Ludwig Tieck’s gesammelte Novellen: Band 3/4 [Vollst. auf's Neue durchges. Ausg. Reprint 2018 ed.] 9783111403540, 9783111040110


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German Pages 918 [928] Year 1853

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Inhalt
Glück giebt Verstand
Der fünfzehnte November
Tod des Dichters
Front Matter 2
Inhalt
Der Jahrmarkt
Der Hexen - Sabbath
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Ludwig Tieck’s gesammelte Novellen: Band 3/4 [Vollst. auf's Neue durchges. Ausg. Reprint 2018 ed.]
 9783111403540, 9783111040110

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Ludwig Tieck's

gesammelte Novellen.

Vollständige aufs Neue durchgesehene Ausgabe.

Dritter Band.

Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer.

1853.

Inhalt.

Älück giebt Verstand.......................................................

Seite 3

Der fünfzehnte November.................................................. 121 Tod des Dichters................................................................ 189t

Jsuiwig Tieck'» gesammelte Novellen.

Glück giebt Verstand. 1826.

schien, als wenn sich der Mai eigen dazu geschmückt

hätte, den jungen Simon im väterlichen Hause recht freund-

lich zu bewillkommen, denn alle Blumen und Blüthen waren aufgebrochen, so daß der ganze frischbelaubte Garten wie in einem einzigen duftenden Strauß aufgequollen dastand. Der

junge Mann, der Sohn des Landpredigers, sprang auch mit erneuten Sinnen über Feld und Wiese, lagerte sich in der geflochtenen Laube, hörte den summenden Bienen unter der

großen Linde vor dem väterlichen Hause mit Andacht zu,

und genoß, nach einer Abwesenheit von zwei Jahren, die Reize des Landlebens um

so ftischer, da er ihrer so lange

in einem Keinen Städtchen, unter drückenden und langweili­

gen Geschäften hatte entbehren müffen. Die Mutter freute sich an der Trunkenheit ihres Soh­

nes, aber der ernstere Bater hatte erwartet, daß der Sohn mehr mit der Miene des GefchästmanneS die Scene feiner

Kindheit besuchen würde.

Er bedachte nicht, daß er um so

viele Jahre älter, der Umgebung mehr gewohnt sei und des­ halb die Freude des Sohnes nicht theilen könne, dem er ein stolzeres und kälteres Wesen wünschte, um den Leuten mehr zu imponiren, die vor seinem jugendlichen ftohen Gesichte

keine große Achtung, viel weniger Scheu empfinden wollten.

Er, als ein stolzer und eitler Mann, hatte gehofft, daß in diesem Sohne der Glanz seiner Familie sich neu beleben

eiiet giebt DctfUnb.

6

sollte, und au» diesem Grunde hatte er ihn auch bewogen, die Rechte zu studiren,

obgleich Simon in seiner Kindheit

und Jugend mehr Hang zur Einsamkeit zeigte und seiner Neigung nach

lieber so, wie sein Bater, als Prediger in

diesem Men, friedlichen Dörfchen seine Tage hingebracht hätte.

Immer schwebte dem Men daS ehrwürdige Bildniß

seine- eignen

Großvater- vor Augen, der als berühmter

Criminalrath in der Residenz auf einem großen Fuße gelebt hatte,

ob er gleich der Sohn eines Landpredigers gewesen

war.

Der Sohn dieses angesehenen Rechtsgelehrten war

mit wenigeren Talenten ausgestattet, oder minder vom Glück begünstigt gewesen, und deshalb hatte er seinen Sprößling,

den Bater Simon», der Theologie gewidmet.

Durch seinen

Einfluß, indem er eine, zwar untergeordnete, Rath-stelle be­

neidete, hatte er ihm diese einttägliche Pfarre auf dem Dorfe, in einer schönen Gegend verschafft, und Bäring (so hieß der

Vater) hätte glücklich seyn können, wenn ihn nicht beständig

da» Gefühl gemartert hätte, er sei zu höheren Dingen be­ rufen, und habe au- Nachgiebigkeit gegen den Bater sein«

wahre Bestimmung

verfehlt.

Darum eben sollte Simon,

sein ältester Sohn, alle jene Ansprüche geltend machen und

den Platz in der Gesellschaft einnehmen, von welchem eine zu große Aengstlichkeit seine- Bater»

ihn für immer ent-

fernt hatte.

