271 24 12MB
German Pages 172 Year 1927
LOGIK U N D S Y S T E M A T I K D E R WISSENSCHAFTEN VON ERICH ROTHACKER
GEISTES-
MEINER
LIEBEN
FRAU
I. ANALYTISCHER TEIL. I. URSPRUNG DER GEISTESWISSENSCHAFTLICHEN METHODEN UND BEGRIFFE. 1. D I E
D
GEISTESWISSENSCHAFTEN.
ie Wissenschaften, welche die O r d n u n g e n d e s L e b e n s in S t a a t , Gesellschaft, Recht, Sitte, Erziehung, W i r t s c h a f t , Technik u n d die D e u t u n g e n d e r W e l t in Sprache,Mythus, K u n s t , Religion, Philosophie u n d Wissenschaft zum Gegenstand haben, n e n n e n wir G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n . Als einen gewaltigen A p p a r a t von Fragestellungen, Forschungsmethoden u n d begrifflichen Antworten f i n d e n wir dieselben heute in mehreren F a k u l t ä t e n ausgebreitet. I h r e Geschichte, die zusammenhängend nie dargestellt wurde, weist auf höchst disparate Ursprünge u n d völlig irreguläre Entwicklungen zurück. E r s t nach u n d nach konvergieren dieselben. H a b e n wir heute auch gelernt, die konkrete Entwicklung der Naturwissenschaften weit unbefangener auf den Anteil praktischer, kultureller j a politischer u n d sozialer Impulse an ihrer E n t s t e h u n g u n d Entwicklung hin zu betrachten, so fehlt den Geisteswissenschaften bei analogen Voraussetzungen zudem noch bis heute das feste R ü c k g r a t , das jene sich in Mathematik u n d Exp e r i m e n t geschaffen haben. E n t s p r u n g e n zum einen Teil aus Mythus, Lebenserfahrung, Spruchweisheit u n d schließlich der Philosophie, von der sie sich n u r langsam ablösen; zum andern wie die antike Rhetorik, G r a m m a t i k und Politik, die römische Jurisprudenz, die moderne Kameralistik u n d Ökonomik aus der Praxis, aus pädagogischen Aufgaben, Aufgaben der Berufsbildung u n d b e s t i m m t e n politischen Situationen; i m Einzelnen wie etwa die Historie aus so disparaten Quellen wie Heldensang, Chronik, Rechtsu r k u n d e , Geographie, Völkerkunde, politisch-pragmatischer u n d halb theoretischer Reflexion, zeigen sich diese Wissenschaften zudem aufs tiefste in nationale und zeitgeschichtliche Eigentümlichkeiten u n d in die mannigfachen Umstände kultureller Wandlungen verflochten. Die Rolle, welche die Rhetorik im klassischen A l t e r t u m spielte, k o m m t ihr heute auch in den relativ rhetorisch gestimmten romanischen Kulturen nicht mehr zu, die Rolle der Theologie in der Welt der romanisch-germanischen ci*
4
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER
GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
Völker, des mittelalterlichen Judentums und Islam war der Antike fremd, die Blüte der neueren Philologie und modernen Jurisprudenz ist eng mit dem Vordringen des Humanismus und den Krisen der Rezeption verknüpft, die des Naturrechts ist mittelbar und unmittelbar ein Produkt der Bildung des modernen Staates. Volksschule, Realschule, humanistisches Gymnasium tragen das Zeichen ganz bestimmter historischer Wellen heute noch auf der Stirn. Während in den philosophischen Einteilungen die Wissenschaften wie vom Himmel gefallen in schöner Ordnung, meist symmetrisch, nebeneinander liegen, sind dieselben in Wirklichkeit oft nicht nur ihrer Genese sondern gerade ihrem eigentümlich produktiven Kern nach tief in