Magister Theodoricus. Hofmaler Kaiser Karls IV. 8070351616


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Magister Theodoricus. Hofmaler Kaiser Karls IV.
 8070351616

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D IE K Ü N ST L E R ISC H E A U SSTA TTU N G D E R SAKRALRÄUM E A UF B U R G K A RLSTEIN

JIR I FAJT - JAN R O Y T

PRAG, ST.-AGNES-KLOSTER 12. NOVEMBER 1997 - 26. APRIL 1998

D IE AUSSTELLUNG STEHT U N TE R DER SCHIRM HERRSCHAFT DES PR Ä S ID E N TE N DER TS C H E C H IS C H E N REPUBLIK VACLAV HAVEL U N D DES ERZBISCHO FS V O N PRAG M ILO SLA V K A R D IN A L VLK

1 Vlagister Theodoricus, Hofmaler Kaiser Karls IV., zog u n d zieht noch immer die Aufmerksamkeit zahlreicher in- u n d ausländischer Kunsthistoriker a u f sich. Der eigentliche Grund f ü r dieses Interesse ist nicht n u r die Tatsache, d a ß er der erste Maler in Böhmen ist, den wir aus schriftlichen Quellen kennen u n d den wir mit einem konkreten, a u f uns gekommenen Denkmal als dessen Urheber identifi­ zieren können, sondern vor allem Theoderichs malerisches Werk selbst. Dieses Werk nun hat sich a u f fa st wunderbare Weise in der Heiligkreuzkapelle a u f der Burg Karlstein erhalten u n d besteht aus Tafelbildern u n d Wandmalereien. Die Ausstattung der Kapelle hat in Konzeption, A usm aß u n d künstlerischer Qualität ihrer Malereien in der Welt kaum ihresgleichen, u n d es ist wohl nicht übertrieben, wenn wir sie mit solchen Kunstwerken u n d Phänomenen vergleichen ivie mit der Arena-Kapelle in Padua, den Kirchen in Assisi oderS. Croce in Florenz, mit dem päpstlichen Palast in Avignon oder der sich entfaltenden Kultur der Aristokratenhöfe in Angers oder Paris. Die Pracht u n d der Prunk der Ausstattung des Heiligtums a u f Karlstein entspricht voll und g a n z der Funktion, die ihm Pate stand, denn es war die Schatzkammer fü r die heiligsten Reliquien der christlichen Welt. Die fü r die Realisierung solcher monumentaler u n d aufwendiger künstlerischer Anlagen - z u denen neben dem Prager Veitsdom, der Prager Neustadt oder dem Vysehrad sicherlich auch die Burg Karlstein gehörte - geeigneten wirtschaftlichen Voraussetzungen jedoch sind erst nach der Krönung Karls IV. zu m König von Böhmen geschaffen worden. Obgleich Meister Theodericb eine durchaus schöpferische Persönlichkeit war, gibt es keinen Zweifel daran, d a ß sich an der Ausstattung des Sakralbaues mehrere Urheber beteiligt haben, natürlich unter des Meisters konzeptioneller und künstlerischer Leitung. Die Größe des Genies eines Theodericb hätte sich nicht voll entfalten können, wenn der Maler nicht so viel Verständnis u n d Großzügig­ keit gefunden hätte, wie sie der gebildete und kunstliebende Kaiser Karl IV. seinen Künstlern u n d Architekten gewährte, aber auch andere Persönlichkeiten des kaiserlichen Hofes, namentlich der kaiserliche Kanzler Johann von Neumarkt u n d der Prager Erzbischof E m st von Pardubitz. Die Burg Karlstein, über deren Konzeptionen u n d künstlerische Ausstattung bereits so viel geschrieben worden ist, hat sich - u n d wird sich wohl auch in Z ukunft - einer gewissen Mythisierung nicht erwehren können, wie sie die Romantik des 19. Jh. erstmals m it sich brachte. Deshalb wird es auch weiterhin das Bemühen des Historikers sein, alle Umstände, die z u r Entstehung der Burg u n d ihrer Ausstattung geführt haben, objektiv abzuwägen u n d sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich z u machen. Diese Ausstellung dokumentiert eine weite­ re Stufe in der Erforschung des Karlsteins, die vor allem dank der soeben ab­ geschlossenen Restaurierung seiner künstlerischen Ausstattung erreicht werden konnte, nicht zuletzt durch die enge Zusammenarbeit zwischen Kunsthistorikern, Historikern, Archivaren, Restauratoren u n d Technologen. Einzig so dürfte es wohl gelungen sein, das Kunstwerk im breiten Kontext seinerzeit z u interpretie­ ren. Doch sind wir uns selbstverständlich bewußt, d a ß diese Ausstellung keine endgültige u n d unveränderliche Wertung der in ihr angesprochenen Problematik darstellt - sie ist in diesem Sinne eher ein weiterer Beitrag z u deren tieferer Erkenntnis.