Simon selbst war

Weise.

ehrgeizig

genug,

aber auf

andre

Er war furchtsam, und sein Bater begriff nur seine

Zaghaftigkeit deshalb nicht, well der Sohn Talente, Kraft

und Männlichkeit daran geben sollte, um sich zu erheben, indessen er, au- sichrer Einsamkeit, sich al- Zuschauer am Glücke de» Erzeugten ergötzen wollte.

Die Mutter zitterte

im Gegentheil für den Geliebten und konnte die Grausam­

keit de- Bater», wie sie dessen Aufmunterungen nannte, so

Si» in Wor­ ten ihm meinen Dank auszusprechen.

Er war eben so ver­

wundert, als betrübt darüber, denn er meinte, er habe nichts als seine Pflicht gethan, und meine Riefte, und wie ich ihm

ehemals geholfen, seien mehr, als er mir jemals erwiedern könne.

Mit ihm kam ein Weißer, auch der Diener eines

Offiziers, der sich

gerettet und

unvermerkt den Schritten

meines Negers gefolgt war, in der Hoffnung, einen Weg aus der Wüste zu finden.

Dieser setzte sich zu mir,

als

mein Neger wieder auSgegangen war, um Früchte zu sam­ meln: £ mein Herr, sing er an, waS habt Ihr für einen

Sklaven: dergleichen, wenn ich es nicht mit angesehn hätte, würde ich keiner Erzählung glauben.

Wir rannten hieher,

und der Schwarze, als wir nach zwei Tagen diesen Fleck ge­

funden hatten, schrie und sprang vor Freude, so verhungert und verdurstet er auch war.

Wie ein Tiger fiel er über die

Früchte her, so wie sie entdeckt waren, und sammelte sie in

ein Tuch.

Er wollte mich keine gemeßen lassen, und drohte

mir den Tod, wenn ich die abrisie, die seine Augen entdeck­ ten.

Als ich ihm seine unmenschliche Gier vorwarf und ihn

schelten wollte, sagte er mir, daß er alles nur für seinen

kranken Herrn einernte, und er rieth mir, machen, ohne ihn zu stören.

es eben so zu

Icb konnte ihn nicht begreifen.

?o- -es Dicbrers.

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da er schalt, als ich selbst genoß, was ich Kümmerliches fand, denn ich war dem Verschmachten ganz nahe, wie Ihr selbst

denken konnt. Er aber, der eben so lange gefastet hatte, als ich, nahm keine einzige der Beeren in seinen lechzenden Mund, weil er alles, wie er sagte, seinem lieben Herrn bringen

müsse.

Wäre unsre Noth nicht so fürchterlich gewesen, so

hätte ich lachen mögen.

Wirst Du ihn noch lebend antref­

fen? sagte ich, es ist unwahrscheinlich, er wird schon längst dort, so gut wie mein Herr, verschmachtet seyn: wenn Du nun hinkonnnst, wirst Du dort, oder schon vorher, ebenfalls

sterben, und es ist noch sehr die Frage, ob Du die vermale­ deite Stelle nur wieder findest.

Dann, sagte er, möge er

aucb nicht mehr leben, wenn sein lieber Herr gestorben sei. So, ohne eine einzige Frucht zu kosten, ohne sich einen ein­ zigen Augenblick Ruhe zu gönnen, ist er nun, wie ein Wahn­

sinniger zurück gerannt, und hat Euch, er, der Verhungerte,

sogar noch auf seinen Schultern hergetragen.

Mein Freund, als er mir nach Jahren diese Geschichte

erzählte, konnte sie nur mit der größten Rührung vortragen, er bemerkte hierauf: wie die Erschütterung der Seele wohl

manchmal den Gesunden tobten, oder ihn krank machen kann,

so half die Bewegung meines Herzens, das bei allen diesen Umständen so groß wurde, als wenn es brechen wollte, mir

jetzt zu einer Art von Gesundheit, und gewiß kann unsre Seele, durch so erhabene Erschütterungen, ihren Körper ver­ nichten, oder den gebrechlichen wieder stärken.

Ich konnte

etwas gehn, und so folgte ich ihm,-indem er mich wieder

fast immerdar trug, zu einem kleinen Wasserbehälter, den er

entdeckt batte.

Was ist ein Trunk Wasiers dem Elenden,

der diese frischende Woge seit manchem Tage entbehrt hat!

Nur dem es so mangelte, der es so wieder fand, kann wisien, welche Wollust und Wonne der Schöpfer dem Ermattenden

Töt' -es Dichters.

