., Heroikos 8,17 von der Verbringung der Gebeine des Geryoneus nach Olympia berichtet. Nach Philostr., Heroikos 8,14 behauptete man jedoch im hier zu Phrygien gerechneten Temenouthyrai die Identität des Hyllos mit dem Heraklessohn. Zum Verhältnis zwischen Philostrat und Pausanias vgl. Rusten 2004, 152–158.

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kalen Fluss benannt haben.18 Diese Variante hatte nun den Vorteil, dass sie an die in Lydien lokalisierte Omphale-Episode anknüpfen konnte. Die zitierte Passage gibt uns einen der ganz seltenen Einblicke in die konkrete Deutungsarbeit am Relikt. Pausanias zeichnet sich selbst als Mythenkenner von panhellenischer Perspektive, im Gegensatz zur beschränkten Wahrnehmung der lokalen Menge und der lydischen Exegeten.19 Im Dialog zwischen beiden Parteien entsteht als Kompromiss eine Deutung, die mit der mythographischen communis opinio vereinbar ist und gleichwohl der Gemeinde vor Ort ermöglicht, aus dem Fundobjekt eine Verbindung zu zentralen Beständen des Mythos herzustellen. Das Ergebnis aber war: heroische Mobilität. Herakles musste einst nach Temenouthyrai gekommen sein! Man könnte nun meinen, dass diese Art der Korrelierung von Überresten und Wanderungslegenden spezifisch für die periegetisch-antiquarischen Interessen des Pausanias sei. Dies trifft aber nicht zu, wie sich leicht an einem besonders eindrückliches Beispiel erkennen lässt: den Traditionen über die Irrfahrten des Aineias.20 Den angeblichen Wanderungen des Heros entsprach eine Vielzahl von Aineiasreliquien an den entsprechenden Orten des Mittelmeerraumes. Der Aeneis Vergils zufolge starb etwa Anchises im sizilischen Drepanon.21 Auf dem Berg Eryx habe Aineias daraufhin für seinen Vater ein Heroon mit Kult begründet;22 dieser Variante folgt sonst allerdings nur Hyginus.23 Dafür jedoch wurde in Latium ein Grab des Anchises gezeigt, nämlich das später meist als Heroon des als Pater Indiges verehrten Aineias gedeutete Heiligtum bei Lavinium.24 Die Berichte der Geschichtsschreiber spiegeln diese Duplizität der Erinnerungsorte: Cato ließ in seinen Origines den Anchises – wie vor ihm bereits Naevius25 – eben bis nach Italien kommen, erkannte also das Grab in Lavinium an.26 Varro hingegen überlieferte eine harmonisierende Traditi18 19

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Wohl mit dem heutigen Demirci Çay zu identifizieren. Diese Selbststilisierung des Pausanias ist auch sonst mehrfach anzutreffen: Paus. 1,31,5 (Athen); 1,34,4 (Oropos); 1,42,4 (Megara); 2,9,7 (Sikyon); 2,23,6 (Argos); 2,31,4 (Troizen); 5,18,6f. (Olympia). In all diesen Fällen stellt sich der Perieget als den lokalen Exegeten überlegen dar. Dazu Frateantonio 2009, 161–169, die von Pausanias als »Hyper-Exeget« spricht (162); vgl. auch Jones 2001, 35f. Zum Folgenden vgl. Pfister 1909–1912, 137–144 und den Kommentar bei Vanotti 1995, bes. 139–193. Verg. Aen. 3,707–713. Verg. Aen. 5,759–761: tum vicina astris Erycino in vertice sedes | fundatur Veneri Idaliae, tumuloque sacerdos | ac lucus late sacer additus Anchiseo. Hyg. fab. 260. Die Ansiedlung von Troianern am Ort berichtet hingegen bereits Thuk. 6,2,3. Dion. Hal. ant. 1,64,5. Dieses Monument ist vielleicht mit dem in Pratica di Mare gefundenen ›Heroon‹ – einem Grabhügel des 7. Jh. v.Chr., an den später ein Kult angeschlossen wurde – zu identifizieren: Sommella 1971–1972; Galinsky 1974; Sommella 1974; Dury-Moyaers 1981, 121– 127; Dubourdieu 1989, 298–336. Naev. fr. 25 Strzelecki. Dazu Dury-Moyaers 1981, 72–74; Flores 1983. Cato ap. Serv. Aen. 4,427; ibid. 1,267 (~FRH 3 F 1,9a); 1,570; Hyg. fab. 260; Strab. 5,3,2. Den Bericht Catos exzerpiert hier offensichtlich auch Origo gentis Romanae 12,5–13,3, wo also das Fragment vielleicht weiter zu fassen ist als FRH 3 F 1,14b. Zwei Medaillons der Antoninenzeit, auf denen Aineias und Anchises zusammen mit der lavinatischen Sau und den Mauern von Lavinium (?) abgebildet sind, folgen vielleicht dieser Tradition: Kat. Mittag Hadr. 98 (~Mittag 2010, 173)/ Banti Hadr. 798; Banti Ant. Pius 585; dazu Duncan 1948–1949, 18; Giorgi 1955, bes. 86f.; Aichholzer 1983, 51; Belloni 1989, 198–200; Barenghi 1992, bes. 114–117; Krumme 1995, 68f., 104–106, 201f. und 206f. (Kat. Nr. 56/1 und 57/1). Allerdings interpretiert Jenkins 1988 die

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on, derzufolge Diomedes die Gebeine des Anchises auf Geheiß eines Orakels exhumiert und später dem Aineias übergeben habe.27 Dieses Schwanken der Überlieferung veranlasste selbst Servius zu einem Stoßseufzer über die historiarum confusio. Wichtig ist wiederum die Feststellung, dass diese confusio nicht auf freier Erfindung beruhte, sondern aus der materialen ›Quellenlage‹ resultierte. Doch damit nicht genug: Auch im chalkidischen Aineia, das Aineias nach Ausweis der Münzen spätestens seit dem frühen 5. Jh. v.Chr. als Gründerheros reklamierte, wollte man das Grab des Anchises besitzen,28 und in der Troas selbst wurde ebenfalls ein Anchisesgrab verehrt.29 Ein bloßes Ortsnamenaition liegt hingegen wohl vor bei einem weiteren Grab des Anchises am Fuße des Berges Anchisia bei Orchomenos.30 Das epeirotische Anchisia immerhin erhob offenbar keinen Anspruch auf ein Grab des Eponymen, denn Prokop referiert lediglich eine lokale Entrückungslegende, die ja das Fehlen eines Grabes impliziert.31 Ganz ähnliche Probleme stellen sich auch in Bezug auf Aineias selbst: Auch sein Grab zeigte man im chalkidischen Aineia;32 die Fahrt nach Italien verband die lokale Tradition erst mit seinen Nachkommen.33 In der Troas genoss Aineias einen Kult, doch ist ein Grab

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Darstellung im Sinne einer mehrstufigen Narration. Pond-Rothman 1978, 111–113 sieht die Präsenz des Anchises als »strikingly inaccurate detail« (113) und entwickelt daraus die These, die Aineias-Anchises-Gruppe des Medaillons spiele auf das Verhältnis des Antoninus Pius zu Hadrian an. Dies setzt zum einen die Datierung beider Medaillons in die Zeit des Antoninus voraus (was höchst strittig ist), zum anderen ist Pond-Rothman die ältere Anchisestradition bei Naevius, Cato und Dionysios von Halikarnassos offensichtlich unbekannt. Varro ap. Serv. Aen. 4,427: sciendum sane Varronem dicere, Diomedem eruta Anchisae ossa filio reddidisse, Catonem autem adfirmare, quod Anchises ad Italiam venit. tanta est inter ipsos varietas et historiarum confusio. BMC, Gr Aeneia 1–5; SNG Kopenhagen 34; SNG ANS 67 und 70–73; SNG Oxford 2233. Hinzu kommt eine archaische Münze mit der Darstellung des zusammen mit Vater, Frau und Tochter (!) flüchtenden Aineias: Friedländer 1878; Robert 1879. Zu den Münzen insgesamt Duncan 1948–1949, 23–25. Stadtgründung, Tod und Grab des Anchises: Lykophr. ap. Steph. Byz. s.v. Αἴνεια; Schol. D Hom. Il. 13,459. Tod und Bestattung in Thrakien, jedoch nicht in Aineia, nimmt Konon 46 an. Eust. Hom. Il. 12, p. 360 van der Valk. Die Nachricht des Eustathios könnte insofern verdächtig erscheinen, als Paus. 8,12,9 explizit festhält, dass zu seiner Zeit in der Troas kein Grab des Anchises gezeigt wurde. Der Perieget ignoriert aber auch die Gräber in Sizilien und Lavinium. Zudem bezeugt Eustathios einen Kult und es liegt auch keines der beliebten Ortsnamenaitia vor. Eustathios selbst weist die Sage von Wanderung und Tod des Anchises in Sizilien ausdrücklich den νεώτεροι zu. Paus. 8,12,8f. Plausibilität bekam die Identifizierung zusätzlich durch ein nahes Heiligtum der Aphrodite. Die arkadische Stadt Kaphyai sollte nach dem Vater des Anchises oder einem homonymen Troianer benannt sein: Ariaithos von Tegea BNJ 316 F 1; Strab. 13,1,53; Steph. Byz. s.v. Καφύαι. Einen nur vorübergehenden Aufenthalt des Aineias in Arkadien nahm Agathyllos BNJ 321 F 2 an. Zu Aineias in Arkadien vgl. Lacroix 1994, 96f. Prok. 4,22,31. Kephalon von Gergis/Hegesianax von Alexandreia Troas FGrH 45 F 7; Hegesippos von Mekyberna BNJ 391 F 5; Schol. D Hom. Il. 13,459. Dazu vgl. Erskine 2001, 93–98. Hellanikos FGrH 4 F 31 ließ die Fahrt des Aineias nicht mit dem Tod des Helden in Aineia enden, sondern machte ihn zusammen mit Odysseus zum Gründer von Rom: F 84. Kephalon von Gergis/Hegesianax von Alexandreia Troas FGrH 45 F 8: Καπύη· πόλις Ἰταλίας, ἣν Ῥῶμος καὶ Ῥωμύλος υἱοὶ Αἰνείου ἔκτισαν, ὥς φησι Κεφάλων ὁ Γεργίθιος; F 9: Gründung von Rom durch Rhomos; Schol. D Hom. Il. 13,459: Übersiedlung eines Sohnes des Aineias nach Italien.

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nicht ausdrücklich bezeugt.34 Weitere Aineiasgräber gab es allerdings sicher im phrygischen Berekynthia,35 vielleicht im arkadischen Orchomenos,36 in Ambrakia und im sizilischen Segesta.37 Neben diesen ›Gräbern‹ bezeugten aber noch viele andere Indizien die einstige Anwesenheit des Heros an den verschiedensten Orten: Servius berichtet von einem Schild des Aineias auf Samothrake.38 In Lavinium verehrte man die trojanischen Penaten39 und zeigte zahlreiche sonstige Überreste aus der Zeit des Aineias40 – darunter die in Salzlake konservierte Sau, die angeblich dem Heros die Stelle der Stadtgründung gewiesen hatte.41 Die große Mehrheit dieser Aineiasreliquien führt aber Dionysios von Halikarnassos in einem längeren Exkurs auf, der sich gegen Autoren richtete, welche die Wanderung des Heros nach Italien leugneten. Eine solche Anschauung konnte sich ja durchaus auf die Aineiaden-Prophezeiung in Ilias 20 und andere frühe Zeugen berufen, wie etwa Akousilaos von Argos.42 Noch der Homergelehrte Demetrios von Skepsis glaubte – sicher auch aus Lokalpatriotismus – an eine Herrschaft der Aineiaden in der Troas.43 Die Fahrt des Aineias in den Westen konnte man im 1. Jh. v.Chr. nach dem Aufstieg Roms zur Weltmacht und der Kanonisierung der troianischen Abstammungslegende zwar nicht mehr gänzlich leugnen, aber es gab harmonisierende Traditionen, die Aineias erst nach Italien, aber dann wieder zurück in die Troas brachten. Gegen diese richtete sich nun Dionysios von Halikarnassos und er hält ihnen – wie Pausanias in Temenouthyrai – materielle Zeugnisse entgegen:

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IK Ilion 3,143 (kaiserzeitlich): Ἰλιεῖς τὸ[ν] | πάτριον θε[ὸν] | Αἰνείαν. Referat älterer Autoren bei Agathokles von Kyzikos ap. Fest. p. 328f. Lindsay s.v. Roma: ait quidem Agathocles complures esse auctores, qui dicant Aenean sepultum in urbe Berecynthia proxime flumen Nolon, atque ex eius progenie quendam nomine Rhomum venisse in Italiam, et urbem Romam nominatam condidisse. Wie aus dem Referat bei Dionysios von Halikarnassos (~BNJ 316 F 1) hervorgeht, ließ der arkadische Lokalhistoriker Ariaithos von Tegea den Aineias wohl in Arkadien sterben. Dion. Hal. ant. 1,50,4; 1,53,1. Serv. auct. Aen. 3,287. Timaios BNJ 566 F 59. Das dort erwähnte »troianische« Tongefäß ist vielleicht als ein doliolum zu verstehen, in dem Aineias die Penaten nach Italien gebracht hatte. Crawford 1971 möchte auf Münzen des M’. Fonteius eine Abbildung dieses Relikts erkennen: RRC 307/1b. Die eigentlichen römischen Staatspenaten wurden in Lavinium verehrt: Varro ap. Aug. civ. 6,22: Unterscheidung zwischen sacra Vestalia und Penates; 5,144: oppidum quod primum conditum in Latio stirpis Romanae, Lavinium: nam ibi dii penates nostri; Ascon. Cic. Scaur. 1 p. 21 Stangl: sacra publica populi Romani deum penatium quae Lavini fierent. Dazu Thomas 1990, 146–155. Dieser merkwürdige Sachverhalt wurde dadurch aitiologisch erklärt, dass die Gottheiten beim Versuch der Übertragung in das neu gegründete Alba Longa zweimal auf wunderbare Weise nach Lavinium zurückgekehrt seien, weshalb schließlich 600 Kolonisten ausgewählt worden seien, um in die alte Stadt zurückzukehren und dort den Kult zu pflegen: Cincius Alimentus FRH 2 F 3/BNJ 810 F 9; Dion. Hal. ant. 1,67,1f.; Val. Max. 1,8,7; Serv. auct. Aen. 1,270. Zu den lavinatischen Penaten insgesamt vgl. Dubourdieu 1989, 157–380. Dion. Hal. ant. 1,64,1. Zu Lavinium als ›Museumsstadt‹ bzw. civitas sacra vgl. neben Thomas 1990 auch Hartmann 2010, 235–242. Varro rust. 2,4,18. Akousilaos BNJ 2 F 39. Bei Strab. 13,1,52f. Die Belege für die historische Existenz dieser Aineiaden sind durchaus zweifelhaft (Smith 1981).

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πολλὰ γνωρίσματα καὶ φανερά, die noch zu seiner Zeit für jedermann zu sehen waren.44 Es sind dies neben den bereits angeführten Gräbern und Heroa im Einzelnen: (1) die Stadt Aineia und ein Tempel der Aphrodite in der Nähe, (2) »viele Indizien« (πολλὰ σημεῖα) auf Delos, die allerdings zur Zeit des Dionysios bereits zerstört waren, (3) der Tempel der Aphrodite auf Kythera, (4) das Grab des Kinaithos an dem nach ihm benannten Vorgebirge der Peloponnes,45 (5) der Tempel der Aphrodite mit altertümlichen ξόανα der Gottheit und des Heros sowie Einrichtung von athletischen Spielen auf Zakynthos,46 (6) der Tempel der Aphrodite Aineias bei Leukas,47 (7) der Tempel der Aphrodite Aineias und der Θεοὶ Μεγάλοι in Aktion, (8) der Tempel der Aphrodite Aineias und Heroon des Aineias mit kleinem, altertümlichem ξόανον in Ambrakia, (9) Mischkrüge mit Stifterinschriften in »sehr alter« Schrift in Dodona, (10) der Tempel der Aphrodite Aineias in Buthrotum, (11) der Naturhafen λιμὴν Ἀφροδίτης, (12) eine Bronzepatera mit archaischer Stifterinschrift des Aineias in einem Tempel der Hera an der Straße von Messina, (13) der Altar der Aphrodite Aineias auf dem Eryx und Heroon des Aineias in Segesta als τεκμήρια τῆς εἰς Σικελοὺς Αἰνείου τε καὶ Τρώων ἀφίξεως περιφανέστατα, (14) Gräber des Palinouros, der Leukosia, des Misenos, der Prochyte und der Kaiete an den gleichnamigen Orten, (15) das Toponym ›Troia‹ in der Nähe von Laurentum. Eine solche Materialvorlage ist im Rahmen antiker Historiographie absolut ungewöhnlich und so empfand Dionysios auch die Notwendigkeit einer Entschuldigung: Der Katalog sei notwendig gewesen, um von anderen Autoren verbreitete Irrmeinungen zu korrigieren.48 Die materiellen Überreste werden demnach als entscheidendes Argument gegen divergierende Traditionen ins Feld geführt. Das aufgeführte Beispiel ist sicher exzeptionell, doch grundsätzlich stand Dionysios von Halikarnassos mit dieser Methodik keineswegs allein: Diodor, der hier wohl auf die Libyka des Agroitas zurückgeht, referiert in einem längeren Abschnitt die Zeugnisse der Argonautenfahrt im westlichen Mittelmeerraum, darunter ein Bronzedreifuß mit altertümlicher Inschrift im libyschen Berenike.49 Analog hatte ein gewisser Timonax in seinen Skythika die 44

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Dion. Hal. ant. 1,49,3–1,53,3. Manches aus diesem Katalog dürfte auf die antiquarische Gelehrsamkeit Varros zurückgehen (siehe zu Leukas Anm. 47), der während des Piratenkrieges ein Flottenkommando in der Region führte (Varro rust. 2 praef. 6: inter Delum et Siciliam; vgl. Serv. Aen. 3,349). Vgl. aber Paus. 3,22,10, wo von einem Grab des Kinados, eines Gefolgsmannes des Menelaos, berichtet wird. In der zweiten Hälfte des 4. Jh. v.Chr. behauptete der Zakynthier Agathon für sein Geschlecht eine troianische Abstammung, die er allerdings nicht auf Aineias, sondern auf Kassandra zurückführte: IG IX 12.4, 1750/SEG 50,543 (Dodona). Ein Agathon wird von Hom. Il. 24,249 als Bruder der Kassandra genannt. Zu dieser Inschrift Fraser 2003 mit Hinweisen auf die ältere Literatur. Id. 36 sieht das Alter der von Dionysios angeführten Tradition durch die Inschrift bestätigt. Hier ist allerdings zu bedenken, dass die Familienlegende des Agathon mit Aineias gar nichts zu gehabt haben muss. Vgl. Varro ap. Serv. auct. 3,279. Servius weist auf abweichende Darstellungen in den Komödien des Menander und des Turpilius hin. Das Kultbild des Tempels wird auf den Münzen von Leukas dargestellt: BMC, Gr. Leukas 78–103 und 105–120 (hier noch als Artemis identifiziert). Dazu Duncan 1948–1949, 25f. Dion. Hal. ant. 1,53,4f. Agroitas BNJ 762 F 6 (~Diod. 4,56,6). Der Dreifuß wird auch sonst erwähnt, jedoch ohne Hinweis auf spätere Sichtbarkeit: Hdt. 4,179; Apoll. Rhod. 4,1547–1624; vgl. Kall. fr. 37 Pfeiffer; Lykophr. Alexandra 886–896.

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Argonautenfahrt im Schwarzen Meer ebenfalls anhand der noch vorhandenen Erinnerungs- und Kultorte behandelt.50 Auch Herodoros von Herakleia nahm in seiner Abhandlung zur Argonautenfahrt offenbar Bezug auf Kultstätten und Heroengräber.51 Demselben Prinzip scheint auch Timaios bei der Behandlung dieses Stoffes gefolgt zu sein.52 Die Scholien zu Apollonios Rhodios bewahren eine ganze Reihe solcher Nachrichten über Kultgründungen und Überreste, die angeblich mit der Fahrt der Argonauten in Verbindung standen. Die Aphrodite Aineias findet ihre Parallele dabei im Apollon Iasonios bzw. der Athene Iasonia.53 Derlei Zeugnisse konnten natürlich auch in Anspruch genommen werden, um die Irrfahrten des Odysseus weiter auszudehnen und dem jeweils aktuellen geographischen Horizont anzupassen: Im Tempel der Mütter im sizilischen Engyon wurden Speere und Bronzehelme des Meriones sowie Waffen des Odysseus aufbewahrt.54 Am Kap Circei sah man von Odysseus geweihte Schalen.55 Asklepiades von Myrleia fand in Spanien Schilde und Akrostolia als »Erinnerungsmale an die Wanderung des Odysseus« (ὑπομνήματα τῆς πλάνης τῆς Ὀδυσσέως).56 Solinus nahm einen mit einer griechischen Weihinschrift versehenen Altar in Schottland als Beleg dafür, dass einst Odysseus bis hierher gelangt war.57 Ähnliche Berichte lagen dem Tacitus für die Gebiete Germaniens und Raetiens vor, doch distanzierte er sich davon skeptisch.58 Am Beispiel der Aineiaslegende lässt sich erkennen, dass ältere Sagenversionen offenbar keineswegs vollständig durch die jüngeren verdrängt wurden. Daraus folgte eine andauernde Koexistenz an sich völlig unvereinbarer Varianten, obwohl gerade in diesem Beispiel das Gewicht Roms doch vermeintlich hätte den Ausschlag geben müssen. Die erstaunliche Zählebigkeit der abweichenden lokalen Traditionsstränge ist ohne eine Verwurzelung in den jeweiligen lokalen Erinnerungslandschaften mit ihren handgreiflichen materiellen Belegen sowie im aitiologisch gedeuteten Kult kaum denkbar: Der Aineiaskult in Aineia wurde noch gepflegt, als die Bewohner der Stadt längst nach Thessalonike umgesiedelt worden waren.59 War ein Grab einmal aufgefunden und ein Kult an es angeschlossen, war ein Relikt identifiziert, konnte die historische Rückerinnerung daran nicht mehr vorbei. Objekt und Kult funktionierten als Erinnerungsanker, die ältere und lokale Traditionen auch gegen den mythographischen mainstream auf Dauer zu immunisieren vermochten. Die Historiker und philologischen Kommentatoren standen allerdings vor der Aufgabe, diese Traditionen zu harmonisieren. Die naheliegendste Lösung war, die verschiedenen Erinnerungsobjekte und Kultplätze als Indizien ausgreifender Wanderungsbewegungen zu 50

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Timonax FGrH 842 F 2: δείκνυνται δὲ παρὰ τὸν παράπλουν ἔνδον τοῦ Πόντου κῆποί τινες Ἰασόνιοι καλούμενοι, καθ’ ὧν τὰς ἀποβάσεις αὐτὸν ποιήσασθαι, καὶ κατὰ τὴν Αἶαν γυμνάσια καὶ δίσκοι, καὶ τῆς Μηδείας θάλαμος, καθ’ ὃν ἐνυμφεύθη ποτέ, καὶ πρὸς τῇ πόλει ἱερὸν ἱδρυμένον Ἰάσονος καὶ πρὸς τούτοις ἱερὰ πολλά. Herodoros von Herakleia BNJ 31 F 51. Timaios FGrH 566 F 88. Athena Iasonia: Schol. Apoll. Rhod. 1,955; Apollon Iasonios: Deiochos FGrH 471 F 5. Plut. Marcellus 20,4. Strab. 5,3,6. Asklepiades von Myrleia BNJ 697 F 7; vgl. Strab. 3,2,13. Dazu Woolf 2011, 24–27. Solin. 22,1. Tac. Germ. 3. Dazu Woolf 2011, 102f. Liv. 40,4,9: jährliche Opfer für den Stadtgründer Aineias cum magna caerimonia.

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deuten. Dies ist ein Gedanke, der noch der Forschung des frühen 20. Jh. nicht fremd war: Lewis Farnell wusste sich in seiner Monographie Greek hero cults and ideas of immortality die Existenz der verschiedenen Heiligtümer der Aphrodite Aineias nur durch die Annahme einer Migration von Angehörigen eines am Idagebirge ansässigen Aineiaden-Clans in verschiedene Regionen des Mittelmeerraumes zu erklären.60 Unter Zurückstellung der konkreten Person des Aineias folgte Farnell also völlig der Methodik des Dionysios von Halikarnassos. Tatsächlich führen uns aber Kultepiklesen wie Aineias nicht unbedingt tief in die Vergangenheit zurück, sondern können durchaus das Ergebnis relativ rezenter Umbauten des kulturellen Gedächtnisses sein, wie Dietmar Kienast gerade für die Aphrodite Aineias vom Berg Eryx schon vor langen Jahren gezeigt hat.61 In diesem Fall entschieden sich die Einwohner von Segesta im Verlauf des 1. Punischen Krieges zu einem Wechsel auf die römische Seite, der mit Verweis auf die gemeinsame trojanische Abstammung gerechtfertigt wurde.62 Damals erst wurde Aineias zum Gründer des Aphrodite-Kultes auf dem Eryx, der zuvor offenbar stark punisch geprägt gewesen war. Schon dem Dionysios von Halikarnassos fiel dabei das Problem auf, dass die verschiedenen Aineiasgräber mit der kanonisierten Wanderungslegende schlechterdings nicht zu vereinbaren waren.63 Er zog daraus aber nicht den Schluss, dass diese Gräber mit Aineias nichts zu tun haben konnten oder die Wanderungslegende falsch war, sondern er blieb seinem harmonisierenden Zugriff treu, indem er die außeritalischen Gräber kurzerhand zu Kenotaphen umdeutete, die aus Dankbarkeit für die Anwesenheit des Heros gestiftet worden seien. Dieses Modell folgt natürlich im Wesentlichen der Theorie des Euhemeros von Messene über die Entstehung der verschiedenen Götterkulte: Wo Zeus verehrt wird, dort muss er auch einmal hingekommen sein.64 Aufbauend auf dem bis hierher Erörterten lässt sich konstatieren, dass Wanderungssagen vielfach eine plausible aitiologische Erklärung für vermeintliche materielle Hinterlassenschaften der Heroen sowie für die Multilokalität spezifischer Kulte bildeten. In seiner magistralen Geschichte des Reliquienkultes im Altertum erklärte Friedrich Pfister die Mythologie nach dem von ihm sogenannten Bodenständigkeitsgesetz als aitiologische Ausarbeitung von Kulttatsachen.65 Zu der Wanderungssage des Aineias bemerkt er daher: »Es 60 61 62

Farnell 1921, 55. Kienast 1965. Zon. 8,9,12; vgl. Cic. Verr. 2,4,72. Die älteren Quellen wissen zwar von einer troianischen Abstammung, doch nichts von Aineias. Noch Dion. Hal. ant. 1,52,1, wo Aineias in Segesta auf andere Troianer trifft, trägt alle Anzeichen einer Kontamination. Auf den Münzen von Segesta erscheint Aineias erst spät: BMC, Gr. Sizilien, Segesta 59–61; SNG ANS 662; SNG München 872; SNG Cambridge 1152. 63 Dion. Hal. ant. 1,54: εἰ δέ τινας ταράττει τὸ πολλαχῇ λέγεσθαί τε καὶ δείκνυσθαι τάφους Αἰνείου ἀμηχάνου ὄντος ἐν πλείοσι τὸν αὐτὸν τεθάφθαι χωρίοις, ἐνθυμηθέντες ὅτι κοινόν ἐστιν ἐπὶ πολλῶν τοῦτό γε τὸ ἄπορον καὶ μάλιστα τῶν μὲν ἐπιφανεῖς τὰς τύχας, πλάνητας δὲ τοὺς βίους ἐσχηκότων, μαθέτωσαν ὅτι χωρίον μὲν ἓν τὸ δεξάμενον τὰ σώματα αὐτῶν ἦν, μνημεῖα δὲ παρὰ πολλοῖς κατεσκεύαστο δι’ εὔνοιαν τῶν ἐν ὠφελείαις τισὶ δι’ αὐτοὺς γενομένων, μάλιστα εἰ τοῦ γένους αὐτῶν τι περιῆν ἢ πόλεώς τινος ἀπόκτισις ἢ χρόνιοί τινες καὶ φιλάνθρωποι μοναί· οἷα δὴ καὶ περὶ τόνδε τὸν ἥρωα μυθολογούμενα ἴσμεν. 64 Euhemeros FGrH 63 F 2,9 über die Kriegszüge des Zeus: καὶ ἄλλα δὲ πλεῖστα ἔθνη ἐπελθόντα παρὰ πᾶσιν τιμηθῆναι καὶ θεὸν ἀναγορευθῆναι; vgl. F 23. 65 Pfister 1909–1912, 1–50.

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kann also nicht bloß gelehrte oder halbgelehrte Arbeit gewesen sein, die diese Wanderungssage hervorrief, sondern sie muß eine feste Unterlage gehabt haben, auf der sie sich aufbauen konnte, und die ihr zugleich Nahrung zu weiterem Wachstum bot: Kult und Lokalbezeichnung, deren Existenz an den verschiedensten Orten die Annahme der einstigen Anwesenheit des Heros nötig erscheinen ließ.«66 Nun muss man allerdings berücksichtigen, dass Relikte – und an diese angeschlossene Kulte – nicht einfach vorhanden sind, sondern eine spezifische Deutung des jeweiligen Objektes voraussetzen bzw. erst durch diese eine bestimmte Sinngebung erfahren. Auf die Umdeutung der Venus Erycina wurde bereits verwiesen, ebenso auf die bis in die Späte Republik hinein problematische Deutung des Heroons von Lavinium. Dessen Beziehung auf Aineias ist allein schon deswegen verdächtig, weil die mit dem Heros verknüpfte Entrückungslegende eigentlich gerade das Fehlen eines Grabes erklärt.67 Materielle Überreste können demnach – wie jede literarische Tradition auch – eine sekundäre Erfindung darstellen. Die mit den mythischen Heroen in Verbindung stehenden Relikte werden wir regelmäßig in diesem Sinne verstehen. Ganz offensichtlich wurden die Wanderungssagen durch fehlgedeutete Relikte beeinflusst und gestützt, gleichzeitig aber werden sie bei der Deutung solcher Objekte bereits vorausgesetzt, wie wir dies anhand von Pausanias’ Bericht über die Funde von Temenouthyrai beobachten konnten. In einem zweiten Schritt möchte ich nun noch kurz nach den Ursachen zu fragen, die zur Entwicklung der Wanderungssagen führten. Das zentrale Motiv, das zur stetigen Weiterentwicklung der Wanderungssagen führte, dürfte das Bestreben gewesen sein, sich neue geographische Bereiche durch eine Einordnung in die eigene Vorgeschichte kulturell anzueignen bzw. über eine Gräzisierung der eigenen Frühgeschichte Anschluss an die griechisch-hellenistische Welt zu erhalten. Insbesondere Tanja Scheer hat diesen Zusammenhang deutlich herausgearbeitet.68 Um auf die oben angesprochene Bearbeitung der Argonautensage in der hellenistischen Historiographie zurückzukommen: Der bereits erwähnte Herodoros machte seine Heimatstadt Herakleia Pontike zu einer Gründung der Argonauten, indem er ein Grabmal auf der Agora anstelle des Maryandiners Agamestor dem Argonauten Idmon zuwies.69 Dieselbe Tradition fand sich in variierter Form wohl auch in den Lokalgeschichten des Nymphis und des Promathidas von Herakleia.70 Von dort übernahm sie dann auch Apollonios Rhodios in seine Argonautika.71 Die Rolle der Lokalgeschichtsschreibung kann überhaupt nicht überschätzt werden: Eine Studie zu Überresten der Vergangenheit in antiken Gesellschaften ist – abgesehen von Pausanias – hauptsächlich ein Wühlen im Trümmerfeld der Lokalhistoriographie. Einen besonders schlagenden Eindruck von dem, was man in diesen Werken finden konnte, lie66 67 68 69 70 71

Pfister 1909–1912, 141f. Implizit bereits von Pfister 1909–1912, 143 richtig erkannt, der aber auf die Anchises-Tradition nicht eingeht. Scheer 1993. Herodoros von Herakleia BNJ 31 F 51. Zu diesem Grab vgl. Burstein 1976, 2 und 18; Malkin 1987, 74–77. Nymphis BNJ 432 F 15 (dazu Heinemann 2010, 208f.); Promathidas FGrH 430 F 2–3. Apoll. Rhod. 2,815–850.

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fert uns die Lindische Tempelchronik.72 Deren Ersteller kompilierten aus ihrer Lektüre vornehmlich rhodischer Lokalgeschichten ein Verzeichnis der verlorenen Weihegaben im Tempel der Athena Lindia. Die meisten der angeführten Quellenautoren sind für uns bloße Namen, allein die Inschrift gibt noch Zeugnis von dem, was ein Gelehrter des 1. Jh. v.Chr. an Referenzen auf materielle Relikte in der historiographischen Tradition finden konnte.73 Die Lokalgeschichte nahm die vor Ort zu beobachtenden Monumente zum Anhaltspunkt, ihre Stadt in die griechische Frühgeschichte einzuschreiben. Nicht zufällig dominieren daher in der Lindischen Chronik wie auch in dem verwandten, von Ampelius überlieferten Inventar des Apollon-Tempels von Sikyon die Weihgaben renommierter auswärtiger Heroen.74 Geschickt verknüpfen die in der Anagraphe aufgelisteten Weihgeschenke Lindos mit der gesamtgriechischen Rückerinnerung und Gegenwart. Anschlüsse an alle wichtigen Überlieferungskreise und Erinnerungsbestände werden hergestellt: den Troianischen und den Thebanischen Sagenkreis, die Erzählungen um Herakles und seine Nachkommen, die Gründungslegenden zur Kolonisationszeit, die Perserkriege. Lindos, so zeigt sich im Katalog der virtuellen Relikte, war schon immer und noch bis in die jüngste Gegenwart ein wichtiger Flecken auf der Karte der griechischen Welt. Derlei Argumente konnten durchaus unmittelbare politische Relevanz entwickeln, wenn aus heroenzeitlicher Mobilität Verwandtschaftsbeziehungen abgeleitet wurden. Sie wurden auch und gerade im Kontext der epigraphisch wie literarisch reich bezeugten Verwandtschaftsdiplomatie entwickelt: Als im 2. Jh. n.Chr. der Rhetor P. Anteius Antiochus aus dem kilikischen Aigai nach Argos kam, um die mythistorische Verwandtschaft der beiden Städte bestätigen zu lassen, ließ er das Kultbild der Stadtgöttin von Aigai von Perseus nach Kilikien gebracht werden.75 Er führte also ein materielles Zeugnis an, um einem Umbau des kulturellen Gedächtnisses beider Gemeinden Akzeptanz zu verschaffen. Schließlich ein letzter Punkt: Die Vorstellung von einer Wanderung des lebenden Heros stand teilweise in Konkurrenz zur Annahme einer postumen Translation. Eine Translationslegende war besonders dann von Vorteil, wenn man nicht einfach einem euhemeristischen Erklärungsmodell für konkurrierende Gräber folgen wollte. Die Translation ermöglichte es, verschiedene Grabstellen als echt und doch leer anzusehen. Dies lässt sich exemplarisch am Beispiel der Oidipoussage beobachten:76 Dem homerischen Epos zufolge starb der Heros in Theben, wie es seiner Zugehörigkeit zum thebanischen Sagenkreis entspricht.77 Ein Grab des Oidipous zeigte man zwar nicht in Theben selbst, der Alexandriner Lysimachos wusste aber von einer Bestattung im boiotischen Eteonos.78 72 73

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BNJ 532. Dazu Shaya 2002; Higbie 2003; Koch-Piettre 2005; Shaya 2005; Massar 2006; Hartmann 2010, 505–510. Zur rhodischen Lokalhistoriographie vgl. Funke 1994, bes. 257–259 mit weitgehend negativer Beurteilung des Erkenntniswertes der Anagraphe für die rhodische Geschichtsschreibung, der aber das aus der Tempelchronik erschließbare Interesse für materielle Zeugnisse nicht weiter thematisiert. Sikyon: Ampelius 8,5. Siehe dazu neben der in Anm. 72 genannten Literatur auch Scheer 1996, bes. 371f., die den Katalog des Ampelius und die Lindische Chronik vergleichend bespricht. P. Anteius Antiochus FGrH 747 T 2: κἀκεῖ τὸ τᾶς πατρίου κομίζοντα θεᾶς ἀφεί|[δρυμα – --]. Dazu vgl. Robert 1977, 119–129; Puech 2002, 68–74. Dazu vgl. Pfister 1909–1912, 107–114. Hom. Il. 23,679–680; vgl. Aischyl. Sept. 1004: Bestattung von Eteokles und Polyneikes πῆμα πατρὶ πάρευνον; Soph. Ant. 891–902. Einen Verbleib des Oidipous in Theben auch nach seiner Blendung

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In Athen jedoch existierte ebenfalls ein angebliches Grab des Oidipous auf dem Areiopag, sowie ein Heroon auf dem Kolonos Hippios.79 Die Kultlegende des letzteren kennen wir aus dem Oidipous auf Kolonos des Sophokles.80 Hier kommt der greise Oidipous zusammen mit Antigone als Schutzflehender nach Athen – er ist also hier ein Wanderheros. Ganz offensichtlich ist die Version der Tragödie im Vergleich zu der des Epos eine sekundäre Bildung, welche den lokalen Kult erklärt, indem sie den Heros aus seiner Heimatstadt nach Athen wandern lässt. Pausanias lehnte dies ab, weil für ihn Homer die entscheidende Autorität war.81 Folglich musste der Perieget allerdings eine andere Erklärung dafür finden, warum ein thebanischer Heros in Athen einen Kult empfing. Es blieb als Alternative nur, eine Wanderung der Gebeine, also eine Translation, anzunehmen.82 Die bereits erwähnte Translation des Anchises bei Varro ist aus genau derselben Notwendigkeit heraus eingeführt.83 Die Lokalgeschichte teilte die Skrupel des Pausanias nicht: Androtion akzeptierte in seiner einflussreichen Atthis die Wanderung des Oidipous und seinen Tod in Athen, auch wenn er im Detail von der sophokleischen Mythenvariante abwich: Ihm zufolge lebte Oidipous noch einige Zeit auf dem Kolonos Hippios und verlangte von Theseus, seine Grabstätte keinem Thebaner bekannt zu machen.84 Diese Fassung passte noch besser als die des Sophokles zu den zeitgenössischen Kulttatsachen, nämlich dem Grab auf dem Areiopag und dem Heroon auf dem Kolonos Hippios. Wiederum erweist sich die Lokalgeschichtsschreibung als besonders auf die konkrete materielle Erinnerungslandschaft bezogen.

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nimmt Hom. Od. 11,275f. an; vgl. auch Hes. fr. 192–193 Merkelbach/West. Dazu vgl. Cingano 1992. Lysimachos von Alexandreia BNJ 382 F 2 (unter Berufung auf einen sonst unbekannten Arizelos). Unklar ist, ob das Oidipodeion in Eteonos älter war als die attische Kultlegende, wie es Robert 1915, 1–12 unter Verweis auf vermeintliche Anspielungen bei Soph. Oid. K. 399f.; 406f.; 784–786 annahm. Farnell 1921, 332–334 hielt beide Kulte für spät, doch muss dies im Kontext seiner These einer sekundären Ausbildung der Heroenkulte unter dem Einfluss des Epos gesehen werden. Farnell glaubte auch, dass Sophokles nicht auf vorhandenen Kulttatsachen aufbaute, sondern das Oidipousgrab erst im Gefolge des Sophoklesstückes aufgefunden wurde. Gegen solche Überlegungen jedoch überzeugend Edmunds 1981, 222–227. Grab auf dem Areiopag: Val. Max. 5,3, ext. 3; Paus. 1,28,7; Heroon des Peirithoos, Theseus, Oidipous und Adrastos auf dem Kolonos Hippios: Paus. 1,30,4; Bestattung ebenda: Aristeid. 46,172 mit den Schol. Dazu Kearns 1989, 208f. Dazu Festugière 1973; Edmunds 1981; McCauley 1993, 201–203; Jouanna 1995; Edmunds 1996, 95–100; Calame 1998; Kowalzig 2006, 81–85; Markantonatos 2007, 140– 156. Anspielung auf die Thematik bereits bei Eur. Phoen. 1679–1709. Zur Entwicklung der Oidipouslegende in Attika vgl. Robert 1915, 14–43; Festugière 1973, 6–15. Paus. 1,28,7: τὰ γὰρ ἐς τὸν θάνατον Σοφοκλεῖ πεποιημένα τὸν Οἰδίποδος Ὅμηρος οὐκ εἴα μοι δόξαι πιστά, ὃς ἔφη Μηκιστέα τελευτήσαντος Οἰδίποδος ἐπιτάφιον ἐλθόντα ἐς Θήβας ἀγωνίσασθαι. Paus. 1,28,7: πολυπραγμονῶν δὲ εὕρισκον τὰ ὀστᾶ ἐκ Θηβῶν κομισθέντα. Vgl. auch die angebliche Translation des Odysseus nach Lykophr. Alexandra 789–811, die zwischen den konkurrierenden Überlieferungen über einen Tod des Heros auf Ithaka (Telegonie: Prokl. chresth. 324–330 Severyns) und in Italien (Theop. FGrH 115 F 354; vgl. Aristot. fr. 507 und [Aristot.] fr. 640,12 Rose) vermittelt. Androtion FGrH 324 F 62. In dem Fragment sind jedoch offenbar mehrere Quellen kombiniert: Edmunds 1981, 222f.

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Man muss betonen, dass die weitaus meisten Translationslegenden in mythischer Zeit angesiedelt sind und nur ganz wenige Translationen in historischer Zeit gut bezeugt sind.85 Friedrich Pfister glaubte noch, sie alle als unhistorisch erweisen zu können. Selbst wenn dies ein überzogener Hyperkritizismus ist: Die Griechen glaubten mehr an einstige Translationen als dass sie sie tatsächlich vollzogen. Dennoch sollte diese weitgehend imaginierte Praxis langfristig folgenreich werden: Im griechischen Osten kamen die christlichen Reliquientranslationen sehr viel früher in Gang als im lateinischen Westen, offenbar, weil der Gedanke hier weniger neu erschien.86 Und so dürfte in diesem Fall gelehrte Konstruktion doch einmal Einfluss auf den Gang der Weltgeschichte genommen haben. Andreas Hartmann Universität Augsburg, Philologisch-Historische Fakultät, Lehrstuhl für Alte Geschichte Universitätsstraße 10, D-86159 Augsburg [email protected]

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Zu den Translationen vgl. Pfister 1909–1912, 188–211, 433–444; Hartmann 2010, 246–263. Gute Erörterung bei Clark 2001. Ablehnung von Translationen noch im 6. Jh. n.Chr. bei Greg. M. epist. 4,30 CCSL (=Corpus Christianorum Series Latina) 140, p. 149. Dazu McCulloh 1976; 1980. Vgl. aber Diefenbach 2007, 359–410, der Reliquientranslationen auch für Rom bereits im 5. Jh. n.Chr. annimmt. Wie Hunter 1999, 419–430 zu zeigen vermochte, ist die reliquienfreundliche Haltung des Hieronymus (Contra Vigilantium), des Paulinus von Nola (carm. 19,317–341), des Ambrosius (dazu Dassmann 1975) sowie des Victricius von Rouen (De laude sanctorum) keineswegs repräsentativ für ihre Zeit. Vielmehr dürfte der von Hieronymus angegriffene Vigilantius von Calagurris die traditionelle Auffassung vertreten haben. Skepsis ist etwa auch bei Prud., Peristephanon Liber 6,133–141 spürbar.

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Senatoren auf Dienstreise

1. Einleitung Herrschaft über einen weiten Raum zu organisieren – mit dieser Aufgabe sahen sich alle großen Reiche konfrontiert. Das römische Imperium hat eine sehr spezifische Lösung entwickelt. Selbstverständlich verfügte es über die Fähigkeit, militärische Gewalt anzuwenden, doch musste es selten damit offen drohen und noch seltener die Drohung wahr machen. Die routinemäßige Administration war von etwas anderem bestimmt: einem ständigen Kommen und Gehen von hohen Amtsträgern und militärischen Befehlshabern. Reisen waren hier nicht die Ausnahme, sondern das Prinzip. Zwar waren im römischen Reich auch viele andere Personen unterwegs, und auch dies hatte vielerlei soziale Folgen. Doch nahmen die reisenden Amtsträger eine Sonderstellung ein, die eine genauere Betrachtung verdient. Die Grundprinzipien der Reichsadministration gehen bekanntlich bis in die mittlere Republik zurück. Genau genommen gab es damals – und auch später – nur stadtrömische Beamte. Doch als die Römer nach dem Ersten Punischen Krieg begannen, Untertanengebiete dauerhaft und direkt zu beherrschen, wurde ein solches Gebiet einem Beamten als Provinz, d.h. als Aufgabe, zugewiesen; nach Amtsantritt brach er von Rom aus dorthin auf und kehrte nach seiner Ablösung nach Rom zurück. So muss man eigentlich die gesamte Mission als eine einzige Dienstreise ansehen. Dieses System wurde im Prinzip bis tief ins 3. Jh. n.Chr. beibehalten, dabei allerdings modifiziert und erweitert. In der Kaiserzeit entwickelte sich außerdem parallel eine Verwaltung mit Funktionären aus dem Ritterstand, die ihren Ursprung in der Administration des kaiserlichen Haushalts hatte. Aber auch hier wurden die Inhaber höherer Posten auf eine sehr ähnliche Art regelmäßig ausgetauscht. Einbezogen war ebenso das stehende Heer der römischen Kaiserzeit, in dem alle höheren Posten (oberhalb des Centurio) den Angehörigen der Reichsaristokratie zustanden; diese Offiziere wurden ebenfalls in den fortwährenden Wechsel einbezogen. Die häufige Fluktuation unter den Amtsträgern ist umso bemerkenswerter, als das Imperium Romanum geradezu an seiner eigenen Größe litt. Denn gemessen an den Reisegeschwindigkeiten und der Dauer der Nachrichtenübermittlung war das Imperium größer, als es für uns heute die ganze Erde ist. Eine Nachricht reiste nicht schneller als der Bote, der sie beförderte, was bedeutet, dass sie im günstigsten Fall in sieben Tagen von Rom aus nach

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Südspanien gelangte.1 Eine normale Reisegruppe legte zu Lande am Tag kaum mehr als 20 Meilen (30km) zurück;2 Schiffe waren in höchstem Maß vom Wetter abhängig und schafften auch unter günstigen Bedingungen kaum mehr als fünf Knoten (ca. 9km/h).3 Das Imperium aber erstreckte sich von Nordwest nach Südost auf über 5.000km. Reisen kosteten Zeit; ferner musste immer einkalkuliert werden, dass Nachrichten aus der Ferne schon beim Eintreffen nicht mehr aktuell waren und dass sich Entscheidungen nur mit Zeitverzug auswirkten. So war es schon Aufgabe genug, das Erworbene zusammenzuhalten.

2. Ein gewöhnlicher Senator Was bedeutete dies nun für die Beteiligten – für die einzelnen Senatoren? Das mag zunächst ein Beispiel illustrieren, und zwar eines aus der Kaiserzeit, genauer aus dem späten 1. Jh. n.Chr. Denn für die Zeit der Republik kennen wir eigentlich nur die Reisen Ciceros im Detail4 und ferner kennt man die Itinerare der großen Einzelnen wie Pompeius und Caesar, die eben diese Republik zugrunde richteten. Für die Kaiserzeit hingegen erlauben es die vielen Inschriften, auch den Routinebetrieb einigermaßen nachzuverfolgen. Und genau aus diesem Grund sei hier nicht eine der herausragenden Gestalten vorgeführt, sondern ein recht durchschnittlicher Senator mit einer unspektakulären Karriere. Er heißt mit vollem Namen L. Iulius Marinus Caecilius Simplex;5 seine Familie stammte wahrscheinlich aus Berytos (h. Beirut), der bekannten römischen Kolonie in Phönikien,6 aber – wie es sich für ei1 2

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Plut. Galba 7,1: Icelus (PIR2 I 16), ein Freigelassener des Galba, brachte diesem so rasch wie möglich die Nachricht vom Tode Neros. Dies wurde auch in der Rechtsprechung als zumutbare Tagesleistung angesehen: Dig. 2,11,1. Übersichten über bezeugte Reisegeschwindigkeiten geben L. Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von August bis zum Ausgang der Antonine, 9. Aufl. (hg.v. G. Wissowa), Bd. 1, Leipzig 1919, 331–334 und A. Kolb, Transport und Nachrichtentransfer im Römischen Reich, Berlin 2000 (Klio Beihefte N.F. 2), 310–320. Zu Pferd oder im leichten Wagen kam man auf guten Straßen selbstverständlich schneller voran, wenn man nicht viel Gepäck mitführen musste. – Friedländer, ebd., 316–488 bietet eine umfassende (wenn auch wenig kritische) Zusammenstellung der bis in seine Zeit bekannten Quellen zum Thema des Reisens. L. Casson, Ships and Seamanship in the Ancient World, Princeton, NJ 1971, 283. Siehe hierzu den Beitrag von E. Olshausen in diesem Band. PIR2 I 408. Vgl. auch W. Eck, Rome and the Outside World: Senatorial Families and the World They Lived In, in: B. Rawson, P. Weaver (Hg.), The Roman Family in Italy. Status. Sentiment. Space, Canberra/Oxford 1997, 73–99, bes. 82–84. – Die Karriere dieses Senators ist vollständig bezeugt durch die Inschrift CIL IX 4965=ILS 1026 (aus Cures Sabinorum). Das Fragment einer Bauinschrift aus Cures Sabinorum ist ebenfalls auf ihn zu beziehen: AE 1947, 156 (Name verloren). Die Angaben über seine Laufbahn werden bestätigt durch eine Inschrift aus Xanthos, A. Balland, Fouilles de Xanthos VII. Inscriptions d’époque impériale du Letôon, Paris 1981, 132 Nr. 50=AE 1981, 830. Weitere Zeugnisse: CIL VI 1492=ILS 6106 (aus Rom, bestätigt seinen Konsulat); TAM II 567=IGR III 554 (aus Tlos); IGR III 470 (aus Balboura); P. Roos, Topographical and Other Notes on South-Eastern Caria, in: Opuscula Atheniensia 9, 1969, 76 (aus Lydae). Ferner wird er in den Arvalakten erwähnt (s.u. Anm. 18). Seine Ehefrau wurde ebenfalls in Tlos geehrt (s.u. Anm. 20). – S. Şahin, Komm. zu I.Arycanda 24 wollte dieses Inschriftenfragment ebenfalls auf ihn beziehen; dies bleibt jedoch unsicher. H. Halfmann, Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Romanum bis zum Ende des 2. Jh. n.Chr., Göttingen 1979 (Hypomnemata 58), 110 Nr. 14 mit weiterer Literatur. – Vgl. auch J. Scheid, Le collège des Frères Arvales. Études prosopographique du Recrutement (69–304), Rom 1990, 347f. Nr. 75.

Senatoren auf Dienstreise

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nen rechten Senator gehört – besaß er auch Güter im uralten römischen Kernland, nämlich bei Cures Sabinorum (beim h. Correse) ca. 30km nordöstlich von Rom.7 Er dürfte um 55/ 60 n.Chr. geboren sein und war damit ein ungefährer Zeitgenosse des Geschichtsschreibers Tacitus. Bereits sein Vater war Senator und hieß höchstwahrscheinlich ebenfalls L. Iulius Marinus;8 seine Mutter dürfte eine Schwester oder nahe Verwandte des Cn. Caecilius Simplex gewesen sein, der im Jahr 69 den Suffektkonsulat erreichte.9 Er selbst heiratete später eine Iulia Tertulla,10 die aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls einer Senatorenfamilie entstammte. Das alles entsprach ganz dem Üblichen. Wo er seine Jugend verbracht hat, ist nicht überliefert.11 Seine Ämterlaufbahn begann – wohl noch unter Vespasian – mit dem Posten eines der IV viri viarum curandarum, die für die Straßenreinigung in der Stadt Rom zuständig waren12 – einem typischen Einstiegsamt. Jedoch bereits sein zweiter Posten führte ihn weit von Rom weg: Er wurde tribunus laticlavius bei der legio IV Scythica, die damals in der Provinz Syrien lag.13 Den fast 2.000km langen Weg hat er wohl schon von Reisen in der Kindheit oder Jugend her gekannt. Wahrscheinlich fuhr er zu Lande nach Brundisium, setzte von dort aus mit dem Schiff nach Griechenland über, nutzte vielleicht die Gelegenheit zu einem Abstecher nach Athen, und segelte dann nach Ionien hinüber und die kleinasiatische Küste entlang, um schließlich in Seleukeia in Pierien an Land zu gehen. Dies war jedenfalls die übliche Route.14 Anschließend kehrte er zweifellos nach Rom zurück, wo inzwischen Domitian regierte. Er wird damals geheiratet haben, wie es viele seiner Standesgenossen taten, bevor sie sich um die eigentlichen senatorischen Ämter bewarben.15 Sodann erreichte er etwa im Alter 7 8

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A. M. Andermahr, Totus in praediis. Senatorischer Grundbesitz in Italien in der Frühen und Hohen Kaiserzeit, Bonn 1998 (Antiquitas R. 3 Bd. 37), 304 Nr. 272. PIR2 I 401. – Er ist nicht identisch mit dem im Diplom CIL XVI 41 erwähnten Legaten von Moesia inferior: B. E. Thomassen, Laterculi praesidum Vol. I ex parte retractatum, Göteborg 2009, Nr. 20:063 und 20:064. Inzwischen scheint klar, dass es in dem Diplom um einen anderen, nämlich um Ti. Iulius Candidus Marius Celsus (cos. suff. 86 n.Chr., cos. II 105 n.Chr.; PIR2 I 241) geht: W. Eck, Verdienste um Kaiser und Reich? Zu einem Diplom aus der Regierungszeit Nervas mit dem Statthalter Iulius C[andidus Marius Celsus], in: ZPE 177, 2011, 259–261. So deutet nun nichts mehr darauf hin, dass der Vater des Iulius Marinus unter Domitian eine größere Rolle gespielt und sich damit politisch besonders exponiert hätte. PIR2 C 84. PIR2 I 706. Nicht unwahrscheinlich ist eine Unterweisung in Rhetorik in seiner Heimat, in Rom oder an einem anderen Ort (z.B. in Athen). Zur Zeit von Caesar und Cicero waren Bildungsreisen nach Griechenland in Mode gekommen, aber in der Kaiserzeit waren sie nicht mehr die Regel. – Cn. Iulius Agricola (PIR2 I 126), der Schwiegervater des Geschichtsschreibers Tacitus, der aus Forum Iulii (Frejus) stammte, wurde in seiner Jugend aus Ersparnisgründen im nahe gelegenen, aber griechischsprachigen Massilia ausgebildet (Tac. Agr. 5,2f.). Vgl. ferner die Materialsammlung bei Friedländer (wie Anm. 2), 380f. Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, Bd. 2, Leipzig 31887, 603f. E. Ritterling, Legio, in: RE 12.2, 1925, 1556–1564. Später reiste so der Kaiser L. Verus nach Syrien: HA, Verus 6f. Die immer noch gültigen Ehegesetze des Augustus sahen eine Bevorzugung von Kandidaten vor, die verheiratet waren und Kinder hatten, siehe E. Baltrusch, Regimen morum. Die Reglementierung des Privatlebens der Senatoren und Ritter in der römischen Republik und frühen Kaiserzeit, München 1989 (Vestigia 41), 162–172 (mit den Belegen). Das war aber wohl nicht der einzige

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von 25 Jahren die Wahl zum Quästor (wofür man in Rom präsent sein musste) und wurde damit auch offiziell Mitglied des Senats. Als Quästor bekam er Makedonien als Aufgabenbereich zugewiesen und musste in seinem Amtsjahr dem proconsul dieser Senatsprovinz zur Hand gehen – und also dorthin reisen und anschließend nach Rom zurückkehren. Hierauf wurde er in Rom zu einem der aediles plebis gewählt und wenige Jahre später zu einem der Prätoren. Dieses Amt erreichten die meisten im Alter von etwa 30 Jahren. Es folgte eine Stelle in die Senatsprovinz Cypern; er übernahm die Funktion des legatus pro praetore des dortigen proconsul, wurde also dessen bevollmächtigter Stellvertreter. Dies war keine notwendige Stufe auf der senatorischen Karriereleiter, und besonders erfolgreiche, rasch avancierende Männer gingen auf Angebote dieser Art in aller Regel gar nicht ein. Iulius Marinus gehörte offenkundig nicht zu diesen ›Überfliegern‹. Danach bekleidete er eine ähnliche Funktion in Pontus-Bithynia (im nordwestlichen Kleinasien). Der proconsul war niemand anderer als sein Vater, der also seinen eigenen Sohn als Stellvertreter mitgenommen hat.16 Ob sie zusammen reisten, ist nicht bekannt.17 Das Amtsjahr dürfte auf etwa 89 n.Chr. zu datieren sein – dem Jahr des Saturninus-Aufstandes gegen Domitian in Germanien. Sodann verbrachte Iulius Marinus ein paar Jahre in Rom. Er wurde zum curator viae Tiburtinae ernannt, und er wurde in das senatorische Priesterkollegium der fratres Arvales aufgenommen.18 Als nächstes betraute ihn Domitian mit dem Kommando über die legio XI Claudia pia fidelis, die damals in Vindonissa (h. Windisch/Brugg im Kanton Aargau in der Schweiz) lag und zum Heer der Provinz Obergermanien gehörte.19 Es war dies die erste Verwendung des Iulius Marinus in der westlichen, lateinischen Reichshälfte, und diesmal reiste er sicher den ganzen Weg zu Lande. Wohl dort oder vielleicht erst nach der Rückkehr nach Rom hat er den Herrscherwechsel zu Nerva und Trajan erlebt. Die meisten Angehörigen der Reichsaristokratie konnten ihre Karrieren jedoch problemlos fortsetzen – so auch er. Der neue Herrscher ernannte ihn zu seinem Legaten in der kaiserlichen Provinz LyciaPamphylia, an der Iulius Marinus schon mehrfach vorbeigesegelt sein muss. Es war dies seine erste eigenständige Provinzstatthalterschaft – allerdings auf einem Posten, auf dem man 15

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Grund: Da man in diesen Kreisen stark in Kategorien von Abstammung und Familie dachte, erschien die Fortsetzung der Familienkontinuität als eine selbstverständliche Pflicht. Siehe ferner R. Syme, Marriage Ages for Roman Senators, in: Historia 36, 1981, 318–332=ders., Roman Papers, Bd. 4, hg.v. A. R. Birley, Oxford 1991, 222–246. – L. Septimius Severus, der spätere Kaiser, schloss seine erste Ehe allerdings erst auf der Karrierestufe des Prätors mit ca. 30 Jahren (HA, Severus 3,2; vgl. PIR2 S 487). Zur Reiseroute: Als der jüngere Plinius Statthalter von Pontus-Bithynia wurde und sich auf den Weg in seine Provinz machte, segelte er um Kap Malea herum nach Ephesos und reiste von da ab teils zu Lande und teils mit Küstenschiffen, Plin. ep. 10,15–18. Alternativ bot sich der kürzere Weg über Korinth, wobei dort aber das Schiff gewechselt werden musste. Legaten begaben sich nicht immer zusammen mit ihrem Chef in die Provinz, vgl. Dig. 1,16,5. Der Legat des jüngeren Plinius, Q. Servilius Pudens (PIR2 P 594), reiste separat, Plin. ep. 10,25. Die Amtsprotokolle sind zu großen Teilen inschriftlich erhalten: J. Scheid, Commentarii Fratrum Arvalium qui supersunt. Les copies épigraphiques des protocoles annuels de la confrérie arvale (21 av.–304 ap.J.-C.), Rom u.a. 1998. Bezeugt ist er ebd. Nr. 59 (am 20. Mai 91 n.Chr. und einem weiteren Datum im gleichen Jahr); Nr. 62a (am 3. Januar, 25. März und 17.–19. Mai 101 n.Chr.); Nr. 62b (ebenfalls 101 n.Chr.) und Nr. 63 (ein unbekannter Termin aus der Zeit zwischen 91 und 105 n.Chr.). Zu diesen Zeiten kann er also nicht auf Reisen gewesen sein. E. Ritterling, Legio, in: RE 12.2, 1925, 1690–1705.

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nicht viel falsch machen konnte. Auf dieser Mission begleitete ihn offenkundig auch seine Gattin Iulia Tertulla, denn die lykische Stadt Tlos hat nicht nur ihn mit einer Statue geehrt, sondern auch sie.20 Nach zwei oder drei Jahren wurde er abgelöst. Nur wenige kaiserliche Statthalter wurden deutlich länger im Amt belassen, und auch dies kam immer seltener vor.21 Danach, wohl im Amtsjahr 99/100 n.Chr, wurde er proconsul der Senatsprovinz Achaia mit hauptsächlichem Sitz in Korinth. Zuvor muss er aber nochmals in Rom gewesen sein, denn um Provinzen dieser Art wurde dort unter den ehemaligen Prätoren mit der längsten Wartezeit gelost. Wen er als seinen Legaten mitgenommen hat, wissen wir nicht.22 Schließlich – wieder in Rom – wurde er Konsul, wenn auch nur einer der Suffekt-Konsuln, und zwar wohl im Jahr 101 oder 102 n.Chr. Sein Kollege war L. Arruntius Stella,23 der als Förderer der Dichter Statius und Martial bekannt geworden ist, ansonsten aber eine ähnliche Karriere durchlaufen haben muss. Weitere Ämter hat Iulius Marinus nicht mehr bekleidet. Er wird bald gestorben sein und wurde in Cures Sabinorum beigesetzt.24 Nachfahren sind nicht bekannt.25 In der großen Geschichte hat dieser L. Iulius Marinus Caecilius Simplex also keine Rolle gespielt. Trotzdem: In der Summe hat dieser Mann nicht weniger als sieben große Reisen im Dienst des Imperiums absolviert und dabei an die 20.000km zurückgelegt – und zwar zu Pferd, auf dem ungefederten Wagen oder auf dem von Wind und Wetter abhängigen Segelschiff. In seiner aktiven Zeit von ca. 25–30 Jahren war er nicht weniger als 11 Jahre auf verschiedenen Außenposten tätig und davon vielleicht ein ganzes Jahr auf den Reisen zwischen Rom und den jeweiligen Provinzen unterwegs.26 Und das ist noch nicht alles; die Reiseleistung muss noch deutlich höher gelegen haben. Denn ein römischer Statthalter musste während seiner Amtszeit seine Provinz bereisen. Er war oberster Richter, alle wichtigen Fälle kamen früher oder später vor sein Tribunal, und nur er durfte Kapitalstrafen verhängen. Daher war es seine Pflicht, zumindest die Hauptor20 21

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IGR III 562=TAM II 594. Im frühen Principat waren Poppaeus Sabinus (PIR2 P 847) unter Tiberius im unteren Donauraum und Galba (PIR2 S 1003) und Otho (PIR2 S 143) unter Nero in Spanien sehr lange auf ihren Posten belassen worden. Auch Cn. Iulius Agricola (PIR2 I 126), der Schwiegervater des Tacitus, hatte sieben Jahre an der Spitze von Britannien verbleiben dürfen. In der Wahl der Reiserouten waren die Proconsuln nicht ganz frei: Es gab eingespielte Regeln, an welchem Ort sie ihre Provinz zu betreten hatten. Die betreffende Gemeinde betrachtete dies als Privileg, über das sie eifersüchtig wachte, siehe Dig. 1,16,4,5f. PIR2 A 1151. Die dort gefundene Inschrift mit der Auflistung seiner Karriere (vgl. Anm. 5) scheint zu seinem Grabbau gehört zu haben. Chr. Marek, Die Inschriften von Kaunos, München 2006 (Vestigia 55), 311f. ergänzte die Inschrift I.Kaunos 135 dahingehend, dass ein Sohn des Iulius Marinus in Kaunos geehrt worden sei. Bei dem Zeugnis handelt es sich um ein kleines Bruchstück einer Ehreninschrift, auf dem nur ein paar Buchstaben zu erkennen sind. Die Ergänzung ist beim gegenwärtigen Stand des Wissens nicht zu beweisen. Bei Senatoren mit wirklich wichtigen Aufgaben liegen diese Zahlen noch beträchtlich höher, denn sie mussten erst eine ähnliche Karriere wie Iulius Marinus absolvieren, bevor sie (nach dem Konsulat) mit großen Kommandos betraut wurden. Der Senator A. Caecina Severus (PIR2 C 106) – Heerführer unter Tiberius und Germanicus im Donauraum und in Germanien – nahm 21 n.Chr. für sich in Anspruch, in verschiedenen Provinzen mehr als 40 Jahre militiae abgeleistet zu haben (Tac. ann. 3,33,1; vgl. dazu ebd. 1,64,4).

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te der Distrikte (conventus) regelmäßig aufzusuchen und die anstehenden Fälle abzuarbeiten.27 Solche Reisen wurden im Voraus bekannt gemacht,28 und die Provinzialen haben sich darauf eingestellt, wenn sie Klage führen wollten.29 Einen Teil der Lasten konnten die Proconsuln an ihre Legaten delegieren, und in den sehr großen kaiserlichen Provinzen Hispania Tarraconensis und Britannia (und auch in Cappadocia, solange es mit Galatia vereinigt war) wurden dem Statthalter zur Entlastung eigene legati iuridici (Rechtsprechungslegaten) beigegeben. Aber auch so blieb ein beträchtliches Pensum übrig.

3. Reisende Funktionäre – eine überschlägige Rechnung Parallel zu L. Iulius Marinus Caecilius Simplex waren viele weitere Senatoren im Reich unterwegs. Zu seiner Lebenszeit wurden 27 römische Provinzen von Senatoren verwaltet, und es standen ca. 28 Legionen unter Waffen. So waren jeweils knapp 80 reguläre Stellen außerhalb Italiens zwingend mit Senatoren besetzt.30 Oder anders: Von den ca. 600 Senatoren war stets fast ein Sechstel auf Außenposten oder gerade auf Dienstreise. Wenn man die jeweils übliche Amtsdauer ansetzt, müssen in jedem Jahr ca. 50 senatorische Reisegruppen in die Provinzen gezogen oder von dort zurückgekehrt sein. Das sind nur Mindestzahlen, die sich auf die etatisierten Stellen und regulären Amtszeiten beziehen. Es gab auch ad hoc geschaffene Sonderfunktionen, die ebenfalls Reisen erforderten, wie die Leitung des Census für eine Region oder die Tätigkeit als Kommissar zur Ordnung der Finanzen von Städten, die in Schwierigkeiten geraten waren. Überdies gab es weitere Spitzenpositionen, die nicht an Senatoren vergeben wurden. Elf Provinzen wurden damals von römischen Rittern geleitet, und zwar nicht nur so unwich27

Solche Rundreisen gehörten bereits in der Republik zu den Kernaufgaben der Statthalter, siehe A. J. Marshall, Governors on the Move, in: Phoenix 20, 1966, 231–46. Zu einer Provinz in der Kaiserzeit siehe J. M. Abascal, La administración itinerante en la Hispania Citerior. El funcionario y su familia, in: J. M. Iglesias Gil, A. Ruiz Guitérrez (Hg.), Viajes y cambios de residencia en el mundo romano, Santander 2011, 289–317. Auf den Rundreisen musste auch den Erwartungen der Provinzalen Rechnung getragen werden. Der Jurist Ulpian schreibt in seinem Handbuch für den Proconsul, dass dieser die Empfangszeremonien der jeweiligen Städte geduldig über sich ergehen lassen müsse – einschließlich der Festreden, mit denen die Städte sich selbst anpriesen (Dig. 1,16,7 pr.). 28 Gut nachzuverfolgen ist das besonders für Ägypten, das allerdings von einem Präfekten aus dem Ritterstand geleitet wurde: R. Haensch, Zur Konventsordnung in Aegyptus und den übrigen Provinzen des römischen Reiches, in: Akten des 21. Internationalen Papyrologenkongresses, Berlin 1995, Stuttgart/Leipzig 1997 (Archiv für Papyrusforschung, Beih. 3), 320–391 (mit einer Zusammenstellung der Belege für die Reisen der Präfekten und anderer hoher Beamter in Ägypten, S. 343–390); A. Jördens, Statthalterliche Verwaltung in der römischen Kaiserzeit. Studien zum praefectus Aegypti, Stuttgart 2009 (Historia Einzelschriften 175), 248–257. Ein sehr anschauliches Beispiel für die Vorbereitungen bietet P.Lond. 1159=WChrest. 415: ein Schreiben, das festlegte, wer für den angekündigten Präfekten und sein Gefolge welche Art von Essensvorräten zu beschaffen hatte. 29 So hat sich z.B. unter den persönlichen Papieren der Babatha eine gerichtliche Vorladung von 125 n.Chr. erhalten: Die damals in der Provinz Arabia lebende Babatha forderte darin ihren Prozessgegner auf, mit ihr in Petra zu erscheinen und dort zu warten, bis sie vor dem Tribunal des Statthalters Iulius Iulianus (PIR2 I 361a) gehört würden, und zwar am zweiten des Monats Daisios oder am nächsten Gerichtstermin, der in Petra stattfände (P.Yadin 14). Der Hauptsitz des Statthalters war allerdings Bostra. 30 Vgl. auch R. J. A. Talbert, The Senate of Imperial Rome, Princeton, NJ 1984, 145, 150.

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tige wie die Cottischen Alpen, sondern auch Ägypten, eine der Schlüsselpositionen im Reich.31 Diese Beamten wurden unmittelbar vom Kaiser ernannt und mussten sich dann – mit ihrem Ernennungsschreiben (codicillum) in der Tasche – in ihre Provinz begeben, die meist fern der Heimat lag. Beispielsweise stammte C. Minicius Italus, der 101–103 n.Chr. Präfekt von Ägypten war, aus Aquileia in Norditalien.32 Solche Männer sind nicht viel anders gereist als die Senatoren. Zudem wuchs auf der Ebene unmittelbar unter den Spitzenstellungen eine veritable Bürokratie heran, deren wichtige Stellen ebenfalls mit römischen Rittern besetzt wurden. Zur Zeit Domitians gab es 44 solcher hoher ritterlicher Posten außerhalb Italiens.33 Deren Inhaber mussten auf ähnliche Weise anreisen und nach Ablauf ihrer Amtszeit zurückkehren. So dürften pro Jahr ca. 37 Reisegesellschaften hoher ritterlicher Funktionäre unterwegs gewesen sein (Hin- und Rückreisen auch hier zusammengerechnet). Das ist immer noch nicht alles. Die Alen und Cohorten der Hilfstruppen wurden ebenfalls von Offizieren aus dem Ritterstand befehligt, und aus deren Reihen stammten auch fünf der sechs Tribunen einer Legion. In ihrer Heimat gehörten sie in aller Regel zur Lokalaristokratie und nach ihrer Ernennung mussten sie oft erst von weither anreisen. Durch eine Inschrift wissen wir beispielsweise, dass die cohors IIII Aquitanorum equitata civium Romanorum in Obernburg am Main zeitweise von einem L. Petronius Florentinus befehligt wurde, der aus Saldae in Nordafrika stammte.34 Während die Soldaten und Centurionen in der Regel lange bei ihrer Einheit verblieben, wurden die Kommandeure in der Regel nach nur wenigen Jahren ausgetauscht. Bei – sehr grob geschätzt – 300 Auxiliareinheiten35 und 28 Legionen kommt man auf knapp 300 Reisen von ritterlichen Offizieren pro Jahr – Reisen zu den Einheiten und Rückreisen in die Heimat auch hier zusammengerechnet. Bei größeren Kriegen waren selbstverständlich noch mehr Angehörige der Reichsaristokratie unterwegs – ganz besonders dann, wenn sich der Kaiser selbst ins Feld begab und eine vielköpfige Begleitung mitnahm. Domitian tat dies mehrfach. Eine Form von Dienstreisen gab es zur Zeit von Iulius Marinus nicht mehr, die bis in die späte Republik hinein noch eine wichtige Rolle gespielt hatte: nämlich Gesandtschaftsreisen. Denn inzwischen war das Imperium so dominant, dass es keine aktive Gesandtschaftsdiplomatie mehr betreiben musste.36 Es kamen nur noch fremde Gesandte nach Rom oder auswärtige Könige sprachen persönlich beim Kaiser vor. Das änderte sich erst wieder in der Spätantike, als das Imperium unter Druck geriet und nicht mehr umhinkam, wieder eigene hochrangige Gesandtschaften zu entsenden. 31 32 33 34 35

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Sardinia, Alpes maritimae, Alpes Cottiae, Alpes Poeninae, Raetia, Noricum, Thracia, Epirus, Aegyptus, Mauretania Caesariensis, Mauretania Tingitana. PIR2 M 614. Die Zahlen beruhen auf der Zusammenstellung von H.-G. Pflaum, Abregé des procurateurs équestres, Paris 1974. CIL XIII 6620; vgl. H. Devijver, Prosopographia militiarum equestrium quae fuerunt ab Augusto ad Gallienum, Leuven 1976–1993, Nr. P 23. Siehe die Zusammenstellung von J. E. H. Spaul, Ala2. The Auxiliary Cavalry Units of the Pre-Diocletianic Imperial Roman Army, Andover 1994; ders., Cohors2. The Evidence for and a Short History of the Auxiliary Infantry Units of the Imperial Roman Army, Oxford 2000. Auch in den Beziehungen zum Partherreich sind keine solchen Gesandtschaften der Römer bekannt. Die Entsendung von Boten niedrigeren Ranges ist etwas anderes.

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4. Dienstreisen und private Reisen Die vielen dienstlichen Reisen der Senatoren hatten eine Kehrseite: nämlich massive Beschränkungen für nicht-dienstliche Reisen. Das galt im Prinzip schon in der Republik, und hierfür gibt es eine einfache, technische Erklärung: Es mussten jeweils genügend Senatoren in Rom anwesend sein, damit der Senat überhaupt arbeitsfähig blieb. Daher wurde eine Abwesenheit nur bei einem triftigen Grund akzeptiert – soweit es nicht um Ämter und Dienstreisen ging – und es war jeweils eine Genehmigung einzuholen. Großen Spielraum für ausgedehnte Privatreisen hatten die Senatoren also von Anfang an nicht. Im Fall einer Genehmigung konnten sie sich in der späten Republik oft jedoch zusätzlich Privilegien verschaffen: Etliche erreichten, dass ihre privaten Reisen als legatio libera ausgestaltet wurden, d.h. als Dienstreise ohne einen bestimmten Zweck. Damit verfügten sie über all die Mittel, die eigentlich nur für diejenigen bestimmt waren, die im Namen des Imperiums Herrschaftsfunktionen ausübten.37 Nach den Wirren der späten Republik wurden die Regelungen in der Kaiserzeit weiter verschärft und formalisiert.38 Frei reisen konnten Senatoren nur in Italien, Sizilien und der Gallia Narbonensis; vielleicht durften sie außerdem ihre Heimat besuchen, soweit diese außerhalb Italiens lag. Ansonsten brauchten sie eine Genehmigung des Kaisers. Seit Augustus war es darüber hinaus jedem Senator strikt untersagt, die Provinz Ägypten zu betreten. Davon wurde nur außerordentlich selten eine Ausnahme gemacht, und auch dann nur für Personen wie den Prinzen Germanicus und sein Gefolge. Hier wird deutlich, dass es wohl um mehr ging als nur darum, die Beschlussfähigkeit des Senats zu sichern. Frei in den Provinzen agierende Senatoren waren potentiell eine politische Gefahr. Denn die Kaiser hatten nicht nur rebellische Untertanen zu fürchten, sondern ebenso die Großen des Reiches, die zu Rivalen um das Kaisertum werden konnten.39 Commodus verlangte am Ende des 2. Jh., dass die Senatoren ihre Angehörigen in Rom zurückließen, wenn sie ein Amt in den Provinzen übernahmen, sozusagen als Geiseln.40 So hatte kaum ein Senator die Gelegenheit, unbeschwert als Tourist im Reich umherzuziehen.41 Allenfalls konnten sie ihre Dienstreisen so einrichten, dass der Weg halb zufällig über berühmte Orte führte, die man zu sehen wünschte. So erklärt es sich vielleicht auch, dass auffällig viele Senatoren Athen besucht haben.42 37 38 39

Siehe A. v. Premerstein, Legatus, in: RE 12.1, 1924, 1135f.; Talbert (wie Anm. 30), 139. Siehe Talbert (wie Anm. 30), 139–145. Vgl. z.B. die Berichte über die (angeblichen) Umsturzversuche des Paetus Valerianus (PIR2 P 64) bei Cass. Dio 79,4, 7. 40 Herod. 3,2,4. 41 Das sei besonders betont, da die Fachliteratur zum Reisen seit Friedländer (wie Anm. 2) und speziell seit L. Casson, Travel in the ancient world, London 1974 stark auf touristische Reisen ausgerichtet ist – ein Reflex moderner Erfahrungen, die jedoch auf ganz anderen technischen Möglichkeiten und sozialen Konstellationen beruhen. 42 Septimius Severus, der spätere Kaiser, hat auf der Rückreise von seinem Legionskommando in Syrien einen (offenbar längeren) Aufenthalt in Athen eingeschoben studiorum sacrorumque causa et operum ac vetustatum (HA Septimius Severus 3,7). Auch die eleusinischen Mysterien übten noch immer eine große Anziehungskraft aus. – Etliches lässt sich mittelbar aus den Inschriften erschließen, siehe dazu G. C. R. Schmalz, Augustan and Julio-Claudian Athens. A new epigraphy and prosopography, Leiden 2009 (Mnemosyne Suppl. 302), bes. 178–208, der u.a. die – leider wortkargen – Inschriften von Ehrenmomumenten aus der frühen Kaiserzeit zusammenstellt. Diese gal-

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Trotzdem muss es eine nicht unbeträchtliche Zahl – genehmigter – senatorischer Privatreisen gegeben haben. Nicht nur Iulius Marinus kam aus der Provinz, sondern auch viele weitere Senatoren, und ihr Anteil wuchs gegenüber denen italischer Herkunft kontinuierlich an.43 In die gleiche Zeit wie Iulius Marinus gehörten beispielsweise der ältere M. Ulpius Traianus (der Vater des späteren Kaisers) aus der Baetica, also aus Südspanien, und ferner C. Antius Aulus Iulius Quadratus44 aus Pergamon und Ti. Iulius Celsus Polemaeanus45 aus Sardeis und Ephesos, die beide unter Vespasian in den Senat aufgestiegen waren. Sie alle mussten zwar einen Teil ihres Vermögens in Grundbesitz in Italien anlegen,46 doch die meisten unterhielten weiter Verbindungen zu ihrer Heimat (was mittelbar auch der Stabilität des Imperiums zugute kam), und Reisen dorthin konnte man ihnen kaum verwehren. Im 2. Jh. hat der Redner Aelius Aristides den Senator L. Cuspius Pactumeius Rufinus47 immer wieder in dessen Heimat Pergamon angetroffen.48

5. Organisation und Finanzierung der Dienstreisen Hier wären nun die Organisation und die Finanzierung all der Reisen im Dienste des Imperiums zu erörtern. Doch sollen hier aus Platzgründen einige wenige Bemerkungen genügen.49 Eben weil es so viele Dienstreisen gab, war die Organisation Routinesache; man brauchte nicht jedesmal von Grund auf neu nachzudenken. Auch scheint es nie Schwierigkeiten gegeben zu haben, den Weg zu finden. Die geographischen Informationsmöglichkeiten reichten aus – so bescheiden sie waren. Der Ausbau des Straßensystems mag ein übriges getan haben.50 Die Amtsträger waren selbstverständlich nicht als Einzelpersonen mit Handkoffer unterwegs, sondern reisten stets mit einer großen Begleitung und viel Gepäck.51 Vielfach nah42

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ten auch etlichen Römern (und Römerinnen), die – soweit bekannt – anders als durch eine amtliche Funktion in Achaia (oder Athen selbst) mit den Athenern in Kontakt gekommen sein müssen (vgl. bes. seine Nummern 230–233, 236, 239, 241f., 245–247, 255, 258). – Beliebt waren auch Abstecher nach Samothrake, um sich in die dortigen Mysterien einweihen zu lassen, siehe jetzt C. P. Jones, An Edict of Hadrian from Maroneia, in: Chiron 41, 2011, 313–325, bes. 321f. Siehe die materialgesättigte Übersicht in: Atti del Colloquio Internazionale AIEGL su Epigrafia e ordine senatorio, Roma 14–20 maggio 1981, Bd. 2, Rom 1982. PIR2 I 507. PIR2 I 260. Trajan schrieb vor, dass ein Drittel des Vermögens so angelegt werden musste, Plin. ep. 6,19,4; Marc Aurel setzte die Quote auf ein Viertel herab, HA Marcus Aurelius 11,8. Vgl. Talbert (wie Anm. 30) 55f. PIR2 C 1637. A. Krieckhaus, Senatorische Familien und ihre patriae (1./2. Jh. n.Chr.), Hamburg 2006 (Studien zur Geschichtsforschung des Altertums 14), 176–179. Siehe hierzu A. Bérenger-Badel, Le voyage des gouverneurs à l’époque impériale, in: H. Duchêne (Hg.), Voyageurs et Antiquité classique, Dijon 2003, 73–86. Siehe ferner Th. Mommsen, Staatsrecht (wie Anm. 12), Bd. 1, 294–303; J. Marquardt, Römische Staatsverwaltung, Bd. 1, Leipzig 21884, 531–561. Seereisen waren teils unumgänglich, wurden aber von nicht wenigen nach Möglichkeit gemieden. Calestrius Tiro (PIR2 C 222) reiste über Land (d.h. über Norditalien) von Rom aus in seine Provinz Hispania Baetica, siehe Plin. ep. 7,16,3; 7,23,1. Vgl. Friedländer (wie Anm. 2) Bd. 1, 341f. (Stellensammlung).

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men sie ihre Ehefrauen und andere Familienangehörige mit in ihre Provinz.52 Ferner hatten sie in aller Regel eine Reihe von Freunden als Reisegefährten bei sich. Letzteres wurde nicht nur offiziell geduldet, sondern es war geradezu erwünscht, dass sich die Beamten mit einem solchen informellen Beraterstab umgaben. Die Freunde hatten weder Amt noch Titel, sondern firmierten als Mitglieder der cohors amicorum;53 bei den Gerichtsverfahren fungierten sie oft als Assessoren.54 Meistens waren dies Freunde niedrigeren Ranges, doch kann man nicht ausschließen, dass gelegentlich auch andere Senatoren darunter waren. Ferner schien eine vielköpfige persönliche Bedienung geradezu unentbehrlich – und war es in gewisser Weise auch, nicht zuletzt um als wichtige Person wahrgenommen zu werden. Erst das richtige Auftreten machte die Bedeutung des Beamten sinnfällig. Das Gepäck musste für Jahre ausreichen und den Bedürfnissen eines großen Aristokraten genügen, dürfte also z.B. auch prunkvolles Tafelgeschirr und ähnliches enthalten haben. Ferner gab es anfangs keine Reichsverwaltung vor Ort, sodass der ganze Stab von Rom aus mitgebracht werden musste, soweit man nicht die Untertanengemeinden in Dienst nehmen konnte.55 Auch dies hat sich nur langsam geändert. Unterwegs benötigten der Beamte und seine Begleiter Unterkunft und Verpflegung sowie Wagen, Zugtiere und Trossknechte und oft auch Schiffe mitsamt Besatzung. Doch gab es keine Hotels im modernen Verständnis, sondern nur – oft recht schäbige – Absteigen, die vor allem auf ärmere Reisende ausgerichtet waren,56 und nicht jeder hatte überall seine Gastfreunde. Ebensowenig gab es zu Land oder zur See einen kommerziellen, auf lange Strecken ausgerichteten Liniendienst für Passagiere und ihr Gepäck, dessen Dienste man 52

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In der Kaiserzeit war es ausdrücklich erlaubt, dass sie ihre Ehefrauen mitnahmen; freilich konnten sie gemäß einem Senatsbeschluss von 20 n.Chr. für Übergriffe ihrer Frauen gegen Provinziale zur Rechenschaft gezogen werden, wie Ulpian im Liber primus de officio proconsulis vermerkt (Dig. 1,16,4,2). Allerdings hält Ulpian an gleicher Stelle fest: Proficisci autem proconsulem melius quidem sine uxore (ebd.). Vgl. auch die Diskussion im Senat 21 n.Chr. (Tac. ann. 3,33,1–3,34,6). – Gellius Rutilius Lupus (PIR2 R 250) wurde während seines Proconsulats von Achaia wahrscheinlich u.a. von seiner Cousine Porcia (PIR2 P 871) begleitet, siehe IG II/III2 4241. Siehe hierzu J. Oehler, Cohors amicorum, in: RE 4.1, 1900, 356f.; O. Seeck, Comites, in: RE 4.1, 1900, 623–625 und für die Zeit der Republik J. Muñiz Coello, El senador y su entorno. Séquitos y comitivas republicanas, in: Klio 86, 2004, 101–125 (mit weiterer Literatur). W. Kunkel, Die Funktion des Konsiliums in der magistratischen Strafjustiz und im Kaisergericht, in: ders., Kleine Schriften. Zum römischen Strafverfahren und zur römischen Verfassungsgeschichte, Weimar 1974, 151–254 (zuerst 1967); ders., Consilium, Consistorium, in: ebd., 405–440 (zuerst 1968/69). Einen Eindruck vom Gefolge eines Statthalters vermittelt eine Inschrift aus Samothrake, die vom 1. Mai 165 n.Chr. datiert: AE 1967, 444. Siehe O. Hiltbrunner, Wirtshaus, in: RE 9 A 1, 1961, 243f., ferner A. Mau, Caupona, in: RE 3.2, 1899, 1806–1808 (mit Grundriss); A. Hug, Καταγώγιον, in: RE 10.2, 1919, 2459–2461; ders., Πανδοκεῖον, in: RE 18.2, 1949, 520–529; F. Wotke, Popina, in: RE 22.1, 1953, 69–74; F. Lammert, Stabulum, in: RE 3 A 2, 1929, 1926; K. Schneider, Taberna, in: RE 4 A 2, 1932, 1863–1872 (bes. 1870f.); Friedländer (wie Anm. 2), Bd. 1, 343–349. Die Lokale, in denen man für Geld übernachten konnte, werden auch als καπηλεῖον, deversorium, mansio oder mit noch anderen Termini bezeichnet. Dass es keinen einheitlichen Typenbegriff gab, ist bezeichnend: Die Beherbergung von Reisenden war kein großer, eigener Wirtschaftszweig, sondern wurde oft neben dem Verkauf von Wein und Essen oder anderen Gütern und Dienstleistungen betrieben. Oft verband sich damit auch Prostitution. Dass sich ein römischer Senator auch nur auf einer privaten Reise mit derartigen Spelunken zufrieden gab, war die Ausnahme (Plut., Cato minor 12,3; Suet. Caes. 72).

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hätte in Anspruch nehmen können. Die erforderlichen Leistungen wurden zum wesentlichen Teil den Untertanen aufgebürdet, genauer den Gemeinden, die am Wege lagen.57 Die Staatskasse gab nur einen Sockelbetrag; ansonsten mussten die Gemeinden auf Anforderung im Rahmen von Zwangskäufen, Zwangsmieten und Requisitionen die Transportmittel zur Verfügung stellen und die Reisenden angemessen unterbringen, verpflegen und mit Verbrauchsgütern versorgen – in der Regel durch die Einquartierung bei Privatleuten. Die Römer haben diese Art des Reisens allerdings nicht erfunden; andere Imperien waren genauso verfahren, und z.B. in Kleinasien haben die Römer einfach Vorgängerinstitutionen übernommen. Aber diese Rechte und Ansprüche luden zum Missbrauch geradezu ein. Zudem waren die Lasten sehr ungleich verteilt: Die Anwohner der Hauptrouten mussten fast alles tragen, die übrigen wenig. In der Kaiserzeit bemühten sich die Herrscher um eine stärkere Aufsicht und Reglementierung und haben Obergrenzen für die Leistungspflichten der Untertanen festgesetzt.58 Dies brachte Linderung, führte aber zu keinem Systemwechsel. Auch der allmähliche Aufbau des cursus publicus tat dies nicht.59 Er beschränkte sich auf die Hauptrouten, und die entscheidenden Einrichtungen, die Stationen, an denen die Kuriere die Pferde wechseln konnten, in denen für die übrigen Reisenden Wagen und Zugtiere bereitstanden und in denen man auch übernachten konnte – diese Stationen mussten von den Anliegergemeinden ausgestattet und unterhalten werden. Auf den Nebenstrecken wurde nach wie vor ad hoc requiriert. Und dabei blieb es bis in die Spätantike.60

6. Folgen der Reisen Die Grundprinzipien der Reichsverwaltung standen nie zur Disposition, und in der Tat gab es keine naheliegende Alternative: Die Beamten seltener auszuwechseln oder gar die Provinzen den dort verwurzelten Magnaten zu überlassen, hätte zentrifugale Tendenzen begünstigt und in weiterer Konsequenz neue Bürgerkriege und die Auflösung des Reiches nach sich ziehen können – mit Nachteilen für alle. Doch bleibt die Frage nach dem, was man Nebenwirkungen nennen könnte: den (teils unbeabsichtigten) Folgen, die die häufigen Dienstreisen der Beamten und Offiziere nach sich zogen. Es gab Lasten zu tragen – für 57

Dem war schon so in der Republik, vgl. Liv. 42,1,7–12. – Zum cursus publicus s.u. Anm. 59, zur angareia (verpflichtenden Transportleistungen der Straßenanwohner) siehe W. H. C. Frend, A Third-Century Inscription Relating to angareia in Phrygia, in: JRS 46, 1956, 46–56 und die Hinweise auf weitere Zeugnisse bei Th. Pekáry, Untersuchungen zu den römischen Reichsstraßen, Bonn 1968, 173–175. Vgl. auch O. Seeck, Angaria, in: RE 1.2, 1894, 2184f. (über die rechtlichen Bestimmungen in der Spätantike). 58 Vgl. z.B. das Edikt des Sex. Sotidius Strabo Libuscidianus (PIR2 S 790): AE 1976, 653; deutsche Übersetzung bei H. Freis, Historische Inschriften zur römischen Kaiserzeit von Augustus bis Konstantin, Darmstadt 1984 (Texte zur Forschung), 51–53 Nr. 30. – Ein neues Edikt Hadrians aus dem nordgriechischen Maroneia publiziert Jones (wie Anm. 42). 59 O. Seeck, Cursus publicus, in: RE 4.2, 1901, 1846–1863; W. Kubitschek, Mansio, in: RE 14.1, 1928, 1231–1251; H.-G. Pflaum, Essai sur le cursus publicus sous le Haut-Empire Romain, Paris 1940 (Mémoires présentés par divers savants à l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 14); L. Di Paola, Viaggi, trasporti e istituzioni. Studi sul cursus publicus, Messina 1999 (Pelorias 5); Kolb (wie Anm. 2). 60 Vgl. auch die berühmte Inschrift aus Skaptopara: IGBulg IV 2236; Neuedition von K. Hallof, Die Inschrift von Skaptopara. Neue Dokumente und neue Lesungen, in: Chiron 24, 1994, 405–441.

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die Untertanen am Wege sowieso, aber auch für die Senatoren. Die Reisen, die mit den zwingend zu übernehmenden Ämtern verbunden waren,61 bedeuteten beträchtliche Strapazen. Einige Magistrate sind auf ihren Posten fern der Heimat gestorben, so L. Antistius Rusticus62 zur Zeit Domitians in Kappadokien.63 Auch T. Annius Sextius Florentinus, der Statthalter von Arabia unter Hadrian, ist in seiner Provinz gestorben und bekam ein Felsengrab in Petra.64 Für die Großgrundbesitzer, die die Senatoren ausnahmslos waren, bedeutete die Abwesenheit überdies, dass sie sich nur eingeschränkt um die Verwaltung ihrer Güter und Besitzungen kümmern konnten und auf die Hilfe von Freunden und Verwandten und die Zuverlässigkeit ihrer Sklaven und Freigelassenen angewiesen waren; es konnte leicht zu finanziellen Einbußen kommen. So gab es stets Männer, die lieber im Zentrum der Macht bleiben wollten – wie Cicero. Das ist auch in der Kaiserzeit zu registrieren: Bereits unter Claudius wurden Bestimmungen erlassen, wann ein Proconsul spätestens in seine Provinz aufbrechen musste, nämlich am 1. April65 bzw. nach bald erfolgter Korrektur am 13. April.66 Offenkundig wollten manche ihr Amtsjahr zu Lasten der Vorgänger und Nachfolger verkürzen. Ehre ohne Pflicht wurde damals aber nicht akzeptiert. Die Möglichkeit eines ruhigen, anstrengungslosen Genusses von Rang und Besitztümern ergab sich für die Senatoren als Regel erst ab dem 3. Jh. n.Chr. – im Zuge ihrer politischen Entmachtung. Die Senatoren wurden nur selten zweimal in dieselbe Provinz entsandt; eine Spezialisierung war geradezu unerwünscht. Als Folge davon lernte ein Senator im Lauf seiner Karriere wesentliche Teile des Reiches aus eigener Anschauung kennen. Bei Männern wie Iulius Marinus kam noch die Kenntnis ihrer Heimatprovinz hinzu. Auf diese Weise müssen sämtliche Senatoren zu einer profunden Vorstellung von der Vielfalt der römischen Welt und einer tiefen Einsicht in das tatsächliche Funktionieren des Reiches gekommen sein – oder anders: Ihr Blick reichte weit über die Hofintrigen im Kaiserpalast hinaus. Das war wohl nicht die schlechteste Schulung für diejenige Schicht, die das Imperium eigentlich regierte. Gleichzeitig dürfte die Reichsaristokratie – gerade angesichts ihrer häufig wechselnden Verwendung – ein Interesse daran gehabt haben, dass die Herrschaft überall nach den gleichen Grundprinzipien ausgeübt werden konnte. Denn mit einem Übermaß an Diversität und lokalen Besonderheiten hätte man in den kurzen Amtsperioden kaum zurechtkommen können. Entsprechend werden sie z.B. in rechtlichen Dingen eine Vereinheitlichung begünstigt und damit ihren Teil zur Homogenisierung des Reiches beigetragen haben.67 Die Senatoren gerieten dabei selbst in eine eigenartige Zwischenstellung zwischen Zentrum und Peripherie. Einerseits gehörten sie nach Rom; ohne die persönlichen Kontakte zu 61 62 63 64 65 66 67

Eben deswegen konnte der flamen Dialis – obwohl hoch geehrt – keine richtige Karriere machen. Entsprechend fanden sich in der Kaiserzeit nicht immer Bewerber um das Priesteramt. PIR2 A 765. Mart. 9,30: Cappadocum saevis Antistius occidit oris / Rusticus … PIR2 S 665 (mit den Zeugnissen). – Siehe auch R. Syme, Governors Dying in Syria, in: ZPE 41, 1981, 125–144=ders., Roman Papers, Bd. 3, hg.v. A. R. Birley, Oxford 1984, 1376–1392. Dio 60,11,6f. Dio 60,17,3. Vgl. auch Talbert (wie Anm. 30), 497f. Das lässt sich dank der zahlreichen Papyrusfunde am besten in Ägypten verfolgen, siehe H. J. Wolff, Das Recht der griechischen Papyri Ägyptens in der Zeit der Ptolemäer und des Principats, Bd. 1: Bedingungen und Triebkräfte der Rechtsentwicklung, hg.v. H.-A. Rupprecht, München 2002, bes. 172–200. Aus seiner rechtssystematischen Sichtweise heraus betont er allerdings, dass die Römer vor dem 3. Jh. das vorgefundene Recht nur zögerlich und von Fall zu Fall änderten.

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den Standesgenossen und zum Kaiser und ohne den Rückhalt in den familiären Verflechtungen innerhalb des Senatorenstandes hätten sie ihre Ämter gar nicht erst erlangen und ihre Karriere voranbringen können. Entsprechend werden sie sich im Zweifel ihren Standesgenossen mehr verpflichtet gefühlt haben als den Gebieten, die sie jeweils verwalteten. Bei den langen Reisen und den Jahren in der Provinz ergaben sich jedoch ungezählte neue Kontakte – Kontakte nicht zuletzt zur jeweiligen Lokalaristokratie. Auf diese Leute waren die römischen Magistrate auch angewiesen, um ihre Herrschaft vor Ort durchsetzen zu können, jedenfalls solange sie über keinen eigenen bürokratischen Apparat verfügten. Das bot den Reichen und Mächtigen unter den Einheimischen beachtliche Chancen. Als Mittler bei römischen Autoritäten wurden sie nicht nur für ihre Gemeinden unentbehrlich, sondern sie konnten hierbei auch im eigenen Interesse persönliche Beziehungen zu den mächtigen Vertretern des Imperiums aufbauen und versuchen, diese als Freunde und Patrone zu gewinnen. Der häufige Wechsel der römischen Amtsträger zwang nicht nur dazu, sich immer neu zu orientieren, sondern schuf zugleich immer neue Gelegenheiten. Wer klug war – und genügend Vermögen besaß –, wird sich also nicht laut beklagt haben, wenn sich ein durchreisender römischer Senator bei ihm einquartierte, sondern wird ihn freundlich als willkommenen Gast behandelt haben. Mit etwas Glück war dies ein Einstieg, um selbst am Imperium teilzuhaben, um das römische Bürgerrecht zu erlangen und um den eigenen Nachkommen möglicherweise sogar den Weg in die Reichsaristokratie zu eröffnen.68 Das lässt sich in Ansätzen bereits in der späten Republik beobachten – gerade auch in der Zeit des vielgescholtenen Verres.69 Und dies setzte sich in der Kaiserzeit verstärkt fort. Wenn gar ein Mann aus der eigenen Provinz bereits den Sprung in den Senat geschafft hatte, wurde vieles noch leichter. Beziehungen zwischen Senatoren und Einheimischen schlugen sich auf vielfältige Art nieder, z.B. indem die Provinzialen dem Senator Ehrenmonumente errichteten – bei sich auf dem Marktplatz oder bei ihm im Atrium seines Hauses. Auch die Ehrungen für Iulius Marinus in Tlos und anderswo dürften nicht ganz absichtslos erfolgt sein. Die Kontakte, die sich auf Reisen ergaben, konnten weitreichende Folgen auch für das persönliche Leben nach sich ziehen. Dazu noch ein Beispiel: Der spätere Kaiser L. Septimius Severus, der aus Lepcis Magna in Africa stammte, begann seine Karriere als ein recht gewöhnlicher Senator; nach einer Reihe von Posten verwaltete er etwa 186–188 n.Chr. die Provinz Gallia Lugdunensis. Damals heiratete er in Lugdunum (Lyon) in zweiter Ehe eine Iulia Domna, eine junge Dame aus Emesa (h. Homs) in Syrien. Wie kam er dazu? Die Histo68

Die Stadtpatronate in der späten Republik sind mittlerweile untersucht: F. Canali De Rossi, Il ruolo dei ›patroni‹ nelle relazioni politiche fra il mondo greco e Roma in età repubblicana ed augustea, München u.a. 2001 (Beiträge zur Altertumskunde 159); C. Eilers, Roman Patrons of Greek Cities, Oxford 2002. Wichtiger wäre aber die (prospopograpische) Untersuchung der persönlichen ›Freundschaften‹ zwischen Senatoren und Provinzialen. – Im frühen 2. Jh. n.Chr. rühmte sich z.B. der lykische Lokalmagnat Q. Vilius Titianus aus Patara, »Freund und Gastfreund« von Statthaltern und Prokuratoren zu sein (φίλος [κ]αὶ ξένος ἡγεμόνων καὶ ἐπι[τ]ρόπων): TAM II 2, 667f.=IGR III 513. 69 Siehe R. Schulz, Vermittler, Patrioten oder Opportunisten? Die griechischen Eliten und ihre Kommunikation mit Rom 133–49 v.Chr., in: HZ 286, 2008, 341–357. – Zu den sozialen Hintergründen siehe auch P. Scholz, Die ›Macht der Wenigen‹ in den hellenistischen Städten, in: H. Beck u.a. (Hg.), Die Macht der Wenigen. Aristokratische Herrschaftspraxis, Kommunikation und ›edler‹ Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit, München 2008, 71–99.

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ria Augusta bietet eine abenteuerliche Geschichte, die um das Horoskop der Iulia Domna kreist.70 Die Lösung ist aber vielleicht viel einfacher. Septimius Severus fungierte wenige Jahre zuvor als Legat der legio IV Scythica, die in Syrien lag, genauer in Zeugma am Euphrat. In dieser Zeit hat er nachweislich auch die Region besucht, in der Emesa lag,71 und wahrscheinlich entstand damals der Kontakt zur vornehmsten Familie dieser Stadt – eben der der Iulia Domna. Bekanntlich brachte Septimius Severus 193 n.Chr. das Kaisertum in seinen Besitz, und seine Nachfahren sowie die Familie seiner Frau regierten bis 235 n.Chr. Die Reichsaristokratie war damals schon längst aus einer kleinen Gruppe italischer Senatorenfamilien wahrhaft zu einer Aristokratie des Reiches geworden, deren Angehörige aus fast allen Teilen des Imperiums stammten. Die vielen Reisen hatten einen nicht unerheblichen Anteil daran.72 Matthäus Heil Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Prosopographia Imperii Romani Jägerstr. 22/23, D-10117 Berlin [email protected]

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HA Severus 3,9; HA Geta 3,1. Er hat das Orakel des Baal in Apameia aufgesucht, Cass. Dio 78,8,5, vgl. PIR2 S 487. Zu den überregionalen Verflechtungen in der Reichsaristokratie siehe auch das Beispiel der Pactumeia Rufina (PIR2 P 43): Sie entstammte einer senatorischen Familie, die in Africa ansässig war, und wurde offenkundig nach Kleinasien verheiratet. Seitdem findet sich der Name Pactumeius/ Pactumeia auch dort.

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Abb. 1: Skizze der Reisen des L. Iulius Marinus Caecilius Simplex

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Abb. 2: Schematische Darstellung der Gebiete, die L. Iulius Marinus Caecilius Simplex gekannt haben muss

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Die ›Iranische Diaspora‹ Kontext, Charakter und Auswirkung persischer Einwanderung nach Kleinasien

Das achaimenidische Reich erstreckte sich bekanntlich nicht nur über das iranische Hochland, sondern auch über große Teile des östlichen Mittelmeerraums, von Thrakien im Norden über Kleinasien und die Levante bis nach Ägypten im Süden.1 Im Zuge der Herrschaftserrichtung und -konsolidierung kamen nicht nur Satrapen und Garnisonen in diese Länder, sondern auch Siedler; Belege dafür finden sich hauptsächlich für Ägypten2 und Kleinasien.3 Mit dem Alexanderzug und dem Ende der Achaimenidenherrschaft waren diese Personen vom Mutterland abgeschnitten und bildeten eine ›Iranische Diaspora‹ im strengen Sinne.4 Auf die Frage, was auf längere Sicht aus ihnen wurde, hat Louis Robert eine klare Antwort gefunden:5 In den zahlreichen epigraphischen Belegen für das Vorkommen iranischer Personennamen,6 Toponyme und Kulte in Hellenismus und Kaiserzeit sah er einen schlagenden Beweis für die »persistence de la diaspora et de la liturgie iraniennes«.7 In diesem Sinne wird der Begriff der ›Iranischen Diaspora‹ üblicherweise verwendet, nämlich zur generellen Bezeichnung der Iraner in Kleinasien in nachachaimenidischer Zeit. Damit wird implizit der Kontinuität das Wort geredet. Roberts Annahme eines Fortbestands persischer Traditionen, getragen von einem namhaften iranischen Bevölkerungselement, ist nicht ohne Widerspruch geblieben. Nach Pierre Briant handelte es sich etwa bei den iranisch wirkenden Kulten wegen der Dominanz der griechischen Kultur vielmehr um »survivances folkloriques«.8 Die verbliebenen Perser hätten sich weitgehend in die Gesellschaften der hellenistischen Staaten integriert. Trotz gewisser Zweifel an der Aussagekraft einzelner Belege hält er Louis Roberts Me1 2 3 4 5 6

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Zur Eroberung Kleinasiens vgl. die ausführliche Betrachtung Boffo 1983; allgemein: Briant 1996. Vgl. z.B. Hdt. 3,91,3; Huyse 1991; Wuttmann, Marchand 2005. Vgl. allgemein Raditsa 1983. Vgl. Boyce 1996, 370. Vgl. Robert 1953; 1976 u.ö. Die bislang vollständigste Sammlung bietet Zwanziger 1973 (mit Diskussion der Herleitung einzelner Namen), vgl. ferner Benveniste 1966, 101–106; zum Verständnis der Namen auch Tavernier 2007. Robert 1976, 29 Anm. 18 (ausgehend von Paus. 5,27,5f.). Briant 1985b (Zitat S. 180).

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thode aber grundsätzlich für valide, auch aus später belegten iranischen Namen und Heiligtümern auf persische Siedlungen zu schließen.9 Weitaus skeptischer ist etwa Nicholas Sekunda, der die achaimenidische Ansiedlung in Lydien, im hellespontinischen Phrygien sowie in Karien, Lykien und Großphrygien untersucht hat.10 Folgt man seinen Ausführungen, dann bliebe eher wenig an Quellenmaterial übrig, dem Aussagekraft über die Ansiedlung von Persern zuzubilligen wäre.11 Damit stellt er tiefergehende Auswirkungen der achaimenidischen Herrschaft weitgehend in Frage und weckt implizit Skepsis am Ausmaß der persischen Kolonisation. Hingegen wird in neueren Studien der achaimenidische impact wieder stärker hervorgehoben.12 Die persische Präsenz war demnach nicht so unbedeutend wie bisweilen angedeutet.13 Auch werden die wechselseitigen Akkulturationsvorgänge in einzelnen Gebieten des Persischen Reiches vermehrt in den Fokus genommen.14 Im Ganzen folgte das Bild eines Verschwindens kultureller Eigenständigkeit einzelner Bevölkerungsgruppen wohl der traditionellen Vorstellung einer tiefgreifenden und umfassenden Hellenisierung Kleinasiens. Heutzutage betrachtet man die Hellenisierungsprozesse aber differenzierter und erkennt unter der mehr oder weniger griechisch wirkenden Oberfläche die kulturelle Vielfalt. Eine Neubetrachtung dieses Themenkomplexes unter Heranziehung allen zur Verfügung stehenden Materials ist daher ein sinnvolles Unterfangen, zumal in der Zwischenzeit neue Zeugnisse hinzugekommen, und einige andere Quellen nicht oder nur selten beachtet worden sind.15 Hier ist dies nicht in vollem Umfang zu leisten; der Fokus liegt im Folgenden auf einigen Kernaspekten der Einwanderung von Persern nach Kleinasien sowie auf den langfristigen Folgen dieser Einwanderung.

1. Methodische Vorbemerkungen Die Sache wäre recht einfach, gäbe es eindeutige Quellenbelege in ausreichender Zahl, die sowohl breites Zeugnis für die Ansiedlung von Persern in den Gebieten Kleinasiens ablegen als auch die Bewahrung kultureller Traditionen durch ihre Nachkommen bestätigen. Freilich gäbe es dann wohl kaum Anlaß zur gelehrten Diskussion. Daß das Quellenmaterial unterschiedlich bewertet wird, ist bereits angedeutet worden. Allerdings hat man den Modalitäten der Überlieferung nicht immer in gebührendem Maße Beachtung geschenkt. 9 10 11

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Briant 1996, 979. Vgl. auch Mitchell 1993, II, 29. Sekunda 1985; 1988; 1991. Vgl. noch stärker in diesem Sinne Baslez 1985; dagegen aber Briant 1996, 979. Eher skeptisch gegenüber einem prägenden achaimenidischen Einfluß auf Lykien ist ferner Marksteiner 2005, 34–44. Vgl. besonders die Ausführungen von BakIr 2001; Mitchell 2007; Delemen 2007; zusammenfassend auch Casabonne 2007 und Tuplin 2007; vgl. ferner Nieling, Rehm 2010. Vgl. Starr 1975; 1977; Boyce, Grenet 1991, 197–352; BakIr 2001; Casabonne 2004; Briant, Boucharlat 2005; Lintz 2008; auch Gates 2005; Tuplin 1987 (zu den Garnisonen); ferner einzelne Beiträge in Casabonne 2000. Vgl. Klinkott 2002; Root 1991; zu sprachlichen Einflüssen vgl. Huyse 2002; Brust 2005. Vgl. Weiskopf 1987, 761: »Reconstructing the ›Iranian Diaspora‹, i.e., the presence of Iranians in Anatolia after the Achaemenid collapse, is the tortuous collection of fortuitously preserved scraps of scattered evidence.« Der Verfasser bearbeitet dies im Rahmen seiner Habilitationsschrift.

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Was wir haben, sind auf der einen Seite griechische sowie einige römische Autoren, in deren Werk sich Anhaltspunkte für die Ansiedlung von Iranern oder für Spuren persischen Einflusses finden. Persische Quellen gibt es offenbar aber nicht. Auf der anderen Seite gibt es viele Inschriften, auf denen iranische Personennamen oder Kulte genannt sind, deren Aussagekraft aber, wie erwähnt, umstritten ist.16 Sie stammen aus späterer Zeit, zum Teil aus dem Hellenismus, weit mehr jedoch aus der Kaiserzeit. Das ist kaum verwunderlich, denn allgemein ist die Zahl der erhaltenen kleinasiatischen Inschriften aus der Kaiserzeit größer als die aus hellenistischer Zeit, was nicht zuletzt als Zunahme des epigraphic habit zu werten ist.17 Das Errichten von Inschriften nicht nur in offizieller Absicht, sondern auch aus privater Initiative, ist ein typisch griechisches (und später auch römisches) Phänomen. Die individuelle Entscheidung, eine Inschrift zu setzen, erfolgte daher in erster Linie in einem Umfeld, in dem so etwas üblich war. Für die persischen Siedler ist das zunächst nicht anzunehmen. Die Perser waren im Grunde keine städtische Kultur, sondern hauptsächlich in ländlichen Siedlungen organisiert.18 Das ist so auch für die persischen Siedler in Kleinasien festzuhalten.19 Nun ist es ganz allgemein so, daß sich erst in der Kaiserzeit in dörflichen Kontexten Kleinasiens die epigraphische Praxis durchsetzt.20 Das hängt wohl nicht zuletzt mit wachsendem Wohlstand und einer stärkeren Interaktion zwischen Stadt und Land unter der römischen Herrschaft zusammen. Bei den Persern kann man hingegen nur bedingt von einem epigraphic habit sprechen. Im iranischen Kernland waren Inschriften ein dem Großkönig vorbehaltenes Kommunikationsmedium.21 In anderen Gebieten, vor allem in Kleinasien, wurden Inschriften auch von anderen persischen Funktionsträgern in der Kommunikation mit der unterworfenen Bevölkerung verwandt.22 Die persischen Siedler in Kleinasien bleiben somit weitgehend im Verborgenen. Sie selbst sahen mangels entsprechender

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Hinzu kommen archäologische Indizien (vgl. oben Anm. 12f.), z.B. Gräber, vgl. etwa L’vov-Basirov 2001. Vgl. MacMullen 1982, nach dessen Ausführungen sich der Begriff durchgesetzt hat; vgl. hier auch Ameling 2007. Zur geringen Zahl an Inschriften aus Galatien, Pontus und Kappadokien in vorrömischer Zeit Mitchell 1993, I, 85f. Vgl. Briant 1975; Raditsa 1983, 110f.; einen Überblick über die archäologischen Ausgrabungen gibt Boucharlat 2005, dem zufolge kaum Spuren von Wohnsiedlungen gefunden wurden; das spricht ebenfalls für kleine Siedlungen. Vgl. unten in Abschnitt 2. Schuler 1998, 217–219. Ein verwandter und wichtiger Aspekt ist die Verbreitung der Lese- und Schreibfähigkeit, bei der Unterschiede zwischen Stadt und Land zu konstatieren sind, was u.a. an fehlerhaften Formulierungen und Schreibweisen in Inschriften abzulesen ist; vgl. Harris 1983; Paz de Hoz 2006, bes. 142 (zu Weihungen an die hier wichtige Göttin Anaitis). Griechisch wurde spätestens im Hellenismus die lingua franca in Kleinasien, die Kenntnis des Griechischen war damit aber nicht zwangsläufig überall in den Dörfern fern der großen Zentren weit verbreitet. Ein erheblicher Anteil an der ›Hellenisierung‹ kam der Bildung zu, aber damit war es in Inneranatolien nicht unbedingt weit her, vgl. Mitchell 1993, I, 174. Schmitt 2009; Lecoq 1997. Briant 2001; vgl. IK Mylasa 1–5; I.Magnesia 115=Syll. I3 22 (Brief von Dareios I. an Gadatas, vgl. dazu Anm. 57); Syll. I3 134 (Schlichtung eines Grenzkonflikts zwischen Milet und Myus durch den Ionischen Bund, wobei der Satrap Struses die endgültige Entscheidung fällte, Z. 29–32).

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Traditionen wohl keinen Bedarf, sich in dieser Weise schriftlich zu äußern.23 Solange sie unter sich blieben, war ihre Interaktion mit Bevölkerungsgruppen anderer kultureller Prägung eher gering, was freilich von Region zu Region unterschiedlich gewesen sein wird: Je nach Siedlungsdichte und kultureller Diversität fielen der interkulturelle Kontakt und die dadurch bedingten Akkulturationsvorgänge stärker oder schwächer aus und setzten früher oder später ein. Dabei spielten hellenistische Stadt- und Siedlungsgründungen ebenfalls eine Rolle, bei denen unter anderem Bevölkerungsteile aus den Dörfern zusammengezogen wurden.24 Es nimmt somit kaum Wunder, daß die epigraphischen Zeugnisse eher aus dem Westen Kleinasiens stammen als aus weniger bzw. später hellenisierten Regionen wie Kappadokien.25 Zurück zu den persischen Siedlern und dem Quellenwert späterer Inschriften: Man wird kaum den Optimismus von Louis Robert teilen und (nahezu) jeden Beleg iranischen Namensguts als Zeugnis für persische Siedlungen werten. Wenn etwa in hellenistischer Zeit ein Mann namens Mithradates, Sohn des Philagros, zusammen mit seiner Frau Philista in die Bürgerschaft von Ilion aufgenommen wird,26 kann man diesem Zeugnis kaum größere Beweiskraft zuerkennen, und zwar aus mehreren Gründen. So sind einzelne Belege in bestimmten Städten bzw. Regionen grundsätzlich kein sicheres Argument, wobei die Datierung ebenfalls zu beachten ist. Wichtig ist zudem der Familienkontext: Im genannten Beispiel ist der Vatersname griechisch, der Name der Frau ebenfalls. Mithradates, Mithridates und ähnliche Namen waren seit hellenistischer Zeit weitverbreitet, was zweifellos der – immerhin iranischen – Mithradatidendynastie von Pontos geschuldet war und in der Kaiserzeit durch die Ausbreitung des Mithraskults wohl noch gesteigert wurde. Die Träger dieses Namens waren in manchen Fällen erkennbar keine Iraner, als Beispiel sei hier Mithradates von Pergamon genannt, den Caesar wegen seiner Hilfe bei der Schlacht von Zela zum König des Bosporanischen Reiches machte.27 In diesem Fall stand hinter der Wahl des Namens für den Sohn des Pergameners Menodotos und der Galaterin Adobogiona freilich eine politische Erwägung: Seine Mutter war angeblich zeitweise eine Konkubine von Mithradates gewesen, als dessen Sohn das Kind gelten sollte.28 Generell sind die Träger von Namen iranischer Herrscher und anderer historischer Personen zweifelhafte Fälle. Neben dem Namen Mithradates kann man hier z.B. Kyros29 oder Pharnakes30 nennen, die gelegentlich vorkommen. 23

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Allerdings sind aramäische Inschriften in Kleinasien meist im Rahmen der achaimenidischen Herrschaft bzw. als Folge derselben zu deuten, vgl. etwa für Kilikien Casabonne 2004, 241–249, oder für den Satrapensitz Daskyleion Lemaire 2001, wobei die bildliche Gestaltung der Monumente an persischen Vorbildern orientiert ist, vgl. Nollé 1992, 130f. In Lemaires Nr. 3 (um 400 v.Chr.) ist sogar ein iranischer Name genannt (’rybm, zu lesen als *Aryā-bāma; zum Namen vgl. Tavernier 2007, 115); auf Bullae aus Daskyleion und Umgebung erscheinen ebenfalls mehrere iranische Namen, Lemaire 2001, 33f. Vgl. Mileta 2009. Eine Ausnahme stellt die kappadokische Stadt Komana (Hierapolis) dar, für die exzeptionell viele iranische Namen inschriftlich belegt sind. IK Ilion 64, Z. 30f. Zur Person vgl. Geyer 1932. Strab. 13,4,3; vgl. Bell. Alex. 78. Vgl. z.B. IK Lampsakos 12 und 23; IK Ephesos 2246b (zwei Generationen).