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“Im Jahre des Herrn 1365... der Kaiser baute diese Burg eines bewundernswer­ ten Werkes mit sehrfesten Mauern, wie sie bis zu m heutigen Tag zu sehen ist, und richtete im oberen Turm eine große Kapelle ein, deren Wände er mit reinem Gold u n d Edelsteinen bedeckte, und verschönerte sie sowohl mit Heiligenreliquien als auch mit Ornaten fü r Dekan und Kapitel, und auch ein Kollegium verfügte er dort, und schmückte sie mit sehr wertvollen Malereien. A u f der ganzen Welt gibt es nicht Burg noch Kapelle eines so wertvollen Werkes, u n d dies m it Recht, denn in ihr bewahrte der Kaiser die kaiserlichen Zeichen und Schätze seines ganzen Königreiches a u f ..." BENESCH KRABICE VON WEITMÜHL Chronik der Prager Kirche, 3. Viertel 14. Jh.

1. Meister Tbeoderich, Karl der Große - Tafelbild aus der Heiligkreuzkapelle, etwa 1360 -1364. Karl der Große nim m t unter den Tafel­ bildern der Kreuzkapelle einen bedeutenden Hang ein, weil er von Kaiser Karl IV. nicht n u r als dessen Schutzherr, sondern auch als Vorgänger erachtet wurde, der den Ruhm des römischen Kaisertums zu neuem Leben erweckte. 2. Der Karlstein von Norden. Aus dieser Himmelsrichtung fü h rte der einzige Zugangs­ weg z u r Burg, die hier von der mächtigen M auer des großen Turmes geschützt wurde, die bis z u 7 m breit war.

Die Burg Karlstein ist eine Anlage, die zu den wertvollsten Kunstdenkmälern der Welt gehört. Konzeption und künstlerische Ausstattung der Burg, die man mit Recht großzügig nennen darf, sind eng mit deren Stifter verbunden: mit Karl IV., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und König von Böhmen. Karl IV. - mit Taufnamen Wenzel - hatte von seinen Eltern, dem böhmischen König Johann von Luxemburg, der als einer der letzten Ritter des Mittelalters sein Leben lang in engem Kontakt mit der großartigen Kultur des mittelalterlichen Frankreichs zugebracht hatte, und dessen Gattin Elisabeth von Böhmen, einer stolzen Frau aus dem berühmten Geschlecht der Premysliden, die jahrhundertelang in und über die böhmischen Länder geherrscht hatten, die besten Eigenschaften geerbt. Nach Peripetien seiner Kindheit war der begabte Jüngling von seinem Vater zur Erziehung an den Hof der mit den Luxemburgern verwandten französischen Könige geschickt worden. Hier nahm sich ein Mann großer intellektueller Fähigkeiten und moralischer Qualitäten seiner Erziehung an: Abt Pierre Roger von Fecamp, der später durch glückliche Fügung Papst Clemens VI. werden soll­ te und es in dieser Eigenschaft seinem einstigen Zögling ermöglichte, zu den damals höchsten Ehren weltlicher Herrschaft zu greifen: der Kaiserkrone. Wie Karl IV. später in seiner Autobiographie vermerkte, lernte er nicht nur das Schreiben, sondern auch das Rezitieren der Stundengebete der seligen Jungfrau Maria, was eigentlich nur Klerikern Vorbehalten war. An der Pariser Sorbonne machte sich Karl mit den theologischen Strömungen seiner Zeit bekannt, namentlich mit der Lehre der hll. Augustin und Thomas von Aquin. Karls Persönlichkeit bildete sich vor allem im Milieu des Königshofes heraus, wo er Formen absoluter Herrschaft, das Hofzeremoniell der französischen Könige und schließlich die „Staatsfrömmigkeit“ kennenlernte, zu der der Ludwigskult, also der Kult des in der Abtei von St. Denis beigesetzten Patrons der französischen Könige, und die Verehrung der wertvollsten, mit Christus selbst verbundenen Reliquien in Sainte-Chapelle gehörten. Das ritterlich-feine kulturelle Milieu des Pariser Hofes hatte Karl IV. zeit seines Lebens geprägt. Auch für die humanisti­ sche Kultur der reichen italienischen Städte empfand Karl IV. Bewunderung, ob­ gleich ihm ihre politische Zersplitterung und die Profanisierung der politischen Ideen, wie sie der „römische Tribun“ Cola di Rienzo propagierte, fremd waren. Bekannt ist vor allem Karls Korrespondenz mit dem führenden italienischen Humanisten Francesco Petrarca. Nur wenige Monarchen konnten es damals mit Karls Intellekt aufnehmen. ' Von der Breite seiner Begabung und Bildung zeugen auch seine Sprachkenntnisse, denn er konnte, wie er in seiner Biographie selbst schreibt, „nicht nur böhmisch sprechen, schreiben und lesen, sondern auch französisch, italienisch, deutsch und lateinisch“. Bevor er allerdings seine großartigen Pläne