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in einem hohlen Steine zubereitel hat, und wie das Her;

dann die Güte Gottes erkennt und

sie mit Thränen des

Dankes genießt, um etwas, das selbst unser Bettler hier in seiner höchsten Noth saunt des Anblicks würdiget. — Kur;, der Neger half so seinem Herrn und Freund, sorgend, lie­

bend, unermüdlich, pflegsam, tröstend, ihn leitend, führend, ihn speisend und tränkend, mehr vielleicht ausübend, als die

Mutter für den geliebten Säugling thun würde, so unersätt­ lich sich aufopfernd, daß er nach zehn vollen Wochen der

ungeheuersten Anstrengung feinen Herrn wieder einigen kands-

leuten in einem kleinen Orte übergeben konnte, zu welchem sie endlich nach der mühseligsten Wanderung gelangten. —

Jener weiße Diener hatte sich schon viel früher von und ent­ fernt, und mein Freund hat ihn niemals wieder gesehn,

wahrscheinlich ist er doch noch, so wie sein Herr, in dieser

heißen Wüste verschmachtet. Auf diese wunderbare Weise ward mein Freund damals gerettet, und er war der einzige, der von jenem ausgesendeten Truppen-CorpS jemals wieder zur Stadt zurück kehrte,

alle übrigen waren untergegangen.

Und ohne feinen Sklaven

ging er auch dort in der Wüste verloren.--------Der Kammerdiener meldete jetzt, daß Don Alonso oben

im Zimmer des Grafen warte, und dringend um ein Gehör ersuche.

Hast Du gesagt, rief der Graf, daß wir noch bei Tische seien?

Wohl, erwiederte der Diener, er wünscht auch nur we­ nige Minuten. Er möge sich gefallen lasten, sagte Fernando, oben sich

etwas nieder zu lasten, ich würde ihm binnen Kurzem meine Aufwartung machen.

Fernando fort,

Der

Lästigste aller Menschen, fuhr

als sie wieder allein waren, der es nicht

Tob br» Dichters.

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müde wird zu drangen und zu sollicitiren: ist es eine Ver­ schreibung, die übermorgen zahlbar ist, so kommt er schon

heute, giebt eS eine Verhandlung oder Streitfrage, die daS

Gericht entscheiden muß, so plackt und quält er vorher den

Theilnehmer des Prozesses, bringt so vielfältige Fragen und

Möglichkeiten herbei, daß, wenn man ihn geduldig anhört, die klarste Sache zur verwirrtesten wird und kein Gespräch

mit ihm das Ende findet.

Er mag darum etwas warten,

denn ich bin nicht gesonnen, mir gleich meine heitre Laune verderben zu lassen.

Was Ihr uns vortrugt, Sennor, fing jetzt der Haupt­

mann an, ist höchst merkwürdig; die Treue dieses Schwar­

zen ist fast eine beispiellose zu nennen, und freilich müssen wir mit Beschämung alle unsre vorigen Behauptungen zurück nehmen.

Ich meine aber, jener Gerettete, wenn er irgend

die Mittel dazu hatte, wird sich auch gegen diesen Sklaven

dankbar erwiesen und seine Treue auf ungewöhnliche Art be­ lohnt haben. LuiS verfärbte sich.

lich genug, meine Herren.

Gewiß, sagte er dann, ungewöhn­ Es fügte sich nehmlich, daß nach

vielen Jahren, in welchen jener Freund alle Bitterkeiten des ihm feindlichen Glückes getrunken, und den Kelch bis auf die

Hefen ausgeleert zu haben meinte, er endlich wieder in sein Vaterland und in eine große Stadt desselben zurück kehrte. Seine Wünsche waren bescheiden, denn er war nicht mehr

jung: für alle Mühsal und Kränkung ward ihm aber nichts

erwiedert, und als er nun jede Hoffnung aufgeben mußte, und nahe daran war, unter seinen Landsleuten, den Reichen, Vornehmen, Kaufleuten und Krämern auf ähnliche Art zu

verschmachten, wie dort in der Wüste, da erhielt ihn, nährte und kleidete ihn dieser treue Sklave wiederum, indem er für

seinen Herrn bettelte, und eben so keinen Pfennig für sich

Toi* frre Elftere.

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zurück behielt, wie er damals keine Beere zur eignen Ret­

tung genießen wollte.

