Methodik für Wirtschaftswissenschaftler: Neue Lehr- und Prüfmethoden für die Praxis 9783486781342, 9783486732993

Wie gestalte ich meinen Unterricht interessanter? Welche alternativen Prüfungsformen gibt es? Antworten auf solche und ä

174 9 17MB

German Pages 299 Year 2013

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
1 Einführung
Lehren mit neuen Medien
2 Elektronische Abstimmungssysteme
2.1 Was sind elektronische Abstimmungssysteme?
2.2 Lernziele
2.3 Praktische Durchführung
2.4 Kritische Analyse
2.5 Literatur
3 Einsatz von Blogs in der Lehre
3.1 Was ist ein Blog?
3.2 Lernziele
3.3 Durchführung: Lehr- und Lernszenarien
3.4 Kritische Analyse
3.5 Literatur
4 Einsatz von Tablets in der Lehre
4.1 Was ist ein Tablet?
4.2 Lernziele
4.3 Praktische Durchführung
4.4 Kritische Analyse
4.5 Literatur
5 Podcasts
5.1 Was ist ein Podcast?
5.2 Lernziele
5.3 Praktische Durchführung
5.4 Kritische Analyse
5.5 Literatur
Aktivitätsorientierte Lehre
6 Rollenspiele
6.1 Was ist ein Rollenspiel?
6.2 Lernziele
6.3 Praktische Durchführung
6.4 Kritische Analyse
6.5 Literatur
7 Unternehmenstheater als Ergänzung der Controlling-Ausbildung
7.1 Was ist Unternehmenstheater, und wie lässt es sich in die Controlling-Ausbildung integrieren?
7.2 Lernziele
7.3 Praktische Durchführung
7.4 Kritische Analyse
7.5 Beispiel eines offenen Drehbuches
8 Das Controlling-Labor
8.1 Wie funktioniert das Controlling-Labor?
8.2 Lernziele
8.3 Praktische Durchführung
8.4 Kritische Analyse
8.5 Literatur
9 Gamification – Spielend leicht lernen
9.1 Was ist Gamification?
9.2 Lernziele
9.3 Praktische Durchführung
9.4 Kritische Analyse
9.5 Literatur
10 Speed Reading
10.1 Was ist Speed-Reading?
10.2 Lernziele
10.3 Durchführung
10.4 Kritische Analyse
10.5 Literatur
11 Intergeneratives Lernen – Mentoring einmal anders
11.1 Was ist Mentoring?
11.2 Lernziele
11.3 Praktische Durchführung
11.4 Kritische Analyse
11.5 Literatur
12 Soziale Formen des Lernens
12.1 Was bedeutet soziales Lernen?
12.2 Lernziele
12.3 Praktische Durchführung
12.4 Kritische Analyse
12.5 Literatur
Problemorientierte Lehre
13 Fallstudien
13.1 Was ist eine Fallstudie?
13.2 Lernziele
13.3 Praktische Durchführung
13.4 Kritische Analyse
13.5 Literatur
14 Projekte
14.1 Was ist die Projektmethode?
14.2 Lernziele
14.3 Praktische Durchführung
14.4 Kritische Analyse
14.5 Literatur
15 Studentisches Forschungsprojekt
15.1 Forschendes Lernen durch studentische Forschungsprojekte
15.2 Lernziele
15.3 Praktische Durchführung
15.4 Kritische Analyse
15.5 Literatur
16 Lernende als Unternehmensberater
16.1 Was bedeutet „Lernende als Unternehmensberater“?
16.2 Lernziele
16.3 Praktische Durchführung
16.4 Kritische Analyse
16.5 Literatur
17 Unternehmensplanspiele
17.1 Was ist ein Unternehmensplanspiel?
17.2 Lernziele
17.3 Praktische Durchführung
17.4 Kritische Analyse
17.5 Literatur
18 RealityPlanning
18.1 Was ist RealityPlanning?
18.2 Lernziele
18.3 Praktische Durchführung
18.4 Kritische Analyse
19 Durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel
19.1 Was ist ein durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel?
19.2 Lernziele
19.3 Praktische Durchführung
19.4 Kritische Analyse
19.5 Beispielhafte Arbeitsmaterialien
19.6 Literatur
Alternative Prüf- und Reflexionsformen
20 Bewusstes und reflexives Lernen
20.1 Was ist bewusstes und reflexives Lernen?
20.2 Lernziele
20.3 Praktische Durchführung
20.4 Kritische Analyse
20.5 Literatur
21 Buchbeitrag statt Klausur
21.1 Was ist der Leistungsnachweis?
21.2 Lernziele
21.3 Praktische Durchführung
21.4 Kritische Analyse
22 Rede und Debatte
22.1 Was prüfen in Rede und Debatte?
22.2 Lernziele
22.3 Praktische Durchführung
22.4 Kritische Analyse
Autorenverzeichnis
Recommend Papers

Methodik für Wirtschaftswissenschaftler: Neue Lehr- und Prüfmethoden für die Praxis
 9783486781342, 9783486732993

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Methodik für Wirtschaftswissenschaftler Neue Lehr- und Prüfmethoden für die Praxis

von

Prof. Dr. Andrea Beyer Fachhochschule Mainz

Prof. Dr. Britta Rathje Fachhochschule Mainz

Oldenbourg Verlag München

Lektorat: Christiane Engel-Haas, M.A. Herstellung: Tina Bonertz Titelbild: thinkstockphotos.com Einbandgestaltung: hauser lacour Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 2013 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 143, 81671 München, Deutschland www.degruyter.com/oldenbourg Ein Unternehmen von De Gruyter Gedruckt in Deutschland Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

ISBN 978-3-486-73299-3 eISBN 978-3-486-78134-2

Inhaltsverzeichnis 1

Einführung Andrea Beyer, Britta Rathje

1

Lehren mit neuen Medien

5

2

Elektronische Abstimmungssysteme Florence De Boni

7

2.1

Was sind elektronische Abstimmungssysteme? ......................................................... 7

2.2

Lernziele .................................................................................................................... 9

2.3

Praktische Durchführung ......................................................................................... 10

2.4

Kritische Analyse ..................................................................................................... 12

2.5

Literatur ................................................................................................................... 14

3

Einsatz von Blogs in der Lehre Petra Bauer und Silke Hamann

3.1

Was ist ein Blog? ..................................................................................................... 15

3.2

Lernziele .................................................................................................................. 18

3.3

Durchführung: Lehr- und Lernszenarien ................................................................. 20

3.4

Kritische Analyse ..................................................................................................... 23

3.5

Literatur ................................................................................................................... 27

4

Einsatz von Tablets in der Lehre Anett Mehler-Bicher, Frank Mehler, Lothar Steiger

4.1

Was ist ein Tablet? ................................................................................................... 29

4.2

Lernziele .................................................................................................................. 31

4.3

Praktische Durchführung ......................................................................................... 31

4.4

Kritische Analyse ..................................................................................................... 37

4.5

Literatur ................................................................................................................... 38

5

Podcasts Jens Reinhardt

5.1

Was ist ein Podcast? ................................................................................................. 39

5.2

Lernziele .................................................................................................................. 43

15

29

39

VI

Inhaltsverzeichnis

5.3

Praktische Durchführung ..........................................................................................44

5.4

Kritische Analyse ......................................................................................................46

5.5

Literatur ....................................................................................................................49

Aktivitätsorientierte Lehre

51

6

Rollenspiele Achim Saulheimer

53

6.1

Was ist ein Rollenspiel? ............................................................................................53

6.2

Lernziele ...................................................................................................................57

6.3

Praktische Durchführung ..........................................................................................58

6.4

Kritische Analyse ......................................................................................................64

6.5

Literatur ....................................................................................................................67

7

Unternehmenstheater als Ergänzung der Controlling-Ausbildung Ulrich Nissen

7.1

Was ist Unternehmenstheater, und wie lässt es sich in die ControllingAusbildung integrieren? ...........................................................................................69

7.2

Lernziele ...................................................................................................................70

7.3

Praktische Durchführung ..........................................................................................71

7.4

Kritische Analyse ......................................................................................................76

7.5

Beispiel eines offenen Drehbuches ...........................................................................76

8

Das Controlling-Labor Carsten Wilken

8.1

Wie funktioniert das Controlling-Labor? ..................................................................87

8.2

Lernziele ...................................................................................................................91

8.3

Praktische Durchführung ..........................................................................................94

8.4

Kritische Analyse ......................................................................................................97

8.5

Literatur ....................................................................................................................98

9

Gamification – Spielend leicht lernen Avo Schönbohm

9.1

Was ist Gamification? ...............................................................................................99

9.2

Lernziele .................................................................................................................105

9.3

Praktische Durchführung ........................................................................................107

9.4

Kritische Analyse ....................................................................................................109

9.5

Literatur .................................................................................................................. 111

69

87

99

Inhaltsverzeichnis

VII

10

Speed Reading Nicole Jekel

113

10.1

Was ist Speed-Reading? ......................................................................................... 113

10.2

Lernziele ................................................................................................................ 118

10.3

Durchführung ......................................................................................................... 118

10.4

Kritische Analyse ................................................................................................... 120

10.5

Literatur ................................................................................................................. 124

11

Intergeneratives Lernen – Mentoring einmal anders Kathrin Strässer-Knüttel

11.1

Was ist Mentoring? ................................................................................................ 125

11.2

Lernziele ................................................................................................................ 129

11.3

Praktische Durchführung ....................................................................................... 130

11.4

Kritische Analyse ................................................................................................... 135

11.5

Literatur ................................................................................................................. 138

12

Soziale Formen des Lernens Kurt-Wolfgang Koeder

12.1

Was bedeutet soziales Lernen? .............................................................................. 139

12.2

Lernziele ................................................................................................................ 141

12.3

Praktische Durchführung ....................................................................................... 142

12.4

Kritische Analyse ................................................................................................... 143

12.5

Literatur ................................................................................................................. 148

125

139

Problemorientierte Lehre

149

13

Fallstudien Herbert Paul

151

13.1

Was ist eine Fallstudie? .......................................................................................... 151

13.2

Lernziele ................................................................................................................ 156

13.3

Praktische Durchführung ....................................................................................... 158

13.4

Kritische Analyse ................................................................................................... 161

13.5

Literatur ................................................................................................................. 165

14

Projekte Ulrich Holzbaur, Carmen Venus

14.1

Was ist die Projektmethode? .................................................................................. 167

14.2

Lernziele ................................................................................................................ 174

167

VIII

Inhaltsverzeichnis

14.3

Praktische Durchführung ........................................................................................177

14.4

Kritische Analyse ....................................................................................................180

14.5

Literatur ..................................................................................................................181

15

Studentisches Forschungsprojekt Ute Vanini

15.1

Forschendes Lernen durch studentische Forschungsprojekte .................................183

15.2

Lernziele .................................................................................................................186

15.3

Praktische Durchführung ........................................................................................187

15.4

Kritische Analyse ....................................................................................................193

15.5

Literatur ..................................................................................................................195

16

Lernende als Unternehmensberater Sven Fischbach und Britta Rathje

16.1

Was bedeutet „Lernende als Unternehmensberater“? .............................................197

16.2

Lernziele .................................................................................................................201

16.3

Praktische Durchführung ........................................................................................202

16.4

Kritische Analyse ....................................................................................................205

16.5

Literatur ..................................................................................................................207

17

Unternehmensplanspiele Britta Rathje

17.1

Was ist ein Unternehmensplanspiel? ......................................................................209

17.2

Lernziele .................................................................................................................212

17.3

Praktische Durchführung ........................................................................................213

17.4

Kritische Analyse ....................................................................................................216

17.5

Literatur ..................................................................................................................219

18

RealityPlanning Anett Mehler-Bicher, Michael Reiß, Jochen Schenscher, Lothar Steiger

18.1

Was ist RealityPlanning? ........................................................................................221

18.2

Lernziele .................................................................................................................226

18.3

Praktische Durchführung ........................................................................................228

18.4

Kritische Analyse ....................................................................................................230

183

197

209

221

Inhaltsverzeichnis

IX

19

Durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel Ulrich Nissen

235

19.1

Was ist ein durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel? ...................................... 235

19.2

Lernziele ................................................................................................................ 236

19.3

Praktische Durchführung ....................................................................................... 237

19.4

Kritische Analyse ................................................................................................... 241

19.5

Beispielhafte Arbeitsmaterialien ............................................................................ 243

19.6

Literatur ................................................................................................................. 247

Alternative Prüf- und Reflexionsformen

249

20

Bewusstes und reflexives Lernen Markus M. Böhner

251

20.1

Was ist bewusstes und reflexives Lernen? ............................................................. 251

20.2

Lernziele ................................................................................................................ 256

20.3

Praktische Durchführung ....................................................................................... 257

20.4

Kritische Analyse ................................................................................................... 261

20.5

Literatur ................................................................................................................. 263

21

Buchbeitrag statt Klausur Andrea Beyer

21.1

Was ist der Leistungsnachweis? ............................................................................. 265

21.2

Lernziele ................................................................................................................ 266

21.3

Praktische Durchführung ....................................................................................... 267

21.4

Kritische Analyse ................................................................................................... 271

22

Rede und Debatte Claudia Hoffmann

22.1

Was prüfen in Rede und Debatte? .......................................................................... 273

22.2

Lernziele ................................................................................................................ 274

22.3

Praktische Durchführung ....................................................................................... 275

22.4

Kritische Analyse ................................................................................................... 279

265

273

Autorenverzeichnis

283

Stichwortregister

287

Gendering Hinweis Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, meint die gewählte Formulierung beide Geschlechter, auch wenn aus Gründen der leichteren Lesbarkeit die männliche Form steht. Bildnachweise © Stefan Merkle – Fotalia.com, Bild S. 1 © bloomua – Fotolia.com, Bild S. 29 © http://www.samsontech.com/site_media/legacy_docs/CO1U_Package_Img.jpg, Bild S. 39 © Elnur – Fotolia.com, Bild S. 53 © Elnur – Fotolia.com, Bild S. 69 © Eisenhans – Fotolia.com, Bild S. 87 © Michael Rosskothen – Fotolia.com, Bild S. 99 © Aaron Amat – Fotolia.com, Bild S. 113 © http://chronus.com/wordpress/wp-content/uploads/2012/10/reverse-mentoring.jpg, Bild S. 125 © adimas – Fotolia.com, S. 167 © DOC RABE Media – Fotolia.com, Bild S. 183 © jd-photodesign – Fotolia.com, Bild S. 197 © drubig-photo – Fotolia.com, Bild S. 221 © alphaspirit – Fotolia.com, Bild S. 235

1

Einführung Andrea Beyer, Britta Rathje

Die Sicht des Lernenden Ich höre aufmerksam zu: Das Thema ist interessant, und es ist klausurrelevant. Nach einiger Zeit muss ich mich zwingen, dabei zu bleiben. Wie war die Planung für das Wochenende? Was wollte ich mit meinen Freunden noch besprechen? Ich schweife ab und merke, dass ich nicht auf den Vortrag konzentriert bin. Mein Nachbar hat neue Nachrichten auf seinem Smartphone und ich auch. Wir tauschen uns aus. Dann habe ich den Faden zu dem Thema verloren. Vorbei! Ich komme nicht mehr mit und bin nicht mehr dabei. Ich kann das ja nachlesen. Die Sicht des Lehrenden Ich liebe mein Fach und freue mich, all die interessanten Facetten dieses Fachs heute an die Studierenden bzw. Schüler weitergeben zu können. Bei der Planung dieser Lehreinheit habe ich aktuelle Beispiele herausgesucht, damit die Inhalte aktuell, interessant und dadurch wiederum motivierend sind. Ich beginne mit meinem Vortrag. Zu Beginn ist die Gruppe ruhig und hört aufmerksam zu. Dies ändert sich jedoch bald: Gemurmel macht sich breit. Ich muss lauter sprechen, um mir Gehör zu verschaffen. Ich bitte die Gruppe um mehr Ruhe. Einige beginnen auf ihrem Smartphone herum zu tippen. Das ist zwar leise, ärgert mich aber trotzdem. Fragen zum Inhalt kommen nicht mehr. Auch Diskussionsphasen zur Thematik lassen sich in dieser Situation nicht initiieren. Warum sitzen die Leute im Unterricht bzw. in der Vorlesung, wenn sie sich ohnehin mit etwas anderem beschäftigen? Die Sicht der Lehrplanung und der Zielsetzung So oder ähnlich laufen einige Unterrichtseinheiten und Vorlesungen ab – der klassische Frontalstil; unbefriedigend für Lehrende und Lernende. Sicherlich ist diese klassische Lehrform für einige Themenfelder adäquat und sicherlich kann sie mit Fragen und Diskussionen aufgelockert werden. Aber was gibt es noch? Wie können Lehr- und Lernsituationen für beide Seiten motivierender, mit mehr Effizienz und auch mit

2

Andrea Beyer, Britta Rathje

Freude am Lernen gestaltet werden? Das ist die Ausgangsfrage und Motivation für dieses Buch. Die Erkenntnis, dass der klassische Frontalunterricht die Effizienz des Lernens nicht gerade fördert, ist nicht neu: „Überhaupt lernt niemand etwas durch bloßes Anhören, und wer sich in gewissen Dingen nicht selbst tätig bemüht, weiß die Sachen nur oberflächlich.“ (J.W. Goethe) Hinzu kommt, dass im Unterricht nicht nur Wissen, sondern auch weitere Kompetenzen vermittelt werden sollen. Eine stärkere Konzentration auf Schlüssel- und MethodenQualifikationen, wie das Training von analytischem Denken und praxisnaher Wissensanwendung, rückt in den Mittelpunkt. Die Vermittlung sozialer oder interkultureller Kompetenzen kann mit der Internationalisierung ebenfalls nicht vernachlässigt werden. Schließlich soll die Persönlichkeit des Lernenden geformt und gefördert werden. All diese Erkenntnisse und Anforderungen führen zu einem Überdenken der Unterrichtskonzeption. Die Sicht der Didaktik und der Methodik Die Möglichkeiten für effiziente und motivierende Lehr- und Lernsituationen gehört in den Bereich der Didaktik und Methodik. Im weitesten Sinne ist Didaktik die Theorie des Lehrens und Lernens. Nach Klafki1 beschäftigt sich die Didaktik mit dem „Was“ und die Methodik mit dem „Wie“. Für die verschiedenen Methoden zur Gestaltung von Lehr- und Lernsituationen sind damit zwar eindeutig die Erkenntnisse aus der Methodik relevant, jedoch sind die Inhalte eng damit verbunden. Zur Klassifikation, Planung und Analyse von Methoden sind in der Hauptsache folgende Dimensionen zu betrachten2:     

Zieldimension Inhaltedimension Sozialdimension Handlungsdimension Prozessdimension

Die hier vorgestellten Methoden werden in diesen Dimensionen beschrieben. Die einheitliche Gliederung der einzelnen Beiträge zeigt deshalb folgende Struktur:  Einführende Darstellung  Lernziele  Praktische Durchführung  Kritische Analyse Nach der einführenden Darstellung werden die Lernziele und damit die Zieldimensionen erörtert und begründet. Die Inhaltedimension bezieht sich durch die Konzentration dieses Buches auf die Wirtschaftswissenschaften grundsätzlich auf ökonomische Sachverhalte. Zum Teil sind beispielhafte Inhalte in den Beiträgen beschrieben. Die Inhaltedimension ist aller1 2

Vgl. Klafki, W., Zum Verhältnis von Didaktik und Methodik, in: Klafki, W.; Otto, G.; Schulz, W., Didaktik und Praxis, 2. Aufl., Weinheim 1999 Vgl. Kaiser, F.-J.; Kaminski, H., Methodik des Ökonomieunterrichts, 4. Aufl., Bad Heilbrunn 2012, S. 19.

1 Einführung

3

dings kein Strukturierungsmerkmal in den Artikeln, da die Methoden für eine Vielzahl von ökonomischen Sachverhalten gelten. Die Sozialdimension ist durch die einleitende Darstellung und durch die Lernziele bereits erfasst. Die Handlungs- und Prozessdimension deckt sich mit dem Gliederungskriterium der praktischen Durchführung. Die abschließende kritische Analyse nimmt auf alle Strukturierungskriterien Bezug, wenn sich dort wesentliche Vorund Nachteile zeigen. Die Sicht des Buches Je mehr die verschiedenen Sinne der Lernenden gefordert werden, desto höher werden die Lerneffekte sein. Um dabei die Motivation zu erhöhen, kann man sich die Affinität der jungen Lernenden zu neuen Medien zu Nutze machen. Darüber hinaus eröffnen sich mit neuen Medien auch neue Darstellungs- und Aktivitätsformen. Daher startet das vorliegende Buch mit der Rubrik „Lehren mit neuen Medien/Technologien“. Es werden beispielsweise Smartphones oder Tablets aktiv in den Unterricht eingebunden. Blogs oder Wikis können entwickelt, erstellt sowie Videos bzw. Podcasts aufgenommen werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass durch den Einsatz neuer Medien das Interesse der Lernenden an der jeweiligen Veranstaltung deutlich erhöht werden kann. Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten, die klassische Rollenverteilung des Frontalunterrichts aufzubrechen. Ein wichtiger Schritt ist, dass die Lernenden ihre passive Rolle des Zuhörers verlassen und selbst aktiv am Veranstaltungsgeschehen teilnehmen. Vor diesem Hintergrund werden in der zweiten Rubrik „Aktivitätsorientierte Lehre“ verschiedene Veranstaltungskonzeptionen vorgestellt, die die Studierenden zu einer aktiven Mitarbeit geradezu zwingen. In dem Maße, wie sich die Studierenden einbringen, muss sich der Dozent gleichzeitig vermehrt zurücknehmen. So können zu bestimmten Themen Rollenspiele bis hin zu Theaterstücken einstudiert oder bestimmte Situationen im unternehmerischen Alltag nachgestellt werden. Auch die Einführung einer gewissen Wettbewerbssituation („Gamification“) in den Unterricht zwingt zu mehr aktiver Mitarbeit. Das zusätzliche und parallele Erwerben weiterer Softskills, wie z. B. schnelles und effizienteres Lesen von Texten, wirkt motivierend. Im Extremfall können die Rollen von Lehrenden und Lernenden vollständig getauscht werden: Es gibt Bereiche, in denen der Dozent etwas von seinen Schülern lernen kann. Diese aktive Zusammenarbeit kann man sich schließlich auch für die Vorbereitung auf die Klausur zu Nutze machen (soziale Formen des Lernens). Auch die Rubrik „Problemorientierte Lehre“ zielt auf die Aktivierung der Lernenden ab. Dabei sind bestimmte Problemstellungen zu bearbeiten. Sie können in Fallstudien oder Projekten bzw. Forschungsprojekten formuliert sein. Auch real existierende Probleme können von Lernenden, die in die Rolle von Unternehmensberatern schlüpfen, gelöst werden. In Planspielen übernehmen die Lernenden die Rolle eines Managers und müssen sich den entsprechenden Problemen stellen, während im Rahmen des Business Planning zunächst eine Geschäftsidee gefunden werden muss, für die ein Geschäftsplan zu erstellen ist. Selbst Gundlagenveranstaltungen der BWL können derart umgestaltet werden, dass die Lernenden zunächst eine Problem- bzw. Fragestellung zu bearbeiten haben und sich die Theorie aus dieser Fragestellung selbst ableiten. Wenn man sich mit alternativen Lehrformen beschäftigt, gelangt man auch zu der Frage, ob die klassische schriftliche Abschlussprüfung in Form einer Klausur die passende Form darstellt, um das erworbene Wissen zu reflektieren und zu bewerten. Daher beschäftigt sich die Rubrik „Alternative Prüfungs- und Reflektionsformen“ mit Möglichkeiten, das neu erworbe-

4

Andrea Beyer, Britta Rathje

ne Wissen zu überdenken und zu wiederholen. Auch die Notengebung muss nicht unbedingt an eine Klausur gebunden sein. Wir stellen zwei alternative Beispiele vor, in denen zugleich auch die schriftliche bzw. die mündliche Ausdrucksweise in die Prüfungsleistung einfließt. Wir hoffen, dass wir Ihnen, liebe Leser, auf den folgenden Seiten einige Anregungen bieten, um den eigenen Unterricht bzw. die Vorlesung zu überdenken. Sicherlich sind nicht alle vorgestellten Methoden für jede Veranstaltung geeignet. Zudem müssen die Methoden auch auf Sie als Lehrende passen. Beispielsweise fühlt sich nicht jeder in der Lage, ein Theaterstück zu inszenieren. Aber Sie können sicherlich einige Ideen aufgreifen und auf Ihren eigenen Unterrichtsstil anpassen. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Lesen, Stöbern und beim zukünftigen Unterrichten!

Lehren mit neuen Medien

2

Elektronische Abstimmungssysteme Florence De Boni „Stellen Sie sich vor, Sie stellen eine Frage (gar eine Verständnisfrage!) während Ihrer Lehrveranstaltung und alle, wirklich alle Studierenden antworten.“ (Riegler, 2012, S. 112 ff.)

Sowohl Lehrende als auch Lernende klagen häufig über den unbeliebten und nicht selten unumgänglichen Frontal-Unterricht. Große Lerner-Gruppen (wachsende Studierendenzahlen, ungünstige Schulklassengrößen) lassen wenig Interaktion zu. Auch in Situationen, bei denen es die Aufgabe des Lehrenden ist, einen trockenen und als schwierig geltenden Lehrinhalt in einer knapp bemessenen Zeit näher zu bringen, bleibt der Frontal-Unterricht oft die einzige Lehrmethode. Elektronische Abstimmungssysteme können eine willkommene Lösung darstellen, um die Lernenden in den Unterricht stärker einzubeziehen. Bekannt aus Quizsendungen sind sie jedoch mehr als eine Jokerfrage wie bei „Wer wird Millionär?“ und können – sinnvoll eingesetzt – einen didaktischen Mehrwert bieten.

2.1

Was sind elektronische Abstimmungssysteme?

Elektronische Abstimmungssysteme ermöglichen es den Lernenden während der Veranstaltung, Fragen der Lehrenden schnell und anonym zu beantworten. Die aktive Teilnahme der Lernenden wird gefördert, indem Sie mittels eines drahtlosen mobilen Geräts (Smartphone, Notebook, IPad oder „Clicker“) hauptsächlich Multiple-Choice-Fragen beantworten. Je nach Fabrikat werden auch numerische oder Kurztext-Antworten unterstützt. Die beiden entscheidenden Vorteile von elektronischen Abstimmungssystemen sind die aktive Einbindung aller Lernenden in den Lehr-/Lernprozess sowie die Gewinnung zuverlässiger Informationen über den Wissensstand oder Rückmeldungen zum Lernstoff. Robert Stidwill, Studienkoordinator des Fachbereichs Biologie an der Universität Zürich, an der seit 2009 ein solches Abstimmungssystem im Grundstudium eingesetzt wird, fasst die

8

Florence De Boni

Vorteile folgendermaßen zusammen: „Dem Dozenten gibt der Clicker Antworten auf zwei didaktisch relevante Fragen: Sind die Studierenden mit dem Kopf dabei und haben sie die wichtigsten Punkte verstanden?“3 Clicker vs webbasierte Systeme „Clicker“ sind kleine Handsender, die einer Fernbedienung ähneln und an die Lernenden verteilt werden. Ein Empfänger, der mit dem Computer der Lehrperson verbunden ist, sammelt per Funk-, Infrarot- oder Wi-Fi-Verbindung die von den Clicker-Geräten gesendeten Antworten und wertet sie aus. Eine Software auf dem Lehrenden-Rechner visualisiert die Ergebnisse in grafischer Form. Per Beamer können die Ergebnisse den Studierenden präsentiert werden.

Abb. 2.1:

Beispiel der technischen Infrastruktur eines Clicker-Systems

Solche Clicker-Systeme (auch als Audience oder Classroom Response Systems bezeichnet) gehören in den USA und auch in Großbritannien seit Ende der neunziger Jahren zur Grundausstattung in vielen universitären Hörsälen. Im deutschsprachigen Raum nutzen etwa ein Dutzend Hochschulen solche Abstimmungssysteme, wie etwa die Universitäten Zürich, Ulm, Hamburg, Frankfurt und die Universität der Bundeswehr sowie die Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften. Zum Teil handelt es sich um eigens entwickelte Systeme. 3

Fuchs, 2013.

2 Elektronische Abstimmungssysteme

9

Technisch stellen die Clicker-Systeme für Lehrende keine große Hürde dar. Es sind jedoch Investitionskosten für die Lehreinrichtung damit verbunden: Je nach Hersteller und Funktionsumfang kostet ein Clicker zwischen 20 und 100 Euro; einige Hundert Euro kommen noch hinzu für das Empfänger-Gerät (Basis-Station). Der logistische Aufwand (Positionierung der Transportbehälter am Raumeingang, Verteilung der Clicker unter den Studierenden) mag ein Grund sein, warum sich diese Clicker-Systeme lediglich im Rahmen von Großvorlesungen (mehr als 50 Teilnehmer) durchgesetzt haben. Ferner liegen gerade bei Großveranstaltungen die Vorteile solcher Systeme auf der Hand: Durch die Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden kann die durch ein einseitiges, lehrerzentriertes Szenario gekennzeichnete traditionelle Großvorlesung anregend gestaltet werden. An der Uni Zürich ist es z. B. seit 2012 möglich, Clicker-Antworten aus mehreren Hörsälen gleichzeitig auszuwerten. Bedingt durch die rasante Verbreitung von mobilen Endgeräten wird es jedoch zunehmend möglich, technische Lösungen einzusetzen, die sowohl logistische als auch finanzielle Hürden umgehen. Anstatt Clicker-Geräte können Notebooks und Smartphones als Hardware zum Einsatz kommen; anstatt spezieller Lehrenden-Software können webbasierte, zum Teil auch kostenlose Anwendungen verwendet werden. Somit rücken elektronische Abstimmungssysteme in den Fokus kleinerer Bildungseinrichtungen. Da nahezu alle Jugendlichen im Besitz eines internetfähigen Mobiltelefons sind, wird es für Lehrende zunehmend möglich, webbasierte Lösungen flexibel einzusetzen. Hier sieht die technische Lösung denkbar einfach aus: Da es sich um webbasierte Anwendungen handelt, ist lediglich eine Vorab-Registrierung des Lehrenden erforderlich. Die Fragen sowie die Antwort-Möglichkeiten werden vom Lehrenden im voraus eingerichtet. In der Lehrsituation gibt dieser eine URL bekannt, die die Lernenden mit ihrem Smartphone oder Laptop ansteuern. Auf dieser Internet-Seite können Sie eine zur Wahl stehende Antwort anklicken. Das Ergebnis der Umfrage erscheint entweder in Echtzeit oder wird vom Lehrenden über die Anwendung angezeigt, nachdem alle ihre Antwort abgegeben haben. Einige deutsche Hochschulen haben eigene Smartphone-Applikationen entwickelt. An der TU Bergakademie Freiberg ist in der „myTU“-App ein „Notfall-Knopf“ vorgesehen: Drücken innerhalb einer bestimmten Zeit eine bestimmte Anzahl von Lernenden auf die StoppTaste, bekommt der Lehrende die Rückmeldung, dass viele der Lernenden den aktuell behandelten Stoff nicht mehr verfolgen können.

2.2

Lernziele

Der Einsatz von elektronischen Abstimmungssystemen ist aufgrund einer Defizitsituation motiviert: Angesichts steigender Studierendenzahlen gerät zunehmend das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden ins Ungleichgewicht. Hier können elektronische Abstimmungen eine willkommene Methode sein, um Großveranstaltungen mehr Interaktivität und Lebendigkeit zu verleihen. Ferner wird in der klassischen Unterrichtssituation und auch in kleineren Veranstaltungen (weniger als 50 Teilnehmer) oft von den Lehrenden bemängelt, dass sich immer nur die gleichen Personen beteiligen. Erfahrungsberichte belegen, dass der anonyme Charakter von elektronischen Abstimmungen die Hemmschwelle bei den Lernenden spürbarr

10

Florence De Boni

senkt und nahezu alle Lernenden sich an dem Frage-Antwort-Spiel beteiligen. Schließlich muss eine Überprüfung des Lernstandes nicht erst bei der Prüfung erfolgen, sondern kann schnell stichprobenartig stattfinden. Einsatzszenarien Abhängig von den verfolgten Lehr- und Lernzielen sind folgende Einsatzszenarien denkbar: 

    

2.3

Durch elektronische Umfragen lässt sich Faktenwissen abfragen. Dies kann im Vorfeld zum Testen von Vorwissen geschehen oder zwischendurch, um den Lernstand zu überprüfen (Kommen die Lernenden mit? Kann ich als Lehrender in diesem Tempo fortfahren?). Sofern die Lehr-Lern-Situation es zulässt, kann auch über eine Abstimmung auf inhaltliche Prioritäten eingegangen werden. Fragen zu persönlichen Hintergründen oder Interessen können gleich zu Beginn der Unterrichtszeit zur Gemeinschaftsbildung beitragen und so die Lernatmosphäre auflockern. Abstimmungen lassen sich als Diskussionsanstoß einsetzen, indem das Abstimmungsergebnis thematisiert wird. Hierzu eignen sich Fragen zu Überzeugungen, Meinungen und Einstellungen der Lernenden. Die Einbindung der Lernenden in den Lernprozess wird gefördert, indem sie gezwungen werden zu interagieren. Zum Beispiel: Sie haben einige Minuten Zeit, um sich zu beraten, welche Antwort die richtige ist. Es lassen sich viele Szenarien finden, in denen die Anonymität der Antworten vorteilhaft ist, z.Bsp. zur Erhebung von Daten, um diese statistisch zu analysieren (im Fach Statistik) oder zur Bewertung von Referaten. Außerhalb von Lehrveranstaltungen lassen sich auch elektronische Abstimmungen im Rahmen von Vorträgen vorteilhaft einsetzen, um die Monotonie des Zuhörens zu unterbrechen.

Praktische Durchführung

Die folgenden Beispiele haben zum Ziel, die Lernenden aktiv im Lernprozess zu beteiligen sowie den Lernstand zu überprüfen. Die technische Realisierung erfolgt hier über webbasierte Systeme, da diese im Gegensatz zu Clicker-Systemen keine logistischen Vorkehrungen erfordern. Fallstudie Controlling4 Eine Fallstudie wurde im Fach Controlling bereits in der Lehrveranstaltung besprochen ; eine bestimmte Problemstellungen wurde erörtert; nun geht es darum, diese Fallstudie abzuschließen. Der Lehrende stellt seine Frage und blendet per Beamer eine URL ein. Er nutzt die kostenlose webbasierte Anwendung Socrative5. Die Lernenden nehmen ihre Smartphones zur Hand und begeben sich mittels Browser auf diese URL. Darauf erscheint die eben vom Lehrenden gestellte Frage und darunter die drei möglichen Antworten (A, B oder C). Eine 4 5

Beispiel angelehnt an einem Erfahrungsbericht aus einer Lehrveranstaltung an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften; Riegler, 2012, S. 112 ff. Vgl. http://www.socrative.com

2 Elektronische Abstimmungssysteme

11

vierte Antwortmöglichkeit lautet: „Ich weiß nicht“. Nach Ablauf der Antwortzeit, überprüft der Lehrende die Antworten, ohne sie per Beamer zu projektieren. Er verkündet, dass leider ein Drittel der Studierenden falsch liegt (und nimmt die Anzahl der Lernenden zur Kenntnis, die die Frage nicht beantworten konnten). Er fordert die Lernenden auf, ihren Nachbarn zu überzeugen, dass die Antwort, die sie selbst abgegeben haben, die richtige ist. Dies führt unweigerlich zu dem erwünschten Effekt, dass die Lernenden untereinander die Fragestellung diskutieren und argumentieren. Nach einigen Minuten Diskussionszeit werden die Lernenden gebeten, ihre Antworten erneut abzugeben. Hierzu blendet er eine zweite URL per Beamer ein, die die gleiche Frage bereithält. Nun hat eine deutliche Mehrheit die richtige Antwort ausgewählt. Personen aus dem Auditorium werden gebeten, zu begründen, warum die Antwort A richtig ist und den Sachverhalt mit eigenen Worten zusammenzufassen. Fallstudie Statistik Im Fach Statistik wurden in den letzten beiden Veranstaltungen Wahrscheinlichkeitsrechnungen behandelt. Der Lehrende möchte, bevor er tiefer in die Materie einsteigt, den Lernstand der Gruppe überprüfen. Ferner möchte er den Lernenden die Möglichkeit geben, den eigenen Lernstand mit dem der Kommilitonen zu vergleichen. Es soll ein eventueller Nachhol-Bedarf rechtzeitig vor der Prüfung erkannt werden. Er stellt eine statistische Aufgabe, die jeder für sich bearbeiten soll. Er blendet die URL ein, auf der die Frage und die möglichen Antworten formuliert wurden. Er nutzt den webbasierten Dienst ARSnova6. Die Lernenden geben diese URL in die Adress-Zeile ihrer Browser (über Smartphone oder Laptop) ein und geben ihre Antwort ab. Sie haben die Wahl zwischen den vom Lehrenden vorgegebenen Zahlen. Nach Beantwortung der Frage präsentiert der Lehrende die Ergebnisse und verkündet die richtige Antwort. Vorbereitung Der Einsatz von elektronischen Abstimmungen erfordert vom Lehrenden keine große Umstellung der bewährten Lehrmethoden. Dadurch, dass die meisten Anwendungen jedoch nur Multiple-Choice-Fragen oder Kurzantwortfragen ermöglichen, kann die Formulierung der Fragen Anfangsschwierigkeiten bergen: Hinsichtlich der Aussagekraft der Rückmeldungen besteht das Problem oder auch die Chance, dass die Antwortvorgaben Hinweise geben, die ein bestimmtes Antwortverhalten suggerieren können. Erfahrene Lehrende berichten, dass sich jedoch über Versuch und Irrtum schnell ein Fundus geeigneter Abstimmungsfragen erstellen lässt. Ferner sollten die Fragen möglichst anregend formuliert und kreativ motivierend eingesetzt werden. Es scheint sich zudem in der Praxis zu bewähren, eine Antwortmöglichkeit „ich weiß nicht“ oder „keine Meinung“ vorzusehen, damit sich erkennen lässt, wie hoch der Anteil der Lernenden ist, der eine Antwort mit Überzeugung angeklickt hat. Schließlich muss für die anschließende Besprechung der Abstimmungsergebnisse ausreichend Zeit eingeplant werden.

6

Vgl. http://blog.mni.thm.de/arsnova/

12

2.4

Florence De Boni

Kritische Analyse

Vorteile Zusätzlich zur bereits mehrfach erwähnten aktiven Einbindung der Lernenden in den Lehrund Lernprozess ergeben sich einige Vorteile: Die Verwendung von mobilen Geräten in Form von Smartphones in der Lehre knüpft an die inzwischen alltäglichen Mediengewohnheiten von Schülern und Jugendlichen an. Damit wird auch das pädagogische Paradigma, Lernende dort abzuholen wo sie stehen, realisiert. Der willkommene Medienwechsel erhöht die Aufmerksamkeit und macht den Unterricht lebendiger; davon profitieren theoretische Lerninhalte. Durch die Anonymität der Antworten wird die Hemmschwelle bei den Lernenden niedriger. Sie kann auch als Eisbrecher fungieren, sich mündlich zu äußern. Die Stimmungslage oder der Lernstand der Unterrichtsteilnehmer lässt sich schnell und einfach in Erfahrung bringen. Besonders hervorzuheben ist, dass jeder Lernende eine Gesamteinschätzung seiner Kommilitonen unmittelbar erhält. Herausforderungen Einsteiger stehen natürlich vor der Frage: Clicker- oder webbasiertes System. Folgende Merkmale beider Systeme können bei der Entscheidungsfindung hilfreich sein: Die Verwendung von Clicker-Systemen ist mit einem logistischen und organisatorischen Aufwand verbunden. Neben der Anschaffung der Clicker-Geräte samt Feststation muss für jede Veranstaltung dafür gesorgt werden, dass jeder Lernende ein (funktionierendes) Gerät erhält und dieses wieder abgibt. An manchen Hochschulen, wo Clicker-Systeme regelmäßig in Lehrveranstaltungen eingesetzt werden, bekommt jeder Studierende ein Leihgerät für die Dauer des Semesters. Jedoch bringen nicht immer alle ihre Geräte in die Veranstaltung mit. Clicker-Systeme sind stabile, da abgeschlossene Systeme, jedoch sind sie in verschiedener Hinsicht auch veraltete Systeme im Vergleich zu den an Verbreitung gewinnenden webbasierten Lösungen. Webbasierte Systeme verursachen keinen logistischen Aufwand. Viele erfordern lediglich die Registrierung des Lehrenden. Bei den kostenlosen Diensten bestehen Einschränkungen im Hinblick auf die Fragen- oder Nutzer-Anzahl. Bei den meisten Anbietern gibt es auch verschiedene kostenpflichtige Lizenzangebote ohne eingeschränkte Nutzung. Voraussetzung für die stabile Nutzung dieser Systeme ist eine stabile Internet-Verbindung. Für die Erstellung der Fragen entsteht ein Mehraufwand. Die Schwierigkeit liegt nicht in der technischen Umsetzung, da die Nutzung insbesondere von webbasierten Diensten vielfach intuitiv und leicht verständlich ist. Die anfängliche Hürde ist vielmehr die sorgfältige Formulierung der Fragen. So muss beispielsweise eine Diskussion der Ergebnisse einen Anreiz für den weiteren Lernprozess darstellen, um den erwünschten kognitiven Effekt zu erzielen. Wie bei jedem Medieneinsatz gilt das didaktische Prinzip: Weniger ist mehr. Bei zu vielen anonymen Abstimmungen besteht die Gefahr eines Ermüdungseffekts, der das ursprüngliche Ziel der Aufmerksamkeitssteigerung zunichtemachen kann.

2 Elektronische Abstimmungssysteme

13

Zusammenfassung Elektronische Abstimmungssysteme Kurzbeschreibung

Elektronische Abstimmungsverfahren ermöglichen es den Lernenden während der Lehrveranstaltung bzw. während des Unterrichts Fragen der Lehrenden schnell und anonym zu beantworten.

Vorgehen

    

Lernziele

     

Voraussetzungen

 

Literatur und hilfreiche Links

Didaktische Überlegungen im Vorfeld: was will ich mit den Fragen erreichen? (Community-Building, kognitive Lerneffekte, Lernstandabfrage…) (technische) Generierung von Fragen samt AntwortMöglichkeiten Einfließen der Fragen in die Lehr-/Lernsituation Eingehen auf die Ergebnisse, eventuell ausreichend Zeit für anschließende Diskussion vorsehen Ggf. im Nachgang der Veranstaltung ungeeignete Fragen herausfiltern bzw. anpassen Aufweichen der Frontalsituation durch Medienwechsel Aktivere Einbindung der Lernenden in den Lernprozess, Senkung der Antwort-Hemmschwelle durch die anonyme Antwort-Möglichkeit Ermittlung eines genauen statistischen Bildes über den Lernstand der Gruppe Ermittlung von inhaltlichen Prioritäten Gemeinschaftsbildung Erhebung von Daten, die ohne anonymen Charakter in der Regel verweigert werden Auswahl ggf. Kauf eines Clicker-Systems oder Auswahl einer intuitiv gestalteten webbasierten Anwendung (kostenlose oder Lizenz-Version) Bei internetbasierten Anwendungen: Internetzugang für mobile Geräte der Lernenden

Beispiele elektronischer Abstimmungssysteme:  http://blog.mni.thm.de/arsnova/ (kostenlos und Open Source, läuft im Google-Chrome-Browser)  http://www.socrative.com/ (kostenlos)  http://pingo.upb.de/ (kostenlos für Hochschulen)  http://www.mentimeter.com/(kostenlos + Lizenzmodell)  http://www.polleverywhere.com (kostenlos + Lizenzmodell)

14

2.5

Florence De Boni

Literatur

Fuchs, M., Grüne Muntermacher für die Vorlesung, 2009, http://www.uzh.ch/news/articles/2009/gruene-muntermacher-fuer-die-vorlesung.html, Abrufdatum: 18.04.2013 e-teaching@org (Hrsg.), Elektronische Abstimmungssysteme, 2012, http://www.eteaching.org/technik/praesentation/abstimmungssysteme/, Abrufdatum: 18.04.2013 e-teaching@org (Hrsg.), Diagnose per Abstimmung an der Uni Ulm, 2010, http://www.eteaching.org/praxis/erfahrungsberichte/abstimmung, Abrufdatum: 18.04.2013 Riegler, P., Interaktion im Hörsaal – die Publikumsfrage, in: Die Neue Hochschule, Heft 4, 2012, S. 112–116 Schmitt, S. ,Neues Feature der myTU-App verbessert Interaktion mit Dozenten, 2012, http://tufreiberg.de/presse/aktuelles/aktuelles_detail.html?Datensatz=1650, Abrufdatum: 18.04.2013 Schumann, N.-E., Vorlesungs-App für Studenten: Ey Professor, mach‘ mal langsam, Spiegel-Online, 08.12.2012, http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/app-fuer-studenten-professor-erhaelt-invorlesung-direkt-feedback-a-871523.html, Abrufdatum: 18.04.2013 Universität Hamburg (Hrsg.), Mehr Mut in der Lehre – Interview mit Prof. Kai-Uwe Schnapp. OnlineNewsletter, Nr. 22, Januar 2011, http://www.uni-hamburg.de/onTEAM/newsletter/pdf/ 21295447719.pdf, Abrufdatum: 18.04.2013 Universität Paderborn, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften (Hrsg.), PINGO – „Peer Instruction for very large groups“, http://wiwi.uni-paderborn.de/dep3/winfo2/forschung/projekte/peer-instruction-forvery-large-groups/, Abrufdatum: 18.4.2013

3

Einsatz von Blogs in der Lehre Petra Bauer und Silke Hamann „Es wird in Zukunft immer wichtiger werden, LernerInnen zu befähigen, ihren eigenen Lernprozess selbst zu steuern. Autonome LernerInnen brauchen dazu Fertigkeiten auf einer Meta-Ebene; sie müssen Lernen lernen.“ (Baumgartner, 2012, S. 1)

Weblogs sind einfach zu handhabende Verwaltungssysteme für Inhalte (ContentManagement-Systeme) und dienten ursprünglich zur Darstellung digitaler Tagebucheinträge. Blogs lassen sich auf unterschiedliche Weise in die Lehre an Schulen und Hochschulen einbinden und können auf diese Weise sowohl E-Learning als auch Präsenzunterricht bereichern. Zusätzlich sind Weblogs eine gute Möglichkeit, den eigenen Lern- und Erkenntnisprozess zu dokumentieren und mit anderen Lernenden zu teilen. Wie dies konkret aussehen kann, wird im Folgenden vorgestellt und anhand von Beispielen aus der Blogsoftware „Word-Press“ erläutert.

3.1

Was ist ein Blog?

Das Wort „Weblog“ ist eine Wortschöpfung, die sich aus den Begriffen „World Wide Web“ und „Log“ (Logbuch) zusammensetzt. Es bezeichnet ein Content-Management-System (CMS), das es Computernutzern ermöglicht, Informationen im Internet zu publizieren. Gleichzeitig können die Leser über eine Kommentarfunktion mit dem Autor eines Blogs in Verbindung treten oder auf Beiträge anderer Nutzer reagieren. Viele Weblogs sind textbasiert. Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, Bilder, Audio- und Videodateien in Blogs zu veröffentlichen. Erstmalig Erwähnung fand der Begriff „Weblog“ im Jahre 1997 durch Jorn Barger. Der Vorreiter der „Blogger“ veröffentlichte täglich Einträge zu diversen Themen und Links zu anderen Webseiten und bezeichnete diese Publikationsform als „logging the web“. Im Jahre 1999 wurde die Abkürzung „Blog“ durch den Webdesigner Peter Merholz geprägt, der das Wort „WebLog“ scherzhaft in „we blog“ aufspaltete.

16

Petra Bauer und Silke Hamann

Heute versteht man unter Blogs unterschiedliche Formen von Internettagebüchern, Gedankensammlungen oder regelmäßig aktualisierte Informationen zu bestimmten Themengebieten. Charakteristisch ist ihre umgekehrt chronologische Reihenfolge, d. h. die neuesten Einträge erscheinen immer ganz oben, während ältere Beiträge mit der Zeit weiter nach unten rutschen und schließlich von der Startseite „verdrängt“ werden. Weblogs werden in verschiedenen Bereichen eingesetzt, so z. B. im Privatleben, im Arbeitskontext, in Lehrveranstaltungen, für Unternehmenspräsentationen und Produktinformationen oder als Content-Management-System (CMS). Diverse Blogsoftwares ermöglichen es, relativ einfach einen Blog zu erstellen und zu bearbeiten. Viele verschiedene Anbieter sind auf dem Markt vertreten und bieten dieses spezielle Website-Format an – meist in Form eines Open Source Content-Management-Systems7. Einsteiger erhalten im Internet zahlreiche Anleitungen, die ihnen in wenigen Schritten den Weg zum eigenen Blog erklären. Weblogs können als Element des Web 2.0 eingeordnet werden. „Unter dem Begriff Web 2.0 wird keine grundlegend neue Art von Technologien oder Anwendungen verstanden, sondern der Begriff beschreibt eine in sozio-technischer Hinsicht veränderte Nutzung des Internets, bei der dessen Möglichkeiten konsequent genutzt und weiterentwickelt werden. Es stellt eine Evolutionsstufe hinsichtlich des Angebotes und der Nutzung des World Wide Web dar, bei der nicht mehr die reine Verbreitung von Informationen bzw. der Produktverkauf durch Websitebetreiber, sondern die Beteiligung der Nutzer am Web und die Generierung weiteren Zusatznutzens im Vordergrund stehen.“8 Während das Web 1.0 nur eine einseitige Kommunikation zwischen Internetnutzern und Erstellern von Webseiten ermöglichte, können im Web 2.0 alle Konsumenten auch zu Produzenten werden, diese werden dann als „Prosumer“ bezeichnet. Blogs werden dabei dem Sammelbegriff Social Software untergeordnet; dies ist die Bezeichnung für Anwendungen, die das kooperative Zusammentragen und Bearbeiten von Inhalten unterstützen. Hierzu gehören Tools wie Wikis, Weblogs, Social Bookmarks, Musik- und Bildbörsen, die ihren Service meist kostenlos zur Verfügung stellen. Solche offenen Internettools werden zunehmend anstelle von speziellen Lernmanagementsystemen in Lehr- und Lernsituationen eingesetzt. Sie sehen keine vordefinierten Rollen- und Workflow-Konzepte vor, sondern ermöglichen allen Beteiligten einen kreativen Umgang mit dem Onlinetool. Alle Nutzer können sich bei der Weiterentwicklung und Veränderung der Inhalte einbringen. Neue Medien ermöglichen auf diese Weise kollaboratives Arbeiten und Lernen.9

7

8 9

Open Source Software ist dadurch gekennzeichnet, dass ihre Lizenzbestimmungen die öffentliche Zugänglichkeit des Quelltexts festlegen. Konkret bedeutet dies, dass – in Abhängigkeit von der jeweiligen Lizenz – der Quelltext frei kopiert oder verändert und weiterverbreitet werden darf. Open Software ist häufig kostenlos verfügbar. Lackes/Siepermann, o. J. Vgl. Panke u. a., 2007, S. 81

3 Einsatz von Blogs in der Lehre

17

Wichtige Begriffe zum Thema Blog Wer Teil der „Blogosphäre“10 werden möchte, sollte die Funktionen kennen, die bei der Arbeit mit Blogs zur Verfügung stehen. Im Folgenden werden die wichtigsten Begriffe erklärt:  

Tag: Der englische Begriff „Tag“ (Etikett, Anhänger) wird üblicherweise mit Schlagwort übersetzt. Die Tags dienen der Katalogisierung von einzelnen Beiträgen. Tag Clouds: In sogenannten Schlagwortwolken (Tag Clouds) wird die Häufigkeit der verwendeten Schlagwörter durch unterschiedliche Schriftgrößen dargestellt. Besonders oft verwendete Tags erscheinen größer als seltener benutzte Schlagworte. Der Leser kann auf einen dieser Begriffe klicken, um alle zugehörigen Artikel angezeigt zu bekommen. Somit können die zentralen Themen eines Blogs auf einen Blick erfasst werden und die Navigation anhand von Themengebieten wird ermöglicht.

Abb. 3.1:

 



10

In einer Tag Cloud werden die Schlagwörter umso größer dargestellt, je häufiger sie verwendet werden.

Blogroll: Ein Blogroll ist eine öffentliche Linksammlung mit Adressen anderer Blogs, die für den Leser gut sichtbar platziert ist. Dadurch können inhaltlich verwandte, interessante oder befreundete Blogs vernetzt werden. Widgets: Hierbei handelt es sich um Elemente, die man in das Blog einbinden kann. Auf diese Art lassen sich beispielsweise Blogrolls oder Schlagwortwolken anlegen. Oft werden Widgets in einer Leiste neben den eigentlichen Blogartikeln, in der sogenannten „Sidebar“ platziert. Permalink: Ein besonderes Merkmal eines Blogs ist, dass jeder Artikel einen „Permanenten Hyperlink“, also eine eindeutige Webadresse (URL = Uniform Resource Locator), besitzt. Diese permanenten Hyperlinks ermöglichen die dauerhafte Abrufbarkeit einzelner Artikel, auch wenn diese schon längst durch neuere Blogeinträge nach hinten geschoben wurden und daher nicht mehr auf der Startseite zu sehen sind. Arbeitet man beispielsweise mit WordPress, auf das später noch genauer eingegangen wird, ist dieser

Der Begriff beschreibt die Gesamtheit der Blogs und die Gemeinschaft der Blogger als ein großes zusammenhängendes Netzwerk.

18



3.2

Petra Bauer und Silke Hamann Permalink beim Verfassen eines Artikels zwischen dem Eingabebereich der Überschrift und des Textes zu sehen. RSS-Feed: Das Akronym „RSS“ steht für „Really Simple Syndication“ („wirklich einfache Verbreitung“). Das englische Wort „feed“ bedeutet so viel wie „Einspeisung“ oder „Zufuhr“. RSS-Feeds können von Lesern abonniert werden, um mithilfe spezieller Feedreader11 neue Artikel automatisch zugesandt zu bekommen, ohne das Blog besuchen zu müssen. Gerade für Blogbetreiber ist es wichtig, die eigenen Beiträge und Inhalte einfach zu verbreiten. Um RSS Feeds richtig einzusetzen, sollte man wissen, dass sie, anders als eine Website, kein Layout besitzen, sondern es sich nur um simple Textund/oder Bilddateien handelt. Im Falle von WordPress können die RSS-Links als Widget eingefügt werden, sodass die Leser die Artikel abonnieren können. Es besteht außerdem die Möglichkeit, RSS-Feeds anderer Seiten zu abonnieren bzw. diese Artikel in dem eigenen Blog als eine Art Nachrichtenticker einzubetten.

Lernziele

Neben dem Erwerb von Fachwissen gibt es weitere Kompetenzbereiche, die zentrale Ziele in Lehr- und Lernkontexten an Schulen und Hochschulen darstellen. Sie sollen die Lernenden auf eine gesellschaftliche Teilhabe und Beschäftigungsfähigkeit vorbereiten. Kompetenzbereiche, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden, sind Sach- und Fachkompetenzen, Methodenkompetenzen, Sozialkompetenzen und Selbst-/ Individualkompetenzen.12 In der gegenwärtigen Gesellschaft ist die zunehmende Bedeutung von elektronischen Medien unverkennbar. Sie durchdringen viele Bereiche des alltäglichen Lebens, sei es im Beruf, im Bildungswesen oder in der Freizeit. Die mediatisierte Gesellschaft fordert von den Menschen eine fortwährende Adaption von immer schneller aufeinanderfolgende Veränderungen in fast allen Bereichen des alltäglichen Lebens. So nehmen sowohl im Beruf als auch im Bildungswesen Medien zunehmend eine wichtige Funktion beim lebenslangen Lernen und bei der Unterstützung von selbstständigen Lernprozessen ein. Entsprechend wichtig ist es, in formellen Lernprozessen an Schulen und Hochschulen Methoden und Selbstlernmöglichkeiten, die eher den informellen Selbstlernprozessen zugeordnet werden, zu integrieren, zu erproben und zu reflektieren. Dies ermöglicht es den Lehrenden und Lernenden, Medienkompetenz zu entwickeln. Mit Medienkompetenz ist die Fähigkeit gemeint, „auf der Basis von Reflexionsfähigkeit, von Wissen und Bewertungsvermögen mit Medien zu handeln, bewusst Medien auszuwählen, sich ihnen zuzuwenden und sich auch von ihnen abzuwenden“13. Der Begriff Medienkompetenz hat seinen Ursprung in der kommunikativen Kompetenz und beschreibt die Fähigkeit der Partizipation am gesellschaftlichen Diskurs. Es geht dabei um die Auseinandersetzung der Menschen mit ihrer Umwelt, bezogen auf Medien. Nach der

11

12 13

Ein Feedreader ist eine Software, die das Abonnieren und Lesen von RSS-Feeds erlaubt. Oft kann er in EMail-Programme oder Internet Browser eingebunden werden oder steht als Smartphone-Anwendung zur Verfügung. Vgl. Thiessen, 2005, S. 254–258 Schorb, 2010, S. 128

3 Einsatz von Blogs in der Lehre

19

Definition von Schorb beinhaltet die Medienkompetenz drei Kernbereiche14: Wissen über Medien, Bewertung von Medien und das Medienhandeln. 

In den Bereich des Wissens wird das Funktions- und Gestaltungswissen einbezogen, welches die Fertigkeit im Umgang mit Hard- und Software und der damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten beschreibt. Zusätzlich wird das Strukturwissen hier eingeordnet, das die Kenntnis über Zusammenhänge von Mediensystemen und Netzwerken integriert sowie das Orientierungswissen, dass Menschen befähigt, mediale Angebote zu bewerten und zu gewichten, um sich so im Informationsangebot zurechtzufinden.  Dies knüpft direkt an den Bereich der Medienbewertung an. Hierunter wird die Fähigkeit verstanden, Medien zu durchschauen und die Gestaltung, Struktur, Wirkung und mögliche Interessen zu verstehen. Erst der reflektierte Blick auf Medien ermöglicht es, Wissen auf andere Situationen zu übertragen sowie autonomes Denken und Handeln zu entwickeln.  Die beiden Faktoren Wissen und Bewerten münden in einen reflektierten und zielgerichteten Umgang mit Medien und befähigen zur Partizipation an Medien und damit an der Mitgestaltung der Gesellschaft. Durch den Einsatz von Blogs im Unterricht an Schulen oder in Seminaren an Hochschulen können die Lernenden diese Medienkompetenz entwickeln. So lernen sie z. B., Blogs selbst zu gestalten und Medieninhalte auszuwählen. Sie setzen sich mit unterschiedlichen Designmöglichkeiten von Webseiten auseinander und lernen auch durch das Lesen und Kommentieren anderer Blogs etwas zu den Kommunikationsmöglichkeiten im Netz. Die Medienkritik und Medienbewertung wird über den Umgang mit Webinhalten entwickelt. So stellen sich z. B. bei der Erstellung eines Blogs Fragen hinsichtlich Verlinkungen, Blogbeiträgen, dem Umgang mit Quellen, dem Urheberrecht und der Nutzung von lizenzfreien Inhalten, wie z. B. den Creative Commons Lizenzen. Ganz allgemein wird auch das Medienhandeln geübt durch das Lesen und Kommentieren anderer Blogs sowie die eigene Erstellung und Gestaltung eines Blogs. Weblogs werden mittlerweile in vielen Unternehmen als Instrument zur Unterstützung des Wissensmanagements oder im Sinne des „Corporate Blogging“ als eine Form der Unternehmenskommunikation eingesetzt.15 Wenn junge Menschen diese Tools und deren Handhabung bereits in ihrer Ausbildung erproben, können sie später im Berufsleben leichter damit umgehen. Der Einsatz von Blogs in Lehrsituationen leistet damit einen Beitrag zur Vermittlung berufsbezogener Kompetenzen, die gerade für Lernende aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften von Bedeutung sind.

14 15

Vgl. ebd, S. 128 ff. Vgl. Panke u. a., 2007, S. 85

20

3.3

Petra Bauer und Silke Hamann

Durchführung: Lehr- und Lernszenarien

Die Einsatzmöglichkeiten von Blogs in Lehr- und Lernkontexten sind vielfältig. Stocker unterscheidet die drei Hauptverwendungsarten Informationsspeicher, Reflexionsmedium oder Diskurs- und Publikationsmedium.16 Abhängig vom Kontext des Einsatzes können Blogs formelle und informelle Lernsituationen unterstützen17: Weblogs in formellen Lernszenarien:  als Learning-Content-Management-System  zur Sammlung und Zusammenfassung von Inhalten  zur Unterstützung virtueller Seminare oder Unterricht Weblogs zur Unterstützung des informellen Lernens:  als persönliche Journale bzw. öffentliche (Lern-)Tagebücher  als Feedbackmedium  als Medium für den Wissenstransfer Allgemein können private Weblogs den Zugang zu Personen, die Community-Bildung und den gegenseitigen Austausch in Communities unterstützen. Blogs von Lehrenden und Lernenden Ein Weblog kann z. B. während eines Semesters oder Schuljahres die Funktion einer Veranstaltungshomepage übernehmen. Es können aktuelle Informationen (Hyperlinks, Nachrichten) und Materialien (Texte, Skripte, Folien, Vorlesungsaufzeichnungen) durch die Lehrenden zur Verfügung gestellt und so der Unterrichtsverlauf dokumentiert oder Inhalte ergänzt werden. Wenn die Lernenden über diese Blogs ihre Arbeitsergebnisse wie z. B. Mindmaps, Präsentationen oder Zusammenfassungen posten, können diese von den Lehrenden kommentiert werden.18 Ein Feedback von anderen Teilnehmern der Lerngruppe ist ebenfalls über Kommentare möglich. Zusätzlich können Lehrende über einen Blog ihren eigenen Lernprozess darstellen und somit ihren Schülern wichtige Informationen zu Themenbereichen zur Verfügung stellen.19 Aber auch zur Prüfungsvorbereitung können Weblogs ein sinnvolles Instrument sein. So können nach Veranstaltungen oder nach dem Unterricht typische Prüfungsfragen gepostet werden. Antworten, Diskussionen und Rückfragen können per Kommentarfunktion ergänzt und von den Lehrenden beantwortet werden. Blogs von Schülern und Studierenden können individuell oder als Gruppenblog für gemeinsame Projekte geführt werden. Beispiele hierfür sind Lerntagebücher der Lernenden, eine Dokumentation von Lernenden im Ausland, oder die Sammlung und Präsentation von Projektergebnissen. Bei Gruppenblogs kann es besonders interessant sein, das eigene Lernverhalten zu reflektieren, indem verglichen wird, was andere zu einer Themenstellung recherchieren und publizieren. Über den gemeinsamen Austausch können komplexe Themen arbeitsteilig erarbeitet 16 17 18 19

Vgl. Stocker, 2007, S. 101 Vgl. Röll, 2005, S. 9 ff. Vgl. Panke, 2007, S. 91 Vgl. Baumgartner 2012

3 Einsatz von Blogs in der Lehre

21

werden. Auch das Lesen und Kommentieren anderer Blogs kann im Seminarkontext vorgesehen werden und dem Austausch sowie der Wissenserweiterung dienen. Zusätzlich fördern Blogs auch die soziale Situation und das kooperative Arbeiten in den Gruppen. So können z. B. neben Vorstellungsrunden in Präsenzsituationen auch Vorstellungen im Blog stattfinden. Die Teilnehmer stellen sich dabei in einem Posting vor, benennen private oder fachliche Interessen sowie Erwartungen an die Lehrveranstaltung und können ein Foto einfügen. Eine solche Vorstellung kann auch mithilfe von Audio- oder Videodateien erfolgen. Diese Methode ist für Dozenten nützlich, wenn sie sich ein persönliches Bild von den Lernenden machen möchten, gerade auch dann, wenn es nur wenige Präsenztermine gibt oder eine Lehrveranstaltung nur virtuell stattfindet. Blogs können auch dazu dienen, Lehrenden Einblicke in den Lernstand der Lernenden zu bieten. Wenn im Blog die Erwartungen, Zwischenstände und Arbeitsergebnisse der Lernenden zusammengefasst werden, kann das Blog auch als E-Portfolio dienen und für Bewertungs- und Rückmeldezwecke Verwendung finden.20 Unter Portfolios werden grundsätzlich Sammelmappen für Dokumente unterschiedlicher Art verstanden. Bekannt sind diese von Künstlermappen oder auch Wertpapier-Portfolios. Im pädagogischen Bereich werden Portfolios für die Sammlung von individuellen Bildungs- und Lernprozessen sowie deren Ergebnissen verwendet. Findet das ganze in Form von elektronischen Sammelmappen statt, spricht man von E-Portfolios. Diese können in komplexen Learning-Management-Systemen eingerichtet werden. Dort können Studierende ihre individuellen Leistungen hochladen, kommentieren und den Lehrenden zur Verfügung stellen.21 Viele nützliche Links zu Beispielen für Blogs im Schulkontext finden Sie über das Blog der ehemaligen Lehrerin Lisa Rosa.22 Hier werden Beispiele zu folgenden Einsatzszenarien gezeigt:          

20 21 22

Lehrende betreiben einen Blog für Schüler, um Material, Informationen und Aufgaben bereitzustellen. Lernende können Material und Aufgaben „abholen“ und ihre Aufgabenlösungen posten. Lehrer betreiben mit Schülern zusammen ein Kurs-/Fachblog oder ein Projektblog. Die Schüler holen nicht nur Stoff ab, sondern sie kommentieren oder posten Aufgabenlösungen und stellen selbst gleichberechtigt Beiträge ein. Schüler haben ihre eigenen Blogs. Die Fachschaft einer Schule betreibt ein Blog. Die ganze Schulwebsite ist ein Blog. Die Schülersprecher kommunizieren über ein Blog. Lernende, die über ihren Unterricht bloggen. Unterrichtsblogs als Plattform für Rollenspiele. Der Elternrat bloggt.

Vgl. Mason, Pegler u. a., 2004 in: Panke u. a., 2007, S. 85 Vgl. Münthe-Goussar 2012, S. 6 f. Das Blog ist erreichbar unter http://lisarosa.wordpress.com/praxisbeispiele/unterrichts-und-schulblogs/.

22

Petra Bauer und Silke Hamann

Abb. 3.2:

In dieser Maske können Sie Artikel verfassen, bearbeiten und mit Schlagwörtern versehen.

Erstellung eines Blogs am Beispiel WordPress Wenn Sie das Bloggen selbst einmal ausprobieren möchten, stehen Ihnen viele kostenlose Angebote zur Verfügung. Im Folgenden erhalten Sie eine kurze Anleitung für Ihren Einstieg am Beispiel von WordPress.com.23 Zuerst benötigen Sie ein Benutzerkonto, das Sie unter https://de.wordpress.com/signup/ anlegen können. Wählen Sie dazu einen Benutzernamen und entscheiden Sie, ob eine Blog-URL wie beispielweise „Benutzername.wordpress.com“ oder nur ein Benutzerkonto angelegt werden soll. Ist die Blog-URL einmal erstellt, kann sie nicht mehr geändert werden. Allerdings kann jederzeit eine weitere Blog-URL für das Benutzerkonto angelegt werden. Bereits während der Anmeldung können Sie einen Blogtitel, die Sprache und die Auffindbarkeit durch Suchmaschinen (Datenschutz) festlegen. Alle diese Einstellungen können später in den Einstellungen geändert werden. Durch Klick auf den per E-Mail versandten Aktivierungslink wird das neue Konto aktiviert und gegebenenfalls das gewünschte Blog angelegt. Loggen Sie sich über den Anmeldelink rechts oben auf der de.wordpress.com Startseite ein und verschaffen Sie sich zunächst einen Überblick, um mit der Seite vertraut zu werden. Klicken Sie dazu auf „Mein Blog“ in der Navigationsleiste oben.24 Hinter dem „Dashboard“ verbergen sich die Einstellungs- und Bearbeitungsseiten des neuen Blogs. Da die Menge der im Dashboard angebotenen Funktionen und Einstellungen für einen Einsteiger erschlagend wirken kann, werden die wichtigsten Menüpunkte im Folgenden erklärt: 

Artikel: Die Artikel sind das Herzstück eines Blogs und stellen seinen eigentlichen Inhalt dar. Hier lassen sie sich verwalten: Vom Erstellen über das nachträgliche Bearbeiten und Kategorisieren bis hin zum Hinzufügen von Schlagwörtern (Tags). Artikel können

23

Weitere Anbieter sind z. B. www.blog.de/, www.blogger.com, www.blogg.de und www.blogger.de/. Diese Funktion steht nicht zur Verfügung, wenn nur ein Benutzerkonto angelegt wurde. Unter dem ursprünglichen Registrierungslink kann ein bereits eingeloggter Benutzer auch nachträglich ein Blog anlegen.

24

3 Einsatz von Blogs in der Lehre

23

auch als Entwürfe gespeichert und erst später publiziert (veröffentlicht) werden. Diese Funktion erleichtert auch das gemeinschaftliche Verfassen von Artikeln.  Mediathek: Alle über WordPress hochgeladenen Dateien werden in dieser MedienBibliothek angezeigt. Diese können auch in die Artikel eingebunden werden.  Links: Auf dieser Seite kann man bestehende Verlinkungen verwalten, neue hinzufügen und mittels eines Widgets als Blogroll anzeigen lassen.  Seiten: Seiten sind Artikeln recht ähnlich, erscheinen aber im Blog auf einer übergeordneten Ebene. Im Gegensatz zu den Artikeln werden sie nicht durch neuere Inhalte „verdrängt“, sondern sind dauerhaft von der Startseite aus erreichbar. Sie eignen sich daher besonders gut für Inhalte, die für den Leser stets abrufbar sein sollen, wie etwa eine kurze Vorstellung der eigenen Person oder der Zielsetzung des Blogs.  Kommentare: Alle Kommentare der Artikel werden hier angezeigt. So sind die Rückmeldung der Leserschaft auf einen Blick ersichtlich.  Feedback: Dieser Bereich ermöglicht es, Umfragen und Bewertungen für die verfassten Artikel zu erstellen bzw. einzusehen.  Design: Hier kann der Autor alles rund um das Erscheinungsbild und die Funktionalität (Widgets) des Blogs steuern. Für die individuelle Gestaltung lässt dieser Bereich jede Menge Raum. Wer kein eigenes Hintergrund-Design („Theme“) entwickeln möchte, kann aus einer umfangreichen Liste ein fertiges auswählen.  Benutzer: Hinter diesem Feld verbergen sich die Benutzerverwaltung und die persönlichen Einstellungen. Andere Benutzer können hier beispielsweise als Autoren festgelegt werden, wenn gemeinschaftlich an einem Blog geschrieben werden soll.  Einstellungen: Benutzer finden hier die grundlegenden Einstellungen für die Verwendung von WordPress und das eigene Blog (z. B. Blog-Titel). Eine Anleitung zur Erstellung eines Blogs in Wordpress gibt es bei Mediaculture online.25

3.4

Kritische Analyse

Der Einsatz von Weblogs in Lehr- und Lernsituationen bietet viele Chancen, um diesen methodisch zu erweitern und neben der Fachkompetenz auch weitere Kompetenzen im Umgang mit Medien und der Onlinekommunikation zu üben. Gleichzeitig sind damit auch Gefahren und Herausforderungen verbunden. Darüber hinaus sind einschlägige Hinweise auf rechtliche Aspekte beim Einsatz von Weblogs zu beachten. Vorteile Weblogs eignen sich für den Einsatz in hybriden Lernarrangements aus mehreren technischen und didaktischen Gründen. Außer einem Webbrowser, der auf den meisten Computern standardmäßig eingerichtet ist, sind für die Einrichtung eines Blogs keine weiteren Installationen, vertieften technischen Kenntnisse oder eine aufwändige Einarbeitung notwendig. Weblogs können ortsunabhängig von vielen Computern verwendet werden.

25

Vgl. Hönes, o. J.

24

Petra Bauer und Silke Hamann

Durch die umgekehrt chronologische Struktur (der neueste Eintrag erscheint immer oben) ist die zeitliche Erarbeitung von thematischen Unterrichtseinheiten gut nachvollziehbar. Dies kann ein Vorteil für die didaktische Gestaltung des Unterrichts sein. Nachteilig wirkt sich dies bei der zeitgleichen Erarbeitung von mehreren Themenbereichen aus. Hier müssen Unterstrukturen im Blog eingebaut werden, die beispielsweise mithilfe der Einteilung in Kategorien und der Kennzeichnung mit Schlagwörtern ermöglicht werden. Da alle Einträge im Blog mit einer eigenen unveränderbaren URL (Permalink), versehen werden, können diese untereinander eindeutig und dauerhaft verlinkt werden. Zusätzlich ermöglichen Blogs die zentrale Verwaltung und Verteilung von Dokumenten und Unterrichtsinformationen, was den Informationsfluss zwischen Lehrenden und Lernenden erleichtert und für beide Seiten eine zeit- und ortsunabhängige Zusammenarbeit ermöglicht. Für die Lernenden kann dies auch eine Motivation sein, den Lernprozess selbstbestimmter zu gestalten. Mithilfe der Kommentarfunktion können Texte von Lernenden in der Lerngruppe zur Diskussion gestellt werden. Dies führt zur Öffnung des traditionellen Präsenzunterrichts. Ein solches Peerfeedback kann zu weiterem Kompetenzerwerb im Sinne von Analyse- und Reflexionsfähigkeit sowie Fähigkeiten im kommunikativen Umgang mit anderen führen. Diese Öffentlichkeit kann zum einen Ansporn für die Lernenden sein, gute Leistungen und Beiträge zu publizieren, es kann allerdings auch zu Schreibhemmungen führen. Aus diesem Grund ist eine gute Einführung des Mediums in der Lerngruppe mit dem Angebot von ausreichenden Probesituationen ohne Bewertungsdruck sinnvoll. Herausforderungen Neben den vielen Chancen, die Klassen- oder Seminarblogs für die Lehrsituationen bieten, gibt es auch einige Herausforderungen. Hier ist die geringe Strukturiertheit zu nennen, die durch die rückwärts-chronologische Darstellung der Blogbeiträge gegeben ist. Dieses Ordnungsprinzip kann dazu führen, dass verschiedene Informationstypen, wie z. B. thematische Einträge, Organisatorisches, Lektürehinweise etc. nicht mehr klar trennbar sind und das Weblog wie eine endlose Schriftrolle wirkt. Dieses Problem kann mit einer regelmäßigen Archivierung reduziert werden. Zusätzlich können Strukturierungshilfen, wie z. B. die Kategorisierung der Einträge durch Tags und Kategorien, bei der Orientierung helfen. Viele Blogs verfügen auch über Suchfunktionen, die das Auffinden von Informationen erleichtern. Zudem ermöglichen Kalender-Funktionen, gezielt die Einträge eines bestimmten Datums oder Zeitraums aufzurufen. Ein Problem, das im Bereich der Motivation der Lernenden zu verorten ist, ist die Unsicherheit bei der Publikation, wenn die Beiträge in die Leistungsbewertung miteinbezogen werden. Dies kann die grundsätzlich positive Grundeinstellung der Lernenden zum Einsatz von neuen Medien in den Lehrsituationen beeinträchtigen. Eindeutige Informationen zu den Erwartungen der Lehrenden und den Bewertungsmaßstäben können diesem Problem entgegenwirken. Teilweise verweigern die Lernenden eine aktive Nutzung im Sinne von eigenen Postings, obwohl sie die Inhalte des Blogs verfolgen und verwenden. Dieses Phänomen wird in der elektronischen Kommunikation auch im Kontext der Nutzung von Mailinglisten beschrieben und mit dem Begriff „Lurker“ bezeichnet. Die Lernenden beteiligen sich nur dann aktiv an dem Einsatz der neuen Technologie, wenn sie individuelle Mehrwerte aus der aktiven Mitgestaltung erhoffen. Bei einer unzureichenden Kommunikation über die Zielsetzung des Einsatzes können Blogs als Kontroll- und Monitoring-Instrument missverstanden werden. För-

3 Einsatz von Blogs in der Lehre

25

dernd und aktivierend können Freiheitsgrade bei der Ausgestaltung von Blogdesign und Beiträgen, eigene Strukturierungsmöglichkeiten sowie einführende Übungen bzw. Diskussionen zum Thema Bloggen sein.26 Rechtliche Aspekte Wie bei allen neuen Medien, die Inhalte über das Internet veröffentlichen, sind bei Weblogs auch einige rechtliche Aspekte zu beachten. 

Datenschutzrechtliche Hürden: Es dürfen keine personenbezogenen Daten an OnlineDienste übertragen werden, die nicht mit den hiesigen Datenschutzbestimmungen konform sind. Wo genau personenbezogene Daten anfangen und welche Anbieter den Datenschutzbestimmungen gerecht werden, ist für den Laien allerdings kaum zu beurteilen. Um personenbezogene Daten zu schützen, ist es sinnvoll, keine Klarnamen anzugeben, weder in den E-Mail-Adressen noch im Benutzernamen, im Namen des Blogs oder gar auf den Inhaltsseiten des Blogs selbst.  Gefahr von Urheberrechtsverletzungen: Da die Lernenden Blogs zu Lernzwecken verwenden, kann nie ausgeschlossen werden, dass durch die von ihnen erstellten Beiträge Urheberrechte verletzt werden. Die oft diffuse rechtliche Lage macht es schwer zu erkennen, was erlaubt ist und was nicht. So sollten die Lernenden darauf hingewiesen werden, dass sie nur rechtlich einwandfreie Medien wie Fotos, Audiodateien oder Texte verwenden, auf die Lizenzen achten (z. B. Creative Commons Lizenzen) und stets die Quelle angeben. Es ist auch möglich, die Blogbeiträge nicht öffentlich zu gestalten und nur einer begrenzten Personenanzahl, wie z. B. der Klasse oder Seminargruppe Einsicht zu ermöglichen.27 Rechtlich sind Blogs als Telemedien anzusehen und fallen daher unter das Telemediengesetz. Wird ein Blog gewerbsmäßig betrieben, so ist der Anbieter verpflichtet, ein Impressum zu erstellen. Informationen zum Thema Impressum und Internetrecht bekommt man unter anderem bei: www.e-recht24.de. Auf dieser Seite wird auch ein Impressumsgenerator angeboten.

26 27

Vgl. Panke u. a., 2007, S. 93 Vgl. Hönes, 2004

26

Petra Bauer und Silke Hamann Zusammenfassung Einsatz von Blogs in der Lehre

Kurzbeschreibung

Weblogs können für formelle und informelle Lehrszenarien in der Hochschullehre und im Unterricht an Schulen eingesetzt werden. Blogger können Lehrende und Lernende, einzelne Personen oder auch Lerngruppen sein. Einsatzmöglichkeiten sind die Onlinedokumentation des Unterrichts oder die Sammlung von Materialien im Selbstlernprozess.

Vorgehen

      

Lernziele

    

Blogsoftware im Internet auswählen Anleitungen zur Erstellung eines Blogs sichten und an Lernende verteilen Einrichtung von Blogs Spielerisches Üben der Bloggestaltung Klare Erwartungen zu den Inhalten formulieren. Dies ist besonders für die Orientierung der Lernenden wichtig, wenn eine Leistungsbewertung erfolgt Bloggen, Lesen, Kommentieren, Verlinken Evtl. Blogs im Präsenzunterricht präsentieren und Lernfelder besprechen Selbstorganisiertes und Selbstgesteuertes Lernen Umgang mit neuen Medien, speziell Web 2.0 Erwerb von Medienkompetenz Förderung von Sozialkompetenz bei der Arbeit mit Gruppenblogs Wissenserwerb zu rechtlichen Aspekten der Internetnutzung

Voraussetzungen

   

Zugang zum Internet im Unterricht und/oder zuhause Grundkompetenzen im Umgang mit dem Internet Medienkompetenz Bereitschaft zu Rollenveränderungen: Lehrende werden zu Lernbegleitern und Lernenden. Lernende werden zu Lehrenden durch die Bereitstellung von Lernergebnissen aus dem Selbstlernprozess

Literatur und hilfreiche Links

 

http://de.wordpress.com/ http://www.mediacultureonline.de/fileadmin/handouts/WordPress-Anleitung.pdf www.e-recht24.de



3 Einsatz von Blogs in der Lehre

3.5

27

Literatur

Baumgartner, P., Eine neue Lernkultur entwickeln. Kompetenzbasierte Ausbildung mit Blogs und e-Portfolios, Hagen 2012, http://peter.baumgartner.name/wp-content/uploads/2012/12/ eportfolio_deutsch.pdf, Abrufdatum: 21.03.2013 Hönes, J., Anleitung zur Erstellung eines Blogs bei WordPress.com, o.J., http://www.mediacultureonline.de/fileadmin/handouts/WordPress-Anleitung.pdf, Abrufdatum: 21.04.2013 Hönes, J., Blogs im Unterricht, 2004, http://www.mediaculture-online.de/Blogs-imUnterricht.2004.0.html, Abrufdatum: 13.03.2013 Lackes, R.; Siepermann, M., Web 2.0, in: Gabler Wirtschaftslexikon, Online-Version, o.J., http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/80667/web-2-0-v8.html, Abrufdatum: 21.03.2013 Münthe-Goussar, S., Portfolios und ePortfolios. Einblicke zu Funktionen, Formen und Nutzungsmöglichkeiten sowie zu Potenzialen und Risiken, in: Computer und Unterricht Nr. 86, 2012, S. 6–9. Paetz, N.-V. et al., Kompetenz in der Hochschuldidaktik, Wiesbaden 2011 Panke, S.; Gaiser, B.; Draheim, S., Weblogs als Lerninfrastrukturen zwischen Selbstorganisation und Didaktik, in: Online-Communities als soziale Systeme. Wikis, Weblogs und Social Software im E-Learning, hrsg. von Dittler, U.; Kindt, M.; Schwarz, C., Münster 2007, S. 81–96. Röll, M. Corporate E-Learning mit Weblogs und RSS, in: Handbuch E-Learning. Köln 2005, hrsg. von: Hohenstein, A.; Wilbers, K., http://roell.net/publikationen/roell05-elearning-weblogs-rss.pdf, Abrufdatum: 22.04.2013 Rosa, L., blogwerkstatt. Blog zum Thema „Individualisiertes Unterrichten mit Weblogs“, o.J., http://lisarosa.wordpress.com/praxisbeispiele/unterrichts-und-schulblogs/, Abrufdatum: 21.04.2013 Schorb, B., Medienalltag und Jugend, in: Fokus Medienpädagogik, hrsg. von Bauer, P.; Hoffmann, H.; Mayrberger, K., München 2010, S. 117–134. Stocker, C., Zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Weblogs im Hochschulunterricht, in: OnlineCommunities als soziale Systeme.Wikis, Weblogs und Social Software im E-Learning, hrsg. von Dittler, U.; Kindt, M.; Schwarz, C., Münster 2007, S. 97–114. Thiessen, B., Inter- und Transdisziplinarität als Teil beruflicher Handlungskompetenz. Gender Studies als Übersetzungswissen, in: Quer denken – Strukturen verändern: Gender Studies zwischen Disziplinen, hrsg. von Kahlert, H.; Thiessen, B.; Weller, I., Wiesbaden 2005, S. 254–258. Westner, M. K., Übersicht über aktuelle Weblog-Skripte und -Services, in: Weblogs professionell. Grundlagen, Konzepte und Praxis im unternehmerischen Umfeld, hrsg. von Picot, A.; Fischer, T., Heidelberg 2006, S. 175–190

4

Einsatz von Tablets in der Lehre Anett Mehler-Bicher, Frank Mehler, Lothar Steiger „Technik ist Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck.“ (Carl Friedrich von Weizsäcker)

Ein Ziel jeder Ausbildung ist die effiziente und effektive Vermittlung von Wissen und die Förderung von Lösungskompetenzen. Unter Einsatz neuer Technologien lässt sich dies sowohl auf Seiten der Lernenden als auch Lehrenden optimieren. Tablets mit entsprechender Software bieten neue, verbesserte Möglichkeiten zur Präsentation und Dokumentation für die Lehre und Mitarbeit der Lernenden.

4.1

Was ist ein Tablet?

Tablets28 – oder auch auch Tablet-PCs genannt – sind flache Computer, die auf den ersten Blick hauptsächlich aus einem Bildschirm bestehen. Man könnte einen Vergleich mit der Schiefertafel aus der Grundschule vor 40 Jahren herstellen, aber technisch lassen sich Tablets eher mit Smartphones mit vergrößertem Display vergleichen. Der Unterschied zu „normalen“ Computern besteht einerseits darin, dass Tablets leicht und portabel sind und andererseits der Bildschirm eine Bedienung mit Stift, Maus und/oder Fingern erlaubt. Programme, sog. Apps (d. h. Applikationen, Anwendungen) werden auf dem Display eingeblendet und mittels Stift oder Finger aktiviert. Mittels Web-Browser bieten sie die Möglichkeit, Internet-Angebote über Finger- oder Stifteingaben aufzurufen. Dadurch wird ein „natürliches“ Arbeiten ermöglicht, teilweise auch ohne Tastatur.

28

http://www.itwissen.info/definition/lexikon/Tafel-PC-tablet-PC.html

30

Anett Mehler-Bicher, Frank Mehler, Lothar Steiger

Abb. 4.1:

Tablet-Typen Google Nexus 10, Sony Xperia Tablet

Da Tablets oft weder über Maus noch Tastatur verfügen, erfolgt die Bedienung im Regelfall über das Display. Es gibt als optionale Ergänzung externe Tastaturen, die als separate Hardware angebunden werden können. Ist keine externe Tastatur vorhanden, wird zur Texteingabe eine Bildschirm-Tastatur meist im unteren Bereich des Displays eingeblendet. Entscheidend für die Benutzung ist die Technologie, die dem Display zugrundeliegt: Ähnliche wie bei Smartphones ist eine Fingerbedienung heute sehr weit verbreitet, weniger jedoch die Stifteingabe. Falls das Einsatzszenario eine Stifteingabe in den Vordergrund stellt, ist es angenehm, wenn in diesem Falle keine gleichzeitige Fingereingabe möglich ist; ansonsten würde beim Schreiben jedes Handauflegen auf dem Display zu unerwünschten Eingaben/Störeffekten führen. Das Ablegen der Hand beim Schreiben ist für eine entspannte, natürliche Nutzung jedoch wichtig. Die unterschiedlichen Displays werden in sog. Active oder Passive Digitizer unterschieden29; 

Active Digitizer (Technologie: meist induktive Touchscreens) erlauben eine Stifteingabe und arbeiten ähnlich wie ein Grafiktablett: Von der Spitze eines speziellen Stiftes ausgehend verarbeitet der Computer die Information über Position, Stiftdruck und zusätzlich gedrückte Tasten. Durch unterschiedlichen Druck lassen sich auch dünne bzw. fette Linien zeichnen, die Rückseite des Stiftes wird oft zum „Radieren“ eingesetzt.  Passive Digitizer (Technologie: meist projiziert-kapazitive Touchscreens) ermöglichen eine Touchbedienung. Diese Technologie ist bei den meisten heutigen Smartphones im Einsatz.  Hybride Systeme, sog. Dual Digitizer, kombinieren beide Möglichkeiten: Ist ein Stift in der Nähe des Bildschirms, wird diese Eingabe bevorzugt und die Touchbedienung ausgeschaltet. Ohne Stift in der Nähe ist die Touchbedienung aktiv. Der Eingabestift (engl. Stylus oder Touchpen) ermöglicht eine präzisere Steuerung im Vergleich zur Fingerbedienung. Je nach Display werden spezielle Stifte benötigt, wobei der Stift möglichst schonend mit der Oberfläche umgehen sollte. Tablets sind drahtlos, batteriebetrieben und über WLANs oder Mobilfunktechnologie (z. B. UMTS) mit dem Internet verbunden. Oftmals verfügen sie für die Kommunikation im Nahbereich über einen Bluetooth-Adapter.

29

http://mobilepcwiki.com/mpc/index.php?title=Getting_Started:_Active_or_Passive_Digitizer

4 Einsatz von Tablets in der Lehre

31

Die Displaygröße bei Tablets entspricht meistens in etwa DIN A4, teils auch DIN A5. Die Bildschirmlösung liegt derzeit (2013) bei 1.400 × 1.050 Pixel, teils höher, die Punktauflösung bei 100 dpi und mehr. Tablets verfügen über die Möglichkeit, durch Speicherkarten eine Erweiterung des Festplattenspeichers vorzunehmen. Im Akkubetrieb ist ein Dauerbetrieb von mehreren Stunden üblich. In der Regel werden stromsparende Prozessoren eingesetzt. Als Betriebssysteme kommen bei Tablets derzeit (2013) häufig iOS (Apple), Android oder Windows zum Einsatz. Fast alle auf dem Markt angebotenen Tablets verfügen über einen Anschluss für Kopfhörer, Mikrofon und Videokamera bzw. haben diese bereits eingebaut. Sie können in Hoch- und Querformat betrieben werden; dafür ist ein Lagesensor notwendig, der dafür sorgt, dass der Bildschirminhalt automatisch der Lage entsprechend ausgerichtet ist. Geräte mit Stifteingabe bieten häufig Handschrifterkennung an, die von den Betriebssystemen unterstützt wird. Die Handschrifterkennung versucht, den vom Benutzer geschriebenen Text automatisch in Textzeichen umzuwandeln. Bei Handschrifteingaben muss der Benutzer seine Handschrift nicht an bestimmte Erkennungsvorgaben anpassen. Er kann seine normale Schreibweise beibehalten, da die Software nicht nur einzelne Schriftzeichen analysiert, sondern auch die Stiftbewegung in Geschwindigkeit und Richtung. Neben Tablets gibt es auch sog. „Digitizer“ Notebooks, d. h. Notebooks, die mit Displays ausgestattet sind, die per Stift oder Touch bedienbar sind. Sie stellen eine gute Alternative zu Tablets dar, wenn eine integrierte physischen Tastatur und Maus gewünscht sind.

4.2

Lernziele

Lernziele beim Einsatz von Tablets sind:    

4.3

Zielgerichtete Wissensvermittlung, die sich an die Bedürfnisse und die Aufnahmefähigkeit der Lernenden dynamisch anpassen lässt Höhere Motivation und Aufmerksamkeit durch Interaktion mit den Lernenden Selbständiges Verstehen und Anwenden von Methoden Kooperatives Erarbeiten von Lösungen und hierdurch besseres Verständnis der Lösungswege

Praktische Durchführung

Die Einsatzszenarien in der Lehre für Tablets oder Digitizer Notebooks sind vielfältig, insbesondere durch die Möglichkeit der Annotation von Unterlagen. Während die Bedienung per Finger insbesondere im privaten Umfeld viele Vorteile mit sich bringt und daher favorisiert wird, ist die Stiftbedienung vor allem in der Lehre von Vorteil, da diese eine präzise Annotation ermöglicht.

32

Anett Mehler-Bicher, Frank Mehler, Lothar Steiger

Einsatzszenarien aus Sicht der Lernenden Aus Sicht des Lernenden ergeben sich im Wesentlichen folgende Einsatzmöglichkeiten: 1. Individuelle Aufbereitung von Skripten Lernende laden sich vor Veranstaltungsbeginn das Vorlesungsskript auf ihr Tablet. Während der Vorlesung/Übung können sie mit einem Annotationsprogramm30 direkt handschriftlich Ergänzungen im Skript vornehmen. Dies kann natürlich auch mit weiteren Dokumenten zur Vor- oder Nachbereitung von Lehrveranstaltungsunterlagen erfolgen. Bei Bedarf können Lernende ihre individuell aufbereiteten Skripte auch elektronisch an Kommilitonen verteilen. Wesentliche Vorteile sind:   

Individuelle Anreicherung des Skripts mit wichtigen Notizen durch Lernende Lernimpulse bzw. -effekte durch handschriftliches Hinterlegen der Notizen Ablage bzw. Archivierung der Dokumente in der Cloud und daher ein Zugriff von überall auf die Unterlagen (von zuhause, unterwegs etc.) 2. Projektion von Lösungsansätzen der Lernenden Lernende erarbeiten während der Lehrveranstaltung Lösungsansätze und notieren diese auf dem Tablet. In der Diskussion mit dem Dozent und den anderen Lernenden werden die Lösungen über den Beamer projiziert. Technisch kann die Lösung z. B. über ein gemeinsames Verzeichnis oder per E-Mail zur Verfügung gestellt werden. Alternativ kann das Tablet auch direkt an den Beamer angeschlossen werden. Wesentliche Vorteile sind: 

Direkte Verfügbarkeit des studentischen Lösungsansatzes. Ein erneutes Anschreiben des Lösungsansatzes an der Tafel oder auf dem Overhead entfällt.  Interaktive Gestaltung der Lehrveranstaltung durch Projektion und Diskussion eines studentischen Ansatzes mit den Lernenden 3. E-Voting Lernende nehmen an Abstimmungen oder Umfragen während der Lehrveranstaltung teil oder können per „Twitterwall“31 in das Lehrveranstaltungsgeschehen aktiv eingreifen bzw. mitbestimmen, indem sie z. B. Fragen stellen. Wesentliche Vorteile sind:  

Interaktive Gestaltung der Lehrveranstaltung Anonymisierung der Lernenden insbesondere bei Verständnisfragen. Dies bietet sich insbesondere bei Großvorlesungen mit mehreren 100 Lernenden an, wenn die Hemmschwelle, Fragen zu stellen, sehr hoch ist.

30

Software, die ein handschriftliches Kommentieren von i.d.R. pdf-Dateien ermöglicht Eine Twitterwall ist eine Wand voller Tweets, d.h. 140 Zeichen langen Nachrichten, die auf Twitter verfasst werden können. Eine Twitterwall beinhaltet immer Tweets zu einem bestimmten Stichwort (Hashtag), das der Ersteller frei festlegen kann. (http://twitterwallr.com/)

31

4 Einsatz von Tablets in der Lehre

33

Einsatzszenarien aus Sicht der Dozenten Aus Sicht des Dozenten sind z. B. folgende Szenarien möglich: 4. Nutzung des Tablets zur interaktiven Informationsdarstellung Dozenten können Tablets in Kombination mit Beamer und Annotationsprogramm als Ergänzung/Ersatz für Tafel oder Overhead nutzen. Auch vorbereitete Skripte oder Folien, die bewusst Lücken aufweisen, lassen sich interaktiv in der Lehrveranstaltung ergänzen. Dies ist insbesondere dann von Interesse, wenn z. B. Übungsaufgaben – entweder vom Dozenten oder von Lernenden – in der Veranstaltung vorgestellt werden und die Lernenden zur Mitarbeit motiviert werden sollen.

