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German Pages 918 [928] Year 1853
Ludwig Tieck's
gesammelte Novellen.
Vollständige aufs Neue durchgesehene Ausgabe.
Dritter Band.
Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer.
1853.
Inhalt.
Älück giebt Verstand.......................................................
Seite 3
Der fünfzehnte November.................................................. 121 Tod des Dichters................................................................ 189t
Jsuiwig Tieck'» gesammelte Novellen.
Glück giebt Verstand. 1826.
schien, als wenn sich der Mai eigen dazu geschmückt
hätte, den jungen Simon im väterlichen Hause recht freund-
lich zu bewillkommen, denn alle Blumen und Blüthen waren aufgebrochen, so daß der ganze frischbelaubte Garten wie in einem einzigen duftenden Strauß aufgequollen dastand. Der
junge Mann, der Sohn des Landpredigers, sprang auch mit erneuten Sinnen über Feld und Wiese, lagerte sich in der geflochtenen Laube, hörte den summenden Bienen unter der
großen Linde vor dem väterlichen Hause mit Andacht zu,
und genoß, nach einer Abwesenheit von zwei Jahren, die Reize des Landlebens um
so ftischer, da er ihrer so lange
in einem Keinen Städtchen, unter drückenden und langweili
gen Geschäften hatte entbehren müffen. Die Mutter freute sich an der Trunkenheit ihres Soh
nes, aber der ernstere Bater hatte erwartet, daß der Sohn mehr mit der Miene des GefchästmanneS die Scene feiner
Kindheit besuchen würde.
Er bedachte nicht, daß er um so
viele Jahre älter, der Umgebung mehr gewohnt sei und des halb die Freude des Sohnes nicht theilen könne, dem er ein stolzeres und kälteres Wesen wünschte, um den Leuten mehr zu imponiren, die vor seinem jugendlichen ftohen Gesichte
keine große Achtung, viel weniger Scheu empfinden wollten.
Er, als ein stolzer und eitler Mann, hatte gehofft, daß in diesem Sohne der Glanz seiner Familie sich neu beleben
eiiet giebt DctfUnb.
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sollte, und au» diesem Grunde hatte er ihn auch bewogen, die Rechte zu studiren,
obgleich Simon in seiner Kindheit
und Jugend mehr Hang zur Einsamkeit zeigte und seiner Neigung nach
lieber so, wie sein Bater, als Prediger in
diesem Men, friedlichen Dörfchen seine Tage hingebracht hätte.
Immer schwebte dem Men daS ehrwürdige Bildniß
seine- eignen
Großvater- vor Augen, der als berühmter
Criminalrath in der Residenz auf einem großen Fuße gelebt hatte,
ob er gleich der Sohn eines Landpredigers gewesen
war.
Der Sohn dieses angesehenen Rechtsgelehrten war
mit wenigeren Talenten ausgestattet, oder minder vom Glück begünstigt gewesen, und deshalb hatte er seinen Sprößling,
den Bater Simon», der Theologie gewidmet.
Durch seinen
Einfluß, indem er eine, zwar untergeordnete, Rath-stelle be
neidete, hatte er ihm diese einttägliche Pfarre auf dem Dorfe, in einer schönen Gegend verschafft, und Bäring (so hieß der
Vater) hätte glücklich seyn können, wenn ihn nicht beständig
da» Gefühl gemartert hätte, er sei zu höheren Dingen be rufen, und habe au- Nachgiebigkeit gegen den Bater sein«
wahre Bestimmung
verfehlt.
Darum eben sollte Simon,
sein ältester Sohn, alle jene Ansprüche geltend machen und
den Platz in der Gesellschaft einnehmen, von welchem eine zu große Aengstlichkeit seine- Bater»
ihn für immer ent-
fernt hatte.
Simon selbst war
Weise.
ehrgeizig
genug,
aber auf
andre
Er war furchtsam, und sein Bater begriff nur seine
Zaghaftigkeit deshalb nicht, well der Sohn Talente, Kraft
und Männlichkeit daran geben sollte, um sich zu erheben, indessen er, au- sichrer Einsamkeit, sich al- Zuschauer am Glücke de» Erzeugten ergötzen wollte.