kulturellen Krisen verwurzelt, deren Stachel sie bleibend in ihrer Struktur bewahren. Denn recht eigentlich Krisen wird eine vertiefte kulturphilosophische Besinnung wahrnehmen können: wo in einem Volke der Mythus sich zur Weisheit erhebt oder die Weisheit zur Philosophie. Deutlich nacherlebbar steckt in dem Losreißen der ersten Begriffe aus der Sinnlichkeit eine echte Lebenskrise. Und so weiter: wenn das Handeln sich von Lebenserfahrung und Tradition ablösend der abstrakten Regel und Idee zuwendet, nach der das Leben nunmehr gelenkt werden soll; wenn im besonderen die religiöse, sprachliche, politische, künstlerische Praxis zu reflektieren beginnt und Prinzipien aufstellt; wenn Religion zur Theologie, Theologie zur Religionswissenschaft und Religionsphilosophie wird; wenn der historische Sinn vom Heimatland auf fremde Völker sich ausdehnt; wenn die Grammatik ältere sprachliche Zustände kanonisiert; wenn sie vorwärtsblickend sich rationalisiert; wenn sie ihre nationale Schranke durchbrechend auf fremde Sprachen sich ausdehnt, wenn sie beginnt, vergleichend rein sachliche und abstrakte, vom Wurzelboden der Muttersprache oder bestimmter kanonischer Sprachen losgelöste Sprachgesetze zu suchen. Was muß ein Volk erst erlebt haben ehe in ihm ein spezifisch hermeneutischer Sinn erwachen kann, Interesse an Textkritik entsteht oder antiquarischer Sinn oder Interesse an Literaturgeschichte, Kunstg e s c h i c h t e neben Kunst und Dichtung? Eine Krise, welche in Nietzsches „Nutzen und Nachteil der Historie" nachzittert. Nicht ohne einen vollkommenen Umschwung des gesamten kulturellen Selbstbewußtseins können traditionelle Geschichtsbilder sich auflösen! Wie voraussetzungsvoll ist die Entstehung einer Psychologie, einer Soziologie, einer Wendung des Interesses auf primitive Kulturstufen. 2. DER TERMINUS „GEISTESWISSENSCHAFTEN". Dieser, fast chaotische Eindruck kann nur verstärkt werden durch einen Blick auf die Uneinigkeit, welche bis heute über zahlreiche geisteswissenschaftliche Grundbegriffe insbesondere den Terminus „Geistesw i s s e n s c h a f t e n " selbst herrscht.
c
DER
TERMINUS
„GEISTESWISSENSCHAFTEN"
5
A u c h e i n e G e s c h i c h t e der W i s s e n s c h a f t s e m t e i l u n g e n ist n o c h n i c h t g e s c h r i e b e n . W o h l l a s s e n die D a r s t e l l u n g e n v o n W u n d t 1 ) , E r d m a n n 2 ) , Becher3) die großen Gruppen erkennen, in d e n e n sich dieselben entwickelt h a b e n : 1. d i e a n t i k e K l a s s i f i k a t i o n i n D i a l e k t i k , P h y s i k u n d E t h i k , 2. d i e E i n t e i l u n g n a c h S e e l e n v e r m ö g e n v o n B a c o n b i s D ' A l e m b e r t , 3. die hierarchische Einteilung Comte's und Spencer's und 4. die relativ späte Einteilung in Natur- und Geisteswissenschaften, welche durch Descartes u n d d e n e n g l i s c h e n S e n s u a l i s m u s v o r b e r e i t e t , i n B e n t h a m , A m p è r e , Mill u n d H e g e l g i p f e l t , d e n e n i m 19. J a h r h u n d e r t n e u e V e r s u c h e f o l g e n . A b e r e r s t d u r c h e i n e U n t e r b a u u n g dieser E n t w i c k l u n g e n d u r c h e i n e H i s t o r i e der Geisteswissenschaften selbst, vor deren Zustand diese Einteilungen e b e n s o a b h ä n g i g w