Abb. 4.2:

Interaktion auf Tablets bezogen auf Lückentexte

Das komplettierte Skript kann den Lernenden im Anschluss auch digital zur Verfügung gestellt werden. Dozenten können Tablets auch in Kombination mit Beamer und Smartboardprogramm nutzen, um Smartboards32 und ihre Funktionalitäten zu simulieren. Smartboards erlauben mittels entsprechender Software, per Drag und Drop in Präsentationen andere Programme einzubeziehen.

32

Ein Smartboard ist ein digitales Whiteboard, an das ein Rechner angeschlossen wird und das ähnlich wie ein Tablet auf Stift- oder Fingereingabe reagiert.

34

Anett Mehler-Bicher, Frank Mehler, Lothar Steiger

Abb. 4.3:

Smartboard, Quelle: http://www.myboard.de/board-news/details/article/smart-technologies-stellt-neuenotebook-software-10-vor//link//088826c4c1.html

In einer Programmierveranstaltung könnte in die Präsentation die entsprechende ProgrammLösung z. B. in Java live eingeblendet und gespeichert werden. Wesentliche Vorteile sind: 





   

Gemeinsame Erarbeitung von Inhalten Eine Grafik (z. B. ein Koordinatensystem, ein Diagramm oder Bild) kann in ihrer Grundstruktur eingeblendet werden und wird dann von den Lernenden durch Zuruf ergänzt; der Dozent spart das Anschreiben/Anzeichnen der Grundstruktur bzw. setzt auf einer sauberen Basis auf. Dies ist auch bei der Wiederholung von Inhalten hilfreich. Gute Lesbarkeit Die Projektion über Beamer erlaubt auch in Räumen mit Distanzen von mehr als fünf Metern Abstand zur Projektionsfläche eine gute Lesbarkeit. Ein Tafelanschrieb lässt sich hingegen meist nur in klassengroßen Räumen mit Frontbeleuchtung nachvollziehen. Einsatz nützlicher Tools Über das Tablet wird z. B. als Hintergrund Millimeterpapier eingeblendet, der Dozent zeichnet eine Kurve manuell ein. Tafeln verfügen über keinen derartig feinen Maßstab; Eine entsprechende Overhead-Folie wäre nach einmaligem Gebrauch zu erneuern. Erstellung einer Mitschrift, die den Lernenden als Dokument zur Verfügung gestellt werden kann Entfall von Zeiten, in denen Lernende Tafel- oder Overheadinhalte abschreiben müssen Konzentration der Lernenden auf das Mitdenken, nicht auf das Abschreiben Geringerer Vorbereitungsaufwand im Vergleich zum Overhead, da keine Folien ausgedruckt werden müssen bzw. leichter aktualisiert/wiederverwendet werden können

4 Einsatz von Tablets in der Lehre

35

5. Nutzung des Tablets zur Präsentationssteuerung Das typische Präsentationsszenario von Folien sieht heute so aus, dass der Dozent die Präsentation über das Notebook steuert. Hierbei ist das Notebook stationär an den Beamer angebunden. Als Ergänzung zu diesem Szenario lässt sich ein Tablet nutzen, das der Präsentationssteuerung (d. h. nächste bzw. vorige Folie) dient. Ein Tablet ähnelt im Prinzip einem Notizbuch; man kann es bequem in der Hand halten, sich frei im Raum bewegen und trotzdem die Kontrolle über die Präsentation behalten. Wesentlicher Vorteil dieser Lösung ist, dass sich auf dem Tablet zusätzlich zu den Präsentationsfolien Notizen einblenden lassen.

Abb. 4.4:

Tablet mit Notizen als Ergänzung zu Vorlesungsfolien

Ein Einsatzszenario ist eine Übung, in der die Aufgabenstellung projiziert wird, der Dozent mit seinem Tablet zu einzelnen Gruppen geht und dort für alle auf Folien zurückblättern oder andere Informationen einblenden kann, um die Aufgabenstellung/Lösung zu unterstützen. Wesentliche Vorteile sind:   

Freie Beweglichkeit im Raum Individuelle Reaktion auf Fragen von Lernenden Nutzung von Tablets für ein „Virtuelles Klassenzimmer“ (Virtual Classroom33-Software)

33

Ein Virtual Classroom oder Virtuelles Klassenzimmer, teils auch Webinar genannt, ermöglicht so-wohl eine synchrone (zeitgleiche) als auch asynchrone (zeitversetzte) Zusammenarbeit zwischen meist räumlich getrennten Lehrenden und Lernenden.

36

Anett Mehler-Bicher, Frank Mehler, Lothar Steiger

Lernende verfolgen das Geschehen von beliebigen Orten und sind normalerweise über einen PC per Internet in das „virtuelle Klassenzimmer“ zugeschaltet. Bei Nutzung von Tablets können Dozenten sog. „Interactive Whiteboards34“ mittels Stifteingabe handschriftlich beschreiben. Das heißt, es erfolgt im Browser auf dem Tablet-Computer quasi eine Simulation eines realen Whiteboards. Sind sowohl Lernende wie auch Lehrende mit Tablets ausgerüstet, können sie in gleicher Weise Lösungsvorschläge handschriftlich unterbreiten, entwickeln oder Kommentare posten. Jeder Lernende hat dann die Möglichkeit, zunächst einen eigenen Vorschlag zu erarbeiten, bevor eine allgemeine Lösung – eventuell auf Basis eines Vorschlags eines Lernenden – entwickelt wird. Auch Testszenarien/Fragebögen sind mit geeigneter Software möglich. Wesentliche Vorteile sind:     

Größere Vielfalt in der Darstellung und bessere Interaktion Höhere Schnelligkeit in der Darstellung durch handschriftliche Bedienung Konzentration der Lernenden auf das Mitdenken, nicht auf das Abschreiben Erstellung einer Mitschrift, die den Lernenden als Dokument zur Verfügung gestellt werden kann Nutzung des Tablets für die Korrektur von Exposes, Hausarbeiten etc.

Lernende reichen ihr abzugebendes Dokument (Exposé, Hausarbeit etc.) beispielsweise im pdf-Format bei dem Dozenten ein Der Dozent kann im Dokument mittels Annotationsprogramm handschriftlich Bemerkungen einfügen, dieses abschließend wieder im pdf-Dokument integriert abspeichern und den Lernenden per Mail oder über eine Lernplattform zukommen lassen. Wesentliche Vorteile sind:  



34

Vermeidung von Medienbrüchen (von Papier auf elektronische Dokumente bzw. umgekehrt) Schnell verfügbares Feedback für Lernende Der Dozent kann auf dem Tablet mittels Stift handschriftlich korrigieren; dies ist der Korrektur eines Ausdrucks vergleichbar. Der Dozent kann den Lernenden das Dokument zukommen lassen. Durch die Verwendung des pdf-Formats ist dieses für beide Seiten direkt les- und nutzbar. Zeitersparnis für den Dozenten Prozessschritte wie Ausdrucken vor der Korrektur oder Einscannen der korrigierten Version sind nicht mehr notwendig. Dies ist insbesondere in Studiengängen von Relevanz, in denen Lernende bedingt durch die Studienform seltener an der Hochschule sind (z. B. duale oder berufsintegrierende Studiengänge).

Ein interaktives Whiteboard innerhalb eines virtuellen Klassenzimmers simuliert eine Tafel oder einem Flipchart. Die Nutzer haben die Möglichkeit, über ein Netzwerk gemeinsam Skizzen zu er-stellen und zu betrachten. Dazu stehen sowohl Zeichen-/Mal- als auch Textwerkzeuge zu Verfü-gung.

4 Einsatz von Tablets in der Lehre

37

Benötigte Software Je nach Szenario wird spezielle Software benötigt; teils sind auch Open Source Produkte frei erhältlich: 





4.4

Präsentationssoftware Powerpoint bietet automatisch eine Unterstützung von Notizen, da im Präsentationsmodus im linken unteren Bereich jeder Folie mittels eines Stiftsymbols eingeschaltet werden kann. Auf der Windows-Plattform ist ein einfaches Werkzeug zum Schreiben auf einer leeren Zeichenfläche z. B. Windows Journal, das in zahlreichen Versionen von Windows mitgeliefert wird. Erweiterte Funktionalitäten findet man in Microsoft OneNote, das auch für andere Plattformen wie Android- oder iOS erhältlich ist. Annotationsprogramme Annotationsprogramme sind für jeden Betriebssystemtyp verfügbar. Unter Windows 7 bzw. 8 konnten im Einsatz über mehrere Semester sehr gute Erfahrungen mit pdf Annotator gewonnen werden. Unter iOS und Android stehen vergleichbare Produkte zur Verfügung. Smartboardprogramme Smartboards sind oftmals mit einem Windows-Betriebssystem ausgestattet. Unter Windows 7 bzw. 8 konnten im Einsatz über mehrere Semester gute Erfahrungen mit Active Inspire gewonnen werden.

Kritische Analyse

An der FH Mainz konnten in den letzten zwei Jahren umfangreiche Erfahrungen zu verschiedenen Szenarien gewonnen werden. Die Erfahrungen zeigen folgendes:  

  



Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig, erfordern aber eine offene Herangehensweise seitens der Dozenten an die neue Technologie. Die Einbindung der Lernenden, das Eingehen auf Fragen und das gemeinsame Erarbeiten von Lösungen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für erfolgreiche Lehre. Die Studierenden nehmen die erweiterten Möglichkeiten (z. B. Notizen, Skizzen in Folien) meist sehr positiv auf. Die Anwendungsmöglichkeiten sind noch keinesfalls ausgereizt; insbesondere in der Kombination mit Smartboards müssen für den Hochschulbereich sinnvolle Anwendungsszenarien entwickelt werden, um die Potenziale stärker zu nutzen. Insbesondere die Korrektur von Dokumenten ermöglicht deutliche zeitliche Reduktionen auf Seiten der Dozenten; hier konnten Zeiteinsparungen von bis zu 50% erzielt werden. Gerade Lernende äußerten sich positiv zum schnellen und ausführlichen Feedback. Beim Einsatz in Lehrveranstaltungen zeigt sich aber auch, dass der Platz zur Darstellung individueller Notizen begrenzt ist. Insbesondere an mehrteiligen Tafeln steht oft mehr Platz zur Verfügung und die an der Tafel angeschriebenen Inhalte können länger stehenbleiben. Die Integration von räumlich entfernten Lernenden („Virtual Classroom“) ist nicht unproblematisch. Obwohl die Interaktion durch Video, Audio, Notizen usw. unterstützt wird, fehlt dennoch das direkte menschliche Feedback: Ein fragender Blick und der persönliche Kontakt sind nicht durch Technik alleine ersetzbar.

38 

Anett Mehler-Bicher, Frank Mehler, Lothar Steiger Die technischen Möglichkeiten sind vielfältig, die damit verbundenen technischen Herausforderungen jedoch auch. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Plattformen, Geräte, Software-Anwendungen usw.

Zusammenfassung Einsatz von Tablets in der Lehre Kurzbeschreibung

Nutzung des Tablets, um Anwendungsbereiche in der Lehre sowohl seitens des Dozenten als auch des Lernenden effektiver und effizienter zu gestalten

Vorgehen



Szenarioabhängig

Lernziele

   

Szenarioabhängig Simulation realer haptischer Abläufe Konzentration auf das Mitdenken in der Lehrveranstaltung Erstellung und Archivierung individueller Skripte

Voraussetzungen

 

Hardware (Tablet) Software (Präsentations- und/oder Annotationsprogramme

4.5

Literatur

http://www.itwissen.info/definition/lexikon/Tafel-PC-tablet-PC.html http://www.logitech.com/de-de/tablet-accessories/keyboards http://mobilepcwiki.com/mpc/index.php?title=Getting_Started:_Active_or_Passive_Digitizer http://en.wikipedia.org/wiki/File:Styluses.JPG http://www.myboard.de/board-news/details/article/smart-technologies-stellt-neue-notebook-software10-vor//link//088826c4c1.html

5

Podcasts Jens Reinhardt „Es gibt die gängige These, dass die Aufmerksamkeitsspanne immer weiter sinkt und die Leute nichts mehr wahrnehmen, was länger als ein paar Minuten ist. Wenn im Radio nicht alle sieben Minuten gesagt wird, auf welchem Sender man ist, dann ist der Hörer schon verloren. Auf die Idee, dass das etwas mit den Inhalten der sieben Minuten zu tun haben könnte, scheint aber so recht noch keiner gekommen zu sein.“ (Pritlove 2012)

Gerade in der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung sollte dem Lernenden praxisnah die große Bedeutung der aktuellen, internetbasierten Medien und der zielgerichtete Umgang mit diesen vermittelt werden. Die Erstellung von Podcasts ermöglicht den Lernenden hier erste Erfahrungen zu sammeln. Zusätzlich erlaubt sie zukünftigen Führungskräften, die Vermittlung fachlicher Inhalte in der freien Rede zu üben.

5.1

Was ist ein Podcast?

Die Entstehung von Podcasts Als Steve Jobs, erfolgreicher Gründer und späterer CEO von Apple Inc. im Herbst 2001 vor ausgewähltem Publikum den ersten iPod vorstellte35, ahnte er wohl selbst nicht, welcher Erfolg seinem kleinen und kompakten, tragbaren Abspielgerät beschieden sein würde. Anfang der 2000er Jahre waren auch für den Endverbraucher Computer und Netzwerkverbindungen verfügbar, die einen für die damalige Zeit neuartigen Umgang mit Musikstücken erlaubte. Aus dem Internet konnten nun Musikstücke in digitaler Form geladen und in einer für Verbraucher akzeptablen Qualität abgespielt werden. Das Übertragen der elektronischen Musikstücke auf kleine und tragbare Abspielgeräte war ein weiterer, konsequenter Schritt.

35

Vgl. Apple, 2001

40

Jens Reinhardt

Musik war damit überall dort verfügbar, wo der Verbraucher die immer kleiner werdenden, mobilen Endgeräte benutzen konnte. Mit der Verbreitung der Mobiltelefone und deren zunehmender Leistungsfähigkeit bei der Wiedergabe digitaler Musik wurde die Anzahl denkbare Nutzungsszenarien nochmals vergrößert. Als Alternative zu Musikstücken und in Folge der großen Verbreitung erfreuten sich auch Hörbücher einer großen Beliebtheit. Verbraucher verkürzten sich lange Wartezeiten auf Reisen, im Auto, im Zug oder im Flugzeug mit Hörbüchern. Diese entstehen meist durch die Vertonung von Büchern. Im einfachsten Falle durch das Aufnehmen einer vorlesenden Person, im aufwändigeren Falle durch die Produktion als umfangreiches Hörspiel mit mehreren Sprechern und unter Anreicherung mit Musik oder passenden Geräuschen. Im Zuge dieser Entwicklung standen den Endverbrauchern bald auch die technischen Möglichkeiten zur Verfügung, eigene gesprochene Beiträge aufzuzeichnen. Ebenso entdeckten professionelle Einrichtungen wie Radiostationen die Möglichkeit zur Produktion von gesprochenen Beiträgen, insbesondere für das Hören mit mobilen Abspielgeräten. Die Produktionen solcher Beiträge fanden schon mit der Absicht statt, diese über das Internet zu verbreiten. Viele Privatpersonen, Organisationen oder Unternehmen stellten und stellen in regelmäßigem Abstand Beiträge dieser Art zur Verfügung. Im Internet ermöglicht eine Vielzahl von Webseiten den komfortablen Zugang zu Beiträgen dieser Art. Auch die Produzenten selbst stellen meist entsprechende Zugänge bereit.

Abb. 5.1:

Beispiel von Podcast-Angeboten im Internet: Die Podcast-Webseite der ARD Tagesschau, Quelle: ARD, 05.08.2013

Der iPod, das eingangs schon erwähnte mobile Abspielgerät des Unternehmens Apple, wurde wegen seiner hohen Verbreitung zu einem Namensgeber für die beschriebenen, regelmäßig produzierten Beiträge, die über das Internet zur stationären oder mobilen Nutzung bereitgestellt werden: Aus dem Namen „iPod“ und dem englischen Begriff für den Rundfunk, „Broadcast“, wurde das Kunstwort „Podcast“ geschaffen. Als „Podcasting“ bezeichnet man das meist regelmäßige Bereitstellen von Beiträgen, auf die über das Internet zugegriffen werden kann. Durch den Einsatz von zusätzlichen Techniken und Verfahren ist es möglich, dass Computer oder mobile Abspielgeräte wie iPods oder Mo-

5 Podcasts

41

biltelefone automatisch über das Vorhandensein neuer Beiträge informiert werden. Diese können dann automatisch geladen werden. Podcasting ist die meist regelmäßige Bereitstellung von Audio- oder Video-Beiträgen auf einer Internetplattform. Die Produktion kann dabei durch Privatpersonen, aber auch durch Organisationen wie Fernsehsender, Radiosender oder Unternehmen erfolgen. Der Begriff „Podcast“ kann sich auch auf Beiträge in Form von Videos beziehen. Die Produktion, das Bereitstellen und die Nutzung von Video-Podcasts stellen dabei wesentlich höhere Anforderungen an die eingesetzte Technik, als dies bei reinen Audio-Podcasts der Fall ist. Zur Abgrenzung wird für Video-Podcasts auch das Kunstwort „Vodcast“ verwendet. Seit Anfang der 2010er Jahre steht den Endverbrauchern eine große Anzahl von Podcasts zur Verfügung. Sie dienen dabei unterschiedlichsten Zwecken: Es finden sich beispielsweise ebenso Podcasts mit humoristischen Inhalten wie Podcasts zu religiösen oder politischen Themen. Podcasts in der Lehre Im Vordergrund kann bei dem Einsatz zu Bildungszwecken zunächst die Nutzung bestehender Podcast-Angebote durch die Lernenden stehen. Der Einsatz von Podcasts bietet dabei Möglichkeiten, die über den Einsatz von CDs oder DVDs mit entsprechenden Inhalten hinausgehen. Ein Podcast kann beispielsweise im Rahmen einer Lehrveranstaltung durch die Lernenden angehört und anschließend erörtert werden. Da Podcasts meist über das Internet und in elektronischer Form zur Verfügung gestellt werden, können die Lernenden zusätzlich und losgelöst von konkreten Örtlichkeiten und Zeiträumen auf die Inhalte zugreifen. Durch die Möglichkeit der mobilen Nutzung stehen den Lernenden die Podcasts nicht nur zu Hause, sondern beispielsweise auch auf Reisen oder bei längeren Wartezeiten zur Verfügung. Im Internet gibt es darüber hinaus spezielle Bildungsplattformen, die einen zentralen Zugang zu vielen Podcasts mit Lehrbezug anbieten36. Die Suche nach geeigneten Podcasts bleibt für den Lehrenden eine Herausforderung. Bei ausreichenden Kenntnissen und entsprechendem Engagement können Lehrende gemeinsam mit den Lernenden auch eigene Podcasts produzieren. Die Produktion eines eigenen, gemeinsamen Podcasts eröffnet allen Beteiligten viele Möglichkeiten, die weit über diejenigen der reinen Nutzung eines bestehenden Podcasts hinausgehen. Mit der Erstellung eines Podcasts sind vielschichtige Aufgaben verbunden: Von der inhaltlichen Vorbereitung mit der einhergehenden Vertiefung des in einer Lehrveranstaltung vermittelten Fachwissens über die Aufnahme und Nachbearbeitung der Audioaufzeichnungen bis hin zum Einsatz von Verfahren des Projektmanagements. Typischer Verlauf einer Podcast-Produktion Die Produktion eines Podcasts als Element der Lehre erfolgt in mehreren Schritten. Diese sind abhängig vom Wissensstand der Lernenden und der Lehrenden und unterscheiden sich dadurch auch in ihrer Dauer.

36

Vgl. Apple, 2013

42

Jens Reinhardt

Zunächst legt der Lehrende fest, ob er die Lernenden im Rahmen eines Podcasts interviewt oder ob Gruppen von Lernenden Beiträge produzieren. Bei einem Interview-Podcast werden Einzelne oder eine Gruppe von Lernenden durch den Lehrenden über die behandelten fachlichen Themen interviewt. Die Podcasts ähneln damit den klassischen Talkshows. Produzieren die Lernenden einen eigenen Beitrag über die gelernten, fachlichen Themen, so sind die entstehenden Podcasts eher mit Radiobeiträgen zu vergleichen. Die Dauer beider Podcasts kann zwischen wenigen Minuten und mehreren Stunden variieren. Natürlich gibt es Spielarten der genannten Varianten. Auch Mischformen sind denkbar. Podcasts können aus Interviews oder Diskussionsrunden, aber auch aus umfangreich recherchierten und produzierten Beiträgen bestehen. Für den Einstieg besitzt die Produktion eines Interview-Podcasts einen großen Vorteil: Bei den Interview-Podcasts entspricht die Aufnahmezeit in etwa der späteren Laufzeit des Podcasts. Bei der Erstellung von Beitrag-Podcasts hingegen kann die Aufnahmezeit, bedingt durch häufige Wiederholungen und Verbesserungen, die spätere Laufzeit bei Weitem überschreiten. Der typische Verlauf der Produktion eines Interview-Podcasts sieht wie folgt aus: 





 



In einem ersten Schritt informiert der Lehrende die Lernenden über das geplante Vorhaben. Wenn Interviews von Gruppen geplant sind, dann werden die Gruppen in einer geeigneten Weise zusammengestellt. Es empfiehlt sich, Lernende mit unterschiedlichen fachlichen und kommunikativen Stärken zu kombinieren, um ein ausgewogenes Gruppenbild zu erreichen. In einem zweiten Schritt werden die pro Interview zur Verfügung stehenden Zeiteinheiten (Slots) festgelegt. Dabei ist bei dem Interview von Gruppen zu berücksichtigen, dass für jeden Teilnehmer ein ausreichender Zeitraum eingeplant wird. Werden an einem Tage mehrere Interviews aufgezeichnet, so sind zusätzlich Wechsel- und Bereitstellungszeiten zu berücksichtigen. Der Lehrende stimmt mit den Lernenden die fachlichen Themen für das Interview ab. Im Gegensatz zu mündlichen Prüfungen geht es hier um das Vorbereiten ausgesuchter und abgeschlossener Teile einer Vorlesung oder eines Kurses. Das vollständige Themenspektrum der betroffenen Veranstaltung wird nicht in jedem Interview, sondern durch die Gesamtheit der Interviews abgedeckt. Der Lehrende kann in der Folgezeit für Fragen zur Verfügung stehen. Es bietet sich an, dass der Lehrende die Grundlagen des Verhaltens in Interviews und Tipps für die dabei meist notwendige Stressbewältigung vermittelt. Zu einem vorher festgelegten Zeitpunkt werden die Interviews aufgezeichnet. Der Interviewer muss dafür Sorge tragen, dass die Aufzeichnung durch den Lernenden als Interview und nicht als mündliche Prüfung wahrgenommen wird. Insbesondere bei der Arbeit mit Gruppen ist zusätzlich die Diskussionsbereitschaft zu fördern. Die aufgezeichneten Interviews werden nachbearbeitet. Unschöne Lücken, Störgeräusche oder Sequenzen mit Missverständnissen sollten entfernt werden. Die entstehenden Podcasts sind darüber hinaus so zu bearbeiten, dass die spätere Veröffentlichung dem Lernenden nicht zum Nachteil gereicht.

5 Podcasts 



43

Die Podcasts können auf einmal, in regelmäßiger oder loser Folge auf einer geeigneten Plattform im Internet veröffentlicht werden. Sie stehen dann einer eingeschränkten Gruppe oder ohne Einschränkungen allen zur Verfügung. In einem ersten Schritt kann eine Einschränkung auf die jeweilige Ausbildungsstätte die Hemmschwelle der Mitwirkenden senken. Gleichzeitig dokumentiert dies die Arbeit und das Ergebnis der Institution nach außen. In einem abschließenden Gespräch werden die Erfahrungen und Herausforderungen mit den Lernenden zusammenfassend diskutiert.

Die Produktion eines Podcasts in der Lehre lässt sich grob in die folgenden Schritte unterteilen: Vorbereitung, Aufzeichnung, Nachbearbeitung und Veröffentlichung

5.2

Lernziele

Vertiefen von Fachwissen Sowohl für die Produktion eines Beitrag-Podcasts als auch eines Interview-Podcasts müssen sich die Lernenden mit den relevanten fachlichen Themen der Vorlesung oder des Kurses auseinandersetzen. Die Lernenden realisieren, dass das von ihnen zu bearbeitende und vorzutragende Fachwissen einem breiten Publikum zur Verfügung steht. Der Lernende muss nicht nur den Lehrenden vom Vorhandensein seines Fachwissens überzeugen, sondern er muss das Fachwissen in geeigneter Form und für ein breites Publikum wiedergeben können. Förderung der kommunikativen Fähigkeiten Insbesondere Führungs- und Fachkräfte müssen frei und zielgerichtet sprechen können. Dies beginnt schon in kleineren Meetings und gilt insbesondere bei Vorträgen oder in Interviews. Das freie Sprechen vor einem Mikrofon ist eine Aufgabe, der sich Lernende bei der Produktion eines Podcasts stellen müssen. Für die Lernenden ist die Interview-Situation und das Wissen um eine Aufzeichnung mit anschließender Veröffentlichung eine praxisnahe Vorbereitung auf berufliche Situationen ähnlicher Art. Der Studierende lernt, dass einmal getätigte Aussagen nicht ohne weiteres vollständig zu revidieren sind. Im Gegensatz zu einer mündlichen Prüfung werden die Ausführungen nicht nur in einer Note zusammengefasst, sondern die gesamte Leistung in Form des veröffentlichten Podcasts ist Gegenstand zukünftiger Betrachtungen. Das durch den Lehrenden begleitete Anhören des eigenen Podcasts gibt dem Lernenden ein unmittelbares und intensives Feedback. Kritische Auseinandersetzung mit Medien Insbesondere bei der Nachbearbeitung können Interviews und Beiträge durch Schnitte, Filter und weitergehende Modifikationen stark verändert werden. Die Nachbearbeitung kann dabei im Sinne des Interviewten, aber auch zu dessen Nachteil geschehen. Beispielsweise kann durch kleine Verlängerungen oder Verkürzungen der durch einen Interviewten bewusst eingebauten Sprechpausen ein völlig anderer Höreindruck entstehen. Es ist sogar denkbar, dass die Reihenfolge der besprochenen Themen verändert oder Aussagen verfälscht werden.

44

Jens Reinhardt

Der Lernende erfährt dies unmittelbar. Dies hilft ihm, die Verlässlichkeit der von ihm zukünftig genutzten Medien einzuordnen.

5.3

Praktische Durchführung

Die zentralen Elemente der praktischen Durchführung sind die Aufzeichnung und die Nachbearbeitung. Die fachliche Vorbereitung stellt die Lernenden und die koordinierenden Lehrenden vor Herausforderungen, die mit denen fachlicher Haus- und Praxisarbeiten vergleichbar sind. Bei der Aufzeichnung und der anschließenden Nachbearbeitung hingegen spielen technische Aspekte und damit der Umgang mit Aufnahmegeräten und Computern eine große Rolle. Durchführung der Aufzeichnungen Die Aufzeichnung ist das zentrale Element der Produktion eines Podcasts. Aus den gesprochenen Worten wird durch Digitalisierung eine Audiodatei, welche am Rechner bearbeitet, im Internet veröffentlicht und später abgehört werden kann. Dem Mikrofon kommt hier eine besondere Bedeutung zu, da es die Qualität der Aufnahme entscheidend bestimmt. Die in vielen Notebooks eingebauten Mikrofone oder auch die Nutzung einfacher und preisgünstiger Mikrofone, die sich vergleichbar einem Kopfhörer direkt mit dem Notebook verbinden lassen, genügen den qualitativen Ansprüchen an einen Podcast meist nicht. Bei diesen Mikrofonen wird die Umwandlung der gesprochenen Worte in digitale Signale im Computer selbst vorgenommen. Dessen Bauelemente sind in der Regel nicht für die Produktion hochwertiger Audio-Aufzeichnungen vorgesehen. Zusätzlich können die fest eingebauten Mikrofone nicht auf die Sprecher ausgerichtet werden und sind durch die feste Verbindung mit dem Computer sehr anfällig für Störungen aller Art. Beim Einsatz externe Mikrofone mit einer gleichzeitigen, externen Umwandlung37 der gesprochenen Inhalte in digitale Daten können die genannten Probleme zum Teil umgangen werden. Hier finden sich schon Einsteigerlösungen im mittleren bis höheren, dreistelligen Eurobereich. Die meisten dieser Lösungen bestehen aus einer Komponente zur Digitalisierung und dem eigentlichen Mikrofon. Der Anschluss an den Rechner erfolgt beispielsweise über einen USB-Stecker. Das Mikrofon und die zur Digitalisierung eingesetzten Komponenten bestimmen maßgeblich die Qualität der Aufzeichnungen und des entstehenden Podcasts. Zur Aufnahme wird neben dem Mikrofon und der entsprechenden Komponente zur Umwandlung der gesprochenen Worte in digitale Audiodateien auch noch eine geeignete Software für den aufzeichnenden Computer benötigt. Programme für diese Zwecke gibt es viele. Neben günstigen Einsteigerversionen aus dem kommerziellen Bereich finden sich hier auch

37

Die Umwandlung von gesprochenen Inhalten zu digitalen Daten kann durch zusätzliche Hardware erfolgen. Es existieren aber auch Lösungen, bei denen die Umwandlung im Mikrofon geschieht.

5 Podcasts

45

professionelle Lösungen für mehrere Tausend Euro. Kostenfreie Open-Source-Produkte können in diesem Bereich aber ebenfalls gut eingesetzt werden38. Die Aufzeichnungen selbst sollten in einem ruhigen Raum vorgenommen werden. Besitzt man nur ein einzelnes Mikrofon, so sollten sich alle Gesprächspartner in geeigneter Weise um das Mikrofon versammeln. Es ist ratsam, einige Probeaufnahmen durchzuführen. Wenn der Lehrende das Interview durchführt und gleichzeitig die Aufnahmen starten und stoppen will, so sollte er das zur Aufnahme verwendete Programm gut kennen. Abhängig von den Zielen des Lehrenden ist es durchaus sinnvoll, wenn die noch nicht an der Aufnahme beteiligten Lernenden ebenfalls im Raum sind. Diese lernen so den Vorgang kennen und können sich auf ihre Aufnahme vorbereiten. Nachbearbeitung Im Laufe einer Aufnahme kann es immer zu Störungen kommen, die im Anschluss entfernt oder zumindest aufbereitet werden sollten. Zu unterscheiden ist hier zwischen der Nachbearbeitungen wegen inhaltlicher Fehler und der Nachbearbeitung wegen akustischer Störungen. Eine Nacharbeitung wegen inhaltlicher Fehler kann beispielweise notwendig werden, wenn ein Lehrender in einem Interview-Podcast versehentlich eine Frage zweimal stellt. Auch könnten Antworten auf Fragen so fehlerhaft sein, dass der Lehrende sich entscheidet, diese nicht zu veröffentlichen. Akustische Störungen können durch Geräusche jeder Art entstehen: Zu denken ist hier an zuschlagende Türen, klingelnde Mobiltelefone, Räusperer und vieles mehr. Zusätzlich können in einer Nachbearbeitung viele qualitätsverbessernde Arbeiten durchgeführt werden. Beispielsweise kann die Laufzeit auf eine bestimmte Länge gekürzt oder der Podcast kann mit einem geeigneten Vorspann oder Abspann versehen werden. Bei der Nachbearbeitung der Aufzeichnungen können akustische Störungen, aber auch kleinere inhaltliche Fehler korrigiert werden. Für die Nachbearbeitung existiert ebenfalls eine große Auswahl an Programmen, von denen viele sowohl für die Aufnahme, als auch für die Nacharbeiten eingesetzt werden können. Erneut reicht die Spanne dabei im kommerziellen Bereich von günstigen Einsteigerversionen bis zu mehreren tausend Euro teuren Lösungen für die professionellen Ansprüche eines Studios. Allerdings können selbst mit kostenfreien Open-Source-Produkten semiprofessionelle Ergebnisse erzielt werden39. Die Programme bieten in der Regel eine große Zahl von Bearbeitungsmöglichkeiten. Zu den üblichsten Möglichkeiten gehört sicherlich das Ausschneiden und Verschieben von Tonpassagen. Sowohl ungewünschte lange Pausen als auch Versprecher können auf diese Art und Weise entfernt werden. Darüber hinaus kann die Lautstärke über die gesamte Aufnahme hinweg auf ein Niveau gebracht werden und dergleichen mehr.

38 39

Vgl. Mazzoni, Audacity-Project, 2013 Vgl. Mazzoni, Audacity-Project, 2013

46

Jens Reinhardt

Der Einstieg in die Arbeit mit den Werkzeugen fällt meist leicht, jedoch erfordert der zielgerichtete Umgang einige Übung. Der Lehrende sollte sich daher mit den entsprechenden Programmen im Vorfeld vertraut machen oder auf erfahrene Kollegen oder Mitarbeiter zurückgreifen können. Nicht zu unterschätzen ist zusätzlich, dass die Nachbearbeitung abhängig von der gewünschten Qualität des fertigen Podcasts, sehr zeitaufwändig sein kann. Im Anschluss an die Produktion erfolgt die Veröffentlichung der Podcasts. Hierfür bieten die meisten in Universitäten, Fachhochschulen und Schulen eingesetzten Internet-Plattformen entsprechende Möglichkeiten an. Diese Publikationsart muss rechtzeitig mit den Verantwortlichen für diese Themen abgestimmt werden. Notengebung Der einfachste Weg der Leistungsbewertung besteht sicherlich darin, die Mitwirkung an der Produktion eines Podcast zur Pflichtleistung für das Bestehen eines Klassen- oder Kurszieles zu machen. Der Lernende muss an der Produktion teilgenommen haben, um sich beispielweise für weitere Prüfungen zu qualifizieren. Dieser Weg empfiehlt sich insbesondere, wenn der Lehrende noch keine Erfahrungen in der Produktion von Podcasts hat. In einer weiteren Stufe kann die Produktion eines Podcasts mit einer Note bewertet werden. Hier muss der Lehrende klar unterscheiden zwischen Leistungen bei der Produktion im engeren Sinne und Leistungen bei der Aufbereitung und Darstellung der fachlichen Inhalte. Insbesondere bei Interview-Podcasts kann dies dazu führen, dass der Lernende das Interview als mündliche Prüfung empfindet. Kreative, sich frei entwickelnde Interviews sind unter solchen Bedingungen kaum möglich.Werden die Leistungen bei der Produktion mit einer Note bewertet, sind die Rahmenbedingungen der Notengebung vorher den Lernenden zu erläutern.

5.4

Kritische Analyse

Vorteile Die Produktion von Podcasts kann der Lehre neue Impulse geben. Der Autor selbst durfte bei der Produktion zahlreicher Podcasts im Rahmen von Bachelor- und Mastervorlesungen Vorteile der Produktion kennenlernen: 





Podcasts kennen die Lernenden aus Ihrem Alltag. Ihnen ist die Bereitstellung von Inhalten im Internet bekannt. Mit der Produktion von Podcasts in der Lehre können die Lernenden über den reinen Konsum hinaus selbst kreativ tätig werden. Das kann großes Interesse an der aktiven Mitarbeit wecken. Podcasts werden veröffentlicht. Die Lernenden wissen daher, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit von einer großen Zahl von Personen eingesehen werden können. Dies kann positive Auswirkungen auf die Beschäftigung mit dem zu vermittelnden, fachlichen Stoff haben. Die Studierenden lernen Interview-Situationen kennen. Sie üben dabei nicht nur die freie Rede, sondern haben gleichzeitig auch den Anspruch auf die Vermittlung von fachlichem Wissen.

5 Podcasts

47

Herausforderungen Neben den genannten Vorteilen gibt es auch Herausforderungen, denen sich der Lehrende stellen muss. Darunter: 





Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen durch Lehrende und Lernende berücksichtigt werden. Im Zentrum stehen dabei Fragen, die sich aus der Veröffentlichung der Podcasts ergeben. So ist zu klären, ob die Lernenden einer Veröffentlichung zustimmen und ob die Veröffentlichung urheberrechtlich relevante Inhalte enthält. Der technische Aufwand steigt mit der gewünschten Qualität der Podcasts stark an. Je mehr die Podcasts ihren Charakter als Element der Lehre verlieren und je mehr die Podcasts zusätzlich als Medium und Werbeträger der jeweils veröffentlichenden Einrichtung gesehen werden, desto größer werden auch der Aufwand in der Produktion. Lernende müssen mit dem durch die freie Rede und die Aufzeichnung verursachten Stress umgehen. Einige können hierbei in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Der Lehrende sollte dies erkennen und die Lernenden entsprechend unterstützen.

48

Jens Reinhardt Zusammenfassung Podcast-Produktion

Kurzbeschreibung

Die Lernenden erstellen in Gruppen einen Podcast zu einem Fachthema oder werden zu diesem interviewt.

Vorgehen

       

Entscheiden, ob ein Interview-Podcast oder ein BeitragPodcast produziert werden soll. Zeitliche und inhaltliche Konzeption. Einführung in das Thema „Podcasts“. Bildung von Themengruppen. Vorbereitung der Themengruppen. Aufzeichnung der Podcasts. Nachbearbeitung der Podcasts. Veröffentlichung und Diskussion der Ergebnisse.

Lernziele

   

Wiederholung und Vertiefung von Fachwissen. Förderung der kommunikativen Fähigkeiten. Kritische Auseinandersetzung mit Medien. Förderung der Sozialkompetenz.

Voraussetzungen

  

Mikrofone/Wandler für die Aufnahmen. Programme zur Aufzeichnung und Bearbeitung. Bei internetbasierter Bereitstellung: Zugang zu Plattformen, die Podcasts bereitstellen können. Die Möglichkeit, Tonaufzeichnungen ungestört in ruhigen Räumlichkeiten durchführen zu können.

 Literatur und hilfreiche Links



 

Pritlove, Tim: „Die Wiederentdeckung der Langsamkeit – Warum Podcasts funktionieren“, Vortrag anl. der re:publica 2012, http://12.re-publica.de/panel/die-wiederentdeckung-derlangsamkeit-warum-podcasts-funktionieren/ Metaebene, personal media: „Tipps und Tricks zur Nutzung von Podcasts“, http://metaebene.me/tipps-und-tricks/ Portal „Schulpodcasting“: „Podcasting für die Schule und in der Schule“, http://www.schulpodcasting.info/

5 Podcasts

5.5

49

Literatur

Apple (Hrsg.), Apple Special Event 2001 – The first iPod introduction (part 1), http://www.youtube.com/watch?v=bz1ZWvZBGYM, Abrufdatum von YouTube: 26.4.2013 Apple (Hrsg.), iTunes U, http://www.apple.com/de/education/itunes-u/, Abrufdatum: 26.4.2013 ARD. (Hrsg). Tagesschau – Podcasts, http://www.tagesschau.de/infoservices/podcast/index.html, Abrufdatum: 27.4.2013 Mazzoni, D., Audacity-Project 2013, http://audacity.sourceforge.net, Abrufdatum: 27.4.2013 Mazzoni, D., Audacity-Screenshots, 2013, http://audacity.sourceforge.net/about/images/recording.png, Abrufdatum: 27.4.2013 Pritlove, T., re:ublica Sessions, 2012, http://12.re-publica.de/panel/die-wiederentdeckung-derlangsamkeit-warum-podcasts-funktionieren/, Abrufdatum: 26.4. 2013 Reinhardt, J., Info-Pool, 2013, https://olat.vcrp.de/olat/url/RepositoryEntry/48824638/CourseNode/83698226533318, Abrufdatum: 27.4.2013 Samson, CO1U Package Image, 2013, http://www.samsontech.com/site_media/legacy_docs/CO1U_Package_Img.jpg, Abrufdatum: 27.4.2013

Aktivitätsorientierte Lehre

6

Rollenspiele Achim Saulheimer „Das Rollenspiel eröffnet Schülern die Möglichkeit, soziale Verhaltensweisen in realitätsnahen Spielsituationen zu erproben, ohne dass sie bei entsprechendem Fehlverhalten ernsthafte Sanktionen befürchten müssen. Sie erhalten im Spiel die Möglichkeit, straffrei Erfahrungen zu sammeln.“ (Kaiser, Kaminski, 2012, S. 134)

Die Lehrmethode „Rollenspiel“ gewinnt in zahlreichen Aus- und Weiterbildungsfeldern, in der schulischen Unterrichtspraxis ebenso wie im Rahmen der Berufsausbildung, in der Personal- und Organisationsentwicklung und auch an Fachhochschulen und Universitäten an Bedeutung. Woran liegt das? Durch die Simulation realer, alltagsnaher Berufs- und Lebenssituationen (z. B. Kritikgespräch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter) erhalten die Teilnehmer die Chance, ihre individuellen sozialen, emotionalen und instrumentellen Handlungskompetenzen (z. B. Kooperationsbereitschaft, Konfliktfähigkeit, selbständiges Denken und Handeln, Frustrationstoleranz) aktiv zu erweitern, kritisch zu hinterfragen und in ihrem Alltag umzusetzen.40

6.1

Was ist ein Rollenspiel?

Das Rollenspiel ist ebenso wie das Planspiel und die Fallstudie eine spezielle Ausprägungsform des Simulationsspiels. Im Rollenspiel übernehmen die Teilnehmer als Akteure Rollen und realisieren spielerisch soziale Verhaltensweisen in simulierten Alltagssituationen, z. B. aus der Berufs- und Arbeitswelt. Ein Ziel dabei ist es, sowohl das eigene Rollenverhalten als auch das Verhalten der anderen Akteure direkt erlebbar zu machen. Diese Spielform als Lernund Erziehungsmittel ist deshalb dazu geeignet, Lernen nicht nur reizvoller zu gestalten41, sondern durch die Verbindung von kognitivem Lernen (über Wahrnehmung, Denken, Vorstellen und Urteilen) mit aktivem Handeln, in einer Rolle Interaktionen zu analysieren und dabei 40 41

Vgl. Stadler; Spörrle, 2008, S. 172 Vgl. Kaiser; Kaminski, 2012, S. 131

54

Achim Saulheimer

Schlüsselqualifikationen zu trainieren.42 In einer möglichst realitätsnahen Umgebung werden modellhaft reale Problemstellungen, in die sich die Teilnehmer in ihrer Rolle hineinversetzen, bearbeitet. Hierbei werden spielerische Elemente wie Kooperation und Wettbewerb mit Lebens- und Berufssituationen verbunden.43 Kaiser und Kaminski betonen, dass „Rollenspiele – vor allen anderen Methoden – geeignet sind, gesellschaftliche Konflikte zu erhellen, soziale Verhaltensweisen einzuüben und Lösungsstrategien zu entwickeln und zu erproben“.44 Auch Weidenmann sieht keine methodisch gleichwertige Alternative zum Rollenspiel, wenn es um Lernprozesse im Bereich von Einstellungen und Verhalten geht.45 Rollenspiele sind handlungsorientierte Lehrmethoden. Hierbei konsumieren die Lernenden nicht passiv, sondern bearbeiten aktiv den Lernstoff in Handlungssituationen, die in ihrer Lebenswelt auftreten können.46 Der Lehrende ist nicht reiner Inhaltevermittler wie beim Frontalunterricht. Er gestaltet die Lernumgebung als Moderator, indem er den systematischen Aufbau des Rollenspiels und die Strukturierung des Lernprozesses verantwortet. Er leitet und lenkt das Spiel, stellt Medien bereit, fasst Ergebnisse zusammen, wertet mit den Teilnehmern aus und gibt Aufgaben zur Herstellung des Transfers.47 Ansonsten wird von den Spielern möglichst viel selbst erkundet, erprobt, geplant und unter Umständen auch wieder verworfen: Die Rollenspieler durchstehen selbst Konfliktsituationen, analysieren die Folgen ihres Handelns, können eigene und fremde Wertmaßstäbe überprüfen und korrigieren.48 Sie erwerben das Know-how, wie sie verschiedene Problemstellungen bewältigen können.49 Tab. 6.1:

Merkmale des Rollenspiels im handlungsorientierten Unterricht

Merkmale

Erklärung

Ganzheitlichkeit

– Möglichst enger Praxisbezug – Fächerübergreifend – Selbständiges, selbsttätiges Lernen – Problemlösungsorientiert – Interaktionsbetonte Methoden Berücksichtigung von – vorhandenen Erfahrungen der Teilnehmer – Interessen, Kenntnissen etc. Rückschau auf – die Bewältigung der Aufgabe – den Lernprozess insgesamt

Aktivität des Lernenden

Zielgruppenorientierung

Reflexion

Quelle:

in Anlehnung an: Müller, Gidion (o. J.)

Im Rollenspiel agieren die Lernenden in einem Spielszenario miteinander. Weidenmann benennt einige typische Rollenspielszenarien: 

Verkaufstraining: Verkaufsgespräch mit einem „schwierigen“ Kunden

42

Vgl. Ameln; Kramer, 2007, S. 95 Vgl. Kaiser; Kaminski, 2012, S. 131 Ebd., S. 132 Vgl. Weidenmann, 2011, S. 105 Vgl. Euler; Hahn, 2007, S. 59 Vgl. Kaiser; Kaminski, 2012, S. 140 f. Vgl. ebd., S. 132 Vgl. Müller; Gideon (o. J.)

43 44 45 46 47 48 49

6 Rollenspiele    

55

Führungstraining: Kritikgespräch zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem Verhandlungstraining: Preisverhandlung beim Produktkauf Selbstsicherheitstraining: Bewerbungsgespräch Kommunikationstraining: Streit zwischen Kollegen, Schülern, Studierenden etc.50

Diesen Spielszenarien ist gemeinsam, dass einige Teilnehmer die zuvor festgelegten Rollen (z. B. Kunde, Vorgesetzter, Mitarbeiter) übernehmen, während andere Teilnehmer das Spiel in der Zuschauerrolle betrachten und in der folgenden Analyse Feedback aus ihrer Außenperspektive geben. Damit werden komplexe Themenbereiche (z. B. Führung, Kommunikation, Verhandlungsführung) illustriert, bestimmte Problemstellungen visualisiert (z. B. Reaktion des Mitarbeiters auf Kritik des Vorgesetzten), das eigene Rollenverhalten reflektiert sowie bestimmte Verhaltensweisen (z. B. Selbstsicherheit im Bewerbungsgespräch) trainiert.51 Vorbereitung und Verlaufsstruktur von Rollenspielen Rollenspiele bedürfen einer sorgfältigen Planung und Organisation. Im Trainingsalltag löst der Einsatz von Rollenspielen nicht selten Widerstände bei den Teilnehmern aus, wie „Die Realität ist doch ganz anders“ oder „Was soll dieses Spielen denn bringen?“ Insbesondere Berufspraktiker kritisieren die vermeintliche Künstlichkeit und monieren Praxisferne beim Rollenspiel. Außerdem scheuen vor allem spielunerfahrene Teilnehmer das Risiko, sich einer Blöße hinzugeben.52 Es ist sehr hilfreich, wenn die Lernenden mit sozialen Formen des Lernens vertraut sind und vor Durchführung eines Rollenspiels bereits in Partner- oder kleineren Gruppenarbeiten interagiert haben. So konnte sich Vertrautheit miteinander entwickeln. Bedeutsam ist vor allem, dass die Spieler Gelegenheit bekommen, Szenarien selbst so zu definieren, dass sie sich in ihrer schulischen bzw. beruflichen Wirklichkeit wiederfinden. Der Spielleiter verdeutlicht das Rollenspielkonzept und stellt den geplanten Ablauf beispielsweise anhand eines Flipcharts dar. Das sensibilisiert die Teilnehmer für die Methode und fördert die positive Einstellung zur Lerngruppe. Der Trainer sollte sich im Vorfeld des Rollenspiels mit der konkreten Lebenswelt der Teilnehmer systematisch beschäftigen und dafür Raum bei der Inszenierung und Auswertung des Rollenspiels schaffen.53 1. Teilnehmer für das Rollenspiel gewinnen/motivieren

Abb. 6.1:

50 51 52 53

2. Auf das Rollenspiel vorbereiten

3. Das Rollenspiel beobachten und auswerten

4. Verhalten üben, Vorsätze realisieren

Erfolgsdeterminanten für das Rollenspiel, Quelle: Darstellung in Anlehnung an Weidenmann (2001), S. 106

Vgl. Weidenmann, 2011, S. 98 Vgl. Ameln; Kramer, 2007, S. 94 Vgl. Weidenmann, 2011, S. 102 Vgl. ebd., S. 104

56

Achim Saulheimer

In Anlehnung an Steinchen54 lassen sich Rollenspiele in folgende Hauptphasen unterteilen: Motivationsphase In der Motivationsphase werden die Spieler in die Spielsituation eingeführt und auf das Rollenspiel vorbereitet. Der Spielleiter schildert als Spielimpuls beispielsweise einen sich zuspitzenden Konflikt, oder er arbeitet mit Bildern, Bilderfolgen, Kurzfilmen, die er an der Stelle abbricht, an der unterschiedliche Lösungsansätze entwickelt werden können.55 Hier kann dann das improvisierte, spontane Rollenspiel ansetzen: Die Akteure haben große Wahlfreiheit bei der Rollenübernahme und -definition, sie gestalten den weiteren Spielablauf relativ frei und kreativ, ohne dass zuvor Handlungsalternativen vorgegeben wurden (sog. „role-creating“).56 Beim angeleiteten Rollenspiel sind demgegenüber Vorüberlegungen, Planung, Durchführung und Nachbereitung stark systematisiert. Vorgegebene Rollen mit nur geringer Variationsfreiheit werden übernommen (sog. „role-taking“).57 Die angeleitete Variante ist besonders bei Schülern und Auszubildenden zu empfehlen, da hier Situationen bearbeitet werden, die über die bisherige Erfahrungswelt der Lernenden hinausgehen und auf zukünftige Lebenssituationen vorgreifen. Eine bewusst geschaffene Situation wird von den Akteuren innerhalb eines vorgegebenen Zeitfensters in spielerischer Interaktion bewältigt.58 Aktionsphase Im angeleiteten Rollenspiel werden die Rollen übergeben und Beobachteraufträge an die nichtspielenden Teilnehmer verteilt. Die Rollenübergabe erfolgt mit Rollenkarten, die die Rollenbeschreibungen enthalten. Innerhalb der Aktionsphase (während des eigentlichen Spiels) bietet sich das methodische Prinzip des Rollenwechsels an: Zum Beispiel tauschen zwei Akteure ihre Rollen miteinander und führen das Rollenspiel fort oder wiederholen dieselbe Spielsituation in einem zweiten Durchgang. Beispielweise wird der Vorgesetztenakteur zum Mitarbeiterakteur und umgekehrt. Ebenso ist ein Spielerwechsel möglich, bei dem ein Akteur durch einen anderen ersetzt wird, der die gleiche Rolle nun in seinem Stil fortsetzt. Das methodische Prinzip „Leerer Stuhl“ greift dann, wenn ein Rollenspieler sich selbst in einer bereits erlebten oder vorweggenommenen Situation spielt und das Gegenüber durch einen leeren Stuhl symbolisiert ist. Sodann setzt sich der Rollenspieler auf den leeren Stuhl, übernimmt die Rolle des Gegenübers und agiert daraus mit sich selbst (Perspektivenwechsel). Beispiel: Der Mitarbeiter spricht zu seinem Vorgesetzten auf dem leeren Stuhl über ein Konfliktthema, wechselt dann selbst auf den leeren Stuhl und agiert nun als Vorgesetzter aus dessen Perspektive.59

54 55 56 57 58 59

Vgl. Steinchen, 1974, S. 274, zitiert nach Kaiser; Kaminski, 2012, S. 134 Vgl. Kaiser; Kaminski, 2012, S. 134 Vgl. Schaller, 2006, S. 63 und Stadler; Spörrle, 2008, S. 176 Vgl. Stadler; Spörrle, 2008, S. 176 Vgl. Bontrup, 2000, S. 236 Vgl. Weidenmann, 2011, S. 100 f.

6 Rollenspiele

57

Informationen der Rollenkarten (Rollenbeschreibungen)60:     

zur Person (z. B. Name, Alter, berufliche Situation, biografische Daten) zur Funktion in der Organisation (z. B. hierarchische Stellung, Aufgabe) zur Situation bzw. zu den Rahmenbedingungen des zu spielenden Szenarios (z. B. Produktangaben, Marktposition, Unternehmensstrategie) zur Zielsetzung, Motivation, Einstellung (z. B. Haltung zu Mitspielern, im Spiel zu verfolgende Ziele) zur Ausgangssituation (z. B. Ort, Zeit, Raum der Handlung, Vorgeschichte, Intentionen)

Reflexionsphase In der Reflexionsphase tragen die Teilnehmer die Ergebnisse am Flipchart oder an der Tafel zusammen und diskutieren darüber. Beobachtungsaufgaben sind bereits vor Spielbeginn festgelegt worden. Die einzelnen Beobachter-(gruppen) füllen dann während der Aktionsphase ihre Arbeitsbögen aus und halten darin ihre Beobachtungen, Anmerkungen und Fragen fest. Sinnvoll ist eine mehrmalige Wiederholung der Spielphasen und der anschließenden Reflexion, so dass sich Vergleichsmöglichkeiten ergeben, die die Generalisierung mit Blick auf die (schulische, berufliche oder private) Realität erleichtern.61

6.2

Lernziele

Fachkompetenz Im Zuge des Einsatzes von Rollenspielen in der ökonomischen Ausbildung kann Fachwissen über wirtschaftliche und soziale Systeme wie beispielsweise Unternehmen anschaulich erlangt und verfestigt werden. Inhaltlich setzen sich die Lernenden etwa mit verschiedenen Anspruchsgruppen (z. B. Mitarbeiter, Vorgesetzte, Kunden, Lieferanten), Marktsituationen, Marktentwicklungen, Wettbewerbsfaktoren etc. auseinander. Sie gewinnen damit eine Orientierung, wie komplexe Zusammenhänge, Anforderungen, Widersprüche eingeordnet und strukturiert werden können. Elemente wie Kooperation, Regeln und Wettbewerb in Lebensund Berufssituationen werden in einen fachlichen Kontext eingebunden. Beispielsweise könnte im Rollenspiel die Bedeutung von Veränderungsprozessen (Wettbewerbsveränderungen, betriebliche Umgestaltungen, Abwehr drohender Insolvenz etc.) in ihrer Vielschichtigkeit und Konsequenz verdeutlicht werden.62 Soziale Kompetenz Die Teilnehmer lernen wesentliche Aspekte von Gesprächsführung und -lenkung kennen, setzen diese spielerisch um und trainieren ihr Diskussionsverhalten. Indem sich die Rollenspieler in andere hineinversetzen (Empathie), andere Einstellungen, Erwartungshaltungen, Bedürfnisse, Werte kennen- und akzeptieren lernen (Ambiguitätstoleranz), Haltungen kritisch hinterfragen, entwickeln sie ein tieferes Verständnis für eigenes und fremdes Rollenver-

60 61 62

Vgl. Ameln; Kramer, 2007, S. 96 und Schaller, 2006, S. 18 Vgl. Bontrup, 2000, S. 233 Vgl. hierzu exemplarisch das Rollenspiel zu Veränderungsprozessen in Unternehmen bei Kaiser, Kaminski, 2012, S. 141 f.

58

Achim Saulheimer

halten. Neu erlerntes Wissen hierzu können sie anwenden, festigen und überprüfen.63 Soziale Rollen können in ihren Anforderungen, Verhaltensweisen und Grenzen besser verstanden und an die persönlichen Bedürfnisse angepasst werden (Rollendistanz), so dass künftige Konfliktsituationen erfolgreicher bewältigt werden können.64 Methodische Kompetenz Rollenspieler verbessern schließlich ihre methodischen Fähigkeiten. Sie erlernen Fragetechniken, Gesprächsstrukturierung, Argumentationstypen und erwerben damit Kommunikationskompetenz. Durch die Beobachtung von Verhalten können Sach- und Beziehungsebene bewusst unterschieden werden. Soziale Fähigkeiten und Fertigkeiten werden systematisch trainiert und damit die eigene Handlungsfähigkeit optimiert. Schließlich schulen Rollenspiele auch das Organisationsgeschick, indem die Teilnehmer Ergebnisse dokumentieren und Präsentationstechniken üben. Zusammenfassend werden angelehnt an Schaller drei wesentliche Lernbereiche dargestellt: Tab. 6.2:

Lernbereiche im Rollenspiel

Kognitive Lernziele (Wissen, Kennen, Verstehen)

Affektive Lernziele (Gefühle, Einstellungen, Werte)

Psychosoziale Lernziele

Wissensinhalte erwerben Betriebsabläufe verstehen sich in Unternehmen, Organisationen orientieren Handlungsstrategien entwickeln Regeln und Normen erkennen und damit umgehen Wertvorstellungen erkennen und hinterfragen Probleme analysieren Sachzusammenhänge verdeutlichen und reflektieren Entscheidungsprozesse darlegen Interessenkonflikte erkennen Machtstrukturen, Hierarchien verstehen und einordnen eigene Fähigkeiten, Stärken und Schwächen reflektieren Selbst- und Fremdbild überprüfen

sich in fremde Rollen/ Situationen einfinden eigene Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen persönliche Flexibilität erweitern eigene Ambivalenzen erkennen Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit fördern (Handlungs- und Entscheidungskompetenz) Spontanität/ Kreativität ausbauen Gruppendynamik fördern Toleranz und Solidarität fördern emotionale Anteile von Handlungen erkennen und verstehen

Verantwortungsfähigkeit fördern Kooperationsbereitschaft/ Teamfähigkeit fördern Selbstsicherheitstraining Kommunikationstraining zur Steigerung der kommunikativen Kompetenz (z. B. aktives Zuhören) Verhaltenstraining (z. B. Führungstraining, Verhandlungstraining, Selbstsicherheitstraining) Verbesserung rhetorischer Fähigkeiten Training psychomotorischer Fertigkeiten (Bewegungsabläufe) Adäquates Rollenverhalten

Quelle:

6.3

angelehnt an Schaller (2006), S. 192

Praktische Durchführung

Für die Durchführung des Rollenspiels ist eine didaktische Anleitung unverzichtbar. Auch wenn der Spielleiter nur im Hintergrund agiert und in das Spielgeschehen nur bei begründetem Anlass (z. B. Konfliktzuspitzung, starke emotionale Involvierung der Akteure) eingreift, ist dennoch ein systematisch-methodischer Aufbau zur Strukturierung der Lernprozesse 63 64

Vgl. Meyer, 1994, S. 362 Vgl. http://wirtschaft-lernen.de/start/demo_methodik/K6_5.html, Abruf 22.04.2013

6 Rollenspiele

59

notwendig. Anhand eines beispielhaften angeleiteten Rollenspiels „Konfliktlösung im Mitarbeitergespräch“ soll der Ablauf mit der Bedeutung der einzelnen Phasen exemplarisch erläutert werden.65 In diesem Rollenspiel interagieren zwei Spieler: Vorgesetzter und Mitarbeiter. Grundlage ist eine vorangegangene Beratungssituation zwischen dem Mitarbeiter und einem Kunden. Das Szenario spielt sich in einer Bank ab. Neben den aktiven Spielern fungieren die nicht aktiv mitspielenden Teilnehmer als Beobachter und Interpreten des Geschehens. Zum Spielbeginn stehen folgende Informationen und Hilfsmittel zur Verfügung66: 1. Informationskarte mit Beschreibung der Ausgangssituation (für alle) 2. Spielszene: Büro des Vorgesetzten (für alle) 3. Rollenkarte Bankmitarbeiter (für den betreffenden Spieler) 4. Rollenkarte Vorgesetzter (für den betreffenden Spieler) 5. Spielleiterkarte „Ablauf des Rollenspiels“ (für den Spielleiter) 6. Beobachterbogen zur Konfliktanalyse (für die Beobachter) Informationskarte mit Beschreibung der Ausgangssituation Ort des Rollenspiels ist die Filiale einer großen Bank; heute findet der alljährliche Weltspartag statt, es herrscht reger Kundenandrang. Die Bankmitarbeiter haben alle Hände voll zu tun, um für eine reibungslose Abwicklung zu sorgen. Neben vielen Aktionen, u. a. einer Verlosung, läuft der reguläre Geschäftsbetrieb an diesem Tag normal weiter. Gerade berät Herr Hartmann, Mitarbeiter der Privatkundenabteilung, einen Neukunden, Herrn Weiners, der sich nach Anlagemöglichkeiten für einen Betrag in Höhe von 10.000 Euro erkundigen möchte. Das Beratungsgespräch dauert etwa eine Stunde, Herr Hartmann gibt sich viel Mühe, um den Kunden für eine geeignete Anlageoption zu gewinnen. Offensichtlich kommt es allerdings nicht zu einer konsensfähigen Lösung, da Herr Weiners schließlich ziemlich aufgebracht und laut schimpfend die Filiale verlässt. Mit den Konditionen, die ihm angeboten wurden, war er nicht einverstanden. Er will sich nun bei der Konkurrenz umhören. Der Vorgesetzte von Herrn Hartmann, Filialleiter Herr Müller, hat die Schlussszene verfolgt. Er hat auch mitbekommen, wie sich der Dialog zwischen dem Bankmitarbeiter und Herrn Weiners gegen Gesprächsende entwickelt hat. Der Neukunde ist verloren, nun bittet Herr Müller seinen Mitarbeiter zum Gespräch. Das Rollenspiel spielt sich im Büro des Filialleiters ab. Die Szenerie wird verdeutlicht durch einen Schreibtisch, an dem sich die beiden Akteure gegenüber sitzen. Die Beobachter positionieren sich so, dass sie das Rollenspiel gut beobachten können.

65

66

Dieses Rollenspiel wurde in ähnlicher Form im Zusammenhang mit einem Potenzialanalyse-Assessment Center der Fachhochschule Mainz gemeinsam mit einer großen regionalen Bank zur Auswahl von Förderkreiskandidaten im Rahmen eines Nachwuchsförderprogramms durchgeführt. Es eignet sich jedoch genauso auch für den Wirtschaftskundeunterricht bzw. für Seminare im Aus- und Weiterbildungskontext. Vgl. Bontrup, 2000, S. 236 f.

60

Achim Saulheimer

Rollenkarte Mitarbeiter Sie arbeiten in der Privatkundenabteilung einer großen Bank und beraten auch Inhaber kleiner Konten. Heute kümmern Sie sich gemeinsam mit Ihren Kollegen neben Ihren regulären Aufgaben auch um den reibungslosen Ablauf des Weltspartages. Soeben haben Sie ein Gespräch mit einem ca. 60jährigen Neukunden, Herrn Georg Weiners, geführt, der 10.000,– € anlegen möchte. Sie haben ihm verschiedene Alternativen aufgezeigt und ihm schließlich zu festverzinslichen Wertpapieren geraten. Trotz des hohen Arbeitsaufkommens haben Sie sich etwa eine Stunde Zeit für den Kunden genommen und die Gewinnchancen bei verschiedenen Anlageformen aufgezeigt. Ihr Gesprächspartner hat dies recht mürrisch zur Kenntnis genommen. Schließlich hat er zum Ausdruck gebracht, das Geld nur kurzfristig als Festgeld anlegen zu wollen. Auch wolle er sich wegen besserer Konditionen bei der Konkurrenz umhören. Sie haben ihm daraufhin den marktüblichen Zinssatz für Festgeld angeboten. Darauf hat der Kunde gesagt, dies wäre ja nun wohl eine Frechheit und demonstriere die Unverschämtheit der Bank. Bei einem großen Firmenkunden würde sich die Bank das niemals erlauben. Etwas gereizt erwiderten Sie, er könne ja seine 10.000,– € wieder mit nach Hause nehmen. In diesem Augenblick ist Ihr Vorgesetzter, der Filialleiter, am Schalter vorbeigegangen. Nachdem der Kunde die Bank verlassen hat, bittet Ihr Chef Sie zum Gespräch. Sie sind emotional aufgebracht und fühlen sich im Recht. Sie wissen auch, dass Ihr Verhalten auf Dauer negative Konsequenzen haben würde. Rollenkarte Vorgesetzter Sie sind als Filialleiter in einer Bank tätig. Der Wettbewerb ist äußerst hart. Dies gilt umso mehr, als an Ihrem Ort die Filiale einer Konkurrenzbank eröffnet wurde. Der Handlungsspielraum, den Sie in Bezug auf die Gewähr von Konditionen haben, ist sehr eng. In einem Rundbrief des Vorstands ist eindringlich darauf hingewiesen worden, das Schalterpersonal zu freundlichem Verhalten den Kunden gegenüber zu ermuntern. Angesichts der Konkurrenzlage soll damit die Bindung der Bestandskunden an das Unternehmen gewährleistet werden und neue Kunden sollen gewonnen werden. Dies entspricht auch Ihrer persönlichen Überzeugung. Sie gehen soeben durch die Schalterhalle Ihrer Filiale. Heute findet der Weltspartag statt, die Mitarbeiter haben alle Hände voll zu tun, bei regulärem Bankbetrieb. Da hören Sie, dass Ihr ansonsten freundlicher Mitarbeiter, Thomas Hartmann, einem Kunden in grobem Ton sagt, er solle doch sein Geld wieder mit nach Hause nehmen, man sei darauf nicht angewiesen. Sie ärgern sich sehr. Erst gestern haben Sie alle Mitarbeiter zu besonderer Höflichkeit ermahnt. Kaum hat der Kunde, sichtlich erbost, den Schalterraum verlassen, bitten Sie Herrn Hartmann zu einem Gespräch in Ihr Büro. Ihr Ziel ist es, Herrn Hartmann klar zu machen, dass ein solches Verhalten keinesfalls zu tolerieren ist.

6 Rollenspiele

61

Weiterhin ist sinnvoll, auch das Kunden-Mitarbeiter-Gespräch im Rollenspiel zu simulieren, ohne dass an dieser Stelle weiter darauf eingegangen wird. Nachdem die Teilnehmer über die konkrete Spielsituation informiert sind (Informationskarte), Spielregeln und Rahmenbedingungen wie z. B. Zeitvorgaben besprochen wurden, die Gruppe durch Einstiegsübungen motiviert ist (Herstellen von Vertrautheit in der Gruppe), kann die Vorbereitungsphase beginnen. Zum Einfinden der Spieler in ihre Rollen ist es ratsam, die Sozialform der Gruppenarbeit zu wählen: Hier können gemeinsam Argumente gesammelt und Verhaltensstrategien diskutiert werden, was die Qualität der Ergebnisse regelmäßig befördert. Außerdem eignet sich Gruppenarbeit als Motivationsinstrument, wenn zunächst nicht klar ist, wer als Spieler und wer als Beobachter aktiv wird. Bei Rollenvergabe zum Ende der Vorbereitungsphase (z. B. Freiwilligkeitsprinzip oder Auslosung) wird die Gruppenarbeit erfahrungsgemäß intensiver, solange jeder davon ausgehen muss, in die Spielerrolle zu schlüpfen. Die Ankündigung mehrere Spieldurchläufe mit erneuter Rollenvergabe/ Rollentausch trägt ebenso zur Motivation aller Akteure bei.67 Alle nichtspielenden Teilnehmer erhalten Beobachtungsaufträge, die sie während des Spiels bearbeiten, indem sie wesentliche Punkte festhalten. Die Durchführung des Rollenspiels kann mehrfach wiederholt werden, so dass verschiedene Akteure die Rollen übernehmen können und sich das Spektrum der Variationsmöglichkeiten insgesamt erhöht. Nach jeder Runde wird eine Diskussionsrunde eingelegt, die festgehaltenen Argumente werden diskutiert. Es ist davon auszugehen, dass jede weitere Spielrunde auf einem qualitativ höherwertigen Niveau stattfindet, da die Vorergebnisse der jeweiligen Diskussionsrunde in das Folgespiel mit einfließen können. Demnach ergibt sich folgender systematischer Verlauf des Rollenspiels, an dessen Ende eine Transferphase steht, die es erlaubt, die gewonnenen Erkenntnisse zu verallgemeinern und generelle Problemlösestrategien für Situationen beispielsweise der beruflichen Praxis zu entwickeln.

67

Vgl. http://wirtschaft-lernen.de/start/demo_methodik/K6_3.html, Abruf 18.04.2013

62 Tab. 6.3:

Achim Saulheimer Spielleiterkarte „Ablauf des Rollenspiels“

Motivations/Informationsphase

– –

Vorbereitungsphase für das Rollenspiel

– – – –

Durchführungsphase (ggf. mit Wiederholungen bei mehreren Runden) Diskussionsphase (nach jeder Rollenspielphase) Finale Reflexions-/ Ergebnisphase

– – – – – – – – –

Generalisierungsphase

– –

Transferphase

– –

Quelle:

„Aufwärmen“ der Gruppe Konfrontation mit der Problemstellung mit Darstellung der Ausgangssituation, Ausgangsbedingungen Lesen der Informationskarte durch alle Teilnehmer Aufteilung der Rollen mit Verteilung der Rollenkarten, Szenarioplanung Lesen der Rollenkarten (in Gruppen), bei Bedarf Recherche von Informationen, gemeinsames Sammeln von Argumenten und Entwicklung einer Verhaltensstrategie Auswahl der Rollenspieler aus den Gruppen, Zuweisung Beobachter (Freiwilligkeitsprinzip) Verteilung der Beobachtungsaufträge (Beobachterbögen) Spielen der Rollen Beobachter beobachten das Rollenspiel und füllen die Beobachtungsbögen aus Bei mehrmaligem Durchlauf Rollen austauschen bzw. wechseln/neu besetzen durch andere Gruppenteilnehmer Diskussion der Argumente, des Verhaltens, der Gefühle der Rollenspieler Ergebnisauswertung Austausch, Wechsel der Rollen mit erneuter Spielphase abschließende Diskussion des Spielverlaufs/ der Spieldurchgänge mit verschiedenen Rollenspielern Zusammenfassung der Argumente (z. B. an der Tafel oder Flipchart), Vergleich der verschiedenen Durchgänge unter Zuhilfenahme der Beobachtungsbögen Diskussion der gewählten Lösungsansätze Erarbeitung verallgemeinernder Erkenntnisse (induktives Vorgehen), zum Beispiel: Welche Erkenntnisse für die Mitarbeiter-Kunden-Beziehung im Beratungsgespräch lassen sich entwickeln? Welches Führungsverhalten des Filialleiters erscheint in dieser Situation angemessen (langfristige Lösungsstrategie)? z. B. Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten im Konfliktgespräch, Methodik konstruktiver Konfliktbewältigung, Umgang mit Beziehungsund Sachkonflikten z. B. Erarbeitung von Kriterien erfolgreicher Führung

Vgl. Bontrup, 2000, S. 239 und Kaiser, Kaminski, 2012, S. 136 und S. 143 f.

6 Rollenspiele

63

Die beobachtenden Teilnehmer erhalten Beobachtungsaufträge, die ihr Verhalten systematisieren. Indem den Beobachtern Fragen an die Hand gegeben werden, wird der Spielablauf unter festgelegten Fragestellungen/ Kategorien betrachtet, was die Analyse erleichtert. Ein Beobachterbogen zur Konfliktanalyse kann wie folgt aufgebaut sein: Tab. 6.4:

Beobachterbogen zur Konfliktanalyse

Konfliktkategorie

Fragen, z. B.

1. Konfliktgegenstand

Worum geht es bei dem Konflikt? Wird der Konflikt in der Spielszene klar benannt? Wird er verschleiert? Welche Konfliktursachen sind erkennbar? Wie argumentiert der Vorgesetzte gegenüber dem Mitarbeiter? Wie argumentiert der Mitarbeiter gegenüber dem Vorgesetzten? Wie wird der Konflikt ausgetragen? Erfolgt die Auseinandersetzung eher sachlich oder gefühlsbetont? Wie sind Durchsetzungsvermögen und Überzeugungskraft der Gesprächspartner ausgeprägt? Welche Stärken und Schwächen zeigen die Gesprächspartner? Wer verhandelt geschickter? Wie begründen die Konfliktparteien ihre Meinungen/ Handlungen? Kommt es zu einer Lösung des Konflikts? Wenn ja, zu welcher? Wenn nein, warum nicht?

2. Konfliktursachen 3. Stellung der Konfliktparteien zueinander 4. Art und Weise der Konfliktaustragung

5. Argumentation 6. Konfliktverlauf/ergebnis Quelle:

Vgl. Bontrup, 2000, S. 240 und Kaiser, Kaminski, 2012, S. 144

Der Beobachtungsbogen dient als Grundlage für die Auswertung des Rollenspiels. In den Diskussionsphasen und vor allem in der Reflexionsphase werden Argumente und Verhalten ausgewertet. Der Ausdruck von Emotionen kann gefördert werden, indem die Teilnehmer aktives Zuhören üben, ihre Gefühle und die des Spielpartners verbalisieren, Sachverhalte nachfragen und hinterfragen.68 Für die weitere Rollenspielauswertung empfiehlt sich in Anlehnung an Weidenmann ein Drei-Stufen-Modell69: Kollegiales Feedback Die Beobachter vermerken kritische Rückmeldungen zu den Spielern auf Karten, die an eine Metaplanwand geheftet und von allen gelesen werden. Der Spielleiter fragt den betreffenden Rollenspieler, wie es ihm mit diesen Beobachtungen ergeht, ob etwas Neues für ihn dabei ist und er ggf. noch mehr zu bestimmten Karten erfahren möchte. Die Beobachter geben nur dann Feedback, wenn der betreffende Spieler sie darum bittet. Professionelles Feedback Der Spielleiter gibt den Rollenspielern Rückmeldung, aus seiner Außenperspektive, weist darauf hin, was ihm aufgefallen ist, bietet Änderungsvorschläge an und Unterstützung bei der Umsetzung.

68 69

Vgl. Kaiser; Kaminski, 2012, S. 145 Vgl. Weidenmann, 2011, S. 115

64

Achim Saulheimer

Änderungsdialog Der Spielleiter regt den Rollenspieler an, aus allen Beobachtungen eine Auswahl zu treffen, mit der er in die konkrete Umsetzung starten möchte. Vorsätze für eine spätere Übungsphase können gebildet und dort dann überprüft werden.

6.4

Kritische Analyse

Vorteile Rollenspiele kleiden Lernprozesse in Spielform, verwandeln Unterricht bzw. Seminare zu spielerischen und Freude bereitendem Tun und gestalten somit das Lernen reizvoller.70 Teilnehmer werden als Lernende in didaktisch aufbereiteten Rollenspielen mit vorgegebenen Konflikt- und Problemsituationen konfrontiert, die sie im Rollenspiel durch spielerisches Handeln bewerkstelligen.71 Als handlungsorientiertes Verfahren setzen Rollenspiele direkt am Verhalten der Person an. Durch Übung und Erprobung von Verhaltensalternativen gelangen die Lernenden zu neuen Problemlösungen. Sie erweitern durch die Rollenübernahme und aktives Spielen ihr Rollenrepertoire. Die Rollenspielforschung konnte bereits recht früh experimentell nachweisen, wie das Beleben einer Rolle im Spiel die Einnahme dieser Rolle im Alltag erleichtert, die Rollenübernahme durch wiederholtes Spielen verbessert und das spätere Rollenhandeln im Alltag insgesamt effektiver macht.72 Eine Wiederholung stärkt Handlungsmuster, die dann deutlicher handlungsleitend wirken als nur einmal geübte Handlungsabläufe, so dass Wiederholungen im Rollenspiel für eine stabilere Verankerung der betreffenden Verhaltensweisen sorgen und den Transfer in die Realität erleichtern.73 Schließlich kann im Rollenspiel nicht nur das eigene Rollenverhalten, sondern auch das der anderen Spieler erforscht werden. Beispielsweise könnte ein Vorgesetzter in einem Seminarszenario, in Anlehnung an das dargestellte Rollenspiel, die Rolle des Mitarbeiters übernehmen und umgekehrt. Durch den reziproken Rollenwechsel wird eine andere Rollenerfahrung als die des gewohnten (beruflichen) Alltags ermöglicht. Der Perspektivenwechsel bedeutet eine Rollenerweiterung und hilft bei der Überprüfung und Bewertung und ggf. Korrektur eigener und fremder Wertungsmaßstäbe.74 Kognitives Wissen wird damit in seinen sozialen und emotionalen Aspekten bei den Teilnehmern erlebbar gemacht und verankert, Situationen werden in ihrer Komplexität sichtbar, Verständnisfragen, Herausforderungen bzw. Probleme beim Ausprobieren direkt bearbeitet und neu erlerntes Verhalten leichter in den (Unternehmens-/Schul-/Studien-)alltag integriert.75 Rollenspiele sind daher geeignet, Verhaltensänderungen zu ermöglichen, neue Lösungswege in einem geschützten Rahmen auszutesten, Experimentierverhalten zu fördern, aus Fehlern anschaulich zu lernen. Die Lernziele sind dabei ganzheitlich angelegt; Zielsetzung ist nicht einzig die Erweiterung von Fach- und Sprachkompetenz, sondern die Verfolgung umfassender Aspekte, die Verbindung vom Denken ins konkrete Erleben und Handeln. Die Konfrontation mit 70 71 72 73 74 75

Vgl. ebd., S. 131 Vgl. ebd., S. 133 Vgl. Mann; Mann, 1959, S. 67 ff., zitiert nach Stadler; Spörrle, 2008, S. 183 Vgl. Stadler; Spörrle, 2008, S. 181 Vgl. Kaiser; Kaminski, 2012, S. 132 Vgl. ebd., S. 102 f.

6 Rollenspiele

65

unterschiedlichen Wertvorstellungen erhöht zudem die Chance zur Offenheit gegenüber anderen Auffassungen, unterstützt also auch den Umgang mit entgegengesetzten Interessen und Bedürfnissen im Sinne einer erhöhten Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz. Herausforderungen Die Umsetzung einer Vielzahl didaktischer Grundsätze im Rollenspiel (beispielsweise Motivierung, Problemorientierung, Praxisnähe, Anschaulichkeit, Aktivierung im Sinne verstärkter Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit der Lernenden) sprechen für die Methode Rollenspiel. Das Rollenspiel fördert und fordert ganzheitliches Denken und Handeln und schließt Lerninhalte und Lernziele der oberen Taxonomiestufen ein, beispielsweise Analyse, Abwägung, Entscheidung, Beurteilung, Begründung, Beratung.76 Die Lernenden müssen demnach bereits über grundlegende Kompetenzen verfügen, um mit dem Rollenspiel nicht überfordert zu werden. Es ist empfehlenswert, diese Kompetenzen schrittweise zu entwickeln, indem verstärkt Sozialformen des Lernens wie Gruppen- und Partnerarbeit in die Lehre integriert werden. Die Entwicklung einer Fehlerkultur („Trial and Error“) fördert das für das Rollenspiel unabdingbare Experimentierverhalten.77 Schließlich müssen die Rollenspieler über notwendige Fachkenntnisse verfügen, die in einer Vorphase, beispielsweise im Unterricht der vorausgehenden Wochen, zu vermitteln sind (relevante Begriffe zum Thema werden erläutert).78 Dies beugt auch der Gefahr vor, dass das Rollenspiel eventuell zu weit vom Erfahrungsbereich der Lernenden entfernt ist (Beispiel: Rolle eines Gewerkschafters, in die sich Schüler möglicherweise schwieriger einfinden); hierbei helfen ausdifferenzierte, anschauliche Rollenkarten, die von den Teilnehmern auch eigenständig erarbeitet werden können.79 Anhand der Vielzahl von Phasen eines Rollenspiels wird deutlich, dass mit entsprechendem Zeitfenster zu kalkulieren ist und Einarbeitungszeiten erforderlich sind. Je näher das Rollenspiel außerdem an realistische Situationen beispielsweise des beruflichen Alltags heranreicht, umso leichter lassen sich auch Skeptiker für diese Methode gewinnen, da das Lernpotenzial damit einsichtiger wird. Rollenspiele dienen der emotional-kognitiven Analyse von Problem- und Lernsituationen, wird im Rollenspiel in simulierten Situationen menschliches Verhalten z. B. im Beruf exploriert. Hier sind komplexe interaktive Gefühls-, Denk- und Verhaltensprogramme involviert.80 Von daher braucht es auf Seiten der Spielleitung guter psychologischer und pädagogischer Expertise, um bei pathologischen Entwicklungen in der Lerngruppe frühzeitig intervenieren zu können. Darüber hinaus ist Fachkompetenz hinsichtlich des unterrichteten Lehrgegenstandes unerlässlich, ebenso wie die Auseinandersetzung mit dem Lebens- und Erfahrungsbereich der Lernenden, z. B. mit der Berufswelt der Seminarteilnehmer, wenn diese bereits aus der beruflichen Praxis kommen.81

76 77 78 79 80 81

Vgl. König, 1997, S. 82 Vgl. http://wirtschaft-lernen.de/start/demo_methodik/K6_7.html, Abruf 22.04.2013 Vgl. Kaiser; Kaminski, 2012, S. 136 Vgl. http://wirtschaft-lernen.de/start/demo_methodik/K6_7.html, Abruf 22.04.2013 Vgl. Schaller, 2006, S. 196 Vgl. ebd., S. 195 und Weidenmann, 2011, S. 104

66

Achim Saulheimer Zusammenfassung Rollenspiele

Kurzbeschreibung

Methode, um soziale Verhaltensweisen zu trainieren, eigenes Verhalten und das Verhalten anderer zu untersuchen, Konflikte zu ergründen und Lösungsstrategien zu entwickeln und einzuüben.

Vorgehen

      

Vorbereitung und Konzeption des Rollenspiels Motivation und Vorbereitung der Zielgruppe Einführung in das Rollenspiel Durchführung, ggf. mit Wiederholungen Ergebnisdiskussion Auswertung, Feedback Transfer und Generalisierung

Lernziele

 

Anwendung und Vertiefung von Fachwissen Förderung sozialer, organisatorischer, kommunikativer Kompetenzen Förderung ganzheitlichen, zielorientierten Denken und Handelns Förderung personaler Kompetenz (z. B. Selbsterkenntnis, Ambiguitätstoleranz)

  Voraussetzungen

    

Sorgfältige Organisation, Planung, Vorbereitung Lebenswelt der Teilnehmer und Praxisbezug berücksichtigen Gruppenmitglieder in die Planung einbinden Vertrautheit der Lernenden mit Sozialformen des Lernens Mögliche Widerstände ernst nehmen, Rollenspielkonzept verdeutlichen, Probleme/ Wünsche der Teilnehmer berücksichtigen

Literatur und hilfreiche Links



Schaller, Roger (2006): Das große Rollenspiel-Buch: Grundtechniken, Anwendungsformen, Praxisbeispiele, 2., überarb. und erw. Aufl., Weinheim, Basel http://methodenpool.uni-koeln.de/download/rollenspiele.pdf



6 Rollenspiele

6.5

67

Literatur

Ameln, F. von; Kramer, J., Organisationen in Bewegung bringen: Handlungsorientierte Methoden für die Personal-, Team- und Organisationsentwicklung, Heidelberg 2007 Bontrup, H.-J. (Hrsg.), Handbuch Ausbildung : Berufsausbildung im dualen System, München, Wien 2000 Euler, D.; Hahn, A., Wirtschaftsdidaktik, 2., aktualisierte Aufl., Bern, Stuttgart, Wien 2007 Kaiser, F.-J.; Kaminski, H., Methodik des Ökonomieunterrichts: Grundlagen eines handlungsorientierten Lernkonzepts mit Beispielen, 4., vollst. überarb. Aufl., Bad Heilbrunn 2012 König, A., Handlungskompetente Mitarbeiter: neue Herausforderungen in der beruflichen Erstausbildung, Karlsruhe 1997 Mann, J. H.; Mann Honroth, C., The effect of role-playing experience on role-playing ability. Sociometry 22 (1), 1959, S. 64–74 Meyer, H., Unterrichtsmethoden. 2. Praxisband, 6. Aufl., Frankfurt a.M. 1994 Müller, K.; Gidion, G., Was ist handlungsorientierter Unterricht, Fraunhofer Institut Arbeitswirtschaft und Organisation, http://www.meistersite.de/pdfs/Was%20ist%20handlungsorientierter%20Unterricht.pdf, Abrufdatum: 2.4.2013 Schaller, R., Das große Rollenspiel-Buch: Grundtechniken, Anwendungsformen, Praxisbeispiele, 2., überarb. und erw. Aufl., Weinheim, Basel 2006 Stadler, C.; Spörrle, M., Das Rollenspiel. Versuch einer Begriffsbestimmung, in: Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, ZPS 7 (2008) 2, S. 165–188 Steinchen, R., Methodische Organisation des Rollenspiels, in: Rollenspiel als Methode sprachlichen und sozialen Lernens, hrsg. von Kochan, B, Kronberg 1974, S. 273 ff. Weidenmann, B., Erfolgreiche Kurse und Seminare: professionelles Lernen mit Erwachsenen, 8., vollst. überarb. Aufl., Weinheim und Basel 2001 Wilbers, K., Wirtschaftsunterricht gestalten. Lehrbuch : Eine traditionelle und handlungsorientierte Didaktik für kaufmännische Bildungsgänge, Berlin 2012 Internetquellen: http://wirtschaft-lernen.de/start/demo_methodik/K6_3.html, Abruf 18.04.2013 http://wirtschaft-lernen.de/start/demo_methodik/K6_7.html, Abruf 22.04.2013 http://wirtschaft-lernen.de/start/demo_methodik/K6_5.html, Abruf 22.04.2013

7

Unternehmenstheater als Ergänzung der Controlling-Ausbildung Ulrich Nissen „In eine angeregte Diskussion vertieft, sitzen sich Geschäftsleitung und Abteilungsleiter an Tischen gegenüber. Es gilt, gemeinsam eine Lösung für den Umsatzrückgang zu finden. Nun hat auch noch eine der wichtigen Kunden, eine große Handelskette, Insolvenz angemeldet. Bei der DUSH GmbH, Hersteller hochpreisiger Kosmetikprodukte, schrillen daher die Alarmglocken. Das, was sich soeben abspielte, war nur ein weiterer Akt im Stück ‚Eine Krise meistern’, des bislang in dieser Form in Deutschland einzigartigen Unternehmenstheaters, mit dem sich Studierende des Masterstudienganges Unternehmensführung am Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule Gießen-Friedberg auf ihren späteren Berufsalltag vorbereiten.“ (Giessener Anzeiger, 29.01.2011)

In üblichen Lehrveranstaltungen schlüpfen Lehrnende allenfalls sequentiell aber nicht simultan in die Rollen betrieblicher Entscheidungsträger, obwohl gerade die funktionsübergreifende, also simultane Lösungserarbeitung die Betriebspraxis prägt. Ein vertieftes betriebliches Rollenverständnis kann sich so an Hochschulen kaum entwickeln. Das Unternehmenstheater versucht, dem entgegenzuwirken.

7.1

Was ist Unternehmenstheater, und wie lässt es sich in die Controlling-Ausbildung integrieren?

Im Rahmen der Anwendung üblicher Lehrmethoden werden Studierende der Betriebswirtschaftslehre abstrakt mit fachlichen Problemen und Problemlösungen der betrieblichen Praxis konfrontiert. Sie erwerben damit aus einem externen Blickwinkel heraus Fachwissen und lernen, Managementprobleme zu lösen. Aufgrund der abgegrenzten Fächer oder Teildisziplinen in der Modul-Struktur an Hochschulen schlüpfen sie dabei allenfalls sequentiell aber

70

Ulrich Nissen

nicht simultan in die Rollen betrieblicher Entscheidungsträger. Aber gerade die funktionsübergreifende, simultane Lösungserarbeitung prägt die Betriebspraxis, indem Mitarbeiter verschiedener betrieblicher Funktionsbereiche zusammen sitzen, um Problemlösungen zu erarbeiten. Ein vertieftes betriebliches Rollenverständnis kann sich so an Hochschulen kaum entwickeln. Verschärft wird diese Lage speziell in der BWL dadurch, dass mit dem nach wie vor sehr verbreiteten Frontalunterricht eine Aktivierung der Studierenden kaum stattfindet. Dadurch wird die Auseinandersetzung mit betrieblichen Problemen und mit den Rollen einzelner Funktionsträger nicht gefördert. Auch Unternehmensplanspiele schaffen hierfür nur zum Teil Abhilfe, weil sie weniger auf das Rollenspiel, das Rollenverständnis und den Rollenwechsel ausgerichtet sind. Planspiele sind stärker auf das Anwenden von Fachkenntnissen in simulierten Realsituationen ausgerichtet. Insbesondere die Controlling- und die Managementausbildung – als jeweilige Spezialisierungen der BWL – leiden darunter: Controller und Manager benötigen aufgrund ihrer ausgeprägten Querschnittsfunktion in der betrieblichen Praxis die Fähigkeit, sich schnell in Rollen anderer Funktionsträger hinein zu versetzen und Probleme aus deren Blickwinkel beurteilen zu können82. Diese Fähigkeiten werden jedoch in der Hochschulausbildung gar nicht oder nur rudimentär trainiert.

7.2

Lernziele

Die soeben genannten Defizite der traditionellen Lehrmethoden versucht die unternehmenstheater-orientierte Lehre83 zu überwinden. Einerseits haben die Studierenden im Rahmen von selbstentwickelten und inszenierten Betriebssituationen (die als „offene“ Drehbücher in Teilen vorstrukturiert sind) betriebliche Entscheidungen zu konstruieren und auf der Bühne spielerisch zu erarbeiten. Andererseits müssen die gespielten Rollen und das Schauspielergebnis nach bestimmten Bewertungsschemata kritisch beurteilt werden. Ausgehend von solchen vorstrukturierten Problemstellungen, mit denen ein Unternehmens-Mitarbeiter in der Praxis üblicherweise konfrontiert ist, wird eine Spielumgebung etabliert, die den Teilnehmern Rollen zuweist. In diesen müssen sie agieren, entsprechende Konflikte lösen und Entscheidungen treffen. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen, Erkenntnisse und Ideen wurde im Wintersemester 2007/2008 am Fachbereich Wirtschaft der Technischen Hochschule Mittelhessen (damals 82 83

Vgl. Hoffmann, 2000, S. 92 Zum Begriff: Unternehmenstheater umfasst verschiedene Methoden, Theater in Unternehmen mit betriebswirtschaftlicher Zweckausrichtung für und mit den Mitarbeitenden einzusetzen. In Deutschland sind unter diesem Begriff Aktivitäten seit etwa 1997 bekannt. Üblicher Weise werden Unternehmenstheater-Inszenierungen gemeinsam durch Theater-Profis oder spezialisierte Unternehmensberater zusammen mit den Mitarbeitern der Unternehmen entwickelt und sind genau auf ihre Arbeitssituationen und die aktuelle Entwicklung und Veränderung im Betrieb abgestimmt. Dabei können Übergänge von der Zuschauer-Rolle zur Mitwirkung geschaffen werden. Trainingsorientierte Formen bringen die Mitarbeiter der Betriebe selbst zur Inszenierung und manchmal auch zur Vorstellung ihrer zu verändernden Situationen und Arbeitsbedingungen. Dabei wird Unternehmenstheater zum Training für zukünftiges Handeln auch und gerade mit Blick auf brisante Konfliktsituationen eingesetzt. Da diese Szenen oft nur für internes Publikum gespielt werden, ist diese Arbeitsweise in der Theaterwissenschaft nicht sehr bekannt. Mit trainingsorientiertem Unternehmenstheater sollen Problemstellungen der Teilnehmenden ins Bild gebracht werden, um sie so – aus einem anderen Blickwinkel betrachtet – zu beseitigen. Als herausragender Vertreter der Wissenschaft sei zu nennen: Schreyögg/Dabitz, 1999

7 Unternehmenstheater als Ergänzung der Controlling-Ausbildung

71

noch „Fachhochschule Gießen-Friedberg“) das Experiment gewagt: „Unternehmenstheater als Lehrmethode zur Simulation betrieblicher Entscheidungssituationen und zur Entwicklung betrieblicher Rollenverständnisse“ – zunächst unterstützt durch eine professionelle Regisseurin84 – wurde erstmalig im Rahmen einer Controlling-Lehrveranstaltung durchgeführt. Die Methode wurde danach weiterentwickelt und – dann ohne externe Unterstützung – regelmäßig angewandt. Das Vorhaben hatte Pilotcharakter, auch wenn es schon unter der Überschrift „Theater in der Hochschuldidaktik“ seit geraumer Zeit Initiativen in der Lehre gab85. Die hierbei entstandenen Lehransätze hatten jedoch eine deutlich andere Ausrichtung. Sie zielten vor allem darauf ab,  

die Lehrenden in Bezug auf Rhetorik, Gestik/Mimik, Stimme etc. zu fördern die Studierenden in Bezug auf die Lösung von zwischenmenschlichen Konflikten, Sozialkompetenz, Umgang miteinander zu qualifizieren. Im Fokus stand also vor allem die Vermittlung von „Soft Skills“. Beim Einsatz von Unternehmenstheater in der Lehre stand nicht so sehr die Vermittlung von Soft Skills, sondern das Trainieren von „Hard Skills“ in betrieblichen Simulationen mit Studierenden im Vordergrund. Jene sollen Verständnis für die Verhaltensweisen von Managern unterschiedlicher betrieblicher Bereiche entwickeln. Daher ähnelte das Projekt weniger den bisherigen Ansätzen von „Theater in der Hochschuldidaktik“, als schon eher ein wenig dem klassischen Planspiel in der Betriebswirtschaftslehre. Zu den Zielen der Hochschullehre, unterstützt durch Unternehmenstheater zählen:   

7.3

Die Studierenden sollen ein Bewusstsein für die funktionalen Zusammenhänge bekommen. Sie sollen in die Lage versetzt werden, Konflikte, die aus dem multifunktionalen betrieblichen Gefüge entstehen, zu erkennen und zu lösen. Sie sollen sich ihrer künftigen Rolle im Unternehmen bewusst werden und die eigene Verantwortung und Handlungsspielräume spürend erkennen. Die bisherigen Lehrveranstaltungen sollen durch eine besonders aktivierende Lernform angereichert werden, indem Studierende selbst als Manager agieren.

Praktische Durchführung

Ablauf Im Rahmen der Lehrkonzeption ist das Unternehmenstheater keine eigenständige Lehrveranstaltung. Sie ist eingebettet in eine Lehrveranstaltung (bisher ausschließlich in ein Controlling-Modul eines Master-Studienganges), in dessen Rahmen sukzessive auf die TheaterInszenierung und damit auf ein Hineindenken in Rollen vorbereitet wird. Das Unternehmenstheater flankiert insofern die eigentliche Lehrveranstaltung.