Die Mutter zitterte
im Gegentheil für den Geliebten und konnte die Grausam
keit de- Bater», wie sie dessen Aufmunterungen nannte, so
Si» in Wor ten ihm meinen Dank auszusprechen.
Er war eben so ver
wundert, als betrübt darüber, denn er meinte, er habe nichts als seine Pflicht gethan, und meine Riefte, und wie ich ihm
ehemals geholfen, seien mehr, als er mir jemals erwiedern könne.
Mit ihm kam ein Weißer, auch der Diener eines
Offiziers, der sich
gerettet und
unvermerkt den Schritten
meines Negers gefolgt war, in der Hoffnung, einen Weg aus der Wüste zu finden.
Dieser setzte sich zu mir,
als
mein Neger wieder auSgegangen war, um Früchte zu sam meln: £ mein Herr, sing er an, waS habt Ihr für einen
Sklaven: dergleichen, wenn ich es nicht mit angesehn hätte, würde ich keiner Erzählung glauben.
Wir rannten hieher,
und der Schwarze, als wir nach zwei Tagen diesen Fleck ge
funden hatten, schrie und sprang vor Freude, so verhungert und verdurstet er auch war.
Wie ein Tiger fiel er über die
Früchte her, so wie sie entdeckt waren, und sammelte sie in
ein Tuch.
Er wollte mich keine gemeßen lassen, und drohte
mir den Tod, wenn ich die abrisie, die seine Augen entdeck ten.
Als ich ihm seine unmenschliche Gier vorwarf und ihn
schelten wollte, sagte er mir, daß er alles nur für seinen
kranken Herrn einernte, und er rieth mir, machen, ohne ihn zu stören.
es eben so zu
Icb konnte ihn nicht begreifen.
?o- -es Dicbrers.
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da er schalt, als ich selbst genoß, was ich Kümmerliches fand, denn ich war dem Verschmachten ganz nahe, wie Ihr selbst
denken konnt. Er aber, der eben so lange gefastet hatte, als ich, nahm keine einzige der Beeren in seinen lechzenden Mund, weil er alles, wie er sagte, seinem lieben Herrn bringen
müsse.
Wäre unsre Noth nicht so fürchterlich gewesen, so
hätte ich lachen mögen.
Wirst Du ihn noch lebend antref
fen? sagte ich, es ist unwahrscheinlich, er wird schon längst dort, so gut wie mein Herr, verschmachtet seyn: wenn Du nun hinkonnnst, wirst Du dort, oder schon vorher, ebenfalls
sterben, und es ist noch sehr die Frage, ob Du die vermale deite Stelle nur wieder findest.
Dann, sagte er, möge er
aucb nicht mehr leben, wenn sein lieber Herr gestorben sei. So, ohne eine einzige Frucht zu kosten, ohne sich einen ein zigen Augenblick Ruhe zu gönnen, ist er nun, wie ein Wahn
sinniger zurück gerannt, und hat Euch, er, der Verhungerte,
sogar noch auf seinen Schultern hergetragen.
Mein Freund, als er mir nach Jahren diese Geschichte
erzählte, konnte sie nur mit der größten Rührung vortragen, er bemerkte hierauf: wie die Erschütterung der Seele wohl
manchmal den Gesunden tobten, oder ihn krank machen kann,
so half die Bewegung meines Herzens, das bei allen diesen Umständen so groß wurde, als wenn es brechen wollte, mir
jetzt zu einer Art von Gesundheit, und gewiß kann unsre Seele, durch so erhabene Erschütterungen, ihren Körper ver nichten, oder den gebrechlichen wieder stärken.
Ich konnte
etwas gehn, und so folgte ich ihm,-indem er mich wieder
fast immerdar trug, zu einem kleinen Wasserbehälter, den er
entdeckt batte.
Was ist ein Trunk Wasiers dem Elenden,
der diese frischende Woge seit manchem Tage entbehrt hat!
Nur dem es so mangelte, der es so wieder fand, kann wisien, welche Wollust und Wonne der Schöpfer dem Ermattenden
Töt' -es Dichters.