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Dieses Bestreben wird auch schon allein durch die Bestimmung der Burg Karlstein als „ewiger“ Schrein der heiligsten Reliquien des Heiligen Römischen Reiches und des Königreiches Böhmen bezeugt. Der Erbe böhmischer Könige aus dem Geschlecht der Premysliden betonte fast programmatisch den Kult der himmlischen Schutzherren des Landes: der böhmischen Landespatrone, insbe­ sondere ihres Primas, des hl. Wenzel, dem er die böhmische Königskrone weihte und dessen er auch auf Karlstein gedachte. Modell dieses „Staatskultes“ war für Karl IV. die Verehrung, die man dem französischen König Ludwig ange­ deihen ließ. Außerordentliche Fähigkeiten entwickelte Karl auch bei der Auswahl seiner engsten Ratgeber, seien es nun die Prager Erzbischöfe Ernst von Pardubitz und Johann Ocko von Vlasim oder sein Kanzler Johann von Neumarkt. Gerade in diesem Kreis von Persönlichkeiten entstand das, was wir die höfische Kultur der Zeit Karls IV. nennen.

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3. Ansicht Prags, Schedelsche Weltchronik, Holzschnitt, um 1490. Die älteste Vedute Prags zeigt die mittelalterli­ che Stadt u n d die Burg so, wie sie von Karl IV., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches u n d König von Böhmen, großzügig konzi­ piert worden war.

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in die Tat umzusetzen vermochte, mußte er zahlreiche größere oder kleinere mi­ litärische Auseinandersetzungen in ganz Europa, insonderheit in Italien beste­ hen. Unabdingbare Voraussetzung für eine harmonische Entwicklung der Persönlichkeit Karls IV. war sein tiefer Glaube an Christus, die Jungfrau Maria und die Heiligen. Ein eindringliches Zeugnis von Karls „persönlicher Frömmigkeit“ liefert die bereits erwähnte Biographie, die er sehr wahrscheinlich selbst verfaßt hatte. In ihr finden wir neben Schilderungen historischer Ereignisse auch geistliche Unterweisungen für die Nachfolger, die „auf meinem Doppelthron sitzen werden“, Berichte von zahlreichen Träumen mit sittlicher Belehrung voller biblischer Gleichnisse. Auch seine weitere literarische Tätigkeit, besonders die Beteiligung an der Konzeption und Redaktion der „Majestas Carolina“, einer Art Landesgesetz, an den Offizien zum Fest der Heiligen Lanze und des Kreuznagels, am Erlaß einer „Krönungsordnung für den König von Böhmen“, an der Abfassung der „Neuen Historie vom hl. Wenzel, dem Märtyrer und böhmischen Herzog“ - einer Legende des Landespatrons - sowie an einer Anthologie sittlicher und theologischer Reflexionen u.a.rn., verdient für einen Herrscher des Mittelalters ganz außerordentlich genannt zu werden. Offensichtlich ist auch, daß Karl IV. daran glaubte, im Besitz der Gnade Gottes zu sein, als dessen irdischer Stellvertreter er sich fühlte. Bestätigt sah er sich darin im plötzlichen Ableben einiger seiner persönlichen Feinde. Typisch für Karls Anschauungen ist, wie er das Alter seines Herrscherhauses betont, was sich sowohl in den beiden Gemälden des Luxemburger Stammbaumes auf Karlstein und im Königspalast der Prager Burg zeigt als auch in der Überführung der sterb­ lichen Überreste seiner premyslidischen Vorfahren in den Veitsdom und in ihrer Glorifizierung ebenda. Sich selbst stellte Karl IV. als frommen Herrscher dar, der an die Priesterkönige des Alten Testaments anknüpft: an David, Salomo und Melchisedek. Dazu trug sicherlich auch der Umstand bei, daß er die niederen Diakonatsweihen empfangen hatte, die ihn zur Lesung des Evangeliums beim Gottesdienst berechtigten. Tief im Mittelalter verwurzelt war Karls Glaube an die segnende Kraft der Reliquien. Besondere Aufmerksamkeit widmete er den Passionsreliquien Christi; seine Sammlung gehörte zu den vollständigsten in der damaligen christlichen Welt. Auf seinen Reisen versäumte er es nie, die Kirchen und Klöster aufzusuchen, die durch Heiligenreliquien berühmt waren, und ließ sich dort sehr oft wenigstens Teile dieser Reliquien aushändigen. Es hat ganz den Anschein, als habe Karl aus der Stadt Prag wegen der dort angehäuffen Heiligenreliquien und der zahlreichen kirchlichen und weltlichen Stiftungen nicht nur die Residenzstadt des Königreiches Böhmen, sondern sogar den Sitz des gesamten kaiserlichen Reiches machen wollen, also eine Art zweites Rom.