84 85

An dieser Stelle sei Frau Christine Embert (http://www.christine-embert.de) für ihre professionelle Unterstützung beim erstmaligen Konzipieren und Umsetzen erneut herzlich gedankt. Vgl. Bülow-Schramm, 2006

72

Ulrich Nissen

Einbettung von Unternehmenstheater in die Lehrveranstaltung:  

Vorstellung der Konzeption und des Ablaufes; Zuweisung von Rollen (betriebliche Funktionsträger => Studierende); Änderung der Namen;  z.T. Vergabe von Referatsthemen zu den betrieblichen Funktionen;  Kurzeinführung in Theaterarbeit;  Übungen zu Gestik, Mimik, Rollenspiel;  Erarbeitung von typischen Charaktermerkmalen unterschiedlicher betrieblicher Funktionsträger (meist überspitzt);  Leitfaden gestützte Anfertigung von Biographien der jeweiligen Rollenträger;  Erstellung eines offenen Drehbuches auf der Grundlage des bisher Erarbeiteten durch den Dozenten aber mit Unterstützung der Studierenden;  Vorstellung des Drehbuches, Schauspielübungen;  Durchführung der Inszenierung;  Aufnahme per Videokameras;  Bearbeitung aufgenommenen Filmabschnitte zu durchgängigen Filmen;  Vorstellung der Filme und Analyse der Ergebnisse. Zu Beginn werden – nach Vorstellung des Ablaufs und der Ziele sowie Rollenfestlegung – Referatsthemen mit Rollenbezug vergeben. Beispielsweise arbeitet ein Studierender „A“ ein Referat über aktuelle Probleme des Marketing-Controlling aus und ein anderer, nennen wir ihn „B“, über Produktions-Controlling. Mit der Themenvergabe sind gleichzeitig die TheaterRollen festgelegt: „A“ ist Marketing-Leiter und „B“ Produktionsleiter. Alle geben sich nun neue – fremde – Namen und stellen Tischkarten mit Funktionsbezeichnung und Namen auf den Tisch. Sie gelten fortan als fachlicher Ansprechpartner zu ihren jeweiligen Themen im Rahmen der dann beginnenden Lehrveranstaltung. Sobald etwa 2/3 der Lehrveranstaltung abgeschlossen sind, folgt eine Kurzeinführung in die Theaterarbeit. Die Studierenden lernen Methoden der Theaterpraxis kennen, die ihnen helfen, sich rasch in eine fremde Rolle hineinzubegeben, sich mit einer Rolle zu identifizieren. Dazu werden auch einige Übungen durchgeführt. Der nächste Schritt umfasst die Recherche betrieblicher Konfliktsituationen aus eigener Erfahrung oder anderen Quellen. In den folgenden Wochen ist begleitend zur Lehrveranstaltung jeweils eine Biographie über die zu spielende Person von jedem Teilnehmer anzufertigen. Sie sollen sich dadurch intensiv mit der Rolle vertraut machen. Hierzu erhalten die Studierenden einen Leitfaden. Ansonsten sind sie frei in der Gestaltung der Biographie und damit auch in der Festlegung der wesentlichen Charakterzüge der von ihnen zu spielenden Person. Ferner erarbeiten die Studierenden typische Verhaltensweisen/Charaktere und Denkweisen von Entscheidungsträgern unterschiedlicher Funktionsbereiche, die im Rahmen der Lehrveranstaltung diskutiert werden. Auch diese Ergebnisse fließen in die Drehbucherstellung mit ein. Auf der Grundlage der verfassten Biographien und der präsentierten und schriftlich vorgelegten Referate wird dann eine Grob-Handlung des Theaterstückes in der Form eines „offenen“ Drehbuchs verfasst. Hierbei handelt es sich um ein Textwerk, das nicht in sich abgeschlossene Details umfasst. Damit erhalten die Studierenden einen großen Freiheitsgrad zur Improvisation. Nur der jeweilige Beginn einer Szene ist vorgegeben. Nach einer bestimmten Teilhandlung bricht der Text ab, und der Schauspieler muss nun spontan die Szene weiterführen und beenden. Der oder die jeweiligen Mitschauspieler einer Szene

7 Unternehmenstheater als Ergänzung der Controlling-Ausbildung

73

sind dabei gefordert, auf die Spontanhandlungen zu reagieren. Alle müssen insofern das Drehbuch auch nicht komplett auswendig lernen. Es reicht, sich ein fundiertes Bild von den jeweiligen Teilhandlungen zu verschaffen. Der Regisseur stellt vor Beginn der Aufführung den Studierenden die Grob-Handlung des Stückes vor. Sie sollen sie verinnerlichen. Mit Präsentation des Drehbuches und intensiver Besprechung der Inhalte beginnt dann in der Form eines Eintages-Workshops die Inszenierung, die durch den Regisseur gesteuert und den Kameramann/die Kamerafrau aufgenommen wird (Dauer je nach Anzahl der Schauspielgruppen von jeweils 7 Personen: etwa 6 bis 9 Stunden). Direkt danach werden dann die Videofragmente zu einem in sich geschlossenen Theaterstück verarbeitet, das als Grundlage für die Analyse des Stückes dient. Basis für Letztgenanntes ist ein Analysefragebogen. Zum Ende erhalten die Teilnehmer ein Teilnahmezertifikat, das als Teilnahme- und Leistungsanreiz fungiert, da eine Benotung aufgrund der nicht möglichen Abgrenzung von Einsatz, Leistungsfähigkeit und schauspielerischem Talent ausscheidet. Resultate der Inszenierungen Bisher wurde Unternehmenstheater an der TH Mittelhessen im Jahreszyklus in fünf verschiedenen Semestern mit insgesamt 12 Schauspielgruppen durchgeführt. Die Studierenden, die daran teilgenommen haben, beurteilten diese Methode nahezu ausnahmslos als sehr geeignet. Sie würden es – dies wurde in der Evaluation immer wieder deutlich gemacht – sehr begrüßen, wenn man diese Methode regelmäßig im Rahmen der BWL-Hochschulausbildung einsetzen würde. Alle Teilnehmenden berichteten von umfassenden Lerneffekten hinsichtlich des funktionsübergreifenden Verständnisses betrieblicher Probleme und der Möglichkeiten, sich in Rollen anderer Personen hineinzuversetzen. Aufgrund des vergleichsweise relativ großen Vorbereitungsaufwandes, der mit zunehmender Teilnehmerzahl wächst, stößt die Methode aus unserer Erfahrung an ihre Kapazitätsgrenze bei Gruppengrößen größer 25 Personen (dann mit drei Parallel-Inszenierungen). Leitfaden für das Schreiben einer Biographie In den vorangegangenen Ausführungen wurde bereits erwähnt, dass die Studierenden im Rahmen der Vorbereitung auf das Theaterschauspiel jeweils eine Biographie zu ihrer Rolle zu erarbeiten hatten. Hintergrund dieser in der Theaterpraxis üblichen Vorbereitungsaufgabe ist es, sich tief in eine andere Persönlichkeit hineinzudenken, sich selbst als jemand Anderes zu erleben. Hierzu wurde regelmäßig eine Handreichung ausgegeben, die sich als hilfreich erwiesen und folgenden Inhalt hat:    

Machen Sie sich ein Bild von der Person, über die Sie eine Biographie schreiben, so wie sie heute ist. Entweder Sie suchen ein reales Bild aus der Zeitung oder aus anderen Quellen oder Sie bedienen sich Ihrer Fantasie. Stellen Sie sich genau vor, wie diese Person heute aussieht, wie sie sich bewegt, wie sie lacht, wütend sein kann. Fragen Sie sich, wie diese Person ihre Kindheit erlebt hat. Lassen Sie Bilder kommen, ungefiltert. Korrigieren und zensieren Sie später. Stellen Sie sich vor, wie ihre Person zur Schule ging, über was sie sich freute, woran sie interessiert war, ob sie viel Freunde hatte oder gerne allein sein wollte. Fragen Sie sich, ob Ihre Person ein gutes Verhältnis zu den Eltern hatte, ob es viele oder nur sehr wenige

74

  

       

Ulrich Nissen Enttäuschungen gab. Welche Berufe und Interessen hatten die Eltern? Was wollten Sie ihrem Kind mitgeben? Hatte Ihre Person Geschwister? Welche Berufswünsche tauchten auf, welche Entscheidung wurde getroffen? Begann das Studium gleich nach der Schule oder gab es erst längere Reisen oder Auslandsaufenthalte? Oder wurde nach dem Schulabschluss erst ein ganz anderer Berufsweg eingeschlagen? Wie sahen die sozialen Bindungen aus? Gab es besondere Liebesgeschichten? Welcher Lebensstil und Lebenseinstellungen entwickelten sich? Welche Zugehörigkeiten zu Gemeinschaften gab es? Wie war es mit politischem Engagement, religiöser Zugehörigkeit, Sport, Kultur etc.? Wie war die Studienzeit? Was veränderte sich? Welche Impulse und Ereignisse prägten die Einstellungen und Verhaltensweisen Ihrer Person? War die Studienzeit angenehm, ausschweifend oder eher strebsam und zielbewusst? Welchen Abschluss machte ihre Person, und wie fand sie die erste Arbeitstelle? Wie erging es ihr im Berufsleben; konnte sie sich schnell in ihrer Umgebung einfinden und ihre Aufgaben bewältigen? Oder gab es Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen? Wie sieht es heute aus? Welche Erfahrungen waren für Ihre Person entscheidend? Welche Werte, Gewohnheiten, Eigenarten, Bedürfnisse sind heute wichtig? Welche sozialen Kontakte werden gepflegt, welche Interessen gibt es außerhalb des Berufslebens? Schreiben Sie alles auf, was Ihnen einfällt. Dann überlegen Sie sich, was Sie für wichtig halten und streichen das Unwichtige. Versuchen Sie ein klares, realistisches und stimmiges Bild der Person zu zeichnen. Die Biographie (mind. zwei DIN A4-Seiten) ist einzureichen bis zum xx.xx.xxxx.

Vorbereitung auf die erste Theateraufführung86 Es ist davon auszugehen, dass BWL-Studierende nicht über Theater-Erfahrung verfügen. Deshalb kommt einer zwar kurzen aber dennoch intensiven Vorbereitung große Bedeutung zu, insbesondere auch um Schwellenängste abzubauen und um vorab die eine oder andere (Sprech-)Technik, Mimik und Gestik auszuprobieren und die Wirkungen zu klären. Aus einem Satz verschiedener ausprobierter Übungen seien im Folgenden einige angeführt.

86

Diese und weitere Übungen stammen im wesentlichen aus dem Fundus von Christine Embert (http://www.christine-embert.de)

7 Unternehmenstheater als Ergänzung der Controlling-Ausbildung

75

Vorbereitungen auf das Improvisieren – wichtige Regeln Sagen Sie ja und gehen Sie auf alle Vorschläge ein Dies ist die erste und wichtigste Regel beim Improvisationstheater. Wenn im Spiel ein Vorschlag nicht angenommen wird, sollte mit der Idee des Mitspielers weitergespielt und nicht nur dem eigenen Plan gefolgt werden. Fremde Reaktionen annehmen Es ist sehr wichtig, alle fremden Reaktionen anzunehmen, weil Improvisation auf Zusammenarbeit beruht. Improvisationstheater muss so gespielt werden, dass alles, was man improvisiert, dazu dient, dem anderen zu helfen. Das gilt nicht nur für die Spieler, sondern auch für die gesamte Gruppe, die rettend eingreift, wenn die Spieler z. B. „stecken bleiben“ oder eine zusätzliche Rolle benötigt wird. Den ersten Einfall wählen und ausbauen Je mehr Kraft damit verschwendet wird zu überlegen, ob die erste Handlungsidee gut genug ist oder noch etwas Besseres gefunden werden kann, desto weniger originell wird das Resultat. Spontaneität ist daher außerordentlich wichtig und sollte entfaltet werden. Auf den Kern konzentrieren Eine Szene darf jeweils nur einen einzigen Kern oder Fokus haben. Er kann zwar von einem Ort zum anderen wechseln. Die Handlung darf aber nicht gleichzeitig an mehreren Orten vor sich gehen, und es dürfen auch nicht mehrere Personen gleichzeitig sprechen. Zurück kommen Es kommt vor, dass eine Szene völlig daneben geht. Doch Fehler zu machen und anschließend herauszufinden, was getan werden kann, um sie künftig zu vermeiden, gehört dazu. Das Wichtigste bei einer fehlgeschlagenen Improvisation ist jedoch, dass man sich nicht entmutigen lässt und es immer wieder probiert. Übungen zum Annehmen von Reaktionen Ein Spieler geht ahnungslos auf die Bühne, wartet dort auf den zweiten. Der zweite Akteur wird insgeheim von der Spielleitung instruiert, mit welcher Rolle er auf die Bühne kommen und mit welcher Handlung oder mit welchem ersten Satz er die Szene eröffnen soll. Controller → Geschäftsführer: Unzufriedenheit und Enttäuschung, weil bereits genehmigte ManagementInformations-System-Software nun doch nicht beschafft werden darf. Logistiker → Controller: Obwohl die Budgetierung bereits abgeschlossen ist, möchte Logistikleiter noch eine weitere Teilzeitkraft einstellen. Geschäftsführungsassistent → Vertriebs-Assistent: Der GF-Assistent unterbreitet Vorschläge für die Planung des Jubiläumsfestes. Personalchef → Betriebsrat: Leider müssen 24 Personen aus der Fertigung betriebsbedingt entlassen werden. Wichtiger Kunde → Vertriebsleiter: Der Kunde hat Interesse, 400.000 Verkaufseinheiten des Produkte „Minty Roller“ zu erwerben, aber nicht zum vorgesehenen Preis. Finanzchef → Controlling-Leiter: Beim Planbetriebsergebnis sind Fehler passiert: Das Planergebnis ist um 1 Mio. € zu hoch geplant. Wie kriegen wir die „Kuh vom Eis“? Sobald der erste Protagonist seine Handlung abgeschlossen hat, muss der zweite reagieren. Die Szene wird nur angespielt. Nun gibt der Rest der Gruppe Feedback auf die Reaktion. Es wird beurteilt, ob der Reagierende den Impuls verbal und körperlich angenommen hat und wie dabei seine Haltung, Körpersprache und Stimme wahrgenommen wurden. Die Übung ist beendet, wenn alle Lernenden aktiv am Spielgeschehen teilgenommen haben.

76

7.4

Ulrich Nissen

Kritische Analyse

Vorteile Über die an der Technischen Hochschule Mittelhessen gemachten Erfahrungen wurde oben bereits berichtet. Die Ergebnisse waren durchweg sehr positiv und ermutigten, diese Methode fortzusetzen. Insgesamt lässt sich nach zahlreichen Aufführungen festhalten, dass integratives Unternehmenstheater die Durchführung von Lehrveranstaltungen insbesondere von Spezialdisziplinen, die im Betriebsalltag funktionsübergreifend ausgerichtet sind, wie etwa Controlling oder allgemeines Management, bereichert. Die Studierenden werden zusätzlich motiviert und herausgefordert, sich mit ihren künftigen Rollen und dem Umgang mit anderen Funktionsträgern intensiv auseinander zu setzen. Sie lernen, auf fachliche/betriebliche Meinungen ihrer Kollegen spontan zu reagieren und erleben damit für kurze Zeit – zumindest im Kleinformat – den betrieblichen Alltag. Der erzielte Effekt steht nach der bisher gemachten Erfahrung eindeutig in einem positiven Verhältnis zu dem zweifelsohne großen Vorbereitungs- und Durchführungsaufwand. Herausforderungen Der Vorbereitungs- und Durchführungsaufwand ist nicht gering, insbesondere wenn Unternehmenstheater erstmalig durchgeführt wird. Der Dozent/die Dozentin muss während der stattfindenden regulären Lehrveranstaltungen eine Sensibilität und auch eine Kreativität entwickeln, um aus dem Unterrichtsgeschehen eine Geschichte zu entwickeln, die auf der Bühne aufgeführt werden kann. Ohne Erfahrung fällt das schwer. Wenn jedoch das ganze Procedere einmal abgelaufen ist, merkt man bereits bei der zweiten Durchführung, dass die „Story“-Entwicklung erheblich leichter fällt. Eine weitere große Anstrengung ist die Bearbeitung des Filmmaterials nach Durchführung der gefilmten Inszenierung. Hierzu benötigt man geeignete Filmbearbeitungssoftware. Die Inszenierungen selbst sind zwar auch zweitraubend, jedoch i.d.R. so lebendig und häufig sehr lustig, sodass die Einsatzzeit vollends in Vergessenheit gerät.

7.5

Beispiel eines offenen Drehbuches

Beispiel eines offenen Drehbuches für eine Inszenierung aus dem Jahr 2010: „Eine Krise meistern – Unternehmenstheater-Stück in acht Akten“ Vorbereitung Ort: Die DUSH GmbH wurde 1990 in Bernried am Bodensee gegründet. Es handelt sich um ein Unternehmen der Kosmetikindustrie, das vor allem im Hochpreissegment Seifen produziert und an Kosmetikketten, freie Kosmetikläden und Drogerien vertreibt. Der Jahresumsatz belief sich in der vergangenen Geschäftsperiode auf etwa 6 mio. €. DUSH beschäftigt 50 Mitarbeiter. DUSH produziert 100 verschiedene Kosmetikprodukte, darunter Körpercremes, Seifen, Shampoo und Haargele. Handlung: Oktober 2009. Die Firma DUSH GmbH befindet sich in der Planung des kommenden Geschäftsjahres. Das seit ihrem Bestehen (1990) bisher sehr erfolgreiche Unterneh-

7 Unternehmenstheater als Ergänzung der Controlling-Ausbildung

77

men stellt sich auf eine Wirtschaftsrezession ein und damit erstmalig auf Umsatzrückgänge. Bisher ging man von einem Rückgang in Höhe von etwa 10% aus. Über die Verbandszeitschrift „Kosmetik-Gazette“ erfährt die Vertriebsleitung völlig unerwartet, dass die große Kosmetikfilialkette „Care Best“ (Hauptabnehmer) Insolvenz angemeldet hat. Dies könnte zu einem zusätzlichen Umsatzrückgang von 20% führen und massive Strukturveränderungen erforderlich machen. Darüber hinaus müssen dringend aufwendige Modernisierungsarbeiten in Sachen EDV durchgeführt werden. Sowohl Hard- als auch Software sind veraltet und haben daher in der letzten Vergangenheit immer wieder zu Problemen, gar Ausfällen geführt, die sogar zweimal einen Produktionsstopp nach sich gezogen haben. Bisher wurde immer dergestalt darauf reagiert, als dass DUSH neue IT-Mitarbeiter einstellte, was letzten Endes dazu geführt hat, dass – aus der Sicht der Geschäftsleitung – die EDV-Abteilung heute als überbesetzt angesehen wird. Das soweit zur Rahmengeschichte des Stücks. Zum Aufbau: Es handelt sich beim Stück um Theater mit offenem Drehbuch. Dies bedeutet, dass bewusst viel Freiraum für spontane Reaktionen gegeben wird. Insbesondere zeigt das Symbol {…} im Drehbuch: spontane Ergänzung durch Schauspieler. Da sich das Stück auf die Lehrinhalte des Moduls … bezieht, sollten auch fachlich fundierte Aussagen schauspielerisch vermittelt werden. Zu den Personen: Der Geschäftsführer (GF) und der GF-Assistent sowie auch die Vertriebsleitung und der VL-Assistent treten i.d.R. zusammen auf. Der jeweilige Assistent unterstützt den GF bzw. die VL durch passende spontane Reaktionen. Teilweise haben die Assistenten auch individuell zugewiesene Redebeiträge. „[1.]“ bezeichnet die Theatergruppennummer. Tauchen Namen in mehr als einer Gruppe auf, so handelt es sich um Doppelrollen GF ([1.] Ortmann87; [2] Meretz; [3] Fischer) GF-Assistent ([1] Meier; [2] Meier; [3] Köhler) Leiter Controlling ([1] Rühlmann; [2] Baum; [3] Geiger) Leiter IT ([1] von Hoojer; [2] Allenbach; [3] Schmidt) Leiter Logistik ([1] Otto; [2] Leiser; [3] Müller) Leiter Personal ([1] Prächtig; [2] Hr. Müller; [3] Müller) Leiter Vertrieb ([1] Pfeife; [2] Pfeife; [3] Müller) Vertriebs-Assistent ([1] Köhler; [2] Schneider; [3] Schneider) Das Schauspiel an sich Es folgenden die acht gruppenweise zu spielenden Szenen. Zunächst wird immer der Ort der Handlung klargestellt. Danach sind die Darsteller mit Ihren Rollennamen aufgeführt. Der Szenenüberschrift kann die Reihenfolge (Schauspielergruppennummer) entnommen werden. Szene 1: Büro des Vertriebsleiters (1, dann 2, dann 3) Ort: Büro Vertriebsleiter; Schreibtisch; Stuhl; Laptop, Zeitschriften/Unterlagen Personen: 87

Bei den angeführten Namen handelt es sich um die von den teilnehmenden Studierenden frei gewählten Rollennamen.

78

Ulrich Nissen

Leiter Vertrieb ([1] Pfeife; [2] Pfeife; [3] Müller) Vertriebs-Assistent ([1] Köhler; [2] Schneider; [3] Schneider) Vertriebsleiter sitzt am Schreibtisch und liest – laut – in der Verbandszeitschrift „KosmetikGazette“ [REQUISITE 1]. Mit Entsetzen erfährt er vom anstehenden Konkurs des Hauptabnehmers „CareBest“. Er denkt nach, führt Selbstgespräche, macht sich Sorgen über seine Provision. Er ist entsetzt, will es sich aber gegenüber seinem Assistenten (der sogleich erscheint) nicht anmerken lassen. Ihm ist klar, dass jetzt Krisengespräche notwendig sind. Ihm fehlt eine Idee, die „Karre aus dem Dreck“ zu ziehen. Er ruft seine Ehefrau an und sagt, er komme wegen einer dringenden Sitzung heute später nach Hause. Vertriebs-Assi kommt herbei, klopft an, will eigentlich eine positive Nachricht überbringen (hält Statistik über den Umsatz von Produkt xyz [REQUISITE 2] in der Hand), beginnt euphorisch zu sprechen, wird aber schnell vom Vertriebsleiter unterbrochen. Vertriebsleiter informiert Vertriebs-Assi über Lage auf eine Weise, als wenn er alles im Griff hätte, strahlt also Sicherheit aus. Er fordert Assi heraus, Lösungen zu überlegen; tut dabei aber so, als wäre es ein Test für den Assi. In Wirklichkeit sucht er selbst nach Lösungen. Vertriebs-Assi fällt nur ein, dass die Verkaufspreise herabgesetzt werden müssten, um so den Absatz zu steigern; dies ginge aber nur, wenn man die Herstell-Kosten reduzierte, etwa {…}. Dies wäre schließlich eine Aufgabe von Controlling und Produktion. Solle er mal Kontakt aufnehmen? Vertriebsleiter denkt und sagt, das könne ja wohl nicht alles sein. Strategische Überlegungen wären notwendig. Der Assi solle mal nachdenken. Plötzlich klingelt das Telefon. GF am Apparat. Übliche – fast anbiedernde – Begrüßungsfloskeln. Vertriebsleiter schickt – nonverbal – VL-Assi aus dem Raum. Vertriebsleiter bestätigt, dass er in 5 Minuten bei GF sein wird. {…} Szene 2: Büro des Geschäftsführers (2, dann 3, dann 1) Ort: Büro GF; Schreibtisch; Chefsessel; Laptop, Zeitschriften/Unterlagen Personen: GF ([1.] Ortmann; [2] Meretz; [3] Fischer) GF-Assistent ([1] Meier; [2] Meier; [3] Köhler) Leiter Vertrieb ([1] Pfeife; [2] Pfeife; [3] Müller) Leiter Controlling ([1] Rühlmann; [2] Baum; [3] Geiger) GF hält „KosmetikGazette“ [REQUISITE 1] in der Hand, als VL herein kommt. GF teilt ihm sein Entsetzen mit. VL wirkt nervös. In Anbetracht der ohnehin angespannten Lage wird GF hitzig und fordert den VL spontan auf, Lösungsmöglichkeiten vorzutragen. Die hat der VL aber nicht parat. Dennoch versucht VL, durch souveräne, gleichwohl aber auch inhaltsleere Antworten Selbstbewußtsein und Sicherheit zu signalisieren {…}. GF fragt, inwieweit DUSH auf derartiges wie den Wegfall eines Hauptabnehmers vorbereitet ist. Vor einem Jahr wurde ja bereits über die Installation eines Risikomanagementsystems diskutiert. Damals spielte der VL die Bedeutung eines solchen Systems herunter (weil zu ungenau und insbesondere zu aufwendig).

7 Unternehmenstheater als Ergänzung der Controlling-Ausbildung

79

VL kommt ins Straucheln, versucht dies aber zu verbergen und teilt am Ende mit, dass er bereits eine genaue Untersuchung strategischer Optionen in Arbeit hat (was gar nicht stimmt). Ergebnisse könne er in einer Woche liefern. Und geht. GF ruft Controlling-Leiter an und informiert ihn am Telefon über neue Lage {…}. Er bittet darum, mal eben vorbeizukommen. Controllingleiter sagt zu. GF wirkt nachdenklich, gar verzweifelt. Er schaut in die Luft und denkt nach. Er schaut in den Computer und macht sich Notizen. Controlling-Leiter betritt den Raum. Begrüßung. GF wiederholt die Lagebeschreibung {…}. Er berichtet von der unzufriedenstellenden Reaktion des Vertriebsleiters {…} und fragt nach der ersten Plan-G&V. Controlling-Leiter legt GF Plan-G&V vor [REQUISITE 3] und erwähnt, dass die neue Lage natürlich noch nicht berücksichtigt ist. Gemeinsam studieren Sie die Auswertung Punkt für Punkt {…} und machen sich – nach Abschätzung des möglichen Umsatzausfalles und der Konsequenz für das Betriebsergebnis – Gedanken, an welchen Stellen Kosteneinsparungen möglich sind. Die meisten Ideen kommen dabei vom Controller, die jedoch jeweils kritisch – aber nicht abweisend – vom GF hinterfragt werden. Hin und wieder schaltet sich der GF-Assi ein und macht Vorschläge, die vom GF und Controlling-Leiter diplomatisch wohlwollend angehört, aber dennoch nicht weiter verfolgt werden. Schließlich gelangen sie zu den Personalkosten im EDV-Bereich und stellen gemeinsam fest, dass dort mit Sicherheit hohe Ineffizienzen vorliegen, die Kosten also deutlich zu hoch sind. Der Controlling-Leiter beginnt, laut über Outsourcing der gesamten EDV-Abteilung nachzudenken {…}. Er kommt zu dem Schluß, dass dies in Anbetracht der anvisierten SAPEinführung eventuell eine interessante Option wäre. Hierdurch liesse sich ein Großteil der EDV-Kosten variabilisieren und sicherlich auch senken. Dies würde zwar nicht das Problem vollständig lösen, es wäre aber ein nicht unwesentlicher Beitrag dazu. Die Hauptanstrengung hat im Vertriebsbereich zu liegen; schließlich läge ja kein Kosten-, sondern ein Umsatzproblem vor. GF stimmt nachdenklich zu und bittet den GF-Assi, entsprechende OutsourcingUntersuchungen zu beginnen. GF-Assi macht Vorschläge, auf welche Weise er sich eine derartige Untersuchung vorstellen könnte. Die beiden anderen anwesenden Personen stimmen zu. GF-Assi verläßt den Raum. Das Gespräch wäre damit eigentlich zu Ende. Der ControllingLeiter steht auf und geht, bleibt dann aber im Türrahmen stehen. Ein wenig schüchtern sagt er, dass da noch eine – vom Thema völlig abweichende – Angelegenheit wäre, die er unbedingt ansprechen müsste. Er möchte nämlich gerne ab Frühjahr nächsten Jahres in Teilzeit gehen, da in Kürze sein erstes Kind auf die Welt komme. Ihm sei klar, dass dies überhaupt nicht passt, aber was könne man tun? GF verdeutlicht diplomatisch, freundlich aber doch entschlossen, dass dies im Moment nicht ginge. Seine Arbeitskraft würde dringend benötigt. Beide verabschieden sich. Controller geht.

80

Ulrich Nissen

Szene 3: Kantine (3, dann 2, dann 1) Ort: Tisch; zwei Stühle, 2 Teller, zwei zusammengeknüllte Servietten Personen: Leiter IT ([1] von Hoojer; [2] Allenbach; [3] Schmidt) Leiter Logistik ([1] Otto; [2] Leiser; [3] Müller) Leiter Logistik und IT-Leiter essen zusammen zu Mittag. IT-Leiter erzählt seinem Kollegen dass jetzt wohl sehr harte Zeiten anbrechen würden, da CareBest ja jetzt wegbricht. LogistikLeiter weiß nichts davon und reagiert sehr erstaunt, gar skeptisch {…}. Das könne ja gar nicht sein; schließlich war das ja bisher ein sehr erfolgreiches Unternehmen. Es beginnt eine Unterhaltung, bei der der IT-Leiter dem Logistik-Leiter immer wieder deutlich macht, wie wichtig – gerade in der Krise – eine gut funktionierende EDV samt der Fachleute sei {…}. Nach einer gewissen Zeit wundert sich der Logistik-Leiter über die fast aufdringlichen Ausführungen und fragt, wieso der IT-Leiter die Bedeutung der EDV jetzt so in den Vordergrund stelle. Der IT-Leiter wiegelt ab. Sie beenden das Gespräch und trennen sich. Szene 4: GF-Sitzungsraum (1, dann 2, dann 3) Ort: Großer Tisch; ausreichend Stühle; Overhead-Projektor; Getränke und Gläser Personen: GF ([1.] Ortmann; [2] Meretz; [3] Fischer) GF-Assistent ([1] Meier; [2] Meier; [3] Köhler) Leiter Controlling ([1] Rühlmann; [2] Baum; [3] Geiger) Leiter IT ([1] von Hoojer; [2] Allenbach; [3] Schmidt) Leiter Personal ([1] Prächtig; [2] Hr. Müller; [3] Müller) GF hat Controller und Personalchef rufen lassen, weil er etwas mit ihnen zu besprechen habe, was ihm sehr unter den Nägeln brenne. GF beginnt Monolog: Allen sei ja bekannt, dass dem GF seit längerer Zeit die enorme Kostenentwicklung der EDV suspekt sei und ihn insbesondere auch mit Blick auf die SAP-Einführung verunsichere. Der IT-Leiter habe gestern der Geschäftsführung verdeutlicht, dass die Einführung und der Betrieb von SAP es notwendig mache, 2 neue Stellen für EDV-Fachkräfte auszuschreiben. DUSH könne es sich nicht leisten, habe er gesagt, dass bei der Systemeinführung und beim späteren Betrieb etwas schief ginge. Auf der anderen Seite sei DUSH in Anbetracht der Wirtschaftslage und insbesondere wegen des Wegfalls von CareBest finanziell nicht in der Lage, den Personalstamm auszubauen. Alle Anwesenden würden genauso wie er wissen, dass DUSH massiv sparen müsse. Insofern solle man prüfen, ob IT-Outsourcing für DUSH eine Alternative wäre. Seine Gedanken gingen dabei sogar soweit, vielleicht sogar das gesamte Rechenzentrum einschließlich der Anwendungsentwicklung zu verlagern. IT-Leiter ergreift das Wort und versucht auf diplomatische Weise zu verdeutlichen, dass sich DUSH in eine nicht unbedeutende Abhängigkeit zu einem externen Dienstleister begeben würden. Flexibilität und Sicherheit gingen verloren. Und auch die Preisfixierung von Vertragsleistungen sei unkontrollierbar und daher schwierig. Darauf reagiert der Controlling-Leiter: Er wisse, dass mit Outsourcing Risiken verbunden wären. Das eben Gesagte wären ohne Frage gewichtige Argumente. Aber solche Probleme

7 Unternehmenstheater als Ergänzung der Controlling-Ausbildung

81

liessen sich vertraglich oder sonst wie regeln. Schließlich gäbe es genügend erfolgreiche Fallbeispiele dieser Art. Warum dann nicht auch bei DUSH? GF überträgt dem GF-Assi – erneut und diesmal vor allen Beteiligten – die Aufgabe, eine entsprechende Untersuchung anzustellen. IT-Leiter bietet sich an, bei der Untersuchung behilflich zu sein. Controlling-Leiter und Personalchef verlassen zusammen den Sitzungsraum und gehen in das Büro des Controlling-Leiters. Szene 5: Büro Controlling-Leiter (2, dann 3, dann 1) Ort: Büro Controlling-Leiter; Schreibtisch; Stuhl; Laptop, Zeitschriften/Unterlagen Personen: Leiter Controlling ([1] Rühlmann; [2] Baum; [3] Geiger) Leiter Personal ([1] Prächtig; [2] Hr. Müller; [3] Müller) Controlling-Leiter teilt dem Personalchef mit, dass er sich erleichtert, gar fasziniert fühle von der Idee, einen Funktionsbereich, den er seit langem schon für ineffizient hält, durch Leistungsbezug vom Markt auszutauschen. Gewissensbisse hinsichtlich einer dann möglichen Personalfreisetzung habe er nicht. Dazu ist er schon zu lange im Geschäft. Personalchef versucht – gegenüber dem Controlling-Leiter – eine spontane Analyse eines derartigen Outsourcing aus personalwirtschaftlicher und insbesondere arbeitsrechtlicher Sicht und rechnet die einzusparenden Personalkosten unter Berücksichtigung der Abfindungen und Prozesskosten durch. Controlling-Leiter reagiert erfreut auf den Tatendrang des Personalchefs und führt aus, dass IT-Outsourcing-Anbieter durch Spezialisierung deutlich effizienter arbeiten müssten. Es würden sich erhebliche Kostenvorteile für DUSH ergeben. Darüber hinaus liessen sich die hohen fixen EDV-Kosten vielleicht zwar nicht vollständig variabilisieren, aber dennoch sicher stark flexibilisieren. Auf der anderen Seite, das sei ihm klar, würden erheblich mehr Anstrengungen für die Vorbereitung und Aufrechterhaltung einer funktionierenden Partnerschaft mit einem solchen Anbieter auf das Unternehmen zukommen, als er das bisher etwa von Produktions-Teilverlagerungen kannte. Beide vereinbaren, darüber intensiv nachzudenken und erst einmal das Untersuchungsergebnis des GF-Assi abzuwarten. Personalchef verlässt das Büro. Szene 6: GF-Sitzungsraum (3, dann 1, dann 2) Ort: Großer Tisch; ausreichend Stühle; Overhead-Projektor; Getränke und Gläser Personen: GF ([1.] Ortmann; [2] Meretz; [3] Fischer) GF-Assistent ([1] Meier; [2] Meier; [3] Köhler) Leiter Controlling ([1] Rühlmann; [2] Baum; [3] Geiger) Leiter IT ([1] von Hoojer; [2] Allenbach; [3] Schmidt) GF-Assi berichtet von seiner Recherche in Sachen EDV-Outsourcing. Er erwähnt, einen sehr qualifizieren EDV-Service-Anbieter, die „EDC-Computing“, gefunden zu haben, der ziemlich genau das leisten kann, was benötigt wird. Er führt – leicht euphorisch – aus, dass EDC Datenausfallschutz auf höchstem technischen Niveau anböte. DUSH bräuchte sich überhaupt nicht mehr um Updates zu kümmern. EDC hielte die Systeme aktuell und stünde bei Proble-

82

Ulrich Nissen

men bis hin zum Systemabsturz per Help-Desk 24h 7 Tage die Woche zur Verfügung. Deren Mitarbeiter seien Spezialisten, die Erfahrungen auf unterschiedlichen Referenzprojekten besitzen würden, ein Erfahrungsschatz, von dem DUSH profitieren könne. Aufgrund des umfassenden Angebotes an Rechnerleistung und -kapazität wäre EDC in der Lage, eine hohe Auslastung zu erreichen. Dadurch sänken die spezifischen Kosten, die sie an DUSH weiterreichten. Im übrigen würde bei DUSH durch leistungsorientierte Abrechnung mit Sicherheit die Transparenz der Kosten erhöht werden – ein nicht zu unterschätzender Vorteil des IT-Outsourcing. Schätzungsweise 150 T€/a stünden 325 T€ wegfallenden Fixkosten/a im eigenen Haus gegenüber und darüber hinaus zahlreiche wünschenswerte Zusatzleistungen. Der IT-Leiter sieht insgeheim jetzt schon seine Felle davonschwimmen. Nichts wäre jetzt ungeschickter, denkt er, als sich gegen ein mögliches Outsourcing aufzulehnen. Er kann nur forcieren oder gar darauf drängen, dass wirklich alle relevanten Kosten einander gegenüber gestellt werden. So bleibt ihm die Hoffnung, dass sich das vermeintlich wirtschaftlich sehr attraktive Angebot tatsächlich als unprofitabel entpuppt. Insofern bekräftigt er noch einmal, sich bei den weiteren Untersuchungen umfassend beteiligen zu wollen. Darüber hinaus macht er – auf diplomatische Weise – deutlich, dass, wenn überhaupt, die EDV-Kosten doch nicht das Kernproblem darstellen, sondern der Umsatzeinbruch und dass man daher vor allem Maßnahmen ergreifen sollte, den Umsatz zu forcieren. Er fragt, ob es denn dazu schon Lösungsvorschläge gäbe. GF sagt, man arbeite daran und löst die Sitzung auf. Szene 7: Flur (1, dann 2, dann 3) Personen: Leiter Vertrieb ([1] Pfeife; [2] Pfeife; [3] Müller) Leiter Logistik ([1] Otto; [2] Leiser; [3] Müller) Leiter Vertrieb und Logistik-Leiter begegnen sich auf dem Flur. Leiter Vertrieb geht den Flur entlang. Logistik-Leiter kommt hinter ihm, er begrüßt Leiter Vertrieb und möchte ein Gespräch über das Wetter beginnen. Leiter Vertrieb ist kurz angebunden, entgegnet, dass er keine Zeit habe und sehr viel Arbeit auf ihn warte. Szene 8: GF-Sitzungsraum (Allgemeine Krisen-Sitzung durch GF) (2, dann 3, dann 1) Ort: Großer Tisch; ausreichend Stühle; Overhead-Projektor; Getränke und Gläser Personen: GF ([1.] Ortmann; [2] Meretz; [3] Fischer) GF-Assistent ([1] Meier; [2] Meier; [3] Köhler) Leiter Controlling ([1] Rühlmann; [2] Baum; [3] Geiger) Leiter IT ([1] von Hoojer; [2] Allenbach; [3] Schmidt) Leiter Logistik ([1] Otto; [2] Leiser; [3] Müller) Leiter Personal ([1] Prächtig; [2] Hr. Müller; [3] Müller) Leiter Vertrieb ([1] Pfeife; [2] Pfeife; [3] Müller) Vertriebs-Assistent ([1] Köhler; [2] Schneider; [3] Schneider)

7 Unternehmenstheater als Ergänzung der Controlling-Ausbildung

83

GF teilt eine Aufstellung von Zahlen und Fakten aus [REQUISITE 4], die belegen, wie es im Moment um das Unternehmen bestellt ist. GF begründet, warum alle hier zusammengekommen sind, nämlich, um sich die Situation des Unternehmens zu vergegenwärtigen und gemeinsam über Maßnahmen nachzudenken, die die entstandenen Finanzlücken ausgleichen sollen. Controlling-Leiter legt die finanzielle Situation der Firma anhand einer Overheadfolie dar [REQUISITE 5]. Seine Analyse habe ergeben, dass es sich um ein momentanes UmsatzDefizit von 1,5 Mio. € handele. Das sei eine Situation, bei der man sofort handeln müsse. Es gäbe keine Schonfrist. Allein der Absatzeinbruch durch den Konkurs von CareBest führe zu einer Ergebnisreduktion in Höhe von 800.000 €. Die viel zu hohen Kosten in dieser Situation würden DUSH auffressen. Es bestünde Handlungsbedarf, sonst sähe es für die Zukunft dunkel aus. Zum einen ginge es um die Kosten, die massiv reduziert werden müssten. Zum anderen sei es auch von großer Bedeutung, den Umsatz zu forcieren, vielleicht sogar neue Wege zu gehen. Controlling-Leiter nutzt die Gunst der Stunde, einen Vertriebsvorschlag zu unterbreiten und empfiehlt eine Diversifizierung der Produktpalette vorzunehmen, etwa durch Ergänzung von Kosmetikartikeln im kostengünstigen Low-End-Bereich, um ganz neue Käufersegmente zu erreichen. Der Vertriebsleiter greift (weil sich das Controlling in Vertriebsangelegenheiten einmischt) ein und verdeutlicht dem Controlling-Leiter auf arrogante Weise, dass dies – vermeintlich – eine alte Idee sei, die man vergessen könne, sie sei lächerlich und könne nur von jemandem stammen, der sich im Vertrieb nicht auskenne. Der GF ist sichtlich verärgert über ablehnende Haltung des Vertriebsleiters und dass man in der jetzigen Zeit alle neuen Ideen auf den Prüfstein stellen sollte. Da ergreift der Logistik-Leiter das Wort. Produkte für den Niedrigpreissektor wären eine Möglichkeit. Was ihm aber – schon seit langer Zeit – vorschwebe, seien Öko-Kosmetika. Es sei doch deutlich zu erkennen, dass etwa aufgrund des Klimawandels der Umweltschutz wieder ein großes Thema werde. Die junge Generation werde noch vielmehr als die seine damit konfrontiert sein. Das Bewußtsein dafür steige. Wieso solle denn der künftige Verbraucher nicht auch Kosmetika aus umweltgerechter Produktion und ökologischen Inhaltsstoffen kaufen wollen. Er könne sich vorstellen, dass dies ein sehr zukunftsträchtiger Weg wäre. GF schaut in die Papiere, blickt auf und sagt „warum nicht?“ Der Vertriebsleiter ist sichtlich angespannt wegen der nicht von ihm stammenden Vorschläge und versucht abzulenken. Er äußert lapidar, dass man darüber nachdenken könne. Wichtig sei in der gegenwärtigen Situation jedoch vor allem, die Kernkompetenzen im Blick zu haben und dort entsprechende Weichenstellungen vorzunehmen. Und in dieser Hinsicht habe er – mit Unterstützung des Vertriebs-Assis (den er dabei sehr wohlwollend anschaut) – sehr intensiv an einer Neuausrichtung der Vertriebssteuerung gearbeitet. Das Ergebnis möchte er kurz vorstellen. Der Vertriebsleiter legt eine Folie auf den Overheadprojektor und bittet den Vertriebs-Assi das neue Vertriebssteuerungssystem zu erläutern. Vertriebs-Assi erwähnt, dass das bisherige System viel zu schwerfällig war und zu wenig Anreize erzeugt hätte, die Außendienstler stark zu motivieren. Die Außendienstler mussten bisher von der Zentrale festgelegte Produktgespräche durchführen und eine Mindestanzahl

84

Ulrich Nissen

an Kosmetikgeschäften pro Tag aufsuchen. Inwieweit diese Vorgehensweise wirksam war, dürfe man gerne in Frage stellen. Gleichwohl ist das bisherige Steuerungssystem üblich in der Branche. Und genau da sehe er eine bedeutende strategische Chance. Wenn es gelänge, die Außendienstmitarbeiter zur Hochleistung zu motivieren, könne er sich vorstellen, dass von den 30% nominell wegbrechenden Umsätzen mindestens die Hälfte wieder aufgefangen werden könnten. Und hierzu gäbe es auch ein Konzept, nach der die Zentrale überhaupt keine Vorgaben unterbreitet und der Außendienstmitarbeiter allein nach seinem erwirtschafteten Deckungsbeitrag beurteilt und auch provisioniert wird. Alle Anwesenden beteiligen sich – kontrovers – an der Diskussion {…}. Der GF-Assi hat alle Mühe, eine Ordnung des Redeflusses zustande zu bringen. Der Logistik-Leiter meint (ein wenig unqualifiziert), dass, wenn im Zuge der neuen Vertriebsstruktur auch noch Öko-Kosmetika eingeführt werden würden, vieles doch wieder im Lot sei. Leiter Personal macht ein paar ironische Bemerkungen dazu, wie {…} da bräuchte man im Außendienst dann eben stärkere Ellenbogen. Konkurrenz um jeden Preis {…}. Controller fragt nach, ob und inwieweit das Thema EDV-Outsourcing nicht auch noch angesprochen werden sollte; schließlich liegen dort nach seinen Untersuchungen erhebliche Kostensenkungspotentiale vor. Der IT-Leiter zeigt sich sichtlich verärgert und verängstigt. Er wiegelt ab, dass doch im Moment andere Themen im Vordergrund stünden. GF fragt GF-Assi, ob die Unterlagen für die Beurteilung eines möglichen Outsourcings fertig seien. GF-Assi verneint, die Aufstellung der Daten für diese Besprechung habe viel Zeit in Anspruch genommen. GF versucht die Besprechung mit der Bemerkung zu beenden, dass das Vertriebssteuerungskonzept und auch die Überlegung, evtl. Öko-Produkte herzustellen und zu vermarkten, jetzt wichtiger seien. GF erteilt dem Controlling-Leiter den Auftrag, das Vertriebssteuerungskonzept im Detail zu prüfen und ggf. die Einführung aktiv zu begleiten sowie darüber hinaus zusammen mit der Vertriebsleitung eine Untersuchung anzustellen, inwieweit Öko-Produkte für DUSH eine erfolgversprechende strategische Option wären. Controlling-Leiter ist verunsichert. Er beginnt zu stottern und sagt, was er eigentlich dem GF unter vier Augen hat sagen wollen, nämlich, dass er sehr an der Firma hänge und auch sehr gerne die Aufgaben wahrnehmen würde. In Anbetracht der Tatsache, dass er sich wegen der in Kürze bevorstehenden Geburt seines Kindes für Elternzeit entschieden habe und Teilzeit nach Rückfrage nicht in Frage käme, kündigt er hiermit zum 1. Januar. Der GF blickt ratlos und verärgert. Der IT-Leiter ist erleichtert. ENDE

7 Unternehmenstheater als Ergänzung der Controlling-Ausbildung

85

Zusammenfassung Unternehmenstheater Kurzbeschreibung

Inhalte von Lehrveranstaltungen werden durch Kursteilnehmer auf der Bühne inszeniert.

Vorgehen

            

Lernziele

  

Vorstellung der Konzeption und des Ablaufes; Zuweisung von Rollen (betriebliche Funktionsträger → Studierende); Änderung der Namen; z.T. Vergabe von Referatsthemen zu den betrieblichen Funktionen; Kurzeinführung in Theaterarbeit; Übungen zu Gestik, Mimik, Rollenspiel; Erarbeitung von typischen Charaktermerkmalen unterschiedlicher betrieblicher Funktionsträger (i.d.R. überspitzt); Leitfaden gestützte Anfertigung von Biographien der jeweiligen Rollenträger; Erstellung eines offenen Drehbuches auf der Grundlage des bisher Erarbeiteten durch den Dozenten aber mit Unterstützung der Studierenden; Vorstellung des Drehbuches, Schauspielübungen; Durchführung der Inszenierung; Aufnahme per Videokameras; Bearbeitung aufgenommenen Filmabschnitte zu durchgängigen Filmen; Vorstellung der Filme, Analyse der Ergebnisse.



betriebliche Rollen kennen lernen Rollenwechsel üben Erworbenes Wissen in simulierten betrieblichen Alltagssituationen anwenden Soziale Kompetenz

Voraussetzungen

   

An kompletter Lehrveranstaltung teilnehmen. Biografie für eine fremde Rolle erstellen. Gestik-/Mimik-Übungen Beiträge zur Erstellung eines offenen Drehbuches

Literatur und hilfreiche Links



Schreyögg, G./Dabitz, R., Unternehmenstheater, Wiesbaden 1999. Bülow-Schramm, M., Stop! Es hegt auch anders. Oder: Spielend die Hochschule aufhellen. In: Berendt, B., Voss, H.-P., Wildt, J. (Hrsg.): Neues Handbuch Hochschullehre, Hamburg 2006.





Hoffmann, D.: Unternehmenstheater – ein neues ChangeManagement-Instrument für das Controlling? In: krpKostenrechnungspraxis, 44. Jg., (2000), H. 2, S. 87–92

8

Das Controlling-Labor Carsten Wilken „Die Möglichkeit besteht. Das sagt die Theorie. Sie sagt dir, dass es geht. Sie sagt dir nur nicht wie.“ (Franz Wittkamp)

Die Berufsfähigkeit von Absolventinnen und Absolventen wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge gehört zu deren zentralen Lernzielen. Hierzu ist ein stabiles Fundament fachbezogenen Wissens notwendig. Nach dem BWL-Studium muss der Lernende beispielsweise den Cash-Flow eines Unternehmens ermitteln und interpretieren können. Das alleine reicht aber nicht aus. Zur Berufsfähigkeit gehören auch Schlüsselkompetenzen. Diese lassen sich jedoch allenfalls theoretisch im Unterricht bzw. in den Vorlesungen vermitteln. Auch Fallstudien und Planspiele sind hierfür nur eingeschränkt geeignet, weil die echte „Unternehmensatmosphäre“ fehlt. Genau diese wird im Controlling-Labor hergestellt. Dort lassen sich unter Echtbedingungen Büroalltag, schwierige Situationen, Stress und Druck erzeugen. Die Studierenden erleben auf diese Weise, was im Berufsalltag auf sie zukommt. Sie erkennen ihre Stärken und Schwächen und werden so optimal auf den Einstieg in das Berufsleben vorbereitet.

8.1

Wie funktioniert das Controlling-Labor?

Im Controlling-Labor wird der Unternehmensalltag simuliert, indem eine realitätsgetreue Umgebung in Form eines Büros einer Controlling-Abteilung aufgebaut wird. Damit beschreitet die Hochschule Emden/Leer neue Wege in der kompetenzorientierten Lehre. Der Begriff „Controlling-Labor“ setzt sich aus zwei Begriffen zusammen, die auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammengehören: Controlling und Labor. Die Idee hierzu basiert auf drei grundlegenden Überlegungen.

88

Carsten Wilken

Praxis erleben – nicht nur erlernen Ausgangspunkt war das Ziel einer „praxisorientierten“ Ausbildung. Woran aber macht sich eine solche fest? Praxisorientierung kann durch Berufserfahrung der Lehrenden, durch Gastvorträge von Praktikern, Exkursionen oder auch durch die Nutzung von Fallstudien real existierender Unternehmen erreicht werden. Am prägnantesten aber dürfte die Unterscheidung von „erklären“ und „machen“ sein. Ein Beispiel aus einem naturwissenschaftlichen Studiengang verdeutlicht dies: Eine theoretische Ausbildung erklärt, was passiert, wenn man bestimmte chemische Verbindungen miteinander kombiniert. Im Textbuch heißt es dann vielleicht: „Es entsteht eine starke thermische Reaktion.“ Was das aber wirklich bedeutet, erlebt man erst, wenn man im Labor die beiden Stoffe vermengt und dann sieht, wie das Gemisch explodiert. Genauso verhält es sich im Controlling: Es wird die Koordinationsfunktion oder die Rationalitätssicherungsfunktion beschrieben; aber man braucht als Lernender schon sehr viel Phantasie, um sich auszumalen, wie man damit seinen Arbeitstag füllt. Schade, dass man kein Labor hat – oder eben doch? Die Idee des Controlling-Labors entstand vor genau diesem Hintergrund. Die spannende Welt des Controllings soll im wahrsten Sinne des Wortes „erlebbar“ gemacht werden. „Hands-on-Controlling“ sozusagen. Dies ist ein Wesenselement des Controlling-Labors, vielleicht das entscheidende. Damit grenzt sich das Controlling-Labor auch deutlich gegenüber der Übungsfirma ab: Werden in einer Übungsfirma „reale“ Geschäfte abgewickelt, wird im Controlling-Labor der Berufsalltag in einer Abteilung simuliert – mit all seinen Höhen und Tiefen, Problemen und Herausforderungen. Schlüsselkompetenzen vermitteln – nicht nur Fachwissen Dozenten erfahren immer wieder, dass die Praxis mit den Kompetenzen der Absolventen nicht vollständig zufrieden ist. Zumeist bezieht sich das weniger auf deren Fachwissen, als vielmehr auf das Arbeiten im Betrieb: Schüler, Auszubildende bzw. Studierende mit guten Noten haben in aller Regel zunächst einmal bewiesen, dass sie gut Klausuraufgaben lösen und fundierte Abhandlungen in Form von Hausarbeiten schreiben können – meist auch noch alleine. Schade nur, dass dies im Beruf nie wieder von ihnen verlangt wird. Stattdessen müssen sie mit Kollegen, Vorgesetzten, Betriebsräten auskommen. Sie müssen unstrukturierte Aufgaben erledigen und werden anschließend mit unendlich vielen irrelevanten Informationen geradezu zugeschüttet und eventuell in der Abarbeitung ihrer Aufgaben auch noch unentwegt gestört. In dieser Situation hilft das Fachwissen nur bedingt. Jetzt sind vielmehr soziale und kommunikative Kompetenzen gefragt. Zwei von drei Unternehmen sehen hier Nachbesserungsbedarf im Studium.88 Praktiker die Inhalte mitbestimmen lassen Die Hochschule Emden/Leer hat für einige Studiengänge „Beiräte“ eingerichtet. Diese setzen sich aus Vertretern der Hochschule und von Unternehmen oder sonstigen Organisationen, wie z. B. Gebietskörperschaften, zusammen. Beiräte haben nur eine beratende Funktion; die beteiligten Unternehmen und Organisationen sind meist mit der Hochschule eng verbunden und nutzen die Mitarbeit, um diese Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen. Aus Sicht der Hochschule ergibt sich der Nutzen zum einen aus den Kontakten in die Wirtschaft, z. B. bei der Vermittlung von Projekten oder Praktikumsstellen. Zum anderen erhofft man sich Impulse für die Entwicklung des Curriculums aus der Sicht derjenigen, die später die Absolventin88

Vgl. Konegen-Grenier; Placke; Stangl; 2011, S. 96

8 Das Controlling-Labor

89

nen und Absolventen der Studiengänge aufnehmen. Dieser Anspruch scheitert jedoch regelmäßig: Zu Recht verweisen die Praxisvertreter darauf, dass die Entwicklung von Curricula ureigenste Domäne der Hochschulen ist. Bei der Entwicklung des Controlling-Labors war dies anders: Hier wurden für die Konzeptionierung erfahrene Controller namhafter Firmen (u. a. VW, Enercon) einbezogen. In zahlreichen Workshops wurde die Idee des Controlling-Labors schrittweise konkretisiert. Die Beteiligung der Praktiker an diesen Workshops erwies sich als Glücksfall: Zum einen wurden zahlreiche Anregungen für die Simulation des Controller-Alltags gegeben. Hierzu brachten alle Teilnehmer zahlreiche Anekdoten und Schlüsselerlebnisse aus dem eigenen Berufsleben ein. Zum anderen konnten durch das vorhandene Know-how über praktische Fragestellungen (Was machen unsere Controller im Unternehmen?) und Kenntnisse über bestehende Ausbildungsinhalte (Was können unsere Absolventen?) praxisrelevante und anspruchsvolle aber lösbare fachliche Aufgabenstellungen entwickelt werden.

Abb. 8.1:

Ergebnis des Workshops mit Praxisvertretern in der Entwicklungsphase des Controlling-Labors

Entwicklung des Controlling-Labors in vier Stufen Die Entwicklung des Controlling-Labors an der Hochschule Emden/Leer erstreckt sich nunmehr über insgesamt vier Semester. Dabei wurde ein stufenweises Vorgehensmodell gewählt. Alle nachfolgend beschriebenen Phasen wurden als studentisches Projekt an der Hochschule durchgeführt. Stufe I: Entwicklungsphase In dieser Phase ging es zunächst darum, die Idee des Controlling-Labors zu konkretisieren und Themen zu finden, die darin behandelt werden können. Hierzu wurden junge Controller befragt, zum Teil aus den Reihen der Absolventinnen und Absolventen des Fachbereichs Wirtschaft, aber auch erfahrene Mitarbeiter, bis hin zu Vorständen und Geschäftsführern. Insgesamt war von Seiten der Praxis die Bereitschaft, an der Konzeptionierung des Vorhabens mitzuarbeiten, außerordentlich groß. Diese Phase wurde durch mehrere Workshops organisiert. Darin wurden die Praktiker gebeten, auf drei Fragen Antworten zu geben: 

Was sind typische Kompetenzen, die junge Controller mitbringen sollen?

90

Carsten Wilken



Welches sind die typischen Schwierigkeiten und Herausforderungen, mit denen sie als Controller konfrontiert werden?  Welche weiteren, nicht controlling-spezifischen Problemsituationen erleben Praktiker mit Berufsanfängern? In den Workshops wurden diese Fragen zunächst beantwortet, verallgemeinert, priorisiert und auch dahingehend analysiert, wie man sie szenisch darstellen kann. Die Fragestellungen wurden in fachliche und überfachliche getrennt. Letztere wiederum wurden weiter in controlling-spezifische und allgemeine unterteilt. Typische fachliche Aufgabenstellungen, mit denen in den beteiligten Unternehmen Berufsanfänger im Controlling betraut werden, sind: Abweichungsanalysen durchführen, Investitionsrechnungen erstellen bzw. prüfen und Ergebnisplanungen koordinieren. Bei der Entwicklung Controlling-spezifischer Kompetenzen ging es darum, solche zu identifizieren, mit denen Controller eher konfrontiert werden als Mitarbeiter anderer Abteilungen. Z. B. wird erwartet, dass Controller Informationen auf Plausibilität prüfen und objektivieren können. Zu den allgemeinen Kompetenzen gehört z. B. der angemessene Umgang mit Vorgesetzten und Kollegen. Im Ergebnis lagen erste Konzepte für die Gestaltung des Controlling-Labors vor: Eine Liste der Themen, die dort behandelt werden können, sowie eine „Unternehmensbroschüre“, die einen einheitlichen Rahmen vorgibt. Stufe II: Pilotphase Aufbauend auf den Ergebnissen der ersten Stufe wurden die ersten Drehbücher konzipiert, und organisatorische Fragen geklärt:   

Wie sind die räumlichen Anforderungen? Wie sind die Arbeitsplätze zu gestalten? Wie kann die Kommunikation im Unternehmen simuliert werden?

Im Mittelpunkt stand jedoch die erstmalige, detaillierte und praxistaugliche Generierung von „Szenarien“. Diese sind quasi „Drehbücher“, in denen die Aufgabenstellung beschrieben ist: Welche Abteilungen des Unternehmens werden einbezogen, wann werden welche Informationen von wem herausgegeben, wie ist dabei zu reagieren (willig / unwillig, sofort / mit Zeitverzug, richtig / falsch). Gleiches galt für die spezifischen Herausforderungen des Büroalltags. Auch hier war festzulegen, welche „Störfaktoren“ vorkommen sollten, welcher Mitarbeiter bzw. Vorgesetzte sie einsetzt und wie. Im Ergebnis waren die Drehbücher und „Sprechzettel“ für alle Beteiligten vorbereitet, die problematischen Alltagssituationen beschrieben; das Labor wurde für zwei kleinere Gruppen von Studierenden erprobt. Stufe III: Einsatz bei Studierenden In dieser Stufe ging es darum, aus den Fehlern der erstmaligen Durchführung zu lernen und Aufgaben- und Problemstellungen anzupassen. Zudem wurden die organisatorischen Abläufe optimiert. Zum Beispiel stellte sich rasch heraus, dass der Student, der in der Telefonzentrale die Anrufe entgegenzunehmen hatte und dabei in verschiedene Rollen schlüpfen musste, überfordert war. Ebenso wurde klar, dass das Thema „Business Behavior“ zu kurz kam. So

8 Das Controlling-Labor

91

wurde ein „Chef-Gespräch“ entwickelt, in dem allerlei Fallstricke dafür sorgten, dass die Teilnehmer in schwierig zu meisternde Situationen kamen. Im Mittelpunkt stand in dieser Phase das Ziel, das Controlling-Labor für größere Teilnehmerzahlen durchzuführen. Im Ergebnis lagen zwei Szenarien von außerordentlich guter Qualität vor; der Störfaktorenkatalog war erheblich erweitert worden. Zudem wurde das Controlling-Labor zweimal für Teilnehmergruppen von je 10 Studierenden angeboten. Stufe IV: Einsatz bei Praktikern In der Zwischenzeit wurde an der Hochschule Emden/Leer ein Weiterbildungsinstitut gegründet, das auf das Controlling-Labor aufmerksam geworden war. Es entstand der Wunsch, dieses Angebot auch jungen Berufspraktikern und/oder -anfängern anzubieten. Aufgrund der vorhandenen Erfahrungen der Praktiker wurde ein neues Szenario erstellt, dass eine wesentlich komplexere Fragestellung beinhaltete. Zudem wurde, da das Angebot für Dritte kostenpflichtig war, ein Controlling-Abteilungsleiter eines größeren, regionalen Unternehmens einbezogen, der insbesondere beim Feedback den Teilnehmern Erfahrungen aus seiner Sicht als Vorgesetzter mit auf den Weg geben sollte. Kontinuierliche Rückkoppelung mit der Praxis In allen beschriebenen Phasen wurde Wert darauf gelegt, die Berufspraktiker, die bei der Konzeption in Stufe I mit im Boot waren, weiterhin zu beteiligen. Hierzu wurden sie zum Test- und Echtbetrieb des Controlling-Labors eingeladen – entweder als Zuschauer oder für das Feedback an die Studierenden. Auf diese Weise erlangten die Teams wertvolle Hinweise für fachliche Aspekte der Szenarien, für die szenischen Darstellungen oder für die Gestaltung des Feedbacks.

8.2

Lernziele

Im Controlling-Labor geht es nicht um die Vermittlung von Fachwissen, sondern um die Erlangung von Kompetenzen. Hierunter kann die Fähigkeit verstanden werden, situationsadäquat handeln zu können.89 Eine typische Unterteilung von Kompetenzen ist die nach Roth in Fach-, Sozial-, und Selbstkompetenz, die nachfolgend um die Methodenkompetenz erweitert wurde.90 Diese wurde von der Kultusministerkonferenz aufgegriffen und erweitert und ist Grundlage der nachfolgenden Definitionen.91 Alle der nachfolgend beschriebenen Kompetenzbereiche wurden dahingehend analysiert, inwieweit sie für Controller von besonderer Bedeutung (controlling-spezifische Kompetenzen), oder für alle Mitarbeiter eines Unternehmens in gleicher Weise wichtig sind (allgemeine Kompetenzen).

89 90

91

North; Reinhardt; Sieber-Suter, 2013, S. 43 Vgl. Roth, 1971, S. 448 ff. Roth spricht in diesem Zusammenhang von Sach- statt von Fachkompetenz. Angesichts der Berufsbezogenheit der hier gemachten Ausführungen, erscheint die Verwendung des Begriffs „Fachkompetenz“ jedoch angebrachter. Zu den Kompetenzbereichen vgl. auch Heyse; Erpenbeck, 1999 und Bunk, 1994. Vgl. Sekretariat der Kultusministerkonferenz, 2007, S. 11. Dort werden noch die Kommunikative- und die Lernkompetenz aufgeführt, die in diesem Beitrag jedoch den anderen Kompetenzbereichen zugeordnet sind.

92

Carsten Wilken

Fachkompetenz Auf der Grundlage fachlichen Wissens und Könnens Aufgaben und Probleme zielorientiert, sachgerecht, methodengeleitet und selbstständig lösen und das Ergebnis beurteilen können. Neben fachlichem Wissen wird zur Erlangung der Fachkompetenz vor allem Anwendungskompetenz benötigt. Es sind zwei völlig verschiedene Dinge, einen Aufgabenzettel lösen zu können, nachdem man im Unterricht die anzuwendende Methode vertieft hat, als eine unklare Aufgabenstellung zu bearbeiten, die der Vorgesetzte mit den Worten zugeteilt hat: „Können Sie hier mal eben draufschauen und sehen, ob sich das für uns rechnet?“ Nun wird erwartet, dass man seinen Methodenkoffer durchscannen kann und die „richtige“ Methode für die Lösung der Aufgabenstellung findet. Dies stellt insbesondere Studierende vor enorme Herausforderungen, da sie solche offenen Fragestellungen aus ihrem Studium nicht kennen. Im Controlling-Labor wird aber genau diese Kompetenz verlangt. Die Fragestellung ist bewusst unklar gehalten. Die gewünschte oder erforderliche Vorgehensweise ist nicht exakt beschrieben. Es sind Handlungsspielräume vorhanden. Die zur Verfügung gestellten Instrumente und Informationen, z. B. in Form von Handbüchern, Vorlagen etc., lassen vielerlei Lösungsmöglichkeiten erkennen. Aber Sinn macht für jede Aufgabenstellung immer nur eine. Diese zu identifizieren und dann auch noch richtig anzuwenden, ist Gegenstand der Schulung der Fachkompetenz. Dabei wird grundlegendes Wissen aus dem Controlling vorausgesetzt. Selbstkompetenz Als Persönlichkeit Entwicklungschancen, Anforderungen und Einschränkungen klären, durchdenken und beurteilen, eigene Begabungen entfalten und Wertvorstellungen durchdenken können. Selbstkompetenz hat viel damit zu tun, sich der eigenen Stärken und Schwächen bewusst zu sein und sich auf dieser Basis selbst „organisieren“ und „managen“ zu können. In diesem Sinne sind wichtige Ausprägungen des Selbstmanagements Standfestigkeit, Neutralität, Vertraulichkeit, Zuverlässigkeit, Selbständigkeit, Leistungsbereitschaft oder auch Belastbarkeit. Im Controlling-Labor sind diese Kompetenzen in besonderer Weise gefordert: Die Teilnehmer erhalten vertrauliche Informationen und werden dann von Dritten „verführt“, diese herauszugeben. Zudem stehen sie die ganze Zeit unter hohem Zeit- und Ergebnisdruck. Ohne ein hohes Maß an Selbstorganisation und einem guten Zeitmanagement sind die Aufgaben auch nicht ansatzweise im vorgegebenen Zeitfenster zu erledigen. Sozialkompetenz Soziale Beziehungen leben und gestalten, Zuwendungen und Spannungen erfassen und verstehen sowie sich mit Anderen rational und verantwortungsbewusst auseinander setzen und verständigen können.

8 Das Controlling-Labor

93

Zur Sozialkompetenz gehören Fähigkeiten wie Kommunikationsfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Empathie, Konfliktfähigkeit und Teamfähigkeit. Sozialkompetenz spielt in unserer arbeitsteiligen Welt eine zunehmend bedeutende Rolle. Fähige, kompetente Mitarbeiter, mit denen niemand zusammen arbeiten will, verursachen im Arbeitsalltag erhebliche Probleme. Für Hochschulabsolventen gilt dies in besonderer Weise: Sie steigen mit einem akademischen Abschluss in Unternehmen ein und übernehmen nicht selten rasch verantwortungsvolle Aufgaben. Gleichzeitig ist Ihnen die Situation im Unternehmen neu und unbekannt. Auf jeden Fall dürfte sie mit der ihnen vertrauten StudierendenUmgebung wenig bis gar nichts gemein haben. Kein Wunder, dass sie schnell einmal „anecken“ und sich durch ungeschicktes Verhalten unbeliebt oder gar lächerlich machen, zumal sie häufig insbesondere von älteren, erfahreneren oder auch neidischen Mitarbeitern gerne einmal „in die Falle gelockt“ werden. Im Controlling-Labor erleben die Teilnehmer diese Situationen hautnah. Sie werden mit Kolleginnen und Kollegen konfrontiert, die teilweise übermotiviert (also z. B. unendlich viel Zeit für unwichtige Gespräche haben) und teilweise unwillig sind (also z. B. gerade keine Zeit haben, wichtige, verfügbare Informationen herauszugeben). Sie müssen sich Gesprächen mit Vorgesetzten stellen, die sie unverhofft in schwierige Situationen bringen (z. B. in dem sie die Teilnehmer auszuhorchen versuchen). Methodenkompetenz Bei der Bearbeitung von Aufgaben und Problemen zielgerichtet und planmäßig vorgehen können. Um im Unternehmen richtig und erfolgreich zu arbeiten, ist es erforderlich, die Aufgaben zu bewältigen. Dazu gibt es eine Reihe von Instrumenten, Methoden oder Vorgehensweisen, die dabei hilfreich sind. Deren Beherrschung und Anwendung macht die Methodenkompetenz aus. Sie manifestiert sich in Fähigkeiten wie Informationskompetenz, Moderationstechniken, Überblick, Problemlösekompetenz, Kreativitätstechniken, Rhetorik oder Präsentationstechniken. Die WHU betreibt seit Jahren ein Controller-Panel, bei dem leitende Controller und deren Manager zu verschiedenen Aspekten des Controllings befragt werden. Ein Bereich betrifft die Kompetenzen, die Controller mitbringen sollten. Seit Jahren ist die wichtigste Kompetenz die Fähigkeit, kritisch zu hinterfragen und Schwachstellen zu erkennen, mithin die Analysekompetenz.92 Im Controlling-Labor wird auf die Anwendung dieser Kompetenz ebenfalls besonderer Wert gelegt. So sind viele der Informationen, die die Teilnehmer für ihre Aufgaben benötigen, offensichtlich falsch, sei es, dass Tabellen unvollständig sind, dass einzelne Werte offensichtlich viel zu hoch sind, dass der Zeitraum nicht passt (Jahres- statt Monatswerte). Die Teilnehmer sollten diese Fehler erkennen und damit richtig „umgehen“ können (z. B. ist der Monatswert selten 1/12 des Jahreswertes, weil hierbei Saisonschwankungen nicht berücksichtigt werden.).

92

Vgl. Schäffer; Weber; Mahlendorf, 2012, S. 148

94

Carsten Wilken

8.3

Praktische Durchführung

Die praktische Durchführung des Controlling-Labors vollzieht sich in zwei Stufen: Planung / Vorbereitung und Durchführung, und erstreckt sich über ein gesamtes Semester. Die Durchführung selber findet an einem Tag statt. Der Ablauf vollzieht sich in den Schritten: Einführung, Aufgabenbearbeitung/Büroalltag und Feedback. Zielvereinbarung und Teambildung

Einarbeitung und Neukonzeption

Feinkonzept und Vorbereitung

Begrüßung und Einführung

PLANUNG/VORBEREITUNG

Abb. 8.2:

Büroalltag und Aufgabenbearbeitung

Reflexion und Feedback

DURCHFÜHRUNG

Meilensteine bei Planung und Durchführung eines Labors

Planung / Vorbereitung des Labors Planung/Vorbereitung und Durchführung erfolgen an der Hochschule Emden/Leer als studentisches Projekt. Hierfür können sich sowohl Bachelor- als auch Master-Studierende bewerben. Die Teams, die das Labor planen und vorbereiten, machen hinterher mit: Sie übernehmen Rollen, wie die des Abteilungsleiters, des Kollegen oder des Personalchefs. Sie sind jedoch keine Teilnehmer im Sinne von zu schulenden Teilnehmern. Zielvereinbarung und Teambildung Zunächst ist allen Teammitgliedern Sinn und Zweck des Controlling-Labors zu verdeutlichen. Anschließend werden die Ziele definiert, die zum einen in der ein- oder mehrmaligen Durchführung des Labors am Ende des Semesters liegen, als zum anderen auch in seiner inhaltlichen und organisatorischen Weiterentwicklung. Nachfolgend werden verschiedene Teil-Teams gebildet. Bewährt hat sich die in der nachfolgenden Abbildung dargestellte Unterteilung. Dem Team müssen mindestens 8 Studierende angehören; ideal sind 10 Studierende.

Projektpate

Projektleitung und Projektcontrolling

Entwicklung Szenarien (2)

Abb. 8.3:

Entwicklung Störfaktoren (2)

Infrastruktur (1)

Organisation des studentischen Teams

Marketing und Akquisition (1)

Dokumentation/ Organisation (2)

8 Das Controlling-Labor

95

Einarbeitung und Neukonzeption Die einzelnen Teams sichten die vorhandenen Unterlagen und machen sich mit ihren Aufgabenstellungen vertraut. In regelmäßig stattfindenden Besprechungen wird festgelegt, wo es Optimierungs- oder Änderungsbedarfe gibt. Diese werden gemeinschaftlich besprochen und festgelegt. Anschließend wird ein klassischer Meilensteinplan entwickelt, dessen Einhaltung eng kontrolliert wird. Aus den Erfahrungen der durchgeführten Controlling-Laboren, dem vorliegenden Feedback und Gesprächen mit älteren Teammitgliedern ergeben sich zumeist mehr oder weniger starke Bedarfe zur Überarbeitung der Szenarien und „Störfaktoren“. Zudem wird in der Regel in jedem Semester zumindest ein Szenario (also eine Sachaufgabe) neu entwickelt, nicht zuletzt, um zu verhindern, dass sich die Teilnehmer ansonsten über die im vergangenen Semester erarbeiteten Lösungen austauschen. Feinkonzept und Vorbereitung Das Controlling-Labor findet aufgrund der langen Vorbereitungszeit typischerweise gegen Ende des Semesters statt. Die letzten beiden Wochen stehen daher im Zeichen des FineTunings. Es werden z. B. alle Dokumente mit aktuellem Datum versehen, die virtuellen Telefonlisten überarbeitet und der Ablauf wird minutiös geplant. Die Vorbereitung umfasst im Wesentlichen den Aufbau des Labors und hier vor allem die Einrichtung der Arbeitsplätze und deren Vernetzung. Hier ist das Team fast den ganzen Tag im Einsatz. Lediglich bei der Zweitdurchführung reichen 4–5 Stunden Aufbauzeit aus. Durchführung des Labors Als Ablauf hat sich dabei nachfolgendes Schema bewährt: Begrüßung und Einführung Die Teilnehmer werden zweifach begrüßt: Zunächst durch den Projektleiter als Teilnehmer des Controlling-Labors und anschließend durch den Abteilungsleiter Controlling als neue Mitarbeiter der Carpe Diem GmbH, des Musterunternehmens, das den Rahmen gibt. Diese Unterteilung erfolgt aus zwei Gründen: Einerseits sind die Spielregeln und der Tagesablauf zu erläutern (Seminarebene); andererseits – deutlich davon getrennt – steht die Begrüßung im Unternehmen, die Einweisung in den Arbeitsplatz und die Erläuterung der Sachaufgabe mit allen Rahmenbedingungen (Unternehmensebene). Büroalltag und Aufgabenbearbeitung Anschließend beginnen die Teilnehmer selbständig mit der Durchsicht ihres Arbeitsplatzes und der Bearbeitung ihrer Aufgabe. Dabei werden sie allerdings immer wieder gestört: Sie müssen zum Chef, zur Personalleiterin, bekommen Aufgaben von Kollegen aufgedrückt und erhalten nervige Anrufe. Zudem verläuft die Bearbeitung der Aufgaben schleppend, weil wichtige Ansprechpartner nicht da sind, die falsche Unterlagen senden oder vertrösten. Jeder Praktiker kann von diesen Zuständen in Unternehmen „ein Lied“ singen, wenngleich die Häufung etwas ungewöhnlich ist. Nur so lassen sich jedoch möglichst viele schwierige Situationen in kurzer Zeit unterbringen.

96

Carsten Wilken

Kurz vor Mittag verlangt der Abteilungsleiter dann die Ergebnisse, die per Mail zuzusenden sind. Es ist nicht gut, wenn nun nichts vorliegt, aber vorab nicht Bescheid gegeben wurde; dann kann man sich schon einmal den ersten Rüffel abholen. Reflexion und Feedback Anschließend gibt es eine kleine Erholungsphase und einen Imbiss. In dieser Zeit wertet das Team die Unterlagen aus und bereitet eine kurze Präsentation vor, in der die wesentlichen beobachteten Verhaltensweisen und Fehler in der Bearbeitung der Sachaufgabe zusammengefasst werden. Anschließend erfolgt das Feedback an die Teilnehmer in offener Runde. Um hierin niemanden bloß zu stellen, erfolgt es nicht namentlich und personalisiert, sondern anonym („Folgendes Verhalten wurde beobachtet …“). Derzeit sieht die Konzeption vor, dass das Feedback in mehreren Phasen unterteilt ist: Zunächst wird die Sachaufgabe erläutert, die „richtige“ Lösung präsentiert und Fragen hierzu diskutiert (fachlicher Input). Anschließend wird auf das Thema „Business Behavior“ eingegangen. Dieses wurde in einem Gespräch mit der Personalleitung beobachtet. Die Beobachtungen werden szenisch nachgestellt und dann in der offenen Runde diskutiert. Es ist erstaunlich, wie weit die Wahrnehmung von „Fehlern“ Dritter und das eigene Vorgehen auseinander klaffen. Abschließend erfolgt der zeitintensivste Teil: Die Besprechung der schwierigen Alltagssituationen. Hier wird zunächst unter Einsatz von Metaplantechnik abgefragt, welche Situationen die Teilnehmer überhaupt als schwierig wahrgenommen haben. Hier zeigt sich vor allem bei jungen Bachelor-Studierenden, dass viele dieser Situationen gar nicht als solche erkannt wurden. Insoweit ist das reine Besprechen dieser Situationen für die meisten schon eine wertvolle Erfahrung mit vielen „Aha-Effekten“. Nachfolgend wird die geeignete Vorgehensweise besprochen, wobei sich hier oftmals zeigt, dass es die eine richtige Vorgehensweise nicht gibt, sondern eher die „situationsadäquate“, die letztlich auch zu dem jeweiligen Teilnehmer passen muss, um authentisch zu sein. Notengebung Die Teilnahme am Controlling-Labor wird als zusätzliche, berufsqualifizierende Maßnahme angeboten. Die Teilnahme ist freiwillig. Die Teilnehmer erhalten ein Zertifikat, aber keine ECTS und auch keine Noten. Das studentische Team erhält einen Projektschein, dessen Benotung die fachliche Qualität der Lösung, den Gesamteindruck der durchgeführten Controlling-Labore und die sozialen Kompetenzen im Team sowie die Selbstkompetenz der einzelnen Teammitglieder umfasst.

8 Das Controlling-Labor

8.4

97

Kritische Analyse

Vorteile Das Controlling-Labor stellt in vielerlei Hinsicht eine geradezu ideale Ergänzung zum „regulären“ Vorlesungsbetrieb dar:  





Es werden Kompetenzen geschult, die in Vorlesungen in dieser Form nicht vermittelt werden können. Die Studierenden „erleben“ Controlling: Nicht das Errechnen von Werten, sondern das „Beschaffen“ von Informationen, das „Interpretieren“ von Sachverhalten und das „Verkaufen“ von Ergebnissen stehen im Vordergrund. Zudem werden die Studierenden auf den Büroalltag vorbereitet, was in der studentischen Evaluation als sehr vorteilhaft und lehrreich bewertet wird. Gleichzeitig wird durch die Freiwilligkeit des Angebots erreicht, dass wirklich nur interessierte Studierende teilnehmen, was sich wiederum vorteilhaft auf die gesamte Atmosphäre im Controlling-Labor auswirkt. Insoweit wissen die Studierenden das Controlling-Labor auch als angenehme Abwechslung vom Studierendenalltag zu schätzen. Letztlich erfolgt die Durchführung als studentisches Projekt. Dabei lernt das Team, wie Projekte organisiert und erfolgreich zum Abschluss gebracht werden können; es erlernen aber auch die verschiedenen Rollen im Projekt, die Notwendigkeit von Führung und Führungsinstrumenten und wie wichtig soziale und Team-Kompetenzen sind.

Herausforderungen Konzeptionierung und Vorbereitung des Controlling-Labors sind ausgesprochen aufwendig. Das erste Labor hatte über ein Jahr Vorlaufzeit; man braucht hierfür also einen langen Atem und viel Enthusiasmus. Aber auch hinterher benötigt die Vorbereitung und Durchführung des Controlling-Labors viel Zeit und Energie. Neben den regelmäßig stattfindenden Besprechungen benötigt vor allem die (Weiter-) Entwicklung der Szenarien viel Arbeitsaufwand für die Studierenden und viel Betreuungsaufwand für die Projektleitung. Ein Kernproblem stellt der rasche Wechsel der Studierenden dar: Durch die Bachelor/Master-Struktur sind an der Hochschule Emden/Leer die Bachelor-Studierenden nach dem Hauptstudium nur noch ein Jahr an der Hochschule. Geht man davon aus, dass idealerweise die Mitglieder im studentischen Team das Controlling-Labor im 4. Semester besucht haben, stehen Sie anschließend nur noch ein Semester als Teammitglieder zur Verfügung, bevor sie in ihre Praxisphase gehen. Insoweit fangen die Teams in aller Regel immer wieder bei Null an. Auch wenn das Studierendenteam stark motiviert ist, so fehlt doch einfach das Know-how, das immer wieder recht mühselig aufzubauen ist. Aber man wird auch belohnt: Zweifelt man mitunter vor der Durchführung noch am Sinn und hinterfragt das Nutzen-Aufwands-Verhältnis kritisch, so überwiegt am Ende doch – zumindest bislang – bei allen Beteiligten, sei es der Leitung, dem studentischen Team oder auch den Teilnehmern, der Spaß an der Sache und die Freude an einem gelungenen Ausbildungskonzept.

98

Carsten Wilken Zusammenfassung Controlling-Labor

Kurzbeschreibung

Es wird der erste Arbeitstag eines Controllers / einer Controllerin simuliert. Die Teilnehmer müssen eine fachliche Aufgabe lösen und erleben allerlei „Störfaktoren“ und „Fallstricke“ des Berufsalltags. In der Feedbackrunde werden die Situationen erklärt und Lösungsstrategien besprochen.

Vorgehen

       

Planung und Vorbereitung Zielvereinbarung und Teambildung Einarbeitung und Konzeption Feinkonzept und Vorbereitung Durchführung Begrüßung und Einführung Büroalltag und Aufgabenbearbeitung Reflexion und Feedback

Lernziele

   

Fachkompetenz / Anwendungskompetenz Sozialkompetenz Selbstkompetenz Methodenkompetenz

Voraussetzungen

   

Entwicklung von Szenarien und Störfaktoren Hard- und Software: Laptops und Kommunikationssoftware Größeres studentisches Team für Planung und Durchführung Räumlichkeiten: Ein bis Zwei Großraumbüros (Trennwände!), eine Telefonzentrale, ein Vorgesetztenbüro

Literatur und hilfreiche Links



Wilken, C. Mit dem Controlling-Labor Controlling erleben, in: Controller-Magazin, Ausgabe 1/2013

8.5

Literatur

Bunk, G. P., Kompetenzvermittlung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung in Deutschland, in: Europäische Zeitschrift Berufsbildung, 1994: Kompetenzen: Begriff und Fakten. Heyse, V.; Erpenbeck, J., Die Kompetenzbiographie. Strategien der Kompetenzentwicklung durch selbstorganisiertes Lernen und multimediale Kommunikation, Münster 1999 North, K.; Reinhardt, K.; Sieber-Suter, B., Kompetenzmanagement in der Praxis, 2. Aufl.; Berlin 2013 Konegen-fGrenier, C.; Placke, B.; Stangl, T., Unternehmen im Fokus, in: Mit dem Bachelor in den Beruf, hrsg. von Briedis, K.; Heine, C.; Konegen-Grenier, C.; Schröder, A., Essen 2011 Sekretariat der Kultusministerkonferenz (Hrsg.), Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannt Ausbildungsberufe; Bonn 2007 Roth, H., Pädagogische Anthropologie, Band 2, Hannover 1971 Weber, J.; Schäffer, U., Einführung in das Controlling; 11. Aufl.; Stuttgart 2006 Wilken, C., Mit dem Controlling-Labor Controlling erleben; in: Controller-Magazin; Ausgabe 1/2013, S. 44–46

9

Gamification – Spielend leicht lernen Avo Schönbohm93 „Das Gefühl aber, sich gemeinsam in einer Ausnahmestellung zu befinden, zusammen mit den anderen abzusondern und sich den allgemeinen Normen zu entziehen, behält seinen Zauber über die Dauer des einzelnen Spiels hinaus.“ (Huizinga, 1956, S. 19)

Wirtschaftswissenschaftliche Lerninhalte stehen im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Lernenden mit sozialen Netzwerken, dem Internet und Computerspielen, die mehr Spaß versprechen und ein hohes Abhängigkeitspotential besitzen. Gamification nutzt Elemente aus dem Computerspieldesign, um Lernende zu aktivieren und ein erhöhtes LernEngagement zu erzielen.

9.1

Was ist Gamification?

Als Gamification (engl. Game = Spiel) oder auch Ludifikation94 (lat. ludus = Spiel) bezeichnet man die Übertragung von Prinzipien und Mechaniken von (Computer-) Spielen auf Gebiete, die klassischerweise nicht mit Spiel und Spaß in Verbindung gebracht werden.95 Ziel der Ludifikation ist eine zielgerichtete Verhaltensbeeinflussung von Menschen durch Bindung („Engagement“).96 Die jeweiligen Ziele können je nach Anwendung Kundenbindung, Kauffrequenz, Arbeitsmotivation oder eben Lernengagement sein.97 Die zu Grunde liegenden verhaltenspsychologischen und anthropologischen Annahmen besagen, dass der Mensch

93

94 95 96 97

Der Autor (www.avoschoenbohm.de) dankt Maximilian Schlutter (http://bizfest.wordpress.com/author/maxschlutter/) für zahlreiche anregende Diskussionen zur Gamification, ohne die dieser Artikel nicht zustande gekommen wäre. Vgl. Grimes; Feenberg, 2009, S. 109 Vgl. Zichermann; Cunningham, 2011, S. xiv Vgl. Reeves; Read, 2009, S. 13; Zichermann, Cunningham, 2011, S. xvi–xix Vgl. http://www.gamification.org/wiki/Gamification

100

Avo Schönbohm

einen inhärenten Spieltrieb besitzt, also ein „homo ludens“ ist.98 Daraus folgt, dass er Tätigkeiten mit Freude und Engagement ausübt, die klassischerweise als langweilig oder wenig belohnend empfunden werden, wenn diese in einer spielerischen Form angeboten werden.99 Die Quelle von Ludifikation ist die Erfolgsgeschichte der Computerspiele und deren verhaltenspsychologische Begleitung bzw. mit verhaltenspsychologischen Erkenntnissen entwickelten Spielmechaniken.100 Computerspiele in Form von Rollen-, Action- oder Sozialspielen machen heutzutage einen großen Teil der Lebenswirklichkeit der Lernenden und Lehrenden aus. Täglich spielen weltweit mehrere hundert Millionen Menschen Rollenspiele, z. B. „World of Warcraft“, oder Spiele in sozialen Netzwerken wie „Farmville“ auf Facebook.101 Die Bedeutung von Computerspielen lässt sich ebenfalls daran ablesen, dass der Umsatz mit Computerspielen mittlerweile größer ist als der von Kino- bzw. Videofilmen.102 Computerspieldesign ist zu einer Wissenschaft geworden, die nicht nur große Budgets hat, sondern deren Erkenntnisse mit der Gamification oder Ludifikation auch die Welt der Computerspiele verlassen hat, mit dem Anspruch die Welt zu revolutionieren.103 Die Ludifikation hat mittlerweile vielfältige Anwendungsbereiche erobert:104 Neben Kundenbindungsprogrammen (z. B. Flugmeilenprogramme oder Kaffeefahrten) finden sich Beispiele im Bereich Fitness (z. B. Nike+), unternehmensinterne Motivationsprogramme oder auch die Ludifikation der Schul- und Universitätsbildung, wie z. B. die Khan-Academy.105 Die Ludifikation der Lehre hat zum Ziel, das Lernerlebnis der Lernenden in ein aktives Spiel zu verwandeln und so die Lernenden durch Motivation und Lernengagement, insbesondere durch soziale Bindungen an die Kommilitonen bzw. Mitschüler und den Dozenten, zu aktivieren. Die Lehrveranstaltung wird dabei zu einem sozialen Spiel mit vielen Teilnehmern. Der Lehrende wird zum Spieldesigner und zum Magister Ludi, also zum Spielmeister. Die Grundelemente des Spiels Das Spiel selbst kann einfach aber treffend dadurch beschrieben werden, dass ein Spiel eine freiwillige Problemlösungsaktivität ist.106 Das Spiel ermöglicht ein selbstbestimmtes und freies Vorgehen innerhalb eines geregelten Referenzsystems mit einem effektiven Rückmeldungsmechanismus über das Handeln.107 Wichtig sind hierbei insbesondere vier Kernelemente, die jedes Spiel aufweist: Ziel, Regeln, Rückmeldungen und Freiwilligkeit:108 Es gibt ein klares Ziel, auf das die Spieler hinarbeiten können. Dieses Ziel impliziert auch ein inhärentes Sinnempfinden für den Spieler. Huizinga stellt das Spiel in einen besonderen imaginären, ja magischen Raum, der sich klar vom Alltäglichen unterscheidet.109 Spiele werden nach Re98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109

Vgl. Huizinga, 1956 Vgl. Csikszentmihalyi, 2008, S. 71 Vgl. McGonigal, 2012, S. 35–51 Vgl. McGonigal, 2012, S. 3–4 Vgl. Dominiguez et al, 2013, S. 380 Vgl. Carter, 2012, S. 24 Vgl. Zichermann; Cunningham, 2011, S. 95–109 Khan Academy: https://www.khanacademy.org/ Vgl.: Schell, 2008, S. 37 Vgl. Dignan, 2011, S. 29; Schell, 2008, S. 24–38 für eine Definitionsdiskussion Vgl. McGonigal, 2012, S. 20–22; Huizinga, 1956, S. 20 Vgl. Huizinga, 1956, S. 19 f

9 Gamification – Spielend leicht lernen

101

geln gespielt. Es gibt Ziele und Probleme, die nach gewissen Regeln gelöst werden müssen. McGonigal spricht von unnötigen Hindernissen, die uns durch die Regeln im Spiel in den Weg zur Zielerreichung gelegt werden. Diese Regeln ermöglichen strategisches Denken und Handeln und stacheln die Kreativität an.110 Spiele ermöglichen den Spielern eine effektive und zeitnahe Rückmeldung über ihren Fortschritt im Verlauf des Spiels. Leistungs- und Fortschrittstransparenz und eine eindeutige Rückkopplung des selbstbestimmten Handelns des Spielers auf das Referenzsystems machen das Spiel lebendig. Rückmeldungen versichern dem Spieler, dass das Ziel erreichbar ist und dienen als Motivatoren.111 Spiele unterliegen dem subjektiven Eindruck der Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit. Das Spiel ist Ausdruck der Selbstbestimmtheit und der inneren Freiheit, die sich im Spieler manifestiert. Diese vier Grundelemente des Spiels lassen sich auf alle Spielsituationen anwenden, auf Golfen, Schach, „World of Warcraft“ oder auch Unternehmensplanspiele.112 Die Spielmechaniken lassen sich auf so gut wie jedes Thema anwenden, wodurch die behandelten Thematiken zu einem Spaßerlebnis gemacht werden können, so auch z. B. Universitäts- und Hochschulkurse über Controlling. Spieldesign für die Vorlesung Das minimalistische Spieldesign für eine ludifizierte Lehrveranstaltung benötigt im Prinzip nur wenige Grundelemente.113 Neben der Freiwilligkeit und einer klaren Zielvorgabe mit dazugehörigem Regelwerk gehören dazu eine Vielzahl von Herausforderungen und ein komplexer Mechanismus an Rückmeldungen. Viele erfahrene Pädagogen nutzen einige dieser Mechaniken schon ganz intuitiv. Der Motor des Spiels, welcher den Spieler in eine geradezu „zwanghafte“ Lernspielschleife führt, besteht aus dem konsekutiven Lösen einer Herausforderung, der Wahrnehmung und Belohnung der Problemlösung durch das Spiel und dem erneuten Impuls, eine neue Herausforderung zu lösen. Die Wiederholung dieser Schleife oder Spielrunde ist der Pulsschlag des Spiels. Gute Spiele wollen wir gar nicht enden lassen, sondern immer noch eine Runde weiterspielen.

Abb. 9.1: 110 111 112 113

Emotionale Belohnung

Impuls zur Handlung

Sichtbarer Fortschritt

Herausforderung

Die Lernspielschleife; Quelle: Vgl. Zichermann; Cunningham, 2011, S. 68

Vgl. McGonigal, 2012, S. 22 ff Vgl. McGonigal, 2012, S. 21 Vgl. Kapitel 17 in diesem Buch Auch wenn man mit Büchern für „Game Design“ Regale füllen kann: vgl.: Schell, 2008

102

Avo Schönbohm

Lernspielschleife: Die Lernspielschleife ist der Motor der Ludifizierung der Lehre. Sie macht aus einer Vorlesung ein Spiel. Lernherausforderungen können vielfältig sein und sollten von den Lernzielen abhängig gemacht werden. Insgesamt aber geht es um Aktivierung der Lernenden. Solche Aufgaben können das Lösen von Rechenaufgaben, das Lesen und Rezipieren von Texten, das Erstellen von Postern oder die Präsentation einer Fallstudie oder eines Themas sein. Die Lernherausforderungen bilden die Aktivierungselemente der Lernenden. Sie können individuelle Aufgaben oder Gruppenaufgaben sein. Dynamik des Spiels Im Zeitverlauf des Spiels oder aber der Vorlesung ist jedoch darauf zu achten, dass das Spiel möglichst ein Flow-Erlebnis produziert.114 Csikszentmihalyi verbindet damit eine besondere Dramaturgie von wachsenden Schwierigkeitsgraden der Herausforderungen im Spielverlauf.115 Wenn der Schwierigkeitsgrad zu hoch ist, entwickeln die Spieler Frustration und wenn es zu leicht ist, verspüren sie Langeweile. Beide Gefühle können zum Beenden des Spiels, bzw. zum Abbrechen der Lehrveranstaltung führen. Da die Spieler auch zunehmende

SCHWIERIGKEITSGRAD

ANGST

PRÜFUNG

Ignorierter Impuls Impuls

Aktivität

Aktivierungsschwelle

LANGEWEILE

LEISTUNGSFÄHIGKEIT

Abb. 9.2:

114 115

Motivationaler Orientierungsrahmen; Quelle: In Anlehnung an Csikszentmihalyi, 2008, S. 74

Vgl. Admiraal et al, 2011, S. 1185–1186 Vgl. Csikszentmihalyi, 2008, S. 72–77

Ziel

9 Gamification – Spielend leicht lernen

103

Fähigkeiten im Spiel bzw. dem Seminar trainieren, müssen die Aufgaben entsprechend anspruchsvoller werden, um das optimale Spielerlebnis zu erzeugen. In vielen Kursen steht eine finale Klausur an, auf welche die Lehrveranstaltung vorbereiten soll. Pro Kurs oder Level wird durch mehrere Impulse versucht, die Lernenden zu aktivieren. Dabei sprechen unterschiedliche Lernende auf unterschiedliche Impulse jeweils individuell an. Sie können es sich aussuchen, welchem Impuls, bzw. Aufgabe, sie nachgehen, d. h. welche Herausforderung sie annehmen und welche Lernaktivitäten sie verfolgen. So entsteht durch individuelle Selektion von Spielschleifen eine individualisierte Lernerfahrung für die Teilnehmer. Motivationaler Orientierungsrahmen: Der Lernende reagiert auf Impulse des Dozenten und sucht sich Aufgaben im Zeitverlauf, die ihn nicht überfordern oder langweilen. Die individuelle Neigung, Lernimpulsen zu folgen, hängt von der Motivation, der Erfahrung und auch dem Vorwissen der Lernenden ab. Der individuelle Kompetenzkompass ist entscheidend für die Auswahl der Lernimpulse. KOMPETENZKOMPASS K Aktivierungsschwelle 2

A K A P

Aktivierungsschwelle 1

K P

A K Sichtfeld

P P F

A

Analyse

K

Kommunikation

P

Professionalität

F

Führung

Abb. 9.3:

F

F

Lernimpulse/ Aufgaben

Kompetenzkompass

Kompetenzkompass: Der Lernende selektiert Lernherausforderungen basierend auf seinen individuellen Vorkenntnissen. Aufgaben, die Fähigkeiten benötigen, die der Lernende nicht besitzt, rücken aus dem Sichtfeld und/oder werden ignoriert.