i e sie andererseits in der G e s c h i c h t e der g r o ß e n S y s t e m e v e r a n k e r t s i n d , b e k ä m e n diese G r u p p e n ihr w a h r e s G e s i c h t . U n d i n v o l l e r K o n t i n u i t ä t w ü r d e n wir sie erst d u r c h H e r a n z i e h u n g d e r großen methodologischen und enzyklopädischen Literatur sehen, welche die Brücke zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften schlägt u n d d e r e n T i t e l f ü r d a s 17. J a h r h u n d e r t e t w a d e n W e r k e n Leibniz 1 , C o m e n i u s ' , s p ä t e r Christian W o l f i s z u e n t n e h m e n w ä r e n , w ä h r e n d f ü r d a s 18. J a h r h u n d e r t bereits g a n z b r a u c h b a r e B i b l i o g r a p h i e n b e s t e h e n . Hierzu einige bibliographische Notizen. FOr dag scholastische System der Geisteswissenschaften vgl. das wertvolle Buch von A. D e m p f , Die mittelalterliche Weltanschauung (Manchen 1925). Eine Einteilung der Wissenschaften nach G. J . V o s s i u s , De philologia libre (1650) zitiert S. v. L e m p i c k i , Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (Gottingen 1920), S. 468. Über die geschichtsphilosophische Vulgata des 18. Jahrhunderts unterrichtet stoffreich F e l i x G f l n t h e r , Die Wissenschaft vom Menschen (Gotha 1907). Zahlreiche Literatur im Artikel „Wissenschaft" von K r u g s enzyklopädischem philosophischen Lexikon. IV. Bd., 2. Aufl., 1834, S. 529f., und VI. Bd. (II. Abt.), S. 467. Derselbe verweist auf eine vollständige Bibliographie der „Wissenschaftskunde" im 3. Band seines Versuchs einer systematischen Enzyklopädie der Wissenschaften. F r i e d r . A u g . W o l f s Vorlesung Ober die Enzyklopädie der Altertumswissenschaft. Herausgegeben von J . D. Gürtler, Leipzig 1831, handelt im ersten Paragraph Ober Enzyklop&die überhaupt und Ober Enzyklopädie der Altertumswissenschaft insbesondere. Dort Literatur. S u l z e r , Kurzer Inbegriff aller Wissenschaft; S c h m i d t , Abriß der Gelehrsamkeit, Berlin 1783; M e i n e c k e , Synopsis eruditionis universae, 1783; B u h l e , Grundriß einer allgemeinen Enzyklopädie der Wissenschaften (Lemgo 1783); E s c h e n b u r g , Lehrbuch der Wissenschaftskunde (1792) usw. Wesentlich in unserm Zusammenhange ist W o l f s Begriff der Humaniora und die Betonung, daß die philologischen Wissenschaften kein Aggregat sondern ein Ganzes seien. Weiteres Material in der Enzyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften von A u g u s t B o e c k h , herausgegeben von E. Bratnschek (1877). ') W i l h e l m W u n d t , Einleitung in die Philosophie (1909), S. 39ff. Derselbe, Logik I« (1920), S. 85ff. ! ) B e n n o E r d m a n n , Erkennen und Verstehen (Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaften). 1912, S. 1240 ff. 9 ) E. B e c h e r , Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften. Untersuchungen zur Theorie und Einteilung der Wissenschaften (1921) S. 1 ff.
6
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER
GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
Einer vergessenen Klassifikation gedenkt eine Arbeit von W a l d a p f e l , Ein deutscher P&dagog als Vorgftnger Spencers in der Klassifikation der Wissenschaften (Archiv fOr Geschichte der Philosophie XXVII [1914]).