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in einem hohlen Steine zubereitel hat, und wie das Her;
dann die Güte Gottes erkennt und
sie mit Thränen des
Dankes genießt, um etwas, das selbst unser Bettler hier in seiner höchsten Noth saunt des Anblicks würdiget. — Kur;, der Neger half so seinem Herrn und Freund, sorgend, lie
bend, unermüdlich, pflegsam, tröstend, ihn leitend, führend, ihn speisend und tränkend, mehr vielleicht ausübend, als die
Mutter für den geliebten Säugling thun würde, so unersätt lich sich aufopfernd, daß er nach zehn vollen Wochen der
ungeheuersten Anstrengung feinen Herrn wieder einigen kands-
leuten in einem kleinen Orte übergeben konnte, zu welchem sie endlich nach der mühseligsten Wanderung gelangten. —
Jener weiße Diener hatte sich schon viel früher von und ent fernt, und mein Freund hat ihn niemals wieder gesehn,
wahrscheinlich ist er doch noch, so wie sein Herr, in dieser
heißen Wüste verschmachtet. Auf diese wunderbare Weise ward mein Freund damals gerettet, und er war der einzige, der von jenem ausgesendeten Truppen-CorpS jemals wieder zur Stadt zurück kehrte,
alle übrigen waren untergegangen.
Und ohne feinen Sklaven
ging er auch dort in der Wüste verloren.--------Der Kammerdiener meldete jetzt, daß Don Alonso oben
im Zimmer des Grafen warte, und dringend um ein Gehör ersuche.
Hast Du gesagt, rief der Graf, daß wir noch bei Tische seien?
Wohl, erwiederte der Diener, er wünscht auch nur we nige Minuten. Er möge sich gefallen lasten, sagte Fernando, oben sich
etwas nieder zu lasten, ich würde ihm binnen Kurzem meine Aufwartung machen.
Fernando fort,
Der
Lästigste aller Menschen, fuhr
als sie wieder allein waren, der es nicht
Tob br» Dichters.
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müde wird zu drangen und zu sollicitiren: ist es eine Ver schreibung, die übermorgen zahlbar ist, so kommt er schon
heute, giebt eS eine Verhandlung oder Streitfrage, die daS
Gericht entscheiden muß, so plackt und quält er vorher den
Theilnehmer des Prozesses, bringt so vielfältige Fragen und
Möglichkeiten herbei, daß, wenn man ihn geduldig anhört, die klarste Sache zur verwirrtesten wird und kein Gespräch
mit ihm das Ende findet.
Er mag darum etwas warten,
denn ich bin nicht gesonnen, mir gleich meine heitre Laune verderben zu lassen.
Was Ihr uns vortrugt, Sennor, fing jetzt der Haupt
mann an, ist höchst merkwürdig; die Treue dieses Schwar
zen ist fast eine beispiellose zu nennen, und freilich müssen wir mit Beschämung alle unsre vorigen Behauptungen zurück nehmen.
Ich meine aber, jener Gerettete, wenn er irgend
die Mittel dazu hatte, wird sich auch gegen diesen Sklaven
dankbar erwiesen und seine Treue auf ungewöhnliche Art be lohnt haben. LuiS verfärbte sich.
lich genug, meine Herren.
Gewiß, sagte er dann, ungewöhn Es fügte sich nehmlich, daß nach
vielen Jahren, in welchen jener Freund alle Bitterkeiten des ihm feindlichen Glückes getrunken, und den Kelch bis auf die
Hefen ausgeleert zu haben meinte, er endlich wieder in sein Vaterland und in eine große Stadt desselben zurück kehrte. Seine Wünsche waren bescheiden, denn er war nicht mehr
jung: für alle Mühsal und Kränkung ward ihm aber nichts
erwiedert, und als er nun jede Hoffnung aufgeben mußte, und nahe daran war, unter seinen Landsleuten, den Reichen, Vornehmen, Kaufleuten und Krämern auf ähnliche Art zu
verschmachten, wie dort in der Wüste, da erhielt ihn, nährte und kleidete ihn dieser treue Sklave wiederum, indem er für
seinen Herrn bettelte, und eben so keinen Pfennig für sich
Toi* frre Elftere.
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zurück behielt, wie er damals keine Beere zur eignen Ret
tung genießen wollte.