104

Avo Schönbohm

Nun ist die erste Hälfte der Lernschleife beschrieben. Zwei Komponenten müssen noch ergänzt werden: Fortschrittstransparenz und emotionale Belohnung. Die Währung für Rückmeldungen in Spielen sind Punkte. Punktesysteme können mehr oder weniger ausgeklügelt sein, allerdings kommt der Spieldesigner an ihnen nicht vorbei.116 Meistert ein Spieler eine Herausforderung, z. B. eine freiwillige Präsentation oder eine Rechenaufgabe, bekommt er Punkte. Diese Punkte hängen von der Güte der Ausführung ab und können gegebenenfalls noch weiter spezifiziert werden, z. B. in Punkte für Analytik, für Design, für Originalität für kritisches Denken. Die Punkte kommen auf ein Punktekonto. Dieses Punktekonto zeigt gleichsam den Status der Lernengagements an. Basierend auf dem Kontostand werden nun Belohnungsmechanismen entwickelt. Die erste ist die regelmäßige Präsentation des Punktestandes der Teilnehmer in Form einer Rangliste. Jeder Lernende sieht, wie er im Vergleich zu den Anderen steht und wie seine Lernaktivitäten im Vergleich zu bewerten sind. Das kompetitive Element dabei ist eine große Motivation für viele Lernende.117 Diese kann weiter verstärkt werden, indem man Schwellen einbaut, mit denen die Teilnehmer höhere Level oder Erfahrungsniveaus erreichen. Dieses kann man noch aufladen, indem man diese Niveaus mit emotionalen und sozialen Rangstufen bezeichnet: Vom „Anfänger“, zum „Praktikanten“, über „Erbsenzähler“, „Junior Controller“, „Senior Controller“, „Leistungsträger“, „kaufmännischer Leiter“, „CFO“, bis hin zum „Unternehmer“ oder gar zum „Performance-Gott“; der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Anlehnungen an Hierarchiestufen im Unternehmen zeigen nur, dass das Prinzip des sozialen Status durch Titel auch in der Unternehmenspraxis oder im Militär Anwendung findet.118 Die bisher erwähnten Belohnungen sind emotionaler und sozialer Art. Ein zusätzlicher extrinsischer Anreiz kann dadurch geschaffen werden, dass die Punkte in Extrapunkte für die Klausur umgewandelt werden, sodass beispielsweise 5% der Klausurpunkte zusätzlich durch die Lernaktivitäten im Semester erworben werden können. Da dadurch eine rationale maximale Punktzahl vorgegeben wird, sollte man dies um eine besondere Belohnung, z. B. ein Coaching, für den Gewinner des Spiels ergänzen.

116 117 118

Vgl. Zimmermann; Cunningham, 2011, S. 36–44 Vgl. Domínguez et al, 2013, S. 390 Vgl. Dignan, 2011, S. 161–164

9 Gamification – Spielend leicht lernen

Vorname: V n Vor Vo Julia AP: 97 KP: 88 AP: 9

105

PP: 56

Titel: CEO FP:63 Total: 304

Vorname: Vo V o rn Matthias AP: 86 KP: 72 PP: 69 AP A P: 8

Titel: CFO FP: 12 Total: 239

Vorname: Vo V o rn Jennifer AP: 68 KP: 57 PP: 27 AP A P: 6

Titel: Leistungsträger FP: 23 Total: 175

Rang Vorname AP KP PP FP Total Titel 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Abb. 9.4:

Max Svenja Sonja Thomas Ludwig Leo Antje Markus Lisa Mirco Patricia Georg

32 35 34 27 19 12 24 17 12 8 2 2

33 26 26 23 17 14 13 12 22 4 6 1

38 34 32 25 22 13 11 8 4 2 0 1

42 28 15 17 14 24 11 9 4 12 7 3

145 123 107 92 72 63 59 46 42 26 15 7

Senior Controller Junior Controller Junior Controller High Potential High Potential Revisor Revisor Revisor Kostenrechner Erbsenzähler Praktikant Träumer

Beispiel einer „Ruhmeshalle“-Rangliste

Ruhmeshalle: Die Punkte der Lernenden werden wöchentlich in Form einer Ruhmeshalle veröffentlicht. Durch die Rückmeldung wird der „Spielstand“ verdeutlicht und soziale Anerkennung für die engagierten Teilnehmer geschaffen.

9.2

Lernziele

Die Lernziele der zu ludifizierten Veranstaltung können vielfältiger Natur sein. Die Lernziele der vom Autor erteilten Controllingveranstaltungen orientieren sich grob an den Lernzielen für den „Certified Management Accountant.“119 Diese beinhalten sowohl spezifisches Faktenwissen als auch vier allgemeine Kompetenzgebiete: Analyse, Führungskompetenz, professionelles Verhalten und Kommunikation.

119

Vgl. http://www.imanet.org/cma_certification/become_a_cma.aspx

106

Avo Schönbohm

ru n

üh hf

ne

ll e

te n

gs n tun e L eis ge m a k man gs run h Fü

om

si o

Le

zen

c

pe

Bu

t

e

fes

en t m is tu es n g su s ng s Ve rh a lt en

-

ag

P ro

m

Abb. 9.5:

Ri m a n sik o- t agem en

g

LERNZIELE Man

Investitionsgement mana

F

s t

Ko mm un i

e ys al

n An Strat tio hte eric ka Man gisc zb ng n h a u t a ge in stat me e n er Strategie

Lernziele eines ludifizierten Controllingseminars

Lernziele: Die Lernziele der ludifizierten Controllingveranstaltung im Dreieck beinhalten neben Fakten- und Methodenwissen (innerer Kreis) auch Kompetenzen in den Feldern Analyse, Kommunikation, professionellem Verhalten und Führungskompetenz. Faktenwissen Ludifikation kann jedes Thema zum Spiel machen. Finanzberichterstattung, Strategisches Management, Risikomanagement, Leistungsmessung und Leistungsmanagement oder Investitionsplanung lassen sich anhand spezifischer Instrumente wie Budgetierung, Risikolandkarten, interne Kontrollen oder Finanzanalyse gut als Spiel mit unterschiedlichen Lernherausforderungen darstellen. Solange die Lernschleife beachtet wird, kann jeder Stoff behandelt werden, sofern es forschende Herausforderungen, Rückmeldungen und Belohnungen, z. B. mit Punkten gibt. Analytisches Denken Analytisches Denken soll durch die problemorientierte Anwendung von Instrumenten und das Lösen von konkreten Aufgaben wie Kennzahlenbildung, Kostenrechnungen, Fallstudienbearbeitung trainiert werden. Controlling ist ein Fach mit quantitativen, qualitativen und interpretativen Elementen. Neben der Zahlenauswertung kommt eine kreative Komponente der Interpretation der Ergebnisse und der Entwicklung von Handlungsempfehlungen. Häufig zielt die Arbeit der Controller auf das Vorbereiten von Entscheidungen, wie das Einleiten kurzfristiger Gegenmaßnahmen (z. B. Kurzarbeit) oder langfristige Investitionen. Dabei ist es wichtig vernetzt zu denken und die Zahlen der Buchhaltung vor dem Hintergrund der Unternehmensstrategie zu bedenken und dem Management konkrete Handlungsempfehlungen zu generieren und diese zu bewerten.

9 Gamification – Spielend leicht lernen

107

Kommunikation Die Effektivität der zukünftigen Controller wird durch ihre Kommunikationsfähigkeit bestimmt. Durch Verfassen von schriftlichen Kurzberichten z. B. von Fallstudienanalysen und durch Präsentationen vor Gruppen, z. B. zur Wiederholung des Stoffes der letzten Sitzung, soll diese Kernkompetenz gestärkt werden. Die Nutzung von Postern, Powerpoint oder anderen Präsentationstechniken trainiert die Souveränität im Vortragen vor Gruppen. Professionelles Verhalten Die Ludifizierung hat das ausgesprochene Ziel der Verhaltensbeeinflussung. Pünktlichkeit, Erledigen von Hausaufgaben, Sorgfältigkeit im Layout aber auch kritisch-engagierte Teilnahme in Diskussionen und die systematische Rückmeldung von Leistungen der Lernenden kann mit Herausforderungen und Punkten gesteuert und belohnt werden. Führungskompetenzen Der spielerische Charakter der Veranstaltung soll die Führungskompetenz fördern. Teams müssen freiwillig gebildet werden, um gewisse Aufgaben erledigen zu können. Die Gruppenaufgaben finden unter zeitlichem Druck statt und bedürfen der aktiven Führung. Der Umgang mit Gruppendynamik, Frustration und nicht zuletzt die Organisation der Gruppenprozesse stellen wichtige Lernziele dar.

9.3

Praktische Durchführung

Die Ludifikation jeder Lehrveranstaltung ist möglich, sofern es genügend aktivierende Momente gibt. Für viele Dozenten, die schon viele aktivierende Elemente wie Rechenaufgaben, Rollenspiele, Fallstudien oder ähnliches nutzen, vereinfacht sich die Ludifikation auf die Integration dieser Herausforderungen in viele Lernschleifen. Es gilt, möglichst viele Aktivitäten zu generieren, die als bewertbare Lernherausforderungen dienen können. Der Freiheit und Kreativität der Lehrenden ist dabei keine Grenze gesetzt. Vorbereitung Die Vorbereitung von ludifizierten Veranstaltungen nimmt einige Zeit in Anspruch, da aus einer existierenden Lehrveranstaltung ein Spiel mit unterschiedlichen Spielstufen und vielfältigen selbstbestimmten Herausforderungen gemacht werden soll. Die Vorbereitungszeit hängt von den Vorkenntnissen und den Vorgestaltungen ab, beinhaltet aber meist folgende Punkte:   



Der Lehrende sollte sich intensiv mit Spieldesign auseinandersetzen, um die psychologischen Hintergründe und die Spielmechaniken besser zu durchdringen. Es müssen klare und operationalisierbare Lernziele, also Spielziele, festgelegt werden. Herausforderungen müssen geschaffen werden, d. h. eine große Sammlung an aktivierenden Aufgaben und z. B. eine Reihe von Essayfragen muss vorbereitet werden. Die Art und der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben hängen insbesondere vom Ausbildungsstand der Lernenden ab. Bei Masterstudenten bietet es sich beispielsweise an, forschungsbasierte Aufgaben zu stellen. Zur Vorbereitung gehört auch die Entwicklung eines Punktesystems. Es kann in einem ersten Schritt auch ein eindimensionales Punktesystem sein, d. h. es gibt nur allgemeine Spielpunkte. Die Frage, welche Herausforderung bei welchem Erfüllungsgrad (anhand

108

Avo Schönbohm

festgelegter Kriterien) wie viele Punkte bringt, muss schon vor Spielbeginn beantwortet werden.  Organisatorische Vorbereitungen beinhalten das Vorbereiten der Punktelisten und der Ruhmeshalle, in die die Punkte regelmäßig eingetragen werden können. Klassische Tabellenkalkulationsprogramme können hier von großem Nutzen sein.  Zuletzt müssen auch die Spielregeln festgelegt werden. Dies umfasst auch einen möglichen Zusammenhang zwischen den Spielpunkten und der finalen Note. Darüber hinaus ist die Anzahl der Teilnehmer zu planen. Die besonders intensive Spielsituation ist nach Erfahrung des Autors mit Gruppen zwischen 15 und 35 Teilnehmern am besten zu bewältigen. Bei größeren Gruppen ist der Rückmeldeaufwand zu groß, da dieser nicht automatisiert wie in Unternehmensplanspielen erfolgt. Durchführung der Veranstaltung Der Dozent wird durch die Ludifikation der Lehrveranstaltung zum Spielmeister. Seine Aufgabe ist es, den Lernenden ein Spiel zu ermöglichen. Zur Veranschaulichung der konkreten Durchführung wird im Folgenden eine Beispielveranstaltung beschrieben: Jede Veranstaltung beginnt mit einer Begrüßung zur Veranstaltung und einer theatralischen Darstellung des aktuellen Punktestandes in Form der Ruhmeshalle. Dies signalisiert den Lernenden gleich, dass sie sich im Spiel befinden. Sorgfältig wird registriert, wer sich wie entwickelt hat, da Aktivitäten, z. B. Mini-Essays, Präsentationen oder auch aktive Beteiligung in dem Seminar, belohnt wurden, Es folgt eine zirka zehnminütige Wiederholung des Stoffes der letzten Veranstaltung durch eine freiwillige Gruppe von Lernenden, die dafür auch entsprechend der Qualität der Wiederholung Punkte in den Kategorien Analyse, Kommunikation, Professionalität und bei interaktiver Einbeziehung des Kurses auch Führungspunkte verdienen. Im Anschluss stellt der Lehrende dem Plenum Wiederholungsfragen und belohnt gute Antworten ebenfalls mit Punkten. Der Dozent führt die wöchentliche Punkteliste über jeden Teilnehmer und kennt idealerweise ab der dritten Woche die Namen. Steht eine längere Fallstudie an, so teilt er die im Vorfeld eingereichten und bewerteten „Einseiter“ (ein auf eine Seite begrenzter Essay) zu Kernfragen der Fallstudie an die Lernenden aus, die diese freiwillig erstellt hatten. Die Teilnehmer mit den besten Ergebnissen in den „Einseitern“ formen die Jury, die der vortragenden Gruppe Fragen stellt und auch Rückmeldungen über Inhalt und Form der Präsentation gibt. Der Lehrende beteiligt sich mit Kritik und Fragen und bewertet sowohl die Vortragenden als auch die Jury. Neue Themen werden durch einen Impulsvortrag des Dozenten eingeleitet und möglichst durch Individual- und längere Gruppenaufgaben flankiert. Sowohl gelungene Individualleistungen an der Tafel oder Gruppenleistungen z. B. am Poster werden mit Punkten honoriert. Professionalitätspunkte gibt es z. B. für Pünktlichkeit, regelmäßiges Erscheinen oder das Weiterleiten von Unterlagen an verhinderte Kommilitonen. Der Lehrende sucht regelmäßig nach Freiwilligen für die Wiederholung der nächsten Veranstaltung oder der Geschäftsfallstudien. Die Erfahrung zeigt, dass es keinen Mangel an Freiwilligen gibt und auch die Essaybzw. Fallstudienfragen von bis zu 20% schriftlich bis zur nächsten Veranstaltung beantwortet werden. Gruppenarbeit ist wichtiger Bestandteil der ludifizierten Lehrveranstaltungen, da Kommunikation, Professionalität und Führung sich schwer solitär trainieren lassen.

9 Gamification – Spielend leicht lernen

109

Notengebung Eine der Grundideen des Spiels ist, wie oben erläutert, seine Freiwilligkeit. Deshalb ist die direkte Verknüpfung des Lernspiels an die Note prinzipiell problematisch. Allerdings gibt es Beispiele von Lehrveranstaltungen, in denen die erreichten Punkte über einen Algorithmus direkt in die finalen Noten transponiert werden. Bei einer entsprechenden Prüfungsordnung, die kombinierte Prüfungen zulässt, kann dies möglich sein. Als besonders hilfreich hat sich das Spiel als freiwillige Vorbereitung auf die finale Klausur erwiesen: Ein zusätzlicher Anreiz kann dadurch entstehen, dass man in geringem Maße Zusatzpunkte für die Klausur, z. B. 5 Prozent der Punkte erwerben kann. Diese Form der Notengebung ist auch mit rigiden Klausurvorgaben leicht in Übereinstimmung zu bringen.

9.4

Kritische Analyse

Vorteile Die Vorteile der Gamification oder der Ludifikation sind im Kern die erhöhte Kopplung der Lernenden und das damit einhergehende Engagement. Es ist immer wieder verblüffend zu beobachten, wie sehr die Spielmechaniken doch bei der großen Mehrheit der Teilnehmer zu spürbarem Engagement führen. Die Indikatoren sind höhere Anwesenheitsraten, freiwillige Aufgabenerledigung, erhöhte Email-Kommunikation mit dem Dozenten und eine kontinuierliche Arbeitsweise bei den Lernenden, in Summe eine höhere Aktivierung der Lernenden. Empirische Studien bestätigen insgesamt eine deutlich höhere Motivation der Teilnehmer in ludifizierten Lehrveranstaltungen.120 Die vom Autor durchgeführten ludifizierten Lehrveranstaltungen haben nicht nur dem Dozenten viel Freude beim Lehren bereitet, sondern auch in den Studentenevaluationen ausgesprochen gut abgeschnitten. Nachteile Die Ludifizierung der Lehrveranstaltungen geht einher mit einem erhöhten Vorbereitungsaufwand und einer zusätzlichen regelmäßigen Belastung durch das Vergeben, Verwalten und Veröffentlichen der Punkte. Bewertete freiwillige Essays und die Visualisierung für die nächsten Veranstaltungen nehmen leicht 30 bis 45 Minuten pro Woche und Veranstaltung in Anspruch. Die Veranstaltungen müssen also im Vorfeld inhaltlich sehr gut vorbereitet sein, damit man sich auf das Spielmanagement konzentrieren kann. Schwerer wiegt, dass Engagement und Aktivierung durch Ludifikation nicht zu einem in Klausuren nachweisbaren Lernerfolg führen. Vergleichsstudien an Schülern und Studenten haben sogar den gegenteiligen Effekt attestiert:121 Ludifizierte Studenten zeigten zwar bessere Fähigkeiten bei der praktischen Anwendung von Konzepten, schnitten jedoch in systematischen Testreihen etwas schlechter in Klausuren ab als Studenten aus Kontrollgruppen.122 Anekdotisch sei hinzugefügt, dass eine Studentin des Autors sich dem Spiel systematisch entzogen und dennoch (oder gerade deshalb?) eine der besten Klausuren des Seminars geschrieben hat. Dies bedeu-

120 121 122

Vgl. Domínguez, et al, 2013, S. 389 Vgl. Admiral et al, 2011, S. 1189–1190 Vgl. Domínguez, et al, 2013, S. 386

110

Avo Schönbohm

tet zwar nicht notwendigerweise „Gameover for Gamification?“,123 zeigt aber, dass effektive Lehre offenbar mehr beinhalten muss als Aktivierung und Unterhaltung.

Zusammenfassung Gamification Kurzbeschreibung

Die Lehrveranstaltung wird zu einem Lernspiel.

Vorgehen

    

Einführung in die Spielregeln und Vorstellung des Punktesystems Zeitliche und inhaltliche Konzeption der Herausforderungen, also der aktivierenden Aufgaben Die Lernenden stellen sich allein oder in Gruppen den Herausforderungen Alle Tätigkeiten werden durch Punkte belohnt Die Punkte werden regelmäßig in einer Ruhmeshalle veröffentlicht

Lernziele

    

Wiederholung und Vertiefung von Fachwissen Förderung von Analysefähigkeit Förderung von Kommunikationskompetenz Förderung der Professionalität Förderung der Führungskompetenz

Voraussetzungen



Auseinandersetzung mit Psychologie und Mechaniken des Spiels Entwicklung von aktivierenden Aufgaben und Herausforderungen Entwicklung eines auf die Erfordernisse der Lehrveranstaltung angepassten Regel- und Punktesystems

  Literatur und hilfreiche Links

 

123

Sheldon, L., The Multiplayer Classroom – Designing Coursework as a Game, Boston 2012 http://www.gamification.org/ (Wiki zur Gamification)

Vgl. http://bizfest.wordpress.com/2013/01/29/gameover-for-gamification/

9 Gamification – Spielend leicht lernen

9.5

111

Literatur

Admiraal, W.; Huizenga, J.; Akkerman, S.; ten Dam, G., The concept of flow in collaborative gamebased learning, in: Computers in Human Behavior, Bd. 27, 2011, S. 1185–1194 Ambrose, S.; Bridges, M.; DiPietro, M.; Lovett, M.; Norman, M., How Learning Works: Seven Research-Based Principles for Smart Teaching, San Francisco 2010 Carter, C., Gamification is serious business, in: MultiLingual, Juni 2012, 2012, S. 24–27 Csikszentmihalyi, M., Flow – The Psychology of Optimal Experience, New York et al 2008 Dignan, A., Game frame: using games as a strategy for success, New York 2011 Domínguez, A.; Saenz-de-Navarette, J.; de-Marcos, L.; Fernández-Sanz, Luis, Pagés, C.; MartínezHerráiz, J.-J., Gamifying learning experiences: Practical implications and outcomes, in: Computers & Education, Bd. 63, 2013, S. 380–392 Grimes, S.; Feenberg, A., Rationalizing Play: A Critical Theory of Digital Gaming, in: The Information Society, Bd. 25, 2009, S. 105–118 Huizinga, J., Homo Ludens – Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Aus dem Niederländischen übertragen von Nachod, Hans, Hamburg 1956 Kapp, K., The Gamification of Learning and Instruction: Game-Based Methods and Strategies for Training and Education, San Francisco 2012 McGonigal, J., Reality is Broken – Why Games Make us Better and How They can Change the World, London 2012 Reeves, B.; Read, L., Total Engagement – Using Games and Virtual Worlds to Change the Way People Work and Businesses Compete, Boston 2009 Schell, J., The Art of Game Design – A Book of Lenses, Boca Raton 2008 Sheldon, L., The Multiplayer Classroom – Designing Coursework as a Game, Boston 2012 Zicherman, G.; Cunningham, C., Gamification by Design – Implementing Game Mechanics in Web and Mobile Apps, Beijing et al 2011

10

Speed Reading Nicole Jekel

„Am Anfang war ich skeptisch und konnte mir nicht vorstellen, dass ich nach einem Speed Reading Training wirklich schneller lesen kann. Jetzt lese ich doppelt so schnell! Ich habe gelernt, Zeilen und ganze Buchstaben mit den Augen zu „scannen“ und wichtige Passagen sofort zu erkennen. Meine Erkenntnis aus dem Training ist, dass das Gehirn schneller liest, als die Augen über die Zeilen fliegen können.“ (Lena-Carina Pahl, in: Jekel, 2013a, S. 26) Lehrende an Hochschulen, Wirtschafts- und Verwaltungsakademien, berufsbildenden Schulen und ähnlichen Bildungseinrichtungen, die wirtschaftliche Themen vermitteln, stehen häufig vor dem Problem, dass die Teilnehmer begleitende Fachliteratur wie Bücher, Zeitungen, Artikel und Internet-Blogs kaum, wenig oder häufig sogar gar nicht lesen.

10.1

Was ist Speed-Reading?

Speed Reading ist eine Lösungsmöglichkeit, um die Informationsflut in einem Fachgebiet zu bewältigen. Am Beispiel einer operativen Controlling Vorlesung aus der Betriebswirtschaftslehre wird gezeigt, wie mit Hilfe von Speed Reading die Vorlesung didaktisch angereichert, der Fachinhalt nochmals auf eine andere Art und Weise vertieft und zudem eine SchnellleseMethode gelehrt wird. Bei einer wöchentlichen Vorlesungsdauer von 180 Minuten werden die jeweils letzten 20 bis 30 Minuten genutzt, um den Inhalt in Form von Speed Reading zu vermitteln. Im Wintersemester 2011/12 konnten 80 Teilnehmer an der Fachhochschule Westküste in Heide/Holstein124 ihre Leserate im Durchschnitt von 209 Wörtern pro Minute mit einem Textverständnis von 57% im ersten Text bereits beim achten Text mehr als verdoppeln. Die Texte handelten von operativen Controlling-Inhalten aus der Betriebswirtschaftslehre. 124

Vgl. Jekel, 2013b, S. 1

114

Nicole Jekel

Was unterscheidet Speed Reading vom klassischen Lesen? In der Schule lernen wir ein eher langsames und lautes Lesen mit einem Schwerpunkt auf der Vortrags- anstelle auf der Lesetechnik. Aufbauend auf diesem Verständnis gehen viele Menschen davon aus, bereits schnell lesen zu können. Beim schnellen Lesen lernen Teilnehmer, ihre Blickspanne zu erweitern. Ein sehr langsamer Leser liest Buchstabe für Buchstabe mit einer engen Blickspanne und vielen Text-Blickkontakten. Langsame Leser lesen meist Silbe für Silbe bzw. Wort für Wort. Schnelle Leser lesen Wortgruppen und Sätze auf einen Blick. Sehr schnelle Leser fokussieren Absätze bis hin zu ganzen Seiten. Zudem haben sehr schnelle Leser eine Vielzahl an unproduktiven Leseangewohnheiten abgelegt: Der Text wird weder laut noch leise innerlich mitgesprochen. Jede Form von Ablenkung wird vermieden, um durch die Sicherstellung einer optimalen Konzentrationsfähigkeit das wiederholte Lesen von Textpassagen zu vermeiden. Während das klassische Lesen schwerpunktmäßig auf der auditiven Informationsaufnahme beruht, ist diese Leseart bewusst und daher langsam. Hingegen nimmt der Leser beim Speed Reading Informationen visuell und kombiniert bewusst und unbewusst auf, so dass sich die hohe Lesegeschwindigkeit sowohl quantitativ als auch qualitativ erklärt. Tab. 10.1:

Überblick der Nutzung häufig genutzter Lesetechniken und deren Nutzen nach Freudenthal und Mündemann

Lesetechnik

Nutzen

Erläuterung

Berufliches Lesen

Um auf dem Laufenden zu bleiben Um Informationen zu speichern

Viele Menschen müssen beruflich viel lesen. Das digitale Lesen gewinnt an Bedeutung. Viele Lernende wollen Lesefertigkeiten erlernen, um Textmengen schneller zu erfassen und die Informationen länger zu behalten. Zielorientiert wollen sich Lesende über Nachrichten informieren.

Lernendes Lesen

Informierendes Lesen

Entspannendes Freizeitlesen Quellen:

Um in kurzer Zeit über Sachverhalte informiert zu sein Um zu entspannen

Romane, Krimis und Gedichte werden weiterhin im Langsam-Modus gelesen.

Vgl. Freudenthal, 2012, S. 1, in: Jekel, 2013a, S. 226 ff.; Vgl. Mündemann, 2007, S. 13, in: Jekel, 2013a, S. 357 ff.

Was bringt Ihren Lernenden Speed Reading? Ziel ist es, die Lesegeschwindigkeit sowohl quantitativ als auch das Textverständnis qualitativ zu steigern, das zusammen mit der effektiven Leserate gemessen werden kann. Ein Beispiel: Der deutschsprachige Durchschnittsleser liest mit einer Lesegeschwindigkeit (LG) von 200 Wörtern je Minute (WpM) und einem Textverständnis (T) von 55 Prozent, das multipliziert eine effektive Leserate (ELR) von 110 Wörtern pro Minute ergibt (200 WpM LG * 0,55 T = 110 WpM ELR). Die Speed Reading Weltrekordlerin aus dem Jahr 2012, Anne Jones125, liest mit 4.251 Wörtern pro Minute 21-mal schneller als ein durchschnittlicher Leser. Es wird zwischen verschiedenen Lesetechniken unterschieden: Einige Autoren wie Freudenthal126

125 126

Vgl. Herweck, 2013, S. 1 Vgl. Freudenthal, 2012, S. 1, in: Jekel, 2013a, S. 226 ff.

10 Speed Reading

115

und Mündemann127 differenzieren zwischen dem beruflichen, lernenden, informierenden Lesen und dem entspannenden Freizeitlesen. Je nach Leseziel wird eine andere Lesetechnik angewandt. Daher ist es eine erste Voraussetzung, sich zunächst über den Lesenutzen bewusst zu werden und sich entsprechend ein Lesemanagement anzueignen. Bereits in den achtziger Jahren hat Ronald P. Carver128 berufliche Schnelllese-Techniken diskutiert. Er unterschied zwischen dem auswendig lernenden Lesen, dem lernenden Lesen, dem normalen Lesen, dem überfliegendem Lesen, dem suchendem Lesen, dem schnelllesendem Lesen, dem scannenden Lesen und dem sogenannten Foto Reading: Tab. 10.2:

Überblick häufig in der Literatur diskutierter beruflicher Lesetechniken nach Ronald P. Carver 129

Lesetechnik

Angloamerikanischer Begriff

Lesegeschwindigkeit

Bemerkung

Auswendig lernendes Lesen Lernendes Lesen Normales Lesen

Memorizing

139 WpM

Schullernen

Learning Rauding

200 WpM 300 WpM

Überfliegendes Lesen Suchendes Lesen

Skimming Scanning and Jumping

450 WpM 600 WpM

Speed Reading

1.000 WpM

Scanning PhotoReading

2.000 WpM mehr als 3.000 WpM

Lesen im Studium Bürolesen, 90 Prozent aller Lesenden nutzen diese Lesemodus Querlesen Mit dem Finger ab und zu in den Text eintauchen Kombination oben genannter Lesetechniken Abscannen des Textes Kombination ausgewählter oben genannter Lesetechniken

Schnelllesen

130

Scannendes Lesen 131

Foto Reading

Quelle:

Vgl. Carver, 1985, in: Jekel, 2013a, S. 359

Nach Ronald P. Carver wird mit dem auswendig lernenden Lesen, dem Memorizing, eine durchschnittliche Lesegeschwindigkeit von etwa 139 WpM erreicht. Beim lernenden Lesen, dem Learning, erzielt der Lesende in der Regel Werte um die 200 WpM. Beim normalen Lesen oder Rauding werden durchschnittlich um die 300 WpM erzielt. Bis zu diesen Werten können Sie noch schnell laut bzw. innerlich mitsprechen. Bei Werten ab 300 WpM ist das Mitsprechen kaum mehr möglich. Im Anschluss folgt das überfliegende Lesen, das Skimming, mit Werten um 450 WpM. Es handelt sich um das Querlesen. Bei dem suchenden Lesen, dem Scanning and Jumping, erreichen Sie durchschnittliche Lesegeschwindigkeiten von 600 WpM. Das Schnelllesen, Speed Reading, umfasst durchschnittlich 1.000 WpM und ist eine Kombination oben bereits genannter Lesetechniken. Beim scannenden, mentalen Lesen, dem Scan127 128 129 130 131

Vgl. Mündemann, 2007, S. 13, in: Jekel, 2013a, S. 357 ff. Vgl. Carver, 1985, in: Jekel, 2013a, S. 359 Anmerkung: Durchschnittlich erreichte Lesegeschwindigkeit Vgl. Schmitz, 2011, S. 24 Vgl. Scheele, 2008, S. 18

116

Nicole Jekel

ning, werden durchschnittlich Werte um die 2.000 WpM erzielt. Das PhotoReading umfasst nach Scheele132 mehr als 3.000 WpM. Speed Reading mit bis zu 1.000 WpM ermöglicht den Teilnehmern, sich Leseziele zu setzen und sich zu fokussieren, indem nicht mehr alles bei Fachbüchern konsumierend gelesen wird. Wörter, Sätze und ganze Abschnitte werden als ein Bild erfasst. Auf diese Weise wird schneller und merkfähiger gelesen. Häufige Lesefehler Beim Speed Reading werden folgende erkannten Problemfelder abgelegt: Das fehlende Leseziel, das innerliche Mitsprechen und Zurückspringen, die mangelnde Konzentrationsfähigkeit und die enge Blickspanne. a) Fehlendes Leseziel Das erste Hauptproblem, das ziellose Lesen, mag im privaten Bereich erholsam sein. Im beruflichen Kontext ist das sogenannte Konsumlesen nicht sinnvoll. Vergleichbar ist das mit einem Büffet, an dem Sie sich wahllos durch die Speisen schlemmen, das dem Konsumlesen entspricht, und dem diätisch ausgewählten Tellergericht, das eher mit dem beruflichen Speed Reading gleichgesetzt werden kann. Die Lösung ist, sich ein spezifisches, messbares, akzeptables, erreichbares und zeitlich begrenzendes Ziel zu setzen, beispielsweise: „In fünf Minuten erfahre ich, wie ich Speed Reading in meinem Fachseminar ergänzend einsetzen kann.“. b) Innerliches Mitsprechen und Zurückspringen Das zweite Hauptproblem ist das innerliche Mitsprechen. Ziel ist es, das innerliche Mitsprechen abzulegen und ebenfalls nicht zum Wort- oder Satzanfang zurückzuspringen. Häufig erfolgt das Ablegen dieser Verhaltensweise bereits über das Sichbewusstmachen. c) Mangelnde Konzentrationsfähigkeit Das dritte Hauptproblem, die mangelnde Konzentrationsfähigkeit, kann mit Hilfe eines Metronoms, einem Taktgeber aus der Musiklehre, verbessert werden. Dabei wird beispielsweise ein Text mit genau zehn Wörtern je Zeile und einer Lesegeschwindigkeit von 50 Signalen je Minute gelesen, das einem Lesetempo von 500 Wörtern je Minute entspricht. Die Sätze werden Zeile für Zeile nicht von links nach rechts, sondern aus der Mitte heraus gelesen. Je Metronom-Signalton wird genau eine Zeile gelesen. Zu Beginn wird mit genau einem Wort je Zeile je Metronom-Signal gestartet. Nach etwas Übung werden dann jeweils zwei Wörter je Signalton gelesen und der Lernende steigert sich immer weiter fort. Zunächst mag ein Metronom beim Lesen hektisch wirken, der ein oder andere Lernende fühlt sich angetrieben. Nach ein wenig Übung bestätigen die meisten Lernenden allerdings, dass es sogar beruhigend auf sie wirkt. Der Klack-Ton des Metronoms „verbannt“ dann alle anderen möglichen Gedanken. In einem zweiten Schritt wird das Lesetempo von 50 Signalen je Minute über 80 Signale auf 100 Signale je Minute gesteigert. Dann geht es wieder von 100 Signalen über 80 Signale auf 50 Signale je Minute zurück. Die Geschwindigkeit von 50 Signalen je Minute entspricht 500 WpM, genauso entsprechen 80 Signale 800 WpM und 100 Signale 1.000 WpM. Und dieser 132

Vgl. ebenda, S. 19

10 Speed Reading

117

Wandel vom Langsamen zum Schnellen und zurück zum Langsamen verändert das Geschwindigkeitsempfinden. Viele Lernende, die zunächst bei 50 Signalen je Minute genau zwei Wörter je Signal lesen konnten, schaffen nach einer Übung bereits drei bis vier Wörter, das schon fast einer Verdopplung der Lesegeschwindigkeit entspricht. d) Enge Blickspanne Bei der Blickspannenerweiterung erfahren die Lernenden, wie sie mit einem Blick gleich mehrere Wörter auf einmal aufnehmen können. Dazu ein kurzes Experiment. Lesen Sie den folgenden Satz: Veile Lerennde fargen scih, wei Seped Reading fukntioneirt udn zwiefeln, bo jeedr Lesnede scih deise Mehtode aniegnen knan. Wenn Sie diesen Satz gerade lesen konnten, dann sehen Sie, dass Sie nicht nur Buchstabe für Buchstabe lesen, sondern ganzheitlich Wörter erfassen können. Die Grundvoraussetzung ist, dass wir zunächst die Vokabeln eines Fachgebiets beherrschen. Wenn Sie in dem Beispiel bei dem englischen Begriff Speed Reading Probleme hatten, zeigt dies, dass zunächst die Vokabeln erlernt werden sollten. Das gilt genauso für andere Fachgebiete. In der Betriebswirtschaftslehre sollten daher zunächst am Beispiel des operativen Controllings die BasisFachbegriffe erläutert und verstanden werden, bevor Texte gelesen werden. Viele Menschen sind der Auffassung, dass Sie weniger verstehen, wenn Sie schneller lesen, da sie oberflächlich lesen. Zahlreiche Studien133 zeigen jedoch, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Lernende legen von Übung zu Übung immer mehr ihre Skepsis, ihre geliebten und teilweise begrenzenden Glaubenssätze ab. Manche Lernende überlegen auch, was sie mit der gewonnenen Zeit anfangen werden. Einige sorgen sich, noch mehr arbeiten zu müssen. Auch hinter diesem Gedanken können sich Begrenzungen verbergen, die daran hindern können, die Methode anzunehmen. In Manager-Seminaren haben Lernende ihre Lesegeschwindigkeit von anfangs etwas über 200 Wörtern nach zwei Tagen auf etwas über 400 Wörtern pro Minute steigern können, ohne große Einbußen beim Textverständnis zu haben.134 2006 zeigten Emily Pronin von der Princeton Universität und Daniel Wegner von der Harvard Universität135, dass Speed Reading aufgrund des schnelleren Denkens zu schönen und kreativen Gedanken führt. Die Erfahrung in zahlreichen Seminaren136 zeigt, dass Skepsis an dieser Stelle mit Angst vor der gewonnen Zeit gleichgesetzt werden könnte und es daher hilfreich sein mag, sich zunächst zu überlegen, was der Lernende mit der zusätzlichen Zeit, der Freiheit, anfangen möchte.

133 134 135 136

Vgl. Jekel, 2013a, S. 318 Vgl. Jekel, 2013b, S. 1 ff. Vgl. Pronin, Wegner, 2006, S. 807 Vgl. Jekel, 2013b, S. 1 ff.

118

Nicole Jekel

10.2

Lernziele

Damit ergibt sich für die finalen 20 bis 30 Minuten einer Vorlesung folgendes Ziel: a) Inhaltsvermittlung als Hard-Skill Komponente und b) Speed Reading als Soft-Skill Aspekt, so dass c) eine kombinierte Wissensverfestigung erfolgt. In der ersten Vorlesungsstunde wird die aktuelle Lesegeschwindigkeit ermittelt und das Thema Schnelllesen vorgestellt.137 Kaum ein Lernender hat jemals zuvor die eigene Lesegeschwindigkeit und das Textverständnis gemessen. Lernende sind in der ersten Stunde meist erstaunt, wie langsam sie ihre Texte lesen. Hier ist wichtig, das Bewusstsein für die Thematik bei den Lernenden zu schaffen. Im Durchschnitt lesen die Lernenden täglich eine Stunde. Von Woche zu Woche lernen die Teilnehmer, sich jeweils einem anderen Thema zur Verbesserung der Lesegeschwindigkeit und Verfestigung des Textverständnisses zu widmen.

10.3

Durchführung

Wöchentlich erhalten die Lernenden innerhalb der letzten 20 bis 30 Minuten einer operativen Controlling Vorlesung einen auf die Vorlesung abgestimmten Text mit jeweils 1.000 Wörtern. Dieser ist hinsichtlich des eher jungen Publikums zielorientiert in der Schriftart Arial, Schriftgröße 12, mit durchschnittlich zehn Wörtern in Blocksatz gesetzt und wird ausgedruckt in Papierform verteilt. Der Text umfasst genau 1.000 Wörter, da der durchschnittliche deutschsprachige Leser etwa 200 WpM liest und der Text in etwa fünf Minuten gelesen werden sollte. Jeder Lernende erhält eine nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Nummer, um die Werte anonymisiert aufzeichnen. In einem ersten Schritt wird der Text gelesen und die Zeit gemessen. Dabei haben sich folgende Messmöglichkeiten bewährt: Zum einen können Lernende individuell ihre auf stumm geschalteten mobilen Endgeräte mit der Stoppfunktion nutzen. Zum anderen können vom Vortragenden mit Hilfe eines Beamers eine Stoppuhr als iPad Applikation oder eine Powerpoint Stoppuhr genutzt werden. Bei der ersten Variante kann jeder Lernende individuell starten. Bei der zweiten Variante starten alle Lernenden zeitgleich. In einem zweiten Schritt ermittelt jeder Lernende seine Lesegeschwindigkeit in Wörtern pro Minute nach folgender Gleichung: Berechnung der Lesegeschwindigkeit 1.000 Wörter : … Sekunden … Wörter/Sekunde × 60 Sekunden

= =

… Wörter/Sekunde … Wörter pro Minute (WpM)

Auf der Rückseite der letzten Seite des jeweiligen Textes beantwortet jeder Lernende zehn Fragen im Multiple-Choice-Verfahren mit jeweils zwei möglichen Antworten. Auch hier wurden bereits zahlreiche Varianten getestet. Der Hauptvorteil der Multiple-Choice-Methode ist eine relativ schnelle, standardisierte und ergebnisorientierte Abfrage insbesondere von großen Gruppen. Der Hauptnachteil mag darin liegen, dass der ein oder andere Lernende einfach das Ergebnis errät. Für angehende Controller hat sich die genannte Methode in 137

Vgl. Jekel, 2013a, S. 51 ff.

10 Speed Reading

119

Großgruppen dennoch bewährt. Das Textverständnis wird berechnet, indem jede richtig beantwortete Frage mit 10% Textverständnis bewertet wird. Textverständnis Berechnung 1 von 10 richtig beantwortete Frage 2 von 10 richtig beantwortete Fragen 3 von 10 richtig beantwortete Fragen 4 von 10 richtig beantwortete Fragen 5 von 10 richtig beantwortete Fragen 6 von 10 richtig beantwortete Fragen 7 von 10 richtig beantwortete Fragen 8 von 10 richtig beantwortete Fragen 9 von 10 richtig beantwortete Fragen 10 von 10 richtig beantwortete Fragen

= = = = = = = = = =

10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %

Textverständnis Textverständnis Textverständnis Textverständnis Textverständnis Textverständnis Textverständnis Textverständnis Textverständnis Textverständnis

Im Anschluss werden die Ergebnisse durchgesprochen: Wird der Text beispielsweise mit 300 WpM gelesen und nur jede zweite Frage richtig beantwortet, so ergibt sich eine effektive Leserate von 150 WpM. Berechnung der effektiven Leserate … Lesegeschwindigkeit in WpM × = … Effektive Leserate in WpM

… Textverständnis in %

Eine für zu Hause noch optimalere Zusammenfassung und Textverständnis-ErmittlungsMethode ist es, den Text in Form einer Mindmap oder eines Struktogramms zusammenzufassen. Jede Woche haben die Lernenden innerhalb der letzten 20 bis 30 Minuten einen neuen Text entsprechend zum Inhalt der Vorlesung erhalten und diesen mit einer jeweils anderen Speed Reading Aufgabenstellung gelesen. Die zehn Aufgaben je Woche lauteten wie folgt:138

138

Vgl. Carver, 1985, S. 389 ff.; Jekel, 2013a, S. 350 ff.

120

Nicole Jekel

Tab. 10.3:

Zehn-Wochen Plan zur Steigerung der Effektiven Leserate Wöchentliche Aufgabenstellung

1 2

Ich ermittle meine aktuelle Lesegeschwindigkeit. Ich lege mein Leseziel fest, verzichte auf das innerliche Mitsprechen und das Zurückspringen. Falls ich wieder in mein altes Muster zurückfallen sollte, lese ich pro Zeile nur ein Wort laut mit. Ich verdopple meine effektive Leserate nach zehn Leseproben.

3

Ich steigere meine Konzentration, indem ich mich auf meinen Aufmerksamkeitspunkt

4

Ich lese mit einem maximalen Textverständnis von 70 Prozent und konzentriere mich auf meine bevorzugte Texthälfte. Ich lese mit einem Metronom mit 50 Intervallen pro Minute. Insofern lese ich zehn Wörter pro Zeile multipliziert mit 50 Intervallen pro Minute. Insgesamt sind das 500 Wörter pro Minute und ich erreiche damit mein Ziel der ersten Stufe. Ich lese den Text fünf Mal mit dem Metronom mit jeweils 50, 80, 100, 80 und 50 Intervallen pro Minute. Ich lese den Text aus der Mitte heraus im Takt des Metronoms: 1. mit 50 Intervallen pro Minute, 2. mit 80 Intervallen pro Minute, 3. mit 100 Intervallen pro Minute, 4. mit 80 Intervallen pro Minute und 5. mit 50 Intervallen pro Minute. Damit erhalte ich eine konkrete Vorstellung, wie langsam und nicht wie schnell 500 Wörter pro Minute (WpM) sind.

139

5

6

fokussiere.

140

7

Ich lese mit einer Blickspanne von fünf Wörtern mit einer Lesekarte aus der Mitte heraus von oben nach unten. Sollte ich wieder dahin zurückfallen und von links nach rechts lesen, werde ich in der nächsten Zeile erneut probieren, mich auf die Mitte zu konzentrieren.

8

Ich lese mit dem Klammergriff

9

Ich lese mit einer Blickspanne von neun Wörtern nach der Klammergriff-Methode. Aus der Mitte heraus. Sollte ich wieder in mein altes Lesemuster zurückfallen, den Text von links nach rechts lesen, werde ich in der nächsten Zeile erneut versuchen, mich wieder auf die Mitte zu konzentrieren. Ich ermittle meine aktuelle Lesegeschwindigkeit. Ich bin mir bewusst, dass ich jetzt den ersten Teil der Übungen beendet habe und ich will weiter üben.

10 Quelle:

10.4

141

jeweils fünf Wörter aus der Mitte heraus von oben nach unten.

Vgl. Jekel, 2013a, S. 350 ff.

Kritische Analyse

Vorteile Bei einer einmal je Woche stattfindenden über 15 Wochen durchgeführten operativen Controlling Veranstaltung im Wintersemester 2011/12 an der Fachhochschule Westküste in Heide/ Holstein mit 80 Bachelor-Studenten wurden an zehn Terminen Speed Reading Übungen jeweils 20 bis 30 Minuten lang durchgeführt, um u. a. die Vorlesung zu rhythmisieren. Die 139 140

141

Vgl. Davis, in: Scheele, 2008, S. 49 f. Bei der Lesekarte handelt es sich um beispielsweise eine Karteikarte, die Sie von oben nach unten über eine Seite schieben. Damit verdecken Sie die noch zu lesenden Zeilen und geben das Tempo an, mit dem Sie gern lesen möchten. Die Lesekarte wird nur für eine kurze Zeit zu Übungszwecken genutzt, um ein noch besseres Gefühl für die Lesegeschwindigkeit zu bekommen. Beim Klammergriff werden anstelle einer Lesekarte der Zeigefinger sowie der kleine Finger abgespreizt, so dass Sie die Anzahl Worte eigenständig festlegen, wie viel Sie je Zeile lesen möchten. Zu Beginn werden dies z. B. drei Wörter je Zeile sein, dann vier, fünf und fortan immer mehr Wörter, bis Sie fast alle Wörter auf einen Blick je Zeile lesen werden.

10 Speed Reading

121

Gruppe konnte ihre Lesegeschwindigkeit und ihr Textverständnis verbessern sowie ihr Fachwissen vertiefen. Herausforderungen Im Rahmen der Vorlesung wurden ausschließlich deutschsprachige Texte verwendet. Dies führte zunächst bei nicht-deutschsprachigen Lernenden zu Problemen, die im Vergleich zu deutschsprachigen Lernenden zu Beginn meistens eher langsam gelesen haben. Ab der vierten Woche stellte sich der vermeintliche Nachteil bei fast allen als Vorteil dar, da es NichtMuttersprachlern i.d.R. leichter fällt, sich auf relevante Wörter zu fokussieren. Zudem haben die Schriftart, die Schriftgröße, die Anordnung der Wörter und die Anzahl der Wörter einen Einfluss auf die Lesegeschwindigkeit, welches unter analoger und digitaler Präsentation weiter analysiert werden kann. Im anglo-amerikanischen Sprachraum werden Texte mit der Anzahl an Wörtern gemessen. Im deutsch-sprachigem Raum erfolgt dieses eher über die Anzahl Zeichen. Daher sollte kritisch überlegt werden, ob es nicht noch gründlicher und genauer wäre, bei deutschen Texten mit der Anzahl Zeichen anstelle von Anzahl Wörtern die Lesegeschwindigkeit zu messen. Die Genauigkeit steht auf der einen Seite einer möglichen fehlenden internationalen Vergleichbarkeit der Lesegeschwindigkeit gegenüber. Pronin und Wegner142 zeigen auf, dass schnelles Lesen einen Einfluss auf die Gedanken hat und stimmungsaufhellend wirken kann. Bei den Messmethoden kann weiter erforscht werden, ob es nicht noch geeignetere Formen der Abfrage gibt, die über die Multiple-Choice Fragen, Mindmap- oder Struktogramm-Aufzeichnungen hinausgehen. Bei der Konzeption von Seminaren konnten die bisher schnellsten Steigerungen im Rahmen eines Seminars über drei aufeinander folgende Tage erzielt werden, bei der ausschließlich auf die Lesegeschwindigkeit hin trainiert wurde. Im Rahmen der beschriebenen Controlling Vorlesung, die um Speed Reading erweitert und inhaltlich angereichert wurde, verdoppelte die gesamte Gruppe sich bereits nach acht Wochen mit der effektiven Leserate. Das ist ein Netto-Zeitaufwand von 160 Minuten, also zwei Stunden und 40 Minuten. Dabei wurden die Einflüsse von Übungen zu Hause nicht mitberücksichtigt. Auch hier kann kritisch überprüft werden, ob sich nicht noch bessere Seminar-Formate anbieten. Dennoch bleibt eine kritische Hauptfrage immer noch bestehen, ob Speed Reading nicht ein oberflächliches Lesen sei. Wie ist es möglich, dass sich die Lesegeschwindigkeit als auch das Textverständnis zeitgleich steigern? Speed Reading hat stark mit dem Vorurteil zu kämpfen, es handle sich um schnelles, aber inhaltsloses Lesen. Speed Reading bedarf ein konsequentes Training, um die Lesegeschwindigkeit und das Textverständnis zu steigern. Abschließend sei auf ein Lesemanagement verwiesen, das bereits Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) aufzeigte: „Es ist ein großer Unterschied, ob ich lese zum Genuss oder Belebung oder zur Erkenntnis und Belehrung.“143

142 143

Vgl. Pronin, Wegner, 2006, S. 807 Tepelmann, 2013, S. 1

122

Nicole Jekel

„Die guten Leutchen wissen nicht, was es einem an Müh und Zeit kostet, um lesen zu lernen. Ich habe achtzig Jahre dafür gebraucht und kann auch jetzt nicht sagen, dass ich am Ziel wäre.“144 Sie sehen, selbst Johann Wolfgang von Goethe hat zwischen dem Freizeit- und Berufslesen unterschieden und sich der Lesekunst ein Leben lang gewidmet.

144

ebenda, S. 1

10 Speed Reading

123

Zusammenfassung Speed Reading im Rahmen einer Controlling Vorlesung Kurzbeschreibung

Am Beispiel einer operativen Controlling Vorlesung aus der Betriebswirtschaftslehre wird gezeigt, wie mit Hilfe von Speed Reading diese didaktisch angereichert und der Fachinhalt nochmals vertieft wird. Im Wintersemester 2011/12 konnten sich 80 Studenten an der Fachhochschule Westküste in Heide/Holstein im Durchschnitt mit ihrer Leserate von 209 Wörtern pro Minute mit einem Textverständnis von 57% im ersten Text bereits beim achten Text mehr als verdoppeln.

Vorgehen

  

Auswahl der Texte nach Inhalt und Sprache in Abhängigkeit von der Zielgruppe, zehn Fragen mit jeweils zwei MultipleChoice Antworten erstellen Einführung in die Notwendigkeit von Schnelllese-Methoden Aufnahme der jeweiligen Ergebnisse, hier Lesegeschwindigkeit, Textverständnis und Effektive Leserate, über eine Erfolgsliste, die Woche für Woche von den Studierenden fortgeführt wird, Analyse der Ergebnisse

Lernziele

  

Inhaltsvermittlung von Fachwissen Lehren einer Schnelllese-Methode Verfestigung von Fachwissen

Voraussetzungen

   

Lernende auf das Thema Speed Reading einstimmen Auswahl von zehn Texten mit jeweils 1.000 Wörtern Texte digital oder analog verteilen Zu jedem Text zehn Fragen mit jeweils zwei möglichen Antworten erstellen Übersicht über zehn Lerneinheiten erarbeiten Stoppuhr/en bereitstellen

  Literatur und hilfreiche Links



  

Jekel, N., (2013): Speed-Reading für Controller und Manager. Mit Beiträgen von Albrecht Deyhle, Péter Horváth, Herbert Henzler, Axel Smend, Jörg Knoblauch, Rolf Hichert, Jürgen Weber, Carsten Wilken, Heike Langguth, Stefano Di Pietro, Barbara E. Weißenberger, Hanno Drews, Ute Schröder, Thorsten Jekel, Doris Mailänder, Nicole Jekel, Niels Pfläging, Solveig Reißig-Thust, Katrin Wöbken und Jennifer Möller, Weinheim. Scheele, P. (2008): PhotoReading, 6. Auflage, Paderborn. Schmitz, W. (2011): Schneller lesen, besser verstehen, 6. Auflage, Reinbek bei Hamburg. iPhone App (2012): Schneller lesen, Version 1.2, Garching.

124

10.5

Nicole Jekel

Literatur

Berger, A., Speed Reading, An Annotated Bibliography, International Reading Association, Newark 1970 Carver, R. P., How Good are Some of the World‘s Best Readers?, Reading Research Quarterly, Ausgabe 20, 1985, S. 389–419 Freudenthal, T., Videokurs: Schneller lesen und mehr behalten, http://www.centered-learning.de/, Winterberg 2012, Abrufdatum: 4.11.2012 Herweck, J., Studi-Helfer – Speed Reading – Was ist das und wofür braucht man es? Berlin 2013, http://studi-helfer.de/2012/04/18/speed-reading-was-ist-das-und-wofuer-braucht-man-es/, Abrufdatum: 4.2.1013 Jekel, N. (Hrsg.), Speed-Reading für Controller und Manager. Mit Beiträgen von Deyhle, A.; Horváth, P.; Henzler, H.; Smend, A.; Knoblauch, J.; Hichert, R.; Weber, J.; Wilken, C.; Langguth, H.; Di Pietro, S.; Weißenberger, B.E.; Drews, H.; Schröder, U.; Jekel, T.; Mailänder, D.; Jekel, N.; Pfläging, N.; Reißig-Thust, S.; Wöbken, K. und Möller, J., Weinheim 2013a Jekel, N., Speed Reading zur Rhythmisierung der Lehre am Beispiel operatives Controlling, Tagungsbeitrag Teaching is Touching the Future – Emphasis on Skills, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Tagung am 29./30.11.2012, Mainz 2013b Mündemann, B. M., Zielsicher und schnell lesen. Wie Sie im Handumdrehen Ihre Leseeffizienz steigern, Norderstedt 2007 Pronin, E,; Wegner D. M., Manic Thinking, Independent Effects of Thought Speed and Thought Content on Mood, Psychological Science, 17. Auflage, Nr. 9, 2006, S. 807–813 Scheele, P. R., PhotoReading, 6. Auflage, Paderborn 2008 Schmitz, W., Schneller lesen, besser verstehen, 6. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2011 Tepelmann, T., Aphorismen-Archiv, 2013, http://aphorismen-archiv.de/index_z.php?id=10885, Abrufdatum: 4.2.2013

11

Intergeneratives Lernen – Mentoring einmal anders Kathrin Strässer-Knüttel

„Überhaupt lernt niemand durch bloßes Anhören, und wer sich in gewissen Dingen nicht selbst tätig bemüht, weiß die Sachen nur oberflächlich.“ (J.W. Goethe) Bildungseinrichtungen145 haben sich gravierenden Entwicklungen zu stellen: Sie müssen ihre Lernenden auf die berufliche Tätigkeit vorbereiten und dabei Anwendungsorientierung gewährleisten. Das Lehrpersonal der Bildungseinrichtungen ist aufgerufen, bisherige Lehrmethoden dahingehend zu reflektieren, ob sie noch up-to-date sind bzw. welche Konsequenzen sich für die didaktische/methodische Ausrichtung der Lehre ergeben. Lehrende sind angehalten, sich selbst kontinuierlich bedarfsgerecht fort- und weiter zu bilden. Mit den Veränderungen der beruflichen Anforderungen erfolgt an den Hochschulen denklogisch eine weitere Abkehr vom Frontalunterricht hin zu Formen des sozialen Lernens, zu mehr Mitgestaltung, Aktivierung der Lernenden und dem Wissensaustausch zwischen Lehrenden und Lernenden. Dies erfordert ein gesteigertes Bewusstsein auf Seiten der Dozenten, Lehr- und Lernkonzept stetig zu prüfen. Ein Ansatz, welcher den heutigen Ansprüchen nach Praxisnähe, Transferorientierung und Flexibilität Rechnung tragen kann ist das Mentoring.

11.1

Was ist Mentoring?

Der Begriff „Mentoring“ wird in der Praxis und Literatur unterschiedlich verwendet. Eine einheitliche Begriffsdefinition existiert nicht. Mentoring wird üblicherweise als Programm angeboten, bei dem eine erfahrene Person (Mentor/Mentorin) systematisch die berufliche und die persönliche Entwicklung einer anderen, meist jüngeren und unerfahrenen Person

145

Vgl. http://www.duw-berlin.de/de/presse/duw-studien/studie-zum-wandel-beruflicher-weiterbildung.html

126

Kathrin Strässer-Knüttel

(Mentee) durch Gespräche in beratender Form und konkrete Hilfestellungen unterstützt.146 Der Effekt lässt sich in Wirkungsdimensionen zuteilen: Aufgrund des Mentoring wird der Mentee in der Regel bezüglich des eigenen Werdegangs (Laufbahn) strategisch kompetenter, selbstsicherer und selbstbestimmter sowie methodisch-fachlich versierter.147 Das Instrument Mentoring findet in zahlreichen Bildungseinrichtungen bereits heute Anwendung. Im Zusammenhang mit Mentoring sind vielerlei Anwendungsformen zu verzeichnen.

Informelles Mentoring

Institutionalisiertes Mentoring

Internes Mentoring

Externes Mentoring

Individuelles Mentoring

Team Mentoring

Cross-Gender Mentoring

Equal-Gender Mentoring

E-Mentoring

Peer Mentoring

Support Mentoring

REVERSE MENTORING

Abb. 11.1:

Auszug bekannter Mentoring-Arten

Eine interessante Variante des klassischen Mentoring Ansatzes stellt das sog. „Reverse Mentoring“ dar. Diese besondere Art des Mentorings haben Wirtschaftsunternehmen bereits vor längerer Zeit für sich entdeckt. An Hochschulen ist der Einsatz dieser Spielart noch weitestgehend unbekannt. Beim „Reverse Mentoring“ liegt ein spiegelverkehrter Mentoring-Ansatz vor, bei dem eine beruflich unerfahrene, meist jüngere Person Wissen an eine erfahrene, meist ältere Person weitergibt. Die Idee wird Jack Welch, ehemals CEO bei dem Unternehmen General Electric, zugeschrieben. 1999 identifizierte Jack Welch erhebliche Defizite seiner Geschäftsleitungsmitglieder und älteren Führungskräfte im Bereich der InternetNutzung. So brachte er ca. 600 Führungskräfte mit jungen technikaffinen und interneterprobten Mitarbeitern zusammen, um den Führungskräften „Nachhilfe“ in Web 2.0 zukommen zu lassen. Die Einfachheit und die Effizienz dieses Ansatzes überzeugt bisher vor allem im Bereich der „Digitalen und Neuen Medien“ und so wendeten auch einige deutsche Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen Reverse Mentoring bereits erfolgreich an.148 Beim „Reverse Mentoring“ fließen die Grundelemente des Mentorings grundsätzlich mit ein, allerdings funktioniert diese Mentoring-Art optimal im Zusammenhang mit einem Thema, bei dem der „Junior“ mehr Erfahrung hat als der „Senior“. Dies hat vor allem damit zu tun, dass ältere berufserfahrene Kollegen sich von Youngstern nicht belehren lassen möchten und zudem oft gern an Bewährtem festhalten.149 In Abgrenzung zum klassischen Mentoring steht 146 147 148 149

Vgl. EMPA, 2001, S. 2 Vgl. Müller; Bachmann; Spreyermann; Rothmayr, 2007, S. 10 Vgl. Schwuchow; Gutmann, 2012, S. 140 ff. Vgl. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.voneinander-lernen-jung-coacht-alt.d696ddc8-287a-417d-8000f8ed232ee842.html

11 Intergeneratives Lernen – Mentoring einmal anders

127

beim Reverse Mentoring nicht die langfristige Betreuung des Schützlings im Vordergrund, sondern eher eine punktuelle Unterstützung bei Bedarf. Trotz oder gerade wegen des stark eingegrenzten Einsatzbereichs und der Förderung wichtiger Schlüsselqualifikationen von Mentor wie Mentee, gilt diese Mentoring-Variante bei Unternehmen als Erfolgsmodell. Bei der Telekom wird Reverse Mentoring bspw. als „konstruktive Diskussion auf Augenhöhe“ angesehen, weil beide Seiten voneinander profitieren (der erfahrene Kollege bei Themen wie Web 2.0, der junge Kollege vom Netzwerk und Kontakten des Seniors)150 und so die Beteiligten einander etwas zu bieten haben.151 Personalentwicklungsabteilungen in Unternehmen weiten das Anwendungsgebiet des Reverse Mentoring inzwischen mutig aus und nutzen das Konzept für weitere Themenfelder, um organisationales Wissen schnell und gezielt zu verbreiten und eine neue Lernkultur zu etablieren. Ein Praxisbeispiel ist die Begleitung von kleineren Change-Prozessen bei Opel durch die sog. „Change Agents“. Das sind junge Nachwuchskräfte, die Change-Management-Aufgaben wahrnehmen und die Prozessbegleitung in für sie fachfernen Veränderungsprojekten antreten. Sie verfügen aus Sicht von Opel häufiger als die langjährigen Manager über Projektmanagement- und Prozess-Expertise, befinden sich selbst noch in der Situation des „Nichtangekommenseins“ und zeigen sich daher frei von Beharrungstendenzen und unbeeindruckt von Besitzständen. Nun könnte man der Ansicht sein, dass man die Fähigkeit, erlerntes Wissen auf praktische Probleme und in neuen Situationen anzuwenden, am besten in der beruflichen Praxis lernt. Allerdings wird hier der Ansicht von Henkel gefolgt, der bereits 1989 die These vertrat, dass auch die Hochschulen/sonstige Institutionen durch stärkeren Anwendungs- und Praxisbezug und effektivere Methoden des Lernens einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung leisten müssen. Methodenvielfalt (wechselnde und arbeitsplatznahe Lehrformen) statt Methodenmonotonie leistet den relevanten Beitrag zur Steigerung Sozialer Kompetenzen und der Entscheidungsfähigkeit in komplexen Situationen.152 Reverse Mentoring lässt sich in Kombination zum klassischen Mentoring-Ansatz daher exzellent im Bereich der Hochschulen und sonstigen Bildungseinrichtungen integrieren, wird es doch in besonderem Maße dem neuen hochschuldidaktischen Anspruch gerecht. Als Studienziel/-didaktik wird seit dem Bologna-Prozess nicht mehr nur verfolgt, den Lernenden Fachwissen zu vermitteln, sondern vielmehr ein ganzes Bündel an Kompetenzen wie bspw. Methodenkompetenzen, Sozialkompetenzen (Teamfähigkeit, Konflikt-/ und Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft) sowie der Aufbau von Veränderungs-/Führungskompetenzen und Interkultureller Kompetenz.153 Die Lehrenden haben den Auftrag und die Bürde, die Lernenden handlungsorientiert aus- bzw. weiterzubilden und fit für die heutigen Herausforderungen im Beruf zu machen. Für die moderne berufliche Tätigkeit spielen Transfersicherung des Gelernten und die Übertragbarkeit von Problemlösungen auf neue Situationen eine große Rolle. Hier sind aktivierende pädagogische Lehrkonzepte und Instrumente wie Mentoring, Coaching, Rollen- und Planspiele unentbehrlich – unterschiedliche Lerntypen gilt es ebenfalls zu berücksichtigen. Arbeitsplatzorientierte Lernformen sind durch traditionelle Lernformen zu ergänzen bzw. umgekehrt. Diskussion und systematische Interaktion 150 151 152 153

Vgl. http://www.telekom.com/konzern/23318 Vgl. http://www.mentus.de/Medien/Dokumente/115_Edelkraut.pdf Vgl. Koeder, 2012, S. 48/49 Vgl. Koeder, 2012, S. 48

128

Kathrin Strässer-Knüttel

fördern das Verständnis und das Erinnern an Lerninhalte. Warum also nicht bereits im Rahmen der Aus- bzw. Weiterbildung an den Hochschulen einmal die Rollen tauschen, die Studenten gelegentlich zu Lehrenden machen und damit die täglichen Rollenwechsel im Beruf schon zu diesem frühen Zeitpunkt einprägsam erlebbar gestalten? Ganz nebenbei: Auch Dozenten benötigen auf dem ein oder anderen Gebiet „Nachhilfe“ und wertschätzen Selbstund Fremdbildabgleiche im Rahmen Ihrer persönlichen Weiterentwicklung. Ein erfolgsversprechendes Konzept ist eine Verknüpfung der beiden Instrumente „Mentoring“ und „Reverse Mentoring“.

Abb. 11.2:

Dozenten als Lehrer

Studierende als Lehrer

Studierende als Lernende

Dozenten als Lernende

Lernpyramide, Quelle: in Anlehnung an Heuser, 2011

Durch eine „senioritätsfreie“, hierarchieunabhängige und machtfreie Art der Kommunikation und Wissensweitergabe werden die jungen Lehrenden in dieser für sie noch ganz neuen und ungewöhnlichen Rolle behutsam trainiert, Führungsaufgaben zu übernehmen und eigenes Wissen ungeachtet „vielfältiger“ Empfänger-Persönlichkeiten individuell passgenau zu platzieren. Intergeneratives Wissensmanagement (Generierung, Nutzung und Kommunikation von Wissen) wird für Wissensmitarbeiter jeden Alters künftig ein zentraler Erfolgsfaktor werden, insbesondere deshalb, weil einmal erworbenes Wissen zunehmend nur über einen kurzen Zeitabschnitt aktuell ist. Mit verstärktem Einsatz solcher berufsorientierten Methoden im Rahmen der Aus- und Weiterbildung bereiten Schulen/Hochschulen ihre Lernenden hervorragend auf das kommende Berufsleben vor und bieten so den Unternehmen einen echten Mehrwert. Explizit zu nennen ist an dieser Stelle der wichtige Beitrag der Hochschulen zur Förderung der Soft-Skills, der Problemlösungs- und Entscheidungsfähigkeit sowie der Ausbau der Führungsfähigkeiten. Wechselseitiger Wissenstransfer und Kompetenzgewinne statt einseitiger top-downVermittlung von (Fach-)Wissen wird im demographischen Wandel entscheidender Wettbewerbsvorteil für Bildungseinrichtungen (Steigerung der Attraktivität der Hochschule) werden und deren Fortbestand beflügeln.154

154

Vgl. http://www.scil-blog.ch/2012/10/18/reverse -mentoring/

11 Intergeneratives Lernen – Mentoring einmal anders

11.2

129

Lernziele

Für den Hochschulbereich ist eine Übertragung des Konzepts, d. h. die Verknüpfung von Klassischem Mentoring und Reverse Mentoring, also ein intergeneratives Lernen vice versa, ein interessanter methodisch-didaktischer Ansatz. So können Lernende nicht nur von ihren Hochschullehrern, sondern auch umgekehrt die Hochschullehrer von den Studenten etwas lernen. Übergeordnet steht selbstverständlich das kognitive Lernziel, den Studierenden fachliches Wissen zu vermitteln. Daneben geht es unter Berücksichtigung der neuen hochschuldidaktischen Ausrichtung für die Lehrbeauftragten jedoch ergänzend darum, auch verhaltensorientierte und affektive Lernziele im Rahmen der Ausbildung mit zu bearbeiten. Lernziele (Mentee = Studierender) beim Klassischen Mentoring:  Optimale Umsetzung des fachlichen Stoffs  Bessere Kenntnis der Rahmenbedingungen der Hochschule und des Studienverlaufs  Herstellung von Handlungskompetenz  Stärkung der Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit  Erfolgreiches Arbeiten im Team  Kenntnis des Vorteils der Vernetzung mit anderen Studenten Lernziele beim Reverse Mentoring: Erfahrener Dozent (= Mentee!) lernt von Studierendem (= Mentor) und umgekehrt:  Eigenes Faktenwissen einem erfahrenen Dozenten vermitteln/ beibringen (Mentor)  Soft Skills entwickeln und Führungskompetenzen aufbauen (Mentor)  Trainieren von typischen beruflichen Situationen (Mentor)  Neues Wissen in einem relevanten Gebiet praxisnah erwerben (Mentee)  Ausbau der sozialen und persönlichen Kompetenzen (Mentee)  Erfahrungen sammeln zu neuen Methoden handlungsorientierten Lernens (Mentee)  Vorbild sein für eine neue Lehr-/Lernkultur an Hochschulen (Mentee)  Steigerung der eigenen Reflexionsfähigkeit (Mentee) Wissensarbeiter schätzen in der Regel eine innovative und individuelle Vorgehensweise und die Gelegenheit, eigene berufliche wie persönliche Belange bedarfsgerecht zu lösen. Auch der Austausch von Meinungen und Sichtweisen mit den Studenten zu konkreten Themen ist hervorzuheben. Einerseits geht es um die Anerkennung und Wertschätzung des fachspezifischen Wissens einer jüngeren Generation. Andererseits erhalten die Studenten – unabhängig vom beruflichen Werdegang und einer Position – so die Gelegenheit, ihre Fähigkeiten und Stärken zu nutzen und gleichzeitig berufsorientierte Erfahrungen zu sammeln. Studierende wie Berufsanfänger sind zudem meist davon fasziniert, sich in einem Milieu bewegen und agieren zu dürfen, welches ihnen normalerweise nicht offen stehen würde. Ziele der Hochschule beim Einsatz solch innovativer Instrumente sind bspw.:  Erhöhung des Frauenanteils (z. B. in naturwissenschaftlichen und technischen Studiengängen)  Unterstützung bei der Verkürzung der Studiendauer, Senkung der Abbrecherquote  Steigerung der Attraktivität der Hochschule  Erhöhung der Motivation der Lehrenden wie der Lernenden  Entwicklung hin zur lernenden Organisation (Nutzung vorhandenen Wissens, wo immer es herkommt: von innen, von außen, von unten und von oben).

130

Kathrin Strässer-Knüttel

Weitere Denkanstöße zum intergenerativen Lernen an Hochschulen:

LERNENDE

HOCHSCHULLEHRER

Im Rahmen von berufsbegleitenden Studiengängen: Nutzung der betriebspraktischen Gegebenheiten

Wissenschaftlicher Know-How-Transfer

Vermittlung von Faktenwissen Einbringung von Potenzialen in Bereichen wie Internet oder Web 2.0 oder PowerPoint Studierende als Dozenten/innen und Repetitoren/innen einsetzen

Anleiten zum wissenschaftlichen Arbeiten und Erkennen von Zusammenhängen Erfahrungsaustausch

Nutzung der Kreativität und des unbeschwerten Herangehens an Problemstellungen Interkulturelles Lernen Förderung der Toleranz zwischen den Generationen . Wissensmultiplikation Austausch von Wissen, Werten und Sichtweisen . Steigerung des gegenseitigen Verständnisses

Abb. 11.3:

Intergeneratives Lernen und Wissensaustausch an Hochschulen

11.3

Praktische Durchführung

Im Gegensatz zum Mentoring, welches einen formalen und systematisch geplanten Ablauf und meist auch ein offizielles Rahmenprogramm vorsieht (Eröffnungsworkshop, Bildung Tandems, Aufstellen von Spielregeln/Themen/ Zielvereinbarungen, Unterstützung der Karriere des/r Mentee, Evaluation, Abschlussworkshop) ist beim Reverse Mentoring aufgrund der besonderen Situation lediglich ein Orientierungsrahmen abzustecken. Mentor und Mentee erhalten Freiheitsgrade bei der Durchführung. Ein beispielhafter Ablauf für Reverse Mentoring könnte so aussehen:

START Kick-Off

FORM Eins-zu-EinsMentoring/ Tandemsitzung

ANZAHL/ INHALT Vier bis Sechs Sitzungen/ Themenempfehlung zur Orientierung

ZEITDAUER Jeweils 1 - 1,5 Stunden

EVALUATION OPTIONAL Roll-Out an der Hochschule

DURCHFÜHRUNG Selbststeuerung durch die Tandems

HÄUFIGKEIT Eine Sitzung pro Monat

GESAMTDAUER Dauer bis zu 6 Monate

Abb. 11.4:

Reverse Mentoring Ablauf

Nach einer Erstinformation und dem Matching der Tandems trifft sich der Dozent zu Einzelsitzungen mit dem jungen Mentor/der Mentorin. Gruppenveranstaltungen sind nicht vorgese-

11 Intergeneratives Lernen – Mentoring einmal anders

131

hen. Idealerweise sollte ca. eine Sitzung pro Monat stattfinden. Die Regeln zu Reverse Mentoring und dem außergewöhnlichen Rollentausch sind klar zu formulieren. In jeder Sitzung sollte ein konkretes Thema und Lernziel im Mittelpunkt stehen. Die Aktivitäten bestehen im Wesentlichen in: Beratung, Wissens- und Erfahrungsvermittlung und Training bestimmter Skills. Die Durchführung selbst wird dem Tandem überlassen. Vertrauen und Diskretion sind Grundlage, d. h. es sollte niemals zu Dritten über Persönliches und Privates aus den Sitzungen gesprochen werden. Ebenso ist es wichtig, zuvor festgelegte Zeitvorgaben einzuhalten. Nach Abschluss des Mentoring-Prozesses sollten Mentoren und Mentees zu Ihren Erfahrungen befragt werden und Erfolgsfaktoren benennen. Mögliche Inhalte Hinsichtlich der Festlegung geeigneter Themenfelder und konkreter Ausgestaltungsmöglichkeiten lohnt es sich, zunächst einen Blick auf die Verwendung des Ansatzes bei Wirtschaftsunternehmen zu werfen. Dort wird Reverse Mentoring aktuell insbesondere hinsichtlich des immer stärker an Bedeutung gewinnenden Diversity-Ansatzes von Personalentwicklern als geeignetes und nützliches Instrument beurteilt. Fokusfelder neben „Jung/Alt“ sind häufig „Frau/Mann“ oder unterschiedliche Kulturen. Hinsichtlich der praktischen Ausgestaltung ist ein weiterer Punkt zu beachten: Insbesondere bei stark marktgetriebenen und „jüngeren“ Unternehmen zeigt sich eine augenfällige Tendenz, dass nicht mehr nur in den hierarchischen Organisationsstrukturen agiert wird, sondern dass diese häufiger in losen hierarchieungebundenen Netzwerken und Projektstrukturen operieren. Wen wundert es da, dass innerbetrieblich auch die altgedienten off-the-job Fortbildungsmaßnahmen wie Seminare oder Vorträge an Akzeptanz verlieren. Stattdessen sind neue, unkonventionelle, bedarfsorientierte Personalentwicklungsansätze gefragt. Nachfolgend wird Reverse Mentoring für die Zielgruppe Dozenten/Studenten am Beispiel des Web 2.0 skizziert. Die Web 2.0-Kultur beinhaltet selbst viele Aspekte, die eine Transformation von vertrauten Strukturen und Vorgehensweisen abfordern, die solche Transformationen aber auch hervorragend unterstützen.155 Bis vor ca. 10 Jahren wurde Wissen allseits noch als ein „schützenswertes Gut“ angesehen. Urheberrechte waren zu beachten, Verstöße wurden sanktioniert. Junge Menschen umgehen diese Prinzipien gern. Heute wird Wissen im Internet breit zur Verfügung gestellt und genutzt. Nicht zuletzt dieser unbeschwerte Umgang mit Wissen erfordert insbesondere von Bildungseinrichtungen und deren Personal ein Umdenken und den Einsatz neuer ungewöhnlicher Lehrkonzepte. Sie sind in der Pflicht, vielfältige Lehr-/Lern-Methoden zu erforschen und innovative Konzepte zur Wissensvermittlung in ihr Portfolio zu integrieren. Die Entwicklung von Web 2.0 hat eine hohe Dynamik der Medienlandschaft erzeugt. Die Mitglieder auf Facebook-Deutschland haben sich in den letzten drei Jahren bspw. um ein fünffaches erhöht, auf über 23 Millionen registrierte Nutzer. Ebenso haben auch andere soziale Netzwerke, wie Twitter, Youtube oder Xing einen rasanten Boom hingelegt. Die junge „Generation Y“, auch die Generation der „Digital Natives“ genannt, also die Generation, die sich aktuell in der Ausbildung bzw. an der Schwelle zum Berufsleben befindet, treibt die

155

Vgl. Schwuchow; Gutmann, 2012, S. 140 ff.

132

Kathrin Strässer-Knüttel

rasante Zunahme von Web 2.0 voran und passt ihre Kommunikation und ihr Verhalten spielend an „Neues“ an. Die Digital Natives sind:156  Aufgewachsen mit dem PC im Schlafzimmer  Knüpfen und pflegen Beziehungen nicht mehr nur persönlich, sondern insbesondere über Soziale Netzwerke Die Gruppe der Studenten=„Digital Natives“ trifft in den Bildungsstätten (und später in den Betrieben) auf DozentenInnen der „Generation X“ bzw. die „Baby Boomers“. Letztere werden allgemein als die sog. „Digital Immigrants/ Weit vor Google“ angesehen. In diesem Zusammenhang tauchen folgende Fragen auf:  Wie kann man hierarchisch geprägten, älteren Dozenten den Umgang mit Web 2.0 nahebringen und erleichtern?  Welche Nutzen und Erfolgspotenziale bieten sich in diesem Zusammenhang allgemein für alle Beteiligten wie für die Bildungsstätten?  Wie können zwei Generationen mit ihren unterschiedlichen Zielen, Werten und Kommunikationsmustern zu Ihrem eigenen Wohl und zum Wohl der Bildungseinrichtung kooperativ und sinnvoll zusammenarbeiten? Entscheidet sich eine Einrichtung dafür, Reverse Mentoring neben dem klassischen Mentoring auszuprobieren, empfiehlt sich auf jeden Fall neben der Festlegung der Thematik die Planung des Vorgehens. Eine Agenda zu den Arbeitsterminen des Reverse Mentoring Tandems gibt bspw. einen groben Rahmen zum Lernziel und Thema vor (Beispiel):157  Inhalt Treffen am xx.xx.2013: z. B. Nutzung Mobiltelefon zur Flugbuchung  Vorgehensweise/ Aufgabe: z. B. Application (App) auf das Mobiltelefon laden, Instruktion Bedienung: Bestätigung Flug, Sitzplatzbuchung per Email/SMS auf das Mobiltelefon  Anwendungsfelder/ Nutzen: z. B. Zeit- und ortsunabhängige Reservierung von Flügen für eine Studienreise ins Inoder Ausland Erfolgsfaktoren Eine erfolgreiche Einführung des Reverse Mentoring hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Die nachhaltige Verankerung eines Reverse Mentoring Programms erfordert die Popularität des Ansatzes und vor allem das Commitment der Dozenten/Lehrbeauftragten. Durch einen Roll-Out über die gesamte Hochschule mit Anwendern in unterschiedlichen Fachbereichen entwickelt sich das Programm organisch weiter. So werden sich bei einem gesteuerten Top-Down-Ansatz in der zweiten Runde erfahrungsgemäß bereits eine Vielzahl interessierter Mentees finden (Vorbildfunktion, Mund-zu-Mund-Propaganda der Erstanwender). Ein weiterer bedeutender Faktor ist das „Matching“, d. h. die Passung zwischen den Hauptakteuren (Mentee und Mentor). Auf der einen Seite sollte der erfahrene Dozent den junge/n Mentor/in und die Initiative „Reverse Mentoring“ positiv annehmen und willens sein „Neues“ zu lernen. Die Bereitschaft eigene Barrieren abzubauen muss vorhanden sein. Auf der anderen Seite sollte der junge Mentor nur in einem zuvor fest umrissenen Rahmen unterstützen (kon-

156 157

Vgl. Heuser, 2011, S. 343 ff. Vgl. Heuser, 2011, S. 343 ff.

11 Intergeneratives Lernen – Mentoring einmal anders

133

Mittel-

Input Theorie/ Interesse wecken für IT

Praktische Anwendung z.B. Tweets, Apps, …

Simulationen: z.B. Beobachten einer Vorlesung über die Webcam

Reverse Mentoring-Ansatz Fach-Coaching Begleitung durch Ansprechpartner in der Bildungseinrichtung

Video mit dem Mobiltelefon selber drehen

IS BAS

Selbst- und Fremdbildabgleich zu Zielen und Fähigkeiten

Kurz-

ZIELORIENTIERUNG

Langfristig

kretes Ziel, begrenzte Laufzeit, limitierte Anzahl an Treffen, geregelte zeitliche Dauer der Termine). Begünstigend für solche innovativen Experimente wirkt eine offene Hochschulkultur, die lebenslanges Lernen unabhängig von Alter und Hierarchie fördert und vorlebt.158

Resumee zu erreichten Zielen und Fähigkeiten

Evaluation Diskussion zu Chancen und Risiken Wissen

Fertigkeiten

Kompetenzen

LERNORIENTIERUNG

Abb. 11.5:

158

Wissensmanagement/Mögliche Ziele und Lernorientierung in einem Reverse Mentoring am Beispiel „Web 2.0“

Vgl. Schwuchow; Gutmann, 2012, S. 140 ff.

134

Kathrin Strässer-Knüttel

ALT

TANDEM

Hoch . Alter . Hierachie

?

JUNG

!

Niedrig . Web 2.0 . Know-How

Abb. 11.6:

Hoch . Web 2.0 . Know-How

Niedrig . Alter . Hierachie

Reverse Mentoring Team zum Thema „Web 2.0“

Wirkungen Durch das Reverse Mentoring wird das Verständnis von Seniorität, Macht und Hierarchie und die Lernkultur einer Hochschule in unterschiedlichster Art und Weise beeinflusst und verändert. Die umgedrehte Lernpyramide fordert Mut und die Neugier Neues kennenzulernen und auszuprobieren. Auf der anderen Seite bieten sich Hochschulen/Dozenten Chancen, interessantes Wissen der Lernenden für sich zu generieren und breiter zugänglich zu machen. Im Allgemeinen eröffnet der Mentoring-Ansatz (besonders die Form des Reverse Mentoring) eine interaktive und hocheffektive Form des Lernens, da der Mentee das Gelernte gleich in der beruflichen Praxis umsetzen kann. Der Mentee erwirbt bedarfsorientiertes Know-How. Nicht nur im Bereich Social Media und Web 2.0 werden sich an den Hochschulen Lernende finden lassen, die über spannenden Content und relevantes Wissen verfügen. Gezielte Nachfragen bei den Studenten werden reizvolle, berufsrelevante Themenfelder zu Tage fördern. Praxisbeispiele aus der Wirtschaft zu Reverse Mentoring 



159 160

Merck KGaA Merck hat den Führungskräften Auszubildende an die Seite gestellt, die diese in Themen wie Web 2.0 und Soziale Netzwerke einzuführen hatten. Merck beabsichtigt, das Reverse Mentoring, welches ursprünglich als Projekt aufgelegt war, dauerhaft zu installieren.159 IBM Deutschland GmbH Der IT-Konzern IBM verfolgte die Konstellation von gemischten Teams, bei denen eine Frau eine männliche Führungskraft für die typischen weiblichen Verhaltensweisen und Reaktionen im Arbeitsalltag sensibilisierte.160

Vgl. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.voneinander-lernen-jung-coacht-alt.d696ddc8-287a-417d-8000f8ed232ee842.html Vgl. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.voneinander-lernen-jung-coacht-alt.d696ddc8-287a-417d-8000f8ed232ee842.html

11 Intergeneratives Lernen – Mentoring einmal anders 



135

Lufthansa AG/ T-Systems Die Unternehmen Lufthansa und T-Systems haben positive Erfahrungen mit Web 2.0 Initiativen (Internet, E-Commerce sowie Enterprise 2.0) gemacht. Hierbei hat sich bewahrheitet, dass durch Reverse Mentoring in höherem Ausmaß strategisch relevantes Wissen schnell und gezielt verbreitet werden konnte und sich hierdurch eine neue Lernkultur entwickeln ließ. Für dieses Projekt wurden Manager an der Spitze der beiden Unternehmen berufen. Die Veröffentlichung des methodischen Ansatzes erfolgte im Intranet, um eine möglichst hohe Zahl von Mitarbeitern zu erreichen. Deutsche Telekom AG Im Nachgang zum Lufthansa/T-Systems Projekt initiierte auch die Deutsche Telekom ein Reverse-Mentoring-Programm. Nachwuchskräfte erläuterten gestandenen Managern, wie sie mit Wikis, Blogs und Twitter den geschäftlichen Erfolg anheben könnten. Die Telekom verfügt über ca. 25 Jungmentoren die sich im Rahmen des Reverse Mentoring engagieren. Das Mentoring läuft in Form eines intensiven 1:1-Gesprächs ab, Termine werden frei vereinbart. So entscheiden die Teilnehmer auf Basis ihrer Vorkenntnisse selbst, ob sie mit Grundsätzlichem einsteigen oder gleich ihr eigenes Projekt-Wiki aufsetzen.161 Aufgrund der Einfachheit und Effizienz des Konzepts überzeugt der TelekomAnsatz bereits seit längerem.162

11.4

Kritische Analyse

Die Vorteile von Reverse Mentoring beziehen sich im Wesentlichen auf den zielgerichteten und bedarfsorientierten Wissens- und Erfahrungstransfer und die Steigerung der sozialen Kompetenzen. Insbesondere jüngere Personen fühlen sich durch Einbringung ihrer Fähigkeiten ernst genommen, integriert und in den Hochschulalltag aktiv eingebunden. So können Unternehmen quasi als Nebeneffekt die Demographie-Problematik elegant mit behandeln.163 Mit kleinem Einsatz kann hier große Wirkung erzielt werden: Die Attraktivität der Hochschule wird gesteigert. In der Einrichtung selbst kann eine Atmosphäre entstehen, in der Dozenten motiviert werden, neue Methoden und Instrumente zu erproben, eigene Vorbehalte gegen „Neues“ aufzugeben und die Studierenden erwerben neben Fachwissen wichtige Schlüsselkompetenzen und werden praxisnah auf das spätere Berufsleben vorbereitet. Erfahrene Dozenten erhalten zusätzlich eine Möglichkeit, im Dialog interessantes über die Einstellung und Werte der Generation Y zu lernen.164 Gleiches gilt bezüglich Einstellungen/Werte der beiden Geschlechter oder anderer Kulturen. Umgekehrt ermöglicht der unkonventionelle Kontakt mit den Lehrbeauftragten den jungen Studenten/innen einen Zugang zu deren Netzwerk.165 Hier zeigt sich eine normabweichende Möglichkeit zwei Generationen und Hierar-

161 162 163 164 165

Vgl. http://www.telekom.com/konzern/23318 Vgl. http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/umgekehrtes-mentoring-alt-lernt-von-jung-11984517.html Vgl. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.voneinander-lernen-jung-coacht-alt.d696ddc8-287a-417d-8000f8ed232ee842.html Vgl. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.voneinander-lernen-jung-coacht-alt.d696ddc8-287a-417d-8000f8ed232ee842.html Vgl. http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/umgekehrtes-mentoring-alt-lernt-von-jung-11984517.html

136

Kathrin Strässer-Knüttel

chieebenen partnerschaftlich miteinander zu vernetzen, die ansonsten lediglich „top-down“ Berührungspunkte hätten.166 Die größte Herausforderung dürfte die Psychologie der Situation sein. Sie ist vielschichtig und schwierig: Die Hierarchie zwischen DozentIn und StudentIn bleibt bestehen, sie lässt sich auch nicht wegdefinieren. Im Alltag entscheiden die Dozenten nach wie vor über Bestehen oder Nichtbestehen der Prüfungsleistung. So manche/r altgediente DozentIn wird sich sicher nicht gern belehren und damit auf das Niveau der Studierenden herablassen wollen.167 Tab. 11.1:

Vorteile und Herausforderungen

Vorteile

– – – –

Herausforderungen

– – – – – – – – – – – –

Förderung der Toleranz Austausch von Werten und Sichtweisen Erweiterung des eigenen Blickwinkels (Perspektivwechsel, Reflexion) – Erwerb von Schlüsselqualifikationen (Soft Skills, Individualkompetenzen) Sensibilisierung für Missverständnisse zwischen Generationen, Geschlechtern, Kulturen etc. Steigerung der Handlungskompetenz und Problemlösefähigkeit Förderung einer toleranten Organisationskultur Marketing „ Arbeitgeberattraktivität“ Erweiterung des eigenen kollegialen wie fachlichen Kontaktnetzwerks Machtgefälle zwischen Dozent und Student bleibt erhalten. Abhängigkeit vom „Good-Will“ des Dozenten Mangelndes Engagement des Dozenten Themenspezifisch (nur dann sinnvoll, wenn der Student in einem Gebiet deutlich mehr Erfahrung hat als der Dozent) Wahrung der Vertraulichkeit Beziehungschemie Verbindliche Zielvereinbarung Zeitliche Belastung, unvereinbare Arbeitsplanung Probleme bei der Standardisierung und Systematisierung des Instruments Reverse Mentoring

Als Fazit bleibt festzuhalten: Einen Versuch ist es wert! Zu berücksichtigen ist auch der Wettbewerbsfaktor: So kann es – neben dem positiven Effekt für die Beteiligten – auch für die jeweilige Bildungseinrichtung von existenzieller Bedeutung sein, die eigenen Dozenten fit für die Zukunft und neue Herausforderungen zu halten. Mentoring und besonders Reverse Mentoring sind meist für alle Seiten ein echter Gewinn und damit als eine sinnvolle Ergänzung des Profils von Bildungseinrichtungen anzusehen.168 Moderne Lehr- und Lernkonzepte führen für die Hochschule im Ergebnis sogar zu einer „Triple-Win-Situation“, für die Einrichtung selbst, die Dozenten und die Studenten.169

166 167 168 169

Vgl. http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/umgekehrtes-mentoring-alt-lernt-von-jung-11984517.html Vgl. http://www.smpp.de/pdf/Interview_Stefan Mueller_27Okt12.pdf Vgl. Heuser, S. 343 ff. Vgl. Schwuchow; Gutmann, 2012, S. 140 ff.

11 Intergeneratives Lernen – Mentoring einmal anders

137

Zusammenfassung Reverse Mentoring Kurzbeschreibung

Die Lernenden konzipieren ein Buch zu einem festgelegten Oberthema und verfassen die Einzelbeiträge dazu.

Vorgehen

   

Geeignetes Oberthema Gewinnung von kompetenten Experten für Interviews Mitarbeit eines Grafikers Zusage für Druckkostenzuschuss von Institution oder Sponsoring von Kooperationspartnern/Unternehmen

Lernziele

    

Praxisnaher Erwerb von relevantem Faktenwissen Entwicklung Soft Skills, Ausbau Führungskompetenzen Wertschätzung des Wissens der jüngeren Generation Steigerung der Toleranz zwischen den Generationen Arbeitsplatznahe Lernmethoden erproben

Voraussetzungen

   

Commitment der Dozenten, Identifikation mit dem Ansatz „Passung“ zwischen Mentee und Mentor Lebenslanges Lernen als Leitmotiv Offenheit für unkonventionelle Lehr- und Lernmethoden

Literatur und hilfreiche Links



http://www.faz.net/aktuell/berufchance/umgekehrtesmentoring-alt-lernt-von-jung-11984517.html http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.voneinander-lernenjung-coacht-alt.d696ddc8-287a-417d-8000f8ed232ee842.html Koeder, Kurt-Wolfgang (2012): Studienmethodik, Selbstmanagement für Studienanfänger, 5. Auflage, München, S. 33–49 Schwuchow, Karlheinz/ Gutmann, Joachim: Personalentwicklung 2013; Themen, Trends, Best Practice, Freiburg 2013

  

138

11.5

Kathrin Strässer-Knüttel

Literatur

EMPA (Hrsg.), Konzept Pilot Mentoring, St. Gallen 2001 Heuser, M. Reverse Mentoring: Die Lernpyramide auf den Kopf stellen, in: Personalwirtschaft, Jahrbuch 2011, S. 343–348 Koeder, K.-W., Studienmethodik, Selbstmanagement für Studienanfänger, 5. Auflage, München 2012 Müller, F.; Bachmann, R.; Spreyermann, C.; Rothmayr, C., Mentoring-Projekte: Fallstudien; Wirkungsanalysen im Rahmen der Evaluation des Bundesprogramms Chancengleichheit von Frau und Mann an den Universitäten 2000–2007, Berlin 2007 Schwuchow, K.; Gutmann, J., Personalentwicklung 2013; Themen, Trends, Best Practice, Freiburg 2012 Internetquellen: http://www.duw-berlin.de/de/presse/duw-studien/studie-zum-wandel-beruflicher-weiterbildung.html http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/umgekehrtes-mentoring-alt-lernt-von-jung-11984517.html http://www.mentus.de/Medien/Dokumente/115_Edelkraut.pdf http://www.scil-blog.ch/2012/10/18/reverse-mentoring/ http://www.smpp.de/pdf/Interview_Stefan Mueller_27Okt12.pdf http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.voneinander-lernen-jung-coacht-alt.d696ddc8-287a-417d8000-f8ed232ee842.html http://www.telekom.com/konzern/23318

12

Soziale Formen des Lernens Kurt-Wolfgang Koeder

„Überhaupt lernt niemand etwas durch bloßes Anhören, und wer sich in gewissen Dingen nicht selbst tätig bemüht, weiß die Sachen nur oberflächlich.“ (J. W. Goethe) In der Pädagogik wird die Lehrform bzw. Lehrmethode als ein pädagogisches Verfahren (einschließlich der Mittel/Medien) bezeichnet, das der Lehrende wählt, um erfolgreiches Lernen zu ermöglichen bzw. dazu anzuregen. Als Einteilungskriterium für die Lehrformen kann die Aktivität170, d. h. das gegenseitige Verhalten von Lehrenden und Lernenden im Lernprozess herangezogen werden. Dieses Aktivitätskriterium ist pädagogisch und didaktisch ein bedeutsamer Grundsatz, da die Selbstständigkeit und die Selbsttätigkeit des Lernenden, des Studierenden, zu einem wesentlichen Faktor der Unterrichtsgestaltung gemacht werden.