4. Sainte-Chapelle im Königspalast in Paris, 1241/1243 -1248. Diese a u f G eheiß des französischen Herrschers Ludwig IX. errich­ tete u nd später heiliggespro­ chene Kapelle wurde zu m Kultzentrum der Passions­ reliquien, vor allem deshalb, weil hier die Dornenkrone Christi a u ß e w a h rt wurde, die der hl. Ludwig 1239 dem byzantinischen Kaiser f ü r die enorm e Sum m e von 135 000 Livre abgekauft hat­ te, wobei der Bau des gesam­ ten Heiligtums 140 000 Livre betrug.

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In Böhmen haben sich zwei Bauwerke erhalten, die so etwas wie die „Summe“ der politischen Anschauungen und religiösen Überzeugung Karls IV. sind. Das eine Bauwerk ist der St.-Veits-Dom, in dem die Reliquien der Landespatrone und die sterblichen Überreste der Vorgänger Karls sowie die Krone des Königreiches Böhmen aufbewahrt werden; letztere schmückt, von einer kunstvollen goldgeschmiedeten Herme umgeben, in der Wenzelskapelle den Schädel des hl. Wenzel, des Erben der böhmischen Länder. Das andere Bauwerk ist die Burg Karlstein, in dessen Konzeption Karls Idee von der Annäherung „geistlicher und weltlicher Macht“ - sacerdotia et imperia - heran­ reifte. Diese Burg kann ohne weiteres als der „Glanz von Reich und Königtum“ 5. Kaiser Heinrich VII. von Luxemburg, der Vater des Königs von Böhmen Johann von Luxemburg. Codex Heidelbergensis, 1574 bis 1575. Der im Archiv der Nationalgalerie Prag befind­ liche Codex ist eine Kopie der nicht erhaltenen W and­ malereien aus dem großen Saal des Kaiserpalastes un d enthält D arstellungen der legendären u n d Blutsver­ wandtschaft Karls IV.

6. Der Karlstein mit Blick von Westen. Von hier aus erkennt m an sehr gu t die stufenför­ mige Struktur der Burg. Die niedrigste, „weltliche“ Stufe stellt außer dem wirtschaftli­ chen H interland um den Burggrafensitz vor allem der Kaiserpalast m it St.-Niko­ laus-Kapelle, St.-WenzelsKapelle und großem Repräsentationssaal dar, des­ sen Wände die Malereien des berühm ten Luxem burger Stam m baum es schmückten. Den Mittelteil der Burg bildet ein kleinerer Turm, dessen M auern die Kapitelkirche St. Maria u n d ein kleines, den Passionsreliquien Christi geweihtes Oratorium (Katha­ rinenkapelle) beherbergen. Die D ominante der Burg ist auch in ideeller Hinsicht der groJSe Turm m it der Heiligkreuzkapelle.