Und nun, um solcher Tugend wenig
stens einigen Vofyit oder etwas Ehre zu verschaffen, sollte ich diesen hochherzigen Sklaven wohl nennen, wenn ich es nicht meinem armen Freunde gelobt hatte, ihn und seinen Diener
niemals kenntlich zu machen. — Und so verzeiht, edle Her
ren, daß ich Euch überall mit einer so traurigen Geschichte behelliget habe, die für kein froheS Gastmahl geeignet ist. Wenigstens schäme ich mich meiner Bitterkeit, die mich nach
Jahren heut zuerst wieder überschlichen hat, was in einer so
vorzüglichen
Gesellschaft
am wenigsten
hätte geschehen
sollen.
Man war verlegen, waS man erwiedern sollte, da der
Gast diese Worte mit sichtbarer Bewegung gesprochen hatte. Sonderbare Gedanken stiegen im Geiste deS jungen Grafen
auf, denen er aber jetzt nicht Raum geben mochte, da sie
ihn doch zu keiner Gewißheit führen konnten, denn es wäre unschicklich gewesen, nach diesen Reden aus eine nähere Er
klärung zu dringen. Rur konnte der Hauptmann nicht unter lassen zu sagen: ES scheint also, daß Undankbarkeit gegen
verdiente Männer wohl hier in Portugall nicht weniger der
Inhalt alltäglicher Klagen ist, wie in andern Reichen. ES kann wohl nicht anders seyn, fuhr Luis in einem milden und heitern Tone fort, wenn man billig seyn und
alle Umstände gehörig erwägen will. lich
zusammengesetzt,
Kräfte;
Der Staat, so künst
wie er ist, bedarf unendlich vieler
sollte, was sich anstrengt, immerdar belohnt und
bezahlt werden, so möchte die Ausgabe des Gutes die Ein
nahme des Nutzens übersteigen. Bergessen wir auch niemals, daß, wenn die großen und reichen Familien inunerdar zuerst
bedacht werden, sie, indem sie sich dem Staat hingeben, auch ihre Macht, ihren Einfluß, Xiamen und Reichthum ihm mit-
des Dichter».
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bringen. Mögen die Einzelnen uneigennützig seyn, von selbst
fallen die Heineren Flüsse in den größeren Strom, und daß sie ihren Reichthum erhalten und vermehren,
kommt doch
auf vielfache, wenn auch oft unsichtbare Weise dem Volte
wieder zu gut.
Unser Staat, der, so Hein er ist,
durch
Politik und Heroenmuth ein Weltstaat geworden ist, dem in fernen Zonen unbekannte Völker huldigen und dienen, kann
nur seine ungeheure Kraft erhalten und vermehren, wenn nichts vom Vermögen des Staats zersplittert wird. In den
beiden Indien
ist für
abentheuernde Streiter, für Glück
suchende und unternehmende Geister ein ungeheures Feld er
öffnet.
Wer Muth besitzt, Kenntnisse mitbringt, die Welt
und Menschen versteht,
dem kann dort Fortuna in tausend
facher Gestalt erscheinen.
Und hat sie nicht viele Tausende,
seit wir in jenen fernen Zonen herrschen, erhoben und ge
krönt?
Bielen mißglückt die Wagniß, durch eigne Schuld,
oder Mangel an Geschick.
Doch an diesen Einzelnen, die
in dem ungeheuern Spiel untergehn, ist nichts gelegen und
unser Staat verliert an ihnen nichts. Durch diese Gesinnung,
indem Macht und Adel zugleich mit den Abentheurern zum Kampfe hinausschifften, daß Basco, Pacheco, Albuquerque so wenig wie unsre Könige den Einzelnen achteten, haben
wir uns diese ungeheuern Indien unterworfen und werden
sie noch mehr bezwingen, wenn nicht etwa die kurzsichtige
Mittelmäßigkeit sich des Regimentes bemeistert. Edler, milder Mann, erwiederte der Graf, Ihr führt, ohne es zu wollen, die Sprache der Tyrannen.
Luis lächelte und betrachtete den jungen Mann mit einem
prüfenden Blicke. noch
Sonderbar ist es, sagte er dann, daß es
keinen großen Regenten gegeben hat, den viele seiner
Zeitgenosien nicht einen Tyrannen gescholten hätten, dem sie nicht Geiz, Grausamkeit, Untreue, Brechen seines Wortes,
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