12.1

Was bedeutet soziales Lernen?

Als aktive Lehrformen können Unterrichtsformen bezeichnet werden, die die Lernenden von der rezeptiven Haltung zur Aktivität, zur Mitarbeit anregen und auffordern. Hierzu zählen z. B. das Lehrgespräch in fragend-entwickelnder Vorgehensweise, die Simulationsformen wie Fallstudien, Planspiele, Rollenspiele sowie die Formen sozialen Lernens wie die Gruppenarbeit bzw. die Partnerarbeit.

170

Diese Einteilung wurde in der pädagogischen Literatur erstmals von E. Weber 1925 vorgenommen: Didaktik und Theorie des Unterrichts, Ansbach 1925, vorgenommen.

140

Kurt-Wolfgang Koeder

Formen des Lehrens und Lernens

Passive Lehrformen

Vorlesung/Vortrag

Aktive Lehrformen

Lehrgespräch

Simulationsformen

Fallstudie

Planspiel

Rollenspiel

Sozialformen

Gruppenarbeit

Abb. 12.1:

Partnerarbeit

Ein lehrformentypologischer Ansatz; Quelle: Vgl. Koeder, 2012, S. 34

Gruppen- und Partnerarbeit werden in der Pädagogik unter dem Begriff „Sozialformen des Lernens“ zusammengefasst. Diese Lernformen zeigen, inwieweit die Beziehungen der Studierenden zueinander und zum Lehrenden begründet werden. Ziel des Einsatzes von Sozialformen ist es, Interdependenzen zwischen den am Lehrprozess beteiligten Personen zu erfassen, auszuwerten und begünstigende Wirkungen (z. B. Arbeitsergebnisse) in die methodische und didaktische Aufbereitung und Vermittlung von Lehrinhalten mit einzubeziehen. Gruppenarbeit stellt didaktisch eine zeitlich befristete Zusammenarbeit mehrerer Studierender im Rahmen einer Lehrveranstaltung oder im Selbststudium dar. Dadurch sollen kommunikative und kooperative Lösungen von Aufgaben und Problemstellungen sowie die anschließende Nutzbarmachung der Arbeitsergebnisse einer Gruppe für alle anderen Lernenden realisiert werden.171 Wird ein Arbeitsauftrag im Rahmen einer Lehrveranstaltung zwei Lernenden zur gemeinschaftlichen Erbringung der Lernleistung zugeordnet, sprechen wir von Partnerarbeit. Diese partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Sitznachbarn kann als eine wichtige Vorform der Gruppenarbeit bezeichnet werden. Sie eignet sich im Hochschulbereich hervorragend, um längere Vortrags-/Vorlesungsphasen in Veranstaltungen mit fester Sitzordnung (z. B. Hörsäle mit befestigten Stuhlreihen) aufzulockern und möglicherweise aufkommender Unruhe bei langen Vortragssequenzen entgegenzuwirken. Dabei kann das Gehörte mit dem Studiennachbar diskutiert und sofern gegeben mit Beispielen aus dem eigenen Erfahrungsbe171

Vgl. Koeder, 2012, S. 77 ff. und Meyer, 2003, S. 270 ff.

12 Soziale Formen des Lernens

141

reich verknüpft werden. Dies dient der Anwendung und Weiterverarbeitung des gerade gehörten und erworbenen Wissens. Hinsichtlich der Durchführung der Partnerarbeit kann eine Diskussionsfrage an die Studierenden gestellt werden, die diese 5–10 Minuten mit ihrem Kommilitonen zusammen bearbeiten, diskutieren und einen Lösungsvorschlag festhalten. Bei großer Zuhörerzahl können natürlich im Anschluss nicht alle Diskussionsergebnisse abgefragt werden. Hier gilt es punktuelle Statements durch Zurufe oder direkte Ansprache einzusammeln. Gruppenarbeit in einer Kleingruppe außerhalb und innerhalb des Vorlesungsraumes mit bis zu 5 Personen (Lernende arbeiten mit den neben und hinter ihnen sitzenden zusammen) dient häufig der Diskussion, Ideensammlung oder Erarbeitung von Ergebnissen und Lösung von Fallbeispielen/-studien. Dabei ist vorher Ziel und Dauer dieser Lernphase zu verdeutlichen, sowie Form und Dauer der Ergebnispräsentation. Zum Start und während der Arbeit in einer Gruppe sollten Betreuer für mögliche Rückfragen und zielführende Vorgehensweisen bereitstehen, um bei auftretenden Problemen Betreuung und Unterstützung zu bieten172. Und noch eins: Gerade frühzeitige Kontakte mit den Nachbarn insbesondere in Großraumvorlesungen mit bis zu 1000 Studierenden und in jeder Lehrveranstaltung neben einem anderen meist unbekannten neuen Studierenden sitzend, wirkt der Studienisolation entgegen.

12.2

Lernziele

Das Arbeiten im Team ist seit vielen Jahren eine der wichtigsten und effektivsten Arbeitsformen im täglichen Arbeitsvollzug von Unternehmen. Gruppenarbeit im Studium bietet die Verfolgung und Umsetzung einer Vielzahl kognitiver, affektiver und psychomotorischer Lernziele. Diese lassen sich verkürzt nachfolgend so beschreiben: Die Studierenden        

172

lernen Faktenwissen einer wissenschaftlichen Disziplin finden gemeinsame Lösungen in der Gruppe wenden verschiedenste Wissensdisziplinen zur Lösungsfindung (Transferwissen) an lernen das Zusammenarbeiten im Team entwickeln und trainieren soziale Kompetenzen wie z. B. Kontakt-, Kommunikations-, Kooperations- und Konfliktfähigkeit und lernen Toleranz zu üben erkennen und üben Komponenten der Selbstkompetenz wie z. B. Wahrnehmung und Akzeptanz der eigenen Bedürfnisse, Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten und deren selbstkritische Beurteilung, Arbeiten an der Ich-Identität trainieren typische berufliche Situationen z. B. im Rahmen einer Fallbearbeitung lernen die Vorteile des Networkings mit anderen Kommilitonen kennen

Vgl. Macke, 2008 und Rummler, 2011

142

Kurt-Wolfgang Koeder

Abb. 12.2:

12.3

Studierende bei der Gruppenarbeit

Praktische Durchführung

Sobald mehrere Personen in einen gemeinsamen Lernprozess mit gemeinsamen Zielen eingebunden sind, ist es unabdingbar, die praktische Durchführung dieses Lernprozesses an ein gemeinsames „Regelwerk“ zu knüpfen. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, ist die Berücksichtigung folgender Kritierien sinnvoll173:               

173

Diskussionen müssen vorbereitet sein (Unterlagen, Thema, Thesenpapier, Ausschnitte); Gruppen sollte nicht zu groß/zu klein sein (ziel- und themenabhängig); alle Teilnehmer sind gleichberechtigt (freie Meinungsäußerung/Ernsthaftigkeit der Diskussion); kurz sprechen und beim Thema bleiben (vorher denken, dann sprechen); Höflichkeit erleichtert die Diskussion (Sprachmodus unterschiedlich -Rhetorik-, Verzicht auf spöttisch/abwertende Zwischenrufe); Respekt vor anderen Meinungen; „Diskussionsleiter“ kontrolliert die Einhaltung der Spielregeln; zum Sprechen wird keiner gezwungen (Freiwilligkeit); Fachinhalte stehen stets im Mittelpunkt; kritisch bleiben (sowohl mit mündlichen als auch schriftlichen Informationen); Kritik ertragen können, denn diese führt zu Selbstkritik (Selbsteinschätzung); gemeinsame Ziele, die zusammen erreicht werden sollen, daher Bereitschaft zur Kooperation mit anderen; Arbeits- und Lernziele festlegen; Lerngruppe sollte leistungsmäßig einigermaßen gleich zusammengesetzt sein, keine Dominanz eines Einzelnen; Arbeitsprogramm der Lerngruppe festlegen hinsichtlich Ziele, Umfang und Anspruchsniveau; Vgl. hierzu auch: Koeder, 2012 und Macke, 2008

12 Soziale Formen des Lernens

143

 

Aufgaben in der Gruppe von Sitzung zu Sitzung klar verteilen (Wer macht was?) Frühzeitiges Erkennen und Beheben von Störungen der Gruppe (z. B. Dominanz einzelner Gruppenmitglieder oder Trittbrettfahrer, die nichts vorbereiten);  Gegenseitige Motivation der Gruppenmitglieder, insbesondere bei unterschiedlichem Leistungsstand, aufmunternde Worte helfen häufig;  Studierende, die über wenig Erfahrung mit dieser Form sozialen Lernens verfügen, sollten die Möglichkeit erhalten, sich mit gruppendynamischen Aspekten auseinanderzusetzen. Spoun/Domnik174 führen für erfolgreiches Lernen im Team folgende vereinfachte Orientierungs- und Strukturierungshilfen an: Zeitliche Begrenzung, Vertrauen untereinander, gemeinsame Ziele und Werte, Verhaltensregeln, Kommunikation und Feedback, Aufgabenanalyse und -verteilung, Rollenverteilung, Engagement und Verantwortung. Durch dieses Lernen in der Gruppe werden insbesondere außerfachliche Kriterien wie Kommunikations-, Konflikt-, Kooperations- und Führungsqualifikation, sprich sozialteambezogene Kompetenzen, gefördert. Darüber hinaus trägt Teamarbeit auch zur Erlangung intellektueller Kompetenz wie Kreativität, Problemlösungsfähigkeit usw. bei.

12.4

Kritische Analyse

Vorteile Wie bekannt, berücksichtigt in Bachelor- und Masterstudiengängen der Workload einer Lehrveranstaltung nicht nur die Zeit der Anwesenheit in einer Lehrveranstaltung (Vorlesung), sondern den gesamten studentischen Arbeitsaufwand. Es werden Zeiten der selbstständigen Vor- und Nachbereitung mit einbezogen. Das Selbststudium kann individuell im Rahmen einer Selbstlernphase und sehr häufig auch in Form von Lerngruppen, dem Studieren gemeinsam mit Kommilitonen, gestaltet werden. In der Vorbereitung auf die Erarbeitung neuer Stoffinhalte sowie in der Nachbereitung von Lehrveranstaltungen oder in der Wiederholung des bereits Gelernten (Klausur- und Examenvorbereitung) hat die Gruppenarbeit mehr Vorteile als das individuelle Arbeiten in Bibliotheken und im häuslichen Arbeitszimmer. Alle Gruppenmitglieder verfolgen die gleichen Ziele, arbeiten an der gleichen Aufgabe und bringen unterschiedliche Erfahrungen/Ergebnisse ein. Gerade in der Wechselrede, in Einwänden und Ergänzungen, werden wichtige Erkenntnisse und Anschauungen dauerhaft erworben und Zusammenhänge eher erkannt. Individualphasen sind im Rahmen der Selbststudienphase zwar unabdingbar, insbesondere um sich auch wissensmäßig auf eine Teamphase vorzubereiten. Die Organisation des Selbststudiums sollte sich aber nicht an den in Goethe’s Faust beschriebenen Kriterien für das Idealbild eines Wissenschaftlers orientieren:    

allein im Studienzimmer um die Wahrheit ringen, alle Disziplinen beherrschen, sich selbst genügen, Wert in der einsam und ohne fremde Hilfe erbrachten Leistung,

174

Vgl. Spoun; Domnik, 2004, S. 194

144  

Kurt-Wolfgang Koeder eifersüchtig die eigenen Gedanken hüten, sich höchstens in Buchform der Kritik der Welt aussetzen.

Der umfassende Gedankenaustausch, der Begegnung des Widerspruchs und das gemeinsame, partnerschaftliche Bemühen repräsentieren produktive Elemente schöpferischer Arbeit. In diesem Zusammenhang lassen sich stichwortartig folgende Vorteile des Lernens/Studierens in der Gruppe festhalten:175 

Kontakte mit anderen Kommilitonen wirken der Isolierung entgegen: Gedankenaustausch, Erfahrungsaustausch, Problembesprechung;  Überprüfung des eigenen Leistungsstandes durch gegenseitige Kontrolle (Evaluation);  Motivationswirkung der Gruppe, gerade bei Problemen zeigt die Gruppe stärkeres Durchhaltevermögen;  Gruppenarbeit setzt mehr eigene Aktivität frei: Ziele, Vorgehensweise, Fragen und Antworten/Lösungsansätze werden von Gruppenteilnehmern formuliert;  Wissensverarbeitung und Wissenstransfer in der Gruppe;  erleichtert Klausurvorbereitung (gegenseitiges Abfragen) und hilft Prüfungsängste abbauen (Prüfungssimulation);  Optimierung der Lösungsfindung durch konvergierendes Denken;  der Kontakt mit anderen trägt zur Beibehaltung der psychischen Gesundheit bei, z. B. über das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gruppe; das Wissen um die Bedeutung der eigenen Aktivität für andere; Anregung, Bestätigung, soziale Bedürfnisbefriedigung;  Lernen in der Gruppe ist meist anregender und motivierender als das Lernen allein. Dies ist letztlich auch bedingt durch die unterschiedlichen Vorkenntnisse, Ideen und Ansichten der Gruppenmitglieder. Dadurch können auch Synergien entstehen;  aktive Beteiligung an der Gruppenarbeit bedeutet, Lernen zu argumentieren, zu diskutieren, sein Wissen verständlich und strukturiert vorzutragen; Wissenslücken/Verständnisprobleme werden ersichtlich;  Möglichkeit des sozialen Lernens, z. B. tolerante Haltung gegenüber den Standpunkten anderer, Klärung von Missverständnissen und Konflikten in der Gruppe;  Gruppenlernen kann Lern-, Studien- und Durchhaltemotivation steigern; soziale Unterstützung durch andere;  Gruppenarbeit befriedigt das menschliche Bedürfnis nach Anerkennung, Respekt und Kommunikation mit anderen;  Entwicklung von kommunikativen Fähigkeiten und Teamarbeit bzw. Teamlernen;  Leistungsschwächere lernen von Leistungsstärkeren („Zugpferdeffekt“);  Sensibilisierung durch Gruppenmitglieder für Wichtiges, für andere Betrachtungsweisen;  „Leistungsvorteil der Gruppe“, Gruppenleistung übersteigt meist das beste Individualergebnis. Soziales Lernen in der Gruppe bietet gerade im Selbststudium viele Vorteile. Die Dynamik des Arbeitens in der Gruppe steigert meist die Lernmotivation und hilft über Motivationstiefs hinweg. Lernlücken lassen sich schnell erkennen und durch die Diskussion verschiedenster Problemlösungsansätze werden die Lerninhalte meist intensiver gelernt. Zusätzlich wird durch die Diskussion und die Interaktion in der Gruppe neben dem Verständnis von Inhalten

175

Vgl. hierzu auch: Dahmer, 1998, S. 71 ff. und Stumpf, 2003

12 Soziale Formen des Lernens

145

auch das Erinnern an die Lerninhalte gefördert. Daneben bietet das Arbeiten in einem Lernteam auch die Möglichkeit des wechselseitigen Abfragens von Inhalten. Diese Vorteile kommen aber nur zum Tragen, wenn das Arbeiten in einer Lerngruppe auch dementsprechend vorbereitet. Hierzu müssen geplant werden: Gruppengröße, Gruppentreffen, Arbeitsaufteilung, Vorbereitung auf die Gruppentreffen (zu lösende Aufgaben, zu lesende Seiten usw.), Aufgabenbearbeitung, Ergebnissicherung am Ende der einzelnen Lernphasen. Herausforderungen Neben dieser Vielzahl positiver, motivierender und den Lernzuwachs fördernder Effekte, ist soziales Lernen in der Gruppe an Herausforderungen geknüpft, über die wir uns bei der Konstituierung einer Lerngruppe und während der gemeinsamen Lernphasen im Klaren sein sollten. Nur so kann einer frühzeitigen Auflösung der Lerngruppe entgegengewirkt werden. Herausforderungen sind z. B.: 

Gruppenkoordination, der Arbeitseifer kann oftmals nach dem Vorsatz, gemeinsam zu lernen, bereits erschöpft sein;  Während der Gruppenphase Lerninhalte diskutieren, nicht Freizeitaktivitäten/-Erlebnisse;  Erwartungshaltung der Einzelnen unterschiedlich: Kontakt – gemütliches Beisammensein – fachliche Diskussion;  Dominanz einzelner Gruppenmitglieder;  Gruppengröße (max. drei bis fünf Mitglieder);  Heterogenität der Lerngruppe hinsichtlich Wissensstand, Interessen, Einsatzfreude;  mangelhafte Vorbereitung: Kein Thema, keine Zielsetzung, keine Vorbereitung des Einzelnen (z. B. Bearbeitung von vorher vereinbarten Themen durch Fachliteratur vor der Gruppenarbeit – einheitlicher Lernstand/identische Lernausgangslage);  bei manchen Lernarbeiten stört die Gegenwart anderer, z. B. bei erster Auseinandersetzung mit Wissensstoff;  Rivalisierungstendenz, das sich Produzieren vor anderen  Verbesserung der eigenen Position auf Kosten der anderen Gruppenmitglieder;  Lerngruppenteilnehmer nehmen bestimmte Rolle ein, z. B. Passive sind passiv, Aktive sind aktiv;  Gute bzw. schlechte Gruppenmitglieder klinken sich frühzeitig aus  Trittbrettfahrer, d. h. Inaktivität in Erwartung der Aktivitäten anderer;  Ineffizienz durch Ablenkung: Lerngruppe kann sich zu freundschaftlichen Treffen entwickeln, bei denen die eigentliche Zielsetzung in den Hintergrund tritt („Kaffeekränzchen“);  Persönlicher, individueller Nutzen kann verloren gehen: Profitabilität der Lerngruppe ständig für sich selbst überprüfen. Wesentliche Funktionen gemeinsamen Lernens können im gemeinsamen Vor- und Nacharbeiten, im Aufarbeiten von Inhalten, im Lösen von Problemen, im Ausräumen von Unverstandenem, in der kritischen Auseinandersetzung mit Lehrmeinung, Literatur usw. liegen. Der hierbei stattfindende Gedanken- und Wissensaustausch findet in diskutierender Form statt. Diese Form der Kommunikation kann dabei mit folgenden Problemen behaftet sein: 

der Dominanz einiger weniger Teilnehmer,

146  

Kurt-Wolfgang Koeder weniger das Thema, sondern das „sich selbst reden hören“ steht bei vielen im Vordergrund (endloses Abschweifen vom Thema), Diskussion nicht gleich Kampf (Sieger/Besiegter): intolerantes Verhalten.

Die berufliche Handlungskompetenz, inklusive der spezifischen Fähigkeiten für das betriebswirtschaftliche Berufsfeld, gilt es durch geeignete Lernarrangements in der Hochschullehre zu fördern. Dabei geben die grundlegenden Annahmen neuerer Lerntheorien über die Gesetzmäßigkeiten des Lernens wichtige Hinweise für eine didaktische Ausgestaltung176: 

Lernen ist ein aktiver und konstruktiver Prozess, der von individuellen Wissensgrundlagen abhängig ist. Die Aktivität des Lernens umfasst dabei verschiedene Dimensionen, so z. B. die Aktivität durch Zusammenarbeit, durch Handlungsorientierung oder durch Ganzheitlichkeit in der Ansprache.  Das Gelernte kann in der betrieblichen Praxis besser angewandt werden, wenn es unter lebensnahen Bedingungen erworben wurde. Deshalb ist Lernen/Studieren an und in realen Situationen insbesondere in der beruflichen Bildung vorteilhaft. Auf diese Weise wird nicht künstlich versucht, wichtige Kompetenzbereiche zu identifizieren, sondern notwendige Kompetenzen – entsprechend ihrer aktuellen Zusammensetzung und Verbindung in der realen Wirklichkeit – zu fordern und zu fördern. Dem selbstgesteuerten Lernen (Eigenverantwortung im Lernprozess) wird dabei eine besonders wichtige Aufgabe für einen langfristig und flexibel nutzbaren Lernertrag zugeschrieben.  Kooperatives Lernen in Kleingruppen fördert die sozialen Beziehungen zwischen den Lernenden. Durch eine entsprechende Rollenverteilung oder eine ordentliche Betreuung können sowohl Begabte als auch weniger Begabte leistungsmäßig überwiegend gleichermaßen profitieren. Dabei ist der Vorbereitung, Unterstützung und Nachbereitung kooperativen Lernens/Studierens durch die Lehrpersonen eine Schlüsselfunktion zuzuschreiben. Für die Förderung der Handlungskompetenz ist insbesondere das integrative Aneignen von fachlichen Kenntnissen und spezifischen Fähigkeiten wichtig. Hierfür sind Lernarrangements besonders geeignet, die interdisziplinär aufgebaut sind, eine Verknüpfung von Theorie und Praxis erfordern, Selbststeuerung fördern und als Erkenntnisprozess konzipiert sind. Einen Erkenntnisprozess zu initiieren und zu konzipieren, bedeutet drei wesentliche didaktische Merkmale zu beachten: 

Die Prozessorientierung (der Prozess wird als notwendiger Bestandteil der Wissensvermittlung betrachtet),  die Problemorientierung (Wissensvermittlung als problemorientierter Auseinandersetzungsprozess, die Selbsterkenntnis fördert),  die Subjektorientierung (der subjektive Verarbeitungsprozess und das subjektive Wissen bilden den zentralen Bezugspunkt der Wissensvermittlung).177 Projektarbeiten und Gruppenarbeiten sind hierfür besonders förderlich. In der Nachbereitung von Lehrveranstaltungen, im gemeinsamen Erarbeiten von Stoffinhalten oder in der Klausur- bzw. Prüfungsvorbereitung kommt der Arbeit in einer Lerngruppe mit ca. vier Lernenden besondere Bedeutung zu. Alle Gruppenmitglieder verfolgen die gleichen Ziele, arbeiten an den gleichen Inhalten und bringen unterschiedliche Erfahrungen, 176 177

Vgl. Bauer u. a., 2006 Vgl. Pätzold; Wortmann 2006

12 Soziale Formen des Lernens

147

Erkenntnisse und Lernstände ein. Gerade in der Wechselrede, in der Auseinandersetzung mit Einwänden der Gruppenmitglieder werden wichtige Erkenntnisse und Anschauungen dauerhaft erworben und Gesamtzusammenhänge eher erkannt. Individuelle Lernphasen im Rahmen des Selbststudiums sind allerdings unabdingbar, insbesondere um sich inhaltlich und wissensmäßig (identischer Lernstand) auf eine Teamphase vorzubereiten. Der umfassende Gedankenaustausch, die Konfrontation mit dem Widerspruch und das gemeinsame, partnerschaftliche Bemühen repräsentieren produktive Elemente geistigschöpferischer Arbeit. Nutzen Sie dieses Lernen in der Gruppe, da auch außerfachliche Komponenten wie Kommunikations-, Konflikt-, Kooperations- und Führungsqualifikationen, sprich sozialteambezogene Kompetenzen, gefördert werden. Ferner trägt die Arbeit im Team auch zur Erlangung intellektueller Kompetenz wie Kreativität, Problemlösungsfähigkeit, analytisches Denkvermögen usw. bei. Mit Anderen über den Lernstoff zu reden, ist eine besonders effektive und tiefgehende Methode, diesen zu er- und verarbeiten. Dadurch erhalten Sie meist ein besseres Verständnis inhaltlicher Zusammenhänge und müssen das Gelernte sinngemäß in eigene Worte fassen. Dies ist insbesondere auch für die Vorbereitung von Klausuren und mündlichen Prüfungen sehr nützlich.178

178

Vgl. Koeder 2012

148

Kurt-Wolfgang Koeder Zusammenfassung Soziales Lernen/Gruppenlernen

Kurzbeschreibung

 

Lernen mit und von anderen Soziales Lernen in der Vorlesung und in Gruppen im Selbststudium

Vorgehen

   

Rahmenbedingungen, Inhalte und Lernziele festlegen Individuelle Arbeitsaufträge vergeben, abarbeiten und in die Gruppenarbeit einbringen Durchführungsphase determinieren Ergebnisse der Gruppenarbeit evaluieren

Lernziele

     

Praxisnaher Erwerb von Faktenwissen in der Gruppe Entwicklung sozialer Kompetenzen Ausbau der Selbstkompetenz Wissenstransfer Arbeitsplatzrelevante Lernmethode erproben Lernen im Team

Voraussetzungen



Die Gruppenmitglieder halten sich an bestimmte „Regeln“ der Gruppenarbeit Arbeiten im Team gewollt Von anderen Lernen gewünscht Offenheit für Gruppenlernen

   Literatur und hilfreiche Links

  

12.5

Spoun, S.; Domnik, D., Erfolgreich Studieren, München 2004 Stumpf, S.; Alexander, T. (Hrsg.), Teamarbeit und Teamentwicklung, Göttingen 2003 Koeder, K.-W., Studienmethodik, Selbstmanagement für Studienanfänger, München 2012

Literatur

Bauer, H. u. a., Lernprozessbegleitung in der Ausbildung, in: Beiträge zu Arbeit-LernenPersönlichkeitsentwicklung, Bd. 3, Bielefeld 2006 Dahmer, H., Dahmer, J., Effektives Lernen. Didaktische Anleitung zum Selbststudium und zur Gruppenarbeit, Stuttgart 1998 Koeder, K.-W., Studienmethodik, 5. Aufl., München 2012 Macke, G. u. a., Hochschuldidaktik, Weinheim 2008 Meyer, H., Unterrichtsmethoden, Bd. II, Praxisband, Berlin 2003 Pätzold, G.; Wortmann, E., Didaktische Handlungsmöglichkeiten zur Ausbildung von Schlüsselqualifikationen, in: Kompetenzentwicklung durch Schlüsselqualifikations-Förderung, hrsg. von Arnold, R., Baltmannsweiler 2006 Rummler, M. (Hrsg.), Crashkurs Hochschuldidaktik, Weinheim 2011 Spoun, S.; Domnik, D., Erfolgreich Studieren, München 2004 Stumpf, S.; Alexander, T. (Hrsg.), Teamarbeit und Teamentwicklung, Göttingen 2003 Weber, E., Didaktik und Theorie des Unterrichts, Ansbach 1925

Problemorientierte Lehre

13

Fallstudien Herbert Paul

„The essential fact which makes the case system … an educational method of the greatest power is that it arouses the interest of the student by making him an active rather than a passive participant.“ (Donham, Dekan der Harvard Business School (1919–42), zitiert in Garvin, 2003, S. 1) Die Fallstudie gehört zu den aktiven Lernmethoden und bildet eine Brücke zwischen Theorie und Praxis. Sie ist in besonderem Maße geeignet, die Lernenden im Umgang mit komplexen Situationen zu schulen und ganzheitliche Lösungsansätze zu entwickeln. Außerdem können verschiedene Schlüsselkompetenzen gefördert werden. Der Einsatz der Fallstudienmethodik im Lehrbetrieb ist an eine Reihe von Bedingungen gebunden und muss sorgfältig vorbereitet werden.

13.1

Was ist eine Fallstudie?

Fallstudien beschreiben eine reale Situation aus der Praxis eines Unternehmens oder einer Branche. Entsprechend ihrer Zielsetzung werden zwei Kategorien unterschieden: Fallstudien für empirische Forschungszwecke oder Fallstudien für Aus- und Weiterbildungszwecke. Wenn sie für empirische Forschungszwecke genutzt werden, dann stehen die Beschreibung der Situation und die Ableitung von Konklusionen auf der Basis wissenschaftlicher Kriterien im Vordergrund.179 Vor allem in der wirtschaftswissenschaftlichen Aus- und Weiterbildung werden Fallstudien gerne eingesetzt. Die Fallmethode definiert Kosiol, einer der ersten deutschen Professoren, der sich mit der Fallmethode als Lehrform auseinandersetzte als „… methodische Entschei-

179

Siehe hierzu insbesondere Yin, 2009 und Dul; Hak, 2008

152

Herbert Paul

dungsübung aufgrund selbständiger Gruppendiskussion am realen Beispiel einer konkreten Situation.“180 Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf den Einsatz von Fallstudien in der Lehre. Fallstudien bilden eine Brücke zwischen Theorie und Praxis. Mit Hilfe des theoretischen Wissens können die Lernenden für eine spezifische aus der Praxis stammende Fallsituation Probleme diagnostizieren, Lösungsalternativen entwickeln und bewerten und Umsetzungsempfehlungen machen. Friedrichsmeier/Mair/Brezowar sprechen von einem Trockenschwimmtraining.181 Fallstudien wurden zum ersten Mal 1870 an der Law School der Harvard Business University eingesetzt. Erst in den 20er Jahren fand die Fallmethode Eingang in die Business School der Harvard University.182 Die Fallstudienmethode wurde insbesondere an den nordamerikanischen und britischen Universitäten kontinuierlich gefördert und weiter entwickelt. So sind im Zeitablauf umfangreiche Fallsammlungen entstanden. Am bekanntesten ist die Fallstudiensammlung der Harvard Business School; die weltweit größte Datenbank mit Fallstudien wird von The Case Centre verwaltet. The Case Centre ist eine gemeinnützige Organisation mit 800 Mitgliedsinstitutionen und -unternehmen (www.thecasecentre.org) und verfolgt das Ziel, die Fallmethode in der Managementausbildung zu fördern. Das Case Centre publiziert und vertreibt über eine elektronische Datenbank 47.500 Fallstudien (überwiegend in englischer Sprache). Es organisiert Fallstudienwettbewerbe (Case Writing Competitions). Weiterhin werden Workshops sowohl für die Lehre mit Fallstudien als auch das Schreiben von Fallstudien angeboten. Die Website des Case Centre enthält eine umfangreiche Literatursammlung mit Büchern und Artikeln zum Thema Fallstudien. Die klassische Fallstudie besteht aus einem mehr oder weniger umfangreichen Text; typisch sind 15–25 Seiten. Die Fallstudienautoren erstellen häufig auch eine Lehranleitung (Teaching Note). Moderne Fallstudien werden mit Interviews von Führungskräften oder Branchenexperten per Video oder Audio-Clip ausgestattet. Der Dozent erhält elektronischen Zugang zu einem kompletten Multi-Media-Paket. Formen von Fallstudien In Abhängigkeit vom Umfang, der inhaltlichen Ausgestaltung und den didaktischen Zielen lassen sich die folgenden Formen von Fallstudien183 unterscheiden: 

Fallstudie: Diese ursprünglich von der Harvard Business School entwickelte Form der Fallstudie hat in der Regel einen Umfang von 20 bis 30 Seiten und enthält detailliertes Datenmaterial (oft im Anhang). Sie eignet sich insbesondere zur Analyse und Interpretation von Informationen, der Entwicklung und Bewertung von Lösungsalternativen und Umsetzungsempfehlungen.

180

Kosiol, 1957, S. 36 Vgl. Friedrichsmeier; Mair; Brezowar, 2010, S. 15 Vgl. Garvin, 2003, S. 1 f. Zur Fallstudie, zur Fallsituation und zum Fallbeispiel vgl. insbesondere Stähli, 2001, S. 22–40

181 182 183

13 Fallstudien   

153

Fallsituation: Sie fällt vom Umfang her deutlich knapper aus (wenige Seiten). Der Lernende muss nach zusätzlichen Informationen suchen, Informationen analysieren und interpretieren sowie eine Problemstellung definieren. Fallproblem: Hier wird in einer mehr oder weniger umfangreichen Form eine bestimmte Unternehmenssituation beschrieben. Die Problemstellung ist vorgegeben. Der Fokus des Fallarbeit liegt vor allem in der Entwicklung und Beurteilung von Lösungsalternativen. Fallbeispiel: Dies ist in der Regel eine detaillierte Darstellung einer Unternehmenssituation, der vom Management diskutierten Handlungsalternativen, der tatsächlich getroffenen Entscheidungen und deren Umsetzung bzw. die Ergebnisse der Umsetzung. Mit dem Fallbeispiel sollen Entscheidungen bewertet und Best Practices aufgezeigt werden.

Formen von Fallstudien

Inhalt

Analyse von Informationen; Problemdefinition

Entwicklung von Lösungsalternativen

Evaluation von Entscheidungen

Fallstudie (Case Study)

Umfangreiche und komplexe Beschreibung einer Unternehmenssituation

Erkennen und Definieren von Problemen

Entwickeln alternativer Lösungsansätze

Bewerten des Nutzens von Alternativen und der Voraussetzungen für ihre Umsetzung

Fallsituation (Case Incident)

Lückenhafte, knappe Schilderung der Ausgangslage

Fokus auf der Suche nach Informationen, Analyse und Interpretation; Problemdefinition

Nur teilweise geeignet

Nicht geeignet

Fallproblem (Case Problem)

Beschreibung der Ausgangslage mit Vorgabe der Problemdefinition

Nicht geeignet

Fokus auf der Entwicklung von Lösungsalternativen

Nur teilweise geeignet

Fallbeispiel (Case Example)

Umfassende Beschreibung eines Fallbeispiels mit Problemen und Lösungsansätzen

Nicht geeignet

Nicht geeignet

Fokus auf der Beurteilung von Entscheidungen bzw. den Ergebnissen der Umsetzung (Best Practices)

Abb. 13.1:

Formen von Fallstudien

Die Abbildung vermittelt einen Überblick über die verschiedenen Fallstudien. Zu bemerken ist, dass zwischen den verschiedenen Formen durchaus Überlappungen bestehen. Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen liegt auf der klassischen Fallstudie, wie sie von der Harvard Business School entwickelt wurde. Die Mehrdeutigkeit von Fallstudien Der Einsatz von Fallstudien führt manchmal zu Verwirrung und Unzufriedenheit bei den Lernenden, aber auch den Dozenten. Seitens der Studierenden wird dabei gerne die Mehrdeutigkeit im Hinblick auf die Informationslage und die Lösung kritisiert – es gibt keine

154

Herbert Paul

richtige Lösung. Heath184 hat die Klagen der Lernenden zum Thema Fallstudien sehr treffend zusammengefasst: Typische Klagen über Fallstudien:  Fallstudien haben keine eindeutige Antwort.  Informationen sind mehrdeutig und widersprechen sich.  Das Problem ist nicht definiert.  Informationen sind überflüssig oder irrelevant.  Der Lehrende löst den Fall nicht.  Das Lernen mit Fallstudien ist sehr zeitaufwendig.  Das Mitschreiben ist schwierig.  Der Lehrende führt die Diskussion nicht. Die Diskussion einer Fallstudie führt in der Regel zu sehr unterschiedlichen Lösungsalternativen und Prioritäten. Dies erscheint zunächst einmal verwunderlich, weil doch sowohl die Lernenden als auch der Dozent von den gleichen Fakten ausgehen. Eine Erklärung aus der Psychologie liefern Friedrichmeier/Mair/Brezowar.185 Sie gehen von der Erkenntnis aus, dass unterschiedliche Lösungsalternativen ihre Wurzeln bereits in einer unterschiedlichen Situationswahrnehmung haben. Dementsprechend wird eine größere Zahl von Personen eine Situation oder Problemstellung unterschiedlich verstehen und gewichten – damit werden zum Ende des Entscheidungsprozesses auch unterschiedliche Lösungsansätze präferiert. Der 2010 aus dem Amt geschiedene Dekan der Harvard Business School argumentiert im Hinblick auf den Einsatz von Fallstudien nach 40 Jahren Lehrtätigkeit: „If there is an overarching lesson – it would be that there is never a final answer, and you never really know for sure.“186 Dies kann für die Lernenden durchaus verwirrend sein, weil die Dozenten lediglich Konzepte zur Analyse der vorgestellten Fallstudie vermitteln und keine definitiven Schlussfolgerungen oder eine Musterlösungen liefern.187 Gerade im Erkennen und der Akzeptanz von unterschiedlichen Lösungsansätzen liegt eine der besonderen Stärken der Fallmethode. Hier bestehen Parallelen zum täglichen Unternehmensgeschehen, das ständig im Fluss und mit Unsicherheit verbunden ist – es gibt nur selten eindeutige Lösungen, sondern die Lösungen werden von der Unternehmenssituation bestimmt und fallen von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich aus. Typischer Fallstudienablauf Fallstudien können auf zweifache Weise eingesetzt werden.188 Der klassische Ansatz unterstellt, dass Konzepte und Theorien bekannt sind und auf die praktische Fallsituation angewandt werden können. Im neueren Ansatz, dem Problem-Based Learning (PBL), wird die Fallstudie zuerst behandelt, um die Lernenden zu motivieren, sich mit bestimmten Theorien auseinanderzusetzen. Erst dann erfolgt die Vermittlung des notwendigen theoretischen Wissens.

184 185 186 187 188

Vgl. Heath, 2002, S. 45 Light, 2010, S. 10 Light, 2010, S. 10 Vgl. Ellet, 2008, S. 24 Vgl. Friedrichsmeier; Mair; Brezowar, 2010, S. 24

13 Fallstudien

155

a) Die klassische Fallmethode Fallstudien eignen sich insbesondere, um komplexe Entscheidungssituationen zu verstehen und Lösungsansätze zu finden. Auf der Basis der von Gomez/Probst189 entwickelten ganzheitlichen Problemlösungsmethodik bietet sich das in der folgenden Abbildung dargestellte Vorgehen an.

START

Probleme erkennen und identifizieren . Was ist wichtig/unwichtig? . Was sind Symptome, was Ursachen? . Ziele definieren

Umsetzung planen . Maßnahmen planen (Ort, Zeit, Verantwortlichkeit) . Ressourcen sicherstellen . Controlling etablieren

Alternativen beurteilen . Entscheidungskriterien definieren . Qualitative und quantitative Beurteilungsverfahren einsetzen

Abb. 13.2:

Zusammenhänge und Spannungsfelder verstehen . Interdependenzen erkennen (Mindmapping) . Intensitäten zwischen Beziehungen verstehen . Zusätzliche Informationen beschaffen

Alternativen entwickeln . Mehrere Alternativen generieren . Kreativitätstechniken einsetzen . Alternativen auf Überlappungen/ Vollständigkeit prüfen

Aktivitäten während der Fallbearbeitung

Dieser Prozess sollte den Lernenden erklärt werden, wenn sie zum ersten Mal einen Fall bearbeiten sollen. Die einzelnen Schritte geben Hinweise für die inhaltliche Bearbeitung. Sie sollten im Rahmen der Gruppenarbeit vorbereitet und in der folgenden Plenumsdiskussion vertieft und erweitert werden. b) Die Problem-Based Learning-(PBL)-Methode Diese Methode stammt aus dem Medizinstudium an der McMaster University in Kanada. Die Fallstudie wird vor der Vermittlung der Theorie präsentiert. Die PBL-Methode ist nicht mehr das primäre Lernobjekt sondern übernimmt die Rolle eines Katalysators für das Lernen. Die Lernenden erarbeiten sich Schritt für Schritt die notwendige Theorie.190 Mit dieser Methode steigt die Motivation des Studierenden. Er lernt anhand einer konkreten Situation, eignet sich neues Theoriewissen und Anwendungswissen an und verbindet dieses Wissen mit vorhandenen Wissenselementen.

189 190

Vgl. Gomez; Probst, 2009, S. 27 Vgl. Garvin, 2003, S. 9

156

Herbert Paul

Um aus einer Fallstudie möglichst viel zu lernen und zeiteffizient vorzugehen, wird als spezifische Vorgehensweise der sog. Siebensprung verwendet. SCHRITTE

ARBEITSMODUS MIT DER FALLSTUDIE

RAHMEN

Schritt 1

Klären Sie die Begriffe, die Sie nicht verstanden haben

in Gruppe, betreut

Schritt 2

Definieren Sie das Problem

in Gruppe, betreut

Schritt 3

Analysieren Sie das Problem

in Gruppe, betreut

Schritt 4

Ordnen Sie die Ideen und vertiefen Sie sie auf eine systematische Weise

in Gruppe, betreut

Schritt 5

Formulieren Sie Lernziele

in Gruppe, betreut

Schritt 6

Suchen Sie ergänzende Informationen außerhalb der Gruppe

in Gruppe, betreut

Schritt 7

Synthetisieren und testen Sie die neuen Informationen

in Gruppe, betreut

Abb. 13.3:

Siebenschritt für die PBL-Methode; Quelle: Friedrichsmeier; Mair; Brezowar, 2010, S. 36 auf der Basis von Moust; Bouhuijs; Schmidt, 1999, S. 24

Diese Methode bietet große Vorteile im Hinblick auf ein eigenverantwortliches, motiviertes und ganzheitliches Lernen.191 Sie fördert die Analyse-, Problemlösungs- und Entscheidungsfähigkeiten der Lernenden. Gleichzeitig werden auf diese Weise die Sozialkompetenzen weiter entwickelt. Die PBL-Methode erfordert eine andere Einstellung zum Lernen seitens der Lernenden, aber auch ein anderes Rollenverständnis des Dozenten. Der Dozent ist nun in erster Linie Coach für die einzelnen Gruppen. Ein solches Konzept kann offensichtlich nur in kleinen Gruppen durchgeführt werden und ist entsprechend betreuungsintensiv. Die einzusetzenden Fallstudien müssen sorgfältig ausgewählt werden, um den Anforderungen der PBL-Methode gerecht zu werden.

13.2

Lernziele

Mit dem Einsatz von Fallstudien können verschiedene Lernziele verfolgt werden. Grundsätzlich gilt der Spruch „Weniger ist Mehr“. Das heißt der Dozent sollte sorgfältig überlegen, welche Schwerpunkte er setzt und diese ggfs. auch mit Kollegen abstimmen, die ebenfalls die Fallmethode in Parallelveranstaltungen nutzen. Anwenden von Theorien und Konzepten Der Einsatz von Fallstudien macht nur Sinn in Verbindung mit der Vermittlung von theoretischem Wissen. „Sie [die Fallstudie, Anm. des Verfassers] ist kein Ersatz für die Theorien, Konzepte, Methoden und quantitativen Ansätze, welche in Management-Studiengängen

191

Eine detaillierte Beschreibung der Anwendung dieser Methode an der Fachhochschule Wien ist enthalten in Friedrichsmeier; Mair; Brezowar, 2010, S. 32–54

13 Fallstudien

157

gelehrt werden – vielmehr soll sie diese ergänzen und ihre Anwendung erleichtern.“192 Das theoretische Wissen hilft den Lernenden, eine Situation zu verstehen, Probleme zu analysieren und Lösungsansätze zu entwickeln. Gleichzeitig können mit der Anwendung der theoretischen Konzepte deren Nutzen und Grenzen getestet werden. Vorbereiten und Treffen von Entscheidungen Fallstudien erfordern eine sorgfältige Analyse von komplexen quantitativen und qualitativen Informationen. Dabei muss der Lernende sich auf die wirklich wichtigen Aspekte konzentrieren. Auf dieser Basis werden im Sinne einer Synthese Lösungsalternativen entwickelt. Unterschiedliche Lösungsansätze sind im Hinblick auf spezifische Zielkriterien zu beurteilen, um eine Entscheidung (in der Regel unter Unsicherheit) treffen zu können. Garvin betont die mit der häufigen Fallbearbeitung einhergehende Handlungsorientierung der Lernenden; sie müssen immer wieder Entscheidungen treffen.193 Entwickeln von Sozialkompetenzen Der Einsatz von Fallstudien liefert zahlreiche Möglichkeiten, Sozialkompetenzen weiter zu entwickeln. Dazu zählen insbesondere die Zusammenarbeit und die Kommunikation innerhalb der Gruppenarbeit, aber auch innerhalb der Plenumsdiskussion. Auf diese Weise können sie ihre Argumentationsfähigkeit verbessern, sie müssen lernen andere zu überzeugen und mit Kritik umzugehen. Gruppendynamische Prozesse helfen, Team- und Kooperationsfähigkeit zu schulen. Denken in vernetzten Zusammenhängen Die Arbeit mit Fallstudien fördert die Entwicklung des vernetzten Denkens. Dies geschieht vor allem über eine integrative, bereichsübergreifende Sichtweise bei der Bearbeitung eines einzelnen, umfassenden Falls zur Unternehmensführung oder zum Strategischen Management. Eine ganzheitliche Perspektive entsteht aber auch durch die Bearbeitung von zahlreichen Fällen aus unterschiedlichen Unternehmen, Branchen und Wirtschaftsräumen. Im Hinblick auf die Managementausbildung argumentiert Hammond: „Because case studies cut across a range of organizations and situations, they provide you with an exposure far greater than you are likely to experience in your day-to-day routine.“194 Fördern der Medienkompetenzen Ergebnisse der Gruppenarbeit müssen in der Regel kommuniziert werden. Hierzu bieten sich natürlich die schon klassischen Powerpoint-Folien an. Andere Möglichkeiten bieten der mündliche Vortrag, oder eine Kombination von Vortrag und Poster. In Abhängigkeit von der Fallstudie lassen sich die Ergebnisse auch als Rollenspiel vortragen; dies ist vor allem dann möglich, wenn die handelnden Personen sehr konträre Ansichten vertreten bzw. die Fallstudie auf sehr konträr angelegte Lösungsansätze ausgerichtet ist.

192 193 194

Ellet, 2008, S. 10 Vgl. Garvin, 2003, S. 7 Hammond, 2002, S. 1

158

Herbert Paul

13.3

Praktische Durchführung

Der praktische Einsatz der Fallmethode kann in vier Phasen eingeteilt werden: Vorbereitung, Organisation der Gruppenarbeit, Plenumsdiskussion und Bewertung der Fallarbeit. Die Vorbereitung Im Rahmen der Vorbereitung stehen die Auswahl der geeigneten Fallstudie(n), die Zeitplanung und die logistische Vorbereitung im Vordergrund. Bei der Auswahl der Fallstudie ist zu prüfen, welche Fallstudien am besten zu den zu behandelnden Theorien und Konzepten passen. Nur dann entsteht die bereits erwähnte Brückenfunktion zwischen Theorie und Praxis. Die Fallstudie sollte sich auf eine aktuelle Unternehmenssituation oder eine Branche beziehen; die Authentizität des Unternehmens und seiner Akteure sind wichtige Voraussetzungen für hohes Engagement und Interesse der Lernenden. Im Rahmen der Zeitplanung ist zu klären, wie viele Fallstudien und zu welchem Zeitpunkt im Gesamtplan für die Lehreinheit sie eingesetzt werden sollen. Das Zeitmanagement hat in diesem Zusammenhang eine kritische Bedeutung: Zu wenig Zeit dürfte zu einem frustrierenden Ergebnis sowohl für die Lernenden als auch den Lehrenden führen.195 Weiterhin ist die Logistik zu planen: ein der Gruppengröße entsprechender Raum (ggfs. zusätzliche Räume für Kleingruppenarbeit), die Bestuhlung (idealerweise in U-Form), sowie die Medienausstattung (Beamer, Projektor, Pin-Wände, Tafel etc.). Organisation der Gruppenarbeit Zunächst ist die Gruppengröße festzulegen (3 bis 5 Personen sind ideal). Ganz wichtig ist die Gruppenzusammensetzung. Hier sollte der Dozent die Auswahl treffen oder zumindest Kriterien für die Auswahl vorgeben. Nur so kann eine gewisse Heterogenität innerhalb der Gruppe erreicht werden, die zu einer besseren Lösung führt, und auch gruppendynamische Prozesse in Gang setzt. Die Gruppenarbeit kann entweder in eine Lehreinheit integriert werden oder vorab stattfinden. In beiden Fällen ist es sinnvoll, den Gruppen Leitfragen zu der Fallstudie zu geben, um die Gruppenarbeit in eine bestimmte Richtung zu lenken. Weiterhin ist vorzugeben, wie die Ergebnisse der Gruppenarbeit genutzt werden. Die Gruppenarbeit kann entweder nur der Vorbereitung einer Falldiskussion dienen oder die Ergebnisse werden von der Gruppe zusammengefasst und im Plenum vorgetragen. Für die Präsentation sollte der Lehrende einen klaren Auftrag geben: einfallsreich und kreativ aufbereitete Präsentationen sind das Ziel und beeinflussen eine eventuelle Benotung.196 Dazu gehören u.U. Rollenspiele, der Einbezug des Plenums über Fragen oder die Nutzung von Videoclips aus dem Internet. Wenn mehrere Gruppen präsentieren, muss der Lehrende sich Gedanken machen, wie Wiederholungen und damit Langweiligkeit vermieden werden können. Beim Einsatz von mehreren Fallstudien können die präsentierenden Gruppen wechseln. Eine andere Lösung besteht darin, eine Gruppe präsentieren zu lassen und die übrigen Gruppen zu bitten, lediglich besondere Aspekte aus ihrer Gruppenarbeit zu ergänzen. Es ist eben-

195 196

Friedrichsmeier; Mair; Brezowar, 2010, S. 24 Vgl. Friedrichsmeier; Mair; Brezowar, 2010, S. 30

13 Fallstudien

159

falls denkbar, jede Gruppe nur eine Frage präsentieren zu lassen. Unter Umständen kann die Gruppe, die präsentieren soll, ausgelost werden. Im Sinne eines effizienten Zeitmanagements und auch der Fairness zwischen den Gruppen sollten Zeit- bzw. Umfangsbegrenzungen vorgegeben werden. 15 bis 20 Minuten Präsentation mit maximal 15 Charts sind in der Regel ausreichend für eine Gruppenpräsentation. Die Plenumsdiskussion Für die Gestaltung und den Ablauf der Plenumsdiskussion ergeben sich für den Lehrenden unterschiedliche Gestaltungsformen. Wie oben bereits erwähnt, können die Gruppen ihre Ergebnisse vortragen. Aus dieser Präsentation kann der Lehrende dann einen Punkt aufgreifen und im Plenum zur Debatte stellen. In angelsächsische Business Schools beginnt die Plenumsdiskussion oft mit einem sog. „Cold call“, d. h. ein Lernender wird ohne Vorwarnung aufgefordert, zu einem bestimmten Punkt Stellung zu beziehen oder eine Empfehlung zu geben. Hierzu sollte der Lernende 5 Minuten Zeit haben, um seine Position vorzutragen; danach wird die gleiche Frage an das Plenum gestellt. Zur Entwicklung einer lebhaften Diskussion zwischen den Lernenden werden am besten offene Fragen verwendet, die den Lernenden zu einer Positionierung zwingen. Ein ehemaliger Direktor des Harvard-MBA-Progamms, Carl Kesters, argumentiert: „There’s got to be a plausible tension in the case. It’s what allows me to build a debate and get students talk with one another.“197 Ein Beispiel für eine solche kontroverse Frage: Unternehmen XY beabsichtigt, in den chinesischen Markt einzutreten. Sollte das Unternehmen einen Importeur wählen oder eine eigene Verkaufsgesellschaft gründen? Soweit in der Gruppe der Lernenden Personen vertreten sind, die spezielle Erfahrungen im Hinblick auf das Unternehmen oder die Branche mitbringen, bietet es sich an, diese Personen explizit in die Diskussion einzubeziehen. Zum Ende der Plenumsdiskussion taucht immer wieder die Frage nach der ‚richtigen Lösung‘ auf. Im Sinne der bereits angesprochenen Mehrdeutigkeit von Falllösungen geht es nicht darum, dass der Dozent gegenüber den Lehrenden besserwisserisch auf einer Lösung besteht. Die Herausforderung für den Lehrenden besteht vielmehr darin, die Diskussion so zu führen, dass wichtige Positionen pro und contra debattiert und unterschiedliche Lösungsansätze zugelassen werden. Gragg formuliert in diesem Zusammenhang treffend: „The important question under these circumstances is not whether students‘ answers please the instructor, but whether they can support their views against the counter-attacks and disagreements of others in the group, or, failing to do so, can accept cooperatively the merits of their antagonists reasoning.“198 Zum Abschluss kann der Dozent manchmal berichten, wie das Management tatsächlich entschieden hat. Er kann auch Informationen über Unternehmen und deren Entscheidungen in ähnlichen Situationen weitergeben. Die Zeitdauer für eine solche Plenumsdiskussion ist in hohem Masse abhängig von der Komplexität der Fallstudie und der Gruppengröße. In der Regel dürfte ein Zeitrahmen von 1 bis 1,5 Stunden für die Plenumsdiskussion ausreichend sein.

197 198

Kesters, zitiert in: Garvin, 2003 S. 6 Gragg, 1982, S. 5

160

Herbert Paul

Die Bewertung der Fallarbeit Zur Bewertung der Fallarbeit sind verschiedene Vorgehensweisen oder Kombinationen von Vorgehensweisen denkbar. Die Fallpräsentationen und eventuell dazugehörende schriftliche Ausarbeitungen können bewertet werden. Ebenso können bei einer überschaubaren Gruppengröße auch die Diskussionsbeiträge der Lernenden bewertet werden. Dazu ist es notwendig anhand einer Liste von Kriterien (z. B. Originalität des Beitrags, Verständlichkeit der Argumentation, Fähigkeit zur Synthese) jeden Lernenden zu beurteilen. Die Liste sollte möglichst einfach und pragmatisch aufgebaut sein. Wenn Fallstudien für Klausuren genutzt werden, können generelle Fragen zur Theorie und ihrer Anwendung anhand einer spezifischen Fallstudie gestellt werden. Sehr kurze Fallstudien oder besser Fallsituationen können in die Klausur integriert werden; dabei ist allerdings die Lesezeit bei der Dauer der Klausurzeit zu berücksichtigen. Eine umfangreichere Fallstudie kann mehrere Tage vor der Klausur verteilt werden („seen case study“). Dies gibt den Lernenden die Möglichkeit sich intensiv mit der Fallstudie auseinanderzusetzen. Während der Klausur sind dann spezifische Fragen zur Fallstudie zu beantworten. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die zu planenden Aktivitäten. 1

Integration in den Lehrplan . Definition der Lernziele . Art und Zahl der Fallstudie(n) . Zeitpunkt des Einsatzes von Fallstudien . Festlegung der Leitfragen

2

Logistische Vorbereitungen . Gruppenraum für Plenumsdiskussion und Räume für Gruppenarbeit . Medienunterstützung

3

Gruppenarbeit . Gruppengröße und Gruppenzusammensetzung . Zeitpunkt und Dauer der Gruppenarbeit . Vorgaben an die Gruppen zur Bearbeitung der Fallstudie . Rolle des Dozenten während der Gruppenarbeit

4

Plenum . Zahl und Dauer der Vorträge (Wiederholungen vermeiden!) . Zeitdauer für Diskussion und Feedback . Diskussionsschwerpunkte/Themen

5

Bewertung der Fallarbeit . Präsentation (Zeitrahmen und Umfang) . Partizipation in der Plenumsdiskussion (Kriterien für die Bewertung) . Schriftliche Ausarbeitung (Umfang)

Abb. 13.4:

Zu planende Aktivitäten beim Einsatz von Fallstudien

Die Rolle des Lehrenden Beim Einsatz der Fallmethode spielt der Lehrende eine besonders wichtige Rolle für die Erreichung der Lernziele. Heath weist auf die besonderen Risiken der Fallmethode im Vergleich zur klassischen Vorlesung hin: „Teaching with cases involves rather more risk. The

13 Fallstudien

161

content of the session will be less certain and control must be shared with students.“199 Der Lehrende muss die Kontrolle allerdings auch wieder übernehmen, wenn die Erreichung der Lernziele gefährdet ist. Friedrichsmeier/Mair/Brezowar200 sehen die Rolle des Lehrenden auf drei Ebenen: Erstens ist der Lehrende Gestalter bzw. Designer der Lehreinheit; er legt die Lernziele fest und übernimmt die Vorbereitung der Veranstaltung. Zweitens ist der Lehrende Informationsträger, d. h. er ist Coach für die Gruppenarbeit, und er leitet natürlich die Diskussion im Plenum. Drittens er gibt Feedback und bewertet die Fallarbeit. Feedback bezieht sich auf die Logik der Argumentationskette, das Einbringen neuer Aspekte oder auch das Stellen von neuen Fragen. Hinweise für Lehrende, die Fallstudien zum ersten Mal einsetzen: Lehrende, die zum ersten Mal Fallstudien einsetzen, sollten sich im Vorfeld mit der einschlägigen Literatur auseinandersetzen.201 Eventuell bietet sich der Besuch eines Case Teaching Seminars an. Solche Seminare werden von verschiedenen Institutionen, insbesondere der Harvard Business School oder dem Case Centre, angeboten. Bei der Auswahl der Fallstudie sollte mit einfachen und kurzen Fallstudien, die mit Lehranleitungen ausgestattet sind, begonnen werden. Sehr hilfreich kann sein, einem in der Fallstudie erfahrenen Kollegen zuzuhören oder im Rahmen eines Co-Teaching an der Bearbeitung einer Fallstudie mitzuwirken.

13.4

Kritische Analyse

Vorteile Fallstudien sind in der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung weit verbreitet. Als Vorteile dieser Lehr- und Lernmethode sind vor allem die aktive Integration der Lernenden in den Lernprozess, die Vielseitigkeit der Fallmethode und die Verbindung von Theorie und Praxis zu nennen. 

Fallstudien als aktives Lehr- und Lernmodell Die Fallstudie gehört zu den aktiven Lehr- und Lernformen.202 Beim Einsatz von Fallstudien geht es nun gerade nicht um die Wiedergabe von fallbezogenen Fakten. Die Lernenden müssen den Fall kennen und die Fakten nutzen, um Konzepte und Theorien anzuwenden und eine eigene Perspektive zu den gestellten Fragen zu entwickeln.203 Hammond weist auf einen besonderen Nutzen von Fallstudien hin. Sie helfen den Lernenden, das wirkliche Problem zu definieren und die richtigen Fragen zu stellen.204 Während die

199

Heath, 2002, S. 49 Vgl. Friedrichsmeier; Maier; Brezowar, 2010, S. 25 f. Siehe Kasten am Ende dieses Beitrags Vgl. zur Darstellung der aktiven Lehrformen insbesondere Koeder, 2012, S. 33–51 Vgl. Ellet, 2008, S. 16 Vgl. Hammond, 2002, S. 2

200 201 202 203 204

162





Herbert Paul Lernenden mit der klassischen Vorlesung Wissen empfangen, wird mit der Fallmethode Wissen geschaffen.205 Fallstudien sind ein vielseitiges Lehr- und Lerninstrument Die Vielseitigkeit bezieht sich einmal auf die große Zahl an Fallstudien (vor allem in englischer Sprache) und auch die unterschiedlichen Falltypen. Damit wird es möglich, einen Kurs bzw. eine Lehreinheit interessant zu gestalten. Garvin beschreibt drei Rollen, welche die Lernenden während des Lernprozesses durchlaufen.206 Zunächst einmal werden diagnostische Fähigkeiten in einem sich ständig verändernden Umfeld entwickelt. Dazu ist eine bifokale Perspektive notwendig, nämlich die Fähigkeit, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Problemstellungen zu erkennen. Zweitens müssen die Lernenden Überzeugungs- und Argumentationskompetenzen entwickeln. Wie im realen Leben bedeutet Management das Arbeiten mit und durch andere Personen, um spezifische Ergebnisse zu erreichen. Drittens wird mit der Fallmethode das Treffen von Entscheidungen unter Unsicherheit geschult. Fallstudien bilden eine Brücke zwischen Theorie und Praxis Die Fallstudienmethodik ist im Zuge der Bologna-Reform noch stärker in den Vordergrund der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung gerückt, weil diese Form des Lehrens und Lernens in besonderer Weise geeignet ist, der mit der Bologna-Reform gewünschten Berufsqualifizierung und Praxisorientierung Rechnung zu tragen.207 Fallstudien zielen auf Fähigkeiten wie die kritische Analyse von Problemen, die Entwicklung von Lösungsalternativen, vor allem unter Berücksichtigung von fach- und funktionsübergreifenden Gesichtspunkten. Theoriewissen wird angewandt und intensiviert. Gleichzeitig werden die Entscheidungsfähigkeiten und das Entscheidungsverhalten der Lernenden weiter entwickelt.

Herausforderungen Die Fallmethode wird allerdings auch heftig kritisiert. Diese Kritik orientiert sich an der fehlenden Verbindlichkeit von getroffenen Entscheidungen und der Neigung seitens der Lernenden zu verallgemeinern und überschnell zu entscheiden. Weiterhin gibt es eine Reihe von praktischen Problemen. 

Fallstudien als Simulationen ohne Verbindlichkeit Fallstudien haben immer einen Simulations- oder „Spielcharakter“208, d. h. es gibt keinen verbindlichen Transfer des Gelernten in die Praxis. Die Lernenden operieren sozusagen im freien Raum und müssen keine Verantwortung für die von ihnen getroffenen Entscheidungen übernehmen. Dies widerspricht eigentlich der mit dem Einsatz von Fallstudien oft postulierten Realitätsnähe. Stähli argumentiert, dass mit der Fallstudie zwar ein kognitiver und vertikaler Wissenstransfer erreicht wird – also die Anwendung des neu Erlernten innerhalb des Lernfelds – nicht aber der laterale Transfer des Erlernten in ein reales Unternehmen und dessen Führung.209 Dies ist vor allem in der Führungskräfteaus- und -weiterbildung ein zentraler Punkt.

205

Ellet, 2008, S. 16 Vgl. Garvin, S. 6 Vgl. Paul, 2005, S. 356 Vgl. Stähli, 2001, S. 30 Vgl. Stähli, 2001, S. 31

206 207 208 209

13 Fallstudien 

163

Fallstudien erzeugen Entscheidungsdruck Lernende, die häufig mit Fallstudien arbeiten, neigen manchmal zu vorschnellen Verallgemeinerungen und meinen unter einem gewissen Druck zu stehen, Entscheidungen zu treffen. Dabei ist es unter bestimmten Bedingungen besser zu warten: „The case method does little to encourage caution. Decisiveness is rewarded, not inaction.“210 Wenn die Vermittlung von theoretischem Wissen ausbleibt oder vernachlässigt wird, erfolgt die Bearbeitung der Fallstudie in der Regel sehr oberflächlich. Es werden zwar weitere Informationen zur Falllösung beschafft, sie sind aber nur auf die aktuelle Problemlage ausgerichtet.211 Eine Gesamtsicht fehlt.  Der Einsatz von Fallstudien ist mit praktischen Problemen verbunden Aus einer praktischen Perspektive sind die folgenden Herausforderungen zu nennen: – Fallstudien veralten schnell und müssen deshalb regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht bzw. ausgetauscht werden. – Im Vergleich zur englischsprachigen Welt gibt es leider nur sehr wenige Fallstudien in deutscher Sprache. – Letztlich ist natürlich auf die Gruppengröße und die logistischen Anforderungen (Raum, Teamräume, Bestuhlung etc.) zu verweisen. Gerade in der deutschen Hochschullandschaft mit hohem Studentenandrang mangelt es leider häufig an der notwendigen Infrastruktur. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Fallmethode eine interessante aktive Lehr- und Lernformen darstellt. Der richtige Methodenmix aus der klassischen, theoriebezogenen Wissensvermittlung über Vorlesungs- bzw. Unterrichtseinheiten, die Nutzung von Fallstudien zur Förderung der Anwendungs- und Praxisorientierung und der Einsatz von Plan- und Rollenspielen sowie Projektarbeiten und Selbststudium sind letztlich für die Erreichung der Lernziele und den Lernerfolg der Lernenden ausschlaggebend.

210 211

Garvin, 2003, S. 7 Vgl. Stähli, 2001, S. 32

164

Herbert Paul Zusammenfassung Fallstudien

Kurzbeschreibung

Fallstudien sind die Brücke zwischen Theorie und Praxis. Auf der Basis der Beschreibung einer realen Unternehmens- oder Branchensituation sollen die Lernenden Probleme diagnostizieren, Lösungsalternativen entwickeln und bewerten und Empfehlungen zur Umsetzung zumachen.

Vorgehen

 

  

Festlegung der Lernziele Auswahl einer geeigneten Fallstudie (Theorie- und Praxisbezug) Planung des zeitlichen Ablaufs und der Logistik (Raum, Bestuhlung, Medien) Organisation der Gruppenarbeit Ablauf der Plenumsdiskussion Feedback und Bewertung

Lernziele

    

Anwenden von Theorien und Konzepten Vorbereiten und Treffen von Entscheidungen Entwickeln von Sozialkompetenzen Denken in vernetzten Zusammenhängen Fördern der Medienkompetenzen

Voraussetzungen



Zugang zu geeigneten zur Lehreinheit und den Lernzielen passenden Fallstudien Geeignete Räumlichkeiten (großer Raum für die Plenumsdiskussion und evt. kleinere Gruppenräume) Beim Einsatz von Multimedia-Fallstudien die erforderlichen Medien



  Literatur und hilfreiche Links

Literatur 

Friedrichsmeier, Helmut; Mair, Michael; Brezowar, Gabriela (2010): Fallstudien. Erfahrungen und Best-Practice-Beispiele, 2. Aufl., Wien  Heath, John (2002): Teaching and Writing Case Studies, 2. Aufl., Bedford, England Zugang zu Fallstudien und Unterstützungsmaterial    

The Case Centre: www.thecasecentre.org Harvard Business School: http://hbsp.harvard.edu/product/cases und http://hbsp.harvard.edu/product/participant-centered-learning Zentrale für Fallstudien e.V. an der Helmut-SchmidtUniversität http://www.hsu-hh.de/mdc/index_zSAPNi1dhMwHx0Ue.html

13 Fallstudien

13.5

165

Literatur

Dul, J., Hak, T., Case Study Methodology in Business Research, Amsterdam et al. 2008 Ellet, W., Das Fallstudien-Handbuch der Harvard Business School Press, Bern et al. 2008 Friedrichsmeier, H.; Mair, M.; Brezowar, G., Fallstudien. Erfahrungen und Best-Practice-Beispiele, 2. Aufl., Wien 2010 Garvin, D. A., Making the Case. Professional Education for the World of Practice, in: Harvard Magazine, http://harvardmagazine.com/2003/09/making-the-case-html, Abrufdatum 14. April 2013 Gomez, P.; Probst, G., Die Praxis des ganzheitlichen Problemlösens, 4. Aufl., Bern et al. 2009 Gragg, C., I., Because Wisdom Can’t Be Told, Harvard Business School Case Nr. 9–451–005, 1982 Hammond, J. S., Learning by the Case Method, Harvard Business School Case Study Nr. 9–376–241, 2002 Heath, J., Teaching and Writing Case Studies, 2. Aufl., Bedford, England 2002 Koeder, K.-W., Studienmethodik. Selbstmanagement für Studienanfänger, 5. Aufl., München 2012 Kosiol, E., Die Behandlung praktischer Fälle im betriebswirtschaftlichen Hochschulunterricht, Berlin 1957 Light, J., Light Looks Back on Forty-Year HBS Career, in: Harvard Business School Alumni Bulletin, http://www.alumni.hbs.edu/bulletin/2010/march/ib_light.html, Abrufdatum 17. April 2013 Moust, J.; Bouhuijs, P.; Schmidt, H. Problemorientiertes Lernen, Wiesbaden 1999 Paul, H., Fallstudien. Plädoyer für einen stärkeren Einsatz in der betriebswirtschaftlichen Lehre und Praxis, in: WiSt Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 32. Jg., Nr. 6, 2005, S. 356–360 Stähli, A., Management-Andragogik I, Berlin et al. 2001 Yin, R. K., Case Research. Design and Methods, 4. Aufl., Los Angeles et al. 2009

14

Projekte Ulrich Holzbaur, Carmen Venus

„Ein Gramm Erfahrung ist besser als eine Tonne Theorie, einfach deswegen, weil jede Theorie nur ein der Erfahrung lebendige und der Nachprüfung zugängliche Bedeutung hat.“ (John Dewey 1915) Projekte sind aus vielen Bereichen von Betriebswirtschaft und Management bekannt. Sie sind aber auch eine sehr effiziente Methode der Lehre. Richtig angewandt verbinden sie eine hohe Motivation der Lernenden und eine effiziente Vermittlung von Wissen, Kenntnissen und Fähigkeiten mit dem Erreichen konkreter reeller Verbesserungen und der Einführung in zukünftige Kompetenzbereiche.

14.1

Was ist die Projektmethode?

Die Projektmethode212 ist mehr als die Durchführung von Projekten im Laufe der Bildungsmaßnahme: Sie verbindet den gezielten Einsatz eines Projekts (bzw. Projektportfolios) zur umfangreichen Stoffabdeckung mit realen Ansprüchen und einem konkreten Nutzen213. Daneben erreicht sie durch die systematische Vorbereitung einen hohen Lernerfolg und eine geringe Misserfolgsquote. Darüber hinaus spielen Projekte in jeder Form von Ausbildung eine wichtige Rolle: Auch die Erstellung einer Hausarbeit, die Vorbereitung einer Prüfung oder die Organisation einer Veranstaltung sind Projekte, die von den Methoden des Projektmanagements profitieren.214

212 213 214

Vgl. Dewey, 2000 Vgl. Holzbaur, 2010 Vgl. Hallet 2009

168

Ulrich Holzbaur, Carmen Venus

Was ist ein Projekt? „Ein Projekt ist, wenn man nicht nach Vorlesungsplan Unterricht hat.“ So sehen es die Lernenden. Damit ist eines der Kriterien für ein Projekt benannt: das Projekt kann nicht im Rahmen der üblichen (Aufbau- und Ablauf-) Organisation abgearbeitet werden. Weitere Aspekte sind die Neuigkeit und die explizite Beschränkung von Termin und Ressourcen. Das wichtigste aber ist die explizite Zielsetzung oder Aufgabenstellung und die Abgeschlossenheit. Der Begriff „Nicht-Routine“ bedeutet, dass Projekte Aufgaben sind, die nicht innerhalb der „normalen“ Routine einer Organisation durchgeführt werden können. Nur durch ein konsequentes Projektmanagement kann eine Arbeit im Projektdreieck aus Qualität, Ressourcen und Terminen erfolgreich durchgeführt werden. Das ist nämlich der Kern des Projekts: Es soll ein Ergebnis bringen. Projektdefinition I: Ein Projekt ist ein abgegrenztes Vorhaben, das mit begrenzten und gegebenen Ressourcen und einem wohldefinierten Abschlusstermin ein vorgegebenes Ziel erreichen soll.215 Der Begriff Projekt sollte nur benutzt werden, wenn ein klares Ziel vorgegeben ist und dieses in einem vorgegebenen Zeitraum zu erreichen ist. Dem widerspricht nicht, dass im Rahmen des Projektdreiecks Anpassungen (Modifikation, Fristverlängerung) mit dem Auftraggeber vereinbart werden können. Jedes Projekt sollte auch durch eine Ressourcenbetrachtung (Aufwand) begleitet werden. Projektdefinition II: Ein Projekt wird durch die Ecken des Projektdreiecks definiert:

Qualität = Ergebnis

PROJEKTDREIECK

Ressourcen

Abb. 14.1:

Termine

Projektdreieck

Q = Qualität = Ergebnis (im Sinne eines Zielzustands und von Deliverables) R = Ressourcen = Aufwand (Geld, Personenzeit, Infrastruktur) T = Termin = Kalenderzeit

215

nach DIN 69901

14 Projekte

169

Die Projektziele leiten sich aus strategischen Zielen und Visionen ab und werden in konkrete Aufgaben und Aufträge umgesetzt. Projektziele, Ressourcen und Termine müssen zwischen dem Auftraggeber und dem Projektteam (Projektleiter) vereinbart werden. Typische Projekte Typische Projekte im Rahmen der Lehre sind kleinere Aufgaben mit einer klaren Zielsetzung bis zu offenen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben. Das Projekt (Aufgabe) ergibt sich aus der Zielsetzung und den zur Verfügung stehenden Ressourcen. Beispiele für Projekte:             

Image-Analyse für eine Schule oder Mensa, einen lokalen Verein oder eine Kommune Einführung und Beurteilung von Energiesparmaßnahmen an einer Schule Entwicklung oder Anpassung eines Planspiels zur Kostenrechnung Planung und Sponsoring-Konzept für ein Event unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten Marktanalyse für ein neues Geschäftsmodell für e-mobil Ladestationen Durchführung einer SWOT-Analyse für ein Unternehmen oder eine Kommune Entwicklung und Fertigung einer solar betriebenen Dampfmaschine Analyse der wirtschaftlichen Auswirkungen eines Wochenmarkts oder eines Events Darstellung und Bewertung der Zulieferkette (supply chain) für ein Produkt Entwicklung und Kalkulation eines Give-away für eine Veranstaltung Dokumentation der Beziehung zwischen regionaler Geologie und Wirtschaft. Analyse zum (vorzeitigen) Verschleiß eines bestimmten Produktes Organisation eines Workshops zur Qualitätsverbesserung

Projekte zwischen Lehre und Ergebnis Der bis jetzt betrachtete Projektbegriff bezieht sich auf alle Arten von Projekten. Bei der Projektmethode wird das Projekt als Mittel der Lehre eingesetzt. Damit sind die Ziele (Kompetenzen) zu betrachten; das Projekt ist in eine Lehrsituation eingebunden. Zum Projekt des Lernenden kommt das Meta-Projekt des Lehrenden, der Ergebnisorientierung und Didaktik integrieren muss. So kann beispielsweise das Thema Eventmanagement oder Nachhaltigkeit durch ein Projekt zur Planung einer Veranstaltung unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten verdeutlichen. In der Vorbereitung des Projekts akquiriert der Dozent einen Kunden, für den das Event veranstaltet wird.

Innensicht: Lehrmethode Schaffen der Grundlagen

Vorbereitung Definition

Abb. 14.2:

Umsetzung

Lerneffekt Evaluierung

Nutzung Außensicht: Zielerreichung

Projekte zwischen Lehre und Ergebnis

170

Ulrich Holzbaur, Carmen Venus

Projektgröße Der Aufwand für das Projekt muss geplant und geeignet angepasst werden. Die wichtigste Größe im Projektmanagement ist der Personaleinsatz, die zu leistende Arbeit. Im Rahmen von Lehrprojekten wird diese im Allgemeinen in Personen-Stunden (Ph) gemessen. Der Aufwand W berechnet sich nach der DIN-Formel: W = D*I*N Dabei ist D die Projektdauer, I die individuelle Intensität und N die Anzahl der Personen im Projekt. Die Dauer kann in Stunden (h), Tagen (d) oder Wochen (w) gemessen werden, entsprechend die Intensität in % bzw. Personenstunden pro Einheit (Ph/h, Ph/d, Ph/w). Die Intensität eines Projekts kann schwanken von 12 Ph/d (intensive Tagesarbeit) bis zu 1 Ph/Woche. Aus den obigen Größen ergeben sich drei Kombinationen, die Einfluss auf die Planung und Organisation des Projekts haben: WL = D*I = Arbeitsbelastung (Workload) des Lernenden IN = I*N = Intensität des Projekts: Arbeits- und Betreuungsintensität EX = D*N = Extensität des Projekts: Gesamter Betreuungsaufwand P = D*I*N = Projektumfang = N * WL = D * IN = I * EX

N 1

3 6

I

1 Ph/w lehrveranstaltungsbegleitendes Projekt

10 100

Abb. 14.3:

1 Ph/d GFS

2 Ph/d

5 Ph/d

12 ph/d

Lernprojekt

Prüfungsarbeit Abschlussarbeit

typischer Bereich der Projektmethode als Lehrmethode

Gemeinschaftsaufgabe

Lehrprojekt Theaterstück, Feier, Projektchor

Bereich professioneller kommerzieller Projekte

Intensität von Projekten als typische Kombinationen von Individueller Intensität (in Ph/d) und Personenzahl in Projekten zur Lehre.

Die Betrachtung des Aufwands für Lernende und Lehrende ist ein wichtiges Kriterium und häufig auch ein Hinderungsgrund beim Einsatz von Projekten.

Abb. 14.4:

Arbeitszeit Stoff

Präsenzzeit Projekt

Kontaktzeiten

Klassische Lehrzeiten

Projektdefinition und Präsentation (Plenum)

Projektbetreuung

Projektarbeit

Selbstarbeit

Nachbereitung des Lehrstoffs

Gruppenarbeit während der Lehrzeiten

Projektbearbeitung

Tabelle: Differenzierter Aufwand für eine Lehrveranstaltung (Sicht der Lernenden)

Ein offener Umgang mit Aufwänden ist wichtig. Projekte sind „nicht-routine“ und damit auch im routinemäßigen Deputatsbegriff nicht abbildbar.

14 Projekte

171

Arbeitszeit Stoff Präsenzzeiten

Präsenzzeit Projekt

8*4h

3*4h

Projektarbeit

2*2h je Gruppe

Zeit Lernende

Zeit Dozent

60 h (4 SWS)

72 h

3*4h Nicht-Präsenz

30 h

90 h

120 h

-

Summen

74 h

106 h

180 h (6 CP)

-

Abb. 14.5:

Tabelle: Exemplarischer Aufwand für ein Lehrveranstaltungsbegleitendes Projekt (12 Gruppen)

Projektmanagement für Lehrende Wer Projekte in der Lehre einsetzen will, muss das Projektmanagement beherrschen und die die Grundlagen des Projektmanagements vermitteln können.216 Die Projektplanung wird zu Beginn festgelegt und strukturiert. Hier ist es besonders wichtig, einen guten Ausgleich zwischen einer exakten und einer flexiblen Planung zu schaffen, da insbesondere in Entwicklungsprojekten die zukünftigen Aufgaben und Aufwände noch nicht bekannt sind. Deshalb muss neben der Planung auch die Verfeinerung der Planung geplant werden. Die Planung des Projekts basiert auf der Arbeitspaketstruktur (Work Breakdown Structure, WBS) und den Meilensteinen. Auf dem WBS basieren die Netzpläne und Kostenschätzungen.

Kriterium

Unser Projekt

Vision (Zielsetzung) als zukünftiger Zustand, erwartete Ergebnisse (Qualität) und Erkenntnisse Mission (Aufgabe) als Tätigkeiten und Deliverable Items (Produkt) sowie Abgrenzung (Scope) Ressourcen: Team und Personenstunden, Sonstige Ressourcen, Notwendige Zuarbeit Termine und wichtige Zwischentermine mit ihrer Dringlichkeit

Abb. 14.6:

Formular für die grundlegende Projektdefinition

Arbeitsstrukturplan217 Das wichtigste Hilfsmittel der Planung ist der Arbeitsstrukturplan. Aus der Ergebnisstruktur (Ziele, Vision, Deliverables) wird die Arbeitsstruktur (Aufgaben, Mission) hierarchisch abgeleitet. Diese ist Basis der Projektstruktur (Organisation).

216 217

Vgl. Rummler, 2012 Vgl. Hachtel; Holzbaur, 2010

172

Ulrich Holzbaur, Carmen Venus

Projekt

2.

1.

1.1

1.2

1.3.1

Abb. 14.7:

1.3

1.3.2

...

1.3.3

2.1

2.2

...

9. Management

3.

...

3.1

3.2

3.1.1

3.1.2

...

...

9.1

...

Prinzipielle Struktur des Arbeitsstrukturplans

Die Ressourcenplanung ergibt sich durch Addition der Aufwände (Personalzeiten, Material, Geld) von unten (Arbeitspakete) nach oben (Projekt). Der Arbeitsstrukturplan (Work Breakdown Structure, WBS) gliedert die Gesamtaufgabe bis hinunter zum Arbeitspaket (unterste, nicht unterteilte Ebene). Zeitplanung Auf der Basis des Arbeitsstrukturplans (WBS) kann ein Netzplan erstellt werden. Dazu ist der Arbeitsstrukturplan allerdings so zu gliedern, dass die verwendeten Arbeitspakete wohldefinierte Dauern haben. Falls notwendig, werden projektbegleitende Arbeitspakete noch unterteilt. Der Zeitplan ergibt sich aus dem Netzplan der Vorgänge und den Meilensteinen als Gantt-Diagramm.

Start

Abb. 14.8:

Fälligkeit Ergebnisse

Ende

Gantt-Diagramm

Projektsteuerung Ein Projekt ist nicht nur zu planen, sondern laufend zu überwachen und durch geeignete Steuerungsmaßnahmen zum Erfolg zu bringen. Schätzungen müssen laufend angepasst werden; so wird die Planung im Laufe der Zeit besser und genauer.

14 Projekte

173

Projektmanagement-System Die Einführung von standardisierten Prozessen für die Abwicklung von Projekten ist ein wesentlicher Schritt zu Steigerung von Effektivität und Effizienz und ein wesentliches Kriterium der „Professionalisierung“ von Projektarbeit. Bei ähnlich wiederkehrenden Projekten empfiehlt sich die Festlegung von Organisation, Abläufen und Methoden im Projekt. Damit geht das Projektmanagement in ein Prozessmanagement über. Die Vorgaben werden sinnvollerweise in einem ProjektmanagementHandbuch zusammengestellt, daneben können für Planung und Durchführung Checklisten erstellt werden. Projektmanagement lehren Projektmanagement kann durch Frontalvorlesung oder Lernteam-Coaching vermittelt werden, am besten aber durch praktisches Durchführen eines Projekts. Beim Einsatz der Projektmanagementmethode im Unterricht ergeben sich dabei zwei Möglichkeiten, durch Projekte zu lehren:  

das Unterrichtsprojekt selbst, begleitet durch ein Coaching zum Thema Projektmanagement. oder durch ein vorgeschaltetes kleines Projekt als Anschauungsbeispiel.

Lehren durch Projekte Lehren durch Projekte erfordert ein Meta-Projekt, in dem die Projekte und das Projektportfolio vorbereitet und die nötigen Grundlagen definiert und abschließend die Ergebnisse des studentischen Projekts reflektiert, evaluiert und genutzt werden.

Didaktische Planung Projektportfolio planen Vorbereitung Definition

Abb. 14.9:

Begleitung

Umsetzung

Reflektion Transfer Evaluierung

Lehren durch Projekte

Prepared Projects Method Wichtigste Komponente der Prepared Projects Method218 ist die Vorbereitung von studentischen Projekten. Es gibt umfangreiche Literatur und Leitfäden zur Durchführung von Projekten, die aber meist dort anfangen, wo das Projekt als Aufgabe feststeht. In Projekten ist die Definition der Projektziele und des Projekts im Rahmen des „Magischen Projektdreiecks“ eine der wichtigsten Aufgaben und das entscheidende Erfolgskriterium. Vor der Definitionsphase des Projekts durch die Lernenden steht eine Definitionsphase durch den Dozenten.

218

Vgl. Holzbaur, 2008

174

Ulrich Holzbaur, Carmen Venus

Durch die Prepared Projects Method wird das Lehrprojekt definiert und kalibriert, um den Erfolg zu gewährleisten und das gesamte Projektportfolio so gestaltet, dass es die zu vermittelnden Inhalte exemplarisch abdeckt. (Für Details siehe auch Holzbaur219).

14.2

Lernziele

Projekte verbinden die Stoffvermittlung mit subjektbezogener Erlebnisorientierung und objektbezogener Ergebnisorientierung. Damit wirken sie für die Lernenden doppelt motivierend: Es passiert etwas und es kommt etwas dabei raus. In Projekten kann man generell zweierlei lernen:  

Projektmanagement und die Durchführung von Projekten und Inhalte der jeweiligen Lehrveranstaltung.

Projekte sind aus vielen Bereichen von Betriebswirtschaft und Management bekannt. Sie sind aber auch eine sehr effiziente Methode der Lehre um die berufliche Handlungskompetenz zu erlangen. Berufliche Kompetenz wird in Anlehnung an Frey (2004, S. 904) „als ein Bündel von körperlichen und geistigen Fähigkeiten bezeichnet, die jemand benötigt, um anstehende Aufgaben oder Probleme zielorientiert und verantwortungsvoll zu lösen, die Lösungen zu bewerten und das eigene Repertoire an Handlungsmustern weiterzuentwickeln.“ Dazu braucht es: 1. Fachkompetenz als disziplin-orientierter Fähigkeitsbereich, der immer wieder Veränderungen unterworfen ist 2. Methodenkompetenz: Sie wird der „Analysefähigkeit, Flexibilität, Reflexivität, dem zielorientierten Handeln und den Arbeitstechniken zugeordnet“ (S. 906) 3. Personalkompetenz: Sie ist die Fähigkeit, mit den eigenen Einstellungen und Eigenschaften, für sich selbstverantwortlich und motiviert zu handeln 4. Sozialkompetenz: Sie zeigt sich in der Fähigkeit zur Selbstständigkeit, Kooperation, Kommunikation, Kritik, Verantwortung und Führung, sowie situationsangemessenem Auftreten. Als übergeordnete Kategorie kann berufliche Handlungskompetenz in Soft Skills, als fachübergreifenden Schlüsselqualifikationen, und den Hard skills, domänenspezifisch, aufgeteilt werden:

HARD SKILLS (FACHLICH)

SOFT SKILLS (FACHÜBERGREIFEND)

Fachkompetenz

Methodenkompetenz

Personalkompetenz

Sozialkompetenz

Projektmanagement Fachsprachenbeherrschung Fachtheoretische Inhalte Produktkenntnisse Arbeitsverfahrenswissen

Zielgerichtes geplantes Tun Logisches Denken Lerntechniken Arbeitsorganisation

Lernbereitschaft Motivation Urteilsfähigkeit Flexibilität Stressbewältigung

Kooperationsbereitschaft Kommunikationsfähigkeit Teamarbeit Verhandlungsfähigkeit Gemeinschaftssinm

HARD SKILLS + SOFT SKILLS = BERUFLICHE HANDLUNGSKOMPETENZ

Abb. 14.10: Berufliche Handlungskompetenz in Anlehnung an Lang, 2000 219

Vgl. Holzbaur, 2010

14 Projekte

175

Kompetenzvermittlung Bei der Kompetenzvermittlung geht Tulodziecki220 von der Erweiterung des Erfahrungs- und Wissenstandes und der Förderung des sozialkognitiven Urteilniveaus aus. Fußend auf kognitionstheoretischen, konstruktivistischen und didaktischen Positionen beschreibt er fünf Merkmale, die in der empirischen Lern- und Lehrforschung als bewährt gelten um Kompetenzen zu vermitteln:     

Eine bedeutsame Aufgabe mit angemessenem Komplexitätsgrad Verständigung über das Aufgabeziel und die Vorgehensweise Selbsttätige und kooperative Auseinandersetzung mit den Aufgaben Vergleichen unterschiedlicher Lösungswege und Lösungen, und deren Systematisierung Anwendung und Reflektieren des Gelernten

Kompetenz setzt Wissen und Können in verschiedenen Handlungszusammenhängen voraus.221 Neue Inhalte werden durch Projekte an bestehendes Wissen und Erfahrungen angeknüpft und elaboriert vernetzt. Hard skills erwerben Die innere Struktur von Kompetenz besteht aus Wissen und Können. Können wird verstanden als ein Anwenden verschiedener Teilaspekte von Wissens im Handeln. In diesem Handeln werden Einstellungen, Werte und Haltungen berücksichtigt. Der Einsatzbereich der Projektmethode ist vielfältig: Management und Projektmanagement Methoden des Managements wie strategische Planung und Führung können im Projekt erlernt und geübt werden. Durch die konkrete Durchführung des Projekts werden Ansätze, Aufgaben und Probleme deutlich. Wirtschaftliche Fachinhalte Für viele wirtschaftliche Fachinhalte eignet sich die Projektmethode um in der Betrachtung und Umsetzung am konkreten Fall den Stoff zu vermitteln (z. B. Kostenrechnung, Informatik, VWL, Ethik, Recht, Logistik, Management). Dabei ist wichtig, dass das Projekt an einer konkreten Aufgabe und einem Ziel ausgerichtet ist. Qualität und Excellence Die Themenbereiche Qualität und Excellence können nicht nur Objekte von Projekten liefern, sondern in Projekten umgesetzt werden. Die explizite Betrachtung und die Umsetzung von Kundenwünschen und Stakeholderanforderungen (Anforderungsanalyse) kann am Projektende überprüft werden.

220 221

Vgl. Tulodziecki; Herzig; Blömeke, 2004 Vgl. Tulodziecki, 1997

176

Ulrich Holzbaur, Carmen Venus

Bildung für Nachhaltige Entwicklung Projekte können Themen der Nachhaltigen Entwicklung betrachten und durch die Präsentation und Pressearbeit auf weitere Kreise im Sinne einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung wirken222. Allgemeine Fachinhalte Viele allgemeine Fachinhalte beispielsweise aus Technik, Informatik, Marketing, Geographie können durch Projekte vermittelt werden. Soft skills erwerben Soft skills sind fächerübergreifende Kompetenzen, die nicht ohne „Träger“ vermittelt und erlebt werden können. Bei der Zusammenarbeit der Studenten in den Projekten werden diese Kompetenzen gefördert und eingeübt. Die einzelnen Kompetenzen sind ineinander verwoben und können nicht extrahiert werden. Sozialkompetenz In der Zielerreichung der Projekte müssen die Lernenden in vielfältiger Weise ihre Sozialkompetenzen einsetzen und bei Kommunikationsstörungen andere Muster der Lösung ausprobieren, um das übergeordnete Ziel des Projekts zu erlangen. Dies kann zur Verdeutlichung und in Ansätzen der Verbesserung von Komponenten der Sozialkompetenz beitragen. Personalkompetenz (Selbstkompetenz) Um bestimmte Sozialkompetenzen zu zeigen, bedarf es bei den beteiligten Personen Personalkompetenzen wie Urteilsfähigkeit und Flexibilität, um in der Zusammenarbeit Situationen zu verstehen und Lösungen zu finden. In Projekten besteht ein externer (Auftraggeber) und interner (Gruppe) Druck. Dies kann zur Verdeutlichung und zur Verbesserung von Komponenten der Selbstkompetenz der Projektteilnehmer beitragen. Methodenkompetenz Methodenkompetenzen können in andere Fachgebiete transferiert werden und bieten dem Lernenden einen Fundus an Möglichkeiten zur Bearbeitung der unterschiedlichsten Problemstellungen. Die Lernenden erwerben und vertiefen bei der Projektbearbeitung ihre Methodenkompetenzen beispielsweise in      

Befragungen, Fragebogentechnik, Statistik Eventmanagement, allgemeine Organisation Websitegestaltung, Textgestaltung, Kommunikation Modellierungskompetenz Wissenschaftliches Arbeiten (Literturrecherche, Analyse) Praktisches ergebnisorientiertes Arbeiten.

222

Vgl. De Haan, 2013

14 Projekte

14.3

177

Praktische Durchführung

Für die Durchführung der Methode Projektlernen müssen wir das eigentliche Projekt der Lernenden eingebettet betrachten in das Meta-Projekt der Planung der Projekte und das Projektportfolio. Projektportfolio planen Eine wichtige Rolle bei der Anwendung der Projektmethode spielt das Projektportfolio. Im Rahmen einer Lehrveranstaltung werden verschiedene Projekte vergeben, die in ihrer Gesamtheit den zu behandelnden Stoff bzw. die zu erwerbenden Kompetenzen abdecken. Komponenten des Portfolios könnten sein: 

Marketing: Unterschiedliche Arten von Gütern und Dienstleistungen, die Elemente des Marketing-Mix, Methoden der Markforschung Nachhaltige Entwicklung: die Säulen der Nachhaltigkeit (Ökologie: Energie + Umwelt, Ökonomie, Soziales + Politik), regionale und globale Aspekte223 Projektmanagement: Unterschiedliche Stakeholder und Kunden, Aufgabentypen (Analyse, Entwicklung, Synthese, Forschung), verschieden stark strukturierte Aufgaben

 

Einbindung definieren Wer die Projektmethode zur Vermittlung von Wissen und Können einsetzt, macht dies häufig in Verbindung mit traditionellen Methoden des Wissenstransfers wie Frontalunterricht, seminaristischem Unterricht oder Lernteam-Coaching. Lernprojekte sind bis heute nur selten in den Ausbildungsordnungen und Lehrplänen zu finden. Projekte können begleitend zu den traditionellen Methoden oder als alleinige Methode eingesetzt werden.

Vorgesehen Nur Projekt

Explizit zugelassen

Nicht vorgesehen

Wie vorgesehen

Je nach Ausbildungsordnung

Wenn in Ausbildungsordnung zugelassen

Projekt + ergänzender Unterricht

Je nach Ausbildungsordnung

Zugelassen

Wenn in Ausbildungsordnung zugelassen

Unterricht + ergänzendes Projekt

Je nach Ausbildungsordnung

Zugelassen

Möglich

Abb. 14.11: Tabelle: Einsatz von Projekten in Lehrveranstaltungen

Einführungsphase Stoffvermittlung

Projektdefinition Projektdurchführung

Abschlussphase

Abb. 14.12: Tabelle: Einbindung des Projekts in die Lehrveranstaltung

223

Vgl. Holzbaur; Bühr, 2012

Reflektion

178

Ulrich Holzbaur, Carmen Venus

Projekte planen und definieren Die eigentliche Definition der individuellen Projekte ist der Kern der Projektmethode. Stakeholderanalyse Für die Projekte sollen die Stakeholder (Anspruchsgruppen, d. h. Gruppen, die am Erfolg oder Ergebnis des Projekts interessiert sind, dazu beitragen können oder davon betroffen sind) definiert werden, zumindest der Projektkunde sowie die Promotoren. Skalierung und Projektdefinition Die Skalierung von Projekten muss eine Balance schaffen zwischen dem Ziel und den dafür benötigten Ressourcen einerseits und den für das Lehrprojekt zur Verfügung stehenden Ressourcen andererseits. Ressourcen für das Projekt sind in Personenstunden zu kalkulieren und der Lernsituation anzupassen. Dazu muss der Lehrende die notwendigen Aufwände für das Projekt (siehe Projektplanung) mit den bei den Lernenden zur Verfügung stehenden Aufwänden (kurrikulare Vorgaben) abstimmen. Das Projektziel (abgestrebtes Ergebnis) definiert sich einerseits durch die Vision (zukünftiger Zustand der Welt, Effekte des Projekts) und andererseits durch die Deliverables (deliverable items = abzuliefernde Produkte, dies können physische Objekte oder Dateien sein). Projekte durchführen lassen und begleiten In der Umsetzungsphase ergeben sich Lerneffekt und Projekterfolg. Vergabe Bei der Projektvergabe kann direktiv vorgegangen werden (Einteilung der Teams). Die Möglichkeit, Projekte selbst auszusuchen oder vorzuschlagen erhöht einerseits die Motivation der Teilnehmer andererseits aber auch die Komplexität und mögliche Probleme (Kombination von Projektauswahl und Teambildung). Planung und Controlling Die Planung und Durchführung der Projekte wird durch das Team durchgeführt. In Präsentationen überprüft der Dozent den Stand und gibt Rückmeldungen und Anregungen. Präsentationen und Rückmeldungen Die Präsentationen bedeuten auch einen Übergang in die nächste Projektphase. Die gemeinsame Definition des Projekts und die Rolle des Dozenten als Coach gehen langsam über in die Prüfungssituation. Bei der Präsentation geben der Dozent und die Projektbetreuer Rückmeldungen, von denen auch die anderen Gruppen profitieren. Auch die Rückmeldungen der Teilnehmer untereinander (innerhalb und zwischen den Gruppen) sind ein wesentliche Lerneffekte.