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Im Umfeld der Zentren achaimenidischer Präsenz wie den Satrapensitzen in Sardeis und Daskyleion kann man ferner von einer gewissen kulturellen Abstrahlung der Perser auf die Beherrschten sprechen, die sich auch in der Namensgebung zeigt. Aber eine konsequent durchgeführte Praxis, die von Generation zu Generation beibehalten wurde, scheint außerhalb iranischer Familien doch fraglich zu sein. Zum Teil handelt es sich indes bei den Trägern iranischer Namen, vor allem historischer Namen, um Sklaven bzw. Freigelassene. Das vielleicht prominenteste Beispiel sind Mazaios und Mithridates, die sich in augusteischer Zeit mit ihrem Torbau in Ephesos verewigt haben.31 Auch wenn Namen wie Perses oder Medes eine iranische Herkunft insinuieren,32 werden die Träger kaum auf persische Siedler zurückzuführen sein. Was bleibt also übrig, und wie kann man vorgehen? Weitgehend sicheren Boden betritt man dort, wo iranische Namen in Gruppen vorkommen, und darunter auch weniger geläufige Namen auftauchen. Tragen mehrere Generationen einer Familie iranische Namen, spricht das eine deutlichere Sprache als ein vereinzeltes Vorkommen. Ein solches kann in bestimmten Kontexten allerdings durchaus als Argument dienen, wenn es etwa Hinweise auf achaimenidische Siedlung gibt oder ein persischer Kultkontext auf eine größere Gemeinde hinweist. Zugleich gilt es zu beachten, daß epigraphische Zeugnisse nur dann zu erwarten sind, wenn sich etwa die Personen in einem zumindest partiell hellenisierten Umfeld aufhielten, oder wenn ein iranischer Kult auch bei Personen nichtiranischer Herkunft Bedeutung erlangt hat.

2. Die Modalitäten der ›Einwanderung‹ Die Satrapen und ihr administratives Personal können bei der Betrachtung der persischen Einwanderung nach Kleinasien erst einmal außen vor bleiben. Ohne militärische Präsenz hätte die Herrschaft über die eroberten Länder allerdings wohl kaum lange Bestand gehabt. Daher waren unter den Achaimeniden in diesen Gebieten viele Garnisonen stationiert.33 Verstärkt wurden sie durch griechische Söldner, die zumindest seit der Mitte des 5. Jh. v.Chr. nachweisbar sind und noch im Kampf gegen Alexander zum Einsatz kamen.34 Bei größeren Einsätzen und Feldzügen hatten die unterworfenen Völker zudem Kontingente zu stellen.35 Unter den persischen Truppen hat man sich indes keine Siedler vorzustellen, vielmehr handelt es sich um Garnisonen in den Zentren wie Sardeis oder Daskyleion und um kleinere Einheiten in Lagern auf dem Land, z.B. entlang der Königsstraße.36 30 31 32

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Gerade im Bosporanischen Reich sehr oft vertreten, vgl. Touloumakos 1996; vgl. auch IK Ephesos 1047; IG II2 9908 (Attika; genannt ist ein Pharnakes aus Milet). IK Ephesos 3006. Vgl. IG II2 9187 (Perses, Sohn des Themison, aus Laodikea); wie in diesem Fall muß der Träger eines solchen Namens nicht zwingend selbst ein Sklave gewesen sein, sondern nur einer seiner Vorfahren. Tuplin 1987; vgl. auch Gezgn 2001. Seibt 1977; bekannte Personen verzeichnet Hofstetter 1978; vgl. allgemein Trundle 2004. Vgl. Klinkott 2005, 294–298 zur Zusammensetzung der Satrapenheere; vgl. insgesamt das persische Aufgebot gegen Derkylidas 397 v.Chr., Xen. hell. 3,2,15. Vgl. Tuplin 1987, 182.

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Was die persischen Siedler betrifft, so geht man in der Regel von Militärsiedlungen aus,37 deren Bewohner bei Bedarf zu den Waffen gerufen werden konnten. Diese Sicht ist in der Form jedoch nicht haltbar, insbesondere scheint das feudalistische System problematisch, wie es Nicholas Sekunda konstruiert hat.38 In Anlehnung an mittelalterliche Strukturen und in Analogie zu späteren parthischen sowie sāsānidischen Verhältnissen erkennt er ein System eines »Persian noble settlement«, in dem »dukes« größere Güter als Lehen hielten. Diesen habe eine größere Zahl an »knights« mit der Verpflichtung zur Heeresfolge unterstanden, die wiederum jeweils über eine Schar von Männern verfügten. Sekundas Sicht liegen wohl vor allem zwei Stellen aus Xenophons Kyropädie zugrunde, wobei man den konstruierten Charakter des Werkes beachten sollte:39 In der berühmten Passage über die Bestellung der Satrapen gibt Kyros diesen die Anweisung, vor ihrem Aufbruch (!) in ihren Satrapien Reiter aus den Reihen der Perser und ihrer Verbündeten aufzustellen.40 Zudem sollten sie darauf achten, daß all diejenigen, die Land und eine Residenz erhielten, ihnen nötigenfalls zur Verfügung stünden. Was man sich darunter vorzustellen hat, bleibt aber offen. An einer anderen Stelle erwähnt Xenophon, daß es bei den Persern früher (!) üblich gewesen sei, daß die Landbesitzer Reiter für Kriegszüge bereitstellten.41 Zu seiner Zeit sei das aber nicht mehr gängig gewesen. Zudem stellte dieses Bereitstellen eher eine finanzielle Obliegenheit dar. Das genannte System stützen diese Zeugnisse nur bedingt. Bei den Stellen, an denen Perser mit Reitern genannt sind, ist man besser beraten, wenn man sie als Kommandeure militärischer Einheiten und nicht als ›Herzöge‹ oder ›Ritter‹ betrachtet. In diesem Sinne ist beispielsweise eine bekannte Herodotstelle zu interpretieren, in der von einem schnellen Gegenschlag von Persern nach der Eroberung von Sardeis während des ionischen Aufstands berichtet wird.42 Die Perser werden charakterisiert als οἱ ἐντὸς Ἅλυος ποταμοῦ νομοὺς ἔχοντες, was kaum »die Besitzer von Land jenseits des Flusses Halys« bedeuten kann, sondern auf die Kommandeure dieser Regionen und damit die Satrapen zu beziehen ist.43 Andererseits hat es auch persische Siedler im eigentlichen Sinne gegeben. So soll laut Strabon der Name der Kyros-Ebene (Κύρου πεδίον) in Lydien auf die Perser zurückgehen.44 Das kann man als Hinweis auf eine Besiedlung verstehen. Strabon berichtet nämlich weiter, daß in vergleichbarer Weise die hyrkanische Ebene nach den Siedlern benannt worden sei, die die Perser aus dem iranischen Hyrkanien dorthin gebracht hätten.45 Das geschah vielleicht noch unter Kyros, falls man eine Stelle aus Xenophons Kyrupädie auch hierauf beziehen darf: Da heißt es nämlich, Kyros habe nach den Eroberungen seinem 37 38 39 40 41 42 43 44 45

Tuplin 1987, 191; Sekunda 1988; 1991; vgl. Schuler 1998, 148. Zum Begriff ›Militärsiedlung‹ vgl. allgemein Daubner 2011a, 1–7, 11–13. Sekunda 1985; 1988; 1991. Zur Kritik vgl. auch Schuler 1998, 150f.; Tuplin 2010. Zur Kyropädie besonders Due 1989; vgl. Hirsch 1985, 61–100; Mueller-Goldingen 1995; Nadon 2001. Xen. Kyr. 8,6,10. Xen. Kyr. 8,8,20. Hdt. 5,102,1. So Tuplin 1987, 193f. mit Anm. 92; Schuler 1998, 150f. mit Anm. 67 gegen die u.a. von Sekunda 1991, 111 vertretene Meinung. Strab. 13,4,13; vgl. Sekunda 1985, 22f. Verschiebungen von Bevölkerungsgruppen sind auch sonst belegt, vgl. Olshausen 1995; 1997.

Die ›Iranische Diaspora‹

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Heer, vor allem Medern und Hyrkaniern, Land und Häuser geschenkt.46 Ortsnamen wie Dareioukome,47 Dareion,48 Darieion49 sind ebenso auf solche persischen Kolonien zurückzuführen wie der Name der Μαιβωζανοί,50 wahrscheinlich auch die Καρδάκων κώμη in Lykien, wenngleich dieser Ort in der Regel den Seleukiden zugeordnet wird.51 Es handelt sich um zufällige Belege, zu denen möglicherweise durch Neufunde noch einige hinzukommen. In der Mehrzahl bleiben die Kolonien für uns aber im Dunkeln. Daß es sich um eine Vielzahl von Dörfern gehandelt haben wird, zeigt eine weitere Xenophonstelle, nach der es in der Umgebung der Residenz des Satrapen Pharnabazos in Daskyleion κῶμαι πολλαὶ καὶ μεγάλαι gegeben habe.52 Da im gleichen Atemzug die persischen Gärten (παράδεισοι) genannt sind, werden diese Dörfer zumindest teilweise den Persern zuzurechnen sein und gehörten wohl Pharnabazos selbst. Derartiger Großgrundbesitz inklusive der Verfügungsgewalt über die Dörfer ist verschiedentlich belegt und wurde vom Großkönig an persische Aristokraten und an andere verdiente Personen wie z.B. Themistokles übertragen.53 In ein feudales System wie das von Sekunda entworfene sollte man das aber nicht einordnen. Was die einzelnen Siedler betrifft, so hat man sie nicht als Personen zu betrachten, die auf Abruf als Soldaten bereitstanden, sondern als Bauern.54 Bei den Aushebungen für einen großangelegten und sorgsam vorbereiteten Feldzug wie den des Xerxes wurden sie zwar ohne Zweifel nicht ausgespart. Es spricht auch nichts dagegen, daß sich Siedler oder ihre Nachkommen für die Armee rekrutieren ließen. So dürften etwa die in Lydien eingesetzten hyrkanischen Reiter, die Xenophon an einer Stelle als »Soldempfänger des Königs« erwähnt, von den Nachkommen der hyrkanischen Siedler in Lydien abstammen.55 Hauptaufgabe der angesiedelten Perser bzw. Iraner war aber die Bebauung und Kultivierung des Landes. Daß dies auch eine militärische Komponente hatte, steht außer Frage. Truppen müssen versorgt werden; am einfachsten funktioniert das mit einer lokalen Produktion und folglich kurzen Transportwegen. Wichtiger ist jedoch ein anderer Aspekt: Zum altpersischen Herrscherideal gehörte die Sorge um die Landwirtschaft und überhaupt die Kultivierung des beherrschten Landes, was tief im altorientalischen Königtum wurzelt und zugleich religiös fundiert ist.56 Xenophon führt diesen Aspekt besonders ausführlich aus: 46 47 48 49 50

51

52 53 54 55 56

Xen. Kyr. 8,4,28. TAM V.2, 1335 (ἡ Δαρειουκωμητῶν κατοικία). IG I3 70, Z. 109: Ort in Mysien. Steph.Byz. s.v.: Stadt in Phrygien. IK Ephesos 13=SEG 37, 884 (Städtekatalog aus flavischer Zeit). Vgl. außerdem den Personennamen Μαιβουζάνης (z.B. IK Sinope 80; I.Komana 2 und 236), der auch in der aramäischen Form Mhybwzn auf einer (achaimenidischen) Bulla aus Daskyleion erscheint, Kaptan 2002, Nr. DS 16 (Umzeichnung bei Balkan 1959, Abb. 3, Nr. 27, ohne Kommentar). Maier 1959–1961, Nr. 76; für die Zuordnung zu den Seleukiden vgl. z.B. auch Cohen 1995, 330f. (mit älterer Lit.); Mileta 2008, 97f.; für die achaimenidische Datierung Schuler 1998, 149 mit Anm. 63; Tietz 2003, 346–350. Xen. hell. 4,1,15. Zusammenstellung bei Briant 1985a, zu Themistokles 58f.; Wörrle 1978, 208f.; zu Themistokles und seinen Verfügungsrechten insbesondere in Magnesia vgl. auch Weil 1906. Ähnlich argumentiert Daubner 2011b in Bezug auf die seleukidischen Militärsiedlungen. Xen. an. 7,8,15 (βασιλέως μισθοφόροι). Die allgemeinere Übersetzung ›Soldempfänger‹ ist m.E. in diesem Fall besser als die enger gefaßte ›Söldner‹. Knauth 1975, 183–189; Fauth 1979; Briant 1996, 244–246. Vgl. Tuplin 1996, 80–131 zu den persischen Gärten.

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Sollen wir uns scheuen, sagte Sokrates, den König der Perser nachzuahmen? Man behauptet nämlich, daß jener die Landwirtschaft und die Kriegstechnik zu den ehrenvollsten und notwendigsten Beschäftigungen zähle und sich dieser beiden in besonderem Maße annehme … Und jenen unter den Befehlshabern, von denen er feststellt, daß sie ihr Land mit einer hohen Bevölkerungszahl und den Boden gut bestellt sowie reichlich mit Bäumen und Früchten, wie er sie jeweils gedeihen läßt, bebaut, vorweisen können, gibt er noch anderes Land hinzu, zeichnet sie durch Geschenke aus und belohnt sie mit besonderen Ehrenstellen; deren Land er aber unbearbeitet und nur mäßig bevölkert vorfindet, sei es durch unmäßige Härte, Übermut oder Nachlässigkeit, diese bestraft er, enthebt sie ihres Amtes und setzt andere Befehlshaber ein … Denn leicht kommt es vor, daß diejenigen, die das Land schlecht bearbeiten, weder die militärischen Besatzungen unterhalten noch die Steuern abführen können. Wo allerdings ein Satrap eingesetzt ist, nimmt dieser jene beiden Aufgaben wahr.57

In einem Brief von Dareios I. an einen Funktionär namens Gadates wird dieser vom König dafür gelobt, daß er zur Kultivierung des Landes beitrage, indem er z.B. Obstbäume aus den Gebieten jenseits des Euphrat nach Kleinasien verpflanzt habe.58 Dieser Politik verdankt etwa der Pfirsich (μῆλον Περσικόν) bei uns seinen Namen. Nach Polybios verteilten die Achaimeniden Privilegien an diejenigen, die trockenes Land durch Wasserkanäle bebaubar machten.59 So ist auch Dareios’ Bitte an Ahura Mazda und die anderen Götter in einer Inschrift aus Persepolis zu verstehen, daß weder ein feindliches Heer noch Mißernte oder Trug über sein Reich kommen möge.60 Eine Münze aus Kilikien zeigt beispielsweiese einen Bauer in iranischer Tracht.61 Im Avesta werden diese Gedanken ebenfalls formuliert.62 Das von den Quellen insgesamt gezeichnete Bild ist dicht genug, um eine tiefe religiöse Verwurzelung zu bestätigen. Und hierin dürfte auch die Begründung dafür liegen, warum gerade der Kult der Anāhitā in Kleinasien bereits in achaimenidischer Zeit weitverbreitet gewesen zu sein scheint, die als Wassergottheit auch für die Fruchtbarkeit zuständig war.63 Als Zeugnisse für den Kult liegen zwar hauptsächlich griechische Inschriften vor, auf der 57

58

59 60 61 62 63

Xen. oik. 4,4; 4,8; 4,11 (Übers. K. Meyer): Ἆρ’, ἔφη ὁ Σωκράτης, μὴ αἰσχυνθῶμεν τὸν Περσῶν βασιλέα μιμήσασθαι; ἐκεῖνον γάρ φασιν ἐν τοῖς καλλίστοις τε καὶ ἀναγκαιοτάτοις ἡγούμενον εἶναι ἐπιμελήμασι γεωργίαν τε καὶ τὴν πολεμικὴν τέχνην τούτων ἀμφοτέρων ἰσχυρῶς ἐπιμελεῖσθαι … καὶ οὓς μὲν ἂν αἰσθάνηται τῶν ἀρχόντων συνοικουμένην τε τὴν χώραν παρεχομένους καὶ ἐνεργὸν οὖσαν τὴν γῆν καὶ πλήρη δένδρων τε ὧν ἑκάστη φέρει καὶ καρπῶν, τούτοις μὲν χώραν τε ἄλλην προστίθησι καὶ δώροις κοσμεῖ καὶ ἕδραις ἐντίμοις γεραίρει, οἷς δ’ ἂν ὁρᾷ ἀργόν τε τὴν χώραν οὖσαν καὶ ὀλιγάνθρωπον ἢ διὰ χαλεπότητα ἢ δι’ ὕβριν ἢ δι’ ἀμέλειαν, τούτους δὲ κολάζων καὶ παύων τῆς ἀρχῆς ἄρχοντας ἄλλους καθίστησι … καὶ γὰρ σχεδόν τι οἱ κακῶς τὴν χώραν ἐργαζόμενοι οὔτε τοὺς φρουροὺς τρέφουσιν οὔτε τοὺς δασμοὺς δύνανται ἀποδιδόναι. ὅπου δ’ ἂν σατράπης καθιστῆται, οὗτος ἀμφοτέρων τούτων ἐπιμελεῖται. Vgl. auch L’Allier 1998. Syll.3 22, Z. 8–14: ὅτι μὲν γὰ[ρ] | [τ]ὴν ἐμὴν ἐκπονεῖς | [γ]ῆν, τοὺς πέραν Εὐ|φράτου καρποὺς ἐπ[ὶ] | τὰ κάτω τῆς Ἀσίας μέ|[ρ]η καταφυτύων, ἐπαι|[ν]ῶ σὴν πρόθεσιν. Zur Echtheit vgl. Wiesehöfer 1987; Schmitt 1996; zuletzt Tuplin 2009, der die von Briant 2003 geäußerten Zweifel eingehend untersucht und eher zur Authentizität des Dokuments neigt. Pol. 10,28,3. Vgl. hierzu auch Dareios’ Inschrift in Suez, DZc §3 (nach der Edition von Schmitt 2009). DPd 3. Casabonne 2004, 126 (›Groupe H‹) mit Taf. 3,1 (Tarsos, ca. 400–385 v.Chr.). Einige zentrale Stellen zitiert Knauth 1975, 185. Zur Göttin vgl. Diakonoff 1979; Corsten 1991; Paz de Hoz 1999, 73–76; Ricl 2002. Vgl. eine Inschrift aus Silandos, TAM V.1, 64=Diakonoff 1979, 149 Nr. 23=Paz de Hoz 1999, Nr. 3.15, Z. 5f.: τὴν Ἀναεῖτιν τὴν ἀπὸ τοῦ ἱεροῦ ὕδατος.

Die ›Iranische Diaspora‹

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die Göttin in gräzisierter Form als Anaitis64 bzw. als Synkretismus Artemis Anaitis65 oder als Artemis Persike66 bezeichnet wird. Zudem ist sie auf Münzen, etwa aus Apameia, abgebildet.67 Die Wurzeln der Kulte liegen in achaimenidischer Zeit.68 Daß der Anāhitākult auch von Nichtiranern aufgegriffen wurde, liegt wohl nicht zuletzt an einer Maßnahme Artaxerxes’ II. Wie Berossos in einem Fragment seines Geschichtswerkes berichtet, habe dieser entgegen persischer Tradition erstmals Standbilder dieser Göttin errichten lassen, und zwar in Babylon, Susa, Ekbatana, Baktrien, Damaskus und im lydischen Sardeis.69 Die persische Einwanderung ist hier bislang als ein von der Obrigkeit gelenkter Vorgang dargestellt worden. Es ist jedoch denkbar, daß es eine weitere Zuwanderung auf individueller Basis gegeben hat. So könnten sich entlassene Soldaten in den persischen Gemeinden nahe ihres Einsatzortes niedergelassen haben, oder weitere Personen, erleichtert etwa durch die Königsstraße, den Weg in den Westen gefunden haben. Oder es fand eine Mobilität zwischen verschiedenen Regionen statt, in denen Perser gesiedelt haben. Diese Hypothesen wird man aber nur bedingt belegen können.

3. Der Fortbestand iranischer Traditionen nach dem Ende der Achaimenidenherrschaft Als Alexander d.Gr. gegen die Perser zog, wurden die regulären Truppen und Garnisonen wohl großenteils von den persischen Feldherren zur Abwehr des Makedonenkönigs am Fluß Granikos zusammengezogen und dort von dessen Heer aufgerieben.70 Die an ihren Standorten verbliebenen Stadtgarnisonen ergaben sich über kurz oder lang wie etwa die von Sardeis unter ihrem Kommandeur Mithrenes.71 Über das Schicksal der persischen Siedler respektive ihrer Nachkommen schweigen sich die Quellen aber aus. Von einem Massenexodus ist jedenfalls nicht auszugehen, vielmehr werden sie im Land geblieben sein. An dieser Präsenz änderten die hellenistischen Gründungen nichts, selbst wenn sie aus strategisch-militärischen Motiven angelegt wurden.72 So hat man etwa unter den Seleukiden Makedonen in der hyrkanischen Ebene angesiedelt.73 Auf den Fortbestand iranischer Bevölkerungsteile könnte eine Inschrift aus dieser Gegend hinweisen, auf der ein M. Anto64 65 66 67 68 69

70 71 72 73

Vgl. etwa IK Erythrai 219; TAM V.1, 237=Diakonoff 1979, 149 Nr. 24=Paz de Hoz 1999, Nr. 3.19 (Kula). Vgl. TAM V.2, 1252=SEG 35, 1155 (Hierokaisareia); Diakonoff 1979, 154 Nr. 48=Paz de Hoz 1999, Nr. 3.67. Z.B. TAM V.2, 1244 und 1245 (=Paz de Hoz 1999, Nr. 3.3 und 3.4); vgl. Paus. 7,6,6. Vgl. BMC Phrygia 83 Nr. 83f. (späthellenistisch), wo der Eklogistes mit dem iranischen (!) Namen Maiphernes genannt wird. Vgl. Tac. ann. 3,62,3 zu Hierokaisareia; Paus. 7,6,6 belegt ein lydisches Heiligtum für das Jahr 323/ 322 v.Chr. FGrH 680 fr. 11 (=Clem.Al., Protrepticus 5,65,1–3), vgl. fr. 12 (=Agathias, Historien 2,24). Außerhalb Kleinasiens ist Anāhitā in Palmyra belegt, vgl. Teixidor 1982 (mit Nachweisen), dessen Folgerung aber zu diskutieren ist. Arr. an. 1,13–16; Diod. 17,18–19,2; Plut. Alexandros 16,1; vgl. Iust. 11,6,10f. Vgl. auch Tuplin 1987, 212. Arr. an. 1,17,3; Diod. 17,21,7; Curt. 3,12,6. Cohen 1995, 63–71; Billows 1995, 146–160, 172–178; Daubner 2011b, vgl. ferner Briant 1978. Cohen 1995, 209–212.

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nius Bagoas genannt wird.74 Zu einem wirklichen Argument wird man das jedoch nur in Verbindung mit den anderen Belegen aus der Umgebung erheben. Hier kommen die weiteren onomastischen Zeugnisse ins Spiel, vor allem aber der Fortbestand des Anāhitā-Kultes. Sehr aufschlußreich ist hier eine Beobachtung von Pausanias, über die er verwundert berichtet: Bei den Lydern gibt es nämlich Heiligtümer der sogenannten Persike, in der Hierokaisareia genannten Stadt und in Hypaipa; in jedem der Heiligtümer gibt es einen Raum und in dem Raum ist Asche auf einem Altar. Aber die Farbe ist nicht wie bei anderer Asche. Ein Magier tritt ein und schichtet trockenes Holz auf dem Altar auf; zuerst setzt er sich dann eine Tiara auf den Kopf, danach intoniert er einen Weihgesang an irgendeine Gottheit in barbarischer und für Griechen unverständlicher Sprache, den Gesang trägt er aus einem Buch vor. Ohne Feuer soll sich das ganze Holz entzünden und leuchtende Flammen lodern daraus hervor.75

Gemeint ist die Artemis Persike, also Anāhitā bzw. Anaitis. Pierre Briant hat vermutet, es hätte sich dabei eher um eine Wiederbelebung alter Rituale zu touristischen Zwecken gehandelt.76 Das trifft es aber kaum. Andere Zeugnisse belegen die besondere Bedeutung dieser Kulte von den Achaimeniden bis in die Kaiserzeit.77 Daß man einen Kult aus wirtschaftlichen Gründen reaktiviert hat, scheint doch die weniger sinnvolle Variante zu sein. Andernorts ist jedoch ein griechischer Einfluß auf den Kult erkennbar. Das Zeugnis des Pausanias steht jedoch nicht allein. Wie Strabon aus eigener Anschauung berichtet, waren in Kappadokien die Magier in großer Zahl vertreten, und es gab eine Vielzahl an persischen Heiligtümern, wobei er besonders die Pyraitheia hervorhebt.78 Diese Heiligtümer bestünden jeweils aus einer Kammer mit einem Feueraltar, auf dem sich viel Asche befinde. Die Magier unterhielten das Feuer, wobei sie mit einer Tiara auf dem Kopf Beschwörungen anstimmten. Diese Bräuche gebe es auch in den Heiligtümern der Anaitis und des Omanos (Vohu Manah).79 Gerade in abgelegeneren Regionen werden die persischen Gemeinden ihre Sprache und Traditionen länger bewahrt haben, wie man es von anderen ethnischen Gruppen her kennt.80 Am bekanntesten dürfte Hieronymus’ Aussage über die Galater sein, deren Sprache frappierende Ähnlichkeit mit der Sprache der gallischen Treverer habe.81 Beide Völker haben folglich noch im 4. Jh. n.Chr. ein keltisches Idiom gesprochen. Für die Perser gibt es ein ähnliches Zeugnis des syrischen Autors Bar Daisan (griech. Bardesanes) aus der Zeit um 200 n.Chr. Da heißt es: 74 75

76 77 78 79 80 81

TAM V.2, 1322. Paus. 5,27,5f.: ἔστι γὰρ Λυδοῖς ἐπίκλησιν Περσικῆς ἱερὰ ἔν τε Ἱεροκαισαρείᾳ καλουμένῃ πόλει καὶ ἐν Ὑπαίποις, ἐν ἑκατέρῳ δὲ τῶν ἱερῶν οἴκημά τε καὶ ἐν τῷ οἰκήματί ἐστιν ἐπὶ βωμοῦ τέφρα· χρόα δὲ οὐ κατὰ τέφραν ἐστὶν αὐτῇ τὴν ἄλλην. ἐσελθὼν δὲ ἐς τὸ οἴκημα ἀνὴρ μάγος καὶ ξύλα ἐπιφορήσας αὖα ἐπὶ τὸν βωμὸν πρῶτα μὲν τιάραν ἐπέθετο ἐπὶ τῇ κεφαλῇ, δεύτερα δὲ ἐπίκλησιν ὅτου δὴ θεῶν ἐπᾴδει βάρβαρα καὶ οὐδαμῶς συνετὰ Ἕλλησιν· ἐπᾴδει δὲ ἐπιλεγόμενος ἐκ βιβλίου· ἄνευ τε δὴ πυρὸς ἀνάγκη πᾶσα ἁφθῆναι τὰ ξύλα καὶ περιφανῆ φλόγα ἐξ αὐτῶν ἐκλάμψαι. Briant 1985b, 177–181. Vgl. z.B. Tac. ann. 3,62,3; Debord 1986; allgemein auch Mitchell 2007. Strab. 15,3,15. Vgl. Strab. 11,8,4; 12,3,37. Vgl. Daubner 2011a, 4. Hieronymos, Commentarii in epistulam Pauli Apostoli ad Galatas 2,3.

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Bei den Persern war es Sitte, die Töchter, Schwestern und Mütter zu heiraten, und nicht nur in ihrem Land und auf ihrem Höhepunkt gingen die Perser diese unheiligen Ehen ein, sondern alle von ihnen, die aus Persien weggezogen sind, und die man Magusaioi nennt, praktizieren dasselbe Unrecht und geben ihre Sitten und Gebräuche an ihre Kinder als Erbe weiter. Von diesen gibt es bis heute viele in Medien und in Ägypten und in Phrygien und in Galatien.82

Die erwähnten Eheschließungen klingen in der vorgebrachten Form unglaubwürdig. Dennoch verbirgt sich dahinter sicherlich ein historischer Kern. Die Verwandtenehe war im antiken Iran zwar religiös verankert, kam in der Praxis wahrscheinlich aber nur selten vor und beschränkte sich dabei weitgehend auf die Priesterkaste der Magier.83 Die genannten Perser werden somit überwiegend nicht wirklich ihre direkten Angehörigen geheiratet haben. Es handelt sich wohl vornehmlich um die Verzeichnung einer starken Tendenz zur Endogamie innerhalb der ländlichen persischen Gemeinden, die mit einer Bewahrung ihrer Traditionen einherging. Letzteres zeigt eine weitere Stelle, wo unter den Sitten auch explizit die Riten ihrer ›Mysterien‹, also ihrer Religion genannt sind.84 Der Name Magusaioi geht zurück auf altpersisch maguš, hatte sich aber offenbar zu einer Bezeichnung für alle persischen Siedler in Kleinasien entwickelt, die an ihrer Kultur festhielten.85 Da bei Bar Daisan die ›Perser‹ klar von den Parthern und Armeniern geschieden sind, ist bei ihnen an Nachkommen von Siedlern aus früherer Zeit zu denken. Bei Basileios von Caesarea lesen wir über sie dann Folgendes: Die Magusaioi, wie du in deinem anderen Brief mir gegenüber für erklärenswert hieltest, sind in großer Zahl hier, verteilt über das ganze Land, die vor langer Zeit aus Babylonien als Siedler hierhergekommen sind. Sie sind ganz eigen in ihren Sitten und vermischen sich nicht mit anderen Menschen … Sie haben keine Bücher und keine Lehrer für ihre Regeln. Sie wachsen in einem sinnlosen Brauchtum auf und lernen ihre Gottlosigkeit vom Vater … Sie sind verrückt nach illegitimen Ehen und halten das Feuer für einen Gott, und dergleichen mehr … Sie bezeichnen einen gewissen Zarnuas als ihren Stammvater.86 82

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85 86

Zusammenfassend zitiert bei Eus. Pr.Ev. 6,10,16f.=[Clem.] recogn. 9,21: Παρὰ Πέρσαις νόμος ἦν γαμεῖν τὰς θυγατέρας καὶ τὰς ἀδελφὰς καὶ τὰς μητέρας, καὶ οὐ μόνον ἐν τῇ χώρᾳ ἐκείνῃ καὶ ἐν ἐκείνῳ τῷ κλίματι τούτους τοὺς ἀνοσίους γάμους οἱ Πέρσαι ἐποίησαν, ἀλλὰ καὶ ὅσοι αὐτῶν τῆς Περσίδος ἐξεδήμησαν, οἵτινες καλοῦνται Μαγουσαῖοι, τὴν αὐτὴν ἀθεμιστίαν διαπράσσονται, παραδιδόντες τοὺς αὐτοὺς νόμους καὶ τὰ ἔθη τοῖς τέκνοις κατὰ διαδοχήν. ἐξ ὧν εἰσι μέχρι νῦν πολλοὶ ἐν Μηδίᾳ καὶ ἐν Αἰγύπτῳ καὶ ἐν Φρυγίᾳ καὶ ἐν Γαλατίᾳ. Für die syrische Fassung: Nau 1907, 584–587 (vgl. 598f.); Drijvers 1965, 42–45. Erhebliche Zweifel an der Historizität dieser Ehen hegt Bigwood 2009; nach Macuch 1991 handelte es sich um eine religiös verankerte, zugleich aber höchst umstrittene Institution, die im wesentlichen auf die Gruppe der Magier beschränkt war. Panaino 2008 behandelt besonders die Kritik und Überzeichnung der Verwandtenehe von christlicher Seite; auch er verdeutlicht, daß es sich im Ganzen eher um Ausnahmefälle handelte. In der griechischen Übersetzung bei Eus. Pr.Ev. 6,10,38=[Clem.] recogn. 9,27: οἱ Μαγουσαῖοι οὐκ ἐν Περσίδι μόνῃ τὰς θυγατέρας γαμοῦσιν, ἀλλὰ καὶ ἐν παντὶ ἔθνει, ὅπου ἂν οἰκήσωσι, τοὺς τῶν προγόνων φυλάσσοντες νόμους καὶ τῶν μυστηρίων αὐτῶν τὰς τελετάς. Syrische Fassung: Nau 1907, 600–603; Drijvers 1965, 54–57. So wurde dann wohl auch die für Magier bekannte Verwandtenehe auch auf den Rest der persischen Gemeinde übertragen. Basileios von Caesarea, epistula 258,4: Τὸ δὲ τῶν Μαγουσαίων ἔθνος (ὅπερ διὰ τῆς ἑτέρας ἐπιστολῆς σημᾶναι ἡμᾶς κατηξίωσας) πολύ ἐστι παρ’ ἡμῖν κατὰ πᾶσαν σχεδὸν τὴν χώραν διεσπαρμένον, ἀποίκων τὸ παλαιὸν ἐκ τῆς Βαβυλωνίας ἡμῖν ἐπεισαχθέντων. Οἳ ἔθεσιν ἰδιάζουσι κέχρηνται ἄμικτοι ὄντες πρὸς τοὺς ἄλλους ἀνθρώπους· … Οὔτε γὰρ βιβλία ἐστὶ παρ’ αὐτοῖς οὔτε διδάσκαλοι δογμάτων, ἀλλὰ ἔθει ἀλόγῳ συντρέφονται παῖς παρὰ πατρὸς διαδεχόμενοι τὴν ἀσέβειαν … γάμοις ἐπι-

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Die Herkunft aus Babylonien ist sicher ein Irrtum, denn im Text weist alles auf Perser hin. Der Name Zarnuas ist wohl gleichsam eine Korruptel, gemeint ist vielleicht der Zeitgott Zurvan, wodurch sich die genannten Maguseier als Anhänger des Zurvanismus auszeichnen, einer speziellen Ausprägung des Zoroastrismus.87 Basileios spricht in diesem Brief über Kappadokien, was sich mit der erwähnten Aussage Strabons deckt. Nun ist Kappadokien, das auch nach dem Ende des Achaimenidenreiches unter einer iranischen Dynastie stand, sicher ein besonderer Fall. Die Bewahrung persischer Traditionen kommt hier deutlicher zum Vorschein als in anderen Regionen Kleinasiens, in denen sich dennoch Spuren davon erhalten haben. In Kombination ergeben die Zeugnisse jedenfalls ein erkennbares Muster.

4. Zusammenfassung Die persische Präsenz wird in ihrem Umfang wie auch bezüglich ihrer Fortwirkungen verschieden bewertet. Dabei spielt nicht zuletzt die Frage nach der Gültigkeit onomastischer Belege eine Rolle. Unter Beachtung einiger Regeln, die hier formuliert worden sind, ist dieses reichhaltige Material aber als Quelle für eine persische Einwanderung verwendbar und läßt im Zusammenspiel mit anderen Belegen verschiedene Einsichten zu. Die Gründung von Siedlungen erfolgte nicht primär aus militärischen Gesichtspunkten, sondern ist vor allem aus herrschaftsideologischen und religiösen Motiven zu erklären: Die Kultivierung des Landes sollte vorangetrieben werden. Siedler und Garnisonen sind folglich voneinander zu trennen. Der Fortbestand iranischer Kulttraditionen, speziell die Verehrung der Wasserund Fruchtbarkeitsgöttin Anāhitā, wird somit verständlicher, auch wenn die Kulte zum Teil erst in hellenisierter Form nachweisbar sind. Zudem war der auf persische Ansiedlung zurückgehende iranische Bevölkerungsanteil im nachachaimenidischen Kleinasien sicherlich größer als vielfach angenommen. Noch in der Spätantike sind Spuren zu finden. Im Hinblick auf das Thema des Kolloquiums, die Mobilität, ist dementsprechend eher eine Statik, eine weitgehende Immobilität zu konstatieren. Das mag überraschen angesichts der Umwälzungen und Veränderungen, denen Kleinasien im Hellenismus und in der Kaiserzeit unterlag. Es dürfte indes klar geworden sein, daß die ›Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‹ auch in diesem Fall mehr als nur einen flüchtigen Blick wert ist und noch manche Erkenntnis birgt. Andreas Klingenberg Universität zu Köln, Historisches Institut, Alte Geschichte Albertus-Magnus-Platz, D-50923 Köln [email protected]

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μαίνονται παρανόμοις καὶ τὸ πῦρ ἡγοῦνται Θεὸν καὶ εἴ τι τοιοῦτον … Ζαρνοῦάν τινα ἑαυτοῖς ἀρχηγὸν τοῦ γένους ἐπιφημίζουσι. 87 Boyce, Grenet 1991, 278; anders Trombley 1993, 123, nach dem sich dahinter Zoroaster/Zarathustra verbirgt.

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Peter Kritzinger

Vom Niederrhein ins Vercellese Neue Überlegungen zur letzten Etappe der Kimbern und Teutonen

Aktuell gilt es in der Geschichtswissenschaft manchmal als trivial, sich um die zuverlässige Rekonstruktion der Ereignisse zu bemühen.1 Damit hat sich die Historie denkbar weit vom Diktum, zu zeigen, wie es eigentlich gewesen, entfernt. Und doch dürfte wohl niemand in Frage stellen, dass die Ordnung und Rekonstruktion der Geschehnisse zumindest auch in das Tätigkeitsfeld des Historikers fällt. Denn letztlich ruht auf dem Fundament der Ereignisgeschichte jede weitere historische Überlegung. In den folgenden Ausführungen geht es vor allem um Ereignisgeschichte. Und zwar um Ereignisse, die Weltgeschichte geschrieben haben, deren exakte Abfolge und Kausalitäten jedoch bis heute umstritten sind. Seit jeher faszinierte der Zug der Kimbern und Teutonen die Menschen, beflügelte ihre Phantasien.2 Mythos und Realität gingen, beinahe noch bevor die Gefahr recht gebannt war, eine kaum trennbare Verbindung ein.3 Das bekannteste Beispiel dafür sind die Legenden um den furor Teutonicus.4 Zudem trübt eine Besonderheit in der Überlieferung der literarischen Quellen den Blick auf die Ereignisse. Alle erhaltenen Berichte basieren direkt oder indirekt auf vier, nahezu gänzlich verlorenen Zeugnissen von Zeitzeugen.5 Dies wäre an sich nicht sonderlich problematisch, handelte es sich bei den Autoren nicht um M. Aemilius Scaurus, L. Cornelius Sulla, Q. Lutatius Catulus und C. Marius.6 Ihre Ausfüh1

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Für Hinweise und Kritik bin ich Hansjoachim Andres, Johannes Heinrichs und Roderich Kirchner zu herzlichem Dank verpflichtet. Alle Jahresangaben, sofern nicht anders vermerkt, beziehen sich auf die Zeit vor Beginn unserer Zeitrechnung. D. Timpe, Kimbern-Tradition und Kimbern-Mythos, in: B. Scardigli, P. Scardigli (Hg.), Germani in Italia, Rom 1994, 23–60, bes. 28f. V.a. Lucan. 1,254–256; Plut., Marius 11,2–4. H. Callies, Zur Vorstellung der Römer von Cimbern und Teutonen seit dem Ausgang der Republik, in: Chiron 1, 1971, 341–350; G. Dobesch, Historische Fragestellungen in der Geschichte, in: S. Deger-Jalkotzy (Hg.), Griechenland, die Ägäis und die Levante während der ›Dark Ages‹ vom 12. bis zum 9. Jh. v.Chr. (Koll. 1980), Wien 1983, 179–231, bes. 225f. Ausführlich Callies (wie Anm. 3), 341–350; zuletzt auch C. Trzaska-Richter, Furor Teutonicus, Trier 1991, v.a. 48–79, 234–242. Vgl. Abb. am Ende des Beitrags. Aemilius verfasste einen autobiographischen Bericht unter dem Titel De vita sua, der zur Gänze verloren ist; HRR 1, cclii–cclx (Leben), 185f. (listet vier Testimonien auf); FRM (=P. Scholz, U. Walter, Fragmente römischer Memoiren, Heidelberg 2013) 49–58 (listen sieben Testimonien auf). Sulla verfasste in Puteoli nach 79 seine Memoiren. Nur wenige Fragmente sind erhalten, sodass sich über die ursprüngliche Konzeption des Werkes keine Gewissheit gewinnen lässt; HRR 1, cclxxvi–xxxiv (Leben), 195–204 (listet 21 Fragmente auf); FRM 80–135 (23 Fragmente). Marius verfasste in seiner Funktion als römischer Magistrat und Feldherr Commentarii, die bis auf wenige

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rungen waren geprägt, ja geradezu kontaminiert von gegenseitigen, persönlichen wie auch politischen Ressentiments, die vor allem auf die Auseinandersetzung zwischen Popularen und Optimaten zurückzuführen ist. Eine Sonderstellung nimmt einzig Poseidonios ein, der seine Historien bald nach dem Kimberneinfall verfasste und so die problematischen Primärquellen durch Aussagen alternativer Zeitzeugen ergänzen konnte. Seine Darstellung wurde von vielen Autoren verarbeitet.7 Namentlich zu erwähnen sind Strabon, Plutarch (Marius-Vita) und Athenaios.8 Doch schlagen sich die Verzerrungen von Tatsachen, persönlichen Attacken und Polemiken der Primärquellen ebenfalls in den uns greifbaren Texten nieder – auch in jenen, die in der Tradition des Poseidonios stehen.9 Es kann also nicht überraschen, wenn die »Überlieferung der Alten … lückenhaft und widerspruchsvoll« und die Rekonstruktion der Ereignisse auch heute noch umstritten ist.10 Als besonders umstritten präsentiert sich in der wissenschaftlichen Literatur der letzte Abschnitt der Wanderung, oder konkret: die Etappe vom Niederrhein bis zur letzten Schlacht bei Vercellae. Zwei Fragen dominieren dabei seit jeher die wissenschaftlichen Kontroversen: An welcher Stelle passierten die Kimbern die Alpen und wo sind die campi Raudii – also, der Ort der letzten Schlacht der Kimbern – zu lokalisieren? Zu beiden Fragen vermochte sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. unserer Zeitrechnung in der Wissenschaft ein labiler Konsens herauszubilden. Grundlegend sind dabei die Studien Rainer Looses und Jakopo Zennaris.11 Nach Loose hätten die Kimbern die Alpen im äußersten Osten überquert. Zennari hingegen lokalisierte die campi Raudii im äußersten Nordosten Italiens (bei Rovigo). Unlängst griff Johannes Heinrichs jedoch eine alte Theorie auf, wonach ein bestimmter Typus keltischer Goldmünzen als Indikator für den Zug der Kimbern und der Schlacht dienen könnte und hat diese soweit verfeinert, dass die bisherige sententia communis m.E. als obsolet angesehen werden muss.12 Die Kimbern überquerten demnach die Alpen am Brennerpass und die campi Raudii wären folglich im heutigen Vercellese (also im Nordwesten Italiens) zu lokalisieren. Als einzige Theorie vermag sie überzeugend den altbekannten literarischen Quellen weitere Zeugnisse zur Seite zu stellen, weshalb ihr der 6

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Testimonia verloren sind. Catulus verfasste, wohl als Reaktion auf die Commentarii des Marius, eine autobiographische Schrift unter dem Titel De consulatu et de rebus gestis suis; HRR 1, cclxx– xxv (Leben), 191 (listet drei Fragmente auf); FRM 71–79. Vgl. E. Sadée, Die Eroberung der Etschklausen 101 v.Chr. durch einen kimbrischen Sturmtrupp, in: BJb 143/144, 1938/39, 75–82, hier: 77; J. Malitz, Die Historien des Poseidonios, München 1983, v.a. 199–228. Malitz (wie Anm. 7), 198–201; W. Theiler, Poseidonios. Die Fragmente, Berlin/New York 1982, Bd. 2, 111–114; L. Edelstein, I. G. Kidd, Poseidonius, Cambridge 21988, Bd. 2, 922–932. E. Demougeot, L’invasion des Cimbres-Teutons-Ambrons et les Romains, in: Latomus 37, 1978, 910–938; H.-W. Goetz, K.-W. Welwei (Hg.), Altes Germanien, Darmstadt 1995, Bd. 1, 202–271. Zit.: M. Ihm, Cimbri, in: RE 3.2, 1909, 2547. R. Loose, Kimbern am Brenner?, in: Chiron 2, 1972, 231–252. J. Zennari, I Vercelli dei Celti nella Valle Padana e l’invasione Cimbrica della Venezia, in: Athenaeum Cremonese 1952, 5–47; ders., La battaglia dei Vercelli o dei Campi Raudii, in: Athenaeum Cremonese 1958, 5–32. Ursprünglich R. Forrer, Keltische Numismatik der Rhein- und Donaulande, München 1908, 316–340, bes. 330–339; zuletzt mit neuen Argumenten J. Heinrichs, Kimbern im östlichen Vorfeld der Belger. Caesars Darstellung der Atuatuker vor dem Hintergrund gebietsfremder Goldobjekte in den Räumen Aachen und Maastricht, Vercelli und Siena, in: ZPE 171, 2009, 277–299. U.a. dagegen nicht ohne Polemik K. Castelin, Der Cimbernzug und Robert Forrer, in: Money Trend 12.4, 1980, 16–18.

Vom Niederrhein ins Vercellese

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Vorrang zu geben ist. Dieses Verständnis liegt den folgenden Überlegungen prinzipiell zu Grunde. Der letzte Abschnitt der Wanderung der Kimbern und Teutonen hat seinen Ausgangspunkt in der Vereinigung der Stämme bei den Veliocasses.13 Die spärlichen Informationen über dieses Ereignis sind zwar ausschließlich in den Periochae des Livius überliefert, scheinen insgesamt jedoch vertrauenswürdig.14 Es zogen die germanischen Stämme gewöhnlich in mehreren, voneinander getrennten Zügen. Die Kimbern zogen wohl alleine, jedenfalls aber ohne Teutonen nach Spanien; die Tiguriner schlugen alleine das römische Heer unter L. Cassius Longinus; die Teutonen wiederum wurden alleine von Carbo angegriffen.15 Dieses Verhalten ist durchaus verständlich, bedenkt man die Schwierigkeiten im Alltag, eine so große Anzahl von Menschen aus der Umgebung zu ernähren.16 Damit liegt aber auf der Hand, dass ein bestimmter Grund für die Vereinigung vorgelegen hat. Nach Caesars einleuchtender Erklärung hätten die Stämme einen gemeinsamen Kriegszug gegen Südfrankreich und Italien vorbereitet.17 Im Zuge dieser Maßnahmen seien Teile des Trosses im Vorfeld der Belger zurückgeblieben; sie gingen später unter dem Namen Atuatuker in die Geschichte ein.18 Auch das Zurücklassen unnötigen Ballastes scheint in einem Kriegszug plausibel. Aufgrund von Angaben Plutarchs, die hier wohl auf die Commentarii des Marius zurückgehen dürften, lassen sich diese Maßnahmen recht zuverlässig datieren. Danach hätten die Römer den Einfall der Stämme für das Frühjahr 102 erwartet, sodass deren Maßnahmen noch im Winter oder im Frühjahr 102–101 erfolgt sein müssen.19 Dies passt gut zur allgemeinen Beobachtung, dass die Stämme ihre Wander- und Raubsaison gemeinhin im Frühjahr begannen.20 Unter der Leitung des Marius wurden in der Provincia von den Römern frühzeitig umfassende Vorbereitungen gegen einen bevorstehenden Einfall der Germanen getroffen. In der Nähe des Zusammenflusses von Isère und Rhône wurde ein stark befestigtes Lager er13

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Liv. per. 67,8 (ed. P. Jal, Paris 1984, 86): Cimbri vastatis omnibus, quae inter Rhodanum et Pyrenaeum sunt, per saltum in Hispaniam transgressi ibique multa loca populati a Celtiberis fugati sunt, reversique in Galliam in Veliocassis et Teutonis coniunxerunt. Zur Lokalisierung der Veliocasses: Caes. Gall. 2,4,9; vgl. 7,75,3; 8,7,4; Oros. 6,7,14; 6,11,12; Ptol. 2,8,8. Timpe (wie Anm. 2), 44. Mommsen hat die offensichtliche Korruptel (im)bellicosis zum Ethnonym ›veliocassis‹ (siehe auch vorausgehende Anm.) emendiert, was bisher auf keinerlei Widerspruch gestoßen ist. P. Jal, 1984, 86, v.a. 141 Anm. 11, und ix–cxxi, bes. xci–xcv. Vgl. T. Mommsen, Römische Geschichte, Darmstadt 102010, Bd. 2, 183 Anm. 16; K. V. Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde, München 1892, Bd. 2, 289f.; F. Miltner, Der Germanenangriff auf Italien in den Jahren 102/101 v.Chr., in: Klio 33, 1940, 289–307. App. Celt. fr. 13; Caes. Gall. 1,12,4–8; 1,13,2; vgl. ebda 1,7,3f. Vgl. das Verhalten der Galater in Kleinasien: Liv. 38,16,11f. Caes. Gall. 2,29,4 (ed. W. Hering, Leipzig 1987, Bd. 1, 37): Ipsi erant ex Cimbris Teutonisque prognati, qui cum iter in provinciam nostram atque Italiam facerent, iis impedimentis, quae secum agere ac portare non poterant, citra flumen Rhenum depositis custodiam [ex suis] ac praesidio sex milia hominum una reliquerunt. Vgl. auch Caes. Gall. 2,29,1f.; Dio 39,4,1; vgl. App. Celt. fr. 1,11. Heinrichs (wie Anm. 12), 277–299. Plut., Marius 14,9: »… hinzu kam, dass man für das nächste Frühjahr die Rückkehr der Barbaren erwartete …«. Vgl. auch Abb. Zum Charakter des Zuges Timpe (wie Anm. 2), 33f. (eher für Landsuche); dagegen Dobesch (wie Anm. 3), 216–220; ders., Einige zusätzliche Bemerkungen zum Kimbernzug, in: P. Anreiter, E. Jereim (Hg.), Studia Celtica et Indogermanica, Budapest 1999, 79–99 (z.T. polemisch für Raubzug).

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richtet.21 Dorthin brachte man große Mengen an Nahrungsmitteln, offenbar um auch einer Belagerung standhalten zu können.22 Um einen reibungslosen Transport der Waren zu garantieren, wurde sogar eigens ein Kanal – die berühmte fossa Mariana – angelegt.23 Anhand dieser Vorbereitungen lässt sich eine von langer Hand geplante, defensive Strategie erkennen. Diese setzte voraus, dass die Bewegungen der Germanen den Römern bekannt waren. Als die Germanen, wie geplant, auf das Bollwerk trafen, verweigerten die Römer entsprechend ihrer Strategie eine offene Feldschlacht und konnten weder aus ihrer Befestigung vertrieben noch gelockt werden.24 Dies stimmt mit der allgemeinen Feststellung überein, dass es den Germanen nur sehr selten gelang, befestigte Orte einzunehmen.25 Die Analyse der Darstellung dieser Ereignisse bei Plutarch gibt interessante Auskünfte sowohl über seine Arbeitsweise, als auch über seine Gewährsleute. Zunächst schreibt Plutarch, die Legionäre hätten Marius ungestüm zum Kampf gedrängt, dieser habe sie aber geradezu gegen ihren Willen im Lager zurückgehalten.26 Wenige Zeilen später verlieren die Legionäre ohne ersichtlichen Grund ihren Mut und Tatendrang. Nunmehr habe sie der Konsul auf die Wälle treiben müssen, um sie an den entsetzlichen Anblick der Feinde zu gewöhnen.27 Parallel zu diesem denkwürdigen Gefühlswandel erfolgt ein perspektivischer Wechsel von der Innen- zur Außensicht. Anfangs wird die Lage des Marius in indirekter Rede beschrieben (16,1f.); danach übernimmt dies der Autor selbst (16,3–5). Zudem werden augenscheinlich zweimal dieselben Ereignisse (16,5 und 18,2) nacheinander beschrieben. Offenbar hat Plutarch für seine Schilderung (zumindest) zwei verschiedene Darstellungen benutzt, wobei hier eine Nahtstelle zweier Berichte erkennbar wird. Dabei zeigen 21

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Oros. 5,16,9 (ed. M.-P. Arnaud-Lindet, Paris 1991, Bd. 2, 119f.): Igitur Marius quarto consul cum iuxta Isarae Rhodanique flumina, ubi in sese confluunt, castra posuisset; Teutones Cimbri et Tigurini et Ambrones postquam continuo triduo circa Romanorum castra pugnarunt, si quo pacto eos excuterent vallo atque in aequor effunderent, tribus agminibus Italiam petere destinarunt. Vgl. Plut., Marius 15,1 (zit. in Anm. 22). L. Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme: Die Westgermanen, München 21938, Bd. 1, 12; A. Donnadieu, La Campagne de Marius dans la Gaule narbonnaise, in: REA 56, 1954, 281–296. G. Walser, Die militärische Bedeutung der Alpen in der Antike, in: ders. (Hg.), Studien zur Alpengeschichte in antiker Zeit, Stuttgart 1994, 9–48, bes.19 (verlegt die römische Stellung ohne Begründung an die Durance-Mündung). Plut., Marius 15,1: »… er ließ dann an der Rhône ein befestigtes Lager errichten und sorgte dafür, dass dort große Lebensmittelvorräte gelagert wurden, denn er wollte unter keinen Umständen zu einer für ihn ungünstigen Zeit aus Verpflegungsmangel gezwungen werden, den Kampf aufzunehmen«. Plut., Marius 15,2–4: »Da der Transport von der Küste zum Lager langwierig und kostspielig war, sorgte er selber für einen leichten, rasch befahrbaren Zugang zum Meer. An der Rhônemündung hatten sich infolge der Brandung große Schlammassen abgelagert, und tiefe Sandbänke waren entstanden, sodass die Getreidekähne nur ganz langsam und mit großen Schwierigkeiten einfahren konnten. Marius setzte seine Truppen, die im Augenblick unbeschäftigt waren, zur Abhilfe ein und ließ einen breiten Graben ausheben …«. E. Hermon, Conquête et occupation du sol, in: L. Finette (Hg.), Hommage à la mémoire de E. Pascal, Québec 1990, 389–396; bes. 391f.; B. Freyberger, Südgallien im 1. Jh. v.Chr., Stuttgart 1999, 91f., 104–108. Vgl. Plut., Marius 15f. Die einzige Ausnahme datiert in das Jahr 105, als es den Kimbern im Zuge einer Schlacht gelang, das Lager des Prokonsuls Q. Servilius Caepio einzunehmen. Granius Licinianus 33,6. Vgl. Caes. Gall. 7,77,12; Plut., Marius 16,5; 18,4; 20,2. Plut., Marius 16,1; vgl. ebda 16,6–10. Plut., Marius 16,3.

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die konträren Perspektiven, respektive Bewertungen, recht deutlich, dass die Primärquellen teils dem Lager der Optimaten teils dem der Popularen angehört haben müssen. Nachdem also alle Bemühungen vergeblich waren, zogen die Stämme weiter.28 An diesem Punkt stellt sich die Frage, von welchen Stämmen die Rede ist. Die communis opinio nimmt an, dass sich die Kimbern mit ihren Verbündeten bereits vor der Belagerung der Römer bei Valentia von den Teutonen getrennt hätten.29 Zwei Argumente werden meist angeführt. Zum einen wird auf die Aussage Plutarchs verwiesen, wonach lediglich die Teutonen mit ihren assoziierten Stämmen auf Marius getroffen seien.30 Zum anderen wird ins Feld geführt, dass die Kimbern nicht die Zeit gehabt hätten, die Römer zu belagern.31 Denn zu der Zeit, als die Schlacht bei Aquae Sextiae stattfand, befanden sie sich bereits in Norditalien. Plutarch berichtet nämlich, dass Marius noch vor der Schlacht bei Aquae Sextiae die Nachricht von der Niederlage des Lutatius Catulus erhielt.32 Da also die zwei Schlachten etwa gleichzeitig erfolgt sind, hätten die Kimbern eines deutlichen Vorsprungs bedurft.33 Einiges spricht jedoch gegen diese Überlegungen. Zunächst ist festzuhalten, dass die literarischen Aussagen in diesem Punkt recht unklar oder sogar widersprüchlich sind. Das gilt ganz besonders für den Bericht Plutarchs. Dieser schreibt zwar tatsächlich, dass nur die Teutonen die Römer belagert hätten,34 allerdings berichtet er auch, dass den Teutonen durch Losentscheid die Aufgabe zugefallen sei, entlang der Küste durch das Gebiet der Ligurer (διὰ Λιγύων … παρὰ θάλατταν) nach Italien zu ziehen und nicht über die Alpen.35 Dies lässt jedoch einzig den Schluss zu, dass auch jene Gruppe, die schließlich über die Alpen zog (also die Kimbern), bei Valentia anwesend war. In der Tat berichtet Orosius, Kimbern, Teutonen, Tiguriner und Ambronen hätten gemeinsam das römische Lager bestürmt.36 Dem spätantiken Historiographen dürften für seine Darstellung Livius und/oder Valerius Antias vorgelegen haben; insofern ist prinzipiell Vorsicht angebracht.37 Doch auch

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Plut., Marius 18,1: »Als Marius nichts unternahm, versuchten die Teutonen, das Lager zu stürmen; da sie aber vom Wall aus mit einem Geschoßhagel überschüttet wurden und hierdurch Verluste hatten, beschlossen sie weiterzuziehen, um die Alpen ungefährdet zu überwinden.« Seit Theodor Mommsen (Römische Geschichte, Darmstadt 102010, Bd. 2, 183–185) hat meines Wissens allein Dieter Timpe (wie Anm. 2), 59 eine alternative Deutung aufgezeigt. Plut., Marius 15,6f. Implizit wohl auch Liv. per. (ed. W. Weissenborn, M. Mueller, Leipzig 1981, 78): C. Marius cos. summa vi oppugnata a Teutonis et Ambronibus castra defendit. Der Begriff ›Zangenmanöver‹ geht an der Realität des ausgehenden 2. Jh. weit vorbei. S. Gutenbrunner, Germanische Frühzeit in den Berichten der Antike, Halle 1939, 119; E. Sadée, Sulla im Kimbernkrieg, in: RhM 88, 1939, 43–46; Miltner (wie Anm. 14), 293; E. Koestermann, Der Zug der Cimbern, in: Gymnasium 76, 1969, 310–329, hier: 326; zuletzt unverändert auch Dobesch (wie Anm. 3), 223 (»gewaltiger Zangenangriff« u.ä.). Dagegen Loose (wie Anm. 11), 240f. Plut., Marius 23,1f. Vgl. Plut., Marius 15,6f. Plut., Marius 18,1 (zit. in Anm. 28). Plut., Marius 15,5 (ed. R. Flacelière, Paris 1971, 112): Τῶν δὲ βαρβάρων διελόντων σφᾶς αὐτοὺς δίχα, Κίμβροι μὲν ἔλαχον διὰ Νωρικῶν ἄνωθεν ἐπὶ Κάτλον χωρεῖν καὶ τὴν πάραδον ἐκέινην βιάζεσθαι, Τεύτονες δὲ καὶ Ἄμβρωνες διὰ Λιγύων ἐπὶ Μάριον παρὰ θάλατταν. Oros. 5,16,9. Vgl. dagegen v.a. Plut., Marius 18,1. Marie-Pierre Arnaud-Lindet (ed. Paris 1990, ix–xcviii, bes. xxv–xxix, 285) nimmt hier als einzige Vorlage Livius an. Dagegen A. Lippold, Rom und die Barbaren in der Beurteilung des Orosius, (ms Diss.) Erlangen 1952, bes. 32–35.

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Florus berichtet expressis verbis, die Germanen hätten sich erst nach der Belagerung bei Valentia getrennt.38 Hinsichtlich des Zeitproblems kann man ebenfalls zu einem anderen Ergebnis gelangen. Akzeptiert man, dass die Germanen im Frühjahr vom Niederrhein losmarschierten und das Römerlager bei Valentia bis in den Sommer hinein bestürmten, so wäre hinreichend Zeit für die weiteren literarisch belegten Ereignisse geblieben. Denn um Norditalien von Valentia aus zu erreichen, mussten die Kimbern auf der bequemsten (nicht der kürzesten) Route rund 1.000km zurücklegen.39 Nimmt man eine, selbst in den Bergen machbare, durchschnittliche Marschleistung von 10km pro Tag an, so hätten sie für die Strecke rund dreieinhalb Monate gebraucht.40 Nach dieser Kalkulation wäre es nötig gewesen, etwa im Juli oder August in Valentia aufzubrechen, um die Pässe noch vor dem ersten Schneefall passieren zu können.41 Ein relativ später Wintereinbruch würde diese Richtwerte freilich entzerren. Diese theoretischen Überlegungen werden durch Aussagen antiker Autoren gestützt, wonach die Kimbern bei der Alpenüberquerung in Schnee gerieten.42 Die ungefähre Gleichzeitigkeit der Schlachten in Norditalien und Südfrankreich kann auch so gedeutet werden, dass Teutonen und Ambronen verhältnismäßig langsam in den Süden vorgerückt sind.43 In Summe sprechen Belege und Argumente m.E. für ein gemeinsames Vorgehen der germanischen Stämme gegen Marius, was sich auch mit den folgenden Ereignissen besser in Einklang bringen lässt. Es ist zu fragen, weshalb die Germanen die Belagerung aufgehoben haben, obwohl das Kräfteverhältnis für sie offenkundig günstig war, was am deutlichsten am Verhalten der Römer zu erkennen ist.44 Insofern scheint hier in militärischer Hinsicht eine gravierende Fehlentscheidung gefallen zu sein, die es zu erklären gilt. Plutarch 38 39

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Flor. 1,38,5f. Die 1.000km errechnen sich, wenn man die Route von Valence, cum grano salis über Lyon, Besançon, Basel, Winterthur, Innsbruck, Bozen nach Trient wählt. Die Strecke kann sich durch einen Marsch, der nicht den modernen Straßentrassen folgt, deutlich verkürzen. Da die Kimbern mit den Tigurinern vorzügliche Kenner der Region bei sich hatten, ist davon auszugehen, dass ihnen die ideale Route bekannt war. Vgl. Pol. 3,48,11 (Hannibal). Insgesamt fällt es natürlich schwer, eine machbare Tagesleistung zu errechnen. Einen Anhaltspunkt kann der Marsch der Berner über die Alpen im Jahr 1512 bieten, wovon sich exakte Zeitangaben erhalten haben, die Gerold Walser (Der Marsch der Berner über die Alpen nach Pavia 1512, in: ders. [wie Anm. 21], 108–127) ausgewertet hat. Danach scheinen mir 10km auch auf schwierigem Gelände in den Alpen durchaus machbar. Vgl. D. van Berchem, Du portage au péage, in: MH 13, 1956, 199–208. Aus eigener Erfahrung stammt die Beobachtung, dass auf dem Brennerpass ab Mitte Oktober mit dem ersten Schnee zu rechnen ist, wobei dieser in den letzten Jahren zunehmend später fallen kann. Die Ansicht, dass die Kimbern die Alpen erst im Spätherbst oder frühen Winter überquerten, ist nicht neu. Z.B. E. Sadée, Die strategischen Zusammenhänge des kimbrischen Krieges 101 v.Chr., in: Klio 33, 1940, 225–234, hier: 226, 228 (November); Schmidt (wie Anm. 21), Bd. 1, 12 (Oktober/November); ähnlich P. W. Haider, Antike und frühestes Mittelalter, in: W. Leitner (Hg.), Geschichte des Landes Tirol, Bozen/Wien 1990, 133–290, hier: 141. Plutarch bringt, wohl verwirrt durch die verschiedenen Positionen seiner Gewährsleute, die Ereignisse von Valentia und Aquae Sextiae durcheinander. Dies könnte der/ein Grund sein, weshalb er vor Valentia lediglich die Teutonen vermutet. Vgl. Plut., Marius 15–18. Beispielsweise Plut., Marius 18,2f.: »Jetzt erst konnten die Römer aus der Länge des Zuges und der Dauer des Vorbeimarsches ganz ermessen, welch ungeheuren Menschenmassen sie sich gegen-

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nennt als Grund für den unvermittelten Aufbruch, dass nur so die Alpen sicher überquert werden konnten.45 Er spricht hier die Tatsache an, dass die Pässe im Winter gemeinhin nicht passierbar waren. Offensichtlich wollten die Stämme diese aber noch im Jahr 102 überqueren. Zum ersten Mal zeichnet sich ab, dass auch die Germanen einen Plan verfolgten. Marius scheint dies vorhergesehen, ja durchaus provoziert zu haben. Es ging ihm also nicht darum, seine Männer an den Anblick der Barbaren zu gewöhnen, sondern vielmehr die Stämme auseinander zu dividieren und einzeln zur Schlacht zu stellen.46 Er dürfte geahnt haben, dass die numerisch überlegenen Germanen die Furagierung ihres Heeres auf feindlichem Boden auf Dauer vor Schwierigkeiten stellen würde. Neben der eigenen Versorgung war dabei das Verhalten der Städte der Provincia von zentraler Bedeutung. Diese standen aber treu zu Rom, was freilich nicht selbstverständlich war. Noch wenige Jahre zuvor hatte beispielsweise Tolosa den Vorbeimarsch der Germanen genutzt, um sich von Rom loszusagen. Q. Servilius Caepio statuierte daraufhin im Jahr 106 ein Exempel und ließ die Stadt plündern und besetzen.47 Offenbar ist die abschreckende Wirkung in dieser Situation zur Geltung gekommen. Darüber hinaus kam Rom in dieser prekären Lage besonders großen Städten auch mit Versprechungen bzw. Leistungen entgegen.48 Rom war sich der besonderen Bedeutung dieser Städte für die eigene Strategie voll bewusst. So dürften die Germanen die Belagerung nur widerwillig und notgedrungen aufgegeben haben. Kurze Zeit nach dieser fatalen Entscheidung hatte sich das Kräfteverhältnis so weit verschoben, dass Marius die offene Feldschlacht wagen konnte und die Teutonen in der Nähe von Aquae Sextiae vernichtend schlug. Den Kimbern jedoch fiel durch Losentscheid der beschwerliche Weg über die Zentralalpen zu. Wie jüngst gezeigt wurde, dürften sie wahrscheinlich über den Brennerpass nach Bozen gelangt und von dort durch das untere Etschtal weiter nach Norditalien vorgedrungen sein.49 Die Aussage Plutarchs, die Kimbern hätten die Alpen διὰ Νωρικῶν passiert, widerspricht dem keineswegs, denn die Grenze zwischen Noricum und Raetien verlief entlang des Eisacks, durch dessen Tal die Kimbern wahrscheinlich gezogen sind, nachdem sie einmal den Brennerpass passiert hatten.50 Wie in der Narbonensis waren die Römer auch hier auf die Ankunft der Germanen vorbereitet, wobei die Einheiten vom zweiten Konsul 44 45 46

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übersahen. Denn sechs Tage lang, heißt es, zogen die Germanen ohne Unterbruch an Marius’ Befestigungen vorüber.« Vgl. Flor. 1,38,6. Plut., Marius 18,1 (ed. R. Flacelière, Paris 1971, 116): … ἔγνωσαν εἰς τοὔμπροσθεν χωρεῖν ὡς ὑπερβαλοῦντες ἀδεῶς τὰς Ἄλπεις. Übers. Anm. 28. Franz Miltner (wie Anm. 14), 294 fiel das denkwürdige Verhalten der Römer auf; er glaubte die Erklärung hierfür mit »militärischen Auseinandersetzungen größeren Umfangs« bei Massilia erklären zu müssen. Dio 27, fr. 90. Strab. 4,1,8: »… danach übergab er den Kanal den Massalioten als Kampfpreis für ihre Teilnahme am Krieg gegen die Ambronen und Tougener …«. Vgl. Miltner (wie Anm. 14), 293f. Heinrichs (wie Anm. 12), 277–299. Vgl. die inhaltlich belanglose Kritik von H.-E. Joachim, Die Datierung der jüngerlatènezeitlichen Siedlungen von Niederzier-Hambach im Kreis Düren, in: BJb 207, 2007, 33–74, hier: 42 Anm. 56. Die geonomastischen Überlegungen von Fritz Vonficht (Die früheren Namen von Etsch, Eisack und Isar, in: Der Schlern 53, 1979, 88–102) sprechen dafür, dass die Germanen den Weg über den Brenner- und nicht den gleichfalls denkbaren Weg über den Reschenpass wählten. Dazu zuletzt B. Steidl, Zum Grenzverlauf zwischen Noricum, Raetien und der Regio X im Eisacktal, in: Bayerische Vorgeschichtsblätter 76, 2011, 158–176.

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des Jahres 102 – Q. Lutatius Catulus – befehligt wurden. Aus den Periochae und einer Angabe bei Plutarch wird ersichtlich, dass der Konsul zunächst mehrere Pässe in den Alpen hatte besetzen lassen.51 Diese Aussagen blieben meist unbeachtet, da häufig a priori davon ausgegangen wurde, dass die Römer die Pässe des Alpenhauptkamms noch nicht erreicht haben konnten.52 Gegen diese prinzipielle Annahme sei lediglich an die Militäraktionen Roms gegen die Stoeni und Carni wenige Jahre zuvor erinnert, als das römische Heer weit in das Innere der östlichen Alpen vorgedrungen sein muss.53 Anzuführen ist in diesem Kontext auch die Behauptung Plutarchs, Sulla habe unter dem Oberbefehl des Catulus weite Teile des Alpenraums unter römische Kontrolle gebracht.54 Dies muss im Jahr 102 geschehen sein.55 Soviel ist jedenfalls zu erkennen, dass der Radius der militärischen Aktionen Roms durchaus bis zum Alpenhauptkamm gereicht haben kann und wahrscheinlich auch hat. Insofern müssen m.E. die Aussagen Plutarchs und Livius’ durchaus ernst genommen werden. Da Catulus mehrere Übergänge besetzen ließ, ist davon auszugehen, dass im Gegensatz zur Situation in Südfrankreich nicht bekannt war, welchen Weg/Pass die Germanen wählen würden.56 Diese Beobachtung wirft ein Schlaglicht auf das ansonsten weitgehend unbekannte Verhältnis zwischen Rom und den lokalen Stämmen in den Alpen.57 Es kann vorausgesetzt werden, dass die Bewohner der Alpen jederzeit über die Schritte beider Kriegsparteien genauestens informiert waren.58 Wenn sie nun den Römern solche Informationen vorenthielten, so war dies gewiss kein Zufall oder gar ein Kavaliersdelikt, sondern muss vielmehr als veritables Indiz einer ›vergifteten‹ Beziehung gedeutet werden.59 Zwar sind 51

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Plut., Marius 23,2 (ed. R. Flacelière, Paris 1971, 122): ὁ γὰρ δὴ Κάτλος ἀντικαθήμενος τοῖς Κίμβροις, τὰς μὲν ὑπερβολὰς τῶν Ἄλπεων ἀπέγνω φυλάσσειν, μὴ κατὰ πολλὰ τὴν δύναμιν μέρη διαιρεῖν ἀναγκαζόμενος ἀσθενὴς γένοιτο, καταβὰς δ᾿εὐθὺς εἰς τὴν Ἰταλίαν, καὶ τὸν Ἀτισῶνα ποταμὸν λαβὼν πρὸ αὐτοῦ καὶ φραξάμενος πρὸς τὰς διαβάσεις ἑκατέρωθεν ἰσχυροῖς χαρακώμασιν, ἔζευξε τὸν πόρον, ὡς ἐπιβοηθεῖν εἴη τοῖς πέραν, εἰ πρὸς τὰ φρούρια βιάζοιντο διὰ τῶν στενῶν οἱ βάρβαροι; Liv. per. 68. Beispielsweise F. Sartori, Verona Romana, Verona 1960, 172–175; Koestermann (wie Anm. 31), 327; Loose (wie Anm. 11), 247–249; R. G. Lewis, Catulus and the Cimbri 102 B.C., in: Hermes 102, 1974, 90–109. Leider schweigen die literarischen Quellen hierzu weitgehend, sodass sich nichts mit Exaktheit sagen lässt. Liv. per. 62; Oros. 5,14,5; Fasti Triumphales zum Jahr 115: de Galleis Karneis; zum Jahr 117: de Liguribus Stoeneis. Siehe A. Degrassi, Fasti Capitolini, Turin 1954, 106. Allgemein A. Albertini, Tridentini Raeticum Oppidum, in: Atti della Accademia Roveretana degli Agiati 228, 1978, 43–79, bes. 51; R. Heuberger, Rätien im Altertum I., Innsbruck 1932, 117, 307; dagegen E. Meyer, Stoeni, in: RE 14, 1974, 747. Plut. Sulla 4,3. Heuberger (wie Anm. 53), 51. Richard Heuberger (Der Eintritt des mittleren Alpenraumes in Erdkunde und Geschichte, in: F. Huter [Hg.], Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Tirols, Bozen 1947, 69–118, hier 85) nimmt an, die Römer hätten spätestens im Sommer Kenntnis vom Anmarschweg der Kimbern gehabt. Dagegen überzeugend Loose (wie Anm. 11), 243f. Allgemein dazu Haider (wie Anm. 42), 140f. Dazu die Überlegungen bei Walser (wie Anm. 21), 10–12; D. van Berchem, Les Alpes sous la domination romaine, in: P. Guichonnet (Hg.), Histoire et civilisations des Alpes, Toulouse/Lausanne 1980, 95–130. Dagegen postulieren ein Abkommen oder gar ein foedus mit wenig überzeugenden Argumenten: Albertini (wie Anm. 53), 59–61; V. Chioccetti, Tridentini splendidum Municipium et colonia

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unmittelbare Auseinandersetzungen zwischen Rom und den Gebirglern nicht überliefert, vielleicht kann aber ein Zerstörungshorizont, der parallel an mehreren Stellen im Alpenraum beobachtet wurde und – grob gesprochen – in die Zeit um die Jahre 100–90 datiert, als Zeugnis einer späteren Vergeltungsmaßnahme Roms interpretiert werden.60 Auch die zeitnahe Eroberung (etwa im Jahr 90) von Tridentum und die Unterwerfung der Tridentini passt in dieses Modell.61 Auf der Suche nach Erklärungen für ein Bündnis zwischen Alpländern und Germanen stößt man zunächst auf den helvetischen Teilstamm der Tiguriner, der nur wenige Jahre zuvor aus der Alpenregion kommend, sich den Germanen angeschlossen hatte.62 In dieser Situation hätten die Tiguriner als Vermittler und Dolmetscher dienen können. Denkbar sind aber auch manifeste wirtschaftliche Argumente.63 Wie Gerold Walser betont hat, war die wichtigste Einnahmequelle der Alpländer der ›Transitverkehr‹.64 In diesem Sinne konnte der Zug der Germanen für die lokalen Stämme ein lukratives Geschäft darstellen, wenngleich mit kaum kalkulierbaren Risiken. Möglicherweise lassen sich die von Johannes Heinrichs beobachteten, auffälligen Goldfunde entlang der hier präferierten Route der Germanen als Reminiszenz eines Kontraktes zwischen Kimbern und Alpländer begreifen.65 Wie etwaige Abkommen im Einzelnen ausgesehen haben, wird wohl nicht mehr mit absoluter Sicherheit in Erfahrung zu bringen sein. Das Verhältnis zwischen indigener Bevölkerung und den Römern war jedenfalls gestört. Catulus zog jedoch, noch vor dem ersten Kontakt mit dem Feind, seine Truppen von den Pässen wieder ab und irgendwo an der Etsch zusammen.66 Schon den antiken Historiographen schien dieses Verhalten erklärungsbedürftig. Plutarch suchte es seinen Lesern (und wohl auch sich selbst) dadurch zu erklären, der General habe seine Kräfte an der Etsch konzentrieren wollen.67 Dieser Erklärungsansatz ist wenig überzeugend. Wenn Catulus 59 60

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Papiria, in: Atti della Accademia Roveretana degli Agiati 229, 1979, 17–48, hier: 17–21. Dagegen aber schon Haider (wie Anm. 42), 142. Die Zerstörungen wurden meist auf die Kimbern zurückgeführt. O. Menghin, Zur Historisierung der Urgeschichte Tirols, in: Tiroler Heimat 25, 1961, 10–21; R. Lunz, Venosten und Räter, Calliano 1981, 33–35; Haider (wie Anm. 42), 137–142. Bereits Theodor Mommsen (Edict des Kaiser Claudius, in: Gesammelte Schriften, Berlin 1906, Bd. 4.1, 291–311, bes. 302–305) ist die bemerkenswert frühe Unterwerfung der Tridentini aufgefallen. Strab. 7,2,2 (FGrH 87 F 31,2); Tac. Germ. 28,2; vgl. Ptol. 2,11,6. Allgemein zu den Helvetiern und ihrer Lokalisierung F. Stähelin, Die Schweiz in römischer Zeit, Basel 31948, 27–30, 54; F. G. Maier, Kelten und Helvetier in der Schweiz, in: A. Gunter, F. Müller (Hg.), Gold der Helvetier. Keltische Kostbarkeiten aus der Schweiz (Katalog), Zürich 1993, 23–25; zuletzt F. Müller u.a. (Hg.), Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum frühen Mittelalter, Basel 1999, Bd. 4, 31–34. Vgl. dagegen G. Dobesch, Die Kimbern in den Ostalpen und die Schlacht bei Noreia, in: Mitteilungen der österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Ur- und Frühgeschichte 32, 1982, 51–72, bes. 63–68. Vgl. etwa Pol. 3,48,11 (Hannibal engagierte gegen Bezahlung lokale Führer); Strab. 4,6,7 (Brutus musste selbst i.J. 43 für sein gesamtes Heer den Salassern ein Passiergeld von einem Denar pro Mann entrichten). Allgemein G. Walser, Via per Alpes Graias, Stuttgart 1986, 14f. U.a. Walser (wie Anm. 21), 10–14; ders. (wie Anm. 63), 14; van Berchem (wie Anm. 40), 201–204. Heinrichs (wie Anm. 12), 277–299. Flor. 1,38,12; Plut., Marius 23,2–7. Plut., Marius 23,2 (zit. in Anm. 51).

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seine Einheiten lediglich an der Etsch hätte konzentrieren wollen, wäre er gewiss nicht erst bis in die Berge vorgerückt. An die Etsch zurückgekehrt ließ Catulus, ähnlich wie Marius in Südfrankreich, Befestigungen mit einer Brücke errichten. Dennoch gelang es den Germanen offenbar problemlos, die Römer aus ihren Verschanzungen zu vertreiben.68 Dieser überraschende Erfolg fällt besonders vor dem Hintergrund der vergeblichen Bemühungen vor Valentia auf. M.E. gibt es hierfür nur eine Erklärung: Die Römer wurden überrascht, wobei sich die Frage stellt, wie das passieren konnte, hatten sie doch den Gegner erwartet. Der wahre Grund für dieses Missgeschick ist aus den literarischen Quellen nicht zu erfahren. Zum einen hängen die überlieferten Werke von Autoren ab, die entweder selbst an der Niederlage beteiligt waren, oder doch zumindest dem Lager der Optimaten angehörten. Von ihnen kann man nicht erwarten, etwaige militärische Fehler zu erfahren. Zum anderen schweigt die populare Tradition (Florus, Orosius), oder ist nicht erhalten (Livius), weshalb die Antwort auf diese Frage erschlossen werden muss.69 Hierzu muss zunächst der Ort des Geschehens lokalisiert werden. Das denkwürdige Gefecht wurde bis dato recht unterschiedlich verortet.70 Unlängst glaubte Robert G. Lewis aufgrund der Variationen in den verschiedenen Beschreibungen, es hätte gar mehrere Schlachten gegeben, wobei seine suggestiven Überlegungen nicht überzeugen können. Lewis geht meist von den äußerst knappen antiken Beschreibungen aus, die er dann in der modernen Kulturlandschaft wiederzuerkennen versucht. Das größte Problem dabei ist, dass sich die Kulturlandschaft von heute kaum mit jener von vor über 21 Jahrhunderten vergleichen lässt. Zudem entfernt er sich häufig allzu weit von den Aussagen der Quellen, weshalb seine Ergebnisse zum Teil einen höchst spekulativen Charakter annehmen.71 Betrachtet man dagegen allein die Äußerungen zu der Schlacht, so kann kaum ein Zweifel bestehen, dass lediglich eine Schlacht stattgefunden hat.72 Die Variationen in den Beschreibungen lassen sich mit der jeweiligen politischen Position der Primärquellen erklären. Während nämlich die eine Seite bemüht war, die Leistung des Catulus mithin zu heroisie68

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Val. Max. 5,8,4 (ed. J. Briscoe, Stuttgart/Leipzig 1998, 360f.): M. vero Scaurus, lumen ac decus patriae, cum apud Athesim flumen impetu Cimbrorum Romani equites pulsi deserto consule Catulo urbem pavidi repeterent, consternationis eorum participi filio suo misit qui diceret libentius se in acie eius interfecti ossibus occursurum quam ipsum tam deformis fugae reum visurum …; Plut., Marius 23,2 (zit. in Anm. 51). Vgl. Frontin. strat. 1,5,3. Wir werden weiter unten noch sehen, weshalb auch die Autoren, die von Marius oder Livius abhängen – allen voran Florus –, dieses Missgeschick nicht ausführlich wiedergeben. Vgl. auch die Abb. Z.B. Mommsen (wie Anm. 14), Bd. 2, 185 (»unterhalb von Trient am linken Ufer der Etsch«); F. Münzer, Lutatius (Nr. 7), in: RE 13.2, 1927, 2073–2082, bes. 2075 (Plateau von Rivoli bei Verona); Schmidt (wie Anm. 21), Bd. 1, 15 und Sadée, (wie Anm. 7), 75–82 (in der Nähe von Verona); Miltner (wie Anm. 14), 289–307, bes. 300 (Veroneser Klause); R. Heuberger, Das erste Erscheinen der Germanen in den Alpen, in: Südost-Forschungen 14, 1955, 1–9 (in der Nähe von Trient); Loose (wie Anm. 11), 251f. (in der Nähe der Mündung der Etsch); J. Herrmann, Griechische und lateinische Quellen zur Frühgeschichte Mitteleuropas, München 1988, Bd. 1, 607f.; Haider (wie Anm. 42), 141 (»am Südfuß der Lessinischen Berge«); Timpe (wie Anm. 2), 59f. (ohne sich festzulegen). Vgl. Lewis (wie Anm. 52), 90–109. Ampelius 19,10; Eutr. 5,2,1f; Frontin. strat. 1,5,3; 4,1,13; Liv. per. 68; Plin. nat. 22,11; Plut., Marius 23,2–7; Val. Max. 5,8,5. Vgl. Flor. 1,38,12f.; Oros. 5,16,3; Vir.ill. 67; 72; 75.

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ren, bezeichnete ihn die andere Seite schlichtweg als Feigling und Urheber der Katastrophe, was geradezu zwingend zu leichten Variationen der Darstellung der Schlacht führen musste.73 Obwohl die Schlacht von mehreren antiken Autoren beschrieben wurde, bieten nur drei jeweils eine konkrete Ortsangabe. 1. Ampelius schreibt in seinem Lehrbuch: »Lucius Opimius tötete unter dem Consul Lutatius Catulus am Tridentinischen Hügel einen Kimbern, der ihn herausgefordert hatte.«74 Zwar dürfte es sich bei dieser Anekdote um ein konstruiertes Exemplum handeln, dessen Wahrheitsgehalt kaum abschätzbar ist, die topographische Angabe wird von Ampelius jedoch wenig später in einem anderen Kontext wiederholt.75 Auch nimmt die Ortsangabe – in saltu Tridentino – keinen Einfluss auf die Lehre der zweifelhaften Anekdote, sodass wohl davon ausgegangen werden kann, dass er die Angabe unverändert von einem Gewährsmann – also wohl M. Aemilius Scaurus – übernommen hat.76 2. Frontin schreibt in den Strategemata: »Weil der Sohn des Marcus Scaurus am Tridentinischen Pass vor den Feinden von seinem Posten gewichen war, verbot ihm der Vater, vor seine Augen zu treten.«77 Frontin dürfte ebenfalls vom Bericht des M. Aemilius Scaurus abhängen. Die wörtliche Übereinstimmung mit Ampelius bezüglich der Ortsbezeichnung macht eine gemeinsame Quelle jedenfalls recht wahrscheinlich. 3. Florus schreibt: »Als die Teutonen völlig vernichtet waren, wandte man sich gegen die Kimbern. Diese waren bereits – wer würde das glauben? – im Winter, der die Alpen noch höher werden lässt, über die Tridentinischen Hügel nach Italien eingeströmt und (wie) eine Lawine herabgestürzt.«78 Florus nennt den Ortsnamen nicht explizit im Zusammenhang mit der Schlacht an der Etsch. Überhaupt ist nicht so recht ersichtlich, weshalb er die Hügel erwähnt. Denn kommt man von Norden entlang der Etsch, so stellen diese Hügel keine sonderlich markante geographische Formation dar. Auch befand man sich danach durchaus noch nicht in der Gallia cisalpina.79 73

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Die Ursache für die Niederlage wird von folgenden Quellen beim subalternen Personal lokalisiert: Frontin. strat. 4,1,13 (ed. G. Bendz, Berlin 31987, 168); Ampelius 19,10; Val. Max. 5,8,5. Das Verdienst des Catulus wird von folgenden Quellen hervorgehoben: Eutr. 5,2,1 (ed. F. L. Müller, Stuttgart 1995, 74); Frontin. strat. 1,5,3 (ed. G. Bendz, Berlin 31987, 34); Plut., Marius 23,3–5 (ed. K. Ziegler, Stuttgart u.a. 21971, Bd. 3.1, 230f.). Das Verdienst subalternen Personals wird von folgenden Quellen betont: Plin. nat. 22,6 (ed. C. Mayhoff, Leipzig 1933, Bd. 4, 137); Liv. per. 68. Vgl. Vir.ill. 67; 72; 75; Flor. 1,38,12f. Vgl. auch die Abb. Ampelius 22,4 (ed. M.-P. Arnaud-Lindet, Paris 1993, 35): Lucius Opimius, sub L(u)tatio Catulo consule, in saltu Tridentino provocatorem Cimbrum interfecit. Ampelius 45,2. Vgl. dazu die Abb. Frontin. strat. 4,1,13. Übers. nach G. Bendz, Frontin Kriegslisten, Berlin 31987, 169. Vgl. Ampelius 19,10. Zum Verhältnis von Florus zu Ampelius siehe L. Braun, Florus, Ampelius und der Liber de viris illustris, in: WJA NF 31, 2007, 169–179, bes. 173. Flor. 1,38,11 (ed. P. Jal, Paris 1967, 88): Hi iam – quis crederet? – per hiemem, quae altius Alpes levat, Tridentinis iugis in Italiam provoluti (per) ruina descenderant. Man hat diesen Passus m.E. zu Unrecht versucht, als verderbt abzutun. Der Satz ist in jeder Hinsicht korrekt und in seiner Aussage zweifelfrei verständlich. Vgl. aber Welwei (wie Anm. 9), Bd. 1, 214 Anm. 34. Dagegen richtig P. Jal, Paris, 1967, 88, 143. Die Lokalisierung der Tridentini im heutigen Trientner Becken wird bestätigt von Plin. nat. 1,20,3– 23,2 (3,121–130); ILS 86. Dazu W. Cartellieri, Die römischen Alpenstraßen, in: Philologus

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Trotzdem ist nicht davon auszugehen, dass er die toponyme Angabe einfach erfunden hat. Wie lassen sich diese Beobachtungen erklären? Die inhaltliche Kürzung dürfte dem Zweck des Werkes geschuldet sein, denn Florus wollte schließlich nicht den Kimbernkrieg schildern, sondern anhand von dessen kurzer Skizze die militärische Tugend von einst exemplifizieren. Dabei steht er in popularer Tradition, welche die Niederlage des Optimaten Catulus keinesfalls beschönigt haben dürfte. Folglich konnte Florus die gewiss wenig schmeichelhafte Schilderung der Schlacht bei den Tridentinischen Hügeln nicht unverändert übernehmen. Offenbar hat er das Gefecht gänzlich ausgespart, die topographische Angabe jedoch ohne Bezug übernommen. Die weitgehend verlorenen Primärquellen beider Lager scheinen hinsichtlich der Lokalisierung der Schlacht an der Etsch einer Meinung gewesen zu sein, weshalb den toponymen Angaben m.E. höchste Glaubwürdigkeit zukommt.80 Nun stellt sich die Frage, welche geographische Formation konkret mit saltui respektive iugo/is Tridentini gemeint ist. Da saltus und iugum offenbar als Synonyme zu begreifen sind, die semantische Schnittmenge der Begriffe jedoch die Bedeutungen von ›Wald‹, ›Hügel‹ aber auch ›Joch‹, ›Pass‹ umfasst, gilt es zunächst festzustellen, was bezeichnet werden soll. Der Verweis auf einen Pass kann insofern ausgeschlossen werden, als es auf dem gesamten Stammesgebiet der Tridentini keinen Sattel gab, den die Kimbern auf ihrem Weg in den Süden (sinnvollerweise) hätten überqueren können.81 Iugum oder saltus im Sinn von ›Wald‹ scheint für die Lokalisierung einer Schlacht zu unpräzise, sodass sehr wahrscheinlich auf einen (oder mehrere) Hügel verwiesen wird.82 Für die geographische Verortung des Ethnonyms Tridentinus bieten sich zwei Verständnismöglichkeiten an. Zunächst kann der Begriff das Stammesgebiet der Tridentini respektive die abgeleitete geographische Region (etwa im Sinn von: alpes Tridentinae) bezeichnen. Sodann könnte das Ethnonym auch speziell auf die Zentralsiedlung des Stammes – also: Tridentum/Trient – verweisen. Zwei Argumente sprechen m.E. für diese zweite Deutung. Zunächst einmal deutet die Formulierung des Florus an, dass die Hügel bei der Siedlung gemeint sind, da das Ethnonym in Gestalt eines Adjektivs lediglich dazu dient, Hügel näher zu bestimmen. Hätte Florus die Hügel des gesamten Stammesgebietes bezeichnen wollen, so hätte er bestimmt von den Tridentini iuga geschrieben. Sodann dürften die Ortsbezeichnungen in den erhaltenen Quellen höchstwahrscheinlich letztinstanzlich auf den Bericht des Marius und/oder die autobiographische Skizze des Catulus zurückgehen (vgl. Abb.). Für beide Militärs darf wohl vorausgesetzt werden, dass sie sich hinsichtlich geographischer Beschreibungen einer hohen Präzision befleißigten. Die Lokalisierung einer Schlacht durch den Verweis auf ein mehrere hundert Quadratkilometer umfassendes Territorium, wie es das Stammesgebiet der Tridentini darstellte, kann insofern mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen wer79

Suppl. 18.1, 1926, 1–186, hier: 49; H. Philipp, Tridentum, in: RE 7.1, 1939, 102–104. Karte: TIR L 32, Mediolanum, 1966, 134; R. J. A. Talbert, Barrington Atlas of the Greek and Roman World, Princeton 2000, 39. 80 Dagegen aber Loose (wie Anm. 11), 247f.; Haider (wie Anm. 42), 141. 81 Vgl. Talbert (wie Anm. 79), 39. 82 Haider (wie Anm. 42), 141 glaubt, dass mit den Begriffen die gesamten(!) südlichen Voralpen bezeichnet werden.

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den. Das Gefecht an der Etsch dürfte also wohl auf einem (oder mehreren) Hügel(n) in der Nähe des Hauptortes der Tridentini zu lokalisieren sein.83 Als Kuriosum – denn mehr ist es nicht – sei auf die Val di Cembra hingewiesen, die wenige Kilometer nördlich von Trient in östliche Richtung abzweigt.84 Es gilt in der Toponomastik als ausgemacht, dass der Name des Tals auf ein gewisses castrum Cimbra zurückgeht, dessen früheste Erwähnung sich bei Paulus Diaconus findet.85 Aufgrund der großen zeitlichen Distanz ist eine direkte Verbindung zwischen dieser Erwähnung und den hier untersuchten Ereignissen nicht ohne weiteres möglich.86 Es ist aber doch auffallend, dass die archäologischen Funde in Cembra (erste Ortschaft des gleichnamigen Tals) entweder aus frühester römischer Besiedlung (etwa um 100 v.Chr.) oder aus der Spätantike stammen.87 Insofern ist, um es mit der angebrachten Vorsicht auszudrücken, ein Zusammenhang zwischen dem Toponym und dem Zug der Kimbern nicht ausgeschlossen. Letzten Endes ist die zweifelsfreie Bestimmung des Ortes der Schlacht und des Römerlagers einzig durch archäologische Funde möglich, die bisher fehlen. Allgemein ist unschwer zu erkennen, dass die gesamte Region hervorragende Plätze zur Anlage eines Sperrriegels bot. Eine Antwort auf die Frage, weshalb es den Kimbern gelang, die Römer zu überraschen, ist hieraus nicht zu gewinnen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wann die Schlacht bei Trient stattgefunden hat. Bisher wurde diese Frage unterschiedlich beantwortet.88 Die Quellen bieten gleich mehrere chronologische Anhaltspunkte. Wenige Tage nach der siegreichen Schlacht bei Aquae Sextiae habe Marius durch einen Boten die Nachricht von der Niederlage bei Trient erhalten.89 Da ein Bote, der gewiss den schnellsten Weg kannte, die Strecke in relativ kurzer Zeit bewältigt haben dürfte, ist davon auszugehen, dass die beiden Schlachten cum grano salis zeitgleich stattgefunden haben. Wenige Tage vor dieser schlechten Nachricht hatte Marius einen Boten aus Rom empfangen, der ihm seine Designation zum Konsul für das folgende Jahr eröffnete.90 Folglich – so wurde argumentiert – mussten die Centuriatskomitien in Rom bereits abgeschlossen worden sein, womit ein terminus post quem vorliege.91 83

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Bereits im Lauf des 1. Jh. ist der Name Tridentum für den (Haupt-) Ort der Tridentini an der Stelle des heutigen Trient nachgewiesen. Vgl. Heuberger (wie Anm. 53), v.a. 54; ders., 1947 (wie Anm. 56), 83–85. Haider (wie Anm. 42), 220, 236; V. Bierbauer, Castra und Höhensiedlungen in Südtirol, im Trentino und in Friaul, in: ders., H. Steuer (Hg.), Höhensiedlungen zwischen Antike und Mittelalter von den Ardennen bis zur Adria, Berlin/New York 2008, 643–715, bes. 652f., 655f., 674– 685, Karte auf S. 650, Abb. 1. Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 3,31. Keine Rolle für den Ursprung des Flurnamens spielen die Zimbern. So aber noch K. Hofmann, Die germanische Besiedlung Nordbadens, Heidelberg 1937, 7–11. Dagegen richtig, wenn auch polemisch Schmidt (wie Anm. 21), Bd. 1, 9, 14f. Bierbauer (wie Anm. 84), 652f., 674–685. Für den Sommer 102 sprechen sich aus: M. Ihm, Cimbri, in: RE 3.2, 1909, 2549; Mommsen (wie Anm. 14), Bd. 2, 184. Für den Herbst 102 sprechen sich aus: Schmidt (wie Anm. 21), Bd. 1, 14. Für den Winter 102/1 sprechen sich aus: R. Heuberger, Zur Geschichte der römischen Brennerstraße, in: Klio 27, 1934, 311–336, hier: 311; Sadée (wie Anm. 7), 75. Für das Frühjahr 102 spricht sich aus: C. Jullian, Histoire de la Gaule, Paris 1926, Bd. 3, 88f. Plut., Marius 23,1–4. Plut., Marius 22,3–5. Vgl. Oros. 5,16. Beispielsweise Jullian (wie Anm. 88), 88f.; Schmidt (wie Anm. 21), Bd. 1, 12–17.

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Allerdings war für die Komitien noch kein bestimmter Termin festgelegt, weshalb sie je nach politischer oder militärischer Lage früher oder später stattfinden konnten.92 Eine chronologische Gewissheit ist folglich aus dieser Angabe nicht zu erzielen. Doch Florus nennt ja die Jahreszeit (Paraphrase): »Die Kimbern waren aber – wer kann es glauben? – bereits im Winter nach Italien gelangt.«93 Aus dem Passus ist ersichtlich, dass Florus lediglich seine Quelle wiedergibt, ohne sein eigenes Erstaunen, ja seine Ungläubigkeit (quis crederet) ob der Jahreszeit zu verhehlen. Neben dieser expliziten Äußerung zur Jahreszeit berichten Plutarch und Orosius im Zusammenhang mit der Alpenüberquerung durch die Kimbern von Schnee und Kälte.94 Zugleich wird berichtet, dass die Teutonen vor der Schlacht bei Aquae Sextiae in warmen Quellen gebadet hätten. Die Äußerungen der antiken Autoren verorten die Geschehen widerspruchslos in der kalten Jahreszeit, sodass die Kimbern in der Tat erst bei Wintereinbruch (allerdings auch nicht viel später, denn im hohen Winter ist eine Passage der Pässe kaum vorstellbar) auf die römischen Einheiten bei Trient gestoßen sein dürften. Vor diesem Hintergrund beantworten sich nun beide offenen Fragen wie von selbst. Es liegt auf der Hand, weshalb Catulus die Stellungen auf den Passhöhen aufgegeben und sich ins Tiefland zurückgezogen hatte. Hinter diesem Verhalten stecken nicht, wie Plutarch vermutet hatte, strategische Überlegungen. Vielmehr wurden die Einheiten schlicht in das Winterlager zurückgezogen. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, weshalb die Römer von den Kimbern überrascht werden konnten: Sie rechneten aufgrund der vorgerückten Jahreszeit nicht mehr mit der Möglichkeit, dass die Germanen noch eine Überquerung der Alpen wagen würden. Die Wahl Trients als Platz für ein Winterlager war also durchaus durchdacht, denn im folgenden Frühjahr hätten die Pässe schnell wieder besetzt werden können, während die Legionen im Winter von der Gallia cisalpina aus einfach zu versorgen waren. Die Aussagen der Optimaten und Popularen stimmen darin überein, dass die römischen Einheiten bei Trient zwar geschlagen wurden, sich jedoch einigermaßen geordnet zurückzuziehen vermochten.95 Widersprüche ergeben sich lediglich – wie kaum anders zu erwarten – hinsichtlich der Frage, wem die Rettung der geschlagenen Einheiten zuzuschreiben sei. Die Optimaten führen diesen Teilerfolg auf das besonnene, ja heldenhafte Verhalten des Catulus zurück und suchen die Schuld an der Misere bei Individuen (Stichwort: M. Aemilius Scaurus).96 Die popularen Darstellungen betonen dagegen die Leistung der gesamten Legion und namentlich eines primus pilus und kontrastieren diese mit der Feigheit des Kommandanten Catulus.97 Wem nun tatsächlich die Rettung der Legionen zu verdanken ist, lässt sich heute kaum mehr entscheiden. Jedenfalls konnten die Germanen in der Folge der Schlacht bei Trient das Gebiet nördlich des Pos okkupieren, ohne auf weiteren 92

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U. Hackl, Zur Chronologie der römischen Konsulwahlen 149 v.Chr., in: Hermes 107, 1979, 123– 126 (November; gelegentlich aber auch früher); L. J. Grieve, The Reform of the comitia centuriata, in: Historia 34, 1985, 278–309; dagegen J. Bleicken, Die Verfassung der römischen Republik, Paderborn 1982, 130f. (fester Termin im Juli). Flor. 1,38,11 (zit. in Anm. 78). Oros. 5,16,14; Plut., Marius 23,3. Beispielsweise Frontin. strat. 1,5,3; Plut., Marius 23,5–7. Und die Verweise in den Anm. 72f. Frontin. strat. 1,5,3; Plut., Marius 23,2–5; Val. Max. 5,8,4. Plin. nat. 22,6.

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Widerstand zu treffen.98 Entgegen der weit verbreiteten Meinung dürften sie aber nicht auf direktem Weg nach Vercellae (unabhängig davon, wo man den Ort der Schlacht lokalisiert) gezogen sein.99 In der Tat berichtet Florus, der sich für unser Anliegen hinsichtlich präziser Ortsangaben als zuverlässige Quelle herausgestellt hat, sie hätten »in Venetia« überwintert.100 Cassius Dio und Orosius bestätigen einen längeren Aufenthalt der Germanen in Norditalien.101 Man hat diese Angaben aufgrund ihres ›topischen Charakters‹ bisher kaum ernst genommen.102 Aber was genau ist an der Aussage topisch? Ohne jeden Zweifel sind die Ausschmückungen, wonach das kultivierte und luxuriöse Leben, das reichliche Essen und der unverdünnte Wein die Kampfkraft der Barbaren schwächten, literarische Gemeinbilder.103 Doch sieht man von diesen klar umrissenen Klischees ab, sind die Angaben m.E. ernst zu nehmen. Denn weshalb hätte Florus die Ortsangabe erdichten sollen? Ein besonderes Interesse seinerseits ist für mich jedenfalls nicht zu erkennen. Natürlich darf der Verweis auf die zehnte augusteische Region Venetia et Histria nicht sensu stricto verstanden werden; doch im Großen und Ganzen dürfte das Gebiet dieser Region gemeint sein. Folglich ist anzunehmen, dass die Kimbern den Winter und das Frühjahr der Jahre 102–101 im Nordosten Italiens zugebracht haben.104 Plutarch berichtet weiter, die Kimbern hätten auf die Teutonen gewartet, von denen sie sich bei Valentia entgegen rein militärischer und vor allem aufgrund versorgungstechnischer Gründe getrennt hatten.105 Dies bedeutet, dass die vereinten Stämme vor ihrer Trennung ein Zeitfenster sowie eine bestimmte Region auf italischem Boden für ihre Wiedervereinigung vereinbart hatten.106 Dabei dürfte es den Germanen nicht darum gegangen sein, »Italien mittels eines Zangenmanövers einzunehmen« (vgl. Anm. 31), sondern vielmehr darum, die großen Menschenmassen über die Alpen zu bringen. Dass die Stämme in der Lage waren, solche komplexe, weiträumige Bewegungen zu organisieren, hatten sie bereits bewiesen. Und so warteten die Kimbern bis zum Beginn des Sommers im Nordosten Italiens, dann brachen sie unvermittelt auf und marschierten gegen Westen.107 Plutarch erklärt das Verhalten plausibel dadurch, dass sie den Teutonen entgegen marschieren wollten, wahrscheinlich da sich diese verspäteten.108 Die Tiguriner seien bei dieser Gelegenheit in den Norischen Bergen – also direkt nördlich der Region Venetia – zurückgeblieben: »Die dritte Abteilung, die der Tiguriner, die gewissermaßen als Reserve die Norischen Berge be98 99 100

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Flor. 1,38,13; Oros. 5,16,14. Ähnlich Timpe (wie Anm. 2), 60. Flor. 1,38,13 (ed. P. Jal, Paris 1967, 88): Et si statim infesto agmine urbem petissent, grande discrimen; sed in Venetia, quo fere tractu Italia mollissima est, ipsa soli caelique clementia robur elanguit. Vgl. Lewis (wie Anm. 52), 92. Cass. Dio 27, fr. 94,2; Oros. 5,16,14. Beispielsweise Loose (wie Anm. 11), 247f. Dagegen aber Sadée (wie Anm. 7), 75; Koestermann (wie Anm. 31), 328. Siehe Plin. nat. 3,22f.; und die Karte in: A.-M. Wittke, E. Olshausen, R. Szydlak u.a. Historischer Atlas der antiken Welt, Stuttgart 2007 (DNP Suppl. 3), 175. Vgl. dazu Heinrichs (wie Anm. 12), 294–296. Plut., Marius 24,4: »Sie mieden aber den Kampf unter dem Vorwand, dass sie die Teutonen erwarteten und sich über deren Säumen wunderten …«; vgl. ebd. 24,5. Vgl. Loose (wie Anm. 11), 241 (zeitliche Vereinbarung). Timpe (wie Anm. 2), 60: »… offensichtlich sind die Kimbern nicht südwärts, sondern westwärts gezogen …«. Plut., Marius 24,4–7.

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setzt hatte, entkam in unrühmlicher Flucht …«.109 Eine Inschrift auf dem Magdalensberg in der Nähe Klagenfurts aus dem Jahr 10/9 n.Chr. bestätigt die Präsenz von Tigurinern im Noricum und kann möglicherweise als ein spätes Zeugnis dieser »unrühmlichen Flucht« gesehen werden.110 Aus welchen Gründen die Tiguriner in den Norischen Bergen zurückblieben, lässt sich nur vermuten, da die Erklärung des Florus (Reserve?) kaum überzeugen kann.111 Aus dem Verhalten könnte man am ehesten den Schluss ziehen, dass die Germanen die Region Venetia permanent zu besetzen suchten.112 Tatsächlich wird ja auch wiederholt von Gesandtschaften der Germanen an den römischen Senat und deren Feldherren berichtet, die um Landzuweisungen gebeten hätten.113 Auch in dieser Situation hätten sie Plutarch zufolge erneut Land gefordert (διαγωνίσασθαι περὶ τῆς χώρας).114 Die Ernsthaftigkeit dieser Anfragen wird m.E. durch die weitere Geschichte der späteren Atuatuker untermauert. Wahrscheinlich unter dem Eindruck des furor der Germanen wurden die Belege für diese Bemühungen um Siedlungsraum jedoch meist nicht ernst genommen.115 Welche plündernde und brandschatzende Horde sucht schon Siedlungsraum? Begreift man jedoch die bizarre Wanderung der Germanen ihrem Grunde nach (zumindest auch) als Suche nach Siedlungsland, dann trägt die Hauptschuld an ihrem Scheitern vor allem der hartnäckige und unversöhnliche Widerstand der Römer, oder besser gesagt der römischen Elite. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die römische Aristokratie, die einerseits die militärischen Niederlagen gegen die Germanen zu verantworten hatte, andererseits jedoch ein Monopol auf die Darstellung der Ereignisse besaß, die militärische Schlagkraft der Stämme übermäßig betonte und Gegenteiliges möglicherweise verschwieg.116 Die erneute Aufteilung der Stämme hatte ihre militärische Schlagkraft jedenfalls so sehr geschwächt, dass sie am 31. Juli des Jahres 101 die alles entscheidende Schlacht auf den Campi Raudii nordöstlich des heutigen Vercelli gegen die römischen Legionen verloren, womit eines der interessantesten Phänomene der Antike ein abruptes Ende fand.117 Fassen wir kurz die Ergebnisse zusammen. Vor dem Hintergrund jüngster Erkenntnisse hinsichtlich des Routenverlaufs sowie der Lokalisierung der Schlacht auf den Campi Raudii wurden die literarischen Quellen einer erneuten Prüfung unterzogen, wobei sich eine in sich schlüssige und mit dem vermuteten Routenverlauf in Einklang stehende Abfolge der 109

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Flor. 1,38,18 (ed. P. Jal, Paris 1967, 89): Tertia Tigurinorum manus, quae quasi in subsidio Noricos insederat Alpium tumulos, in diversa lapsi fuga ignobili et latrocinis evanuit. Vgl. Caes. Gall. 1,12,4f. Vielleicht lässt sich so der bei Flor. 1,38,6 und Oros. 5,16,9 überlieferte »dritte Zug« erklären. J. Šašel, Huldigung norischer Stämme am Magdalensberg in Kärnten – ein Klärungsversuch, in: Historia 16, 1967, 70–74; F. Müller u.a. (Hg.), Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum frühen Mittelalter, Basel 1999, Bd. 4, 32. Flor. 1,38,18. Dagegen Dobesch (wie Anm. 3), 219 Anm. 128 (akzeptiert diese Erklärung). Ähnlich Timpe (wie Anm. 2), 60. Flor. 1,38,1–3; Granius Licinianus 33,8; Liv. per. 65; Plut., Marius 24,4. Plut., Marius 25,4. Z.B. Dobesch (wie Anm. 3), 217: »Dabei ging es ihnen … weder um Eroberung noch um Landsuche …«. Dagegen Timpe (wie Anm. 2), 60: »Mit allem Vorbehalt darf man vermuten, daß sie wünschten, dableiben zu können …«. Vgl. Timpe (wie Anm. 2), 31: »Diese romazentristische Betrachtung weithin doch rätselhafter Vorgänge verdeckt andere Möglichkeiten, sie zu verstehen …«. Ebd. 45f. Die beste Rekonstruktion der Schlacht bietet K. Völkl, Zum taktischen Verlauf der Schlacht bei Vercellae, in: RhM 97, 1953, 83–88. Zur Lokalisierung der Schlacht Heinrichs (wie Anm. 12), 277–299.

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Ereignisse ergab.118 Die Stämme der Germanen trafen demnach wohl mit vereinten Kräften bei Valentia auf die römischen Einheiten. Aufgrund der ausgeklügelten Strategie des Marius mussten sich die Stämme unverrichteter Dinge in zwei Züge aufteilen. Unabhängig voneinander lieferten sie den Römern nahezu zeitgleich jeweils eine Schlacht. Während die Kimbern und Tiguriner bei Trient siegreich blieben, wurden die Teutonen und Ambronen von Marius vernichtend geschlagen. Den restlichen Winter verbrachten die Kimbern im Norden Italiens, wo sie sich mit den Teutonen wieder vereinen wollten. Als diese sich verspäteten, zogen sie ihnen aber auch ihrem eigenen Untergang entgegen. Vorausgesetzt man akzeptiert diese Rekonstruktion der Ereignisse und hält sie zudem für tragfähig, so lassen sich hiervon weiterführende Überlegungen ableiten. Das Verhalten der Tiguriner in den Norischen Bergen oder der Atuatuker am Niederrhein zeigt m.E. deutlich, dass die germanischen Stämme zumindest auch Siedlungsraum suchten, der ihnen vor allem von der römischen Elite wiederholt verweigert wurde. Dies mag zum Teil im Widerspruch zu den Quellen stehen, welche die germanischen Stämme als geradezu unbesiegbare, wütende, plündernde und brandschatzende Horden darstellen. Doch dürfte für diesen Widerspruch vor allem die senatorische Geschichtsschreibung verantwortlich sein, die das Versagen des eigenen ›Standes‹ zu verschleiern trachtete. Tatsächlich ist festzustellen, dass die Germanen gegen jegliche Art von Feinden unterlegen waren: Boier, Skordisker, Iberer und schließlich auch Belger vermochten die Germanen jeweils abzuweisen.119 Einzig die römischen Legionen hatten eine denkwürdig schlechte Statistik gegen die ›unbesiegbaren‹ germanischen Stämme vorzuweisen. Der ›Mythos‹ von der Unbesiegbarkeit der Germanen schlägt jedoch auf die moderne Literatur durch,120 was vor allem den Einfluss senatorischer Geschichtsschreiber belegt. Die ›Unbesiegbarkeit‹ der Germanen wie auch die Furcht vor einer Attacke auf Rom deckt vielmehr ungelöste soziale und politische Probleme der späten Republik auf, die in letzter Konsequenz keine Alternative (Landzuweisung) zur ultimativen Konfrontation erlaubten.121 Nicht die Germanen suchten kompromisslos Rom zu vernichten. Im Gegenteil: die römische Elite verhinderte, dass die Barbaren jemals zur Ruhe kommen konnten. Die sozialen, politischen und militärischen Umbrüche, die Rom in dieser Zeit in Atem hielten, ließen augenscheinlich keinen Platz für ein friedliches Abkommen mit den germanischen Stämmen. Und so scheint letztlich das tragische Ende der denkwürdigen Wanderung von Kimbern und Teutonen vor allem einer Art furor Romanus geschuldet zu sein. Peter Kritzinger Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Altertumswissenschaften Fürstengraben 1, D-07743 Jena [email protected]

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Heinrichs (wie Anm. 12), 277–299; oben Anm. 11. Strab. 7,2,2 (Boier); vgl. dazu Koestermann (wie Anm. 31), 314f. Liv. per. 67; Plut., Marius 14,1 (Hispanier); vgl. dazu Timpe (wie Anm. 2), 43f. Caes. Gall. 2,4,2. Dazu Heinrichs (wie Anm. 12), 277–281. 120 Siehe z.B. Dobesch (wie Anm. 3), 217. 121 Ähnlich Timpe (wie Anm. 2), 58f.

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Stemma

Peter Kritzinger

Ivan A. Ladynin

An Egyptian Priestly Corporation at Iran A Possible Case of ›Forced Mobility‹ on the Eve of the Macedonian Conquest

The source in focus of the present paper has been discussed not once by the Egyptologists specialized in the early Macedonian time;1 but it is scarcely known to those studying the eve and the start of Hellenism from the Classicist viewpoint,2 though it must be of interest to them as well. This is the so-called Stela of Naples taking its name after its present place of keeping at the National Archaeological Museum of Naples, no. 1035.3 This object was discovered at the temple of Isis at Pompeii during its classical excavations in 1765; it is a rectangular slab, 105cm in its height and 44cm in its width. Perhaps, initially part of a monumental statue,4 at its top, there is a frieze of 14 figures in fact forming an enigmatic inscription, which ciphers the name and the epithets of the god Herishef of Heracleopolis;5 below this frieze, there go 20 horizontal right-oriented lines of the main text of the stela. The text on the stela belongs to the typically Egyptian genre of posthumous autobiography: it describes the life of the Heracleopolitan dignitary Somtutefnakht and, as it can be seen from its contents, allows dating the object to the early Macedonian time.6 Probably, the object originates from the temple of the god Herishef at Heracleopolis, from where it must have been brought to Italy already in the Roman time; at Pompeii it was reused as a decoration of a pilaster in the temple of Isis.7 The ›hero‹ of the Stela of Naples belonged to the local elite of Heracleopolis. His name Somtutefnakht (Zm‫א‬-t‫א‬wy-t‫א‬y.f-nht) translates ›His Might is the ›Unifier of the Two Lands‹‹, its component ›Somtus‹ (Zm‫א‬-t‫א‬wy ›Unifier of the Two Lands‹) being an epithet of a number of gods, among them the Heracleopolitan god Herishef.8 In the 1st millennium 1 2 3 4 5 6

7 8

Tresson 1930; Känel 1984, 120–125; Perdu 1985; Rößler-Köhler 1991, 282–284 (no. 86a); Burkard 1994, 39f.; Menu 1995, 84–86; Gorre 2009, 210–215. Cf., e.g., relevant pages in: Huß 2001, 52–54. Collezione … 1989, 142ff. (no. 15); Pirelli 1998; Verhoeven 2005. The reason to think so were the hieroglyphs at its lateral surfaces, now disappeared but signaled by its early students: Tresson 1930, 370f. Urk. II 1.13; Perdu 1985, 96f. The late 4th or, less likely, the early 3rd century B.C.; see the standard hieroglyphic transcription: Urk. II 1–6; the translations and commentaries: Tresson 1930, 382–384; Roeder 1959, 214–219; Lichtheim 1980, 41–44; Perdu 1985. PM VII 418; Tresson 1930, 369; Malaise 1972, 274. Leitz 2002, 313 (13).