So ist ein theoretisches Bewußtsein vom Zusammenhang der Geisteswissenschaften erst langsam erwachsen. Und selbst in praxi hat sich dasselbe erst spät entwickelt. Am lebhaftesten natürlich da, wo die Philosophie als Mutter der Wissenschaften ihre „Küchlein" noch gar nicht entließ. Aber nach einmal vollzogener Trennung der Wissenschaften bleibt ihr Zusammenhang trotz gelegentlicher Personalunion von Calvinischer Dogmatik, Natur- und Völkerrecht und Scaligers Philologie in Hugo Grotius und trotz Leibnizens enzyklopädischem System bis tief in das 19. Jahrhundert problematisch. Wie denn charakteristischerweise erst dieses den Terminus „Geisteswissenschaften" geprägt hat. Die Geschichte dieses Terminus ist so tief verflochten mit der Geschichte der sachlichen Probleme, daß es erlaubt sei, eine lebhaft zu fordernde Untersuchung durch die Ausbreitung einiges Materials vorzubereiten. Vielleicht taucht der Terminus 1849 in der Schielschen Übersetzung von Mills Logik (1843ff.) zum erstenmal auf. 1 ) Schiel Übersetzt im 2. Bd. den Titel des 6. Buches, welcher ohne Zusatz heißt: „On the logic of moral sciences", mit: „Von der L o g i k der G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n oder m o r a l i s c h e n W i s s e n s c h a f t e n " . Diese letzten drei Worte sind also sein Zusatz. Im Text steht für moral sciences regelmäßig „Geisteswissenschaften". Es sollte kaum notwendig sein zu betonen, daß damit Mill, bei allem Verdienst um eine erste „Logik der Geisteswissenschaften" nicht zum Urheber unseres Terminus Geisteswissenschaften geworden ist, sondern höchstens sein Übersetzer. Dieser aber fand den Ausdruck in den vierziger Jahren so vor wie ihn Hegel und seine Schule geprägt hatte. Hegel selbst spricht wohl nie von Geisteswissenschaften, aber seine Schttler, wie die Epigonen der deutschen Spekulation überhaupt, gebrauchen den Ausdruck, meist im Singularis, mit Selbstverständlichkeit. So spricht Fr. Th. Vischer im § 2 der „Ästhetik" (1846) von W i s s e n s c h a f t des Geistes; Karl Chr. Fr. Krause gebraucht Vernunftswissenschaft und Geistw i s s e n s c h a f t als Synonima (Lebenlehre und Philosophie der Geschichte 1843, S. 145ff.). „ G e i s t e s l e h r e " ist ein völlig gebräuchlicher Terminus dieser Jahre. In J . E. Erdmanns Entwicklung der deutschen Spekulation seit Kant (1853 II, 689) lesen wir, „daß bereits im Jahre 1800 das System Hegels sich als Grund-, Natur- und Geisteswissenschaft gliedert". Ahnlich etwa S. 786, wo er den dritten Teil des Systems als „ G e i s t e s w i s s e n s c h a f t , P n e u m a t o l o g i e " bezeichnet. Inzwischen aber war ' ) System der deduktiven und induktiven Logik. Eine Darlegung der Prinzipien wissenschaftlicher Forschung. Insbesondere des Naturforschers von J o h n S t u a r t Mill. Ins Deutsche übertragen von I. S c h i e l , 1849.
c
DER
TERMINUS
„GEISTESWISSENSCHAFTEN"
7
Schieis MillÜbersetzung bereits erschienen und hatte den Terminus in der Pluralform weit verbreitet. Es sind also mehrere große geistige Ströme, welche in dem Begriff „ G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n " zusammenfließen, Ströme, von denen in Deutschland der idealistische, geistesphilosophische von vornherein der weit stärkere war. Denn Hegel, nicht Mill stand in der massiven nationalen Tradition. Termini von dem Gewicht des Wortes G e i s t werden von den Philosophen selten erfunden, sie werden i. a. höchstens aufgenommen, umgeprägt, präzisiert, beschnitten. Ein Begriff wie der Avenariussche „ S y s t e m C", das ist eine philosophische Erfindung. Mit solchen Begriffen sind aber keine geistigen Bewegungen zu erzeugen. Man kann wohl sagen, daß die bis ins 19. Jahrhundert hinein hoch autoritativen biblischen Bedeutungen des Terminus G e i s t , insbesonders die paulinischen, und sie natürlich in Luthers Verdeutschung