14 Projekte

179

Evaluierung und Benotung Die Evaluierung von Lehrprojekten muss sich am gesetzten Ziel orientieren. Die Kernfrage ist dabei nicht: „Wurde das Ziel erreicht?“ Sondern: „Wurden die notwendigen Maßnahmen durchgeführt um sicherzustellen, dass das Ziel erreicht wird?“ Evaluationen rücken die Beteiligten eines Prozesses in den Vordergrund. Mit Evaluationen können Prozesse transparent gemacht, Wirkungen dokumentiert und Zusammenhänge aufgezeigt werden. Die Bewertungskriterien werden vom Auftraggeber, Stakeholdern, vom Evaluator oder durch alle gemeinsam festgelegt. Nach Wottawa224 können durch die Ergebnisse der Evaluation Alternativen entstehen, die neu bewertet werden müssen. Evaluationen erfüllen vier miteinander verbundene Leitfunktionen:    

„Gewinnung von Erkenntnissen Ausübung von Kontrolle Schaffung von Transparenz und Dialogmöglichkeiten, um Entwicklungen voranzutreiben, Legitimation der durchgeführten Maßnahme“225.

Bei der Projektmethode definiert der Lehrende Aspekte für Wissenserwerb, Umsetzung des Projektmanagement, Arbeitsstrukturplan, Projektzielerreichung, Hard-skills, Soft-skills im Team, Stakeholdern, Projektbetreuung, Formen der Präsentation, Transfer für andere Studierende u.s.w. Die einzelnen Aspekte sollten mit Wertungen versehen werden, um eine objektive Benotung begründen zu können. Anhand dieser Werteskala definiert der Lehrende für sich selbst die Schwerpunkte seiner Lehrveranstaltung und kann sein Handeln, das Feedback und den Erfolg der Lernenden daran reflektieren. Erfolge herbeiführen und nutzen Für den Erfolg des Projekts und damit auch für die Motivation der Durchführenden ist es wichtig, das Projektergebnis auch umzusetzen und zu nutzen. Umsetzung und Folgeprojekte Das Projekt sollte mit verbindlichen Maßnahmen, mit klaren und initiierten Vorgaben zur Umsetzung gegenüber den Stakeholdern, enden. Der Dozent sollte ein „man sollte mal“ nicht akzeptieren, sondern zumindest eine anschlussfähige Aktion fordern. Dies kann eine Planung oder die Aufforderung an mögliche Akteure sein. Präsentation und Pressearbeit Die Präsentation vor den Mitlernenden, der Institution, den Stakeholdern und eventuell der Öffentlichkeit ist ein wichtiger Erfolgs- und Motivationsfaktor. Auch ein Pressebericht, der intern oder für die Öffentlichkeit im Internet oder mit Printmedien publiziert wird, ist für die Projektteilnehmer ein Abschluss und Erfolgsfaktor.226

224 225 226

Vgl. Wottawa, 2006 Bastiaens, 2011, S. 43 Vgl. Holzbaur; Bühr; Theiss, 2012

180

Ulrich Holzbaur, Carmen Venus

Die studentischen Projektleiter sind für diese Kommunikation verantwortlich, die Aufwände sind entsprechend einzuplanen, die erstellten Dokumente fließen in die Bewertung ein.

14.4

Kritische Analyse

Projekte sind eine wichtige Methode der Lehre. Sie versprechen einen hohen Lernerfolg, den die Studierenden im praktischen Handeln erfahren, ausprobieren und reflektieren. Vorteile Projekte als Lehrmethode verbinden das inhaltliche Lernen mit dem praktischen Erleben und dem Verfolgen eines Ziels. Das Umsetzen von Wissen fördert das Vernetzen von Gelerntem. Soft-skills werden geübt an realen Situationen mit Lehrenden, Stakeholdern, Projektmitgliedern und den Lernenden selbst. Die Projektmethode fördert das Lernen von Abstraktionsfähigkeit, fachbezogener Kritik, Entscheidungs- und Planungsprozessen und Präsentationstechniken. Damit ergeben sich Vorteile für die Beteiligten: 

  

Für die Lehrenden bietet die Projektmethode eine effektive Art, Inhalte und Kompetenzen zu vermitteln; daneben können konkrete Ergebnisse erzielt werden. Weitere positive Aspekte sind die Bereicherung des Methodenportfolios, die Herausforderungen durch Projekte und Projektteams und der Spaß an der Arbeit. Für die Lernenden bieten die Projekte einen praxisnahe und erlebnisorientierte Art, Bildung zu erleben und damit einen intensive und effiziente eine Vertiefung der Inhalte. Durch das Projekterlebnis und das konkrete Ergebnis ist die Motivation hoch. Für die Institution ergibt sich ein Imagegewinn durch die positive Wirkung der Projekte und die Chance, konkrete Aufgaben im Rahmen eines Projekts bearbeiten und so Probleme lösen zu lassen. Für die Gesellschaft bietet die Bearbeitung von Aufgaben und die Erarbeitung von Lösungen für Probleme einen Nutzen.

Herausforderungen Die Herausforderungen liegen vor allem im Aufwand, vor allem in den personellen und materiellen Ressourcen, in organisatorischen Einschränkungen und in den Randbedingungen der Projekte. Die Projektbetreuer sollen einer Überforderung der Lernenden durch eine genaue Vorbereitung und die Überprüfung der WBS der Lernenden erkennen und rechtzeitig durch Feedback oder Verweis auf bekannte Lösungsstrategien eingreifen. Teamarbeit kann die intrinsische Motivation der Lernenden befördern oder auch hemmen. Hier ist es die Aufgabe des Projektbetreuers ggf. einzuwirken um Überforderung und Frustration zu vermeiden. Bei der Auswahl der Projekte müssen einige Nebenbedingungen beachtet werden:  



Der Lernerfolg steht im Mittelpunkt: Primärer Grund des Projekteinsatzes muss der didaktische oder pädagogische Nutzen sein. Ethik/Recht: Es verbietet sich, Projekte zu wählen, deren Sinn nur darin bestehen, dass der Betreuende oder die Institution einen Vorteil davon hat. Auch der Anschein sollte vermeiden werden. Natürlich dürfen die Projekte niemandem schaden. Die rechtlichen und organisatorischen Randbedingungen sind einzuhalten. Finanzen: Effizienz und Effektivität müssen gewährleisten, dass das Projektziel mit vertretbarem Aufwand erreicht wird. Allerdings sind Anforderungen an das Kosten-

14 Projekte

181

Nutzen-Verhältnis nicht zu streng zu stellen, da bei vielen Projekten und allen anderen Methoden der Nutzen gleich Null ist. Eine Finanzierung muss durch die Institution oder im Rahmen des Projekts sichergestellt werden.

Zusammenfassung Projektmethode Kurzbeschreibung

Im Projekt erarbeiten die Lernenden gemeinsam einen Plan zur Erreichung eines Ziels und setzen diesen um.

Vorgehen

        

Stakeholdergewinnung Portfolio Projektplan Definition Projektvergabe Controlling Unterstützung Abschluss Evaluierung

Lernziele

    

Vermittlung des Projektmanagements Vertiefung und Anwendung von Fachwissen Förderung ergebnisorientierten Arbeiten Förderung zielorientierten Handelns Förderung der beruflichen Handlungskompetenz, Fach-, Methoden-, Personal- u. Sozialkompetenz

Voraussetzungen

  

Bereitstellung eines Portfolios von Projekten Definition und Vorausplanung des Projekts Notwendige Ressourcen müssen vom Kunden oder der Organisation zu Verfügung gestellt werden

Literatur und hilfreiche Links

 

Holzbaur, U., Prepared Project Method, Stuttgart 2010 Rummler, M., Innovative Lehrformen, Weinheim 2012

14.5

Literatur

Bastiaens, T., Qualitätssicherung und Evaluation, Hagen 2011 De Haan, G., Das Konzept der Gestaltungskompetenz, 2013, http://www.bneportal.de/coremedia/generator/unesco/de/02__UN-Dekade_20BNE/01__Was_20ist_20BNE/ Gestaltungskompetenz.html, Abrufdatum: 20.4.2013 Dewey, J., Demokratie und Erziehung – Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik, hrsg. und übersetzt von E. Hylla, Braunschweig/Berlin/Hamburg 1949; orig.: Democracy and Education, New York 1915. DIN 69901, DIN Deutsches Institut für Normung e.V. Frey, A., Kompetenzstruktur von Studierenden des Lehrerberufes. Eine internationale Studie, in: Zeitschrift für Pädagogik, 50, 2004, S. 903–925.

182

Ulrich Holzbaur, Carmen Venus

Hachtel, G.; Holzbaur, U., Management für Ingenieure. Wiesbaden 2010 Hallet, W., Didaktische Kompetenzen Lehr und Lernprozesse erfolgreich gestalten. 4. Auflage. Stuttgart 2009 Holzbaur, U., Teaching Quality and Sustainability with Prepared Project Method (PPM), in: INTED2008, hrsg. von Gomez, L. et al (eds): International Technology Education and Development Conference Proceedings, Valencia 2008 Holzbaur, U., Prepared Project Method – systematische Integration von Projekten in die Lehre, in: Neues Handbuch Hochschullehre: Lehren und Lernen effizient gestalten, hrsg. von Berendt, B. u. a., Stuttgart: Raabe (Loseblatt-Werk). E 4.3. Holzbaur, U.,; Bühr, M.; Theiss, M., Regionale Stakeholderkooperation einer Hochschule zur Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklung in Projekten, 2012, uwf UmweltWirtschaftsForum, January 2013, http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00550-013-0269-0, Abrufdatum: 20.4.2013 Holzbaur, U.; Bühr, M., Synergien zur Nachhaltigkeit – Kooperation zwischen Hochschule und Stadt in studentischen Projekten. In: Horizonte – Forschung an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg, 2012. Lang, R.W., Schlüsselqualifikationen. Handlungs- und Methodenkompetenz, Personale und Soziale Kompetenz, München 2000 Rummler, M., Innovative Lehrformen: Projektarbeit in der Hochschule, Weinheim 2012 Tulodziecki, G., Medien in Erziehung und Bildung. Grundlagen und Beispiele einer handlungs- und entwicklungsorientierten Medienpädagogik, Bad Heilbrunn 1997 Tulodziecki, G , Herzig, B. & Blömeke, S., Gestaltung von Unterricht. Eine Einführung in die Didaktik, Bad Heilbrunn 2004 Wottawa, H., Evaluation, in: D. H. Rost, (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie, hrsg. von Rost, D.H., Weinheim 2006, S. 162–168

15

Studentisches Forschungsprojekt Ute Vanini

„Wissenschaft ist dynamischer Vollzug oder Prozeß der Forschung und Reflexion, nicht statischer Besitz bestimmter Kenntnisse oder Techniken […] dann muss wissenschaftliche Ausbildung Teilnahme an diesem Vollzug, also an dem Erkenntnisprozeß […], nie jedoch bloße Übernahme vorliegender Ergebnisse sein. Wenn die für diesen Prozeß relevanten Verhaltensweisen Ziele dieser Ausbildung sein sollen, dann müssen sie auch von Anfang an geübt werden; sie sind aber mehr für selbständige Forschungsprozesse als für dirigierte Lernsituationen bezeichnend.“ (Bundesassistentenkonferenz, 1970, S. 9) Die Betriebswirtschaftslehre versteht sich als Wissenschaft. Das Studium hat daher neben der Vermittlung von Faktenwissen und dessen praktischer Anwendung das Ziel, Studierende methodisch beim Wissenserwerb zu unterstützen. Außerdem sollen diese sich auch mit Aspekten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung beschäftigen und aktiv am Forschungsprozess teilnehmen. Ein studentisches Forschungsprojekt bietet einen geeigneten organisatorischen Rahmen, um Forschungsaktivitäten von Studierenden zu initiieren und durch Lehrende methodisch und didaktisch zu begleiten. Das studentische Forschungsprojekt ist somit den Ansätzen eines forschenden Lernens zuzurechnen.

15.1

Forschendes Lernen durch studentische Forschungsprojekte

Universitäre Bildung fordert von Studierenden eine Auseinandersetzung mit Wissenschaft und Forschung ihrer Disziplin. Unter Wissenschaft wird hier eine besondere Form der Wissensbildung verstanden, die den strengen Anforderungen der Reproduzierbarkeit, Nachprüf-

184

Ute Vanini

barkeit, Begründung und sprachlichen Klarheit genügen muss.227 Wissenschaft bedeutet somit:228  

Wissen in organisierter Form zu erwerben, zu vermehren und weiterzugeben, sich mit dem Wissen in einem Fachgebiet vertraut zu machen und darauf aufbauend neues Wissen zu entwickeln,  Fertigkeiten zu trainieren, wie z. B. Informationen zu sammeln, Material auszuwerten, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen und eigene Erkenntnisse strukturiert zu dokumentieren und zu kommunizieren. Wissenschaftlichkeit und der korrekte und zielgerichtete Einsatz wissenschaftlicher Methoden müssen im Studium erlernt werden. Ein Ansatz zur Entwicklung der wissenschaftlichen Kompetenzen von Studierenden ist das sogenannte „forschende Lernen“. Es gibt kein einheitliches didaktisches Konzept zum forschenden Lernen;229 forschendes Lernen geht davon aus, dass sich akademische Bildung nicht auf den statischen Besitz von Fachkenntnissen reduzieren lässt. Stattdessen sollen Fragen aufgeworfen werden, auf die die Forschung eine Antwort geben will. Studierende sollen konkrete Forschungserfahrung sammeln und den Prozess der Erkenntnisgewinnung und -erfahrung reflektieren, um mit der wissenschaftlichen Arbeits- und Denkweise vertraut zu werden.230 Wichtige Merkmale des forschenden Lernens sind:231

  

Selbständige Wahl des Themas durch den Forschenden (Studierenden) Problemorientierter Zugang zum Forschungsgegenstand Entwicklung und Umsetzung einer selbständigen Forschungsstrategie, insbesondere die Auswahl möglicher Methoden, Versuchsanordnungen, Recherchen usw.  Methodisches Vorgehen, das wissenschaftlichen Kriterien genügt  Fehlende Planbarkeit und Unsicherheit, die das Risiko des Scheiterns aber auch die Chance für Zufallsfunde und ungeplante Ergebnisse impliziert  Strukturierte und kritische Darstellung der Ergebnisse, so dass deren Bedeutung und ihre Ermittlung nachprüfbar werden. Insgesamt lässt sich forschendes Lernen als aktive Teilnahme von Lernenden an der aktuellen Forschung ihrer Disziplin interpretieren.232 Eine Möglichkeit, Studierende an Forschungsaktivitäten zu beteiligen, ist die Durchführung eines studentischen Forschungsprojekts.233 Ein studentisches Forschungsprojekt ist ein spezielles Modul, in dem Studierende in Gruppen unter Betreuung eines oder mehreren Lehrenden ein eigenes Forschungsprojekt konzipieren, durchführen, auswerten, dokumentieren und kommunizieren.

227 228 229 230 231 232 233

Vgl. Tremp, 2005, S. 343 Vgl. Balzert; Schröder; Schäfer, 2012, S. 7 ff. Vgl. Hellermann; Schmohr; Sekman, 2012, S. 29 Vgl. Tremp, 2005, S. 344 Vgl. Bundesassistentenkonferenz, 1970, S. 14 f.; Hellermann; Schmohr; Sekman, 2012, S. 29 Vgl. Bundesassistentenkonferenz, 1970, S. 11. Alternativen zum forschenden Lernen ist das genetische Lernen, das den Nachvollzug wichtiger Erkenntnisprozesse durch Studierende umfasst, und das kritische Lernen. Vgl. Bundesassistentenkonferenz, 1970, S. 15

15 Studentisches Forschungsprojekt

185

Insbesondere Master-Studierende müssen den Graben zwischen Studium und Forschung überschreiten und einen Zugang zur Forschungswelt finden. So wird von Masterabsolventen gefordert, dass sie aktuelle wissenschaftliche Fachpublikationen lesen und verstehen können.234 Allerdings können auch Schüler und sollten auch Bachelor-Studierende an Forschungsprozessen beteiligt werden, wobei die Komplexität der Forschungsaufgabe entsprechend angepasst werden muss.235 Es gibt unterschiedliche Arten der Forschung.236 Für studentische Forschungsprojekte eignen sich anwendungsorientierte und relevanzorientierte Forschungsansätze sowie Praxisreflektionen besonders, da diese vorwiegend auf empirischen Ansätzen beruhen, eine relativ praxisnahe und konkrete Fragestellung aufweisen und von den Studierenden in einem überschaubaren zeitlichem Rahmen zu bewältigen sind. Empirische Ansätze erfordern jedoch eine grundlegende Kenntnis empirischer Forschungsmethoden, insbesondere der Datenerhebung und -auswertung.237 Weniger geeignet für studentische Forschungsprojekte sind Ansätze der Grundlagenforschung, da diese häufig für Studierende zu komplex sind, der Auftragsforschung und der Beratung (Akquisitionsforschung), da in beiden Fällen die Auftraggeber eine hohe Qualität der Durchführung der Forschung und der Aufbereitung der Ergebnisse erwarten, die von Studierenden nicht immer geleistet werden kann. Da Forschung als kooperativer Gruppenprozess interpretiert werden kann, lassen sich studentische Forschungsprojekte am sinnvollsten als Gruppenarbeiten organisieren: „Nur eine Gruppe dürfte dank Spezialisierung und Arbeitsteilung in der Lage sein, einen Gegenstand, der wirklich ein Forschungsproblem ist […] mit Aussicht auf ein Resultat zu bearbeiten, ohne die dafür im Rahmen des Studiums vorhandene Zeit hoffnungslos zu überdehnen.“238 In Forschungsgruppen lernen Studierende auf eine implizite Art wissenschaftliche Arbeitsmethoden, das Management von Forschungsprojekten, Kommunikations- und Präsentationskompetenzen aber auch neue Fachinhalte kennen.239 Die Struktur eines studentischen Forschungsprojekts orientiert sich am Forschungsprozess:240 Zunächst muss eine Fragestellung entwickelt werden. Dafür ist es notwendig, den Forschungsstand auf der Grundlage einer Literaturanalyse zu sichten und eine präzise Problemstellung zu erarbeiten. Anschließend muss ein Forschungsplan entworfen sowie eine oder mehrere Methoden geprüft und ausgewählt werden. Danach erfolgt die Durchführung und Auswertung der eigentlichen Untersuchungen, deren Ergebnisse anschließend bewertet, eingeordnet und dokumentiert werden müssen.241

234 235 236 237 238 239 240 241

Vgl. Schatz; Woschnack, 2008, S. 62 Vgl. Hellermann; Schmohr; Sekmann, 2012, S. 30 f. Zu den verschiedenen Forschungstypen vgl. Sichler; Heimerl, 2012, S. 103 ff., Bortz; Döring, 2003, S. 101 ff. sowie Balzert; Schröder; Schäfer, 2012, S. 49 ff. Für eine umfassende Darstellung vgl. Bortz; Döring, 2003, S. 137 ff. Vgl. Bundesassistentenkonferenz, 1970, S. 20 Vgl. Schatz; Woschnack, 2008, S. 63 Vgl. Hellermann; Schmohr; Sekmann, 2012, S. 29, zum Forschungsprozess vgl. Bortz; Döring, 2003, S. 39 ff. Zur Bedeutung der Dokumentation von Forschungsergebnissen vgl. Schatz; Woschnack, 2008, S. 63

186

Ute Vanini

15.2

Lernziele

Lernziele (learning outcomes) bezeichnen die Ergebnisse eines Lernprozesses, d. h. was sollte ein Lernender nach erfolgreicher Absolvierung eines Moduls wissen, verstehen und können. Mögliche Lernziele lassen sich aus den Qualifikationszielen eines Studiengangs ableiten, die die erworbenen Kompetenzen eines Absolventen mit Blick auf die Wissenschaftlichkeit und die Arbeitsmarktrelevanz abbilden.242 Im Folgenden wird der Kompetenzbegriff des Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (DQR) verwendet, der zwischen Fach- und personaler Kompetenz unterscheidet.243 Tab. 15.1:

Kompetenzsystematik des DQR

Fachkompetenz Wissen Tiefe und Breite

Quelle:

Personale Kompetenz Fertigkeiten instrumentale und systemische Fertigkeiten

Sozialkompetenz Team-/Führungsfähigkeit, Mitgestaltung und Kommunikation

Selbständigkeit Eigenständigkeit/Verantwortung, Reflexivität und Lernkompetenz

DQR, 2011, S. 5

Fachliche Kompetenzen Die Studierenden vertiefen ihr Fachwissen in einem ausgewählten Wissenschaftsgebiet auf dem aktuellen Stand der Forschung. Sie können ein wissenschaftliches Forschungsprojekt konzipieren, durchführen, die Ergebnisse verschriftlichen und in den Stand der Forschung kritisch einordnen. Sie können ein Research Proposal schreiben, indem sie den Stand der Forschung in der aktuellen Fragestellung aufzeigen, Forschungshypothesen formulieren und einen zeitlichen Forschungsplan skizzieren. Sie können eine systematische, kritische und internationale Literaturanalyse durchführen, ausgewählte Forschungsmethoden zielorientiert anwenden und die Ergebnisse auswerten und strukturiert dokumentieren. Sie können ihre Forschung und die Resultate in einer angemessenen Form kommunizieren. Personale Kompetenzen Nach erfolgreicher Absolvierung des Moduls können die Studierenden ihren Standpunkt zu einem Forschungsthema sachgerecht vertreten, andere Auffassungen oder Interpretationen in ihre Argumentation einbeziehen und Lösungen durch Diskussion gemeinsam erarbeiten. Die Auseinandersetzung mit den Fragen des wissenschaftlichen Arbeitens stärkt die Beurteilungs- und Kritikfähigkeit sowie die Konfliktlösungskompetenz der Teilnehmer. Zudem werden die Teilnehmer in die Lage versetzt, in einem Team Verantwortung zu übernehmen.

242 243

Vgl. Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, 2011, S. 9 Zu den unterschiedlichen Kompetenzstufen für Bachelor- und Masterstudiengänge vgl. auch Qualifikationsrahmen für Deutsche Hochschulabschlüsse, 2005

15 Studentisches Forschungsprojekt

15.3

187

Praktische Durchführung

Die Freiheitsgrade und die Flexibilität bezüglich des Einsatzes und der inhaltlichen Ausgestaltung von studentischen Forschungsprojekten sind sehr hoch. Deshalb müssen sich die Lehrenden zunächst ein genaues Konzept zur Durchführung eines derartigen Projektes erarbeiten, damit der Lernprozess gesteuert und die Lernziele erreicht werden. Im Folgenden soll ein möglicher Ablauf exemplarisch vorgestellt werden: Vorbereitung Zunächst muss der Lehrende ein Forschungsthema definieren und in Unterthemen aufteilen, die von mehreren studentischen Forschungsteams während eines Semesters244 bearbeitet werden können. Ausgangspunkt für die Formulierung eines Themas kann z. B. eine aktuelles Praxisphänomen oder eine relevante Forschungsrichtung sein.245 Die folgende Abbildung gibt eine Übersicht über Oberthemen und Teilprojekte, die bereits im Mastermodul „Studentisches Forschungsprojekt“ an der Fachhochschule Kiel durchgeführt wurden. Tab. 15.2:

Oberthemen und Teilprojekte des studentischen Forschungsprojekts an der FH Kiel

Oberthema Management von Familienunternehmen

Teilprojekte – – – – –

Performance Measurement von Social Media

– – – – – – –

Wissensmanagement und Netzwerke

– – – – – –

244 245

Entwicklung einer Klassifikation von Familienunternehmen Probleme der Corporate Governance von Familienunternehmen Image von Familienunternehmen und Auswirkungen auf die Kaufentscheidung von Unternehmen und Konsumenten Corporate Social Responsibility von Familienunternehmen Ökonomische, rechtliche und psychologische Aspekte der Nachfolgeproblematik in Familienunternehmen Controlling in Familienunternehmen Kostenanalyse von Maßnahmen des Social Media Marketing Nutzung und Erfolg von Maßnahmen des Social Media Marketing in norddeutschen Familienunternehmen Ansätze des Controllings für Open-Innovation-Projekte am Beispiel Konzeption eines Wertemodels zur Darstellung des monetären Wertbeitrags von Social Media am Bsp. … Entwicklung eines Social Media-Markensteuerungscockpits am Bsp. … Konzeption eines Modells zur Berechnung eines Social Media-Brand Values Entwicklung von intellektuellem Kapital durch Netzwerke Bedeutung des intellektuellen Kapitals für den Innovationserfolg bei Kooperationen von Wirtschaft und Wissenschaft Controlling von Netzwerken am Bsp. von … Netzwerke als Erfolgsfaktor für den Wirtschaftsstandort SchleswigHolstein Netzwerke als Erfolgsfaktor für den Wissenschaftsstandort SchleswigHolstein Trends durch und in Netzwerken

Grundsätzlich sind auch semesterübergreifende Forschungsprojekte zur Bearbeitung komplexerer Fragstellungen denkbar. Vgl. Bundesassistentenkonferenz, 1970, S. 27 f.

188

Ute Vanini

Die Auswahl, die Komplexität und der Konkretisierungsgrad der Themenstellung hängen von der Zielgruppe des Moduls ab. Ein Forschungsprojekt kann sowohl in Bachelor- wie auch in Masterstudiengängen durchgeführt werden. Wichtig ist, dass der Komplexitätsgrad des Projektes in Bachelorstudiengängen geringer ist als in Masterstudiengängen, da Bachelorstudierende weder über Projekterfahrung noch über umfassende Kompetenzen im Bereich des wissenschaftlichen Arbeitens verfügen. So müssen sowohl die Fragestellung wie auch die Methodik der studentischen Forschungsprojekte in Bachelorstudiengängen stärker präzisiert werden als in Masterstudiengängen. Die folgende Tabelle gibt wesentliche Unterschiede bei der Konzeption von Forschungsprojekten in Bachelor- und Masterstudiengängen wieder: Tab. 15.3:

Unterschiedliche Ausprägungen des Forschungsprojektes in Abhängigkeit von der Zielgruppe

Aspekte

Bachelorstudiengänge

Masterstudiengänge

Zielsetzung

konkrete Fragestellung vorgegeben

Methodik

vorgegeben

Literaturauswertung

Stand der Forschung in deutschsprachiger Literatur Festlegung des Zeitplans und Verteilung der Aufgaben durch Lehrenden Projektleiter

Fragestellung muss selbst entwickelt werden eigenständige Auswahl und Umsetzung einer geeigneten Methodik umfassende internationale Literaturauswertung Eigenständige Entwicklung eines Projektstruktur- und -zeitplans durch die Studierenden Projektcoach

Projektorganisation

Rolle des Lehrenden

Optimal für die Durchführung von studentischen Forschungsprojekten sind ca. 30 Teilnehmer. Dann können fünf bis sechs Teilprojekte aus dem Oberthema abgeleitet und von studentischen Teams mit sechs bzw. fünf Teilnehmern bearbeitet werden. Diese Gruppengröße ermöglicht die Bearbeitung umfangreicherer Fragestellungen, erfordert aber von den Studierenden eine sinnvolle Arbeitsteilung und ein stringentes Projektmanagement. Als sehr befruchtend für die Durchführung haben sich nach Erfahrungen der Autorin interdisziplinäre studentische Teams erwiesen, in denen z. B. Masterstudierende mit unterschiedlichen Bachelorabschlüssen zusammenarbeiten. Neben der Auswahl des Oberthemas und der Konkretisierung der Teilforschungsprojekte sollte der Lehrende Literaturhinweise für den Einstieg in das Forschungsthema recherchieren, auf deren Grundlage die Studierenden anschließend eine eigene Literaturrecherche durchführen und sich auf die Eingangsprüfung (vgl. Leistungsnachweise und Notengebung) vorbereiten.246 Durchführung Die Organisation des studentischen Forschungsprojektes kann sehr unterschiedlich verlaufen. Es wird jedoch empfohlen, das Projekt in zwei Hauptphasen mit mehreren Meilensteinen zu gliedern.

246

Vgl. auch zur Rolle des Lehrenden Bundesassistentenkonferenz, 1970, S. 21 f.

15 Studentisches Forschungsprojekt

189

4 WOCHEN

11 WOCHEN

Information und Vorbereitung

Projektdurchführung und -dokumentation

. Informationsveranstaltung . Veranstaltung zum wissenschaftlichen Arbeiten und Forschen . Eingangsprüfung . Gruppeneinteilung . 1. Meilenstein: Kick-off-Präsentation im Plenum

. . . . . . .

Abb. 15.1:

Intensive Literaturauswertung Projektarbeit Wöchentliches Coaching durch Lehrende 2. Meilenstein: Zwischenpräsentation im Plenum 3. Meilenstein: Abschlusspräsentation im Plenum 4. Meilenstein: Abschlussbericht Feedback durch Lehrende

Zeitlicher Ablauf des Forschungsprojekts

Unter der Annahme einer Semesterdauer von 15 Wochen informieren die Lehrenden während der ersten vierwöchigen Projektphase „Information und Vorbereitung“ die Studierenden über Inhalte und Ablauf des Forschungsprojektes sowie die einzelnen Teilprojekte. Bei Bedarf wird auch eine Veranstaltung zum wissenschaftlichen Arbeiten und Forschen in das Forschungsprojekt integriert. Anschließend bereiten sich die Studierenden anhand der Einstiegsliteratur auf die Eingangsprüfung vor und bewerben sich auf ein Teilprojekt. Es wird empfohlen, die Eingangsprüfung nach ca. zwei Wochen durchzuführen. Im Anschluss werden die Studierenden auf die einzelnen Forschungsteams verteilt. Erste Aufgabe der Forschungsteams ist die Erstellung der Projektplanung (Projektstruktur- und -zeitplan) und eines Research Proposals. Im Research Proposal werden konkrete Forschungsfragen und erwartete Ergebnisse formuliert, nicht behandelte Fragestellungen ausgegrenzt und die Forschungsmethode festgelegt. Ferner wird ein erster Überblick über die recherchierte Literatur und die Projektplanung gegeben. Soll das Forschungsprojekt in einem Bachelorstudiengang durchgeführt werden, kann es sinnvoll sein, dass Research Proposal durch den Lehrenden vorzugeben, um die Studierenden nicht zu überfordern. Das Research Proposal bildet die Arbeitsgrundlage für die folgende Projektphase. Die Informations- und Vorbereitungsphase endet mit der Vorstellung und Verabschiedung der Research Proposals aller Forschungsteams in einer Kick-off-Präsentation (1. Meilenstein). Hier stellen alle Forschungsteams in 20-minütigen Präsentationen ihren Forschungsansatz vor und diskutieren ihn im Plenum mit den Lehrenden und den anderen studentischen Forschungsteams. Aufgrund des gemeinsamen Oberthemas sollten die Studierenden fachlich in der Lage und motiviert sein, den anderen Teams Rückmeldungen zu geben. Für die Studierenden bestehen die zentralen Herausforderungen dieser Projektphase darin, ihre Forschungsaufgabe zu konkretisieren und zu strukturieren und eine sinnvolle Arbeitsteilung im Projekt zu finden. Die Lehrenden müssen auf eine ausgewogene Gruppeneinteilung achten und die Machbarkeit des Forschungsvorhabens und des geplanten Projektablaufs soweit möglich sicherstellen.

190

Ute Vanini

Namen, Matrikel-Nr. und Email der Gruppenmitglieder THEMA: KOSTENANALYSE VON MASSNAHMEN DES SOCIAL MEDIA MARKETING Erklärung

. Es soll untersucht werden, mit welchen Kosten Social Media Marketing Maßnahmen verbunden sind.

Research-Fragen

. Welche Ansätze gibt es bereits bei der Kostenanalyse von Maßnahmen des Social Media Marketing? . Welche Kostenarten- und treiber liegen bei Social Media Marketing Maßnahmen vor? . …

Research-Methode

. Literaturrecherche . Anwendung der allgemeinen Grundsätze der Kostenanalyse auf das Social Media Marketing . Konzepterstellung und -anwendung als Fallstudie

Zentrale Literatur zum Thema

. Grundlagenliteratur zur Kostenanalyse Autor Böning-Spohr, P.

Titel Controlling für Medienunternehmen im Online-Markt Fischer, T. Kostencontrolling Coenenberg, A.G. Kostenrechnung und -analyse et al ... ...

Erwartete Ergebnisse

Jahr 2003

Medium Diss.

2000 2009

Buch Buch

...

...

. Übersicht über die wesentlichen Kostentreiber . Kalkulationsschema für Maßnahmen des Social Media Marketings . Hilfestellung für das Management von Social Media Marketing

Zeitplanung

Ausgrenzung (nicht behandelte Fragestellungen)

Abb. 15.2:

. Nutzen von Social Media Marketing . Betriebswirtschaftliche Instrumente, die im Rahmen von Social Media Marketing eingesetzt werden können ( PMS z.B. BSC) . Eigne empirische Untersuchung

Schema für das Research Proposal

Nach der Kick-off-Präsentation beginnt mit einem weiteren intensiven Literaturstudium und der Vorbereitung des Methodeneinsatzes die Phase „Projektdurchführung und -dokumentation“ die eigentliche Projektarbeit. Die Studierenden erlernen dabei Techniken einer Literaturrecherche und der Aufarbeitung des internationalen Forschungsstandes zum gewählten Thema. Vorgehensweise, Ergebnisse und Implikationen der Literaturrecherche für das eigene Forschungsprojekt sind während einer Zwischenpräsentation (2. Meilenstein) vorzustellen

15 Studentisches Forschungsprojekt

191

sowie im abschließenden Forschungsbericht zu dokumentieren. Darüber hinaus müssen die Forschungsfragen mit Hilfe der gewählten Forschungsmethoden bearbeitet werden. Dabei sind folgende Methoden für studentische Forschungsprojekte besonders geeignet: Literaturreviews, empirische Methoden auf der Grundlage von Interviews, (Online)-Befragungen, Experimenten oder Dokumentenanalysen sowie die Entwicklung von Konzepten. Das Forschungsprojekt endet mit der Kommunikation der Projektergebnisse in der Abschlusspräsentation (3. Meilenstein) und der Erstellung des Forschungsberichts (4. Meilenstein). Hieran schließt sich ein umfangreiches Feedback des oder der Lehrenden für die Studierenden zu beiden Arbeitsergebnisse an. Wesentliche Erfolgsfaktoren dieser Phase sind ein intensives Projektcontrolling durch die Studierenden sowie wöchentliche Coaching-Gespräche durch den bzw. die Lehrenden, um aufgetretene Probleme und Fragen zu klären. Nach Erfahrung der Autorin kann es sinnvoll sein, dass die Studierenden eine Arbeitsprobe aus ihrem Forschungsbericht mit dem Lehrenden diskutieren, da ihnen insbesondere die wissenschaftliche Verschriftlichung der Forschungsergebnisse Probleme bereitet. Aufgrund der Unsicherheit der Forschungsprojekte kann es zudem vorkommen, dass die Vorgehensweise während der Projektlaufzeit ggf. angepasst werden muss, z. B. wenn die notwendigen Daten in der relativ kurzen Projektlaufzeit nicht erhoben werden können. Sollten derartige Schwierigkeiten auftreten, ist ebenfalls ein intensives Coaching des studentischen Forschungsteams erforderlich. Leistungsnachweise und Notengebung Der Kompetenzerwerb in studentischen Modulen muss i.d.R. durch Noten bewertet werden. Dabei werden für das studentische Forschungsprojekt folgende Leistungsnachweise für die Notengebung empfohlen: 





Als Eingangsleistung ist eine ein- bis zweistündige Klausur oder eine mündliche Prüfung sinnvoll. Durch die Klausur bzw. mündliche Prüfung wird überwiegend der fachliche Kompetenzerwerb der Studierenden bewertet. Die Eingangsleistung sollte als Einzelleistung der Studierenden zu einem nennenswerten Umfang, z. B. 25%, in die Gesamtnote eingehen und auf der Einstiegsliteratur basieren. Dadurch wird sichergestellt, dass die Studierenden sich vor Beginn des eigentlichen Forschungsprojektes thematisch mit dem Forschungsgegenstand auseinandergesetzt haben. Die Studierenden sollten nach Abschluss des studentischen Forschungsprojektes u. a. in der Lage sein, ein wissenschaftliches Forschungsprojekt – auch im Team – eigenständig zu konzipieren und durchzuführen. Daher kann die Planung und Durchführung des Forschungsprojektes in Form einer Projektplanung und -controllings Gegenstand einer Benotung sein. Die Studierenden sollen nach Abschluss des Forschungsprojektes in der Lage sein, ihre Forschungsergebnisse nach wissenschaftlichen Kriterien einem fachkundigen Publikum mitzuteilen und kritisch zu reflektieren. Wesentliche Arbeitsergebnisse des Forschungsprojektes sind daher der „schriftliche Projektbericht“ und die „Präsentation der Forschungsergebnisse“ in mündlicher Form. Beide Leistungsnachweise können als Einzeloder als Gruppenleistung erbracht werden. Nach Erfahrungen der Autorin ist die Erbringung als Gruppenleistung sinnvoller, um die Kohärenz der Forschungsergebnisse sicherzustellen und auch die gemeinsame Forschungsarbeit im Team zu fördern. Der Forschungsbericht und die Präsentation der Forschungsergebnisse sollten den Hauptteil an der Gesamtnote ausmachen.

192 INHALT

Ute Vanini mangelhaft ausreichend befriedigend gut sehr gut 5,0 - 4,7 4,3 - 3,7 3,3 - 2,7 2,3 - 1,7 1,3 - 1,0 -

Gewicht

1. Einleitung a) Problemstellung und -abgrenzung b) Zielsetzung und Vorgehensweise der Arbeit erläutert? c) Aufbau erläutert?

-

-

-

10 %

2. Grundlagen a) Zentrale Begriffe definiert? b) Kritische Begriffsdiskussion? c) Für die Arbeit erforderliche Grundlagen gelegt?

-

-

-

20 %

3. Bearbeitung des Themas a) Innovationsgrad und Kreativität - Innovationsgrad der Zielsetzung - Anspruchsniveau der Vorgehensweise (in Relation zum Stand der Wissenschaft) - Kreativität und Vielfalt in der Themenbearbeitung b) Lösungsanforderungen abgeleitet? c) Analyse - problemorientiert? - konsistent? - nachvollziehbar? - innovativ? d) Wissenschaftliche Methodik? - Eignung - korrekte Anwendung e) Fachliteratur verwertet? - quantitativ - qualitativ

-

-

50 %

4. Schluss a) Ziel erreicht? b) Offene Probleme erkannt? c) Ausblick auf zukünftige Fragestellungen?

-

-

-

10 %

5. Form und Stil a) Gesamteindruck b) Gliederung übersichtlich? c) Text zielstrebig und verständlich? d) Abbildungen, Tabellen, Verzeichnisse e) Zitierweise, Literaturverzeichnis f) Rechtschreib-, Ausdrucks-, Grammatik- und Zeichenfehler

-

-

-

10 %

100 %

Abb. 15.3:

Mögliches Bewertungsschema für den Forschungsbericht

15 Studentisches Forschungsprojekt

193

Für eine Benotung von Forschungsbericht und Abschlusspräsentation müssen eindeutige Kriterien formuliert und den Studierenden kommuniziert werden. Die folgende Abbildung zeigt beispielhaft ein Schema für die Bewertung des Forschungsberichts. Neben den Bewertungskriterien müssen weitere Anforderungen an die Abschlusspräsentation und den Forschungsbericht festgelegt werden, z. B. die maximale Zeitdauer der Präsentation und die Länge des Berichts.

15.4

Kritische Analyse

Das studentische Forschungsprojekt bietet zahlreiche Vorteile zur Umsetzung eines forschenden Lehrens und Lernens, stellt Lehrende und Studierende jedoch auch aufgrund seiner Komplexität und seiner begrenzten Planbarkeit vor zahlreiche Herausforderungen.247 Vorteile     

 

Das Forschungsprojekt ermöglicht den Studierenden zielgerichtetes forschendes Lernen im Team und ein hautnahes Erleben des Forschungsprozesses. Dadurch kann eine Begeisterung für Forschung geweckt werden. Das Forschen in Gruppen steigert die Motivation der Studierenden und ermöglicht implizite Lernprozesse.248 Durch das gemeinsame Oberthema und die Präsentation im Plenum mit allen Studierenden werden Zusammenhänge in einem Forschungsgebiet ersichtlich. Neben den fachlichen Kompetenzen kann der Studierende bei entsprechender Mitarbeit, Betreuung und Rückmeldung durch den Lehrenden seine personalen Kompetenzen weiterentwickeln. Besonders gelungene Forschungsberichte können zur Veröffentlichungsreife weiterentwickelt und in geeigneten Zeitschriften oder Herausgeberbänden publiziert werden. Damit können Studierende sichtbar zur Forschung der Fakultät oder des Fachbereichs beitragen. Weiterführende Fragestellungen aus den Teilprojekten können von Studierenden durch Haus- und Abschlussarbeiten aufgegriffen und vertieft werden. Studierende werden auf zukünftige Forschungsaufgaben z. B. auf ihre Abschlussarbeit oder eine Promotion vorbereitet.

Herausforderungen 



247 248

Das studentische Forschungsprojekt ist ein sehr komplexes und aufwändiges Modul für Studierende und Lehrende. Nach der Erfahrung der Autorin sollten für den studentischen Workload mindestens 10 Leistungspunkte (= 300 Arbeitsstunden) je Studierenden einkalkuliert werden. Zudem sollte das Forschungsprojekt von zwei Lehrenden mit einer Lehrbelastung von jeweils vier Semesterwochenstunden betreut werden. Die hohe Komplexität birgt die Gefahr der Überforderung insbesondere der weniger leistungsstarken Studierenden. Wesentliche Erfolgsfaktoren sind hier eine gute Konkre-

Vgl. Bundesassistentenkonferenz, 1970, S. 19 f. Vgl. Schatz; Woschnack, 2008, S. 63

194

 





Ute Vanini tisierung der Forschungsaufgabe, eine detaillierte Projektplanung und -kontrolle sowie ein wöchentliches Projektcoaching durch den Lehrenden. Das studentische Forschungsprojekt erfordert eine hohe intrinsische Motivation und Frustrationstoleranz der Studierenden, da Forschung auch zu Misserfolgen führen kann. Interdisziplinär zusammengesetzte Forschungsteams können sich positiv auf die Teamleitung und damit den Forschungsprozess auswirken. Allerdings kann eine große fachliche Heterogenität der Teilnehmer auch zu einem Ungleichgewicht innerhalb eines Teams führen und somit den Lernprozess behindern. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die rechtzeitige Identifikation und Aussteuerung von sogenannten „Trittbrettfahrern“ in den studentischen Forschungsteams durch die Lehrenden. Können diese Studierende nicht sinnvoll in das Forschungsteam integriert werden, müssen sie eine separate Präsentations- und Berichtsleistung erbringen. Eine weitere Herausforderung für die Lehrenden besteht in der Sicherstellung der Wissenschaftlichkeit und der Identifikation möglicher Plagiate. Ansatzpunkte zur Vermeidung von Plagiaten liegen in der sorgfältigen Formulierung der Themen für die Teilprojekte und im regelmäßigen Projektcoaching. Zur Identifikation von Plagiaten ist letztendlich eine Plagiatssoftware notwendig. Zusammenfassung Studentisches Forschungsprojekt

Kurzbeschreibung

Studierenden-Gruppen konzipieren ein eigenes Forschungsprojekt, führen es durch und werten es aus. Außerdem dokumentieren und kommunizieren sie ihren Forschungsprozess und ihre Ergebnisse nach wissenschaftlichen Kriterien.

Vorgehen

      

Lernziele

   

Festlegung eines Forschungsthemas sowie von Unterthemen für die studentischen Teilprojekte Zeitliche und inhaltliche Konzeption des studentischen Forschungsprojekts Bildung von Forschungsgruppen Coaching der Forschungsgruppen durch Lehrende Konzeption und Durchführung der Teilprojekte Präsentation von (Teil-)Ergebnissen durch Forschungsgruppen Schriftliche Dokumentation des Forschungsprozesses und der Ergebnisse durch Forschungsgruppen Vertiefung von Fachwissen Entwicklung der methodischen Fähigkeiten im wissenschaftlichem Arbeiten und Forschen Förderung der Konfliktlösungs-, Beurteilungs- und Kritikfähigkeit Entwicklung der mündlichen und schriftlichen Präsentationskompetenz

Voraussetzungen



Grundkenntnisse der Studierenden im wissenschaftlichen Arbeiten

Literatur und hilfreiche Links



Bundesassistentenkonferenz (1970): Forschendes Lernen – Wissenschaftliches Prüfen, 2. Aufl., Bonn.

15 Studentisches Forschungsprojekt

15.5

195

Literatur

Balzert, H.; Schröder, M.; Schäfer, C., Wissenschaftliches Arbeiten; 2. Aufl., Herdecke / Witten 2012 Bortz, J.; Döring, N., Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler, 3. Aufl., Berlin 2003 Bundesassistentenkonferenz (Hrsg.), Forschendes Lernen – Wissenschaftliches Prüfen, 2. Aufl., Bonn 1970 Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, verabschiedet vom Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen (AK DQR) am 22. März 2011. Hellermann, K.; Schmohr, M.; Sekman, Ü., Vielfältige Lernkultur durch „Forschendes Lernen“ an der Ruhr-Universität Bochum, in: Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 7. Jg. Nr. 3, 2012, S. 28–35. Qualifikationsrahmen für Deutsche Hochschulabschlüsse, erarbeitet im Zusammenwirken von Hochschulrektorenkonferenz, Kultusministerkonferenz und Bundesministerium für Bildung und Forschung erarbeitet und von der Kultusministerkonferenz am 21.04.2005 beschlossen Schatz, W.; Woschnack, U., Forschungsorientierte Ausbildung? Qualifikationsprofile in der Curriculumsentwicklung von Masterstudiengängen, in: Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 3. Jg. Nr. 4, 2008, S. 58–70 Sichler, R.; Heimerl, P., Praxisorientierte Forschung in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an Fachhochschulen, in: Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 7. Jg. Nr. 2, 2012, S. 99–116 Tremp, P., Verknüpfung von Lehre und Forschung: Eine universitäre Tradition als didaktische Herausforderung, in: Beiträge zur Lehrerbildung, 23. Jg. Nr. 3, 2005, S. 339–348

16

Lernende als Unternehmensberater Sven Fischbach und Britta Rathje

Wer „die aktive Verarbeitung des Wissens durch die Studierenden vernachlässigt, verschenkt einen großen Teil ihrer möglichen Wirkung.“ (Hochschulrektorenkonferenz, 2008) Indem Lernende in die Rolle eines Unternehmensberaters versetzt werden, wird der oft proklamierte Praxisbezug der Lehre hergestellt. Dies erfordert einen Rollenwandel, sowohl der Lernenden, als auch der Lehrenden. Der Lehrende tritt als Coach mehr in den Hintergrund und lässt die Lernenden individuelle Lösungsstrategien für unternehmerische Probleme erarbeiten.

16.1

Was bedeutet „Lernende als Unternehmensberater“?

Praxisbezug als Herausforderung Die wirtschaftswissenschaftliche Lehre soll die Lernenden auf den beruflichen Alltag vorbereiten. Mit dem klassischen Frontalunterricht kann das dafür notwendige Fachwissen vermittelt werden. Dieses allein reicht jedoch nicht für den Erfolg im Berufsleben aus. Hinzu kommt, dass bei dieser Vorgehensweise das Wissen meist in Form einer schriftlichen Prüfung abgefragt wird. Das führt dazu, dass die Lernenden vor der Prüfung vor allem ihr Kurzzeitgedächtnis beanspruchen. Das für die Prüfung Gelernte bleibt jedoch nicht nachhaltig im Gedächtnis haften.249 Um das erworbene Wissen aufzufrischen, zu vertiefen und anzuwenden, sind andere Unterrichtsformen geeigneter. Vom durchweg rein rezeptiven Verhalten des Lernenden im Frontalunterricht muss also abgerückt werden. Zudem lassen sich betriebswirtschaftliche Probleme nicht nur mit einem Blick in die Literatur lösen. Erst die aktive Auseinandersetzung mit einem Thema führt dazu, dass die Inhalte besser verinnerlicht und damit die Fachkompetenz 249

Vgl. Hawelka, 2007, S. 45 f.

198

Sven Fischbach und Britta Rathje

erhöht wird.250 Dafür stehen Aufgaben, Übungen oder Fallstudien zur Verfügung, die sich leicht in den Unterricht bzw. die Vorlesung integrieren lassen und die Lernenden zu einer aktiven Mitarbeit anregen.251 Allerdings kann ein reales unternehmerisches Umfeld in den Unterrichtsräumen kaum nachgebildet werden. Zu komplex sind die vielfältigen Konstellationen wie z. B. branchenbezogene Besonderheiten, unternehmenskulturelle Gepflogenheiten, funktions- und abteilungsübergreifende Verflechtungen oder auch personelle Befindlichkeiten. Komplexere Fallstudien, etwa Harvard Case Studies, und Unternehmenssimulationen sind Möglichkeiten, den Praxisbezug zu erhöhen, betrachten jedoch regelmäßig nur Teilaspekte bzw. erfordern aus verschiedenen Gründen Komplexitätsreduktionen. Ein noch stärkerer Anwendungsbezug wird ermöglicht, wenn sich Lernende konkret mit Konstellationen in Unternehmen und der Lösung dort relevanter Fragestellungen auseinander setzen. Analyse der Unternehmenspraxis Praxisorientierte Fälle, die in Lehrveranstaltungen eingebunden werden, verdeutlichen exemplarisch die Anwendungsrelevanz der behandelten Theorie, bleiben für die Lernenden jedoch mitunter zu abstrakt. Die Übertragung auf andere Unternehmen oder Branchen gelingt nicht oder nur eingeschränkt. Eine Konkretisierung des Anwendungsbezugs ist durch die Analyse der Unternehmenspraxis in dualen, ausbildungs- oder berufsintegrierenden Studiengängen jedoch vergleichsweise einfach herstellbar. Im Rahmen von Praxismodulen sollen die Studierenden das im Studium erworbene Wissen in betriebliche Fragestellungen einfließen lassen. Hierbei greifen die Studierenden in der Regel ein betriebliches Problem auf und vertiefen dieses im Rahmen der Veranstaltung. Beispielsweise kann zur Vertiefung der Kenntnisse einer Vorlesung zur Kosten- und Leistungsrechnung nachfolgende Aufgabenstellung bearbeitet werden: „Führen Sie eine Bestandsaufnahme der Kostenrechnung Ihres Arbeitgebers durch. Würdigen Sie den Status quo und zeigen Sie mögliche Verbesserungen auf.“ Durch selbst zu entwickelnde oder vorgegebene Fragebögen kann das in der Vorlesung bzw. im Unterricht erworbene Wissen und dessen Umsetzung in der Praxis systematisch hinterfragt werden. Für die oben genannte Aufgabe diente beispielsweise der in Abbildung 1 gezeigte Fragenkatalog als Hilfestellung.

250 251

Vgl. Becker et.al., 2010, S. 370 Vgl. Wendorff, 2007, S. 17 ff.

16 Lernende als Unternehmensberater 1.

Wie gelangen die Kosten in die Kostenartenrechnung?

2.

Welche Kostenarten werden gebucht? Welches sind die wichtigsten Kostenarten?

3.

Welche kalkulatorischen Kosten werden erfasst? Wie werden diese ermittelt?

4.

Wird zwischen bilanziellen und kalkulatorischen Kosten unterschieden?

5.

Wie wird zwischen fixen und variablen Kosten unterschieden?

6.

Wie sind die Kostenstellen organisiert? Wie sieht die Kostenstellenhierarchie aus?

7.

Wird eine innerbetriebliche Leistungsverrechnung vorgenommen? Wie?

8.

Werden die Gemeinkosten verursachungsgerecht auf die Kostenträger verrechnet? Wie?

9.

Werden ggf. Zuschlagssätze gebildet? Wie? Erfolgt eine Kontrolle der Zuschlagssätze?

199

10. Werden einheitliche Kalkulationsverfahren genutzt? Welche? 11. Werden regelmäßig Vor-, Zwischen- und Nachkalkulationen durchgeführt? 12. Wird die Ist-Rechnung mit der Planung abgeglichen? 13. Kennt der Kostenverantwortliche die Ist-Kosten? 14. Was passiert bei Abweichungen? 15. Wird eine Voll- und/oder Teilkostenrechnung verwendet? 16. Wie werden die Deckungsbeiträge definiert? 17. Wie wird der Gewinn (ein-)kalkuliert? 18. Liefert die Kostenrechnung entscheidungsrelevante Informationen? Welche? 19. Wie wird das Management über relevante Aspekte informiert (Häufigkeit, Umfang, Aktualität)? 20. Wo sehen Sie Stärken, wo Verbesserungspotenziale der Kostenrechnung des Unternehmens?

Abb. 16.1:

Fragenkatalog für ein Praxismodul zum Thema Kosten- und Leistungsrechnung

Zum Abschluss eines Praxismoduls ist ein Bericht – es kann auch ein Vortrag oder ein Poster sein – zu erstellen. Dazu ist neben einer knappen theoretischen Erarbeitung der Thematik die anwendungsorientierte Umsetzung der betrieblichen Problemstellung zu beschreiben. Erstreckt sich die Veranstaltung über einen längeren Zeitraum, kann ein obligatorischer Zwischenbericht über die Vorgehensweise und den Stand der Analysen hilfreich sein. Das Praxismodul unterstützt die Anwendung und Verknüpfung von Fach- und Methodenkompetenzen. Weiterhin werden die Fähigkeiten zur Strukturierung praxisrelevanter Fragestellungen und deren Präsentation gefördert. Die Ergebnisse dieses Lehrkonzeptes sind sehr erfreulich. Regelmäßig war ein großes Engagement feststellbar. Auch weniger an dem Fach interessierte Studierende erkannten durch die Verknüpfung der Theorie mit der eigenen betrieblichen Praxis schnell die Relevanz des vermittelten Stoffes. In manchen Fällen ergaben sich, gerade bei mittelständischen Arbeitgebern, zudem wertvolle Hinweise zur Verbesserung des eigenen Kostenrechnungssystems.

200

Sven Fischbach und Britta Rathje

Lösung konkreter unternehmerischer Fragestellungen Einen Schritt weiter geht der Ansatz, Lernende in die Situation eines Unternehmensberaters zu versetzen. Sie haben sich hierbei, wie ein „richtiger“ Unternehmensberater, in die reale Problemstellung eines ihnen zuvor nicht näher vertrauten Unternehmens einzuarbeiten und müssen praktikable Lösungsvorschläge für dieses Unternehmen entwickeln. Grundlegend für diese Unterrichtskonzeption ist die enge Zusammenarbeit mit einem vorher von den Lehrenden zu akquirierenden Unternehmen. Gemeinsam sind vorab geeignete Fragestellungen zu definieren, die von den Lernenden später zu bearbeiten sind. Da es sich für die Lernenden typischerweise um eher komplexe Fragestellungen handelt, alleine aufgrund der notwendigen Einarbeitung in die Besonderheiten des Praxisfalls, ist die Vergabe dieser Themen an Gruppen von 3 bis 5 Personen empfehlenswert. Hierbei ist es unproblematisch, ja sogar mitunter sehr spannend, wenn Themen später mehrfach vergeben werden. Regelmäßig werden, wenn die Gruppen fortan getrennt gecoacht werden, recht unterschiedliche Lösungsansätze entwickelt. Diese Lehrkonzeption lehnt sich an der Methodik des Siebensprungs (oder auch „7 steps, 7 jumps, POL-Bogen“) des Problemorientierten Lernens an.252 Im Einzelnen gliedert sich diese in folgende Schritte: 

Klärung der Fragestellung: Ausgangspunkt ist eine reale Problemstellung in einem Unternehmen. Nach einer Einführung in die Fragestellung werden erste inhaltliche Fragen der Lernenden in der Diskussion mit dem Lehrenden oder mit den Betreuern im Unternehmen geklärt.



Problemdefinition: Das Problemorientierte Lernen sieht vor, dass die Lernenden die Problemstellung selbst definieren. Treten die Lernenden als Unternehmensberater auf, wird dieser Schritt i.d.R. vom Unternehmen übernommen oder zumindest in Kooperation mit dem Unternehmen erarbeitet.



Ideensammlung Anschließend werden von den Lernenden Ideen gesammelt, die zur Problemlösung beitragen können. Wichtig ist bei diesem Schritt, dass in Form eines ungezwungenen Brainstormings auch zunächst völlig abwegig erscheinende Lösungsideen geäußert werden können. Das erhöht die Kreativität für den Lösungsprozess.



Strukturierung der Ideen Alle geäußerten Ideen müssen strukturiert und bewertet werden. Es ist mit selbst gefundenen Kriterien zu entschieden, welche Ideen weiter verfolgt und/oder welche verworfen werden.



Lernzielformulierung Im nächsten Schritt wird festgehalten, welche Sachverhalte aus Sicht der Lernenden für die Problemlösung relevant sind. Dabei muss von den Lernenden abgeprüft werden, ob das vorhandene Wissen ausreicht, um das gestellte Problem zu lösen bzw. welche Wissensdefizite im konkreten Fall geschlossen werden müssen.

252

Vgl. Becker et. al., 2010, S. 367; Hawelka, 2007, S. 49 f.

16 Lernende als Unternehmensberater

201



Informationsbeschaffung / Erarbeitung von Lerninhalten Zur Schließung der Wissenslücken sind die entsprechenden Informationen zu beschaffen. Mögliche Informationsquellen hierfür können sein: Bibliothek, Internet, unternehmensinterne Quellen, Befragung von Mitarbeitern etc. Dieser Phase wird auch die Strukturierung und Aufbereitung der Inhalte und die Vorbereitung der abschließenden Präsentation zugeordnet.



Präsentation und Diskussion Die Präsentation der Problemlösungsstrategien sowie eine anschließende Diskussion finden im Plenum und vor allem in Gegenwart der Unternehmensvertreter statt.

Sollen die Lernenden als Unternehmensberater auftreten, lässt sich die Veranstaltungskonzeption aus der Methodik des sogenannten Siebensprungs des Problemorientierten Lernens ableiten.

16.2

Lernziele

Mit der Methode des Problemorientierten Lernens können bei der Lösung konkreter unternehmerischer Fragestellungen verschiedene Lernziele angestrebt werden: Vertiefung von Faktenwissen Je nach Problemstellung müssen sich die Studierenden mit einem speziellen Thema auseinandersetzen. Dies erfordert eine eingehende Analyse des Sachverhalts und führt somit zu einer Verfestigung und Vertiefung des bereits existenten Wissens. Hierdurch wird das vorhandene Knowhow aufgefächert und durch die Anwendung in einem konkreten Fall neu strukturiert.253 Erwerben von neuen Denkstrategien Die latenten Problemstellungen lassen sich meist nicht durch eine eindimensionale Denkweise bzw. durch alleinige Übertragung des Faktenwissens lösen. Die realen Problemstellungen sind vielfältig, es müssen deshalb verschiedene Anspruchsgruppen, Zielkonflikte und/oder unternehmensinterne Anforderungen berücksichtigt werden. Die Problemlösungen lassen sich daher nicht in der Literatur finden. Sie müssen vielmehr von den Lernenden selbst erarbeitet werden. Dies erfordert eine vernetzte Denkweise, fördert die Analysefähigkeit sowie das kreative Herangehen an eine Fragestellung.254 Schulung sozialer Kompetenzen Es ist sinnvoll, die Lernenden in Gruppen einzuteilen, um die Problemstellung zu bearbeiten. Durch die Diskussion in der Gruppe kommen kreativere Lösungen zustande als bei einer Bearbeitung durch Einzelne. Die Lernenden müssen sich in der Gruppe selbst organisieren. Dazu können auch Rollen verteilt werden (z. B. ein Mitglied ist zuständig für die zeitliche Koordination, ein anderes Mitglied hält Kontakt zu den betrieblichen Betreuern). 253 254

Vgl. Junge, 2010, S. 60 Vgl. Hawelka, 2007, S. 50 f.

202

Sven Fischbach und Britta Rathje

Erforderlich ist es zudem, dass Entscheidungen im Team getroffen werden und von allen mitgetragen werden. Falls es zu Meinungsverschiedenheiten kommt, müssen Kompromisse geschlossen werden. Die Teamfähigkeit wird dadurch gestärkt. Anwendung von Präsentations- und Argumentationstechniken Die in der Gruppe erarbeiteten Ergebnisse müssen zum Abschluss der Veranstaltung vorgestellt werden. Die Präsentation erweist sich bei dieser Veranstaltungskonzeption als besonders herausfordernd, da die Problemlösungsstrategien auch vor den Unternehmensvertretern vorgestellt werden, also konkrete Lösungsvorschläge erwartet werden. Anschließend stehen die Lernenden in der Diskussion mit Ihren Zuhörern Rede und Antwort. Empfehlenswert ist eine Präsentation im Unternehmen selbst. Auch die somit veränderte Präsentationsumgebung trägt zur Authentizität der gesamten Fallbearbeitung bei.

16.3

Praktische Durchführung

Um die Lernenden als Unternehmensberater auftreten zu lassen, müssen bei einer derartigen Veranstaltungsform Besonderheiten beachtet werden: Seminarvorbereitung Da spezielle Fragestellungen in einem Unternehmen bearbeitet werden sollen, ist die frühzeitige Kontaktaufnahme zu geeigneten Unternehmen unabdingbar. Hierbei sind, in Abhängigkeit von den Fragestellungen, grundsätzlich Unternehmen unterschiedlicher Größe als Veranstaltungspartner geeignet. Bei größeren Unternehmen werden typischerweise speziellere Themen behandelt, bei kleineren eher grundsätzlichere. Es ist jedoch, unabhängig von der Unternehmensgröße, darauf zu achten, dass in dem Unternehmen stets mindestens ein qualifizierter Ansprechpartner für Fragen der Lernenden zur Verfügung steht und dieser auch genügend Zeit für die zeitnahe Beantwortung von Rückfragen der Studierenden hat. Mit dem Unternehmen sind vorab die zu bearbeitenden Themen abzuklären. Die Themen sind so auszuwählen, dass sie mit dem Wissens- und Erfahrungsschatz der Lernenden übereinstimmen. Sind die Fragestellungen zu schwierig, kann dies zur Demotivation aller Teilnehmer führen. Die folgende Abbildung zeigt beispielhaft, welche Themen in einer Veranstaltung mit einem Controlling-Schwerpunkt behandelt wurden. Weiterhin muss der genaue Zeitplan der Veranstaltung im Vorfeld mit dem Unternehmen abgestimmt werden. Dieser sollten auch den Lernenden frühzeitig kommuniziert werden, so dass alle Beteiligten die Termine bekannt sind und Terminverlegungen bzw. Nichtteilnahmen möglichst vermieden werden. Es sollte allerdings allen Beteiligten bewusst sein, dass bei der Zusammenarbeit mit Unternehmen Terminverschiebungen nicht immer vermieden werden können. Insofern empfiehlt es sich, bei der Zeitplanung Ersatztermine im Hinterkopf zu haben.

16 Lernende als Unternehmensberater

203

Kleinerer IT-Dienstleister Konzeptionen zum Aufbau eines Controlling-Systems Projektentwickler im Bereich Energie Aufbau eines vertriebsorientierten Controllings für Regionalbüros, Abteilungen und den entsprechenden Unternehmensbereich Handelsunternehmen Projekte zur Vorbereitung von Rechnungswesen und Controlling einer wachsenden Holding auf einen geplanten Börsengang 1. Entwicklung eines börsentauglichen Kontrollsystems (für Dienstleistungsbereich und Handel) mit KPIs und Frühindikatoren für einen Risikobericht 2. Aufbau eines Konzernreportings 3. Einführung eines Konsolidierungstools als Entscheidungsgrundlage 4. Konzeption für die Zusammenführung von internen Systemen im Rahmen der Verschmelzung von zwei Gesellschaften Internationaler Technologiekonzern Ermittlung von Kennzahlen zur Messung von Performance und Qualität von Shared Service Center Prozessen Mittelständisches Distributionsunternehmen Fragestellungen zur Verbesserung der Qualität des Controllings: 1. Kritische Analyse der Kostenstellenrechnung. Erarbeitung von Kennzahlen zur Steuerung des operativen Geschäfts 2. Erarbeitung eines Rolling Forecast Verfahren für Umsatz und Ergebnisrechnung 3. Erarbeitung eines Managementprozesses zur regelmäßigen Überprüfung und Steuerung des Net Working Capital 4. Erarbeiten einer systematischen Investitionsrechnung und Entwicklung eines Konzepts zu deren Verfolgung Regionales Verkehrsunternehmen Analyse von Organisationseinheiten unter kostenrechnerischen und strategischen Gesichtspunkten Hochschule Aufbau einer Trennungsrechnung zum Nachweis subventionsfreier Leistungen 1. Entwicklung von Vorschlägen für die Ermittlung von Marktpreisen für Hochschulleistungen 2. Kalkulation von Weiterbildungsmaßnahmen 3. Kalkulation von Filmprojekten

Abb. 16.2:

Beispiele für Kooperationsunternehmen und Themenbereiche

Konzept und Inhalte des Seminars Bevor die Lernenden in das Unternehmen geschickt werden sollte sichergestellt sein, dass sie sich ihrer Rolle bewusst sind und dass ihr Wissenstand ausreichend ist. Daher ist eine Zweiteilung der Veranstaltung sinnvoll: Im ersten Teil werden die Lernenden auf ihre Rolle als Unternehmensberater vorbereitet. Die genauen Inhalte, die dann im zweiten, praktischen Teil der Veranstaltung zum Tragen kommen, hängen von den Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens ab.

204

Sven Fischbach und Britta Rathje

Schaffung der theoretischen Grundlagen Im ersten Teil der Veranstaltung sollte den Lernenden vermittelt werden, wie Unternehmensberater arbeiten und auftreten. So können hier die typischen Schritte zur Erarbeitung einer Problemlösungsstrategie besprochen werden. Es ist dabei auch über das Verhalten gegenüber dem Klienten zu sprechen. Hierbei sollte auch auf die notwendigen Soft Skills wie z. B. Auftritt und Gesprächsführung eingegangen werden. Gegebenenfalls kann hierzu ein Coach in die Veranstaltung integriert werden. Zudem kann die Integration eines Geschäftstreffens/essens sich als hilfreich erweisen; dies macht in der Regel auch allen Teilnehmern Spaß. Praktische Anwendung Sind die Grundlagen gelegt, findet der erste Termin am besten im Unternehmen statt. Hier können die Ansprechpartner im Unternehmen und die zu bearbeitenden Themen vorgestellt werden. Ebenso sinnvoll ist ein Rundgang durch das Unternehmen bzw. durch den Betriebsteil, der von den Themen tangiert wird. Dabei können die wichtigsten Prozesse gezeigt werden, und die Lernenden haben Gelegenheit, erste Fragen zu stellen. Im weiteren Verlauf der Veranstaltung übernimmt der Dozent vermehrt die Rolle eines Coaches, der unterstützend und beratend zur Seite steht, Fragen klären kann und ggf. die Mittlerrolle zwischen Lernenden und Unternehmen spielt. Die besondere Herausforderung besteht darin, den Lerngruppen einen möglichst großen Freiheitsgrad zu belassen, sie aber gleichzeitig nicht alleine mit ihrer Aufgabe zu lassen. Der Dozent hat in seiner Rolle als Coach zu erklären und wenn nötig zu strukturieren, dabei aber die Teilnehmer nicht ständig zu kontrollieren.255 Die nachfolgende Abbildung zeigt eine mögliche Zeitplanung. Termin

Thema und Hinweise

1

Einführung in die Veranstaltung

2

Einführende Referate zum Consulting

3

Fallstudienarbeit: Erste Bearbeitung einer praxisorientierten Problemstellung

4

Externer Vortrag (z.B. Unternehmensberater berichtet aus der Praxis)

5

Vorstellung von Unternehmen, Erläuterung der Aufgabenstellungen und Bildung von Projektgruppen, Veranstaltungsort: Muster GmbH, Musterstr. 1, 55555 Musterheim

6

Soft Skills für Controllingberater und Geschäftsessen

7

Skizze der Zwischenergebnisse und Fragen an die Betreuer

8

Interne Abschlusspräsentation

9

Abschlusspräsentationen vor dem Management

weiterhin Individuelles Coaching mit den Gruppen nach Vereinbarung in der Zeit zwischen Vergabe der Aufgabenstellung und Interner Abschlusspräsentation

Abb. 16.3:

255

Beispielhafte Zeitplanung

Vgl. Lieverscheid et. al., 2010, S. 53; Isabella, 2006, S. 209

16 Lernende als Unternehmensberater

205

Im ersten, theoretischen Teil erarbeiten sich die Lernenden die Themen zum Consulting selbst. Hierzu dienen Referate zu den Rahmenbedingungen des Consultings und dem Beratungsprozess, die von den Studierenden präsentiert und diskutiert werden. Die Veranstaltung wird aufgelockert durch einen Vortrag eines Unternehmensberaters, der „aus dem Nähkästchen plaudert“ sowie durch Einbindung eines Trainers, der Soft Skills mit den Lernenden einübt sowie ein formell gehaltenes „Geschäftsessen“ anleitet. Nach Vorstellung und Vergabe der Aufgabenstellungen obliegt es den Gruppen bei Bedarf zusätzliche Informationen bei den betrieblichen Betreuern anzufordern, sich Zusammenhänge erläutern zu lassen sowie individuelle Coachingtermine mit den Dozenten zu vereinbaren. Notengebung Die Präsentation der Studierenden, aber auch ggf. im Laufe der Veranstaltungen zu erbringende andere Leistungen, können bewertet werden. Die Abschlusspräsentation findet idealerweise beim „Auftraggeber“ und vor dessen Management statt. Um die Vortragenden vor peinlichen Situationen und allzu großen Fehlern zu bewahren, bietet sich eine vorherige (interne) „Generalprobe“ an. Da die Studierenden hier Hinweise auf Ungereimtheiten, Fehler und Verbesserungspotenziale bekommen, sollte diese erste Präsentation angemessen in die Bewertung einfließen. Zudem wäre bei der Abschlusspräsentation zu prüfen, ob diese Hinweise in geeigneter Weise berücksichtigt wurden. Einfließen in die Benotung der Leistung kann auch eine Einschätzung der präsentierten Ergebnisse, beispielsweise deren Angemessenheit und Umsetzbarkeit, durch das Management.

16.4

Kritische Analyse

Vorteile Die vorgestellte Veranstaltungskonzeption bietet den Lernenden eine wichtige Möglichkeit, praktische Erfahrung zu sammeln und einen profunden Einblick in die Tätigkeiten eines Unternehmensberaters zu erhalten. Durch die Bearbeitung durchaus komplexerer Fragestellungen fühlen sich die Lernenden besser auf das Berufsleben vorbereitet. Die Lernenden identifizieren sich mit der Aufgabe und stellen fest, dass die vormals gelernten, theoretischen Lehrinhalte auch in der Praxis eine Relevanz besitzen. Darüber hinaus führt die intensive Auseinandersetzung mit einem Thema zu einer wesentlich besseren und nachhaltigeren Verinnerlichung der Inhalte. Zudem gibt es kaum ein betriebliches Problem, welches ausschließlich aus dem Blickfeld nur eines Faches zu betrachten ist. Die Funktionen im Unternehmen sind stark vernetzt. Diese Interdisziplinarität kann besonders gut im wirklichen Praxisfall erlebt werden. Die teilnehmenden Unternehmen haben meist auch ein großes Interesse an den Ideen der Lernenden. Diese gehen unvoreingenommen und mit hohem Engagement, manchmal auch sehr unkonventionell und mit frischen Ideen an Problemstellungen heran. Für das Unternehmen bedeutet dies auch, dass man einen potentiellen Nachwuchs unverbindlich kennenlernen kann. Die Lernenden dagegen können durch eine gute Performance zukünftige Arbeitnehmer auf sich aufmerksam machen. Vor allem wenn die Veranstaltung im letzten Teil der Ausbildung angesiedelt ist, lässt sich in dieser Hinsicht die Motivation der Lernenden erhöhen.

206

Sven Fischbach und Britta Rathje

Herausforderungen Eine der größten Herausforderungen begegnet den Lehrenden schon vor dem eigentlichen Beginn der Veranstaltung: Es muss ein passendes Unternehmen gefunden werden. Diesem werden zwar auf den ersten Blick kostenfreie Beratungsleistungen geboten, doch darf und wird es sich nicht um eine wirtschaftliche Beratung handeln. Ohne Gegenleistung funktioniert das Zusammenspiel zudem nicht. Zunächst müssen die Themen bzw. Fragestellungen genau definiert und ggf. voneinander abgegrenzt werden. Hierbei ist auch von Bedeutung, dass die zu bearbeitenden Themen mit dem Anforderungsprofil der Lehrveranstaltung korrespondieren. Weiterhin müssen Termine vereinbart werden, z. B. zur Vorstellung des Unternehmens und der Themen, zur Beantwortung von Fragen und für die Abschlusspräsentation. Es sollten über den gesamten Zeitraum Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Zeigt das Unternehmen nicht das notwendige Engagement und lässt die Lernenden spüren, dass gerade eigentlich gar keine Zeit für ein solches Projekt besteht, führt dies schnell zu Demotivation. Hinzu kommt, dass nicht alle Unternehmen von den Ideen der noch recht Unerfahrenen überzeugt sind oder Vorbehalte bestehen. Schließlich stellt nicht der Dozent seine Beratungsleistung zur Verfügung, sondern die Lernenden, die zum Teil noch keinerlei Berufserfahrung gesammelt haben. Zudem wird die Leistung von den Lernenden im Rahmen einer Lehrveranstaltung für das Unternehmen erbracht. Ersteres und die damit verbundene Prüfungsleistung wird regelmäßig vorrangig sein. Somit bietet eine derartige Veranstaltung dem Unternehmen in der Regel nicht den Nutzen, den es durch eine Beratungsleistung einer professionellen, gewerblich tätigen Unternehmensberatung erhielte. Anderenfalls wäre die Leistung, entsprechend der einschlägigen Vorschriften, als wirtschaftliche Beratungsleistung der Hochschule anzusehen und folglich zu Marktpreisen oder Vollkosten abzurechnen. Für die Lehrenden bedeutet diese Unterrichtskonzeption einen Rollenwandel: Als Coach bzw. Moderator stehen die Lehrenden mehr im Hintergrund. Dabei ist der Spagat zu schaffen zwischen zu viel Freiraum einerseits und zu viel Beeinflussung andererseits. Darüber hinaus besteht ein hoher, individueller Betreuungsbedarf.

16 Lernende als Unternehmensberater

207

Zusammenfassung Studentische Unternehmensberatung Kurzbeschreibung

Die Lernenden müssen real existierende Fragestellungen in Unternehmen analysieren und Problemlösungsstrategien bearbeiten sowie präsentieren.

Vorgehen

  

  

Kontaktierung eines geeigneten Unternehmens Festlegung der zu bearbeitenden Themen Beginn der Veranstaltung mit der Vermittlung des theoretischen Backgrounds Vorstellung des Unternehmens und der Themen vor den Lernenden Bearbeitungsphase /Coaching Ggf. „Generalprobe“ der Abschlusspräsentation Abschlusspräsentation im Unternehmen

Lernziele

   

Wiederholung und Vertiefung von Fachwissen Erwerben neuer Denkmuster Förderung der Sozialkompetenz Einüben von Präsentationstechniken

Voraussetzungen

  

Mitwirkung eines Unternehmens Vorhandensein passender Fragestellungen im Unternehmen Zeitplan flexibel gestalten



16.5

Literatur

Becker, F.G.; Friske, V.; Meurer, C.; Ostrowski, Y.; Piezonka, S.; Werning, E:, Einsatz des Problemorientierten Lernens in der betriebswirtschaftlichen Hochschullehre, in: WiSt, Heft 8, August 2010, S. 366–371 Hawelka, B., Problemorientiertes Lehren und Lernen, in: Förderung von Kompetenzen in der Hochschullehre, hrsg. von Hawelka, B.; Hammerl, M.; Gruber, H; Kröning 2007, S. 45–58 Hochschulrektorenkonferenz (Hrsg.), Für eine Reform der Lehre in den Hochschulen (3. Mitgliederversammlung der HRK am 22.4.2008), Bonn 2008 Isabella, L., Action Learning, in: Teaching Management: A Field Guide for Professors, Consultants, and Corporate Trainiers, hrsg. von Clawson, J. G. S.; Haskins, M. E., Cambridge 2006, S. 201–211 Junge, H., Projektarbeit, in: Wissen, was zählt: Ideen für die Lehre, hrsg. von Interne Fortbildung und Beratung (IFB) der Ruhr-Universität Bochum, Bochum 2010, S. 58–63 Lieverscheidt, H.; Huenges, B.; Streitlein-Böhme, I., Problemorientiertes Lernen: POL, Was ist das?, in: Wissen, was zählt: Ideen für die Lehre, hrsg. von Interne Fortbildung und Beratung (IFB) der RuhrUniversität Bochum, Bochum 2010, S. 52–56 Wendorff, J. A., Aktivierende Methoden der Seminargestaltung, in: Förderung von Kompetenzen in der Hochschullehre, hrsg. von Hawelka, B.; Hammerl, M.; Gruber, H.; Kröning Kröning 2007, S. 17–30

17

Unternehmensplanspiele Britta Rathje

„Das Spiel hat gute Einblicke in den Unternehmensalltag und das breite Aufgabengebiet von Führungskräften ermöglicht und gezeigt, wie man Fehler vermeiden kann. Da kann ich einiges mitnehmen für Studium und Berufsleben.“ (Engeser, 2012, S. 93) Die wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung hat neben der Beschäftigung mit Theorien den Anspruch, Realitätsnähe zu vermitteln. Die Umsetzung dieses Ziels ist eine Herausforderung, da nicht immer ausreichend Unternehmen zur Verfügung stehen, um Lernende zu Trainingszwecken dorthin zu entsenden. Der Einsatz von Unternehmensplanspielen ist in diesen Fällen eine praxisorientierte Alternative.

17.1

Was ist ein Unternehmensplanspiel?

Planspiele sind eine Methode zur Simulation eines Ausschnitts der Realität. Sie werden zu Trainings-, Lehr- bzw. Lernzwecken eingesetzt, damit die Spieler Handlungs- bzw. Ereignissituationen erleben und dabei Erfahrungen sammeln können. In einem Planspiel sollen die Teilnehmer Management-Fähigkeiten und -Kenntnisse realitätsnah erwerben. Planspiele werden in den verschiedensten Bereichen eingesetzt: Es existieren zahlreiche Planspiele zur politischen Bildung oder auch spezielle Planspiele, die in der Berufsausbildung genutzt werden, wie z. B. Planspiele zur Ausbildung von Feuerwehrleuten. Auch der Flugsimulator in der Pilotenausbildung kann dazu gezählt werden. Die am weitesten verbreitete Planspielform ist das Unternehmensplanspiel. Es stellt eine mehr oder weniger komplexe Abbildung von unternehmerischen Prozessen dar. Die Teilnehmer übernehmen die Rolle eines Managers und müssen unternehmerische Entscheidungen treffen. Daher eignen sich Unternehmensplanspiele insbesondere für das Training von Management- und Führungskompetenzen.256 256

Vgl. Blötz, 2008, S. 13 ff.; Geier, 2006, S 1 ff.

210

Britta Rathje

Haptische vs. computergestützte Planspiele Mittlerweile ist eine Vielzahl verschiedener Planspielvarianten auf dem Markt. Dabei lässt sich zwischen haptischen und computergestützten Planspielen unterscheiden. In haptischen Planspielen wird als Spielmedium ein Spielbrett benutzt (wie beispielsweise bei „Monopoly“). Die Unternehmensrealität wird in haptischen Planspielen sehr vereinfacht dargestellt. Dadurch können die Teilnehmer die Resultate ihrer Entscheidungen und Aktivitäten sehr gut nachvollziehen. Brettplanspiel: Jedes Team erhält ein Spielbrett und verschiedene Spielsteine. Jede Entscheidung bzw. Tätigkeit im Unternehmen ruft Aktivitäten auf dem Spielfeld hervor. Dadurch werden nicht nur die tatsächlichen Veränderungen im Produktionsprozess, sondern auch die Auswirkungen auf Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung veranschaulicht. Bei computergestützten Planspielen wird das Spielbrett durch eine Software ersetzt. Diese ermöglicht es, sehr viel komplexere Unternehmensstrukturen darzustellen. Aus diesem Grund haben diese Spiele auch einen höheren Schwierigkeitsgrad. Computergestützte Planspiele, die offline gespielt werden, beinhalten eine digitale Datenübermittlung, indem die Spieler ihre Entscheidungen an den Spielleiter auf einem Stick, einer CD oder per Email übergeben. Der Spielleiter simuliert dann anhand einer Software den Markt und transferiert die Daten wieder digital an die Teams zurück. Es ist sinnvoll, dass sich nach dieser Phase eine gemeinsame Analysephase anschließt, in der die Teams mit dem Spielleiter die Ergebnisse der Spielperiode analysieren und diskutieren. Der Spielleiter kann dadurch den Teilnehmern individuelle Hilfestellung für die weiteren Perioden geben. Online-Planspiele sehen dagegen keine Anwesenheitsphasen vor. Die Datenübertragung und -auswertung erfolgt ausschließlich internetbasiert. Dies ermöglicht eine größere Flexibilität bezüglich der regionalen Verteilung der Teilnehmer: Die Spielorte können sehr weit voneinander entfernt liegen, da die Teilnehmer nur virtuell aufeinandertreffen. Der Spielleiter kann bei dieser Variante der computergestützen Planspiele beispielsweise Hilfestellung durch Blended-LearningInstrumente oder Online-Konferenzen anbieten.257 Computerbasiertes Planspiel: Jedes Team verfügt über einen PC bzw. Laptop und erhält mittels einer Software Zugang zu einem virtuellen Büro, das auf dem Desktop angezeigt wird. Mit der Maus können sich die Spieler im Büro bewegen und z. B. auf den Bildschirm oder auf das Flipchart klicken. Diese Medien öffnen sich dann in einem weiteren Fenster. Die Teilnehmer erhalten auf diesem Wege dann die gewünschten, bzw. die möglichen Informationen. Solo- versus Konkurrenzplanspiele Planspiele können auch hinsichtlich der Interaktion zwischen den Teilnehmern unterschieden werden. In Solospielen beeinflussen sich die mitspielenden Teams nicht gegenseitig. Jedes Team hat unabhängig von den anderen Teams eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Dadurch lassen sich die Ergebnisse der Entscheidungen gut nachvollziehen, da keine Einflussparame-

257

Vgl. Geier, 2006, S. 16 f.; Geuting, 2000, S. 20

17 Unternehmensplanspiele

211

ter von außen zu berücksichtigen sind. In Konkurrenzplanspielen ist die Analyse der Ergebnisse komplexer: Die Unternehmensentwicklung ist nicht nur von den eigenen Entscheidungen abhängig, sondern auch von den Entscheidungen der Konkurrenzunternehmen.258 Typischer Planspielablauf Die Ausgestaltung von Planspielveranstaltungen ist vielfältig. Dennoch gilt für nahezu alle Planspiele ein idealtypischer Verlauf, der im Planspielschrifttum „Aktionssequenz“ genannt wird: 









258 259

Zu Beginn müssen die Teilnehmer in das Planspiel eingeführt werden. Alle wichtigen Informationen über das Unternehmen (z. B. Größe und Art des Unternehmens, Produkte und Marktsituation) und über die zu treffenden Entscheidungen sind meist in einem Handbuch enthalten. Das muss zuerst von den Teilnehmern durchgearbeitet werden. Zusätzlich kann der Spielleiter auf besonders relevante Aspekte hinweisen. Danach finden sich die Teilnehmer in Teams (idealerweise drei bis fünf Mitgliedern) zusammen, die jeweils ein Unternehmen verkörpern. Im Regelfall ist die Ausgangssituation für alle Teams identisch. In den Teams ist daraufhin die Entscheidungsplanung durchzuführen: Die Ausgangslage des Unternehmens muss kritisch analysiert und die Handlungsalternativen müssen erarbeitet werden. Auf Basis dieser Vorüberlegungen ist dann eine Alternative auszuwählen. Die Entscheidung der Teams wird an den Spielleiter weitergegeben, d. h. eine simulierte, hypothetisch angenommene Aktion wird durchgeführt. Die Übermittlung der Entscheidungen an den Spielleiter kann durch Eingabe der Entscheidungen in ein SoftwareModul oder durch das schriftliche Ausfüllen und Weitergeben von Entscheidungsformularen geschehen. Nach Auswertung der Entscheidungen durch den Spielleiter erhalten die Teilnehmer eine Rückmeldung über die Auswirkung ihrer Aktionen und den derzeitigen Stand ihres Unternehmens. Die Rückmeldung kann anhand von schriftlichen Unterlagen (z. B. Geschäftsberichte) und/oder in einer Diskussion im Plenum erfolgen. Aufbauend auf diesen Ergebnissen kann die nächste Spielperiode in der sich die zuvor beschriebene Abfolge wiederholt, beginnen. Dieser Zyklus (Analyse der Ausgangslage, Entscheidungsfindung, Entscheidungsübermittlung, Rückmeldung) wiederholt sich in jeder Spielperiode.259

Vgl. Geier, 2006, S. 16 Vgl. Thomas, 2010, S. 74 f.; Trautwein, 2011, S. 67; Labusch, Hornbruch, 2011, S. 48 ff.

212

Britta Rathje

Einführung

Abb. 17.1:

17.2

Entscheidungen treffen im Team

Abgabe der Entscheidungen

Auswertung der Entscheidungen

Simulation durch den Seminarleiter

typischer Planspielverlauf, Quelle: TATA Interactive Systems: www.topsim.com

Lernziele

Faktenwissen Mit dem Einsatz von Unternehmensplanspielen kann erworbenes Faktenwissen wiederholt und verfestigt werden. Beispielsweise können Aspekte des Marketings wiederholt werden, indem der Marketing-Mix eines Spielunternehmens von den Lernenden anhand von Fragestellungen analysiert wird. Vernetztes Denken Noch wichtiger erscheint die Schulung von vernetztem Denken. Während der schulischen Ausbildung oder des Studiums lernen die Schüler bzw. Studierenden die verschiedenen Funktionsbereiche eines Unternehmens kennen, wie z. B. Personalwirtschaft, Rechnungswesen, Marketing. Durch das modulhafte Lernen kann der Eindruck entstehen, dass kaum Interdependenzen zwischen diesen Funktionen bestehen. In einem Planspiel wird das Wissen verschiedener Fächer vernetzt. Da die Teilnehmer oftmals die Rolle eines Managers übernehmen, ist eine ganzheitliche Denk- und Handlungsweise unabdingbar.260 Problemorientiertes Handeln Darüber hinaus sind Planspiele geeignet, zielorientiertes bzw. problembasiertes Handeln fördern, wenn die Gruppenmitglieder eine Strategie für ihr Unternehmen erarbeiten und Ziele festlegen müssen. Die Erreichung der Ziele muss laufend kritisch überprüft werden. Das Nichterreichen der Ziele macht das Reflektieren der bisherigen Aktionen und gegebenenfalls eine Abänderung zukünftiger Planungen oder eine Zielrevision erforderlich. Auf diese Weise erkennen die Spieler einerseits die Wichtigkeit klarer Zielformulierungen und lernen andererseits das eigene Handeln kritisch zu überprüfen.261

260 261

Vgl. Ballin, 2008, S. 174 ff.; Blötz, 2008, S. 28 Vgl. Trautwein, 2011, S. 81

17 Unternehmensplanspiele

213

Soziale Kompetenzen Weiterhin können mit Planspielen soziale Kompetenzen gefördert werden. Da ein virtuelles Unternehmen von mehreren Teammitgliedern gemanagt wird, sind gruppendynamische Prozesse zentrale Bestandteile eines Planspiels. Die Teammitglieder müssen ihre Entscheidungen gemeinschaftlich und oft unter einem gewissen zeitlichen Druck fällen. Dabei müssen nicht selten Kompromisse geschlossen werden. Die Teilnehmer können auf diese Weise ihre Teamfähigkeit trainieren. Insbesondere sind kooperatives Verhalten und kommunikative Fähigkeiten gefragt.262 Präsentationstechniken Es können aber auch Fertigkeiten, wie beispielsweise Präsentationstechniken, trainiert werden. Die Spannweite reicht hier von der Vorstellung ausgewählter Zwischenergebnisse durch einzelne Teammitglieder bis hin zur Organisation einer Jahreshauptversammlung mit entsprechenden Vorträgen. Die Tendenz, möglichst viele Lernziele mit der Durchführung eines einzigen Planspieles zu verfolgen, ist aus der Perspektive kommerzieller Planspielanbieter zwar nachvollziehbar. Dies muss jedoch aus pädagogisch-didaktischer Perspektive kritisch hinterfragt werden. Die Verfolgung nur eines bzw. die Hervorhebung weniger Ziele scheint geeigneter, um eine Überforderung der Teilnehmer zu vermeiden. Darüber hinaus kann ein Planspiel nicht das Erreichen bestimmter Lernziele garantieren.263

17.3

Praktische Durchführung

Die Freiheitsgrade und die Flexibilität bezüglich des Einsatzes und der inhaltlichen Ausgestaltung von Unternehmensplanspielen sind sehr hoch. Deshalb müssen sich die Lehrenden zunächst selbst ein genaues Konzept zur Durchführung des Planspiels erarbeiten. Nur so kann gewährleistet werden, dass die gewünschten Lernziele auch erreicht werden. Die folgende Abbildung zeigt die wichtigsten Bausteine, die bei der Seminarkonzeption zu beachten sind.

Seminarvorbereitung

Abb. 17.2:

Konzept und Inhalte des Seminars

Praktische Durchführung

Notengebung

Meilensteine bei der Durchführung eines Planspiels

Die einzelnen Schritte bei der Durchführung eines Planspiels sind zwar auf den ersten Blick identisch mit denen einer „normalen“ Unterrichtsveranstaltung. Im Detail weist die Vorbereitung und Durchführung eines Planspiels jedoch einige Besonderheiten auf.

262 263

Vgl. Geier, 2006, S. 71 Vgl. Geier, 2006, S. 21

214

Britta Rathje

Zunächst sind einige Vorüberlegungen zum Seminar zu treffen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Zielgruppe genau zu kennen, denn in Abhängigkeit von der Zielgruppe ist die Art des einzusetzenden Planspiels zu wählen. Die Zielgruppen können sehr unterschiedlich sein: Schülern mit wenig oder keiner Praxiserfahrung, Studierende in Master-Kursen, die bereits einiges Wissen mitbringen, Führungspersönlichkeiten mit berufspraktischer Erfahrung. Bei Teilnehmern mit wenig Erfahrung bieten sich einfach strukturierte Planspiele an, bei denen wenig Vorwissen benötigt wird. Im Master-Studium können komplexere Unternehmensplanspiele zum Einsatz kommen. Planspiele eignen sich auch insbesondere dafür, Studierende bzw. Auszubildende verschiedener Fachrichtungen in einem Kurs zu unterrichten. Durch diese interdisziplinäre Arbeit können die Zusammenhänge im Unternehmen noch stärker vergegenwärtigt werden. Die Wahl der Planspielform hängt darüber hinaus von den gewünschten Lernzielen ab: 

Sollen beispielsweise eher generelle Managementfähigkeiten eingeübt werden, ist die Auswahl eines generalistischen bzw. strategisch ausgerichteten Planspiels empfehlenswert.  Für das Erlernen und Vertiefen spezieller Funktionen im Unternehmen, wie z. B. Marketing, Rechnungswesen oder Logistik, sind auch entsprechende Planspiele erhältlich, die nahezu ausschließlich diese Bereiche abdecken.  Auch branchenspezifische Planspiele, wie z. B. für die Bereiche Bank- und Finanzwesen, Immobilienwirtschaft, Gesundheitswesen oder Handel, können zum Einsatz kommen. Darüber hinaus ist die Zahl der Teilnehmer zu bedenken. Planspiele können mit wenigen, aber auch mit hunderten von Teilnehmern durchgeführt werden. Hier ist die zur Verfügung stehende Infrastruktur zu beachten. Beispielsweise sind bei Präsenzseminaren mit großen Teilnehmergruppen entsprechend große Räumlichkeiten notwendig. Außerdem müssen hier ggf. weitere Trainer eingesetzt werden. Bei Online-Seminaren ist sicherzustellen, dass alle Teilnehmer über einen PC bzw. Laptop mit Internetzugang verfügen. Konzept und Inhalte des Seminars Ist die Art des Planspiels in Abhängigkeit von der Zielgruppe und den Lernzielen ausgewählt, sind Konzeption und Inhalte des Seminars festzulegen. Auch diesbezüglich stehen den Dozenten nahezu unbegrenzte Möglichkeiten zur Verfügung. Oftmals werden die praktischen Spielperioden mit Theorieeinheiten verknüpft. Im Rahmen eines betriebswirtschaftlichen Planspiels können z. B. die Themen Marketing, Personalwesen, Produktion, Logistik, Jahresabschluss und Kostenrechnung theoretisch erarbeitet und anhand des Planspiels nochmals eingehender analysiert werden. Planspiele lassen sich auch durch Expertenvorträge zu bestimmten Themen oder Fallstudien aus real existierenden Unternehmen ergänzen. Darüber hinaus sind viele weitere Arbeitsaufträge denkbar, welche wiederum in Abhängigkeit der gewünschten Lernziele eingesetzt werden können: Strategiepapiere erarbeiten, Verhandlungen mit Kunden oder Lieferanten, Lohnverhandlungen oder Gespräche mit dem Betriebsrat nachstellen oder spezielle Marketingkonzepte konzipieren.