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splendor imperii et regni - angesehen werden. Der Karlstein wurde offensicht­ lich 1348 gegründet, wie aus einer bloßen Marginalie in der Chronik des Benesch Krabice von Weitmühl hervorgeht. Die Nachricht von der feierlichen Gründung, an der neben dem Kaiser auch führende Persönlichkeiten des Hofes teilge­ nommen haben sollen, findet sich erst in der Böhmischen Chronik des Wenzel Hajek von Libotschan (1541), die nur sehr relativ als historische Quelle gelten kann. Der kaiserliche Pallas stand offensichtlich bereits 1355, denn es ist hier ein kurzer Aufenthalt des Herrschers belegt. Warum die Burg eigentlich gegründet worden war, ist nicht klar, doch entschloß sich Karl IV. offenbar erst später dazu, die Burg in einen Schrein für die wertvollsten Reliquien des Heiligen Römischen Reiches und des Königreiches Böhmen zu verwandeln. Es hat den Anschein, als sei dies erst nach Karls Rückkehr von seiner Krönung in Rom erfolgt, und zwar in den Jahren 1355 - 1356. In architektonischer Hinsicht ist der Karlstein ein relativ konservatives Bauwerk, denn selbst den Verteidigungsansprüchen seiner Zeit entsprach er nicht mehr. Errichtet wurde er auf einem Bergsporn inmitten eines Tales. Den Schutz der Burgbauten übernahm ein massiver großer Turm, dessen fensterlose Nordmauer, die auf den einzigen, von Mofina her führenden Zugangsweg weist, 7 m breit ist. Was nun von der besonderen Aufgabe des Karlstein zeugt, ist der Umstand, daß es hier mehrere Sakralbauten, die allmählich errichtet wurden und

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7. Burg Karlstein , R eliquienszenen in der Marienkapelle, k u rz vor 1357. Diese Malereien re­ präsentativen Charakters stellen eine A rt Dokument dar, indem sie Karl IV. als passionierten Reliquien­ sam m ler darstellen u n d feiern. Die Heiligenreliquien sollten ihm Schutz, Macht u n d Verehrung a u f Erden sowie Erlösung im Himmel garantieren.

verschiedenen Zwecken dienten, und seit 1357 ein an der Marienkirche wirken­ des Kapitel gibt. Der Karlstein hat im wesentlichen eine dreistufige Struktur, die auf ihrer un­ tersten Stufe durch den Kaiserpalast, weiter oben durch einen kleineren Turm mit Marien- und Katharinenkapelle und auf der obersten Stufe dann durch einen großen Turm mit der Heiligkreuzkapelle repräsentiert wird. Diese Anordnung ist im Grunde Ausdruck des hierarchischen Denkens des Mittelalters. Die irdische Sphäre ist hier durch den Pallas vertreten, die himmlische Sphäre, abermals der Bedeutung entsprechend angeordnet, sowohl durch den kleinen Turm mit über­ wiegend marianischer Komponente als auch durch den großen Turm, dessen Programm sichtlich auf Christus selbst bezogen ist. Im Kaiserpalast befand sich die Nikolauskapelle, die am ehesten mit Wandmalereien ausgestattet gewesen sein dürfte, deren Thema das Reliquienwunder - der blutende Finger des hl. Nikolaus - war, das Karl IV. im Minoritenkloster „Na Frantisku“ in Prag widerfahren war. In den Privatgemächern besaß Karl IV. offenbar eine kleine, dem hl. Wenzel geweihte Kapelle. Einer der Säle des Palastes war mit Wandmalereien des sog. Stammbaumes der Luxemburger ausgestattet, der des Kaisers Rang im Hause Luxemburg legitimier­ te und von den alttestamentlichen Patriarchen, den antiken Göttern und Heroen über die Merowinger und Karolinger bis hin zu Karls direkten Verwandten führ

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8. Burg Karlstein, Reliquienszenen in der Marienkapelle (Ausschnitt), k u rz vor 1357. A u f diesem Bild fü g t Karl IV. in kaiserli­ chem Majestät einen Holzsplitter von jenem Kreuz, an dem Christus ge­ kreuzigt wurde, in das Reliquienkreuz ein. Obgleich die benachbarten Szenen reale Ereignisse schildern, ist es wahrscheinlich, d a ß das Kreuz, in das der Kaiser die Reliquie legt, nur eine freie Anspielung a u f das wunder­ schöne Reliquienkreuz des Königreiches Böhm en ist, welches Kaiser Karl erst we­ nig später in Auftrag gehen sollte.