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B.C., this name was frequent with the residents of Heracleopolis:9 in the mid-7th century B.C., a bearer of this name was the local ruler of Heracleopolis with the peculiar title of a ›shipmaster‹, who helped to the founder of Dynasty XXVI Psammetichus I on his way to power.10 P. Kaplony suspected that this local ruler could be the ancestor of the person spotlighted in the Stela of Naples;11 this possibility can neither be denied nor proved with good certainty. Anyway, if it is true, this family of the Heracleopolitan rulers certainly lost its real political authority under Dynasty XXVI (656–525 B.C.) and the First Persian Domination (525–404 B.C.) and became an ordinary elite family preserving some hereditary titles. As for the hero of the Stela of Naples, his origin and status are specified at the start of its text (ll. 1–3=Urk. II 2.3–10): … Prince and ruler (r-p‫ א‬t h‫ א‬ty- ), treasurer of the king of Lower Egypt, ›the unique friend‹ (of the king), prophet (hm-ntr) of Horus, lord of Hebenu, prophet of the gods of the nome of Antelope, prophet of (the god) Somtus at (lit. ›of‹) Iat-Hehu, ›mouth of god‹, the ›one above the riverside‹, overseer of the wab-priests of (the goddess) Sekhmet in the land to its boundaries, Somtutefnakht, son of the ›lord of grain‹, prophet of Amon-Re, lord of Per-Shat Djedsomtuiuefankh, born (lit. ›made‹) by the mistress of the house Ankhet …

Judging from this sequence of titles, the priestly functions connected with the cults of Middle Egypt12 were the most important for the career of Somtutefnakht and, maybe, his closest ancestors. Non-priestly titles enumerated here are either traditional and hereditary (the title of ›prince and ruler‹) or connected with his position at royal court (the title of ›the unique friend‹; cf. the indications of the text on Somtutefnakht’s proximity to the court of the last Egyptian dynasty; see below). In other words, Somtutefnakht, unlike his possible ancestors – ›shipmasters‹ of the mid-1st millennium B.C., was certainly not an independent ruler of his province. The religious motive, namely the feeling of the unceasing personal connection to the Heracleopolitan god Herishef, is symptomatic not only for the career of Somtutefnakht but also for his destiny in a wider meaning of the word. The text of the Stela is opened with a prayer to Herishef (ll. 3–6=Urk. II 2.15–3.9), whose name, like in the enigmatic inscription in the upper frieze, is followed by royal epithets (ll. 3f.=Urk. II 2.15: nsw t‫א‬wy hq‫ א‬ỉdbw ›the king of Two Lands, the ruler of the Riversides‹) and inscribed with the figure of the seated ram-headed deity with solar disc over its head.13 According to the text, the assistance of Herishef gave to his servant intimacy with one of the last native Egyptian kings of Dynasty XXX, probably with Nectanebo II.14 However, the conquest of Egypt by Artaxerxes III 9 10 11 12

Mokhtar 1983, 209. Kitchen 1986, 402–404. Kaplony 1971, 258. Of Heracleopolis itself, Iat-Hehu being a locality in its neighbourhood: Perdu 1985, 97, comm. ›f‹; but also of the ›Antelope‹, i.e. XVIIth Upper Egyptian, nome that included Hebenu: Perdu 1985, 97, comm. ›f‹. 13 Thus, the solar aspect of the deity and, perhaps, its identity with the sun-god Re is implied: Perdu 1985, 99f., comm. ›b‹. 14 »You (i.e. Herishef) enlarged my frequent walking to the house of the king, (so that) the heart of the good god was pleased at my saying«; l. 6=Urk. II 3.11–13: wsh.n.k nmt n pr-nsw ỉb n ntr nfr hr hr dd.ỉ; the denotations used here are sure to be applied not to a god but to a terrestrial ruler and in this case it can be only the legitimate sacral king of Egypt under whom the career of Somtutefnakht started.

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in 343 B.C. not only put his career at the Egyptian court to the end but brought him somehow outside Egypt; at the same time, the care of Herishef for Somtutefnakht did not stop and let him gain the favour of the Persian king and, as we are going to see, survive in the collapse of the Achaemenian empire. After that Herishef appeared before Somtutefnakht in his dream to call him to return under his protection to Heracleopolis; and the nobleman really made a long journey home without misfortunes. As we see from the text of the Stela, in its concept the ›authority‹ of Herishef by far outmarches his vicinity; in fact, he seems to be presented as a supreme ruler of not only Egypt but the entire world, and this certainly explains the aspect of solar god given to him in the text. The present paper will concentrate on the period of Somtutefnakht’s biography that falls on the Second Persian Domination in Egypt (343–332 B.C.). Let us consider the relevant fragment of the text in its full extend (ll. 8–11=Urk. II 3.14–4.6): tn.n.k wỉ hnt hh m ỉr.n.k s‫ א‬.k r B‫ א‬qt dỉ.k mrt.ỉ m ỉb n hq‫ א‬n Stt smrw.f dw‫ א‬n.ỉ ntr ỉr.n.f n.ỉ ỉ‫ א‬t ỉmy-r w b(w) Shmt m st sn n mwt.ỉ ỉmy-r w b(w) Shmt Šm w Mhw Nht-hnb mk.n.k wỉ m h‫ א‬n h‫ א‬wnbw(t) dr hsf.n.k Stt sm‫ א‬.zn hh m-gswy.ỉ n f‫ א‬.f r.ỉ … You distinguished me before the multitude in your making your back towards Egypt. You gave the love of me in the heart of the ruler of Asia, (and) his courtiers praised for me god. He made for me the rank of overseer of the wab-priests of (the goddess) Sekhmet in the place of the brother of my mother the overseer of the wab-priests of Sekhmet of the South and the North Nakhtheneb. You protected me in the combat of Hau-nebu after you overthrew Asia: they killed multitude (lit. ›million‹) at my both sides (but) his hand did not arise against me.

Strictly speaking, the fragment quoted does not specify that these events took place outside Egypt; however, this is perfectly clear from the subsequent story (ll. 12f.=Urk. II 4.11f.) about the return of Somtutefnakht to Egypt through ›foreign lands‹ (h‫א‬swt) and by the sea.15 Undoubtedly, the term Stt/Stt (appearing in the Stela of Naples in its second form), which can serve the widest description of the Asian lands,16 is in the present context, like in other sources of the 1st Millennium B.C., a political rather than geographical denotation of the Near Eastern interregional state, i.e., from the late 6th to the mid-4th centuries B.C., the Persian empire;17 the ›combat of Hau-nebu‹18 after the god Herishef »overthrew Asia« must be an episode of the final war of the Achaemenids with Alexander the Great (see below). As for the ›ruler of Asia‹ (hq‫ א‬n Stt) mentioned in the present fragment of the Stela, the fact that Somtutefnakht returned to Egypt after the advent of Alexander to Asia makes us believe that Darius III probably knew him; however, we do not know the exact time of the priest’s departure from Egypt, so the denotation ›ruler of Asia‹ in the text might actually be 15

›The Great Greenery‹ – w‫ א‬d-wr, the term denoting the global sea and its parts, in the present case evidently the Eastern Mediterranean: Helck 1980. 16 Wb. IV 348.3: »alte Bezeichnung der Länder n.ö. von Ägypten; ›Asien‹«. 17 Ladynin 2011, 325–332. 18 In Ptolemaic time, h‫ א‬w-nbw(t) is the standard denotation for the Greeks: Vercoutter 1949, 178ff.; Daumas 1952, 187f.; Perdu 1985, 107, n. ›o‹. Cf. the view of Cl. Vandersleyen that the term h‫ א‬w-nbw(t) denotes in all cases the lands of the Levant and in the present fragment localizes there the events described: Vandersleyen 1971, 148; however, in the phrase »they killed multitude (lit. ›million‹) at my both sides« (sm‫ א‬.zn hh m-gswy.ỉ) the pronoun .zn is coordinated with h‫ א‬w-nbw(t) (Perdu 1985, 108, n. ›s‹) and applied to the exterminators of the Persian troops and/or the entourage of the Persian king (i.e. definitely the Macedonians and the Greeks) irrelevantly of where this extermination took place.

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a generalization applicable to all the three last Achaemenids holding Egypt: Artaxerxes III, Arses and Darius III. To sum up, the words about the favour of the ›king of Asia‹ and his courtiers to Somtutefnakht are to be understood as the evidence of his stay at the actual Persian court, probably at Iran. Many students of the Stela of Naples took it for evident what caused the favour of the Persian king and his courtiers to Somtutefnakht: the priests of Sekhmet were skilled physicians,19 and there are plenty of cases that foreigners, among them Egyptians, were renowned at the Persian court for their medical skills.20 Thus, probably it was Somtutefnakht’s competence of a physician that allowed him to get established at the Persian court prominently.21 Another well-established view is on the reasons that brought Somtutefnakht to Asia: still an earlier student of the text, P. Tresson, paid a special attention to the ›combat of Hau-nebu‹, in which Herishef saved the Egyptian nobleman. Tresson took very literally the words of the text about the extermination of the ›multitude‹ (hh, i.e. lit. ›million‹) in that combat and, having in mind the real figures of the Persian and the GraecoMacedonian contingents in the war with Alexander, decided that Somtutefnakht must have taken part in the battle of Gaugamela.22 Some other scholars thought it possible that these words might allude to the battle of Issos, in which the Egyptian contingents took part under the command of the satrap Sabaces;23 but this does not much change the point that the participation of Somtutefnakht in the war must have been voluntary. If such was the case, this Egyptian of a rather high rank showed an unsavoury character of a collaborator with the conquerors of his home country.24 As mentioned by W. Huß, the matrix which would coin that view is the famous case of Udjahorresnet, the contemporary of Cambyses who, as we know from his autobiography, welcomed the Persian king in Egypt, in due course went to Iran and returned to Egypt under Darius I.25 Incidentally, the view that Somtutefnakht (or at least the form given to his autobiography) was by far not loyal to the Persian king was expressed by A. B. Lloyd:26 this scholar pointed out that the Stela of Naples forbade to the Persian king any legitimate status in Egypt (hence his designation merely as a ›ruler of Asia‹) and that the compiler of the text »gloat(ed) unashamedly« over the crash of the Persians at Issos or at Gaugamela. The latter mood can hardly be read out of the respective lines of the text; however, the alleged collaborationism of Somtutefnakht is really not quite compatible with the ideological concept of the Stela. Indeed, Somtutefnakht, unlike the famous collaborator of Darius I Udjahorresnet, did not grant to the Persian king the status of a legitimate King of Upper and Lower Egypt; but theoretically, this might be explained by the fact that the text has been composed already under the Macedonian rule, when loyalty to the former Persian rulers of Egypt was 19 20 21 22 23

Känel 1984. Burkard 1994. Tresson 1930, 389f.; Burkard 1994, 39f.; Menu 1995, 85, n. 10. Probably, also as a physician: Tresson 1930, 390f. Arr. an. 2.11.8; Diod. 17.34.5; Curt. 3.11.10; 4.1.28; Schäfer 1897, 97; see also the view that the text alludes to one of these two major battles: Perdu 1985, 108, comm. ›t‹; Burkard 1994, 40. 24 Huß 1997, 139: »Daß er als Udjahorresnet als ›Erzkollaborateur‹ zu bezeichnen ist, daran besteht kaum ein Zweifel«. 25 Posener 1936, 1–26; Lloyd 1982; Huß 1997, 135f. 26 Lloyd 1982, 178f.

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probably unwelcome. However, the text of the Stela does not recognize as a Pharaoh either terrestrial ruler since the fall of Dynasty XXX – the alluded time of the ›king‹ and the ›good god‹, who also favoured Somtutefnakht;27 instead, the text emphatically transfers the sacral royal status on the god Herishef,28 which means that Somtutefnakht did not make much difference between the Persian and the Macedonian masters of Egypt and thought them equally illegitimate and incapable of Pharaonic ritual activities. This overt position of the Stela’s owner makes it unlikely for him to have been a collaborator of either of these foreigners at a degree of any true enthusiasm. Anyway, the problem of Somtutefnakht’s collaborationism should positively not be decided only from the statement of the Stela on his alleged participation in the war with Alexander: even if such participation is certain (which it actually is not), one cannot prove it was voluntary and not forced. Much more illuminating observations can be made on the statement about the Persian king’s granting to Somtutefnakht the highest rank in his priestly corporation. It seems strange that this statement remains by now unappreciated, though it is remarkable for two reasons. First, the attitude of the last Achaemenids towards the religious life of Egypt can be called anything except loyal. The invasion of Artaxerxes III in 343 B.C. was followed by the plunder of the temple wealth and the confiscation of cult effigies, which were brought away to Asia;29 in due course, the Persians must have established a firm control over the incomes of the Egyptian temples30 but showed no interest towards their cult activities, which is seen from the stoppage of the temple building under their rule.31 Symptomatically, not only the natives of Egypt rejected for the last Achaemenids the legitimate status of ritual kings but also these rulers themselves were probably unwilling to claim it: there are no Egyptian monuments registering titles that would be especially compiled for them to that effect (like the titles of Darius I compiled by Udjahorresnet). This shows the appointment of Somtutefnakht to his priestly rank of the ›overseer of the wab-priests of (the goddess) Sekhmet‹ (l. 9=Urk. II 4.1: ỉr.n.f n.ỉ ỉ‫א‬t ỉmy-r w b Shmt) by one of the last Achaemenids to be a totally unique intervention on their part in the Egyptian religious life. Second, it is most unusual that this intervention took place when Somtutefnakht stayed, as it comes from the text, at the Persian royal court. The only alternative to this would be to suppose that he was granted this rank still in Egypt, perhaps by Artaxerxes III immediately after its re-conquest, and left the country only after that. However, the text is quite explicit that Somtutefnakht had spent some time at the Persian court still before his inauguration; and it was probably the court at one of the major royal residences at Iran or at Babylonia and not the military camp that would be with Artaxerxes III at Egypt (otherwise the text would certainly mention in this context not the ›friends‹ of the Persian king but rather his army). That the appointment of Somtutefnakht took place outside Egypt is likely also because its mention in the text is immediately followed by the account of the war with Alexander, which certainly developed in Asia. Finally, the title granted to Somtutefnakht by the Persian king shows an important detail: while his uncle and predecessor at that position 27 28 29 30 31

See note 14 above. Rößler-Köhler 1991, 282f.; cf. Otto 1954, 117. Ladynin 2005, 108f. Ladynin 2005, 105–108. Arnold 1999, 137.

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was styled ›overseer of the wab-priests of Sekhmet of the South and the North‹ (i.e. of Upper and Lower Egypt; ll. 9f.=Urk. II 4.2: m st sn n mwt.ỉ ỉmy-r w b(w) Shmt Šm Mhw Nhthnb), his own designation in the previous passage omits the mention of ›the South and the North‹ (i.e. both parts of Egypt). This detail is easily explained by assuming that a mention of Egypt in this title would have been an unwelcome contrast to the abnormal character of its investiture – outside Egypt and by a non-Egyptian ruler. Yet the form of this title in the protocol of Somtutefnakht at the start of the inscription reads »overseer of the wab-priests of (the goddess) Sekhmet in the land to its boundaries« (l. 2=Urk. II 2.8: ỉmy-r w b(w) Shmt m t‫( א‬r) dr.f); it was assumed to denote the priestly authority of Somtutefnakht not merely over Egypt but over the entire world.32 This interpretation is somewhat elaborate though it is not impossible, especially if the appointment of Somtutefnakht was intended to make him the head of the priests of Sekhmet wherever they happened to dwell within the Achaemenian empire, i.e. really in the greater part of the world known to the Egyptians. At the same time, the regular meaning of the expression ›in the land to its boundaries‹ is indeed ›throughout Egypt‹; so the form of the title containing it might have been accepted by Somtutefnakht upon his return to Egypt, as a necessary modification of his initial designation abroad.33 The appointment of Somtutefnakht to this position, though performed outside Egypt, hardly was a merely prestigious or ceremonial act. Had one of the last Achaemenids in view just to exalt an Egyptian of his entourage, he would probably grant to him not an Egyptian priestly title, worthless from the Persian viewpoint, but a rank of his courtier; if appropriate to be mentioned in the Stela, this rank would have easily been converted into the Egyptian term of a king’s ›friend‹, which is applied to Persian courtiers anyway. Besides, Somtutefnakht was granted this title as a successor of another Egyptian priest, who was symptomatically his relation. The hereditary transition of statuses including priestly ranks was a common practice in Egypt, especially in the Late Period. One comes naturally to suppose that the uncle of Somtutefnakht became the ›overseer of the wab-priests of Sekhmet‹ still in Egypt; then he, like his nephew, went abroad retaining at the same time his rank; and eventually, due to his death or senility,34 this rank was passed over to Somtutefnakht. However, to be sanctioned in any seriousness by the Persian king, this rank had to presume some real func32

Känel 1984, 249: »›directeur des prêtres-ouâb de Sekhmet dans toute la terre‹, à savoir l’οἰκουμένη =la totalité du monde civilisé …« 33 One might notice that the titles of Alexander, son of Alexander the Great and Roxane, as the formal king of Egypt (in 317–305/4 B.C.) contained the so-called ›golden name‹ hq‫ א‬m(/n) t‫ א‬r dr.f (›the ruler in/of the land to its boundaries‹; Blöbaum 2006, 426); this name is somewhat ambivalent as to denoting the authority of the ruler over the lands outside Egypt (it might be implied, shall the word t‫› – א‬land‹ – be understood as the denotation of the entire terrestrial world, though it might as well mean merely ›Egypt‹: cf. Wb. V 212.6, 215). Perhaps, the same ambiguity is to be found in this form of Somtutefnakht’s title (anyway, the owner of the Stela of Naples was probably still alive during the reign of the son of Roxane). 34 One have to consider here the possibilities that the Persian king replaced the predecessor of Somtutefnakht in order to influence somehow the situation within this priestly corporation or due to this priest’s hostility to the Persians that made him a victim to their repressions. Both possibilities seem to be out of question: the priests of Sekhmet were certainly not a group that bothered or interested the Persian king enough to manipulate the situation inside it; and had the uncle of Somtutefnakht been repressed by the Persians, it would be to say the least questionable to replace him with his own nephew. On the contrary, his death or excessively old age are possible, as he belonged to

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tions of its bearer. It remains to propose that both of these priests, Somtutefnakht and his uncle before him, were in conformity with their titles really in charge of their corporation which was carried outside Egypt in its whole body in some circumstances of the Second Persian Domination. One can hardly imagine the motives, on which the members of this corporation would choose to leave Egypt voluntarily. Thus, one should consider here the idea of Ph. Derchain that the prominent Egyptians could be deported from their homeland by the Persians; this idea, though hardly true when expressed about Udjahorresnet,35 might really explain the case of Somtutefnakht and his fellow priests. It is common knowledge that the population of lands subdued by the Near Eastern empires of the 1st millennium B.C., since the Neo-Assyrian time, was frequently deported; and this practice was exercised by the Achaemenids as well.36 The Suida vocabulary states that parts of Egyptian population was deported under Artaxerxes III;37 and the hieroglyphic text on the statue of the elder son of Nectanebo II tells that he stayed for some time outside Egypt, under the authority of the ruler of ›foreigners‹, who payed to him favour, like it was done for Somtutefnakht.38 In the case of this royal offspring it would again be rather strange to suspect that his stay abroad was voluntary; on the opposite, it is natural to suppose that he was deported by the Persians as a possible leader of the party hostile to them.39 Nevertheless, we still have to decide what could be a motive for the suspected deportation of the priesthood of Sekhmet. To decide this point, one should consider the role that the priesthood of Sekhmet played in the interaction between Egypt and its deities. Sekhmet was a fierce deity that personified the pernicious force of epidemic diseases; with this force, she would inflict destruction on humans but at the same time, due to her nature, she was indispensable when contacting to this force in order repulse epidemics and merely to cure diseases. The contact with this 34 35 36 37 38 39

the generation of Somtutefnakht’s parents, Somtutefnakht himself being by the time in question certainly not a youngster. Derchain 1966, 150; cf. Huß 1997, 125, n. 27. Briant 1996, 521–523, 980f. Suida, s.v. ἄσατο; Schwartz 1949, 71. »When I was among the foreigners she (the goddess Isis of Behbeit el-Hagar) forwarded my place in the heart of their ruler«; Clère 1951, 148: wn.ỉ ỉmỉtw h‫ א‬st(y)w shnt.s st.ỉ m ỉb n hq‫ א‬.zn. According to the first publisher of the statuette of this prince J.-J. Clère, both he and Somtutefnakht »furent au nombre des Égyptiens qui, éxerçant déjà une function importante sous le règne de Nectanabô, furent – malgré eux ou comme ›collaborateurs‹ – emmenés aux Perses« (Clère 1951, 153; this phrase is really remarkable for its bringing together perfectly different personal circumstances, without telling what the words ›malgré eux‹ and parentheses edging the word ›collaborateurs‹ should, in fact, mean). Later, B. Menu thought it possible that the son of Nectanebo II was a Persian collaborator and the detriment caused to his monument must indicate his damnatio memoriae on behalf of his compatriots in the Sebennytan nome, where his statuette belonged (Menu 1995, 86f.); this interpretation seems to be quite optional. In fact, one should not forget such a telltale indicator of the anti-Persian and, eventually, pro-Macedonian feeling of the Sebennytan party, to which the family of Nectanebo II belonged, as the plot of the Romance of Alexander about the birth of Alexander the Great of Nectanebo escaped to Macedonia under the menace of foreign assault on his country (cf. on the Sebennytan party: Kaplony 1971, 257f.; Spalinger 1978, 143–145, 153). Addendum: Too late to use it in the present publication, we came to an alternative interpretation of this monument, which might allow assuming the stay of Nectanebo’s son at the Macedonian court in Asia under Alexander. This issue is certainly worth a separate publication.

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force was actually the priestly service to Sekhmet; hence the Egyptian physicians, especially having certain specialisms, were the priests of the goddess Sekhmet so as to combine the competence in the medical practices as such and in the ritual ›technologies‹ that allowed dealing with the supernatural force standing behind the diseases, namely appeasing this force with ritual addressed to Sekhmet.40 Thus, the corporation of the wab-priests of Sekhmet mediated Egypt’s contacts to this deity; and its withdrawal from Egypt must have left the country without necessary mediation to that force, let alone with the deficit of the medical care properly spoken. One should recall a number of sources attesting the Persian practice of confiscating the cult objects, especially the divine effigies, from the subordinate peoples that tried to resist the Achaemenid rule (during the Median wars at Greece and the revolts at Babylonia: this practice came back to the common Near Eastern tradition known since at least the 2nd Millennium B.C. and was intended specifically to deprive the repressed peoples of the mediators in contact to their gods and so to make them helpless).41 As to the possibility of such action at Somtutefnakht’s lifetime, one should pay attention to the statement by Diodorus that a lot of religious texts were seized during the plunder of the Egyptian temples under Artaxerxes III (Diod. 16.51.2). Undoubtedly, Egyptian religious papyri were no material value to the Persians; so their confiscation could be motivated only with the same urge to disrupt the ritual in which they were used; symptomatically, the ›Souls of Re‹ (b‫א‬w R ), i.e. the religious texts, are mentioned in the earliest Hellenistic account about the return of cult objects in Egypt in the Satrap Stela of 311 B.C.42 This practice being attested alongside with the deportations of the Egyptians for the period of the Second Persian Domination makes it plausible that the Persians would have intended to deprive Egypt of not only material but also ›animate‹ mediators to gods, i.e. the priestly corporations that were crucial for the safety of the country, as was the priesthood of Sekhmet. The text of the Stela of Naples does not hint if the Persians appreciated to any extend the use of housing a brigade of the best physicians at Near East; but, anyway, to earn their living abroad, the priests of Sekhmet had to put into use their skill. In this context it is worth looking at the phrase opening the statement about the prominence of Somtutefnakht at the Persian court: »You distinguished me before the multitude in your making your back towards Egypt« (Urk. II 3.14f.: tn.n.k wỉ hnt hh m ỉr.n.k s‫א‬.k r B‫א‬qt). As noticed by J.-J. Clère in his publication of the statuette of the king Nectanebo’s son, the expression ›to make one’s back towards …‹ (ỉrỉ s‫ א‬r), which is used here, is close to the Egyptian idiom ›to give one’s back towards …‹ (rdỉ s‫ א‬r) with the meaning ›to leave‹;43 if so, then this phrase literally means that the protection of god Herishef did not leave Somtutefnakht when the god himself abandoned Egypt. We saw that in the concept of the Stela of Naples Herishef was in a way the supreme deity of Egypt; so his ›departure‹ would have been equal to the secession of the divine beings from Egypt, which, in Egyptian notions, was the natural result of breakdown in the temple ritual.44 This phrase, accordingly, can be understood first of all as a somewhat exaggerated allusion to the disorder in the life of Egypt caused by 40 41 42 43 44

Känel 1984, 235–239, 250–254. See, with references to sources and bibliography: Ladynin 2005, 104f., n. 50. Urk. II 14.10; Winnicki 1994, 170–172. Wb. IV 9.14; Daumas 1952, 243; cf. Perdu 1985, 105, comm. ›g‹. Cf. Assmann 1984, 14f., 266.

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Artaxerxes’ invasion. J.-J. Clère, however, suggested tentatively a more literal interpretation: the departure of Herishef might symbolize specifically the confiscation of the cult effigies abroad, which could have affected the temple of this god at Heracleopolis.45 This idea can hardly be proved; but if nevertheless it is true, the text of the Stela of Naples might be said to put the departure of Somtutefnakht to Asia (most probably, as we have said, with the other priests of Sekhmet) in one line with the abduction of gods’ effigies by the Persians. Let us now return to the possibility that Somtutefnakht took part in the war of the Achaemenid empire against Alexander. To begin with, it is certainly questionable to treat literally the ›figure‹ of the ›million‹ of victims that fell aside Somtutefnakht in the ›combat of Hau-nebu‹: the use of the same word in one of the preceding phrases (»You distinguished me before the multitude (lit. ›million‹) …«) shows definitely that it can be metaphoric and having nothing to do with the real figures of casualties in specific battles. The mention of the ›combat of Hau-nebu‹ not only cannot be exactly identified with any military event but, probably, does not want such identification: it is quite likely to denote the war with the Macedonians and the Greeks taken generally. At the same time, the text of the Stela says clearly that Somtutefnakht needed the ›protection‹ from Herishef specifically at the time when the god had already ultimately ›overthrown‹ Asia,46 i.e. when the defeat of the Persians by Alexander has already been decided. A historian of Alexander knows that the outcome of his struggle with Darius III would not be called that (especially by its contemporaries) till the battle of Gaugamela in 331 B.C.; so the reference of the Stela must probably apply to the time following it. If so, then the utmost danger for Somtutefnakht must have come in the years 331–330 B.C., when Alexander’s troops were occupying Mesopotamia and Iran (this is also suggested by the proximity of Somtutefnakht to the Achaemenian court implying that he and probably the other deported priests must have been resided in the metropolitan region of the Persian Empire). A deported Egyptian would have hardly joined the Persian army at this final phase of struggle on his own will; perhaps, he could be mobilized as a sort of ›army surgeon‹; but it is equally possible that he just remained at the Achaemenian metropolitan region during its occupation by Alexander and risked his life like anyone in such event. If such was the case, there is some ground to suspect that Somtutefnakht met the advent of Alexander at Persis, where, unlike at Babylonia and Susiana, the newcomers were resisted with particular violence and similarly oppressed that resistance.47 Summing up what has been said, one should stress the most important observation which can be made on the text of the Stela of Naples: the existence of the priesthood of Sekhmet outside Egypt as a specific religious community recognized by the Persian king. Here it is appropriate to return to the interpretation of Fr. von Känel, who suggested that the title granted to Somtutefnakht at Asia described his authority as effective throughout the Achaemenian empire. If that was the case, it is possible to find to the position of Somtutefnakht an analogy looking perfectly remarkable: the authority granted by Artaxer45 46

Clère 1951, 152, n. 5. dr hsf.n.k Stt; the combination of the preposition dr with the verbal form of sdm.n.f must definitely denote here the occurrence preceding in time to the action of the main clause: Engsheden 2003, 124–126; Kurth 2008, 959. 47 Nawotka 2010, 252f.

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xes I to Ezra that, according to the Bible tradition, must have exceeded the territory of Palestine and have been spread on the entire Hebrew community of at least the satrapy of EbirNari but perhaps of the entire Achaemenian empire.48 Certainly, that act of an Achaemenian king was made (or thought to have been made) on different motives and in respect of a much wider community, which was not confined to a category of priests but encompassed all the strata of the Hebrew population: however, the principle of its recognition by the Persian king, i.e. granting to this community a religious self rule vested in its leader, looks similar to the situation hinted at by the Stela of Naples. The similarity between the two cases might have gone a bit further, as the priesthood of Sekhmet abroad could form an exterritorial community, though on a much lesser scale than the Jewish diaspora: one can easily imagine that the deported priests might have been not amassed in one Iranian city but distributed all over the Achaemenian metropolitan region retaining contacts between themselves. In fact, settlements of Egyptians with limited self-government are known from the cuneiform evidence in Babylonia of the Persian time, in the 6th and 5th centuries B.C.; but, to our knowledge, they did not have specifically religious flavor.49 We will probably not know if the priests of Sekhmet in Iran were a part of a wider Egyptian dispersion created here on the eve of the Hellenism by the deportations of Artaxerxes or they remained a totally isolated group in the alien surrounding. Ivan A. Ladynin M.V. Lomonosov Moscow State University, Faculty of History, Department of Ancient History Lomonosovskiy prospect 27/4, 119992 Moscow, Russia [email protected]

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Die Basaltgrabstele des Zabedibolos für Gennaios und Zebeis in Edessa/Şanlıurfa

Gegenstand dieser Untersuchung ist eine Basaltstele (Abb. 1a–b), die sich derzeit im Museum in Şanlıurfa, im Garten vor dem im Jahr 1987 eingeweihten Zusatzbau des Museums befindet. Sie ist 1,23m hoch, 64cm breit und 44cm tief.1 Das Material ist ein grobporiger Basalt, der vermutlich aus einem lokalen Vulkansteinbruch stammt. Dargestellt sind zwei Männer bei einem Opfer an einem Altar. Die Stele ist ungefähr in der Mitte horizontal in zwei Teile zerbrochen. Der obere, schon länger bekannte Teil passt bruchgenau an den unteren, später gefundenen und zu einem unbekannten Zeitpunkt ins Museum gebrachten Teil. Während die obere Hälfte des Reliefs stärker der Verwitterung ausgesetzt war, weist die untere Hälfte einen besseren Erhaltungszustand auf, wahrscheinlich weil sie länger geschützt in der Erde lag. Beide Teile der Stele wurden erstmals im Jahr 2007 gemeinsam abgebildet.2 Davor war lange Zeit nur der obere Teil der Stele bekannt. Er wurde von Segal im Jahr 1970 publiziert,3 nachdem dieser sich in den Jahren 1952, 1956, 1959, 1961 und 1966 in Edessa zu Forschungen und Grabungen aufgehalten hatte. Er gibt an, dass die Stele im Museum in Urfa aufbewahrt sei. Nach dem von ihm verwendeten Foto dürfte Segal die Stele nicht in einem Garten, sondern in einem geschlossenen Gebäude dokumentiert haben, in dem sich das Museum damals befand, d.h. entweder in der Atatürk- oder in der Şehit-Nusret-Grundschule. Ein archäologisches Museum bestand zwar seit 1948, doch 1969 wurden die Sammlungen im derzeitigen Museum von Şanlıurfa neu eröffnet. Auch H. J. W. Drijvers, der die Stele 1980 in Cults and beliefs at Edessa besprach,4 kannte nur die obere Hälfte des Reliefs, wie nach ihm K. Parlasca, der sie in seinem Aufsatz Syrische Grabreliefs hellenistischer und römischer Zeit (1982) erwähnt,5 und auch noch J.-B. Yon in Les notables de Palmyre (2002).6 Das Relief dürfte aus Edessa oder aus dem umliegenden 1

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Das Studium und die Dokumentation dieser Stele wurde ermöglicht durch die Genehmigung seitens der türkischen Generaldirektion für Kulturgüter und Museen (Datum: //2001; Nr.: B.16.0. KVM.200.11.02.02.14.01.222.11). Die Dokumentation fand im Jahr 2000 unter dem freundlichen Entgegenkommen des Museums von Şanlıurfa statt, wofür wir uns bei allen Beteiligten bedanken möchten. Dr. Sami Patacı (Universität Ardahan) hat die Fotos 1–3 bearbeitet. Sämtliche Fotos stammen von E. Laflı. AkIn u.a. 2007, 345f., 352 Abb. 4. Segal 1970, 30f. Anm. 5 Taf. 14b. Drijvers 1980, 24 Anm. 28 Taf. 8. Parlasca 1982, 15 mit Anm. 151f. (jedoch ohne Abb). Yon 2002, 135 Anm. 23.

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Gebiet stammen, auf jeden Fall aus der Oshroene,7 deren Kultur hauptsächlich mesopotamisch-aramäisch und in wesentlich geringerem Ausmaß griechisch-römisch geprägt war. Das Interesse der Forscher knüpfte an der zwischen den Köpfen der Dargestellten eingemeißelten griechischen Inschrift an, die Zeugnis für den griechisch-römischen Einfluss auf Edessa ablegt.8 Edessa war ein unabhängiges Kleinkönigtum, Hauptort der Osrhoene und befand sich in einer Pufferzone und Schnittstelle zwischen dem Imperium Romanum einerseits und dem Partherreich andererseits, wo sich verschiedene kulturelle und politische Einflüsse vermischten. Keiner der oben genannten Forscher kannte die Stele in Autopsie, sondern alle folgten Bild und Angaben der Publikation Segals. Zu Edessa und der Osrhoene gibt es mittlerweile zahlreiche historische,9 religionsgeschichtliche10 und linguistischepigraphische Forschungen,11 doch gibt es gerade hinsichlich der Untersuchung der Materialkultur mittels archäologischer Methoden Aufholbedarf.12

Ikonographie und Darstellung Das Material Basalt wird in der Osrhoene für Grabkunst verwendet. Die annähernd rechteckige Bildfläche nimmt einen unregelmäßigen Verlauf und besitzt keinen Rahmen. Die Reliefdarstellungen der beiden in Vorderansicht gezeigten Männer ragen bis zu 10cm aus dem glatten Reliefhintergrund hervor. Der untere Rand des Reliefs wird durch eine Standleiste für die Figuren begrenzt. Die beiden Männer stehen vor bzw. neben einem Altar und der vom Betrachter aus gesehen rechte scheint den obersten Teil des Altares mit der Hand zu berühren oder zu opfern. Sie tragen eine gegürtete, bis zum Knie reichende Tunika mit langen, in Horizontalfalten fallenden Ärmeln, ein Gewand mit Rundfibel, auf dem ein Stern abgebildet ist, sowie Hosen. Während die Hose der linken Figur glatt ist, weist jene der rechten Figur Vertikalfalten auf und wird unten von einem ringförmigen Wulst abgeschlossen. Beide tragen weiche Stiefel, wie sie für die parthische Tracht üblich sind. Die Füße weisen mit den Spitzen schräg nach außen. Die Männer sind mittleren Alters und tragen einen Kinn-, Wangen- und Schnurrbart, der entfernt an die antoninische Frisurenmode erinnern könnte, wenn es sich nicht um ein Darstellungsdetail handelt, das wie die anderen Darstellungsdetails der Stele eine Ikonographie aufweisen, die mit dem nicht unumstrittenen Gesamtbegriff als ›parthisch‹ bezeichnet werden.13 7

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Die in den Museen von Gaziantep und Şanlıurfa aufbewahrten Funde stammen aus den Siedlungen in Zeugma, Epiphania, Doliche, Europus, Anthemusia, Şanlıurfa (Edessa), Birecik (Birtha Makedonopolis), Nizip (Nisibis), Suruç (Serug Batnae), Harran (Carrhae), Viranşehir (Constantia) und Samsat (Samosata). Häufig sind die genauen Fundorte der Objekte nicht bekannt. Drijvers 1977, 889; Sommer 2010, 225f. U.a. Segal 1970; Ross 2001; Luther 2000; Sommer 2003; 2005; 2006; 2010. Siehe u.a. Arbeiten von H. J. W. Drijvers. Zu den syrischen Inschriften: Drijvers, Healey 1999. Die griechischen Inschriften aus Edessa wurden u.a. von E. Sachau, J. E. Renan, V. Chapot, M. von Oppenheim und F. Hiller von Gärtringen, F. Nau, M. Gough, J. Segal sowie S. K. Ross, die Inschriften der Gaziantep-Region u.a. von F. Cumont, J. Wagner, G. Petzl, K. Parlasca und D. Kennedy erforscht. Zu den archäologischen Funden aus Edessa: Sommer 2005, 225 mit Anm. 1. Zu den Mosaiken aus Edessa: Segal 1970; Parlasca 1983; Balty, Briquel-Chatonnet 2000. Zu Skulpturen aus Edessa: Jacobs, Schütte-Maischatz 1999; 2006. Zu den Grabreliefs: Parlasca 1982. Zu den literarisch überlieferten Bauwerken und öffentlichen Gebäuden Edessas: Sommer 2005, 227. Zu Bauwerken in der Osrhoene: Baumeister 2011.

Die Basaltgrabstele des Zabedibolos für Gennaios und Zebeis

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Die Parther entwickelten keine einheitliche Formensprache,14 sondern standen zwischen mesopotamischem, iranischem und griechischem Einfluss, ähnlich wie das Königreich Kommagene am westlichen Euphratufer. Kennzeichnend für die Kleinkönigtümer ist die phasenweise Kooperation mit den Römern. Parthische Kunst gilt als Kunst, die in einer Vielzahl von Zentren geschaffen wurde,15 da das Partherreich ein Koglomerat unterschiedlicher regna war. Am bekanntesten sind die Zentren Dura Europos, Hatra, und die Osrhoene mit Edessa als Hauptstadt. Einerseits sind deutliche überregionale Gemeinsamkeiten zu sehen, andererseits auch viele charakteristische Unterschiede, bedingt durch die große Eigenständigkeit der Städte und Kleinkönigtümer, die sich in der Architektur und Kunst in differenzierten Lokalstilen manifestiert.16 Es gibt aber auch Gemeinsames, und die typischen Formen hatten tiefgreifende Auswirkungen auch auf das nicht-parthische Palmyra.17 Andere betonen den großen Unterschied der regionalen Stilformen und fordern, dass beispielsweise die Skulpturen des Partherreichs unbedingt nach Regionen zu behandeln seien.18 Angemessen wäre es, in Zukunft jeweils beide Perspektiven zu berücksichtigen. Die typische Hosentracht der Parther, die auch von den Männern auf der Basaltstele getragen wird, ist im Grund eine bereits achämenidische iranische Tracht und eine Weiterführung einer Reitertracht aus dem asiatischen Steppengebiet.19 Die wichtigsten Bestandteile20 bilden lange Hose, ein tunika-artiges langärmeliges Gewand oder eine Jacke, darüber ein Mantel, Schuhe oder Stiefel, sowie eine Kopfbedeckung. Die Ausstattung der Männer der Basaltstele weicht jedoch in einiger Hinsicht von diesem ›Normalbild‹ ab. So tragen beide Männer keine Kopfbedeckung. Das lange, tunika-ähnliche Hemd, wird in der Taille durch einen doppelten Gürtel zusammengehalten, der, wie es bei dem Mann rechts trotz der groben Oberflächen noch zu erkennen ist, lange, schön verzierte metallene Schließen aufweist. Dadurch sind die beiden Männer als Soldaten gekennzeichnet.21 Die linke Hand beider Männer umschließt jeweils einen Schwertgriff. Der Balteus des Mannes rechts ist an dessen Flanke in Relief angegeben. Im Partherreich gibt es je nach Ort unterschiedliche Bewaffnungsmöglichkeiten, am häufigsten sind Pfeil und Bogen, aber auch das Tragen von Schwertern ist belegt22 und sollte sogar ein Zeichen parthischer Identität werden.23 Trotz der Grobporigkeit des Materials und der Zerstörungen an einigen Stellen der Oberfläche sind noch zahlreiche gestalterische Details zu erkennen. Auf der Kleidung des Mannes rechts sind im Bereich des Oberkörpers Rautenmuster zu sehen. Bei beiden Männern wird die Tunika auf der rechten Schulter von einer Rundfibel mit Stern zusammengehalten. Um den Hals tragen die Männer ein Schmuckcollier, das bei dem Mann rechts deut13

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Der Vollbart, jedoch eher in Kombination mit abgestuften Haaren, würde auch als lokale Tracht durchgehen: Landskron 2005, 97. Überblick über die Münzbildnisse der Arsakidenkönige mit den abgestuften Haaren bei Curtis 1998, Abb. S. 70. Landskron 2005, 101. Jacobs, Schütte-Maischatz 1999, 438. Vgl. von Gall 1998, 79 mit Anm. 52, 56. Von Gall 1998, 80. Jacobs, Schütte-Maischatz 1999, 359f. mit Anm. 5. Vgl. Landskron 2005, 94f. Curtis 1998, 61; Landskron, 2005, 94–97. Ellenbrock, Winkelmann 2012, 141. Landskron 2005, 98f. Jacobs, Schütte-Maischatz 1999, 442.

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licher zu sehen ist, das aber vermutlich auch bei dem Mann links vorhanden war. Männerschmuck ist bei den Parthern üblich und sehr beliebt. Getragen wurde Goldschmuck, sowie aus mehreren großen Gliedern bestehende Ketten, die wie hier an der Mitte der Vorderseite eine besonders große trapezförmige Schmuckplatte aufweisen, der in der Realität ein in Gold gefasster Edelstein entsprach.24 Ein ähnliches Halscollier ist beispielsweise auch auf der kleinformatigen Bauplastik eines Bogenschützen, ebenfalls in Edessa, zu sehen.25 Vor bzw. zwischen beiden Männern steht ein Weihrauchständer, in einer Form, die typisch für parthische Weihrauchständer ist: über einer dreiseitigen Basis auf Tierfüßchen sitzt ein konisches nach oben hin zulaufendes Element auf, daraufhin folgen zwei runde Gebilde die den Ständer ausmachen und obenauf folgt eine Opferschale. Eine sehr ähnliche Form zeigen der Weihrauchständer auf dem farbigen, ›Opfer des Konon‹ genannten Fresko im Tempel der palmyrenischen Götter von 70 n.Chr.,26 sowie ein derartiges Gerät aus Kalkstein mit syrischer Inschrift (Abb. 2), das im Garten des Museums in Urfa verwahrt wird.27 Dasselbe Gerät ist auch in den szenischen Darstellungen des sogenannten ›Dreifuß‹-Grabmosaiks28 in Edessa dargestellt. Das Objekt am linken Rand der Basaltstele, das eine weit ausladende runde Basis zeigt, auf dem ein pilaster- oder pfeilerartiges Gebilde bis auf Hüfthöhe des Mannes ruht, stellt eine anikonische Grabstele dar.29 Es ist anzunehmen, dass es sich bei der Basaltstele um eine Grabstele mit der Darstellung von zwei gesellschaftlich hochrangigen Persönlichkeiten aus Edessa handelt. Durch den Gebrauch der griechischen Sprache in der Inschrift wird die prorömischer Einstellung der Dargestellten deutlich.

Die griechische Inschrift Auf der Vorderseite des Reliefs befinden sich drei Inschriftengruppen, die zusammen einen einzigen Text ergeben. In Edessa wurden sehr wenige griechische und dann hauptsächlich Grabinschriften gefunden, da die Sprache der Bevölkerung das Aramäische war.30 Der erste Inschriftenteil (A) mit sechs Zeilen befindet sich im verfügbaren freien Raum zwischen den Köpfen der beiden Männer. Der zweite Teil (B) besteht aus nur einer einzigen Zeile, die aus Platzmangel vertikal auf das rechte Objekt geschrieben wurde. Der dritte und letzte Teil (C) erstreckte sich ursprünglich über drei Zeilen und befindet sich auf der Standfläche der Figuren (Abb. 3). Die dritte Zeile ist jedoch so gut wie nicht lesbar, weil sie hier unregelmäßig abzubrechen scheint bzw. für die museale Aufstellung fest mit Beton vermauert wurde.31 Der Buchstabencharakter in den drei Teilen ist sehr ähnlich, so findet sich beispielsweise eine durchgängige Verwendung des runden Sigma. Die obere Hälfte der Ba24 25 26 27 28

29 30

Ellerbrock, Winkelmann 2012, 234–236. Jacobs, Schütte-Maischatz 1999, Taf. 42.3; 2006, Abb. S. 360–362. Ellerbrock, Winkelmann 2012, 211–213; 212 Abb. 41 (nach Cumont 1922/23 [Bd. 2, Atlas] Taf. 32). Bei einem Besuch im Museum von Urfa 2011 war keine Inv.Nr. ersichtlich. Segal 1970, Taf. 3. Segal 1970 nennt es »tripod«, zu weiteren Synonymen: Zaccagnino 1998, 41–52 (Thymiaterion/Escharis und weitere griechische und lateinische Bezeichnungen zu dieser Geräteart). Zu derartigen anikonischen Grabmarkern siehe Fraser 1977, 102 Nr. 95 Abb. 51a aus Thespiai (mit weiterführender Literatur). Drijvers, Healey 1999.

Die Basaltgrabstele des Zabedibolos für Gennaios und Zebeis

359

saltstele wurde bereits von Segal publiziert und bereits seit damals ist die Datumsangabe mit Nennung von Monat und Jahr nach dem makedonischen Kalender, das Jahr 488, umgerechnet 176/7 n.Chr. und der Monat Gorpiaios, August, bekannt. Abschrift A 2 4 6

ΕΤΟΥСΗΠΥMHNOC ΓΟΡΠІΑІ ΟΥΖΑ ΒEΔ IΒΩΛΟ C

B

ΓENNAION

C

[?]A[?]ZΕBΕІΔΑOΚΥΡІΟСТHC [?]IΚΩΝІΑСAΝΕΘHKEΚΑΤΟ [ΝEIPON] - - -

2

Transkription A 2 4 6 B

ἔτους ΗΠΥ μήνος γορπιαῖου Ζαβεδίβωλος Γενναίον

C 2

[κ]α[ὶ] Ζεβείδα ὁ κύριος τὴς [ε]ἰκωνιὰς ἀνέθηκε κατ’ ὄ[νειρoν] - - -

Übersetzung A

Im Jahr 488 im Monat 2 Gorpiaios 3–6 (hat) Zabedibolos

B

(den) Gennaios

C

(und den) Zebeis (er), der Herr, die Bilder aufgestellt gemäß [einer Traumanweisung] - - -

2

31

Der Abschnitt C der Inschrift ist sehr schwer zu lesen und konnte nur unter Vorbehalten transkribiert werden.

360

Ergün Laflı, Eva Christof

Zeilenkommentar A/Z. 1: Die Jahreszahl 488 nach dem syrischen Kalender entspricht dem Jahr 176/7 n.Chr.32 A/Z. 2: Gorpiaios ist der Monatsname des alten makedonischen Kalenders, der in Syrien bis in christliche Zeit verwendet wurde.33 Er entspricht dem Monat August. A/Z. 3–6: Der Personenname Zabedibolos ist in Edessa belegt und in Palmyra weit verbreitet.34 C/Z. 2: Mit der nachgestellte Apposition zu Zabedibolos, ὁ κύριος, ist eine Anrede wie, ›Herr‹, ›Meister‹, ›Mentor‹ gemeint. C/Z. 2: τὴς [ε]ἰκωνιὰς: Diese Form im Akkusativ Plural ist im Griechischen ansonsten nicht belegt. C/Z. 2–3: κατ’ ὄ[νειρoν] wurde gemäß der in griechischen Inschriften häufigen, an ἀνέθηκε anschließenden Formel35 ergänzt. Die restlichen Buchstaben der dritten Zeile sind durch die moderne Fundamentierung der Stele, aufgrund möglicher Fehlstellen und der groben Oberfläche des Steins nicht mehr lesbar.

Edessa in antoninischer Zeit Die Inschrift erklärt, dass ein gewisser Zabedibolos für den links abgebildeten Gennaios und den rechts abgebildeten Zebeis die Stele errichtet hat und diese in das Jahr 176/7 n.Chr. datiert. Durch die exakte Datumsangabe ist eine Fixdatierung gegeben, die für Stilgeschichte und Formenentwicklungen undatierter Skulptur Nützlichkeit besitzt. Die auf der Stele abgebildeten Männer sind zwar nach typisch parthischem Prinzip auf Vorderansichtigkeit36 ausgerichtet, aber es fehlt ihnen noch die extreme Frontalität37 späterer Zeiten. Die Stele fällt aus römischer Sicht in die Regierungszeit des Mark Aurel (161–180 n.Chr.). Nach zahlreichen Auseinandersetzungen mit den Parthern seit Augustus, schaffte es im Jahr 113 n.Chr. Kaiser Trajan, die römische Provinz Mesopotamia einzurichten, die u.a. auch Osrhoene mit Edessa beinhaltete. Im Jahr 117 n.Chr. musste zwar das eben erst gewonnene Mesopotamia von Hadrian schon wieder aufgeben werden.38 Trotzdem hatte dies dazu geführt, dass Osrhoene und Edessa in der Folge stärker unter römischen Einfluss kamen. Auffällig ist, dass in Osrhoene schon eine prorömische Partei vorhanden war, als L. Verus 163– 166 n.Chr. ins Partherreich einfiel.39 Die Könige Osrhoenes stellten sich mit den Römern gut, wie die Statuenweihung eines Mannes namens Banahar für einen hohen Offizier, den kaiserlichen Freigelassenen Aurelius Hapsay von ca. 176 n.Chr.40 zeigt, der sowohl exzel32 33 34 35 36 37 38 39 40

Zu den Umrechnungsmodalitäten siehe Ellerbrock, Winkelmann 2012, 166. D.h. im August. Zu den Monaten nach dem griechisch-makedonischen Kalender Ellerbrock, Winckelmann 2012, 165. Drijvers 1980, 24 Anm. 28 Taf. 8. Weber 2000, 59f. Von Gall 1998, 78. Landskron 2005, 94. Die beiden Männer auf der Basaltstele wenden ihre Köpfe leicht einander zu; auch durch die Positionierung ihrer Füße wird Raum in die Darstellung eingebracht. Zur politischen Lage Osrhoenes von Trajan bis Septimius Severus: Sommer 2003, 14–18; 2006, 74–82 mit Kartenmaterial; Ellerbrock, Winkelmann 2012, 70f. Sommer 2006, 77. Drijvers, Healey 1999, 36f.; Sommer 2010, 225.

Die Basaltgrabstele des Zabedibolos für Gennaios und Zebeis

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lente Beziehungen zu Rom hatte, als auch gleichzeitig von den Steppenvölkern akzeptiert wurde und dessen Nachkommen später als höchste Magistrate in Edessa dienten. In antoninischer Zeit lässt sich in Edessa auf Münzen mit den Rückseitenbildern des Marc Aurel, des Lucius Verus oder der Ehefrau des Marc Aurel, der Faustina Minor, ein König Mannos unter der Verwendung der griechischen Legende basileus Mannos philorhomaios abbilden.41 Die in antoninischer Zeit ausgeprägten, freundschaftlichen Beziehungen Edessas zu Rom sprechen dafür, dass die beiden Männer, Gennaios und Zebeis, aufgrund der Tracht zwar Einheimische sind, sich aber aufgrund der Verwendung der griechischen Sprache in der Inschrift ausgedrücklich zu den Römern bekennen. Das passt gut zum allgemeinen prorömischen Klima in Edessa und der Osrhoene in antoninischer Zeit. Während sich Drijvers noch unsicher war, ob es sich bei der Basaltstele um eine Votiv- oder Grabstele handelt, ist der Deutung als Grabstele der Vorzug zu geben, zumal das einfache cippus-förmige Grabmal des Gennaios in der linken unteren Ecke der Basaltstele mit dargestellt wird.

Schlussbemerkung Durch die erstmalige Gesamtbetrachtung der vollständigen Basaltstele und die nunmehrige Kenntnis des weiteren Inschriftentextes ergibt sich, dass ein gewisser Zabedibolos im August 176/7 n.Chr. in Edessa für einen Gennaios und einen Zebeis die Stele aufstellen ließ. Die dargestellten Männer waren ranghohe Mitglieder der romfreundlichen Elite. Beachtenswert ist die Mobilität römischen Einflusses an der östlichen Peripherie des Imperium Romanum. Die beiden werden in einer in Edessa ortsüblichen Kleidung und mit ortsüblichem Schmuck dargestellt, tragen nach parthischer Sitte ein Schwert bei sich. Die Stele spiegelt durch die weitgehend ›parthische‹ Ikonographie und die griechische Inschrift, das in antoninischer Zeit auch aus anderen Quellen bekannte, besonders Rom-freundliche Klima des kleinen Königreichs Edessa in der Osrhoene. Ergün Laflı Dokuz Eylül Üniversitesi, Edebiyat Fakültesi, Arkeoloji Bölümü Tınaztepe/Kaynaklar Yerleşkesi, Buca, TR-35160 Izmir [email protected] Eva Christof c/o Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Archäologie Universitätsplatz 3/2, A-8010 Graz [email protected]

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Sommer 2005, 236 mit Taf. 6, 238 Anm. 53.

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Ergün Laflı, Eva Christof

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Die Basaltgrabstele des Zabedibolos für Gennaios und Zebeis

363

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Abb. 1a: Gesamtansicht der Basaltstele in Edessa/Karaköprü bei Şanlıurfa (Laflı 1991)

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Ergün Laflı, Eva Christof

Abb. 1b: Gesamtansicht der Basaltstele in Edessa/Karaköprü (Laflı 1991)

Die Basaltgrabstele des Zabedibolos für Gennaios und Zebeis

Abb. 2: Thymiaterion/Eschara aus Karaköprü im Garten des Museums in Urfa (Laflı 2011)

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Ergün Laflı, Eva Christof

Abb. 3: Detail der Inschrift am unteren Rand der Basaltstele in Edessa/Karaköprü (Laflı 2001)

Margit Linder

Zum Wirkungsraum antiker Künstler Grenzenlose Mobilität oder nationale Verhaftung?

Der Attidograph Philochoros überliefert die Ereignisse, die sich im Zusammenhang mit der Fertigung der Athena Parthenos-Statue zugetragen haben, folgendermaßen: Φειδίας ὁ ποιήσας δόξας παραλογίζεσθαι τὸν ἐλέφαντα τὸν εἰς τὰς φολίδας ἐκρίθη. καὶ φυγὼν εἰς Ἦλιν ἐργολαβῆσαι τὸ ἄγαλμα τοῦ Διὸς τὸ ἐν Ὀλυμπίᾳ λέγεται, τοῦτο δὲ ἐξεργασάμενος ἀποθανεῖν ὑπὸ Ἠλείων.1

Gemäß dieser Darstellung hat sich Phidias, der Schöpfer der (berühmten Gold-)ElfenbeinStatue, im Zuge der Erfüllung seines Auftrages persönlich bereichert, was ihm eine Anklage einbrachte. Um dieser zu entgehen, floh er von Athen nach Elis, wo er das (kolossale) Bildnis des Olympischen Zeus schuf. Nach vollbrachter Arbeit wurde er schließlich von den Eleern ermordet. Das Philochoros-Fragment hat der modernen Forschung reichlich Anlass zur Diskussion hinsichtlich der Datierung des Prozesses gegeben,2 steht diese Textstelle doch in Widerspruch zur Überlieferung des Plutarch, welcher in der Perikles-Vita davon berichtet, dass Phidias, verleumdet von den Feinde des Perikles, seines großen Gönners und Freundes,3 in Athen angeklagt und ins Gefängnis geworfen worden war, wo er infolge einer Krankheit – oder aufgrund einer Vergiftung – verstarb.4 Demzufolge hatte er zuerst die Zeus-Statue in Olympia geschaffen und war daraufhin nach Athen zurückgekehrt, wo ihm schließlich der Prozess gemacht worden war, welcher sein Ende sein sollte.5 Die Darstellung bei Plutarch, wonach der engere Kreis um Perikles – Phidias und bald darauf auch Aspasia – kurz vor Ausbruch des Peloponnesischen Krieges der athenischen Gerichtsbarkeit zugeführt werden 1 2

FGrH 328 F 121 (Schol. Aristoph. Pax 605). Für die Richtigkeit dieser Darstellung: Schöll 1888, 9; Bloch 1959, 494–499 (mit Literatur zum Phidias-Prozess); Donnay 1968, 19–36; Vasić 1968, 129–140; Preißhofen 1974, 66f., bes. 67 Anm. 25; Banfi 1999, 45–60. Gegen diese Version: Praschniker 1927, 210–214; Bijvanck 1946, 82–91; Lendle 1955, 284–303; Zinserling 1982, 364–366. 3 Perikles – Oberaufsicht über die Arbeiten am Parthenon: Plut., Perikles 13,9; vgl. FGrH 328 F 121; Strab. 9,12; Phidias – Hauptschöpfer der Athena Parthenos-Statue und Mitglied des Bauausschusses: Plut., Perikles 13,6; 13,14; vgl. Strab. 9,16. 4 Über den Prozess des Phidias: Plut., Perikles 31,2–5; vgl. Aristoph. Ach. 547; Pax 605f.; Diod. 12,39; Dion Chrys. 12,5,6. 5 Zu Phidias und Parthenon siehe die Bibliographie bei Berger 1984 und Holtzmann 2003. Zu Phidias und Olympia siehe (in Auswahl) Schrader 1941, 1–71; Morgan 1952, 295–339; Mallwitz, Schiering 1964; Fink 1967; Alzinger 1997, 13f.; Donderer 2007, 24–35.

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sollte,6 trifft sich mit derjenigen Platons, der den Bildhauer gegen Ende der 430er Jahre in Athen lebend wähnt und erhält zusätzlich Nahrung durch die Worte des Aristophanes, der sich in den Acharnern über die Prozessflut mokiert, die über die Vertrauten des Perikles hinwegschwappte und ihn zum Kriegstreiber werden ließ.7 Die singuläre Version des Philochoros, wonach die Eleer für den Tod des berühmten Bildhauers verantwortlich waren, liegt – wie Lippold bereits richtig festgestellt hat – wohl in dem Umstand begründet, dass der Stadtchronist »die Athener von der Schande des Undanks gegenüber Pheidias reinzuwaschen« sucht, indem er »erfunden hat, Pheidias sei … geflohen … und dann hätten ihn die Elier umgebracht.«8 Bezüglich der Klärung dieses Problems ist jedoch bis dato einer nicht unbedeutenden Frage noch überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt worden: Welchen Grund sollten die Eleer gehabt haben, Phidias zu ermorden? Ein Kommentar hierzu fehlt bedauerlicherweise, das Fragment des Atthidographen endet an der Stelle der Tötung. Doch auch sonst ist in der antiken Literatur niemals die Rede von irgendeinem Missverhältnis zwischen Auftraggeber und ausführendem Künstler bzw. einer Art Absprache mit dessen Heimatpolis, welche ein derartiges Vorgehen erklären würde.9 Das Atthis-Fragment könnte man in der Weise verstehen, dass die Tötung des Phidias nach erfolgreicher Fertigung der ZeusStatue für die Eleer einen ganz natürlichen Akt darstellte, quasi als Entgegenkommen gegenüber Athen und seiner Gerichtsbarkeit, deren Zugriff sich der Bildhauer durch schnöde Flucht entzogen hatte. Möglicherweise kam die Beauftragung eines fahnenflüchtigen Künstlers in den Augen der Athener einem diplomatischen Affront durch die Eleer gleich, der nur durch den Tod desselbigen gemildert werden konnte. Doch ist eine solche Vermutung überhaupt zulässig? Kann bzw. muss die schöpferische Tätigkeit und die mit ihr einhergehende Mobilität antiker Künstler vor der Folie der politischen Geschichte und damit vor dem Hintergrund der innergriechischen Beziehungen bzw. Konflikte betrachtet werden? Im Folgenden soll durch ausgewählte Beispiele versucht werden, zu klären, ob und inwieweit antike Kunstschöpfer sich gewissen politisch motivierten Regeln zu unterwerfen hatten und ob ihnen seitens ihrer Heimatpoleis oder der Auftraggeber bei der Ausübung ihrer Profession Schranken gesetzt waren. Aufgrund des eingangs vorgestellten Falles um Wirkungsfeld und Ende des Phidias wurde bei der Auswahl der Exempel das Hauptaugenmerk auf Künstler gelegt, deren Schaffen in die Zeit der Klassik fällt: 1. Der berühmte Thasier Polygnot stammte aus einer angesehenen Künstlerfamilie, bereits sein Vater Aglaophon war ein bekannter Maler.10 Auch sein Bruder Aristophon gehörte diesem Metier an.11 Neben seiner Tätigkeit für die Knidier, in deren Auftrag er die Lesche in Delphi ausschmückte,12 und für die Stadt Plataiai, deren Tempel der Athena 6 7 8 9 10 11 12

Plut., Perikles 32,1. Plat. Gorg. 311c; Aristoph. Ach. 524–547. Lippold 1938, 1920. Zur Geschichte von Elis und Olympia (mit ausführlicher Literatur) Roy 2004, 489–491, 502–504. Sim. epigr. 700 (Beckby) bei Paus. 10,27,4; vgl. Weickert 1950, 4f.; Bröker 2001, 13. Plat. Gorg. 448b; Dion Chrys. 55,1. Paus. 10,25,12; zu den Malereien siehe Stansbury-O’Donnell 1990, 213–235; Roscino 2012, 89–102.

Zum Wirkungsraum antiker Künstler

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Areia er mit einem Odysseus-Gemälde versah,13 hat er in erster Linie für die Polis Athen gearbeitet. Literarisch überliefert sind ein Bild der Leukippiden-Hochzeit für das Dioskuren-Heiligtum14 sowie die Fertigung homerischer Szenen für die Pinakothek der Propyläen.15 Das Projekt, welches ihm in Athen den größten Ruhm einbringen sollte, stellt jedoch die Ausmalung der sogenannten Stoa Poikile auf der Agora dar, für welche er gemeinsam mit einem athenischen Künstler namens Mikon verpflichtet worden war.16 Die in den Jahren 1981–82 erfolgten Ausgrabungen haben ergeben, dass die Stoa um 460 v.Chr. errichtet wurde.17 Die Gemälde der ›Bunten Halle‹ hatten die Verherrlichung der athenischen Streitmacht zum Inhalt, wie beispielsweise die Darstellung der Schlacht von Marathon.18 Angesichts dieser Themenauswahl verwundert es nicht, dass Kimon, der Sohn des Miltiades, welcher das athenische Heer zum Sieg über die Perser geführt hatte,19 für dieses Bauprojekt verantwortlich zeichnete.20 Dass Kimon den Thasier Polygnot mit diesem für ihn so wichtigen Auftrag bedachte, darf angesichts dessen Kunstfertigkeit21 und aufgrund der engen Beziehung, die angeblich zwischen Arbeitgeber und -nehmer bestand – Plutarch nennt Polygnot gar den Liebhaber der Elpinike, der Schwester des Kimon –22 nicht irritieren. Was jedoch sehr wohl Anlass zur Verwunderung gibt, liegt in dem Umstand begründet, dass ein Künstler aus Thasos mit der Umsetzung mehrerer gewichtiger Projekte seitens Athen bedacht wurde, obwohl sein Schaffen in eine – hinsichtlich der diplomatischen Beziehungen zwischen Thasos und Athen – äußerst konfliktreiche Zeit fällt.23 Thasos, welches Mitglied des Attisch-Delischen Seebundes war, hatte im Jahr 466/5 den Aufstand geprobt. Die Athener benötigen drei Jahre, um die Rebellen zu besiegen und sie in den Bund zurück zu zwingen. Als Folge mussten die Thasier ihre Mauern schleifen, die Flotte ausliefern, ihre Besitzungen am Festland abtreten, eine Entschädigungssumme bezahlen sowie Phoros entrichten.24 Alles in allem betrachtet, keine – so sollte man meinen – günstige Ausgangssituation für einen thasischen Künstler, um sich in den Dienst Athens zu stellen. Und doch wurde er mit der Ausfertigung von Werken beauftragt, die Ausdruck athenischen Nationalstolzes waren. Damit nicht genug, wurde ihm, dem Staatsangehöri13 14 15 16 17 18

19 20 21 22 23 24

Paus. 9,4,2; siehe Jeppesen 1971, 110–112. Paus. 1,18,1. Paus. 1,22,6f.; vgl. Linfert 1978, 25–34. Arr. an. 7,13,5; Plin. nat. 35,59; Paus. 1,15,2; Schol. Aristoph. Lys. 679; zu Mikon siehe Weizsäcker 1898, 519–523; Kopanias 2006, 155–164. Siehe McK. Camp 1986, 66–72. Paus. 1,15,3; vgl. Jeffery 1965, 41–57; Massaro 1978, 458–475; Francis, Vickers 1985, 99– 113; Bollansée 1991, 91–126; De Angelis 1996, 119–171; Cruciani, Fiorini 1998; Castriota 2005, 89–102. Hdt. 4,137f.; 6,103; 6,109f.; 6,132; vgl. Paus. 1,32,4; 10,10,1; zur Rolle des Miltiades siehe Hertel 1995, 259–268; Krumeich 1996, 43–51; Funke 1999, 301–310. Plin. nat. 35,58; Plut., Kimon 4,7; vgl. dazu Hereward 1974, 44–48; Stein-Hölkeskamp 1999, 145–164. Siehe Plin. nat. 35,59, der davon berichtet, dass Polygnot in Delphi mit Sonderleistungen geehrt wurde. Plut., Kimon 4,7. Zur den Auseinandersetzungen zwischen Athen und Thasos siehe Picard 1998, 591–598; Pébarthe 1999, 131–154. IG I3 1144 A, col. III 43 und B, col. III 130; Thuk. 1,100f.; Plut., Kimon 14,1f.; Polyain. 2,33; 8,67.

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gen des vor kurzem noch revoltierenden Thasos, durch die Polis Athen höchste Ehre zuteil: er wurde für seine Tätigkeit mit der Verleihung des athenischen Bürgerrechts belohnt.25 Dass der athenische Maler Mikon für die Ausmalung der Stoa Poikile entlohnt wurde, während Polygnot sein künstlerisches Talent unentgeltlich zur Verfügung stellte,26 ist ohne Zweifel als Ausdruck der Dankbarkeit und als Versuch, sich seinerseits für eine solch hohe Ehre zu revanchieren, zu verstehen. Der Bekanntheitsgrad des thasischen Malers ebnete in der Folge auch Angehörigen seiner Familie den Weg nach Athen. So ist bekannt, dass sein Bruder Aristophon und sein Neffe Aglaophon für Alkibiades gemeinsam ein Gemälde gefertigt haben, das den Staatsmann, sitzend auf den Knien der Nymphe Nemea, zeigte.27 2. Alkibiades leitet zu einem Künstler über, der – auf den ersten Blick – ebenfalls keine allzu günstigen Voraussetzungen hätte haben dürfen, sein Brot in Athen zu verdienen: der Maler Agatharchos, welcher aufgrund seiner herausragenden Fertigkeit mit einem der größten Kunstschaffenden der Antike, Zeuxis, verglichen wurde, stammte aus Samos.28 Die Samier, die zu den frühesten Mitgliedern des Attisch-Delischen Seebundes zählten und einen autonomen Status inne hatten,29 revoltierten 441/0 v.Chr. aufgrund einer – wie sie es verstanden – unerlaubten Einmischung Athens bezüglich einer Auseinandersetzung mit Milet und wurden dafür streng bestraft: die Flotte musste aufgegeben, die Mauern niedergelegt und eine hohe Entschädigungssumme entrichtet werden.30 Die Insel musste zudem fortan Tribut zahlen.31 Trotz dieser konfliktreichen Ereignisse wurde der samische Maler Agatharchos, der kurz vor der Mitte des 5. Jh. v.Chr. bereits eine Bühnendekoration für Aischylos entworfen hatte,32 erneut verpflichtet. Und wieder findet sich der kunstsinnige33 Alkibiades als Auftraggeber. Er engagierte Agatharchos für die Innenbemalung seines Domizils.34 Wie es scheint, hatte auch in diesem Fall die aktuelle politische Situation keine Auswirkungen auf die Wahl des Arbeitgebers. 3. Dasselbe gilt für den Bildhauer Kresilas aus Kydonia: der Kreter war bereits in der Antike aufgrund der Teilnahme am Künstlerwettstreit in Ephesos, bei welchem er mit Phidias, Polyklet und Phradmon bezüglich der Herstellung einer Amazonen-Statue um den ersten Platz buhlte, ein berühmter Mann.35 Auch für das griechische Mutterland sind Arbeiten von ihm überliefert. So fertigte er in Athen eine Perikles-Statue36 und zumindest zwei weitere Bildwerke standen auf der Akropolis, von welchen sich allerdings lediglich die Marmorbasen mit Inschrift erhalten haben – beide datieren ins dritte Viertel 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

Plut., Kimon 4,5. Zur Rechtslage siehe Sainte Croix 2004, 233–253; Graham 2007, 273–292. Plin. nat. 35,59; Plut., Kimon 4,7. Plut., Alkibiades 16,7; Paus. 1,22,7; Athen., Deipnosophistai 12,47,26 (Kaibel); vgl. Plat. Gorg. 448b; Dion Chrys. 55,1; Plin. nat. 35,60; vgl. Kleiner 1972, 7–19; Hoesch 1996, 1133. Plut., Perikles 13. Zu Agatharchos siehe Ley 1989, 35–38. Hdt. 9,106,4; vgl. Aristot. Ath.pol. 24,2. IG I3 48; Thuk. 1,115,2–117,3. Thuk. 7,57,4. Zum Status von Thasos siehe Schuller 1981, 281–288. Vitr. 7 praef. 11; siehe dazu Ley 1989, 35–38. Vgl. Plut., Alkibiades 16,7; dazu siehe auch Vickers 2011, 11–16. And., Alkibiades 17; Plut., Alkibiades 16,5. Plin. nat. 34,53; 34,75. Zu den ephesischen Amazonen siehe Bol 1998. Plin. nat. 34,74.

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des 5. Jh. v.Chr.37 Offenbar war Kresilas auch in Athen ein begehrter Bildhauer,38 was insofern auffällt, als die diplomatischen Beziehungen zwischen Athen und dessen Heimatpolis kurz nach der Mitte des 5. Jh. v.Chr. aufgrund von pro-spartanischen Maßnahmen seitens Kydonia nicht zum Besten gestanden haben dürften – ein Konflikt, der sich im Jahr 429 v.Chr. in Form einer athenischen Strafexpedition entlud.39 Doch so angespannt die politische Situation zwischen Auftrag gebender Polis und Herkunftsort des Künstler auch gewesen sein mag, so wenig lässt sich erkennen, dass dies dem ›grenzüberschreitenden‹ Wirken des Bildhauers in irgendeiner Form entgegen gestanden wäre. 4. Dies zeigt sich auch im Fall des athenischen Bildhauers Myron, der von Plinius aufgrund seines Könnens in einem Atemzug mit den Großmeistern der klassischen Plastik – Phidias, Polyklet und Skopas – genannt wird.40 Seine Hauptschaffenszeit ist um die Mitte des 5. Jh. v.Chr. anzusetzen.41 Die Heimatpolis hat die Fertigkeiten ihres Bürgers wohl zu nutzen gewusst. So ist überliefert, dass er vier Werke geschaffen hat, die einst auf der Akropolis ihre Aufstellung gefunden haben: eine Athena-Marsyas-Gruppe, eine Perseus-Statue, das Abbild einer Jungkuh sowie eine Erechteus-Eumolpos-Gruppe.42 Myron war jedoch auch außerhalb seiner Heimat tätig: für das Heraion von Samos fertigte er Kolossalstatuen des Zeus, der Athena sowie des Herakles an, welche später nach Rom gebracht wurden.43 Die Aigineten beauftragten ihn mit der Herstellung eines Xoanons für den Hekate-Tempel44 und in Olympia schuf er zu Ehren der Spartaner Chionis und Lykinos Siegerstatuen.45 Dass ein athenischer Künstler um die Mitte des 5. Jh. v.Chr. von Samos, Aigina und Sparta engagiert wurde, ist – führt man sich den historischen background vor Augen – keineswegs selbstverständlich. Die in den 440er Jahren aufgekommenen Auseinandersetzungen zwischen Athen und Samos wurden bereits am Beispiel des Malers Agatharchos diskutiert. Auch für Aigina überliefert Thukydides für die Jahre zwischen 464/3 und 458/7 immer wieder konfliktreiche Vorkommnisse mit Athen, welches bestrebt war, seinen Suprematie-Status zu erhalten.46 455 v.Chr. musste sich Ai37 38 39 40 41 42

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IG I3 883 (siehe Raubitschek 1949, 141–144, Nr. 132) und IG I2 529; vgl. Anth. Pal. 13,13 (siehe Raubitschek 1949, 510f. und Nr. 131). Weitere Werke finden sich in Hermion/Argolis (Plin. nat. 34,74) und in Delphi (Homolle 1899, 378). Thuk. 2,85,5; siehe dazu Perlman 2004, 1171. Plin. nat. 34,49, bes. 34,57–58. Zu den Werken des Myron siehe (in Auswahl): Daltrop, Bol 1983; Berger 2000, 27–30; Junker 2002, 127–184. Plin. nat. 34,49 (Ol. 80=460–456 v.Chr.); vgl. IG I2 400 (dat. 446: Myron als Vaters des Bildhauers Lykios; ebenso bei Plin. nat. 34,50; 34,79; Paus. 1,23,7; 5,22,3). Athena-Marsyas-Gruppe: Plin. nat. 34,57; vgl. Paus. 1,24,1 (ohne Künstlernennung); Perseus-Statue: Paus. 1,23,7; vgl. Catull. 55,25; Plin. nat. 34,57; Kuhbildnis: Plin. nat. 34,57 (ohne Standortnennung); Cic. Verr. 2,4,135; Prok. BG 8,21,14; Tzetz. chil. 8,194 (Leone); Erechtheus-EumolposGruppe: Paus. 9,30,1; vgl. Paus. 1,27,4 (ohne Künstlernennung). Strab. 14,1,14. Zu den Statuen und deren Verbringung siehe Buschor 1953, 51–62, bes. 59; Smarczyk 1990, 84 Anm. 81; Berger 2000, 27–30. Paus. 2,30,2 (zur Diskussion über das Aussehen des Bildwerkes siehe den Kommentar von Frazer 1898, vol. 3, 264f.). Chionis, der in das frühe 7. Jh. v.Chr. datiert wird (vgl. Paus. 3,14,3), als es noch keine Anerkennung in Form von Standbildern gab (Paus. 6,18,7), wurde posthum geehrt (Paus. 6,13,2). Lykinos gab für sich zwei Statuen in Auftrag (Paus. 6,2,2). Datierung nach der Siegerliste von Moretti 1957, Nr. 304 und 324: Ol. 83 (=448 v.Chr.). Thuk. 1,105,2; 1,108,4.

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gina aufgrund von wirtschaftlichen Faktoren schließlich endgültig unterwerfen. Die Athener bestimmten das Schleifen der Befestigungen, hohe Tribut-Zahlungen sowie die Übergabe der Flotte.47 Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Athen und Sparta sieht es ab den 460er bzw. 450er Jahren bekanntermaßen auch nicht eben friedlich aus.48 Die Demütigung, die Athen durch die Abweisung des kimonischen Hilfskontingents am Berg Ithome hatte hinnehmen müssen,49 steht lediglich am Anfang einer Reihe von scheinbar unlösbaren diplomatischen Problemen und daraus resultierenden kriegerischen Konflikten zwischen den beiden Großmächten. Auch der um 451/0 v.Chr. auf fünf Jahre anberaumte Waffenstillstand50 konnte das Problem langfristig nicht aus der Welt schaffen. Bereits 447/6 v.Chr. fielen die Spartaner in Attika ein und verwüsteten die Gegend um Eleusis und Thria.51 Wenn man bedenkt, in welch angespanntem Zustand sich die diplomatischen Beziehungen zwischen Athen und dreien der Auftrag gebenden Städte zur Zeit von Myrons Schaffen befanden, wird erneut offenbar, dass es im Bereich der Kunst keinen ›nationalen‹ Gedanken gab, der der Mobilität hinderlich gewesen wäre. Weitere Aufträge des Myron in Messene/Zankle, Akragas und im boiotischen Orchomenos runden das Bild eines weit über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus tätigen Künstlers ab, der seine Fertigkeit ohne politisch geschaffene Schranken überall dort anwenden konnte, wo man seiner bedurfte.52 Bei den oben diskutierten Künstlern handelt es sich um Männer, die bereits in der Antike einen gewissen Status an Berühmtheit vorzuweisen hatten und dementsprechend häufig in der Literatur Erwähnung finden. Demzufolge könnte man einwenden, dass ihnen bereits allein aufgrund ihres Bekanntheitsgrades alle Wege zur Verwirklichung offen gestanden haben. Wie sieht es aber mit denjenigen Bildhauern oder Malern aus, für die dies nicht gilt? Im Folgenden sollen Beispiele weniger bekannter Künstler zur Klärung dieser Frage beitragen: 5. In einer den Nymphen geweihten Höhle bei Vari in Attika hat sich die Signatur des Bildhauers Agatharchos, welcher gemäß der Inschriftentexte aus Thera stammte, auf insgesamt vier Steinsockeln erhalten – datiert werden diese aufgrund der Buchstabenform zwischen 430 und 420 v.Chr.53 Nun ist gerade diese Zeit für die Beauftragung eines theräischen Künstlers durch Athen ungewöhnlich. Die Insel Thera war, wie dem Bericht des Thukydides zu entnehmen ist, zu Beginn des Peloponnesischen Krieges nicht auf der Verbündeten-Liste Athens anzutreffen.54 429/8 v.Chr. erscheinen die Theräer dann 47 48 49 50 51 52 53 54

Thuk. 1,108; Diod. 11,78; IG I3 38; vgl. Aristot. rhet. 3,10; Plut., Perikles 8. Zum Verhältnis Athen-Sparta in der Zeit der Pentekontaëtie siehe Kagan 1969, 77–119; Sainte Croix 1972, bes. 180–200; Henderson 1973, 1–13; Badian 1993, 73–107, bes. 99–103. Ebd. 172f., bes. 172 Anm. 19 mit Verweis auf die antiken Quellen. Thuk. 1,112,1; Diod. 11,86,1. Thuk. 1,114,2; Diod. 12,6; Plut., Perikles 22,2. Herakles aus Bronze in Messene/Zankle (Cic. Verr. 2,4,5); Apollonstatue im Asklepiosheiligtum von Akragas (Cic. Verr. 2,4,93); Dionysos-Statue am Helikon/Orchomenos (Paus. 9,30,1). IG I2 784–788 (Dat. siehe IG I 424). Zu den Fundumständen siehe Dunham 1903, 289–300, bes. 297f. Nr. 16; Hiller von Gaertringen 1904, 472f. Thuk. 2,9,4.

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erstmals gesichert55 auf den athenischen Tributlisten, wobei eine Summe von drei Talenten verzeichnet ist. Im Jahr 426/5 v.Chr. muss Thera gesondert (Reparations-) Zahlungen56 – wohl für einen missglückten Abfallversuch – leisten und 425/4 v.Chr.57 wurde der ursprüngliche Tribut – vermutlich als Folge dieser ›Unstimmigkeiten‹ – von drei auf fünf Talente angehoben. Obwohl sich in den literarischen Quellen keine näheren Informationen hinsichtlich dieser Ereignisse erhalten haben, sprechen die Zahlen der Tributlisten deutlich für einen Konflikt zwischen Athen und dem Bündnispartner Thera. Dass die Athener aufgrund dieser Vorkommnisse einen theräischen Künstler grundsätzlich als Unsicherheitsfaktor oder gar als Feind angesehen und deshalb auf eine Zusammenarbeit verzichtet hätten, wird durch das Wirken des Agatharchos eindeutig widerlegt. 6. Auch anhand des folgenden Beispiels wird ersichtlich, dass in Zeiten des Krieges so etwas wie ein generelles gegenseitiges Arbeits- bzw. Auftragsverbot zwischen den griechischen Poleis nicht existierte: der athenische58 Bildhauer Strongylion, der aufgrund von epigraphischen Belegen in die Zeit um 420 v.Chr. datiert werden kann,59 hat in seiner Heimatstadt im Auftrag des Areopag einen bronzenen Stier geschaffen und als private Weihung das sogenannte ›hölzerne Pferd‹, welches auf der Akropolis gestanden hat.60 Doch hat er auch außerhalb seiner Polis gewirkt. So ist überliefert, dass er eine Musengruppe gefertigt hat, welche am Helikon in Boiotien – neben den Werken seines Landsmannes Kephisodot und eines gewissen Olympiosthenes – aufgestellt war.61 Als weitere Wirkstätte ist Pherai in Thessalien zu nennen – dort hat sich sein Name auf einem stark beschädigten Statuensockel erhalten.62 Strongylions Talent wurde auch von den Megarern geschätzt, sie verpflichteten den athenischen Bildhauer für die Herstel-

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429/8: IG I3 282 III 23. Ungesichert aufgrund des Erhaltungszustands für 430/29: IG I3 281 II 54. IG I3 68, 21–24. Siehe dazu die Ausführungen von Mattingly 1996, 77. IG I3 71 I 68. Dazu Lippold 1931, 372: »Vater und Heimat sind weder in der Überlieferung noch in der Signatur genannt; da letztere von der Akropolis stammt, ist er wahrscheinlich Athener gewesen« (ebenso Raubitschek 1949, 524). Der Name Strongylion kommt in den antiken Texten ausschließlich bei Pausanias (1,40,3; 9,30,1: ohne Ethnikon) vor. Bei Durchsicht des epigraphischen Materials fällt jedoch auf, dass sich dieser Name in Attika großer Beliebtheit erfreute (IG I3 427,5 – dat. 414 v.Chr.; IG II2 1673,29 und 39 – dat. um 330; IG II2 2422,4 – dat. 4. Jh. v.Chr.), während er außerhalb dieser Landschaft nicht auftaucht. (Die Inschrift aus Pherai ist zu fragmentiert erhalten und lässt eine Rekonstruktion des Ethnikons nicht zu, s.u.) Woodward 1926, 247 Anm. 26 (2. Hälfte 5. Jh. v.Chr.); Raubitschek 1949, 524f. und Nr. 176 (um 420). Zur Stier-Weihung: Paus. 9,30,1; vgl. Paus. 1,24,3 (ohne Künstlernennung); vgl. Stevens 1940, 19–22. Zum ›hölzernen Pferd‹ – Weihung des Chairedemos, Sohn des Euangelos: IG I3 895; vgl. Paus. 1,23,8 (ohne Künstlernennung); Hesych. s.v. δούρεος ἵππος; siehe dazu Frazer 1898, vol. 2, 286–288; Stevens 1936, 460f. und Fig. 14; Raubitschek 1949, 524f. und Nr. 176. Paus. 9,30,1. Zu Kephisodot (dat. zweite Hälfte 4. Jh. v.Chr.) siehe IG VII 54; Plin. nat. 36,24; Plut., Vitae decem oratorum 843F (Mau). Olympiosthenes erscheint an dieser Pausanias-Stelle das erste und einzige Mal, er wird auch in keiner Inschrift erwähnt; zeitliche Zuordnung und Herkunft sind demnach unbekannt. Woodward 1926, 247 Anm. 26: »der Ausgräber Dr. Arvanitopoullos ergänzte: [Στρογγυλ]ίον μ’ ἐποίεσ[εν]« (Dat. zweite Hälfte 5. Jh. v.Chr.).

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lung eines Kultbildes der Artemis Soteira63 – ein Auftrag, der aus naheliegenden Gründen nach einer näheren Betrachtung des historischen Hintergrundes, konkret der Jahre von 430 bis 410 v.Chr., i.e. der Hauptschaffenszeit des Künstlers, verlangt: Das Verhältnis zwischen Athen und Megara war lange vor den Ereignissen, die zum Ausbruch des Peloponnesischen Krieg führten, denkbar schlecht.64 In Folge des Abfalls von Athen, der sich für die Megarer nach der Schlacht bei Koroneia (446) angeboten hatte,65 traten sie erneut dem Peloponnesischen Bund bei und näherten sich den Korinthern an, welche sie in ihrem Vorgehen gegen Korkyra und bei der Schlacht von Sybota (432) auch tatkräftig unterstützten.66 Angesichts dieser Vorgeschichte darf die radikale Vorgehensweise, die Athen gegenüber Megara im Vorfeld des Peloponnesischen Krieges an den Tag legte, nicht verwundern – siehe ›megarisches Psephisma‹ und Vorwurf der Verletzung der ἱερà ὀργάς.67 Auch während des Krieges blieb diese von gegenseitiger Animosität gekennzeichnete Beziehung bestehen: im Jahr 427 v.Chr. fiel, während die Athener unter Führung des Nikias die vor Megara gelagerte Insel Minoa einnehmen konnten, die strategisch bedeutende Hafenstadt Nisaia, die durch lange Mauern mit Megara verbunden war, an das peloponnesische Heer.68 In der Folge kam es zu Parteikämpfen in Megara. Der genaue Ausgang ist ungewiss, doch überliefert Thukydides, dass viele Megarer aufgrund dieser Streitigkeiten ihre Heimat hatten verlassen müssen.69 424 v.Chr., als es aufgrund von andauernden inneren wie äußeren Kämpfen erneut zu einer Stasis gekommen war, gelang es den Athenern schließlich, Nisaia zu erobern – die langen Mauern wurden zerstört.70 Als Gegenmaßnahme öffneten daraufhin die Megarer den Peloponnesiern unter Leitung des Brasidas die Tore zu ihrer Stadt. Fortan herrschte eine radikal oligarchische Regierung und die führenden Demokraten mussten ins Exil gehen, manche wurden sogar hingerichtet.71 Durch die Bedingungen des Nikiasfriedens verblieb Nisaia in athenischen Händen,72 erst 410 v.Chr. konnten die Megarer ihre Hafenstadt durch einen Überfall zurückgewinnen.73 63

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Paus. 1,40,2f.; vgl. Paus. 1,44,4: für das in der Megaris gelegene Pagai wird ebenfalls ein Kultbild der Artemis Soteira erwähnt, jedoch ohne Künstlernennung. Vermutlich handelt es sich dabei um eine Wiederholung der Statue des Strongylion (von der Hand der Strongylion?; siehe dazu ImhoofBlumer, Gardner 1885, 57f.). Zur Vorgeschichte Athen – Megara: Thuk. 1,114–1,115,1; 4,21,3; vgl. And. 3,3; Diod. 12,5,2; Plut., Perikles 22,1. Grundlegend hierzu: Kagan 1969, 251–272; Sainte Croix 1972, 187–196, 225– 289; Cawkwell 1997, 33–40; Welwei 1999, 140–153. Über die Schlacht: Thuk. 1,113,2; 3,62,5; 3,67,3; 4,92,6; Xen. mem. 3,5,4; Paus. 3,9,13; Plut., Perikles 18; Agesilaos 19,2; Diod. 12,6; siehe Kagan 1969, 123f., 133, 191. Thuk. 1,27,2; 1,46,1; 1,48,4; 1,113,3–1,114,1; Diod. 12,5,2; vgl. IG I2 1085. Siehe dazu Meyer 1931, 189–191; Meiggs 1972, 121f., 199–201; Sainte Croix 1972, 189–193; Legon 1981, 207–210. Thuk. 1,67,4; 1,139,1; 1,140,3; 1,144,2; Plut., Perikles 29–30; Diod. 12,39,4; vgl. Aristoph. Ach. 514– 535; Pax 605–614; siehe Sainte Croix 1972, 225–230; Wick 1979, 1–14; MacDonald 1983, 385–410; Sealey 1991, 152–158. Thuk. 3,51; 4,66,4. Thuk. 3,68,3. Zu den Parteistreitigkeiten siehe Gehrke 1985, 106–110. Thuk. 4,66–69; siehe dazu Henderson 1973, 255–260. Thuk. 4,70–74. Thuk. 4,118,5; 5,17,2; siehe dazu Henderson 1973, 253–261. Diod. 13,65,1f.; Paus. 10,15,1; zur Geschichte Nisaias siehe Müller 1936, 710.

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Betrachtet man diese über Jahrzehnte gewachsene, durchwegs negative Beziehung, wird klar, dass die Beauftragung eines athenischen Künstlers durch die Megarer in einer Zeit fortwährender Spannungen nur dann vorstellbar ist, wenn zwischenstaatliche Konflikte hinsichtlich der Beschäftigungspolitik keine Rolle spielten. 7. Zur Untermauerung dieser Behauptung ist die Vita des folgenden Künstlers, wie sich zeigen wird, bestens geeignet: der aus Argos stammende Bildhauer Antiphanes, der von Pausanias als Enkelschüler des Polyklet bezeichnet wird,74 wirkte ausschließlich in Delphi. Dort hat er an vier Projekten einerseits mitgearbeitet, andererseits diese alleine ausgeführt. Chronologisch gereiht, handelt es sich dabei um folgende Aufträge: 1. eine bronzene Kolossalplastik des Trojanischen Pferdes – ein Weihgeschenk der Argiver aus ihrem Sieg über die Spartaner in der Thyreatis (414 v.Chr.).75 Die dazu gehörige Weihinschrift wurde gefunden, sie wird ans Ende des 5. Jh. v.Chr. datiert.76 2. Mitarbeit am vielfigurigen Anathem der Spartaner aus ihrem Sieg über die Athener bei Aigospotamoi (405 v.Chr.), sogenanntes ›Lysanderweihgeschenk‹ – Antiphanes zeichnet für die Fertigung der Dioskuren-Statuen verantwortlich.77 3. Mitwirkung am Anathem der Arkader aus ihrem unter der Führung des Epameinondas errungenen Sieg über die Spartaner (370/69 v.Chr.) – von Antiphanes Hand stammten, gemäß der Informationen der Weihinschrift, die Figuren des Elatos, des Apheidas sowie des Erasos.78 4. Fertigung der Statuen des vielfigurigen Anathems der Argiver – Anlass war die Befreiung Messeniens vom Joch der Spartaner (369 v.Chr.).79 Die Zusammenschau seiner Tätigkeit in Delphi ergibt folgendes Bild: am Beginn seines Schaffens steht ein Auftrag der Argiver, die ihren Triumph über die Spartaner in Form eines Anathems an prominenter Stelle – die Kolossalstatue stand am Beginn der heiligen Straße, auf der linken Seite, anschließend an das Marathondenkmal – demonstrieren wollten.80 Während er mit diesem Werk also sein Talent ganz in den Dienst seiner Heimatpolis gestellt hatte, vollführte er mit der nachfolgenden Anstellung eine absolute Kehrtwendung, indem er nun sozusagen dem Feind diente. Doch auch diesem blieb er nicht treu, fertigte er doch im Zuge der beiden nächsten Aufträge Statuen, die zur Verherrlichung des Sieges über eben jenen früheren Arbeitgeber gedacht waren. 74 75 76

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Paus. 5,17,4. Thuk. 6,95,1; vgl. Thuk. 5,41,2. FdD III 1,91 und 573; der ausführende Künstler ist in der Inschrift nicht genannt. Sein Name wird in Zusammenhang mit dieser Weihung allerdings bei Pausanias (10,9,12) erwähnt (vgl. Paus. 1,23,8). Zu Aufstellung und Rekonstruktion siehe Vatin 1981, 440–449; Bommelaer, Laroche 1991, Nr. 111. Paus. 10,9,8. Zum Monument: Cic. div. 1,34,75; Plut., Lysandros 18,1; de Pyth. or. 2,395B; Paus. 10,9,7–10. Zu den Inschriften: FdD III 1,24–41; 1,376; Vatin 1981, 429–459. Literatur zusammengefasst bei Ioakimidou 1997, 114f. Paus. 10,9,5–6; FdD III 1,4–11. Bei den mitwirkenden Künstlern handelt es sich um Samolas aus Arkadien, Daidalos aus Sikyon und Pausanias aus Apollonia. Vgl. Frazer 1898, vol. 5, 261f.; Bommelaer, Laroche 1991, Nr. 105; Ioakimidou 1997, Nr. 23. Paus. 10,10,5: ohne Künstlernennung. Diese hat sich jedoch auf einem Basisblock erhalten – datiert nach 369 v.Chr. (FdD III 1,69.2–78; SEG 19, 396). Zum Monument siehe Bommelaer, Laroche 1991, Nr. 113 und (mit ausführlicher Diskussion zum historischen Anlass) Ioakimidou 1997, 307–322. Zur Verortung siehe Bommelaer, Laroche 1991, Planche V, Nr. 111.

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Bedenkt man auf der einen Seite die Herkunft des Bildhauers und auf der anderen Seite die Auswahl der Auftrag gebenden Poleis bzw. Bünde und deren Verhältnis zueinander, dann bleibt die Erkenntnis, sich endgültig von dem Gedanken zu lösen, dass politische Verhältnisse oder das Phänomen der ›nationalen Verhaftung‹ einem Künstler in der Ausübung seines Berufes entgegen gestanden wären.81 Anhand der Beispiele der weniger bekannten Kunstschöpfer zeigt sich zudem, dass es nicht nur jenen Bildhauern und Malern, deren Ruhm sich bereits zu ihren Lebzeiten weit über die Landesgrenzen hinaus verbreitet hat und die aufgrund dieses Renommees von Poleis im ganzen Mittelmeerraum verpflichtet wurden, möglich war, überall dort hin zu reisen, wohin sie wollten und für jedwede Auftraggeber zu arbeiten, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, für die Wahl selbiger Rechenschaft ablegen zu müssen, sondern dass dies, unabhängig von Herkunft und politischem Hintergrund, für all jene Künstler galt, die bereit waren, den Weg in die Fremde anzutreten, um so ihren künstlerischen Horizont zu erweitern oder sich in finanzieller Hinsicht zu verbessern.82 Bezüglich des Ausgangspunktes dieser Arbeit, der Frage nach einem möglichen, gewaltsamen Ende des Phidias in Elis, lässt sich abschließend feststellen, dass die Version des Philochoros nicht nur aufgrund eingangs besprochener quellenkritischer und chronologischer Gründe fragwürdig erscheint, sondern auch, weil diese Geschichte in sich nicht stimmig ist. Die Exempel klassischer Künstler konnten bei Betrachtung von Wirkungskreis und historisch-politischem Hintergrund ohne Ausnahme zeigen, dass diese Männer ihrem Beruf an jedem Ort und zu jeder Zeit nachgehen konnten, ohne fürchten zu müssen, aufgrund einer möglichen Animosität zwischen Auftraggeber und Heimatpolis abgewiesen oder gar getötet zu werden. Gründe für eine Ermordung des Phidias durch die Eleer sucht man demnach auf allen Ebenen vergebens. Hinzu kommt, dass man sich überlegen muss, welche Auswirkungen eine solche Vorgehensweise auf das Kunstschaffen in Olympia gehabt hätten, wenn unter den Künstlern bekannt geworden wäre, dass man hierzulande nicht vor von außen motivierten Tötungsakten zurückschreckt, sobald das Beschäftigungsverhältnis endet. Am plausibelsten erscheint in der Tat die bereits erwähnte These Lippolds, wonach der athenische Chronist bemüht war, seine Landsleute von der Schuld freizusprechen, für den Tod eines solch berühmten, talentierten und verdienten Künstlers verantwortlich zu sein – innergriechischen Problemen bzw. Beziehungen ist dies jedoch sicherlich nicht zuzuschreiben. Margit Linder Karl-Franzenz-Universität Graz, Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde Universitätsplatz 3/II, A-8010 Graz [email protected] 81 82

So auch Philipp 1990, 91. Zum Thema Berufsbild und Mobilität antiker Künstler/Handwerker siehe Burckhardt 1918, 202–214; Schweitzer 1925, 28–132; 1937, 35–44; Murakawa 1957, 385–415; Lauter 1974; Himmelmann 1979, 127–142; Lauter 1980, 525–531; Burford 1985; Meier 1986, 47–111; Souček 1987, 1–10; Müller 1988, 139–145; Neesen 1989; Philipp 1990, 79–110; Souček 1992, 173–178; Weiler 1997, 149–154; Tanner 1999, 136–175; Meier 2003, 19–76; Ruffing 2006, 133–149.

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An example of mobility in mythology Heracles’ journey on the occasion of the Tenth Labour

The oldest evidence of the Tenth Labour is in Hesiod’s Theogony (287–294), where the main elements of the story are already in place, prompting these verses to be called »nothing less than a mini Geryoneis«.1 In the brief account of the episode, which obviously presumes a knowledge of a more detailed version of the legend, the island of Erytheia, home of Geryon, is »beyond the famous Ocean« in a nebulous and still undefined Far West. During the sixth century the myth was the subject of a lost poem by Stesichorus, the Geryoneis.2 The poet, who had lived at Himera, seems to have been the first to locate Erytheia in southern Spain or more exactly »near the inexhaustible silver rooted springs of the river Tartessus«.3 Furthermore, whilst Hesiod condenses the return journey into a verse and a half,4 Heracles’ outward and return journey must have undergone a certain development in the poem by Stesichorus, even if the fragments do not permit us to unearth with certainty the stages of his journey. The most comprehensive and systematic information on the Labour is, however, drawn from two later works, the Bibliotheca Historica by Diodorus Siculus (4,17–24), written in the first century BC, and the catalogue of myths of Pseudo-Apollodorus (2,5,10), which, in the account handed down to us, probably comes from an anthologist of the second or third century AD who had abridged writings of the Hellenistic period.5 The overlap between these two narratives leads us to suspect, if not an identical source, at least a shared starting

1 2

3 4 5

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point for the traditional details that emerge in both of them.6 In particular, since it is highly likely that we owe the accepted organization of the material to Stesichorus, it also seems reasonable to assume the ongoing presence of Stesichorus’ structure in later sources. Luca Antonelli 7 has the particular merit of bringing to light the role of this poet in the evolution of the legend which acquired an ever more defined setting as familiarity with western lands improved, mostly due to Phocaean navigators. Antonelli emphasizes the Phocaean factor, and there is no doubt that this is important in the creation of the myth, or at least in its ›colonial‹ reinterpretation. Even so, bearing in mind that Stesichorus lived in the Chalcidian (and Dorian) colony of Himera, it seems important to me not to overlook the possibility of an Euboean influence in the passing down to him of such concepts. The Euboeans had sailed the western seas before the Phocaeans. Hence we cannot exclude the possibility that tales of their travels and the use of routes towards Gibraltar were kept alive, handed down from generation to generation, via the Chalcidians of Himera. If this is the case, some elements of the story could date back earlier to the Euboeans, with others added later by those Phocaeans who anyway entertained close contacts with the Chacidians of Sicily. In fact the hero’s outward and return journey in the accomplishment of his task is described in greater detail by Diodorus Siculus, in a ›monograph‹ dedicated to Heracles in the fourth book of the Bibliotheca Historica (4,8–39).8 It is not easy to say how much is traditional and how much is new in his telling. The journey described by Diodorus could have been constructed, as explained, on traditional lines dating back to the Euboeans and Phocaeans. It was probably Stesichorus who first gave it the structure in which we now read it. One should assume however that Stesichorus’ material was reworked and ›updated‹ by Timaeus, who passed it on to converge on the historian of Agyrium, to whom we probably owe the addition of various elements and references to his age. A stratified reading enables us to separate out the different chronological levels and the various ›hands‹ to whom we can attribute the text. Information dating back to an ancient stage of the tradition is preserved in Diodorus’ section covering the Iberian area and the pillars of Heracles. Antonelli 9 identified in the devout and just Iberian king who honours Heracles when he passes by and earns in exchange some of the oxen,10 a traditional strand, recognizable also in Herodotus’ portrait of generous and hospitable Arganthonios,11 a positive representation of Geryon: the image of the good Tartessian sovereign started in a Phocaean setting, or more exactly a Massalian setting, as a result of friendly relations that Massalia entertained with the dynasties in power 6

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C. Jourdain-Annequin, Héraclès aux portes du soir. Mythe et histoire, Paris 1989, 227–249, thinks, with no convincing arguments, that the two accounts of Heracles’ exploits may ultimately depend on the work of the mythographer and genealogist Pherecydes. L. Antonelli, I Greci oltre Gibilterra. Rappresentazioni mitiche dell’estremo occidente e navigazioni commerciali nello spazio atlantico fra VIII e IV secolo a.C., Roma 1997 (Hesperìa: studi sulla grecità di Occidente 8), 89–96. P. Giovannelli-Jouanna, La monographie consacrée à Héraclès dans le livre IV de la Bibliothèque historique de Diodore de Sicile: tradition et originalité, in: Bulletin de l’Association Guillaume Budé 60, 2001, 83–109. Antonelli (cf. n. 7), 92f., 126–133. Diod. 4,18,3. Hdt. 1,163.

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in Iberian centers with which that city traded. According to others,12 the myth of a peaceful Geryon, attested also at Abano in the Veneto area and at Agyrium in Sicily, could perhaps coincide with an initial Euboean promulgation of the legend: it would reflect the Chalcidian model of colonization, aimed at a peaceful integration with the local population. Whatever the origin of the positive version of the myth of Geryon, Euboean or Phocaean, it seems clear that the reference found in Diodorus’ version can be traced noticeably far back into antiquity. An element of antiquity, moreover, can be culled from the paragraphs that immediately follow,13 where it says that Heracles embanked the far confines of Libya and Europe for a significant stretch, creating a kind of narrow, shallow passage: this probably refers to the so-called Herma, which is mentioned in the periplus attributed to Scylax14 and in the Ora Maritima of Avienus,15 the poem whose ancient core probably dates back to Massalian traditions of the second half of the sixth century BC. Heracles’ passage through ›Celtica‹16 must also have appeared in the original version of the journey. To the east of the mouth of the Rhone, around 600 BC the Phocaeans founded Massalia, but it is likely that, even before then, these strategically important coasts, along the Iberian metal route, were frequented by the Greeks, specifically the Euboeans.17 Whilst, as is reasonable to believe, in the oldest version of the story the hero passed through the area of southern France, it was probably Diodorus himself who introduced a detour, taking him to the interior, where he founds Alesia. This is probably the citadel in the Mandubian territory, today Alise-Sainte-Reine (Côte-d’Or), presided over by Vercingetorix and conquered by Caesar in 52 BC. All this leads us to suppose that the origin of this ktisis is after Caesar’s famous victory, but rather than attribute it to a vague »Diodorean source«18 it seems to me preferable to think of an invention by Diodorus himself, who, by recalling Alesia, found the way to laud the Roman leader.19 An episode of this kind, therefore, serves Diodorus’ aim of supplying a mythical precedent to the historical event and to associate, with a clearcut celebratory purpose, the myth of Heracles to that of Caesar »who for the greatness of his deeds was called god«. The reference to the founding of Alesia, therefore, was a later element, presumably traceable to Diodorus himself, embedded in an episode, the passage in ›Celtica‹, which appeared in the oldest versions of the story. The coexistence of information that can be referred back to different times and traditions seems to emerge from an analysis of the paragraphs dealing with the stay in Latium.20 Having passed through Ligurian country, the hero reaches the Tiber. Near the Palatine he finds a tiny city, inhabited by natives, whose noblemen welcome him with generous hospi12 13 14 15 16 17 18 19

Cf. B. Rossignoli, L’Adriatico greco. Culti e miti minori, Roma 2004, 217–228. Diod. 4,18,4f. Ps.-Scyl. 112 (Ἑρμαία ἄκρα). Avien. Ora Maritima 321–336. Diod. 4,19,1f. J. Boardman, I Greci sui mari. Traffici e colonie, It. transl. Firenze 1986, 237f., 312f. n. 211. F. Sbordone, Il ciclo italico di Ercole, in: Athenaeum 19, 1941, 72–96, 149–180, part. 95. In favour of this possibility is J. Harmand, Diodore IV, 19; V, 24: Héraklès, Alesia, César le Dieu, in: Latomus 26, 1967, 956–986, part. 968 (»Diodore a été la principale source de Diodore«); see also K. S. Sacks, Diodorus Siculus and the First Century, Princeton 1990, 73–75. On the praise of Caesar by Diodorus, M. Toher, Augustan and Tiberian Literature, in: M. Griffin (ed.), A Companion to Julius Caesar, Oxford 2009, 224–238, part. 227. 20 Diod. 4,21,1–4.

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tality. Amongst them were Cacius (i.e. Cacus) and Pinarius. Grateful to the Palatine inhabitants for their kind welcome Heracles prophesizes to them the institution of the tithe in his honour. To our surprise Cacus, who traditionally clashes with Heracles in the place where Rome later emerges, is presented to us here as a courteous and benevolent host. This is an isolated fact in the panorama of sources in our possession. I would not exclude that even the tradition which casts Heracles’ evil antagonist in a positive light is left over from a long distant past. This could have been made at the time of the first Greek commercial penetration into the Tyrrhenian area, along the route of the Far Western markets. We know that the Phocaeans had made close ties of friendship with the Romans in Tarquinius Priscus’ times, and that friendly relations linked Massalia to Rome during the sixth century BC.21 But the oldest ties with the Tyrrhenian regions and Latium are owed to the Euboean people, who reached the mouth of the Tiber more or less at the time of the first stable settlement at Pithecusa, as the archaeological documentation shows.22 In the legend of a hospitable and peaceful Cacus could hide the memory of the openness shown by the Romans and Latins in welcoming the Greeks, first Euboeans and later Phocaeans. Obviously this is just a hypothesis, which follows in the footsteps of the one to explain the genesis of the myth of the good Geryon. On the other hand, it has long been noted that Cacus is a ›Geryonic‹ figure, a kind of double, and that characters of this sort can be interpreted as »differenziirungen derselben urform«:23 the parallels between Geryon and Cacus make it even more likely that their myths shared similar paths. We cannot establish if the Cacus episode appeared in Stesichorus’ Geryoneis.24 It is maintained that Diodorus drew it from Timaeus, quoted at the end of Chapter 21 about the Giants of Phlegra.25 Scholars do not agree but it seems certain that not everything can be traced back to Timaeus, who for obvious chronological reasons could not have spoken, for example, of Lucius Licinius Lucullus, mentioned at 21,4, given that the latter lived between the end of the second century and the beginning of the first century BC. This reference, therefore, could have been inserted by Diodorus himself. The original structure, presumably of Euboean-Phocaean imprint, seems to conserve, particularly in some areas, even older memories dating back to a period of contacts definable as ›precolonial‹. A revealing example of this is drawn from an examination of the sec21

22 23 24 25

Cf. Iust. 43,3,4 temporibus Tarquinii regis ex Asia Phocaeensium iuventus ostio Tiberis invecta amicitiam cum Romanis iunxit; 43,5,3 Massilienses … cum Hispanis amicitiam iunxerunt, cum Romanis prope ab initio conditae urbis foedus summa fide custodierunt auxiliisque in omnibus bellis industrie socios iuverunt. G. Pugliese Carratelli, Greci d’Asia in Occidente tra il secolo VII e il VI, in: PdP 21, 1966, 155–165, part. 163; M. Giangiulio, Avventurieri, mercanti, coloni, mercenari. Mobilità umana e circolazione di risorse nel Mediterraneo arcaico, in: S. Settis (ed.), I Greci. Storia Cultura Arte Società, 2.1, Torino 1996, 497–525, part. 519f.; F. Canali De Rossi, Le relazioni diplomatiche di Roma, 1: dall’età regia alla conquista del primato in Italia (753–265 a.C.) con una appendice sulla più antica iscrizione greca del Lazio, Roma 2005, 5f., 15. L. Antonelli, Traffici focei di età arcaica: dalla scoperta dell’Occidente alla battaglia del mare Sardonio, Roma 2008 (Hesperìa: studi sulla grecità di Occidente 23), 103f. U. von Wilamowitz-Moellendorff, Euripides Herakles, 1, Berlin 21895, 45 n. 74. On the question, cf. e.g. M. Davies, Stesichorus’ Geryoneis and its Folk-Tale Origins, in: CQ 38, 1988, 277–290, part. 286f. (and n. 50 for a survey of some of the literature). For a recent discussion of the problem, see J. Martínez-Pinna, La leyenda de Caco en un fragmento del analista Cn. Gelio, in: Gerión vol. extra, 2007, 255–263, with bibliography.

An example of mobility in mythology

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tion dealing with Heracles’ journey in Sicily.26 Perhaps those who attribute a genesis of extreme antiquity to the hero’s Sicilian saga are not mistaken, noticing there the evidence of Sicano-Mycenaean relations and a cultural penetration during the fourteenth and thirteenth centuries BC.27 In fact Diodorus’ story, which only brings Heracles into contact with ›Sicani‹ heroes – not ›Sicels‹ – even in eastern Sicily, seems to reflect a situation before the arrival of the Sicels. The wealth of archaeological documentation seems to point in the same direction, preserving the memory of ongoing and systematic contacts, during the late Bronze Age, between the Aegean area (Mycenaean, Cretan, Cypriot) and Sicily, with the setting up of groups of inhabitants (artisans) in local communities.28 In this humus could have been created the core of the Sicilian adventures of Heracles, who – writes Manni – would in this case be »the Mycenaean hero who only with the historic colonization becomes the Doric hero«.29 However it is equally likely that certain elements of the ›precolonial‹ tradition were picked up later, manipulated and reused, according to time and place, for cultural, etiological and propagandistic reasons by the settlers of the first millennium. Perhaps they were only linked to the myth of the Tenth Labour in a later moment and thereafter put down in words by poets, historians and myth writers, from Stesichorus onwards. The mention of hot baths brought forth by nymphs in honour of the hero at Himera and Egesta (23,1) rouses suspicion that Stesichorus might have been Diodorus’ source for the clash with Eryx described at 23,2.30 But if the episode of the victory over Eryx was already Stesichorean, then, for chronological reasons, the mention of Dorieus’ venture present in the following paragraph could not have been so: this detail could have been added by Timaeus. We are taken back to an even more recent chronological level by most of Chapter 24, the contents of which probably do not depend on the reading of one source but on the ›autoptic‹ experience and parochial spirit of Diodorus: it speaks here of Heracles’ stop at Agyrium, hometown of Diodorus, and of the cult founded by him in honour of Iolaus, with precise topographic details (the lake in front of the city, the tracks of Geryon’s cattle, the temene devoted to Geryon and Iolaus, Heracles’ gate) and reference to current events (›to this day‹). The journey that we read in Diodorus is in substance the result of the overlaying of nuclei created over a long period of time. Over time the journey of Heracles, in particular his return journey, ended up by taking in an ever wider area, including numerous stops and new episodes. Like a type of ›open‹ composition, in fact, the narrative fabric was subject to changes and additions, which could be brought in thanks to a ›snap-on‹ construction process. If an area became of interest to an author, he could arrange for it to be visited by the hero, whose main talent was an extreme propensity for travel. His distinguishing character26 27 28

29 30

Diod. 4,23f. Especially on the fortune of the Heracles myth in western Sicily, cf. S. De Vido, Gli Elimi. Storie di contatti e di rappresentazioni, Pisa 1997, 115–204. So e.g. E. Manni, Minosse ed Eracle nella Sicilia dell’età del bronzo, in: Kokalos 8, 1962, 6–29; E. Sjöqvist, Heracles in Sicily, in: OpRom 4, 1962, 117–123. About the issue of the Aegean presence in the West, see L. Vagnetti, Ricerche recenti sulle relazioni fra l’Egeo e l’Occidente mediterraneo, in: G. Maddoli (ed.), La civiltà micenea. Guida storica e critica, Roma/Bari 1992, 215–234; M. Cultraro, I Micenei. Archeologia, storia, società dei Greci prima di Omero, Roma 2006, 221–241. Manni (cf. n. 27), 27 (»l’eroe miceneo, al quale terrà dietro, soltanto con la colonizzazione storica, l’eroe dorico«). Cf. I. Malkin, Myth and Territory in the Spartan Mediterranean, Cambridge 1994, 203–218.

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istic is indeed movement from one place to another. When he overcomes a territory or founds a city, he does not settle permanently: he leaves them to the future inhabitants and sets off on his journey again. Roaming (ἄλη) is the distinctive element of his activity, and the name of Alesia is indeed derived from this feature of his.31 Heracles became the mythical paradigm of real mobility. Naturally, so that he could do this with believable outcomes, he had to be made to move in a space that was neither fictional nor invented but rather delimited by real geographical confines. The need to make the journey seem realistic conditions the narrative choices and the succession of the episodes. This is apparent from the early phases. In this way, one see that the advance of the hero develops mostly in one direction, but in one case this rule is broken strikingly: with the Libya-Egypt-Libya sequence.32 From Crete Heracles disembarks in Libya, where he kills Antaeus, during a clash traditionally located to the east of Cyrene, in the region of Irasa. From here he does not go west, but heads in the opposite direction to liberate Egypt of Busiris, the king who represented a threat for foreigners visiting the country. Having eliminated Busiris, he turns back west and from Egypt he once more passes through Libya where he founds the city of Hecatompylos.33 If he had wished to describe a purely fantasy journey, his creator could have made Heracles sail from the extreme point of the Peloponnese to Egypt, mentioning the killing of Busiris, then making him continue in east-west direction without introducing unexpected u-turns. The violation of the unidirectional criterion can, I think, be justified if carried back to the need to provide a credible description. Seen this way, a crossing directly from the Greek Peninsula to the North African coast would be accepted with difficulty. The choice of Crete as a starting point was much more convincing because – we read in Diodorus – »this island is found in the happy natural position for transport to every inhabited land«. Thus, the best known and most frequently used route, already in Mycenaean times,34 being the most secure, for favourable winds and currents, was that which linked the southern ports of Crete with the Cyrene coast. But even afterwards Crete served as a hub of a southern Mediterranean route, making it obligatory to stop before the long crossing towards Cyrenaica.35 Having stopped off in Cyrenaica one could proceed by land or coastal navigation towards the Delta. Heracles therefore moves along these lines: from Crete he sails to Libya and from here he goes by land to Egypt. In this way it is significant that in Diodorus the role of the island as departure point for the venture is underlined, as is the fact that the hero is forced, once having set down on the 31 32 33 34

Diod. 4,19,1. Ibid. 4,17,3–4,18,1. Usually identified with modern day Tébessa in Algeria, near the Tunisian border. See I. Vincentelli, I Micenei e l’Egitto, in: M. Marazzi (ed.), La società micenea, Roma 1994, 307–312; M. Marazzi, I Micenei nei mari d’Occidente, ibid., 489–497. 35 For a summary of the literary evidence on ancient navigation in the area, see especially V. Purcaro Pagano, Le rotte antiche tra la Grecia e la Cirenaica e gli itinerari marittimi e terrestri lungo le coste cirenaiche e della Grande Sirte, in: Quaderni di archeologia della Libia 8, 1976, 285–352; R. Sammartano, Il tema mitico della tempesta e la rotta verso la Libye, in: G. Vanotti, C. Perassi (eds.), In limine: ricerche su marginalità e periferia nel mondo antico, Milano 2004, 11–56; further information in N. C. Vella, La Geografia di Tolomeo e le rotte marittime mediterranee, in: L. de Maria, R. Turchetti (eds.), Rotte e porti del Mediterraneo dopo la caduta dell’Impero romano d’Occidente: continuità e innovazioni tecnologiche e funzionali, IV Seminario ANSER, Genova, 18–19 giugno 2004, Soveria Mannelli 2004, 21–32.