17 Unternehmensplanspiele

Abb. 17.3:

215

Eine Planspielgruppe bei der Arbeit

Das Arbeiten in Teams ist fester Bestandteil bei der Durchführung von Planspielen. Dadurch lassen sich auch soziale Kompetenzen fördern und entwickeln. Durchführung Die Erfahrung zeigt, dass es sinnvoll ist, nach jeder gespielten Periode zumindest eine kurze Auswertungs- bzw. Feedback-Phase einzuplanen. Im Rahmen von Präsenz-Seminaren kann der Dozent im Plenum oder in den einzelnen Teams die Ergebnisse der jeweiligen Spielperiode besprechen. Dabei ist es möglich, auf Fehlentwicklungen hinzuweisen, Tipps für die Folgeperiode zu geben oder auch „Best Practices“ herauszustellen. Insbesondere das Lernen aus Fehlern führt in der Regel zu besonders nachhaltigem Wissenserwerb. Auch die zeitliche Organisation des Seminars kann unterschiedlich ausfallen. Es ist möglich, das Planspiel in Blockseminaren innerhalb weniger Tage durchzuführen. Einfach strukturierte Planspiele können sogar nur wenige Stunden in Anspruch nehmen. Überlegenswert ist auch die Möglichkeit, das Planspiel als eine Art Event zu veranstalten. Das Planspiel wird dann extern innerhalb von etwa zwei bis drei Tagen durchgeführt, wobei die Teilnehmer in der Regel am Veranstaltungsort übernachten. Tagungshotels bieten beispielsweise die nötige Infrastruktur zur Durchführung eines Planspiels. Dieses Seminarkonzept bietet eine besonders intensive Lernatmosphäre und wird oftmals von den Teilnehmern als besonderes Erlebnis empfunden. Dabei sind jedoch die durch den Wechsel der Örtlichkeit anfallenden höheren Kosten zu beachten. Planspiele können auch über einen längeren Zeitraum, z. B. über mehrere Monate gespielt werden. Die regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen können dann z. B. für Theorieeinheiten, das gemeinsame Besprechen der Periodenergebnisse und andere Arbeitsaufträge genutzt werden. Die Teilnehmer haben bei dieser Variante genügend Zeit, ihre jeweiligen Entscheidungen vorzubereiten; der Zeitdruck für die Teilnehmer ist in der Regel nicht so hoch wie bei Blockseminaren. Es ist jedoch zu bedenken, dass sich die Lernenden, im Gegensatz zu Blockseminaren, gegebenenfalls nicht so intensiv mit dem Planspiel beschäftigen. Darüber

216

Britta Rathje

hinaus besteht die Gefahr, dass das Planspiel im Schüler- bzw. Studierendenalltag hinter anderen Fächern oder sonstigen Pflichten zurücktritt. Notengebung Oft muss der Dozent nach Abschluss des Seminars Noten vergeben. Auch dabei stehen wieder verschiedene Möglichkeiten offen: 





Es kann eine Klausur, d. h. eine schriftliche Prüfung im klassischen Sinne, konzipiert werden. Dies bietet sich vor allem dann an, wenn die Theorieeinheiten Hauptbestandteil des Unterrichts sind und das Planspiel zur Veranschaulichung oder Vertiefung des behandelten Stoffes genutzt wird. Es können alternative Prüfungsformen, wie das Verfassen von Hausarbeiten und/oder Präsentationen vereinbart werden. Beispielsweise kann von den Teilnehmern die Organisation einer Jahreshauptversammlung verlangt werden. In dieser Jahreshauptversammlung müssen die Teams darlegen, wie ihre Strategie konzipiert ist, ob die selbst gesteckten Ziele erreicht wurden, wie sich das Unternehmen in der Vergangenheit entwickelt hat und wie die Perspektiven für die Zukunft aussehen. Die Benotung der eigentlichen Spielleistung selbst ist ebenfalls möglich. Dazu müssen allerdings vor Beginn des Planspiels klare Regeln und Benotungskriterien geschaffen und an die Teilnehmer kommuniziert werden. Die Benotung der Spielleistung kann zu einer noch höheren Motivation der Beteiligten führen. Bei weniger erfolgreichen Teams kann dies jedoch auch in einer eher demotivierenden Wirkung enden. Die Autorin selbst hat gute Erfahrung mit der Vergabe von Bonuspunkten gemacht (z. B. verbessern die Teilnehmer des Gewinner-Teams ihre Note um 0,3, also beispielsweise von 2,0 auf 1,7). Damit ist die Motivation aller Lernenden sichergestellt, ohne dass es zu verkrampften Aktivitäten aufgrund zu hohen Notendrucks kommt.

17.4

Kritische Analyse

Vorteile Die Teilnehmer können praktische Erfahrungen als Manager anhand des virtuellen Unternehmens sammeln. Es besteht dabei die Möglichkeit, Extrementscheidungen auszuprobieren oder kreative Strategien umzusetzen, ohne dass ein real existierendes Unternehmen unter solchen risikobehafteten Entscheidungen leiden müsste. Grundsätzlich führen diese praktischen Erfahrungen zu einer höheren Motivation und zu einem nachhaltigen Lernerfolg. Die Auseinandersetzung mit realitätsnahen Problemstellungen erfordert eine aktive Mitarbeit der Lernenden. Nach Erkenntnissen der Lernpsychologie können durch einen auf Aktivität ausgerichteten Lernprozess bessere Lernerfolge erzielt werden als durch die passive Aufnahme von Informationen im Rahmen einer klassischen Vorlesung im Vortragsstil. Insbesondere die Vermittlung von Transferwissen und die Schulung von vernetztem Denken werden durch dieses problembasierte Lernen gefördert.264 Auch die Arbeit im Team kann motivierend wirken, da das Lernen nicht mehr nur als individueller Entwicklungsschritt aufgefasst wird, sondern durch die Interaktion im Team in einem 264

Vgl. Cron, Langner, 2011, S. 22 f.; Hitzler, Zürn, Trautwein, 2011, S. 110

17 Unternehmensplanspiele

217

bestimmten sozialen Umfeld stattfindet. Interdisziplinär zusammengesetzte Teams schulen zudem die Kommunikationsfähigkeiten und erlauben den Teilnehmern über den „Tellerrand“ der eigenen Fachrichtung zu schauen.265 Herausforderungen Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Einsatz eines Planspieles die Umsetzung der genannten Chancen und Lernziele garantiert. Gerade problemorientierte Lernumgebungen können bei den Teilnehmern zu einer Überforderung und damit zu einer demotivieren Wirkung führen. In dieser Hinsicht befinden sich die Lehrenden in einem Spannungsverhältnis: Einerseits sollen Planspiele möglichst realitätsnah ausgestaltet werden. Ein nahe an der Realität ausgelegtes Planspiel beinhaltet aber gleichzeitig eine hohe Komplexität und eine hohe Entscheidungsvielfalt, die von den Teilnehmern zu bewältigen ist. Diese Komplexität kann zur Überforderung führen, u. a. weil Ursache- und Wirkungsbeziehungen kaum noch klar aufgedeckt werden können. Die Rolle des Seminarleiters besteht in dieser Situation darin, die Komplexität durch entsprechende Instruktionen und unterstützende Maßnahmen zu minimieren. Dagegen führt das Zurückgreifen auf einfachere Planspiele nicht immer zum gewünschten Motivationserfolg, denn bei einfach strukturierten Simulationen geht die Realitätsnähe verloren und die unternehmerischen Herausforderungen sinken, was sich wiederum negativ auf den Kompetenzerwerb auswirken kann. Der Seminarleiter muss daher in Abhängigkeit von der Zielgruppe sowohl die Art des Planspiels als auch seine unterstützenden Maßnahmen so auswählen, dass sich die Teilnehmer weder unter- noch überfordert fühlen.266 Auch die Zusammensetzung der einzelnen Gruppen besitzt Einfluss auf die Motivation und somit auf den Lernerfolg: Interdisziplinarität kann stimulierend wirken. Eine große Heterogenität bezüglich der fachlichen Herkunft und dem Qualifikationsniveau der Teilnehmer kann jedoch ebenso zu einem Ungleichgewicht innerhalb eines Teams führen und somit den Lernprozess behindern. Die plakative Aussage, dass Planspiele die Sozialkompetenz durch das Arbeiten im Team fördere, gilt per se nicht für alle Teilnehmer, da dies bei den Lernenden einen sozialen Entwicklungsprozess voraussetzt; es sind aber nicht alle Teilnehmer fähig oder willens, sich auf diesen Entwicklungsprozess einzulassen. Nicht unterbewerten darf man außerdem den recht hohen Zeit- und Kostenaufwand, der mit dem Einsatz eines Unternehmensplanspieles verbunden ist.267

265 266 267

Vgl. Trautwein, 2011, S. 74 ff. Vgl. Trautwein, 2011, S. 85 Vgl. Geier, 2006, S. 74

218

Britta Rathje Zusammenfassung Unternehmensplanspiele

Kurzbeschreibung

Es wird ein Unternehmen simuliert. Die Lernenden übernehmen eine Rolle innerhalb dieses Unternehmens.

Vorgehen

       

Auswahl eines Planspiels in Abhängigkeit von der Zielgruppe Zeitliche und inhaltliche Konzeption des Planspiels Einführung in das Planspiel Bildung von Spielgruppen Entscheidungsfindung innerhalb der Gruppen Entscheidungsabgabe Ggf. Marktsimulation durch den Spielleiter Rückkopplung und Analyse der Ergebnisse

Lernziele

   

Wiederholung und Vertiefung von Fachwissen Förderung vernetzten Denkens Förderung zielorientierten Handelns Förderung der Sozialkompetenz

Voraussetzungen

 

Kauf bzw. Selbstentwicklung eines passenden Planspiels Bei computergestützten Planspielen: für jede Spielgruppe einen PC bzw. Laptop Bei internetbasierten Planspielen: zusätzlich für jede Spielgruppe einen Internetzugang Ausreichend Räumlichkeiten: idealerweise für jede Spielgruppe eine Rückzugsmöglichkeit

  Literatur und hilfreiche Links

 

Trautwein, Friedrich; Hitzler, Sebastian; Zürn, Birgit (Hrsg.):, Planspiele – Entwicklungen und Perspektiven: Rückblick auf den Deutschen Planspielpreis 2010, Norderstedt 2010 www.sagsaga.org (Homepage der Gesellschaft für Planspiele in Deutschland, Österreich und Schweiz e.V.)

17 Unternehmensplanspiele

17.5

219

Literatur

Ballin, D., Entwicklung von computergestützten, kundenspezifischen Planspielen, in: Planspiele in der beruflichen Bildung: Abriss zur Auswahl, Konzeptionierung und Anwendung von Planspielen, hrsg. von: Blötz, U., 4. Aufl., Bonn 2008, S. 171–191 Blötz, U., Das Planspiel als didaktisches Instrument, in: Planspiele in der beruflichen Bildung: Abriss zur Auswahl, Konzeptionierung und Anwendung von Planspielen, hrsg. von: Blötz, U., 4. Aufl., Bonn 2008, S. 13–27 Cron, C.; Langner, F., Spielend lernen! Zur Didaktik von Lernspielen am Beispiel der Wettbewerbspolitik, in: Ökonomie spielerisch lernen: Kompetenz gewinnen. Spiele, Rollenspiele, Planspiele, Simulationen und Experimente, hrsg. von Jacobs, H., 2. Aufl., Schwalbach i.Ts. 2011, S. 20–27 Geier, B., Evaluation eines netzbasierten Unternehmensplanspiels: Eine problemorientierte Lernumgebung für die kaufmännische Aus- und Weiterbildung, Inaugural-Dissertation, Ludwig-MaximiliansUniversität München 2006 Geuting, M., Soziale Simulation und Planspiel in pädagogischer Perspektive, in: Simulation und Planspiel in den Sozialwissenschaften – eine Bestandsaufnahme der internationalen Diskussion, hrsg. von Herz, D.; Blätte, A., Münster 2000, S. 15–62 Hitzler, S.; Zürn, B.; Trautwein, F., Optimierung und Intensivierung des Einsatzes von Planspielen an Hochschulen, in: Planspiele – Qualität und Innovation: Neue Ansätze aus Theorie und Praxis, hrsg. von: Hitzler, S.; Zürn, B.; Trautwein, F., Norderstedt 2011, S. 101–125 Labusch, A.; Hornbruch, H., Mouse Coat – Der Mantel für die Maus. Zweisprachige Lern-stationen zur Produkteinführung auf dem europäischen Markt, in: Ökonomie spielerisch lernen: Kompetenz gewinnen. Spiele, Rollenspiele, Planspiele, Simulationen und Experimente, hrsg. von Jacobs, H., 2. Aufl., Schwalbach i.Ts. 2012, S. 36–44 Thomas, J., Leitfaden zur Erstellung eines Seminarkonzepts mit Planspielen, in: Planspiele – Entwicklungen und Perspektiven: Rückblick auf den Deutschen Planspielpreis 2010, hrsg. von Trautwein, F.; Hitzler, S.; Zürn, B., Nordersted 2010, S. 71–86 Trautwein, C., Unternehmensplanspiele im industriebetrieblichen Hochschulstudium: Analyse von Kompetenzerwerb, Motivation und Zufriedenheit am Beispiel des Unternehmensplanspieles TOPSIMGeneral Management II, Wiesbaden 2011

18

RealityPlanning Anett Mehler-Bicher, Michael Reiß, Jochen Schenscher, Lothar Steiger

„Es geht nicht darum, die Zukunft vorherzusagen, sondern auf die Zukunft vorbereitet zu sein.“ (Perikles) Unternehmen stehen ständig vor der Herausforderung, Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Dabei stellt sich die Frage, warum einige Unternehmen wachsen, während andere im Wettbewerb zurück bleiben. Der entscheidende Unterschied liegt in der Innovationskraft eines Unternehmens. Sie zeichnet sich durch eine anhaltend hohe Innovationsrate aus, die einher geht mit echter Relevanz der Innovationen. Als Methode zur marktorientierten Planung von unternehmerischen Vorhaben bietet RealityPlanning vielfache Einsatzmöglichkeiten. Ein Schwerpunkt dabei ist die Sensibilisierung für Innovation als treibende Kraft für unternehmerische Weiterentwicklung. Im Folgenden wird aufgezeigt, wie Studierende mittels RealtiyPlanning Innovationskompetenz erlangen können und wie in Unternehmen Innovationsdynamik gefördert werden kann.

18.1

Was ist RealityPlanning?

RealityPlanning bezeichnet die entscheidungsorientierte, individuelle, konzeptionelle Planung unternehmerischer Ideen oder konkreter unternehmerischer Vorhaben bezogen auf den jeweils relevanten (realen) Markt.268 RealityPlanning orientiert sich an einem Regelkreismodell269. Ausgehend von der unternehmerischen Idee ist das Ziel, anhand der Unternehmenskonzeption eine fundierte Basis für eine „Stop-or-Go-Entscheidung“ und eine mögliche Umsetzung zu schaffen. 268 269

http://www.conceptem.de/businessplanning, 17.04.2013 Reiß, Michael; Schenscher, Jochen; Fischbach, Sven (2011): clever statt blauäugig – woran Unternehmen scheitern und was man dagegen tun kann, 1. Auflage, Mainz 2011

222

Anett Mehler-Bicher, Michael Reiß, Jochen Schenscher, Lothar Steiger

IDEE Müssen wir optimieren? Soll/Ist-Vergleich, Abweichungsanalyse Wir machen es! Umsetzung des Vorhabens

Wie machen wir es? Unternehmerische Konzeption

UMSETZUNG

UNTERNEHMENSKONZEPTION

START

Geht so nicht?! Modifizierung: Idee, Konzeption

So machen wir es! Plan: Anweisung zur Ausführung Wann machen wir es?

Abb. 18.1:

GESCHÄFTSPLANUNG

STOP OR GO

Machen wir es? Unternehmerische (und persönliche) Entscheidung

Regelkreis des RealityPlanning

RealityPlanning kann sowohl in der realen Anwendung im Unternehmen eingesetzt werden oder in der Aus- und Weiterbildung von Mitarbeiter/innen oder Studierenden: 

Im Unternehmen: Eingesetzt im frühen Stadium des Innovationsprozesses, als Instrument zur marktorientierten Einschätzung unternehmerischer Vorhaben, führt die RealityPlanning zu einem objektiven, nachvollziehbarem Screening und einer schnelleren Selektion der Vorhaben. Erfolgversprechende Vorhaben mit entsprechendem Potenzial werden zielsicher ausgewählt und verfolgt; weniger erfolgversprechende Vorhaben werden vernachlässigt und binden keine Ressourcen. Speziell die Potenzialeinschätzung führt im nächsten Schritt zu einer klaren Aufgabenstellung gegenüber den beteiligten Unternehmensbereichen wie z. B. Einkauf, F&E, Produktion, Vertrieb und Marketing. Die frühe Information und Interdisziplinarität reduziert gleichzeitig mögliche Konfliktpotenziale im Unternehmen. Eingesetzt in der Aus- und Weiterbildung führt die Methode zum tieferen Verständnis der Zusammenhänge im Unternehmen, zu einer besseren ökonomischen und marktorientierten Sichtweise, zu verstärkter interdisziplinärer Zusammenarbeit sowie zur Sensibilisierung für Innovation. Diese Aspekte stellen maßgebliche Grundlagen für die Entwicklung von Intrapreneuren (unternehmerisch denkende und betriebswirtschaftlich handelnde Mitarbeiter) dar.



An der Hochschule: Die Methode unterstützt die Sensibilisierung der Studierenden für unternehmerisches Denken und betriebswirtschaftliches Handeln sowie für marktorientierte Unternehmensführung. Sie führt zu notwendigen Einsichten, welche Anforderungen an Intrapreneure

18 RealityPlanning

223

und Entrepreneure gestellt werden. Weitere Themenfelder wie z. B. Controlling oder strategisches Management lassen sich zielorientiert verdeutlichen. Abgrenzung zu Unternehmensplanspielen Unternehmensplanspiele basieren oftmals auf einem theoretischem, eher „isolierten Ansatz“ (Unternehmen X produziert Y für Markt Z), so dass die Aktionen der Teilnehmer einem vordefinierten und damit eingeschränkten Handlungsrahmen unterliegen. RealityPlanning stellt stattdessen einen „integrierten Ansatz“ her. Die Aufgabenstellung kommt aus dem Unternehmen bzw. von dem Intrapreneur oder Entrepreneur selbst und integriert die realen internen und externen Rahmenbedingungen. Das involviert und motiviert die Teilnehmer in hohem Maße. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Unternehmensplanspielen und RealityPlanning besteht darin, dass die Ergebnisse aus RealityPlanning Niederschlag in der realen Unternehmensentwicklung finden können. Grundlegende Struktur von RealityPlanning RealityPlanning umfasst gemäß dem Regelkreis (vgl. Abb. 18.2) folgende Schritte: 

Gestaltung der unternehmerischen Idee Die Idee für das unternehmerische Vorhaben bildet den Ausgangspunkt und führt in die anschließende Phase der Unternehmenskonzeption. Die Frage „Wie machen wir es?“ bildet den gedanklichen Mittelpunkt für alle nachfolgenden unternehmerischen Aktivitäten. Nach und nach wird die Idee konzeptionell durchdacht, konkretisiert, reflektiert und überarbeitet. Das Ergebnis ist die Unternehmenskonzeption selbst; diese Phase endet mit einem unausweichlichen Entscheidungspunkt: die unternehmerische und persönliche Entscheidung für oder gegen das Vorhaben.



Die „Stop-or-Go-Entscheidung“ Hier wird entschieden, ob die bis dahin entwickelte Konzeption in dieser Form gestoppt werden soll oder marktfähig und für ökonomisch sinnvoll gehalten wird und umgesetzt werden soll („Machen wir es?“). Eine weitere Option besteht darin, die ursprüngliche Idee oder Konzeption zu verändern („Geht so nicht!“) und die Phase der Konzeption, ausgehend von der Idee, wieder neu zu beschreiten. Es hat sich gezeigt, dass eine fundierte Konzeption – vorgeschaltet und getrennt von der Geschäftsplanung – konzeptionelle Fehler im Businessplan und in der späteren Umsetzung vermeidet und somit die unternehmerische Entscheidung auf ein besseres Fundament stellt. Daraus ergibt sich ein wesentlicher Aspekt: Wird das Projekt in dieser Phase nicht weiterverfolgt, sind die nachfolgenden Arbeitsschritte hinfällig und Ressourcen können eingespart werden.



Die Geschäftsplanung Sie wird als Phase verstanden, die nach der grundsätzlichen unternehmerischen Entscheidung für das Vorhaben die Umsetzung vorbereitet. In der Praxis werden dazu große Teile der Konzeption verwendet und in die Umsetzungsplanung überführt, was die Aktivitäten, die interne Budgetierung, die Finanzierung sowie die konkrete Festlegung des Startzeitpunktes beinhaltet („So machen wir es!“). Sie findet ihren Abschluss mit der endgültigen Verabschiedung und dem Start der Umsetzung („Wir machen es!“).

224 

Anett Mehler-Bicher, Michael Reiß, Jochen Schenscher, Lothar Steiger Das Controlling des unternehmerischen Vorhabens Die in der Umsetzung entstandenen Erkenntnisse und Erfahrungen sowohl positiver wie negativer Art fließen in Form des Soll/Ist-Vergleichs in das Vorhaben ein. Dieser konzeptionelle Rückkopplungs-Prozess ist ständig aktiv und kann durchaus Rückwirkungen auf die Konzeption oder sogar die Ursprungsidee haben („Müssen wir optimieren?“).

Ausgestaltung mit Conceptem – Grundsätzlicher Aufbau Das Strategie- und Steuerungssystem „Conceptem“ wurde von Praktikern unterschiedlicher Disziplinen methodisch-didaktisch entwickelt und im praktischen Einsatz evaluiert, um RealityPlanning strukturiert und effizient durchführen zu können. Das System besteht aus einzelnen Elementen, die miteinander verknüpft sind und aufeinander aufbauen.

IDEE

1. Entwicklung der Konzeption

2. Verdichtung in den „Idealen Weg“

START

5. Geschäftsplanung (Umsetzungsplanung)

Abb. 18.2:

3. Auswertung Ableitung der Zahlenwerke aus dem „Idealen Weg“

STOP OR GO

4. Strategische Reflexion gegen die eigene Planung

Reality Planning in der praktischen Anwendung mit Conceptem

Die Ausgestaltung regt notwendiges integrierendes Denken an: Illustrationen und spielerische Elemente fördern Kreativität, der Übergang in die ökonomischen Zahlenwelten wie Umsätze und Kosten, Analysen und Auswertungen findet fließend statt. Um einen breiten Zugang auch für Nicht-Ökonomen zu ermöglichen und sprachliche Barrieren abzubauen, wurde die Fachterminologie weitgehend reduziert. Dem Einsatz bei Ökonomen steht das nicht entgegen, da diese die entsprechenden Fachbezeichnungen verwenden können. Abgrenzend zu ausschließlich virtuellen Angeboten integriert das Gesamtkonzept aus didaktischen Gründen haptische Elemente. Wechselnde haptische, visuelle und auditorische Ele-

18 RealityPlanning

225

mente fördern das Erlebnis und die Kommunikation miteinander; die virtuellen Elemente werden in den Abschnitten eingesetzt, in denen sie für das Ergebnis förderlich sind. Ein weiteres didaktisches Element ist es, Gedanken zur Erarbeitung der Konzeption im ersten Schritt handschriftlich zu skizzieren und festzuhalten. Weiterhin wird gefällten Entscheidungen durch die „Niederschrift“ eine entsprechende Verbindlichkeit eingeräumt. Besonders in der Teamarbeit ist diese Vorgehensweise vorteilhaft, um Übereinkunft zu erzielen. Abschnitt 1: Konzeptionelle Erarbeitung der Idee In der Konzeptionsphase werden alternative Strategien und Konzepte zur Zielerreichung unter dem Fokus der Marktorientierung erarbeitet, analysiert, diskutiert und reflektiert. Die aufeinander folgenden, methodisch angeordneten Bausteine navigieren dabei durch die Entwicklung der Konzeption. Abschnitt 2: Verdichtung der konzeptionellen Überlegungen zu einem „Idealen Weg“ Die bisher in der Konzeption erarbeiteten Alternativen werden in dieser Phase so verdichtet, dass ein „Idealer Weg“ zur Zielerreichung beschrieben wird. Systematik und Vorgehensweise unterstützen die Komprimierung, die Reflexion bisheriger Gedanken und sichern die Plausibilitätsprüfung hinsichtlich der vorliegenden Informationen und Einschätzungen. Abschnitt 3: Auswertungen Die reflektierte, inhaltlich überprüfte Konzeption wird in dieser Phase in Zahlen überführt. Die ökonomische Auswertung und Betrachtung erfolgt mit Hilfe der spezifischen Tabellenkalkulations-Vorlage.270 Neben der Investitions- und Finanzierungsplanung, der Rentabilitätsvorschau und Liquiditätsplanung werden betriebswirtschaftliche Kennzahlen und separate Plausibilitätsprüfungen berechnet, ausgewiesen und diskutiert. Abschnitt 4: Strategische Reflexion (BusinessCheck – Die ersten 1.000 Tage) Eine unternehmerische Entscheidung sollte aus mehreren Gründen auf den Prüfstand:   

Vermeidung von Fehlern im Vorfeld durch nochmaliges Nachdenken mit Abstand Erkennen von möglichen Informations- und Kompetenzdefiziten Relativierung von Einflüssen wie Gruppendruck und Gruppendynamik, Zeitdruck und Erfolgsdruck, weitere emotionale Einflüsse wie „schnell noch Steuern sparen“ und „Förderungen nutzen“ oder Stress in Krisensituationen bis hin zu persönlichen Aspekten. Um diesen Gefahren bewusst zu begegnen, wird der „BusinessCheck – Die ersten 1.000 Tage“ als strategische Reflexion vor der Entscheidung „Stop or Go“ gezielt eingesetzt.

270

http://www.conceptem.de/conceptem, 17.04.2013

226

Abb. 18.3:

Anett Mehler-Bicher, Michael Reiß, Jochen Schenscher, Lothar Steiger

BusinessCheck – die ersten 1.000 Tage (Brettspiel)

Dazu werden die Ziele der Unternehmung in den BusinessCheck übertragen und „Die ersten 1.000 Tage“ des eigenen Vorhabens im relevanten Markt durchgespielt und somit reflektiert. Zufallsgesteuert werden Situationen am Markt herbeigeführt, die unternehmerische Entscheidungen verlangen. Die Situationen basieren auf statistisch belegten unternehmerischen Problemfeldern. Die strategische Reflexionsphase „BusinessCheck“ wird in Form eines Brettspiels oder als digitale Version auf dem Tablet angeboten. Der Tablet-BusinessCheck ist so konzipiert, dass Inhalte unkompliziert auf die individuellen Anforderungen verschiedener Zielgruppen ausgerichtet oder spezifisch auf einzelne Unternehmen zugeschnitten werden können. Abschnitt 5: Geschäftsplanung In der Phase der Geschäftsplanung wird die Entscheidung für den Startzeitpunkt getroffen und der Start entsprechend vorbereitet. Dazu gehört zwingend die Erstellung des Geschäftsplans, der als internes Papier für das Unternehmen verstanden wird. Dieser beschreibt die Vorgehensweise bis hin zu notwendigen Details, die zur Steuerung des Unternehmens dienen. Wird Fremdkapital benötigt oder müssen Dritte involviert werden, wird in dieser Phase auch der Businessplan zielgruppenspezifisch erstellt. Die Gliederung dafür liegt in digitaler Form vor. Für den Übergang der Planung in die Umsetzung und um für das notwendige Controlling zu sensibilisieren, wurde der 1.000-Tage-Planer entwickelt. Dieser ermöglicht die Übertragung der Ziele und der wichtigsten Schritte zur Zielerreichung. Er erinnert an die regelmäßig durchzuführende Abweichungsanalyse und die Steuerung der Zielerreichung zu bestimmten Meilensteinen.

18.2

Lernziele

Wesentliche inhaltliche Lernziele sind: 

die Vermittlung einer methodischen Vorgehensweise zur marktorientierten Entwicklung eines unternehmerischen Vorhabens unter realistischen Bedingungen,  dessen ökonomische Bewertung und  das Treffen einer fundierten Entscheidung. Dabei finden zwei parallel ablaufende Prozesse statt, der strategische und der didaktische Prozess. Im Mittelpunkt des strategischen Prozesses steht das unternehmerische Vorhaben mit der Fragestellung, in welcher Ausgestaltung es sich künftig im Markt durchsetzen könnte. Im

18 RealityPlanning

227

Verlauf des Prozesses werden die marktorientierte Entwicklung des Vorhabens sowie dessen möglicher ökonomischer Erfolg konzipiert. Einzelne Abschnitte verlangen unterschiedliche Perspektiven des Strategen. Mehrfach muss die Perspektive zwischen Marktsicht und Unternehmenssicht gewechselt werden. Beide Sichtweisen müssen im Verlauf kombiniert werden. Dieser Perspektivenwechsel und die Kombination verstärken das Verständnis für den Markt und den Kunden.

Vorhaben & Zielvorstellung

Strategischer Prozess UNTERNEHMUNG

Didaktischer Prozess INTRAPRENEUR ENTREPRENEUR

Perspektivenwechsel

erweiterte Wahrnehmung

Markt Zielgruppen Konkurrenz

Wissen Einstellung Kompetenzen

Entscheidung „Stop or Go“

Abb. 18.4:

Strategischer und didaktischer Prozess

Parallel erweitert der didaktische Prozess die Wahrnehmung der Beteiligten, wobei das unternehmerische Vorhaben selbst der „emotionale Träger“ für nachhaltiges Lernen wird: 

Wissen wird vermittelt, da eine intensive Beschäftigung mit dem Vorhaben stattfindet, bezogen auf die Unternehmung und den relevanten Markt. Durch die Impulse der Coaches und die spezifischen, individuellen Diskussionen rund um das Vorhaben wird zudem externes Wissen hinzu geführt.  Kompetenzen wie z. B. unternehmerisches Denken, betriebswirtschaftliches Handeln, Interdisziplinarität, soziale Kompetenzen werden gefördert.  Einstellungen werden bewusst(er) gemacht: Dazu gehören z. B. Offenheit für Wissensteilung, für neue Perspektiven, Interdisziplinarität, strategische Reflexion, Respekt vor der Leistung anderer. In den beiden Prozessen soll integrierendes Denken gefördert werden. Weiterhin soll erkannt werden, dass die Erarbeitung einer fundierten Konzeption ein hohes Maß an Kreativität, visionäres Denken, Abstraktionsvermögen, das Erfassen von Komplexitäten und Intuition verlangt, wobei gleichzeitig analytisches und strategisches Denken gefordert ist.

228

Anett Mehler-Bicher, Michael Reiß, Jochen Schenscher, Lothar Steiger

18.3

Praktische Durchführung

Unternehmer (Intrapreneure und Entrepreneure) werden fortwährend vor Entscheidungen gestellt, die unter Zeitdruck sowie unter Berücksichtigung der Komplexitäten des Unternehmens und den Unsicherheiten des Marktes zu fällen sind. Die Methode RealityPlanning zielt darauf ab, durch strukturiertes Denken Fehler im Vorfeld von Entscheidungen zu vermeiden und mögliche Wirkungen der unternehmerischen Entscheidung bewusst zu machen. Praktische Durchführung in Hochschulen An der Fachhochschule Mainz werden seit 2004 im Fachbereich Wirtschaft und seit 2006 im Fachbereich Technik ganzsemestrige Seminare „RealityPlanning mit Conceptem“ durchgeführt. Das Seminar wird insbesondere bei Studierenden angeboten, die berufsintegrierend studieren, also parallel zum Studium einer angestellten Berufstätigkeit in größeren Unternehmen nachgehen. Ablauf, Methodik und Didaktik des Seminars gestalten sich wie folgt: 

Ideenfindung Die Studierenden werden im Vorfeld gebeten, über eine eigene unternehmerische Idee nachzudenken, wobei es sich um fiktive oder konkrete Überlegungen handeln kann. Die Vorhaben können sich auf die Unternehmensphasen Gründung, Launch eines Produktes, Expansion oder Nachfolgeplanung sowie Übernahme eines Unternehmens beziehen.

18 RealityPlanning  







229

Teamzusammenstellung Die Teams bestehen jeweils aus drei bis vier Studierenden. Die Teamzugehörigkeit wird per Los bestimmt, um neue Konstellationen herbeizuführen. Aufgabenstellung, Teamarbeit und Betreuung der Teilnehmer/innen Das Team einigt sich auf eine gemeinsame Idee und erarbeitet selbstständig seine Unternehmenskonzeption. Der Schwerpunkt des Seminars liegt auf dem intensiven Coaching der Teams und den damit verbundenen Diskussionen mit den Teammitgliedern hinsichtlich der strategischen, konzeptionellen und operativen Aspekte des jeweiligen Vorhabens im relevanten Markt. Daher werden die Studierenden grundsätzlich von mindestens zwei Coaches betreut: Die Coaches sind methodisch und didaktisch auf das Lehr- und Lernmaterial sowie auf das Seminarkonzept geschult und verfügen über ergänzendes Wissen, Erfahrungen, Kompetenzen und Perspektiven. Speziell für die Vermittlung von Entrepreneurship und Intrapreneurship wird aus Gründen der Authentizität darauf Wert gelegt, dass die Coaches über entsprechenden unternehmerischen Erfahrungshintergrund verfügen. Hilfreich sind weiterhin Kenntnisse aus der Organisation von Großunternehmen und KMUs (kleine und mittlere Unternehmen). Zusätzliche Impulse aus der Praxis Vorträge von Referenten aus der Unternehmenspraxis sind thematisch zugeordnet und zeigen aktuelle Problemstellungen und Lösungen aus dem unternehmerischen Alltag auf. Anschließend stehen die Referenten/innen den einzelnen Teams als Gesprächspartner zur Verfügung. Abschlusspräsentation Die Studierenden präsentieren ihre unternehmerische Entscheidung „Stop“ oder „Go“ vor einer hochkarätigen Jury aus Wirtschaft und Wissenschaft. Hier werden bewusst beide Optionen der Entscheidung zugelassen. Denn die Praxis zeigt, dass das Erkennen der Marktfähigkeit einer guten Idee ebenso wichtig ist wie das frühzeitige und richtige Erkennen einer nicht erfolgversprechenden Idee. Weiterführung in die praktische Umsetzung Die im Rahmen von RealityPlanning geprüften Ideen und Vorhaben werden zum Teil seitens der Studierenden als marktfähig eingestuft. Daraus entstand das Angebot an die Studierenden, ihre vorgeprüften Konzepte interessierten Gründer und Unternehmen vorzustellen und in Form einer Börse zum Verkauf anzubieten. Dieser Ansatz orientiert sich an der Vorgehensweise von Unternehmen, die eigene Konzepte nicht selbst realisieren, sondern anderweitig verwerten. Vor diesem Hintergrund startet 2007 die erste „concepticus – die nationale Börse für unternehmerische Ideen und Konzepte“. Sie wurde 2010 von „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichnet.271

Praktische Durchführung in Unternehmen Seine Stärke entfaltet das Konzept in der gezielten Zusammenarbeit der Bereiche „Human Resources“ und „Innovation“, was wir als eine Facette der „Strategischen Interdisziplinarität“ verstehen.

271

Fischbach, Sven; Reiß, Michael; Steiger, Lothar; Nagel, Patricia (2010): Fachhochschule Mainz und 1stCONCEPT gewinnen Auszeichnung als ausgewählter Ort 2010 bei „Deutschland – Land der Ideen“ in: Jahrbuch 2010/2011 der Fachhochschule Mainz, Fachbereich Wirtschaft, S. 16–18

230

Anett Mehler-Bicher, Michael Reiß, Jochen Schenscher, Lothar Steiger

Dabei geht es um die Steigerung der Innovationskraft; dies ist Grundvoraussetzung für ein Unternehmen, um sich auf die dynamischen Entwicklungen des Marktes auszurichten. Im Vordergrund steht die Relevanz der Innovationen, die durch die Qualität des Innovationsprozesses und der Mitarbeiter beeinflusst wird. Einer der wesentlichen Punkte dabei ist die Steigerung der Marktorientierung im Innovationsprozess und bei den Mitarbeitern sowie deren Entwicklung hin zu Intrapreneuren. Beeinflusst wird die Innnovationskraft weiterhin durch die Innovationsdynamik. Einen Teil der Dynamik lässt sich auf die Organisation und die Strukturen im Unternehmen zurückführen, die Innovation zulassen und fördern. Die wirkende Kraft hinter einer hohen Innovationsdynamik sind letztendlich die Mitarbeiter eines Unternehmens: Erst das Know-how, die Innovationsfreude und die Motivation der Mitarbeiter ermöglichen die erfolgreiche Einführung von Neuerungen. Um diese Aspekte zu forcieren, wird in der Spezifikation der unternehmerischen Idee als Aufgabenstellung auf das Unternehmen Bezug genommen. Die Auswahl der auf den Markt ausgerichteten Ideen kann über unterschiedliche Quellen des Unternehmens erfolgen, wie z. B. aus dem betrieblichen Vorschlagswesen, aus F&E oder vorgegebenen Suchfeldern der Führungsebene. Der prinzipielle Ablauf der Workshops erfolgt analog dem der Hochschule. Weitere Module wie themenrelevant zugordnete Vorträge durch Führungskräfte oder Experten/innen aus dem Unternehmen lassen sich ebenfalls integrieren, um zusätzliches Know-how einfließen zu lassen. Qualitätssicherung Im Rahmen von RealityPlanning stellt die Qualitätssicherung ein zentrales Element dar und umfasst zwei Facetten: 



Sie erfolgt über die verpflichtende Evaluation, die nach jeder Durchführung stattfindet. Regelmäßig fließen daher Erfahrungen und Erkenntnisse aus den Evaluationen der Vorlesungen, den Seminaren in Unternehmen sowie aus den Bereichen Beratung und Coaching im unternehmerischen Bereich ein. Weiterhin unterstützt ein Fachbeirat die pädagogische und betriebswirtschaftliche Diskussion zur dynamischen Weiterentwicklung. Er setzt sich aus Hochschullehrer/innen, Pädagogen/innen, Steuer- und Unternehmensberater/innen mit Schwerpunkten in unterschiedlichen Disziplinen der Betriebswirtschaft und Rechtsanwälten zusammen.

18.4

Kritische Analyse

Die Stärken des Konzeptes liegen in der nachhaltigen Vermittlung der Lernziele aus dem strategischen und didaktischen Prozess. Durch den „integrierten Ansatz“, der auf die Vermittlung von theoretischem Wissen anhand von realistischen, selbst definierten Anwendungen setzt und somit Interesse und Motivation der Teilnehmer weckt, werden komplexe Sachverhalte in überschaubarer Zeit wirkungsvoll vermittelt und erfasst. Aus Sicht der Teilnehmer/innen werden exemplarisch folgende Stärken genannt:  

„Alles wird spielerisch erarbeitet.“ „Eine Veranstaltung, die Kreativität fordert und zulässt.“

18 RealityPlanning     

231

„Kompetente Beratung, die durch kritisches Hinterfragen oft auf nicht bedachte Punkte hingewiesen hat.“ „Selbstständiges Arbeiten und Handeln. Der Lernerfolg war zu spüren. Klasse.“ „Im Laufe des Nachdenkens werden Prozesse/Abläufe klar, kritisches Hinterfragen von selbstverständlichen Annahmen.“ „Vielseitig. Marketing, Planung, Controlling, Rechnungswesen. Alles findet zusammen.“ „Zeigt Probleme zwischen Ideenentwicklung und Umsetzung.“

Eine weitere wesentliche Besonderheit von RealityPlanning ist die mögliche Verwendung der erarbeiteten Ergebnisse in der unternehmerischen Realität. Vorteile und Herausforderungen aus Sicht der Hochschulen Vor- und Nachteile des Konzeptes für Bildungseinrichtungen werden differenziert nach den unterschiedlichen Zielgruppen betrachtet: 





Aus Sicht der Lernenden werden Kritikpunkte wie „Hohe Arbeitsintensität“ und „Hoher Termindruck“ sowie „Entscheidung bei Informationsmangel“ genannt. Diese Punkte entsprechen jedoch in großem Maße der Realität der Arbeitswelt, wo häufig in kurzer Zeit fundierte Aussagen und Entscheidungen getroffen werden müssen, was den Teilnehmern hierbei bewusst gemacht wird. Die Lernenden partizipieren von der fächerübergreifenden Verzahnung und der Verbindung zwischen Theorie und Praxis, die auf eine hohe Anwendungsrelevanz hinsichtlich der Verknüpfung von Studium und Beruf zielt. Die gelernte Vorgehensweise kann direkt in der beruflichen oder selbstständigen Praxis angewendet werden. Das pädagogische Konzept unterscheidet sich deutlich in seiner Handhabung vom klassischen Frontalunterricht. „Unternehmerisches Denken und Handeln“ wird am eigenen Beispiel erlebt und dadurch ein hohes Commitment erzielt. Die Ausrichtung auf kleine Teams, die weitgehend freie Zeiteinteilung, die Hinführung zu Kooperation und Kommunikation sowie weitere Aspekte sozialer Kompetenz erzielen hohe Motivation, die den Lernerfolg positiv beeinflusst. Für Eigeninitiative und Eigenverantwortung, für das Denken in Netzwerken, für Interdisziplinarität auch im Sinne von Gender und Demografie wird sensibilisiert, selbstgesteuertes Lernen und Handeln wird gefordert, Kreativität und integrierendes Denken werden gefördert. Die Vorteile für die Hochschule ergeben sich aus dem modernen und attraktiven Vorlesungsangebot, dem Ausbau der Kompetenzen und der Möglichkeit der positiven Außendarstellung. Die Umstellung von Frontalunterricht auf die Vermittlung von Wissen in der direkten Diskussion ist eine zukunftsorientierte Vorlesungsform. Die Integration von Praktikern unterstützt den besseren Zugang zu Unternehmen, bedingt jedoch einen höheren Organisationsaufwand. Als nachteilig könnte der erhöhte Einsatz von Lehrpersonal sowie der Materialeinsatz verstanden werden, wobei die Lehrerfolge den Aufwand relativieren.

Vorteile und Herausforderungen aus Sicht der Unternehmen Der vorrangige Nutzen für Unternehmen liegt in der  

verbesserten Marktorientierung, Qualifizierung der Mitarbeiter als treibende Kraft von Innovationen,

232 

Anett Mehler-Bicher, Michael Reiß, Jochen Schenscher, Lothar Steiger

frühzeitigen Betonung der Marktorientierung im Innovationsprozess und in der dadurch möglichen Effizienzsteigerung. Die zielgerichtete Zusammenarbeit der für „Innovation“ und „Human Resources“ zuständigen Bereiche im Unternehmen hat sich erfahrungsgemäß bisher nur in Ansätzen durchgesetzt. Dieses Feld der Zusammenarbeit („Strategische Interdisziplinarität“), ist jedoch für die Innovationskraft maßgeblich. RealityPlanning setzt auf diese Zusammenarbeit zur Anregung der Innovationsdynamik im Unternehmen. Zur Durchsetzung ist eine gewisse Anzahl von Mitarbeitern nötig, die mit der Denk- und Vorgehensweise von RealityPlanning vertraut sind, um unter anderem das Kooperationsmanagement gezielt zu fördern.

18 RealityPlanning

233 Zusammenfassung RealityPlanning

Kurzbeschreibung

Reale unternehmerische Ideen in unterschiedlichen Reifephasen (fiktiv bis definiert) werden als Aufgabenstellung formuliert. Im Team wird eine marktorientierte Unternehmenskonzeption erarbeitet und das Vorhaben auf Marktfähigkeit geprüft. Zum Abschluss wird die Entscheidung „Stop or Go“ präsentiert. Bei einer positiven Einschätzung eines Vorhabens kann dies weiter in die Umsetzung gebracht werden.

Vorgehen

    

Festlegen der Ziele Generieren vorhandener oder neuer unternehmerischer Ideen und Vorhaben Zusammenstellung der Teams Erarbeitung einer marktorientierten Konzeption für das jeweilige Vorhaben durch die Teams mit dem Strategie- und Steuerungssystem CONCEPTEM® Präsentation der Entscheidung „Stop“ oder der Entscheidung „Go“ durch jedes Team

Lernziele



Marktorientierung: Unternehmerisches Denken und betriebswirtschaftliches Handeln als Intrapreneure oder Entrepreneure unter realen Bedingungen.

Voraussetzungen

  

Zertifizierte Conceptemcoaches Ein Strategie- und Steuerungssystem Conceptem pro Team Rechner für den Einsatz der CD-ROM sowie Internetzugang für jedes Team Je nach Teilnehmer-Zahl ausreichend Räumlichkeit Ggf. Einbindung von themenorientierten Vorträgen

  Literatur und hilfreiche Links

Literatur 

Steiger, Lothar; Reiß, Michael (2005): Praxis meets Praxis, Unternehmenslern- und Planspiel IOXIOXIO – Die ersten 1.000 Tage in: Jahrbuch 2005/2006 der Fachhochschule Mainz, FB Wirtschaftswissenschaften, S. 40–41



Steiger, Lothar; Reiß, Michael (2007): IOXIOXIO – Erfolg durch Konzept in: Zeitschrift Update 5, Forschung & Wirtschaft, WS 07/08, Fachhochschule Mainz, FB Wirtschaftswissenschaften, S. 84–88

19

Durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel Ulrich Nissen

„Besonders gut hat mir die Bearbeitung des durchlaufenden Veranschaulichungsbeispiels gefallen, da man zunächst ohne genaues Hintergrundwissen an bestimmte Fragestellungen herangeführt wurde und sich die Lösungen selbst erarbeiten musste. Großer Lerneffekt bei dieser Methode.“ (Kommentar eines Studierenden in der Lehrevaluation des Moduls „Internes Rechnungswesen“ im Jahr 2008.) Die Ausbildung in der Betriebswirtschaftslehre sollte Kursabsolventen dazu befähigen, praktische Probleme zu lösen. Ein gutes einschlägiges Fachwissen gehört zweifellos dazu. Es reicht aber nicht, weil die konkreten betrieblichen Probleme in der Fachliteratur und in Lehrveranstaltungen allenfalls abstrakt und i.d.R. stark vereinfacht widergespiegelt werden. Insofern erscheint es notwendig, dass man an konkreten Problemen das Lösen übt, auch wenn relevantes Fachwissen noch nicht vorliegt.

19.1

Was ist ein durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel?

Nach intensiverer Auseinandersetzung mit dem Lehransatz des „Problem Based Learnings („PBL“ oder „POL“ [Problem-orientiertes Lernen])“272 begann ich im Jahr 2008, sukzessive auf dessen Grundlage eine Lehrkonzeption zu erarbeiten, die auch auf Großgruppen anwendbar ist und insbesondere auch Studierende des Grundstudiums zur aktiven Mitarbeit

272

Vgl. zum Begriff und zur Methode etwa Weber, 2007, S. 12 f.: „Ein mehr oder weniger komplexes, authentisches, für den Lernenden relevantes, interessantes und intrinsisch motivierendes Fallbeispiel bzw. ‚Problem‘, im Sinne des angelsächsischen Verständnisses von Schwierigkeit, bildet den Ausgangspunkt des Lernprozesses und führt zu einer aktiven Auseinandersetzung mit einem Wissensgebiet. „…“Mit Problem-BasedLearning, einer Form des problemorientierten Lernens, wird selbstgesteuert, nachhaltig und transferorientiert gelernt.“

236

Ulrich Nissen

animiert273. Die Lernenden sollten dabei sehr früh mit aufeinander aufbauenden Praxisproblemen anhand eines Fallbeispiels konfrontiert werden. Dieses Fallbeispiel wird von Beginn bis zum Ende des Lehrmoduls weiterentwickelt. Die Studierenden müssen die Probleme darin lösen, ohne zuvor Fachwissen oder bekannte Lösungsansätze vermittelt zu bekommen. Ich wählte dafür den Namen „Problemorientiert zu bearbeitendes, durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel“ oder kurz „PoDuVB“.

19.2

Lernziele

Ziel dieses Konzeptes ist, nicht nur die Aufmerksamkeit und den Memory-Effekt zu stärken, sondern auch eine ausgeprägte Problemlösungskompetenz zu entwickeln und Kreativität freizusetzen. Nach einem Versuch, ein vorgelegtes betriebliches Problem zusammen i. d. R. mit Sitznachbarn zu lösen, was meist nicht perfekt gelingt, findet ein Diskurs und die problemorientierte Vermittlung von Fachwissen und Lösungsvorschlägen statt. Der Frontalunterrichtsanteil wird dadurch auf ein Minimum reduziert. Das Methodenkonzept baut auf den Ideen des „Problem Based Learning“ (PBL) auf: Der Dozent ist nicht mehr der vorlesende Lehrmeister. Er ist vielmehr Moderator, fachlicher Ansprechpartner und Coach. Der Lernende ist dabei mehr als üblich gezwungen, sich selbst zu helfen. Meines Erachtens entspricht dieser Lehransatz der betriebspraktischen Realität deutlich stärker als das noch sehr verbreitete „Trichtermodell“. Im Unterschied zu klassischen Case Studies werden die Lernenden nicht vor, sondern nach Bearbeitung von Problemstellungen mit Fachkenntnissen versorgt und mit Lösungsansätzen konfrontiert. Die ausgeteilten Arbeitsmaterialien sind dabei so gestaltet, dass sie aufeinander aufbauen. Damit nimmt das Niveau der Aufgabenstellungen vom Beginn bis zum Ende einer Lehrveranstaltung sukzessive zu. Sollten Teilnehmer krankheitsbedingt oder aus anderen Gründen an einer Lehrveranstaltung nicht teilnehmen können, so ist es bei dieser Methodik besonders wichtig, den versäumten Stoff bis zur nächsten Veranstaltung nachzuholen, weil sonst die Gefahr besteht, den „Faden“ zu verlieren. Die zu bearbeitenden Beispiele behandeln aufeinander aufbauende Betriebssituation, die durchaus der Realität eines Unternehmens entsprechen könnten. Insofern simulieren die Lernenden Praxisgegebenheiten. Dabei versuchen sie, sich in die Rolle eines Mitarbeiters hineinzuversetzen, der nach und nach die Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens übertragen bekommt. Sie haben Entscheidungen zu fällen, Entscheidungen, die gut sind. Die folgenden Ausführungen veranschaulichen anhand zweier Beispiele die Vorgehensweise der Methodik. Sie machen deutlich, dass der Aufbau der Arbeitsmaterialien von entscheidender Bedeutung für die Wirkung ist. Im Anschluss daran wird daher auf die Anforderungen an die Arbeitsmaterialien eingegangen.

273

Von der üblichen Vorgehensweise des PBL durch Anwendung des so genannten „Siebensprungs“ (vgl. hierzu etwa Brezowar, 2007, S. 52 ff.) wurde abgesehen, weil die dazu notwendigen Rahmengegebenheiten bei Grundstudiumslehrveranstaltungen nicht vorliegen. Vgl. dazu etwa Olsowski, 2007, S. 178 ff.

19 Durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel

19.3

237

Praktische Durchführung

Einige Erläuterungen vorweg Die im Folgenden beispielhaft dargestellten Ausschnitte aus einem „durchlaufenden Veranschaulichungsbeispiel“ stammen aus der Lehrveranstaltung „Betriebswirtschaftliches Energiemanagement“. Die gesamte Lehrveranstaltung dient dazu, Lernende sehr anwendungsnah einerseits auf die spätere berufliche Praxis – hier insbesondere auf den Umgang mit Problemen des Kosten- und Energiemanagements, insbesondere des Energiekostenmanagements – vorzubereiten. Andererseits sollen sie mit der neuen Herausforderung „Zunahme der Energiekostenanteile in Unternehmen“ konfrontiert werden. Das „durchlaufende Veranschaulichungsbeispiel“ ist die Grundlage jener Lehrveranstaltung und wird dem eigentlichen Fach-Unterricht vorangestellt. Die Lernenden erhalten die Beschreibung einer betrieblichen Situation, die Probleme offenbart. Diese Probleme sind zunächst zu verstehen, auf Ihre Ursachen zu hinterfragen, um sie dann im nächsten Schritt, allein oder zusammen mit Sitznachbarn zu lösen (was i.d.R. nicht perfekt gelingt). Nach einer Bearbeitungszeit von 15 bis 20 Minuten findet ein Diskurs und die problemorientierte Vermittlung von Fachwissen und Lösungsvorschlägen statt. Bei den folgenden Darstellungen handelt es sich um Kopien der im Lehrmodul „Betriebswirtschaftliches Energiemanagement“ eingesetzten Arbeitsmaterialien. Vorgestellt werden der erste Abschnitt „Einführung in die Kostenberechnung der Wärmebereitstellung für ein Gebäude“ (Aufgabenstellung und Musterlösung) und der 30. Abschnitt „Energieadjustierte Kostenstellenrechnung“ (nur Aufgabenstellung ohne Musterlösung). Diese zeitlich versetzten Beispiele und das Weglassen der Musterlösung zum 30. Abschnitt sind bewusst so gewählt, um einen Eindruck im Hinblick auf die angewandte Methode zu vermitteln, ohne den Umfang dieses Kapitels zu sprengen. 1. Beispiel – Abschnitt 1: Einführung in die Kostenberechnung der Wärmebereitstellung für ein Gebäude Die folgende Abbildung stellt den Einstieg in das „durchlaufende Veranschaulichungsbeispiel“ dar. Sie beschreibt die Rahmengegebenheiten, in die sich die Teilnehmer hineinzudenken haben und umfasst ferner eine Hinführung zur ersten Aufgabe.

238

Ulrich Nissen

Worum geht es? Sie sind Geschäftsführer der UCosmetics GmbH, einem Unternehmen der Kosmetikindustrie, die vor allem im Hochpreissegment Seifenprodukte produziert. Aufgrund der zunehmenden Energiekosten, die in den letzten Jahren deutlich über der Preissteigerungsrate für Material und Personal lag und insofern zu einem zunehmenden Anteil der Energiekosten an den Gesamtkosten geführt hat, möchten Sie sukzessive das Thema Energie in Ihr Controllingsystem integrieren.

UCosm

e ti cs

Bisher hat man dies weitestgehend vernachlässigt. Eine verursachungsorientierte Verrechnung von Energiekosten hat jedenfalls bisher nicht stattgefunden. Sie möchten das ändern. Ihnen ist klar, dass Sie sich zunächst Qualifikationen in unterschiedlichen Energiebereichen, die Ihr Unternehmen betrifft, aneignen müssen. An der Technik kommen Sie dabei nicht vorbei. Sie werden sich zunächst mit Fragen (a.) der Energiebedarfsermittlung und -optimierung und mit Sachverhalten (b.) der Energiebereitstellung auseinander zu setzen haben, bevor Sie sich daran machen können, die Energiekosten zu optimieren und verursachungsgerecht zuzuordnen – das ist Ihnen klar. Insofern versuchen Sie, sich zunächst einmal darüber ein Bild darüber zu verschaffen, welche Energieflüsse in Ihrem Eigenheim zustande kommen, welche Kosten sie verursachen und wie Sie sie beeinflussen können. Sie beginnen damit, sich an einem kalten Wintertag die Frage zu stellen, wieviel Energie benötigt wird, um Ihr Haus auf Behaglichkeitstemperatur (20 °C) aufzuheizen. Hiermit beschäftigt sich der "1. Abschnitt". Sie stellen sich dabei vor, dass Sie in einem würfelförmigen Flachdach-Einfamilienhaus wohnen, das aus Vereinfachungsgründen zunächst einmal weder Türen noch Fenster aufweist, auf Stelzen steht, durch einen elektrischen Heizlüfter beheizt wird und perfekt isoliert ist. Diese Annahmen werden später nach und nach aufgegeben. Die folgenden Arbeitsunterlagen sind entwickelt worden, um den Zugang zum Energiekostenmanagement auf einfache und praxisorientierte Weise zu erleichtern. Die Beispiele sind Basis der Lehrveranstaltung. Sie illustrieren typische durchlaufende Kostenmanagementprobleme (diesmal mit Fokus auf Energiekosten), die gelöst werden sollen, ohne zuvor spezifische Fachkenntnisse vermittelt zu bekommen. Die Studierenden haben vielmehr ihre eigenen – selbsterarbeiteten – Lösungen zu erarbeiten. Nachdem eine Problemlösung oder Problemlösungsmethode entwickelt/erarbeitet worden ist (was i.d.R. nicht perfekt gelingt), werden die Arbeitsresultate und gemachten Erkenntnisse der Studierenden zusammengetragen, diskutiert, ggf. korrigiert und vervollständigt. Die Aufgabe des Dozenten ist hierbei, die Studierenden dabei zu unterstützen, eigene Wege zur Lösung von BusinessProblemen zu finden. Die Lehrmethodik ähnelt daher dem "Problem-Based-Learning". Nachdem ein jeweiliges Veranschaulichungsbeispiel abschließend bearbeitet worden ist, werden zusätzliche theoretische Informationen vermittelt und weitere praktische Beispiele präsentiert und besprochen. Die zu bearbeitenden Aufgaben sind so gestaltet, dass das Niveau vom Beginn bis zum Ende der Lehrveranstaltung sukzessive zunimmt. Sollten Sie krankheitsbedingt oder aus anderen Gründen an einer Lehrveranstaltung nicht teilnehmen können, so ist es bei dieser Methodik insofern von besonderer Wichtigkeit, den versäumten Stoff bis zur nächsten Veranstaltung nachzuholen, weil sonst die Gefahr bestünde, den „Faden“ zu verlieren.

Betriebswirtschaftliches Energiemanagement; Prof. Dr. Ulrich Nissen; WS 2012/2013

Abb. 19.1:

Einführung in das „Durchlaufende Veranschaulichungsbeispiel“, Hintergrundgeschichte

19 Durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel

239

1. Abschnitt: Abgrenzung des Begriffs Wärmemenge, Ermittlung von Aufheizkosten (a)

Welches sind die Haupteinflussparameter auf die Wärmemenge, die benötigt wird, um eine bestimmte Stoffmenge (hier Luft) auf ein höheres Temperaturniveau zu heben (unter der vereinfachten Annahme, dass es perfekt isoliert ist*)? Versuchen Sie sodann bitte, die Zusammenhänge durch eine mathematische Funktion darzustellen. Sie sollen also die ermittelten Einflussparameter funktional miteinander zu verknüpfen (z.B. ΔQ = A * B * C oder ΔQ = (A * B)/C) oder ΔQ = (A + B)/C oder …). Hilfreich ist dabei, sich zu fragen, wie sich wohl ΔQ verändern würde, wenn Parameter A anstiege u.s.f. (Formel 1.1).

(b)

Ermitteln Sie bitte die benötigte Wärmemenge für das Aufheizen des Hauses (unter der vereinfachten Annahme, dass es perfekt isoliert ist*).

(c)

Wir lange dauert das Aufheizen, bis die Solltemperatur erreicht ist?

(d)

Wieviel würde die Aufheizung (unter den gegebenen Annahmen*) kosten?

* Diese (unrealistischen) Annahmen werden später schrittweise aufgehoben.

Dichte der Luft ρLuft spez. Wärmekapazität Luft cLuft

1,29 kg/cbm 0,72 kJ/(kg*K)

1 Joule [J]

Modellhaus

1 Ws

Maße

Breite

10 m

Tiefe

10 m

Höhe

10 m

Außentemperatur Θa

0 °C

Innentemperatur Θi

20 °C

Leistung el. Heizlüfter

Eigenheim des Geschäftsführers

1.000 W

Kosten el. Strom

0,25 €/kWh 2

Stockwerke

200 qm

Nutzfläche AN

el. Heizlüfter

Formel 1.1: Wärmemenge für aufzuheizende Luft benötigte Wärmemenge ΔQ [kWh] =

Lösungen 1. Abschnitt Parameter

Wertangabe

benötigte Wärmemenge ΔQ [kWh] Kosten der Aufheizung [€] Aufheizdauer [h]

Betriebswirtschaftliches Energiemanagement; Prof. Dr. Ulrich Nissen; WS 2012/2013

Abb. 19.2:

Beschreibung der Aufgabenstellung zum Abschnitt 1 „Einführung in die Kostenberechnung der Wärmebereitstellung für ein Gebäude“

Das Arbeitsblatt wird den Kursteilnehmern ausgeteilt, ohne die Thematik vorher besprochen zu haben. Sie erhalten nun eine angemessene Arbeitszeit (bei diesem Beispiel etwa etwa 15 Minuten), sich mit der Problemstellung vertraut zu machen und Ideen zur Lösung der Fragen zu entwickeln. Anschließend werden die Ideen und Lösungsvorschläge gemeinschaftlich besprochen. Es wird versucht, zusammen korrekte Lösungen zu erhalten. Die Ergebnisse werden diskutiert und durch Praxisbeispiele untermauert. Am Ende wird eine Musterlösung

240

Ulrich Nissen

präsentiert, die i.d.R. – aber nicht immer – den gemeinsam erarbeiteten Lösungsideen entspricht. Muster-Lösungshinweise zum 1. Abschnitt Zu Aufgabe 1: Der Wärmeinhalt eines Stoffvolumens ist die bezogene Wärmeenergie, die ein Körper bei einer bestimmten Temperatur besitzt. Sie setzt sich zusammen aus • der Masse des Stoffes m [kg], • der Temperatur des Stoffes θ [K] und • einer Stoffkonstanten, der spezifischen Wärmekapazität des Stoffes c [kJ/(kg*K)].

Musterlösungen Aufgabe 1 Parameter

Wertangabe 1.292 kg

Die Masse des Stoffes m [kg]; hier VolumenLuft * DichteLuft Die Temperaturdifferenz ΔΘ

20 °C 0,72 kJ/(kg*K)

DIe Stoffkonstante "spez. Wärmekapazität" cLuft

Intuitiv ableitbar dürfte insofern sein, dass der Wärmeinhalt eines Stoffvolumens mit zunehmender Masse, mit zunehmender Temperatur und mit zunehmender spezifischer Wärmekapazität steigt. Funktional lassen sich die Zusammenhänge daher wie folgt darstellen:

Formel 1.1: Wärmeinhalt eines Stoffvolumens

Qi = c * m *θ

benötigte Wärmemenge:

Die Einheit für den Wärmeinhalt ist üblicherweise das Joule [J], welches sich über den Zusammenhang: 1 J = 1 Ws (vgl. rechte Tab.) oder 3.600 kJ = 1kWh leicht in kWh überführen lässt. Für technische und wirtschaftliche Berechnungen sind vor allem Änderungen des Wärmeinhalts, also die Deltas (Δ), relevant.

Formel 1.2: Benötigte Wärmemenge zur Aufheizung eines Stoffvolumens

ΔQi = c * m * Δθ

benötigte Wärmemenge:

Zu den Aufgaben 2, 3 und 4: Die Aufheizdauer ist abhängig von der Leistung der Heizanlage (hier vereinfachend elektrisch betriebener Heizlüfter). Je höher die Heizleistung, desto mehr Heizenergie kann pro Zeiteinheit übertragen werden, desto schneller verläuft die Aufheizung. Um beispielsweise 1 kWh Wärmemenge durch den 1 kW-Heizlüfter zu erzeugen, müsste der Lüfter eine ganze Stunde auf Volllast betrieben werden. Die Ergebnisse der Aufgaben 2 bis 4 können der folgenden Tabelle entnommen werden:

Musterlösungen Aufgabe 2, 3 und 4 Parameter

Wertangabe 1.000 cbm

Luftvolumen VLuft TempDiff. ΔΘ

20 °C

Dichte der Luft ρLuft spez Wärmekapazität Luft cLuft spez. L f

1,29 kg/cbm 0,72 kJ/(kg*K) 0,0001994 kWh/(kg*K)

Masse der Luft mLuft benötigte Wärmemenge ΔQ [kJ] benötigte Wärmemenge ΔQ [kWh]

1.292 kg 18.553,12 kJ 5,15 kWh

Kosten [€]

1,29€

Aufheizdauer [h]

5,15 h

Betriebswirtschaftliches Energiemanagement; Prof. Dr. Ulrich Nissen; WS 2012/2013

Abb. 19.3:

Musterlösungshinweise zum Abschnitt 1

Sobald keine Unklarheiten mehr vorliegen, wird der nächste – hierauf aufbauende – Abschnitt begonnen.

19 Durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel

241

2. Beispiel – Abschnitt 30: Energieadjustierte Kostenstellenrechnung Zwischenzeitlich sind 29 Abschnitte sukzessive von den Kursteilnehmern erarbeitet und diskutiert worden. Das durchlaufende Veranschaulichungsbeispiel hat sich entwickelt. Die Studierenden haben eine genaue Vorstellung von verschiedenen praktischen Sachverhalten des Energiemanagements/der Energiewirtschaft des Musterunternehmens und Wissen erworben bzw. sich regelrecht erarbeitet. Nun folgt – versetzt – die Überarbeitung der Kostenrechnung, zunächst einmal der Kostenstellenrechnung. Hierzu wird – als erster Schritt – der Energiefluss im Unternehmen aufgezeigt und die gegebene Struktur des bestehenden Kostenrechnungssystems vorgestellt. Danach verdeutlichen die dann folgenden Arbeitsunterlagen die gegebene Situation im Musterunternehmen. Die Lernenden sollen sich die Unterlagen im Detail ansehen und darüber mit ihren Sitznachbarn diskutieren. Ziel ist es zunächst, dass sie verstehen, wie das gegebene Kostenrechnungssystem aufgebaut. So können sie dann Prüfkriterien entwickeln, die ihnen helfen, eine Beurteilung herbeizuführen und Schwachstellen mit Blick auf die Berücksichtigung von Energieaspekten aufzuzeigen. Am Ende des Abschnitts sind Arbeitsfragen angeführt, die die Teilnehmer beantworten sollen. Die Fragen sollten so formuliert sein, dass sie die Lernenden leiten und anregen, selbständig und kreativ Problemlösungen zu entwickeln. Nach dieser Kreativphase werden dann die – wie in jedem Abschnitt – Lösungsentwürfe vorgestellt und diskutiert. Der Dozent hat dabei die Rolle, die Diskussion so zu steuern, dass im Zuge dessen weitere, bessere Lösungsideen entwickelt werden. Ferner gibt er/sie Hinweise aus der Theorie und Praxis, sodass am Ende der Diskussion eine gemeinsam erarbeitete, vollständige und korrekte Beantwortung der gestellten Arbeitsfragen möglich ist.

19.4

Kritische Analyse

Vorteile Die Erfahrungen mit dieser Methode in allen meinen Modulen seit bereits vier Jahren waren bisher sehr positiv. So konnten die Lehrevaluationsergebnisse – gerade auch in großen Pflichtlehrveranstaltungen – kontinuierlich verbessert und die Durchfallquoten reduziert werden. Die erwünschte Hauptwirkung der Methode – eine lang andauernde Abspeicherung von Fachwissen und das Verstehen von Zusammenhängen durch eigene praktische Erarbeitung – ließ sich an den Kommentaren in den Lehrevaluationen ablesen. Die Lernenden beurteilten diesen Lehransatz als besonders lehrreich und wirksam. Lernende empfinden diese Vorgehensweise zunächst als deutlich anstrengender (wenngleich auch interessanter), stellen häufig aber später im Rahmen der Klausurvorbereitung fest, dass dann – auf Grund des frühzeitigeren Erkenntniszuwachses – ein Entlastungseffekt entsteht. Ein weiterer Effekt ist, dass die Arbeitsatmosphäre deutlich ruhiger ist; die Lernenden sind konzentrierter bei der Sache und unterhalten sich seltener mit dem Sitznachbarn über Nebensächliches. Die Anwendung der Methodik führt zwangsläufig dazu, dass der Stoffumfang geringer als in einer vergleichbaren Frontalunterricht-Veranstaltung ausfällt (ca. 85% im Vergleich zum Standard). PBL-Studien der UNESCO zeigen, dass das Erlernte aber deutlich länger abgespeichert bleibt.

242

Ulrich Nissen

Herausforderungen Die Qualität des Arbeitsmaterials spielt bei den „Durchlaufenden Veranschaulichungsbeispielen“ eine wesentliche Rolle für den Erfolg, also für die Motivation und den Kenntniserwerb. Das Material muss so gestaltet sein, dass man die jeweils geschilderte betriebliche Problemlage schnell versteht, ohne zusätzliche Informationen hinzuziehen zu müssen. Die Arbeitsfragen am Ende eines jeweiligen Abschnitts sind dabei so zu formulieren, dass sie lösungsleitend wirken: Der durchschnittlich begabte Lernende soll in der Lage sein, eine plausible Antwort abzugeben (sie muss nicht zwingend korrekt sein), ohne sich mit der einschlägigen Fachliteratur zuvor auseinander gesetzt zu haben. Insofern müssen die Fragen auch die erwünschte Lösung klar verdeutlichen. Sie müssen eindeutig aufzeigen, was herausgefunden werden soll. Insofern ist es bisweilen zweckmäßig, versteckte Lösungshinweise zu geben. Die Fragen bzw. Aufgaben sollen nicht trivial, aber lösbar sein. Sie sollen zu intensivem Nachdenken anregen. Wichtig ist ferner, dass sie in eine Geschichte (das „Durchlaufende Veranschaulichungsbeispiel“) eingebettet sind und aufeinander aufbauen. Insgesamt kann ich aber nach mehr als vier Jahren festhalten, dass sich der hohe Arbeitseinsatz bei der Anfertigung der Arbeitsmaterialien gelohnt hat. Selbst in Fächern, die im Grundstudium in sehr großen Gruppen zu unterrichten sind und bisweilen unter einem Negativimage leiden (wie Internes Rechnungswesen), hat diese Methode sehr geholfen, Studierende mit zu Beginn ablehnender Haltung zu motivieren, in einigen Fällen für das jeweilige Thema sogar zu begeistern.

19 Durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel

19.5

243

Beispielhafte Arbeitsmaterialien

Beispiel – Abschnitt 30: Energieadjustierte Kostenstellenrechnung

30. Abschnitt: Energieadjustierte Kostenstellenrechnung

Verwaltungsgebäude UCosm

etics

Personal & Sonst.

Energieversorgung

Fabrik Lager Rohmat. & Halbzeuge

Maschine 1

Energieversorgung

Maschine 3

Energiefluß

INPUT

Materialfluß

Personal & Sonst.

Energiefluß-Diagramm Maschine 2

Energiekostenmanagement; Prof. Dr. Ulrich Nissen; WS 2012/2013

Abb. 19.4:

Energieflussdiagramm des Musterunternehmens

Lager Fertigprodukte

OUTPUT

244

Ulrich Nissen

Die Grafik auf der Vorseite ist der Startpunkt für unsere Untersuchungen. Sie illustriert den Energiefluß von UCosmetics. Auf dem Werksgelände befinden sich ein Verwaltungsgebäude und eine Fabrikhalle. In der Fabrikhalle finden Produktionsprozesse statt. Demzufolge ist ein Materialfluss gegeben. Parallel dazu haben wir es aber auch mit einem Energiefluss zu tun, der nicht nur die Produktionsprozesse (hier Maschinen 1 bis 3) in Gang hält, sondern auch den darüber hinausgehenden Energiebedarf deckt. Die folgenden zwei Tabellen verdeutlichen, dass es in den letzten Jahren beachtliche Energiepreissteigerungen gegeben hat. Aufgrund der Tatsache, dass diese Preissteigerungen deutlich über der Inflationsrate (hier insbesondere Preissteigerungsrate für Material und Personal) lagen, haben sie eine Auswirkung auf die Kostenstruktur des Unternehmens: Während in 2006 der Energiekostenanteil noch bei knapp 4% lag, ist er zwischenzeitlich (in 2012) auf über 6% angestiegen. Und da dies als Trend angesehen werden kann, muss das Unternehmen darauf reagieren. Kostenstruktur von UCosmetics 2006 Position

Wert [€]

Kostenstruktur von UCosmetics 2012

Kostenanteil

Position

4.816.670

Umsatz

-4.256.840

Gesamtkosten

Wert [€] -4.798.416

Gesamtkosten

-893.600

20,99%

Personalkosten

-2.905.770

68,26%

Materialkosten

Materialkosten ohne Energie

-2.740.210

64,37%

Energiekosten

-165.560

3,89%

-457.470

10,75%

559.830

100%

Personalkosten Materialkosten

Sonst. Kosten Ergebnis

Kostenanteil

5.298.337

Umsatz

-982.960

20,49%

-3.312.239

69,03%

Materialkosten ohne Energie

-3.014.231

62,82%

Energiekosten

-298.008

6,21%

-503.217

10,49%

499.921

100%

Sonst. Kosten Ergebnis

In der Vergangenheit waren die Energiekosten aus der Sicht der Kostenrechnung nie besonders relevant gewesen. Die Kostenanteile für Energie waren vergleichsweise niedrig. Aber das hat sich grundlegend geändert. Es ist vielmehr recht wahrscheinlich, dass der Energiekostenanteil des Unternehmens in der Zukunft weiter steigen wird; dies sogar überproportional, also exponentiell. Das Top-Management hat daher beschlossen, das Kostenrechnungssystem einer Überprüfung und ggf. einer Überarbeitung zu unterziehen. Es geht um die möglichst verursachungsgerechte Berücksichtigung der Energiekosten. Und es ist Ihr Job, diese Überarbeitung zu leiten. Als erste Aufgabe sollen Sie sich mit dem bisherigen System vertraut machen. Dazu sehen Sie sich bitte alle relevanten System-Elemente der folgenden Tabellen an und versuchen, die Berechnungsmethoden und die Zusammenhänge zu verstehen.

Energiekostenmanagement; Prof. Dr. Ulrich Nissen; WS 2012/2013

Abb. 19.5:

Beschreibung der Kostenrechnungsstruktur des Musterunternehmens (1)

Wesentliche Bestandteile des Kostenrechnungssystems (auf Teilkostenbasis) von UCosmetics Die folgenden zwei Tabellen verdeutlichen, wie bei UCosmetics Abweichungsanalyseergebnisse – zum einen für Produktionskostenstellen und zum anderen für Produktkalkulationen – strukturiert sind. Energiekosten werden dabei auf Kostenstellen en bloc als Gemeinkosten verrechnet und bei Produktkalkulationen nicht gesondert ausgewiesen, sodass man insgesamt davon ausgehen dürfte, dass eine Verrechnung als Einzelkosten nicht stattfindet.

Abweichungsanalyse der Kostenstelle 4711 (= Maschine 1) Kostenart

Sollkosten [€]

Istkosten Abweichung Abweichung [€] abs. [€] [%]

EINZELKOSTEN Lohnkosten Externe Reparaturkosten

100.000

120.000

20.000

20%

20.000

18.000

-2.000

-10%

Energiekosten

Plan-Angabe [€]

Material-Einzelkosten Material-Gemeinkosten Produktions*-Einzelkosten Produktions-Gemeinkosten Herstellkosten

GEMEINKOSTEN Wartungskosten

Abweichungsanalyse Produkt A4000 Position

27.514

42.379

14.865

54%

202.557

164.800

-37.757

-19%

350.071

345.179

-4.892

-1%

* ACHTUNG: Nicht wie üblich werden hier und im folgenden die Begriffe "Fertigungs-EK" bzw. "Fertigung-GK" verwandt, sondern "ProduktionsEK" bzw. "Produktions-GK", weil sonst die gesamte Prozessindustrie (Verfahrenstechnik und Energietechnik) ausgeschlossen werden würde (in Letztgenannter wird nicht "gefertigt", vgl. DIN 8085).

Verwaltungs-/Vertriebsgemeinkosten Plan-Kosten Ist-Kosten

Ist-Angabe [€] 145,00

Abweichung 3,57%

1,13

1,17

3,57%

15,30

17,40

13,73% 13,73%

4,23

4,81

160,66

168,38

4,81%

13,50

14,15

4,81%

182,53

4,81%

174,16

Diese Annahme wird durch die Tabellen auf der Folgeseite erhärtet. Dort ist zu erkennen, dass Energiekosten bei UCosmetics zunächst auf einer (sekundären) Energiekostenstelle "gesammelt" und dann mit Hilfe eines Umlageschüssels im Rahmen einer innerbetrieblichen Leistungsverrechnung auf auf Empfängerkostenstellen/Hauptkostenstellen verteilt werden. Dieser Umlageschlüssel ist in unserem Fall die Quadratmeterfläche eines jeweiligen Raumes oder Gebäudes.

Energiekostenmanagement; Prof. Dr. Ulrich Nissen; WS 2012/2013

Abb. 19.6:

140,00

Beschreibung der Kostenrechnungsstruktur des Musterunternehmens (2)

19 Durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel

245

Budget für KoSt 4711 Maschine 1 Cost Type

Budget für Personal-KoSt 7711 Kostenart

Wert [€]

PRIMÄRKOSTEN

Wert [€]

PRIMÄRKOSTEN 100.000

Lohnkosten SEKUNDÄRKOSTEN

27.514

Wartungskosten Energiekosten

178.000

Gehälter

20.000

Externe Reparaturkosten

Kommunikation

28.944

Reisekosten

23.700

SEKUNDÄRKOSTEN

350.071

352.178

Verteilungsschlüssel für Energiekosten

Zuordnung von Gemeinkosten Schlüssel

4711

KoSt

Fläche 200 m2

5711

150 m2

32%

7711

120 m2

26%

Total

470 m2

Einheit

Energiekosten

Bodenfläche Abteilung

Wartungskosten

gleicher Anteil für alle Produktions-KoSt

%

...

...

...

m2

Anteil

GemeinkostenZuordnung

43%

Budget der Energie-KoSt 6711

Budget Wartungs-KoSt 5711 Kostenart

(KoSt)

121.534

Energiekosten

202.557

Kostenart

Primäre Kostenstellen

Kostenart

Wert [€]

Wert [€]

PRIMÄRKOSTEN

PRIMÄRKOSTEN 178.000

Fertigungslohnkosten

Personalkosten

178.000

Energiekosten (vgl. Kostenstruktur)

298.008

Gesamt

476.008

Sekundäre Kostenstellen

44.500

Werkzeuge

28.944

Kommunikation

23.700

Reisekosten

275.144

Energiekostenmanagement; Prof. Dr. Ulrich Nissen; WS 2012/2013

Abb. 19.7:

Beschreibung der Kostenrechnungsstruktur des Musterunternehmens (3)

Budgets der Primär-Kostenstellen KoSt

Kostenübersicht

Budget Ges.var. Anteil Budget [€] [€]

Kostengruppe

4711 Maschine 1

Akkumuliert

Kostengruppe

3.100.000 1.168.071

350.071

350.071

Summe Produktionseinzelkosten

390.000

390.000 1.168.071

Summe Materialgemeinkosten

4713 Maschine 3

428.000

428.000

4714 Produktion

689.000

289.000

127.000

34.000

ProduktionsP d kti einzelkosten

4712 Maschine 2

Produktionsgemein( kosten (Verwaltung, 4715 Qualitätskontrolle Energie, Abschreibungen etc.) 4911 Lager 1

Materialgemeinkosten

4912 Lager 2 7711 Personalabteilung 8711 R & D 9711 Finanzwirtschaft

Verwaltungsgemeing g kosten

9713 Allg. Verwaltung 9715 Vertrieb

Vertriebsgemeinkosten

Summe

245.000

13.000

198.000

12.000

352.178

0

790.000

23.000

250.990

0

459.000

145.000

456.000

220.000

4.735.239

323.000

Wert [€]

Summe Materialeinzelkosten

25.000

Summe Produktionsgemeinkosten

323.000

Summe Verwaltungs-/Vertriebsgemeinkosten

388.000

Bestimmung der Gemeinkostenzuschlagsätze 25 000 25.000

Kostenart

Wert [€] 25.000

Material-Gemeinkosten 168 000 168.000

1.904.071 1.904.071

0,81%

1.168.071

Produktions-Einzelkosten

323.000

Produktions-Gemeinkosten 220.000

Zuschlagsatz

3.100.000

Material-Einzelkosten

27,65%

4.616.071

Herstellkosten Verwaltungs-/VertriebsGemeinkosten

388.000

8,41%

Standard-Arbeitsplan Produkt A4000 Arbeitsfolge

Standard-Stückliste Produkt A4000 Material

Einheit

Komponente 1

Stk.

Anzahl Einheiten 4

Kosten pro Einheit [€] 10,00

GesamtKosten [€] 40,00

Komponente 2

Stk.

1

15,00

15,00

Komponente 3

Stk.

1

5,00

5,00

Komponente 4

Stk.

4

20,00

80,00

A.Tarif [€/ Leistungs- Umfang (hier: Kosten Platz Leistungsart] art Soll-Vorgabezeit) [€]

AFo 1

5000

15,00

h

0,1

1,50

AFo 2

5001

20,00

h

0,2

4,00

AFo 3

5002

25,00

h

0,2

5,00

AFo 4

5003

30,00

h

0,1

3,00

AFo 5

5004

12,00

h

0,15

1,80

Gesamt

140,00

Energiekostenmanagement; Prof. Dr. Ulrich Nissen; WS 2012/2013

Abb. 19.8:

Beschreibung der Kostenrechnungsstruktur des Musterunternehmens (4)

15,30

246

Ulrich Nissen

Stadtwerke Neu-Braunschweig Kunde: UCosmetics sse 50 Musterstras 35390 Gies ssen

RECHNUNG

Rechnungsdatum: Ab brechnungszeitraum: Kunden-Nr.

15-09-2011 01-01-2011 - 31-12-2011 34534B

Energiekosten 2012 Gewerbe Pos.

Menge

Netznutzun ng - Leistung

Preis pro Einheit

Gesamt [€]

440 kW

45,61 €/kW

20.068,40

536,26 MWh

0,15 €/kWh

80.439,60

Verbrauch Erdgas

3.100 MWh

0,05 €/kWh

155.000,00

Verbrauch Heizöl

708,33 MWh

0,06 €/kWh

42.500,00

Wirkarbeit - elektirscher Strom

Summe:

Energieart

Kosten

Erdgas

0,05 €/kWh

Heizöl

0,06 €/kWh

Elektrischer Strom

0,15 €/kWh

298.008,00

MWSt.:

56.621,52

Gesamt:

354.629,52

Als Nachw weis bitte aufheben.

Wir da anken für Ih hr Vertrauen!

Energiekostenmanagement; Prof. Dr. Ulrich Nissen; WS 2012/2013

Abb. 19.9:

Beschreibung der Kostenrechnungsstruktur des Musterunternehmens (5)

Kalkulation Beispielprodukt A4000 gaben Plan-Ang Pos.

Zuschlagsatz

0,81% 27,65%

Herstellkosten Verwaltungs-/VertriebsGemeinkosten Plan-Kosten

1,13 15,30 Zeit-Rückmeldung

Produktions-Einzelkosten Produktions-Gemeinkosten

Nachweis

"Material140,00 Entnahmeschein"

Material-Einzelkosten Material-Gemeinkosten

Ist-Angaben

Betrag [€]

8,41%

Betrag [€] 145,00

Abweichung 3,57%

1,17

3,57%

17,40

13,73% 13,73%

4,23

4,81

160,66

168,38

4,81%

13,50

14,15

4,81%

182,53

4,81%

174,16

Ist-Kosten

Wie Sie vielleicht bereits erkannt haben, sind Energiekosten bei der bisherigen Kalkulation bereits berücksichtigt worden, allerdings nicht verursachungsgerecht. Und das muss geändert werden. Das Top-Management fordert mehr Transparenz. Es möchte wissen, welche Produkte besonders energieintensiv sind und erwartet zudem die Einführung eines "Energie-Controllingystems", mit dem die Mitarbeiter motiviert werden sollen, künftig Energiekosten bei Tätigkeiten zu berücksichtigen und wennimmer möglich zu senken. (a) (b) (c)

(d)

Klären Sie bitte zunächst, welches Ihre Ziele sind. Was wollen Sie erreichen? Welches soll das Ergebnis Ihrer Arbeit sein? Analysieren Sie darauf das bestehende Kostenrechnungssystem. An welchen Stellen lassen sich Schwachstellen im Hinblick auf die Berücksichtigung von Energiekosten finden? Entwickeln Sie zunächst Ideen und dann einen Stufenplan zur Überarbeitung des existierenden Kostenrechnungssystems von UCosmetics, mit dem künftig Energiekosten besser – also verursachungsgerecht – berücksichtigt und Optimierungspotentiale aufgezeigt werden. Starten Sie mit der Kostenstellenrechnung. Berücksichtigen Sie bitte dabei mögliche praktische Probleme, die entstehen könnten, wenn Sie Ihre Ideen in die betriebliche Praxis umsetzen würden. Beginnen Sie nach der Entwicklung der Stufenplanes mit der – theoretischen – Umsetzung Ihrer Änderungsvorschläge, indem Sie beispielhafte tabellarische oder rechnerische Ergebnise Ihrer Überarbeitung darstellen.

Energiekostenmanagement; Prof. Dr. Ulrich Nissen; WS 2012/2013

Abb. 19.10: Aufgabenstellung zu Abschnitt 30

19 Durchlaufendes Veranschaulichungsbeispiel

247

Zusammenfassung PoDuVB Kurzbeschreibung

Kursteilnehmer werden permanent mit betrieblichen Problemen konfrontiert, die sie zu lösen versuchen, auch ohne zuvor mit Fachwissen versorgt worden zu sein.

Vorgehen

      

Vorstellung der Methode Austeilung der Arbeitsmaterialien Vorstellung und Diskussion der einzelnen Aufgaben Selbststudium der Teilnehmer Diskussion und Zusammenführung der Bearbeitungsergebnisse Nachträgliche Vermittlung einschlägiger Fachkenntnisse Bearbeitung der nächsten Aufgabe

Lernziele

    

Selbstentwicklung von Fachwissen Stimulierung von Kreativität und Mut Aktives Auseinandersetzen mit betrieblichen Problemen Verstärkter Memory-Effekt Qualifizierung zur Problemlösung

Voraussetzungen



Geeignete Arbeitsmaterialien, die eine betriebliche Realsituation umfasst, in der aufeinander aufbauende betriebliche Probleme angesprochen werden, sie sich lösen lassen, auch ohne einschlägige Detailfachkenntnisse zu besitzen

19.6

Literatur

Brezowar, G. et. al., PBL 3.0 – Zur Gestaltung von Lernumgebungen, in: Zumbach, J. et al, Problembasiertes Lernen, 2007, S. 52 ff. Olsowski, G., Problem-Based Learning in der Logistikausbildung, in: Zumbach, J. et al, Problembasiertes Lernen, 2007, S. 178 ff Weber, A., Problem-Based-Learning, 2. Aufl., Bern 2007

Zumbach, J.; Weber, A.; Olsowski, G. (Hrsg.): Problembasiertes Lernen, Bern 2007

Alternative Prüf- und Reflexionsformen

20

Bewusstes und reflexives Lernen Markus M. Böhner

„Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit.“ (Georg Weilhelm Friedrich Hegel) Im Schreiben vergegenwärtigt sich das Denken, nur strukturierter – dabei kann jeder Lerner frei über sein Lernen und die Ergebnisse nachdenken und weitere notwendige Schritte einleiten. In diesem Beitrag wird versucht, ein Instrumentarium zusammenstellen, das den Anforderungen der schriftlichen Vergegenwärtigung und Darstellung von Lernergebnissen und -prozessen im Rahmen einer zeitgemäßen (Hochschul-)Didaktik und entsprechend umgesetztem Unterricht genügt (vgl. dazu Böhner 2012a und 2012b). Die im Folgenden synoptisch dargestellten Instrumente können sowohl zur Selbstreflexion von Lernresultaten, Selbsteinschätzung und Lernberatung als auch zur Bewertung von Leistungen herangezogen werden; bei letzterem Zweck sind beobachtbare und operationalisierbare Kriterien festzulegen und den Lernenden vorab bekannt zu geben bzw. sogar mit ihnen zu vereinbaren. Die Darstellung von Lernleistungen kann im Prozess (prozedural) und für einen Stichtag, z. B. am Ende eines Kurses, Seminars, Bildungsgangs oder Jahrgangs, erfolgen (summarisch).

20.1

Was ist bewusstes und reflexives Lernen?

Befragt man Studierende, Schüler sowie Lernende im Allgemeinen im persönlichen Gespräch zu den Anforderungen des Lernens, so nehmen sie mehrheitlich wahr, dass an eine Bewältigung des Lebens und der Praxis lediglich durch Rezeption von fachlichem und methodischem Theoriewissen geglaubt wird – und noch weitergehend, dass man dafür rezeptartig notwendiges Wissen und Methoden erwartet. Dabei weiß man kognitionspsychologisch274 und belegt durch die empirische Forschung, dass Lernende beim Anwenden in nur geringem Maße auf theoretische Erkenntnisse zurückgreifen. Stattdessen bringen sie eher ihre eigenen

274

Vgl. Konrad, 2005, S. 20 ff.

252

Markus M. Böhner

subjektiven Theorien – durch alte und neuere biografische Erfahrungen geprägt – von bedingt brauchbarem Aktionsradius zum Einsatz.275 Insbesondere in alltäglichen und schwierigen Situationen des eigenen Wirkens rekurrieren Lernende dann auf diese verfestigten Muster eigener Erfahrungen (sogenanntes implizites Wissen), welche oft nicht ausreichend sind, um den (beruflichen) Alltag passend und mit angemessenem Handlungs¬repertoire zu bewältigen.276 Häufig sind die eigenen subjektiven Theorien widersprüchlich und lassen sich überdies teils mit neueren Erkenntnissen der Handlungsforschung nicht vereinbaren.277 Um dem entgegenzuwirken, wird seit einiger Zeit vermehrt das Mittel der subjektzentrierten und in der Person des Lernenden begründeten Reflexion erlebter Lehre, und in diesem Zusammenhang von Überzeugungen, Haltungen und Vorstellungen von Lehre und Unterricht eingesetzt.278 Mit dieser Personen- und Lernerorientierung setzt „die Erwachsenenpädagogik die Aufklärungstradition fort, Menschen durch die Ermöglichung von Lern- und Reflexionsprozessen zur Hinterfragung, Reflexion und Transformation eingelebter und scheinbar ‚bewährter’ Sichtweisen zu führen“.279 Die Reflexion von Lehre – durchaus von Seiten der Lernenden wie auch der Lehrenden – wird nach herrschender Meinung in der Unterrichtsforschung als Möglichkeit angesehen, das „Einspuren“ von wenig belegten subjektiven Theorien bewusster zu steuern und vor allem Lernveränderungen zu bewirken, die für das tagtägliche Lehren und Lernen wirksam werden.280 Aufgrund der großen Bedeutung von Reflexion wird das Konzept im Ansatz der Bildung von Lehrenden fest verankert281 und an dieser Stelle der Begriff geklärt: Bereits seit den antiken griechischen Philosophen Platon und Aristoteles verbindet man mit dem Konzept der Reflexion in westeuropäischen kulturellen Kreisen Elemente der Distanzierung und des Kontemplativen (des Nachdenklichen bzw. Besinnen). Etwas moderner gefasst, wird für den Nutzwert des Erfahrungslernens die Reflexion betont. In diesem Zusammenhang „meint Reflexivität die bewusste, kritische und verantwortliche Einschätzung und Bewertung von Arbeitsprozessen, Handlungsabläufen und Handlungsalternativen vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen, Normen und Werte“.282 Im allgemeinen Sprachgebrauch der zeitgenössischen Didaktik und Pädagogik meint Reflexion ein prüfendes und vergleichendes Nachdenken über Gelerntes und Unterricht; zum einen beinhaltet dies ein Bedenken von zukünftigen Handlungen und ihren Folgen auf der Grundlage von bestehenden Wissens- und Erfahrungsbeständen, also im Sinne einer prospektiven (vorausschauenden) Reflexion. Zum anderen bezieht sie sich auf das Gegenteil dieser zukunftsgerichteten Orientierung, nämlich auf das Überdenken von Erfahrungen, Ereignissen und Handlungen im Nachhinein im Sinne einer retrospektiven (nachgelagerten) Reflexion.283

275 276 277 278 279 280 281 282 283

Vgl. Renkl, Nückles, 2006, S. 10 ff. Vgl. Wahl, 2006, S. 20 ff. Vgl. Johnson, 2012, S. 16 ff. Vgl. Schüßler, 2008, S. 15 ff. Arnold, Schüßler, 2001, S. 59 Vgl. Breidebach, 2013, S. 12 ff. Vgl. Böhner, 2007, S. 10 ff. Franke, 2008, S. 55 Vgl. Gillen, 2007, S. 525 ff.

20 Bewusstes und reflexives Lernen

253

Reflexives Lernen ist lerntheoretisch vielfach abgesichert284. In der Lehr-/Lernpraxis gilt es, die Fähigkeit der Reflexivität als die bedeutsamste Metakompetenz zum effektiven Lernen zu schulen,285 da damit optimalere Lernergebnisse erzielt werden können.286

Gelerntes reflexiv verarbeiten

Abb. 20.1:

Eigene Erfahrung

Formale Lehrveranstaltung

Formale Lehrveranstaltung

Eigene Erfahrung

Verlauf des reflexiven Lernens

Die Abbildung zeigt, dass Gelerntes im Idealfall grundsätzlich und regelmäßig nach Lehrveranstaltungen und themenbezogenen Erfahrungen schriftlich reflektiert und somit „verarbeitet“ werden sollte. Vor diesem Hintergrund ist es geboten, dass Lehrende Lernende dazu anhalten, zur Erhöhung der Lerneffizienz, Strukturierung des Gelernten und zur Überprüfbarkeit durch Dritte regelmäßig bewusst und schriftlich zu reflektieren. Weiterhin gilt es, auf Seiten der Lernenden Gelerntes schriftlich mit eigenen Stärken und Fähigkeiten in Verbindung zu bringen, um Neues langfristig für Leben und Beruf nutzbar zu machen.287 Je nach nach dem formalen Grad bieten sich dafür mehrere Instrumente an, die im Folgenden für den Einsatz in und nach Lehrveranstaltungen skizziert werden:288 Kritzel-/Aufzeichnungsbuch Das Kritzelbuch entstammt etymologisch wie sachlich der Primarstufenpädagogik. Es kann aber von den Intentionen her ohne weiteres auf eine Adoleszenz- und Erwachsenenpädagogik übertragen werden: Es steht für unsystematisches und vom Stil her vollkommen freies Aufschreiben, -zeichnen oder von Gedanken, Erfahrungen und Eindrücken, dazu geeignet um zu einem späteren Zeitpunkt anhand der Aufzeichnungen dahin zurückzukehren – alleine oder 284 285 286 287 288

Vgl. Schüßler, 2008, S. 4 f. Vgl. Fink, 2010, S. 50 f. Vgl. Seel, 2003, S. 236 Vgl. Korthagen, Greene, Kim, 2013, S. 195 ff. Vgl. für eine weiterführende Zusammenstellung von nicht-schriftlichen Methoden: Friebe, 2010, S. 78 ff.