te. Den Stammbaum können wir relativ verläßlich anhand illuminierter Skizzenbücher aus dem 16. Jh. rekonstruieren, die Malereien in der Nikolauskapelle hingegen sind fast spurlos verschwunden. Der Luxemburger Stammbaum ist wahrscheinlich zwischen 1356 und 1357 von einem französisch orientierten anonymen Maler - dem sog. Meister des Luxemburger Stammbaumes - geschaffen worden, der in der Fachliteratur mitunter mit Nikolaus Wurmser aus Straßburg identifiziert wird, der als Hofmaler Karls IV. bekannt ist. In dem kleineren Turm, der mit großer Wahrscheinlichkeit für profane Zwecke gedacht war, befinden sich zwei Sakralräume, die 1357 im Zusammenhang mit der Gründung des Kapitels von Burg Karlstein geweiht wur­ den. Ihrem Betrieb diente die Kapitelkirche St. Maria, wohingegen die Katharinenkapelle, die traditionell als Kaiser Karls IV. Privatkapelle gilt, neuer­ dings mit der Kapelle der Passionsreliquien identifiziert wird, wie sie die Gründungsurkunde des Kapitels erwähnt. Die Marienkirche, in den Quellen capella regia genannt, ließ Karl IV. für das Kapitel herrichten, dessen Pflichten im Gesang der Stundengebete, der Abhaltung von Gottesdiensten in den Sakralräumen auf Karlstein und in der Sorge um die dort verwahrten Reliquien bestanden. Die Marienkirche entstand im ersten Turmobergeschoß, indem man einen ursprünglich profanen Raum in zwei Teile teilte. Die Wände des Kirchenraumes schmücken bemerkenswerte Wandmalereien mit Themen aus der Apokalypse, aus dem Leben Christi und Marias und mit sog. Reliquienszenen, die noch vor der Weihe der Marienkirche (1357) entstanden waren. In der ersten Szene sehen wir Kaiser Karl IV., wie er von dem französischen Dauphin Karl zwei Dornen aus der Dornenkrone Christi und einen Holzspan aus dem Kreuz Christi überreicht bekommt. In der zweiten Szene erhält Karl IV. Reliquien, und zwar entweder aus den Händen - und darin unterscheiden sich die Angaben in

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Burg Karlslein, Apokalyptischer Zyklus an der W estwand der Marienkapelle, vor 1362 / 1363 . Die Apokalypse verleiht allgemein auch zeitgenössis­ chen eschatologischen Stimmungen Ausdruck, die von dem Wirken des Antichristen: dem Drachen dieser Welt, erzeugt werden. Einige Prediger der dam ali­ gen Zeit, so beispielsweise Johann Milic von Kremsier, setzten den Antichristen so­ gar m it dem Kaiser persön­ lich gleich.

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der Fachliteratur - des zyprischen und Jerusalemer Königs Peter I. von Lusignan oder des Königs von Ungarn und Karls Schwiegersohn Ludwig dem Großen. In der dritten Reliquienszene legt der Kaiser die wertvolle Reliquie des heiligen Kreuzes in ein goldgeschmiedetes Reliquienkreuz, das an das Kreuz des Königreiches Böhmen erinnert, welches bis heute im Domschatz von St. Veit ver­ wahrt wird. Über dem Streifen mit den Reliquienszenen befand sich eine Darstellung der Hl. Dreifaltigkeit, die von Kaiser Karl IV. und seiner ersten Frau, Blanche von Valois, verehrt wurde, wie dies aus den Beischriften unterhalb der Malerei hervorgeht. Leider ist diese wie auch andere Malereien in dem Bildstreifen unterhalb der Decke während der in der Renaissance erfolgten Umgestaltungen der Burg übermalt worden. Der heute nur zum Teil erhaltene Apokalypsen-Zyklus ist erst nach 1357 entstanden, offenbar unter dem Einfluß ähnlicher Themen, die in Italien nach der sog. großen Pest verbreitet wurden. Der Zyklus wurde am ehesten in zwei Etappen und von zwei verschiedenen Malern geschaffen. Die älteren Malereien, die die Ost- und Südwand der Marienkirche zieren, haben ausgesprochen narrativen Charakter und basieren auf dem Text der Offenbarung des Johannes, wie übrigens auch das jüngere, große Wandgemälde mit dem in die Wüste fliegenden apokalyptischen Weib und der sonnengekleideten stehenden Maria, nur daß dieses Bild in seinen Ausmaßen und seiner künstlerischen Gestaltung weitaus monumentaler und re­ präsentativer wirkt. An der Südwand der Fensternische befindet sich ein durch Halbedelstein-Inkrustation gebildetes Kreuz und darüber unter einem Stein, der Christi Grabplatte symbolisiert, die mit den Leidensstätten Christi in Jerusalem