An example of mobility in mythology

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coast of Libye, to turn towards Egypt and to then retrace his steps. Behind this seems to be the need to provide a route recalling real movements along the main maritime and land communication highways in the southern Mediterranean. In conclusion, our analysis, based on the widest formulation of Heracles’ journey, preserved in the fourth book of the Bibliotheca Historica by Diodorus Siculus (17–24), has concentrated essentially on two points. On one side, it has been proposed that Diodorus’ text (depending to a certain degree, it seems, on Stesichorus via Timaeus) is read as the final result of a process of stratification where data that can be referred back to the first phase of Greek ›colonial‹ expansion (and even ›precolonial‹) runs alongside other data from a much later period; on the other, given that Heracles seems to prefigure mythically what were to be real movements, we have tried to bring to light, with a significant example, how his journey was constructed according to a criterion of realism which pulls it out of the fantastic dimension and transfers it to a concrete geographical context. I am pleased to thank Jane Fox Cappuzzello for having translated this paper into English. For further remarks and references on the subject, see G. Mariotta, A. Magnelli (eds.), Diodoro Siculo, Biblioteca storica. Libro IV. Commento storico, Milano 2012, 71–103. Giuseppe Mariotta Università degli Studi di Firenze, Dipartimento di Studi storici e geografici Via S. Gallo, 10, I-50129 Firenze [email protected]

The following maps serve to give an approximate idea of Heracles’ route.

Fig. 1: C. Jourdain-Annequin, Héraclès aux portes du soir. Mythe et histoire, Paris 1989, 254, fig. 24:2 (underlined: geographical terms in Diod. 4,17,1–4,25,1)

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Fig. 2: C. Jourdain-Annequin, Héraclès aux portes du soir. Mythe et histoire, Paris 1989, 271, fig. 25

Eckart Olshausen

Der bewegte Alltag des M. Tullius Cicero

Noch immer treibt mich der Plan eines topographisch, chronologisch und inhaltlich kompetenten Itinerars für Cicero um; in diesem Zusammenhang habe ich bereits in den Akten des Stuttgarter Kolloquiums von 1999 einen Beitrag mit dem Thema Gute Reise! Mit Cicero unterwegs verfasst,1 und zwar mit Bedacht in Absprache mit unserem lieben Kollegen, dem Geographen Klaus Kulinat, der seinerseits zum Thema Gute Reise! Reisemotive aus der Sicht der Anthropogeographie sprach.2 Klaus Kulinat hat die Publikation dieses Referats gerade noch erlebt, bevor er im Dezember 2002 in Tübingen starb. Dieser kurze Umweg sei mir im Gedenken an einen so lieben und kompetenten Freund und Kollegen hier erlaubt. Ein weiterer Mosaikstein zu diesem Itinerar Ciceros soll der folgende Artikel sein, der Ciceros in einzelnen Etappen regelrecht gehetzter Reisetätigkeit der Jahre 68 bis 43 v.Chr. nachgeht und insbesondere die Rolle unter die Lupe nimmt, die solche Reisen in Ciceros alltäglichem Leben gespielt haben.

1. Methodische Überlegungen 1. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Ciceros Reise›lust‹3 nicht etwa repräsentativ für die gesamte stadtrömische Gesellschaft ist, sondern nur für die wohlhabendsten Kreise dieser Stadt. Für die herrschende Gesellschaft Roms aber dokumentiert uns Cicero den Reisealltag seiner Tage zweifellos am besten. 2. Um die Dimensionen und die teilweise große Dichte von Ciceros Reiseprogramm zu verdeutlichen, sind zu den Reisestationen im Folgenden die jeweiligen Entfernungen angegeben. Da, was trotz der zeitlichen Distanz schließlich doch hilfreich wäre, weder die Tabula Peutingeriana noch das Itinerarium Antonini alle diese Strecken verzeichnen, geschweige denn lückenlos mit Entfernungsangaben versehen haben, sind hier für die von Cicero zurückgelegten Etappen, um eine gewisse Vergleichbarkeit zu ermöglichen und die Dimensionen greifbar zu machen, durchwegs Luftliniendistanzen eingesetzt. Die realen Entfernungen sind natürlich grundsätzlich größer als die entsprechenden Luftlinien, nähern sich diesen aber in einzelnen Fällen durchaus an.4 1 2 3 4

Olshausen 2002. Kulinat 2002. Vgl. Cic. fam. 6,18,5. Das mögen diese beiden Beispiele deutlich machen: von – bis Luftlinie Tab.Peut.mp Formiae – Antium 86km 72mp Pompeii – Cumae 41km 31mp

Tab.Peut.km 107km 46km

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3. Um sich auf das Thema des alltäglichen Reisens zu konzentrieren, muss man hier von den Phasen im Leben Ciceros absehen, die außerhalb des normalen Alltags liegen, sich also auch nicht auf die alltägliche Mobilität Ciceros beziehen. Dabei handelt es sich um folgende Zeitabschnitte: – Ciceros Exil (19. März 58 bis 4. September 57 – Cic. Att. 3,1–4,1) – sein Proconsulat (1. Mai 51 bis 4. Januar 49 – Cic. Att. 5,1–7,9) – seine Reisen während des Bürgerkriegs der Jahre 49 bis 47 (10./11. Januar 49 bis Oktober 47 – Cic. Att. 7,9–11,22) – seine Reisen während des Bürgerkriegs im Jahr 43 (Cic. ad Brut.). 4. Aber auch die für die letzten Jahre der römischen Republik sonst so üppige Quellenlage schränkt das Untersuchungsfeld zu Ciceros alltäglicher Mobilität ein. Denn weder Autoren wie Plutarch mit seiner Cicero-Biographie noch Historiker wie etwa Cassius Dio in seiner Römischen Geschichte (die Bücher 35 bis 47) bieten wesentliche Aufschlüsse zum Thema. Die deutlichste und anschaulichste Sprache spricht immer noch Cicero selbst in seiner Briefkorrespondenz. Sie liegt mit ihren rund 900 Briefen für die Zeit vom Jahr 68 bis ins Jahr 43 vor. 5. Durchaus, aber weniger ergiebig für dieses Thema sind die Briefsammlungen Ad Familiares (62 bis 43 v.Chr.), Ad Quintum fratrem (60 bis 54 v.Chr.) und Ad M. Brutum (März/ April bis 27. Juli 43 v.Chr.). Besonders aufschlussreich ist dagegen die Sammlung der Epistulae ad Atticum (68 bis 44 v.Chr.). Absender-Angaben und in den Briefen enthaltene entsprechende Notizen ermöglichen es, für Cicero ein Itinerar zu entwickeln, mit dessen Hilfe man sich vielleicht einen Begriff von Ciceros räumlicher Mobilität im Alltag machen kann. 6. Aber auch diese Quelle wird in ihrem Aussagewert durch bestimmte Umstände eingeschränkt: – Ciceros Briefsammlung, wie sie uns vorliegt, dokumentiert nicht die ganze Zeit seines Lebens; sie setzt erst in seinem 38. Lebensjahr, also 68 v.Chr. ein. – Seine Korrespondenz mit Atticus, die wegen ihrer Ungezwungenheit und Unmittelbarkeit für solche Alltäglichkeiten wie verschiedenste Begleitumstände auf Reisen besonders aussagekräftig ist, setzt aus, sobald sich die beiden Freunde am selben Ort – das ist meistens Rom – aufhalten; so erfahren wir nichts davon, sollten sie sich in diesen Zeiten über Reisen oder Reisepläne gesprächsweise ausgetauscht haben. Es bleiben also für die Bearbeitung des Themas von den uns erhaltenen 900 Briefen aus der Korrespondenz Ciceros noch 283 Briefe. 7. Da Cicero mit seiner hier zu schildernden Reisetätigkeit nur ausnahmsweise den topographischen Rahmen, der durch seinen Immobilienbesitz gegeben war, überschritt, ist es wohl angebracht, an dieser Stelle die Wohnsitze – Landgüter oder Häuser – kurz vorzustellen, an denen er Briefe geschrieben bzw. empfangen hat oder die er erwähnt, weil er sie aufgesucht hat oder aufzusuchen gedachte (vgl. Abb. 1):5 5

Vgl. Olshausen 2002, 258. Zu bedenken ist hier auch, dass wir sicher nicht alle seine Immobilien kennen; vgl. schon Drumann, Groebe 6, 21929, 346.

Der bewegte Alltag des M. Tullius Cicero

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Landgüter Arpinum Tusculanum6 Formianum Pompeianum Cumanum Frusinas Anagninum Puteolanum

68 vom Vater geerbt 68 von Catulus erworben vor 67 erworben vor 62 erworben 56 erworben 47 erworben vor 46 erworben vor 45 erworben

Häuser in den Carinae in Rom auf dem Palatin in Rom7 Lanuvinum Antium Minturnae Astura Sinuessanum Fundi

68 vom Vater geerbt, 62 an Quintus veräußert 62 von Crassus erworben vor 60 erworben vor 60 erworben, 45 an Lepidus veräußert vor 51 erworben 45 erworben für 44 und 43 bezeugt für 44 erschlossen8

2. Cicero und seine Immobilien-Pflege Ciceros Reisen standen, insofern sie von Landgut zu Landgut führten, in der Spannung zwischen otium und negotium, sie dienten einerseits Erholungszwecken, waren aber andererseits Inspektionsreisen (peregrinationes) und standen infolgedessen ganz in der Tradition, die der Ältere Cato anspricht, wo er schreibt: Wenn du auf einem guten Grundstück gut baust und das Haus gut anlegst, wenn du auf dem Land recht wohnst, wirst du lieber und öfter kommen, das Landgut wird besser sein, weniger Fehler werden gemacht, du wirst mehr Ertrag erzielen.9

In seinen Briefen geht Cicero jedoch auf die Verwaltung seiner Güter im Detail nicht ein; das hätte offensichtlich seinem Verständnis solcher unbequemen Lebensbereiche nicht entsprochen – für Finanzielles und alles, was damit zusammenhing, war ihm Atticus die Stütze, auf die er sich in allen Lebenssituationen verließ. Diese ›profane‹ Existenzebene überdeckt er vollständig, wo er beispielsweise Ende Januar 45 an Q. Paconius Lepta, einen Freund und ehemaligen praefectus fabrum während seines Proconsulats in Cilicia, schreibt:

6 7 8 9

McCracken 1935, 261–277. Hales 2000; Treggiari 1999. Einziger Hinweis auf dieses Anwesen ist Cic. Att. 14,6,1 zum 12. April 44 v.Chr. Cato agr. 4,1: In bono praedio si bene aedificaveris, bene posiveris, ruri si recte habitaveris, libentius et saepius venies, fundus melior erit, minus peccabitur, fructi plus capies.

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Wahrhaftig, ich bin nicht mehr so ein peregrinator, wie ich es immer war.10 Meine Landsitze haben mir Freude gemacht und auch die Muße11 dort. Doch steht mein Haus12 hinter keinem meiner Landsitze zurück, und Muße habe ich hier mehr als in der entlegensten Gegend.13

Ciceros Reise-Alltag war dennoch vornehmlich durch peregrinationes im eigentlichen Sinn,14 also Inspektionsreisen zur Sicherung der Einkünfte seiner Landgüter, wie sie in Senatorenkreisen üblich waren, bestimmt. Cicero hat sie üblicher Weise in den Monaten April und Mai unternommen. Diese Feststellung gilt unberührt davon, dass Cicero in seinen Briefen neben Privatem im Wesentlichen ausschließlich politische, literarische und philosophische Themen anspricht. Auffallend ist die Kürze der Zeit, die Cicero in manchen Fällen für die Inspektion einzelner Güter einplante, auffallend ist auch das Tempo, in dem er bestimmte Inspektionsreisen, also im eigentlichem Sinne Alltagsreisen durchzieht. Andere Zwecke derartiger peregrinationes habe ich bereits im Kolloquium von 1999 kurz skizziert – beispielsweise die Pflege seiner Clientel und seiner ›außerparlamentarischen‹ politischen Kontakte.15 Aus diesem Rahmen fällt lediglich sein langer Aufenthalt in Astura nach dem Tod seiner geliebten Tochter Tullia im Februar 45 (7. März bis 1. April und 1. bis 15. Mai 45); er ist hier auch nicht berücksichtigt. Anders sieht es auch mit der zweiten großen Reise im Jahr 44 v.Chr. aus, die Cicero in der Unsicherheit über sein weiteres Vorgehen nach seiner zeitweisen Absage an Brutus und Cassius bis nach Syrakus unternommen hat (7. Juni bis 31. August 44 v.Chr.; s.u. 3.3.2). Sie war ausschließlich von politischen Rücksichten bestimmt. Seine Immobilien dienten ihm auf dieser Reise lediglich zur Unterkunft.

3. Ciceros Reisen in den Jahren 59, 56 und 44 v.Chr. Drei Perioden aus Ciceros Biographie bieten sich für die Untersuchung seiner alltäglichen Mobilität besonders an, weil Ciceros Briefe hierzu viel Datenmaterial liefern. Das ist die Zeit – vom November 68 bis zum Dezember 58 v.Chr. – vom September 57 bis ins Jahr 51 v.Chr. – vom September 47 bis ins Jahr 44 v.Chr. 10 11

12 13

14

15

Als Cicero dies schrieb, war er 61 Jahre alt. Otium. Auch die unten für die erste Periode skizzierte Reise führte, wie Cicero sich ausdrückt, in otium (Cic. Att. 1,7). Das Tusculanum als Ort des otium bei Cic. Att. 1,5,7; 1,6,2. Vgl. dazu Mayer 2005, 25–41. Gemeint ist sein Stadthaus in Rom. Cic. fam. 6,18,5: Et mehercule non tam sum peregrinator iam quam solebam. Aedificia mea me delectabant et otium: domus est, quae nulli mearum villarum cedat, otium omni desertissima regione maius. Zu pergrinatio vgl auch: Cic. Att. 2,4,4; 2,6,1; 6,2,2: in hac autem peregrinatione militiave; 9,10,4; 15,13,6; 16,3,4; Lael. 103: peregrinationes rusticationesque; Plin. epist. 3,19,5: illa peregrinatio inter sua; Quint. inst. 12,11,18: peregrinationes, rura, calculorum anxiam sollicitudinem. Campania hatte im Frühjahr eine erste Hauptsaison (Cic. Att. 5,2,2; In Clodium et Curionem fr. 20), eine zweite im Herbst. Vgl. Olshausen 2002, 258f.

Der bewegte Alltag des M. Tullius Cicero

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3.1 Die Periode vom November 68 bis zum Dezember 58 v.Chr., dokumentiert in 49 Briefen Als Beispiel für Ciceros Mobilität in dieser Periode16 soll seine Reise vom 21. April bis zum 1. Juni 59 v.Chr. dienen (vgl. Abb. 2); denn in einem seiner Briefe findet sich der detaillierte Reiseplan. Diesen gibt er seinem Freund Atticus zur Kenntnis, um die Möglichkeit eines Wiedersehens auszuloten: Doch schau Dir meine Reisepläne an, um zu entscheiden, wo Du mich wiedersehen wirst. Wir wollen an den Parilien17 auf ’s Formianum kommen. Wir werden deshalb, weil Du glaubst, ich solle in dieser Zeit den luxuriösen Krater18 an mir vorübergehen lassen, am 1. Mai vom Formianum aufbrechen, um am 3. Mai in Antium zu sein. Vom 4. bis zum 6. Mai finden dort nämlich die Spiele statt; Tullia möchte sie sich gerne ansehen. Von dort gedenke ich auf das Tusculanum, dann aufs Arpinum und etwa am 1. Juni nach Rom zu fahren. Dann gedenke ich aufs Tusculanum zu fahren, dann aufs Arpinum, nach Rom am 1. Juni. Schau, dass ich Dich auf dem Formianum, in Antium oder auf dem Tusculanum sehen kann.19

Die Reise war mit mehreren Aufenthalten auf 41 Tage angelegt; 9 Tage (21. bis 29. April) wollte er in Formiae bleiben, 4 Tage (3. bis 6. Mai) in Antium. Weitere Aufenthalte nicht näher bestimmter Dauer waren in Tusculum und Arpinum vorgesehen. Folgende Etappen waren dabei zu bewältigen: Formiae – Antium Antium – Tusculum Tusculum – Arpinum Arpinum – Rom

86km 40km 77km 99km

Insgesamt war Cicero auf dieser 41-tägigen Reise 302 Luftlinien-Kilometer unterwegs. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Reiseplan erst in Formiae ansetzt, Cicero also zuvor schon von Rom nach Formiae (118km) gefahren sein dürfte. 3.2 Die Periode vom September 57 bis ins Jahr 51 v.Chr., dokumentiert in 92 Briefen Als Beispiel für Ciceros Reisetätigkeit in dieser Phase20 dient seine Reise vom 9. April bis zum 6. Mai 56 v.Chr. (vgl. Abb. 3). Den Reiseplan kann man einem Brief Ciceros an seinen Bruder Quintus entnehmen. Zweck dieser Mitteilung vom 9. April 56 war es auch diesmal, ein Treffen zu arrangieren, jetzt aber mit seinem Bruder: 16 17 18 19

20

Die folgende Auswahl themenrelevanter Briefe Ciceros ist chronologisch geordnet: Cic. Att. 2,4–9; 2,12; 2,10f.; 2,13; 2,15 (April 59); 2,17 (Mai 59). Ein der Göttin Pales heiliges Hirtenfest am 21. April, Gründungstag der Stadt Rom. Gemeint ist der Golf von Neapel mit seinen luxuriösen, im Sommer überlaufenen Badeorten. Cic. Att. 2,8,2: Sed cognosce itinera nostra, ut statuas, ubi nos visurus sis. In Formianum volumus venire Parilibus. Inde, quoniam putas praetermittendum nobis esse hoc tempore Cratera illum delicatum, Kal. Maiis de Formiano proficiscemur, ut Anti simus a.d. V Non. Maias. Ludi enim Anti futuri sunt a IIII ad prid. Non. Maias; eos Tullia spectare vult. Inde cogito in Tusculanum, deinde Arpinum, Romam ad Kal. Iunias. Te aut in Formiano aut Anti aut in Tusculano cura ut videamus. Die folgende Auswahl themenrelevanter Briefe Ciceros ist chronologisch geordnet: Cic. Att. 4,10 (2. April 56); ad Qu.fr. 2,6 (9. April 56); Att. 4,9 (27. April 56).

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Am 9. April hatte ich diesen Brief vor Sonnenaufgang diktiert und unterwegs weitergeschrieben, um an diesem Tag bei T. Titius21 auf seinem Anagninum zu bleiben. Tags darauf aber gedachte ich auf dem Laterium22 zu sein; von dort, wenn ich fünf Tage auf dem Arpinatischen Gut gewesen wäre, aufs Pompeianum zu fahren, auf der Rückfahrt das Cumanum zu inspizieren, um dann am 6. Mai in Rom zu sein, da doch auf den 7. Mai Milos Prozess angesetzt ist, und Dich, mein liebster und teuerster Bruder, wie ich hoffte, zu sehen.23

Diese Reise war unter Einschluss von fünf Aufenthalten auf 27 Tage angelegt; der erste Tag (9. April) war für das Anagninum des T. Titius vorgesehen, ein weiterer Tag (10. April) für das Laterium des Quintus, fünf Tage (11. bis 15. April) für sein Arpinum und eine unbestimmte Zahl von Tagen für sein Pompeianum bzw. sein Cumanum. Folgende Distanzen waren dabei zurückzulegen: Rom – Anagnia 59km Anagnia – Laterium/Arpinum 39km Arpinum – Pompeii 125km Pompeii – Cumae 41km Cumae – Rom 184km Insgesamt war Cicero auf dieser Reise in 27 Tagen 448 Luftlinien-Kilometer unterwegs. Die beiden soeben behandelten Reisen der Jahre 59 und 56 lassen sich gut vergleichen: Beide führen den Gutsherrn über je vier seiner Anwesen; die abgefahreren Strecken konvergieren ebenfalls – 420 bzw. 448 Luftlinien-Kilometer. Abgesehen von Arpinum, das er beide Male besuchte, waren es verschiedene Stationen – Antium, Formiae, Tusculum bzw. Anagnia, Cumae und Pompeii. So liegt bei aller Zurückhaltung, die uns die karge Quellenlage auferlegt, der Gedanke nahe, dass Cicero bemüht war, im Idealfall im Turnus von mehreren Jahren schließlich alle seine Güter inspiziert oder zum mindesten besucht zu haben. 3.3 Die Periode vom September 47 bis ins Jahr 44 v.Chr., dokumentiert in 210 Briefen Als Beispiele für Ciceros Mobilität in dieser Phase24 dienen hier seine Reisen im Jahr 44 v.Chr. (vgl. Abb. 4). Dabei ist – wie oben angesprochen – durchaus zuzugeben, dass nicht alle Etappen dieser Reisen Ciceros Alltag zugerechnet werden können; schließlich beeinflussten Caesars Tod und die folgenden Spannungen zwischen Antonius und den Republi21

F. Münzer hat in seinem Artikel Titius Nr. 26, in: RE 6.2, 1937, 1565 mehrere IdentifikationsVorschläge gemacht, die alle als denkbar, nicht aber als gesichert gelten können. 22 Laterium war das Landgut seines Bruders Quintus nahe bei Arpinum. 23 Cic. ad Qu. fr. 2,6,4: A.d. V Id. Apr. ante lucem hanc epistulam dictaveram conscripseramque in itinere, ut eo die apud T. Titium in Anagnino manerem. Postridie autem in Laterio cogitabam, inde, cum in Arpinati quinque dies fuissem, ire in Pompeianum, rediens aspicere Cumanum, ut, quoniam in Non. Mai. Miloni dies prodicta est, prid. Non. Romae essem teque, mi carissime et suasissime frater, ad eam diem, ut sperabam, viderem. 24 Die folgende Auswahl themenrelevanter Briefe Ciceros ist Sammlung für Sammlung chronologisch geordnet; dabei orientiere ich mich hauptsächlich an den Ergebnissen, die H. Kasten in seinen Editionen (München 21976) vorgelegt hat, ohne aber seine Zählung zu übernehmen. Erste Reise: Cic. Att. 14,1 (7. April 44); 14,2; 14,4–8; 14,13; 14,15,3; 14,16f.; 14,19; 14,18; 14,20; 14,22; 15,1a; 15,2; 15,5 (28. Mai 44). Zweite Reise: Cic. Att. 14,1 (7. April 44); 14,2; 14,4–8; 14,13; 14,15,3; 14,16f.;

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kanern auch Ciceros Leben im Jahr 44 v.Chr. ganz erheblich. Im Sommer dieses Jahres wurde Cicero der Boden Italiens allmählich zu heiß. Er überlegte, ob er im Rahmen einer legatio libera, die ihm sein ehemaliger Schwiegersohn, der Suffectconsul C. Cornelius Dolabella besorgt hatte, nach Athen zu seinem Sohn fahren solle, zog es aber fürs Erste vor, die alljährliche Inspektionsreise zu seinen Landgütern anzutreten. Letztlich könnte er sich unterwegs immer noch entscheiden, ob er über Brundisium oder sogleich zur See durch die Meerenge von Messana über Patrai seinen Sohn in Athen erreichen wollte. 3.3.1 Ciceros Inspektionsreise 44 v.Chr. Vom 9. April bis zum 28. Mai dieses Jahres absolvierte Cicero seine jedes Jahr fällige Inspektionsreise selbst in diesen turbulenten Tagen. Nach seiner Begegnung mit Matius auf dessen Landgut nahe Rom am 7. und 8. April reist er plangemäß25 zuerst nach (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13)

25

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Tusculum (22km; 9. April),26 dann über Lanuvium (14km; 10. April)27 nach Astura (30km; 11. April),28 weiter über Fundi (57km; 12. April),29 Formiae (18km; 15. April)30 und Sinuessa (33km; 16. April)31 nach Puteoli (38km; 17. April)32 und Cumae (6km; 19. April),33 dann wieder zurück nach Puteoli (6km; vom 21. April bis zum 2. Mai)34 und weiter nach Pompeii (35km; 3. bis 9. Mai),35 um wieder über Puteoli (35km; 11. bis 17. Mai)36 und Sinuessa (38km; 18. Mai)37 nach Arpinum (75km; 22. bis 25. Mai) zu fahren.38

14,19; 14,18; 14,20; 14,22; 15,1a; 15,2; 15,5 (28. Mai 44). Cic. fam. 7,20 (20. Sextilis 44) und 19; 10,1; 12,25,3. Besonders aufschlussreich für diese zweite Reise Ciceros im Jahr 44 sind außerdem folgende Texte: Cic. Phil. 1,7; Plut., Cicero 43,5f. und Cass. Dio 46,14,4. Die Datumsangaben in Klammern beziehen sich meistens auf einzelne Korrespondenz-Belege, seltener auf die jeweilige Aufenthaltsdauer. Cic. Att. 14,3. Cic. Att. 14,4. Cic. Att. 14,5. Cic. Att. 14,6. Cic. Att. 14,7. Cic. Att. 14,8. Cic. Att. 14,9. Cic. Att. 14,10. Cic. Att. 14,11; 14,16. Cic. Att. 14,17f. Cic. Att. 14,20; 15,1. Cic. Att. 15,1a. Cic. Att. 15,3; 15,4a.

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(14) Ende Mai kam er, zwischen eigenen Erwägungen und den Ratschlägen verschiedener Freunde hin- und herschwankend, schließlich doch wieder nach Tusculum zurück (77km; 28. Mai).39 Insgesamt war Cicero auf dieser Reise in 49 Tagen 484 Luftlinien-Kilometer unterwegs. Die Größenordnung des zurückgelegten Reisepensum entspricht also in etwa den Reisen der Jahre 59 (420km) und 56 (448km). Nur hat Cicero im Jahr 44 insgesamt zehn seiner dreizehn Anwesen aufgesucht (Arpinum, Astura, Cumae, Formiae, Fundi, Lanuvium, Pompeii, Puteoli, Sinuessa, Tusculum; davon waren sieben Landgüter), während es bei den beiden erstgenannten Inspektionsreisen nachweisbar jeweils nur vier Anwesen waren, die er aufsuchte. 3.3.2 Die zweite Reise Ciceros im Jahr 44 v.Chr. Da die Situation der Republikaner in Italien im Laufe des Juni immer brenzliger wurde, meinte Cicero, seine ursprüngliche Absicht, Italien zu verlassen, doch verwirklichen zu sollen. Die Reise, die er nun antrat, war also keine der jahrweise üblichen Inspektionsreisen, sondern eher eine durch politische Umstände verursachte Flucht mit Rückkehr in der Zeit vom 7. Juni bis zum 31. Sextilis. (1) (2) (3) (4) (5) (6)

Er brach am 7. Juni von Tusculum nach Antium (40km)40 und Astura auf (43km; 10. bis 15. Juni)41 und kehrte wieder zurück nach Tusculum (43km; 20. bis 30. Juni).42 Am 2. Juli meldete er sich wieder aus Arpinum (77km),43 am 6. Juli aus Formiae (44km)44 und war vom 7. bis 11. Juli in Puteoli (70km).45

Hier stellte sich ihm die Frage nach der weiteren Reiseroute erneut – über Brundisium unter der Bedrohung durch die Soldaten des Antonius oder zur See mit ihren Fährnissen angesichts der immer virulenten Piratengefahr durch die Meerenge bei Messana nach Athen. Diese Lösung schien ihm schließlich ratsamer. (7) (8) (9) (10)

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Er fuhr von Puteoli nach Pompeii (35km)46 und von dort am 17. Juli zur See über Velia (115km)47 nach Vibo Valentia (180km),48 wo er am 24. Juli landete.49 Am 28. Juli stach er wieder in See und kam noch am selben Tag nach Rhegion (97km).50

Cic. Att. 15,5. Cic. Att. 15,11. Cic. Att. 15,12; 15,18. Cic. Att. 15,20; fam. 16,23. Cic. Att. 15,26. Cic. Att. 15,29. Cic. Att. 16,1f. Cic. Att. 16,2f. Cic. Att. 16,6,1. Cic. Att. 16,6; vgl. Crispo 1941. Cic. Att. 1,6,1.

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(11) Von Rhegion aus unternahm er einen Abstecher nach Syrakus (122km; 1. August).51 Er verließ die Stadt jedoch schon tags darauf und (12) fuhr nach Leucopetra (105km) im Osten von Rhegion, von wo er am 6. August nach Griechenland übersetzen wollte.52 Die Weiterfahrt nach Korkyra – er war schon 300 Stadien unterwegs – verwehrte ihm ein heftiger Südwind,53 weshalb er wieder zurückkehren musste (115km)54 und mehrere Tage in Leucopetra blieb (bis zum 16. August).55 Bewogen durch neue Nachrichten aus Rom änderte er seinen Reiseplan aber entschlossen und (13) segelte wieder über Velia (261km; 17. August)56 (14) nach Pompeii (116km; 19. August).57 (15) Am 31. August traf er in Rom ein (219km).58 Insgesamt umfasste diese 86-tägige Reise-Etappe 1.682km Luftlinien-Distanzen; sechs seiner Anwesen besuchte er auf dieser Reise (Arpinum, Astura, Formiae, Pompeii, Puteoli, Tusculum). Allein schon die hier behandelten drei Inspektionsreisen, die bei einem begüterten Aristokraten offenbar zum jährlichen Alltag gehörten, waren zweifelsohne angesichts der spätrepublikanischen Straßenverhältnisse eine beachtliche physische Leistung. Eine ganz außergewöhnliche Leistung bedeutete da aber für den zweiundsechzigjährigen Cicero die zuletzt behandelte Reise, berücksichtigt man auch die psychische und intellektuelle Anspannung, unter der er in diesen Tagen stand – nicht zu reden von der literarischen Produktivität, die den Autor gerade auf dieser Reise nicht verlassen hat.59 Eckart Olshausen Mühlweg 6, D-72414 Rangendingen [email protected] 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59

Cic. Att. 16,6,1. Cic. Phil. 1,7; vgl. Att. 16,6,1. Dazu Cass. Dio 46,14,4. Cic. Att. 16,7,1. Cic. 16,7,1: Auster vehemens. Cic. fam. 12,25,3 (hier schreibt er der besseren Verständlichkeit wegen Rhegion statt Leucopetra); Phil. 1,7. Vgl. Cic. Att. 16,7,1. Cic. Att. 16,7,5. Cic. Att. 16,7,8. Plut., Cicero 43,5f. Wenn man trotz der Einschränkungen durch die Luftlinien-Berechnung und dem Umstand, dass nur in wenigen Fällen Tagesreisen mit Start- und Zielort bekannt sind, feststellen wollte, wie schnell Cicero durchschnittlich gereist sein könnte, bietet sich folgende Überlegung an: Die zweite Inspektionsreise (3.2) weist Eintagesreisen für die Strecken Rom – Anagnia (59km) und Anagnia – Laterium (39km), die dritte Inspektionsreise (3.3.1) für Rom – Tusculum (22km), Tusculum – Lanuvium (14 km), Lanuvium – Astura (30km), Astura – Fundi (57km), Fundi – Sinuessa (33km), Sinuessa – Puteoli (38km), Puteoli – Pompeii (35km) und Puteoli – Sinuessa (38km) auf. Die Distanzen liegen also zwischen 14km und 59km, und mit aller Vorsicht könnte man einen Durchschnittswert feststellen, auf dessen Grundlage für die übliche Tagesreise ein Schnitt von 36,5km anzunehmen ist. Diesen Wert muss man angesichts der Luftlinienwerte nach oben korrigieren, will man der Realität nahe kommen. – Zum Thema Geschwindigkeiten im römischen Reise- und Nachrichtenverkehr vgl. generell Riepl 1913, 137–147; Friedlaender 1, 91922, 331–342; Kolb 2000, 308–320, und in diesem Band den Beitrag vom M. Heil, besonders S. 293f.

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Literatur Agache 2008: S. Agache, La villa comme image de soi, in: C. Lévy, P. Galand-Hallyn (Hg.), La villa et l’univers familial dans l’Antiquité et à la Renaissance, Paris, 15–44 Casson 1974: L. Casson, Reisen in der Alten Welt, München Cotard 1933: R. Cotard, Un voyage à Arpinum, in: Humanités 6, 100–104 Crispo 1941: C. F. Crispo, I viaggi di M. T. Cicerone a Vibo, in: Archivio Storico per la Calabria e la Lucania 11, 225–233 Drumann, Groebe 21929: W. Drumann, P. Groebe, Geschichte Roms in seinem Übergange von der republikanischen zur monarchischen Verfassung, 6 Bd., Leipzig Friedlaender 91922: L. Friedlaender, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von August bis zum Ausgang der Antonine 1, Leipzig Giebel 1999: M. Giebel, Reisen in der Antike, Düsseldorf/Zürich, 158–163 Hales 2000: S. Hales, At home with Cicero, in: Greece and Rome 247, 44–55 Kolb 2000: A. Kolb, Transport und Nachrichtentransfer im Römischen Reich, Berlin (Klio Beiheft 2) Kulinat 2002: K. Kulinat, Gute Reise! Reisemotive aus der Sicht der Anthropogeographie, in: E. Olshausen, H. Sonnabend (Hg.), Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 7, 1999. Zu Wasser und zu Land. Verkehrswege in der antiken Welt, Stuttgart (Geographica Historica 17), 419–428 Mayer 2005: J. W. Mayer, Imus ad villam. Studien zur Villeggiatur im stadtrömischen Suburbium in der späten Republik und frühen Kaiserzeit, Stuttgart (Geographica Historica 20) McCracken 1935: G. McCracken, Cicero’s Tusculan Villa, in: The Classical Journal 30, 261–277 Olshausen 2002: E. Olshausen, Gute Reise! Mit Cicero unterwegs, in: E. Olshausen, H. Sonnabend (Hg.), Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 7, 1999. Zu Wasser und zu Land. Verkehrswege in der antiken Welt, Stuttgart (Geographica Historica 17), 251–262 Riepl 1913: W. Riepl, Das Nachrichtenwesen des Altertums mit besonderer Rücksicht auf die Römer, Berlin Stock 2004: F. Stock, Viaggi nocivi, viaggi terapeutici, in: Latina Didaxis 19, 129–142 Treggiari 1999: S. Treggiari, The upper-class house as symbol and focus of emotion in Cicero, in: Journal of Roman Archaeology 12, 33–36

Abb. 1: Ciceros Immobilien (Karte: Richard Szydlak)

Der bewegte Alltag des M. Tullius Cicero

Abb. 2: Ciceros Reise im Jahr 59 v.Chr. (Karte: Richard Szydlak)

Abb. 3: Ciceros Reise im Jahr 56 v.Chr. (Karte: Richard Szydlak)

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Abb. 4: Ciceros Reisen im Jahr 44 v.Chr. (Karte: Richard Szydlak)

Angela Pabst

Mobilität und Stabilität in der griechischen Welt der römischen Kaiserzeit

›Mobilität‹ – sei es im ursprünglichen Sinn häufig erfolgender und permanent unschwer zu realisierender Ortsveränderung oder im metaphorischen Gebrauch für gesellschaftliche Strukturen und innere Haltungen – ›Mobilität‹ also ist in unserer Gegenwart ein durchweg positiv besetzter Begriff. Das zeigt sich bereits daran, daß wir das Schlagwort der ›sozialen Mobilität‹, eigentlich nichts anderes als Bewegung im gesellschaftlichen Raum, assoziativ weit eher mit der Chance eines Aufstiegs denn mit dem Risiko des Abstiegs verbinden1 und daß Bereitschaft zu Reisen und Wohnortwechsel heute oft als Zeichen geistiger Flexibilität und beruflichen Engagements genommen wird. Demgemäß liegt als Gegensatz die Benennung eines Defizits, ›Mangel an Mobilität‹, ›fehlende Mobilität‹, ebenso nahe wie ein negativ akzentuierter Rückgriff auf Bilder von Gegenständen und Prozessen, die Bewegung hemmen oder sie selbst nicht oder nicht mehr aufweisen, Termini im Stile von ›Verkrustung‹, ›Petrifizierung‹, ›Zementierung‹, ›Erstarrung‹ also. Daß dies freilich nicht die einzig denkbare Kontrastsetzung ist, wird spätestens dann deutlich, wenn man sich das Wortfeld des lateinischen mobilis ansieht, das auch Vorstellungen wie ›unbeständig‹, ›wankelmütig‹, ›unsicher‹ einschließt,2 oder wenn man in der heutigen Debatte, bis hinein in die Populärkultur, Wünsche nach Beständigkeit und Bleibendem artikuliert findet. Wo der rasche Wechsel, vielleicht sogar überhaupt irgendein Wechsel nicht erstrebenswert erscheint, wird man Verharren statt Veränderung würdigen und – in einer analogen Wortbildung – ›Stabilität‹ dann der ›Instabilität‹ entgegenhalten. Im folgenden soll es allerdings nicht einfach darum gehen, auf einem Kongreß zur Mobilität dem audiatur et altera pars Rechnung zu tragen und auch die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen. Vielmehr will ich mit der griechischen Welt der römischen Kaiserzeit ein Thema ansprechen, bei dem die moderne Forschung zu Deutungen neigt, die durchaus unter ›Mobilität‹ einer-, ›Stabilität‹ andererseits zu subsumieren sind. Schlaglichtartig illustrieren kann man dies am Titel jenes Aufsatzes, mit dem Greg Woolf 1994 einen wesentlichen Anstoß zu einer kulturwissenschaftlich orientierten Beschäftigung mit der Materie gegeben hat: Becoming Roman, Staying Greek, mobil: römisch und Römer werden, sta1

Dies findet selbst in der Fachwissenschaft, wo ›vertikale Mobilität‹ sehr wohl die Möglichkeit des ›Abstiegs‹ einschließt (siehe z.B. K. M. Bolte, Mobilität, in: W. Bernsdorf [Hg.], Wörterbuch der Soziologie, Bd. 2, Frankfurt 1972, 554–557), seinen Niederschlag: Vgl. etwa B. Kühnert, Zur sozialen Mobilität in der späten römischen Republik: plebs und ordo equester, in: Klio 72, 1990, 144–150. 2 Vgl. ThLL 8, s.v. mobilis, Sp. 1199f. und s.v. mobilitas, Sp. 1202.

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bil: griechisch und Grieche bleiben, heißt es da.3 Dabei möchte ich das Verhältnis von Beharren und Bewegung noch prägnanter als bisher geschehen erfassen und einige der gängigen Erklärungsmuster einer kritischen Prüfung unterziehen. Machen wir uns zunächst an eine kurze Rekapitulation der Sachlage. Seit dem Ende des Ptolemaierreiches und der Einrichtung der Provinz Achaia in den Jahren 30 und 27 ist nahezu die gesamte griechische Welt Teil des Imperium Romanum,4 auch wenn die Autonomie bei einigen poleis, jenen in der Kategorie der civitates liberae ac immunes, prekär von Rom restituiert ist.5 Bereits im Jahr 90 v.Chr. haben sich die Griechenstädte Italiens, soweit sie zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch formale Souveränität als Verbündete genossen,6 entschlossen, das durch den Bundesgenossenkrieg erzwungene Angebot Roms anzunehmen und die civitas Romana zu akzeptieren. Die Entscheidung zur Selbstauflösung fällt freilich – eine interessante Arabeske am Rande – in Neapel und Herakleia nur mit knapper Mehrheit.7 Obschon die Situation der westlichen Apoikien fraglos eine spezifische, in der Forschung zudem selten beachtet ist und im folgenden nicht im Zentrum stehen soll, ist es doch der Erwähnung wert, daß selbst hier – d.h. in einem rein römischen Umfeld, teils bei relativ frühem Erhalt des römischen Bürgerstatus – die Frage nach einem potentiell griechischen Charakter einer Siedlung in der Kaiserzeit nicht sinnlos wird. Zumindest in der Außenwahrnehmung durch Römer und romanisierte Provinziale Galliens stellt beispielsweise das südfranzösische Massalia noch Mitte/Ende des 1. Jh. n.Chr. eine urbs Graeca8 dar und dies sogar in einem Maß, das es zu einem geeigneten Ort für jenen Schnupperkurs in Philosophie macht, den römische Jugendliche der führenden Schichten sonst meist in Athen absolvieren.9 Bei Reisen von Personen aus den östlichen Provinzen hat man demnach zu bedenken, daß sie sich nicht bloß in Rom, wo bekanntlich die ganze Welt zusammenkam,10 zuhause fühlen konnten. Auch in Gallien, für das etwa ein Besuch Lukians bezeugt ist,11 oder in Campanien brauchten sie sich nicht außerhalb des vertrauten Kulturkreises zu bewegen und mit offenkundigen Unterschieden auseinanderzusetzen. Tatsächlich präsentiert Philostrat in den Eikones noch im 2. Jh. seinen Aufenthalt in Neapel als den unter Leuten, die griechischer Abstammung sind und sich in ihrer Leidenschaft für Reden als griechisch 3

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G. Woolf, Becoming Roman, Staying Greek: Culture, Identity and the Civilizing Process in the Roman East, in: PCPhS 40, 1994, 116–143. Eine Metaphorik von Bewegung findet sich jüngst auch bei M. Meyer, wenn sie in Akkulturationsprozesse – Versuch einer Differenzierung (in: dies. [Hg.], Neue Zeiten – neue Sitten. Rezeption und Integration römischen und italischen Kulturguts in Kleinasien, Wien 2007, 9–18, hier: 11f.) den Akt bewußten Beharrens auf der eigenen Tradition als ›Persistenz‹ kategorisiert. Zur analogen Wahrnehmung seitens der Zeitgenossen vgl. Dion. Hal. ant. 7,71,1. Informationen zu dieser Gruppe von Gemeinwesen etwa bei S. E. Alcock, Graecia Capta. The Landscape of Roman Greece, Cambridge 1993, 22f. Eine diesbezüglich kritische Phase war die Zeit nach dem 2. Punischen Krieg und die Bestrafung jener socii, die sich damals zu wenig loyal zu Rom gezeigt hatten, vgl. dazu K. Lomas, Rome and the Western Greeks 350 BC–AD 200. Conquest and Acculturation in Southern Italy, London/New York 1993, 77–84, v.a. 79f. und A. J. Toynbee, Hannibal’s Legacy, Bd. 2, London 1965, 120f. Cic. Balb. 21. Vgl. auch Lomas (wie Anm. 6), 93. Tac. Agr. 4,2. Zum Beginn dieser Entwicklung siehe auch Strab. 4,1,5 C181. Vgl. z.B. Athen. 1,(36),20 b/c. Lukian., Bis accusatus 27 und Apologia 15 (Hinweis auf längeren Aufenthalt).

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erweisen,12 während der lateinische Dichter Statius sich sehr wohl kontroverser Einschätzungen seiner Heimatstadt bewußt ist, deren Zuordnung zur griechischen Welt für ihn jedoch ohne Rückgriff auf die Geschichte auskommt. Sogar bei Verlust historischer Überlieferung wird sie durch das Verhalten der gegenwärtigen Bewohnerschaft aktuell erlebbar.13 Daß es im Gymnasion Neapels ein stark frequentiertes öffentliches Training von Athleten samt dem typisch griechischen Kult um die Sportstars gab, ist für Dion von Prusa eine nicht erläuterungsbedürftige Selbstverständlichkeit.14 All diesen Zeugnissen gemeinsam ist, daß die griechischen Wurzeln eine zwar nötige, freilich nicht hinreichende Bedingung für das Prädikat, griechisch zu sein, sind. Daß dieses Erbe nicht verloren geht, liegt vielmehr in der Hand der jeweils lebenden Generation. Verläßt man die Peripherie der griechischen Welt und begibt sich in deren Kernbereich, so sah sich die moderne Forschung von jeher mit einem zwiespältigen Befund konfrontiert, den sie jeweils unterschiedlich ausdeutete. Zum einen sind viele der literarischen oder politischen Protagonisten dieser Region seit Mitte/Ende des 1. Jh. n.Chr. im Besitz des römischen Bürgerstatus, zum anderen aber findet dort unleugbar nicht jene Entwicklung statt, die man in den lateinisch geprägten Provinzen des Westens beobachten kann, wobei es in unserem Zusammenhang allenfalls sekundär ist, ob man es vorzieht, sie als Romanisierung oder Romanisation zu etikettieren.15 Versuchen wir, letztere Eigenart der griechischen Welt noch etwas genauer zu erfassen, so läßt sich im Bereich der materiellen Kultur und des Alltagslebens eine klare Zweiteilung im Umgang mit Elementen der römischen Zivilisation feststellen: Auf keine Reserve stoßen technische Innovationen – beispielsweise der Zement16 – oder Objekte, die mit etablierten Gepflogenheiten17 zu vereinbaren und für sie zu nutzen sind, dabei vielleicht noch den Komfort steigern, so daß Bäder römischen Typs relativ geräuschlos an die Stelle der eher schlichten Waschgelegenheiten der Gymnasien und Palaistren treten.18 Zunehmend problematisiert wird demgegenüber freilich alles, was als signifikant römisch mit Symbolwert und einer spezifisch römischen Semantik aufgeladen ist, die eine Umdeutung oder neutrale Verwendung, eine Entleerung von solchen Sinngehalten ausschließt. So präsentiert sich, wie R. R. R. Smith im Journal of Roman Studies 12 13 14

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Philostr. imag. 1,4. Stat. silv. 5,3,109–111. Dion Chrys. or. 28,1f. Als facettenreiche Monographie zur Stadt (mit Auswertung des epigraphischen Materials) siehe M. Leiwo, Neapolitana. A Study of Population and Language in Greco-Roman Naples, Helsinki 1994. Zum Stand der allgemeinen terminologischen Debatte vgl. G. Woolf, Romanisierung, in: DNP 10, 2001, 1122–1127 und G. Schörner (Hg.), Romanisierung – Romanisation. Theoretische Modelle und praktische Fallbeispiele, Oxford 2005. Während Meyer (wie Anm. 3) derartigen Wortbildungen sehr skeptisch gegenübersteht (S. 15–17), wird ihr Wert jüngst von Chr. Mann, »Um keinen Kranz, um das Leben kämpfen wir!«. Gladiatoren im Osten des Römischen Reiches und die Frage der Romanisierung, Berlin 2011, 16–22, verteidigt. Vgl. dazu etwa F. Hueber, Römischer Einfluß auf die Bautechnik, Bauwirtschaft und Architekturkonzepte in Kleinasien, in: Meyer (wie Anm. 3), 45–52, hier: 50–52. Vgl. zur Bedeutung dieses Aspekts die wie immer sehr anregenden Überlegungen von E. Flaig, Über die Grenzen der Akkulturation. Wider die Verdinglichung des Kulturbegriffs, in: G. VogtSpira, B. Rommel (Hg.), Rezeption und Identität. Die kulturelle Auseinandersetzung Roms mit Griechenland als europäisches Paradigma, Stuttgart 1999, 81–114. Siehe etwa M. Steskal, Griechische Gymnasien und römische Thermen, in: Meyer (wie Anm. 3), 115–123.

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1998 herausgearbeitet hat, die Führungsschicht des griechischen Ostens auf Ehrenstatuen des 2. Jh. – anders als in der frühen Kaiserzeit – in aller Regel mit Himation und Bart, nicht Toga und glattem Kinn.19 Im zugehörigen Diskurs stellt Dion schon um 100 n.Chr. – also deutlich vor Hadrian – der Zuhörerschaft seiner Heimatpolis die intakte griechische Welt von Olbia vor Augen, in welcher der einzige Mann ohne Bart ein verachteter Außenseiter ist, von dem alle annehmen, er rasiere sich, »um den Römern zu schmeicheln (kolazein) und seine Sympathie für sie zu bekunden (ten pros hautous philian epideiknymenos)«.20 Im Fall der Gladiatorenkämpfe – um noch ein weiteres Beispiel zu geben – dürfte der Rahmen der Veranstaltung entscheidend sein. Soweit nicht ohnehin vom Statthalter ausgerichtet, erregen sie dort keine Bedenken, wo sie Teil der Loyalitätsbekundung an Rom mittels des Kaiserkultes sind,21 sehr wohl jedoch, falls sie ohne solchen Bezug auf Polisebene abgehalten werden.22 Obschon Athen das Procedere dahingehend modifiziert, daß ausschließlich Hinrichtungskandidaten zum Einsatz gelangen,23 muß es sich den Vorwurf eines Verrats eigener Werte24 wie der griechischen Tradition gefallen lassen. Mit der colonia Laus Iulia Corinthiensis, seit 77 colonia Iulia Flavia Augusta Corinthiensis, uns besser bekannt als Korinth, nichtsdestoweniger in der Wahrnehmung der Mitwelt einer römischen, später allenfalls hellenisierten, nicht aber griechischen Stadt,25 mit dieser Römerstadt also in den Mo19 20

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R. R. R. Smith, Cultural Choice and Political Identity in Honorific Portrait Statues in the Greek East in the Second Century A.D., in: JRS 88, 1998, 56–93. Dion Chrys. or. 36,17. Zusätzlich erwägenswert ist die Anregung des Kommentars von H.-G. Nesselrath, philia reziprok aufzufassen und zu übersetzen als »sein freundschaftliches Verhältnis zu ihnen zur Schau stellen wollte« (Dion von Prusa, Menschliche Gemeinschaft und göttliche Ordnung: Die Borysthenes-Rede, Darmstadt 2003, 39, 73). In der Realität könnte dann sogar ein Klientelverhältnis gemeint sein. Zu dessen Problematik für Griechen siehe T. Whitmarsh, The Sincerest Form of Imitation: Plutarch on Flattery, in: D. Konstan, S. Said (Hg.), Greeks on Greekness. Viewing the Greek Past under the Roman Empire, Oxford 2006, 93–111. Zu diesem in Inschriften reichlich bezeugten Anlaß siehe jetzt die facettenreiche Monographie von Chr. Mann (wie Anm. 15, ab S. 57). Weshalb freilich die signifikante Betonung des Rombezugs (vgl. z.B. auch die dort auf S. 63f., 68, 78f., 81, 128f., 132 angesprochenen Faktoren) dieser Veranstaltung, also ihre Markierung als kulturell andersartig, von Mann als »Romanisierung« der griechischen Welt gedeutet wird (S. 179), bleibt unklar. Dion Chrys. or. 31,121; Philostr. Ap. 4,22,1; Lukian, Demonax 57. Zu einem breiteren diesbezüglichen Diskurs siehe auch Anm. 28. Sollten die Kämpfe in Athen ebenfalls realiter in den Kaiserkult eingebettet gewesen sein (die entsprechende Vermutung von A. J. S. Spawforth, The Early Reception of the Imperial Cult in Athens, in: M. C. Hoff, S. I. Rotroff [Hg.], The Romanization of Athens, Exeter 1997, 183–201, hier: 184, stützt sich freilich allein auf die Tatsache, daß Gladiatorenspiele üblicherweise einen solchen Anlaß haben), so wird dieser Aspekt jedenfalls von allen antiken Kritikern ausgespart. Philostr. Ap. 4,22,1. Dieses Detail, das zu erfinden Philostrat keinen Grund hatte, bleibt in der Regel unbeachtet. Lukian, Demonax 57: Erinnerung an den Altar des Mitleids. Hierzu besonders Ps.-Dion Chrys. (=Favorin.) or. 37,26, wo der aus Arelate stammende Autor sich selbst als hellenisierten Römer einführt und in diesem Punkt eine Übereinstimmung mit der Stadt deklariert. Bestätigt wird die Sonderstellung Korinths auch durch die Untersuchung von J. König, Favorinus’ Corinthian Oration in its Corinthian Context, in: PCPhS 47, 2002, 141–171. Zu ähnlichen Befunden bei anderen coloniae im griechischen Raum siehe B. Levick, Roman Colonies in Southern Asia Minor, Oxford 1967; F. Millar, The Roman Colonies in the Near East: a Study of Cultural Relations, in: H. Solin, M. Kajava (Hg.), Roman Eastern Policy and Other Studies in Roman History, Helsinki 1990, 7–58 und P. Talloen, One Question, Several Answers: The Introduction of the Imperial Cult in Pisidia, in: Meyer (wie Anm. 3), 233–242.

Mobilität und Stabilität in der griechischen Welt der römischen Kaiserzeit

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nomachien zu wetteifern oder sie gar zeitweise zu übertreffen, ist für die ›Schule von Hellas‹ kein Ruhmestitel und – glaubt man Philostrat – sowohl ein andernorts in Griechenland nicht zu beobachtendes wie bei Athen ein anschließend revidiertes und im 2. Jh. verschwundenes Fehlverhalten. Schon in diesem Material findet sich demnach eine Entwicklung gespiegelt, die alles andere denn die von der älteren Forschung26 großteils konstruierte linear fortschreitende Annäherung an Rom ist. Ganz im Gegenteil liefert es erste Hinweise auf ein verstärktes Streben nach Abgrenzung, das sich gelegentlich radikal ausprägen konnte. Der Kyniker Peregrinus schloß dann in seine Kritik auch die verbesserte Wasserversorgung in Gestalt von Aquaedukt und Laufbrunnen in Olympia ein,27 die seine Mitwelt mehrheitlich als unbedenklichen technischen Fortschritt einstufte, wenngleich eine öffentlich gehaltene Rede pro balneis des Favorinus von Arelate, ein Pendant zu einem Plädoyer pro gladiatoribus,28 bezeugt, daß Peregrinus mit seinen Bedenken nicht ganz alleine stand. Ähnlich extrem rief der philosophische Provokateur auch zum Aufstand auf,29 während andere diese Option zwar bedachten, freilich als aussichtslos verwarfen.30 Einmal aufmerksam geworden wird man das Phänomen der Herstellung bzw. Wahrung von Distanz zu Rom in den literarischen Texten des späten 1. und des 2. Jh. vielerorts finden, bei Plutarch ebenso wie bei Dion von Prusa, bei Ailios Aristeides und Appian nicht weniger als bei den zwei bis drei Philostraten und Lukian. Sie alle haben den Status römischer Bürger, ohne ihn selbst je zur Sprache zu bringen, vor allem aber, ohne sich damit zu identifizieren, indem sie sich etwa als Teil der herrschenden Macht betrachten oder die römische Geschichte, wie dies Geschichtsschreiber des lateinischen Westens durchaus tun, als ihre eigene zu empfinden.31 Stattdessen grenzen sie sich häufig explizit von den Römern ab32 und positionieren sich auf der Seite der beherrschten, ja fast versklavten Provinzialen.33 Komplementär dazu sind sie, anders als prorömische griechische Autoren der Republik und augusteischen Zeit34 nicht mehr bereit, Rom als besser denn seine griechischen 26

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Vgl. z.B. B. Forte, Rome and the Romans as the Greeks Saw Them, Rom 1972. Nachwirkung eines solchen ›Fortschrittsschemas‹ noch am Ende der Studie H. Halfmanns (Die Selbstverwaltung der kaiserzeitlichen Polis in Plutarchs Schrift Praecepta gerendae rei publicae, in: Chiron 32, 2002, 83–95), die für Plutarch selbst durchaus einen anderen Befund erhebt. Lukian., Peregrinus 19. Trotz der keineswegs neutralen Darstellung Lukians besteht kein Grund zu Zweifeln an der Historizität des Ereignisses, dazu C. P. Jones, Culture and Society in Lucian, London 1986, 125. Als Auslöser dürfte der Bauherr der Leitung, Herodes Atticus, eine Rolle gespielt haben: So bezeugt Philostr. soph. 2,1,33 einen Konflikt zwischen ihm und Peregrinus, bei dem es interessanterweise um den Anspruch, Grieche zu sein, geht. Testimonium: Philostr. soph. 1,8,6=fr. 4 und 5 in der Ausgabe von A. Barigazzi, Firenze 1966. Zu Favorinus: Anm. 25. Lukian., Peregrinus 19. Ein Aufstand in Achaia wird aber in der HA für die Zeit des Antoninus Pius berichtet (5,5). Vgl. z.B. auch Plut. mor. 814a und 815d. Hierzu auch A. Pabst, Identitätssuche. Wie römisch sind provinziale Geschichtsschreiber der Kaiserzeit?, in: Th. Brüggemann et al. (Hg.), Studia Hellenistica et Historiographica, Festschrift für A. Mehl, Gutenberg 2010, 121–141. So erläutert Appian beispielsweise, »die Römer« würden 2–3 Namen tragen, und führt sich selbst kurz darauf als »Appianos, der Alexandriner« ein (praef. 13=51 und 15=62). Deutlich etwa Plut. mor. 813e; 814c/e. Exemplarisch zu nennen neben Polybios etwa Dionysios von Halikarnassos und Strabon.

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Kontrahenten anzusehen. So bieten in Plutarchs Biographien die Figuren aus Hellas den Römern der Vorzeit gerade im Bereich der Politik und des Militärs, als Staatsmänner, Gesetzgeber und Feldherrn Paroli,35 während Appian bei der traditionellen Liste der Weltreiche das römische nicht zuungunsten des makedonischen aufwertet und letzteres an Bürgerkriegen und fehlender Geschlossenheit, mithin der eigenen Schwäche, nicht der Stärke der Sieger zugrunde gehen läßt.36 Sogar in seiner Romrede betont Aristeides die Leistung der Griechen bei der Verteidigung der Freiheit und verwahrt sich dagegen, sie je wegen eines Defizits anklagen zu wollen.37 Obschon eis Romen genretypisch und der Situation angemessen die Herrschaft der Römer in ein positives Licht rückt, deren Mechanismen zudem eindrucksvoll zutreffend analysiert, läßt nicht nur die Unterstreichung der Meisterschaft sämtlicher Griechen »gegen Herrscher Widerstand zu leisten«, die bei Appian ebenfalls thematisiert wird, aufhorchen.38 Aller Aufmerksamkeit wert ist speziell die Darstellung der römischen Bürger in griechischen Städten, genauer die der jeweils mächtigsten und größten Männer.39 Daß die Formulierung an die griechische Version für den vir clarissimus, den aner kratistos erinnert, wird uns noch zu beschäftigen haben. Diese Leute erledigen nämlich laut Aristeides für Rom das Geschäft jener Besatzungen, mit denen Athen und Sparta, später die Makedonen gescheitert waren,40 und »überwachen überall ihre eigene Heimat für euch«,41 d.h. die Römer. Vom Rhetor werden sie damit in einer Rolle gesehen, die im griechischen Denken ausnehmend negativ besetzt ist,42 und zugleich von ihrer Umwelt isoliert. Aus ihr sind sie ähnlich radikal herausgelöst, wie es Aristeides ausdrücklich, wiederum verbunden mit der Verleihung der civitas Romana und der Identifizierung der Betroffenen damit, für die Soldaten formuliert, die sich »fortan nur ungern zu ihrem eigenen Volk bekannten, aus dem sie einst gekommen waren«.43 Daß sich der Redner selbst 35

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Zu diesem Aspekt siehe R. Lamberton, Plutarch and the Romanizations of Athens, in: Hoff, Rotroff (wie Anm. 22), 151–160, hier: 155–157 und ders., Plutarch, New Haven/London 2001, 66. V.a. App. praef. 9=32–34; 10=38; dazu ausführlich Pabst (wie Anm. 31), 132–134. Aristeid. or. 26,51; 26,58. App. praef. 3=10. Die von Nero gewährte Freiheit der Griechen läßt Plutarch mor. 568a seinen Erzähler als gottgewollt präsentieren und Verbrechen des Kaisers aufwiegen. Vgl. auch die Würdigung Alexanders in Aristeid. or. 26,25. In Revision seiner eigenen älteren Arbeiten gelangt L. Pernot in einer neuen Analyse (Aelius Aristides and Rome, in: W. V. Harris, B. Holmes [Hg.], Aelius Aristides between Greece, Rome, and the Gods, Leiden/Boston 2008, 175–201) anhand anderer als der hier vorgestellten Beobachtungen zu der Feststellung, daß »the speech is much less flattering than has previously been thought and it incorporates a certain audacity« (S. 118), und sieht sich veranlaßt, die Haltung des Aristeides wie anderer Griechen zur römischen Herrschaft neu zu überdenken (wichtig v.a. S. 177, 185, 199f.). Aristeid. or. 26,64. Aristeid. or. 26,50; 26,52; 26,27; 26,29. Aristeid. or. 26,64. Besonders klar etwa das Gründungsstatut des 2. Athenischen Seebundes (IG II 43, l. 22) als Reaktion auf diesbezügliche Kritik am delisch-attischen Seebund (dazu W. Schuller, Die Herrschaft der Athener im Ersten Attischen Seebund, Berlin/New York 1974, 32–36, 130, 156) und die Debatte um die makedonischen, später römischen Besatzungen in Chalkis, Demetrias und Korinth als »Fesseln Griechenlands« (Pol. 18,11; 18,44f.). Aristeid. or. 26,75 (Übers. R. Klein, Die Romrede des Aelius Aristides, Darmstadt 1983, 47). Interessant ist auch or. 26,59 in Verbindung mit 26,94 und 26,96. Hier distanziert sich Aristeides nämlich sehr subtil von der römischen Auffassung, es gäbe nur noch die Kategorien von Römern

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konsequent jeder Übernahme politischer Funktionen, vor allem aber solcher, die auf Provinzebene angesiedelt sind und vom Proconsul vergeben werden, verweigerte,44 muß danach nicht nur seiner schwachen Gesundheit geschuldet sein. Ein derartiger Übergang von der Diagnose zur Reaktion braucht nicht auf Aristeides beschränkt zu werden. So ist es generell bedenkenswert, welche Funktion Äußerungen wie die über den glattrasierten Opportunisten oder die Besatzer aus den eigenen Reihen haben. Obschon sie unbestreitbar Abstand von Rom bezeugen, muß Ziel der Autoren keineswegs zwingend jene Kritik an Rom sein, welche die Forschung dahinter meist vermutet und im selben Atemzug dann als sinnlos und deswegen wiederum wenig plausibel deklariert hat.45 Der letztgenannte Einwand erübrigt sich allerdings, sobald man die entsprechenden Passagen als Teil eines innergriechischen Diskurses über das eigene Verhalten unter römischer Herrschaft, speziell über die Grenzen der Annäherung und Kooperation nimmt. Dann kann das Negativbild der phroura bei Aristeides ebenso Wirkung auf griechische Politiker entfalten wie die positiv gehaltenen normativen Vorgaben in Plutarchs Essay Wie man Politik machen soll: Hier werden die Inhaber von Polisämtern beispielsweise zur mutigen Vertretung der Interessen ihrer Stadt gegenüber dem Statthalter und Kaiser aufgefordert und vor der Verlockung gewarnt, sich der eigenen Verantwortung durch unnötige Einschaltung des proconsul zu entledigen oder Konkurrenzkämpfe mittels der Nutzung von Beziehungen zu römischen Funktionären zu entscheiden. Verloren sei dann der Rest der Freiheit und die Sklaverei vollendet.46 Bereits an dieser Stelle dürfte deutlich geworden sein, daß nicht davon auszugehen ist, bei Menschen der griechischen Welt hätte eine politische Identität als Römer komplementär und konfliktfrei neben jener als ›Kulturgriechen‹ gestanden, wie es ein nach wie vor beliebtes Modell der Forschung vorschlägt.47 Der dominante Diskurs läuft vielmehr darauf hinaus, daß beides antithetische Identitäten sind, die er zudem jeweils holistisch, nicht segmentär konzipiert. Mit dem Erwerb des römischen Bürgerstatus durch einen Menschen 43

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und Nichtrömern, von denen erstere Teilhaber an der Herrschaft und nicht länger Untertanen seien, indem er im weiteren exakt die vermeintlich obsolet gewordene Einteilung in Griechen und Barbaren benutzt. V.a. Aristeid. hier.log. 4 (=or. 50 Keil), ab 72; vgl. auch Publius Aelius Aristides, Heilige Berichte, Einleitung, deutsche Übers. und Komm. von H. O. Schröder, Heidelberg 1986, 107f. Anm. 174. Als Fehlverhalten gebrandmarkt wird das Streben nach solchen Posten in Plut. mor. 814d. Vgl. etwa E. Stephan, Honoratioren, Griechen, Polisbürger. Kollektive Identitäten innerhalb der Oberschicht des kaiserzeitlichen Kleinasien, Göttingen 2002 (Hypomnemata 143), 332. Plut. mor. 805a/b; 814f; 815a. Eine innergriechische Stoßrichtung des Textes wird auch von Chr. Kokkinia, The Governor’s Boot and the City’s Politicians. Greek Communities and Rome’s Representatives under the Empire, in: A. Kolb (Hg.), Herrschaftsstrukturen und Herrschaftspraxis. Konzepte, Prinzipien und Strategien der Administration im römischen Kaiserreich, Berlin 2006, 181–189 betont, dabei freilich ignoriert, daß der von Kokkinia favorisierte Aspekt einer Nutzung der Römer als Feindbild zur Stärkung des Zusammenhalts der Führungsschicht der Polis eine distanzierte Haltung zu Rom voraussetzt. In diesem Sinne neuerdings wieder Stephan (wie Anm. 45), z.B. S. 333; ebenso auch mehrfach P. Desideri, so etwa in: The Meaning of Greek Historiography of the Roman Imperial Age, in: E. N. Ostenfeld (Hg.), Greek Romans and Roman Greeks. Studies in Cultural Interaction, Oxford 2002, 216–224, hier: 223f. Zur Problematik des zugrundeliegenden (und nicht näher reflektierten) Kulturbegriffs siehe U. Gotter, ›Akkulturation‹ als Methodenproblem der historischen Wissenschaften, in: W. Eßbach (Hg.), wir/ihr/sie. Identität und Alterität in Theorie und Methode, Würzburg 2000, 373–406, bes. 377f., 383.

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griechischer Herkunft und Sozialisation ist folglich eine Frage hinsichtlich dessen künftiger Zuordnung zu einer der zwei alternativ gehandelten Gruppen aufgeworfen, aber noch keineswegs eine Antwort – und schon gar nicht eine des Sowohl – Als Auch – gegeben. Ob der römische Bürgerstatus – den Griechen auch als Isopolitie verstehen können48 – dazu führt, daß jemand zum Römer wird, ist ganz wesentlich vom weiteren Verhalten der Person abhängig. Nutzt diese sämtliche Möglichkeiten, die ihr aufgrund der civitas, einer hohen sozialen Stellung und Verbindungen zu einflußreichen Protektoren (bis hin zum Kaiser) offenstehen, konkret: erreicht sie die Mitgliedschaft im Senat und übernimmt sie politische Posten auf dem Niveau der viri clarissimi, fungiert also als proconsul oder legatus Augusti pro praetore vir consularis, so wird die griechische Mitwelt sie nicht länger als Griechen sehen, sondern zu den Römern rechnen.49 Nachvollziehbar wird das dann, wenn man bedenkt, daß eine derartige Funktion essentielle Punkte des hellenischen Selbstverständnisses, allen voran die Sprache tangierte. Amtshandlungen waren nämlich, wie immer wieder eingeschärft wurde, auf Latein zu vollziehen.50 So ist auch das Schreiben, mit dem im Jahr 152/3 n.Chr. der hochrangige Senator L. Cuspius Pactumeius Rufinus, Pergamener von Geburt, sich für Aristeides’ Anliegen, nicht zum eirenarches bestellt zu werden, beim proconsul Asiae C. Julius Severus, der seinerseits aus Ankyra stammt, einsetzt, auf Latein geschrieben.51 Noch wichtiger an diesem Fall ist freilich Aristeides’ Wahrnehmung dieses Sachverhalts. Für ihn ist das Latein zu einem integralen Bestandteil von Rufinus’ Existenz, zu dessen eigener Sprache, tei heautou phonei geworden.52 Läßt man das Gesagte abschließend kurz Revue passieren, so wird man sicher feststellen dürfen, daß die griechische Welt der Kaiserzeit – von wenigen Ausnahmen wie Sparta abgesehen – keineswegs erstarrt oder museal ist und daß sie Bewegung zwar auch, aber nicht ausschließlich in den zahlreichen Reisen aufweist, welche die meisten prominenten Intellektuellen immer wieder unternehmen. Sogar die auffällige Stabilität selbst kann man als Resultat einer Bewegung sehen, welche sich den in Ansätzen auch im Osten wirksam werdenden Einflüssen der Vormacht Rom entgegenstemmt.53 »Griechisch zu bleiben« ist mithin kein Automatismus, sondern bedarf gesamtgesellschaftlich wie individuell einer Entscheidung. Daß gerade die politisch und sozial führende Schicht sich mehrheitlich dazu 48 49

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Vgl. P. Veyne, L’identité grecque devant Rome et l’empereur, in: REG 112, 1999, 510–567, hier: 557 Anm. 271. Ein Beispiel wäre wohl Arrian, den Lukian., Alexandros 2 als »Mann, der zu den führenden Römern gehört« (aner Romaion en tois protois) bezeichnet (vgl. dazu auch Pabst, wie Anm. 31, 127 Anm. 44). Eindeutig selbst den Römern ordnet sich Cassius Dio, Senator in zweiter Generation, zu. Besonders signifikant sind dabei Stellen wie 9,39,7 und 36,6,2, da hier eine Identifikation mit Elementen wie Toga (dazu Anm. 18) und römischen Kolonien (Anm. 25) stattfindet. Möglicherweise in diesen Kontext gehört auch Favorins Aussage, mit seiner Entscheidung, sich weitmöglichst zum Griechen umzuformen, habe er auf politikon axioma verzichtet (Ps.-Dion. Chrys. or. 36,25). Locus classicus ist Val. Max. 2,2,2; vgl. auch B. Rochette, Le Latin dans le monde grec, Bruxelles 1997, v.a. S. 104 und 161 mit weiteren Beispielen sowie W. Eck, Latein als Sprache politischer Kommunikation in Städten der östlichen Provinzen, in: Chiron 30, 2000, 641–660, hier v.a. 641, 645, 660. Zu den beteiligten Personen siehe PIR2 I 1637 und PIR IV.1 573 sowie H. Halfmann, Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Romanum bis zum Ende des 2. Jh. n.Chr., Göttingen 1979, Nr. 62 (S. 151f.) und Nr. 66 (S. 154). Aristeid. hier.log. 4,84=or. 50, p. 446 (Keil). In diesem Sinne verwendet Meyer den Terminus ›Persistenz‹, siehe Anm. 3.

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entschließt und ihre Mitglieder darin bestärkt, wird wohl einer der wesentlichen Gründe der vom Westen abweichenden Entwicklung sein, wobei die polis-Strukturen und die eigene geistige Tradition dafür eine günstige Ausgangslage bieten, da sowohl politische Tätigkeit wie Ruhm als Forscher oder Schriftsteller dadurch ohne Rom denkbar sind. Wer freilich an der Macht des Imperiums teilhaben möchte, wird dazu nicht allein räumlich seine Heimat verlassen müssen. Er – und nur er – wird sich tatsächlich vom Griechen zum Römer verwandeln. Uns mag er damit vielleicht in Erinnerung rufen, daß die letzte Steigerung der Mobilität, der unbegrenzt mobile Mensch in einer globalen Welt nicht ohne Kosten und Verluste zu haben ist. Angela Pabst Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Universitätsplatz 12, D-06108 Halle (Saale) [email protected]

Michael Rathmann

Orientierungshilfen für antike Reisende in Bild und Wort

1. Einleitung Jeder Reisende von der Antike bis zum heutigen Tag möchte sein Ziel in der Ferne möglichst geschickt, schnell und bequem erreichen. Dafür muss er sich zunächst über die potentiell zur Verfügung stehenden Routen und Reisemittel informieren. Bei der Auswahl zwischen den verschiedenen Optionen spielen diverse Parameter eine Rolle. Grundsätzlich dürfte eine Kosten-Nutzen-Analyse für den Reisewilligen von zentraler Bedeutung gewesen sein. Welche Transportmittel kann ich nutzen und wie viel Zeit muss ich dann jeweils für die Strecke veranschlagen?1 Bereits in der Antike war der finanzielle Aufwand sicherlich direkt proportional zum Faktor Zeit und Reiseluxus. Konnte der Reisende zum Beispiel in jeder mansio beziehungsweise mutatio sein Reittier wechseln? Konnte er eine Sänfte nutzen oder musste er den ganzen Weg zu Fuß gehen? Weitere vergleichbare Gedanken ließen sich anführen. Die konkrete Routenplanung und Durchführung des Unternehmens musste der Reisende im Gegensatz zu den Menschen in der Moderne mit sehr wenig technischem Equipment vornehmen. Der Grund hierfür ist simpel. Es war schlicht nicht vorhanden. Der antike Reisende musste ohne Sextant, Kompass, Fernglas, synchronlaufende Uhren, Navigationsgerät oder GPS auskommen – und nicht zuletzt auch ohne Landkarten. Zumindest schweigen unsere Quellen zum letzten Aspekt. An diesem Punkt setzt der vorliegende Beitrag an und diskutiert den Themenkomplex ›Karten und Reisen‹ in der Antike.2 Dabei ist zunächst zu 1

Zur ›Berechnung‹ von Reisekosten auf den großen antiken Wegen der Mittelmeeroikumene ist die von Walter Scheidel (Stanford University) initiierte Plattform Orbis. The Stanford Geospatial Network Model of the Roman World (http://orbis.stanford.edu) hilfreich. Jedoch suggerieren die hier generierten Ergebnisse von schnellsten oder kostengünstigsten Routen eine Genauigkeit/Objektivität, die in dieser Form nicht immer den antiken Gegebenheiten entsprochen haben dürfte. Alle Informationen zu Reisegeschwindigkeiten hat Kolb, Transport, 308–332 auf der Basis antiker Quellenzeugnisse verlässlich zusammengestellt. 2 Die Forschung hat sich bislang wenig mit der Frage der Orientierung antiker Reisender beschäftigt. Im Zuge der großen Kolonisation der Griechen wird oft pauschal auf die Bedeutung des Heiligtums in Delphi verwiesen, im Fall des persischen und römischen Reiches auf das gut ausgebaute Straßennetz mit seinen Parasangen- bzw. Meilensteinen. Dabei wird das hellenistische Straßenwesen ebenso gerne übergangen, wie sich bisweilen der Eindruck aufdrängt, dass unterschwellig von einer neuzeitlich anmutenden Autobahnbeschilderung entlang antiker Fernstraßen ausgegangen wird. Zwar bieten zahlreiche Inschriften wie beispielsweise CIL 10, 6950=InscrIt 3.1, 272=ILS 23; CIL 17.4, p. 130–132; CIL 8, 10118=ILAlg 1, 3892; CIL 17.2, 291; 490; 675; AE 2000, 1195 diverse Entfernungsangaben auf einem Stein. Der Normalfall sah jedoch anders aus, ohne damit die Be-

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Michael Rathmann

klären, über welche Hilfsmittel antike Reisende zur Orientierung im Raum grundsätzlich verfügten, und daran anknüpfend, warum Landkarten für die Reiseplanung allem Anschein nach nicht genutzt wurden. Waren antike Karten womöglich zu teuer für den ›normalen‹ Reisenden? Oder standen deren Form und Beschaffenheit (Material, Rotulus usw.) einer praktischen Nutzung während der Reise im Wege? Die Diskussion dieser Aspekte leitet dann zu der Frage über, welche Alternativen es gab und worin deren Vorteil lag. Im Resultat soll gezeigt werden, dass die Antike zwar Karten kannte, diese aber bei Reisen nicht zur Anwendung kamen, weil die vorhandenen alternativen Hilfsmittel zur Routenplanung und räumlichen Orientierung während der Reise völlig ausreichten und darüber hinaus leichter zu handhaben sowie unschlagbar günstiger waren.

2. Reiseplanungen mit Landkarten und anderen Orientierungshilfen Gereist wurde in der Antike nach Ausweis der Quellen viel.3 Zu den diversen Handelsunternehmungen, Reisen mit offiziellem oder primär privatem Charakter kamen die Inspektionsreisen und Feldzüge der Principes oder Legati. Gerade über die Kaiserreisen sind wir gut informiert.4 So erfährt man beispielsweise durch Cassius Dio relativ genau, auf welcher Route Claudius im Jahr 43 von Rom via Massilia auf den Kriegsschauplatz in Britannien gelangte.5 Gerne wüssten wir jedoch, auf welcher Informationsgrundlage der Weg ausgewählt und mit Blick auf die Verkehrsinfrastruktur logistisch vorbereitet wurde. Diesbezüglich ist eine Passage in der Severus Alexander-Vita der Historia Augusta aufschlussreich: Schweigen wurde bewahrt über die Geheimnisse der Kriegsführung, dagegen wurden die Zeiten des Ausmarsches öffentlich bekanntgegeben; er (sc. Severus Alexander) ließ nämlich zwei Monate vorher einen Erlass anschlagen, in dem es hieß: ›An dem und dem Tag und zu der und der Stunde gedenke ich aus Rom auszurücken und, so die Götter es wollen, das erste Quartier zu beziehen.‹ Des Weiteren folgte ein geordnetes Verzeichnis der Ortsunterkünfte sowie der Lagerplätze und der Stellen, wo die Lebensmittel gefasst werden sollten; dieses Verzeichnis erstreckte sich bis an die Grenze des Feindgebiets.6

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deutung von Miliarien zur Orientierung im Raum schmälern zu wollen. Vgl. Salway, Perception; Brodersen, Presentation; Kolb, Straßenverzeichnisse. Den Themenkomplex der Raumorientierung antiker Reisender übergehen sowohl Friedländer, Darstellungen, 318–490; Bender, Reiseverkehr; Casson, Travel als auch das populärwissenschaftliche Buch von Giebel, Reisen. Das gleiche Bild bietet auch Cary, Warmington, Entdeckungen. Vgl. Laurence, Afterword. Ebenso sparen die jüngst vorgelegten Dissertationen von Guédon, Voyage und Zwingmann, Tourismus diesen Aspekt aus. Gleiches gilt für die Habilitationsschrift von Halfmann, Itinera, der zwar ein Kapitel zum Thema ›Planung und Organisation‹ ausweist (S. 65–89, siehe bes. S. 70–74), den Komplex ›Planung‹ jedoch nur eingeschränkt bearbeitet. Guédon, Voyage; Zwingmann, Tourismus. Grundlegend Halfmann, Itinera. Cass. Dio 60,21,3. SHA Alex. 45,2: tacebantur secreta bellorum, itinerum autem dies publice proponebantur, ita ut edictum penderet ante menses duos, in quo scriptum esset: »illa die, illa hora ab urbe sum exiturus et, si di voluerint, in prima mansione mansurus«, deinde per ordinem mansiones, deinde stativae, deinde ubi annona esset accipienda, et id quidem eo usque quamdiu ad fines barbaricos veniretur.

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Der anonyme Biograph skizziert hier den Aufmarschweg des Severus Alexander bei seinem Feldzug gegen den Sasanidenkönig Ardaxšīr I. im Jahr 231.7 Auch wenn die Historia Augusta als Quelle nicht den besten Ruf genießt, so vermittelt sie hier doch ein nachvollziehbares Bild kaiserlicher Reisevorbereitungen, genau genommen des propagandistisch verwertbaren Teils. Jedenfalls hatte man am Hof in Rom ein Itinerar zusammengestellt und die entsprechenden Stationen entlang des Aufmarschweges sicherlich brieflich zu logistischen Vorbereitungen aufgefordert. Zur spannenden Frage, aufgrund welcher Informationen diese Route in den Osten erarbeitet wurde, erfährt man erneut nichts. Interessanterweise gibt es nur eine Textpassage, in der sich ein antiker Autor Gedanken über die Reisevorbereitung im Sinne einer Orientierung im Raum macht. Vor dem Hintergrund der zahllosen Zeugnisse zu Reiseaktivitäten sowie einer Fokussierung unserer Quellen auf militärisch-strategische und somit auf raumimmanente Aspekte verwundert dieser Umstand schon.8 In der antiken Literatur finden wir dutzende Berichte über marschierende Truppeneinheiten, Reisen von Gesandten, Händlern, Pilgern usw. sowie über Entscheidungsprozesse auf geostrategischer Ebene. Allerdings liest man an keiner Stelle etwas über die damit verbundenen Reisevorbereitungen oder eine gezielte Auswahl von potentiellen Wegen auf der Basis bekannter Informationen über Straßen, Häfen, Landschaften oder Regionen. Offenbar waren diese Aspekte für die antiken Strategen, Politiker, Handelsreisenden, Pilger oder Touristen von untergeordneter Bedeutung oder so selbstverständlich, dass sie nicht eigens thematisiert werden mussten. Zumindest haben diese scheinbar trivialen Details Autoren in der Antike nicht sonderlich gereizt. Die oben erwähnte Ausnahme von der hier skizzierten Regel findet sich bei Flavius Vegetius Renatus. In seinem um 400 n.Chr. entstandenen Werk De re militari wendet er sich gezielt auch der ›Orientierung im Raum‹ zu, so z.B. in seinem Ratgeber für gute Feldherren. Dass es gerade ein spätantiker Autor für nötig hält, diesen in den vorausgegangen Jahrhunderten offenkundig selbstverständlichen Sachverhalt zu verbalisieren, ist auffällig.9 Zuerst einmal muss er (sc. der Heerführer) von allen Regionen, in denen man den Krieg führt, sehr ausführlich und genau dargestellte Wegbeschreibungen haben, so dass er die Entfernungen zwischen den Punkten nicht nur nach der Schrittzahl, sondern auch hinsichtlich der Beschaffenheit der Wege sich einprägen und Abkürzungen, Nebenwege, Berge und Flussläufe nach zuverlässiger Beschreibung bedenken kann; das geht so weit, dass man versichert, die fähigsten Führer hätten Wegbeschreibungen der Provinzen, in denen diese Notwendigkeit bestand, nicht nur aufgeschrieben, sondern auch aufgemalt besessen, damit einer vor dem Aufbruch den Weg nicht nur 7 8

Herodian. 6,5,1–6,6,6; Halfmann, Itinera, 321. Exemplarisch sei nur auf Xenophon und seine Anabasis, Arrian und den Alexanderzug oder Caesar und seine Feldzüge in Gallien verwiesen. Vgl. die Übersicht bei Campbell, Teach. Selbst der mit geographischen Aspekten vertraute Polybios fordert zwar in seinen allgemeinen Ausführungen über die Feldherrnkunst (9,12–20) Kenntnisse über den jeweiligen Handlungsraum (9,13,8), nennt aber an konkreten Maßnahmen zur Orientierung lediglich vertrauenswürdige Wegführer (9,14,3f.). Da Polybios nachdrücklich auf den Faktor Zeitrechnung (z.B. Länge der Tage) hinweist, scheinen sich seine Ausführungen weniger auf Anmarschwege usw., also auf die Orientierung im Großraum, als vielmehr auf das konkrete Geschehen rund um die Schlacht selbst, also die Orientierung im Kleinraum zu konzentrieren. Somit äußert sich auch Polybios im weiteren Sinne zur Themenstellung ›Reise‹ nicht. 9 So findet sich beispielsweise weder in Frontins erstem Buch seiner Strategemata noch in Polyainos’ Strategika ein Hinweis zum Themenfeld Raumorientierung.

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abstrakt im Verstand, sondern auch mit der sinnlichen Anschauung der Augen auswählen könnte.10

In dieser Passage fällt auf – und dies ist in der Forschung auch betont worden –, dass Vegetius in einer Art Prioritätenliste einleitend von verschriftlichten Wegbeschreibungen (itineraria adnotata) spricht und hiermit wohl die uns bekannten Itinerarien meint. Zu bevorzugen sind dabei offenbar solche, die auch chorographische Zusatzinformationen über den Raum links und rechts der Haupttrasse enthalten. Der Text verdeutlicht zudem, dass auch Vegetius auf die in der Antike sehr geschätzten ortskundigen Führer baut. Interessant ist, dass er noch eine Ergänzung offeriert (non tantum adnotata sed etiam picta) und anmerkt, was besonders gut vorbereitete Feldherren zusätzlich besitzen sollten: Karten (itineraria picta).11 Die Bezeichnung itinerarium pictum übertrug die Forschung als terminus technicus auf die Tabula Peutingeriana (im Folgenden: TP).12 Als Anhaltspunkt für diese Verbindung diente nicht zuletzt das dort prägnant in roter Farbe eingezeichnete Straßennetz mit seinen Entfernungsangaben von Ort zu Ort.13 Jedoch schafft die Benennung der TP als itinerarium pictum im Sinne des Vegetius mehr Probleme, als dass sie hilft, offene Fragen zu beantworten. Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass Vegetius zwar von itineraria picta spricht, diese aber offenbar selbst nie gesehen hat.14 Vor allem aber bildet die TP die Oikumene ab. Sie ist also für die strategische Planung eines Kriegszuges oder für die Orientierung einer Armee im Gelände, wie sie ja Vegetius vorschwebt, zu wenig detailliert und zu großflächig angelegt, mithin als Datenträger geometrischer Informationen im angepeilten Kontext ungeeignet. Selbst für große militärische Unternehmungen, zum Beispiel einen Feldzug in Germanien oder gegen die Parther, wäre die TP wenig hilfreich. Ein Truppenaufmarsch von den Legionsstandorten bis zum gewünschten Kriegsgebiet ließe sich mit dieser Karte eventuell noch planen – zum Beispiel ein Marsch der Rheinlegion an den Euphrat.15 In der Praxis würde dieser Marsch jedoch voraussichtlich scheitern, da eine Orientierung mittels TP entlang der Wegstrecke aufgrund fehlender Detailgenauigkeit so gut wie 10

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Veg. mil. 3,6,4: Primum itineraria omnium regionum, in quibus bellum geritur, plenissime debet habere perscripta ita, ut locorum intervalla non solum passuum numero, sed etiam viarum qualitate perdiscat, compendia, deverticula, montes, flumina ad fidem descripta consideret usque eo, ut sollertiores duces itineraria provinciarum, in quibus necessitas gerebatur, non tantum adnotata sed etiam picta habuisse firmentur, ut non solum consilio mentis, verum aspectu oculorum viam profecturus eligeret. Übers. F. L. Müller. Vgl. Stückelberger, Bild, 69; Brodersen, Terra, 188; Rathmann, Perspektiven, 77f. Gegen Brodersen, Terra, 188–190 möchte ich mit Stückelberger, Bild, 69 in einem itinerarium pictum eine ›eigentliche Karte‹ sehen. Bereits Franz Christoph von Scheyb stellt in seiner kommentierten Ausgabe der TP von 1753 die Verbindung her. Ferner Bosio, Tabula, 13; Dilke, Itineraries, 238. Bei den beiden Levis ist die Formulierung von Vegetius sogar in den Buchtitel eingegangen. Vgl. Talbert, World. Cuntz, Grundlage, 586: »Schon lange hat man erkannt, dass die Tabula nichts anderes ist als eine Strassenkarte. Sie ist lediglich der Itinerare wegen gezeichnet; alles Uebrige, was sie bietet, ist nebensächliche Zuthat.« Zur Bedeutung der Ortsvignetten siehe Levi, Itineraria. Brodersen, Terra, 188, Anm. 5: »Vegetius’ Wortwahl (usque adeo) macht deutlich, dass ein itinerarium pictum etwas Besonderes war und Vegetius diese Form von Itinerar nur vom Hörensagen als ein Ding der Vergangenheit kennt.« Welche Routen beispielsweise die Truppen vom Rhein oder der Donau laut TP nach Mesopotamien hätten wählen können, kann auf http://www.omnesviae.org/de/ durchgespielt werden.

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unmöglich ist. Dass die TP keine maßstäbliche, sondern vielmehr eine raumvisualisierende Karte ist, spielt noch nicht einmal die entscheidende Rolle. Im Resultat sollte man jedenfalls von einer Verknüpfung der TP oder der unfertigen Karte auf dem Artemidorpapyrus mit der angeführten Vegetiusstelle ablassen und diese chorographischen Zeugnisse im Kontext der Kartographiegeschichte interpretieren.16 Dass neben diesen chorographischen auch maßstäbliche Karten bekannt waren, ist nicht zuletzt den überlieferten Oikumene- und Länderkarten im Werk des Klaudios Ptolemaios zu entnehmen.17 In seinen 26 Länderkarten geht es explizit nicht um die Abbildung der Oikumene.18 Jedoch scheinen derartige Produkte, also chorographische wie maßstäblich-wissenschaftliche Karten, aufgrund der hohen Fertigungskosten sehr teuer gewesen zu sein, so dass wir sie nur in einer sehr kleinen, wohl begüterten Gruppe vermuten dürfen. Sie waren, besonders wenn es sich um aufwendige, mehrfarbige Zeichnungen handelt, schwieriger zu produzieren beziehungsweise zu kopieren. Wie Stückelberger bemerkt, können sie nicht einfach nach Diktat reproduziert werden, sondern müssen vielmehr von fachkundigen Zeichnern face-to-face vom jeweiligen Original abgezeichnet werden. Zudem braucht dieses Verfahren zusätzliche Instrumente wie Zirkel, Lineal, Pinsel usw.19 Daher verwundert es wenig, dass wir oft nur monochrome, meist schematisch-kartenartige Skizzen in unseren Handschriften finden. Diese konnten vom Schreiber ohne großartige Zeichenkompetenzen und ohne zusätzliche Kosten zu verursachen angefertigt werden.20 Dieser Umstand ist meines Erachtens auch für die grundsätzlich schlechte Überlieferungslage verantwortlich. 16

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Zur Chorographie/chorographischen Kartographie Prontera, Geografia; Rathmann, Tabula; Rathmann, Perspektiven; zur Karte auf P.Artemid. siehe die Edition von Gallazzi, Kramer, Settis (vor allem S. 273–308) sowie Rathmann, Kartographie, 38–44; zur Echtheit des Papyrus Hammerstaedt, Simonides; Marcotte, Papyrus; Rathmann, Artemidorpapyrus. Einen Überblick über die neuesten Forschungen zu P.Artemid. bietet Hammerstaedt, Raumerfassung. Den Schlussfolgerungen von Hammerstaedt möchte ich mich jedoch nicht anschließen. Mittenhuber, Texttradition; Mittenhuber, Karten. Vgl. die entsprechenden Hinweise auf Karten bei Strab. 1,1,10 C7; 2,1,2 C68; 2,5,10 C116; 2,5,13 C118; 2,5,17 C120; Vitr. 8,2,6. Zur Kartographie in der römischen Kaiserzeit siehe Dilke, Mapping. Die 26 Länderkarten des Ptolemaios waren wohl Besonderheiten der wissenschaftlichen Geographie. Hierzu Mittenhuber, Karten, 43. M.E. haben aber auch chorographische Geographen Karten des Mittelraums in ihren Werken präsentiert. Ein entscheidender Beleg für die Annahme ist eben jene unfertige Karte (Iberien?) auf P.Artemid. Stückelberger, Bild, 24. Beispiele monochromer Skizzen in Handschriften: Vat. Gr. 699 fol. 19r (Karte des Ephoros FGrH 70 F 30b); Vat. Gr. 191 fol. 129r, 129v; Cod. Pal. graec. 398 fol. 67r, 67v, 77r, 141r; British Library MS Harley 2772 fol. 67v; Cod. Ambrosianus C. 246 inf.; hierzu Revelli, Figurazioni. In diesen Zusammenhang passt auch die Klage des älteren Plinius (nat. 25,8) über die »Fahrlässigkeit der Kopisten« bei Abbildungen in botanischen Handbüchern. Diese Klage ist wohl generell auf Zeichnungen in naturwissenschaftlichen Werken zu übertragen. Zum Aufkommen der Textillustrationen Stückelberger, Bild, 11–26. Der grundsätzliche Trend hin zu vereinfachten, monochromen Kartenzeichnung dürfte meines Erachtens auch für die Ausbildung der schematischen Karten des Mittelalters verantwortlich sein. Vgl. Barber, Buch, 30–71. Gerade die im positiven Sinne aus dem Rahmen fallende Karte des Fra Mauro von 1453 (Abb. ebd. S. 71) kann m.E. nur entstanden sein, weil der Kamaldolensermönch in Venedig noch qualitätvolle antike Karten rezipieren konnte, die heute verloren sind. Zur Kartographie im Mittelalter vgl. die grundlegenden Arbeiten von A.-D. von den Brincken.

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Da der Kostendruck und das Kompetenzproblem der Kopisten aber nicht nur in den mittelalterlichen Skriptorien geherrscht haben wird, dürfte sich bereits in der Antike der Besitz von aufwendigen, sprich großen und polychromen Karten auf die besagte sehr kleine Gruppe von stark protegierten oder berühmten Wissenschaftlern wie Theophrast21 oder sehr vermögende Personen wie den Senator Mettius Pompusianus beschränkt haben. Mettius Pompusianus [ließ Domitian umbringen], weil, wie allgemein gesagt wurde, sein Horoskop ihm die Herrschaft über das Reich prophezeite und weil er eine Weltkarte, die auf Pergament gemalt war, und die Reden der Könige und Feldherren aus Titus Livius mit sich herumtrug und seine Sklaven Mago und Hannibal nannte.22

Natürlich soll die von Sueton gebotene Geschichte primär die brutale Willkür des Domitian veranschaulichen, der im Jahr 91 einen Senator letztlich grundlos liquidieren ließ. Unser Interesse an dieser Passage richtet sich jedoch auf den Umstand, dass Pergamentkarten, vielleicht eine Art TP, in Bibliotheken römischer Senatoren offenbar nicht ungewöhnlich waren. Denn nur durch eine solche Normalität wird die Handlung Domitians zu einer tyrannischen. Aber noch ein weiterer Punkt muss betont werden. Vergleichbar zur Suetonpassage deuten auch alle sonstigen literarischen Zeugnisse darauf hin, dass sich die antike Kartographie vor allem auf die Abbildung der gesamten Welt konzentrierte.23 Dies ist bereits der ältesten Kartenkritik bei Herodot zu entnehmen, der sich in einer Art Grundsatzurteil zu den in Ionien umlaufenden Exemplaren wie folgt äußert: Ich muss lachen, wenn ich sehe, wie viele Menschen schon Erdkarten gezeichnet haben, und wie doch keiner die Gestalt der Erde sinnvoll zu erklären wusste. Sie zeichnen den Ozeanfluss rund um die Erde und die selbst rund, wie abgezirkelt. Asien machen sie ebenso groß wie Europa.24

Ohne an dieser Stelle weitere Quellen anführen zu wollen, kann als Zwischenresümeé festgehalten werden, dass Landkarten in der Antike mehrheitlich den gesamten Erdkreis beziehungsweise die Oikumene abbildeten, offenbar sehr teuer und folglich nur einer kleinen Gruppe wohlbegüterter Menschen bekannt waren.25 Sie erscheinen daher in den Quellen weniger im Kontext von Reiseaktivitäten, sondern werden als Luxusbesitz der politisch-sozialen Eliten dargestellt. 21 22

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Diog. Laert. 5,51; vgl. die Anspielung auf eine Karte in der Schule von Autun bei Eumenius (Paneg. 9[4],20,2). Suet. Dom. 10,3: Mettium Pompusianum, quod habere imperatoriam genesim vulgo ferebatur et quod depictum orbem terrae in membranas contionesque regum ac ducum ex Tito Livio circumferret quodque servis nomina Magonis et Hannibalis indidisset. Inhaltlich fast identisch ist die Passage bei Cass. Dio 67,12,4. Zur Interpretation dieser Passage im kartographiehistorischen Kontext siehe Arnaud, L’affaire. Vgl. Ptol. 1,1,1. Hdt. 4,36,2: Γελῶ δὲ ὁρέων γῆς περιόδους γράψαντας πολλοὺς ἤδη καὶ οὐδένα νόον ἐχόντως ἐξηγησάμενον, οἳ Ὠκεανόν τε ῥέοντα γράφουσι πέριξ τὴν γῆν, ἐοῦσαν κυκλοτερέα ὡς ἀπὸ τόρνου, καὶ τὴν Ἀσίην τῇ Εὐρώπῃ ποιεῦνται ἴσην. Ἐν ὀλίγοισι γὰρ ἐγὼ δηλώσω μέγαθός τε ἑκάστης αὐτέων καὶ οἵη τίς ἐστι ἐς γραφὴν ἑκάστη. Übers. J. Feix. Zur Geographie bei Herodot siehe Bichler, Veranschaulichung. Eine ähnliche Kritik findet sich bei Aristot. meteor. 2,5 362b. Diese Aussage legt die Vermutung nahe, dass es offenbar bis in die Tage des Aristoteles gegenüber jenen des Herodot keinen signifikanten kartographischen Fortschritt gegeben hat. Vgl. Aujac, Foundations. Zur Konzentration der Kartographie auf die Abbildung der Oikumene siehe Rathmann, Kartographie, 15–24. Auch die weitere mittelalterliche Kartentradition mit ihren TO-Karten zeigt, dass die Abbildung der Oikumene nach wie vor im Mittelpunkt stand.

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3. Der Maßstab in der Antike Vor dem oben dargelegten Hintergrund brachte Brodersen die naheliegende These auf, die Antike habe auf die Anwendung des Maßstabs zur Generierung von alltagstauglichen Karten des Mittel- und Kleinraums verzichtet, beziehungsweise das damit verbundene Potential nicht wirklich erkannt und ausgeschöpft.26 Das würde bedeuten, dass antike Karten nicht nur deshalb bei Reiseaktivitäten keine Anwendung fanden, weil sie zu teuer waren, sondern auch, weil ihre großflächigen Darstellungen sie für die konkrete Praxis untauglich machten. Diese Ansicht teile ich so nicht. Dass die Technik der maßstäblichen Verkleinerung, also das mathematisch errechnete Verhältnis einer Länge auf der Karte (Kartenstrecke) zu ihrer Entsprechung in der Natur (Naturstrecke), durchaus bekannt war, belegen z.B. die Kataster von Orange (Maßstab ca. 1:6000) und die Forma urbis (gemittelter Maßstab ca. 1:240).27 Vor dem Hintergrund der antiken Vermessungstechniken sind dies beachtliche geodätische und auch mathematische Leistungen. Die Kenntnisse über die Anwendung des Maßstabs können wir nicht nur archäologischen Überresten entnehmen. So findet sich bei Vitruv eine Passage, aus der sich schließen lässt, dass der Maßstab in der Fachliteratur gedanklich vollständig erfasst war. Es ist zu vermuten, dass hierbei das bereits entwickelte Fachwissen hellenistischer Autoren genutzt wurde.28 Wörtlich heißt es bei Vitruv zum Maßstab: Ordinatio [=Ordnung, geregeltes Werk] ist die nach Maß berechnete angemessene Abmessung [der Größenverhältnisse] der Glieder eines Bauwerks im Einzelnen und die Herausarbeitung der proportionalen Verhältnisse im Ganzen zur Symmetrie.29

Demnach war also das Konzept des Maßstabs durchaus bekannt und – wie wir von Ptolemaios erfahren –, antike Kartographen waren bei der Anwendung derselben keineswegs dogmatisch eingestellt: Denn es müssen ja keineswegs sämtliche Karten maßstabsgerecht sein, sondern nur die Verhältnisse innerhalb jeder einzelnen Karte gewahrt bleiben.30

So ist also von einer durchaus qualitätvollen Kartographie in der Antike auszugehen, die im Idealfall maßstäblich und auch bunt gefasste Karten bereitstellte.31 Diese werden jedoch 26

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Brodersen, Terra, 289f.: »Die Römer konnten genaue, auch nur annähernd maßstäbliche Karten weder anfertigen noch nutzen.« Damit entwickelte er eine These Jannis fort, wonach die Gewinnung der zweiten Dimension, handgreiflich in Form von Karten, über erste Anfänge nicht hinausgekommen sei. Gleichzeitig setzte sich Brodersen von der älteren Forschung ab, die die Kartographie noch unkritisch als eine in der Antike vollständig ausgebildete Wissenschaft betrachtete und ihre Erzeugnisse, also Karten der Oikumene, Karten von Ländern als dem sogenannten Mittelraum oder von Städten und ihrem Umland als dem sogenannten Kleinraum als vorhanden ansah. Piganiol, Documents; Freyberger, Forma. Aufgrund der schlechten Überlieferungslage sind zumindest die Resultate des von griechischen Geographen gesammelten Wissens seit den Tagen des Eratosthenes bei Ptolemaios (8,1,2) greifbar. Vitr. 1,2,2: Ordinatio est modica membrorum operis commoditas (=griech. symmetria) separatim universeque proportionis ad symmetriam comparatio. Übers. C. Fensterbusch. Ptol. 8,1,5: Οὐδὲν γὰρ ἔτι δεῖ καὶ πάντας τοὺς πίνακας ἀλλήλοις εἶναι συμμέτρους, ἀλλὰ μόνα τὰ ἐν ἑκάστῳ διασώζειν τὸν πρὸς ἄλληλα λόγον. Übers. L. Koch. Vgl. zum Thema Mittenhuber, Texttradition, 130.

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aus den oben genannten Kostengründen keinesfalls so verbreitet gewesen sein, wie es Kubitschek oder Dilke unterstellen.32 Allerdings gebe ich Brodersen Recht, wenn er sagt, dass die Technik des Maßstabs zur Generierung alltags- und reisetauglichen Karten nicht oder nur wenig genutzt wurde. Warum in der Antike trotz entsprechender mathematischer Kenntnisse keine maßstabsgetreuen Karten für Reisen existierten, soll im Folgenden diskutiert werden.

4. Alternativen zur Karte – die Praxis antiken Reisens Graßl schließt in seinem Beitrag Irrwege. Orientierungsprobleme im antiken Raum, mit dem Fazit: »Technischen Hilfen wie Wegweisern, Karten oder Itinerarien kam kaum eine nennenswerte Rolle in der Raumorientierung zu.«33 Bei aller nachvollziehbaren Skepsis scheint ein solches Urteil doch teilweise korrekturbedürftig. Auch wenn das Altertum eine informelle Gesellschaft und die mündliche Auskunft laut Graßl der Normalfall war, so legen die zahlreichen privaten und die in staatlichem Auftrag durchgeführten Reisen sowie die großen Feldzüge ein anderes Bild nahe. Alle diese Unternehmungen waren nur durchführbar, weil es jenseits der mündlich im Umlauf befindlichen Reiseinformationen auch schriftliche gegeben haben muss – und zwar in größerem Umfang. Exemplarisch sei hier auf die verschiedenen Typen von Wissensspeichern verwiesen, angefangen bei den Silberbechern von Vicarello über das Itinerarium Antonini bis hin zum Reisebericht einer Egeria.34 Dokumente wie der Stadiasmos von Patara zeigen zudem, dass der Trend zur Verschriftlichung keineswegs eine römische Eigenheit war.35 Bereits im Hellenismus haben die Menschen ihren Lebensraum vermessen, Informationen über den Raum gesammelt und alles zusammen verschriftlicht.36 Die Bematisten im Stab Alexanders d.Gr. oder die Schrift eines Pytheas von Massilia legen zudem Zeugnis davon ab, wie im Fall von neuen, unbekannten Räumen verfahren wurde. Geographische Daten wurden offenbar gezielt gesammelt – auf staatlicher wie auf privater Ebene.37 Auf römischer Seite zeugen die überlieferten Kataster von einem ähnlichen Vorgehen im Binnenraum.38 32 33 34 35 36

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Kubitschek, Karten, 2100: »Karten müssen sehr verbreitet gewesen sein und vor allem im Schulunterricht ihre Rolle eingenommen haben.« Graßl, Irrwege, 92. Ausführliche Materialsammlungen bieten Kubitschek, Itinerarien und Fugmann, Itinerarium. Zur hellenistischen Informationsbasis des Stadiasmos siehe Kolb, Straßenverzeichnisse, 206–214. Im griechischen wie im persischen Kulturraum müssen schon seit klassischer Zeit Raumvermessungen üblich gewesen sein. So berichtet beispielsweise Herodot (6,42,2) ganz selbstverständlich von der (Neu-?)Vermessung Ioniens nach der Niederschlagung des Aufstands gegen die Perser. Zu geodätischen Daten in Kleinasien vgl. Strab. 14,3,1–10; IK 17.2, 3601. Die fragmentarische Inschrift (SEG 37, 920) eines Straßenverzeichnisses aus dem kleinasiatischen Erythrai (340 v.Chr.) zeigt zudem exemplarisch, wie verbreitet Itinerare bei den Griechen gewesen sein müssen. Ein schönes Zeugnis für gezieltes Sammeln von geodätischen Daten ist IK 23, 536=FGrH 579 T 1. So berichtet diese Grabinschrift für den verstorbenen Arzt Hermogenes aus dem 1. Jh. [n.Chr.?], dass er je ein Buch über die Distanzangaben in Asien und Europa verfasst habe. Interessant ist die Tatsache, dass Hermogenes nach Aussage des Werktitels alle Entfernungen in Stadien, nicht in Meilen angegeben hatte. Dies stützt die erstmals bei Polybios (3,39,8) belegte Information, dass Stadien im Verhältnis von 1:8 in römische Meilen umzurechnen waren. Fraglich bleibt nur, welches Stadienmaß zugrunde gelegt wurde. Nichts desto trotz dürfte dieser Umstand die Zugriffs-

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Jenseits der angesprochenen Wissensspeicher dürfte ein weiterer Faktor auf dem Sektor der Raumorientierung von großer Bedeutung gewesen sein: eigene Reiseerlebnisse, die im Anschluss an das jeweilige Unternehmen kommuniziert werden konnten.39 Auf diese Weise konnten andere Reisende sich aus dem Gehörten ein eigenes, erstes Bild, eine sogenannte mental map, konstruieren und dieses dann in weiteren Reisen ausdifferenzieren. Bezogen auf den staatlichen Bereich ist folgendes Verfahren denkbar: Im Stab eines Magistraten lernten junge Senatorensöhne zunächst Teile Italiens später der Mittelmeeroikumene kennen. Dabei konnten sich erste Ausformungen einer mental map entwickeln. Wie umfangreich die Reisen der Eliten – und folglich auch ihres Gefolges – gerade in der Kaiserzeit sein konnten, hat Böhme anhand zahlreicher Beispiele aufgezeigt.40 Hier sei speziell auf das Itinerar des späteren Kaisers Pertinax verwiesen (vgl. Abb. unten). Ausbauen ließ sich dieses Basiswissen der heranwachsenden Nobilität dann durch die Lektüre einschlägiger Geographen (z.B. Eratosthenes, Artemidor, Poseidonios oder Strabon) sowie durch die Nutzung der vorhandenen Karten. Letztere sind durch Mettius Pompusianus im senatorischen Besitz ja belegt. All diese Wissensspeicher standen der heranwachsenden römischen Elite aufgrund ihres Sozialstatus offen. In der Kombination von Praxis und Theorie formte sich dann jene mental map aus, auf die die Senatorensöhne später als Magistrate oder legati Augusti zurückgreifen konnten.41 Vergleichbare Modelle sind auch für Händler oder Seeleute vorstellbar. Es ist also, um mit Graßl zu sprechen, nicht alleine der informelle Austausch vor Ort gewesen, der eine sichere Orientierung im Raum ermöglichte. Eigene Erfahrungen und die Rezeption von verschriftlichtem Wissen waren weitere zentrale Informationssäulen, die in Kombination ein souveränes Bewegen im Raum ermöglichten. Zugleich erklärt dieses Modell auch das schwindende Raumgefühl und die nachlassenden Geographiekenntnisse der Spätantike. Die Eliten der Spätantike dachten weitgehend in geographisch kleineren Räumen, wie man exemplarisch an der territorialen Aufteilung von Verantwortungen in der Tetrarchie ablesen kann. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum der spätantike Autor Vegetius glaubte, die Feldherren über Möglichkeiten der Raumorientierung informieren zu müssen. 37 38

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möglichkeiten auf verschriftlichte Itinerare im östlichen Mittelmeerraum und dem vorderasiatischen Raum deutlich erleichtert haben. Dass trotz der zweifellos in großem Umfang vorhandenen Schriften, Listen und raumvisualisierenden Hilfsmittel die Orientierung im Raum nicht mit der Präzision der Moderne geschah, braucht nicht eigens betont zu werden. Antike Menschen rechneten, reisten und planten in Wegstunden oder Tagesreisen. Die oberitalische Grabinschrift einer Martina für ihren Mann (CIL 5, 2108 = ILS 8453) legt hiervon Zeugnis ab. Denn die Witwe gibt die Anreise nicht in mp, sondern in Tagesreisen an: [---]/ qui vixi[t] an[nos] / plus minus XL / Martina cara coniux / quae venit de Gallia / per mansiones L ut / commemoraret memoriam du[lcis/si]mi mariti sui / bene qu(i)escas dulcissime / marite. Hierzu Friedländer, Darstellungen, 330f. Wie so etwas in der Frühzeit ablief, überliefert uns Herodot (4,150–152) am Beispiel der Oikisten aus Thera, die den Weg nach Kyrene suchten. Vgl. auch den Beitrag von M. Heil in diesem Band. Wie gut dieses Gemisch aus persönlichen oder übernommenen Erfahrungen innerhalb der politischen Elite in Kombination mit erlesenen Kenntnissen auf geographischer Ebene funktioniert haben muss, belegen exemplarisch die Germanienfeldzüge in augusteisch-tiberischer Zeit. Mit einer überraschenden Raumsicherheit bewegten sich die Legionen im fremden Land. Hänger, Welt, 164–264.

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Für die Eliten vom ersten vorchristlichen bis zum dritten nachchristlichen Jahrhundert darf jedoch der oben skizzierte geographisch breite Horizont (mental map) angenommen werden. Wer aber über ein solches Basiswissen verfügte, benötigte für seine Reisen keinen Kartenrotulus nach Art der TP. Für ihn war ein am Ausgangspunkt zusammengestelltes Itinerar in Kombination mit den unterwegs eingeholten Informationen über den Zustand der vor ihm liegenden Straßen, Brücken und Furten wesentlich hilfreicher und zugleich kostengünstiger.42 Selbst wenn man in der Antike auf den Gedanken gekommen wäre, Papyrus- oder Pergamentblätter ähnlich den Faltkarten moderner Prägung nicht nur horizontal, sondern auch vertikal aneinanderzukleben, wären diese trotz deutlich umfangreicherer Informationen als Reisehilfsmittel zu teuer und zu wenig praxistauglich gewesen. Man stelle sich nur vor, ein Händler oder Legat hätte sich mit einer solchen Karte der iberischen Halbinsel auf den Weg von den Pyrenäen nach Gades gemacht und wäre dabei in ein Unwetter gekommen. Die teure Karte wäre schnell ruiniert gewesen. Ein wertvoller Rotulus war etwas für die heimische Bibliothek.

5. Fazit Der entscheidende Grund für den Verzicht auf Karten als Reisehilfsmittel ist also weniger auf einen Innovationsmangel, als vielmehr auf eine Kosten-Nutzen-Rechnung zurückzuführen. Wenn ein Mensch in der Antike reiste, dann genügte ein Blick in vorhandene Itinerare, die man gegebenenfalls ab- oder ausschrieb, um sich über den bevorstehenden Weg zu informieren. Auf diesem Weg entstanden zahllose Klein-Itinerare, wie z.B. das Itinerarium Antonini, ein spätantikes Kompilat, oder das zu privaten Zwecken entstandene Itinerarium Burdigalense. Ansonsten fragte man unterwegs schlicht nach dem Weg, wie bereits Graßl in seinem Beitrag 1999 ausführte. Das entscheidende Fundament für die Raumorientierung bestand jedoch darin, dass die antiken Eliten auf eine im gesellschaftlichen Kommunikations- und Rezeptionsprozess generierte mental map zurückgreifen konnten, in die neu hinzukommende Informationen einfach eingepasst wurden. Mit anderen Worten: Der antike Mensch brauchte für seine Art zu Reisen keine Karten. Dass in der althistorischen Forschung die Frage der Kartennutzung bei Reisen dennoch so stark in den Fokus geraten ist, liegt nicht zuletzt daran, dass wir die Bedürfnisse der antiken Reisenden zu sehr aus dem Blickwinkel der Moderne betrachten.43 Erst die Moderne machte den Weg für preisweite Karten frei, die im Reisealltag genutzt werden können. Und erst der moderne Mensch reist mit einer Geschwindigkeit und über Distanzen, bei der ein ständiges Fragen vor Ort kontraproduktiv wäre. Es gehört vielleicht zur Ironie der Geschichte, dass wir heute im Grunde die antike Orientierungstechnik mittels Itinerar in unseren Navigationsgeräten wieder nutzen und dies für innovativ halten. Und noch einen weiteren Punkt müssen wir uns klar machen. Auch wir greifen bei allen Unternehmungen im Raum auf unsere individuelle mental map zu42 43

Zur Orientierung unterwegs anhand von Meilensteinen siehe Quint. inst. 4,5,22. Brodersen, Terra, 9–13 spricht mit Blick auf die Erforschung der antiken Kartographie zu Recht von »unspoken assumptions«. Vielleicht müsste man ergänzend festhalten, dass gerade der Positivismus des 19. Jh. erst ein Bild der antiken Raumwahrnehmung erzeugt hat, das in vielen Fällen an den historischen Realitäten vorbeigeht.

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rück. Jedoch wird diese im Gegensatz zur Antike aus vorhandenen Karten gespeist, die wir vom Schulunterricht bis hin zum abendlichen Wetterbericht präsentiert bekommen. Michael Rathmann Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Fachbereich Geschichte Universitätsallee 1, D-85072 Eichstätt [email protected]

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Michael Rathmann

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Böhme, Beamtenkarrieren, 89, Abb. 41

Hélène Roelens-Flouneau

Die Überquerung von Wasserläufen durch das Militär im Spiegel der antiken literarischen Quellen

In einem Aufsatz über Kriege in der antiken Literatur weist S. Hornblower darauf hin, dass »war and fighting are very prominent in the literature of classical antiquity«.1 So sind bei antiken Schriftstellern fast alle Aspekte von Krieg geschildert,2 darunter auch der der Mobilität von antiken Heeren. In diesem Beitrag möchte ich aber einen besonderen Aspekt der Bewegung antiker Armeen untersuchen, nämlich den der Überquerung von Wasserläufen.3 Die von Historikern des 5. Jh. v.Chr. bis zum 2. Jh. n.Chr. gegebenen Schilderungen erlauben nämlich eine Untersuchung der Frage, wie sich die oft schwierige Überquerung von großen Wasserläufen in den historiographischen Berichten spiegelt. Die neun Bücher von Herodots Historien schildern insbesondere die Feldzüge von Kyros d.Gr. (559–529 v.Chr.) im Rahmen der Expansionspolitik seines Reiches in Richtung Norden, ferner die Kriege von Dareios I. (521–486 v.Chr.) und Xerxes I. (486–465 v.Chr.) gegen Griechenland.4 In seiner Anabasis berichtet Xenophon von dem Marsch der von Kyros d.J. angeworbenen zehntausend griechischen Söldner5 gegen seinen Bruder Artaxerxes II. und von ihrem Rückmarsch in Richtung Hellespont nach Kyros’ Tod im Jahr 401 v.Chr. Dieser Bericht ist außergewöhnlich, weil Xenophon selbst an der Expedition teilgenommen hat und daher Augenzeuge und Akteur seiner Erzählung ist. Arrians Anabasis ist die bedeutendste Quelle über Alexanders Asienfeldzug bis nach Indien. Bei unserer Untersuchung werden aber auch Beispiele aus Arrians Indike, Curtius’ Alexandergeschichte und Diodors Historischer Bibliothek in den Blick genommen. Die diskutierten Beispiele reichen räumlich vom Hellespont bis zum Indus und zeitlich von der achämenidischen bis in die späthellenistische Zeit. Das römische Heer, das eine besondere Untersuchung wert wäre,6 wird in diesen Aufsatz nicht einbezogen. 1 2 3

Hornblower 2007, 21. Zur Glaubwürdigkeit der antiken Historiographie bei ihren Schilderungen von Krieg, ibid., 39–47. Unter ›Wasserlauf‹ werden alle Arten von Gewässern verstanden, neben Flüssen auch Meerengen wie Bosporos und Hellespont, den Xerxes einen schmutzigen und salzigen Strom nennt (Hdt. 7,35: σοὶ δὲ κατὰ δίκην ἄρα οὐδεὶς ἀνθρώπων θύει ὡς ἐόντι καὶ θολερῷ καὶ ἁλμυρῷ ποταμῷ). 4 Die Daten sind die der Königsherrschaft. Zur Geschichte des achämenidischen Reiches vgl. Briant 1996. 5 Zum Ursprung des Ausdrucks ›die Zehntausend‹ vgl. P. Masquereys Einleitung zu Xenophons Anabasis, Paris (CUF), 17–29. 6 Zur römischen Armee: Le Bohec 1993; zum Aspekt der Überquerung: O’Connor 1993, bes. 132–145; Galliazzo 1994, bes. 183–211; Hornig 2007, 80–83. Zur Verehrung der Flüsse bei den Römern: Scheliha 1931, 52–54.