Und nun, um solcher Tugend wenig­

stens einigen Vofyit oder etwas Ehre zu verschaffen, sollte ich diesen hochherzigen Sklaven wohl nennen, wenn ich es nicht meinem armen Freunde gelobt hatte, ihn und seinen Diener

niemals kenntlich zu machen. — Und so verzeiht, edle Her­

ren, daß ich Euch überall mit einer so traurigen Geschichte behelliget habe, die für kein froheS Gastmahl geeignet ist. Wenigstens schäme ich mich meiner Bitterkeit, die mich nach

Jahren heut zuerst wieder überschlichen hat, was in einer so

vorzüglichen

Gesellschaft

am wenigsten

hätte geschehen

sollen.

Man war verlegen, waS man erwiedern sollte, da der

Gast diese Worte mit sichtbarer Bewegung gesprochen hatte. Sonderbare Gedanken stiegen im Geiste deS jungen Grafen

auf, denen er aber jetzt nicht Raum geben mochte, da sie

ihn doch zu keiner Gewißheit führen konnten, denn es wäre unschicklich gewesen, nach diesen Reden aus eine nähere Er­

klärung zu dringen. Rur konnte der Hauptmann nicht unter­ lassen zu sagen: ES scheint also, daß Undankbarkeit gegen

verdiente Männer wohl hier in Portugall nicht weniger der

Inhalt alltäglicher Klagen ist, wie in andern Reichen. ES kann wohl nicht anders seyn, fuhr Luis in einem milden und heitern Tone fort, wenn man billig seyn und

alle Umstände gehörig erwägen will. lich

zusammengesetzt,

Kräfte;

Der Staat, so künst­

wie er ist, bedarf unendlich vieler

sollte, was sich anstrengt, immerdar belohnt und

bezahlt werden, so möchte die Ausgabe des Gutes die Ein­

nahme des Nutzens übersteigen. Bergessen wir auch niemals, daß, wenn die großen und reichen Familien inunerdar zuerst

bedacht werden, sie, indem sie sich dem Staat hingeben, auch ihre Macht, ihren Einfluß, Xiamen und Reichthum ihm mit-

des Dichter».

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bringen. Mögen die Einzelnen uneigennützig seyn, von selbst

fallen die Heineren Flüsse in den größeren Strom, und daß sie ihren Reichthum erhalten und vermehren,

kommt doch

auf vielfache, wenn auch oft unsichtbare Weise dem Volte

wieder zu gut.

Unser Staat, der, so Hein er ist,

durch

Politik und Heroenmuth ein Weltstaat geworden ist, dem in fernen Zonen unbekannte Völker huldigen und dienen, kann

nur seine ungeheure Kraft erhalten und vermehren, wenn nichts vom Vermögen des Staats zersplittert wird. In den

beiden Indien

ist für

abentheuernde Streiter, für Glück

suchende und unternehmende Geister ein ungeheures Feld er­

öffnet.

Wer Muth besitzt, Kenntnisse mitbringt, die Welt

und Menschen versteht,

dem kann dort Fortuna in tausend­

facher Gestalt erscheinen.

Und hat sie nicht viele Tausende,

seit wir in jenen fernen Zonen herrschen, erhoben und ge­

krönt?

Bielen mißglückt die Wagniß, durch eigne Schuld,

oder Mangel an Geschick.

Doch an diesen Einzelnen, die

in dem ungeheuern Spiel untergehn, ist nichts gelegen und

unser Staat verliert an ihnen nichts. Durch diese Gesinnung,

indem Macht und Adel zugleich mit den Abentheurern zum Kampfe hinausschifften, daß Basco, Pacheco, Albuquerque so wenig wie unsre Könige den Einzelnen achteten, haben

wir uns diese ungeheuern Indien unterworfen und werden

sie noch mehr bezwingen, wenn nicht etwa die kurzsichtige

Mittelmäßigkeit sich des Regimentes bemeistert. Edler, milder Mann, erwiederte der Graf, Ihr führt, ohne es zu wollen, die Sprache der Tyrannen.

Luis lächelte und betrachtete den jungen Mann mit einem

prüfenden Blicke. noch

Sonderbar ist es, sagte er dann, daß es

keinen großen Regenten gegeben hat, den viele seiner

Zeitgenosien nicht einen Tyrannen gescholten hätten, dem sie nicht Geiz, Grausamkeit, Untreue, Brechen seines Wortes,

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