70. Burg Karlstein, Apokalyptischer Zyklus an der Ostwand der M arien­ kapelle, vor 1 362/1363. Der apokalyptische Zyklus in die­ ser Gestalt erinnert auffällig a n mittelalterliche Bilder­ bücher, in denen der Text mit Illustrationen verbunden war. Ein g a n z ähnlich kon­ zipierter Gemäldezyklus be­ fin d e t sich an den Wänden des Chapter House in der Westminster-Abtei in London (ausgehendes 14. Jh.); sein Urheber, der stilistisch nicht allzu fernstehende H ambur­ ger Maler Meister Bertram, hatte sich, wenngleich wohl n u r mittelbar, von den böh­ mischen Beispielen inspirie­ ren lassen können.

zusammenhängenden Reliquien; ergänzt wird dies durch eine Malerei, die das Kruzifix zwischen zwei Engeln darstellt. Des weiteren ist in der Fensternische eine stark übermalte Szene zu erkennen, die die Anbetung des Kindes durch die Heiligen Drei Könige, die Ausgießung des Heiligen Geistes - dies allerdings sehr fragmentarisch -, die Herabkunft Christi in die Vörhöllen und wohl auch die Himmelfahrt Christi zeigt. Durch die Kapitelkirche gelangt man in die kleinen Katharinenkapelle, die ihr Licht durch zwei Spitzbogenfenster bezieht. Der Zugang zur Kapelle erfolgt über einen schmalen Gang, von dessen ursprünglich sicherlich reichhaltigeren Ausstattung, darunter wohl auch Edelstein-Inkrustationen, lediglich eine Malerei mit betendem Engel übriggeblieben ist. Den Gang kann man als eine Art Paradiesestor interpretieren, das von neun Engelchören geschützt wird, die über das gewölbte Eingangsportal gemalt sind. Die Wände der Katharinenkapelle sind von Anfang an bis in Fensterhöhe inkrustiert und mit polierten Halbedelsteinen besetzt sowie mit Wandmalereien verziert. Die Kapellenwölbung weist plastische Applikationen mit Kreuzmotiven auf, und der mit Edelsteinen geschmückte Schlußstein trägt eine antike Gemme. Das in den Sakralraum einfallende Licht wurde durch bunte Glasscheiben, auf denen sich Kreuzigungsszene und Schmerzensmann dargestellt finden, entsprechend verändert. In der Altarnische der Katharinenkapelle beten Karl IV. und seine Ehefrau Anna von Schweidnitz die thronende Madonna an, und an den Seitenwänden dieser Nische sehen wir die sie begleitenden Apostelfürsten Peter und Paul, mit denen zugleich die in der Kapelle dargestellte Apostelreihe ihren Abschluß findet. Dieses Wandgemälde

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12. Burg Karlstein, Gewölbeschlußstein m it Edelsteinen u nd MedusenG em m e in der Katharinenkapelle, vor 1357. Antike Gemmen wurden oft in mittelalterliche Reliquiare eingesetzt, da m an an ihre besondere Kraft glaubte. Die Verzierung des Schlußsteines entspricht der Schönheit u nd dem G lanz dieser kleinen Privatkapelle, deren Wölbung von goldenen Sternen auf blauem Hintergrund u nd mit kleinen Kreuzen bedeckt w ar u nd deren Wände Edelsteine zier­ ten.

11. Burg Karlstein, Blick a n die Altarnische der Katharinenkapelle, kurz vor 1357. Die thronende Maria m it Kind, die von dem kai­ serlichen Paar (Karl IV. und A n n a von Schweidnitz) a n ­ gebetet wird, dürfte z u den ältesten Malereien im Oratorium gehören. Begleitet w ird sie von den an die Seiten der Nische gemalten stehenden Apostelfürsten Peter u n d Paul, die die wert­ vollsten Passionsreliquien gleichsam bewachen. Diese Reliquien befanden sich in dem Reliquienkreuz des Königreiches Böhm en a u f der Altarmensa.