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Die Überquerung von Wasserläufen durch Armeen soll unter drei Aspekten untersucht werden. Für den technischen Bereich ist zunächst zu klären, mit welchen Mitteln der Übergang erreicht wurde. Im Anschluss daran soll diskutiert werden, wie Heerführer und Soldaten die Überquerung eines Wasserlaufs, den sie mehr oder weniger gut kannten, durchführten. Wurde der Übergang vorbereitet oder improvisiert, und welche Folgen hatte das jeweilige Vorgehen? Der dritte Aspekt betrifft die Wahrnehmung der Flüsse und deren Überquerung. Insbesondere ist von Interesse, mit welcher Haltung die Soldaten solchen Herausforderungen gegenüberstanden, welche Ängste sie damit verbanden und wie sie sich darauf vorbereiteten, etwa mit religiösen Ritualen. Dabei ist die Perspektive der Autoren, von denen die untersuchten Schilderungen stammen, von großer Bedeutung, da diese von den Erfahrungen ihrer eigenen Zeit geprägt wurden.

1. Der technische Aspekt der Überquerung Wenn antike Armeen einen Fluss überqueren wollten, hatten sie je nach den Umständen mehrere Möglichkeiten. 1.1 Furten Auch wenn einige Autoren Bauarbeiten für die Flussableitung erwähnen,7 mussten antike Armeen häufiger einen Strom durchwaten. Dafür musste eine Furt gefunden werden, d.h. eine Untiefe eines Wasserlaufs, durch die ein Mensch zu Fuß oder auf Tieren und Wagen das andere Ufer erreichen konnte, ohne schwimmen zu müssen.8 Wenn die Armee das Gebiet nicht kannte, marschierte sie flussaufwärts bis zur Flussquelle.9 Wurde eine geeignete Stelle gefunden, loteten die Soldaten den Strom mit ihren Lanzen aus, um die Tiefe festzustellen.10 Xenophons Anabasis beschreibt mehrmals diesen Vorgang: Der Schriftsteller skizziert das Durchwaten von Flüssen durch Soldaten, denen das Wasser bis zu den Knien, zum Geschlecht oder sogar zur Brust reichte.11 Die Überquerung zu Fuß wurde immer bevorzugt, wenn sie möglich war, wie Xenophons Anabasis es darlegt.12 Zur Zeit Dareios’ und Alexanders war dieses Prinzip immer noch gültig: Der achämenidische König hatte seinen Freund Mazaios ausgeschickt, um den Übergang über den Tigris zu sichern und die Furt zu besetzen.13 Mazaios hielt den Fluss für unüberschreitbar und kümmerte sich nicht weiter um dessen Bewachung. Trotz der Tiefe des Flusses und der reißenden Strömung konnte ihn Alexanders Heer auf seine Anordnung hin überqueren: Die Soldaten sollten ihre Arme gegenseitig verschränken und durch die enge Verbindung ihrer Körper eine Art Brücke bilden.14 7 8 9 10 11

Z.B. Hdt. 1,72. Vgl. V. Sauer, in: Sonnabend 1992, 159f. s.v. Furt. Xen. an. 3,2,22. André, Baslez 1993, 382f. Dazu insbesondere: Wasser bis zu den Knien (Xen. an. 3,2,22), dem Geschlecht (Xen. an. 4,3,13), der Brust (Xen. an. 4,3,6). 12 Sie wurde auch von Xerxes angewendet, und zwar wahrscheinlich für die Nestos-Überquerung: Müller 1975, 6. 13 Diod. 17,55,1. 14 Diod. 17,55,5.

Die Überquerung von Wasserläufen durch das Militär

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Ein Problem dieser Methode war aber, dass je nach Beschaffenheit des Bodens das Überqueren gefährlich sein konnte, etwa wegen runder Steine, wie z.B. die des indischen Flusses Guraios, die für diejenigen gefährlich wurden, die darauf Fuß fassen sollten.15 Jeder Schritt konnte sie zu Fall bringen. Außerdem konnte durch die intensive Nutzung einer Furt deren Tiefe zunehmen: Als Perdikkas’ Heer den Nil überquerte, zertraten die Soldaten, Pferde und Elefanten mit ihren Füßen den Sand, der daraufhin locker und von der Strömung fortgeschwemmt wurde.16 Perdikkas verfügte die Rückkehr der Soldaten, die nun den Strom durchschwimmen sollten. Die meisten wurden aber weit abgetrieben und schließlich von den im Fluss lebenden Tieren gefressen. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die Vorbereitung einer Flussüberquerung war. Mit ihrer schweren militärischen Ausrüstung konnten die Soldaten Gewässer nicht einfach durchwaten oder durchschwimmen: In tiefen Flüssen waren die Soldaten, die Lasten auf den Schultern trugen, nicht uneingeschränkt Herr ihrer eigenen Bewegungen und konnten schwer bepackt leicht in reißende Strudel gezogen werden.17 Wenn es keine Furten gab, mussten weitere Hilfsmittel verwendet werden, wie Schiffe oder Brücken. 1.2 Schiffe und Flöße Fehlten Furten, konnten Armeen mit Hilfe von Schiffen übersetzen. Diese Schiffe ließen sie oft mit Holz aus der Umgebung bauen.18 Schiffe waren eher geeignet für die Konstruktion von Schiffsbrücken als für eine Fahrt über den Strom, es sei denn, um flussabwärts zu fahren. Oft waren diese Schiffe demontierbar,19 so dass sie auf Wagen mittransportiert werden konnten. Die Schiffe waren aber nicht immer die bessere Möglichkeit, weil sie nicht einfach zu steuern waren, insbesondere wenn die Ufer zu steil für die Landung waren, wie etwa bei der Donau20 oder beim Akesines.21 Außerdem hatten die Armeen nicht immer Schiffe zur Verfügung. In diesem Fall wich man offensichtlich auf Einbäume22 oder Flöße23 aus. Außerdem gab es nicht immer Holz in der Umgebung der Flüsse, was die Heerführer dazu zwang, erfinderisch zu sein. So wurden z.B. von Alexander oft Schlauchflöße benutzt: Er ließ die Felle, unter denen seine Soldaten zelteten, mit Stroh füllen, sie zusammenbinden und sorgfältig zusammennähen, damit kein Wasser in sie eindringen konnte. Angefüllt und 15 16 17 18 19

20 21

22 23

Arr. an. 4,25,5. Diod. 18,35,4. Curt. 3,9,15–20 (Übergang über Tigris). Arr. an. 4,30,9. Arr. an. 5,8,5: καὶ ξυνετμήθη τε τὰ πλοῖα καὶ ἐκομίσθη αὐτῷ, ὅσα μὲν βραχύτερα διχῇ διατμηθέντα, αἱ τριακόντοροι δὲ τριχῇ ἐτμήθησαν, καὶ τὰ τμήματα ἐπὶ ζευγῶν διεκομίσθη ἔστε ἐπὶ τὴν ὄχθην τοῦ Ὑδάσπου κἀκεῖ ξυμπηχθέντα ναυτικὸν αὖθις δὴ ὁμοῦ ὤφθη ἐν τῷ Ὑδάσπῃ. Arr. an. 5,12,4; Curt. 8,10,2. Arr. an. 1,3,5. Arr. an. 5,20,9: τοῖς μὲν δὴ ἐπὶ τῶν διφθερῶν περῶσιν εὐμαρῆ γενέσθαι τὸν πόρον, τοὺς δὲ ἐν τοῖς πλοίοις διαβάλλοντας ἐποκειλάντων πολλῶν πλοίων ἐπὶ ταῖς πέτραις καὶ συναρ[ρ]αχθέντων οὐκ ὀλίγους αὐτοῦ ἐν τῷ ὕδατι διαφθαρῆναι. Ibid. Zur Holzflößen, von Kassander für den Transport von Elefanten benutzt: Diod. 19,64,3; vgl. Hannibals Flöße: Pol. 3,46 und Philipp 1911, 343–354.

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zusammengenäht konnten diese Schläuche für den Bau von Flößen genutzt werden. Sie dienten sowohl für den Soldaten- als auch für den Pferdetransport.24 Die schwimmenden Soldaten konnten sich nämlich daran festklammern, während die Pferde angehängt oder oben auf den Flößen transportiert wurden. Erstmals von Alexander zur Überquerung der Donau benutzt,25 wurde die Technik danach wiederholt für den Übergang über den Oxos,26 den Tanaïs27 und den Hydaspes28 angewandt. Die Schläuche wurden schon seit langer Zeit in derselben Weise von den Assyrern benutzt, wie ein Relief des Ashurnasirpal-Palastes in Nemrud belegt (Abb. 1): Es stellt Männer dar, die über den Euphrat mit Hilfe von Schläuchen hinüberschwimmen.29 Ein anderes Relief von Hursabad bildet ein Kelek, d.h. ein auf Schläuchen aufliegendes Floß, ab (Abb. 2).30 Alexander griff somit auf eine seit langem bekannte Praxis zurück, wie sie auch in Xenophons’ Anabasis belegt ist. Der Schriftsteller erwähnt nämlich, wie ein Rhodier am Tigris angeboten hatte, eine Art ›Schlauchponton‹ zu bauen.31 Dabei wurden verbundene Schläuche verankert, die danach mit Buschwerk und darüber mit Erde abgedeckt werden sollten. Damit sollte man den Fluss überschreiten können. Der Vorschlag schien den Strategen zwar schlüssig, aus Sicherheitsgründen wurde er aber nicht in die Tat umgesetzt. Der Rhodier mag von der Schiffsbrückentechnik inspiriert worden sein. 1.3 Brücken und Schiffsbrücken Der einfachste und sicherste Weg, einen Fluss zu überqueren, war, eine Brücke zu benutzen. Die permanente Brücke war aber im antiken Orient selten, insbesondere in Kriegszeiten: Sie wurde oft zerstört, um das Vorrücken von Heeren zu behindern. Darüber hinaus wurden auch die mesopotamischen Kanäle mit Wasser gefüllt, um Heere aufzuhalten, wie z.B. die Zehntausend, die zunächst kein Material für den Brückenbau fanden. Sie konnten sich aber aus Palmen, die gefällt herumlagen oder die sie selbst fällten, Stege bauen.32 Auch wenn Arrian Alexanders’ Versuch erwähnt, eine Holzbrücke über den Oxos zu bauen,33 wurden solche Brücken sehr selten von Heeren benutzt; sie zogen Schiffsbrücken vor. Schiffsbrücken zur Überquerung von Gewässern konnten sowohl im Rahmen militärischer Operationen konstruiert als auch für zivile Zwecke als ständige Einrichtung errichtet werden.34 Ihr provisorischer Charakter bot den Vorteil, die Konstruktion je nach Bedarf kurzfristig und ohne großen Aufwand auf-, und später wieder abzubauen. Aus diesem Grund stellten sie das häufigste Hilfsmittel für die Überquerung großer Flüsse dar, von der 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

Arr. an. 3,29,4. Arr. an. 1,3,5. Arr. an. 3,29,2 und Curt. 7,5,17. Arr. an. 4,4,1–5. Arr. an. 5,10–21. Diese Schläuche scheinen aber in diesem Fall mit Luft gefüllt zu sein. Dazu vgl. Tardieu 1990, 71–102 und Abb. 2–3. Xen. an. 3,5,8–12. Xen. an. 2,10. Arr. an. 3,29,2. Vgl. Curt. 7,5,17. Für den zivilen Aspekt, vgl. Hornig 2007, 68f.

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legendären babylonischen Königin Semiramis über Alexanders Nachfolger bis zu den Römern. Diese Technik kam spätestens in der assyrischen Epoche auf, wie Details der bronzenen Torbeschläge aus Balawāt belegen (Abb. 3): Auf dem Feldzug König Salmanassars III. (858–824 v.Chr.) in Armenien überquerten assyrische Streitwagen mit Hilfe einer Pontonbrücke einen Fluss.35 In der Literatur wird die Technik für die achämenidische Epoche von Herodot erwähnt, der die Schiffsbrücken des Xerxes über die Meerenge des Hellespont detailliert beschreibt (Abb. 4).36 Schiffsbrücken aus dieser Zeit sind häufiger belegt: die des Kyros (ca. 557–530 v.Chr.) über den Fluss Araxes und über den Tigris37 und die des Dareios I. (522–486 v.Chr.) über den thrakischen Bosporus38 und über den Fluss Istros.39 Auch wenn die Achämeniden die Technik des Schiffsbrückenbaus gut kannten, beherrschten sie ihn nicht: Es war nämlich ein samischer Baumeister, der die Schiffsbrücke über den Bosporus konzipierte. Eine solche Schiffsbrücke zu bauen, war eine große Leistung: Dareios gab dem Baumeister Mandrokles aus Samos zehnfache Geschenke. Dieser war so stolz auf seine Arbeit, dass er von dieser Belohnung (aparchè)40 ein Gemälde anfertigen ließ, auf dem die Überbrückung des Bosporus dargestellt war: König Dareios am Ufer auf einem Thron sitzend sah sein Heer über die Brücke ziehen. Danach soll Mandrokles das Bild dem Heratempel von Samos gestiftet und die folgende Inschrift darauf gesetzt haben: »Mandrokles, der den fischreichen Bosporus mit einer Brücke band, zum Gedächtnis des Baus weihte er Hera dies Bild. Für sich selber gewann er den Kranz, für die Samier Nachruhm, weil ihm der Bau nach dem Sinn König Dareios’ gelang«.41 Die Weiterverwendung dieser Technik in hellenistischer Zeit ist für das östliche Mittelmeer in Zusammenhang mit Alexander d.Gr. bekannt, der so die Flüsse Indus und Euphrat überquerte.42 Später finden sich weitere Belege für Antigonos Monophthalmos, der den Tigris mit Hilfe einer Schiffsbrücke überquerte.43 Auch die Römer beherrschten diese Technik, was nicht nur literarisch bei Arrian, Cassius Dio und später bei Vegetius und Ammi-

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Für die Beschreibung der Brücke vgl. De Graeve 1981, 145–147 und Pl. XVI und XVII. Das Wort raksuti, das diese Realia charakterisieren könnte, erscheint auch in Texten Assurnasirpals II. (883– 859 v.Chr.) und Tiglatpilesers (745–727 v.Chr.) in Zusammenhang mit der Überquerung von Flüssen durch das Militär, vgl. Hornig 2007, 81 und Anm. 29–31. Hdt. 7,36. Vgl. dazu Hammond, Roseman 1996. Für den Araxes, vgl. Hdt. 1,205; die Schiffsbrücke über den Tigris scheint durch die Jahrhunderte existiert zu haben und bestand aus 37 Schiffen, vgl. Xen. an. 2,4,17 und 4,24. Hdt. 4,84. Hdt. 7,9. Zu den aparchai: Rudhardt 1992, 219–222. Hdt. 4,88: Βόσπορον ἰχθυόεντα γεφυρώσας ἀνέθηκε Μανδροκλέης Ἥρῃ μνημόσυνον σχεδίης, αὑτῷ μὲν στέφανον περιθείς, Σαμίοισι δὲ κῦδος, Δαρείου βασιλέος ἐκτελέσας κατὰ νοῦν. Zur Schiffsbrücke über den Indus, vgl. Diod. 17,86,3; Curt. 8,10,2f.; Metz Epitome 48; Arr. an. 5,7,1–5,8,1; über den Euphrat in Thapsakos vgl. Arr. an. 3,7,1f. Eine solche Brücke wurde vielleicht auch von Alexander d.Gr. über den Araxes gestellt: Arr. an. 3,18,6–10 und Diod. 17,69,1f. Diod. 19,17,2. Die Errichtung fand in den Jahren 316–315 statt, die Schiffsbrücke wurde danach von Eumenes überschritten: vgl. Diod. 19,18,1.

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anus Marcellinus belegt,44 sondern auch auf der Traians- und auf der Mark-Aurel-Säule dargestellt ist (Abb. 5 und Abb. 6).45 Die zur Verfügung stehenden Quellen sind so unterschiedlich, dass es schwer fällt, eine Entwicklung der Methode festzustellen. Die verschiedenen Schilderungen scheinen lediglich auf eine minimale Optimierung der Technik hinzuweisen: Während die assyrische Schiffsbrücke nur aus einem Laufsteg auf Booten bestand, wiesen die späteren Schiffsbrücken, darunter diejenige des Dareios über den Hellespont, Brückengeländer auf. Außerdem unterschieden sich auch die Schiffe. Es handelte sich in assyrischer Zeit wahrscheinlich um Flechtwerk- oder kleine Holzboote,46 in der Zeit Xerxes’ um seegängige Trieren und Pentekonteren, auf jeden Fall aber um lange Schiffe,47 und in römischer Zeit um offene Boote, vielleicht Transporter nach den Abbildungen auf der Traians- und Mark-Aurel-Säule zu urteilen (Abb. 5 und Abb. 6). Das scheint aber nicht unbedingt von der Epoche abzuhängen, sondern von den Bedingungen des Schiffstransports: Alexander d.Gr. z.B. hatte zerlegbare Boote mitgebracht.48 Im 4. Jh. weist Vegetius darauf hin, dass die römische Armee eine Schiffsbrücke mit Einbäumen bauen konnte.49 Grundsätzlich scheint die Technik ähnlich gewesen zu sein: Die Schiffe wurden nebeneinander verankert und danach mit einem Holzbalken abgedeckt, der einen Laufsteg trug.50 Diese Konstruktion war wie bei den von Herodot beschriebenen Xerxes-Brücken wahrscheinlich immer mit massiven Pfosten oder Ähnlichem mit dem Grund verbunden. Der Vorteil der Schiffsbrücken – ihr provisorischer Charakter – war gleichzeitig ein Nachteil: Die Schiffsbrücken waren sehr einfach abzubauen und mussten deswegen bewacht werden, damit die Feinde sie nicht zerstörten. Das war die größte Furcht des Darius und des Xerxes.51 Aber selbst wenn Soldaten sie bewachten, konnten sie nichts gegen einen Sturm ausrichten, der die ganze Konstruktion zerstören konnte.52

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Arr. an. 5,7,1–5,8,1; Veg. mil. 2,25. Sie wurde auch im Jahr 165 n.Chr. von C. Avidius Cassius bei der Überquerung des Euphrat bei Zeugma (Cass. Dio 71,3) und danach noch von Kaiser Julian im Jahr 363 n.Chr. während seiner militärischen Aktion gegen Persien benutzt (Amm. 33,3,9 und 24,7,4). Für andere Belege, nicht nur im Orient, vgl. Bougia 2001 und Göttlicher 2009, 101– 108. Für Schiffsbrücken auf Münzen vgl. Nollé 2011, bes. 151. Für eine Synthese über die Brücken auf diesen Säulen und die jüngste Bibliographie vgl. O’Connor 1993, 133–139. Hornig 2007, 80. Zur Schiffsbrücke des Xerxes über den Hellespont vgl. Hammond, Roseman 1996 und die Rekonstruktion bei Galliazzo 1994, 19 (unten Abb. 4). Erwähnung von langen Schiffen bei Hdt. 7,21. Vgl. z.B. Arr. an. 5,8,4f. Veg. mil. 2,24. Die Technik, die Schiffe mit Leinen oder Balken miteinander zu verbinden, sah möglicherweise auch anders aus, vgl. Hammond, Roseman 1996 und Galliazzo 1994, I, 14–20. Zur Idee, eine Schiffsbrücke abzubauen: z.B. Hdt. 4,89; 4,97; 4,139 (Dareios’ Schiffsbrücke über den Istros) und Hdt. 8,97; 8,107–110; Xen. an. 2,4,17 (Schiffsbrücke über den Tigris). Hdt. 8,117.

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2. Die Vorbereitung der Überquerung Die Überquerung eines Wasserlaufes erforderte eine intensive technische, strategische und kultische Vorbereitung. Von ihr hing oftmals der Erfolg der militärischen Aktion ab. 2.1 Die technische Vorbereitung Kriegsheere waren gewöhnlich gut vorbereitet. Die Expeditionen der Achämeniden waren immer bis ins Detail organisiert. Xerxes z.B. begann vier Jahre vor dem Feldzug, Maßnahmen zu treffen.53 Auch die Überquerung der Flüsse wurde vorausberechnet: Die verschiedenen Völker sollten Hilfsmittel stellen, die einen Schiffe, die anderen Transportschiffe, wieder andere lange Schiffe für Brücken.54 Phoiniker und Ägypter mussten für die Brücken Tauwerk aus Papyrus und aus weißem Flachs herstellen. Vor der Aktion sollten auch schon die Schiffsbrücken über die Flüsse errichtet werden.55 Auch Alexanders Expedition war sehr gut geplant, umso mehr, als er die Bücher seiner Vorgänger gelesen hatte und deshalb wusste, welche Schwierigkeiten auftreten konnten. Die Zahl der Personen, die ihm folgten – ca. 65.000 –,56 machte eine gute Logistik und die Vorbereitung der größten Etappen der Expedition erforderlich.57 In seinem Plan hatte er auch die Überquerung der Flüsse organisiert: Wenn es möglich war, sollten die Flüsse durchwatet, ansonsten mit Hilfe von Booten oder Schiffsbrücken überquert werden. Über die größten Flüsse war die Konstruktion der Schiffsbrücken immer im voraus geplant worden.58 So schickte Alexander Perdikkas und Hephaistion nach Indien, um zerlegbare Schiffe zu zimmern und um Schiffsbrücken über den Indus zu errichten.59 Als er sechzehn Tage später dorthin kam, war alles für die Überquerung bereit.60 Nach Alexanders Tod haben die Diadochen Nutzen aus seiner Expedition gezogen; zumeist marschierten sie mit Booten.61 Damit ließen sich die großen Flüsse überqueren. Diejenigen, die keine Schiffe oder Boote hatten, erwiesen sich immer als unterlegen: im Jahr 222/221 konnte Molon, der im Krieg mit Antiochos III. lag, den Tigris nicht überqueren, weil Zeuxis die Schiffsbrücke gelöst hatte. Er musste auf Nachschub und Schiffe warten, bis er übersetzen konnte.62 Schlimmer noch war es für Antigonos, der den größeren Teil seines Heeres nur mit ein Paar Ruderkähnen über den susianischen Koprates übersetzen ließ, um einen Graben auszuheben und eine Palisade anzulegen: Als Eumenes’ Heer kam, versuchten Antigonos’ Soldaten, auf den Booten zurückzufahren; sie stürmten aber auf die Boote los, die dann wegen der Menge der Soldaten untergingen.63 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63

Hdt. 7,20–25. Hdt. 7,21. Zur Schiffsbrücke des Xerxes über den Strymon: Hdt. 7,23; 7,114. Dareios ließ auch Schiffsbrücken im voraus bauen: vgl. Hdt. 4,84 (über den thrakischen Bosporus) und 4,89 (über den Istros). Engels 1978, 18. Diese Zahl umfasst Soldaten und Tross. Zur Logistik von Alexanders Heer: Engels 1978. So z.B. über den Euphrat: Arr. an. 3,7,1; über den Araxes: Arr. an. 3,18,6. Arr. an. 4,29,5 und Curt. 8,10,2. Zur Schiffsbrücke auf dem Indus: Diod. 17,86,3. Curt. 8,12,4. So z.B. Eumenes für die Überquerung des Tigris: Diod. 19,12,3. Pol. 5,45,3f.; 5,52,1–6. Diod. 19,18,1–7.

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An diesem Beispiel sieht man, wie wichtig die technische Vorbereitung der Überquerung war: Wenn sie nicht richtig geplant war, konnte sie im Chaos enden. 2.2 Die strategische Vorbereitung des Heeres Mindestens ebenso wichtig war die Vorbereitung des Heeres selbst. Das Durchschreiten war umso schwieriger, je größer die Armee war. Die Hellespont-Überquerung der achämenidischen Armee nahm sieben Tage in Anspruch,64 wie die des Euphrat oder des Lykos durch Dareios’ Soldaten.65 Auch Alexanders Armee brauchte fünf Tage, um über den Oxos zu gelangen.66 Als die ersten Soldaten den Fluss überquert hatten, sollten sie Wache halten, bis die Übrigen übergesetzt hatten. Für dieses Thema ist Xenophons Anabasis besonders interessant, weil er von den Überlegungen der Strategen berichtet, wie die Zehntausend Flüsse ohne Gefahr überqueren könnten, vor allem, wenn die Feinde möglicherweise einen Hinterhalt planten. Wenn sie einen Fluss durchwateten oder selbst eine Brücke benutzten, waren sie verletzlicher als sonst. Das gilt z.B. für den Kentrites, dessen Flussbett wegen der großen schlüpfrigen Steine schwierig war. Es war nicht möglich, im Wasser Waffen zu tragen, wegen der Kraft des Stroms, der sie mitreißen konnte. Trugen die Soldaten aber die Waffen auf dem Kopf, waren sie wehrlos gegen Pfeile und andere Geschosse.67 Auf einer Brücke zeigte sich dasselbe Problem, besonders wenn die Soldaten in Form eines gleichseitigen Vierecks aufgestellt wurden und von Gegnern verfolgt wurden. Wenn das Heer sich auf einer Brücke befand, konnten sich die Flanken des Vierecks zusammenziehen. So wurden die Schwerbewaffneten von ihrer Position gedrängt und kamen nur mühsam und ungeordnet vorwärts. Die Flügel konnten aber auch auseinandergezogen werden, so dass dazwischen eine Lücke entstand; die Soldaten konnten die Zuversicht verlieren und sich beeilen, um vor den anderen hinüberzukommen. Dann hatten die Feinde ein leichtes Spiel.68 So entschieden die Strategen, sechs Kompanien zu je 100 Mann zu bilden, jede von Hauptleuten (lochagoi) geführt, die von Zugführern und Halbzugführern unterstützt wurden, mit folgendem Ergebnis: »Sooft nun beim Marsche die Flügel sich zusammendrängten, blieben die einen dieser Hauptleute zurück, um die Flügel nicht zu behindern; die andern zogen ihre Leute über die Flanken hinaus nach vorn. Wurden aber die Flügel des Vierecks auseinandergezogen, so füllten sie jeweils die Lücke in der Mitte aus, und zwar, wenn der Zwischenraum eng war, in langer Kolonne, wenn er breiter war, mit den Zügen, war er ganz breit, mit den Halbzügen nebeneinander, so dass die Mitte immer aufgefüllt war. Musste man irgendeinen Übergang oder eine Brücke überschreiten, so trat keine Verwirrung ein, sondern die Hauptleute passierten der Reihe nach.«69 64 65 66 67 68 69

Hdt. 7,56. Über den Euphrat: Curt. 3,7,1, über den Lykos: 4,9,9. Überquerung mit Hilfe von Schläuchen: Arr. an. 3,29,2–4 und Curt. 7,5,17f. Xen. an. 4,3,5. Xen. an. 3,4,19f. Xen. an. 3,4,21–23: ἐπεὶ δὲ ταῦτ᾽ ἔγνωσαν οἱ στρατηγοί, ἐποίησαν ἓξ λόχους ἀνὰ ἑκατὸν ἄνδρας, καὶ λοχαγοὺς ἐπέστησαν καὶ ἄλλους πεντηκοντῆρας καὶ ἄλλους ἐνωμοτάρχους. οὗτοι δὲ πορευόμενοι, ὁπότε μὲν συγκύπτοι τὰ κέρατα, ὑπέμενον ὕστεροι, ὥστε μὴ ἐνοχλεῖν τοῖς κέρασι, τότε δὲ παρῆγον ἔξωθεν τῶν κεράτων. ὁπότε δὲ διάσχοιεν αἱ πλευραὶ τοῦ πλαισίου, τὸ μέσον ἂν ἐξεπίμπλασαν, εἰ μὲν στενότερον εἴη τὸ διέχον, κατὰ λόχους, εἰ δὲ πλατύτερον, κατὰ πεντηκοστῦς, εἰ δὲ

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Auch Arrian berichtet über verschiedene Strategien der Flussüberquerung und insbesondere über die Alexanders. Während der Eroberer am Anfang seiner Kampagne nicht zögerte, die Furt des Granikos in drei Heeresabteilungen direkt im Angesicht des Feindes zu durchwaten,70 wandte er später eine subtilere Strategie an, die er schon bei der Überquerung der Donau erfolgreich erprobt hatte, und überquerte nach und nach die Flüsse nachts mit Hilfe von Schläuchen.71 2.3 Die Dauer der Vorbereitung Wie wir gezeigt haben, wurde die Überquerung der Flüsse selten improvisiert, und wenn doch, führte das oft zu unheilvollen Ergebnissen. Die Vorbereitung bestand aus technischen und strategischen Komponenten. Unter diesen Möglichkeiten gab es auch die, Flüsse zu meiden, wie es etwa die Zehntausend taten: Auch am Ende ihrer Reise wählte die griechische Armee den einfachsten Weg. Als sie am Ufer des Schwarzen Meers angekommen war, bevorzugte sie es, auf Schiffen an der Küste entlangzufahren, und vermied es so, zu Lande die großen nordanatolischen Flüsse überqueren zu müssen.72 In Allgemeinen war das erfolgreiche Übersetzen über die Flüsse das Ergebnis einer langen Vorbereitung, die mehrere Monate oder sogar Jahre dauerte. Teil dieser Vorbereitung waren auch Rituale, die vor der Überquerung durchgeführt wurden. Xerxes verwandte einen ganzen Tag vor seiner Expedition darauf, ein solches Ritual vorzubereiten. Es war nämlich von größter Wichtigkeit, die Götter – sowohl persische als auch lokale griechische Götter – auf seine Seite zu bringen.73 Jeder Heerführer sah es als wichtig an, diese religiöse Vorbereitung nicht zu vernachlässigen.

3. Wahrnehmung der Flüsse 3.1 Der Fluss als epiphanes göttliches Wesen … Die Flüsse wurden nicht als Naturerscheinung, sondern als epiphane göttliche Wesen betrachtet, die die Überquerung erlaubten oder auch nicht erlaubten. Deshalb war man daran gewöhnt, Zeichen der göttlichen Zustimmung für den Übergang zu suchen.74 Die Religion der Achämeniden ist uns zwar nicht so gut bekannt,75 doch scheint es, dass auch sie den 69

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πάνυ πλατύ, κατ᾽ ἐνωμοτίας· ὥστε ἀεὶ ἔκπλεων εἶναι τὸ μέσον. εἰ δὲ καὶ διαβαίνειν τινὰ δέοι διάβασιν ἢ γέφυραν, οὐκ ἐταράττοντο, ἀλλ᾽ ἐν τῷ μέρει οἱ λοχαγοὶ διέβαινον· καὶ εἴ που δέοι τι τῆς φάλαγγος, ἐπιπαρῇσαν οὗτοι. τούτῳ τῷ τρόπῳ ἐπορεύθησαν σταθμοὺς τέτταρας. Arr. an. 1,13–16. Nacht-Überquerung der Donau: Arr. an. 1,3,5; des Eordaikos: Arr. an. 1,69; des Hydaspes: Arr. 5,12,3. Baslez 1995, 86. Vgl. unten: 3.2. So berichtet Diod. 3,19,9 über den Kampf zwischen dem König der Inder und der legendären assyrischen Königin Semiramis: Nachdem Semiramis mit ihrer Armee den Fluss überquert hatte, brach der sie verfolgende König der Inder die Überquerung ab. Ihm war nämlich ein Vorzeichen am Himmel erschienen, und die Seher machten ihm klar, dies bedeute, es sei ihm nicht gestattet, über den Fluss zu gehen. Hier ist es nicht der Fluss selbst, der den Übergang verbietet, sondern ein himmlisches Zeichen. Dazu Briant 1996, 252–265 und 941–943 und Widengren 1965, 111–155.

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Wasserläufen geopfert haben.76 Die Griechen ihrerseits suchten die Zeichen meistens in den Eingeweiden von Opfertieren.77 … das den Übergang erlaubt … Die Zeichen konnten günstig sein und den Übergang erlauben.78 Es konnte sogar der Fluss selbst einen König erwählen und ihm helfen, die Macht zu gewinnen. Zwei mythische Traditionen überliefern eine solche Rolle von Flüssen, wie etwa die über die Temeniden, die Vorfahren Alexanders d.Gr. Als sie noch nicht Könige von Makedonien waren, opferten die Temeniden gewöhnlich einem makedonischen Fluss als ihrem Retter. Als Alexanders Urahne Perdikkas, der von dem damaligen König mit dem Tod bedroht wurde, diesen Fluss durchwatet hatte, schwoll der Fluss so an, dass die Reiter, die Perdikkas töten sollten, den Fluss nicht überqueren konnten.79 So verhalf der Fluss Perdikkas zum Königtum, einer seiner Nachfolger sollte Alexander d.Gr. werden. Wo dieses Geschehen zu lokalisieren ist, wissen wir nicht, da der Name des Flusses nicht überliefert ist. Eine ähnliche Geschichte ist von Kyros, der den achämenidischen Thron besteigen wollte, und dem Euphrat überliefert: Als Kyros gegen Artaxerxes marschierte, durchschritt er mit seiner Armee zum ersten und einzigen Mal zu Fuß den Euphrat bei Thapsakos. Der Fluss wurde sonst immer mit einer Schiffsbrücke oder einem Schiff überquert. So erschien die Tat des Kyros als göttliches Wunder: Offensichtlich war der Fluss vor Kyros als dem kommenden König zurückgewichen.80 … oder verbietet Im Altertum glaubte man, dass Flussgötter Königen helfen konnten. Das bedeutete auch, dass Gottheiten die Projekte eines Königs unterstützen konnten, wenn sie es wollten. Das erklärt vielleicht die Wut des Xerxes, dessen Kampagne gegen Griechenland ins Stocken geriet, weil ein gewaltiges Unwetter die gerade fertig gestellte Schiffsbrücke über den Hellespont zerstört hatte.81 Das musste für Xerxes eine Demütigung sein, ein Beweis, dass der Hellespont, vielleicht auch weitere griechische Gottheiten, gegen ihn waren. Xerxes nahm das sehr übel auf und befahl, dem Hellespont 300 Geißelhiebe zu geben und ein Paar Fußfesseln82 im offenen Meer zu versenken. Er soll sogar zugleich Henkersknechte mitgeschickt haben, um dem Hellespont Brandmale aufzudrücken. Er ließ sie während der Auspeitschung die barbarischen und frevelhaften Worte sprechen: »Du Wasser der Bitternis, unser Herr legt dir diese Strafe auf, weil du ihn beleidigst hast, ohne dass er dir ein Unrecht tat. König Xerxes wird über dich hinweggehen, du magst wollen oder nicht. Dir aber opfert 76

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Strab. 15,3,14: Διαφερόντως δὲ τῷ πυρὶ καὶ τῷ ὕδατι θύουσι, τῷ μὲν πυρί … τῷ δ’ ὕδατι, ἐπὶ λίμνην ἢ ποταμὸν ἢ κρήνην ἐλθόντες, βόθρον ὀρύξαντες εἰς τοῦτον σφαγιάζονται, φυλαττόμενοι μή τι τοῦ πλησίον ὕδατος αἱμαχθείη, ὡς μιανοῦντες. Eine der Tontafeln, gefunden in Persepolis (PF 339), erwähnt Weintrankopfer für die Wasserläufe Rannakara und Šaušanus (Briant 1996, 254). Die Perser opferten auch Naturkräften wie Bergen und an Orten mit besonderen Namen. Vgl. dazu unten 3.2. So z.B. Arr. an. 5,4,6. Hdt. 8,138. Vgl. die Aufgabe des Skamandros bei Hom. Il. 233–250. Xen. an. 1,4,17. Hdt. 7,35. Sie sind auch bei Arr. an. 7,14,5 erwähnt.

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mit Recht kein Mensch, weil du nur schmutziges Salzwasser bist.«83 Diese Hybris wurde später als ein Grund dafür angesehen, dass Xerxes den Feldzug gegen Griechenland verlor. Die Achämeniden nahmen es sehr übel, wenn Naturwesen sich ihnen als Hindernis entgegenstellten: Als Kyros auf dem Marsch nach Babylon den Fluss Gyndes überschreiten wollte, sprang eines der heiligen weißen Pferde in den Fluss und versuchte, ihn zu durchschreiten, aber der Fluss riss es in die Tiefe und trug es fort. Die Rache des Königs bestand darin, den Fluss in 360 Arme zu zerteilen, damit ihn in Zukunft sogar Frauen leicht überschreiten konnten.84 Den Fluss trotz Verbots zu überqueren, konnte gefährlich sein, wie im Falle Alexanders d.Gr., der wegen des Übergangs des Tanaïs opferte, jedoch keine günstigen Zeichen erhielt. Wenngleich zähneknirschend, harrte er trotzdem aus und blieb an Ort und Stelle. Da aber die Skythen nicht aufgaben, opferte er noch einmal wegen des Flussüberganges. Doch auch dieses Mal erklärte sein Seher Aristandros, dass die Zeichen auf eine Gefahr für ihn hindeuteten. Er aber erklärte, er wollte lieber in äußerste Gefahr geraten, als jetzt, wo er schon fast ganz Asien unterworfen hatte, den Skythen zum Gespött zu werden, wie es etwa dem Dareios, dem Vater von Kyros, ergangen sei. Aristandros erklärte, es sei ihm unmöglich, im Widerspruch zu den Zeichen der Gottheit etwas anderes zu künden, nur weil Alexander anderes hören wolle.85 Während der Verfolgung der Skythen trank Alexander fauliges Wasser, woraufhin er erkrankte. Diese Erkrankung wurde als höchste Lebensgefahr interpretiert: So erfüllte sich die Weissagung des Aristandros.86 3.2 Riten zur Besänftigung einer Fluss- oder Meeresgottheit Bei den Griechen gab es die Vorstellung, dass das Durchqueren eines Flusses oder eines anderen Gewässers den darin wohnenden Gott belästigen oder sogar ärgern konnte. Schon im 8. Jh. v.Chr. empfahl Hesiod: »Nie durchquere der ewigen Ströme schönfließendes Wasser mit deinen Füßen, bevor du im Anblick der Strömung gebetet und dir die Hände gewaschen im lieblichen hellen Gewässer. Wer einen Fluß durchschreitet mit schmutziger Seele und Händen, dem schicken hinterher Schmerzen im Zorn die unsterblichen Götter.«87 Deswegen suchten die Griechen, die Geneigtheit einer Gottheit vor der Flussüberquerung zu gewinnen. Während einfache Reisende nur ein Gebet oder kleine Gaben darbringen konnten, mussten die Feldherren normalerweise διαβατήρια (d.h. Opfer für den Durch-

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Hdt. 7,35: ὦ πικρὸν ὕδωρ, δεσπότης τοι δίκην ἐπιτιθεῖ τήνδε, ὅτι μιν ἠδίκησας οὐδὲν πρὸς ἐκείνου ἄδικον παθόν. καὶ βασιλεὺς μὲν Ξέρξης διαβήσεταί σε, ἤν τε σύ γε βούλῃ ἤν τε μή· σοὶ δὲ κατὰ δίκην ἄρα οὐδεὶς ἀνθρώπων θύει ὡς ἐόντι καὶ θολερῷ καὶ ἁλμυρῷ ποταμῷ. Hdt. 1,189; 5,52. Dazu vgl. Briquel 1981. Arr. an. 4,4,1–3. Arr. an. 4,4,9. Hes. erg. 737–739: μηδέ ποτ’ αἰενάων ποταμῶν καλλίρροον ὕδωρ ποσσὶ περᾶν, πρίν γ’εὔξῃ ἰδὼν ἐς καλὰ ῥέεθρα, χεῖρας νιψάμενος πολυηράτῳ ὕδατι λευκῷ. Vgl. auch Hom. Il. 11,725–732, wo geschildert wird, wie Nestor beim Übergang über den Alpheios dem Flussgott selbst, aber auch anderen Göttern Opfer dabringt. Auch die Perser respektierten die Wasserläufe: vgl. Hdt. 1,138: ἐς ποταμὸν δὲ οὔτε ἐνουρέουσι οὔτε ἐμπτύουσι, οὐ χεῖρας ἐναπονίζονται, οὐδὲ ἄλλον οὐδένα περιορῶσι, ἀλλὰ σέβονται ποταμοὺς μάλιστα.

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gang) vollziehen, entweder vor oder nach dem Übergang.88 Im folgenden sollen diese verschiedenen Riten zur Besänftigung einer Flussgottheit untersucht werden. Achämeniden Fluss- und Meeresgöttern gegenüber waren die Achämeniden meist recht achtsam. Während seiner militärischen Aktion gegen Griechenland wurde Xerxes z.B. nicht nur von persischen Magiern, sondern auch von griechischen Wahrsagern und Priestern begleitet.89 Beide führten Opferrituale aus. Es ist aber nicht immer einfach zu ermitteln, aus welcher Religion die Rituale stammen, wie z.B. die am Hellespont. Nachdem sein Ärger über den Hellespont verflogen war und die neuen Schiffsbrücken fertig gestellt waren, vollzog Xerxes Rituale vor der Überquerung des Hellesponts: Am Tag des Übergangs wartete er auf den Sonnenaufgang, ließ allerlei Räucherwerk auf den Brücken verbrennen und den Weg mit Myrten bestreuen. Als die Sonne emporstieg, spendete Xerxes Trankopfer aus einer goldenen Schale ins Meer und betete zur Sonne: Es möge ihm kein Unglück zustoßen, das ihn an der Eroberung Europas hindere, ehe er an die Grenzen jenes Erdteils gelangt sei. Nach diesem Gebet warf er die Schale in den Hellespont, dazu einen goldenen Mischkrug und ein persisches Schwert, welches Akinakes genannt wurde.90 Herodot weiß nicht genau, welchen Gottheiten diese Opfer dargebracht wurden. Es wäre möglich, dass es sich um griechische Rituale für griechische Meeresgottheiten handelt,91 weil die Mehrheit der Opfergaben typisch für die griechische Religion war: Trankopfer wie Rauchopfer92 waren bei Reiseantritt üblich.93 Zu Beginn von Seereisen konnten auch Artefakte ins Wasser geworfen werden:94 Eine goldene Schale und Mischkrüge wurden auch von Alexander an der Indusmündung für die Meeresgottheiten95 ins Meer geworfen.96 Es fehlt aber die blutige Opfergabe für Poseidon, ein Stier, der von Alexander am Hellespont sowie am Indischen Ozean geopfert wurde. Außerdem soll Xerxes laut Herodot seiner Armee gesagt haben: »Jetzt aber wollen wir übersetzen, nachdem wir zu den Göttern gebetet haben, die mit schützender Hand über Persien als ihr Eigentum herr88

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Mazon 1914, 146 (Kommentar zu Hes. erg. 737–739). Die diabateria waren aber nicht nur für Flussüberquerungen zu vollziehen, sondern für jede große Umstellung des Lebens. Zu diabateria in militärischem Kontext: Lonis 1979, 96–98. Zur Opfergabe in der Antike: Casabona 1966 (Vokabeln), vgl. Des Places 1969, 135–142, Bruit-Zaidman 2001, 32–36 und Rudhardt 1992, 213–302. Zu den Wahrsagern des Xerxes, vgl. Briant 1996, 564–566, zu den Magiern Briant 1996, 256– 258. Hdt. 7,54. Vgl. dazu Briquel 1983. Diese Hypothese wurde schon von Briant 1996, 564–566 aufgestellt. Vgl. Wachsmuth 1967, 117 mit Anm. 182. Die Benutzung der Myrte war in persischen Riten üblich: vgl. Hdt. 1,132; 8,99. Vgl. A. Steier, RE 16.1, 1933, 1171–1183 s.v. Myrte und Chr. Hünemörder, DNP 8, 2000, 605 s.v. Myrte. Vgl. Wachsmuth 1967, 116 mit Anm. 181 und Arr. an. 1,11,6 (Alexanders Trankopfer am Hellespont). Vgl. Wachsmuth 1967, 118 mit Anm. 188. Für Poseidon: Arr. an. 6,19,5. Arrian fügt hinzu, dass Alexander für die bevorstehende Heimfahrt der Flotte unter Nearch gebetet haben soll; für Poseidon und die Meergottheiten: Arr. Ind. 20,10; für Thetis und den Okeanos: Diod. 17,104,1. Zu den Opfern Alexanders an der Indusmündung: Ehrenberg 1933; Bucciantini 2009, 273–278. Arr. an. 6,19,5; Diod. 17,104,1.

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schen.«97 Diese Opfergaben könnten sich deswegen auch an die persischen Gottheiten richten.98 Darüber hinaus gab es nach Xerxes’ Ritual eine siebentägige Prozession: Am ersten Tag schritt das Fußvolk und die ganze Reiterei auf der Brücke hinüber, die zum Schwarzen Meer hin errichtet war, der Tross aber und die Dienerschaft auf der anderen die zur Ägäis hin lag. Die 10.000 Perser, alle bekränzt, eröffneten den Zug; ihnen folgte eine große Menge von allerlei Volk. Am nächsten Tag gingen zuerst die Reiter hinüber und die, welche die Lanzen gesenkt trugen; auch sie waren bekränzt. Dann folgten die heiligen Pferde und der heilige Wagen, darin Xerxes selbst, um ihn die Lanzenträger und 1.000 Reiter, danach das übrige Heer. Auch die Schiffe fuhren gleichzeitig auf die gegenüber liegende Seite. Xerxes soll als erster oder als letzter von allen hinübergegangen sein.99 Dieser Abmarsch der Armee kann als Prozession angesehen werden, weil die Bekränzung der Soldaten ein Symbol für rituelle Reinheit war,100 wie sie auch bei Prozessionen erforderlich war. Wie oben erwähnt, hatten nach Xerxes’ Worten diese Rituale eine propitiatorische Funktion, deren Ziel es war, den Strom nach Möglichkeit zu besänftigen. Auch wenn sich in diesem Fall die Opferhandlungen nicht eindeutig als persisches oder aber als griechisches Ritual ausmachen lassen, gibt es weitere Belege dafür, dass die Achämeniden auch zu den griechischen Göttern beteten. Später berichtet Herodot nämlich, dass nach einem drei Tage andauernden Sturm, der den Untergang mehrerer achämenidischer Schiffe verursacht hatte, die Magier durch Tieropfer und Zaubersprüche den Wind, ferner Thetis und die Nereiden,101 beschwichtigten, Gottheiten also, die in der Vorstellung der Griechen aus dem Meer stammten. Daraus lässt sich folgern, dass diese Rituale griechische Götter und auch den Hellespont besänftigen sollten, umso mehr, als diese ihren Zorn gezeigt hatten, indem sie die ersten Schiffsbrücken vernichtet hatten. Es ist ein sehr oft zu beobachtender Brauch bei antiken Eroberern, dass sie, wenn sie ein Territorium erobern wollten, oft versuchten, den Schutz der lokalen Gottheiten für sich zu gewinnen.102 Andere Riten wurden von Xerxes mit ähnlicher Absicht – d.h. der ›Beschwörung‹ des Flusses, damit er sich überqueren ließ und half, den Kampf zu gewinnen – auch beim Flussbett des Strymon vollzogen. Dort brachten die Magier dem Fluss ein Opfer dar und schlachteten weiße Pferde.103 Wenn sie in Griechenland waren, versuchten die Achämeniden, in ähnlicher Weise wie die Griechen zu opfern. Diese durften einen Fluss nicht ohne Rituale überqueren. 97 98

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Hdt. 7,53: νῦν δὲ διαβαίνωμεν ἐπευξάμενοι τοῖσι θεοῖσι οἳ Πέρσας λελόγχασι. Das persische Schwert könnte eine Opfergabe für die Sonne sein. Vgl. Widengren 1965, 12 und 129f. und Briquel 1983, 28: »G. Widengren a proposé d’y reconnaître une offrande trifonctionnelle: le roi offrirait trois objet qui seraient des symboles des trois fonctions«. Hdt. 7,55: ἤδη δὲ ἤκουσα καὶ ὕστατον διαβῆναι βασιλέα πάντων; vgl. Hdt. 7,56: Ξέρξης δὲ ἐπεὶ διέβη ἐς τὴν Εὐρώπην, ἐθηεῖτο τὸν στρατὸν ὑπὸ μαστίγων διαβαίνοντα. Daremberg, Saglio, 1524f. s.v. corona. Hdt. 7,191. Briant 1996, 566. Hdt. 7,113. Vgl. App. Mithr. 70: Mithradates versenkt ins Meer ein weißes Pferd mit Wagen. Diese Rituale wurden nicht nur für Flüsse vollzogen; bei Wegkreuzungen waren auch andere Riten üblich, abhängig vom Ortsnamen: Am Ort ›Neun Wege‹ z.B. wurden laut Hdt. 7,114 ebenso viele eingeborene Knaben wie Mädchen als Opfer lebendig begraben. Vgl. hier Anm. 76.

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Xenophon und die Zehntausend Auch wenn in Xenophons Anabasis ständig die Rede von Flüssen ist und wenn auch Xenophon selbst sich oft opfernd zeigt, berichtet er nur einmal von einer Opfergabe anlässlich einer Flussüberquerung, und zwar der des Kentrites, der nicht nur die Grenze zwischen dem karduchischen Bergland und Armenien bildete,104 sondern auch die Grenze zu einer anderen Zivilisation. Da die Überquerung dieselbe Bedeutung wie ein rite de passage hatte,105 wurde sie inszeniert.106 Zuerst hatte Xenophon einen Traum: »Es schien ihm, er liege in Fußfesseln und diese fielen von selbst ab, so dass er ungehindert gehen konnte, soweit er wollte«.107 Er versteht Träume als von den Göttern geschickte Zeichen,108 die entsprechend interpretiert werden sollen. Xenophon zufolge deutet sein Traum auf einen guten Ausgang hin.109 Diese Sinngebung soll aber bestätigt werden,110 und zwar mit einer Opfergabe, die nach einem zweiten göttlichen Zeichen trachtet: »Sobald die Morgenröte sich ankündigte, ließen die Strategen in ihrer Gegenwart opfern. Die Zeichen waren gleich beim ersten Opfer günstig.«111 Durch dieses Opfer wollten sich die Offiziere der Bestätigung und Zustimmung der Götter zu der durch den Traum angekündigten Rettung versichern und mögliche Gegenkräfte befriedigen und dadurch ausschalten. Hier handelte es sich um Opfer aus dem Bereich der sogenannten θυσίαι ἄγευστοι, d.h. Opfer, die nicht gegessen wurden: Normalerweise wurde das Opfertier (meistens wohl ein Lamm, ein Ferkel oder eine Ziege), nachdem es getötet worden und sein Blut an die Erde abgegeben war, verbrannt.112 Wenn die Opfergabe vor der Überquerung stattfand, lasen die Priester in den Eingeweiden des Opfertieres, ob die Armee den Fluss durchqueren durfte. Die Opfergabe war aber nicht immer ausschließlich für den Fluss bestimmt, sondern generell für Gottheiten, die den Armeen helfen sollten. Die Bemerkung, dass die Zeichen gleich beim ersten Opfer günstig waren, deutet klar darauf hin, dass oft mehrere Tiere geschlachtet wurden, bis die Priester mit dem Ergebnis zufrieden waren.113 Nach dem Opfer glaubten die Strategen bereits an den Erfolg des Durchwatens, als ein drittes Zeichen sich ereignete: Zwei Jünglinge, während sie Reisig für ein Feuer sammelten, fanden eine Furt und berichteten dies Xenophon,114 der sogleich persönlich ein Dankgebet und ein Trankopfer darbrachte und »befahl, den Jünglingen einzuschenken und zu den Göttern, die den Traum gesandt und die Furt gezeigt hatten, zu beten, sie möchten auch das 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114

Xen. an. 4,3,1. Baslez 1995, 85. Dazu vgl. unten 3.3. Xen. an. 4,3,8: ἔδοξεν ἐν πέδαις δεδέσθαι, αὗται δὲ αὐτῷ αὐτόμαται περιρρυῆναι, ὥστε λυθῆναι καὶ διαβαίνειν ὁπόσον ἐβούλετο. Vgl. Xen. an. 3,1,11–14. Darüber: Boëldieu-Trévet 2006, 42. Xen. an. 4,3,8. Zur Interpretation der Träume vgl. Boëldieu-Trévet 2006, 41f. Xen. an. 4,3,9: ὁ δὲ ἥδετό τε καὶ ὡς τάχιστα ἕως ὑπέφαινεν ἐθύοντο πάντες παρόντες οἱ στρατηγοί· καὶ τὰ ἱερὰ καλὰ ἦν εὐθὺς ἐπὶ τοῦ πρώτου. Lendle 1995, 211. Lendle 1995, 216. Xen. an. 4,3,10–12.

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übrige gut vollenden.«115 Danach opferte auch Cheirisophos, der Führer der Expedition. Solche Opfergaben waren üblich, um sich bei den Göttern zu bedanken.116 Danach berieten Xenophon und Cheirisophos mit den Strategen über die beste Strategie für die Überquerung117 und brachen, nachdem sie angeordnet war, auf und marschierten in Richtung der Furt ab. An der Furt begann ein Art Zeremonie: Cheirisophos ergriff selbst, »bekränzt und ohne Obergewand, als erster die Waffen und befahl so allen andern«.118 Gleichzeitig schlachteten die Seher Opfertiere im Fluss. Als die Opfer günstig waren, begannen die Soldaten den Päan119 zu singen und Alala zu rufen; alle Frauen des Trosses schrien auf, und die Soldaten begannen, den Fluss zu überqueren.120 Diese zeremonielle Einleitung des Überquerungsmanövers durch Cheirisophos entspricht einem Ritual für Artemis Agrotera, das seinen Ursprung in einer spartanischen Sitte hat,121 die später aber von den Athenern übernommen wurde.122 Diese Zeremonie hatte den Sinn, im Heer vor dem Kampf Einmütigkeit zu schaffen.123 Wie von O. Lendle vermutet, ist die zusätzliche Ololyge der Hetären im rituell geprägten Zusammenhang der Kentrites-Überquerung möglicherweise als Bittrufe der Frauen zu denken, die dadurch von den Göttern Unterstützung für die Soldaten herbeiwünschten.124 Der Unterschied zu der spartanischen Sitte liegt darin, dass die Opfertiere im Fluss geschlachtet wurden, was in diesem Fall wichtig ist: Auf diese Weise wurde sicher gestellt, dass der Flussgott das Durchwaten nicht behinderte. Auch wenn dieser Bericht der einzige bei Xenophon ist, der Auskunft darüber gibt, wie ein Fluss besänftigt wurde, macht er deutlich, wie man ihn an dem Sieg des Heeres beteiligt dachte. Alexander der Große Alexander opferte oft und reichlich.125 Normalerweise brachte er vor jeder Etappe seines Feldzuges seinen Schutzgöttern und dazu noch anderen, die ihm von den Priestern empfohlen wurden,126 ein Opfer dar. Der Eroberer opferte nämlich nach dem Nomos, den er als König zu erfüllen hatte:127 Er brachte täglich Opfer am Morgen vor Beginn der Tagesgeschäfte dar und in besonderen Fällen, wie z.B. bei glücklichen oder unglücklichen Ereignissen, bei großen Staatsaktionen aller Art, wie etwa Eroberungen, Siegen, Gründung von 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127

Xen. an. 4,3,13: εὐθὺς οὖν Ξενοφῶν αὐτός τε ἔσπενδε καὶ τοῖς νεανίσκοις ἐγχεῖν ἐκέλευε καὶ εὔχεσθαι τοῖς φήνασι θεοῖς τά τε ὀνείρατα καὶ τὸν πόρον καὶ τὰ λοιπὰ ἀγαθὰ ἐπιτελέσαι. Lendle 1995, 213. Xen. an. 4,3,14f. Xen. an. 4,3,17: καὶ αὐτὸς πρῶτος Χειρίσοφος στεφανωσάμενος καὶ ἀποδὺς ἐλάμβανε τὰ ὅπλα καὶ τοῖς ἄλλοις πᾶσι παρήγγελλε. Zur Bedeutung des Päan vgl. Lonis 1979, 117–128. Xen. an. 4,3,19. Vgl. Xen. Lak.pol. 13,8f.; Xen. hell. 4,2,20 und Plut., Lykurgos 22,4–6. Vgl. Vernant 1988. Xen. an. 3,2,12. Segara-Crespo 1998, 210–216. Lendle 1995, 216. Zu den Opfergaben Alexanders: Bucciantini 2009, 272–278. Für Apis in Memphis: Arr. an. 3,1,3. Kornemann 1935, 225.

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Städten, bei der Errettung der eigenen Person und auch bei Flussübergängen.128 Danach wurden oft gymnische Agone und musische Wettkämpfe veranstaltet.129 Die Opfergaben werden aber von den Autoren des Alexanderzugs nicht für jeden Fluss erwähnt. Bedeutet das, dass Alexander nur den großen Strömen opferte, oder lediglich, dass die Autoren nicht über jede Opfergabe, sondern nur über jene für die größten Flüsse berichten? Dieselbe Frage gilt auch für Xenophons Bericht. Wie schon gesagt, berichtet er nur einmal von Opfergaben bei einer Flussüberquerung. Das könnte darauf hindeuten, dass nur die größten Flüsse, die echte Grenzen bildeten, diabateria erforderten, oder dass in anderen Opfergaben diabateria bereits eingeschlossen waren. Ein gutes Beispiel bildet der Indus, größter Fluss der Gegend, dem der Eroberer vor dem Übergang opferte, damit er den Übergang problemlos verlaufen ließ; und auch nach dem Übergang κατὰ νόμον,130 um sich bei dem Stromgott zu bedanken. Wie von V. Bucciantini betont, fand die religiöse Zeremonie vor einer Überquerung statt, »um die Armee in diesem Moment großer Unsicherheit über den Ausgang des Feldzuges zu motivieren«.131 So könnte man auch erklären, dass die Opfergaben nur den größeren Flüssen dargebracht wurden, weil die Heere besonderer Beruhigung und Ermutigung bedurften. So haben wir weitere Belege von Opfern vor dem Übergang über den Tanaïs,132 den Indus133 und den Hyphasis.134 Im Fall des Hyphasis waren die Opfer für Alexander jedoch ungünstig ausgefallen. Außerdem wollte das Heer nicht mehr weitermarschieren. Diese beiden Zeichen zwangen Alexander zur Entscheidung, die Rückreise anzutreten. Es gab auch Opfergaben nach der Überquerung, als Dank für den erfolgreichen Ausgang des Unternehmens: Nachdem Alexander die Donau überquert und den Kampf gegen die Geten gewonnen hatte, »opferte er am Ufer des Stromes Zeus, dem Retter, und Herakles und dem Stromgott selber, zum Dank dafür, dass er ihm keine Schwierigkeiten bereitet hatte«.135 Überquerungen waren nicht der einzige Grund für eine Opfergabe, auch die Flussschifffahrt bedurfte religiöser Zeremonien, um die Fahrt zu sichern,136 wie etwa am Hydaspes: Bei Sonnenaufgang ging das Heer an Bord der Schiffe. Am Ufer des Hydaspes brachte Alexander selbst den Göttern, denen er üblicherweise opferte, Opfer dar,137 wie auch dem 128 129

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Ibid. mit Quellenangaben. Für gymnische und musische Wettkämpfe in Memphis: Arr. an. 3,1,3; in Tyros: Arr. an. 3,6,1; in Taxila: Arr. an. 5,8 3. Für Wagenrennen und gymnische Wettkämpfe in Skythien: Arr. an. 4,4,1. Für den Wettkampf in Leibesübungen am Indus: Arr. an. 5,4,3. Vgl. Bucciantini 2009, 269; Oliva 1993. Arr. an. 5,8,2. Bucciantini 2009, 268. Arr. an. 4,4,1–3. Arr. an. 5,4,5. Arr. an. 5,28,4. Arr. an. 1,4,4: θύει τε ἐπὶ τῇ ὄχθῃ τοῦ Ἴστρου Διὶ Σωτῆρι καὶ Ἡρακλεῖ καὶ αὐτῷ τῷ Ἴστρῳ, ὅτι οὐκ ἄπορος αὐτῷ ἐγένετο. Vgl. dazu Wachsmuth 1967. Arr. Ind. 18,11f. ist präziser: ὡς δὲ ταῦτα ἐκεκόσμητο Ἀλεξάνδρῳ, ἔθυε τοῖς θεοῖσιν ὅσοι τε πάτριοι ἢ μαντευτοὶ αὐτῷ τῷ καὶ Ποσειδῶνι καὶ Ἀμφιτρίτῃ καὶ Νηρηίσι καὶ αὐτῷ τῷ Ὠκεανῷ, καὶ τῷ Ὑδάσπῃ ποταμῷ, ἀπ᾽ ὅτου ὡρμᾶτο, καὶ τῷ Ἀκεσινῃ, ἐς ὅντινα ἐκδιδοῖ ὁ Ὑδάσπης, καὶ τῷ Ἰνδῷ, ἐς ὅντινα ἄμφω ἐκδιδοῦσιν· ἀγῶνές τε αὐτῷ μουσικοὶ καὶ γυμνικοὶ ἐποιεῦντο, καὶ ἱερεῖα τῇ στρατιῇ πάσῃ κατὰ τέλεα ἐδίδοτο.

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Stromgott Hydaspes, gemäß den Weisungen seiner Seher. Als er dann an Bord gegangen war, goss Alexander vom Bug des Schiffes aus einer goldenen Schale ein Trankopfer in den Strom, indem er den Akesines zusammen mit dem Hydaspes anrief sowie den Indus, in den der Akesines und der Hydaspes münden. Dann brachte er seinem Ahn Herakles Trankopfer dar und dem Ammon, wie auch den anderen Göttern, denen er jedes Mal opferte. Dann soll er den Trompetern befohlen haben, das Signal zum Auslaufen der Schiffe zu geben.138 Außerdem hat Alexander noch andere Opfer auf dem Meer dargebracht. Das erste fand am Anfang der Expedition statt: Mitten auf dem Hellespont ließ er Poseidon und den Nereiden einen Stier schlachten und goss aus goldener Schale eine Spende in das Meer.139 Ein zweites Opfer vollzog er am Indischen Ozean, nachdem er den Indus hinter sich gelassen hatte: Dort opferte er dem Poseidon Stiere und ließ ihr Blut in das Meer rinnen, brachte zusätzlich eine Spende dar und warf die goldene Schale sowie goldene Mischkrüge als Dankopfer in das Meer. Dabei bat er die Gottheit, seine Flotte unversehrt zu geleiten, die er unter Führung des Nearchos zum Persischen Golf und den Mündungen von Euphrat und Tigris senden wollte.140 Diese beiden Opfergaben wurden mit der Absicht dargebracht, die Reise der Flotte auf dem Meer abzusichern.141 Ob für eine Flussüberquerung, eine Flussfahrt oder auch eine Seefahrt: Die Opfergabe hatte immer denselben Grund. Vorgeblich sollte es den Fluss oder das Meer besänftigen, in der Tat aber wollte der Eroberer, wie einst Xenophon am Kentrites, sein Heer beruhigen und ermutigen, wie Arrians Bericht bestätigt: »Viel habe auch zur Hebung der Moral der Truppe beigetragen, dass Alexander selbst mit aufgebrochen, durch die beiden Mündungen des Indus zum Meere gefahren sei, Poseidon und den anderen Meergöttern Opfertiere habe schlachten lassen und dem Meer herrliche Geschenke dargebracht hatte.«142 3.3 Moralische und religiöse Überzeugungen der Autoren Aus den historischen Erzählungen von den Überquerungen von Wasserläufen ist es möglich, die moralischen und religiösen Überzeugungen der Autoren zu erahnen, insbesondere Herodots, Xenophons und Arrians, welche die bedeutendsten Quellen dieser Untersuchung sind.

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Arr. an. 6,3,1–3. Arr. an. 1,11,6. Zum Übergang des Alexander über den Hellespont: Instinsky 1949; Zahrnt 1996. 140 Arr. an. 6,19,5; Arr. Ind. 20,10. 141 Manche Gelehrte erwägen, dass die Opfergaben als Replik auf das Opfer Dareios’ III. am Hellespont zu verstehen seien, was nicht mehr überzeugt; vgl. Reinach 1912, 357–369. Vgl. Briant 1996, 566; Bosworth 1980, 101; Hamilton 1973, 52. 142 Arr. Ind. 20,10: πολὺ δὲ δὴ συνεπιλαβέσθαι ἐς εὐθυμίην τῇ στρατιῇ τὸ δὴ αὐτὸν Ἀλέξανδρον ὁρμηθέντα κατὰ τοῦ Ἰνδοῦ τὰ στόματα ἀμφότερα ἐκπλῶσαι ἐς τὸν πόντον σφάγιά τε τῷ Ποσειδῶνι ἐντεμεῖν καὶ ὅσοι ἄλλοι θεοὶ θαλάσσιοι, καὶ δῶρα μεγαλοπρεπέα τῇ θαλάσσῃ χαρίσασθαι.

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Herodot und die Bestrafung der Hybris In seinen Historien zeigt Herodot, dass die Macht der Götter allgegenwärtig ist. Immer werden diejenigen bestraft, die die göttlichen Gesetze nicht respektieren, insbesondere wenn sie sich der Hybris schuldig machen.143 Dieser Begriff bringt Maßlosigkeit, Hochmut und Frechheit zum Ausdruck. Jede historische Gestalt, die der Hybris verfiel, bereitete sich ihren eigenen Untergang:144 Das war so bei Kroisos, Kyros und insbesondere Xerxes, der die von Göttern geschickten Vorzeichen nicht sehen wollte und den Griechen gegen den Willen der Götter den Krieg erklärte.145 Herodots Bericht zeigt nämlich, dass die Götter von Anfang an auf der Seite der Griechen waren. Sie machten dies durch Vorzeichen deutlich, z.B. durch die Zerstörung der ersten Schiffsbrücken über den Hellespont.146 Trotz der zahlreichen Vorzeichen147 hielt Xerxes aber an seinem Plan, Griechenland zu unterwerfen, fest und zwar mit großer Hybris. In seiner Darstellung der Vorbereitungen für Xerxes’ Kampagne gegen die Griechen zeigte Herodot, wie groß Xerxes’ Hybris war, so z.B. bei der Anlage des Kanals durch die Athos-Landenge. Er kommentiert nämlich: »Wenn ich mir die Sache so recht überlege, ließ Xerxes diesen Graben aus purem Geltungsbedürfnis ausbauen; denn sie hätten ohne alle Mühe und Anstrengung die Schiffe über die Landenge ziehen können. Trotzdem ließ er einen so breiten Kanal für das Meer bauen, dass zwei Dreiruderer nebeneinander ihre Ruder benutzen konnten«.148 Xerxes hielt sich für allmächtig. Sein Hochmut war so groß, dass er wollte, dass jedes Wesen sich ihm unterwarf.149 Er akzeptierte keinen Widerstand, und wenn etwas geschah, reagierte er immer mit Gewalt. So befahl er die Ermordung von Pythi-

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Boëldieu-Trévet, Gondica 2005, 228. Ph.-E. Legrand, Einleitung zu Herodots Historien, Buch 7, S. 20: »L’idée que la divinité ne veut pas qu’un homme s’élève trop haut, que la grande prospérité est toujours à la merci d’un brusque revers de fortune est une idée qui reparaît souvent dans l’ouvrage d’Hérodote, tantôt exprimée par l’auteur, tantôt par des personnages.« Vgl. Coulet 1995, 111. Vgl. Briquel 1983, 24f. Hdt. 7,33. Diese Vorzeichen waren: die Vorwarnung von Artabanos, einem Onkel des Xerxes (Hdt. 7,10), aber auch die totale Sonnenfinsternis von 481 v.Chr. (Hdt. 7,37), die für Sonnenanbeter eine sehr schlechte Vorbedeutung hatte. Weitere Zeichen waren zuerst Donner und Blitz, die am Fuß des Ida über das Heer hereinbrachen und eine beträchtliche Zahl Soldaten vernichteten (Hdt. 7,42) und dann die nächtliche Furcht, die das Heer nach den Opfergaben für Athena Ilias überfiel (Hdt. 7,43). Es gab noch zwei große Wunderzeichen, auf die Xerxes nicht achtete: eine Stute brachte einen Hasen zur Welt (Hdt. 7,57: εὐσύμβλητον ὦν τῇδε τοῦτο ἐγένετο, ὅτι ἔμελλε μὲν ἐλᾶν στρατιὴν ἐπὶ τὴν Ἑλλάδα Ξέρξης ἀγαυρότατα καὶ μεγαλοπρεπέστατα, ὀπίσω δὲ περὶ ἑωυτοῦ τρέχων ἥξειν ἐς τὸν αὐτὸν χῶρον); eine Maultierstute warf ein Junges mit doppelten Geschlechtsteilen, männlichen und weiblichen (Hdt. 7,56). Vgl. Boëldieu-Trévet, Gondica 2005, 233 und Ph.-E. Legrand, Einleitung zu Herodots Historien, Buch 7, S. 49f. Hdt. 7, 24: ὡς μὲν ἐμὲ συμβαλλόμενον εὑρίσκειν, μεγαλοφροσύνης εἵνεκεν αὐτὸ Ξέρξης ὀρύσσειν ἐκέλευε, ἐθέλων τε δύναμιν ἀποδείκνυσθαι καὶ μνημόσυνα λιπέσθαι· παρεὸν γὰρ μηδένα πόνον λαβόντας τὸν ἰσθμὸν τὰς νέας διειρύσαι, ὀρύσσειν ἐκέλευε διώρυχα τῇ θαλάσσῃ εὖρος ὡς δύο τριήρεας πλέειν ὁμοῦ ἐλαστρεομένας. Ph.-E. Legrand, Einleitung zu Herodots Historien, Buch 7, S. 49f.

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os’ Sohn150 und von den Erbauern der ersten Schiffsbrücken über den Hellespont,151 dann die Geißelung des Hellesponts, also derjenigen, denen er die Schuld an der Zerstörung der Schiffsbrücken gab. Herodot inszeniert Themistokles nach Xerxes’ Niederlage in Salamis. Er soll vor dem Volk die Hilfe der Götter betont und Xerxes’ Hybris angeprangert haben: »Nicht wir haben das nämlich vollbracht, sondern Götter und Heroen, die nicht zugeben wollten, dass Asien und Europa einen einzigen Herrscher haben, dazu noch einen so gottlosen Frevler, der Heiligtümer ebenso behandelte wie Menschenbesitz, der Götterbilder verbrannte und umstürzte, der sogar das Meer geißeln ließ und in Ketten legte.«152 Dann zeigt Herodot noch, wie diese Hybris von den Göttern bestraft wurde: Zuerst wurde durch den Einsatz des von den Athenern angerufenen Gottes Boreas ein großer Teil153 der persischen Flotte durch ein Unwetter vor der Insel Euboia zerstört. Trotz der Zaubersprüche, Tierspenden und Opfergaben der persischen Magier für Thetis und die Nereiden dauerte der Sturm drei Tage.154 Herodot zweifelt an der Effizienz dieser von Gottlosen getroffenen Maßnahmen: »Endlich beschwichtigten ihn die Magier … Da legte sich der Sturm am vierten Tage; vielleicht tat er es auch von selbst.«155 Herodot zeigt wie fromm im Gegensatz dazu die Griechen waren, die, sobald sie von dem Schiffbruch hörten, zu ihrem Retter Poseidon beteten und ihm Trankopfer darbrachten.156 Danach arbeiteten noch die Götter der Ströme gegen die Perser, die auf ihrem Rückmarsch die Schiffsbrücken über den Hellespont nicht zerstört vorfanden.157 Schließlich, trotz der Konsultation verschiedener Orakel in Lebadeia, Abai und Theben,158 verlor Xerxes den Krieg beim letzten Kampf in Plataiai. In seinen Historien zeigt Herodot wie Gottlose von den Göttern bestraft werden. Dabei helfen die Götter der Ströme ebenso wie die anderen: Sie tragen dazu bei, dass Xerxes’ Hybris bestraft wird. Die Flussgötter sind für Herodot so wichtig wie die anderen Götter. Während Herodots Historien deutlich Beispiele von Gottlosigkeit herausstellen, lassen Xenophons Werke besonders den Nutzen der Frömmigkeit sichtbar werden.

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Hdt. 7,38f.: der Lyder Pythios wollte, dass Xerxes einen seiner fünf Söhne vom Kriegsdienst befreite, damit er ihm erhalten bliebe und für den Familienbesitz sorgen konnte. Hdt. 7,35. Hdt. 8,109,13: τάδε γὰρ οὐκ ἡμεῖς κατεργασάμεθα, ἀλλὰ θεοί τε καὶ ἥρωες, οἳ ἐφθόνησαν ἄνδρα ἕνα τῆς τε Ἀσίης καὶ τῆς Εὐρώπης βασιλεῦσαι ἐόντα ἀνόσιόν τε καὶ ἀτάσθαλον· ὃς τά τε ἱρὰ καὶ τὰ ἴδια ἐν ὁμοίῳ ἐποιέετο, ἐμπιπράς τε καὶ καταβάλλων τῶν θεῶν τὰ ἀγάλματα· ὃς καὶ τὴν θάλασσαν ἀπεμαστίγωσε πέδας τε κατῆκε. Hdt. 8,190 erwähnt nicht weniger als 400 Schiffe. Hdt. 7,189–191, vgl. Boëldieu-Trévet, Gondica 2005, 234. Hdt. 7,191: τέλος δὲ ἔντομά τε ποιεῦντες καὶ καταείδοντες γόησι οἱ Μάγοι τῷ ἀνέμῳ … ἔπαυσαν τετάρτῃ ἡμέρῃ, ἢ ἄλλως κως αὐτὸς ἐθέλων ἐκόπασε. Hdt. 7,192. Es ist aber nicht klar, warum sie Poseidon opferten und nicht dem Boreas. Hdt. 8,117. Hdt. 8,133–136.

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Xenophon und die Belohnung der Frömmigkeit Xenophons Frömmigkeit ist seit der Antike fast ein Topos der Literatur.159 Sie erscheint nicht nur als Eigenschaft seiner Helden, sondern auch als eigene Lebensweise. Sie kommt auch während der Überquerung der Flüsse zum Vorschein, und insbesondere, als Xenophon die Episode vom Durchwaten des Kentrites160 erzählt. Damals war das Heer in einer schlechten Lage, die unter den Griechen tiefe Mutlosigkeit herrschen ließ: »Sie sahen wie schwierig die Durchquerung des Flusses war, sie sahen diejenigen, welche das Überschreiten verhindern wollten, sie sahen die Karduchen, welche sie beim Überqueren von hinten angreifen würden«.161 Darüber hinaus war die Furt auch ohne feindliche Gegenwehr schwer zu überschreiten.162 Das Heer befand sich in einer Sackgasse und hatte keine andere Wahl, als zu warten, da es keinen Ausweg sah.163 Xenophons Erzählung zeigt, wie tief er die schicksalhafte Bedeutung dieses Flussüberganges empfunden und sein Gelingen als einen großen Beweis göttlichen Beistandes verstanden hat.164 Deswegen zählt er sorgfältig die verschiedenen Phasen der göttlichen Intervention auf: zuerst seinen Traum, dann die Bestätigung beim Opfer, als die Zeichen gleich beim ersten Opfer günstig waren,165 und schließlich den Fund der Furt von den beiden von den Göttern inspirierten Jünglingen. Danach kam noch ein viertes Zeichen hinzu, als gerade vor dem Durchwaten die Seher Opfertiere mit günstigen Zeichen, im Fluss schlachten konnten. Mit diesem Bericht macht Xenophon deutlich, wie seiner Überzeugung nach sein Heer von den Göttern unterstützt wurde und wie seine Frömmigkeit – seine eigene und die des Heeres – belohnt wurde. In dieser Episode wird auch die Rolle der Flussgottheit deutlich. Wenn auch nicht explizit erwähnt, so hat doch der Flussgott zu dem Erfolg der Überquerung und des Kampfes beigetragen. Arrian und sein Bild Alexanders: zwischen Frömmigkeit und Hybris In der Präambel seiner Anabasis erklärt Arrian seine historische Methode: Er wählte unter den primären Quellen insbesondere Ptolemaios I. und Aristoboulos, die direkte Zeugen der Anabasis Alexanders waren, und aus anderen Quellen »was [ihm] als glaubwürdiger erschien und zugleich auch in höherem Maße der Überlieferung Wert«.166 Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass Arrian so abhängig von seinen Quellen war, dass er hinter ihnen verschwunden ist. Dies scheint aber nicht immer zutreffend zu sein, denn stellenweise ist es möglich, die persönliche Meinung und religiöse Überzeugungen des Autors zu erkennen. 159 160 161

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Diog. Laert. 2,56 schrieb schon: εὐσεβής τε καὶ φιλοθύτης καὶ ἱερεῖα διαγνῶναι ἱκανὸς. Vgl. BruitZaidman 2001, 144–147; Azoulay 2008, 1. Heute Bohtan Su. Xen. an. 4,3,7: ἐνταῦθα δὴ πολλὴ ἀθυμία ἦν τοῖς Ἕλλησιν, ὁρῶσι μὲν τοῦ ποταμοῦ τὴν δυσπορίαν, ὁρῶσι δὲ τοὺς διαβαίνειν κωλύσοντας, ὁρῶσι δὲ τοῖς διαβαίνουσιν ἐπικεισομένους τοὺς Καρδούχους ὄπισθεν. Lendle 1995, 210. Xen. an. 4,3,8. Lendle 1995, 214. Xen. an. 4,3,9. Arr. an. 1,1: ὅσα δὲ οὐ ταὐτά, τούτων τὰ πιστότερα ἐμοὶ φαινόμενα καὶ ἅμα ἀξιαφηγητότερα ἐπιλεξάμενος.

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In Arrians Anabasis wird Alexander z.B. sehr oft opfernd dargestellt. Dieses Bild scheint der Realität zu entsprechen,167 da dies zu den königlichen Pflichten gehörte. Es ist trotzdem zu erkennen, dass die häufigsten Erwähnungen von Opfern im Vergleich mit anderen Historikern Alexanders in Arrians Anabasis zu finden sind.168 Darüber hinaus zieht Arrian für die Erklärung der historischen Ereignisse nicht nur reale menschliche Hintergründe, sondern auch religiöse in Betracht.169 Damit charakterisiert er Alexander als einen sehr frommen und sehr vorsichtigen König, der auf die von den Göttern geschickten Zeichen achtete und reagierte. Wie Xenophon, von dessen Stil Arrian sich beeinflussen ließ,170 ist der Verfasser der Alexandergeschichte überzeugt, dass Gottheiten durch die von ihnen inspirierten Entscheidungen eine große Wirkung auf die Heeresführer haben.171 Dadurch, daß Arrian Alexander die Riten befolgen läßt, unterstreicht er die Frömmigkeit172 des Eroberers und lässt dadurch seine eigene Frömmigkeit durchscheinen.173 Dabei idealisiert er seinen Protagonisten keineswegs: Mehrmals erwähnt er mit Missbilligung Alexanders Hybris, die bei verschiedenen Gelegenheiten zu Tage tritt, auch in Verbindung mit Flüssen und Strömen. Alexander soll z.B. vor dem Granikos gesagt haben: »ich müßte mich schämen, wenn ich so leicht über den Hellespont gekommen bin und mich nun dieses Bächlein – mit einem solchen Wort machte er den Granikos lächerlich [so Arrian] – abhielte, so hinüberzugehen, wie wir jetzt dastehen«.174 Auch als Arrian von Alexanders Opfergabe am Indischen Ozean berichtet, unterstreicht er: »er durchfuhr persönlich die Mündung des Indus bis auf die hohe See hinaus, wie er sagte, in der Absicht zu sehen, ob in der Nähe noch ein weiteres Stück Land aus dieser rage; meines Erachtens aber tat er dies nicht zum wenigstens auch, um einmal auf dem Großen Meere jenseits von Indien gefahren zu sein«.175 Er fügt aber hinzu, dass Alexanders Hybris noch ein für Griechen erträgliches Maß hatte und sich somit von der barbarischen Hybris des Xerxes unterscheidet. So schreibt er: »Nach anderen [Autoren] wiederum befahl [Alexander] sogar, das Asklepiosheiligtum in Ekbatana zu zerstören, eine barbarische Tat wie sie nicht zu einem Alexander, sondern viel eher zum frevelhaften Verhalten eines Xerxes gegen die Gottheit und zu den Fesseln passt, die Xerxes in den Hellespont geworfen haben soll, um diesen zu 167 168 169

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Vgl. oben 3.2. Tonnet 1988, 541: »Sur les 57 mentions de sacrifices, libations et processions relevées par C. A. Robinson [Robinson 1953], 38 figurent dans l’Anabase d’Arrien«. So z.B. Arr. an. 1,26,2: τῷ δὲ ἐκ νότων σκληροὶ βορραῖ ἐπιπνεύσαντες, οὐκ ἄνευ τοῦ θείου, ὡς αὐτός τε καὶ οἱ ἀμφ’ αὐτὸν ἐξηγοῦντο, εὐμαρῆ καὶ ταχεῖαν τὴν πάροδον παρέσχον. Zur göttlichen Intervention in Arrians Anabasis: Tonnet 1988, 488f. Vgl. H. Trümpner 1950 (non vidi). Tonnet 1988, 225–282 und 557. Tonnet 1988, 252. So z.B. Arr. an. 2,7,3: καὶ ὅτι ὁ θεὸς ὑπὲρ σφῶν στρατηγεῖ ἄμεινον, ἐπὶ νοῦν Δαρείῳ ἀγαγὼν καθεῖρξαι τὴν δύναμιν ἐκ τῆς εὐρυχωρίας ἐς τὰ στενόπορα, ἵνα σφίσι μὲν ξύμμετρον τὸ χωρίον ἀναπτύξαι τὴν φάλαγγα, τοῖς δὲ ἀχρεῖον τὸ πλῆθος {ὅτι} ἔσται τῇ μάχῃ. Zum Begriff ›Frömmigkeit‹ in der Antike: Aubriot 2003, 226. Zu Arrians Religiosität: Hammond 1993, 313. Arr. an. 1,13,6: Ἀλέξανδρος δέ, ταῦτα μέν, ἔφη, ὦ Παρμενίων, γιγνώσκω. αἰσχύνομαι δέ, εἰ τὸν μὲν Ἑλλήσποντον διέβην εὐπετῶς, τοῦτο δέ, σμικρὸν ῥεῦμα, – οὕτω τῷ ὀνόματι τὸν Γράνικον ἐκφαυλίσας, – εἴρξει ἡμᾶς τὸ μὴ οὐ διαβῆναι ὡς ἔχομεν. Arr. an. 6,19,5: αὐτὸς δὲ ὑπερβαλὼν τοῦ Ἰνδοῦ ποταμοῦ τὰς ἐκβολὰς ἐς τὸ πέλαγος ἀνέπλει, ὡς μὲν ἔλεγεν, ἀπιδεῖν εἴ πού τις χώρα πλησίον ἀνίσχει ἐν τῷ πόντῳ, ἐμοὶ δὲ δοκεῖ, οὐχ ἥκιστα ὡς πεπλευκέναι τὴν μεγάλην τὴν ἔξω Ἰνδῶν θάλασσαν.

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bestrafen.«176 Er stellt Alexander als Opfer seiner Hybris dar, die aber nicht so schlimm war wie Xerxes’ ἀτασθαλία. Seine Darstellung Alexanders zielte darauf, zu zeigen, dass er nur ein Mensch war, auch wenn Alexander selbst behauptete, göttlicher Abstammung zu sein. Arrians Charakterisierung Alexanders betont dessen Respekt vor der Religion und den Gottheiten, was von exemplarischem Wert für Arrian war; er hebt aber auch die Schwächen seines Helden hervor. Die Erzählungen Herodots, Xenophons und Arrians machen deren Wertesystem deutlich: Für sie sind Begriffe wie Frömmigkeit und Hybris von großer geschichtsträchtiger Bedeutung. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Hybris und Frömmigkeit oft im Kontext von Flussüberquerungen erwähnt werden. Das Verhalten der großen Feldherren bei diesen Aktionen sind der Grund für die Hilfe oder Strafe der Gottheiten. Bei den antiken Autoren sind die Wasserläufe Entscheidungsorte der Geschichte, wo die Helden ihr von den Göttern beeinflusstes Schicksal erfahren: So kann die erfolgreiche Passage eines Stromes die Legitimität des Heerführers herausstellen.177

Schlussüberlegungen Die in diesem Aufsatz untersuchten Beispiele machen deutlich, dass die Überquerung der Flüsse durch antike Armeen in der Regel, sofern Zeit dafür blieb, gründlich vorbereitet wurde. Die Heere entschieden sich so oft wie möglich für das Durchwaten, gegebenenfalls mit Hilfe verschiedener Techniken oder Ausrüstungen wie z.B. Schlauchflößen. Wenn der Strom zu mächtig war, errichteten die Armeen Schiffsbrücken aus zerlegten Schiffen, die sie herbeitransportiert hatten oder die sie in der Nähe finden konnten. Ohne Rücksicht auf die Art und Weise des Übergangs wurde diese immer vorbereitet. Die Vorbereitung bestand zum einen aus einem technischen Teil: Die ganze Ausrüstung musste gefunden werden, und insbesondere waren Schiffsbrücken im voraus zu errichten. Es scheint, dass es keinen großen Unterschied zwischen der Zeit Kyros’ d.Gr. im 6. Jh. und Alexanders Nachfolgern gab: Die Technik wurde vielleicht ein wenig weiter entwickelt, und die Kenntnis der Orte war am Ende der hellenistischen Zeit vielleicht besser. Später benutzten die Römer dieselbe Technik. Zum anderen waren aber auch strategische Überlegungen für den Erfolg der Überquerung von großer Bedeutung, zumal wenn ein Kampf vorausging oder gar gleichzeitig stattfand. Während des Überganges waren die Armeen nämlich am verletzlichsten und mussten auf gefährliche Situationen reagieren können. Die wichtigste Vorbereitung war aber die religiöse, die die Götter auf die Seite der Kriegsführenden bringen und das Heer beruhigen und ermutigen sollte. Die Zustimmung 176

Arr. an. 7,14,5: ἄλλοι δέ, ὅτι καὶ τοῦ Ἀσκληπιοῦ τὸ ἕδος ἐν Ἐκβατάνοις κατασκάψαι ἐκέλευσε, βαρβαρικὸν τοῦτό γε καὶ οὐδαμῇ Ἀλεξάνδρῳ πρόσφορον, ἀλλὰ τῇ Ξέρξου μᾶλλόν τι ἀτασθαλίᾳ τῇ ἐς τὸ θεῖον καὶ ταῖς πέδαις ἃς λέγουσιν ἐς τὸν Ἑλλήσποντον καθεῖναι Ξέρξην, τιμωρούμενον δῆθεν τὸν Ἑλλήσποντον. 177 Desnier 1995, 145: »Topos littéraire et idéologique, le ›passage du fleuve‹ apparaît dans les œuvres d’auteurs grecs, historiens de ›grande‹ et de ›petite‹ histoire tels Hérodote, Xénophon, Plutarque, comme un acte de vérification de la légitimité des aspiration à la souveraineté du candidat au passage.«

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der Gottheiten, die die Überquerung erleichtern konnten und tolerieren mussten, wurde immer in verschiedenen Zeichen und insbesondere mit Opfergaben gesucht. Aus Sicht der antiken Autoren haben die Flüsse eine besondere historische Bedeutung, obwohl sie auf den ersten Blick wie andere Orte wirken. An ihren Ufern und bei ihrer Überquerung trat die Hybris oder die Frömmigkeit der Helden zutage: Als Grenzen, deren erfolgreiche Überquerung Ruhm bringt, aber auch beschämen kann, wurden die Ströme als Orte betrachtet, wo der Willen der Götter durch Zeichen sichtbar wird und dadurch die Legitimität der Feldherren bzw. Herrscher. Nicht nur die Griechen, sondern auch die Römer erkannten die Bedeutung von Flussüberquerungen, wie etwa Caesar, der im Januar 49 mit seiner Armee den Rubico durchquerte: »Man soll dahin gehen, wohin die Zeichen der Götter und die Ruchlosigkeit der Gegner rufen. Die Würfel sind gefallen«.178 Die Autorin war zum Zeitpunkt der Abfassung des Beitrags Doktorandin an der Université de ParisOuest Nanterre La Défense und der Ludwig-Maximilians Universität München. Viele deutschsprachige Kollegen haben bei der Verbesserung dieses Aufsatzes geholfen. Bedanken möchte ich mich insbesondere bei Frau S. Bönisch, M.A. und Frau Dr. A. Tzilinis für die sprachlichen Verbesserungen, und bei Herrn Prof. Dr. J. Nollé für die inhaltlichen Hinweise. Ich bleibe aber selbst verantwortlich für eventuell vorhandene Fehler. Hélène Roelens-Flouneau Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik Amalienstraße 73b, D-80799 München [email protected]

Antike Quellen und moderne Übersetzungen Arrian, Der Alexanderzug, Indische Geschichte, hg. und dt. Übers. von G. Wirth und O. v. Hinüber, München 1985 Arrien, Histoire d’Alexandre, hg. und fr. Übers. von P. Savinel, Paris 1984 Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, dt. Übers. von K. Reich, Hamburg 1967 Herodot, Historien, hg. und dt. Übers. von J. Feix, München 1963 Hérodote, Histoires, hg. und fr. Übers. von P. Legrand, Paris 1948–1958 Hesiod, Werke und Tage, hg. und dt. Übers. von A. v. Schirnding, München/Zürich 1991 Suetonius, Kaiserbiographien, hg. und dt. Übers. von O. Wittstock, Berlin 1993 Xenophon, Anabase, hg. und fr. Übers. von P. Masquerey, Paris 1930–1931 Xenophon, Der Zug der Zehntausend, Cyri Anabasis, hg. und dt. Übers. von W. Müri, München 1954

Bibliographie André, Baslez 1993: J.-M. André, M. Fr. Baslez, Voyager dans l’Antiquité, Paris Aubriot 2003: D. Aubriot, Quelques observation sur la religion d’Alexandre à partir de Plutarque et d’Arrien, in: Mètis, N.S. 1, 225–249 Azoulay 2008: V. Azoulay, Xénophon et le modèle divin de l’autorité, in: Cahier des études anciennes 45, 151–183 Baslez 1995: M.-Fr. Baslez, Fleuves et voies d’eau dans l’Anabase, in: P. Briant (Hg.), Dans les pas des dix Mille, 79–88 178

Suet. Caesar 32: Eatur, inquit, quo deorum ostenta et inimicorum iniquitas vocat. Iacta alea est, inquit« (dt. Übers. von O. Wisstock).

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Abbildungen →

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Abb. 1: Männer schwimmen über den Euphrat. Detail aus einem Relief des AshurnasirpalPalasts, ca. 883–859 v.Chr. (Bild ANE 124538 der Datenbank des British Museum, order number FI-000338307)

Abb. 2: Darstellung eines Kelek, eines auf Schläuche aufgelegten Floßes. Detail eines Reliefs von Hursabad, heute verloren. Zeichnung von F. Thomas, in: Place 1867 (Bd. 3) Taf. 43.1

Die Überquerung von Wasserläufen durch das Militär

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Abb. 3: Pontonbrücke auf dem Feldzug König Salmanassars III. Detail assyrischer bronzener Torbeschläge aus Balawat, 9. Jh. v.Chr. (nach Hrouda 1991, 261)

Abb. 4: Rekonstruktion von Xerxes’ Schiffsbrücken über den Hellespont (nach Galliazzo 1994, 19 Abb. 11)

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Abb. 5: Traians Schiffsbrücken über die Donau. Detail der Traian-Säule, 113 n.Chr. (Montage der Verf. nach Cichorius 1896, Taf. VI–VIII)

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Abb. 6: Mark Aurels Schiffsbrücke über die Donau. Detail der MarkAurel-Säule, 2. Hälfte des 2. Jh. n.Chr. (Montage der Verf. nach Caprino et al. 1955, Taf. IV, Abb. 8f. und Taf. V, Abb. 10)

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Mobilität und Kulturtransfer in den Tres Galliae um die Zeitenwende In diesem Beitrag soll es um die Frage nach einem Zusammenhang zwischen Mobilität und kulturellem Wandel gehen. Eine solche Verbindung wurde schon in der Antike vermutet, wie sich dies etwa in der folgenden Passage aus der Romrede des Aelius Aristides andeutet, in der der Sophist den Römern mit der Behauptung schmeichelt: Und was Homer sagte, ›aber die Erde ist allen Menschen gemeinsam‹, wurde von euch tatsächlich wahr gemacht, indem ihr den ganzen Erdkreis vermessen habt, Flüsse mit Brücken verschiedener Art überspannt und Berge durchstochen habt, um Fahrwege anzulegen, in menschenleeren Gegenden Stationen eingerichtet und überall eine kultivierte und geordnete Lebensweise eingeführt habt.1

Eine direkte Konsequenz der Infrastrukturmaßnahmen ist die kulturelle Veränderung dieser Formulierung nach nicht zwingend, aber es wird durch die gemeinsame Aufzählung doch deutlich, dass für Aristides wenigstens eine logische Verbindung und ein gemeinsames Motiv besteht: Die Umwelt und die Menschen sind von den Römern geordnet worden.2 Doch besteht tatsächlich eine direkte Verbindung zwischen Mobilität und kulturellem Wandel? Es ist ja überaus naheliegend, dass die verbesserte Verkehrsanbindung eines Ortes, die ein gesteigertes Maß an Mobilität bedeutet,3 ein größeres Ausmaß an kulturellen 1

Aristeid. or. 26,101: καὶ τὸ Ὁμήρῳ λεχθὲν ›Γαῖα δ’ ἔτι ξυνὴ πάντων‹ ὑμεῖς ἔργῳ ἐποιήσατε, καταμετρήσαντες μὲν πᾶσαν τὴν οἰκουμένην, ζεύξαντες δὲ παντοδαπαῖς γεφύραις ποταμοὺς, καὶ ὄρη κόψαντες ἱππήλατον γῆν εἶναι, σταθμοῖς τε τὰ ἔρημα ἀναπλήσαντες, καὶ διαίτῃ καὶ τάξει πάντα ἡμερώσαντες. Übers. nach R. Klein. 2 Vgl. mit ähnlicher Deutung der Stelle H. Sonnabend, Römerstraßen als Element von Herrschaft und infrastruktureller Erschließung eroberter Räume, in: H. Koschik (Hg.), »Alle Wege führen nach Rom …«. Internationales Römerstraßenkolloquium Bonn, Pulheim 2004 (Materialien zur Bodendenkmalpflege im Rheinland 16), 243–248, hier 247, der auch auf die Parallele bei Tertullian, De anima 30 hinweist. Siehe zur Aussage des Aristides auch J. Bleicken, Der Preis des Aelius Aristides auf das römische Weltreich (or. 26 K), in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-hist. Kl. 7, 1966, 225–277, hier 254, Anm. 59, der die genannten Infrastrukturmaßnahmen als Herstellung von »Freizügigkeit innerhalb des Reiches« apostrophiert. 3 ›Mobilität‹ wird in diesem Beitrag entlang des allgemeinen Verständnisses des Begriffes, wie es in der Verkehrswissenschaft vorherrscht, verstanden als »Fähigkeit, räumliche Entfernungen überwinden zu können« (so H. Ammoser, M. Hoppe, Glossar Verkehrswesen und Verkehrswissenschaften. Definitionen und Erläuterungen zu Begriffen des Transport- und Nachrichtenwesens, Dresden 2006 [Diskussionsbeiträge aus dem Institut für Wirtschaft und Verkehr 2/2006], s.v. Mobilität, 9). Es geht also nicht unbedingt um tatsächlich stattfindende Bewegung im Raum, sondern vielmehr um das Potential zu dieser.

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Kontakten der Anwohner nach sich zieht, was eine wichtige Ursache für einen kulturellen Wandel unter ihnen darstellen kann. Darüber hinaus ist aber auch die (Römer-)Straße, die eine solche gesteigerte Mobilität bewirkte, selbst als ein kulturelles Objekt, als Träger einer Botschaft anzusehen, und mit den diversen in Verbindung mit der Straße als locus celeberrimus stehenden Bauwerken bzw. Monumenten war sie zweifellos mehr als ein reiner Nutzbau und daher möglicherweise selbst geeignet, kulturellen Wandel zu befördern.4 Auf den folgenden Seiten versuche ich, an derartige Überlegungen anzuschließen und werde dabei auf einem Gedankenspiel aufbauen, das Greg Woolf angestellt hat.5 Das Fallbeispiel, dem ich mich hier widmen möchte, sind die drei gallischen Provinzen Aquitania, Belgica und Lugdunensis um die Zeitenwende und im frühen Prinzipat.6 Dieses Beispiel ist gut geeignet, weil wir hier eine Region fassen können, in der im besagten Zeitraum durch den Bau der Römerstraßen wesentlich verbesserte Bedingungen für Mobilität geschaffen wurden. Zwar gab es in Gallien durchaus auch schon vor den Eroberungen Caesars Straßen bzw. Wegesysteme,7 doch stellten die römischen Allwetterstraßen mit normierten Fahrrinnen, regelmäßiger Wartung, Versorgungsstationen und all ihren weiteren Vorteilen zweifellos eine erhebliche Verbesserung der allgemeinen Mobilitätssituation dar.8 Die Einrichtung römischer Verwaltungsinstitutionen und die Errichtung der großen 4

5 6

7

8

Vgl. W. Eck, Straßen und ihre Denkmäler, in: R. Frei-Stolba (Hg.), Siedlung und Verkehr im Römischen Reich. Römerstraßen zwischen Herrschaftssicherung und Landschaftsprägung. Akten des Kolloquiums zu Ehren von Prof. H. E. Herzig vom 28. und 29. Juni 2001 in Bern, Bern 2004, 17–39, bes. 17–19 (locus celeberrimus: S. 39); siehe zum Thema besonders auch Th. Kissel, Lokale Identität und imperiale Herrschaft. Römische Straßen in Arabien als Wegbereiter von Akkulturationsprozessen, in: L. Schumacher, O. Stoll (Hg.), Sprache und Kultur in der kaiserzeitlichen Provinz Arabia. Althistorische Beiträge zur Erforschung von Akkulturationsphänomenen im römischen Nahen Osten, St. Katharinen 2003 (Mainzer Althistorische Studien 4), 12–69; vgl. weiter auch R. Laurence, The Roads of Roman Italy. Mobility and Cultural Change, London/New York 1999, bes. 197–199. Details und Literaturangaben finden sich unten Anm. 12. Auch hierfür liegen bereits einige wichtige Überlegungen zum Konnex zwischen Mobilität und kulturellem Wandel vor, vgl. etwa. J. Drinkwater, Roman Gaul: The Three Provinces, 58 B.C. – A.D. 260, London/Canberra 1983, passim, bes. 143 und 207f.; R. Chevallier, Les voies romaines, Paris 21997, 309–311. Wichtig sind auch verschiedene von Chevallier ebd. im Überblick besprochene Arbeiten zur geographischen Verbreitung bestimmter ›fremder‹ Kulte und Kultformen; vgl. besonders J.-J. Hatt (La tombe gallo-romaine, Paris 1951, 57f.), R. Turcan (Les religions de l’Asie dans la Vallée du Rhône, Leiden 1972 [EPRO 30], bes. 46) und J. Malaise (Les conditions de pénétration et de diffusion des cultes égyptiens en Italie, Leiden 1972 [EPRO 22]), die anhand der Verbreitung der Spuren östlicher Mysterienkulte in Italien bzw. Gallien die hohe Bedeutung der Verkehrsanbindung für diese spezifische Form kulturellen Wandels herausgearbeitet haben. So spricht schon Caesar explizit von viae in Gallien, beispielsweise. Gall. 1,9; 3,23; 5,19; 5,49; vgl. auch I. König, Zu einigen Problemen der Römerstraßen in Nordgallien, in: F. Burgard, A. Haverkamp, Auf den Römerstraßen ins Mittelalter. Beiträge zur Verkehrsgeschichte zwischen Maas und Rhein von der Spätantike bis ins 19. Jh., Mainz 1997 (Trierer Historische Forschungen 30), 51–74, hier 55f. mit der älteren Literatur; grundlegend auch schon C. Jullian, Histoire de la Gaule, Bd. 2: La Gaule indépendante, Paris 1908, 228–233, bes. 232. Vgl. aber auch M. Rathmann, Untersuchungen zu den Reichsstraßen in den westlichen Provinzen des Imperium Romanum, Mainz 2003 (Beihefte der Bonner Jahrbücher 55), 20–22, der – m.E. in dieser Ausschließlichkeit wenig überzeugend – darzulegen versucht, dass die frühen römischen Straßenbauarbeiten in Gallien überhaupt nur Ausbesserungen der bestehenden Straßen gewesen seien.

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Heerlager am Rhein führten zu einem stark erhöhten allgemeinen Verkehrsaufkommen, da die Truppen versorgt werden und die Verwaltungen kommunizieren und beispielsweise Steuern eintreiben mussten. Auch die Rolle des cursus publicus als »reichsumspannendes Infrastruktursystem«9 ist in diesem Zusammenhang betont worden. Weiterhin trug sicherlich die intensivierte Handelstätigkeit der gallischen Siedlungen und Städte durch die wirtschaftliche Integration in das Imperium Romanum einen erheblichen Teil dazu bei, dass sich in den Generationen nach den ersten großen Straßenbauten, die Agrippa in Gallien durchführte,10 die Mobilität und Verkehrsdichte und damit auch die Zahl von Kontakten zwischen Galliern und Angehörigen anderer Kulturkreise erhöhte.11 Auch Greg Woolf befasst sich in seinem inzwischen zum Standardwerk der Romanisierungsforschung avancierten Buch Becoming Roman: The Origins of Provincial Civilization in Gaul mit der Frage nach einem Zusammenhang zwischen gesteigerter Mobilität und kulturellem Wandel in Gallien. Dort unternimmt Woolf im Kapitel zur geographischen Dimension des ›Römischwerdens‹12 den Versuch, diese anhand der räumlichen Verteilung lateinischer Inschriften zu untersuchen. Er verwendet also deren Verbreitung als Indikator für kulturellen Wandel. Diesem Vorgehen möchte ich zunächst auch folgen. Bei der Suche nach den Faktoren, die das von Woolf festgestellte Muster bedingen, stellt er fest: A … major factor seems to have been the Roman communications system. If the map of major Roman roads in Gaul … is compared to the distribution of inscriptions it becomes clear that towns like Langres, which were situated at key points on the network, have produced many more inscriptions than similar towns which were less well connected.13

Zu dieser Schlussfolgerung gelangt Woolf durch einen Abgleich seiner Kartierung der lateinischen Inschriften mit einer an entsprechender Stelle14 präsentierten Karte des Straßennetzes Galliens in der Hohen Kaiserzeit. Leider hat er es dabei aber unterlassen, beide Kar9 10

11

12 13 14

Kissel, Lokale Identität (wie Anm. 4), 37. Der Zeitpunkt ist umstritten. Einige Forscher befürworten die Zeit von Agrippas erster Statthalterschaft in Gallien (nach Roddaz: 40–37 v.Chr.; vgl. J.-M. Roddaz, Marcus Agrippa, Paris 1984 [Bibliothèque des Écoles Françaises d’Athènes et de Rome 253], 66–68), so beispielsweise Drinkwater, Roman Gaul (wie Anm. 6), 111, 125f.; vgl. G. Woolf, Becoming Roman: The Origins of Provincial Civilization in Gaul, Cambridge 1998, 133 Anm. 90 mit weiteren Verweisen. Aber auch der Zeitraum von Agrippas zweitem Aufenthalt in Gallien (nach Roddaz, Agrippa [wie eben], 383f.: 20–19 v.Chr.) findet seine Befürworter, vgl. etwa Rathmann, Untersuchungen (wie Anm. 8), 20f. mit Anm. 115 sowie Eck, Straßen (wie Anm. 4), 18. Vgl. auch den doxographischen Überblick zur Datierung der Statthalterschaften sowie der Straßenbauten bei G. Mottershead, The Constructions of Marcus Agrippa in the West, Diss. Melbourne 2005, 11–16. Diesbezüglich sei auch auf die Arbeiten von Lothar Wierschowski hingewiesen, der auf epigraphischer Basis eine zwischen dem 1. und 3. Jh. n.Chr. stark steigende Mobilität im kaiserzeitlichen Gallien feststellt; vgl. L. Wierschowski, Die regionale Mobilität in Gallien nach den Inschriften des 1. bis 3. Jh. n.Chr. Quantitative Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der westlichen Provinzen des Römischen Reiches, Stuttgart 1995 (Historia Einzelschriften 91). Siehe dazu auch den Katalog: ders., Fremde in Gallien – ›Gallier‹ in der Fremde. Die epigraphisch bezeugte Mobilität in, von und nach Gallien vom 1. bis 3. Jh. n.Chr. Texte, Übersetzungen, Kommentare, Stuttgart 2001 (Historia Einzelschriften 91). Woolf, Becoming Roman (wie Anm. 10), 82–91 (Kap. 4: Mapping cultural change, II: Cultural geography). Ebd., 88f. Ebd., 89.

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ten zusammenzuführen bzw. übereinanderzulegen. Tut man dies, so bietet sich das in Abb. 1 dargestellte Bild. Sieht man sich die entstandene Karte genauer an, fällt auf, dass das Gebiet im Nordwesten Galliens – also in etwa das Terrain der heutigen Départements Bretagne, Basse-Normandie und Pays-de-la-Loire –, das zwar in der hohen Kaiserzeit an das römische Straßennetz angebunden war und wo in dieser Zeit ebenfalls wichtige Verkehrsknotenpunkte lagen, dennoch auffällig wenige Inschriften hervorgebracht hat. Gerade diese süd- und ostlastige Verteilung des Inschriftenmaterials15 hat mich zu der Überlegung angeregt, dass Woolf mit seinem Erklärungsansatz vielleicht zu kurz greift. Verwendet man, anders als von Woolf vorgeschlagen, als Grundlage eine Karte, auf der lediglich die sogenannten Agrippastraßen eingetragen sind, so passt dies augenscheinlich besser zum epigraphischen Befund. Weil der Verlauf gerade dieser frühesten Römerstraßen Galliens trotz verschiedenster Versuche bis heute nicht abschließend geklärt werden konnte, stellt die aus einem solchen Vorgehen resultierende Karte jedoch nur eine von mehreren Möglichkeiten dar.16 Allerdings ist der grobe Verlauf der Agrippastraßen durch Strabons Darstellung halbwegs gesichert: Lugdunum liegt durch das Zusammenströmen der Flüsse und durch seine Nähe zu allen Teilen wie eine Burg in der Mitte des Landes; daher hat auch Agrippa die Straßen von dort aus gezogen: die durch das Kemmenon-Gebirge bis zu den Santonen und nach Aquitanien, die zum Rhein und drittens die zum Ozean bei den Bellovacern und den Ambianern; die vierte ist die ins Narbonitische und zu der Massaliotischen Küste.17

Ein massiv hiervon abweichender Verlauf der Straßen kann als eher unwahrscheinlich gelten; für verschiedene in der Forschung diskutierte Detailverläufe wurde das Folgende ebenfalls durchgespielt.18 Die dabei erzielten Ergebnisse wichen in ihrer Gesamttendenz von jenen in Abb. 2 präsentierten Kartierungen, in denen der Straßenverlauf den Angaben bei Raymond Chevallier folgt,19 nur wenig ab. Es zeigt sich in dieser Karte, dass nahezu alle Orte, in denen eine nennenswerte Anzahl an lateinischen Inschriften gefunden worden ist, an den oder nahe bei den Straßen liegen, die schon im frühen Prinzipat bestanden. Die nicht an diesen Straßen zu findenden Ort15

16 17

18

19

Auf dieses Verteilungsmuster weist Woolf auch selbst hin (ebd., 88). Grundsätzlich besteht hierbei, dies muss betont werden, der auch von Woolf eingeräumte Vorbehalt bezüglich der Überlieferungs- bzw. Auffindungsproblematik von Inschriften. Wenigstens eine Tendenz im Sinne des ›großen Ganzen‹ dürfte dennoch erkennbar sein. Vgl. die Diskussion zu den einzelnen Routenverläufen bei Chevallier, Voies romaines (wie Anm. 6), 209–212, der auch die wichtigste Literatur zu den Details bietet. Strab. 4,6,11 C208: τὸ δὲ Λούγδουνον ἐν μέσῳ τῆς χώρας ἐστὶν ὥσπερ ἀκρόπολις, διά τε τὰς συμβολὰς τῶν ποταμῶν καὶ διὰ τὸ ἐγγὺς εἶναι πᾶσι τοῖς μέρεσι. διόπερ καὶ Ἀγρίππας ἐντεῦθεν τὰς ὁδοὺς ἔτεμε, τὴν διὰ τῶν Κεμμένων ὀρῶν μέχρι Σαντόνων καὶ τῆς Ἀκυιτανίας, καὶ τὴν ἐπὶ τὸν Ῥῆνον, καὶ τρίτην τὴν ἐπὶ τὸν ὠκεανόν, τὴν πρὸς Βελλοάκοις καὶ Ἀμβιανοῖς, τετάρτη δ᾽ ἐστὶν ἐπὶ τὴν Ναρβωνῖτιν καὶ τὴν Μασσαλιωτικὴν παραλίαν. Zu nennen ist hier vor allem die gängigste Alternative für die Routenführung der Agrippastraßen, wie sie etwa Drinkwater, Roman Gaul (wie Anm. 6), 238 (Map 7) oder auch R. J. A. Talbert (Hg.), Atlas of classical history, London 1985, 136 angeben; hier verläuft die Straße an den Rhein nicht nach Mogontiacum (h. Mainz), sondern ab Augusta Treverorum (h. Trier) nach Colonia Agrippinensis (h. Köln), weiter ist die Route nach Gesoriacum (h. Boulogne-sur-Mer) nicht in zwei Straßen geteilt, sondern verläuft als eine Straße von Andematunnum (h. Langres) über Durocortorum (h. Reims) und Samarobriva (h. Amiens). Chevallier, Voies romaines (wie Anm. 6), 209–212.

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schaften liegen bemerkenswerterweise ihrerseits zum allergrößten Teil an größeren, meist schiffbaren Flüssen, so dass für diese ebenfalls schon um die Zeitenwende ein hohes Maß an Mobilität angenommen werden kann.20 Und auch diesbezüglich dürfte die römische Herrschaft spürbare Verbesserungen gebracht haben, da nun – unter den Bedingungen der pax romana – gewährleistet war, dass die Wasserwege einigermaßen frei und gefahrlos passierbar waren.21 Der »major factor« zur Erklärung der geographischen Verteilung lateinischer Inschriftenkultur ist demzufolge also nicht so sehr das Straßennetz der hohen Kaiserzeit, wie Woolf meint. Vielmehr lässt sich sagen, dass das Straßennetz vor allem der augusteischen Zeit in Verbindung mit den für die allgemeine Mobilität generell überaus wichtigen Wasserstraßen als wichtige Erklärungsfaktoren benannt werden können. Um als Indikator für das Phänomen des kulturellen Wandels nicht ausschließlich epigraphische Zeugnisse anzuführen, habe ich als zusätzlichen Hinweis auf die geographische Dimension des ›Römischwerdens‹ in Gallien zunächst eine Kartierung der Produktionsund Hauptfundorte von Terra Sigillata in Gallien herangezogen (Abb. 3).22 Auch hier passt die geographische Verteilung erstaunlich gut zur eben postulierten These der herausragenden Bedeutung der frühen gallischen Römerstraßen, wenngleich in diesem Fall sicherlich ebenso allenfalls die allgemeine Tendenz, nicht aber der Einzelfall belastbar sein dürfte. Wir sehen auch in dieser Karte die vorher schon angesprochene süd- und ostlastige Verteilung, für die ich als Erklärung neben anderen Faktoren23 auch die gesteigerte Mobilität durch den römischen Straßenbau in gerade diesen Regionen vorschlagen will. Im Falle des nächsten betrachteten Indikators, der geographischen Verteilung ›römischer‹ bzw. römerzeitlicher Theater in den Tres Galliae, ist durchaus ein vergleichbares, wenn auch bedeutend weniger klares Bild zu gewinnen (Abb. 4). Auffällig ist hier besonders die Ballung von Theatern in den Einzugsgebieten der Loire und der Seine sowie der jeweils zugehörigen Nebenflüsse und wiederum des augusteischen Straßennetzes. Daraus ergibt sich, dass die in dieser frühen Zeit noch weder zu Wasser noch zu Land direkt an die Hauptverkehrsachsen angeschlossenen Gebiete insbesondere in der heutigen Bretagne, aber auch im Süden der Gallia Aquitania sowie in der nördlichen und nordöstlichen Belgica (d.h. etwa dem heutigen Belgien) erwartungsgemäß nur sehr wenige Theater aufweisen. Es sei aber auch eine Karte präsentiert, die weniger gut zu meiner Überlegung passt. Darin sind neben den frühen Römerstraßen Galliens die Thermenanlagen der ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderte eingetragen (Abb. 5). Hier bietet sich ein Bild stärkerer geographischer Streuung. Aber auch hier lässt sich festhalten, dass die allermeisten der eingetragenen Lokalitäten nahe an Straßen oder – und dies ist hier wohl der zentralere Punkt – größeren Flüssen gelegen sind. Das kann angesichts der Notwendigkeit einer stabilen 20

Die besonderen Möglichkeiten der Mobilität, die das gallische Flusssystem bot, erwähnt Strabon (4,1,2 C177; vgl. auch 4,1,14 C188f.) ganz ausdrücklich. Vgl. hierzu Drinkwater, Roman Gaul (wie Anm. 6), 127f. und 240 (Map 9). 21 Vgl. ebd., 127. 22 Auf die geographische Dimension gallischer Produktion und Konsumption von Terra Sigillata kommt auch Woolf, Becoming Roman (wie Anm. 10), 169–204, bes. 175, 188f. und 196–201 zu sprechen, ohne diese aber mit dem Verkehrsnetz in Beziehung zu setzen. 23 Diesbezüglich wurden beim historisch-geographischen Kolloquium von K. Strobel etwa die caesarischen Veteranen angesprochen, die nach weiten Zügen durch das Imperium nach Gallien zurückkehrten.