254

Markus M. Böhner

begleitet. Es kann darin eben auch „gekritzelt“ werden und die höchst individuelle Note von Schrift, Eindrucksverarbeitung, zeichnerischem Vermögen und Schrift-, Bilder- und/oder Farbenvorlieben kommen zum Tragen. Folgende Merkmale charakterisieren das Instrument: unsystematisch, tendenziell weniger schriftsprachlich, eher zum informellen bzw. nonformalen Lernen gehörend (aber auch formal für institutionelles Lernen nutzbar). Dennoch ist es beim Einsatz für formals Lernen grundlegend, zusammengehörend und kontinuierlich im Rahmen einer Lehrveranstaltung zu führen. Das Kritzelbuch eignet sich kaum als Instrument zur Leistungserfassung – allenfalls der Prozess der Auseinandersetzung mit dem Kritzelbuch kann beobachtet und begutachtet werden. Allerdings sollte das Instrument einen hohen Stellenwert in der Vorbereitung einer separaten schriftlichen Leistungserfassung haben und individuell die Lehrveranstaltung widerspiegeln. Darüber hinaus sollte das schriftliche Reflexionsinstrument für das lernende Individuum langfristigen Aufbewahrungscharakter und -wert haben, da es diese Stellung von sonstigen unsystematischen und Loseblattmitschriften differenziert. Lerntagebuch/Lernlogbuch Das Lerntage- und Lernlogbuch sollen synonym verwendet werden, wenn auch das zweitere formaler an das Führen von „Eventbüchern“ aus der Seefahrt angelehnt werden könnte, wobei die Events die Eintragungspflicht von bestimmten Ereignissen begründen. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um selbstausgewählte und -bestimmte Eintragungen. Das Lerntagebuch weist bereits sprachlich darauf hin, dass es sich um ein Medium handelt, in welches – am besten täglich bzw. bei entsprechenden Begegnungen – Eintragungen vorgenommen werden sollen, die vergangene Lernerlebnisse dokumentieren und damit verstetigen, um in der Folge darauf aufzubauen bzw. darauf zurückzukommen. Während das vorangehende Kritzelbuch während des Lernprozesses zur schriftlichen Verarbeitung dient, wird das Lerntagebuch etwas formaler nach einzelnen „Lerneinheiten“ eingesetzt, um Lernergebnisse individuell und reflexiv zu dokumentieren. Dafür ist gegen Ende einer Lehrveranstaltung Zeit einzuplanen. Es kann in einem Fachbereich, einem Seminar, einer Lehrveranstaltung, einer Lerngruppe oder einer Institution eingeführt werden – eher seltener ist die freiwillige, persönliche Führung des Lerntagebuchs, um eigenes individuelles Lernen für sich selbst zu begleiten. Dies setzt ein hohe Lernmotivation und methodische Reflexionsexpertise voraus. Das Lerntagebuch ist insbesondere charakterisiert durch folgende Merkmale: eher systematisch, eher schriftsprachlich und als Ergänzung zu formalen Lerndokumentationen wie Protokollen und Seminararbeiten oder ausgearbeiteten Referaten. Das Instrument eignet sich tendenziell nicht zur Leistungserfassung, sondern zur individuellen Begleitung von Lernprozessen. Das institutionalisierte Führen des Buchs und die regelmäßigen Eintragungen können jedoch als zu leistende Formalia beispielsweise in Form einer Epochalbewertung in die Notenfindung einfließen. Lernberatung auf Basis eines für Lehrende freiwillig geöffneten Lerntagebuchs kann auf Wunsch und systematisch sowohl während und nach Lehrveranstaltungen als auch in Sprechstunden sehr effizient geleistet werden.

20 Bewusstes und reflexives Lernen

255

Lernportfolio Ein Lernportfolio ist begrifflich durch die Sammlung und Aufbewahrung von Belegstücken gekennzeichnet; im pädagogischen Sinne werden Artefakte von individuellen Lernprozessen und -ergebnissen über einen längeren Zeitraum zusammengetragen. Es dient der individuellen Lernbegleitung im Bereich des institutionellen, aber auch des persönlichen Lernens. Im persönlichen Bereich können Individuen über viele Jahre eigenes Lernen für sich selbst dokumentieren; dies erfordert aber bereits eine ausgeprägte methodische und selbst-disziplinierende Kompetenz. Häufiger ist die Führung im Rahmen eines Bildungsganges einer (hoch)schulischen oder erwachsenenbildnerischen Institution, um individuell begleiten und bewerten zu können. Portfolios kommen in einem pädagogischen Kontinuum vor als reine unbewertete und freie Entwicklungsportfolios bis hin zu bewerteten Hochglanz- und Präsentationsportfolios.289 In diesem Rahmen gibt es viele Zwischenformen.290 Portfolios sind durch folgende Merkmale charakterisiert: eher systematisch, eine Vielfalt der Zugänge und der Belegstücke möglich, schriftsprachliche Komponenten unabdingbar, eher zum formalen Lernen gehörend. Unbedingt ist im Rahmen von Lehrveranstaltungen stetig und hinreichend Zeit zur Portfolioführung und für -einträge einzuplanen; darüber hinaus ist ein großer Teil der individuellen Portfolioarbeit zu Hause zu erledigen. Eine Bewertung ist sinnvoll und möglich, wenn die Bewertungskriterien vorher vereinbart, verbindlich und transparent sind. Idealerweise sind folgende Elemente bei einer Bewertung zu beachten:291 Dialog über Beurteilungskriterien und deren Gewichtung zwischen Lehrenden und Lernenden, Optimierung von einzelnen Belegstücken im Portfolio im Lernprozess ermöglichen (formative Evaluation) und abschließendes Feedback-Gespräch. Im Idealfall sollte sogar mehr als eine Person die Bewertung vornehmen. Es bietet sich ein Raster zur Beurteilung an, welches horizontal die Beurteilungskriterien inklusive Gewichtung (z. B. fachliche Richtigkeit 25 %, Struktur und roter Faden 15 %, …) sowie vertikal die Beurteilungsklassen (z. B. exzellent/alle Anforderungen übererfüllt, gut/alle Anforderungen erfüllt, zufriedenstellend/Anforderungen erfüllt und nicht genügend/Anforderungen nicht hinreichend erfüllt o. Ä.) mit Freiraum im Raster für Anmerkungen aufführt. Ein Portfolio kann aus pragmatischen wie auch pädagogischen Gründen auch elektronisch geführt werden.292 Lernprotokoll Die formalste Art der Reflexion von Lehrveranstaltungen ist das Lernprotokoll. Dabei gibt der Lehrende dem Protokollführer jeweils klare Anweisungen, welche Elemente der Lehrveranstaltung wie – natürlich aus individueller Perspektive – zu dokumentieren und zu reflektieren sind. Gewöhnlich werden Lernprotokolle digital geführt, um sie anschließend allen Mitlernenden zur gemeinsamen Überprüfung des Lernergebnisses der Lehrveranstaltung per 289 290

291 292

Vgl. Böhner, 2008, S. 13 ff. Der Begriff „Entwicklungsbericht“ steht für eine Portfoliospielart, bei der Pflichtbeleg-stücke und gewöhnlich Pflichtvorlagetermine im Rahmen einer formalen Ausbildung von offizieller Seite oder institutionell vorgeschrieben werden. Vgl. Kraler, 2008, S. 52. Dafür stehen mittlerweile auch eigens Programme bzw. E-Plattformen zur Verfügung, die dieses ermöglichen: Vgl. Himps, Baumgartner, 2009, S. 29 ff.

256

Markus M. Böhner

Tischvorlage/Handout, elektronischer Nachricht oder E-Learning-Plattform zur Verfügung zu stellen. Das Lernprotokoll ist die am wenigsten individuelle Form der Verarbeitung von Gelerntem, da sie einem hohen Erwartungs- und Vorgabengrad genügen muss. Teils sind sogar Protokollformblätter im Einsatz. Für die Zwecke einer stark individuellen Reflexion und Festigung von Lernen sind Protokolle nur bedingt geeignet. Für eine stark vorgedachte und erwartungskonforme Reflexion von Gelerntem, welches einer Überprüfung durch Peers und Lehrenden standhalten muss, ist das Lernprotokoll hingegen sehr geeignet. Insbesondere zur Leistungserfassung bietet es sich an. Zwar können die Bewertungskriterien auch mit Lernenden bestimmt werden, jedoch gibt es gewöhnlich klare Vorgaben der Lehrperson zu den Erwartungen und zu den Kriterien, die dann auch transparent Anwendung finden müssen. Je spezieller die Leistungserwartung auf die Lehrveranstaltung bezogen ist und je weniger sie sich exakt über die Jahre wiederholt, umso geringer ist die Gefahr des Plagiats und umso höher ist die Chance einer zwar individuellen, aber dennoch gerechten Leistungserfassung. Zur Rückmeldung und Leistungsbestimmtung eignet sich – ähnlich wie beim Lernportfolio – eine Bewertungsmatrix mit Kriterien und Gewichtungen sowie Leistungskategorien.

20.2

Lernziele293

Fachkompetenz Kognitive Fähigkeiten in Form von vertieften inhaltlichen Kenntnissen und fachlichen Zusammenhängen sind die Basis für späteren situationsspezifischen Einsatz im eigenen Leben und im Beruf. Diese werden nachhaltig erworben, wenn sie einerseits aufgenommen, aber dann auch schriftlich zum individuellen Verständnis zur Bedeutung für das Individuum reflektiert worden sind. Analyse- und Synthesefähigkeiten im Rahmen von Fachkompetenz Lehrveranstaltungen werden bezüglich der Inhalte und des Erarbeiteten mit Zusammenhängen und Kontexten der Praxis verglichen und erst nachhaltig in allen Bestandsteilen erkannt und nutzbar gemacht, wenn sie in Ruhe überdacht und in das eigene neuronale (Lern-)Netz eingefügt werden. Im besonderen Maße bedeutungsvoll wird die Reflexion, wenn es gelingt, isolierte Wissensbestände in durchdachten (Anwendungs-)Situationen zusammenzufügen. Methodenkompetenz Insbesondere die Fähigkeit zur sprachlichen und fachlich angemessen Darstellung – auch mit passendem Fachvokabular – wird durch die reflexive Verschriftlichung ausgiebig gefördert. Das Lernen wird aber auch in besonderem Maße selbstreguliert, indem Lernende für sich selbstreflexiv ihre Methoden des Aufnehmens und Verarbeitens kennen, ständig auf Wirkung überprüfen und effizient anwenden. Zeitgemäßes Medienhandling wird geschult, indem mit Standardsoftware gearbeitet werden kann; insbesondere beim E-Portfolio wird mit elaborierten E-Plattformen gearbeitet. Weiterhin werden Dokumentationsfähigkeiten vorangebracht, 293

Für die Formulierung vom Zielen kompetenzorientierten Lernens, vgl. in der Diktion: Böhner 2011, S. 189 ff.

20 Bewusstes und reflexives Lernen

257

indem lebens- und berufsrelevante Daten und Informationen zusammengestellt und systematischlogisch dargestellt werden. Personalkompetenz Als bedeutsamste Fähigkeit für die Überwachung und Steuerung des eigenen Lernprozesses wird die (Selbst)Reflexion gezielt und stetig vorgebracht. Dabei geht es auf der Metaebene im Rahmen der kontinuierlichen Führung der schriftlichen Instrumente darum, eigene Lernprozesse kritisch, bewusst und analytisch zu überdenken und zu hinterfragen sowie eigene Lernergebnisse ins jederzeit verfügbare Bewusstsein zu rücken. Dies schult die Fähigkeit der Selbsteinschätzung, welche per Leistungserfassung und Rückmeldungen – insbesondere auch zum schriftlichen Reflexionsinstrument – mittels Fremdeinschätzung durch Mitlernende und die Lehrperson zu ergänzen und abzugleichen ist.

20.3

Praktische Durchführung

Die wichtigste Entscheidung des Lehrenden ist vorab, ob das einzusetzende Reflexionsinstrument dem individuellen Lernen und optimierten Lernprozess allein oder einhergehend auch der Leistungserfassung dienen soll. Wird das verwandte schriftlichte Instrument zur zensurmäßigen Erfassung eingesetzt, kommen nur das Lernportfolio und das Lernprotokoll in Frage. Dafür sind dann klare Bewertungskriterien festzulegen, diese den Lernenden transparent zu machen und anschließend eine strukturierte und eindeutige Bewertung zurückzumelden. Bedeutsam ist für alle vier Instrumente jedoch, falls nicht beispielsweise ein Portfolio in der gesamten Institution geführt wird oder schriftliche Reflexionsinstrumente auch bei Kolleginnen und Kollegen Usus sind, zu Beginn der ersten Lehrveranstaltung, Bewusstsein für die hohe Bedeutung der schriftlichen Reflexion von Gelehrtem zu schaffen, z. B. über den Hinweis, dass Fachliches und Anwendungsfähigkeit nachweislich sowohl vernetzter als auch langfristiger im Gedächtnis verhaftet bleibt, wenn Reflexionsinstrumente konsequent eingesetzt werden. Nach der dialogischen „Werbephase“ mit der Lerngruppe folgt eine „Übungsphase“ zum schriftlichen Reflektieren, indem z. B. ein kurze fachliche Inputphase der Lehrperson per individuellen Eintrag in das Instrument verarbeitet werden soll. Dabei wird exemplarisch rein Deskriptives, also reine Beschreibung bzw. Wiedergabe des Gehörten (1. Ebene von Beobachtung) von einer verstehenden Herangehensweise getrennt (2. Ebene von Beobachtung), indem freiwillig Einträge veröffentlicht und auf reflexiven Inhalt untersucht werden, was effizientes und individuelles Lernen stützt.294 Anschließend ist regelmäßig nach jeder Sitzung und zwischen den Sitzungen darauf zu achten, dass die Lernenden Reflexionseinträge anfertigen. Diese sind zur Effizienzerhöhung, beispielweise im Lernpartnerfeedback, in punkto Verständnis und Fremdeinschätzung zurückzuspiegeln. So können insbesondere Peers, z. B. Mitstudierende, Rückmeldung geben, indem die Einträge für diese ausgewählten Lernpartner geöffnet und besprochen werden. Der Lernpartner gibt Rückmeldung, ob er den Eintrag versteht und die eintragende Person im Hinblick auf die fachliche Kompetenzentwicklung genauso sieht, wie sie sich selbst. Dafür ist in einigen Lehrveranstaltungen

294

Vgl. Zikuda-Gläser; Hascher, 2007, S. 15 ff.

258

Markus M. Böhner

Raum einzuräumen, wie auch für die ergänzende Rückmeldung zum Lernstand durch den Lernenden selbst, wenn dies organisatorisch möglich ist. Die abschließende Leistungserfassung kann durch Bewertung des eigentlichen Instruments erfolgen (z. B. Portfolio oder Protokoll) oder durch eine Klausur, welche dann im Ergebnis wieder schriftlich als Fremdeinschätzung reflektiert wird, indem die Notenfeststellung mit der Selbsteinschätzung, niedergelegt im Reflexionsinstrument, verglichen wird. Für Selbstund Fremdeinschätzungen bietet es sich an, ergänzend ein fachliches Komeptenzraster einzusetzen.295 Leistungserfassung

Regelmäßiger und routinisierter Eintrag von reflexiver Erkenntnis in das verwendete schriftliche Instrument Bewusstsein für Bedeutung Lehr-/Lernreflexion wecken

Abb. 20.2:

Übung schriftlicher Reflexionsniederschriften nach Lehrveranstaltungen und Lernerfahrungen

Selbsteinschätzung und Feedback durch Peers und/oder Lehrperson

Schritte der Vorbereitung und Durchführung einer systematischen Lehr-/Lernreflexion

Schriftliche Reflexion in einem Instrument bedarf – je nach Institution und bisherigem Einsatz – der intensiven Vorbereitung, Begleitung, Rückmeldung und Nachbereitung, um den erhöhten Lerneffekt von Lehrseite zu unterstützen. Vorbereitung verschriftlichter Lehr-/Lernreflexion Die Schritte „Bewusstsein wecken“ und „Reflexionseinträge üben“ sind zur Vorbereitung des Einsatzes dieser Instrumente sehr bedeutsam, da eine reflexive Grundhaltung und Bewusstmachung von eigenem fachlichen Lernen Voraussetzung des Erfolgs der Instrumente ist. Vor diesem Hintergrund ist mit den Lernenden diese Metakompetenz zuvorderst zu entwickeln, indem erwachsenenpädagogisch – durchaus kognitiv begründend und auf Einsicht der Lernenden setzend – auf Forschungsergebnisse zum Lernen hingewiesen wird, die belegen, dass Lernen durch Reflexion besser, tiefer und länger anhaltend wird.296 Daraufhin sind nach Lehrveranstaltungen schriftliche Einträge zu üben, die bewusst und auf der Metaebene eigene Lernergebnisse, eigenes fachliches Verständnis und insbesondere auch Lernschwierigkeiten explizieren – und demgemäß weitere Ziele für das eigene Lernen setzen, eventuell auch den Einsatz anderer Lernstrategien anvisieren. Erst solche Einträge haben reflexiven Charakter und sind für die Reflexionsinstrumente geeignet. 295 296

Vgl. für Kompetenzraster: Saldern, von 2011, S. 73 ff. Vgl. Hattie, 2012, S. 115 ff.

20 Bewusstes und reflexives Lernen

259

Der Austausch über Eintragungen zu individuell Gelerntem bietet sich an, damit die eigenen Erkenntnisse mit den anderen abgeglichen und ggf. angepasst bzw. verbessert werden können. Erst im alternierenden Austausch erwächst die Fähigkeit zur qualitativen Einschätzung des eigenen Lernstandes und -fortschritts. Spezifische Inhalte von reflexiven Einträgen Wie diese Einträge im Detail aussehen können, soll das folgende Beispiel belegen. Vorausgegangen sei eine theoretische Lehrveranstaltung im Bereich Wirtschaft zur Gewinnschwelle bzw. zum sogenannten Break-even-Point: Beispielhafter Eintrag in ein Lerntagebuch: „Heute hatten wir beim Dozenten … die Einführung in den Break-even-Punkt bzw. die Gewinnschwelle von Produkten; die wurde uns anhand eine Beispiels aus der Industrie, einer Maschine, per Grafik am Smartboard erläutert. Daraufhin sollten wir das Ganze auf einem Handout selbst berechnen. Die Gesamtkosten- und Erlöslinien erschienen mir einleuchtend (vgl. mein Foto, welches in meiner Cloud steht, unter der Lehrveranstaltung), der Einsatz der folgenden Gleichungen gar nicht mehr. Das x als Break-even-Punkt bzw. die Anzahl der verkauften Maschinen ist mir noch immer nebulös… Warum ist x der Break-even-Point? Und warum werden Kosten- und Erlösfunktion gleichgesetzt? Ich muss morgen nochmal meinen Banknachbarn um Unterstützung bitten. Mein Lehrbuch erläutert das irgendwie gar nicht… Ich bin gerade zu bequem, mir dies im Internet selbst zu erschließen – das scheint mir wenig zeitökonomisch. Den Dozenten fragen ist mir zu peinlich! Also: Wenn ich morgen durch die Erläuterung meines Freundes das nicht nachvollziehen kann, schau ich mir erst mal Beispiele im Netz an…“ Dieser Eintrag ist eher informell; er thematisiert fachlich Verstandenes und Lücken; weiterhin werden Lern- und Lösungsstrategien überdacht und angezeigt. Dies ist ein guter reflexiver Eintrag. Soll dieser hingegen in ein Portfolio oder gar ein Protokoll einfließen, müsste sowohl die Sprache formaler und offizieller als auch das Fachliche, die Probleme und der Lösungsweg für andere genauer spezifiziert und erläutert werden. Selbst- und Fremdeinschätzung Die schriftlichen reflexiven Instrumente dienen der Selbsteinschätzung und Bewusstmachung eigener Lernleistungen und des eigenen Leistungsstandes. Für selbstreflexiv Geübte und insbesondere für in einem fachlichem Bereich Fortgeschrittene sind die Einschätzungen präzise, für Anfänger im reflexiven Lernen und in fachlich neuen Bereichen sind sie jedoch häufig nicht hinreichend treffsicher, so dass eine Fremdrückmeldung unabdingbar ist. Auch für Geübte und Fortgeschrittene gereicht eine wiederkehrende Rückmeldungskultur Dritter insofern zum Vorteil, dass die eigene Einschätzung verifiziert werden und Lernhandlungen sowie eigene Ziele für das Lernen daran angepasst werden können. Dafür eignen sich insbesondere persönlich nahe stehende Lernpartner aus der Lerngruppe, aber – wenn möglich – durchaus auch mal ganz andere Lernende. Die Rückmeldung des Lehrenden zu den eigenen Einschätzungen im Abgleich mit den Wahrnehmungen der Lernenden ist grundsätzlich sinn-

260

Markus M. Böhner

voll und befördert den Lernprozess, wenn der Lehrende dies zeitlich, sachlich und von der eigenen Informationslage her leisten kann. Spätestens nach einer Leistungserfassung ist eine selbstreflexive Auseinandersetzung des Lernenden zur Leistungsrückmeldung mit der eigenen Einschätzung durchzuführen, um zukünftig Lern- und Klausurleistungen zu verbessern. Der Lehrende sollte dafür nach Leistungserfassungen noch Raum einräumen. Leistungserfassung Noten können folgendermaßen erfasst werden: 

Krizel-/Aufzeichnungsbuch: Das Kritzelbuch kann nur in die Leistungserfassung eingehen, indem festgestellt wird, ob und in welchem Maße das reflexive Instrument geführt wurde. Möchte der Lernende gezielt einzelne Auszüge für den Lehrenden zur Leistungsdiagnose öffnen, so sind im Vorhinein Bewertungskriterien festzulegen. Außerdem muss der Lehrende wissen und wollen, dass dies nur für Einzelne stattfinden kann, wenn nicht eine ganze Lerngruppe der Öffnung des Buchs zustimmt.  Lerntagebuch/Lernlogbuch: Das Lerntagebuch ist zwar etwas formaler und stringenter geführt als ein Aufzeichnungsbuch – und die Einträge sind gewöhnlich auch nicht grafisch oder zeichnerisch unterstützt, sondern schriftlicher Natur. Dennoch ist das Instrument höchst persönlich, die genutzte Sprache individuell und mitunter in Jargonform oder sogar mit Gefühlen durchsetzt. Auch hier gilt: Nur bei bewusster und gezielter Öffnung einzelner Teile für den Lehrenden können diese – wieder nach Absprache der Bewertungskriterien – zur Beurteilung herangezogen werden.  Portfolio: Beim Portfolio können mit der Lerngruppe vorab Bewertungskriterien festgelegt werden. Auch die Art der Führung, z. B. digital, kann vereinbart werden. Für ein Präsentationsportfolio kann sogar der Lehrende Kriterien vorgegeben. Die Leistungserfassung ist individuell und auf Wunsch prozessartig gut durchführbar, aber zeitaufwändig. Ein Bewerungsraster kann sinnvollerweise aus Objektivitätsgründen eingesetzt werden und vermindert den Bewertungsaufwand für den Lehrende beträchtlich.  Protokoll: Beim Protokoll bietet es sich an, von Anfang klare Erwartungen, Format- und Duktusvorgaben sowie Bewertungskriterien vom Lehrenden vorzugeben. Auf Wunsch können dazu auch die Lernenden einbezogen werden. Protokolle sind prägnant im Ausdruck und konzise im Umfang zu führen. Vor diesem Hintergrund eignen sie sich in ökonomischer Weise für die Leistungserfassung. Der Einsatz eines Bewertungsrasters bietet sich ebenfalls an. Im Folgenden wird ein Muster für ein Bewertungsraster für Portfolios und/oder Protokolle vorgestellt:

20 Bewusstes und reflexives Lernen Kriterium: Gewichtung:

261

Kriterium 1 (z. B. Kompetenzbelege)

Kriterium 2 (z. B. formale Richtigkeit)

Kriterium 3 (z. B. gezeigtes Lernverständnis

...

15%

15%

20%

...

exzellent

...

...

...

...

gut

...

...

...

...

zufriedenstellend

...

...

...

...

nicht genügend

...

...

...

...

Abb. 20.3:

20.4

Muster eines Bewertungsrasters für Lernportfolios bzw. -protokolle

Kritische Analyse

Vorteile Je nach Ziel der Lehrperson kann der rein reflexive Lerncharakter zu Verbesserung des Lernergebnisses bis hin zur Leistungserfassung mit Erhöhung der Bedeutung des Lernprozesses und der reflexiven Lernbegleitung der Lernenden selbst im Vordergrund stehen. Dafür steht eine ganze Instrumentenpalette zur Verfügung (vom Kritzelbuch bis hin zum Protokoll). Gemeinsam ist diesen, dass Lernende mehr Eigenverantwortung für ihr Lernen übernehmen, Lernen individueller ausgestaltet und als individueller Vorgang vom Lehrenden akzeptiert wird. Weiterhin ist ein kontinuierlicher Abgleich von Selbst- und Fremdeinschätzung zu Lernständen möglich – wenn die Lerngruppe sich gegenseitig Feedback gibt, sogar ohne Beteiligung des Lehrenden. Die lebensbedeutsame Metakompetenz zur Selbsteinschätzung und fachlichem Wissen und Können wird dadurch konsequent und stetig gefördert sowie fachliche Lernergebnisse durch individuelle Zielvorgaben und Zwischenstandserfassungen optimiert. Weiterhin erweitern die beiden formaleren Instrumente die bisherige Auswahl an schriftlichen Instrumenten zur Leistungserfassung. Herausforderungen Mangelnde Akzeptanz der reflexiven Instrumente könnte auf Seiten der Lernenden nur zu zusätzlichem Aufwand in Lehrveranstaltungen führen, indem das ausgewählte Instrument zwar pflichtgemäß geführt wird, aber der Lernende entweder keine reflexive, sondern beispielsweise nur deskritive Einträge anfertigt und das Potenzial somit nicht nutzt. Vor diesem Hintergrund ist der erste Durchführungsschritt äußerst wichtig, nämlich in der Lerngruppe Akzeptanz für die Nutzbringung und Effizienz der verschriftlichten Reflexion des eigenen Lernens zu bewirken. Wird das jeweilige Instrument zur Leistungsbewertung herangezogen, ist es besonders wichtig, dass die Bewertungskriterien klar und nachvollziehbar formuliert und die Bewertungsabstufungen ebenso sprachlich eindeutig sind. Ist das nicht der Fall, wird leicht das wissenschaftliche Gütekriterium der Objektivität verletzt. Beliebigkeit in der Benotung wird jedoch – das zeigen Evaluationen von Lehrveranstaltungen – sehr negativ beurteilt. Auch der Einsatz eines Co-Bewerters erscheint in diesem Lichte als sehr fruchtbar, wenn das möglich ist. Weiterhin hat sich als erleichternd erwiesen, auch von den Lerndenden selbst eine Eigenbe-

262

Markus M. Böhner

wertung nach den Kriterien einzuholen, da diese häufig mit sich sehr kritisch ins Gericht gehen. Ist die Lerngruppe vertrauensvoll im Umgang miteinander, können sie sich auch untereinander eine kriteriengeleitete Bewertungsrückmeldung geben, so dass der Lehrende mitunter nur noch bestätigen oder ergänzen muss. Die Feedbackgespräche zu den Beurteilungen erfordern bei diesen individuellen Instrumenten etwas Gewöhnung und ein Einlassen auf den Stil des Lernenden, erhöhen aber potenziell das Lernergebnis beträchtlich.

Zusammenfassung Instrumente schriftlichen und reflexiven Lernens Kurzbeschreibung

Regelmäßig werden Lernergebnisse indivdiuell von den Lernenden niedergeschrieben, um zu strukturieren, an individuelles Vorwissen anzudocken und zu vernetzen sowie als Basis für eine individuelle Leistungsdarstellung und -erfassung.

Vorgehen

       

Lernziele

   

Voraussetzungen

   

Literatur und hilfreiche Links

 

Auswahl eines schriftlichen Instruments Einführung in das reflexive Instrument Absprache des zeitlichen Einsatzes des Instruments Festlegung von Beurteilungskriterien Durchführung der reflexiv-schriftlichen Phasen in den Lehrveranstaltungen und/oder in vereinbarter Heimleistung Option: Durchführung im Rahmen eines Blended-LearningKonzepts als digitales Instrument Abgabe/Einreichung des Instruments an den Lehrenden ggf. Rückkopplung und Feedback der textualen und/oder ziffernmäßigen Beurteilung mit Feedbackgespräch Überdenken, Verankerung und Vergewisserung von methodischen und insb. fachlichen Kompetenzen Transfer in größere Zusammenhänge Ausfindigmachen von Anwendungskontexten Förderung selbstreflexiv-personalen Kompetenzen und der Eigenverantwortlichkeit für das Lernen Vertrautheit mit dem Konzept der Selbstreflexion Vorhandensein materieller oder digitaler Aufzeichnungsinstrumente von Lernergebnissen Reflexive Grundhaltung zur Bewusstmachung des Lernens und Verschriftlichung der Lernergebnisse Einräumung von Zeiträumen zur reflexiven Einzelarbeit und zum Austausch zu Eintragungen zwischen Lernenden Brunner, I.; Häcker, T.; Winter, F. (Hrsg.), Das Handbuch Portfolioarbeit. Konzepte, Anregungen, Erfahrungen aus Schule und Lehrerbildung. Seelze 2006. www. http://www.portfolio-inp.ch/ (Homepage des Internationalen Netzwerks Portfolio (INP) für den Einsatz im Bildungsbereich)

20 Bewusstes und reflexives Lernen

20.5

263

Literatur

Arnold, R.; Schüßler, I., Entwicklung des Kompetenzbegriffes und seine Bedeutung für die Berufsbildung und für die Berufsbildungsforschung, in: Komplexität und Kompetenz. Ausgewählte Fragen der Kompetenzforschung, hrsg. von: Franke, Guido, Bonn 2001, S. 52–74 Böhner, M., Orientierung an Standards zur Genese eines Ansatzes zur Neugestaltung der zweiten Phase der Lehrerausbildung, in: Berufs- und Wirtschaftspädagogik online, bwp@), Ausgabe 12, 2007, http://www.bwpat.de/ausgabe12/boehner_bwpat12.shtml, Abrufdatum: 14.04.2013 Böhner, M., PORTFOLIO: ein variables Instrument zur Einschätzung von Kompetenzen – viel diskutiert, kaum bekannt und noch weniger eingesetzt? Konzept, Praxis und Potenziale, in: WirtschaftsSpiegel, Heft 5, 2008, S. 13–20 Böhner, M., Kompetenzorientierung „in action“: Kompetenzziele in der pädagogischen Praxis der Lehrkräfte, in: Erziehungswissenschaft und Beruf, Heft 2, 2011, S. 189–211 Böhner, M., Ein „neues“ Paradigma in der Lehrkräfteausbildung: Konstruktivistische Didaktik!?, in: GEW-Zeitung RLP, Rubrik Bildungswissenschaft, Heft 1/2, 2012 a, S. 16–19 Böhner, M., Didaktischer Praxisschock: Hält gelebter Unterricht konstruktivistischen Anforderungen stand?, in: GEW-Zeitung RLP, Rubrik Bildungswissenschaft, Heft 3, 2012b, S. 11–17 Bräuer, G., Schreiben als reflexive Praxis: Tagebuch, Arbeitsjournal, Portfolio, Freiburg 2003 Breidebach, G., Professionelle Hochschuldidaktik. Motivierende und studierenden-orientierte Planung, Durchführung und Reflexion von Lehrveranstaltungen – ein Portfolio, Hamburg 2013 Brunner, I., Häcker, T., & Winter, F. (Hrsg.), Das Handbuch Portfolioarbeit. Konzepte, Anregungen, Erfahrungen aus Schule und Lehrerbildung. Seelze 2006 Fink, M. C., Lernkultur und reflexives Lernen. Das didaktische Potenzial der ePortfolio-Arbeit zur Förderung von Reflexivität im Lernen, in: Lernen und Kultur, hrsg. von Hartung, O.; Steininger, I.; Gansen, P.; Priore, R., Wiesbaden, 2010, S. 49–65 Franke, G. (Hrsg.), Facetten der Kompetenzentwicklung, Bielefeld 2008 Friebe, J., Reflexion im Training. Aspekte und Methoden der modernen Reflexionsarbeit, Bonn 2010 Gillen, J., Reflexion im beruflichen Handeln. Zur Funktion und Differenzierung des Reflexionsbegriffs, in: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Heft 3, 2007, S. 525–537 Hattie, J., Visible Learning for Teachers. Maximizing Impact on Learning. London 2012 Himpsl, K.; Baumgartner, J., Evaluation von E-Portfolio-Software – Teil III des BMWFAbschlussberichts „E-Portfolio an Hochschulen“, GZ 51.700/0064-VII/10/2006, Forschungsbericht. Krems, Department für Interaktive Medien und Bildungstechnologien, Donau Universität Krems 2009, S. 29–87 Johnson, A. P., A short guide to action research, 4. Auflage, Boston 2012 Konrad, K., Träges Wissen aus kognitionspsychologischer Sicht, in: Vom Wissen zum Handeln – Ansätze zur Überwindung der Theorie-Praxis-Kluft in Schule und Erwachsenenbildung, hrsg. von Huber, Anne A., Tübingen 2005, S. 20–36 Korthagen, F. A. J.; Greene, William, L.; Kim, Y., M., Toward a New View of Teaching and Learning, in: Teaching and Learning from Within, New York 2013, S. 195–202 Neuweg, G. H. (Hrsg.), Wissen – Können – Reflexion. Ausgewählte Verhältnisbestimmungen, Innsbruck 2000 Renkl, A.; Nückles, M., Träge Kompetenzen? – Gründe für die Kontextgebundenheit von beruflichen Handlungskompetenzen, in: Bildung und Erziehung, Jahrgang 59, 2006, S. 179–191.

264

Markus M. Böhner

Saldern, von, M., Schulleistung 2.0. Von der Note zum Kompetenzraster. Halberstedt 2011 Schüßler, I., Reflexives Lernen in der Erwachsenenbildung – zwischen Irritation und Kohärenz, in: Bildungsforschung, Jahrgang 5, Ausgabe 2, 2008, http://www.bildungsforschung.org/Archiv/200802/erwachsenenbildung, Abrufdatum: 09.04.2013. Seel, N. M., Psychologie des Lernens: Lehrbuch für Pädagogen und Psychologen, München 2003 Wahl, D., Lernumgebungen erfolgreich gestalten. Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln, 2., erw. Auflage, Bad Heilbrunn 2006 Zikuda-Gläser; Hascher, T., Lernprozesse dokumentieren, reflektieren und beurteilen: Lerntagebuch und Portfolio in Bildungsforschung und Bildungspraxis, Bad Heilbrunn 2007 Zimmerman, B. J., Attaining Self-Regulation: A Social Cognitive Perspective, in: Handbook of SelfRegulation, hrsg. von Boekarts, Monique; Pintrich, Paul R.; Zeidner, Moshe, San Diego 2000, S. 13–39

21

Buchbeitrag statt Klausur Andrea Beyer

„Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen dem Blitz und dem Glühwürmchen.“ (Mark Twain) Die meisten Prüfungsleistungen werden am Ende in der sogenannten „Prüfungs- oder Leistungsakte“ abgelegt und verschwinden auf diesem Wege für immer. Warum aber sollten sie nicht einem weiteren Kreis zugänglich sein und dem Lernenden gleichzeitig eine Möglichkeit zu einer ersten Veröffentlichung geben? Einen Beitrag zu einem Sammelband zu schreiben entwickelt neben den Sachkenntnissen eine Fülle von gewünschten Schlüsselkompetenzen.

21.1

Was ist der Leistungsnachweis?

Die Teilnehmer bearbeiten eine Aufgabenstellung, die sie in Form eines Buchbeitrages nach zuvor besprochenen Anforderungen zu erfüllen haben. Die individuellen Beiträge werden zu einem Sammelband zusammengefasst, der gesetzt, gedruckt und verbreitet wird. Herausgeber ist der Dozent; Autoren sind die Studierenden und ggf. mit einem Artikel auch der Dozent oder weitere interne oder externe Autoren zu Beiträgen im Umfeld der Thematik. Das Konzept ist auf viele Themen anwendbar. Am lernintensivsten ist die Aufgabe, wenn die Studierenden die Thematik durch eine Recherche in Form von Experteninterviews erarbeiten müssen. Das ist immer dann der Fall, wenn es auf die persönlichen Einstellungen von Experten zu einem Oberthema ankommt oder wenn Personenporträts aus einem bestimmten Bereich erstellt werden sollen. Beispiele hierfür sind: Expatriates im Porträt, Blogger in Deutschland, oder Personalleiter im Gespräch. Auf diese Weise können Lernelemente für Gesprächsvorbereitung und Gesprächsführung integriert werden; gleichzeitig besitzen die Ausführungen Originalität und Differenziertheit durch die Summe der geäußerten Einschätzungen und Positionen der Interviewten.

266

Andrea Beyer

Es ist aber auch möglich, ein Buchkonzept zu entwickeln, das ohne direkte Stimmen auskommt. Die Autoren haben dann eine Thematik zu bearbeiten, die auf Basis einer Literaturrecherche entsteht. Beispiele hierfür sind: Trends in der Informationstechnik, Bedeutende Ökonomen und ihre Konzepte, oder Familienunternehmen. Das fertige Buch kann über den Buchhandel, als E-Book oder auf einer Website kommuniziert und vermarktet werden. Darüber hinaus kann die Hochschule/Schule die Publikation bei Veranstaltungen und anderen Gelegenheiten anbieten und damit am Beispiel projekt- und praxisorientiertes Lehren und Lernen darstellen.

Abb. 21.1:

Buchcover eines Porträtbuches über Blogger

Das Buch „Deutschland Deine Blogger“ ist ein Porträtbuch. Die Aufgabe der Studierenden bestand darin, interessante Blogger auszuwählen, anzusprechen, sie zu interviewen und daraus ein Profil für das Buch zu erstellen. Das Layout und die sich daraus ergebende Zeichenzahl sowie die einzelnen Bestandteile wurden vorher in der Gruppe zusammen mit dem Grafiker besprochen und festgelegt.

21.2

Lernziele

Mit den Vorarbeiten, dem Verfassen der Beiträge und dem Redigieren lassen sich eine Vielzahl von Lernzielen realisieren. Die Studierenden sollen   

in ihrer sprachlichen Ausdrucksfähigkeit gestärkt werden in der Vorbereitung von Interviews und in der Gesprächsführung gefördert werden im persönlichen Auftreten weiter entwickelt werden

21 Buchbeitrag statt Klausur       

267

lernen, als Gruppe ein Konzept zu diskutieren und eine tragfähige Lösung zu erzielen und zu realisieren die möglichen Diskrepanzen von Inhalt und Form erkennen und lösen Kreativität entwickeln ihre eigenen Fähigkeiten in Bezug auf journalistisches und wissenschaftliches Schreiben einschätzen können lernen, Sachthemen aufzubereiten und zielgruppenorientiert zu präsentieren durch die Arbeit in interkulturellen Teams (bspw. Ökonomen und Gestalter) die Aspekte der jeweils anderen Gruppierung kennenlernen und für die eigene Arbeit nutzen sowie Sensibilität für andere Aspekte entwickeln lernen, vom Lehrenden bestimmte Sachaspekte einzufordern (selbstbestimmtes Lernen), indem sie auf ihre Defizite beim Erstellen des Buchbeitrages hinweisen, damit diese in den Veranstaltungen behandelt und geübt werden können.

21.3

Praktische Durchführung

Es liegt im Ermessen der Seminarleitung, wie frei die Lerngruppe über Thema und Vorgehensweise bestimmen kann. Wichtig ist jedoch bei allen Varianten, dass die Gruppe das Buch als ihr Projekt versteht und sich für das Konzept verantwortlich fühlt. Damit die Gruppe nicht überfordert ist, empfiehlt es sich, ein Oberthema vorzugeben. Ein Oberthema in den bereits durchgeführten Projekten waren bspw. „Profile von Personalleitern“ oder „Porträts über bekannte Ökonomen“. Die Unterthemen ergeben sich aus den von den Teilnehmern ausgesuchten Personen, die porträtiert werden sollen. Weitere Unterthemen können auch kurze Sachartikel zu dem Themenkreis sein. Es liegt weiterhin im Ermessen der Seminarleitung, wie vorstrukturiert die einzelnen Lehreinheiten sind oder wie stark sich der Dozent auf die Erfordernisse der Lernenden von Sitzung zu Sitzung einstellt. Dieses Vorgehen setzt voraus, dass die Teilnehmer ihre Lernbedürfnisse erkennen und kommunizieren. Vorbereitung Einen Buchbeitrag statt einer Hausarbeit, eine Präsentation oder eine Klausur als Leistungsnachweis anzubieten ist außergewöhnlich und muss daher von dem Dozenten sorgfältig eingeführt und ausführlich erklärt werden. Für die Vorbereitungsphase bieten sich die folgenden Arbeitsschritte an: 



Das Oberthema sollte vom Dozenten festgelegt sein. Die Gruppe recherchiert über die Thematik. Ein oder zwei Unterrichtssequenzen sollten auf jeden Fall der Erarbeitung des Themenbereiches gewidmet sein. Dazu kann auch ein Gastvortrag oder ein Unternehmensbesuch vereinbart werden. Die Gruppe strukturiert die Thematik durch Festlegung der einzelnen Beitragstitel für das Buch bzw. wählt Personen aus, über die ein Porträt angefertigt werden soll. Dabei ist auch festzulegen, welche Aspekte bei den Interviews auf jeden Fall von allen Teilnehmern thematisiert werden sollen. Damit ergibt sich eine innere Verbindung zwischen den Artikeln und eine zum Teil gleiche Grundstruktur in den doch sehr individuellen Porträts.

268

Andrea Beyer



Die Gruppe muss die Zielgruppe des Buches bestimmen, damit die Möglichkeiten für Fachbegriffe oder die Erfordernisse zur Erklärung von Fachbegriffen und einer voraussetzungslosen Beschreibung klar sind.  Für die Struktur des Buches müssen die Teilnehmer neben den einzelnen Artikeln entscheiden, ob die Beiträge in verschiedenen Abschnitten zusammengefasst werden können und sollen und ob einleitende und erklärende Artikel am Anfang des Buches sinnvoll sind. Den so geplanten Beiträgen ordnen sich die Lernenden dann als Autoren zu. Die Buchbeiträge können auch in Gruppenarbeit erstellt werden.  Bevor die Realisierungsphase beginnt ist zu prüfen und zu diskutieren, ob die Summe der einzelnen Beiträge und Aspekte ausgewogen ist bzw. ob sich für den Leser ein roter Faden ergibt.  Mit dem Grafiker ist ein Layoutkonzept zu diskutieren, das die Elemente der einzelnen Beiträge enthält. Damit entsteht eine einheitliche Struktur der Artikel und die Lernenden kennen genau ihre Aufgabe beim Anfertigen der Beiträge. Aus dem Layout ergibt sich auch die zur Verfügung stehende Zeichenzahl für die einzelnen Elemente. Die Teilnehmer müssen sich beim Anfertigen Ihrer Beiträge daran halten, damit die einheitliche Struktur auch vom Umfang bzw. dem Seitenumlauf realisiert werden kann. Darüber hinaus wissen sie, welches Bildmaterial neben dem Text notwendig ist. Neben dem Layout ist auch das Cover und der genaue Buchtitel zu vereinbaren. Beispiel: Ein Porträtbuch kann so gestaltet sein, dass pro Porträt eine Doppelseite zur Verfügung steh; als Elemente für die Porträts werden ein Kasten mit Bild und Kurzlebenslauf des Verfassers, eine Überschrift, ein Einstiegsabsatz, der eigentliche Text und ein Zitat vereinbart; bei Firmenporträts bieten sich das Logo und ein Bild des Gebäudes, der Firmeninhaber oder der Produkte an. Durchführung Im Übergang der Vorbereitung zur Durchführung sind folgende Termine zu planen:  Zusagen der externen Experten für ein Interview  Fertigstellung der Beiträge  Bearbeitung der Beiträge durch den Grafiker  Rückkopplung mit den Interviewten zwecks Druckfreigabe und Druck. Eine Übersicht über die einzelnen Beiträge mit dem Statutsvermerk „zugesagt“, „Interview durchgeführt“, „Beitrag verfasst“, „Druckfreigabe erteilt“ ist ebenfalls für den Überblick über den Fortgang des Projektes sinnvoll. In diese Tabelle sollten auch die Kommunikationsdaten der Experten übernommen werden.

21 Buchbeitrag statt Klausur

Abb. 21.2:

269

Buchcover eines Porträtbuches über Expatriates

Das Buch „Globalisierung hautnah“ ist ein Porträtbuch über Mitarbeiter, die ins Ausland entsendet wurden (Expatriates). Die Aufgabe der Studierenden bestand darin, interessante Personen in Unternehmen auszuwählen, anzusprechen, sie zu interviewen und daraus ein Profil für das Buch zu erstellen. Am Anfang des Buches wurden auch einige kleine Fachartikel erstellt, die den Expatriation Cycle darstellen und auf die Bedeutung der Auslandsentsendung abstellten. Die verschiedenen Expatriates wurden nach Kontinenten zusammengefasst. Jeder Kontinentabschnitt wurde mit einem Einleitungskapitel über dessen interkulturelle Besonderheiten begonnen. Auch diese Beiträge wurden von den Teilnehmern erstellt. Die einzelnen Sequenzen der Veranstaltung setzen sich aus folgenden Inhalten zusammen: 





Die Teilnehmer sprechen Experten im Hinblick auf deren Mitwirken und einen Interviewtermin an. Dazu ist es ratsam, dass der Seminarleiter einen Brief vorbereitet, der das Projekt, die Zielsetzung und die Institution beschreibt und diesen allen Teilnehmern zur Verfügung stellt. Damit können die Teilnehmer bei ihren Anfragen den „offiziellen“ Charakter und das Vorhaben besser vermitteln. Vor jeder Sitzung findet eine kleine Feedbackrunde im Hinblick auf die Erfahrungen der Teilnehmer bei ihren Anfragen und Interviews statt. So können die Teilnehmer untereinander von ihren Erfahrungen lernen und der Fortgang des Projektes oder die Probleme werden sichtbar. Da das Projekt unter einem Oberthema steht, sollten immer wieder inhaltliche Aspekte zu dem Oberthema unabhängig von einzelnen Beiträgen Gegenstand der Veranstaltung sein. Die Diskussion um einzelne Beiträge verstärkt die Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Komponenten.

270

Andrea Beyer



Während der Veranstaltung müssen die Teilnehmer zu folgenden Themen geschult werden: – Gesprächsführung, Fragetechnik, eventuell auch Erstellung eines Gesprächsleitfadens, Verwendung von Aufzeichnungsgeräten bei Interviews. – Grundkurs zu journalistischem Schreiben und zur Gestaltung von Überschriften



Fertige Beiträge sollten in der Gruppe gegengelesen werden. Durch die Beurteilung der Gruppenmitglieder erhält der Autor ein Feedback, das als Grundlage zur Überarbeitung dient. Hier ist zwischen inhaltlichen und journalistischen Komponenten zu trennen. Die Teilnehmer übermitteln dem Grafiker die vereinbarten Bestandteile und Bilder sowie die dazu gehörenden Autorennamen. Sie müssen nach den Layoutarbeiten des Grafikers einen möglichen Überlauf kürzen bzw. einen zu kleinen Text entsprechend ergänzen. Nach der Arbeit des Grafikers setzen sich die Teilnehmer mit ihren Gesprächspartnern in Verbindung, übermitteln die Druckfahne und erbitten Druckfreigabe oder Informationen über noch notwendige Änderungen.





Tab. 21.1:

Vorbereitung und Durchführung eines Portätbuches

Vorbereitung – – – – – –

Oberthema festlegen Geeignete Personen/Experten für Porträts aussuchen Zusätzliche Einführungstexte bestimmen Zeit- und Statusplan erstellen zur laufenden Vervollständigung Zuordnung der Autoren für die einzelnen Porträts und andere Texte Layout mit dem Grafiker besprechen, Bestandteile und Zeichenzahl festlegen

Durchführung – – – – – – – –

Kontakt und Gewinnung der Experten für Interview sowie Terminfestlegung Vorbereitung des Gespräches Durchführung des Interviews Schreiben des Porträts Redigieren Layout durch den Grafiker und ggf. Anpassung durch den Autor Rückkopplung mit dem Interviewten zwecks Druckfreigabe bzw. notwendiger Veränderungen Letzter Durchlauf mit dem Grafiker

Notengebung Die Notengebung orientiert sich an den vereinbarten Bestandteilen der Beiträge sowie am Inhalt der Ausführungen. Damit lassen sich Einzelnoten für Inhalt, Sprache, Zusammenfassung, Überschrift, Einstiegstext vergeben; sie können dann zu einer Gesamtnote zusammengezogen werden. Nachbereitung Nach Drucklegung werden die Belegexemplare an die Beteiligten verschickt. Wenn möglich können die Teilnehmer auch noch bei der Vermarktung des Buches mit einbezogen werden. Sie können in das richtige Verfassen von Pressemitteilungen und in das Erstellen eines Marketingplanes am Beispiel ihres Buches eingeführt werden.

21 Buchbeitrag statt Klausur

21.4

271

Kritische Analyse

Vorteile Die Eigenverantwortung und die besondere Art der Recherche erhöhen die Motivation der Teilnehmer. Mit dem Projekt werden inhaltliche und formale Aspekte kombiniert. Das führt dazu, dass eine Fülle von Lernzielen in diesen Bereichen realisiert werden können. Insbesondere wenn das Seminar so aufgebaut wird, dass die zu behandelnden Themen und Techniken von den Teilnehmern definiert werden, lässt sich eine nachhaltige Lernsituation realisieren. Darüber hinaus erhalten die Teilnehmer eine eigene Veröffentlichung, die sie in Bewerbungssituationen nutzen können. Die jeweilige Organisation erhält eine Publikation, die sich für PR-Zwecke einsetzen lässt, da mit dem Buch projekt- und praxisorientiertes Lehren und Lernen sehr anschaulich dokumentiert werden kann. Herausforderungen Es sind einige Probleme zu erwarten, die wiederum in der Gruppe diskutiert und zu einem Lerneffekt führen können. Einerseits wird es nicht immer leicht sein, interessante und prominente Personen für die Mitarbeit an dem Buch in Form eines Interviews gewinnen zu können; hier sind die Teilnehmer und auch die Seminarleiter gefordert, die Bedeutung des Projektes zu kommunizieren. Andererseits ist zu entscheiden, inwieweit Änderungswünschen der Interviewpartner berücksichtigt werden können, ohne dass der persönliche Stil und der Seitenumlauf gestört werden. Je nachdem wie gut die schriftliche Kommunikationsfähigkeit der Teilnehmer ist, kommt auf den Seminarleiter nach der Notengebung in der Redigierphase ein entsprechender Nachbereitungsaufwand zu. Insgesamt ist dieser Leistungsnachweis in jedem Fall mit einem deutlichen Aufwand für den Seminarleiter nach Abgabe der Noten verbunden. Da dieser Leistungsnachweis für ein bestimmtes Thema steht, ist in der Veranstaltung darauf zu achten, dass die zu vermittelnden Inhalte nicht in den Hintergrund treten. Durch die Neuartigkeit des Leistungsnachweises besteht die Gefahr, dass viele Fragen zum Verfassen der Beiträge kommen. Das ist aber nicht Kern der Veranstaltung. Kern der Veranstaltung ist das Thema, dem sich auch die Beiträge bzw. das Buch widmen. Die Mehrzahl der Lerneinheiten sollte nach wie vor das eigentliche Thema im Mittelpunkt haben.

272

Andrea Beyer Zusammenfassung Buch statt Klausur

Kurzbeschreibung

Die Lernenden konzipieren ein Buch zu einem festgelegten Oberthema und verfassen die Einzelbeiträge dazu.

Vorgehen

           

Auswahl eines Oberthemas und Festlegung der Zielgruppe Zeitliche und inhaltliche Konzeption des Buchprojektes Einführung in das Projekt Festlegung der Beiträge und der Autoren Kontakt und Gewinnung von externen Experten für Interviews Realisierung der Interviews Verfassen der Beiträge Layout und Redigieren der Beiträge Einholung der Druckfreigabe und/oder Veränderungswünsche Druck Versenden der Belegexemplare Vermarktung des Buches

Lernziele

  

Wiederholung und Vertiefung von Fachwissen Förderung von zielorientierten Gruppenentscheidungen Förderung der schriftlichen und mündlichen Kommunikationskompetenz Förderung der Sozialkompetenz

 Voraussetzungen

   

Geeignetes Oberthema Gewinnung von kompetenten Experten für Interviews Mitarbeit eines Grafikers Zusage für Druckkostenzuschuss von Institution oder Sponsoring von Kooperationspartnern/Unternehmen

Literatur und hilfreiche Links



Lampert, M.; Wespe, R., Storytelling für Journalisten, 2. Aufl., Konstanz 2012 Mast, C. (Hrsg.), ABC des Journalismus, 12. Aufl., Konstanz 2012 Burkhardt, S., Praktischer Journalismus, München 2009 Haller, M., Das Interview, 4. Aufl., München 2008

  

22

Rede und Debatte Claudia Hoffmann

„Eine gute Rede hat einen guten Anfang und ein gutes Ende – und beide sollten möglichst dicht beieinander liegen.“ (Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain, 30.11.1835–21.04.1910) Die Redekunst gilt in allen Lebens- und Arbeitsbereichen als essentielle Schlüsselqualifikation. Sie dient als Botenstoff für die Darstellung der fachlichen Kompetenz des Einzelnen. Meinungsführer, Menschen nah am Kunden oder Lieferanten, Führungskräfte und alle, die etwas erreichen möchten, bedienen sich der Rhetorik. Rede und Debatte, als alternative Prüfungsdisziplin in der Aus- und Weiterbildung, ermöglicht die Standortbestimmung der Lernenden in diesem Kompetenzfeld.

22.1

Was prüfen in Rede und Debatte?

In den Prüfungsdisziplinen Rede und Debatte erproben Lernende die klassische Variante des Vortrags und des Wortgefechtes. Die Redner selbst stehen im Mittelpunkt. Sie nutzen rhetorische Stilmittel, müssen ihre Botschaften eindeutig transportieren. Über den Erfolg des Vortrags entscheiden unter anderem die Worte, die die Lernenden wählen, stimmlicher Einsatz und natürlich auch die Körpersprache. Eine mehrstufige Prüfung führt zu einer umfassenden und aussagekräftigen Leistungsbewertung der Lernenden. Im ersten Schritt verfassen diese ein Redeskript, auf dessen Basis halten sie ihren Vortrag und abschließend können die Lernenden aktiv an einer Debatte teilnehmen. Indem sich die Lernenden im Redewettstreit messen, in der Debatte überzeugen müssen, sich dem Urteil der Zuhörer und Juroren stellen, schärft das Rede- und Debattiertraining ihre Selbstwahrnehmung. In der Leistungsbewertung geht es nicht nur um die Körpersprache. Es geht um weit mehr: Können die Lernenden komplexe Sachverhalte verständlich widergeben? Gelingt es ihnen schlagkräftige Argumente sicher und strukturiert einzusetzen? Überzeugen und begeistern sie die Zuhörerinnen und Zuhörer?

274

22.2

Claudia Hoffmann

Lernziele

Die Lernziele der Prüfungsdisziplin Rede und Debatte stehen in Zusammenhang mit dem prüfungsvorbereitenden Training. Neben kognitiven Zielen, die sich auf die intellektuellen Fähigkeiten beziehen, gibt es auch affektive (emotionale) Lernziele, wie beispielsweise empathisches Handeln. Der Prüfungserfolg hängt unter anderem von der Fähigkeit ab, sich in Situationen und Menschen hinein zu fühlen. Folgende Fähigkeiten zählen zum Katalog der Lernziele: Analytisches Denken Eine schlüssige Argumentation setzt voraus, dass die Lernenden das Thema umfassend durchdringen. Dazu gehört auch, die unterschiedlichen Standpunkte zu analysieren und hinsichtlich ihrer Relevanz zu priorisieren. Die systematische Vorbereitung auf die kritischen Fragerunden im Rahmen des Redevortrags und auf die argumentativ geprägte Debatte fordern und fördern das analytische Denken. Argumentatives Verknüpfen Argumente finden und formulieren sowie den eigenen Standpunkt herauszuarbeiten, ist ein analytischer Prozess. Im Rahmen einer Rede oder einer Debatte müssen die Argumente jedoch auch kontextualisiert werden. Es geht hier darum, Zusammenhänge zwischen Fakten und Argumenten herzuleiten, Einwände und Gegenreden mit den eigenen Argumenten und Standpunkten zu verknüpfen. Insbesondere bei der Debatte spielt die Zeit dabei eine wichtige Rolle. Was Menschen allgemein als Schlagfertigkeit bezeichnen – die schnelle und inhaltlich hochwertige Rückmeldung – bedeutet nichts anderes, als argumentatives Verknüpfen in Bestzeit. Schlagfertigkeit ist dabei oft der Kern einer spannenden Debatte. Empathisches Handeln Einfühlen in andere Menschen und danach handeln sind anspruchsvolle Lernziele und wichtige Voraussetzungen für eine gute Rede. Überzeugen und begeistern wollen alle Redner. Damit dies gelingt, müssen die Redner zielgruppengerecht strukturieren und formulieren. Sie müssen sich unter anderem die Fragen stellen: Wie sieht die Zielgruppe aus? Was erwarten die Zuhörer von der Rede? Die Lernenden müssen die Redesituation und die Zuhörer möglichst genau und realistisch einschätzen. Das setzt empathisches Vermögen voraus; das Hineinfühlen in die Zielgruppe. Die Erkenntnisse aus diesem empathischen Prozess bestimmen die Rhetorik. So muss beispielsweise die Mimik und der ganze Körper Mitgefühl signalisieren, wenn die Zuhörer danach „verlangen“. Gute Redner handeln empathisch, lesen zwischen den Zeilen und verstehen das Unausgesprochene. Idealerweise benötigen sie keine mündliche Aufforderung seitens des Publikums. Besondere Bedeutung kommt dem empathischen Handeln zu, wenn es um kritische Themen geht, die eventuell Störer auf den Plan rufen können. Kommunikationswissen Indem die Lernenden sich mit verschiedenen kommunikativen Elementen befassen, wie beispielsweise Rhetorik, Zuhören und Argumentieren, erlangen sie ein vielfältiges Repertoire an praktischer Kommunikationserfahrung. Durch Feedbackgespräche innerhalb der Gruppe

22 Rede und Debatte

275

manifestieren sich diese Erfahrungen in Kommunikationswissen. Theoretische Kommunikationsmodelle und Instrumente der Kommunikation lassen sich dadurch leichter verstehen, ihre Anwendungsrelevanz wird deutlich und runden so das Kommunikationswissen ab. Rhetorische Kompetenz Die Bedeutung der Rhetorik erfahren die Lernenden durch die eigenen Aktionen. Jede Übung, jeder Vortrag und jede Aussprache schließt mit einer Feedbackrunde ab, in der rhetorische Elemente angewandt und evaluiert werden. Ziel ist es, dass die Teilnehmer des Redeund Debattiertrainings lernen, situationsgerecht und authentisch zu kommunizieren. Es gilt das jeder Didaktik zugrundeliegende Prinzip des Lernens durch eigenes Handeln. Durch den Einsatz einer Videokamera verstärkt sich die Wirkung. Die Lernenden können ihre rhetorische Kompetenz selbst analysieren und so wie Leistungssportler ihr Handeln Schritt für Schritt optimieren. Textkompetenz Gute Redenschreiber gibt es nur wenige. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die allgemeinbildende Schule im Schwerpunkt das geschriebene Wort lehrt. Das gesprochene Wort kommt im Deutschunterricht kaum vor. Schreiben wie der Schnabel gewachsen ist, führt unweigerlich zu einer schlechten Zensur. Vor dem Hintergrund der Sprachentwicklung, mit den Anglizismen und dem Jargon der heutigen Jugend, erscheint dies – betrachtet aus dem Blickwinkel der konservativen Fans der deutschen Sprache eines Schiller oder Goethe – wichtig für den Spracherhalt. Die Rede verlangt jedoch das gesprochene Wort, eine aktive Sprache und allgemeinverständliche Formulierungen, in Abhängigkeit von der Zielgruppe ggf. auch eine moderne Sprache, wie sie beispielsweise auf den Schulhöfen gesprochen wird. Die Redenschreiber müssen Schreibblockaden überwinden können und die Fähigkeit besitzen, verständliche Texte zu formulieren, die die Botschaft glaubwürdig vermitteln.

22.3

Praktische Durchführung

Prüfungsvorbereitung Reden schreiben und vortragen sind typische Einzelleistungen und in ihren wesentlichen Aspekten nicht für die Teamarbeit geeignet. Im Vorfeld erstellt der Prüfer eine zielgruppenorientierte Themenliste, aus der die Lernenden „ihr“ Thema für die Rede wählen können. Aktuelle und dem Allgemeinwissen zuzuordnende Themen eignen sich hierbei besonders. Von der Themenstellung bis zur Abgabe des Redeskriptes sollten 12 bis 16 Unterrichtseinheiten (á 45 Minuten) bzw. mindestens vier Wochen liegen. In diesem Zeitraum können die Lernenden sich inhaltlich mit dem Thema auseinandersetzen. Abhängig von Alter und Wissensstand der Lernenden liegt es in der Entscheidung der Dozenten, ob sie zusätzliches Grundlagenwissen im Bereich Recherche vermitteln oder dies als gegeben voraussetzen. In den prüfungsbegleitenden Unterrichtseinheiten erfahren die Lernenden, welche Bedeutung die Zielgruppe einer Rede hat. Für die Prüfung können die Lernenden ihre Zielgruppe selbst definieren und haben die Aufgabe, sich empathisch in sie hineinzudenken. Sie sammeln Fakten, legen die Botschaft fest und denken sich in eine fiktive Redesituation hinein.

276

Claudia Hoffmann

Die Wissensvermittlung durch die Dozenten umfasst zudem den Aufbau und alternative Strukturen einer Rede, Einstiegs- und Schlusskonzeptgestaltung sowie Argumentationsregeln. Besondere Bedeutung kommt der Entwicklung der individuellen Textkompetenz zu. Grundlagen der Kommunikation und rhetorische Redefiguren runden die Vorbereitung ab. Im ersten Abschnitt der Prüfungsvorbereitung geht es noch nicht um den Redevortrag bzw. die Debatte. Diese beiden Schulungsinhalte bauen später auf dem Redeskript auf, das Bestandteil der ersten Unterrichtseinheiten ist und nachfolgend gesondert behandelt wird. Wissen dazu können die Lehrenden in den nachfolgenden Unterrichtseinheiten, nach Abgabe des Redeskriptes, vermitteln. Redeskript Die erste zu erbringende Prüfungsleistung im Rahmen eines Rede- und Debattiertrainings ist die Abgabe eines Redeskriptes. Es umfasst, neben dem eigentlichen Inhalt, Regieanweisungen, vergleichbar mit einem Drehbuch. Um eine faire und umfassende Leistungsbewertung erstellen zu können, muss dem Skript ein Text mit Hinweisen zur Redesituation, der Rolle des Redners und der Zielgruppe vorangehen. Der Aufbau der Rede folgt den allgemein gültigen Regeln: Einleitung, Hauptteil und Schluss. Samuel Langhorne Clemens bringt es in seinem Zitat auf den Punkt: „Eine gute Rede hat einen guten Anfang und ein gutes Ende …“297 Die Redner haben die vordringliche Aufgabe, die Zuhörer sofort in ihren Bann zu ziehen und sie am Ende überzeugt zu „entlassen“. Ein gutes Redeskript beinhaltet demzufolge ein durchdachtes Einstiegs- und ein Schlusskonzept. Welche Redestruktur die Lernenden wählen, ob logische bzw. zeitliche Kette, wertenden Vergleich, Kompromiss oder eine andere, bleibt letztlich nachrangig. Das Thema und die Botschaft bestimmen die Vorgehensweise. In jedem Fall muss die Struktur ihre Funktion der Gedankenführung erfüllen. Der Text selbst folgt dem gesprochenen Wort, ist also weniger geschliffen und konstruiert als die Schriftsprache. Ein Argumentarium komplettiert das Redeskript. Darin finden sich mögliche Fragen bzw. Einwände sowie die dazugehörigen Antworten der Redner. Aus taktischen Erwägungen kann es sinnvoll sein, ein wichtiges Argument zurückzuhalten, das erst in der Frage- bzw. Diskussionsphase zur Anwendung kommt und deshalb nicht in der eigentlichen Rede, sondern im Argumentarium einen festen Platz hat. Die Gliederung kann entweder alphabetisch, an der Wahrscheinlichkeit der Fragestellung ausgerichtet oder in Themenblöcken erfolgen. Auch hier spielen die Rahmenbedingungen der Rede eine entscheidende Rolle. Wie verhält sich die Gruppe der Zuhörer/innen? Gibt es vielleicht Störer, die eine radikal andere Ansicht vertreten als die Rednerin/der Redner? Zur Vorbereitung der Prüfungsaufgabe können, neben den eingangs aufgezählten Themenblöcken, spezielle Übungen zum Einsatz kommen. Sie stärken die allgemeine Textkompetenz der Lernenden.

297

Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain

22 Rede und Debatte

277

Übung 1: Beschreiben Die Lernenden wählen einen beliebigen Gegenstand im Raum. Ihre Aufgabe besteht darin einen Text zu verfassen, der den Gegenstand möglichst präzise beschreibt, in gesprochenem Wort. Dafür stehen zehn Minuten Zeit zur Verfügung. Anschließend tragen die Teilnehmer/innen ihren Text vor. Die Gruppe gibt Feedback. Übung 2: Stegreif schreiben Angelehnt an die klassische Stegreifrede geht es beim Stegreif schreiben darum, einen kurzen Redetext zu einem beliebigem Thema zu erstellen. Der Text soll einer maximalen Redezeit von zwei Minuten entsprechen. Für die Lösung der Aufgabe stehen den Lernenden zehn Minuten zur Verfügung. Jeder Teilnehmer reicht den eigenen Text an den Sitznachbarn weiter für ein erstes Feedback. Einziges Feedbackkriterium: Erfüllt der Text die Anforderungen an das gesprochene Wort? Auch diese Übung schließt mit dem Vortrag des Textes und einer Feedbackrunde hinsichtlich der Redeleistung ab. Redevortrag Unterrichtskonzepte Allgemeinbildender Schulen sehen heute vor, dass schon die Jüngsten das Einmaleins der Präsentationstechnik lernen. Intuitiv bedienbare Softwarelösungen machen es möglich. Der mediengestützte Vortrag eröffnet Rednern Rückzugsmöglichkeiten: Bilder ersetzen Worte und Leinwand bzw. interaktives Whiteboard mutieren zum Brotkrumenweg der Inhalte, an dem sich die Vortragenden durch ablesen von Wort zu Wort hangeln. Der Blick der Rezipienten wendet sich den Medien zu. Gut gestaltete Folien können Sprachdefizite (teil-)kompensieren. Anders sieht es bei der klassischen Rede aus. Die Redner stehen im Mittelpunkt. In der – idealerweise – freien Rede, senden sie ihre Botschaften ausschließlich über die verbalen, paraverbalen, nonverbalen und extraverbalen Kommunikationsebenen. Ob sie authentisch und glaubwürdig wirken, ob die Zuhörer die Botschaft verstehen, übernehmen und nachhaltig erinnern, hängt von den rhetorischen Fähigkeiten der Vortragenden ab. Die Rede muss sich am natürlichen Aufmerksamkeitsrhythmus der Zuhörer orientieren: maximal 15 Minuten und in der Formulierung kurz und klar sein. Beherrscht ein Redner die Kunst, kommt die Botschaft zuverlässig an. Der Redevortrag als Prüfungsdisziplin fordert von Lernenden individuellen Redecharakter und Charisma zu entwickeln. Lampenfieber zu überwinden gehört ebenso dazu. Durch Videoaufzeichnungen und Feedbackrunden kann die Prüfungssituation konstruktiv als Lerneinheit genutzt werden. Zur Qualifizierung der Lernenden eignen sich Übungen, die den Blickkontakt, Gestik und Stimme trainieren. Stegreifreden mit Feedbackfunktion bieten den Teilnehmern die Möglichkeit unter kontrollierten Bedingungen ihr Redetalent zu entwickeln. Feedback geben unterliegt dabei klaren Regeln: Feedbackgeber müssen dem Feedbacknehmer zuerst eine konkrete, positive Rückmeldung geben, dann kann er Fehler aufzeigen, ohne diese jedoch zu werten bzw. Handlungsempfehlungen zu geben. Abschließend ist der Feedbackgeber erneut aufgefordert einen konkreten, positiven Aspekt der Rede zu benennen. Der Sinn des strukturierten Feedbacks ist es, die Feedbacknehmer zu motivieren und ihnen zu helfen, den eigenen Redestil zu finden. Insbesondere bei ungeübten Feedbackgebern hat der

278

Claudia Hoffmann

Lehrende die Aufgabe die Form des Feedbacks aktiv zu begleiten, indem er strikt auf die Einhaltung der Regeln achtet. Bei der schriftlichen Form des Feedbacks ist der Zeitablauf der positiven und negativen Rückmeldungen nicht relevant. Es müssen jedoch beide Aspekte einfließen. Ein vorgedrucktes strukturiertes Feedbackformular, das in Bereiche, wie zum Beispiel Vortragsstruktur, Auftreten und Inhalte, gegliedert ist, erleichtert den Lernenden unter Umständen das Feedbackgeben. Übung 1: Blickkontakt herstellen Die Probanden stellen sich nacheinander vor die Gruppe und suchen den Blickkontakt zu den anderen Gruppenmitgliedern. Sie berichten beispielsweise, was sie am Vortag gegessen haben. Dabei stellen sie zu jeder Person im Raum jeweils drei bis fünf Sekunden Blickkontakt her. Im Anschluss daran geben die Personen im Plenum ein Feedback, ob sie sich wahrgenommen fühlten oder nicht. Übung 2: Gestikulieren Nach dem Vorbild der pantomimengestützten Gesellschaftsspiele, müssen die Lernenden Verben erraten. Die passende Gestik ist der einzige Anhaltspunkt. Ziel der Übung ist es, das Gestik-Repertoire der Lernenden zu erweitern und nutzbar zu machen. Übung 3: Stimme trainieren In Zweiergruppen wählen die Lernenden Dialoge aus Film, Theater oder Literatur bzw. anderen Texten aus. Wechselseitig tragen sie diese vor. Jeder gibt jeweils fünf Minuten Stimmlage und -ton vor, das Gegenüber imitiert die Stimme. Zum Repertoire gehören Flüstern, Brüllen, tiefe und hohe Töne. Je extremer die Stimmvariationen, desto größer der Lerneffekt. Übung 4: Stegreif reden Reden lernen die Prüflinge durch reden. Eine gute Übung ist dabei die Stegreifrede. Die Probanden haben fünf Minuten Zeit ein vorgegebenes Thema zu erarbeiten, um es dann in einer kurzen Rede von ca. drei bis fünf Minuten vorzustellen. Nach jedem Vortrag folgt eine kurze schriftliche Feedbackrunde. Ein rollierendes System wahrt weitestgehend vergleichbare Startvoraussetzungen und einen flüssigen Zeitablauf. Mit Beginn einer jeden Rede erhält ein/e weitere/r Lernende/r ein Thema und verlässt den Raum zur Vorbereitung. Debatte Voraussetzung für den Einsatz einer Debatte als Prüfungsform ist, dass die Probanden die Debattierregeln kennen und verstehen. Es gibt zwei besonders populäre Debattierformate: British Parliament Style (BPS) und Offene Parlamentarische Debatte (OPD)298. Erstgenannte prägt das internationale Turniergeschehen, bei dem sich die nationalen und internationalen Debattierclubs messen. Die Offene Parlamentarische Debatte eignet sich jedoch besser für den Einsatz in der Lehre und als Prüfungsregelwerk.

298

Vgl. Verband der Debattierclubs an Hochschulen: www.vdch.de

22 Rede und Debatte

279

Das Thema sollte kontrovers und ohne langwierige Recherche zu erarbeiten sein. Die Auswahl des Themas durch die Lernenden selbst kann motivationsfördernd wirken. Im Vorfeld der Debatte sollten sechs bis acht Unterrichtseinheiten stehen, in denen der Lehrende Theoriewissen zu Fragetypen und Praxiswissen rund um den Umgang mit Störungen und Einwänden sowie der 5-Satz-Technik vermittelt bekommt. Die Bewertung der Leistung erfolgt gemäß einem Regelwerk in fünf Kategorien: Sprachkraft, Auftreten, Kontaktfähigkeit, Sachverstand und Urteilsfähigkeit, können die Redner/innen jeweils bis zu 20 Punkte erreichen. Die Bewertung der Teamleistung nach Strategie, Interaktion und Überzeugungskraft, wie im Turnier üblich, kann als notenrelevanter Bonus einfließen.299 Sinnvollerweise sollten mindestens zwei Punktrichter die Bewertung übernehmen. Dabei kann es sich um Lehrkräfte handeln oder eine Kombination aus Lehrenden und Lernenden. Besonders motivierend kann sich eine Kooperation mit einem Debattierclub auswirken. In diesem Fall können die im Wettbewerb erfahrenen Mitglieder des jeweiligen Clubs sowohl den Ablauf als auch die Bewertung aktiv unterstützen. Übung: 5-Satz-Technik Jeweils zwei Lernende wählen ein kontroverses Thema über das sie coram publico sprechen möchten. Lernender 1 übernimmt die Position eines kritischen Journalisten; Lernender 2 die des Interviewpartners. Der „Journalist“ stellt Fragen und sein Gegenüber muss diese mittels der rhetorischen 5-Satz-Technik beantworten. Letztgenannter entscheidet, welche Form der 5-Satz-Technik er einsetzen möchte. Bei der Übung geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern darum die Denkstrukturen der 5-Satz-Technik zu verinnerlichen. Nach drei Fragen wechseln die Probanden die Rollen. Der Einsatz einer Kamera zur späteren Auswertung ist sinnvoll. Wenn keine Kamera zur Verfügung steht empfiehlt sich eine Auswertung jeweils nach Beantwortung der einzelnen Frage. Notengebung Alle drei Prüfungsformen: Redeskript, Redevortrag und Debatte, können mit „Bestanden/Nicht-Bestanden“ oder einer Note bewertet werden. Da die geprüften Fähigkeiten keinen mathematischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, sollte die Bewertung möglichst detailliert erfolgen; Dies objektiviert die Ergebnisse.

22.4

Kritische Analyse

Klassische Prüfungsformen, wie beispielsweise die Wissensabfrage oder der Lückentest, haben sich über Generationen hinweg bewährt. Sie ermitteln, ob die Prüflinge erworbenes Wissen widergeben, interpretieren oder auf andere Sachverhalte übertragen können. Psychologische Tests und Assessment-Center gehen weiter; sie messen (scheinbar) die Kompetenzen, die sich den klassischen Prüfungsverfahren entziehen. In diese Linie reiht sich die Prü-

299

Vgl. Hoppmann, Rex, Bartsch, 2004, S. 268 ff

280

Claudia Hoffmann

fung der Schreib-, Sprach- und Debattierfähigkeit zum Abschluss eines Rede- und Debattiertrainings ein. Wie in allen Prüfungen gehen damit Vor- und Nachteile einher. Vorteile Die Beschäftigung mit der Rhetorik im weitesten Sinne und die kameraunterstützte Prüfung in Rede und Debatte fördert eine ganzheitliche Kompetenzwahrnehmung. Aus dem Blickwinkel der Lernenden bedeutet dies, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen und gleichzeitig die Perspektiven auf die eigenen Fähigkeiten zu wechseln: Kamerasicht, Selbst- und Fremdwahrnehmung. Unter dem Oberbegriff Rhetorik können in diesem mehrstufigen Prüfungssystem eine ganze Reihe von Einzelkompetenzen eine Bewertung erfahren. Schreiben, reden und diskutieren stehen im Vordergrund. Gleichzeitig geht es aber auch um Recherche, Prioritäten, Allgemeinwissen, soziale Kompetenz und Empathie. In welchem Maße Lernende über diese Eigenschaften verfügen, hat unmittelbaren Einfluss auf ihre Prüfungsleistung und damit auf die Bewertung. Die Prüfung selbst ist auch Lerninstrument. Sie kann ihre Wirkung direkt und nachhaltig entfalten, indem sie die individuellen Stärken des jeweiligen Probanden sichtbar macht und damit die Bewertung für die Prüflinge transparenter. Bedingt durch die breite Prüfbasis im Hinblick auf die zu testenden Fähigkeiten und das transparente Bewertungssystem, ergibt sich ein objektivierter Blick auf wichtige Schlüsselkompetenzen. Er wird durch detaillierte Prüfungs- und Bewertungsbögen unterstützt. Der entzerrte Prüfungszeitraum (mehrstufige Prüfung) und die Art der Testverfahren lässt Spielraum für eine Lernentwicklung und wirkt in diesem Sinne motivierend. Das Rede- und Debattiertraining, als Basis dieser alternativen Prüfungsform, hat einen hohen praktischen Nutzen. Es bietet Raum Fähigkeiten zu entwickeln, die beruflich und privat Erfolg versprechen. Insbesondere die bewusste Beschäftigung mit den kommunikativen Prozessen und der professionelle Umgang mit Feedback lassen sich direkt in die Praxis transferieren. Sprech- und Schreibblockaden überwinden sowie Schlagfertigkeit und ein sicherer Umgang mit Argumenten sind positive Nebeneffekte dieser Lern- und Prüfungsform. Herausforderungen Der erfolgreiche Einsatz von Rede und Debatte hängt unmittelbar von der Kompetenz der Lehrenden ab. Theoretisches Grundlagenwissen reicht nicht. Nur gute Redner, mit ausgeprägten rhetorischen, sozialen und kommunikativen Kompetenzen sowie der Fähigkeit das gesprochene Wort in einen Text gießen zu können, sollten die Prüfungsform einsetzen. Ebenso wichtig wie die Qualifikation der Lehrenden ist die soziale und kommunikative Kompetenz der Gruppenmitglieder. Sie beeinflussen, insbesondere durch ihr Feedbackverhalten und -vermögen, den Lern- und Prüfungserfolg jedes Einzelnen. Im Prüfungsprozess treten zudem die unterschiedlichen Leistungsniveaus für alle sichtbar hervor; dies kann auf leistungsschwächere Teilnehmer demotivierend wirken. Grundlage für eine objektive und den Lernenden angemessene Beurteilung ihrer Prüfungsleistung ist eine möglichst gute Beherrschung der deutschen Sprache und ihrer Ausdrucksnuancen.

22 Rede und Debatte

281 Zusammenfassung Rede und Debatte

Kurzbeschreibung

Die Teilnehmer erstellen ein Redeskript und tragen die Rede vor. Sie nehmen aktiv an einer Aussprache im Stil der Offenen Parlamentarischen Debatte teil.

Vorgehen

      

Auswahl der Vortragsthemen Wissensvermittlung Bewertung der Redeskripte Individuelles Feedback Wissensvermittlung Vortragsreihe mit Bewertung und Feedback Durchführung und Bewertung der Debatte(n)

Lernziele

     

Kommunikationswissen Rhetorische Kompetenz Analytisches Denken Argumentatives Verknüpfen Empathisches Handeln Textkompetenz

Voraussetzungen

   

Lehrender mit Rede- und Debattierkompetenz Lernende mit sozialer Kompetenz Gute Deutschkenntnisse 12–16 Unterrichtseinheiten und mind. vier Wochen vor der ersten Prüfungseinheit

Literatur und hilfreiche Links



Verband der Debattierclubs an Hochschulen (Hrsg.), Regeln & Formate, http://www.vdch.de/debattieren/regeln/, Berlin o. J., Abrufdatum: 11.2.2013



Hoppmann, M.; Rex, B.; Bartsch, T.-C. (Hrsg.), Handbuch der Offenen Parlamentarischen Debatte, 3. Aufl., Göttingen 2004

Autorenverzeichnis Dr. Petra Bauer Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Arbeitsschwerpunkte: Medienpädagogik, Hochschuldidaktik Prof. Dr. Andrea Beyer Professorin für Betriebswirtschaft und Medienökonomie; Studiengangleiterin des BachelorStudiengangs Betriebswirtschaftslehre an der Fahhochschule Mainz; Vizepräsidentin der Fachhochschule Mainz Arbeitsschwerpunkte: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Medienökonomie, Unternehmenskommunikation, Wirtschaftsjournalismus Prof. Dr. Markus Böhner Leiter des Studienseminars für Berufsbildende Schulen in Mainz; Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität Mainz Arbeitsschwerpunkte: Kompetenzforschung und -erfassung, (Aus)Bildung von Lehrkräften, (Hoch)Schuldidaktik Florence De Boni Wissenschaftliche Mitarbeiterin am E-Learning Center der Fachhochschule Mainz Arbeitsschwerpunkte: didaktische und technische Unterstützung der Lehrenden beim Einsatz elektronischer Lehr-/Lerntechnologien Prof. Dr. Sven Fischbach Professor für Controlling, Finanz- und Rechnungswesen; Leiter des berufsintegrierenden Bachelor-Studiengangs Betriebswirtschaftslehre (BIS) an der Fachhochschule Mainz Arbeitsschwerpunkte: Kostenrechnung, Operatives Controlling, Unternehmenssimulationen, Business Planning Silke Hamann E-Learning-Autorin und Projektmanagerin bei der wingsacademy GmbH & Co. KG Arbeitsschwerpunkte: Konzeption und Erstellung von webbasierten Trainings, Betreuung eines Lern-Management-Systems

284

Autorenverzeichnis

Claudia Hoffmann Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Fachhochschule Mainz Arbeitsschwerpunkte: Vermittlung von Schlüsselkompetenzen, Kommunikation, Rhetorik, Präsentationstechniken, Textkompetenz, Wissenschaftliches Arbeiten, Sozialkompetenz Prof. Dr. Ulrich Holzbaur Professor für Wirtschaftsingenieurwesen und Industrial Management an der Hochschule Aalen Arbeitsschwerpunkte: Projektmanagement, (Bildung für) Nachhaltige Entwicklung Prof. Dr. Nicole Jekel Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Controlling an der Beuth Hochschule für Technik Berlin Arbeitsschwerpunkte: Persönliche und unternehmerische Prozessoptimierung, ganzheitliches Performance Measurement, strategisches Controlling, Vertriebs- und Marketing-Controlling Prof. Dr. Kurt Koeder Professor für Betriebswirtschaft, mit dem Schwerpunkt Personalmanagement Arbeitsschwerpunkte: Personalentwicklung/Mitarbeiterförderung, Personalmarketing und wissenschaftliches Arbeiten/Studienmethodik Prof. Dr. Frank Mehler Professor für Informatik und Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Bingen Arbeitsschwerpunkte: Software-Entwicklung, ERP-Systeme, selbstorganisierende Systeme, Geschäftsmodelle Prof. Dr. Anett Mehler-Bicher Professorin für Wirtschaftsinformatik; Dekanin am Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule Mainz Arbeitsschwerpunkte: e-Business, Augmented Reality, Projektmanagement Prof. Dr. Ulrich Nissen Professor für Controlling an der Hochschule Niederrhein Arbeitsschwerpunkte: Controlling, insbes. in der Energiewirtschaft und Betriebswirtschaftliches Energiemanagement Prof. Dr. Herbert Paul Professor für Unternehmensführung; Studiengangleiter des berufsintegrierenden Masterstudiengangs Management an der Fachhochschule Mainz Arbeitsschwerpunkte: Strategie, Internationales Management, Unternehmensentwicklung

Autorenverzeichnis

285

Prof. Dr. Britta Rathje Professorin für Rechnungswesen und Controlling; Studiengangleiterin des Master Studiengangs Management (Vollzeit) an der Fachhochschule Mainz Arbeitsschwerpunkte: Kostenrechnung, Operatives Controlling, Unternehmenssimulationen Michael Reiß Selbstständiger Unternehmer und Inhaber der Unternehmensberatung 1stCONCEPT und des CONCEPTEMverlags; Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Mainz Arbeitsschwerpunkte: Innovation, Marktorientierte Unternehmensführung, Strategische Planung, Marketing- und Vertrieb, Reality Planning Prof. Dr. Jens Reinhardt Professor für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Mainz Arbeitsschwerpunkte: Entwurf und Einsatz großer Softwaresysteme, Management von IT-Projekten Achim Saulheimer Projektmitarbeiter in der Drittmittelforschung insbesondere im Bereich Personal- und Organisationsentwicklung an der Fachhochschule Mainz Arbeitsschwerpunkte: Mehrjährige Tätigkeit bei KMU vorwiegend in den Bereichen Personal und Controlling. Tätigkeitsschwerpunkte vor allem im Aus- und Weiterbildungswesen Jochen Schenscher Selbstständiger Unternehmensberater und Dozent Arbeitsschwerpunkte: Innovation, Marktorientierte Unternehmensführung, Strategische Planung, Marketing- und Vertrieb, Reality Planning Prof. Dr. Avo Schönbohm Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Controlling an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin Arbeitsschwerpunkte: Controlling, Interne Revision, Strategisches Management, Verhandlungsführung Lothar Steiger Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Fachhochschule Mainz Arbeitsschwerpunkte: Reality Planning, Augmented Reality, IT, Marktforschung Dr. Kathrin Strässer-Knüttel Leiterin Personalmarketing und Personalentwicklung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) in Mainz Arbeitsschwerpunkte: Personalentwicklung, Talent- und Kompetenzmanagement, Führungskräfte- und, Expertenentwicklung, Entwicklung von Instrumentarien zur zielgruppenspezifischen Förderung, Entwicklung didaktisch- methodischer Ansätze und Konzepte.

286

Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Ute Vanini Professorin für Controlling und Innovationsmanagement; Prodekanin an der Fachhochschule Kiel Arbeitsschwerpunkte: Performance Measurement, Risikomanagement, Verhaltenseffekte durch Controlling Carmen Venus Studentin der Bildungswissenschaften an der Fernuniversität Hagen sowie studentische Hilfskraft an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Aalen Arbeitsschwerpunkte: Kompetenzerwerb mit der Projektmethode Prof. Dr. Carsten Wilken Professor für Controlling und Kostenrechnung an der Hochschule Emden/Leer Arbeitsschwerpunkte: Forschung, Lehre und Projekte im Bereich Controlling, Kostenrechnung, Strategisches Management und Unternehmensplanspiel

Stichwortregister A Analytisches Denken 106, 274, 281 Annotationsprogramm 32, 33, 36, 37, 38 Arbeitsatmosphäre 241 Arbeitsmaterialien 236, 237, 242, 243, 247 Argumentation 63, 160, 186, 274 Argumentationstechniken 202 Aufzeichnungsbuch 253, 260 B Berufsalltag 69, 87, 88, 98 Best-Practice 164 Best-Practice-Beispiele 164 Blended-Learning 210, 262 Blogroll 17 Blogs Blogroll 17, 23 Permalink 17, 18, 24 Portfolios 21, 131, 177, 181, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 262 Posting 21, 24 RSS-Feed 18 Tag 17, 22, 24 Tag Clouds 17 Widgets 17, 23 Buchbeiträge 268 C Coach 156, 161, 178, 197, 204, 206, 227, 229, 236 Conceptem 224, 228, 233 Content-Management-System 15, 16, 20 Controlling-Labor 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 95, 96, 97, 98 D Debatte 159, 273, 274, 276, 278, 279, 280, 281 Debattierclubs 278, 281 Debattierformate 278 Debattierregeln 278 E Elektronische Abstimmungssysteme 7, 9, 13 Audience Response System 8 Classroom Response System 8

Clicker 7, 8, 9, 10, 12, 13 Webbasiert 8, 9, 10, 11, 12, 13, 283 Empathie 57, 93, 280 Entrepreneur 223, 228, 233 Erwachsenenpädagogik 252, 253 Experteninterviews 265 F Fallstudie Fallbeispiel 152, 153, 235, 236 Fallproblem 153 Fallsituation 152, 153, 154 Fallstudiensammlung 152 Fallstudienwettbewerb 152 Feedbackgespräch 262, 274 Forschung Forschungsansatz 185, 189 Forschungsmethoden 185, 186, 189, 191 Forschungsprojekt 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 193, 194 Forschungsprozess 183, 185, 193, 194 Fremdeinschätzung 257, 258, 259, 261 Fünf-Satz-Technik 279 G Gamification 3, 99, 100, 109, 110 Rangliste 104, 105 Spieldesign 99, 100, 101, 107 Gesprächsführung 57, 204, 265, 266, 270 Großveranstaltung 9 I Intrapreneur 222, 223, 228, 230, 233 K Kick-off-Präsentation 189, 190 Kommunikationsebene 277 Kompetenz Analyse- und Synthesefähigkeiten 256 Entscheidungskompetenz 58 Fachkompetenz 18, 23, 57, 65, 91, 92, 98, 174, 186, 197, 256 Fachwissen 18, 41, 43, 48, 57, 66, 69, 88, 91, 110, 121, 123, 127, 135, 181, 186, 194, 197, 207, 218, 235, 236, 237, 241, 247, 272

288 Faktenwissen 10, 105, 106, 129, 137, 141, 148, 183, 201, 212 Führungskompetenz 105, 106, 107, 110, 127, 129, 137, 209 Führungsqualifikation 143, 147 Handlungskompetenz 53, 129, 136, 146, 174, 181 Kommunikationskompetenz 58, 110, 272 Kompetenzsystematik 186 Kreativität 58, 76, 101, 107, 143, 147, 200, 224, 227, 230, 231, 236, 247, 267 Managementfähigkeiten 214 Medienkompetenz 18, 19, 26, 157, 164 Metakompetenz 253, 258, 261 Methodenkompetenz 18, 91, 93, 98, 127, 174, 176, 199, 256 Personalkompetenz 174, 176, 257 Problemlösungskompetenz 236 Selbstkompetenz 91, 92, 96, 98, 141, 148, 176 Sozialkompetenz 18, 26, 48, 71, 92, 93, 98, 127, 156, 157, 164, 174, 176, 181, 186, 207, 217, 218, 272, 284 Textkompetenz 275, 276, 281, 284 Unternehmerisches Denken 222, 227 Vernetztes Denken 212 Wissenstransfer 20, 128, 144, 148, 162, 177 Komplexitätsreduktion 198 Körpersprache 75, 273 L Lernatmosphäre 10, 215 Lernen Erfahrungslernen 252 Intergeneratives Lernen 125, 130 Lebenslanges Lernen 18, 133 Lerneffizienz 253 Lernergebnis 26, 251, 253, 254, 255, 257, 258, 261, 262 Lernleistung 140, 251, 259 Lernpartner 257, 259 Lernprozess 7, 10, 12, 13, 15, 20, 24, 54, 58, 64, 139, 142, 146, 161, 162, 186, 187, 193, 194, 216, 217, 235, 254, 255, 257, 260, 261 Reflexives Lernen 251, 253 Selbstbestimmtes Lernen 267 Soziale Formen des Lernens 3, 139 Soziales Lernen 139, 144, 145, 148 Sozialformen des Lernens 65, 66, 140 Lernlogbuch 254, 260 Lernportfolio 255, 256, 257, 261 Lernprotokoll 255, 256, 257 Lerntagebuch 20, 254, 259, 260 Ludifikation 99, 100, 106, 107, 108, 109

Stichwortregister M Mentoring 125, 126, 127, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137 Motivation 2, 3, 24, 31, 57, 61, 66, 100, 103, 104, 109, 129, 143, 155, 167, 178, 179, 180, 193, 194, 205, 216, 217, 230, 231, 242, 271 P Planspiel Branchenspezifisches Planspiel 214 Brettplanspiel 210 Computergestütztes Planspiel 210, 218 Haptisches Planspiel 210 Konkurrenzplanspiel 210, 211 Unternehmensplanspiel 70, 101, 108, 209, 212, 213, 214, 217, 218, 223 Podcasts 3, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48 Audio-Podcasts 41 Interview-Podcasts 42 Video-Podcasts 41 Präsentationstechnik 58, 93, 107, 180, 207, 213, 277, 284 Praxisreflektion 185 Problem Based Learning 236 Projekte Prepared Projects Method 173, 174 Projektdefinition 168, 171, 178 Projektmanagement 41, 127, 167, 168, 170, 171, 173, 174, 175, 177, 179, 181, 188, 284 Projektmethode 167, 169, 175, 177, 178, 179, 180, 181 Projektportfolio 167, 173, 174, 177 Prüfung 10, 11, 42, 43, 46, 109, 147, 167, 191, 197, 216, 273, 275, 280 Beurteilungskriterien 255, 262 Bewertungskriterien 179, 193, 255, 256, 257, 260, 261 Evaluierung 179, 181 Leistungserfassung 254, 256, 257, 258, 260, 261 Leistungsnachweis 188, 191, 265, 267, 271 Notenfindung 254 Notengebung 4, 46, 96, 109, 188, 191, 205, 216, 270, 271, 279 Prüfungsleistung 4, 136, 206, 265, 276, 280 Prüfungsvorbereitung 20, 146, 275, 276 Q Qualitätssicherung 230

Stichwortregister

289

R Reality Planning 224, 285 Recherche 62, 72, 81, 184, 265, 271, 275, 279, 280 Rede 39, 46, 47, 202, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 280, 281 Redekunst 273 Redeskript 273, 276, 279, 281 Redestruktur 276 Redezeit 277 Regelkreismodell 221 Reverse Mentoring 126, 127, 128, 129, 130, 132, 134, 135, 136 Mentee 126, 127, 129, 130, 131, 132, 134, 137 Mentor 125, 127, 129, 130, 131, 132, 137 Rezeption 251 Rhetorik 71, 93, 142, 273, 274, 275, 280, 284 Rollenspiel 3, 21, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 70, 72, 85, 100, 107, 139, 157, 158, 163 Beobachtung 57, 58, 63, 64, 96, 257 Rollenkarte 56, 57, 59, 60, 62, 65 Spielszenarien 55

Lesefehler 116 Lesegeschwindigkeit 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 123 Lesetechnik 114, 115 Textverständnis 113, 114, 117, 118, 119, 120, 121, 123 Stegreifschreiben 277

S Schreibblockade 275, 280 Selbsteinschätzung 142, 251, 257, 258, 259, 261 Siebensprung-Methodik 156, 200, 201, 236 Smartboard 33, 34, 37, 259 Smartphone 1, 3, 7, 9, 10, 11, 12, 18, 29, 30 Speed Reading/Schnelllesen 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 123

V Veranschaulichungsbeispiel 235, 236, 237, 238, 241, 242 Virtual Classroom 35, 37 Voting 32

T Tablets 3, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 38, 226 Active Digitizer 30 Dual Digitizer 30 Passive Digitizer 30 Twitterwall 32 U Überforderung 180, 193, 213, 217 Unternehmen Unternehmensberater 70, 197, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 230, 285 Unternehmenspraxis 104, 198, 229 Unternehmenstheater 69, 70, 71, 72, 73, 76, 85

W Web 2.0 16, 26, 126, 127, 131, 132, 133, 134, 135