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Wasserversorgung für den Betrieb einer Badeanlage wohl auch kaum überraschen. Insgesamt bietet sich hier aber wiederum das nun schon mehrfach angeführte ostlastige Verteilungsschema, wenngleich gerade am Rhein und damit in der Nähe der Legionslager eine besonders starke Konzentration ausgemacht werden kann.24 Damit lässt sich sagen, dass sich auf dieser Karte erneut die hohe Bedeutung einer Verkehrsanbindung für den kulturellen Wandel, hier nun der Verbreitung mediterraner Badekultur, ersehen lässt, sich aber zugleich deutlich zeigt, dass die gesteigerte Mobilität keinesfalls den einzigen, vielleicht nicht einmal den wichtigsten Faktor dafür darstellt. Dies belegt abermals, dass jeder monokausale Erklärungsansatz zu einem so vielschichtigen Phänomen wie dem kulturellen Wandel der römischen Provinzen zwangsläufig ungenügend sein muss. Insbesondere sei an dieser Stelle deutlich unterstrichen, dass bei einem derart komplexen und weitgefassten Thema wie dem des kulturellen Wandels eben auch in besonderem Maße differenziert werden muss und dass sich Kultur nicht verallgemeinern lässt, sondern dass Teilausschnitte von Kultur ihre jeweiligen Eigenheiten aufweisen. Doch zugleich ist hoffentlich deutlich geworden, dass eine Steigerung der Mobilität durch eine verbesserte Verkehrsanbindung mit hoher Wahrscheinlichkeit einen wichtigen Faktor für dieses Phänomen darstellt. Abschließend sollen die Ergebnisse des kartographischen Gedankenspiels systematisierend zusammengefasst und interpretiert werden. Für die Vermittlung materieller Kultur an die Bewohner Galliens stellte der intensivierte oder auch überhaupt erst ermöglichte Handel mit weit entfernten Regionen des Imperiums sicherlich einen bedeutenden Faktor dar. Diesbezüglich sei daran erinnert, dass gerade die Agrippastraßen wenigstens auch Fernstraßen waren. Die Vermittlung von Schriftkultur dürfte zum Teil ebenfalls durch die Rolle der römischen viae publicae als Träger der Informationsübermittlung insbesondere im Kontext des cursus publicus bedingt sein. Nach Ian Haynes waren die viae publicae des Reiches regelrechte Multiplikatoren der insbesondere schriftlichen Informationsvermittlung und so gerade mit Blick auf die vormals überwiegend mündlich kommunizierenden Stammesgesellschaften Auslöser und Teil einer regelrechten »information revolution«.25 Aber auch die Meilensteine, die sich an diesen Straßen fanden, hatten wohl einen gewissen Anteil an der Verbreitung von Schriftlichkeit. Neben der Tatsache, dass sie rein physisch Schrift in Landstrichen öffentlich erfahrbar machten, die bislang kaum mit Schriftkultur in Kontakt gekommen waren, zwangen sie auch durch die Verwendung zahlreicher Abkürzungen jeden Reisenden, der die auf ihnen enthaltene Information26 nutzen wollte, zu einem Mindestmaß an Beschäftigung mit den Gepflogenheiten und sprachlichen Eigenheiten lateinischer Epigraphik. So führt es wohl nicht zu 24

Entsprechend handelt es sich bei einem großen Teil der dort verzeichneten Anlagen auch um »castellum baths«, wie aus den Angaben bei I. Nielsen, Thermae et Balnea: The Architecture and Cultural History of Roman Public Baths, Bd. 2, Aarhus 21993, 20–24 hervorgeht. 25 Vgl. I. Haynes, Britain’s First Information Revolution: the Roman army and the transformation of economic life, in: P. Erdkamp (Hg.), The Roman Army and the Economy, Amsterdam 2002, 111– 126, dazu Kissel, Lokale Identität (wie Anm. 4), 43f. Für ein konkretes und eindrückliches Beispiel aus Gallien vgl. G. Woolf, Urbanization and its discontents in early Roman Gaul, in: E. Fentress (Hg.), Romanization and the City. Creation, transformations, and failures, Portsmouth 2000 (JRA Supplementary Series 38), 115–131, bes. 126–131. 26 Damit sind insbesondere Entfernungsangaben gemeint.

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weit, diesbezüglich mit Theodor Kissel von Meilensteinen als einem unter mehreren Auslösern des »epigraphischen Boom[s]« in den Provinzen der Kaiserzeit zu sprechen.27 Als Identitätssymbole des Imperium Romanum führten sie dem Reisenden auf den viae publicae nahezu ubiquitär die Präsenz und Überlegenheit der Römer vor Augen und zentrierten in gewisser Weise den geographischen Raum auf Rom.28 Zuletzt ist hier noch ein weiterer Grund für die kulturelle Wirkung von Straßen im Allgemeinen anzuführen; es ist dies die Rolle des Militärs, welches vielfach, und so vermutlich auch im Fall der Agrippastraßen, schon in den Bau der Straßen eingebunden war. Denn wie Hartmut Galsterer betont hat, stellte das römische Militär mit seiner ausgeprägt schriftlichen Kommando- und Informationsstruktur einen Multiplikator des Schriftgebrauchs und damit vielerorts einen Wegbereiter einer literalen Gesellschaft dar.29 So bot also bereits der Bau der Agrippastraßen ein vergrößertes Kontaktpotential der Anrainer mit Schriftlichkeit und somit einen potentiellen Auslöser und Element kulturellen Wandels. Zusammenfassend dürfte es also angemessen sein, Straßen im Allgemeinen und im Falle der Tres Galliae die Agrippastraßen im Besonderen mit Kissel als »Katalysatoren … kulturellen Wandels« und somit als generell stark akkulturationsfördernd anzusehen.30 Eine ähnliche Rolle muss dann aber eben auch den Wasserstraßen zugeschrieben werden. Meines Erachtens zeigt sich hier ein keineswegs überraschendes Ergebnis. Denn wie gerade in der Forschung zu Romanisierung und Romanisation bereits vielfach bemerkt worden ist, ist für den kulturellen Wandel der Tres Galliae in den ersten drei nachchristlichen Jahrhunderten besonders die frühe Prinzipatszeit und dabei vor allem die Regierungszeit des Augustus als formative Phase von herausragender Wichtigkeit.31 Zudem ist darauf hinzuweisen, dass durch den im Vergleich zu anderen Landschaften und Orten Galliens früheren Anschluss einiger Regionen an das römische Kommunikations- und Wegenetz mehr Zeit zur Verfügung stand, innerhalb derer ein kultureller Wandel vonstattengehen konnte. Abschließend ist aber zu bedenken: »roads don’t lead to nowhere«, wie John Bintliff auf der Tagung anmerkte. Es stellt sich also die Frage, ob die römischen Straßen den kulturellen Wandel direkt begünstigten oder die Wirkungsrichtung eine andere ist, d.h. etwa die Existenz größerer Siedlungen Voraussetzung für eine Verkehrsanbindung und zugleich Bedingung für die Verbreitung mediterraner, also überwiegend urbanistisch geprägter Kultur 27

28 29

30 31

Kissel, Lokale Identität (wie Anm. 4), 55; vgl. mit ähnlicher Stoßrichtung auch Chevallier, Voies romaines (wie Anm. 6), 310, der davon ausgeht, dass das Lateinische »s’est assurément diffusé spontanément le long des voies«, wobei er auch explizit auf die Rolle der Meilensteine in diesem Prozess hinweist. Vgl. Kissel, Lokale Identität (wie Anm. 4), 54–57, dazu Laurence, Roads (wie Anm. 4), 197– 199; siehe auch Eck, Straßen (wie Anm. 4), 18–20. Vgl. H. Galsterer, Das Militär als Träger der lateinischen Sprach- und Schriftkultur, in: H. von Hesberg (Hg.), Das Militär als Kulturträger in römischer Zeit, Köln 1999 (Schriften des Archäologischen Instituts der Universität zu Köln), 37–50, bes. 48; dazu allgemein auch I. Mikl Curk, M. Sagadin, Zur Romanisierung des täglichen Lebens durch das Militär, in: H. Vetters, M. Kandler (Hg.), Akten des 14. Internationalen Limeskongresses 1986 in Carnuntum, Wien 1990, 133– 141. Kissel, Lokale Identität (wie Anm. 4), 69. Vgl. etwa R. MacMullen, Romanization in the time of Augustus, New Haven/London 2000, ix– xi; G. Woolf, Romanisierung, in: DNP 10, 2001, 1122–1127, hier 1124.

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war. Denn beides ließe sich aus den hier dargelegten Ergebnissen ablesen, und beide Erklärungsansätze müssen sich dabei auch nicht gegenseitig ausschließen, sondern könnten sich vielmehr komplementär zueinander verhalten, wobei ohnehin generell mit erheblichen regionalen Unterschieden zu rechnen ist. Dieses Problem kann hier nicht mehr angegangen werden, es sei aber darauf hingewiesen, dass eine verbesserte Verkehrssituation durchaus Faktor für die Entstehung oder gesteigerte Bedeutung von Siedlungen sein kann, wie das übrigens auch schon Strabon voraussetzt, wenn er bezüglich einiger italischer Landstädte formuliert: »Es gibt aber auch Siedlungen, die eher wegen der Straßen, an denen sie liegen, als wegen ihrer politischen Wichtigkeit wohlbevölkert sind.«32 Unter Berücksichtigung der Siedlungssituation vor den augusteischen Straßenbauten im Vergleich mit jener der frühen Kaiserzeit lässt sich diesbezüglich festhalten, dass die Agrippastraßen wenigstens zum Teil »négligent les grands oppida, mais réunissent toutes les capitales du quart nord-est de la Gaule et ont constitué les axes de l’urbanisation«.33 Man mag daher auf eine regelrechte geopolitische Konzeption der Straßenanlagen schließen, die darauf abzielte, »à quadriller le pays conquis de grandes routes au long desquelles des villes de création, destinées à être les nouveaux chefs-lieux, seraient à la fois relais politiques et centres de romanisation«.34 Auch in Gallien gab es also in augusteischer Zeit Siedlungen, die ihr Gepräge und teilweise auch ganz direkt ihre Existenz dem Straßenbau des Marcus Agrippa verdankten. Wir können damit mehrerlei festhalten: Erstens kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der konkrete Detailverlauf der augusteischen Straßenbauten und die dadurch stattfindende Verkehrsanbindung einzelner civitates durch deren schon bestehende Bedeutung und (nicht nur, aber auch kulturelle) Hinwendung zu Rom mitbestimmt wurde. Doch es muss zweitens gerade angesichts der Dimension des Bauprogramms des Agrippa eine größere Gemengelage ökonomischer, politischer und besonders militärischer Motive für den Bau der frühen gallischen Römerstraßen und ihren Verlauf im Großen und Ganzen angenommen werden. Daraus resultiert, dass eine Wirkungsrichtung vom Straßenbau zum kulturellen Wandel mancherorts durchaus wahrscheinlich ist, wenngleich eine umgekehrte Beziehung nicht ausgeschlossen werden kann. Letztlich sollte davon ausgegangen werden, dass für den Gesamtprozess des ›Römischwerdens‹ der Gallier beide Phänomene bzw. Faktoren eine gewisse Bedeutung besaßen. Es dürfte jedenfalls deutlich geworden sein, dass sich mit kartographischen Mitteln prinzipiell ein gewisses Maß an Erkenntnis über die Ermöglichungsbedingungen kulturellen Wandels erzielen lässt, indem dadurch die Aufmerksamkeit auf die geographische Dimension solcher Prozesse gelenkt wird. Dabei wurde in diesem Beitrag nur ein kleiner Ausschnitt der denkbaren Indikatoren kulturellen Wandels betrachtet, die allesamt einen eher gemeinschaftlichen, öffentlichen Bereich der kulturellen Äußerung betreffen. Interessant wären daher weitere, ähnliche Untersuchungen insbesondere anhand von Indikatoren für 32

Strab. 5,2,10 C227: καὶ ἄλλαι δ’ εἰσὶ κατοικίαι διὰ τὴν ὁδὸν πληθυνόμεναι μᾶλλον ἢ διὰ πολιτικὸν σύστημα … Vgl. auch die Überlegungen bei Drinkwater, Roman Gaul (wie Anm. 6), 143, der Beispiele für die Entstehung von Siedlungen an Verkehrsknotenpunkten diskutiert und am Fall von Avaricum Biturigum die gravierenden Auswirkungen der Anbindung eines einzelnen civitasHauptortes an das römische Straßennetz darlegt. 33 Chevallier, Voies romaines (wie Anm. 6), 211. 34 Ebd., 210.

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eher ›private‹ kulturelle Praktiken bzw. Wandlungsprozesse wie etwa Bestattungssitten, den Gebrauch von römischem Münzgeld oder die Verbreitung lateinischer bzw. latinisierter Personennamen.35 Jonas Scherr Johann Wolfgang Goethe-Universität, Historisches Seminar, IGK Politische Kommunikation Grüneburgplatz 1, D-60323 Frankfurt am Main [email protected]

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35

Für diesen Hinweis im Kontext der Tagung danke ich Klaus Tausend.

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Abb. 1: Die Verteilung lateinischer Inschriften in Gallien in Relation zum Straßennetz der Hohen Kaiserzeit. Darstellung auf Basis der Fig. 4.5 und 4.6 bei Woolf, Becoming Roman (wie Anm. 10), 87 und 89.

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Abb. 2: Die Verteilung lateinischer Inschriften in Gallien in Relation zum Straßennetz der augusteischen Zeit. Darstellung auf Basis der Fig. 4.5 und 4.6 bei Woolf, Becoming Roman (wie Anm. 10), 87 und 89 sowie der Informationen bei Chevallier, Voies romaines (wie Anm. 6), 209–212.

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Abb. 3: Die Verteilung der Produktions- und Hauptfundorte von Terra Sigillata in Gallien in Relation zum Straßennetz der augusteischen Zeit. Eigene Darstellung auf Basis der Fig. 4.6 bei Woolf, Becoming Roman (wie Anm. 10), 89 und der Informationen bei Chevallier, Voies romaines (wie Anm. 6), 209–212. Die Daten bezüglich der Verteilung der Sigillata wurden aus dem Kartenzusatz bei E. Ettlinger et al., Conspectus formarum terrae sigillatae Italico modo confectae, veränderter ND der 1. Auflage von 1990, Bonn 2002 (Materialien zur römisch-germanischen Keramik 10) übernommen.

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Abb. 4: Die Verteilung ›römischer‹ Theater in Gallien in Relation zum Straßennetz der augusteischen Zeit. Darstellung auf Basis der Fig. 4.6 bei Woolf, Becoming Roman (wie Anm. 10), 89 und der Informationen bei Chevallier, Voies romaines (wie Anm. 6), 209– 212. Die eingezeichneten Standorte der Theater sind Map 2 bei F. Sear, Roman theatres: an architectural study Oxford 2006 (Oxford monographs on classical archaeology) entnommen.

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Abb. 5: Die Verteilung von römerzeitlichen Thermen und Badeanlagen in Gallien in Relation zum Straßennetz der augusteischen Zeit. Darstellung auf Basis der Fig. 4.6 bei Woolf, Becoming Roman (wie Anm. 10), 89 und der Informationen bei Chevallier, Voies romaines (wie Anm. 6), 209–212. Die Positionsangaben der Thermen und Bäder wurden aus Nielsen, Thermae (wie Anm. 25), Kartenzusatz und zugehörige Katalogeinträge (11–15 und 20–24) übertragen.

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Zur Mobilität von Berufsgruppen im mykenischen Griechenland

In der mykenischen Welt des 14. und 13. Jh. v.Chr. gab es eine Reihe von Berufen bzw. Tätigkeiten, die von den ausführenden Personen ein mehr oder minder großes Maß an Mobilität verlangten. Zum einen sind hierzu jene Tätigkeiten zu zählen, bei denen der oftmalige Ortswechsel ein unabdingbarer Bestandteil der Tätigkeit selbst war. Hierzu gehören vor allem die Berufsgruppen der Händler und der Seeleute. Die weite Verbreitung von Handelsgütern mykenischer Provenienz vom westlichen Mittelmeergebiet bis zur Levanteküste und von der oberen Adria bis nach Ägypten gibt einen deutlichen Einblick in den hohen Grad an Mobilität, den die ›Verbreiter‹ dieser Waren, eben die Händler und Seefahrer, aufgebracht haben müssen. Diesem Teilbereich des Themas ›Mobilität‹ sei im folgenden jedoch nicht weiter nachgegangen, zumal hierzu eine Reihe von Studien in der modernen Fachliteratur existiert.1 Im folgenden soll allerdings jenen Personen und Personengruppen im mykenischen Griechenland nachgegangen werden, deren berufliche Tätigkeit nicht zwangsläufig Mobilität mit sich brachte, die – aus welchem Grund auch immer – vielmehr ›freiwillig‹ ihrem Beruf außerhalb ihres Herkunftsortes nachgingen, obwohl dies durch den Beruf selbst nicht unbedingt nötig war.

Künstler und Handwerker Wie in vielen anderen vergleichbaren Kulturen (nicht nur des Altertums) auch, so sind im mykenischen Griechenland in erster Linie Künstler und hochspezialisierte Handwerker in Betracht zu ziehen. Zwar existieren keine unmittelbaren Aussagen für die Anwesenheit von Künstlern und Handwerkern außerhalb ihrer Heimat, doch stehen indirekte Zeugnisse in Form von Artefakten zur Verfügung. So fand sich eine Fülle kretischer Erzeugnisse auf mykenischem Gebiet – sowohl in den Siedlungen und Palästen als auch in den Gräbern der mykenischen Oberschicht –, von denen stellvertretend für viele etwa der Becher von Vaphio genannt sei. Unterstützt wird dieser Befund durch die Angaben von Linear B-Texten, genauer gesagt von Inventarlisten, die bei einzelnen Werkstücken (wie Dreifüßen oder Gefäßen) zuweilen die Angabe ke-re-si-jo we-ke (kresioϝerges) also ›kretische Arbeit‹ verzeichnen.2 Methodisch besteht hier jedoch das Problem, daß weder die archäologisch gesicher1

Siehe die Zusammenstellung (inklusive Literatur) bei O. Dickinson, The Aegean Bronze Age, Cambridge 1994, 250–256. 2 Siehe die Pylostafeln Ta 641 und Ta 709.

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ten Werkstücke kretischer Provenienz noch die in den Linear B-Texten verzeichneten Arbeiten darüber Auskunft geben (können), wo sie gefertigt wurden. Mit anderen Worten: Man kann nicht sagen, ob diese kretischen Werkstücke zwar in Kreta gefertigt sodann aber ins mykenische Griechenland exportiert wurden oder aber ob sie von kretischen Handwerkern im Auftrag mykenischer Fürsten an deren Wohnsitzen im mykenischen Griechenland selbst hergestellt wurden. Nur im zweiten Fall hätten wir es aber mit der hier interessierenden Mobilität von Vertretern einer Berufsgruppe zu tun. Nun aber zu einem Befund, in dem die Mobilität von Handwerkern deutlicher auf der Hand liegen dürfte. Zwei der bedeutendsten Tholosgräber der mykenischen Zeit, das sogenannte ›Schatzhaus des Artreus‹ in Mykene und das ›Schatzhaus des Minyas‹ im boiotischen Orchomenos zeigen erstaunliche Ähnlichkeiten; sowohl Bauweise als auch Ausgestaltung – besonders das Vorhandensein einer Nebenkammer, die bislang in keinem anderen Tholosgrab festgestellt werden konnte – sprechen dafür, daß beide Grabbauten vom selben Baumeister oder zumindest von Angehörigen derselben Werkstätte errichtet wurden.3 Dies bedeutet aber, daß Handwerker aus Mykene eine Zeit lang nach Orchomenos gegangen sein müssen, um für den dortigen Herrscher zu arbeiten – oder umgekehrt. Auf jeden Fall liegt hier aber – wohl freiwillige – Mobilität von Handwerkern vor.

Fremdarbeiter Nun zu einigen pylischen Schriftdokumenten, die das Vorhandensein von Arbeitern aus der Fremde im Reich von Pylos nahelegen. Die pylischen ›Sklavenserien‹ Aa, Ab, Ad und An Aa 61: Aa 506: Aa 701: Aa 770: Aa 792: Aa 798: Aa 1180: Ab 186: Ab 189: Ab 382: Ab 515: Ab 562: Ab 573: Ad 380: Ad 390: Ad 664: Ad 683: Ad 675: 3

pu-ro ze-pu2-ra3 MUL 16 ko-wa 11 ko-wo 7 ... ku-te-ra3 MUL 28 ko-wa[ a-*64-ja MUL 21 ko-wa 5 ko-wo 11 ki-si-wi-ja MUL 6 ko-wa 4 ko-wo 6 ki-ni-di-ja MUL 21 ko-wa 12 ko-wo 10 ro-u-so, mi-ra-ti-ja MUL 54 ko-wa 35 ko-wo 22 pu-ro mi-ra-ti-ja MUL ... pu-ro ra-mi-ni-ja MUL 7 ko-wa 1 ko-wo 2 pu-ro, ki-ni-di-ja MUL 20 ko-wa 10 ko-wo 10 ro-u-so, mi-ra-ti-ra MUL 54 ko-wa 31 ko-wo 20 pu-ro a-*64-ja MUL 35 ko-wa 12 ko-wo 11 ku-te-ra3 MUL [ pu-ro, mi-ra-ti-ja MUL 7 ko-wa 4 ko-wo 4 pu-ro mi-ra-ti-ja-o a-ra-te-ja-o ko-wo 3 pu-ro ku-te-ra-o ko-wo [ ] VIR 22 pu-ro ra-u-ra-ti-jo ze-pu2-ra-o ko-wo ....... VIR 4 pu-ro, ki-ni-di-ja-o ko-wo VIR 5 .... pu-ro ki-si-wi-ja-o o-nu-ke-ja-o ko-wo VIR 3 ...

Siehe R. Hope-Simpson, Mycenaen Greece, Park Ridge 1981, 61.

Zur Mobilität von Berufsgruppen im mykenischen Griechenland

Ad 690: An 292: Aa 506: Aa 701: Aa 770: Aa 792: Aa 798: Aa 1180: Ab 186: Ab 189: Ab 382: Ab 515: Ab 562: Ab 573: Ad 380: Ad 390: Ad 664: Ad 683: Ad 675: Ad 690: An 292:

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pu-ro mi-ra-ti-ja-o ko-wo VIR 2 si-to-ko-wo ki-ni-di[-ja MUL] 21 ko[-wo ku-te-ra3 MUL 28 ko-wa[ a-*64-ja MUL 21 ko-wa 5 ko-wo 11 ki-si-wi-ja MUL 6 ko-wa 4 ko-wo 6 ki-ni-di-ja MUL 21 ko-wa 12 ko-wo 10 ro-u-so, mi-ra-ti-ja MUL 54 ko-wa 35 ko-wo 22 pu-ro mi-ra-ti-ja MUL ... pu-ro ra-mi-ni-ja MUL 7 ko-wa 1 ko-wo 2 pu-ro, ki-ni-di-ja MUL 20 ko-wa 10 ko-wo 10 ro-u-so, mi-ra-ti-ra MUL 54 ko-wa 31 ko-wo 20 pu-ro a-*64-ja MUL 35 ko-wa 12 ko-wo 11 ku-te-ra3 MUL [ pu-ro, mi-ra-ti-ja MUL 7 ko-wa 4 ko-wo 4 pu-ro mi-ra-ti-ja-o a-ra-te-ja-o ko-wo 3 pu-ro ku-te-ra-o ko-wo [ ] VIR 22 pu-ro ra-u-ra-ti-jo ze-pu2-ra-o ko-wo ....... VIR 4 pu-ro, ki-ni-di-ja-o ko-wo VIR 5 .... pu-ro ki-si-wi-ja-o o-nu-ke-ja-o ko-wo VIR 3 ... pu-ro mi-ra-ti-ja-o ko-wo VIR 2 si-to-ko-wo ki-ni-di[-ja MUL] 21 ko[-wo

In diesen Serien pylischer Tafeln sind Personen weiblichen Geschlechts – durch das Ideogramm MUL gekennzeichnet – sowie deren Söhne (ko-wo=kouroi) und Töchter (ko-wa= korai) aufgelistet. Bei all diesen verzeichneten Personen handelt es sich um Arbeiter/innen (möglicherweise auch Sklav/inn/en) im Palast von Pylos, die Zuteilungen bestimmter Güter – die in unserem Zusammenhang irrelevant sind – erhalten. Von Bedeutung ist hingegen die Herkunft dieser Frauen, die in vielen Fällen (als Epitheton in adjektivischer Form oder im Genitiv Plural) angegeben ist. Folgende Herkunftsorte der Frauen können hierbei aus diesen Angaben eruiert werden: die Inseln Kythera (ku-te-ra3), Chios (ki-si-wi-ja) und Lemnos4 (ra-mi-ni-ja)5 sowie Knidos (ki-ni-di-ja), Milet6 (mi-ra-ti-ja), Zephyra=Halikarnassos7 (ze-pu2-ra3), und Asia (a-*64-ja),8 womit der nordwestlichste Teil Kleinasiens (die Troas) gemeint sein dürfte.9 Ein Blick auf eine Karte des Ägäisraums (s.u.) zeigt nun, daß mit Ausnahme der südlich der Peloponnes gelegenen Insel Kythera alle Herkunftsorte der ›Sklavinnen‹ an der kleinasiatischen Küste (Knidos, Milet, Halikarnassos, Asia) oder auf Inseln (Chios, Lemnos) vor 4 5 6 7 8

9

In der Lautung Lamnos. Siehe S. Hiller, RA-MI-NI-JA: Mykenisch-kleinasiatische Beziehungen und die Linear B-Texte, in: Ziva Antica 25, 1975, 388–411. In der Lautung Milatos. Siehe Strab. 14,2,16. Wohl als a-swi-ja zu lesen. Vgl. V. Parker, Die Aktivitäten der Mykener in der Ostägäis im Lichte der Linear B Tafeln, in: S. Deger-Jalkotzy et al. (Hg.), Floreant Studia Mycenaea II, 1999, 495– 502. Dies entspricht der in hethitischen Texten zu findenden Landschaftsbezeichnung Assuwa.

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dieser Küste liegen.10 Der Verdacht liegt somit nahe, daß der mykenische Palast von Pylos Sklavinnen aus dem kleinasiatischen Raum bezogen hat, doch warum nur aus diesem Gebiet? Möglicherweise wurden diese Sklavinnen im Zuge von Raubfahrten pylischer Schiffe entlang der Küste Kleinasiens erbeutet, die neben ›üblichen‹ Plünderungsaktionen auch der ›Sklavenjagd‹ nachgingen.11 Unzweifelhaft handelt es sich bei diesen aus dem kleinasiatischen Raum stammenden Frauen um solche, die eine gewisse Mobilität aufweisen, um eine ›Berufsgruppe‹, die freiwillig in fremdem Gebiet ihrer Tätigkeit nachging, handelt es sich jedoch sicherlich nicht, sofern es sich wirklich um Sklavinnen handelt. Sollte es sich bei ihnen allerdings um freiwillig in Pylos arbeitende Frauen gehandelt haben, so wären die geforderten Kriterien erfüllt. In diesem Falle existiert jedoch keine Erklärung für den seltsamen Umstand, daß sie alle aus Kleinasien stammten. Etwas anders stellt sich das Problem bei den von der nahe der Peloponnes gelegenen Insel Kythera, die zweifellos dem mykenischen Kulturgebiet zuzurechnen ist, stammenden Frauen. Hier könnte jedoch eine andere Pylostafel, die etwas mehr Informationen bietet, weiterhelfen: An 607 .1 .2 .3 .4 .5 .6 .7 .8 .9–10 .11 .12–13

me-ta-pa ke-ri-mi-ja do-qe-ja ki-ri-te-wi-ja do-qe-ja do-e-ro pa-te ma-te-de ku-te-re-u-pi MUL 6 do-qe-ja do-e-ra e-qe-ta-i e-e-to te-re-te-we MUL 13 do-qe-ja do-e-ro pa-te ma-te-de di-wi-ja do-e-ra MUL 3 do-qe-ja do-e-ra ma-te pa-te-de ka-ke-u MUL 1 do-qe-ja do-e-ra ma-te pa-te-de ka-ke-u MUL 3 vacant ka vacant

In dieser Tafel sind Frauen aufgelistet, die als do-e-ra (Z. 3) bezeichnet werden, und in denen man – wie S. Deger-Jalkotzy 12 glaubhaft zeigen konnte – wohl Palastsklavinen sehen muß. Insgesamt 13 von diesen Frauen – es dürfte sich bei ihnen um Gersteköchinnen (do-qe-ja) handeln – sind, wie das Verbum e-e-to (Perf. Pass.) zeigt, vom Palast weggeschickt worden, wobei der Ort, an dem sie sich nunmehr befinden gleich am Beginn der Tafel genannt ist: der im Norden des pylischen Staates gelegene Distrikt me-ta-pa bzw. dessen Hauptstadt. 10

In den genannten pylischen Serien sind noch weitere Herkunftsangaben vorhanden, die jedoch mit keinem in historischer Zeit belegbaren Ort in Verbindung gebracht werden können. 11 Siehe J. Fischer, Sklaverei und Menschenhandel im mykenischen Griechenland, in: H. Heinen (Hg.), Menschenraub , Menschenhandel und Sklaverei in antiker und moderner Perspektive, Stuttgart 2008, 45–84. 12 Diese Tafel wurde eingehend von S. Deger-Jalkotzy, The Women of PY An 607, in: Minos 13, 1972, 137–160 und dies., Zur Rolle des Gefolgschaftwesens in der Sozialstruktur Mykenischer Reiche, Wien 1978, 57–62 behandelt.

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In unserem Zusammenhang sind nun die Herkunft bzw. der soziale Status dieser Frauen und vor allem der ihrer Eltern – denn diese sind jeweils ausdrücklich erwähnt – von Interesse. In den Zeilen 6 und 7 sind insgesamt vier Frauen erwähnt, deren Mutter (ma-te=mater) jeweils eine Sklavin (do-e-ra=doula), deren Vater (pa-te=pater) jedoch ein Schmied (ka-ke-u=chalkeus) also wohl ein Freier war. Bei den in Zeile 5 genannten Frauen verhält es sich genau umgekehrt: Der Vater war ein Sklave (do-e-ro=doulos), die Mutter aber eine Dienerin des Zeus (di-wi-ja-do-e-ra=diϝia doula), wobei nicht klar ist, ob do-e-ra in diesem Zusammenhang auf die persönliche Unfreiheit als Sklavin zu beziehen ist oder aber – was wohl wahrscheinlicher ist – auf die Stellung als Dienerin gegenüber der Gottheit. Wichtig hierbei ist vor allem, daß der Text offenbar Wert darauf legt, welchen sozialen Status die jeweiligen Eltern dieser Frauen hatten, zumal ja die Einteilung der Frauen in drei Gruppen nach diesem Gesichtspunkt erfolgt. Die in Zeile 2 angesprochenen sechs Frauen hatten ebenfalls einen Sklaven zum Vater, bei der Mutter ist als Herkunftsangabe aber ku-te-re-u-pi verzeichnet. Dies ist nun unzweifelhaft mit ku-te-ra3, also der Insel Kythera, zu verbinden. Das Suffix pi (=phi) bedeutet wohl soviel wie ›unter‹ oder auch ›bei den Kythraiern‹. Da diese wiederum nicht als Sklaven bezeichnet werden, ist die Zeile wohl so zu verstehen, daß der Vater der Frauen jeweils ein Sklave war, die Mutter jedoch von den (offensichtlich freien) Kytheraiern abstammte. Zusammen mit den oben genannten Tafeln, die von Frauen aus Kythera sprechen, kann daraus geschlossen werden, daß es im Reich von Pylos eine Kolonie von Kytheraiern gab,13 die als freie Arbeitskräfte im Palast von Pylos bestimmten Tätigkeiten nachgingen. Dies bedeutet aber, daß diese Personen offenbar freiwillig ihre Heimat Kythera verlassen hatten, um im ›Ausland‹ ihrem Beruf nachzugehen.

Söldner Eine bestimmte Gruppe von hochspezialisierten Männern, die per definitionem Fremdarbeiter sind, bilden Berufssoldaten, die ihrer Profession, dem Waffenhandwerk, nicht im eigenen Land sondern im Dienste eines fremden Auftraggebers nachgehen: die Söldner. Diese finden sich in beinahe allen antiken Kulturen und scheinen auch im mykenischen Griechenland nachweisbar zu sein. Im Archiv von Knossos findet sich nun eine Tafel, die sich möglicherweise – unter anderem – auf das Phänomen der Beschäftigung von Söldnern durch den Palast von Knossos bezieht. KN Am 821 .1 ]-ra-jo e-qe-ta-e e-ne-ka e-mi-to VIR 2 ki-ta-ne-to su-ri-mo e-ne.ka o-pa VIR 1 .2 si-ja-du-we ta-ra i-je[-re]-u po-me e-ne-ka o-pa X VIR 1 ko-pe-re-u e-qe-ta e-kisi-jo VIR Dieser Text verzeichnet insgesamt fünf Personen, die in zwei Gruppen eingeteilt werden können. An der ersten und der letzten Stelle sind Personen erwähnt, die der Militärhierarchie zuzuordnen sind, nämlich e-qe-ta (Streitwagenkämpfer): In Zeile 1 sind zwei e-qe-ta 13

In diese Richtung äußerte sich bereits J. Chadwick, Documents in Mycenaean Greek, Cambridge 1973, 167.

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genannt, die offenbar durch einen Ortsnamen in adjektivischer Form (]-ra-jo) näher charakterisiert sind. In der zweiten Zeile ist es nur ein e-qe-ta, der sowohl durch seinen Namen (ko-pe-re-u) als auch – wie die e-qe-ta in der ersten Zeile – durch einen Ortsnamen (e-kisi-jo – Adj. zum zentralkretischen Ort e-ko-so) näher bestimmt ist. Zwischen diesen e-qeta sind zwei Personen erwähnt, ein Mann namens ki-ta-ne-to aus dem Distrikt su-ri-mo, der auch als Besitzer von Schafen im selben Distrikt bekannt ist,14 und ein Mann namens ta-ra, der als Priester (i-je-re-u) und Besitzer von Vieh (po-me)15 in si-ja-du-we16 in einer anderen Tafel aufscheint. Beide dürften also Besitzer von Viehherden gewesen sein. Zusätzlich zur Nennung des Namens und der Ortsangabe wird zu den einzelnen Personen jeweils noch eine Information gegeben, nämlich die Angabe des Grundes (mit e-ne-ka =›wegen‹ eingeleitet), weshalb diese Personen in der Liste aufscheinen. Und hier ist nun der zweite Unterschied zwischen den beiden Gruppen festzustellen. Während sich bei den Herdenbesitzern ki-ta-ne-to und ta-ra die Wortkombination ›e-ne-ka-o-pa‹ findet, wird bei den am Beginn der Tafel genannten e-qe-ta die Wendung ›e-ne-ka e-mi-to‹ gebraucht; für den am Ende des Textes bgenannten e-qe-ta ko-pe-re-u existiert – wie schon gesagt – keine solche Information über seine Aufgaben, kann aber vielleicht analog zu den ersten beiden e-qe-ta extrapoliert werden. Das Wort ›o-pa‹, das sprachlich nicht befriedigend zu erklären ist, dürfte wohl in das Wortumfeld ›Abgabe, Abgabenpflicht, Leistungsverpflichtung‹ gehören, doch tut dies in unserem Zusammenhang nichts weiter zur Sache. Die Silbenfolge ›e-mi-to‹ hingegen – und darum geht es uns hier – ist am glaubhaftesten mit emmisthos zu identifizieren und bedeutet somit ›jemand, der Sold bzw. Lohn empfängt‹. Dies bedeutet nun, daß die Viehzüchter ta-ra und ki-ta-ne-to wegen bestimmter zu erbringender Abgaben oder Leistungen auf der Tafel vermerkt sind, während die drei e-qe-ta wegen Männern, die Sold oder Lohn empfingen, in dieser knossischen Tafel verzeichnet sind. Trotz des guten Erhaltungszustandes der Tafel geht allerdings aus dem Text nicht hervor, zu welchem Zweck diese Liste archiviert wurde, d.h. wofür die genannten Männer Lohn empfingen, was die Aufgabe der e-qe-ta war und welche Abgaben oder Leistungen genau unter den o-pa zu verstehen sind. S. Deger-Jaalkotzy 17 hat hierfür eine – in sich sehr schlüssige – Interpretation angeboten: Die beiden Viehzüchter (d.h. Schafzüchter) hatten Schafe oder Produkte derselben (Wolle) dem Palast abzuliefern, während die drei eqe-ta als Aufseher der für diese Arbeiten (Schafschur) angeworbenen Lohnarbeiter zu fungieren hatten. Die Tafel Am 821 hätte demnach keine für das Militärwesen von Knossos relevante Bedeutung, und auch die erwähnten e-qe-ta schienen nicht in militärischer sondern in ziviler Funktion innerhalb des Wirtschafts- und Verwaltungssystems des Palastes in diesem Dokument auf. Man könnte – ohne die Fakten an sich zu ändern oder die Einzelinterpretation bestimmter Worte anzuzweifeln – diesem Text jedoch einen anderen (naturgemäß ebenso spekulativen) Sinn unterlegen: Diese Interpretation geht in erster Linie von der Bedeutung des 14 15 16

So in der Knossos-Tafel Da 1108. Hier ist po-me wohl nicht als ›Hirte‹ sondern vielmehr als ›Viehzüchter‹ zu verstehen. Dieser Distrikt scheint in den Knossos-Tafeln häufig als Standort von Schafherden auf; vgl. Dl 930; Dl 933; Dl 946. 17 Deger-Jalkotzy, E-QE-TA (wie Anm. 12), 90f.

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Wortes e-mi-to (emmisthos) aus. Diesem erst seit dem späten 5. Jh. bezeugten Wort liegt das – schon bei Homer belegbare – misthos (Lohn, Sold) zugrunde, das ursprünglich eine allgemeinere Bedeutung hatte, mit der Zeit aber stark auf den militärischen Bereich eingeschränkt wurde, d.h. auf die Bedeutung von Lohn für militärische Dienste, sodaß ›Empfänger von misthos‹, die misthophoroi zum terminus technicus für ›Söldner‹ wurden. Nun ist zwar anzunehmen, daß im mykenischen Griechisch diese Einschränkung noch nicht existierte und misthos demnach die unspezifische Bedeutung von ›Lohn‹ gleich welcher Art und für welchen Dienst hatte, doch ist es andererseits wohl auch nicht sehr wahrscheinlich, daß eine Einschränkung der Bedeutung dieses Wortes dahingehend existierte, daß der Lohn für Kriegsdienst nicht ebenfalls misthos genannt wurde. Der in dieser Konossostafel verwendete Begriff e-mi-to (emmisthos) könnte demnach auch in der Bedeutung von misthophoros (Söldner) gebraucht worden sein, womit die Tafel selbst nun in militärischem Kontext zu sehen wäre. Im 14. und 13. Jh. v.Chr. finden sich in allen Reichen des östlichen Mittelmeeres und Vorderasiens Söldner unterschiedlichster Herkunft. Vor allem die ägyptischen Pharaonen beschäftigten zahlreiche Söldner als Elitetruppen,18 von denen die Sherdana19 wohl die bekanntesten sind.20 Für die Annahme, daß Söldner auch im Gebiet der mykenischen Palaststaaten Beschäftigung fanden, existieren zwar keine direkten (schriftlichen) Hinweise, es kann allerdings für das Ende der Palastzeit archäologisch aus der weiten Verbreitung von Waffen, die nicht aus der mykenischen Welt stammen, erschlossen werden.21 Eine Ausnahme hierzu bildet Kreta, wo nachweisbar schon im 14. Jh. nubische Söldner als Resultat der Beziehungen des Herrschers von Knossos zu Pharao Amenophis III. vorhanden gewesen sind.22 Es ist demnach sehr wahrscheinlich, daß im 14. und 13. Jh. v.Chr. in Knossos Söldner beschäftigt wurden, und sprachlich wie inhaltlich spricht wohl nichts dagegen, daß diese Söldner in den Aufzeichnungen des Palastes als e-mi-to, also schlichtweg als Lohnempfänger bezeichnet wurden. Auf der anderen Seite dürften auch Krieger aus dem mykenischen Bereich als Söldner für fremde Herrscher gekämpft haben. Zumindest legt das Fragment eines hethitischen Gefäßes, auf dem ein mykenischer Soldat – deutlich zu erkennen ist der Eberzahnhelm – dargestellt ist, den Schluß nahe, daß im Hethiterreich unter anderen auch mykenische Söldner tätig waren.23 Nun zu einer völlig anders gearteten Form von ›Fremdarbeitern‹:

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R. Drews, The End of the Bronze Age, Princeton 1993, 151. Vgl. Drews, Bronze Age (wie Anm. 18), 91. Schon früher dienten Sherdana als Söldner in Byblos und Ugarit; siehe P. W. Haider, Griechenland – Nordafrika, Darmstadt 1988, 53, 57 und 71. 21 Siehe H. Catling, A New Bronze Sword from Cyprus, in: Antiquity 35, 1961, 121 und Drews, Bronze Age (wie Anm. 18), 64. 22 Siehe Haider, Griechenland – Nordafrika (wie Anm. 20), 44f. 23 Denkbar wäre natürlich auch, daß hier ein feindlicher Mykener, und kein Söldner in hethitischen Diensten, dargestellt ist, doch scheint dies weniger wahrscheinlich.

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Diplomaten? Im mykenischen Palastarchiv von Theben befinden sich unter den Linear B-Tafeln die Serien Gp und Fq, deren Listen vornehmlich Einzelpersonen aber auch Personengruppen verzeichnen, denen vor allem bestimmte Mengen an Nahrungsmitteln aber auch Sklaven bzw. Diener zugeteilt werden. Anhand der Personengruppen, beispielsweise den i-qo-po-qo (=Pferdezüchter), kann darauf geschlossen werden, daß es sich bei all diesen bezugsberechtigten Personen nicht etwa um Arbeitskräfte oder gar Sklaven handelt – was allein schon die Zuteilung von Dienern unwahrscheinlich macht – sondern um Leute, die für den Palast von Theben von einiger Bedeutung und damit verbunden von großem Nutzen waren. Von den Einzelpersonen ist die überwiegende Mehrzahl mit Namen aufgeführt, was darauf hindeutet, daß diese Männer wichtige Funktionen in der Verwaltung des Reiches von Theben innehatten und daher namentlich wohlbekannt waren; in den Zuteilungen wäre somit eine Form der Bezahlung seitens des Palastes zu sehen. Zwei Männer stellen nun insofern unter den Einzelpersonen eine Ausnahme dar, als sie nicht namentlich genannt werden, sondern statt dessen dadurch ausgewiesen werden, daß ihrer Herkunft angegeben wird. In den Tafeln Gp 227 (Zeile 2) und Fq 229 (Zeile 4) ist jeweils – neben anderen Personen – ein als ra-ke-da-mo-ni-jo24 bezeichneter Mann genannt, was sicherlich als Lakedaimonios also ›der Lakedaimonier‹ zu lesen ist. Es handelt sich bei ihm offenkundig um jemanden, der nicht aus dem Reich von Theben sondern aus Lakonien (bzw. Lakedaimon) stammte aber im Palast von Theben lebte und eine Funktion ausübte. Ähnlich verhält es sich mit einer Person, die in den Theben-Tafeln Fq 177 (Z. 2) und Fq 198 (Z. 5) Erwähnung findet. Dieser Mann, der ebenfalls zusammen mit anderen Personen aufgeführt ist, wird als mi-ra-ti-jo bezeichnet, was als Milatios also als ›Milesier‹ zu deuten ist. Demnach lebte im Palast von Theben noch eine zweite Person, die aus dem ›Ausland‹, dem kleinasiatischen Milet, stammte und eine vom Palast als relativ bedeutend angesehene Funktion wahrnahm. Es erhebt sich nun die Frage, worin die Tätigkeit dieser ›Fremdarbeiter‹ in Theben bestand. Fassen wir die Fakten nochmals zusammen: 1. Sicherlich waren es wichtige Persönlichkeiten, die – den Zuteilungen zufolge – mit Funktionsträgern des thebanischen Reiches vergleichbar sind. 2. Da die Bezeichnungen ›der Lakedaimonier‹ und ›der Milesier‹ zur Identifizierung offensichtlich ausreichten, dürften sie die einzigen Vertreter des jeweiligen Landes (Milet, Lakedaimon) in Theben gewesen sein. Mehrere Deutungsmöglichkeiten bieten sich nun bezüglich der Funktion dieser Männer an, wobei nicht gesagt ist, daß für beide die gleiche Interpretation zutreffen muß: Sie waren vielleicht – Repräsentanten oder Gesandte (Lakedaimons bzw. Milets) auf ›Staatsbesuch‹, – ›Botschafter‹ der jeweiligen Staaten, 24

In der Tafel Fq 229 in der – wohl falschen – Schreibung ra-ke-da-mi-ni-jo.

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– wichtige politische Flüchtlinge, die Theben zu benutzen gedachte, – Vertreter des Reiches von Theben im Ausland, die sich auf ›Heimaturlaub‹ befanden. Mangels weiterer Informationen kann wohl nicht gesagt werden, welche der oben vorgestellten Interpretationsmöglichkeiten bezüglich der Funktion der beiden ›Fremdarbeiter‹ in Theben zutrifft. Auf jeden Fall aber handelt es sich in diesen beiden Fällen um Personen, die außerhalb ihrer Heimatländer einer Tätigkeit nachgingen oder eine Funktion erfüllten, die sie letztlich als Diplomaten ausweist; lediglich unter der Annahme, daß die beiden Männer Flüchtlinge waren, trifft dies nicht zu. Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, daß es im mykenischen Griechenland – abgesehen von Berufsgruppen, die tätigkeitsbedingt eine hohe Mobilität aufwiesen, wie Händler und Seefahrer – zwei Formen von ›Fremdarbeitern‹ gab. So sind uns Personen überliefert, die einer Tätigkeit nachgingen, welche (im weitesten Sinne) einen hohen Grad an Spezialisierung erforderte, wie Architekten und Künstler aber auch Söldner und Repräsentanten des Staates (Diplomaten). Aufgrund der besonderen Fähigkeiten, über die sie verfügten, konnten diese Leute eben ihrer Profession auch oder, wie im Fall von ›Diplomaten‹, gerade außerhalb ihrer Heimat nachgehen. Im Gegensatz dazu gab es aber auch, wie der Fall der kytheraischen Arbeiter/innen in Pylos zeigt, ›Fremdarbeiter‹, die zwar keine speziellen Fähigkeiten besaßen, die aber – sofern Bedarf nach einer größeren Zahl von Arbeitskräften existierte – vorhandene einheimische Arbeiter ergänzten. Klaus Tausend Karl-Franzens-Universität Graz, Zentrum Antike Universitätsplatz 3/II, A-8010 Graz [email protected]

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Die Verlockung der Fremde? Mobilitätsmotivation im archaischen Griechenland zwischen Abenteuerlust und Notwendigkeit

Wiewohl bereits in der Odyssee das Meer plakativ als unvergleichliches Übel geschildert wird, das den stärksten Mann zu vernichten imstande sei,1 fehlt Abenteuerlust im Katalog der für die Große Kolonisation möglicherweise impulsgebenden Motive nur selten. Kaum ein Schulbuch2 verzichtet darauf, Unternehmungslust als eine der Triebfedern derartiger Mobilität zu erwähnen, als deren Ergebnis die Griechen um das Mittelmeer saßen wie die Frösche um einen Teich.3 Auch in Einführungen in die griechische Geschichte und in wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln wird dieser irrationale Beweggrund häufig angeführt.4 Ohne die Vielfalt möglicher Antriebskräfte auch nur anzudenken, urteilt W. Dahlheim jedoch überraschend monokausal, wenn er meint: »Das Motiv der Kolonisation kann demnach nicht zweifelhaft sein: Nur die nackte Not war stark genug, Griechen, dazu noch meist ortsgebundene Bauern, auf schwankende Schiffe zu treiben.«5 Auch für M. Stahl ist es primär die Hoffnungslosigkeit, welche die Menschen dazu zwang, ihre »Furcht vor dem Unbekannten zu überwinden und den schwankenden Boden der Schiffe zu besteigen«.6 Hierbei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass Armut als Movens für einen Ortswechsel primär für unterprivilegierte Schichten gegolten haben mag. Für Aristokraten hingegen mussten andere Anreize gefunden werden, die Heimat zu verlassen. Die Sehnsucht nach Ruhm und Reichtum konnte diese Personengruppe dazu animieren, als Händler, Söldner oder Oikisten ihr Glück in der Fremde zu suchen. Schierer Entdeckerfreude oder einer wie immer gearteten Faszination des Unbekannten wird keine tragende Rolle zugemessen. Angesichts des breiten Spektrums von divergierenden Aussagen moderner Autoren scheint es angebracht, zeitgenössische literarische Zeugnisse hinsichtlich der dort offe1 2

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Hom. Od. 8,138f. Vgl. etwa R. Freyh, J. Volkmer, Menschen in ihrer Zeit, 2: Im Altertum, Stuttgart 1971, 30; F. Bahl, Spiegel der Zeiten, 1: Von der Vorzeit bis zum Ende der Alten Welt, Frankfurt u.a. 101975, 59; http://www2.klett.de/sixcms/media.php/229/424012_loesung.pdf, S. 28 (21.02.2012); http:// www2.klett.de/sixcms/media.php/229/416410_loesungs3_9.pdf, S. 3 (21.02.2012). Plat. Phaid. 109b 2–3. Siehe stellvertretend für viele Autoren R. Günther, Einführung in das Studium der Alten Geschichte, Paderborn 22004, 51; K.-J. Hölkeskamp, Das dritte Griechenland, in: GeoEpoche 13/04: Das antike Griechenland, 99. W. Dahlheim, Die griechisch-römische Antike, 1: Griechenland, Paderborn u.a. 31997, 55. M. Stahl, Gesellschaft und Staat bei den Griechen: Archaische Zeit, Paderborn u.a. 2003, 156.

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rierten Anreize für einen in jedem Fall mit Gefahren und Mühsal verbundenen Wechsel des Lebensraumes zu untersuchen. In ihrer Monographie über die griechische Kolonisation betont T. Miller einleitend, dass viele Autoren persönlich in die Kolonisationsbewegung involviert gewesen sind und als Augenzeugen und Mitgestalter der Expansion die prägenden Erfahrungen dieses Phänomens literarisch umgesetzt haben.7 So etwa hat der Dichter Archilochos um die Mitte des 7. Jh. nicht nur von seiner Heimatinsel Paros aus die Besiedelung von Thasos vorangetrieben,8 sondern war bereits zuvor – möglicherweise im Verband mit Auswanderern aus Kolophon – nach Unteritalien an den Siris ausgewandert.9 Auch der Dichter Semonides verließ seine Heimat Samos und siedelte sich in Amorgos an. Der aus Teos stammende Lyriker Anakreon war in Abdera heimisch geworden und auch der gebürtige Kolophonier Xenophanes ließ sich nach langen Wanderjahren in Elea nieder. Die jeweils bestimmenden Antriebskräfte für die an den Tag gelegte Mobilität des letztgenannten Dichters lassen sich möglicherweise seinen bei Diogenes Laertios10 bezeugten Lokalgeschichten von Kolophon und Elea entnehmen.11 Zusätzliche Möglichkeiten, Erkenntnisse über die Lebenswirklichkeit einer mobilen Gesellschaft zu gewinnen, eröffnet die Archäologie. Die Dominanz des Schiffsmotivs nicht nur als Vasendekor sondern auch in Wandmalerei, Mosaik- und Textilkunst legt die Vermutung nahe, dass sich maritime Bildelemente großer Beliebtheit erfreuten.12 Mit diesem Umstand korrespondiert die Tatsache, dass aus der Seefahrt stammende Metaphorik in der Dichtung häufig Verwendung findet, was eine Vertrautheit des Auditoriums mit nautischen Fachtermini zwingend voraussetzt.13 7 8

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T. Miller, Die griechische Kolonisation im Spiegel literarischer Zeugnisse, Tübingen 1997, 8–11. R. Martin, Thasos colonie de Paros, in: Annuario della Scuola Archeologica di Atene e delle Missioni Italiane in Oriente 61 N.S. 45, 1983, Bd. 3, Roma 1984, 171–177, hier: 172; I. Malkin, Religion and Colonization, Leiden 1987, 56–59; A. J. Podlecki, The Early Greek Poets and their Times, Vancouver 1984, 32. B. Schmid, Studien zu griechischen Ktisissagen, Diss. Freiburg i.d. Schweiz 1947, 12. Siehe dagegen A. P. Burnett, Three Archaic Poets. Archilochus, Alcaeus, Sappho, Cambridge 1983, 29 Anm. 41 und die dort angegebene Literatur. Diog. Laert. 9,20. Vgl. dazu Schmid, Ktisissagen (wie Anm. 9), 12; C. Dougherty, Archaic Greek Foundation Poetry: Questions of Genre and Occasion, in: JHS 94, 1994, 35–46, hier 39f.; J. M. Smith, The foundation of cities in Greek historians and poets, Diss. Yale 1991. Vgl. Miller, Kolonisation (wie Anm. 7), 8f. und die dort angegebene Literatur. Zu Leben und Werk des Lyrikers Anakreon vgl. B. Zimmermann, Handbuch der griechischen Literatur der Antike, Bd. 1, München 2011, 213–216. Zu Semonides vgl. ibid., 217–222. Vgl. dazu L. Basch, Le musée imaginaire de la marine antique, Athen 1987; J. S. Morrison, J. F. Coates, Greek and Roman Oared Warships, Oxford 1996; E. Spathari, Sailing through Time. The Ship in Greek Art, Athen 1995; L. Casson, Ships and Seamanship in the Ancient World, Princeton 1971; G. S. Kirk, Ships on Geometric Vases, in: ABSA 44, 1949, 93–153; J. S. Morrison, R. Williams, Greek Oared Ships, 900–322 BC, Cambridge 1968; G. Bass, History of Seafaring, London 1972; P. Pomey (Hg.), La Navigation dans l’Antiquite, Aix en Provence 1997; A. Göttlicher, Seefahrt in der Antike. Das Schiffswesen bei Herodot, Darmstadt 2006; O. Höckmann, Antike Seefahrt, München 1985. Vgl. R. Nünlist, Poetologische Bildersprache in der frühgriechischen Dichtung, Stuttgart/Leipzig 1998, 265–276; Ch. Kurt, Seemännische Fachausdrücke bei Homer. Unter Berücksichtigung Hesiods und der Lyriker bis Bakchylides, Göttingen 1979.

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Auch die Bildersprache der archaischen Lyrik bedient sich gerne des Motivkreises der Seefahrt. So vergleicht etwa Solon das Staatswesen mit dem Meer. Leicht wird es Opfer der Gewalt der Winde, die seine Oberfläche aufwühlen; unbeeinflusst von externen Kräften hingegen präsentiert es sich unerschütterlich und in ruhiger Gelassenheit.14 Dass sich auch Alkaios darin gefällt, die Seenot als maritime Allegorie auf ein orientierungslos gewordenes Staatswesen anzuwenden, legen zahlreiche Gedichte nahe.15 Das in 208 Voigt artikulierte Unvermögen des Dichters zu erkennen, »woher der Wind weht«, scheint das Eingeständnis völliger Ratlosigkeit angesichts der herrschenden politischen Verhältnisse zu sein. Die hier detailfreudig geschilderten vielfältigen Aspekte der bereits an dem lädierten Staatsschiff feststellbaren Schäden verfolgen vermutlich den Zweck, immer neue, furchteinflößende Einzelheiten der kollektiven Bedrohung zu illustrieren. Auch hier scheint die maritime Bildebene auf die politischen Verhältnisse bezogen.16 Mit großer Selbstverständlichkeit bedient sich auch Theognis der Chiffre vom Staatsschiff,17 wenn er das Kentern auf die Absetzung eines guten Steuermanns zurückführt, der mit Bedacht Wache hielt. Der Unwille der Besatzung, das beiderseits der Reling eintretende Wasser abzuschöpfen, wird unweigerlich das Sinken des Bootes herbeiführen. Bereits Homer artikuliert ein gewisses Misstrauen maritimen Geschäften gegenüber. Wenngleich Odysseus von Laodamas, dem Sohn des Phaiakenkönigs Alkinoos, als Paradebeispiel eines Opfers der Tücken des Meeres apostrophiert wird, beleidigt man den Gast, indem man aus seinem Habitus auf seine Profession schließt und ihn als ausschließlich an seinem Gewinn interessierten Schiffseigner schmäht.18 Der eindeutig negative Kontext dieser Charakterisierung ist umso befremdlicher, als gerade die Phaiaken19 als begnadete Seeleute und erfolgreiche Händler gelten.20 Mit ihren Wunderschiffen21 vermögen sie dank ihres Ahnherrn Poseidon22 schneller zu reisen als alle anderen Menschen.23 Die als meis14 15

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Sol. 13 Gentili-Prato=11 Diehl=12 West. Alk. 6,1–14; 73; 208,1–15; 298; 118,1f.; 167,19f. Voigt. Vgl. dazu die ausführlichen Einzelinterpretationen bei W. Barner, Neuere Alkaios-Papyri aus Oxyrhynchos, Hildesheim 1967, 113–145 und W. Rösler, Dichter und Gruppe. Eine Untersuchung zu den Bedingungen und zur historischen Funktion früher griechischer Lyrik am Beispiel Alkaios, München 1980, bes. 115–148. Zur Wirkung der maritimen Allegorien vgl. B. Gentili, Poetry and its Public in Ancient Greece. From Homer to the Fifth Century, London 21990, 197–215. Vgl. besonders die synoptische Tabelle der Motive S. 202f. Eine Nähe mancher nautischer Bilder zur Symposions-Metaphorik erkennt Nünlist, Bildersprache (wie Anm. 13), 324f. Thgn. 670–680 West. Hom. Od. 8,158–164. Ob dieser Beleidigung seines Gastes verlangt Alkinoos von Euryalos als Wiedergutmachung nicht nur eine Entschuldigung sondern auch ein Geschenk für Odysseus: Hom. Od. 8,396f. Zu den Sitten der Phaiaken vgl. G. J. De Vries, Phaeacian Manners, in: Mnemosyne 30, 1977, 113–121; G. P. Rosen, The Unfriendly Phaeacians, in: TAPhA 10, 1969, 378–406; Ph. S. Peek, Propriety, Impropriety, and the Gaining of Kleos in the Phaiakian Episode, in: GRBS 43, 2002/3, 309–339. Vgl. dazu Miller, Kolonisation (wie Anm. 7), 42f.; A. Luther, Die Phaiaken der Odyssee und die Insel Euboia, in: A. Luther (Hg.), Geschichte und Fiktion in der homerischen Odyssee, München 2006, 77–92; T. Krischer, Phäaken und Odyssee, in: Hermes 113, 1985, 9–21. Vgl. Hom. Od. 5,386; 6,270–272; 7,34–36; 7,108f. Hom. Od. 8,557–563. Hom. Od. 7,35; 7,56–63. Hom. Od. 7,108f.

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terliche Seefahrer beschriebenen24 Phaiaken waren, wie die Odysseus offerierten Gastgeschenke zeigen,25 überaus wohlhabend.26 Auch ihre Stadt befriedigt alle Bedürfnisse einer Gesellschaft von Seefahrern.27 Dass man in dieser Gesellschaft zwischen Handelsgeschäften und Seeraub kaum differenzierte,28 legt die standardisierte Begrüßungsfloskel für anlandende Gäste nahe. Man erkundigt sich lapidar, ob es sich bei den Fremden um Kaufleute oder Piraten handle.29 Diese Nachfrage enthält keine prinzipielle Abwertung des Seeraubs, der auch von Thukydides durchaus als ehrbares Gewerbe der griechischen Frühzeit verstanden wird.30 So etwa erkundigt sich Odysseus in der Unterwelt bei Agamemnon nach den Gründen für dessen Ableben und zählt die ihm offenbar geläufigsten Todesursachen auf: neben der Tötung im Zuge von räuberischen Aktivitäten wie Viehdiebstahl und Überfälle auf Siedlungen den Schiffbruch.31 Das allgegenwärtige Bild des Schiffsbruchs32 und das Bewusstsein der Gefährlichkeit von Seereisen verleiht der Behauptung des Odysseus, er sei stets begeistert zur See gefahren und habe das Kriegshandwerk geliebt,33 besondere Aussagkraft.34 Neun nautische Unternehmungen, als deren Ziel vage ἄνδρας ἐς ἀλλοδαπούς35 angegeben werden, habe er vor dem Aufbruch nach Troja mit glücklichem Ausgang angeführt, was sein Vermögen und damit sein Ansehen gesteigert habe.36 Von diesen lukrativen Kaperfahrten wird der Zug gegen Ilion deutlich unterschieden. Dieser wurde offenbar nur angetreten, weil eine Verweigerung der Teilnahme den Leumund empfindlich belastet hätte.37 Zeus weckt in Odysseus bald nach der Rückkehr aus Troja den verderblichen Wunsch, nach Ägypten zu segeln. Für diese Expedition scheint es – abgesehen vom Willen des Zeus – tatsächlich keinen 24 25 26 27

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Hom. Od. 8,191. Hom. Od. 8,385–397. Vgl. dazu I. Morris, Gift and Commodity in Archaic Greece, in: Man 21, 1986, 2–7. Vgl. C. O. Pache, Odysseus and the Phaeacians, in: M. Carlisle, O. Levaniouk (Hg.), Nine Essays on Homer, Lanham u.a.1999, 21–34. Hom. Od. 6,262–272. Vgl. H. Warnecke, Die homerische Hafenstadt der Phaiaken – das Idealbild einer frühen ionischen Kolonie?, in: E. Olshausen, H. Sonnabend (Hg.), »Troianer sind wir gewesen« – Migrationen in der antiken Welt. Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 8, 2002, Stuttgart 2002 (Geographica Historica 21), 54–69; A. Wolf, Odysseus im Phaiakenland. Homer in der Magna Graecia, ibid., 20–53. Vgl. E. Ziebarth, Beiträge zur Geschichte des Seeraubs und Seehandels im alten Griechenland, Hamburg 1929; H. Kaletsch, Seeraub und Seeräubergeschichten des Altertums. 2000 Jahre antike Seefahrt und Piraterie zwischen Adria und Ostmittelmeer, in: H. Kalcyk (Hg.), Studien zur Alten Geschichte. Festschrift für S. Lauffer, Bd. 2, Rom 1986, 471–500; P. de Souza, Piracy in the Graeco-Roman World, Cambridge 1999; R. Schulz, Die Antike und das Meer, Darmstadt 2005. Hom. Od. 3,71–74; 9,252–254. Thuk. 1,5. Hom. Od. 11,397–403. Siehe J. Kahlmeyer, Seesturm und Schiffbruch als Bild im antiken Schrifttum, Hildesheim 1934; J. M. Hurwit, The Shipwreck of Odysseus: Strong and Weak Imagery in Late Geometric Art, in: AJA 115, 2011, 1–18. Hom. Od. 14,224–227. J. M. Bremer, Odysseus en de zee, in: Hermeneus 73, 2001, 180–185. Hom. Od. 14,231. A. H. Jackson, War and Raids for Booty in the World of Odysseus, in: F. Rich, G. Shipley (Hg.), War and Society in the Greek World, London/New York 1993, 64–76. Hom. Od. 14,239: χαλεπὴ δ’ ἔχε δήμου φῆμις.

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zwingenden Grund38 zu geben. Sie endet – obwohl unter idealen Reisebedingungen angetreten – fatal. Der Kontext dieses enthusiastischen Lobpreises auf die Seefahrt hingegen sollte in jedem Fall nachdenklich machen. Das Bekenntnis ist nämlich in die Lügengeschichte eingebettet,39 die den sich als Kreter ausgebenden Helden nach Ägypten40 reisen lässt. Über den angeblichen Aufenthalt im Land der Pharaonen wird zweimal in vergleichbarer Weise berichtet.41 Auch in der mit Details geizenden Version wird die Fahrt auf Wunsch des Göttervaters angetreten. Allerdings werden die Mitreisenden hier schonungslos als Räuber, die weit herumgekommen sind, diskreditiert.42 Fraglos dient die Fahrt nach Ägypten dem Erwerb von Beute, wie die in beiden Berichten identisch geschilderte Vorgehensweise der nunmehr erstaunlicherweise zu treuen Gefährten mutierten Crew43 zwingend nahelegt. Beim Ausplündern des Landes werden die Männer erschlagen, Frauen und Kinder verschleppt.44 Derartige Erzählungen und der omnipräsente Einsatz der Schiffsmetaphorik scheinen nahezulegen, diese Form der Mobilität als das prägende Lebensgefühl der gesamten Epoche schlechthin zu interpretieren. Dennoch war das Gefahrenpotenzial von Seereisen jedermann bestens bekannt und die leidvollen Erlebnisse des Odysseus mochten hinlänglich und ausreichend zur Abschreckung dienen. Klagen über an die See verlorene Menschen finden sich auch in den Gedichten des Archilochos.45 So wird der Tod seines Schwagers bei einem Schiffsunglück heftig betrauert. Als besonders schmerzlich wird die Tatsache empfunden, dass man beim Tod durch Ertrinken keinen Leichnam bestatten kann.46 Aus diesem Grund wünscht man einem guten Freund, der zur See fährt, eine glückliche Heimkehr47 oder imaginiert etwa, den Gefährten bei einem Schiffbruch oder im kriegerischen Handgemenge verloren zu haben.48 Die Frage nach dem Motiv für Reisefreudigkeit unter derartig widrigen Umständen beantworten die Dichter meist unverblümt selbst. So erklärt Solon in der Musenelegie die Gier nach Reichtum zur treibenden Kraft. Die Seefahrt wird schonungslos als gefährliche, wenngleich attraktive Alternative zu anderen Einnahmequellen – wie etwa dem beschwer38 39

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Hom. Od. 14,245f.: αὐτὰρ ἔπειτα Αἴγυπττόνδε με θυμὸς ἀνώγει ναυτίλλεσθαι. Vgl. dazu A. J. Haft, Odysseus, Idomeneus and Meriones: The Cretan Lies of Odysseus 13–19, in: ClJ 79, 1983/84, 289–306; J.-U. Schmidt, Die Lügenerzählungen des Odysseus als Spiegel eines neuen Weltbildes, Hamburg 2002; C. R. Trahman, Odysseus’ Lies (Odyssey, Books 13–19), in: Phoenix 6, 1952, 31–43; P. Walcot, Odysseus and the Art of Lying, in: L. E. Doherty, Homer’s Odyssey, Oxford 2009, 135–154; G. Blümlein, Die Trugreden des Odysseus, Diss. Frankfurt, 1970; C. Emlyn-Jones, True and Lying Tales in the Odyssey, in: G&R 33, 1986, 1–10. Vgl. dazu A. v. Lieven, Fiktionales und historisches Ägypten. Das Ägyptenbild der Odyssee aus ägyptologischer Perspektive, in: A. Luther (Hg.), Geschichte und Fiktion in der homerischen Odyssee, München 2006, 61–75. Eine detaillierte Schilderung findet sich in Hom. Od. 14,257–289, einen knapperen Bericht bietet Hom. Od. 17,425–443. Hom. Od. 17,425f.: ὅς μ᾿ ἅμα ληϊστῆρσι πολυπλάγκτοισιν ἀνῆκεν Αἴγυπτόνδ᾿ ἰέναι. Hom. Od. 17,428. Hom. Od. 17,431–434. Vgl. Archil. 8 West=12 Diehl; 12 West=11 Diehl;13 West=7 Diehl. Archil. 9 West=10,1f. (a) Diehl. Thgn. 691f. West. Archil. 24 West=Treu S. 10.

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lichen Ackerbau – geschildert.49 Hier werden Gedanken artikuliert, die bereits Hesiod präfiguriert hat, der dem riskanten Broterwerb auf hoher See misstraut50 und warnt: δεινὸν δ’ ἐστὶ θανεῖν μετὰ κύμασιν.51 Auch von Theognis wird die prinzipiell als suspekt verworfene Seefahrt als letztes Remedium zur Behebung einer aussichtslos gewordenen finanziellen Misere akzeptiert.52 Beide Autoren können hierin mit persönlichen negativen Erfahrungen aufwarten. Über die Ursachen der pekuniären Notlage des Theognis erfahren wir keine Einzelheiten. Den wiederholten Klagen über das Absinken in die gesellschaftliche und politische Bedeutungslosigkeit lässt sich lediglich entnehmen, dass eine Seefahrt für den Verlust seines Vermögens verantwortlich gemacht wird.53 Während es als Charakteristikum des in den homerischen Epen und bei Hesiod geschilderten Prexis-Handels gilt,54 keinen Gewinn zu erwirtschaften, sondern einen gleichwertigen Tausch anzustreben, scheint der meist von betrügerischen Subjekten betriebene Kleinhandel von jeher an die Anwendung von List und Betrug gekoppelt.55 Manche Seefahrer erwiesen sich als vom Glück begünstigt. Ihnen gelang es nicht nur, die Reise unbeschadet zu überstehen, sondern auch, in der Fremde innerhalb kürzester Zeit Reichtum zu scheffeln. Ein Beispiel für finanziell einträgliche Mobilitätsbereitschaft stellt Antimenidas, der Bruder des Alkaios56 dar, der sich als Söldner in babylonischen Diensten verdingt hatte und wohl unter Nebukadnezar während einer Kampagne gegen Palästina bis

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Sol. 1,43–46 Gentili-Prato=1,43–46 Diehl: ὁ μὲν κατὰ πόντον ἀλᾶται ἐν νηυσὶν χρῄζων οἴκαδε κέρδος ἄγειν ἰχθυόεντ’ ἀνέμοισι φορεύμενος ἀργαλέοισιν, φειδωλὴν ψυχῆς οὐδεμίαν θέμενος. Zum Phänomen der Nautilia vgl. Hes. erg. 618–645 und 663–694 mit der zentralen Aussage von 646–662. Vgl. dazu R. M. Rosen, Poetry and Sailing in Hesiod’s Works and Days, in: ClAnt 9, 1990, 99–113, der den Einsatz von nautischem Vokabular in metaphorischer Verwendung für die Dichtkunst interpretiert. Vgl. dazu D. T. Steiner, Nautical matters: Hesiod’s Nautilia and Ibycus Fragment 282 PMG, in: CPh 100, 2005, 347–355. Hes. erg. 686f. Thgn. 179f. West: χρὴ γὰρ ὁμῶς ἐπὶ γῆν τε καὶ εὐρέα νῶτα θαλάσσης δίζησθαι χαλεπῆς, Κύρνε, λύσιν πενίης. Siehe auch Thgn. 511–516 West. Zum Handel und seinen lukrativen Möglichkeiten vgl. auch I. Hahn, Foreign Trade and Foreign Policy in Archaic Greece, in: P. Garnsey, C. R. Whittaker (Hg.), Trade and Famine in Classical Antiquity, Cambridge 1983, 30–36; C. M. Reed, Maritime Traders in the Archaic Greek World: A Typology of those engaged in Long-Distance-Transfer of Goods by Sea, in: AncW 10, 1984, 31–43; M. I. Finley, Ἔμπορος, Ναύκληρος; Κάπελος: A Prolegomena to the Study of Athenian Trade, in: CP 30, 1935, 320–336. Thgn. 1200–1203 West: ὅττι μοι εὐανθεῖς ἄλλοι ἔχουσιν ἀγρούς, οὐδέ μοι ἡμίονοι κυφὸν ἕλκουσιν ἄροτρον †τῆς ἄλλης μνηστῆς† εἵνεκα ναυτιλίης. A. Mele, Il Commercio greco arcaico: Prexis ed Emporie, Neapel 1979, bes. 45–52 und 58–78. Vgl. dazu B. Bravo, Commerce et noblesse en Grèce archaïque. A propos d’un livre d’Alfonso Mele, in: DHA 10, 1984, 99–160. Ein Verfall der älteren Handelsmodelle korrespondiere mit einer generellen Krise der Aristokratie. Siehe dazu A. Mele, Pirateria, commercio e aristocrazia: replica a Benedetto Bravo, in: DHA 12, 1986, 67–109. Dass es sich bei Antimenidas nicht um einen atypischen Einzelfall handelt, legt I. Weiler, Soziogenese und soziale Mobilität im archaischen Griechenland. Gedanken zur Begegnung mit den Völkern des Alten Orients, in: Chr. Ulf (Hg.), Wege zur Genese griechischer Identität. Die Bedeutung der früharchaischen Zeit, Berlin 1996, 211–239, hier 220, nahe. Vgl. dazu D. W. Tandy, Trade and Commerce in Archilochos, Sappho, and Alkaios, in: R. Rollinger, Chr. Ulf (Hg.), Commerce and Monetary Systems in the Ancient World: Means of Transmission and Cultural Interaction, München 2004, 183–194.

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Askalon57 im Philisterland gekommen war.58 Der Zurückkehrende wurde von Alkaios wegen seiner militärischen Heldentaten überschwänglich gerühmt. Die Beschreibung des kostbaren Schwertes, das der Bruder führt, ist der sichtbare Ausdruck der von ihm erbrachten Leistung.59 Auch ein anderer Mann aus Mytilene war weit in der Welt herumgekommen und bis nach Ägypten gelangt. Charaxos, der Bruder der Dichterin Sappho, war als Weinhändler zu großem Wohlstand gelangt.60 Bei den hier erwähnten Exempla handelt es sich keinesfalls um von finanzieller Bedrängnis getriebene Auswanderer. Allerdings könnte in beiden Fällen die politische Haltung der Männer dafür ausschlaggebend gewesen sein, sie nachdrücklich zum Verlassen der Polis zu animieren. Als beeindruckendes Indiz für frühe Mobilität mag das Graffito gelten, das griechische Söldner am linken Bein einer Kolossalstatue von Ramses II. am Großen Tempel von Abu Simbel hinterlassen haben.61 Die Soldaten einer Garnison hatten sich bei einer Expedition nach Äthiopien unter Psammetich II. daselbst verewigt.62 Abgesehen von den bereits geschilderten Exempla von Privatinitiative zur Mobilität, die sich in räuberischen Überfällen, Handelsaktivitäten und Söldnerdiensten manifestierte, konnte auch die Gemeinschaft die Aussiedlung von Individuen oder größeren Gruppen erzwingen. So wurde im Zuge eines geplanten Kolonisationsunternehmens von Thera rigoros darauf geachtet, dass die für die Überfahrt bestimmten Bürger auch tatsächlich nach Kyrene abreisten. Eine Weigerung wurde mit Tod und Vermögenseinzug geahndet. Dieselbe Strafe sollte denjenigen treffen, der dem Flüchtigen Unterschlupf gewährte.63 57

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Vgl. dazu J. D. Quinn, Alcaeus 48 (B 16) and the Fall of Ascalon (604 B.C.), in: BASOR 164, 1961, 19–20. Vgl. P. W. Haider, Griechen im Vorderen Orient und in Ägypten bis ca. 590, in: Ulf, Identität (wie Anm. 56), 97–115, hier 93f. Alk. 48 Voigt. Siehe dazu W.-D. Niemeier, Archaic Greeks in the Orient. Textual and archaeological evidence, in: BASOR 322, 2001, 11–32. Zum Einsatz griechischer Söldner vgl. M. Bettalli, I mercenari nel mondo greco. Dalle origini alla fine del V sec. a.C., Pisa 1995; N. Luraghi, Traders, Pirates, Warriors: The Proto-History of Greek Mercenary Soldiers in the Eastern Mediterranean, in: Phoenix 60, 2006, 21–47; M. F. Trundle, Identity and Community among Greek Mercenaries in the Classical World: 700–322 BCE, in: The Ancient History Bulletin 13, 1999, 28–38; D. W. Tandy, Warriors into Traders: The Power of the Market in Early Greece, Berkeley 1997. Vgl. Hdt. 2,134f.; Strab. 17,1,33. Siehe dazu A. Möller, Naukratis: Trade in Archaic Greece, Oxford 2000, 55; K. A. Raaflaub, Archaic Greek Aristocrats as Carriers of Cultural Interaction, in: Rollinger, Ulf, Commerce and Monetary Systems (wie Anm. 56), 197–212, hier 210f. K. Brodersen, W. Günther, H. H. Schmitt, Historische griechische Inschriften in Übersetzung, Bd. 1, Darmstadt 1992, Nr. 8. Vgl. dazu M. P. J. Dillon, A Homeric Pun from Abu Simbel (Meiggs & Lewis 7A), in: ZPE 118, 1997, 128–130; O. Hansen, On the Greek Graffiti at Abu Simbel concerning the Campaign of Psammetichus II in Ethiopia, in: ZÄS 111, 1984, 84; H. Hauben, Das Expeditionsheer Psametiks II. in Abu Simbel (593/92 v.Chr.), in: K. Geus, K. Zimmermann (Hg.), Punica-Libyca-Ptolemaica. Festschrift für W. Huß, Leuven 2001, 53–77. Eine ausführliche Diskussion der epigraphischen Evidenz bietet P. W. Haider, Griechen im Vorderen Orient und in Ägypten bis ca. 590, in: Ulf, Identität (wie Anm. 56), 97–115, hier 104–109; ders., Kontakte zwischen Griechen und Ägyptern und ihre Auswirkungen auf die archaisch-griechische Welt, in: R. Rollinger, Chr. Ulf (Hg.), Griechische Archaik. Interne Entwicklungen–Externe Impulse, Berlin 2004, 447–491; G. Vittmann, Ägypten und die Fremden im ersten vorchristlichen Jt., Mainz 2003, hier 201–211. Brodersen u.a., Historische griechische Inschriften (wie Anm. 61), Nr. 6. Vgl. dazu etwa K. Zimmermann, Libyen. Das Land südlich des Mittelmeers im Weltbild der Griechen, München 1999, 136 Anm. 540 und die dort gesammelte Literatur. Siehe auch H. Barta, Zum Umgang mit

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In den seltensten Fällen fanden die Auswanderer ein Schlaraffenland vor. So etwa kritisiert Hesiod seine neue Heimat Askra als ein zu jeder Jahreszeit unangenehmes und elendes Nest.64 Auch Archilochos kann sich offensichtlich nicht für die landschaftliche Schönheit von Thasos erwärmen, wenn er lästert: »Die Insel liegt da wie der struppige Rücken eines Esels, dicht bedeckt von wildwachsendem Gestrüpp«65 und feststellt: »Es ist nämlich kein schöner, lieblicher und reizender Ort wie die Landschaft am Fluss Siris«.66 Die geographischen Anspielungen in den Gedichten des Archilochos ermöglichen Tandy zufolge67 eine Rekonstruktion seiner beachtlichen Mobilität. Zu welchem Zweck der Dichter Unteritalien bereist haben mag – ob als Söldner oder als Kaufmann – lässt sich nicht beantworten. Das kolonisatorische Engagement der Parier in Thasos,68 an dem sich zwischen 660 und 650 auch Archilochos beteiligt hat, wird gänzlich unprätentiös und realsistisch charakterisiert: Πανελλήνων ὀϊζὺς Θάσον συνέδραμεν.69 Mit dieser Aussage lässt sich die von Kritias erhobene Anschuldigung, Archilochos habe seine Heimat διὰ πενίαν καὶ ἀπορίαν70 verlassen, in Einklang bringen. Das auch an anderer Stelle71 beklagte Schicksal der Thasier vermag das Heimweh des Dichters nach Paros zu erklären, der sich ermahnen muss: »Denk nicht an Paros, seine Feigen und das Leben am Meer«.72 Die Gründe für einen vermutlich nicht immer freiwillig vollzogenen Ortswechsel lassen sich bei den meisten Autoren nicht verbindlich eruieren. Ob Archilochos tatsächlich in die Armutsfalle getappt war, wie der Dichter den Leser glauben machen will, und unter finanziellem Druck ins unwirtliche Thasos gelangte, lässt sich keinesfalls mit Sicherheit entschei63

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›Rechtskollisionen‹ im archaischen Griechenland, in: R. Rollinger, H. Barta (Hg.), Rechtsgeschichte und Interkulturalität. Zum Verhältnis des östlichen Mittelmeerraums und ›Europas‹ im Altertum, Wiesbaden 2007, 31–116, hier 68–71. Siehe auch F. Bernstein, Konflikt und Migration. Studien zu griechischen Fluchtbewegungen im Zeitalter der sogenannten großen Kolonisation, Mainz 2002, 180–187. Hes. erg. 638f. Archil. 21 West=18,1f. Diehl. Archil. 22 West=18,3f. Diehl. Vgl. dazu L. Castelnuovo Moscati, Siris. Tradizione storiografica e momenti della storia di una città della Magna Grecia, Bruxelles 1989; E. Stein-Hölkeskamp, Im Land der Kirke und der Kyklopen. Immigranten und Indigene in den süditalischen Siedlungen des 8. und 7. Jh. v.Chr., in: Klio 88, 2006, 311–327; F. Mosino, ›Siris potamos‹ (Nota ad Archil. 18 D.), in: Quaderni Urbinati di cultura classica 20, 1975, 157–158. Tandy, Trade and Commerce (wie Anm. 56), 186f. Vgl. S. Owen, Of dogs and men: Archilochos, archaeology and the Greek settlement of Thasos, in: Proceedings of the Cambridge Philological Society 49, 2003/04, 1–18; J. Pouilloux, Archiloque et Thasos: Histoire et Poésie, in: J. Pouilloux (Hg.), Archiloque. Sept Exposés et Discussions, Genève 1964, 3–36; C. Gasparri, Archiloco a Taso, in: Quaderni Urbinati di cultura classica 11, 1982, 33–41; M. N. Kontoleon, Archilochos und Paros, in: Pouilloux, Archiloque, 39–86; P. Zaphiropoulou, Paros archaïque et son rôle dans la colonisation du nord de la mer Egée, in: A. Avram, M. Babes (Hg.), Civilisation grecque et cultures antiques périphériques, Bucarest 2000, 130–133. Archil. 102 W.=54 Diehl. Archil. 295a W.=149a Bergk. Diese wenig optimistische Beurteilung des Unternehmens findet ihren Niederschlag auch in der modernen Literatur. Vgl. etwa U. Hölscher, Archilochos der Aussteiger, in: J. Latacz u.a. (Hg.), Das nächste Fremde. Von Texten der griechischen Frühzeit und ihrem Reflex in der Moderne, München 1994, 71–81, hier 72, der von einem »Gemeinschaftsunternehmen verarmter parischer Bürger« spricht. Archil. 20 West=19 Diehl. Archil. 116 West=53 Diehl.

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den. Seine Selbstdarstellung als Söldner, der in jedem Fall für seine Bewaffnung aufzukommen hatte, scheint dagegen zu sprechen. Ebenso kontrovers wird in der Forschung nach wie vor die Funktion seines Vaters Telesikles im Zuge des Kolonisationsunternehmens beurteilt. Während einige Autoren in ihm den kultisch verehrten Oikisten von Thasos sehen,73 bezweifeln andere diesen Status entschieden.74 Fest steht, dass das gewohnte Leben in der Fremde – gleichgültig ob als Gründer einer Ansiedlung, Söldner, geschätzter Gastfreund oder verachteter Flüchtling – bedeutsame Veränderungen erfuhr. Dieser Umstand könnte ebenfalls dafür ausschlaggebend gewesen sein, Oikisten zu Lebzeiten mit Privilegien zu begaben und nach ihrem Tode kultisch zu verehren.75 Man wird mit Sicherheit annehmen dürfen, dass Alkaios, der in 130b Voigt den völligen Ausschluss aus der Gemeinschaft beklagt, nicht gezwungen war, in ärmlichen Verhältnissen zu vegetieren. Weil durch den Ausschluss von ἀγόρα und βόλλα, den Gremien politischer Willensbildung, zu einer »beinahe kyklopischen Existenz«76 gezwungen, bejammert er primär den Verlust der Ausübung seiner politischen Rechte.77 Da er während seines Exils in einem Heiligtum ansässig geworden war, wo lesbische Frauen Schönheitsagone durchführen,78 wurde er genötigt, sich mit der Betrachtung derselben die Zeit zu vertreiben. Der Kummer des Dichters kulminiert fraglos in dem Umstand, nicht nur von seinen Hetairoi getrennt leben zu müssen, sondern zudem noch in die weibliche Lebenswelt verbannt worden zu sein. Auch wenn Theognis das Schicksal eines Verbannten dem Los einer Sklavin vergleicht,79 konzediert er doch, eine angenehme Stadt am Rande der Lethaischen Ebene zu bewohnen. Den bittersten Aspekt der Verbannung macht wohl der Verlust von Gefährten und Freunden aus.80 Auch die Sehnsucht nach dem verlorenen Land, das jetzt andere bestellen dürfen, wird verbalisiert.81 Gleichgültig, ob dies als Folge einer Verbannung aus politischen Gründen eingetreten war oder das Ergebnis einer Fehlspekulation gewesen sein mochte. 73

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Vgl. Zimmermann, Handbuch (wie Anm. 11), 139 und die dort angeführte Literatur. Zur kultischen Verehrung des Archilochos selbst vgl. D. Clay, Archilochos Heros. The Cult of Poets in the Greek Polis, Cambridge (Mass.)/London 2004. Vgl. dazu A. J. Graham, The Foundation of Thasos, in: ABSA 73, 1978, 61–98; Malkin, Religion (wie Anm. 8), 56–59; V. Parker, Untersuchungen zum Lelantischen Krieg und verwandten Problemen der frühgriechischen Geschichte, Stuttgart 1997, 56–59. Zum Phänomen der Oikisten vgl. W. Leschhorn, Gründer der Stadt, Stuttgart 1984; Malkin, Religion (wie Anm. 8), bes. 89, 135–139, 183–186; ders., La Place des dieux dans la cité des hommes. Le découpage des aires sacreés dans le colonies grecques, in: RHR 204, 1987, 331–352; Miller, Kolonisation (wie Anm. 7), 193–199. U. Walter, An der Polis teilhaben. Bürgerstaat und Zugehörigkeit im archaischen Griechenland, Stuttgart 1993, 115. Vgl. dazu D. Page, Sappho and Alcaeus, Oxford 1955, 205; Rösler, Dichter (wie Anm. 15), 279– 281; M. R. Lefkowitz, H. Lloyd-Jones, ΛΥΚΑΙΜΙΑΙΣ, in: ZPE 68, 1967, 9f.; G. Burzacchini, Ancora su ΛΥΚΑΙΧΜΙΑΙΣ (Alc. 130 B, 10 V.), in: M. Capasso (Hg.), Papiri letterari greci e latini, Galatina 1992, 91–94; H. Lloyd-Jones, Alcaeus Fr. 130B, 1–2 Voigt, in: ZPE 108, 1995, 35–37; A. Porro, Un commentario papiraceo ad Alceo e il fr. 130B Voigt, in: Aevum 2, 1989, 215–222; dies., A proposito di Alc. Fr. 130B Voigt, in: Quaderni Urbinati di cultura classica 41, 1992, 23–27. Zu den auch in anderen Quellen erwähnten καλλιστεῖα vgl. Voigt 130b Z17. Thgn. 1212–1216 West. Vgl. etwa Thgn. 209f. West. Ähnlich auch Thgn. 332a–b West. Thgn. 1197–1202 West.

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Durchaus vergleichbar empfanden auch die unter persischem Druck zur Auswanderung nach Alalia gezwungenen Phokaier, wenn Herodot berichtet, dass mehr als die Hälfte der Auswanderer von Heimweh ergriffen den Schwur brachen und nach Phokaia zurückkehrten.82 Anhand der hier vorgestellten Zeugnisse, die selbstredend keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, lässt sich mit Sicherheit ausmachen, dass Mobilität in der literarischen Hinterlassenschaft der archaischen Epoche ein häufig diskutiertes Thema darstellt. Wenngleich sich in den wenigsten Fällen die Beweggründe für den Ortswechsel eindeutig ausmachen lassen, trifft die Generalaussage, der Verlust von Heimat und Gefährten sowie die unzweifelhafte Gefährlichkeit von Seereisen, in allen Fällen zu. Tatsächlich scheinen Belege, die pure Abenteuerlust als Movens angeben, völlig zu fehlen. Sabine Tausend Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde Universitätsplatz 3/II, A-8010 Graz [email protected]

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Hdt. 1,165,15f.: ὑπερημίσεας τῶν ἀστῶν ἔλαβε πόθος τε καὶ οἶκτοσ τῆς πόλιος καὶ τῶν ἠθέων τῆς χώρης.

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Zur Bedeutung des ekecheiria-Personenschutzes für die Pilger (von der archaischen bis zur hellenistischen Zeit)

1. Einleitung Im Rahmen bestimmter religiöser Feste im antiken Griechenland herrschte für einen bestimmten Zeitraum vor, während und nach dem Fest eine Art Waffenruhe, also Festfrieden. In den antiken griechischen Quellen, überwiegend den epigraphischen, ist dieser Festfrieden vor allem mit dem Begriff ekecheiria bezeichnet.1 Manchmal werden weitere Begriffe verwendet, um den Festfrieden bzw. einzelne Funktionen des Festfriedens zu bezeichnen wie die spondai und, seltener, die hieromênia.2 Solange die ekecheiria Geltung fand, genossen sämtliche Pilgergruppen Personenschutz und der Festort, also das Heiligtum und manchmal der Staat, der das Fest veranstaltete, wurden als unverletzlich betrachtet. Kriegerische Auseinandersetzungen und weitere Feindseligkeiten waren den an dem Fest teilnehmenden Stadtstaaten untersagt. Die Anfänge der ekecheiria, sind in der antiken Literatur immer im Zusammenhang mit der Erneuerung des Olympischen Agons und des Festes zu finden, die im 8. Jh. v.Chr. erfolgte,3 wie die antiken Quellen überliefern. Die olympische ekecheiria-Festzeit diente wahrscheinlich als Vorbild für die Einführung bzw. Übernahme eines Festfriedens schon in archaischer Zeit in den übrigen drei panhellenischen Heiligtümern und im eleusinischen Heiligtum. Auch für weitere Feste und Feiern der klassischen, hellenistischen und römischen Zeit, die allerdings keinen panhellenischen Charakter hatten, läßt sich eine ekechei1

Einen Überblick über die ekecheiria im Rahmen griechischer Feste und Feiern geben Fernandez Nieto 1975, I, 147–184 und Lämmer 1982/3, 47–83; weitere Arbeiten konzentrieren sich auf den Festfrieden eines Festes oder einiger Feste, vgl. Weniger 1905, 184–218; Rougemont 1973, 75– 106; Weeber 22000, 138–161; Arafat 2003, 26–33. 2 Der griechische Begriff ekecheiria ist nach allgemeiner Annahme der modernen Forschung aus echein cheiras zusammengesetzt (vgl. Frisk 1960, I, 476 s.v. ἐκεχειρία; Chantraine 1968–1980, 329 s.v. ἐκεχειρία; Adrados 2002, 1355 s.v. ἐκεχειρία, mit zahlreichen Belegen zu den verschiedenen Bedeutungen und Formen von ἐκεχειρία) und wird mit ›Zustand, in dem die Hände zurückgehalten werden‹ übersetzt. In der modernen Forschung ist er (auf Deutsch) mit mehreren Ausdrükken und Begriffen wiedergegeben, wie z.B. ›Heilige Waffenruhe‹, ›Gottesfriede‹, ›Olympischer Friede‹, ›Landfrieden‹, ›Festfrieden‹; vgl. zu dieser Problematik Meier 1993, 62; Wacker 1998, 39–50; Weeber 22000, 141. 3 Hier ist darauf hinzuweisen, daß das Datum 776 v.Chr. für den Beginn bzw. die Erneuerung der Olympischen Spiele eher fiktiv ist. Vgl. zu dieser Thematik Kyrieleis 1992, 20; Lee 1988, 110– 118; Shaw 2003, 242; Crowther 2004a, 3; Scanlon 2004, 60–62; Siebler 2004, 135.

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ria-Festzeit nachweisen. Dieser Festfrieden zählt zu den ältesten Vereinbarungen zwischenstaatlichen Charakters und scheint als völkerrechtliche und sakrale Institution nur für die griechische Geschichte bezeugt zu sein. Im Rahmen dieses Beitrags wird vor allem der Personenschutz, den die ekecheiria-Festzeit den an einem Fest teilnehmenden Pilgern4 gewährleistete, thematisiert.

2. Die Pilgergruppen und die Überregionalität der panhellenischen Heiligtümer Unter Personenschutz standen auch die Festverkünder, also die sogenannten theoroi oder spondophoroi, die das jeweilige Fest und die ekecheiria verkündeten.5 Diese Festverkünder galten als Personen sakralen Charakters6 und genossen in der internationalen Diplomatie besonderen Schutz.7 Die ausgesandten Festverkünder wurden von den sogenannten theorodokoi in der jeweiligen Stadt aufgenommen und in ihren Aufgaben unterstützt.8 Welchen Weg die theoroi genommen haben, ist für das olympische Heiligtum nicht genau bekannt,9 aber für die panhellenischen Heiligtümer in Delphi10 und in Nemea11 läßt er sich aus den sogenannten Theorodokenlisten größtenteils rekonstruieren. Als Pilger12 oder Pilgergruppen werden in der modernen Forschung die offiziellen Festgesandten einer polis, die Wettkämpfer, die Zuschauer, die Pilger im eigentlichen Sinne, die Künstler, die Handwerker und die Händler, die zu einem Fest fuhren, betrachtet.13 In den antiken Quellen gibt es keine einheitliche Bezeichnung für die Pilger oder Pilgergruppen, die zu einem panhellenischen oder einem anderen Fest fuhren. Nur Diogenes Laertios, der das Leben mit einem Fest vergleicht bzw. gleichsetzt, unterscheidet diejenigen, die zu einem Fest kommen in drei Gruppen: diejenigen, die als Wettkämpfer zu diesem kommen, die anderen für den Handel und die besten als Zuschauer.14 In epigraphischen Quellen aus hellenistischer Zeit findet man diejenigen, die zu einem Fest fahren, v.a. mit dem Begriff poreuomenoi, also ›Reisende‹, bezeichnet.15 4 5

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Rougemont 1973, 101f.; Siebler 2004, 198. Die Festverkünder griechischer Feste sind unter mehreren Bezeichnungen in den antiken Quellen zu finden. Die häufigsten sind theoros und spondophoros: Boesch 1908; speziell zu den spondophoroi: Fernandez Nieto 1975, I, 162–173. Der Begriff spondophoros wurde entweder von den spondai, also dem Festfrieden, oder von der Opferspende abgeleitet; vgl. dazu etwa Baltrusch 1994, 119 mit Anm. 167. Schlesinger 1933, 31 mit Anm. 3; Panagiotopoulos 1991, 55 mit Anm. 171. Vgl. dazu Oehler 1921, 354; Mosley 1973, 84–89; Fernandez Nieto 1995, 175. Brelich 1988, 113, bringt die Unverletzlichkeit, die die spondophoroi genossen, mit der ekecheiria in Verbindung. Zur Institution der theorodokia, siehe v.a. Perlman 2000. Vgl. dazu Perlman 2000, 63–66; Siewert 2002, 361–368. Zu den delphischen Theorodokenlisten, bzw. zu den theorodokoi des pythischen Festes, siehe v.a. die umfassende Untersuchung von Oulhen 1992, 20–134, ferner Daux 1980, 318–323. Perlman 2000, 99–131. Für das Pilgertum in der griechischen Antike ist die Studie von Dillon 1997 das Standardwerk. Zu den Gruppen der (Fest-)Besucher in Olympia, siehe v.a. Weiler 1997, 195–202, 209–213. Diog. Laert. 8,8,9: καὶ τὸν βίον ἐοικέναι πανηγύρει· ὡς οὖν εἰς ταύτην οἱ μὲν ἀγωνιούμενοι, οἱ δὲ κατ’ ἐμπορίαν, οἱ δέ γε βέλτιστοι ἔρχονται θεαταί.

Zur Bedeutung des ekecheiria-Personenschutzes für die Pilger

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Es stellt sich in diesem Rahmen die Frage, wie sämtliche Pilgergruppen zum jeweiligen Heiligtum und nach Ablauf des Festes wieder in ihre Heimatorte zurückgelangten. Über ihre Reisen ist kaum etwas überliefert. Aus welchen Städten aber die Pilgergruppen zum jeweiligen Festort kamen, läßt sich aus literarischen, epigraphischen (Weihungen, Theorodokenlisten, Siegerlisten) und archäologischen Zeugnissen (Weihungen, Schatzhäuser) größtenteils rekonstruieren. Dabei ist zu erkennen, daß sich die Überregionalität der panhellenischen Heiligtümer und des eleusinischen Heiligtums auch auf Regionen außerhalb des griechischen Festlands erstreckte. Aus einem um 500 v.Chr. entstandenen Dokument beispielsweise wird deutlich, daß es in Olympia besondere Regelungen für Besucher gegeben hat, die nicht vom griechischen Festland, sondern von der Adriaküste bis Epidamnos sowie auch aus Kreta und Libyen kamen.16 Eine lex sacra aus Selinunt von etwa 460–450 v.Chr. bezeugt,17 daß das olympische Fest und sein Festfrieden Akzeptanz unter den Westgriechen fand,18 was auch durch die Existenz von Schatzhäusern westgriechischer Städte in Olympia bestätigt wird.19 Diese Quellen bestätigen gleichzeitig, daß das Heiligtum von Olympia spätestens Ende der archaischen Zeit als panhellenisch galt und einen breiten Wirkungskreis hatte, der sogar die entferntesten Regionen der damaligen griechischen Welt umfaßte. Die Überregionalität des pythischen Festes bezeugen vor allem die Theorodokenlisten aus hellenistischer Zeit.20 Daraus wird deutlich, daß sich mehrere Gesandtschaften auf bestimmte geographische Hauptstrecken aufteilten. So war eine für Ionien, eine andere für Böotien und die Peloponnes, eine dritte für Thessalien und Makedonien, eine weitere für Kreta und die Kyrenaika vorgesehen.21 Allerdings dürfte es in den ersten Jahrzehnten des 6. Jh. v.Chr. vor allem von den Städten des griechischen Festlands aus besucht worden sein – schließlich stammen die Theorodokenlisten aus dem 3. Jh. v.Chr.22 Daß das delphische Heiligtum und sein Fest einen großen Wirkungskreis hatten, wird auch durch die pythischen Siegerlisten bestätigt,23 die möglicherweise älter sind als die Theorodokenlisten. Die Sieger bei den Pythia stammten aus Unteritalien und Sizilien, vom griechischen Festland, aus Kleinasien und von den griechischen Inseln und auch aus Nordafrika. Das panhellenische Heiligtum am Isthmos wurde ebenfalls von Pilgern aus weiten Regionen der damaligen griechischen Welt besucht. Davon geben vor allem die Siegerlisten 15 16 17

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Siehe z.B. CID IV 33 Z. 5f.; IG VII 4135 Z. 1; FdD III.1 351, Z. 19; FdD III.4.4 359, Z. 6; IG XII.7 22 Z. 28f.; IG XII.7 241 Z. 8, 16; IG XII Suppl. 330, Z. 36. Vgl. Siewert 2006, 48–51. Vgl. Jameson, Jordan, Kotansky 1993. Die Besonderheit bei dieser lex sacra ist, daß es sich nicht nur um den frühesten inschriftlichen Beleg der olympischen ekecheiria außerhalb von Olympia, sondern um den frühesten Beleg des Begriffes ekecheiria überhaupt, handelt. Zu den besonderen Beziehungen zwischen Olympia und den Westgriechen, vgl. z.B. Philipp 1992, 29–51; Pugliese Carratelli 1992, 297, 303f., 306; Philipp 1994, 78–92; Sinn 1996, 30– 32. Zu den Schatzhäusern westgriechischer Städte in Olympia, vgl. z.B. Herrmann 1992, 25–32; Philipp 1992, 45; Giangiulio 1993, 103–107; Siebler 2004, 23, 157. Vgl. Plassart 1921, 1–85. Picard 1989, 76, nennt auch die Krim. Zu den delphischen Theorodokenlisten, siehe v.a. die umfassende Untersuchung von Oulhen 1992, 20–134; vgl. dazu Daux 1980, 318–323; Dillon 1990, 69–72, 74–76, 82, 88. Zu den Siegern bei den pythischen Spielen vgl. z.B. Ebert 1972, Nr. 13, 15, 20, 25f., 31, 34–37, 39, 43–47, 50, 53f., 58, 62, 71, 73B, 81; Klee 1918, 76–88.

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Zeugnis,24 die ein breites Spektrum von der archaischen bis zur römischen Zeit umfassen. Aus einer Stelle bei Aelius Aristeides25 erfährt man, daß auf dem Isthmos, außer dem panhellenischen Fest noch ein Markt,26 eher in römischer Zeit, stattgefunden hat, der den Handelsverkehr begünstigte; dies dürfte auch zu der breiten Akzeptanz des Heiligtums beigetragen haben. Aus der Isthmischen Rede des Dion Chrysostomos erfährt man, daß Besucher u.a. aus Sizilien, Italien, Libyen und Marseille zum Fest kamen.27 Die Überregionalität des nemeischen Heiligtums und des Festes wird durch die nemeischen Siegerlisten deutlich.28 Die Wettkämpfer29 der nemeischen Spiele30 stammen aus mehreren Regionen der damaligen griechischen Welt, v.a. aus den Kolonien in Unteritalien. Die Theorodokenlisten des nemeischen Festes aus hellenistischer Zeit geben einen umfassenden Überblick über die Reiseroute der theoroi der Nemea.31 Daraus geht hervor, daß das Fest in Akarnanien, auf Zypern, auf Korkyra und Leukas, sowie im nordöstlichen Griechenland verkündet wurde.32

3. Der Personenschutz im Rahmen der ekecheiria und die damit verbundenen Regelungen Wie trat in diesem Zusammenhang der Festfrieden in Kraft? An einem Ereignis des Jahres 420 v.Chr., als die Spartaner vom Fest und den Spielen in Olympia ausgeschlossen wurden,33 wird deutlich, daß es keine klare Regelungen zur Geltung des Festfriedens gegeben hat. Denn die Eleer, die für die Verkündung des olympischen Festfriedens und die Organisation des Festes zuständig sind, bringen das Argument, daß der Festfrieden bei ihnen bereits eingetreten sei,34 während die Spartaner behaupten, daß der Festfrieden bei ihnen noch nicht verkündet worden sei.35 Dies zeigt, daß Regelungen die Geltung und das Eintreten der ekecheiria betreffend, mit rechtlichen Lücken verbunden waren. Die Annahme der

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Vgl. Krause 1841, 209–221; Klee 1918, 88–98, der speziell die Sieger bei den gymnischen Agonen am Isthmos angibt; zu den Siegern bei den isthmischen Spielen vgl. Ebert 1972, Nr. 7, 15, 20, 26, 30, 35f., 39f., 43f., 46, 50, 54, 56, 60, 67, 78f., 81. Aristeid., Isthmikos eis Poseidona 23,5–7: ἔστι γὰρ οἷον ἀγορά τις καὶ αὐλὴ κοινὴ τῶν Ἑλλήνων καὶ πανήγυρις. Vgl. Gebhard 1993, 168, 170. Zum Aspekt des Marktes im Rahmen eines religiösen Festes: de Ligt, de Neeve 1988, 391–416. Dion Chrys. 9,5 (Isthmikos): τῶν δὲ ἄλλων οἱ μακρόθεν μάλιστα προσῄεσαν πρὸς αὐτόν, ἀπὸ τῆς Ἰωνίας τε καὶ Σικελίας καὶ Ἰταλίας ὅσοι παρῆσαν καὶ τῶν ἐκ Λιβύης τινὲς καὶ τῶν ἐκ Μασσαλίας καὶ ἀπὸ Βορυσθένους. Zu den Siegern bei den gymnischen Agonen an den Nemea: Klee 1918, 98–108. Zu den Siegern bei den nemeischen Spielen: Ebert 1972, Nr. 2, 8, 10, 15, 20, 25f., 34–37, 39, 43f., 50, 56–58, 64, 68–70, 74, 77f., 81. Zu den Siegern bei den nemeischen Spielen im allgemeinen: Krause 1841, 147–164. Vgl. Charneux 1966a, 156–239; 1966b, 710–714. Ausführlich zu der Reiseroute der nemeischen theoroi: Perlman 2000, 105–131. Thuk. 5,49f. Thuk. 5,49,3: Ἠλεῖοι δὲ τὴν παρ’ αὐτοῖς ἐκεχειρίαν ἤδη ἔφασαν εἶναι (πρώτοις γὰρ σφίσιν αὐτοῖς ἐπαγγέλλουσιν). Thuk. 5,49,2f.: Λακεδαιμόνιοι δὲ πρέσβεις πέμψαντες ἀντέλεγον μὴ δικαίως σφῶν καταδεδικάσθαι, λέγοντες μὴ ἐπηγγέλθαι πω ἐς Λακεδαίμονα τὰς σπονδάς, ὅτ’ ἐσέπεμψαν τοὺς ὁπλίτας.

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ekecheiria erfolgte freiwillig,36 sie war jedoch für alle Städte37 unabdigbare Voraussetzung für die Teilnahme am Fest und am Agon: Schließlich handelte es sich bei der ekecheiria um eine Vereinbarung zwischenstaatlichen Charakters38 und in diesem Rahmen mußte der Vertrag erneuert und der Eid bei der Bestätigung der Annahme der ekecheiria durch ein Weinopfer39 zwischen den Vertretern des jeweiligen Staates und den Festverkündern des jeweiligen Festes, neu geleistet werden, wie es im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr üblich war.40 Die Dauer der ekecheiria war in jeder Epoche und je nach Fest unterschiedlich.41 Allerdings gibt es diesbezüglich nur wenige Informationen in den antiken Quellen. Daß der Personenschutz, solange der Festfrieden eines panhellenischen Festes dauerte, generell respektiert wurde, zeigt das Beispiel des Atheners Phrynon aus Ramnous,42 der im Jahr 348 v.Chr. auf dem Weg nach Olympia – in welcher Funktion ist nicht klar – von makedonischen Soldaten oder Räubern während des olympischen Festfriedens43 gefangen genommen44 und gegen ein Lösegeld wieder freigelassen wurde.45 Eine athenische Delegation bat Philipp II. um Rückzahlung des Lösegeldes; er bestritt die Tat nicht, brachte aber das Argument, daß die Soldaten nicht gewußt hätten, daß die heilige Festzeit zum Zeitpunkt der Gefangennahme bereits eingetreten sei.46 Dieses Ereignis dürfte aufgrund der zeitgenössischen politischen Verhältnisse in Athen nicht unbemerkt geblieben sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Schilderung in den Quellen: Aischines überliefert, daß Phrynon von Räubern gefangengenommen wurde, wie Phrynon selbst behauptet hat;47 Demosthenes dagegen erwähnt, daß Phrynon von Soldaten Philipps II. festgehalten wurde. Auch wenn Philipp II. eher aus diplomatischen Gründen gehandelt hat und indirekt die In36

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Vgl. dazu Aischin. leg. 133; 138, der darüber berichtet, daß die Phokeer im Jahr 346 v.Chr. die einzigen von den Griechen waren, die den Festfrieden der kleinen Mysterien nicht angenommen haben. IG I3 6A Z. 25–32, B Z. 8–17, 27–36. Darauf deutet die Formulierung ἐν σπονδαῖς hin, die bei mehreren Autoren zu finden ist und unter der ein Vertragsbruch zu verstehen ist, vgl. z.B. Thuk. 3,65,1; 5,49,1; 5,49,3; Aischin. leg. 12,7; Plut. Agesilaos 23,6. Vgl. dazu Citron 1965, 32–33; Fernandez Nieto 1995, 179 mit Anm. 37. Zur Rolle der theoroi bei den Opferhandlungen: Dillon 1997, 20–22. Zum Aspekt des Eides bei vertraglichen Vereinbarungen: Baltrusch 1994, 60–62, 111–113; Burkert 1998, 205–212. Eidesleistungen bildeten einen wichtigen Bestandteil des Vertragsschlusses; vgl. Assmann 1906, 21, 24, 88, der v.a. auf das Mittelalter und die Neuzeit Bezug nimmt mit einem kleinen Exkurs zum römischen Recht. Zum Aspekt der Dauer der ekecheiria: Weniger 1905, 209–211; Rougemont 1973, 83 mit Anm. 29; Lämmer 1982/3, 52; Mari 2002, 97 und Anm. 2. Vgl. Aischin. leg. 12; Demosthenes, Περὶ τῆς παραπρεσβείας [335; ὑπόθεσις: Butcher]. Aischin. leg. 12: οὐ πολλῷ δ’ ὕστερον χρόνῳ Φρύνων ὁ Ῥαμνούσιος ἑάλω ὑπὸ λῃστῶν ἐν ταῖς σπονδαῖς ταῖς Ὀλυμπικαῖς, ὡς αὐτὸς ᾐτιᾶτο·; Demosthenes, Περὶ τῆς παραπρεσβείας [335; ὑπόθεσις: Butcher]: συνέβη δὲ πάλιν τι τοιοῦτον γενέσθαι. Φρύνων τις Ἀθηναῖος ἀπιὼν Ὀλυμπίασιν ἀγωνισόμενος ἢ θεασόμενος, ἐκρατήθη ὑπό τινων στρατιωτῶν τοῦ Φιλίππου ἐν ἱερομηνίᾳ. Vgl. zu diesem Ereignis Lämmer 1982/3, 63f.; Badian, Heskel 1987, 265–269; Dillon 1995, 250–254; Carey 2000, 97f. mit Anm. 17; Mari 2002, 96f., 328f. Anm. 6; Crowther 2004b, 41f. Aischin. leg. 12; Demosthenes, Περὶ τῆς παραπρεσβείας [335; ὑπόθεσις: Butcher]. Demosthenes, Περὶ τῆς παραπρεσβείας [335; ὑπόθεσις: Butcher]: φιλοφρόνως αὐτοὺς ἐδέξατο ὁ Φίλιππος, ὥστε καὶ τὰ ἀφαιρεθέντα ὑπὸ τῶν στρατιωτῶν πάντα ἀποδοῦναι αὐτῷ καὶ ἐκ τῶν οἰκείων ἄλλα ἐπιδοῦναι, καὶ ἀπολογεῖσθαι ὅτι ἠγνόουν οἱ στρατιῶται ὅτι ἱερομηνία ἐστί. Vgl. dazu Harris 1983, 99f.

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stitution des Festfriedens instrumentalisiert hat, um zu zeigen, daß er den Athenern freundschaftlich gesonnen ist48 und religiöse Institutionen respektiert, läßt sich daraus schließen, daß man bei Brüchen des Personenschutzes während des Festfriedens eines panhellenischen Festes dazu verpflichtet war, dies wieder gutzumachen, vorausgesetzt man hat vorher den Festfrieden angenommen und wollte an dem Fest teilnehmen oder hat an dem Fest bereits teilgenommen. Die theoriai, also die offiziellen Festgesandtschaften, die zu einem panhellenischen Heiligtum fuhren,49 standen ebenfalls unter Schutz.50 Die zu einem religiösen Fest gesandten theoroi galten als unverletzlich, und für den Fall, daß man diese Regel brach, wurden Sanktionen verhängt, wie ein bei Plutarch beschriebenes Ereignis zeigt.51 Die delphische Amphiktyonie verurteilte im 6. Jh. v.Chr. Bewohner von Megara wegen eines Angriffs auf theoroi, die sich auf dem Weg nach Delphi befunden hatten:52 Die theoria kam von der Peloponnes durch das Gebiet der Megarer nach Delphi. Betrunkene Megarer griffen die theoroi an, während sie sich mit Frauen und Kindern beim See zu Aigeiroi aufhielten; dabei kamen viele der theoroi ums Leben.53 Aufgrund der Unordnung ihrer Staatsverfassung versäumten es die Megarer, dieses Vergehen zu bestrafen.54 Da es sich auch um eine ›heilige Gesandtschaft‹ gehandelt hatte, hat die delphische Amphiktyonie für Sanktionen gegen die Täter gesorgt und sie entweder mit Exil oder mit dem Tod bestraft.55 Aus dem bereits erwähnten Ereignis geht hervor, daß es beim Bruch eines internationalen Gesetzes im religiösen Bereich Maßnahmen vorgesehen waren. Dieses Ereignis bildet noch einen Beweis für die Gerichtsbarkeit und die Rechtssprechung, die mit dem Zuständigkeitsbereich der delphischen Amphiktyonie verbunden war.56 Aus den epigraphischen Zeugnissen erfährt man, daß die Amphiktyonie die Verpflichtung hatte, die Sicherheit der nach Delphi reisenden Pilger zu garantieren,57 und wenn Stadtstaaten oder Individuen den Personenschutz für die Pilger und den Festfrieden nicht respektierten,58 erfolgten Sanktionen.59 Die Geld48 49 50 51 52 53 54

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Demosthenes, Περὶ τῆς παραπρεσβείας [335; ὑπόθεσις: Butcher]: καὶ τούτοις πάλιν ὁμοίως ἔλεγεν ὡς φίλος εἰμὶ Ἀθηναίοις. Vgl. Koller 1958, 273–286; Nightingale 2004, 40–71; Rutherford 1998, 131–156; 2004, 170–183. Schlesinger 1933, 31 mit Anm. 3. Plut., Aetia Graeca 304.e.5–304.f.10. Dieses Ereignis wird zwischen 570 und 560 v.Chr. datiert, vgl. z.B. Sánchez 2001, 82. Die von jenen megarischen Frevlern Abstammenden wurden hamaksokylistai genannt; vgl. Plut., Aetia Graeca 304.f.9–10. Vgl. Legon 1981, 130–134, der nicht von einem Festfriedensbruch bzw. einem Bruch eines internationalen Gesetzes spricht, sondern diesen Fall mit der politischen Situation in Megara während dieser Zeit in Verbindung bringt. Plut., Aetia Graeca 304.f.7–10: οἱ μὲν οὖν Μεγαρεῖς δι’ ἀταξίαν τῆς πολιτείας ἠμέλησαν τοῦ ἀδικήματος, οἱ δ’ Ἀμφικτύονες, ἱερᾶς τῆς θεωρίας οὔσης, ἐπιστραφέντες τοὺς μὲν φυγῇ τοὺς δὲ θανάτῳ τῶν ἐναγῶν ἐζημίωσαν. Speziell zur Gerichtsbarkeit der delphischen Amphiktyonie: Lefèvre 1998, 207f., 241–256; Sánchez 2001, 316–335, 408–411, 476–485; CID IV1, 47–49. CID IV, 33 Z. 5–10: τὴν δὲ π]υλαίαν ἄσυλον καὶ ἀσφαλῆ παρεσκεύ/ασαν πᾶσι τοῖς Ἕλλησι τοῖς πορευο]μένοις εἰς τὴν πανήγυριν, κωλύσαν/τες μὲν πάντας ὅσοι ἐσύλησαν τούς τινας ?] ἄγοντας πρὸς τὰς Ἀμφικτυονικὰ[ς / κρίσεις, παρασχόντες δ’ ἀσφάλειαν ? τοῖς] ἐπὶ τὰς δίκας πορευομένοις, καὶ [καθ’ / ἑκάστην πόλιν ὥστ’ εἶναι παρὰ vel ἀπὸ πάντων τ]ὴν ἀσυλίαν πρεσβεύσαντες ὑπέ/[μειναν πᾶσαν κακοπαθίαν ὑπὲρ ? τῶν Α]ἰτωλῶν. Vgl. Lefèvre 1998, 250; CID IV 1, S. 47f.

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strafe war die übliche Maßnahme, die von der delphischen Amphiktyonie ergriffen wurde,60 und die Täter wurden dazu verurteilt, die Hälfte an den delphischen Gott, die andere Hälfte dem Geschädigten zu bezahlen.61 Das Ereignis der Gefangennahme der eleusinischen Festverkünder durch die Trichonier aus dem Jahr 367/6 v.Chr. ist hier von Bedeutung:62 Obwohl die Athener behaupteten, daß der Festfriede vom ätolischen Bund angenommen wurde, haben die Trichonier, Mitglieder des Bundes, zwei athenischen spondophoroi gefangengenommen: Im Text hieß es, daß diese Tat gegen die allgemeinen Gesetze der Griechen begangen wurde. Das Dekret betrifft die Entscheidung der Athener, einen Gesandten aufgrund des Vergehens zum ätolischen Bund63 zu schicken.64 Die Inschrift bestätigt, daß die Festverkünder im Rahmen internationaler Beziehungen während ihrer Reise Personenschutz genossen65 und dies fand allgemein Akzeptanz unter den Griechen.66 Ob die Athener auch bei Nichtannahme des eleusinischen Festfriedens durch das ätolischen koinon Gesandte zu den Ätolern wegen einer Gefangennahme von Herolden geschickt hätten, kann man nur vermuten; denn Herolde generell (und nicht nur die Festverkünder) erfüllten im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr eine wichtige Funktion67 und galten als unantastbar. Der Personenschutz während des Festfriedens des Eleusinischen Festes wurde eindeutig gesetzlich geregelt, wie das eleusinische Sakralgesetz68 aus dem Jahr 460 v.Chr. bezeugt. Dieses Gesetz, das mehrere Regelungen zum Fest der Eleusinia enthält, liefert gleichzeitig den ersten schriftlichen Beleg für einen Festfrieden der Eleusinischen Mysterien. Die Dauer des Festfriedens, zumindest für diese Zeit wird in diesem Gesetz sogar festgelegt: Der Festfrieden der großen Mysterien dauerte vom 15. des Monats Metageitnion bis zum 20. des Monats Pyanopsion. Der Festfrieden der kleinen Mysterien erstreckte sich vom 15. des Monats Gamelion bis zum 19. des Monats Elaphebolion:69 Das ergibt für beide einen Zeitraum von jeweils 55 Tagen.70 Dies ist die einzige sichere Information in den antiken Quellen über 59 60 61 62

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Vgl. Sánchez 2001, 82, 474. FD III 3, 184 (=CID IV 44, Z. 6–8); CID IV 51, Z. 6–9. Vgl. Sánchez 2001, 483 mit Anm. 102. Greek Historical Inscriptions, 2003 (Rhodes, Osborne) 35, Z. 8–18: ἐπε[ι]δὴ Αἰτωλῶν [τ]οῦ κ[ο]ινοῦ δεξαμέ/[ν]ων τὰς μ[υ]στηριώτιδ[α]ς [σ]π[ο]νδὰς τῆς Δήμ/[η]τρος τῆς [Ἐ]λευσινίας καὶ τῆς Κόρης τοὺ/[ς] ἐπαγγείλαντας τὰς σπονδὰς Εὐμολπιδ/ῶν καὶ Κηρύκων δεδέκασι Τ[ρ]ιχονειῆς Πρ/[ό]μαχον καὶ Ἐπιγένην παρὰ τοὺς νόμους τ/[ο]ὺς κοι[ν]οὺς τῶν Ἑλλήνων· ἑλέσθαι τὴμ βο/[υ]λὴν αὐ[τ]ίκα μάλα κήρυκα ἐξ Ἀθηναίων ἁπ/άντων ὅσ[τ]ις ἀφικόμενος πρὸς τὸ κοινὸν / [τὸ Αἰ]τω[λῶν] ἀ[παιτήσει τοὺς] ἄνδρας ἀφεῖ/[ναι. Der eleusinische Festfrieden wurde in diesem Fall von den Verwaltungsorganen des ätolischen koinon und nicht von den einzelnen Städten, aus denen sich das koinon zusammensetzten, angenommen. Deswegen wandte sich der athenische Staat wegen der Verletzung des eleusinischen Festfriedens an das Bundesorgan des ätolischen koinon und nicht an die Trichonier, vgl. dazu Beck 1997, 51, 52 Anm. 46f.; Funke 1997, 145–188. Vgl. dazu Funke 1997, 150f. mit Anm. 20f. auf S. 178. Vgl. Dillon 1997, 10; Giovannini 2007, 54 mit Anm. 166. Vgl. z.B. Schweigert 1939, 5–12, der die Bedeutung dieses Dekrets betont, vgl. v.a. 8. Vgl. z.B. Garlan 1975, 44f. IG I3 6; vgl. dazu Meritt 1945, 61–81; 1946, 249–253; Rougemont 1973, 95–98; Cataldi 1981, 73–146. Zu den altgriechischen Monatsnamen: Trümpy 1997, speziell zu den attischen S. 6–9. Vgl. Weniger 1905, 204 mit Anm. 8; Cataldi 1981, 112f.; Sakurai, Raubitschek 1987, 263f. Zum Festfrieden der kleinen Mysterien und seiner Dauer: Foucart 1914, 297 mit Anm. 2.

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die Dauer eines Festfriedens im Rahmen eines überregionalen religiösen Festes. Wo wurde das Eleusinische Fest eigentlich verkündet und aus welchen Regionen der damaligen Welt kamen die Festbesucher? Aus der Tragödie Triptolemos des Sophokles, die allerdings nur sehr fragmentarisch überliefert ist,71 die im Jahr 468 v.Chr. uraufgeführt wurde, werden mehrere Teile der damaligen Welt als Aussendungsziele des Triptolemos72 genannt: Der Südwesten Italiens, die tyrrhenische Bucht und Ligurien, Illyrien, Karthago, Libyen und das Land der Geten sind genannt.73 Dies könnte auch als Hinweis für die Überregionalität des eleusinischen Festes schon in archaischer Zeit aufgefaßt werden. Aufgrund der Erwähnungen in den antiken Quellen läßt sich noch erschließen, daß der Festfriede von Eleusis im 4. Jh. v.Chr. auf jedem Fall in Phokis,74 in Ätolien75 und auf den ägäischen Inseln76 und in hellenistischer Zeit in Thessalien,77 in Syrien,78 in Kleinasien79 und in Ägypten80 verkündet wurde. Aus dem eleusinischen Sakralgesetz geht hervor, daß der Festfrieden der Eleusinischen Mysterien81 Mitte des 5. Jh. v.Chr. vor allem den Personenschutz umfaßte: In diesem Fall galt die Sicherheit und der Schutz nicht nur für die Pilger und ihr Eigentum, sondern auch für die Personen, die mit irgendeiner Funktion am Fest teilnahmen.82 Außerdem umfaßte der Festfrieden die teilnehmenden Städte und die Athener, die dort ansässig waren bzw. die sich aus welchem Grund auch immer dort aufhielten.83 Nach diesem Beschluß wurde den Städten, die den eleusinischen Festfrieden sowie auch weitere Regelungen des Festes nicht respektierten, der Zugang zum eleusinischen Heiligtum verweigert.84 Die Verweigerung des Zugangs zum Heiligtum bei Verletzungen des Festfriedens scheint üblich gewesen zu sein, denn eine solche Regelung ist noch für zwei weitere überregionale Heiligtümer sicher belegt,85 nämlich für Delphi86 und Olympia.87 71 72

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TrGF Bd. 4, 445–453 F 596–617a. In der modernen Forschung hat man auch die Darstellung des Triptolemos auf attischen Vasen vom 6. bis zum 4. Jh. v.Chr. mit der Überregionalität des Festes und dem Festfrieden in Verbindung gebracht und den Triptolemos selbst als Friedenssymbol verstanden, vgl. dazu Clinton 1992, 80–82; 1994, 166, 168f.; Hayashi 1992, v.a. 73–84. Vgl. TrGF, Bd. 4, F 598, 601–604. Aischin. leg. 2,133f. Schweigert 1939, 5–12. IG II2 1672, Z. 4, 106f., 297. Helly 1973, II., Nr. 109 S. 120–127. Vgl. IG II2 1236, Z. 11–15; möglicherweise handelt es sich um die Stadt Laodikeia in Syrien. IG II2 785, Z. 10–13. Es ist nicht klar, um welche Stadt es geht; vgl. dazu Haake 2007, 134f. Pol. 28,19,4. Der Festfrieden der Eleusinischen Mysterien, ist nur mit dem Begriff spondai (immer im Plural) in den antiken Quellen zu finden; vgl. Sokolowski 1959, 1–7; Clinton 1980, 273, 276f. IG I3 6B Z. 8–17 und 27–36: σ]πονδὰς εἶν/[αι] τοῖσι μύστ/[εσιν] καὶ το[ῖς ἐπ]όπτεισιν [κ/αὶ τ]οῖς ἀκολ[ο/ύθ]οισιν καὶ [χ/ρέ]μασιν τõν [ὀ/θ]νείον καὶ [Ἀθ/ε]ν[α]ίοισιν [h]ά/πασιν· und τ/ὰς δὲ σπονδὰς / εἶναι ἐν τεισ/ι πόλεσιν hό[σ]/αι χρõνται τõ/ι hιερõι καὶ Ἀ/θεναίοισιν ἐ/κεῖ ἐν τεισιν / αὐτεσι πόλεσ/ιν· Zum Aspekt des Personenschutzes im eleusinischen Sakralgesetz, vgl. Baltrusch 1994, 119–121. IG I3 6A Z. 25–32: [........]ολει κα[ὶ] μ[ὲ] νεοτε[ρ/...χρέσθ]ο τõι [hιε]ρõι· [ἐ]ὰν δὲ / [........]ι μὲ χ[ρέσ]θο· ἐὰν δὲ ἰ/[......κ]ατὰ ταὐτὰ ταῦτα· ἐὰν / [....πλε]ῖστον κατὰ τὲν δύνα/[μιν....·] πρᾶχσαι δ’ ἔκπραχ[ν· / ἐὰν δὲ μὲ] ἐγδόι τὸν ὀφλόντα, μ/ὲ χρέσθο] τõι hιερõι. Rougemont 1973, 96f.; Clinton 1994, 163. CID IV 1, Z. 43–49.

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Dieses Verbot des Zugangs zum Heiligtum war von großer Wichtigkeit, denn in diesem Fall ist der Festfrieden als Instrument internationaler Beziehungen zu betrachten. Daß ein solches Gesetz notwendig war, läßt vermuten, daß das eleusinische Heiligtum bereits in archaischer Zeit überregionalen Status erworben hatte88 und daß es von Pilgern griechischer Städte aus weit entfernt gelegenen Regionen der damaligen Welt besucht wurde. Das Recht, Zugang zu den panhellenischen Heiligtümern zu haben, scheint von großer Bedeutung gewesen zu sein und verdient besondere Aufmerksamkeit. Denn es bildete eins der Elemente, die das ›Griechische‹, also das hêllênikon, ausmachten, wie bei Herodot überliefert ist.89 Diese Heiligtümer galten als gesamtgriechisch, d.h. daß sie für jeden, der an dem Fest und den Spielen teilnehmen wollte und die Gesetze diesbezüglich respektierte, zugänglich waren, wie neuerdings Peter Funke in einer weiterführenden Studie noch einmal betont hat.90 Dies scheint auch während des peloponnesischen Krieges von erheblicher Wichtigkeit gewesen zu sein, denn das Recht des Zugangs zu diesen Heiligtümern wird durch die erste Klausel des Nikiasfriedens deutlich zum Ausdruck gebracht:91 »Bezüglich der gemeinsamen Heiligtümer: Wegen der Opfer, Orakelbefragungen und Festfeiern soll nach altem Brauch jedem, der es wolle, freier Zugang zu Wasser und zu Lande garantiert werden«.92 Warum diese Garantieerklärung so wichtig war, läßt sich nur vermuten. Während des Peloponnesischen Krieges kam es anscheinend immer wieder zu Problemen, wenn Pilger in den panhellenischen Heiligtümern Opfer bringen oder die Orakel befragen wollten, und diese Regelung diente dazu, den Angriff auf sämtliche Pilgergruppen zu unterbinden.93 Deswegen war es für beide Vertragspartner anscheinend wichtig, dies vertraglich abzusichern.94

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Thuk. 5,49,1; 5,50,2. Vgl. dazu Clinton 1994, 162f. Hdt. 8,144: αὖτις δὲ τὸ Ἑλληνικόν, ἐὸν ὅμαιμόν τε καὶ ὁμόγλωσσον, καὶ θεῶν ἱδρύματά τε κοινὰ καὶ θυσίαι ἤθεά τε ὁμότροπα. Vgl. Funke 2005, 1–16. Vgl. Funke 2005, 5. Thuk. 5,18,2: περὶ μὲν τῶν ἱερῶν τῶν κοινῶν, θύειν καὶ ἰέναι καὶ μαντεύεσθαι καὶ θεωρεῖν κατὰ τὰ πάτρια τὸν βουλόμενον καὶ κατὰ γῆν καὶ κατὰ θάλασσαν ἀδεῶς. Aus einer Stelle in der Komödie Vögel des Aristophanes, die 414 v.Chr. an den Großen Dionysien aufgeführt wurde, wird deutlich, daß der Zugang zum delphischen Heiligtum während des Peloponnesischen Krieges immer wieder problematisch für die Athener war; vgl. Aristoph. Av. 188f. εἶθ’ ὥσπερ ἡμεῖς, ἢν ἰέναι βουλώμεθα / Πυθώδε, Βοιωτοὺς δίοδον αἰτούμεθα. Daß Bezug auf die Feste genommen wird, ist verwunderlich; denn es ist hier von den gemeinsamen Heiligtümern die Rede und von deren Festen, die ebenfalls als gemeinsam galten, vgl. dazu Thuk. 1,25,4. Der freie Verkehr sämtlicher Pilgergruppen und offiziellen Festgesandtschaften war, solange der Festfrieden dauerte, garantiert. Dies hatte auch während des peloponnesischen Krieges Geltung, wie z.B. aus dem Ereignis des Jahres 420 v.Chr. bei Thuk. 5,49f. hervorgeht. Ob der Festfriede in den ersten Jahren des Krieges und zwar vor dem Abschluß des Nikias-Friedens von den Griechen nicht respektiert wurde, ist nicht überliefert. Vielleicht wurde Bezug auf die panhellenischen Feste genommen, weil sie anscheinend auch zu diesem alten Brauch (kata ta patria) zusammen mit der Orakelbefragung und den Opferhandlungen gehörten. Außerdem wurde der Festfrieden von den Städten, die an einem Fest nicht teilnahmen, nicht immer angenommen (vgl. Aischin. leg. 133; 138), und dies machte wahrscheinlich eine vertragliche Regelung umso notwendiger.

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Ein bei Plutarch95 beschriebenes Ereignis aus hellenistischer Zeit zeigt, daß der Personenschutz für die Festteilnehmer nicht immer respektiert wurde. Während des nemeischen Festes des Jahres 235 v.Chr., haben die Achaier die Wettkämpfer des achaischen Bundesstaates, welche an den Wettkämpfen in Argos teilgenommen hatten und nachher in ihre Hände fielen, als Kriegsgefangene bzw. als Feinde verkauft.96 Bei Plutarch ist von der den Wettkämpfern gewährten Sicherheit und Unverletzlichkeit die Rede. Dieses Ereignis wird in der Forschung als Verletzung des Festfriedens betrachtet.97 In diesem Kontext, kommt der Begriff ekecheiria nicht vor; vielmehr ist von ἀσυλία98 und ἀσφάλεια die Rede. Der Begriff δεδομένη im Text läßt keinen Zweifel daran, daß die den Wettkämpfern gewährte Unverletzlichkeit und Sicherheit selbstverständlich gewesen wäre. In hellenistischer Zeit hat es Gesetze und Maßnahmen gegeben, die den Personenschutz für die Teilnehmer eines Festes regelten. Aus einem Amphiktyoniebeschluß99 ca. 228–226 v.Chr.100 wird deutlich, daß die delphische Amphiktyonie Sanktionen ergreifen kann, falls es Verstöße gegen die ekecheiria und/oder die asylia und den damit verbundenen Personenschutz des Festes des Apollon Ptoios101 in Theben geben sollte.102 Aus dem Text erfährt man, daß das gewaltsame Wegführen von Personen und Sachen der Pilger während des Festes103 – solange die asphaleia und die ekecheiria Geltung hatten – verboten war und derjenige, der gegen diese Regelung verstößt, wird von den Amphiktyonen zur Rechenschaft gezogen. 95

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Plut. Aratos 28,5f.: οὐ μὴν ἀλλὰ τῇ περὶ τὴν ὁμιλίαν καὶ πολιτείαν ἐμπειρίᾳ καὶ χάριτι τὴν διαμαρτυρίαν ταύτην ἀναμαχόμενος προσηγάγετο τὰς Κλεωνὰς τοῖς Ἀχαιοῖς, καὶ τὸν ἀγῶνα τῶν Νεμείων ἤγαγεν ἐν Κλεωναῖς, ὡς πάτριον ὄντα καὶ μᾶλλον προσήκοντα τούτοις. Ἤγαγον δὲ καὶ Ἀργεῖοι καὶ συνεχύθη τότε πρῶτον ἡ δεδομένη τοῖς ἀγωνισταῖς ἀσυλία καὶ ἀσφάλεια, πάντας τῶν Ἀχαιῶν ὅσους ἔλαβον ἠγωνισμένους ἐν Ἄργει, διὰ τῆς χώρας πορευομένους ὡς πολεμίους ἀποδομένων. Vgl. z.B. Perlman 1989, 78f.; Ducrey 21999, 303f. mit Anm. 1 auf S. 304. Vgl. dazu Miller 1992, 83; Decker 1995, 55, 117 mit Anm. 12 auf S. 223. Solange allerdings der Festfrieden dauerte, standen nicht nur die Athleten, sondern alle Festbesucher unter Schutz. Der Begriff asylia taucht seit der hellenistischen Zeit in Dekreten neben dem Begriff ekecheiria auf und es scheint, daß asylia die ekecheiria, was die Unantastbarkeit von Personen, Territorien, Heiligtümer und Städte betrifft, ergänzt; vgl. z.B. Schlesinger 1933, 59, 65f.; Ziegler 1975, 93; Dreher 1996, 81–84; Ducrey 21999, 181, 307–309; Traulsen 2004, 163f.. Die Begriffe asylia und asphaleia sind oft auf Inschriften der hellenistischen Zeit zu finden. Plutarch schreibt in römischer Zeit, als der Begriff ekecheiria seine ursprüngliche Bedeutung und Funktion bereits verloren hat. Zum Beschluß der Amphiktyonen bezüglich des Festes des Apollon Ptoios und den damit verbundenen Regelungen vgl. z.B. Sánchez 2001, 348–350. CID IV 76 Z. 4–12: ἐὰν δέ τις [παρὰ] ταῦτα ἄγηι τινὰ ἢ ῥυ[σιάζηι, / ὑπ]όδικος ἔστω ἐν Ἀμφικτύοσιν· εἶναι δὲ καὶ ἄσυ/λον τὸ ἱερὸν τοῦ Ἀπόλλωνος τοῦ Πτωΐου τὸ ἐν Ἀκραιφίοις, ὡς ἂν / αἱ στῆλαι ὁρίζωσιν, καθάπερ τὸ ἐν Δελφοῖς· τὴν δὲ λοιπὴν χώ/ραν τὴν ἱερὰν τοῦ Ἀπόλλωνος τοῦ Πτωΐου μὴ ἀδικεῖν μηδένα· / ἐὰν δέ τις ἀδικῆι, ὑπόδικος ἔστω ἐν Ἀμφικτύοσιν. τῆς δὲ / ἐκεχειρίας καὶ τῆς ἀσφαλείας ἄρχειν τὴν πεντεκαιδεκά/την τοῦ Ἱπποδρομίου μηνὸς κατὰ θεὸν ὡς Βοιωτοὶ ἄγουσιν, / ὡς δὲ [Δ]ελφοὶ Ἀπελλαίου. Zum Fest des Apollon Ptoios siehe z.B. Roesch 1982, 225–243 und S. 187; Rigsby 1987, 729–740. Das Fest des Apollon Ptoios hatte auf regionaler Ebene Bedeutung, wie es von den vorhandenen Dekreten zur Anerkennung und Annahme des Festes aus dem 3. Jh. v.Chr. (IG VII 4138–4144; dazu Elwyn 1992, 180 mit Anm. 199), sowie von den Teilnehmerlisten aus dem 2. und dem 1. Jh. v.Chr., die nur aus böotischen Städten stammen (IG VII 4149; an dieser Stelle sind Theben, Tanagra, Lebadeia, Thespiai, Orchomenos, Oropos, Haliartos und Kopai zu erwähnen), bezeugt wird. Vgl. Ziegler 1975, 25–31, 66–75.

Zur Bedeutung des ekecheiria-Personenschutzes für die Pilger

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Der Personenschutz, der durch die Geltung der ekecheiria erfolgte, gewährleistete die kontinuierliche Veranstaltung eines Festes und bildete eine wichtige Voraussetzung dafür, daß ein Heiligtum und sein Fest im Lauf der Jahrhunderte breite Akzeptanz bekamen: Dies läßt sich vor allem am Beispiel der vier panhellenischen Heiligtümer feststellen. Aus den bereits erwähnten Beispielen wird deutlich, wie wichtig für die Griechen die Teilnahme an einem religiösen Fest und vor allem an einem panhellenischen Fest, war. Die ekecheiria diente unter anderen auch dazu, die Teilnahme aller Griechen, die es wollten, auch derjenigen Griechen, die aus den entferntesten Regionen der damaligen griechischen Welt zu den Festen kamen, zu garantieren. Um so mehr von Bedeutung war es, den Aspekt des Personenschutzes, der durch die ekecheiria erfolgte, durch Gesetze abzusichern. Daß vor allem die panhellenischen Heiligtümer und Feste von der archaischen bis zur hellenistischen Zeit Überregionalität genossen, zeigt, daß dieser Personenschutz, auch wenn es manchmal Ausnahmen gegeben hat, grundsätzlich von den Griechen respektiert wurde. Dieser Beitrag ist aus meiner im Jahre 2013 beim LIT-Verlag erschienenen Dissertation Die ekecheiria zwischen Religion und Politik. Der sog. ›Gottesfriede‹ als Instrument zwischenstaatlicher Beziehungen in der griechischen Welt, die unter der Betreuung von Herrn Prof. Peter Funke an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster entstanden ist, hervorgegangen. Ich danke Prof. Funke dafür, daß er dieses Manuskript gelesen und Korrekturhinweise gegeben hat. Ich bedanke mich bei den Veranstaltern des Kolloquiums für die Möglichkeit, über meine Forschungsergebnisse vortragen zu dürfen. Für die Erstellung der Landkarten bin ich Herrn Michael Tieke (Universität Münster) zu Dank verpflichtet. Maria Theotikou Dorpatweg 4, D-48159 Münster [email protected]

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Maria Theotikou

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Zur Bedeutung des ekecheiria-Personenschutzes für die Pilger

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Abb. 1: Die griechischen Heiligtümer, die im Beitrag Erwähnung finden.

Abb. 2: Die Orte und die Landschaften, die im Beitrag Erwähnung finden; daraus läßt → sich der Wirkungskreis der panhellenischen Heiligtümer ablesen. (Die Vorlage für diese Karte stammt aus www.openstreetmap.org.)

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Maria Theotikou

Isabella Tsigarida

Auf den Spuren der Salzhändler Roms kaiserzeitlicher Handel wurde bisher in der Forschung recht unterschiedlich betrachtet, abhängig von der jeweiligen Sichtweise der beiden großen Lager, der Primitivisten bzw. der Modernisten. Gestützt durch die überlieferten Quellen werden die wirtschaftlichen Strukturen mittlerweile etwas differenzierter betrachtet und die antike Welt weniger als homogener Wirtschaftsraum angesehen, sondern geographisch und zeitlich unterschieden. In diesem Zusammenhang erscheint vor allem die Frage nach der Entstehung und den Bedingungen für das Ausbilden gewisser Handelsstrukturen interessant, um antiken Handel für bestimmte Regionen zu bestimmten Zeiten erfassen zu können. Vor diesem Hintergrund beabsichtigt die folgende Untersuchung anhand der Ressource Salz den Bedarf an dem Rohstoff und die damit verbundene Nachfrage zu skizzieren und Handelsverbindungen aus der römischen Kaiserzeit aufzuzeigen. Dadurch können die Handelsaktivitäten rund um das Salz in einen größeren Zusammenhang eingeordnet werden und einen weiteren Baustein für das Verständnis römischen Handels liefern. Salz bietet sich aufgrund seiner vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten gut für eine Untersuchung an.1 Zudem hat es in den verschiedenen antiken Kulturkreisen eine einzigartige Aufmerksamkeit erfahren und im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben eine besondere Rolle eingenommen. Ernährungsphysiologisch existentiell für Mensch und Tier, ist vor allem seine Eigenschaft als Konservierungsmittel von Bedeutung, da durch das Einsalzen Gemüse und eiweißhaltige Lebensmittel wie Käse, Fisch und Fleisch haltbar und transportfähig gemacht und in Vorräten angelegt über den Winter gebracht und über weite Strecken gehandelt werden konnten. Daneben fand das Mineral auch Anwendung als Heilmittel und als technischer Hilfsstoff, beispielsweise in der Gerberei, in der Metallurgie und bei der Glasherstellung. Ferner ist seine symbolische und kultische Bedeutung nicht zu unterschätzen, da sie prägend auf die Gesellschaft und deren Wertvorstellungen einwirkte. Durch seine vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten besaß das Salz insbesondere in salzarmen Regionen eine herausragende Bedeutung und zugleich als Mangelware einen hohen Tauschwert. Wie nicht salzproduzierende oder salzbesitzende Gemeinschaften im Binnenland den Zugriff auf die Ressource sicherstellen konnten, soll hier näher betrachtet werden. Generell ist davon auszugehen, dass der Großteil des Handelsgeschehens auf lokaler bzw. regionaler Ebene erfolgte, d.h. die gängigste Form des Salzaustausches stellte der lokale Salzhandel dar. Ein Handel auf lange Distanzen konnte unter gewissen Umständen zum Tragen kommen, wenn z.B. das Salz aufgrund fehlender lokalen Produktion Mangelware war, es eine erhöhte Nachfrage gab oder das Salz einen erhöhten Wert als Luxusgut besaß. 1

Zu den verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten des Salzes vgl. Tsigarida 2012.

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Isabella Tsigarida

Von einem Salzfernhandel berichtet Strabon in seinen Geographika, bei dem phönizische Händler auf den Kassiteriden – einer Inselgruppe vor der britannischen Küste – unter anderem Salz einführten und ihre Produkte gegen Zinn, Blei und andere Güter eintauschten.2 Dieser Hinweis auf Fernhandelsaktivitäten legt die Vermutung nahe, dass es nicht nur ein entsprechendes Angebot und Nachfrage-Interesse gab, sondern wohl auch etablierte Kommunikations- und Handelsbeziehungen, die die konstante Versorgung mit knappen oder begehrten Gütern gewährleisteten. Obwohl mit der Entfernung der Rohstoffe vom Produktionsort die Kosten aufgrund der anfallenden Transportkosten in die Höhe stiegen, scheint ein solcher Fernhandel dennoch lohnend gewesen zu sein. Um die Salzhandelsaktivitäten in der römischen Kaiserzeit untersuchen zu können, wurde hier zum einen eine salzarme Region Mitteleuropas ausgewählt und zum anderen eine Gegend, in der durch die römische Besatzung viele Soldaten stationiert waren, deren Salzbedarf durch die lokale Produktion nicht gedeckt werden konnte, so dass sie auf Importe angewiesen waren. Exemplarisch bietet sich dafür das südliche Niedergermanien an, da in dieser Region kein Salz gewonnen werden konnte und die dort ansässige Bevölkerung demzufolge vom Salzimport abhing,3 gleichzeitig aber auch ungefähr 40.000 Soldaten (im 1. Jh. n.Chr.) dort stationiert waren. Dieses Truppenaufkommen ebenso wie die ca. 130.000–150.000 Einwohner (2. Jh. n.Chr.) mussten somit mit einer nicht unerheblichen Menge an Salz versorgt werden.4 Neben dem Salz, welches für den täglichen Gebrauch benötigt wurde, waren auch größere Mengen für die Konservierung vor allem eiweißhaltiger Lebensmittel (Fisch, Fleisch etc.), für die Viehzucht und im Bereich der technischen Produktion (Gerberei, Färberei, Metallgewinnung etc.) erforderlich, was den erhöhten und unverzichtbaren Bedarf erkennen lässt. Vor allem bei einer dauerhaften Stationierung liegt die Bedeutung des Salzes auf der Hand und auch antike Quellen unterstreichen diese: so führt Caesar das Vorhandensein von Salz als günstige Voraussetzung auf, um ein Lager aufzuschlagen5 und auch Vegetius erwähnt Salz als eines der unbedingt notwendigen Versorgungsgüter für das Militär; vermutlich war es auch Teil der Standardration der Soldaten.6 Ebenso unterstreicht Appian die Wichtigkeit des Salzes in der Kost der Soldaten und berichtet, dass das Weglassen von Salz bei Fleischverzehr bei den römischen Soldaten in Spanien zu Dysenterie (Ruhr) geführt habe.7 Ostraka des 2. Jh. n.Chr. aus Pselkis (Ägypten) 2 3 4

Strab. 3,5,11. Vgl. Rothenhöfer 2005, 213 Anm. 115. Vgl. Rothenhöfer 2005, 213. Vgl. auch Verboven 2007, 303f., der angibt, dass im 1. Jh. n.Chr. ca. 40.000 Soldaten in den germanischen Provinzen stationiert waren, im 2. Jh. n.Chr. ca. 20.000 und in Britannien ca.15.000 für beide Jahrhunderte. Die Auxiliar-Einheiten lagen ungefähr in derselben Höhe, so dass für das 1. Jh. n.Chr. sogar ca. 80.000 Soldaten in den germanischen Provinzen angenommen werden können, 40.000 im 2. Jh. n.Chr. und ca. 30.000 für Britannien für beide Jahrhunderte. Berücksichtigt man zusätzlich, dass sich jährlich eine gewisse Anzahl von Veteranen in den Gebieten rund um die Militärlager niederließ, dann können ca. 28.800 Veteranen der RheinArmee für das 1. Jh. n.Chr. und ca. 14.400 für das 2. Jh. n.Chr. hochgerechnet werden; für Britannien sind es ca. 10.800. Nicht zu vergessen sind die Verwandten, Sklaven und Freigelassene sowie der Tross an Händlern, Vertragspartnern etc., die das Heer begleiteten, so dass die Versorgung all dieser Personen beachtliche Ausmaße annahm. 5 Caes. civ. 2,37,5. 6 Veg. mil. 3,3. 7 App. Ib. 9,54.

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belegen,8 dass Soldaten eine bestimmte Menge Salz erhalten haben und auch Schreibtafeln aus Vindolanda erwähnen das Salz auf einem Abrechnungstext (Nr. 186) sowie auf einer Lebensmittelliste (Nr. 191). Im Norden deuten keramische Behälter, die im Militärlager der in Nijmegen stationierten Soldaten auf dem Kops Plateau gefunden wurden, daraufhin, dass sie vermutlich für den Handel von Salz, welches von der französischen Kanalküste stammte, eingesetzt wurden.9 Neben dem Salz an sich konnten auch salzige Fischsaucen den Salzbedarf in der Ernährung decken. Dadurch, dass die Produktion der gesalzenen Fischprodukte von der konstanten Zulieferung von Salz abhängig war, erstaunt es nicht, dass sich viele der Fischsaucen-Produktionsanlagen in der Nähe von Salinen befanden und der Handel von Fischsaucen teilweise mit dem Salzhandel einherging.10 Die Händler waren dabei meist nicht nur auf ein Produkt spezialisiert, sondern boten mehrere Produkte an, so dass beispielsweise ein Händler zugleich mit Fischsauce, Salz und weiteren eingesalzenen Produkten handeln konnte.11 Möglicherweise wurde beim Transport von Fischsaucenamphoren das Salz auch mittransportiert oder beim Rücktransport als mögliche Ladung verwendet – je nach Destination des Handelsschiffes und dem dortigen Vorkommen von Salz – d.h. ein Teil der transportierten Amphoren hätte dann als Verpackung für lokale Produkte, die zu den Absatzmärkten des Ausgangshafens zurückkehrten, dienen können.12 Dass Salz in Säcken zusammen mit Fischsaucen von der Atlantikküste bis an den Rhein transportiert wurde, ist nachgewiesen.13 Auch wenn es schwer ist, die tatsächlichen Produktionskapazitäten zu bestimmen, lässt sich anhand der Größe der Einsalzungsanlagen in den wichtigsten Zentren der für den Export bestimmten Fischsaucen an den Küsten Südspaniens, Portugals, Marokkos, aber auch des Schwarzen Meeres, erkennen, dass die Installationsanlagen mit einem Fassungsvermögen von mehreren hundert bis zu 1.000 Kubikmetern beachtliche Mengen der begehrten Fischsaucen produzierten.14 Die mediterranen Fischsaucen unterschiedlicher Qualitätsstufen, die aus der römischen Ernährung nicht wegzudenken sind, wurden aber auch im Norden des Reiches vielfach von den Soldaten verwendet, wie die archäologischen Funde erkennen lassen. So ist vor allem im 1. und 2. Jh. ein intensiver Fischsaucenhandel bis zu den entferntesten Regionen des Römischen Reiches zu verzeichnen. Auch für Britannien lässt sich im Zuge der claudischen Invasion und der Einrichtung der Provinz Britannia ein deutlicher Anstieg von Handelsverbindungen mit vorwiegend mediterranen Importen vor allem für die Zeit von 43–165 n.Chr. feststellen, bei denen große Mengen verschiedenster Produkte zwischen Britannien 8 9 10 11 12

Vgl. Whittaker 2004, 94. Vgl. Van Enckevort 2001, 365; Van Den Broeke 1996. Vgl. Tsigarida 2012, 378. Vgl. Curtis 1984, 147–158; Hassall 1978, 45. Von einem derartigen Salzhandel berichtet der nach Cherson (Chersonesos) verbannte Papst Martin in einem vermutlich vor September 655 zu datierenden Brief, dem zu entnehmen ist, dass Schiffe Getreide nach Cherson brachten und die Schiffe dann mit Salz für die Rückfahrt beladen wurden. Vgl. dazu Romancuk 2005a, 230 sowie dies. 2005b, 77. Zum Transport von Salz in Amphoren, ebenfalls aus Cherson, vgl. Kadeev 1970, 20f. 13 Martin-Kilcher 1994, 476. 14 Vgl. Curtis 2005, 37f.; Étienne, Mayet 2002, 96 und 118 sowie Ponisch 1988, 103–136.

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und Kontinentaleuropa gehandelt wurden.15 Zudem zeigt sich, dass die Fischverarbeitung im Lauf der Zeit auch in den nördlichen Regionen intensiviert wurde, wie beispielsweise in der Bretagne.16 In den Nordprovinzen haben die Fischsaucenhändler somit offenbar vor allem im 1. Jh. n.Chr. mit Importen aus dem spanischen Süden gehandelt, später wurde dieser Handel durch lokal produzierte sowie südgallische Fischsaucen ersetzt, wie die Amphorenfunde belegen.17 Diesen Fundkontext weisen zahlreiche Militärlager im mitteleuropäischen Raum auf;18 auch für das südliche Niedergermanien ist dieser Fernhandel festzustellen. So lassen sich in den dortigen Militärlagern für das 1. Jh. n.Chr. etliche mediterrane Fischsaucen-Amphoren nachweisen; im letzten Drittel des 1. Jh. n.Chr. ist eine Reduktion der Importe zu verzeichnen und für das 2. Jh. n.Chr. gibt es kaum noch Belege.19 Dies lässt die Annahme zu, dass sich die Produktion von Fischsaucen allmählich an der Nordseeküste etablierte, auch wenn es bisher keine spezielle Keramik gibt, die dies belegt. Möglicherweise liegt das daran, dass die Saucen in Holzfässern transportiert wurden.20 Während des 1. Jh. n.Chr. gelangten die mediterranen Fischsaucen wahrscheinlich mit den Olivenölexporten aus der Baetica im Rahmen der Heeresversorgung in den Norden, wobei die Transportroute sowohl über den Atlantik als auch über den Rhein oder die Schelde erfolgen konnte. Bei der letztgenannten Route wurden die Amphoren auf dem innergallischen Weg über die Rhône und Lugdunum (Lyon) in die nördlichen Provinzen befördert.21 Es scheint nicht abwegig, dass die wirtschaftliche Dominanz der exportstarken Provinz Baetica in Bezug auf die Fischsaucenproduktion durch die kostengünstige Salzgewinnung vor Ort begünstigt wurde, denn die naturräumlichen Begebenheiten ermöglichten eine Salzgewinnung und Fischsaucenproduktion in größerem Umfang. Aufgrund der Gezeiten waren die Salinen an den südeuropäischen Atlantikküsten vor allem ökonomisch interessant, da das Meerwasser mit der Flut in die Becken fliessen konnte, ohne auf künstlich angelegte Kanäle angewiesen zu sein, was Aufwand und Kosten dieser Salzgewinnungsanlagen geringer hielt als beispielsweise bei den Salinen am Mittelmeer, in denen das Meerwasser zwar auch durch mehrere Becken lief, es aber ohne die Gezeiten zusätzlich durch künstliche Kanäle in die Verdunstungsbecken geleitet werden musste. Neben dieser Form der Salzgewinnung gab es je nach den verfügbaren Möglichkeiten auch im Binnenland andere Formen der Salzgewinnung – was archäologische Funde aus dem Bereich der Salzarchäologie in den verschiedenen Regionen bereits in vorrömischer Zeit belegen – für die römische Zeit ist aber die am weitesten verbreitete Form der Extraktion die Salzgewinnung aus Meeressalinen entlang des Mittelmeeres und der Atlantikküsten gewesen.22 Möglicherweise mag dies ökonomisch motiviert gewesen sein, da die Gewinnung von Salz im Binnen15 16 17 18 19

20 21

Vgl. Morris 2010, 92. Vgl. Sanquer, Galliou 1972, 199–223. Vgl. Curtis 1984, 151; Jacobsen 1995, 163; Martin-Kilcher 1994, Abb. 261, S. 414, 482f., 547; Ehmig 2001; vgl. für Britannien auch Morris 2010, 75. Vgl. Curtis 1983, 239. Auch die in Nijmegen stationierten römischen Soldaten importierten vor allem Speisen aus dem Mittelmeer wie die Funde des Militärlagers auf dem Kops Plateau belegen, vgl. Van Enckevort 2001, 365. Dies belegen auch die Funde in Xanten, wo festzustellen ist, dass der Fischsaucenhandel aus Spanien später durch südgallische Imitationen ersetzt wurde. Vgl. Millet 2006, 22. Vgl. Rothenhöfer 2005, 215f.; Tamerl 2010, 19, 37f. Zur Atlantikroute vgl. Remesal Rodriguez 1986, 76–79 und Kissel 1995, 215f., zur innergallischen Route vgl. Rothenhöfer 2005, 215 Anm. 136 und Morris 2010, 92.

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land (Steinsalz, Salzquelle) arbeitsintensiver und kostenspieliger war: zu denken ist beispielsweise an den Ausbau von Stollen, die Sicherung der Stollenbelüftung, den Abtransport von Salzbrocken, die Abholzung von Wäldern für die Befeuerung von Siedeöfen oder die Erstellung von Keramikbehältern. Möglicherweise lag das aber auch am mediterranen Brauch, Salz traditionell aus Meerwasser zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund erscheint es verständlich, dass für das 1. Jh. n.Chr. die Salzproduktion nach wie vor hauptsächlich in den mediterranen (wohl vorwiegend atlantischen) Salinen erfolgte, trotz des Transport- und Verteilungsaufwandes, den ein Handel auf lange Distanzen mit den nördlichen Provinzen des Reiches mit sich brachte. Zudem konnte der erhöhte Bedarf an Salz durch die im Norden stationierten Truppenkontingente durch die lokale Produktion nicht gewährleistet werden, wodurch große Mengen an Salz importiert werden mussten. Dieser Nachfrage konnte später durch den Ausbau der Salinen an der Nordsee nachgekommen werden, indem durch die technischen Neuerungen der Römer größere Produktionsvolumina erreicht werden konnten und dies den Fernhandel mit Salz zurückdrängte, wie noch zu zeigen sein wird. Durch die römische Expansion in den Norden des Reiches entwickelte sich die Provinz Germania im 1. Jh. n.Chr. zu einem zentralen Raum militärischen Interesses Roms und ein Großteil der römischen Militärkraft war dort konzentriert. Zur Versorgung der Einheiten wurden nicht nur die infrastrukturellen Rahmenbedingungen durch den Ausbau von Straßen und geeignete Transportmittel zur Verfügung gestellt, sondern ebenso war – wie bereits erwähnt – ein Handel über weite Distanzen zur Belieferung der Truppen unabdingbar. Unterstützt wurde dieser Handel zusätzlich von der Konsumentengruppe der zahlungskräftigen Soldaten, die die Nachfrage für mediterrane Güter generierte, welche nicht durch die lokale Produktion gedeckt werden konnte und somit die bereits erwähnten Importe notwendig machte. Die konstante Belieferung der stationierten Truppen stellte demnach eine strategische Herausforderung und einen Schlüsselpunkt für den Erfolg groß angelegter militärischer Operationen dar und wurde wohl schon aus Kostengründen nicht dem Zufall überlassen. Logistische Vorbereitungen zur Lagererrichtung, zum Ausbau der lokalen Versorgung der Truppen sowie zu einem funktionierenden Nachschubwesen mit Importen aus dem mediterranen Raum waren somit unverzichtbar für das Gelingen militärischer Unternehmungen.23 Im Rahmen der Heeresversorgung kam der Staat dabei für die unverzichtbaren Güter zur Versorgung der Truppen und deren Kosten auf und organisierte deren Belieferung über das annona-System.24 Zugleich erfolgte die Belieferung der Garnisonen mehrheitlich auch über Verträge mit Privatunternehmern, wie über navicularii, die verschiedenste Güter 22

Vgl. Blümner 1920, 2076 sowie Hägermann 1997, 409; vgl. auch Fries-Knoblach 2001, 22 und Saile 2000, 172f. 23 Vgl. Thomas 2008; Erdkamp 2006, 287f. 24 Um die stadtrömische Bevölkerung und das römische Heer zu versorgen, wurden vor Diocletians Regierungszeit neben Steuern auch Pachtzinsen und Naturalabgaben (vor allem Getreide) eingezogen. Diese außerordentlichen Sachleistungen (annona) wurden unter Diocletian dann als regelmäßige Naturalabgabe reichsweit als neue Hauptsteuer, ebenfalls unter dem Namen annona, eingerichtet. Vgl. allgemein zur annona Höbenreich 1997 und Mitthof 2001 sowie Kolb 2000, 228 und Demandt 2007, 67f.

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meist in großen Mengen im Auftrag des römischen Staates an bestimmte Orte zu befördern hatten, gleichzeitig aber auch Handlungsspielraum für Privatgeschäfte besaßen, was die Inschriften zu der Organisation der navicularii aus Arles belegen. Daneben gab es auch etliche andere private Händler, die von den Transportrouten für die Versorgung der Truppen profitierten und gleichzeitig unter relativ sicheren Bedingungen ihren Handel tätigen konnten.25 Der durch die römische Expansion bedingten erhöhten Nachfrage nach Salz in den nördlichen Provinzen trug auch die römische Politik Rechnung, indem zur Deckung des erhöhten Salzbedarfes der Bereich der Salzgewinnung dieser Nachfrage angepasst wurde. Entlang der kontinentalen Nordseeküste, der Bretagne und in Britannien lässt sich eine Intensivierung der Salzproduktion mit einer beachtlichen Ausbreitung römischer Salinenanlagen feststellen.26 Im heutigen Belgien beispielsweise belegen dies zwei aus hölzernen Solebecken bestehende kaiserzeitliche Salinenanlagen (um 200 n.Chr.) in Zeebrugge und Raversijde, die eine Fläche von jeweils 1.500m2 aufweisen. Daneben gibt es auch in Leffinge und Ardres zwei Salinen aus derselben Zeit, wobei die Anlage in Leffinge durch eine doppelte Ofenreihe gekennzeichnet ist, was auf einen rationelleren Siedeprozess hinweisen könnte.27 Neben dem offenbar gezielten Ausbau größerer Salzgewinnungsanlagen zur Steigerung der Produktionsvolumina lassen sich auch vermehrte Salzhandelsaktivitäten inschriftlich für diese Region und diese Zeit nachweisen. So wurden an der Rhein-Schelde-Mündung im heutigen Colijnsplaat (Niederlande) vier kaiserzeitliche Inschriften gefunden (2./3. Jh.), die negotiatores salarii (Salzhändler) erwähnen.28 Die Bezeichnung negotiatores salarii, worunter vermutlich Händler in größerem Stil zu verstehen sind, ist nur für diese Region belegt.29 Die genannten Inschriften waren der Göttin Dea Nehalennia geweiht, die den Händlern bei ihrem Handel über die See Schutz gewähren sollte.30 Zwei der erwähnten Händler stam25 26

Vgl. Morris 2010, 92; vgl. auch Monfort 2002 und Scardigli 2007. Bereits in der Eisenzeit lassen sich für das Salz Handelsverbindungen der Küsten ins Rheinland nachweisen, allerdings in wesentlich geringerem Ausmaß als zur Kaiserzeit. Vgl. Simons 1986. 27 Die erwähnten kaiserzeitlichen Salzgewinnungsanlagen befinden sich interessanterweise an anderen Gewinnungsstätten als zur Eisenzeit, was vermutlich auf veränderte Küstenverläufe zurückzuführen ist. Vgl. Thoen 1975, 58–60; 1981, 250f.; 1991, 41–43; Fries-Knoblach 2001, 22; Saile 2000, 174; Rothenhöfer 2005, 214. 28 Stuart, Bogaers 2001, A1=AE 1973, 362: Deae / Nehaleniae / M(arcus) Exgingius / Agricola / cives Trever / negotiator / salarius / c(oloniae) C(laudiae) A(rae) A(grippinensium) v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito); A26=AE 1973, 364: Deae Nehale/niae sacrum / C(aius) Iul(ius) Floren/tinus Agripp(inensis) negotiator / salarius pro s/e et sui[s v(otum)] s(olvit) l(ibens) m(erito); A49=AE 2001, 1464=AE 2003, 1228: Deae Nehalenniae / C(aius) Iul(ius) Ianuarius / Agrip(pinensis) neg(otiator) salar(i)us l(ibens); B1=AE 1973, 378: Deae / Nehalenni(ae) / Q(uintus) Cornelius / Superstis / negotiator / salarius / v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito). 29 Stuart, Bogaers 2001, 35. Seit dem Prinzipat setzte sich allmählich die Bezeichnung negotiator für Groß-und Fernhändler durch, die vorwiegend mit dem Seehandel in Verbindung gebracht werden können. Zur Terminologie römischer Händler vgl. Kneissl 1983; vgl. Jaschke 2010, 92f. Weitere Inschriftenfunde belegen, dass negotiatores auch im Britannienhandel tätig waren und unterstützen somit die Annahme, dass es sich bei ihnen um Großhändler handelte. Ihre Spezialisierungen auf Produkte oder Regionen konnten sie in ihrer Bezeichnung erkenntlich machen wie bei den negotiatores salarii ersichtlich wird. Zudem lässt sich anhand der Verbreitung der Inschriften eine Verbindung der negotiatores zum Militär herstellen; vgl. Schmidts 2011, 95 Anm. 578 sowie 100–104, vgl. auch Hassall 1978.

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men aus Köln – namentlich Gaius Iulius Florentinus und Gaius Iulius Ianuarius.31 Vermutlich kam auch der Salzhändler Marcus Exgingius Agricola aus Köln, der ursprünglich aber aus Trier stammte.32 Die Herkunft des vierten Salzhändlers Quintus Cornelius Superstis lässt sich nicht mehr rekonstruieren,33 es ist aber anzunehmen, dass auch er aus Köln kam oder zumindest wirtschaftliche Kontakte dorthin besaß. Eine weitere fragmentarisch erhalten gebliebene Inschrift aus Köln weist möglicherweise auf noch einen Salzhändler hin.34 Das Salz bezogen die Salzhändler sehr wahrscheinlich von den Salzgewinnungsanlagen entlang der nordatlantischen Küste und handelten es dann entlang der Küsten der Provinzen Gallia, Belgica, Germania inferior und auch mit Britannien. Über das ausgebaute Straßen- und Wassernetz konnte das Salz dann ins Landesinnere in die salzarmen Regionen und in die Militärlager gelangen. Durch die Ausweitung der Salzgewinnungsanlagen im Norden des Reiches konnten vor allem die Militärlager mit Salz beliefert werden und machten – wie bereits erwähnt – die Importe aus dem Süden nicht mehr erforderlich. Köln (Colonia Claudia Ara Agrippinensium), die Hauptstadt der Provinz Germania inferior und zugleich Hauptquartier des in Niedergermanien stationierten Heeres, entwickelte sich dabei zu einem bedeutendem Handelszentrum. In diesem Zusammenhang verwundert die dortige Konzentration von Salzhändlern nicht, da sich Köln als Umschlagplatz und Verteilerzentrum für Salz auch gut für eine Weiterverteilung des Rohstoffes in die ländlichen Regionen anbot. Es ist denkbar, dass der Salzhandel und dessen Organisation ihr Zentrum in der Provinzhauptstadt hatte und dadurch mit der für diese Region zuständigen römischen Administration und Logistik in engerer Verbindung standen. Ob vorwiegend ökonomische Gründe für die Konzentration der Salzhändler in Köln ausschlaggebend waren oder ob den Händlern dort die Pachtverträge zugesprochen wurden oder der Handel von der Provinzmetropole aus besser von römischer Seite her kontrolliert werden konnte, kann nicht eindeutig beantwortet werden, ist aber nicht auszuschließen.35 Transportiert wurde das Salz von den Produktionsstätten zu den Abnehmern wohl von den Küsten rheinaufwärts zum Provinzzentrum. Wie die weitere Verteilung erfolgte und welche weiteren Personengruppen involviert waren, muss offen bleiben. Vorstellbar wäre aber, dass sowohl Großhändler mit Hilfe von Sklaven oder angestellten Arbeitern an der regionalen Verteilung beteiligt waren, als auch Subunternehmer (Kleinhändler) diese Verteilung übernahmen. Die treverische Herkunft des genannten Salzhändlers Marcus Exgingius Agricola, könnte darauf schließen lassen, dass es auch weitere Verteilerzentren flussaufwärts gab, wie 30

31 32 33 34 35

Die Meeresgottheit Dea Nehalennia – Schutzgöttin der Schelde und der Kaufleute, die im Britannienhandel tätig waren – scheint der Etymologie des Namens zufolge keltisch gewesen zu sein. Vgl. De Bernardo-Stempel 2004 und Spickermann 2010, 127–138, bes. 129 Anm. 11. Stuart, Bogaers 2001, 70f. A26=AE 1973, 364. Stuart, Bogaers 2001, A1=AE 1973, 362; Krier 1981, 115f., Nr. 41. Stuart, Bogaers 2001, B1=AE 1973, 378. In dieser Inschrift (Galsterer 2010, Nr. 432, 360f.) wohl aus dem 2./3. Jh. wird ein (Lo?)llius Iustus als negotiator CCAA (---)ar(---) erwähnt, vgl. Rothenhöfer 2005, 214 mit Anm. 130. Vgl. Rothenhöfer, 215 mit Anm. 132. – Ein weiteres Verteilerzentrum mit einer großen Anzahl von Salzbehälter-Scherben (140.000 ) aus der 1. Hälfte des 1. Jh. n.Chr. konnte nahe des vicus Tienen auf tungrischem Gebiet, ca. 35km westlich von Tongern, nachgewiesen werden. Vgl. Vanderhoeven 2003, 136–138.

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Trier oder Mainz. Ein in den Paulussentenzen der Digesten erwähntes Exportverbot aus dem 3. Jh. n.Chr. für Salz und andere Güter weist möglicherweise daraufhin, dass es bis zu diesem Zeitpunkt auch Handelsverbindungen mit dem rechtsrheinischen Germanien gab.36 Es ist nicht auszuschließen, dass sich diese Handelsbeschränkungen, die sich auf Angehörige fremder und sich außerhalb der Reichsgrenzen befindlicher Gemeinschaften bezogen, die Folge vermehrter barbarischer Einfälle waren. Neben den negotiatores salarii werden in zwei weiteren Inschriften (Ende des 1. bzw. Anfang des 2. Jh. n.Chr.) sogenannte salinatores erwähnt.37 Ob es sich bei ihnen um Salzbauern bzw. Salinenarbeitern handelte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Es hat allerdings den Anschein, dass die salinatores eher Personen waren, die mit der Gewinnung von Salz im weiteren Sinne in Verbindung zu bringen sind, ebenso wie mit der Belieferung des römischen Heeres. Somit wäre es möglich, dass sie als Pächter von Salinen und/oder auch als Händler im ›Salz-Geschäft‹ involviert waren.38 Beide Ehreninschriften aus Rimini (Italien) wurden von salinatores der Nordseeküste gestiftet – den salinatores civitatis Menaporium und den salinatores Morinorum – und waren dem Centurio L. Lepidicus Proculus aus Dankbarkeit geweiht, der während der Regierungszeit des Kaisers Vespasian (69–79) als Centurio der Legio Victrix in Novaesium (Neuss) tätig war. Welche Aufgabe der Centurio auf dem Gebiet der Menapier und Moriner wahrnahm, lässt sich schwer rekonstruieren. Denkbar wäre, dass L. Lepidicus Proculus nach Beendigung des Bataveraufstandes mit einer Reorganisation der Salzversorgung für die stationierten Truppen beauftragt war39 oder mit der Leitung für den Ausbau größerer Salzgewinnungsanlagen im Rahmen der Ausweitung der lokalen Produktion unter Anwendung technischen Know-hows im römischen Stil entlang der nordatlantischen Küste. Eine Erhebung von Naturalsteuern in Bezug auf das Salz wäre auch vorstellbar.40 Ob der Centurio tatsächlich für die Sicherstellung der Salzproduktion oder für den Salzhandel zuständig 36 37

Dig. 39,4,11. CIL 11, 390: L(ucio) Lepidio L(uci) f(ilio) An(iensi) / Proculo / mil(iti) leg(ionis) V Macedon(icae) / (centurioni) leg(ionis) eiusdem (centurioni) leg(ionis) eiusdem II / (centurioni) leg(ionis) VI Victricis / (centurioni) leg(ionis) XV Apollinar(is) / prim(o pilo) leg(ionis) XII[I] Gemin(ae) / donis donato ab / Imp(eratore) Vespasiano Aug(usto) / bello Iudaico torquib(us) / armillis phaleris / corona vallari / salinatores civitatis / Menapiorum ob mer(ita) eius / Septimina f(ilia) reponend(um) / curavit und CIL 11, 391: L(ucio) Lepidio L(uci) f(ilio) An(iensi) / Proculo / mil(iti) leg(ionis) V Macedonic(ae) / (centurioni) leg(ionis) eiusdem (centurioni) leg(ionis) eius[d]em II / (centurioni) leg(ionis) VI Victricis / (centurioni) leg(ionis) XV Apollinar(is) / prim(o pilo) leg(ionis) XIII Geminae / donis donato ab Imp(eratore) Vespasiano Aug(usto) bello / Iudaico torquib(us) armil(lis) / phaleris corona va[ll]ar(i) / salinatores civitatis / Morinorum ob mer(ita) eius / Septimina f(ilia) reponend(um) / curavit. 38 Einen Hinweis auf Verpachtung könnte möglicherweise auch die Weihinschrift eines menapischen Salzhändlers aus Tongern liefern (2. Hälfte 2./Anfang 3. Jh. n.Chr.), in der der Munizipalstatus von Tongern bezeugt wird, was eine durch die civitas erfolgte Pachtvergabe zwischen den Zeilen erkennen lassen könnte. Vgl. dazu AE 1994, 1279: I(ovi) O(ptimo) M(aximo) / et Genio / Mun(icipii) Tung(rorum) / Cat(ius) Drousus / sal(inator?) Men(apiorum?) / v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito). Vgl. auch Wierschowski 2001, 56. Die Inschrift ist besonders für die territoriale Zuordnung der Tungrer von Bedeutung, denn während bislang vorwiegend von ihrer Zugehörigkeit zur Belgica ausgegangen wurde, kann dadurch, dass ihr Hauptort als municipium tituliert wird, eine Zugehörigkeit zur Germania inferior angenommen werden, zumal Municipien in der Belgica, im Gegensatz zu Germanien, unbekannt sind. Vgl. Raepsaet-Charlier 1995; 1996. 39 Tac. hist. 4,28,1. 40 Vgl. dazu Tac. ann. 4,72.

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war oder er zur Kontrolle der Salinen eingesetzt wurde, kann nicht eindeutig geklärt werden.41 Allem Anschein nach wurde der Centurio aber von römischer Seite aus beordert, sich um die Belange rund um die Produktion und möglicherweise auch den Handel von Salz zu kümmern und die Belieferung und Versorgung des Heeres sicherzustellen. Ein florierender Salzhandel kann somit allen Anzeichen zufolge für die Provinz Germania inferior vor allem durch den Ausbau der lokalen Salzproduktion entlang der nordatlantischen Küsten während der römischen Kaiserzeit angenommen werden.

Zusammenfassung In der vorliegenden Untersuchung sollten die Handelsverbindungen sowie der Bedarf und die Nachfrage für den Rohstoff Salz in der römischen Kaiserzeit im Norden der Reiches aufgezeigt werden, wofür exemplarisch eine salzarme Region mit erhöhtem Truppenaufkommen ausgewählt wurde. Es ließ sich aufzeigen, dass der permanente Bedarf an der lebenswichtigen Ressource Salz für die Erschaffung von Versorgungslinien und das Aufkommen neuer Handelsstrukturen nicht unbedeutend gewesen zu sein scheint, was vor allem in salzarmen Regionen oder bei erhöhter Nachfrage unabdingbar für eine verlässliche Distribution war. Für den Ausbau eines derartigen Netzwerkes mussten die beteiligten Akteure der Lieferkette – von der Produktion bis zum Abnehmer – zu einem gewissen Grad durch Kommunikationsund Informationsnetzwerke miteinander verbunden gewesen sein, damit die erforderlichen Lieferungen verlässlich abgeschätzt, geplant, beauftragt und dauerhaft erfolgen konnten. Auch wenn es schwer ist, die tatsächlichen Distributionskanäle und die Organisation des Salzhandels zu bestimmen, haben die bisherigen Ausführungen doch deutlich machen können, dass der Salzhandel, oft in Verbindung mit dem Fischsaucenhandel, einträglich gewesen zu sein scheint. Anhand der archäologischen und epigraphischen Zeugnisse wird zudem die Mobilität der Salzhändler ersichtlich. Während im 1. Jh. n.Chr. nachweislich Händler aus dem mediterranen Bereich der großen Nachfrage nach Salz (und anderen Gütern) für Truppen in Mittel- und Nordeuropa nachgekommen sind, wurden diese im Laufe des 2. Jh. n.Chr. allmählich durch Händler aus den nördlichen Regionen abgelöst bzw. beide Händlertypen bestanden wohl für eine gewisse Zeit nebeneinander. Vermutlich gab es verschiedene Formen des Handels gleichzeitig, d.h. neben Fernhändlern existierten auch regionale und lokale Händler, die sich zudem durch ihre Handelsvolumina unterschieden, d.h. neben Großhändlern werden auch Kleinhändler tätig gewesen sein. Darüber hinaus waren auch spezialisierte Händler sowie Händler mit größeren Bandbreiten an Produkten oder Zwischenhändler tätig. Gestützt wurde das rege Handelsleben durch infrastrukturelle Maßnahmen, die in der Folge der Expansion in den Norden von den Römern durchgeführt wurden, so dass das gut ausgebaute Straßen- und Wassernetz in der hier exemplarisch betrachteten Provinz Germania inferior mit den wichtigen Verkehrsadern Rhein und Maas optimale Bedingungen für die Mobilität der Händler und für den Handel in und mit der Provinz schuf. 41

Vgl. Van Beek 1983, 7 und Will 1962, 1650.

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Prägend für die Handelsstruktur des Salzhandels wirkte sich zudem die staatlich organisierte und finanzierte Heeresversorgung mit ihrem Transport- und Verteilungssystem aus. Wie Jacobsen treffend feststellt, wären Folge- und Nebenhandel ohne die Existenz der Heeresversorgung und ihrer Organisation nicht möglich gewesen, d.h. dass die Existenz eines längerfristig stationierten Heeres die Produktions- und Verteilungsstrukturen maßgeblich beeinflusste,42 was auch im Fall des Rohstoffes Salz ersichtlich wurde. Durch die politische Integration der neu eroberten Gebiete war es für Händler möglich, unter relativ sicheren Bedingungen zu handeln und zugleich konnten sie von den Kommunikations- und Infrastrukturnetzwerken profitieren, was die Vernetzung der Händler und anderer beteiligter Wirtschaftsakteure erleichterte. Die Folge davon war eine zumindest für das 1. und 2. Jh. n.Chr. festzustellende reichsweite Vernetzung wirtschaftlicher Akteure und ein blühendes Handelsleben auch für den Rohstoff Salz. Dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) sei an dieser Stelle herzlich für die Förderung meines Forschungsprojektes gedankt. Isabella Tsigarida Universität Zürich, Historisches Seminar Karl Schmid-Str. 4, CH-8006 Zürich [email protected]

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Jacobsen 1995, 183.

Auf den Spuren der Salzhändler

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Isabella Tsigarida

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Heinz Warnecke

Raumbewältigung und Geschwindigkeiten in der Odyssee

1. Einleitung: Wer bewältigt den Raum? Die Studie legt dar, wie v.a. die Menschen der Odyssee geographische Räume überwinden. Dabei werden zunächst die unterschiedlichen Motivationen der Raumbewältigung erörtert und danach die technischen Mittel genannt, mittels derer sich der Mensch auf der Erdoberfläche bewegte. Abschließend wird untersucht, ob bzw. welche Reisegeschwindigkeiten sich aus dem Epos ermitteln lassen. Nicht nur Menschen bewältigen den Erdraum, sondern auch Tiere, und dafür bietet die Odyssee diverse Beispiele. Man denke zunächst an domestizierte Nutztiere, wie die schnellen Jagd- und die kräftigen Wachhunde des Odysseus,1 oder an die Rinder, die z.B. den Pflug übers Feld ziehen,2 und die während der häufigen Viehdiebstähle große Strecken über Land getrieben werden.3 Auch erzählt die Odyssee vom freilebenden Wild, speziell wie Hirsche4 und Wildschweine5 die Wälder durchstreifen. Unter den Tieren sind jedoch die Vögel hervorzuheben,6 vor allem die Adler,7 die in himmlischen Sphären fliegen und somit als Mittler zwischen Götter und Menschen erscheinen.8 Deshalb wurde v.a. der Vogelflug der Greifvögel als Omen für das menschliche Schicksal gedeutet.9 Beim Thema Raumbewältigung in der Odyssee10 sind auch die nicht fassbaren Traumund Geistwesen zu nennen, die einzelnen Menschen entweder im Schlaf oder gar in der epischen Wirklichkeit erscheinen und in der Vorstellung des Dichters nicht im fiktionalen Raum wandeln, sondern in der geographischen Realität.11 Zu erwähnen sind ferner die 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Od. 14,29f.; 14,35f.; 17,314ff. Od. 18,371ff.; vgl. 22,299f. Od. 12,88ff.; 15,235f. (vgl. Il. 2,704ff.; 11,670ff.; 13,698; Hom.h. 4,68–438). Od. 10,158ff.; 14,436. Od. 19,449f. Od. 22,302ff.; 24,311f. Od. 15,160ff. Od. 15,525f. Od. 2,146–159; 20,242f. Auch das Gerücht und die Kunde können ›den Raum bewältigen‹: »Durch die Ecken und Enden der Stadt lief schon die Kunde und Botschaft, die vom hässlichen Tod der Freier erzählte.« (Od. 24,413f.; Übers. hier wie im Folgenden nach A. Weiher, Homer, Odyssee. Griech. und dt., München 51977). 11 So kam zu Penelope in der Nacht »ein Traumbild gleich einem Weibe; Iphthima [die Schwester Penelopes] war es, des hochbeherzten Ikarios Tochter; dieser glich die Gestalt«. Sie wohnte in

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Seelen der Verstorbenen, die aber nicht körperlich fassbar sind,12 und die vom Götterboten Hermes in das Totenreich geführt werden; dabei schweben sie zunächst über geographische Landschaften, die zunehmend in fiktive Räume übergehen.13 Abgesehen von den Menschen, bewegen sich in der Odyssee auch die menschenähnlichen Götter auf der Erde. Sie durchqueren sowohl himmlische Sphären als auch geographische Räume,14 und sie erscheinen oft in der Gestalt von Menschen15 oder Tieren.16 Zuweilen geschieht die göttliche Metamorphose auch unversehens, so z.B., wenn die Göttin Athene in Gestalt des Mentor neben Odysseus steht17 und plötzlich »in Gestalt einer Schwalbe« hinauf ins Dachgebälk fliegt.18 Die meisten Götter starten ihre Bewegung durch den Erdraum vom Berg Olymp aus,19 bzw. vom Himmel über den Wolken,20 dem ›Uranos‹,21 wobei sie zunächst den Luftraum, also den ›Äther‹, durchqueren,22 um zur Erdoberfläche zu gelangen.23 Zwei Gottheiten, nämlich Eos (die Göttin der Morgenröte)24 und Helios (die Sonne),25 steigen dagegen aus 11 12 13

14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

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Pherai [auf der Peloponnes], und »die schickte sie [Athene] hin zu Penelope« (Od. 4,796ff.). Als Penelope wieder einschlief, löste sich das Traumbild auf (4,838ff.). Als Odysseus seine Mutter im Jenseits wiedersah, wollte er sie ergreifen, doch »dreimal setzte ich an … dreimal indessen entflog sie den Händen, ein Traum nur, ein Schatten« (Od. 11,206ff.). »Hat erst der Wille zum Leben die weißen Gebeine verlassen, dann aber fliegt die Seele auch flatternd davon wie ein Traumbild« (Od. 11,221f.) und die Seelen »gelangen in den Hades« (11,425). »Hermes von der Kyllene holte der freienden Männer Seelen [von Ithaka], indem er sie rief«, und »setzte sie so in Bewegung: ein schwirrendes, ganzes Gefolge. Wie wenn Fledermäuse im Eck einer göttlichen Grotte schwirren und flattern … gradso schwirrten sie drängend heran und folgten dem Führer Hermes, dem Retter, entlang den Pfaden im dämmrigen Düster; gingen vorbei an Okeanos’ Strömung, am Felsen Leukas, gingen vorüber an Helios’ Toren, am Ort, wo die Träume wohnen, und kamen dann schnell an ihr Ziel, zur Asphodeloswiese« (24,1–13). Athene: Od. 1,96ff.; 6,41f.; 7,78ff. Hephaistos, Ares und Aphrodite: 8,283ff. Hermes: 5,28ff.; 10,277ff. Od. 1,103ff.; 2,399f.; 7,19ff.; 16,155ff. Athene fliegt »wie ein Vogel« von Ithaka fort (Od. 1,319f.; vgl. 22,239f.) und »wie ein Seeadler« aus Pylos (3,371f.). Od. 22,205ff.; 24,445f. Od. 22,239f.; vgl. 19,33ff. Od. 1,102f.; 5,28ff.; 24,487f. (oder sie kehren zum Olymp zurück: 6,41f.; 10,307f.; 15,43; 20,55). Die Götter »sitzen gar hoch in den Wolken« (Od. 16,264). Od. 20,30f. Od. 5,50; vgl. 15,523; 19,540. Darauf hinzuweisen ist, »daß der Bewegung eines Gottes vom Olymp zur Erde im Gleichnis in der Regel eine vertikale Bewegung entspricht« (T. Krischer, Formale Konventionen der Homerischen Epik, München 1971, 21; mit Belegen 19–21). »Die einzige deutliche Ausnahme ist das Möwengleichnis der Odyssee« (ibid.): »Hermes band sich gleich an die Füße die goldenen, göttlich schönen Sandalen; weit über Land und Wasser trugen sie ihn mit des Windes Wehen. Dann nahm er den Stab … und der Starke, Schimmernde hob sich zum Flug und stieß aus dem Äther hernieder, setzte den Fuß auf [die Landschaft] Piera, ließ dann zum Meere sich sinken, stürmte dann über die Wogen dahin wie die Möwe … Fern war die Insel, doch als er sie endlich erreichte, verließ er dort das Meer … und betrat festen Boden« (Od. 5,43–56). Eos »steigt herauf aus Okeanos Strömen« (Od. 22,197). Einmal ließ Athene »Eos auf goldenem Throne im Okeanos warten, ließ die hurtigen Rosse noch nicht schirren, den Menschen zu leuchten: Phaeton war es und Lampos, die Fohlen am Wagen der Eos« (23,243ff.). Aiaia ist »die Insel, wo Helios aufsteigt« (Od. 12,3f.; vgl. 1,22ff.), und zwar aus dem Ozean (vgl. 12,1ff.; 19,433f.; 23,347f.; ebenso Il. 7,421f.; 8,485; 18,239f.).

Raumbewältigung und Geschwindigkeiten in der Odyssee

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dem Ozean empor und berühren nur mit ihrem Licht die Erdoberfläche, ohne sie zu betreten. Wenn die Götter ihre himmlischen Sitze verlassen, begeben sie sich in der Regel in konkrete Erdräume, wie z.B. Ares und Aphrodite: »Eiligst stürmten sie auf und der eine ging zu den Thrakern; sie doch, die lieblich lächelnde Aphrodite, nach Kypros, dort dann nach Paphos zum duftenden Altar im heiligen Haine«.26 Manchmal liegt der Zielort der Götter auch in nahezu mythischer Ferne, z.B. wenn Poseidon die Aithioper besucht27 oder Hermes im Auftrag des Zeus zur Insel Ogygia am westlichen Ende der Welt aufbricht.28

2. Die Motivation zur Raumbewältigung Die Götter bewegen sich aus unterschiedlichen Gründen im Erdraum, z.B. um sich zu amüsieren,29 den Menschen entweder zu helfen30 oder zu schaden,31 oder weil sie, wie v.a. der Götterbote Hermes, von anderen Göttern beauftragt wurden, eine Nachricht zu überbringen. Auch werden Menschen von den Göttern zur räumlichen Mobilität veranlasst, z.B. wenn Athene und Zeus beschließen, den Odysseus endlich heimkehren zu lassen.32 Im Gegensatz zu den Göttern haben die Menschen noch zahlreichere Motive, aufgrund derer sie sich auf der Erdoberfläche bewegen: So nennt die Odyssee Mobilität zwecks Handel und Transport zu Wasser33 und zu Lande,34 um auszuwandern35 oder heimzukehren,36 um zu reisen und Freunde und Verwandte zu besuchen,37 um eine auswärtige Frau zu freien38 oder zur Heirat die Heimat zu verlassen,39 um Kunde einzuholen40 und sich zu orientieren,41 um für das eigene Seelenheil zu sorgen42 oder ein Orakel zu befragen,43 um einem göttlichen Auftrag zu folgen,44 aus Sorge um Leben und Eigentum,45 um Hilfe zu holen,46 um Schutz zu erbitten und Asyl zu erhalten,47 oder bloß, um Sport zu treiben.48 Zudem 26 27 28 29 30 31 32 33

34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48

Od. 8,361ff. Od. 1,22f.; 5,282ff. Od. 1,84ff.; 5,100f.; 7,244. Siehe auch H. Warnecke, Homers Wilder Westen, Stuttgart 2008, 283– 294. Od. 5,118ff.; 7,56f.; 8,266ff.; 11,241ff.;11,260ff.; 11,266ff.; 11,305f. Od. 13,439f.; 23,258f.; 24,400ff. Od. 13,149ff.; 23,352f.; 24,96. Od. 1,76–87. Sogar zur Insel Syria im äußersten Westen (Od. 15,403f.) »kamen phönizische Männer, Helden der Seefahrt, gaunernde Leute mit zahllosem Tand im schwarzen Schiff« (15,415f.). Vgl. Od. 15,445– 454; 24,299ff. Od. 10,103ff. Od. 6,3ff. Od. 1,57ff.; 10,472ff.; 15,65; 15,435–449. Od. 13,272ff.; 15,78ff.; 19,314f.; 21,15f; 24,114ff. Od. 16,247ff.; 21,251. Od. 4,810f.; 11,281ff.; 321ff.; 15,366f.; 19,527ff.; 24,294. Od. 14,179f.; 15,269f. Od. 4,389f.; 10,539f.; 11,479f. (Orientierungslosigkeit: 10,190ff.). Od. 11,121ff. Od. 14,327ff. Od. 10,490ff.; vgl. 563ff. Od. 24,536. Od. 9,401ff.; 11,508ff.; 24,430ff. Od. 6,191ff.; 8,546; 9,266ff.; 14,510f.; 15,277ff.; 16,65ff.; 16,424ff. (vgl. dagegen Xenophobie: 7,33). Od. 4,605; 4,625f.; 8,103; 8,121–134; 8,186ff.; 8,206; 11,471; 13,260f.; 17,168f.; 24,85ff.

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legte mancher große Strecken zurück, nicht nur, um in die Fremde zu gehen, sondern auch, um dort fremd zu gehen: letzteres wird in der Odyssee mit voyeuristischen Details v.a. den Göttern nachgesagt.49 Hinsichtlich der destruktiven Absichten der Menschen, mobil zu sein, verweist die Odyssee auf Krieg50 und Heerzüge,51 auf Überfälle zu Lande52 und zur See,53 auf Entführung54 und Sklavenhandel,55 sowie auf Mord56 und Ausweisung.57 Es werden aber noch weitere Motivationen zur Raumbewältigung genannt: Einerseits finanzielles Gewinnstreben58 und andererseits blanke Not,59 individuelle Migration60 und systematische Kolonisation,61 ferner Führerdienste62 und Botengänge,63 Nachrichtenübermittlung per Schiff,64 Erkundungen65 sowie Flucht66 und Verfolgung.67 Die häufigsten Belege zum Thema Raumbewältigung in der Odyssee zeugen vom Seehandel68 und von Raubzügen,69 wobei dazwischen manchmal kaum zu differenzieren ist.70 So lebte das Inselvolk der Taphier einerseits vom Handel mit Metallen71 und andererseits von räuberischen Überfällen,72 und diese Doppelstrategie von Handel und Raub war selbst bei einzelnen Kauffahrern anzutreffen: So erzählt die Odyssee von einem phönizischen Kaufmann, der mit allerlei Waren handelte und, wenn sich ihm in fremden Häfen eine günstige Gelegenheit bot, auch Menschen kidnappte, um sie woanders als Sklaven zu ver-

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Ares und Aphrodite: Od. 8,266ff. Die Odyssee kokettiert damit, Odysseus sei mit Kirke (10,333ff.; 10,347) und Kalypso (5,118ff.; 5,154; 5,227) fremdgegangen (siehe jedoch dazu Warnecke [wie Anm. 28], 205). Od. 3,107f.; 9,265f.; 11,383f.; 11,513; 14,224f. Od. 11,371f.; 11,447; 17,286–289; 14,229ff.; 14,235ff.; 14,242; 14,245f.; 24,117f.; 24,377ff. Od. 14,252ff.; 15,235f. Vgl. Anm. 69 und 74. Od. 3,105f.; 14,85ff.; 17,424ff. Vgl. Anm. 68 und 73. Od. 7,8f.; 8,528f.; 14,264; 15,387f.; 15,425ff.; 15,449ff.; 15,465; 17,433. Od. 1,397f.; 1,430; 3,154; 4,736; 14,297f.; 14,334–346; 15,382ff.; 15,482f.; 20,382f.; 24,211; 24,366; 14,389. Od. 4,669ff. (vgl. 16,400); 14,180f.; 14,379f.; 15,28ff.; 15,224; 15,272; 23,118ff. Od. 14,379f.; 16,381f.; 18,84f. (ähnlich 18,115f. und 21,306ff.). Od. 2,319f.; 8,161ff.; 17,249f. Od. 14,124f.; 18,401; 19,73f; 20,205ff. Od. 15,227f.; 15,254. Od. 7,58f.; 9,130ff. Od. 15,310f.; 17,201. Od. 16,466f.; 24,354f. Botengänge der Götter: 1,84ff.; 1,88ff.; 5,29ff.; 5,43ff.; 5,99ff.; 12,374f. Od. 16,348ff. Od. 9,88f.; 9,172ff.; 9,193ff.; 10,100f.; 10,145ff.; 14,496. Od. 5,223; 9,43; 10,128ff.; 15,228; 15,276ff.; 16,65f.; 23,118ff.; 24,50ff. Od. 16,351–357; 24,430f.; 14,437. Od. 1,181ff.; 2,318ff.; 6,22; 6,263ff.; 7,39; 7,43ff.; 13,113; 13,161–176; 13,272ff.; 14,295f.; 14,334f.; 15,415f.; 15,445ff.; 15,455ff.; 15,472ff.; 16,226ff.; 20,382f.; 24,300–308. Od. 3,105f.; 14,85ff.; 17,424ff.; 21,18ff.; 23,356f. Signifikant ist die formelhafte Frage: »Fremde Leute, wer seid ihr? Woher auf der Fahrt auf den feuchten Pfaden? Geht’s in Geschäften vielleicht oder schweift ihr nur blindlings, so wie Räuber, herum auf den Meeren, den Fremden zum Unheil?« (Od. 3,71ff.; 9,252ff.). Od. 1,182ff. Od. 14,451f.; 15,425ff.; 16,426.

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kaufen.73 Bei den Raubzügen zu Land und zur See74 handelte es sich überwiegend um Viehdiebstahl im großen Umfang,75 wobei zuweilen auch die Hirten gleich mitverschleppt wurden.76 Mit der Schilderung des ewigen Leidens des Sisyphos, der stets von neuem den Felsblock den Berg hinauf stemmt, bevor dieser unmittelbar vor dem Gipfel immer wieder ins Tal hinunterpoltert,77 bietet die Odyssee ein Beispiel für sinn- und zwecklose Raumbewältigung. Aber ›das Prinzip Hoffnung‹, das Sisyphos zu seiner Tat antreibt, ist auch das Hauptmotiv zum Thema ›Raumbewältigung in der Odyssee‹. Denn es ist der unerschütterliche Wille des Odysseus, trotz der zahlreichen Gefahren und Rückschläge,78 der Irrfahrt zu entrinnen und endlich heimzukehren.79 So ist der nostos der zentrale Aspekt im Epos, auf den sich die Handlung fokussiert.

3. Die Techniken zur Bewältigung des Raumes Im Gegensatz zu den Göttern stand den Menschen der Odyssee zur Raumbewältigung nur die zweidimensionale Erdoberfläche zur Verfügung,80 und so sind nun die Techniken zu nennen, mit denen die Menschen des homerischen Zeitalters die Strecken über Land und Meer bewältigten. Die kleinräumigen und alltäglichen Bewegungen zu Fuß bleiben in der vorliegenden Untersuchung unberücksichtigt.81 Wiederholt weist die Odyssee auf Botengänge hin, mit denen das Personal82 oder Tagelöhner bzw. Arbeitslose83 beauftragt wurden. Für wichtige Mitteilungen bemühte man auch zuverlässige Vertrauenspersonen mit höherem sozialen Rang.84 Wenn das gebirgige Landschaftsrelief – wie oft in Griechenland – ungeeignet für Pferde ist,85 legten die Boten den Weg zu Fuß zurück. Zuweilen betrug der Fußweg viele Kilometer, und auch Tagesmärsche waren nicht selten.86 Aufgrund der steinigen Böden und der Länge der Strecken zogen sich die Boten – ebenso wie der Götterbote Hermes87 – 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86

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Od. 14,288–298; 15,451–483. Od. 9,225ff.; 9,469f.; 9,547ff.; 21,18ff. Siehe auch Anm. 51, 52 und 68. Od. 11,401f.; 15,235f.; 21,18ff.; 21,22f.; 23,356f.; 24,111f. Od. 21,18ff. Od. 11,593ff. Hervorzuheben ist Od. 10,28–55. Bezüglich der Affinität von Aiolos-Abenteuer und Sisyphos-Geschichte: Warnecke (wie Anm. 28), 179f. Od. 1,57f.; 5,151ff.; 10,480ff.; 11,164ff. Wenn sich in der Odyssee Menschen durch den Luftraum bewegen, handelt es sich leider um unfreiwillige tödliche Stürze aus größerer Höhe (Od. 10,556ff.; 11,62ff.; 14,399). U.a. 10,107f.; 13,220; 23,359. Od. 4,735ff. Od. 16,151ff.; 18,7f. Od. 16,130ff.; 16,328f.; 16,33f. Vgl. Od. 4,607; 13,242f. Eumaios brach von seinem Berghof am frühen Morgen auf (Od. 16,154f.), um zügig zum Palast zu gehen, wo er die Botschaft überbrachte und sofort zum Berghof zurückkehrte (16,464ff.), auf dem er am Abend eintraf (16,452f.). Am nächsten Mittag wanderte er mit Odysseus wieder zum Palast, wo beide abends eintrafen (17,182ff.). Weitere Fußmärsche auf Ithaka: 14,1f.; 15,504f.; 17,1ff.; 17,26ff.; 23,370ff.; 24,205; 24,259f. Od. 5,43ff.; vgl. 1,96ff.

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extra lederne Sandalen an, wie die Odyssee wiederholt hervorhebt.88 Zur Ausrüstung beim Fußmarsch gehörte zudem ein Stab oder eine Lanze, mit denen man sich vor aggressiven Hunden und feindlichen Personen schützte.89 Nicht nur Boten, auch andere Personen unternahmen aus unterschiedlichen Gründen teils große Wanderungen,90 z.B. beim Viehtrieb91 oder während der Jagd in den tiefen Wäldern,92 oder gar, um ein entferntes Heiligtum bzw. ein Orakel aufzusuchen.93 Bei der Bewältigung von kurzen Strecken gehen die Menschen nicht nur, sondern manchmal laufen sie auch, v.a. beim Sprinten im Wettlauf94 oder während des Kampfgeschehens.95 So heißt es z.B. von Odysseus: er rannte den Fliehenden hinterher, »grausig schreiend und stürmisch gestrafft wie ein Adler im Hochflug«.96 In ebenen Landschaften dienten zur Raumbewältigung auch Pferde. So spielten von Thrakien bis Ägypten die Streitwagen bei kriegerischen Auseinandersetzungen eine große Rolle.97 Dass auf Pferden auch geritten wird,98 dafür bietet das Epos nur ein indirektes Beispiel, nämlich als der schiffbrüchige Odysseus – »wie zu Pferde« – auf einem Balken übers Meer reitet.99 Pferde dienten weniger als Reittiere, sondern vorwiegend als Zugtiere für Streitwagen100 und Kutschen101 (Maultiere dienten als Zugtiere für langsame Wagen).102 So reist z.B. Telemach mit Nestors Sohn von Pylos nach Sparta mit einem prächtigen Vierspänner:103 »Und er schlug mit der Peitsche die Tiere und diese voll Eifers stürmten hinaus durch die Stadt, um die Ebene schnell zu erreichen, schüttelten rastlos das Joch, das sie trugen, vom Morgen bis zum Abend.«104 Die detaillierte Beschreibung der Reise vom triphylischen Pylos nach Sparta belegt, dass es zumindest auf dem griechischen Festland befahrbare Fernverkehrswege gab.105 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100

101 102 103 104 105

Od. 15,550ff.; 16,154f.; 20,126. Od. 2,10f.; 13,322ff.; 15,550f.; 17,4; 17,61f.; 20,124ff.; 20,144f. So unternahm auch Odysseus Fußmärsche (6,260ff.; 6,319f.; 7,14ff.; 12,333ff.; 13,323) und sogar tagelange Wanderungen auf dem Festland (11,121ff.; 14,327ff.; 19,284; 19,296ff.; 23,266ff.). Od. 16,3; 14,24ff.; 14,103ff.; 15,235f.; 17,170f.; 18,276ff.; 20,219f.; 20,162f.; 20,173f.; 20,276ff.; 21,265f. Od. 17,294f.; 19,427–435; vgl. 11,572ff. Od. 11,121ff.; 14,327; 17,211. Od. 4,605; 8,103; 8,121ff.; 13,260f. Od. 9,43; 14,501; 24,420; 24,468f. Od. 24,537f. Od. 9,49; 14,280; 24,68ff. Il. 15,679ff. Od. 5,370f. Wenn es bezüglich der Schlacht im Nildelta heißt, »überall füllte das Land sich mit Pferden und Fußsoldaten« (Od. 14,267), dann dürfte es sich dabei um die auch in Ägypten üblichen, von Pferden gezogenen Streitwagen handeln. Und als Menelaos dem Telemach prächtige Pferde schenken will, scheint er nicht an Reitpferde zu denken: »Rosse erhältst du drei, dazu einen glänzenden Wagen« (Od. 4,590). Od. 4,8f., 4,533; 15,46f.; 15,80f.; 15,215f.; 17,117. Od. 6,8; 6,69ff.; 6,81ff.; 6,57f.; 6,72f.; 6,124; 6,316ff.; 7,2. Od. 13,81ff.; vgl. die Metapher 13,81ff. Od. 15,182ff. (Weiterreise am nächsten Morgen: 15,189ff.). Vgl. Od. 10,103; das indizieren auch archäologische Befunde (z.B. Brücken in der Argolis). Vgl. etwa K. Tausend, Verkehrswege der Argolis. Rekonstruktion und historische Bedeutung, Stuttgart 2006 (Geographica Historica 23), 199–203.

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Doch wenden wir uns nun der Raumbewältigung zur See zu, also der Schifffahrt, die in der Odyssee eine überragende Rolle spielt und von der Penelope sagt, dass die Schiffe »des Meeres Rosse für Männer« sind.106 In homerischer Zeit differenzierte man noch nicht zwischen Fracht- und Kriegsschiff, denn die schnittigen Galeeren, die vom griechischen Altertum bis in die Neuzeit hinein die Meere beherrschten, wurden erst seit dem 7. Jh. v.Chr. gebaut.107 Die Helden Homers fuhren noch mit bauchigen Ruderseglern in den Krieg, die ansonsten als Frachtschiffe dienten.108 Die Schiffe waren mit beweglichem Mast, Segeln und Rudern bzw. Riemen ausgerüstet,109 und sie boten zuweilen einen gewissen Komfort.110 Zur Ausrüstung einer Seefahrt gehörte ausreichend Trinkwasser und Proviant.111 Abgesehen von seetüchtigen Fracht- und Handelsschiffen, verweist die Odyssee auch auf Fischerboote,112 Fähren113 und Flöße.114 Je nach Windverhältnissen wurde entweder gesegelt oder über größere Strecken gerudert, auch auf dem offenen Meer.115 Und wenn die Götter gnädig waren, verlief eine Seefahrt durch günstigen Wind rasch und ohne Komplikationen.116 Häufig kamen die Schiffe jedoch durch diverse Widrigkeiten (v.a. Stürme, Strömungen und meteorologische Sichtbehinderungen) von ihrem Kurs ab und strandeten an fremden Küsten.117 So wurden z.B. die Schiffe des Odysseus auf der Hinfahrt nach Troja von der Südküste der Peloponnes bis nach Kreta verschlagen,118 wo die beschädigten Schiffe ausgebessert werden mussten.119 Während der stürmischen Abdriften gerieten die Schiffe häufig in Seenot,120 die oft mit Schiffbruch endete.121 In Lebensgefahr gerieten die Besatzungen auch, wenn auf hoher See das Süßwasser und der Proviant ausging.122 An weiteren Gefahren auf See erwähnt die

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Od. 4,708f.; vgl. Od. 13,81ff. H. Warnecke, Schiffahrt, in: H. Sonnabend (Hg.), Mensch und Landschaft in der Antike, Stuttgart 1999, 438–441. Man denke auch an das Schiff, mit dem Telemach und seine Gefährten von Ithaka nach Pylos und zurück fuhren (Od. 2,414ff.; 3,1ff.; 15,286ff.; 15,495ff.), und das ansonsten als Transporter für Pferde bzw. Maultiere genutzt wurde (4,630ff.). Eine detaillierte Beschreibung, wie ein Schiff mit Segeln und Rudern vor der Abfahrt ausgerüstet wird, bietet Od. 4,778ff. und 4,842ff.; vgl. auch 11,639f. und 15,495ff. Die Phaiaken »breiteten dann am hinteren Deck des geräumigen Schiffes Kissen und Leinen hin für Odysseus, daß ohne Erwachen er ruhig schlafe« (Od. 13,73f.); vgl. 15,283ff. Od. 5,265ff.; 7,265; 10,176; 12,305f.; 13,69ff. Od. 24,418f. Od. 20,185ff. Die Odyssee (5,234–262) beschreibt den Bau eines seetüchtigen Floßes (bzw. Blockschiffes). Od. 9,471f.; 11,639f.; 15,495f. mit 15,547ff. »Günstigen Fahrwind schickte Athene mit Augen der Eule, heftig stürmte er durch den Äther; das Schiff sollte eiligst laufen und glücklich durchfahren des Meeres salziges Wasser« (Od. 15,292ff.); vgl. 7,267f.; 11,6f.; 15,475–482. Od. 4,499ff.; 4,514ff.; 6,278f.; 10,46ff.; 13,272ff.; 14,299ff.; 24,306f. Od. 19,186f. Eine ähnliche Abdrift erleidet er auf der Rückfahrt (9,80ff.). Od. 14,382f.; vgl. 19,185f. Od. 4,512ff.; 9,70ff.; 10,47ff.; 12,312ff. Od. 4,499–551; 5,130ff.; 5,291–463; 7,249ff.; 7,272ff.; 12,405–444; 14,299ff.; 19,273ff.; 23,233ff.; 24,427f. »Als dann im Schiff der Vorrat gänzlich geschwunden, trieb sie Not« (Od. 12,329).

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Odyssee skrupellose Piraten123 und auch Seeungeheuer,124 die sich aber bei sorgfältiger Analyse des Textes als detaillierte Beschreibungen von außergewöhnlichen Naturgewalten (Tromben, Neerströme und dergleichen) entlarven.125 Meist nutzten die homerischen Helden das Tageslicht, um zur See zu fahren,126 wie z.B. folgende Aussage des Menelaos indiziert: »Als dann die Frühe sich zeigte, Eos mit rosigen Fingern, schoben wir zunächst die Schiffe hinab in das göttliche Meer, legten Segel und Mast in die seetüchtigen Schiffe. Dann stiegen sie ein und besetzten geordnet die Ruderbänke, und ihr Rudern bewegte die schäumende Salzflut.«127 Aber die Odyssee bietet etliche Beispiele dafür, dass man auch nachts zur See fuhr, und das nicht nur notgedrungen während – teils – mehrtägiger Meeresüberquerungen,128 wofür u.a. folgendes Beispiel spricht: »Die Sonne versank und Schatten verhüllten sämtliche Straßen. Wir aber gingen in Eile zum Hafen, der weithin bekannt ist. Dort nun lag der Phönizier eilig schwingendes Schiff. Darauf stiegen sie ein, um die feuchten Pfade zu fahren, nahmen uns beide an Bord und Zeus gab günstigen Fahrwind.«129 Aufgrund der Nachtfahrten wurden an seestrategischen Orten Leuchtfeuer unterhalten, wie Odysseus berichtet.130 Während man auf See also auch nachts fuhr, konnte man mit dem Wagen zu Lande nur tagsüber reisen.131 Im Gegensatz zur Raumbewältigung zu Lande, erforderte die Seeschifffahrt eine gute Navigation, um an den gewünschten Zielort zu gelangen. Eine detaillierte Beschreibung, wie man nachts anhand der Gestirne navigierte, bietet die Odyssee im 5. Gesang: »Flattern ließ da die Segel der hehre Odysseus, des Fahrwindes froh, und kunstvoll hielt er, am Steuer sitzend, die Richtung. Nie überfiel [nachts] Schlaf seine Lider; die Pleiaden behielt er immer im Auge und stets den Bootes, der spät erst herabsinkt, stets auch die Bärin, die manche auch Wagen nennen. Sie dreht sich immer am selben Ort und schielt auf Orion; denn sie nur kennt kein Bad in der Flut des Okeanos. Immer zur Linken sollte er sie haben; so hatte die hehre Göttin Kalypso streng ihm gesagt für die Fahrt. Und so fuhr er denn hin auf dem Meere siebzehn Tage.«132 An anderen Stellen im Epos werden dem Odysseus zur Navigation die Landmarken und Gefahren von sachkundigen Personen genannt.133 Voraussetzung 123 124 125

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Od. 3,72f.; 3,105f.; 9,253f.; 14,85ff.; 17,425ff. Od. 4,419ff.; 12,96f. (Haie? vgl. 14,135); 12,85–100; 12,245–259; 23,328f. (Skylla); 12,104ff.; 12,235ff.; 12,430–441 (Charybdis). Zu den Seeungeheuern Skylla und Charybdis: Warnecke (wie Anm. 28), 243–258. Zu den Ungeheuern an der Küste, die ebenfalls die Seefahrer gefährden, nämlich der Polyphem (Od. 9,481–496; 9,537ff.) und die Plankten (Od. 12,59ff.; 23,327): Warnecke, ibid., 159–169, 258–265. »Fügen wir jetzt uns dem Dunkel der Nacht« und landen das Schiff an. »Und kommt dann der Morgen, steigen wir wieder ein, das breite Meer zu befahren« (Od. 12,291ff.). Denn »schwierig sind doch die nächtlichen Winde, sind Mörder der Schiffe« (12,286f.); ähnlich 12,290. Od. 4,576ff.; vgl. 11,11f. Od. 3,169–183; 4,352ff.; 4,576–585; 5,268–278; 9,80ff.; 7,266f.; 10,28f.; 10,80f.; 13,35 mit 13,70–95 und 13,278f.; 15,34; 15,296ff.; 15,471–482; 15,495f.; 16,366ff. Od. 15,471ff. Weitere Beispiele: Anm. 126. Od. 10,30; dazu Warnecke (wie Anm. 28), 95f. Als Telemach mit dem Pferdewagen sofort aufbrechen wollte (Od. 15,46ff.), entgegnete ihm Peisistratos: »Das geht nicht bei all unserer Eile, jetzt in der finsteren Nacht auf den Weg uns zu machen« (15,50). Od. 5,269–278; zu diesem Nordostkurs Warnecke (wie Anm. 28), 290f. So nannte ihm der Seher Teiresias die »Wege und Maße der Fahrten; und Heimkehr kann er dir künden, wie du am besten dein Ziel erreichst auf dem fischreichen Meere« (Od. 10,539f.).

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für gute Kapitäne waren indes die durch langjährige Fahrpraxis erworbenen Kenntnisse von Wind und Wetter sowie vom Meer und seinen Küsten.134 Unter den seefahrenden Nationen werden in der Odyssee die Phönizier hervorgehoben135 sowie die ionischen Phaiaken,136 die wohl auf den für das euböische Eretria genannten mythischen Ahnen Phaiax zurückzuführenden sind.137 Die Bewohner von Eretria und deren Nachbarstadt Chalkis waren diejenigen Griechen, die als erste Kolonisation großen Stils im Westen und Nordosten von Griechenland betrieben. Und dementsprechend rühmt sich der Phaiakenkönig Alkinoos: »Wir sind sowohl kraftvolle Läufer zu Fuß als auch die ersten Meister der Seefahrt.«138 Seit homerischer Zeit gelang es den Griechen, auch Überseefahrten zu meistern, und nicht ›bloß‹ die ca. 200km lange Direktüberquerung der Ägäis zwischen Lesbos und Euboia,139 sondern auch den ca. 600km langen Seeweg von Kreta nach Ägypten140 sowie den über 400km langen Sprung westwärts über das Ionische Meer von Griechenland nach Sizilien und Süditalien.141 Um derartig lange Strecken sicher zu bewältigen, bei denen man mehrere Tage und Nächte auf See war, bedurfte es nicht nur einer hervorragenden nautischen Erfahrung, sondern auch einer eisernen Disziplin unter den Seeleuten, wie die Odyssee wiederholt betont. So ermahnte z.B. Telemach seine Gefährten: »›Bringt die Geräte im schwarzen Schiff jetzt in Ordnung! Steigen wir selber dann ein, dass rasch wir die Reise vollenden!‹ Sprachs, und jene hörten genau auf sein Wort und gehorchten. Gleich aber stiegen sie ein und besetzten die Ruderbänke.«142 Das disziplinierte gemeinschaftliche Handeln war vor allem in gefährlichen Situationen notwendig, wie z.B. den Worten des Odysseus zu entnehmen ist: »Jetzt macht ihr es alle so, wie ich euch es befehle. Setzt euch hin an die Pflöcke, ergreift die Ruder und schlagt sie tief in die See! Vielleicht ist es so möglich, dass Zeus uns dann doch noch Flucht und Entrinnen gestattet aus verderblicher Lage. Dir aber, Steuermann, befehle ich und es sei fest im Gemüt dir verankert: du gibst dem Schiff ja die Richtung! Halte es immer heraus aus der dampfenden Gischt da und diesem Gewoge! … Sonst stürzt du uns in das böse Verderben.«143 Die unter Seeleuten eingeforderte und zuweilen überlebenswichtige Disziplin verweist auf einen wichtigen Aspekt der im Zeitalter Homers aufblühenden Seeschifffahrt: Da ein einzelner Mensch kaum in der Lage ist, das offene Meer zu überqueren,144 ist die Raumbewältigung zur See – im Gegensatz zur Raumbewältigung zu Lande – stets eine Gemeinschaftsaufgabe145 und somit ein kulturstiftender Faktor, der zudem fremde Völker miteinander verbindet und zum kulturellen Austausch sowie der Übernahme technischer Errun134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144

Od. 6,270ff.; 7,192ff.; 7,319ff.; 8,28ff.; 13,113. Die Odyssee (15,403f.) bezeichnet die »phönizischen Männer« als »Helden der Schifffahrt«. Od. 6,43; 7,327f.; 8,252f. Warnecke (wie Anm. 28), 321 (mit Bezug auf IG XII 9 Nr. 191 B 24). Od. 8,246f. Od. 3,169–178. Od. 14,252–257 (vgl. 3,291–300; 4,82f.; 4,351ff.; 4,581–586; 17,425f.). Od. 20,382f.; 24,306f.; vgl. 24,211; 2,366; 2,389. Od. 15,218ff.; vgl. 12,146ff.; 13,76f.; 15,287ff. Od. 12,213ff. Selbst Odysseus hat es, wie schon von ihm vor der Abfahrt befürchtet (Od. 5,173ff.), trotz göttlicher Unterstützung (5,183ff.; 5,233ff.; 5,265ff.), mit seinem Blockschiff nicht geschafft (5,366ff.). 145 Od. 11,352f.

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genschaften führt. So werden in der Odyssee die seefahrenden Kulturvölker den primitiven, nur Landwirtschaft treibenden Eingeborenen gegenübergestellt, denn diese, so sagt der Dichter, »haben keine Schiffe … mit denen die Männer zu Städten der Menschen fahren und alle Geschäfte besorgen«.146 Wie u.a. auch diesem Zitat zu entnehmen ist, war die Seefahrt in homerischer Zeit – wie noch bis ins 20. Jh. hinein – reine Männersache.147 Frauen konnten zwar auch auf Schiffen mitfahren, aber lediglich als Passagiere.148 Zudem ist auf die beschränkte Reisefreiheit hinzuweisen; denn die weitgehende Freiheit, sich über größere Strecken zu bewegen, genoss nur ein Teil der Bevölkerung, nämlich die Adligen, die Kaufleute und die freien Bürger einer Gemeinde. Sieht man mal von den mittellosen Bettlern und auf Flucht befindlichen Personen ab, die sich irgendwie durchschlagen mussten und dabei stets dem Wohlwollen149 oder der Willkür150 fremder Menschen ausgeliefert waren, konnte man sich also über größere Strecken nur dann weitgehend beliebig bewegen, wenn man ein freier Mann und hinreichend vermögend war.

4. Analyse der Geschwindigkeiten Die Vorstellung von der Oikumene in der Odyssee, die ein riesiges, alles umgebendes Weltmeer (Okeanos) begrenzt,151 erstreckt sich konkret von Phönizien im Osten152 bis Sizilien im Westen153 und von Thrakien im Norden154 bis Ägypten155 und Äthiopien156 im Süden. Ohne hier auf die angemessene historisch-geographische Interpretation der Irrfahrterzählung des Odysseus eingehen zu können, sei angemerkt, dass der Held auf seiner angeblichen Reise diesen in den übrigen Gesängen der Odyssee gebotenen geographischen Rahmen keineswegs sprengt, da er lediglich im zentralen und östlichen Mittelmeerraum herumirrte.157 Auch ist darauf hinzuweisen, dass einige Angaben zur Raumbewältigung in der Odyssee keineswegs widersprüchlich sind, wie oft behauptet wird.158 Der Odyssee zufolge legten die Händler und Seefahrer über Land und See große Strecken zurück, die in der mittelmeerischen Ost-West-Achse teils 2.000km und mehr betragen. So 146 147 148 149 150 151 152 153 154

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Od. 9,125–129; vgl. 5,15ff.; 17,144ff. »Das Geleit [zur See] ist Sache der Männer, aller, doch meine besonders, denn mein ist die Herrschaft im Volke« (Od. 11,352f.). Vgl. 4,708f.; 9,128f. Od. 4,121 mit 4,126; 4,259ff.; 15,366f.; 15,472ff.; 23,218ff. U.a. Od. 14,56ff.; 15,257ff.; 15,280f. Od. 7,31ff.; 20,382f. Od. 1,97f.; 3,321f.; 5,174ff.; 11,158f. Od. 4,83; 14,291; 15,417 (Phönizien); 15,425 (Sidon). Od. 20,383; 24,307 (Sizilien); vgl. 15,403ff. (Ortygia=Syrakus?). – Dagegen nennt die Ilias noch keine Territorien westlich des Ionischen Meeres. Od. 8,361 (Thrakien); 9,40; 9,198 (Ismaros). – Mykenische Gräber weisen auch Bernstein auf, der aus dem Samland (Ostpreußen) stammt. Zwar beschreibt die Odyssee zwei Ketten aus ›Bernstein‹ (15,460; 18,296), die phönizische Händler zum Kauf anboten, aber das Epos verweist nicht auf das ferne, nördliche Herkunftsgebiet des Bernsteins. Od. 3,300; 4,83; 4,351; 4,355; 14,246; 14,263; 14,275; 17,426; 17,432; 17,448; 4,126 (das ägyptische Theben). Od. 1,22ff.; 4,84; 5,282; 5,287; vgl. 4,477 und 4,581: der »himmelentströmte« Nil. Warnecke (wie Anm. 28), 147–325. Warnecke (wie Anm. 28), 68f., 95, 98f., 106f., 170–174, 209–212, 305f., 313.

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handeln z.B. phönizische Kauffahrer mit diversen Waren, die sie per Schiff von Sidon über Griechenland bis Sizilien transportierten.159 Nun ist zu fragen, ob sich aus der Odyssee Geschwindigkeiten ermitteln lassen.160 Immerhin bietet das Epos bei einigen Strecken zu Land und zu Wasser auch Zeitangaben, die Rückschlüsse auf die Geschwindigkeit ermöglichen: So konnte der ca. 150km lange Landweg vom triphylischen Pylos bis nach Sparta mit einem Vierspänner immerhin in zwei Tagen bewältigt werden.161 Im Gegensatz zu den Überlandfahrten waren bei Seereisen mit günstigen Winden deutlich höhere Geschwindigkeiten zu realisieren: So benötigte z.B. Telemach für den ca. 70km langen Seeweg von der westgriechischen Insel Ithaka bis zur Westspitze der Peloponnes nur eine Nacht.162 Die Schiffe des Agamemnon, welche die knapp 200km breite Ägäis zwischen den Inseln Lesbos und Euboia überquerten, brachen am Morgen auf und erreichten ihr Ziel aufgrund kräftiger Winde in der anschließenden Nacht.163 Und die 600km lange Etappe von Kreta nach Ägypten wurde im Flottenverband unter günstigen Windbedingungen in fünf Tagen bewältigt.164 Diese beiden Beispiele belegen eine Tagesleistung von 120 bis über 200 Kilometern. Obwohl einzeln fahrende Schiffe noch höhere Durchschnittsgeschwindigkeiten erreichen konnten, dauerten Seereisen aufgrund von Flauten und ungünstigen Winde jedoch meist deutlich länger.165 So benötigte z.B. die Heerfahrt des Odysseus von Ithaka nach Troja, die von Stürmen und einer Abdrift nach Kreta gekennzeichnet waren, einen ganzen Monat.166 Konkrete Geschwindigkeiten, mit denen sich die Götter fortbewegten, sind der Odyssee nicht zu entnehmen. Immerhin erfahren wir, dass »Hermes der Hurtige«167 etliche Stunden benötigte, um vom Olymp aus an den westlichen Rand der damals bekannten Welt zu gelangen, wo er erschöpft von der langen Überquerung des Meeres eintraf.168

5. Nachwort: Kulturhistorische Reflexionen Mobilität, besonders zur See, ist ein substanzielles Thema der Odyssee,169 wie auch die formelhaften Redewendungen indizieren.170 Doch bei aller Faszination des Dichters für die technischen Innovationen seines Zeitalters, die besonders die Seeschifffahrt revolutio159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169

Od. 15,403f. mit 15,415f.; 15, 425 mit 15,431ff. Ebenso reichten die Handelswege der Taphier von Phönizien bis ans westliche Ende der Erde (15,425ff. mit 15,403f.). Zum Verhältnis von Windbezeichnungen und Geschwindigkeit der Schiffe: A. Wolf, Homers Reise, Köln 2009, 145–152. Od. 3,481–497; 4,1f.; 15,182–193. Od. 15,292ff. mit 15,495ff. Od. 3,169–178. Und die Flotte des Diomedes benötigte 4 Tage bis Argos (3,180ff.). Od. 14,252–258. Od. 3,286ff.; 4,514ff.; 9,67ff.; 9,80ff.; 14,300ff.; 14,382f.; 19,185ff., 19,199ff. Od. 24,116ff. Od. 8,322f. Indes, der »schnellste der Götter« ist Ares (Od. 8,330). Od. 5,43–56; 5,99ff. Das Agens der Helden der Odyssee ist das Herumschweifen zu Land und zur See: erster Gesang: 1ff. 11f. 49ff. 57f. 61f. 74f. 85ff. 176f. 180ff. 196ff. 210f. 257ff. 280ff. 290. 303f. 315. 326f. 354f. 409f. 413; zweiter Gesang: 27. 131. 163f. 172f. 182f. 212ff. 212. 285. 292ff. 317. 332f. 359. 364f. 369f. 388f. 402ff. 414–429. 434; dritter Gesang: 4. 10f. 61. 86ff. 104ff. 131f. 141f. 153. 157–185. 188–194. 268. 270f. 276–302. 306f. 311f. 316ff. 323f. 343f. 365f. 368f. 477–497; vierter Gesang: 1f. 8f. 33f. 81ff. 98f. 126. 145f. 161f. 228f. 243ff. 322f. 341ff. 351–523. 545. 552–564. 571–586. 633ff. 638f. 656. 664.

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Heinz Warnecke

nierten, heißt es in der Odyssee: »Der Mensch ist das brüchigste Wesen von allen auf Erden«.171 Denn der Mensch ist, wie auch die moderne Anthropologie lehrt, ein geborenes »Mängelwesen«,172 weil er in den geographischen Räumen anderen Spezies physisch und morphologisch unterlegen ist. Und deshalb ist der Mensch – im Gegensatz zu allen anderen Lebewesen – stets auf Hilfsmittel angewiesen, die er sich kunstvoll hergestellt hat. Diese dienten im besonderen Maße der menschlichen Mobilität, angefangen von den ledernen Sandalen für die Füße, deren Anlegen der Dichter genau beschreibt, bis zu den schnellen Schiffen, die selbst die homerischen Helden bewundern173 und die ihnen eine bis dahin unvorstellbare Mobilität verliehen. So eroberte der frühzeitliche Mensch zuerst sein Umland, dann – seit homerischer Zeit – das offene Meer, und seit einem Jahrhundert sogar den Luftraum. In diesen kultur- und geistesgeschichtlichen Kontext ist auch das Thema ›Raumbewältigung in der Odyssee‹ zu stellen. Denn analog zum verkehrstechnischen Umbruch seit der Mitte des 19. Jh. durch die Eisenbahn, und ab dem 20. Jh. durch das Automobil und das Flugzeug, zeugt die Odyssee ebenfalls von einer Zäsur in der Verkehrstechnik,174 die mittels hochseetauglicher Schiffe 169

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669ff. 701f. 713. 726f. 731f. 748. 779ff. 810f. 817. 821ff. 842ff.; fünfter Gesang: 13–20. 24ff. 31–42. 81ff. 106–115. 130–134. 139ff. 146. 151. 156. 161–168. 174ff. 192f. 203f. 119f. 223f. 233–493; sechster Gesang: 7f. 119. 127ff. 162. 170ff. 178. 191. 253f. 270f. 290. 297f. 316ff.; siebenter Gesang: 14ff. 30. 34–46. 108f. 193ff. 222f. 227. 244–255. 261–285. 317. 319–326; achter Gesang: 28ff. 34f. 48–55. 150. 182f. 232f. 410f. 489ff. 514ff. 557ff. 567f. 573f. 578. Die Irrfahrterzählung des Odysseus umfasst die Gesänge neun bis zwölf: 9,38–566; 10,1–574; 11,1–333. 377–640; 12,1–453. Dreizehnter Gesang: 30. 75–95. 113ff. 125. 149f. 161ff. 168f. 174ff. 200. 211f. 256–286. 315ff. 318f. 340. 412ff. 418f., 422. 425f.; vierzehnter Gesang: 14,1ff. 43. 61. 70f. 86f. 120. 124. 140f. 151f. 161ff. 167. 179f. 199–359. 361f. 365ff. 379ff. 396f. 447. 479–502. 517: fünfzehnter Gesang: 2f. 13. 23. 28ff. 33–42. 46f. 49f. 65f. 68f. 80ff. 113. 117f. 144f. 153. 176f. 182–193. 205f. 215–300. 308. 337. 342ff. 367. 381f. 403–484. 491f. 495–555; sechzehnter Gesang: 18. 26. 62ff. 138. 142. 154f. 205f. 222f. 227ff. 247ff. 289. 322ff. 333. 346–357. 366ff. 382ff. 424ff. 471f.; siebzehnter Gesang: 3ff. 10. 41f. 109–121. 133f. 142–149. 160. 185. 200f. 204f. 249f. 253. 284f. 314. 425–444. 448. 522ff. 539; achzehnter Gesang: 84. 115. 127. 252f. 257ff. 356. 384; neunzehnter Gesang: 116. 125f. 168–202. 216f. 222f. 243. 259f. 270–302. 313f. 338f. 351. 393f. 399. 410ff. 428–466. 596f.; zwanzigster Gesang: 205f. 221f. 288. 339f. 360. 382f.; einundzwanzigster Gesang: 13–40. 107ff. 119f. 204. 307f. 334f.; zweiundzwanzigster Gesang: 35f. 283; dreiundzwanzigster Gesang: 18f. 27. 169f. 175f. 220f. 252f. 266–280. 310–340. 351. 357. 370ff.; vierundzwanzigster Gesang: 26f. 36–97. 104. 109ff. 115ff. 125. 149ff. 205f. 237. 266ff. 281. 289ff. 304– 311. 321f. 332ff. 354f. 377f. 400. 418f. 426f. 430f. »Fremder Mann, ich selbst will zuerst um das Eine dich fragen: Wer und woher von den Menschen, und wo ist die Stadt deiner Eltern? Wie war das Schiff, mit dem du hier ankamst?« (1,170f.; 14,187f.; 19,104f.; vgl. 1,405f.; 24,298). »Fremde Männer! Wer seid ihr? Woher der Fahrt auf den feuchten Pfaden? Geht’s in Geschäften vielleicht, oder schweift ihr nur blindlings, so wie Räuber, herum auf den Meeren, den Fremden zum Unheil?« (3,72ff.; 9,252ff.). »Wer bist Du und woher kommst Du von den Menschen?« (7,238; vgl. 16,57f.; 16,222f.). »Nenne mir auch dein Land, dein Volk, deine Stadt« (8,555). »Wo steht jetzt dein eilendes Schiff, das dich hierher gebracht hat? Kamst du als Kaufmann?« (24,209f.; vgl. 2,319f.). – Auch die Götter sind oft auf der Erde unterwegs: 1,22f.; 1,84f.; 1,96–102; 2,267f.; 2,382ff.; 3,1f.; 3,371f.; 5,29ff.; 5,43–58; 5,99ff.; 5,120; 5,282f.; 5,380f.; 6,2f.; 5,41f.; 7,78ff.; 8,7; 8,267–363; 13,159f.; 13,221; 13,412; 13,439f.; 15,1f.; 15,43; 16,155ff.; 20,30f.; 20,73; 24,1–13, 24,99f.; 24,487f. Od. 18,131f. A. Gehlen, Der Mensch – Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt 1940, 16. Od. 7,43ff.; vgl. 13,81ff. Siehe u.a. H. Warnecke, Schiffahrt und Schiffahrtswege, in: H. Sonnabend (Hg.), Mensch und Landschaft in der Antike, Stuttgart 1999, 438–442 und 442–446.

Raumbewältigung und Geschwindigkeiten in der Odyssee

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und einer ausgefeilten Navigation zur Eroberung größerer geographischer Räume und zur griechischen Kolonisation des Mittelmeeres und Schwarzen Meeres führte – und somit in Geist und Taten wesentlich das ›Abendland‹ konstituierte. Der in der Odyssee geschilderte hohe Grad an Mobilität, auf den der Dichter in zahlreichen Versen sein Augenmerk richtet, zeugt also von einem neuen Zeitalter. So hören wir, dass nun selbst ein Sklave – indes wider Willen – von einem Ende der Welt bis ans andere gelangen konnte,175 und die Oberschicht der Kaufleute und Aristokraten erscheint fast wie der Vorläufer des modernen ›Jetset‹: Sei es nun, dass Menelaos und die schöne Helena als ›Touristen‹ das ferne Phönizien und sogar Oberägypten bereisten,176 oder dass der junge Telemach per Schiff und Kutsche zügig ca. 600km zurücklegte, um insgesamt nur drei Tage bei Nestor in Pylos und bei Menelaos in Sparta zu verbringen.177 Infolge des in den homerischen Epen gefeierten, tatkräftigen und unerschrockenen Menschen,178 der sich aufgrund seiner Hybris selbst gegen Götter und unbezwingbare Naturgewalten auflehnt,179 was indes auch zu Fehlschlägen und großem menschlichen Leid führt,180 können wir heutzutage nicht nur die Meere befahren, sondern sogar fliegen. Mehr noch: Das Flugzeug ist inzwischen zum Massentransportmittel geworden, und mit ihm reisen die heutigen Menschen viel weiter und auch bedeutend schneller als die homerischen Götter.181 Außerdem verfügt die heutige Menschheit – leider – über weit fürchterlichere Waffen als der allmächtige Zeus.182 Somit hat das ›Mängelwesen‹ Mensch nun sogar die Phantasie des großen Dichters Homer übertroffen,183 dessen Epen das erste literarische Zeugnis der europäischen Kultur darstellen. Heinz Warnecke In der Mulde 10b, D-51503 Rösrath-Forsbach [email protected]

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Die Handelswege der Taphier und der Phönizier erstreckten sich zwischen Phönizien und Süditalien bzw. Sizilien (Od. 1,184; 15,403f.; 15,415; 15,4425ff.), und so gelangte z.B. eine Sklavin aus Sidon bis in den fernen Westen (15,403–429). Od. 4,126ff. Und Menelaos prahlte: »Meine Weltfahrt ging zu den Kyprern, Phoinikern, Aigyptern, ich kam zu Sidoniern, Erembern und Aithiopen, Libyen sah ich.« (4,81ff.; vgl. 4,268). Od. 2,388ff.; 2,414–429; 3,1ff.; 3,329; 3,404; 3,481–487; 3,488ff.; 3,491–495; 4,1ff.; 4,301ff.; 4,306; 4,623; 15,1ff.; 15,56; 15,182ff.; 15,186ff.; 15,189ff.; 15,286ff.; 15,296; 15,297ff.; 15,495ff. Der homerische Mensch sticht hervor durch »die eigene Motivation«, »die eigenen Entscheidungen« und »vor allem die eigenen Taten« (E. Sarischoulis, Schicksal, Götter und Handlungsfreiheit in den Epen Homers, Stuttgart 2008, 286). Od. 4,500ff.; 9,492ff.; 11,311ff.; 12,115ff.; 12,226ff.; 13,128ff. Od. 4,505ff.; 8,564ff.; 11,311ff.; 13,159ff. So bewegte sich z.B. die Göttin Athene »unermeßlich weit über Wasser und Länder und schnell mit dem Wehen des Windes« (Od. 1,96ff.). Selbst der Götterbote Hermes war nicht schneller als der Wind (5,43ff.). – Per Definition sind Winde bis 75km/h schnell, Stürme bis 100km/h und Orkane bis 200km/h. Sogar normale Verkehrsflugzeuge sind vier- bis fünfmal schneller als Orkanwinde. Die fürchterlichsten Waffen des Zeus sind zerstörerische Blitze (Od. 12,415f.; 14,268f.). – Gemessen an Atom- und Neutronenbomben erscheinen Blitze geradezu harmlos. Man denke z.B. an die Visionen der Phaiaken über Wunderschiffe (Od. 7,34ff.; 8,556ff.; 11,125; 13,86ff.), die durch Radar, Echolot, GPS und Autopilot inzwischen Realität geworden sind.

Nicola Zwingmann

Reisen von Frauen im literarischen Diskurs der Antike unter besonderer Berücksichtigung der loca-sancta-Pilgerin der christlichen Spätantike

Die Überlieferungslage zu reisenden Frauen in der paganen wie der christlichen Antike ist aufs Ganze gesehen dürftig und höchst unterschiedlich, je nach Reisemotiv und sozialem Status der jeweiligen Reisenden. Doch eines steht fest: Es sind viele Frauen gereist. Drei der Gründe, die Frauen in teils hunderte von Kilometern entfernte Gebiete führen konnten, seien beispielhaft hervorgehoben: erstens Reisen zu Heiligtümern bzw. heiligen Stätten, zweitens die Begleitung männlicher Familienangehöriger auf deren Dienstreisen als Amtsträger und Herrscher und drittens beruflich bedingte Reisen.1 Im Rahmen dieses Aufsatzes soll der am besten bezeugte Typus weiblicher Reisender der christlichen Spätantike untersucht werden. Dabei handelt es sich um der Oberschicht zuzurechnende Frauen, die sich von weit entfernten Orten – häufig aus dem Westen, insbesondere Rom – zu den loca sancta ins Heilige Land und nach Ägypten begaben, wobei ein zeitlicher Schwerpunkt zwischen der Mitte des 4. und des 5. Jh. auszumachen ist (vgl. Abb.).2 Das Gesamtphänomen und einzelne prominente Vertreterinnen stoßen in der Forschung seit Längerem auf großes Interesse.3 Dieser Aufsatz zielt darauf ab, im Kontrast zur pa1

Für wertvolle Hinweise danke ich Christoph Begass, Dr. Hartmut Blum, Dr. Lien Foubert, Prof. Dr. Matthäus Heil, Prof. Dr. Johannes Niehoff-Panagiotidis, Dr. Fabian Schulz und Prof. Dr. Anja Wolkenhauer. 1 Siehe Zwingmann, in Druckvorbereitung. 2 Zu in Spätantike und Frühmittelalter im Westen des Reiches reisenden Frauen siehe etwa die Ausführungen bei Bertelli 1995, 538–541 über die vom 6. Jh. bis in die Mitte des 9. Jh. inschriftlich und literarisch bezeugten Pilgerinnen an der Kultstätte des Erzengels Michael auf dem Monte Gargano in Apulien. Zum statistisch auswertbaren Anteil inschriftlich überlieferter weiblicher Reisender, insbesondere Migrantinnen, im Westen des Reiches in Spätantike und Frühmittelalter siehe Handley 2011, 13, 37–51, bes. 37f. mit Tabelle 3.1, eben dazu in der Kaiserzeit siehe Wierschowski 1995, 262–266. Erinnert sei auch an den Vortrag zum Ostgotenreich, den Mark Mersiowsky anlässlich des Kolloquiums gehalten hat. 3 Übergreifende Untersuchungen: z.B. Sirago 1986; Elm 1989; Petersen-Szemerédy 1993; Elm 1994; Fortner, Rottloff 2000; Lenski 2004; Dietz 2005, passim; Rottloff 2007. Literatur zu einzelnen prominenten weiblichen Reisenden: siehe z.B. zu Helena (SchlangeSchöningen 2011), zu Melania der Jüngeren (Giardina 2001; Stickler 2006), zu Egeria (siehe die bei Hartmann 2010, 615 genannte Literatur), zu Paula (Cain 2013), zu Poemenia (Devos 1969), zu Silvia/Silviana (Hunt 1972; Devos 1973; 1974). Hingegen behandeln Beiträge über Reisen in der Antike und/oder Spätantike die weiblichen Reisenden stiefmütterlich. Genannt werden können: André, Baslez 1993, z.B. 262–264; Casson 21994, z.B. 300–329, passim;

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Nicola Zwingmann

ganen Antike4 die Besonderheit des literarischen Diskurses über die christlichen Pilgerinnen und somit unserer Quellenlage herauszuarbeiten. Dazu werde ich die wichtigsten literarischen Gattungen sowie den Umfang, die Themenauswahl und die Darstellungssabsicht der Texte untersuchen. Die Voraussetzung dafür, dass die christlichen Pilgerinnen eine solch weite Reise zu den loca sancta überhaupt antreten konnten, ist ihre »ökonomische Abkömmlichkeit«, wie sie Max Weber für die politische und militärische Tätigkeit von Männern hervorgehoben hat. Darunter ist – in den Worten Folker Reicherts – Folgendes zu verstehen: die »Freiheit von wirtschaftlichen Zwängen bei gleichzeitiger Verfügbarkeit von Zeit und Mitteln, [was auf Reisen] in oftmals inszenierten Formen zur Schau gestellt [wurde]«.5 Dies gilt umso mehr, als bei den antiken Reisegeschwindigkeiten schon allein die Dauer einer Reise in eine weit entfernte Gegend mehrere Wochen oder gar Monate in Anspruch nahm und sich die Reisenden am besuchten Ort bzw. an den besuchten Orten oft über einen ähnlich ausgedehnten Zeitraum aufhielten, bevor sie sich auf die lange Rückreise machten. (Bei den christlichen Pilgerinnen entfiel die Rückreise bisweilen, weil manche ihren Wohnsitz dauerhaft in einem Kloster im Heiligen Land nahmen, was dadurch begünstigt wurde, dass ›barbarische‹ Heere den Westen zunehmend gefährdeten).6 Womit diese christlichen Pilgerinnen die erheblichen Reisekosten für sich und ihre Bediensteten bestritten, wird meiner Kenntnis nach in den antiken Texten nicht thematisiert. Sie scheinen jedoch auf ihr eigenes Vermögen zurückgegriffen zu haben, über das sie weitgehend selbst verfügten. Das galt nicht nur für verwitwete, sondern in gewissem Umfang auch für verheiratete Frauen, die ihr Vermögen offenbar gegen den Willen ihres als rechtlichen Vormund dienenden Ehemannes oder Vaters einsetzen konnten.7 Als Reisende spielten letztere in der christlichen Spätantike allerdings eine untergeordnete Rolle.8 Ebenfalls so gut wie nicht diskursrelevant ist ein Faktor, der in der Antike die Reisetätigkeit von Frauen im gebärfähigen Alter hemmte, wenn auch keineswegs verhinderte, nämlich die häufigen Schwangerschaften, Geburten und die Fürsorge für kleine Kinder.9 Bei den christlichen Pilgerinnen kamen diese Gründe offenbar in der Regel nicht zum Tragen. Viele lebten schon lange, bevor sie die Reise antraten, asketisch und folglich auch sexuell enthaltsam. Das gilt natürlich für Unverheiratete, die sich der Jungfräulichkeit verschrieben hatten (wie Eustochium, die Tochter der älteren Paula, das die beiden begleitende Jungfrauengefolge oder Paula die Jüngere), für Witwen (sowohl früh verwitwete wie Melania die Ältere und Paula die Ältere als auch Frauen in weit fortgeschrittenem Alter wie Helena und 3 4 5 6

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Dimitroukas 1997, Bd. 2, 211–216; Külzer 2002, 154–157. Aber auch frauengeschichtliche Studien gehen auf das Thema Reisen allenfalls ganz am Rande ein. Siehe Scheer 2004, bes. 43–47, 50. Weber 51972, 170; 2005, z.B. 141, 383, 395; Reichert 2001, 12. Zum Verhältnis von Reise- und Aufenthaltsdauer siehe die Zusammenstellung bei Wilkinson 1977, 19. ›Barbarische‹ Bedrohung als Grund für eine Niederlassung im Heiligen Land: Klein 1990, 178. Krause 1995, 93–104. Ein prominentes Beispiel ist Melania die Jüngere, die gegen den Willen ihres Vaters, ihres Schwagers und der paganen Senatsmitglieder handeln konnte: Gerontius, Vita Melaniae iun. 9–12; 19f. (SChr 90, p. 144–152, 162–170); siehe dazu Demandt, Brummer 1977, 482–492, bes. 485–489. Cod. Theod. 16,2,27f.; siehe dazu Krause 1995, 101f. S.u. die Beispiele der Eusebia, der Helena (der Ehefrau Julians) und der Serena sowie Anm. 55. Siehe Hezser 2011, 389.

Reisen von Frauen im literarischen Diskurs der Antike

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Eutropia), und es konnte sogar auf Verheiratete zutreffen (wie das Beispiel von Melania der Jüngeren und Valerius Pinianus zeigt).10 Es gab nachweislich auch Pilgerinnen, die ihre Kinder zurückließen. Diese noch zu behandelnden Fälle sind die meiner Kenntnis nach einzigen, die Kinder als einen reisehemmenden Faktor thematisieren, gerade weil die jeweiligen Mütter sich darüber hinwegsetzten. Schwanger reisende Frauen kennen wir in der christlichen Spätantike meines Wissens nur außerhalb des Kontextes der Pilgerreise.11

Chronologischer Überblick Die christlichen Pilgerreisen zu den loca sancta lassen sich in drei Phasen unterteilen: die Anfänge bis zur Mitte des 4. Jh., den Zeitraum von der Mitte des 4. Jh. bis zur Mitte des 5. Jh., der die Hochphase insbesondere der aus dem fernen Westen stammenden Pilgerinnnen darstellt, und die Zeit nach der Mitte des 5. Jh., als dieser Typus nur noch in geringem Umfang vertreten ist. Nach ersten Anfängen im 2. und 3. Jh. kamen christliche Pilgerreisen seit dem 4. Jh. auf, und Frauen waren innerhalb dieses Reisetypus fortan stark repräsentiert.12 Infolge der Eroberung des östlichen Reichsteils durch Konstantin d.Gr. im Jahr 324 hatte sich der Fokus dorthin verlagert und das Christentum als religio licita einen gesicherten Status erhalten.13 Angestoßen worden zu sein scheint die erhebliche Zunahme der Pilgerreisen durch diejenige einer Frau: Helena, die Mutter Konstantins, machte sich im Jahr 326/7 zu ihrer Reise ins Heilige Land auf. Es ist meines Wissens der erste belegte Fall einer Kaiserin, die ›alleine‹ auf Reisen ging, d.h. nicht als Begleitung eines männlichen Familienangehörigen, meist des Ehemanns.14 Die Reise der zu diesem Zeitpunkt fast 80 Jahre alten Helena, die »wie Livia 10

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Verwitwete Paula mit ihrer jungfräulichen Tochter Eustochium und ihrem Jungfrauengefolge: Hier. epist. 108,6; 108,11; 108,14. Siehe außerdem z.B. die ägyptischen Nonnen, die nach Jerusalem reisten (Athan. epist. 55) und Egeria, die anscheinend in einer klösterlichen Frauengemeinschaft lebte (siehe z.B. Aeth. 3,8; 19,19; 23,10. Vgl. Valerius Bergidensis epist. 1 (SChr 296, p. 336). Reisen der noch jungen, aber bereits verwitweten Melania der Älteren von Rom über Ägypten ins Heilige Land und als 60jährige Frau von Jerusalem nach Rom und zurück: Pall. Laus. 46,1–4 (Bartelink p. 220, 222); 54,3–6 (Bartelink p. 246, 248). Zu Helena und Eutropia s.u. Keusches Zusammenleben von Melania und Pinianus und gemeinsame Reisen: Gerontius, Vita Melaniae iun. 6; 8 (SChr 90, p. 136, 140). Siehe Anm. 55. Zu zurückgelassenen Kindern: s.u. mit Anm. 70 und 71. Beispiel einer schwangeren Reisenden: s.u. mit Anm. 50. Zu Reisen schwangerer Frauen und Frauen mit Kindern in der paganen Antike siehe etwa die Beispiele der älteren Agrippina (Tac. ann. 1,40,3; 1,41,3; 1,44,1; 2,54; 2,75,1; 3,1; 12,27,1f.; Suet. Cal. 8; Cass. Dio 57,5,6f.), der Iulia (Suet. Tib. 7,3) oder der Domitia Decidana, der Ehefrau des Agricola (Tac. Agr. 6,2; 29,1). Zwingmann, in Druckvorbereitung. Die früheste uns bekannte Heilig-Land-Reise ist diejenige des Melito von Sardeis um die Mitte des 2. Jh. n.Chr.: Melito Sardensis ap. Eus. HE 4,26,13f. Zu ihm und weiteren siehe Hunt 1982, 3f. Nach Firmilian von Caesarea behauptete im Jahr 235 n.Chr. eine montanistische Prophetin, aus Kappadokien nach Jerusalem und zurück gereist zu sein: Firmilianus, ap. Cypr. epist. 10. Ob sie Jerusalem im Heiligen Land, das Neue Jerusalem der Montanisten in Phrygien oder lediglich eine spirituelle Reise meinte, ist umstritten: Elm 1989, 221–223; 1994, 272. Schon in apostolischer Zeit soll die heilige Thekla einer apokryphen Schrift zufolge, die sie zum weiblichen Gegenstück des Paulus aufbaut, ihres Glaubens wegen weit gereist sein und den Apostel Paulus von Iconium nach Antiocheia begleitet haben: Acta Pauli et Theclae 1,1; 7,1; 9,25. Vgl. Klein 1990; Ousterhout 1990; Dassmann, Thraede, Engemann 1995; Lee 2000, 272; McCormick 2001, 129–138. Zu den ›alleine‹ reisenden Frauen aus höchstem sozialem Stand s.u. mit Anm. 54–57.

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allen späteren Augustae als Vorbild diente«,15 war geradezu stilbildend. Fortan etablierte sich die Pilgerreise als eine der »neue[n] Formen der religiösen Betätigung für Frauen« des Kaiserhauses. Pilgerreisen von Kaisern sind hingegen in der christlichen Spätantike nicht überliefert.16 Auf die vermutlich vielschichtigen Gründe und Intentionen von Helenas Reise soll hier nicht eingegangen werden.17 Nicht zuletzt konnten christliche Kaiserinnen sich auf Pilgerreise begeben, um sich einer für sie schwierigen, wenn nicht gefährlichen Situation zu entziehen. Durch die Reise selbst sowie durch ihre Aktivitäten im Heiligen Land – ihre Bautätigkeit und die (Wieder-)›Entdeckung‹ heiliger Stätten – konnten sie zudem ihre Machtstellung am Hof verbessern. Noel Lenski bezeichnet sie deswegen als »refugee empresses«.18 Helena reiste jedenfalls im Jahr nach den Morden an Konstantins Sohn Crispus und an seiner Ehefrau Fausta ins Heilige Land, in etwa zeitgleich wie auch Konstantins Schwiegermutter Eutropia, deren engste Familienmitglieder, nämlich ihr Ehemann Maximianus Herculius, ihr Sohn Maxentius und zuletzt auch ihre eben bereits genannte Tochter Fausta, durch Konstantin den Tod gefunden hatten. Insbesondere Helena und Aelia Eudokia, die Ehefrau von Theodosius II., untermauerten ihren Machtanspruch, indem sie Elemente des Zeremoniells des kaiserlichen adventus, mithin traditionell Männern vorbehaltene Formen, nutzten: Sie zogen in einer pompösen Prozession ein, verteilten largitiones, und Eudokia hielt sogar eine öffentliche Rede.19 Als Egeria über ihre in den Jahren 381 bis 384 n.Chr. unternommene Reise berichtet, fühlt sie sich, jedenfalls im uns erhaltenen Teil ihres Werks, in keiner Weise bemüßigt, ihr Tun gerade als Frau zu rechtfertigen. Dass auch Frauen, die nicht der Reichsaristokratie zuzurechnen sind, zu den loca sancta reisten, scheint schon damals nichts Ungewöhnliches gewesen zu sein.20 Laut einem zeitgleich verfassten Brief des Gregor von Nyssa gehörte es unter Mönchen wie Nonnen gerade aus Kappadokien für einige zur Frömmigkeit, die Erinnerungsorte an Jesus in Jerusalem gesehen zu haben.21 Diese Berichte fallen in ein Zeitfenster, in dem wir erstaunlich gut über die Pilgerreisen von Frauen informiert sind.22 Ihre Anzahl scheint sogar die der Männer zu übertreffen. Von der Mitte des 4. bis zur Mitte des 5. Jh., kann man eine regelrechte Mode gerade unter stadtrömischen Aristokratinnen aus15 16 17 18

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Dürr 2001, 1081. Ebd. 1080. Zum Besuch berühmter Heiligtümer und Orakelstätten durch Kaiser in der paganen Antike: Halfmann 1986, 115–117. Siehe Schlange-Schöningen 2011, 100, 104f.; Lenski 2004, 114f. Lenski 2004, 114. Sie führt die Beispiele von Helena, Eutropia, Aelia Eudokia, der Ehefrau Theodosius’ II., und Eudokia, der Tochter Valentinians III. an. Die »refugee empresses« nutzten ihre Pilgerreise ins Heilige Land als »their springboard back to legitimacy« (ebd. 120). Lenski 2004, 119f. mit den Quellen. Elm 1989, 219 spricht von einem »established custom«. Vgl. Dietz 2005, 107. Greg. Nyss. epist. 2, bes. 2,2; 2,6; 2,18. Zur Datierung des Briefs: Teske 1997, 29. In der Forschungsliteratur erscheinen dementsprechend auf Karten, die Routen christlicher Pilger und Pilgerinnen wiedergeben, in etwa genauso viele Reisen von Männern wie von Frauen: Maraval 1985, 165 (Pilger [oder Pilgerin? – vgl. unten mit Anm. 36] von Bordeaux, Egeria, Melania die Ältere, Paula, Postumianus, Nikolas von Sion, Pilger von Piacenza); Hunt 1982, 52 (Pilger von Bordeaux, Melania die Ältere, Egeria, Paula und Hieronymus, Postumianus, siehe Abb.). Wittke, Olshausen, Szydlak 2007, 229, Karte B (Pilger [oder Pilgerin?] von Bordeaux, Egeria, Paula, Antoninus Placentinus).

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machen, ins Heilige Land und nach Ägypten zu reisen.23 Das wurde bereits in der Antike so wahrgenommen, wie eine Anekdote über Arsenius d.Gr., den Lehrer von Arcadius und Honorius, der Söhne von Theodosius I., zeigt. Anfang des 5. Jh. n.Chr. lebte Arsenius als einer der Wüstenväter in Ägypten. Einer Jungfrau von senatorischem Rang, die aus Rom zu ihm gereist war, begegnete er äußerst schroff. Er fürchtete, dass die Römerinnen, denen sie zu Hause von ihrem Besuch erzählen würde, »aus dem Meer eine Straße von Frauen« machten, die ihn aufsuchen wollten.24 Dieser Gefahr wollte er offensichtlich entgegenwirken. Auch der Briefwechsel zwischen Paula und Eustochium einerseits und Marcella andererseits zeigt, dass Frauen andere Frauen zu einer Pilgerreise und dem damit verbundenen Lebensstil zu bewegen versuchten.25 Seit der Mitte des 5. Jh. n.Chr. scheinen die Reisen dieser besonders gut belegten stadtrömischen Aristokratinnen deutlich zurückgegangen zu sein, was auf ihre Verarmung infolge der ›Barbareneinfälle‹ und die Verschlechterung der Beziehung zwischen Westen und Osten zurückzuführen sein dürfte. Zumindest in der ersten Zeit hatte dann die arabische Eroberung des Heiligen Landes und Ägyptens in den späten 30er Jahren des 7. Jh. n.Chr. insgesamt einen deutlichen Rückgang der Reisen zu den loca sancta zur Folge.26

Veränderte Rahmenbedingungen für reisende Frauen in der Realität und im Diskurs Der Übergang von der paganen zur christlichen Antike hatte auch für das Phänomen der Reisenden, zumal der weiblichen, eine Reihe grundlegender Veränderungen zur Folge,27 auf die im Folgenden näher eingegangen wird: Erstens bildeten sich neue Reiseziele und somit neue Reisewege aus. Zweitens traten in der christlichen Spätantike neue literarische Gattungen auf, die reisende Frauen bezeugen und sie oftmals noch dazu in einen bislang unerreichten Umfang behandeln. Drittens ist, wie bereits erwähnt, der am besten belegte Typus weiblicher Reisender ein ganz anderer als in der paganen Antike. Schließlich bewerteten viertens die spätantiken christlichen Autoren die reisenden Frauen anders, als es im paganen Kontext zu beobachten ist. 23 24

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Maraval 1985, 129; 1994, 144f. Zu Autorinnen, die über ihre Pilgerreise berichten: s.u. mit Anm. 34 und 36. Apophthegmata Patrum (PG 65, 96C–97B): ποιήσωσι τὴν θάλασσαν ὁδόν γυναικῶν ἐρχομένων πρὸς μέ. Vgl. Maraval 1994, 145. Johannes von Lykopolis empfing Poemenia trotz ihrer äußerst hohen sozialen Herkunft (siehe Anm. 61) nicht einmal: Pall. Laus. 35,14 (Bartelink p. 176). Er sagt von sich, seit 48 Jahren keine Frau gesehen zu haben: Pall. Laus. 35,13 (Bartelink p. 176). Paula Hier. epist. 46,12. Siehe Dietz 2004, 133. Zur Autorschaft des Briefes siehe Anm. 37. Natürlich animierten Berichte über Reisen von Pilgerinnen, seien sie nun von ihnen selbst verfasst oder von einem männlichen Autor, die Leserinnen nicht automatisch zur Nachahmung einer solchen Reisetätigkeit: Maraval 1994, 144. Maraval 1985, 130; 1994, 145. Auf längere Sicht geringe Auswirkung der arabischen Eroberung auf die Reisetätigkeit: Wilkinson 1977, 9; Claude 2000, 245–247; Külzer 2002, 153. Andere Einschätzung: Talbot 1996, 191. Zum Frauenanteil bei mittelalterlichen Pilgerreisen vgl. GanzBlättler 1990, 324. Zu den Unterschieden zwischen paganer und christlicher Antike in Bezug auf das Reisen: Zwingmann 2012, 393–396.

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Wohin wird gereist? Neue Reiseziele und -wege Die bedeutenden Reiseziele (von Männern wie Frauen) waren nun nicht mehr, wie in der paganen Antike, im griechisch-römischen Kulturraum verstreut, sondern konzentrierten sich im Heiligen Land und in Ägypten. Sie lagen mithin in Kulturräumen, die für die uns überlieferten Reisenden fremd bzw. exotisch waren. Die ›Originalschauplätze‹ des Alten und Neuen Testamentes blieben die maßgeblichen Reiseziele – obwohl sich zumindest Jerusalem gegenüber der Zeit Jesu baulich stark verändert hatte, insbesondere als Folge der Zerstörung des Tempels im ersten jüdischen Aufstand und der Koloniegründung unter Hadrian nach dem zweiten Aufstand. Die biblischen Erinnerungsstätten hielten ihre Vormachtstellung aufrecht, auch nachdem sich weitere heilige Stätten der christlichen Welt herausgebildet hatten, von denen viele außerhalb des in der Bibel beschriebenen Raums lagen, insbesondere Gräber von Märtyrern und Märtyrerinnen sowie sonstiger Heiliger.28 Außerdem stellten heilige Männer, darunter Wüstenväter und Styliten, und heilige Frauen Reiseziele dar.29 Worin wird berichtet? Neue literarische Gattungen Zwar zählen Geschichtswerke, die nun christlich bzw. kirchlich ausgerichtet sind, auch in der christlichen Spätantike zu den wichtigen Quellen über reisende Frauen, doch treten neue Gattungen hinzu, die sich diesem Thema erstmalig ungewohnt breit widmen. Unter ihnen sind Folgende hervorzuheben: die autobiographischen Pilgerreiseberichte – denn nun wurde es üblich, von der Pilgerreise literarisch Zeugnis abzulegen –, Briefe von Bischöfen und Kirchenlehrern, Mirakelsammlungen und Hagiographien.30 Vom Itinerarium Burdigalense (333 n.Chr.) bis zum um 570 n.Chr. zu datierenden Werk des Anonymus von Piacenza und dem Bericht über die um 680 unternommene Reise des gallischen Bischofs Arkulf »steht uns für einen Zeitraum von etwa 350 Jahren eine ziemlich kontinuierliche Abfolge von Pilgerberichten zur Verfügung«.31 Was die Pilgerinnen betrifft, sind mehrere Lebensbeschreibungen auf uns gekommen, die sich Frauen widmen und auch deren Pilgerreisen thematisieren. Dazu zählen eine ganze Reihe frauenbiographischer Briefe des Hieronymus, wie sein Epitaphium auf die Heilige Paula mit dem odoeporicum, dem Bericht über ihre Reisen, als zentralem Element. Genannt werden kann auch die bald nach dem Tod der jüngeren Melania 439 n.Chr. geschriebene Vita Melaniae senatricis des Gerontius von Jerusalem, die älteste vollständig erhaltene lateinische Biographie über eine Frau.32 Des Wei28 29

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Zu den Reisewegen siehe die Karten in: Maraval 1995, 298–300 mit Abb. 3; Salway 2001, 25 Abb. 3.1 Teil 3; Wittke, Olshausen, Szydlak 2007, 229 Karte B. Elm 1994, 270f., 273f., 278. Vgl. Evagrius Ponticus, epist. 7f. (geplante Reise der Severa und anderer Jungfrauen aus Jerusalem). Siehe auch Hier. epist. 108,6 (Paula und Eustochium). Von Pilgerinnen aufgesuchte heilige Männer und Frauen: Petersen-Szemerédy 1993, 153–158. Zur schwierigen Quellenlage für die Wüstenmütter: Müller 2000, 51–54. Jedenfalls ist nicht überliefert, dass eine Pilgerin eine Wüstenmutter aufgesucht hätte. Zu den Quellen für christliche Pilgerreisen in der Spätantike vgl. Maraval 1985, 13–19 und Wilkinson 1977, 1–14. Vgl. die bei Ganz-Blättler 1990, 323–331genannten Quellen für Pilgerinnen im Mittelalter. Hartmann 2010, 593 mit Literatur. Hier. epist. 108,6–14 (CSEL 55, 1912, p. 310–325). Fünf Nachrufe des Hieronymus auf Frauen: Letsch-Brunner 1998, 16; Fortner, Rottloff 2000, 184 Anm. 30. Hieronymus hat aber

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teren liegen uns zwei Lobreden auf weibliche Mitglieder des Kaiserhauses vor: von Iulian diejenige auf Eusebia (die einzige, vollständig erhaltene Rede auf eine lebende Kaiserin), von Claudian diejenige auf Serena, die Nichte und Adoptivtochter Theodosius’ I. und Ehefrau Stilichos (das erste erhaltene lateinische Lobgedicht auf eine Frau).33 Mit Egeria lässt sich sogar die Verfasserin eines autobiographischen Pilgerreiseberichts fassen. Bei ihm handelt es sich zugleich um den umfangreichsten Text einer Autorin, der uns aus der Antike überliefert ist, auch wenn sich nur zwei Teile ihres ehemals um einiges längeren Berichts erhalten haben.34 Egeria wendet sich überdies explizit an ein weibliches Lesepublikum, ihre Mitschwestern.35 Vor dem Hintergrund dieses Textes und des bereits hervorgehobenen hohen Anteils weiblicher Reisender ist die These bedenkenswert, dass der Bericht des sogenannten Anonymus von Bordeaux ebenfalls von einer Frau verfasst worden sein könnte.36 Außerdem wird für einen im Corpus des Hieronymus überlieferten Brief an Marcella diskutiert, ob er von Paula und Eustochium, mithin zwei Autorinnen, verfasst worden ist.37 Frauen als Protagonistinnen von Reiseberichten finden sich, seitdem nach der Mitte des 5. Jh. deutlich weniger Reiseberichte verfasst worden zu sein scheinen,38 meines Wissens nicht mehr. Entsprechend gibt es anscheinend keine Berichte von oder über Pilgerinnen in der griechischen Palästinaliteratur, die, wohl durch einen Zufall der Überlieferung bedingt, erst im 7. Jh. n.Chr. und vor allem mit dem 9. Jh. einsetzt, während die lateinische Palästinaliteratur vom 4. Jh. n.Chr. an äußerst reich ist.39 Über wen wird berichtet? Weibliche Angehörige von Amtsträgern und Kaisern versus Pilgerinnen zu den loca sancta Die antiken Autoren haben für die pagane und die christliche Antike zwei ganz unterschiedliche Typen reisender Frauen am besten überliefert. In der paganen Antike ist dies, wie bereits genannt, der Typus der weiblichen Familienangehörigen römischer Amtsträger und Kaiser. Insbesondere Ehefrauen, aber auch Mütter, Töchter, Schwestern, Tanten und 32 33

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»keine seiner eigentlichen Viten einem Frauenleben gewidmet«: Berschin 1986, 156f. Gerontius, Vita Melaniae iun. 52 (SChr 90, p. 226). Berschin 1986, 156. Lobrede auf Eusebia: Iul. or. 3 p. 102a–129d; Angiolani 2008. Zur literarischen Einordnung: Vatsend 2000; Wieber 2010, 253–276. Lobrede auf Serena: Claud., Carmina minora 30 (Laus Serenae); Consolino 1986, 10–33. Maraval 1994, 139. Zu Autorinnen in christlicher Zeit siehe Wilson-Kastner 1981. Z.B. Aeth. 3,8; 19,19; 23,10. Die Heraushebung von Stätten, die mit biblischen ›Frauenthemen‹ wie unerfülltem Kinderwunsch und kleinen Kindern verbunden sind, gehöre nicht zum üblichen Repertoire des Pilgerreiseberichts. Die Anonyma von Bordeaux sei möglicherweise die Ehefrau eines römischen Amtsträgers, weil den auf der Reiseroute liegenden Provinzen und Provinzgrenzen sowie vielen Denkmälern und Ereignissen der paganen Geschichte Aufmerksamkeit geschenkt wird: Douglass 1996, 323– 332, bes. 329, 331f. Vgl. Taylor 1993, 313; Fortner, Rottloff 2000, 78, 93–98. Paula Hier. epist. 46 (Hilberg, CSEL 54.1, 1910, 329–344). Petersen-Szemerédy 1993, 18–20. Vgl. Letsch-Brunner 1998, 2 Anm. 6. Von Hieronymus sind ca. 120 Briefe erhalten, davon etwa ¼ an Frauen: Fortner, Rottloff 2000, 184 Anm. 30. Vgl. Letsch-Brunner 1998, 3, 5, 16. S.o. mit Anm. 26. Zur griechischen Palästinaliteratur: Külzer 1994, 2f., 5; 2002, 154–156. Vgl. ders. 2001. Die lateinischen Reiseberichte sind gesammelt in CCL 175 und 176. Eine Auswahl in deutscher Übersetzung findet sich bei Donner 22002. Zu den erhaltenen griechischen Frauenviten: Talbot 1996.

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Nichten, begleiteten die Männer auf ihren Dienstreisen in die verschiedenen Provinzen des Reiches.40 In der christlichen Spätantike hingegen ist es der Typus der Pilgerin, die sich in aller Regel aus eigenem Antrieb und ohne männliche Angehörige zu den heiligen Stätten sowie zu heiligen Männern oder auch heiligen Frauen begab. Entsprechend der religiösen Topographie des Christentums reiste sie ins Heilige Land und nach Ägypten. Sie tritt uns in den Quellen in einem Umfang und einer Dichte entgegen, die für die gesamte Antike ihresgleichen suchen. Auffällig ist noch ein weiterer Punkt: Jeder Typus ist zwar in einer Epoche mit Abstand am besten bezeugt, erscheint aber in der anderen so gut wie gar nicht im literarischen Diskurs. In der paganen Antike gab es nichts, was den Reisen zu den loca sancta entspräche. So ist die Quellenlage für die pagane Pilgerin äußerst dünn. Umgekehrt sind in der christlichen Spätantike, wie ich gleich ausführen werde, weibliche Angehörige, die mit Amtsträgern und Kaisern reisten, kaum belegt. Hier wird die Epochengebundenheit der beiden Typen deutlich. Die weiblichen Angehörigen von in der Provinz tätigen Amtsträgern spielen in der christlichen Spätantike in den literarischen Quellen keine Rolle mehr. Die Gründe dafür sind in der Herausbildung neuer Eliten, die mit einer veränderten Zusammensetzung und Rolle der Mitglieder des Senatorenstandes einherging, in einer neuen Organisation der Provinzialverwaltung sowie in der veränderten Quellenlage zu suchen.41 Die seit Diocletian erheblich verkleinerten Provinzen wurden überwiegend Amtsträgern von ritterlichem Rang übertragen, die traditionsstolzen stadtrömischen Senatoren kamen nur noch vergleichsweise selten aus Italien heraus und erscheinen nicht mehr im vorigen Umfang in der Geschichtsschreibung, die jetzt deutlich weniger senatorisch ausgerichtet ist.42 Als Beispiel kann Theodora angeführt werden, die spätere Ehefrau Iustinians und Kaiserin: In ihrem skandalumwitterten Vorleben hatte sie wohl um 518 n.Chr. von Konstantinopel aus einen gewissen Hekebolos zu seiner Statthalterschaft in die Provinz Pentapolis, das heutige Nordlibyen, begleitet, wenn auch als Geliebte und nicht als Ehefrau. Hekebolos war somit zu diesem Zeitpunkt vermutlich (noch) nicht verheiratet. Nachdem er sie bald darauf verstoßen hatte, musste sie sich alleine über Alexandreia und das syrische Antiocheia nach Konstantinopel zurück durchgeschlagen. Dem ihr missgünstig gesonnenen Prokop zufolge finanzierte sie diese Reise, indem sie sich prostituierte.43 Einzelheiten über Theodoras Aufenthalt an der Seite des Statthalters kennen wir nicht. Ihr unsicherer Status als Geliebte dürfte ihr aber im Gegensatz zu den Ehefrauen der kaiserzeitlichen Statthalter kaum die Möglichkeit gegeben haben, sich persönlich zu bereichern oder Macht auszuüben. 40 41

Siehe Anm. 45. Zwingmann, in Druckvorbereitung. Siehe den Beitrag von Matthäus Heil in diesem Band und ders. 2012, 24. Auch Ehreninschriften, zumal für Senatoren und ihre Familien, eine der Hauptquellen für die Kaiserzeit, gibt es in der Spätantike nur noch vergleichsweise wenige. 42 Zusammenfassende Charakterisierung der Führungsschicht der Spätantike: Alföldy 42011, 230– 233 und 284–293, bes. 232f. Zur geringen Reisetätigkeit spätantiker Senatoren siehe auch Demandt 22007, 340f. Vgl. die ausgedehnten Reisen senatorischer Amtsträger der Kaiserzeit, wie sie veranschaulicht sind von Böhme 1977 in den Karten Abb. 13 auf S. 33, Abb. 18 auf S. 40, Abb. 24 auf S. 48, Abb. 30 auf S. 54, Abb. 34 auf S. 60 und Abb. 41 auf S. 68. 43 Prok. HA 9,27; 12,28; 12,30; 12,32.

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Außerdem kennen wir einige Kaiserinnen und andere weibliche Mitglieder der kaiserlichen Familie, die den Kaiser auf Reisen begleiteten, wenn auch weniger als für die pagane Antike. Das liegt nicht zuletzt an der deutlich größeren Sesshaftigkeit der Kaiser, zumal im Osten, wie sie seit theodosianischer Zeit (379–457), genauer seit der Herrschaft des Arcadius und Honorius, zu beobachten ist.44 Doch nicht nur die Quellen-, sondern auch die Forschungslage ist für diesen Typus weiblicher Reisender deutlich ungünstiger, da sich die Forschung in der Tradition der wegweisenden Arbeiten von Hans-Georg Pflaum, Anthony J. Marshall und Marie-Thérèse Raepsaet-Charlier 45 auf den Zeitraum zwischen der ausgehenden Republik und dem Ende des 3. Jh. beschränkt hat und für die christliche Spätantike eine eingehendere Behandlung von Reisen weiblicher Mitglieder der kaiserlichen Familie an der Seite ihrer männlichen Angehörigen meines Wissens aussteht. Einige Beispiele für solche Frauen seien hier vorgestellt: Die Reisen der Eusebia, der zweiten Ehefrau von Constantius II., schildert einerseits der von ihr begünstigte Julian in seiner Lobrede auf die Kaiserin, andererseits Ammianus Marcellinus, der ihr üble Machenschaften unterstellt. Nach dem Bericht des Julian reiste Eusebia als Braut zusammen mit ihrer verwitweten Mutter in einem prunkvollen, gefeierten Zug aus ihrer Heimat Makedonien zu ihrer Hochzeit nach Mailand, wo der Kaiser den Winter verbrachte. Rom besuchte sie ein erstes Mal 356 während des Feldzugs ihres Mannes in Gallien, was Julian wegen ihres großzügigen Auftretens und des entsprechend freudigen Empfangs durch Volk und Senat erwähnt. Ihr dringendes Bitten ermöglichte Julian, der in den Verdacht des Hochverrats geraten war, ein Treffen mit dem Kaiser in Mailand. Ein zweites Mal kam sie im Jahr 357 nach Rom, zusammen mit ihrem Ehemann und mit Helena, der Ehefrau des Julian und Schwester des Constantius II. Davon erfahren wir durch Ammianus Marcellinus im Zusammenhang der eindrucksvollen Beschreibung, die er dem Romaufenthalt des Kaisers anlässlich der dort abgehaltenen Vicennalienfeier gewidmet hat. Ammianus erwähnt Eusebia lediglich, weil sie ihre Schwägerin unter dem Vorwand der Zuneigung mit sich nach Rom gebracht habe, um dafür zu sorgen, dass Helena der kaiserlichen Familie keinen Nachwuchs schenken könne, wie es bei Eusebia selbst der Fall war. Sie habe ihr dort nämlich einen Trank verabreicht, der jede Schwangerschaft in einer Fehlgeburt enden ließ und habe außerdem bereits zuvor den Tod des gerade in Gallien geborenen Sohnes der Helena zu verantworten gehabt.46 Über die Reisen der Helena erfahren wir außer anlässlich dieser beiden Aufenthalte in Rom und in Gallien bei Ammianus erst wieder im Zusammenhang mit der Rückführung ihrer Leiche aus Gallien zur Bestattung nach Rom. Zudem kommt Julian in einer knappen autobiographischen Notiz in Bezug auf seine Ausrufung zum Augustus in Paris im Jahr 360 am Rande auf sie zu sprechen.47 44 45

Halfmann 1986, 11, 62–64; Leppin 2002, 490. Pflaum 1950; Marshall 1975a; 1975b; Raepsaet-Charlier 1982; 1987; 2005, 204–208. Siehe auch Barrett 2005a; 2005b; 2006. 46 Reise als Braut nach Rom: Iul. or. 3,7 (p. 110d); 3,8 (p. 112a). Rombesuch 356: Iul. or. 3,19 (p. 129b–c). Eusebias Fürsprache für Julian in Italien (genauer: Mailand): Iul. or. 5,4 (p. 272d); 5,5 (p. 274a); Wieber 2010, 265. Rombesuch 357: Amm. 16,10,18. Siehe Angiolani 2008, 126 Anm. 234 ad loc. 47 Rom: Amm. 16,10,18. Gallien: Amm. 16,10,19; Iul., Ad Athenienses 284c; 285b; Amm. 21,1,5 (Rückführung ihrer Leiche aus Gallien); vgl. Wieber-Scariot 1998, 119.

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Vergleichsweise gut unterrichtet sind wir über Serena, die Nichte und Adoptivtochter Theodosius’ I. und Ehefrau Stilichos. Das verdanken wir in erster Linie Claudian, der ihr persönlich nahe stand. Er kommt in mehreren seiner Werke auf ihre Reisen zu sprechen, darunter in seiner Laus Serenae.48 Ihm zufolge rief Theodosius I. nach seiner Thronbesteigung im Jahr 379 seine Nichte aus Hispanien an den Hof in Konstantinopel.49 Sie begleitete den Kaiser auf Reisen. Im Jahr 389 muss sich Serena, obwohl sie hochschwanger war, mit Theodosius nach Rom begeben haben, wo er mit seinem kleinen Sohn Honorius am 1. Juni 389 feierlich einzog und für einige Monate blieb. Wir erfahren davon, weil sie dort ihren Sohn Eucherius gebar.50 Im Winter 394/5, als der Kaiser berufen wurde, die Herrschaft über das Westreich anzutreten, reiste sie mit ihm und seinem mittlerweile 10jährigen Sohn ein zweites Mal von Konstantinopel über Illyrien nach Rom. Zosimos erwähnt diesen Besuch in seinem Geschichtswerk, weil Serena in der paganen Senatorenschaft Anstoß erregte, als sie dem Kultbild der Göttermutter ein prächtiges Halsband raubte.51 In seiner heidnischen Wahrnehmung musste sie diesen Gottesfrevel später im Sinne einer spiegelnden Strafe mit ihrer Erdrosselung büßen.52 Viele Pilgerinnen sind namentlich belegt – oft, aber nicht ausschließlich von höchstem Stand: Angehörige der kaiserlichen Familie wie Helena und Eutropia (Mutter und Schwiegermutter Konstantins d.Gr.), Eudokia/Athenaïs (Ehefrau des Theodosius II.), und Poemenia (wohl ein Mitglied der kaiserlichen Familie des Theodosius I.), sowie stadtrömischer Hochadel wie Paula und ihre Tochter Eustochium, Melania die Ältere, Fabiola und Melania die Jüngere mit ihrer Mutter Albina Caeonia (bis auf letztere alle in die Zeit des Hieronymus gehörend bzw. aus seinem Umkreis stammend), höherer und niederer Provinzialadel wie vermutlich Silvia/Silvania (die Schwägerin des unter Theodosius I. tätigen Prätorianerpräfekten Flavius Rufinus) oder Egeria (die weitgereiste ›Schwester‹ aus Süd[west]gallien oder Galizien).53 Bei den Pilgerinnen handelt es sich meist um ›alleine‹ reisende Frauen. ›Alleine‹ heißt, wie erwähnt, dass sie nicht einen nahen männlichen Angehörigen, in der Regel ihren Ehemann, auf dessen beruflich bedingten Reisen begleiteten, bisweilen sogar zusammen mit ihren Kindern, wie es für die pagane Antike überliefert ist. Sie unternahmen vielmehr fast immer aus eigenem Antrieb eine Reise, was für die pagane Antike kaum belegt ist.54 Dass sie zusammen mit ihrem Ehemann reisten, stellte eine seltene Ausnahme

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Consolino 1986, 10. Herkunft der Serena aus Hispanien und Reise nach Konstantinopel zu ihrem Onkel: Claud., Carmina Minora 30 (Laus Serenae), 69; 111–119; 130–139; Claud. 10 (Epithalamium de nuptiis Honorii Augusti), 40; Claud. 12 (Fescennina 2), 27. Hochzeit in Konstantinopel: Claud. 5 (In Rufinum 2), 97, cf. ebd. 54f. zur Lokalisierung. Claud. 21 (De consulato Stilichonis 1), 69–73; 87f. Zum Einzug des Theodosius: Claud. 28 (De VI consulato Honorii), 53–76; 424; Sokr. 5,14,3. Geburt des Eucherius in Rom: Claud. 23 (De consulato Stilichonis 3), 176–181. Vgl. Seeck 1923, 1672. Reise nach Rom: Claud. 28 (De VI consulato Honorii), 92f. Raub des Halsbandes: Zos. 5,38,2–4. Dürr 2001, 1094. Siehe Demandt, Brummer 1977, bes. 480, 497–500. Siehe Anm. 3 und Maraval 1985, 129. Zu den Pilgerinnen aus dem Umfeld des Hieronymus: Laurence 1998. Siehe Zwingmann, in Druckvorbereitung.

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dar.55 Weit häufiger machten sie sich mit engen weiblichen Verwandten auf, als Mutter und Tochter (wie Paula und Eustochium oder Albina Caeonia und Melania die Jüngere) oder Schwestern (wie die Hl. Marana und Hl. Cyra).56 Sie reisten aber durchaus in Begleitung auch von Männern, seien sie ihnen aus ihrer Heimat vertraute Seelenverwandte oder zufällige Reisebekanntschaften.57 Pilger wie Pilgerinnen waren, schon aus Gründen der Sicherheit, gewöhnlich in Gruppen unterwegs, und Pilgerinnen von hohem sozialen Status reisten natürlich mit einem umfangreichen Gefolge. Dieses Gefolge setzte sich aus Bediensteten, den gleichgesinnten Reisegefährtinnen der ›heiligen Jungfrauen‹, außerdem gegebenenfalls einer militärischen Eskorte, Führern und verschiedenen Geistlichen, d.h. Mönchen, Priestern und Bischöfen, sowie anderen frommen Männern zusammen, welche sie auf ihrer ganzen Reise oder auf Teilabschnitten geleiteten.58 So reiste etwa um 372 Melania die Ältere mit dem Theologen Rufinus. In den Jahren 381 bis 384 begleiteten Egeria Kirchenmänner als Führer am besuchten Ort und zumindest bis zu einer nächsten Etappe, zeitweise auch eine militärische Eskorte. Ob Egeria abgesehen davon tatsächlich alleine unterwegs war, wie vermutet wurde, muss im Unklaren bleiben. Zumindest schreibt sie nichts über eine dauerhafte Reisebegleitung.59 385/6 waren die Heilige Paula, ihre Tochter Eustochium und ein großes Gefolge an Jungfrauen auf dem größten Teil ihrer Reise von Rom ins Heilige Land und nach Ägypten gemeinsam mit Hieronymus unterwegs. Melania die Ältere und Silvia/Silvania reisten 399/400 von Jerusalem nach Ägypten gemeinsam mit Palladios von Helenopolis und dem Diakon Iovinus.60 Am beachtlichsten dürfte das Gefolge der Poemenia gewesen sein, die vermutlich zur kaiserlichen Familie des Theodosius I. gehörte. Sie benötigte, als sie um 390 nach Ägypten und ins Heilige Land fuhr, eine eigene Flottille. Auf den Schiffen befanden sich unter anderem ihre Eunuchen, maurische Diener, Bischöfe und Priester.61

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Angeführt werden können Melania die Jüngere und Valerius Pinianus: Gerontius, Vita Melaniae iun. 19f. (SChr 90, p. 162–170); 35 (SChr 90, p. 192); 37 (SChr 90, p. 196); 39f. (SChr 90, p. 200– 202). Weitere Beispiele: Maraval 1985, 129 Anm. 177. Verheiratete alleine reisende Frauen sind ebenfalls eher selten unter den weiblichen Reisenden zu finden. Genannt werden können etwa Eusebia, die Ehefrau des Constantius II. (Iul. or. 3,19, p. 129b–c) und Eudokia, die zum Zeitpunkt ihrer Pilgerreisen von ihrem Mann Theodosius II. entfremdet bzw. verbannt war: Dietz 2004, 136. Paula und Eustochium: Hier. epist. 108,6. Melania die Jüngere und Albina Caeonia: Gerontius, Vita Melaniae iun. 33; 36f.; 40f. (SChr 90, p. 188–190; 194; 202–204). Marana und Cyra: Theod., Historia religiosa 29,2 (SChr 257, p. 234); 29,7 (SChr 257, p. 238). Zu diesem Themenkomplex siehe auch Dietz 2005, 108 mit Anm. 6. Petersen-Szemerédy 1993, 141; Elm 1994, 274 mit Anm. 71 und ebd., 276f. Maraval 1985, 173. Zur militärischen Eskorte siehe z.B. Aeth. 9,3. Melania und Rufinus: Hier. epist. 4,2. Egeria: Aeth. 10,3; 10,8; 13,2. Vgl. 1,2; 3,7; 5,12; 15,1–6; 19,5– 19. Annahme, dass sie alleine reiste: z.B. Dietz 2005, 50, 108 Anm. 6. Paula und Hieronymus: Hier. epist. 108, bes. 108,10; vgl. Donner 2002, 135. Melania, Silvia/Silvania und ihre Begleiter: Pall. Laus. 55,1f. (Bartelink p. 250), siehe Devos 1973, 110 Anm. 1. Devos 1969. Ebd. 194: Übersetzung des koptischen Belegs zur Reise auf eigenen Schiffen. Pall. Laus. 35,14f. (Bartelink p. 176, 178). Vita Petri Iberii 30 (Raabe p. 35=Horn, Phenix p. 58f.). Auch die entrüsteten Äußerungen des Hieronymus über eine mit großem Pomp reisende Pilgerin könnten sich auf Poemenia beziehen: s.u. Anm. 66. Vielleicht meinte er aber auch Melania die Ältere: siehe Elm 1994, 274 Anm. 71 mit Literatur.

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Wie wird die reisende Frau bewertet? Die Darstellungsabsicht der Texte Sowohl pagane wie spätantike christliche Autoren äußern häufig die folgende Ansicht: Eine ohne äußere Notwendigkeit unternommene (Pilger-)Reise sei im besten Fall nutzlos, häufig aber schädlich, weil mit ihr eine Gefahr für Sittlichkeit und sogar das schiere Leben einhergehe – nicht nur, aber insbesondere für Frauen.62 Reisende Frauen konnten sich darbietenden sexuellen Versuchungen erliegen, vergewaltigt werden oder in die Prostitution abrutschen. Der Wüstenvater Euagrios Pontikos hält Rufinus und Melania die Ältere in einem Brief dazu an, die von Severa und anderen Frauen ihrer klösterlichen Gemeinschaft geplante Reise von Jerusalem zu ihm nach Ägypten zu unterbinden.63 Auch in späterer Zeit finden sich derartige Einschätzungen. Wie Bonifatius im Jahr 747 n.Chr. anmahnt, endeten Frauen, die aus seiner angelsächsischen Heimat nach Rom pilgern wollten, häufig, noch bevor sie Italien erreichten, als Prostituierte.64 Gregor von Nyssa geht in seiner Kritik am Pilgerwesen explizit auf das ›Problem‹ der ›alleine‹ reisenden Pilgerinnen ein. Frauen seien »aufgrund der körperlichen Schwäche« bei der Pilgerreise auf männliche Hilfe angewiesen, um sich auf das Reittier hochheben und in schwierigem Gelände stützen zu lassen,65 was natürlich mit der Sittsamkeit nicht zu vereinbaren ist. Man sollte aus dieser Aussage allerdings nicht auf den körperlichen Zustand der reisenden Frauen schließen. Sie spiegelt vielmehr ihren hohen sozialen Status wider. Wie wir bereits am Beispiel der Poemenia sehen konnten, hatte es manche Pilgerreisende durchaus gerne bequem und schnell. Hieronymus empörte sich über eine namentlich nicht genannte Pilgerin (einem Identifizierungsvorschlag zufolge ebendiese Poemenia), die ihren Reichtum demonstrativ zur Schau stellte.66 Melania die Jüngere fastete auf ihrer Reise zwar, schlief wenig und trug ihre einfachen Gewänder. Doch vergaß sie auch als Asketin ihre Herkunft aus der altehrwürdigen senatorischen gens Valeria nicht und griff gerne auf das Privileg zurück, die kaiserliche Staatspost nutzen zu können, das sie »mit selbstverständlicher senatorischer auctoritas … auch auf ihre zahlreiche Entourage auszudehnen vermochte«, welche zum größten Teil keine Berechtigungsscheine vorweisen konnte.67 Dass es dennoch sozusagen zum guten Ton gehörte, zumindest in gewissen Bereichen alles daranzusetzen, die Reisebeschwernisse zu erhöhen, darauf wird noch zurückzukommen sein. 62

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Zur paganen Antike siehe etwa Sen. dial. 9,2,11–15; epist. 28,1f.; Mart. 1,62 (in Bezug auf eine Frau). Zur ambivalenten Haltung des Gregor von Nyssa zur Pilgerfahrt zu den heiligen Stätten: Bitton-Ashkelony 2005, 30f., 48–57; zu der des Hieronymus siehe ebd. 65–97. Augustinus äußert sich in seinem gesamten umfangreichen Werk zur Thematik der Pilgerreise so gut wie überhaupt nicht: ebd. 106–122, bes. 120–122, 139. Zur positiven Bewertung von Reisen in der christlichen Spätantike s.u. mit Anm. 75. Evagrius Ponticus, epist. 7f.; Elm 1994, 277–280 (mit englischer Übersetzung des entsprechenden Abschnitts von epist. 7 auf S. 277f.). Bonifatius, epist. 78 (MGH I, 1957, 355). Vgl. Bertelli 1995, 537. Greg. Nyss. epist. 2,4–7, bes. 2,6. Vgl. Hier. epist. 108,7. Hier. epist. 54,13,3. Die Forschung machte verschiedene Vorschläge, diese Pilgerin zu identifizieren: mit Eucheria (Morin 1913), mit Melania der Älteren (Elm 1994, 274 Anm. 71 mit Literatur, vgl. Devos 1973, 118f. mit Verweis auf Kötting 1962, 365 Anm. 4), mit Poemenia (Devos 1969; Fortner, Rottloff 2000, 100, 146–149, bes. 147) oder mit Silvia/Silviana (Hunt 1972, 358f.). Fasten, einfache Gewänder und wenig Schlaf: Gerontius, Vita Melaniae iun. 56 (SChr 90, p. 238– 240); 58 (SChr 90, p. 242); 63 (SChr 90, p. 254). Cursus publicus-Anekdote: Gerontius, Vita Melaniae iun. 52 (SChr 90, p. 226). Zitat: Stickler 2006, 183.

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Das Motiv der weiblichen Schwäche in Bezug auf Reisen findet sich häufig, im Übrigen auch in späterer Zeit. Ende des 15. Jh. berichtet der Dominikanermöch Felix Fabri über seine Pilgerreise ins Heilige Land Folgendes: »Es waren da außerdem mit uns zusammen einige hochbetagte Frauen, sechs fromme und reiche Matronen, die wünschten, über das Meer zu den heiligen Stätten zu fahren. Ich war erstaunt über die Kühnheit dieser alten Frauen, die sich vor Altersschwäche kaum auf den Beinen halten konnten und doch ihre eigene Gebrechlichkeit vergaßen, sich in die Gesellschaft junger Ritter begaben und die Mühsal starker Männer auf sich nahmen.«68 Die Ritter, in ihrer Ritterwürde gekränkt, wollten wegen dieser in ihren Augen unzumutbaren Reisegesellschaft zunächst das Pilgerschiff wechseln und auch die anderen Reisenden dazu überreden. Wie Fabri fortfährt, wurden die allesamt seekrank gewordenen Ritter letztlich von den vorgeblich so altersschwachen Frauen rührend umsorgt, die sich »nach Gottes Vorsehung« als robuster gegenüber den Unbilden der Natur erwiesen hatten.69 Völlig anders als in der paganen Antike bewerten christliche Autoren die Tatsache, dass die Pilgerinnen gegebenenfalls ihre Familien für Monate, Jahre oder sogar für immer alleine zurückließen. So stellen es Hieronymus und Paulinus von Nola als besondere Leistung der vornehmen Römerin Paula dar, wenn die verwitwete Frau ihre Mutterliebe überwindet und sich auf die Pilgerreise nach Jerusalem begibt, um anschließend ein gottgefälliges Leben im Heiligen Land zu führen. Weder die Tränen ihrer kurz vor der Hochzeit stehenden Tochter Rufina noch die flehentlich ausgestreckten Ärmchen ihres kleinen Sohnes Toxotius, die beide in Rom zurückbleiben, können sie davon abhalten.70 Auch die jung verwitwete Melania die Ältere ließ ihren Sohn Publicola, ihr einziges überlebendes Kind, zurück, als sie sich zu ihrer Pilgerreise aufmachte. Sie übergab ihn dem Paulinus zufolge – in dem von ihm bewunderten tiefen Glauben, Gott werde für das Kind schon sorgen – nicht einmal der Obhut von Verwandten.71 Wie anders klingt das doch in der Frauensatire Iuvenals! Der Satiriker verfasste sie, um den kurz vor seiner Heirat stehenden Postumus vor dem zu warnen, was ihm durch seine künftige Ehefrau drohe. Darin beschreibt Iuvenal eine Frau senatorischen Standes namens Eppia, die ihre Familie im Stich lässt. Sie nimmt eine lange beschwerliche Seereise nach Ägypten auf sich, um ihrem Liebhaber Sergius zu folgen, der ausgerechnet ein Gladiator ist, ein abstoßend hässlicher obendrein: »Das Haus vergaß sie, den Gatten und die Schwester, auf die Heimat gab sie nichts, ließ schändlich die weinenden Kinder (und, was noch mehr erstaunt, die Spiele und Paris [ein berühmter Pantomime unter Domitian, Anm. d. Verf.]) 68

Fabri, Evagatorium 1, p. 31 (Hassler 1843): Erant … quaedam etiam mulieres, vetulae, devotae matronae divites, numero VI. ibi erant nobiscum, transfretare ad loca sancta cupientes. Miratus fui audiacam illarum vetularum, quae se ipsas prae senio ferre vix poterant, et tamen fragilitatis propriae oblitae, amore illius sanctae terrae in consortium militum juvenum se ingerebant, et laborem fortium virorum subibant. Vgl. ebd., p. 150 (wo er von 7, nicht von 6 alten Frauen schreibt). Übersetzung bei Ganz-Blättler 1990, 327 (wiedergegeben in Fortner, Rottloff 2000, 175). 69 Fabri, Evagatorium 1, p. 43 (Hassler 1843). 70 Hier. epist. 108,6; Paul. Nol. epist. 29,9. Vgl. entsprechende Aussprüche Jesu: Mt 10,37; Mk 10,28– 30; Lk 14,26. 71 Paul. Nol. epist. 29,9; Pall. Laus 46,1 (Bartelink p. 220, 222), eine knappe und unkommentierte Schilderung.

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fahren«.72 Doch auch wenn man von dem moralisch verwerflichen Grund absieht, der Eppia zum Bruch mit ihrer Familie veranlasste, nämlich ihre außereheliche, noch dazu so unstandesgemäße Liebesbeziehung: Wenn Christinnen sich von ihren Familien abwendeten und bei ihrem Aufbruch ins Heilige Land ihre Kinder zurückließen, konnte ihnen dies in christlichen Kreisen Prestige verschaffen, weil es ihre Abgewandtheit von irdischen Bedürfnissen eindrucksvoll unter Beweis stellte. Entsprechend bewerten Hieronymus und Paulinus diesen Tatbestand in den genannten Beispielen. Nicht zuletzt begegneten sie damit wohl Vorwürfen, die eine solche Abkehr vom althergekommenen Ideal der matrona als Garantin von Fortdauer und Stabilität der Familie provozieren konnte. Im paganen Umfeld hingegen wird ein solches Verhalten mit Sicherheit Unverständnis und Entsetzen hervorgerufen haben.73 Eine Pilgerreise sorgte aber nicht nur für die Bestätigung der eigenen Glaubenssätze und somit für Selbstbestätigung, sondern verschaffte auch großes soziales Ansehen. Beides liegt dem Bedürfnis zu Grunde, die aus der Heiligen Schrift bekannten Originalschauplätze mit eigenen Augen zu sehen und sich der Wahrhaftigkeit der geschilderten Ereignisse durch die historische Beweiskraft des Orts zu vergewissern oder aber auch zu heiligen Männern und heiligen Frauen zu reisen. So schreibt Hieronymus, der als Reiseleiter »einer theologischen Bildungsreise« oder »wissenschaftlichen Studienreise« der Pilgerinnen Paula und Eustochium mit ihrem Gefolge in Palästina und Ägypten74 fungierte: »Wer Athen gesehen hat, lernt auch die griechische Geschichte besser verstehen, und wer von Troja über Leukas und Akrokeraunia nach Sizilien und weiter zur Tibermündung gefahren ist, der begreift das dritte Buch Vergils. Geradeso sieht man auch die Hl. Schrift mit anderen Augen an, wenn man Judäa besucht hat und die alten Stätten und Landschaften kennt, mögen sie inzwischen die alten Namen behalten oder geändert haben.«75 Gerade reisenden Frauen der höchsten sozialen Schicht, weiblichen Mitgliedern der kaiserlichen Familie und Aristokratinnen, bot eine Pilgerreise noch weitere Möglichkeiten, Prestige zu erwerben. Sie konnten ihre Finanzkraft dazu einsetzen, im Heiligen Land Kirchen, Klöster und Pilgerherbergen zu errichten, biblische Stätten und bedeutende Reliquien ›wiederzuentdecken‹ sowie Reliquien zu erwerben und mit nach Hause zu nehmen. Aelia Eudokia/Athenaïs etwa, die Ehefrau des Theodosius II., die in Konkurrenz zur Kaiserschwester Pulcheria stand, brachte von ihrer Heilig-Land-Reise die Reliquien des ersten aller Märtyrer mit, des Stephanus, sowie die Ketten, mit denen König Herodes den Petrus 72

Iuv. 6, 82–113; 6,85f.: inmemor illa domus et coniugis atque sororis / nil patriae indulsit, plorantisque implora natos / utque magis stupeas, ludos Paridemque reliquit. Dt. Übers. von J. Adamietz, Juvenal. Satiren. Lateinisch – Deutsch, München 1993 (Sammlung Tusculum), 95. 73 Melania die Ältere erzählte niemandem von ihrem Plan, ihren Sohn bei einem Vormund zurückzulassen, da sie fürchtete, man würde sie daran hindern: Pall. Laus. 46,1 (Bartelink p. 220, 222). Auch dass manche Christinnen das Familienvermögen verschenkten, wie es für Melania die Jüngere und ihren Ehemann Valerius Pinianus überliefert ist, wurde als untragbar empfunden: s.o. Anm. 7. 74 Donner 22002, 135–137, Zitate: ebd., 136. 75 Hier., Interpretatio vetustior librorum paralipomenon praef. p. 7,3–7: quomodo Grecorum historias magis intellegunt qui Athenas viderint, et tertium Vergilii librum qui Troade per Leucaten et Acroceraunia ad Siciliam et inde ad Ostia Tiberis navigarint, ita sanctam scripturam lucidius intuebitur qui Iudaeam oculis contemplatus est et antiquarum urbium memorias locorum que vel eadem vocabula vel mutata cognoverit (Übers.: Donner 22002, 140). Vgl. Paula Hier. epist. 46,9.

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gefesselt haben soll.76 Die heilige Silvia/Silvana besaß viele Märtyrerreliquien aus dem Orient, die sie sicherlich auf ihrer Pilgerreise zusammengetragen hat. Melania die Ältere hatte gar ein Stück des Kreuzes Christi ergattert. (Es war im Übrigen entweder von vorneherein sehr klein, oder sie hatte es, um möglichst viele damit beglücken zu können, zerbrochen. Einen winzigen, »fast unteilbaren Partikel eines kurzen Splitters« des Kreuzes verschenkte jedenfalls Paulinus weiter, der diese Kostbarkeit über Melania, seine Cousine, erhalten hatte).77 Allerdings überwiegt in den Quellen bei weitem ein anderer, bereits angerissener Grund, weshalb die Pilgerreise für die reisenden Frauen prestigeträchtig war und die Quellen über sie berichten: die Beschwerlichkeit der wochen- bis jahrelangen Reise an sich. Sie wurde häufig verstärkt durch zusätzliche, selbst auferlegte körperliche Entbehrungen, die teils bereits vor der Reise praktiziert wurden (sexuelle Enthaltsamkeit, Fasten, Verzicht auf Körperhygiene, aber auch Verschmähung komfortablerer Reisemöglichkeiten etc.) und bezeugte gemäß einer damals verbreiteten, dem Askeseideal geschuldeten Vorstellung die Tiefe der eigenen Gläubigkeit, weshalb sie als Bußleistung und spirituelle Erfahrung willkommen war. Pilgerreisen boten die Möglichkeit, die Ideale der Askese, d.h. der Entsagung von allen weltlichen Dingen für den Glauben, in konzentrierter Form zu leben, nämlich Jungfräulichkeit bzw. Witwendasein, Heimatlosigkeit, Fasten und Beten. Folglich genossen solche Reisen im christlichen Kontext hohe Wertschätzung, taugten zur Selbstinszenierung und fanden Eingang in die Überlieferung.78 Die Askese war gerade für vermögende Frauen attraktiv, die über die anfangs erwähnte »ökonomische Abkömmlichkeit« verfügten, um überhaupt solch große Reisen unternehmen zu können.79 Sie waren nicht darauf angewiesen, sich durch die Mitgliedschaft in einem Frauenkloster materiell abzusichern, um ihre Vorstellung eines gottesfürchtigen Lebens umsetzen zu können (wobei zu beachten ist, dass Frauenklöster im uns betreffenden Zeitraum im Vergleich zu den Männerklöstern ohnehin noch unterrepräsentiert waren).80 In jedem Fall bot die Askese Frauen die Möglichkeit, ihr ›schwaches Geschlecht‹ zugunsten einer quasi-männlichen oder übergeschlechtlichen Identität zu überwinden, was christliche Quellen nachgerade topisch beschwören.81 Sie stellte die einzige Möglichkeit dar, ein Ansehen zu erlangen, das dem der Männer nicht 76 77

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Temporini-Vitzthum 2002, 416f. Reliquiensammlung der heiligen Silvia und Heilig-Kreuz-Reliquie der Melania: Paul. Nol. epist. 31,1 (in segmento pene atomo hastulae brevis; Übers.: M. Skeb 1998, 731). Vgl. Devos 1974, 323f., 333–336. Egeria erhält vom Bischof in Edessa eine Abschrift der Abgar-Legende, die sie, zurück in der Heimat, auch den Adressatinnen ihres Berichtes, den Frauen ihrer religiösen Gemeinschaft, zum Lesen geben will: Aeth. 19,19. Vgl. Donner 22002, 118 mit Anm. 128; Mulzer 1996, 160. Leppin 2002, 482f. S.o. mit Anm. 5 und 7. Zur materiellen Absicherung als Voraussetzung für Askese: Krause 1995, 98f., vgl. ebd., 81–86. Zahlreiche Quellenbelege und Literaturhinweise bei Krause 1995, 112f. mit Anm. 15. Nur wenige Beispiele seien herausgegriffen: In einem Brief spricht Paulinus von Nola von Melania als Melanius oder Melanion, d.h. als Maskulinum und als Neutrum: Paul. Nol. epist. 31,1, vgl. ebd. 29,6. Gerontius rechtfertigt seine Vita über Melania die Jüngere damit, dass sie so mannhaft gehandelt habe und bescheinigt ihr, keine Frau mehr, nicht einmal mehr ein Mann, sondern ein himmlischer Geist zu sein: Gerontius, Vita Melaniae iun. praef. (SChr 90, p. 126). Vgl. ebd. 12 (SChr 90, p. 150); 39 (SChr 90, p. 202). Überwindung weiblicher Schwäche und Minderwertigkeit durch Askese: Theod., Historia religiosa 29,1 (SChr 257, p. 232).

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nachstand. Nach dem Ende der Verfolgungszeit hatte die »Askese als lebenslanges Martyrium« das Martyrium in dieser Funktion abgelöst.82 Egeria etwa soll die Reisebeschwernisse ihrer Pilgerfahrt noch erhöht haben, indem sie viele hohe Berge bestieg, und auch Paula bestieg einen Berg trotz ihrer Schwäche. Melania die Ältere – nach einer anderen Tradition Silvia/Silvania – rügte auf ihrer Reise im heißen Nildelta ihren frommen Mitreisenden Iovinus, den Diakon und späteren Bischof, er würde seinen Körper verzärteln, als er sich mit kaltem Wasser wusch und sich auf einem weichen Fell hinlegte. Melania die Jüngere fastete auf ihrer in einem strengen schneereichen Winter unternommenen Pilgerreise.83 Bereits erwähnt wurde die von Theodoret in der Mitte des 5. Jh. gerühmte äußerst strenge, über Jahrzehnte gelebte Askese der beiden Schwestern Marana und Cyra, die unter freiem Himmel lebten, lange Zeiträume fasteten, immer bzw. fast immer schwiegen, ein den gesamten Körper einschließlich des Gesichtes bedeckendes Gewand trugen und schwere Eisengewichte mit sich herumschleppten, die die Schwächere der beiden in eine immerzu zum Boden gekrümmte Haltung zwangen. Sie fasteten während der Hin- und Rückreise ihrer Pilgerreise von ihrem Wohnort Beroia in Syrien nach Jerusalem, die jeweils 20 Tage dauerte, sowie derjenigen zum Heiligtum der Thekla nach Seleukeia in der Provinz Isaurien.84 Es bleibt nur zu hoffen, dass sie während der Reise wenigstens die Eisengewichte ablegten. Manche machten die religiöse Wanderschaft nicht nur über einen Zeitraum von mehreren Monaten oder Jahren zu ihrem Lebensstil, sondern dehnten sie auf weite Zeiträume ihres Lebens aus, wie es offenbar als eine der ersten Fabiola getan hatte.85

Ergebnis Wie aufgezeigt werden konnte, weist der literarische Diskurs über reisende Frauen in der christlichen Spätantike im Vergleich zur paganen Antike eine Reihe an qualitativen und quantitativen Spezifika auf:86 Neu aufgekommene literarische Gattungen – wie Heiligenviten, von Kirchenmännern verfasste Briefe und sogar mindestens ein autobiographischer Reisebericht einer Pilgerin – geben Lebensbeschreibungen von Frauen bisweilen breiten Raum. Insbesondere im Zeitraum zwischen der Mitte des 4. und des 5. Jh. lässt sich in einer Belegdichte und einem Umfang, die für die gesamte Antike einzigartig sind, ein neuer Typus weiblicher Reisender fassen, der sich zugleich als der am besten bezeugte Typus weiblicher Reisender der christlichen Spätantike erweist: die zu den loca sancta des Heiligen Landes und Ägyptens reisende Pilgerin. Dabei handelt es sich meist um Aristokratinnen oder Mitglieder des Kaiserhauses, die fast ausnahmslos ›alleine‹ ohne männliche Angehörige und aus eigenem Antrieb reisten. In der paganen Antike hingegen stellten die weiblichen 82 83

Petersen-Szemerédy 1993, 142 (Zitat), 150. Egeria: Valerius Bergidensis epist. 3f. (SChr 296, p. 342, 344). Vgl. Aeth. 3,2. Paula (wegen einer dort befindlichen alttestamentarischen Erinnerungsstätte): Hier. epist. 108,13f. Melania die Ältere bzw. Silvia/Silviana: Pall. Laus. 55,1f. (Bartelink, Barchiesi p. 250). Vgl. Devos 1973, 110 mit Anm. 1. Melania die Jüngere: siehe Anm. 67. 84 Askese: Theod., Historia religiosa 29,4–29,6 (SChr 257, p. 234–236). Reisen: Theod., Historia religiosa 29,7 (SChr 257, p. 238). 85 Vgl. Kötting 1950, 302–307; Dietz 2004; 2005. Fabiola: Hier. epist. 77,6; 77,8; Dietz 2005, 130f. 86 Zum Folgenden siehe auch Zwingmann, in Druckvorbereitung.

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Angehörigen, insbesondere die Ehefrauen senatorischer Amtsträger und Kaiser den am besten belegten Typus weiblicher Reisender dar, und sowohl Pilgerinnen als auch ohne männliche Angehörige reisende Frauen sind nur sehr schlecht bezeugt. Umgekehrt wird in der christlichen Spätantike über die Reisen weiblicher Angehöriger von Amtsträgern so gut wie gar nicht und über diejenigen von Frauen der kaiserlichen Familie nur in geringem Umfang berichtet, was mit der deutlich verringerten Reisetätigkeit dieser Personengruppen zusammenhängt. Ein erheblicher Unterschied besteht zudem darin, wie diese beiden Typen weiblicher Reisender bewertet werden. Pagane Texte nennen die Reisen weiblicher Angehöriger von Amtsträgern überproportional häufig, weil sie in ihnen exempla für verwerfliches bzw. gegebenenfalls zu reglementierendes Verhalten, weit seltener auch für vorbildliches Verhalten sehen. Dabei zielt die Kritik jeweils eigentlich auf den zugehörigen Ehemann ab. Entsprechend ist kaum der Regelfall überliefert, sondern vor allem negative und einige positive Extreme. Hingegen finden sich für die christlichen Pilgerinnen – neben wenigen allgemeinen kritischen Tönen über die Sinnhaftigkeit und die sittliche Gefahr solcher Pilgerreisen, die nicht nur, aber gerade auch für Frauen hervorgehoben werden – weit überwiegend positive Darstellungen. Dies bringt natürlich wesentlich der häufig hagiographische Kontext mit sich. Die Pilgerinnen konnten ihre Reisen nun aber auch in einem völlig neuen Umfang zur Selbstinszenierung und Selbstbestätigung sowie, als Mitglied der kaiserlichen Familie, auch zur politischen Demonstration und Legitimation nutzen. Deswegen wurden sie als darstellungswürdig empfunden und haben in einem vergleichsweise großen Umfang Eingang in die christliche Literatur der Spätantike gefunden. Ob zudem die spätantiken und mittelalterlichen Kopisten und Epitomatoren, die ja nur eine Auswahl der ihnen vorliegenden Texte überlieferten, den Berichten über christliche Pilgerinnen größeres Interesse entgegenbrachten als denen über pagane weibliche Reisende, muss offen bleiben. Nicola Zwingmann Neckarhalde 19, D-72070 Tübingen [email protected]

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Reisen von Frauen im literarischen Diskurs der Antike

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Nicola Zwingmann

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Reisen von Frauen im literarischen Diskurs der Antike

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Kartographische Darstellung einiger spätantiker Pilgerreisen zu den loca sancta (Hunt 1982, 52).

Menschen, Heroen, Götter

Abimilki 104 M’. Acilius Caninus 156 Adobogiona 312 Aelia Eudocia 534, 540, 544 Aelius Aristides 205–222, 405–408, 455 Aelius Gallus 153, 167 Aemilius Paullus 114, 116, 120f. M. Aemilius Scaurus 325, 335, 338 Aeneas 279–281, 284f. Agatharchides 161 Agatharchos 370, 372f. Aglaophon 368, 370 Agrippa 165, 457f., 460–462 Agroitas 282 Aias 108 Aischines 128 Aischylos 88–92, 370 Akusilaos 281 Albinia Caeonia 540f. Alexander d.Gr. 35f., 38f., 44–46, 78–80, 181f., 187f., 212f., 317, 345–347, 351, 418, 425–435, 439–441, 444–446 Alexander Polyhistor 162 Alexander von Kotiaeion 215 Alkaios 481, 485, 487 Alkibiades 89, 370 Alkibiades d.Ä. 267 A. Allienus 154 Almaqah 228 Amazonen 179, 186 Amenophis III. 104, 475 Amenophis IV. 104 Ammianus Marcellinus 429f., 539 Ammon 441 Ampelius 286, 335 T. Ampius 184 Anāhitā, Anaïtis 175, 316–318 Anakreon 480 Anaxandrides 11–23 Anchises 279f., 287 Androtion 287 T. Annius Sextius Florentinus 304 Anonymus von Bordeaux 537 Anonymus von Piacenza 536 Antaios 386 P. Anteius Antiochus 286

Antigonos Monophthalmos 429, 431 Antimenidas 484 Antiochos III. 431 Antiphanes 375 L. Antistius Rusticus 304 C. Antius Aulus Iulius Quadratus 301 Antoninus Pius 211f. Antonius 154, 165, 187, 189 M. Antonius Bagoas 317f. Apama 41 Apelles 190 Apellikon 38 Aphrodite 250f., 519 Apion 165 Apollodoros 73, 166 Apollon 186 Apollonios Rhodios 73, 75, 285 Appian 405f. Archelaos 165 Archilochos 480, 483, 486f. Ares 519 Arganthonios 382 Argonauten 73f., 81, 84, 282f., 285 Aristandros 435 Aristippos 127f. Aristobulos 444 Aristodemos 166 Aristomache 20 Ariston 40 Aristophanes 368 Aristophanes von Byzantion 39 Aristophon 368, 370 Aristoteles 36, 38, 130, 214 Arkulf 536 Arrian 30, 77, 79, 425, 428f., 433, 441, 444–446 Arsenius 535 Arses 346 Arsinoë I. 42 Arsinoë II. 42–45 Arsinoë III. 47 Arsinoë IV. 189 Artaxerxes I. 351f. Artaxerxes II. 317, 425 Artaxerxes III. 344, 346f., 349–352 Artemidoros 163, 166, 419 Artemis 172, 174–178, 186, 189–197, 251

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Register

Artemis Persike → Anāhitā Asklepiades von Myreleia 283 Asklepiades von Samos 39 Aspasia 267, 367 Astarte 251 Athenaios 21, 326 Athene 518f. Attalos 117 Attaršija 99f. Atticus 49, 390f. Augustus 162, 165, 167f., 187 Axiochos 267 Bendis 175 Berenike 42 Berenike I. 38, 45 Berenike II. 41 Bias 131 Bion 126 Boethos von Sidon 166 Bomilkar 154 Bonifatius 542 Boreas 443 Britomartis-Diktynna 175 Brutus 164 Bubastis 175 Busiris 386 Cacus 277, 384 Caecilius Metellus Scipio 184 Caesar 150–154, 157, 164, 184, 189, 294, 312, 327, 383, 447 Carbo 327, 329 Cassius Dio 339, 429 L. Cassius Longinus 327 Cato d.Ä. 114, 121, 279, 391 Cato d.J. 164 Charaxos 485 Charops 114f., 120f. Cheirisophos 439 Chersiphron 180 Cicero 49, 161, 163, 294, 304, 389–397 Claudian 537, 540 Claudius 412 Claudius Terentianus 137–141, 143, 145 L. Cominius Firmus 261 C. Cornelius Dolabella 395 P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus 162 P. Cornelius Scipio Africanus 152, 154f. Q. Cornelius Superstis 511 C. Curio 154 Curtius Rufus 79, 425 L. Cuspius Pactumeius Rufinus 301, 408 Cyra 541, 546 Dareios I. 316, 346f., 425, 429f. Dareios II. 435

Dareios III. 345f., 351, 426, 432 Deinokrates 182 Deinomenes 269 Deinon 263 Demetrios, Bruder des Perseus 114, 120 Demetrios von Kallatis 161 Demetrios von Phaleron 36–38 Demetrios von Skepsis 73, 281 Demokrit 131, 133 Diana 175 Diodor 74, 78f., 133, 159, 162, 164, 282, 381–387, 425 Diodoros, Perieget 11–23 Diogenes 32 Diogenes, Afrikafahrer 237 Diogenes Laertios 125–135, 490 Dion, Freund des Aelius Aristides 211, 218 Dion Magalokleious 269 Dion von Prusa 25–33, 403–405 Dionysios von Halikarnassos 263, 277, 281f., 284 Dionysos 186 Domitian 416 Draukos 219 Egeria 418, 534, 537, 540f., 546 Emmerich, Anna Katharina 199 Eos 518 Eppia 543f. Eratosthenes 38f., 41, 47f., 72f., 75, 419 Eryx 385 Euagrios Pontikos 542 Eudemos Thallionos 269 Eudemos Theodorou 269 Eudoxos von Knidos 133 Euhemeros 39, 284 Eumenes 431 Eupalinos 66 Euripides 88f. Eusebia 537, 539 Eustochium 532, 535, 537, 540f., 544 Eutropia 533f., 540 M. Exgingius Agricola 511 Ezra 352 Fabiola 540, 546 Q. Fabius 156 Fabri, Felix 543 Favorinus 30, 405 T. Flavius Aristion Iulianus 185 Florus 330, 334–336, 338–340 Frontin 335 Gadates 316 Gennaios 355–361 Genthios 114 Germanicus 149, 153 Gerontius von Jerusalem 536

Menschen, Heroen, Götter Geryon 276, 278, 381–385 Gorgias 130 Ti. Gracchus 121 Gregor von Nyssa 534, 542 Hammurapi 103 Harpokration 16 Hatschepsut 235 Hekataios 159, 218 Hekataios von Abdera 42 Hekate 175 Hekebolos 538 Helena, Frau des Iulian 539 Helena, Frau des Menelaos 529 Helena, Mutter Constantins 532–534, 540 Helico 262 Helios 251, 518 Hellanikos 17 Hephaistion 431 Herakles 159, 278f., 381–387, 441 Herishef 343–347, 350f. Hermes 518f., 521, 527 Herodes 161, 165 Herodoros von Herakleia 283, 285 Herodot 159f., 215–221, 275, 278, 382, 416, 425, 429f., 436f., 441–443, 446, 488 Herostratos 181 Hesiod 74f., 381, 435, 484, 486 Hieronymus 536, 542–544 Homer 72f., 75f., 80, 218, 287, 479, 481, 517–529 Hyginus 279 Hylos 278 Hypereides 16 Iamblichos 132 Iolaos 385 Iovinus 541 Isidor von Charax 166 Isis 343 Isokrates 127, 132 Iulia Domna 305f. Iulia Tertulla 295, 297 Iulian 537, 539 Ti. Iulius Celsus Polemaeanus 301 C. Iulius Florentinus 511 C. Iulius Ianuarius 511 L. Iulius Marinus Caecilius Simplex 294–298 C. Iulius Severus 408 Iustinianus 154, 198 Iuvenal 543 Johannes, Apostel 198f. Johannes Chrysostomos 198 Kallikrates, der Achaier 114f. Kallikrates von Samos 39, 43f. Kallimachos 39, 41, 44f.

Kallisthenes 16, 162 Kallixeinos 45f. Kalypso 76 Kambyses 346 Kassandros 160 Kephisodot 373 Kilamuwa 104f. Kimon 87, 267, 369 Kirke 71–74, 76, 78, 80 Kleon 87 Kleopatra VII. 165, 189 Konon von Samos 39 Krates von Mallos 72 Kresilas 370f. Kritias 486 Kroisos 178, 180, 442 Kybele 175 Kyros d.Gr. 314, 425, 429, 434f., 442 Kyros d.J. 425 P. Lentulus 154 L. Lepidicus Proculus 512 Leto 186 Livius 263, 327, 332, 334 Lucullus 166 Lukian 30, 402, 405 Q. Lutatius Catulus 325, 329, 332–336, 338 Lykaonis Phanomachou 271 Lykurg 133 Lysimachos 42, 44, 271 Lysimachos, der Alexandriner 286 Ma 175 Madduwatta 99f. Maecenas 167 Magas von Kyrene 41 Mago 154 Mandrokles 429 Marana 541, 546 Marcella 535, 537 Q. Marcius Philippus 114 Marcius Rufus 151 Maria, Mutter Jesu 198f. Marius 325, 327–331, 334, 336f., 341 Matius 395 Mazaios 426 Melania d.Ä. 532, 540–543, 545f. Melania d.J. 533, 536, 540–542, 546 Menelaos 529 Menodotos 312 Mettius Pompusianus 416, 419 Mikon 369f. Miltiades, Sohn des Kimon 86f. Miltiades, Sohn des Kypselos 86f. C. Minicius Italus 299 Mithradates VI. 161, 168, 187f.

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Register

Mithradates von Pergamon 312 Mithrenes 317 Molon 431 Mopsos 102f., 105, 110 Mukšaš 102 Mullijara 100 Myrina 81 Myron 371f. Naevius 279 Neanthes 160 Nearchos 71, 77–80, 441 Nehalennia 510 Nektanebo II. 344 Nereiden 441, 443 Nikolaos von Damaskos 161f., 165f. Odysseus 29, 32, 72–76, 80, 83, 88f., 149, 159, 283, 481–483, 519, 521–523, 526 Oidipus 286f. Oinopides 133 Olympiosthenes 373 Omanos 318 L. Opimius 335 Orosius 329, 334, 338f. Palladios von Helenopolis 541 Paula d.Ä. 532, 535–537, 540f., 543f., 546 Paula d.J. 532 Paulinus von Nola 543f. Paullus Fabius Persicus 174, 179, 183, 185 Paulus, Apostel 196–198 Paulus Diaconus 337 Pausanias 14f., 21, 173, 179, 183, 185, 275, 279, 281, 285, 287 Peisistratos 86 Perasia 175 Perdikkas 427, 431 Perdikkas, Begründer des maked. Königshauses 434 Peregrinus, Kyniker 405 Perikles 267, 367f., 370 Perseus, König 116f., 120 Pertinax 419 L. Petronius Florentinus 299 Pharnabazos 315 Pheidias 367f., 370f., 376 Philetas von Kos 39 Philipp II. 493f. Philochoros 367f., 376 Philoktet 81, 84f., 88–93 Philostratos 25f., 31, 130, 402, 405 Phradmon 370 Phrynon 493 Pinarius 384 Pindar 220 Platon 127f., 131–133, 135, 161, 368

Plinius d.Ä. 225, 263 Plutarch 16f., 22, 263, 326–333, 338–340, 367, 405–407 Poemenia 540–542 Polemon, Perieget 11–23, 160 Polybios 159, 161f., 164, 166 Polygnot 368–370 Polyklet 370f. Pompeius 156, 162f., 166, 294 C. Popilius Carus Pedo 191 Porphyrios 132 Poseidippos von Pella 44f. Poseidon 436, 441, 443, 481, 519 Poseidonios 161, 163–166, 326, 419 A. Postumius Albinus Luscus 119 Prokop 280, 538 Psammetichos I. 344 Ps.-Apollodoros 381 Ptolemaios I. 36, 38, 42, 45f., 444 Ptolemaios II. 36f., 39, 41f., 44–47 Ptolemaios III. 41, 47 Ptolemaios IV. 47 Ptolemaios, Klaudios 225, 229, 232–238, 415, 417 Ptolemaios Andromachos 188 Pulcheria 544 Pythagoras 128, 131–133, 135 Pythagoras, Tyrann von Ephesos 180, 188 Pytheas 166, 418 Rashap 251 Rhakios 110 Rib-Addi 104 Rufinus, Theologe 541f. Salmanassar III. 429 Sarapis 208, 210f. Sekhmet 346–350, 352 Semiramis 429 Semonides 480 Septimius Severus 305f. Serena 537, 540 Q. Servilius Caepio 331 P. Servilius Isauricus 189 Servius 280f. Severus Alexander 413 Shamash 251 Silvia/Silvania 540f., 545f. Skamandros 108, 110 Skopas 371 Sokrates 126f. Solinus 283 Solon 131, 133, 481, 483 Somtutefnakht 343–352 Sophokles 84f., 88–93, 287 Statius 403 Stesagoras 86

Menschen, Heroen, Götter Stesichoros 381f., 384f., 387 Stilpon 129 Strabon 30, 35, 38, 72f., 75, 159, 161, 165–168, 187, 326, 419, 462 Straton von Lampsakos 37 Strongylion 373f. Sueton 416 Sulla 162, 325, 332 Syrphax 188

Timonax 282 Timosthenes von Rhodos 44 Timotheos, Hl. 199 Tissaphernes 178 T. Titius 394 M. Tullius Cicero, Sohn 395 Q. Tullius Cicero 393 Tyrannion 166 Tyrannos 196

Tacitus 265, 283 Tanit 251 Tasoucharion 138–141, 145 Telemach 522, 525, 527, 529 Telesikles 487 Teukros 108, 110 Thales 131, 134 Thallion Dionos 269 Themistokles 267, 315, 443 Theodora 538 Theodoret 546 Theodosius I. 540 Theognis 484, 487 Theokrit, Dichter 38–41, 47 Theophanes 162, 166 Theophilos, Indienfahrer 237 Theophrast 214, 416 Thetis 443 Thukydides 482 Tiberius 185, 187 Tigranes 168 Timagenes 161f. Timaios 162, 283, 382, 384f., 387 Timon 47

Udjahorresnet 346f., 349 M. Ulpius Traianus, Vater des Kaisers 301 Urikki 102f., 110

557

Valerius Antias 329 Valerius Pinianus 533 Varro 164, 279, 287 P. Vedius Papianus Antoninus 185 Vegetius 413–415, 419, 429f. Vercingetorix 383 Vergil 279 Vitruv 417 Xenarchos 166 Xenophanes 480 Xenophon 267, 425f., 428, 432, 438–441, 444–446 Xerxes I. 263, 425, 429–431, 433f., 436f., 442f., 445f. Zabedibolos 355–361 Zebeis 355–361 Zenon 129 Zeus 482, 519 Zeuxis 431 Zosimos 540

Geographica und Völker

Abai 443 Abdera 116f., 480 Abu Simbel 485 Achaioi 102–108 Adana 29, 102f. Ad-na-na 101 Adulis 232, 237 Ägypten 30, 55–69, 131, 133–135, 137–147, 164, 167, 205–222, 227–300, 386f., 482f., 485, 526, 527, → loca sancta Äthiopien 41, 45, 131, 166, 220f., 228, 485, 519, 526 Aetna 75, 167 Afrika 163 Agios Eustratios 81–83, 85, 90–92 Agyrion 385 Ahhija 99, 103 Ahhijawa 103 Aiaia 71–80 Aigai 29, 286 Aigina 243, 371f. Aineia 280, 283 Ainos 117 Akesines 427, 441 Akragas 372 Alabanda 167 Alalia 488 Alašija 100 Alesia 383, 385 Alexandria 14, 35–48, 138, 161, 164, 167f., 207, 209f., 212f., 217 Amaseia 30, 167 Ambrakia 121, 281 Ambronen 329f., 341 Amorgos 480 Amphipolis 29, 116 Anagnia 391, 394 Anchisia 280 Andros 29 Antiocheia am Orontes 29 Antium 391, 393f., 396 Aoos 117f. Apameia in Bithynien 29 Apameia am Orontes 29 Apollonia im Illyricum 122 Apollonia Pontike 29

Aquae Sextiae 329, 331, 337f. Aquileia 28 Arabien 40, 45f., 212 Araxes 429 Ardres 510 Arelate 30 Argos 286, 375, 498 Arkader 246, 375 Arles 510 Armenien 30, 166 Aromata 234 Arpinum 391, 393–397 Arsinoë 232 Asien 48 Askalon 250f. Askra 486 Assyrer 428 Astura 391, 395–397 Ateste 261 Athamanen 121 Athen 11–14, 16–20, 29, 31, 85–92, 126f., 130, 163f., 168, 206, 241–253, 267–269, 287, 300, 367–375, 395f., 402f., 405f., 443, 493f., 495 Athos 29, 442 Atintania 117 Atlantik 508 Atuatuker 327, 340f. Babylon 317 Baktrien 317 Baranis 234 Berekynthia 281 Berenike in Libyen 282 Berenike am Roten Meer 228f., 232–234 Beroia 264 Boioter 244 Bomos Chrysês 29 Borysthenes 28f. Bosporus 429 Brenner 326, 331 Britannien 507 Brundisium 28, 167, 395 Bulikai 237 Buthrotos 121 Byblos 104 Byzantion 29, 39, 46, 165

Geographica und Völker Campania 167, 402 Campi Raudii 326, 340 Carni 332 Carnuntum 261, 264 Castrum Cimbra 337 Celeia 265 Cembra 337 Chalkis 382f., 525 Chaonen 118 Charadros 121 Chersonesos, Stadt 29 Chersonesos, thrakische 86, 92 Chios 28–30, 165, 167, 471 Chryse 84, 90, 92f. Circaeum 74 Colijnsplaat 510 Corsica 164 Cumae 391, 394–396 Cures Sabinorum 295, 297 Da’amat, Di’amat 227f. Dahlak-Archipel 237 Damaskus 317 Danaoi 101–108 Danuna 103f. Dareion 315 Dareiukome 315 Darieion 315 Daskyleion 313, 315 Dassareten 116 Delos 42, 50, 186, 194 Delphi 12–20, 22, 25, 29, 64, 172, 368, 375, 490f., 494f., 496, 498 Demetrias 116 Dere 232 Didyma 29, 67 Dikaiarcheia 167 Dion 29 Dnnym 102–104 Dodona 15, 172 Donau 30, 427–429, 433, 440 Drepanon 279 Dura Europos 357 Dyrrhachion 28, 122, 208 Edessa 355–361 Egesta 385 Eisack 331 Ekbatana 317 Elba 164 Elea 480 Elephantine 209, 213, 215, 219f. Eleusis 29, 31, 172, 489, 491, 495f. Elis, Eleer 367f., 376, 492 Eliša 102 Engyon 283

559

Epeiros, Epeiroten 114, 117f., 120f., 167 Ephesos 29f., 42, 171–200, 370 Epidauros 29, 31, 172 Eresos 247 Eretria 525 Eritrea 228 Erytheia 381 Eryx 279, 284f. Eteonos 286 Etrurien 164 Etsch 331, 333–337 Euboia 28f., 81, 84, 91, 382–384, 443, 527 Euphrat 30, 428f., 432, 434, 441 Euripos 81 Farasan-Inseln 237 Formiae 391, 393–397 Frusino 391 Fundi 391, 395f. Gadeira 278 Gallien 30, 163, 402, 455–463 Ganges 235 Gaugamela 346, 351 Genusus 122 Germania Inferior 506, 508, 511, 513 Geten 28 Gibraltar 382 Golf von Korinth 28 Goten 197 Granikos 317, 433, 445 Griechenland archaisches 55–69 mykenisches 469–472 Guraios 427 Gyaros 167 Gyndes 435 Hafen der Rettenden Götter 232 Halikarnassos 471 Halonnesos 81–83 Halys 100 Hapalla 100 Harijati 99 Hatra 357 Hatti 99f. Hau-nebu 345f., 351 Hekatompylos 386 Helikon 373 Heliopolis 167 Hellespont 29, 81, 84, 429f., 432, 434, 436, 441– 443 Helvetier 263 Hephaistia 86f., 90, 92 Heraia 29 Herakleia Pontika 285 Herakleia in Unteritalien 402

560 Herakleopolis 343–345, 351 Hermounthi 219 Heroonpolis 228 Hierapolis 167 Himera 381, 385 Hiyawa 103 Hydaspes 428, 440f. Hypachaioi 105f. Hyphasis 440 Hypochalkis 106 Hypothebai 106 Hyrkanische Ebene 314, 317 (Ia)-ad-na-na 101 Iam(a)nāia 100 Iambia 232 Iberische Halbinsel 163, 208 Ichthyophagen 77, 79, 235 Ilion 165 Illyrien, Illyrer 114, 116, 118, 120 Imbros 81, 84f., 87–90, 92 Indien, Inder 45f., 131, 233f. Indischer Ozean 441, 445 Indus 429, 431, 440f. Iolkos 81 Ionien 212f. Ios 29 Isère 327 Issos 346 Isthmos 491f. Istros → Donau Italien 30, 163 Ithaka 29, 76, 91, 527 Jemen 228, 232 Jerusalem 534, 536, 541–543, 546 Kalymna 29 Kammanoi 121 Kane 234 Kanobos 217f. Kap Circei 283 Karanis 138, 143 Kardakon kome 315 Kares 109 Karine 77 Karmanien 78f. Karpathos 29 Karthago 102, 164 Karystos 29 Kassiteriden 506 Kaukones 107 Kaunos 29 Kaÿstros 183 Kelainai 29 Kentrites 432, 438f., 441, 444 Kestrine 121

Register Kilikia, Kilikes 102–106, 107f., 110 Kimbern 325–341 Kition 104, 250 Kittim 101, 104 Klaros 172 Kleinasien 165, 167 Klysma 228f., 232 Knidos 29, 207, 270f., 368, 471 Knossos 473, 475 Köln 511f. Kolchis 73–75 Kolophon 29, 480 Komana in Kappadokien 167 Koprates 431 Korinth 29, 31, 51, 167, 404 Korkyra 397 Kos 39, 165, 167, 172, 207, 271, 273 Kreta 29, 41, 110, 131, 167, 386, 470, 475, 527 Kroton 29 Kydonia 379f. Kypros 29, 100–102, 104f., 208, 250, 519 Kyrene 39, 41, 58, 386, 485 Kyru pedion 314 Kythera 29, 471–473 Kythnos 29 Kyzikos 28f., 31 Lakedaimon 476 Lanuvium 391, 395f. Latium 167, 383f. Lavinium 279, 281, 285 Lebadeia 172, 443 Leffinge 510 Lefkandi 68 Leleges 107 Lemnos 81–93, 471 Lesbos 247f., 527 Leukopetra 397 Leukos Limen 228f., 233 Libyen 41, 46–48, 386 Limyrike 234 Lindos 286 loca sancta 531–547 Loire 459 Lykien, Lykier 165, 208 Lykos 432 Lyttos-Afrati 58 Maas 513 Magnesia 167 Magusaioi 319 Makedonien, Makedonen 113–122, 247, 249, 406, 493 Malta 164 Maraššantija 100 Maroneia 117, 249

Geographica und Völker Massalia 30, 382–384, 402 Megara 29, 31, 242, 373f., 494 Memphis 61, 167, 215 Menapier 512 Messana 395f. Messene 372 Metapontum 29 Milet 68, 269–271, 471, 476 Milyas 213 Minturnae 391 Moeris 215 Molosser 118 Monte Circeo 75 Moriner 512 Muza 236f. Mykene 470, → Griechenland, mykenisches Mykonos 29 Mylasa 167 Myos Hormos 232, 234 Myrina 86f., 90–92 Mytilene 29, 165, 248, 485 Naukratis 61f. Neapel 167, 402f. Nemea 490, 492, 498 Nijmegen 507 Nikaia 29, 167 Nikomedia 29 Nikopolis 165, 167 Nil 211–214, 216f., 219–221, 228, 233, 427 Nisaia 374 Nosala 71, 77, 80 Noviomagus 264 Nysa 166f.

561

Parther 357f., 360f. Patmos 167 Patrai 167, 395 Pella 29 Peloponnes 28, 31, 527 Pergamon 14, 29, 165, 168, 172, 206, 208, 213 Persien 131 Persis 351 Persischer Golf 441 Pfeiler des Herakles 73f., 382 Phaiaken 481f., 525 Pherai 373 Philai 167, 220f. Philotera 228 Phönikien, Phöniker 40, 250, 506, 525–527 Phoinike 121 Phokaia 382–384, 488 Piräus 29, 31, 250 Pisa bei Olympia 29 Pithekussai 384 Pithom 228 Plataiai 29, 245f., 368, 443 Pompeii 343, 391, 394–397 Pontos 73 Ponza 76 Populonia 166f. Prokonnesos 29 Prusa 29, 31f. Pselkis 506 Ptolemais Theron 232 Punt 227–229, 235 Puteoli 167, 391, 395–397 Pydna 113 Pylos 470, 472f., 522, 527 Pyramos 167

Oescus 264 Ogygia 519 Okelis 232, 234, 236f. Olbia 28, 404 Olymp 518, 527 Olympia 15, 20, 28f., 165, 367, 371, 405, 489–493, 496 Orchomenos in Arkadien 281 Orchomenos in Boiotien 372, 470 Orestai 116 Ortygia, Insel 75 Ortygia, Hain 186, 194 Oxos 428, 432 Ozean 73, 76

Raversijde 510 Rhapta 235 Rhegion 396f. Rhein 507f., 511, 513 Rhodos 14, 119, 161, 163–165, 167f., 207f., 210, 273 Rhône 327, 508 Rom 29f., 161, 163, 165, 167f., 208, 213, 262f., 281, 283, 384, 391 Rotes Meer 40f., 153, 212, 225–238 Rubico 447

Palästina 207, → loca sancta Palatin 383 Palestrina 45 Palmyra 357 Pambotis 117 Paphos 519 Paros 480, 486

Saba, Sabäer 228 Säulen des Herakles → Pfeiler Salamis 29, 31, 443 Salmunti 78 Sam’āl 104 Samos 29, 39, 64–67, 165, 167, 370f., 480 Samothrake 42, 172, 281

Qwe 102f.

562 Sardeis 313, 317 Sardinien 164 Schelde 508 Schwarzes Meer 81, 84, 87, 166, 283 Segesta 281, 284 Seine 459 Selera 77 Seleukeia 167 Seriphos 29 Sicani 385 Sidon 29, 250f. Sigeion 86 Šijanta 100 Sinope 29, 165, 167f. Sinuessa 391, 395f. Siris 480 Siwa 172 Sizilien 163f., 385, 526 Skyros 84, 87–90, 92 Smyrna 29, 167, 206–208, 210 Sokotra 234 Soloi 29 Sparta 29, 371f., 375, 406, 408, 492, 522, 527 Sporaden 81–93 Stageira 29 Stoeni 332 Straße von Gibraltar 30 Strymon 437 Sunion 29, 31 Susa 317 Sybaris 29 Syene 167, 220f. Syrakus 29, 164, 392, 397 Syrien 40, 61f., 163, 207 Syrte 29 Tachompso 220f. Tanaïs 428, 435, 440 Taphos 520 Tarent 29 Taršiš 101f. Tarsos 29, 101f., 168 Tartessos 101f., 382 Tauros 106 Tegea 29, 246f. Temenuthyrai 275f., 278f., 281, 285 Tenedos 29, 81, 84f.

Register Tenos 167 Teos 480 Teutonen 325–341 Thasos 29, 368–370, 480, 486f. Theben 19, 29, 244–246, 286, 443, 476f., 498 Thera 372f., 485 Thermopylai 29 Thesprotien 121 Thessalonike 283 Thmuis 44 Thrakien, Thraker 249, 519, 526 Thurioi 29 Tigris 428f., 431, 441 Tiguriner 327, 329, 333, 339–341 Tlos 297 Tolosa 331 Tralleis 167 Trichonion 495 Tridentum, Tridentini 333, 335–338, 341 Trier 511f. Troas 81, 106–108, 471 Troia 29, 106–110, 167, 482, 527 Tusculum 391, 393–397 Tymphaia 117 Tyros 29 Tyrrhenische Küste 166 Tyrrhenisches Meer 74–76 Ustica 76 Val di Cembra 337 Valentia 329f., 334, 339, 341 Vaphio 469 Vari 372 Velia 397 Veliocasses 327 Vercellae 326, 339 Vibo Valentia 396 Vindolanda 507 Vorderer Orient 55–69 Yeha 228 Zankle 372 Zeebrugge 510 Zephyra 471 Zippašlā 99 Zygos 117

Sachen

adventus 534 Aitiologie 15–19 Aitolischer Bund 495 Akademie 38 Andriskosaufstand 114, 120 annona 509 Antiquarisches → Periegesis Arbeitsmarkt 57 Arbeitsmigration 261–266 Architektur Maßstabsprung 64 monumental 65 sakral 63–66 Stein 63f. Aristokraten 59, 67, 479 Artemidorpapyrus 415 asphaleia 498 Asyl 58, 185–189, 498, 519 Autonomie 402 Autopsie 159–164, 167, 217, 219f. Bank 184 Bataveraufstand 512 Becher von Vaphio 469 Bematisten 418 Bergwerke 118f. Bibliothek von Alexandria 35f., 39 Bildungsreise 166 Boiotischer Bund 120 Bote 521f. Brücke 428–432, → Schiffsbrücke Bürgerrecht, römisches 402f., 405–408 cohors amicorum 302 commercium 119 conubium 119, 264f. cursus publicus 303, 457, 460, 542 Delphische Amphiktyonie 494, 498 diabateria 435, 440 Dialekte, griechische → Sprache ekecheiria 489–499 Emigration 61, 160 emmisthos 474f. Empfehlungsschreiben 144 Endogamie 319 engenes metoikos 272f.

enktesis 119 epidamia 272f. epigraphic habit 311f., 457–461, → Schriftkultur Exil 25–27, 31f., 130f., 390, 487 Exokeanismos 73 Exportverbot 512 face-to-face society 141 Fernweidewirtschaft 119 Feste, panhellenische 129f., 161, → Heiligtümer Festfriede → ekecheiria, spondai Festgesandtschaft → theoria Fischsauce 507f., 513 Floß 427f. Fluss Überquerung 425–447 Wahrnehmung 433–446 als Wasserstraße 459, 461, 511, 513 Forma urbis 417 Forschungsreise 216f., 221 fossa Mariana 328 furor Teutonicus 325, 340 Furt 426f., 432 Gemeinsamer Markt 49, 51 Gesandte 129, 161, 163, 165, 299, 413, 476f., → legatio libera; theoria Gezeiten 226 Glas 233 Große Kolonisation 479 Händler, Handel 59, 68, 87f., 119, 233, 235–237, 413, 460, 469, 479, 481f., 485f., 490, 492, 505– 514, 519f., → lixae; Marketender; mercatores; navicularii; negotiatores; Sklavenhändler; virtual economy; Warenaustausch Haus 52 Heiligtümer, panhellenische 489–499, → Feste Heilstätten 172 Heimat 126, 242–244, → patria Herold 161, 495 hieromenia 489 Hybris 435, 442, 444–447, 529 Immigration 160 interdictio certorum locorum 33 Isopolitie 408

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Register

Itinerarien 413f., 418, 420, → Stadiasmos itineraria adnotata 414 itineraria picta 414 Itinerarium Antonini 418, 420 Itinerarium Burdigalense 420, 536 Silberbecher von Vicarello 418 Kanal 442 Kataster 417f. Kelek 428 Königsland, makedonisches 118 Koiné 241, 243, 247f. Koinon der Prasaiben 121 Kulturpolitik 45 Kulturreise 172 Kulturtransfer 455–463 Landbesitz 49 Landkarte 411–421 Landzuweisung 340f. legatio libera 300, 395 Lindische Tempelchronik 286 lixae 261, 264 loca sancta 531–547 Logographen 12 Lokalgeschichte 12, 160 Mäzenatentum 35, 38, 47, → Patronage Makedonischer Krieg, Dritter 113, 120 Marketender 261 Maßstab, Maßstäblichkeit 415, 417f. Memnonsäule 167 mental map 419f. mercatores 261, 264 Metöken 267–274 Mission 233 Mobilität → Emigration; Immigration; peregrinatio; Reise; Remigration Begriff 160, 401f., 455 Einschränkung 113–122, 161, 300f. erzwungen 160–162, 343–352, 472, 485f., 488 freiwillig 160–162, 469f., 472f. Motive 160–162, 479–488, 517, 519–521 naturräumliche Bedingungen 225–227 soziale 267–274, 401 Topos 127, 159, 161 und kultureller Wandel 455–463 und Prestige 127, 129 von Ärzten 346, 350 von Amtsträgern 293–306 von Gelehrten 25–33, 35–48, 58, 125–135, 159–168, 205–222 von → Gesandten von → Händlern von Handwerkern 55–69, 264, 469f., 490 von Heroen 275–288, 381–387

von Künstlern 367–376, 469f. von Priestern 55, 57f., 60 von Sängern 55, 59f. von Sklaven 51, 470–473 von → Söldnern von Truppen 149–158, 425 Morgenthau-Plan 115, 121 Münzprägung 120 Museion von Alexandria 35, 47 Namen, iranische 312f. navicularii 509f. Navigation 524 negotiatores 49f., 261, 264, 510, 512 Nesiotenbund 46 Neue Institutionenökonomik 138–140, 143, 146 Nomaden 161 Oikisten 479, 487 Orakel 172 Orientierung im Raum 411–421 paradeisoi 315 Passat 226 patria 262, 265 Patronage 161, → Mäzenatentum pax Romana 459 Peloponnesischer Krieg 497 peregrinatio 391–397 Periegesis, antiquarische 11–23 Periplus Maris Erythraei 225, 229, 232–235, 237 Perrhaibischer Bund 119 Pferde 522 Philologie, antike 11 Pilger christlich 171, 531–547 pagan 171, 195, 413, 489–499 Piraterie, Piraten 84f., 92, 227, 396, 482–485, 520, 524 poreuomenoi 490 Prinzipal-Agenten-Theorie 137–147 propemptika 149 publicani 119 Pyraitheia 318 Regionalgeschichte 160 Reise 159f., → Bildungs-; Forschungs-; Kulturreise Geschwindigkeit 293f., 397, 411, 517, 526f., 532 Planung 412–416, 418–420 religiös motiviert 171, → Pilger zu fremden Kulturen 131–135 relegatio 33 Reliquien 281, → Translation Remigration 262 requirendus adnotatus 27, 33 Romanisierung, Romanisation 401–409, 455–463

Sachen salinatores 512 Salz 119, 505–514 Schiff 427f., 431, 481 Ladekapazität 154–156 Typen 153f., 157, 234, 236f., 523 Schiffsbauholz 119 Schiffbruch 28, 443, 482f., 523 Schifffahrt 149–158, 226, 234, 523–529 Metaphorik 480f., 483 Terminologie 150f. Schiffsbrücke 427–431, 436f., 443 Schriftkultur 460f., → epigraphic habit Septuaginta 37 Sherdana 475 Sieben Schläfer 199 Siedlungsland 340f. Sklaven 67f., 81, 83f., 120, 471–473 Sklavenhändler 261f. Söldner 62, 473–475, 479, 484–487 spondai 489 spondophoroi 490, 495 Sprache 57, 63, 67f., 241–253, 318, 358, 408, 460, → Koiné Stabilität 401–409 Stadiasmos von Patara 418 Stadt Größe des Territoriums 50 Größe des urbanen Zentrums 51 Zusammensetzung der Bevölkerung 50f. Staubwunder 198f. Stele von Neapel 343–352 Straße 456–462, 509, 511, 513, 522

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Tabula Peutingeriana 414–416, 420 tekmeria 275–288 theoria, theoroi 172, 490, 494, → spondophoroi theorodokoi 490–492 Thessalischer Bund 119 Tourismus 172, 215f., 300 Transfer von Kultur 55–69, 134, 525 von Technik 55–69, 263, 525 von Wissen 126, 131–135, 264 Transhumanz 61, 119 Transitverkehr 333 Translation 286–288 Truppentransport 149–158 Tuche 233 Umsiedelung 160 Urbanisierung 461f. Verbannung 160 Vertreibung 160 Verwandtenehe 319 Via Appia 28 Via Egnatia 118, 121 villa, villa rustica 51, 391–397 virtual economy 50f. Waffenruhe → ekecheiria Warenaustausch, privater 137–147 Wetter 149f., 523, 525 Zehntausend 425, 428, 432f., 438f. Zurvanismus 320 Zweite Sophistik 32, 222

geographic a historic a

Begründet von Ernst Kirsten, herausgegeben von Eckart Olshausen und Vera Sauer. Die Bände 1–8 sind in den Verlagen Dr. Rudolf Habelt (Bonn) und Adolf M. Hakkert (Amsterdam) erschienen.

Franz Steiner Verlag

9.

ISSN 1381–0472

Gerhard H. Waldherr Erdbeben – Das außergewöhnliche Normale Zur Rezeption seismischer Aktivitäten in literarischen Quellen vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. 1997. 271 S., kt. ISBN 978-3-515-07070-6 10. Eckart Olshausen / Holger Sonnabend (Hg.) Naturkatastrophen in der antiken Welt Stuttgarter Kolloquium zur historischen Geographie des Altertums 6, 1996 1998. 485 S. mit zahlr. Abb., kt. ISBN 978-3-515-07252-6 11. Bert Freyberger Südgallien im 1. Jahrhundert v. Chr. Phasen, Konsequenzen und Grenzen römischer Eroberung (125–27/22 v. Chr.) 1999. 320 S. mit 16 Abb., kt. ISBN 978-3-515-07330-1 12. Johannes Engels Augusteische Oikumenegeographie und Universalhistorie im Werk Strabons von Amaseia 1999. 464 S., kt. ISBN 978-3-515-07459-9 13. Lâtife Summerer Hellenistische Terrakotten aus Amisos Ein Beitrag zur Kunstgeschichte des Pontosgebietes 1999. 232 S. und 64 Taf., kt. ISBN 978-3-515-07409-4 14. Stefan Faller Taprobane im Wandel der Zeit Das Śrî-Lankâ-Bild in griechischen und lateinischen Quellen zwischen Alexanderzug und Spätantike 2000. 243 S., kt. ISBN 978-3-515-07471-1 15. Otar Lordkipanidze Phasis The River and City in Colchis 2000. 147 S. und 8 Taf., kt.

ISBN 978-3-515-07271-7 16. Marcus Nenninger Die Römer und der Wald 2001. 268 S. mit 3 Abb., kt. ISBN 978-3-515-07398-1 17. Eckart Olshausen / Holger Sonnabend (Hg.) Zu Wasser und zu Land – Verkehrswege in der antiken Welt Stuttgarter Kolloquium zur historischen Geographie des Altertums 7, 1999 2002. 492 S. mit zahlr. Abb., kt. ISBN 978-3-515-08053-8 18. Maria Francesio L’idea di città in Libanio 2004. 157 S., kt. ISBN 978-3-515-08646-2 19. Frauke Lätsch Insularität und Gesellschaft Untersuchungen zur Auswirkung der Insellage auf die Gesellschaftsentwicklung 2005. 298 S., kt. ISBN 978-3-515-08431-4 20. Jochen Werner Mayer Imus ad villam Studien zur Villeggiatur im stadtrömischen Suburbium in der späten Republik und frühen Kaiserzeit 2005. 266 S., kt. ISBN 978-3-515-08787-2 21. Eckart Olshausen / Holger Sonnabend (Hg.) „Troianer sind wir gewesen“ – Migrationen in der antiken Welt Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 8, 2002 2006. 431 S. mit 58 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08750-6 22. Jochen Haas Die Umweltkrise des 3. Jahrhundert n. Chr. im Nordwesten des Imperium Romanum Interdisziplinäre Studien zu einem Aspekt der allgemeinen Reichskrise im Bereich der beiden Germaniae sowie der Belgica und der Raetia

2006. 322 S., kt. ISBN 978-3-515-08880-0 23. Klaus Tausend Verkehrswege der Argolis Rekonstruktion und historische Bedeutung 2006. 226 S. mit 6 Abb., 22 Ktn. und CD-ROM, kt. ISBN 978-3-515-08943-2 24. Gerhard H. Waldherr / Anselm Smolka (Hg.) Antike Erdbeben im alpinen und zirkumalpinen Raum / Earthquakes in Antiquity in the Alpine and Circum-alpine Region Befunde und Probleme in archäologischer, historischer und seismologischer Sicht / Findings and Problems from an Archaeological, Historical and Seismological Viewpoint. Beiträge des Interdisziplinären Workshops Schloss Hohenkammer vom 14.–15. Mai 2004 2007. 189 S. mit 125 s/w-, 3 Farbabb. und 5 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09030-8 25. Klaus Tausend Im Inneren Germaniens Beziehungen zwischen den germanischen Stämmen vom 1. Jh. v. Chr. bis zum 2. Jh. n. Chr. Mit Beiträgen von Günter Stangl und Sabine Tausend 2009. 282 S. mit 14 Ktn., kt. ISBN 978-3-515-09416-0

26. Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.) Die Landschaft und die Religion Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 9, 2005 2009. 422 S. mit 94 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09422-1 27. Frank Stini Plenum exiliis mare Untersuchungen zum Exil in der römischen Kaiserzeit 2011. 378 S., kt. ISBN 978-3-515-09894-3 28. Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.) Die Schätze der Erde – Natürliche Ressourcen in der antiken Welt Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 10, 2008 2012. 425 S. mit 55 Abb., 1o Tab. und CD-ROM, kt. ISBN 978-3-515-10143-1 29. Tonnes Bekker-Nielsen (ed.) Space, Place and Identity in Northern Anatolia 2014. 271 S. mit 120 s/w-, und 27 Farbabbildungen, kt. ISBN 978-3-515-10748-8 30. Ekaterina Nechaeva Embassies – Negotiations – Gifts Systems of East Roman Diplomacy in Late Antiquity 2014. 306 S., kt. ISBN 978-3-515-10632-0

Das 11. Internationale Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums in Stuttgart galt der Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt. Die Beiträge der Kolloquiumsakten gehen zum einen den Bedingungen und den Nachwirkungen von Mobilität nach, zum andern fragen sie nach Zusammenhängen zwischen Mobilität und Herrschaft, zum dritten thematisieren sie, wie sich Mobilität in literarischen Quellen spiegelt. Der erste Themenkreis beleuchtet unter anderem die Motive für Mobilität und die Wechelwirkung zwischen Mobilität und kulturellem Wandel. Beim zweiten The-

menkreis geht es beispielsweise um (vermeintliche) Einschränkung von Mobilität als Herrschaftsinstrument. Beiträge des dritten Themenkreises befassen sich etwa mit Mobilität als literarischem Topos oder mit dem Einfluss der Erweiterung des geographischen Horizonts der griechischen Welt auf Mythengestaltung und Mytheninterpretation. Insgesamt wird sowohl die Mobilität bestimmter Einzelpersonen (Aelius Aristides, Cicero, Dion von Prusa) thematisiert, als auch die Mobilität unterschiedlicher Personengruppen (z. B. Gelehrte, Künstler, Händler, Pilger, Senatoren, Frauen, Völker, Armeen).

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ISBN 978-3-515-10883-6