mindestens denselben Anteil am Terminus Geisteswissenschaften haben wie Mills Logik. Sodann hat der Sprachgebrauch des Wortes V o l k s g e i s t stark auf den unsern gewirkt, denn Volksgeist war nicht nur ein geschichtsphilosophischer Begriff, er repräsentierte im Rahmen der Historischen Schule eine systematische Methode und Denkform. Etwas ähnliches gilt aber natürlich auch fttr Moral Sciente und Sciences Morales. Moral heißt geistig. Le moral des troupes ist der Geist der Truppe. Auch hier scheint monographische Literatur zu fehlen. Das Dictionary of Philosophy and Psychology von B a l d w i n II, 10S, gibt an „moral science, Ger. Geisteswissenschaften, Ital. scienti morali', and bezeichnet dieselben als Wissenschaften „of mind", „often described as the mental and moral sciences". Der Nouveau Larousse illustré VI, 207, bezeichnet le moral als ensemble des facultés humaines qui se rassortent à la sensibilité et d l'activité. Die einzig eingehende Darstellung des Begriffs scheint sich im 3. Kapitel von Chr. F. W e i s e r s ,, Shaftesbury und das deutsche Geistesleben" (1916) zu finden. Einige gut orientierende Daten stehen im Register zu Raoul Richters trefflicher Übersetzung von H u m e s Enquiry (Philosophische Bibliothek Bd. 31) wichtige Materialien bietet P a u l B a r t h , Die Philosophie der Geschichte als Soziologie I 9 (1922), S. 33, Anm. 7. Bei der geringen Aufmerksamkeit, welche diese Probleme bis jetzt gefunden haben, scheint es nicht unnötig zu sein, diese Materialien z. T. anzufahren, z. T. zu ergänzen. Der Sprachgebrauch ist im europäischen Westen ein durchaus allgemeiner : M o n t e sq i e u spricht von lois morales et physiques, V o l t a i r e von den causes morales in der Geschichte. L a p l a c e in dem „Versuch über die Wahrscheinlichkeit" von der Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die moralischen Wissenschaften (Übersetzung von 1886, S. 93). Dasselbe Werk stellt der fortune physique die fortune morale gegenüber. Ganz ähnlich C a b a n i s „Rapports du Physique und du moral de l'homme" (1802) und ebenso Th. F e c h n e r , Elemente der Psychophysik I (1907), S. 235. Bei W. D. W h i t n e y , Die Sprachwissenschaft. Vorlesungen über die Prinzipien der vergleichenden Sprachforschung, bearbeitet von Julius J o l l y (1874) lesen wir S. 72: „ D u r c h diese Bewegung bestimmt sich der Charakter der Sprachwissenschaft : sie ist eine historische oder Geisteswissenschaft (Historical or moral science), sie bildet einen Ausschnitt aus der Geschichte des Menschengeschlechts und der menschlichen Einrichtungen." Vgl. dazu K. B rüg m a n n über Whitney bei D e l b r ü c k , Einleitung in das Studium der indogermanischen Sprachen 5, 1908, S. 101 f., ebenso J o l l y - W h i t n e y , S. 74: „aber jene, welche an der breiten Grenzscheide zwischen Geistes- und Naturwissenschaften noch festhalten, welche an das Wirken u n d Schaffen vernünftiger Wesen, die ihre Motive sorgfältig überdenken u n d
8
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER
GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
ihre Handlungsweise danach einrichten, Zwecke verfolgen und Mittel zu ihrer Erreichung suchen für grundverschieden halten von den Evolutionen der Atome, die dem Gesetz der Schwere, der chemischen Verwandtschaft u. a. .. . Naturgesetze gehorchen." Bei G e r v i n u s finden wir beide Bezeichnungen nebeneinander. Er spricht in seinem Leben (1860. Ausgabe von 1893, S. 277) von der Versuchung, einer „systematischen Philosophie der Geschichte die Haupttätigkeit seines Lebens zu widmen". „Über dieser eigentlich neu zu entdeckenden Wissenschaft brüteten die Zeiten, seit Newton für die Zukunft, wenn die empirische Methode die Naturwissenschaften gereinigt haben würde, die Anwendung derselben Methode auf die Wissenschaften des Geistes vorausgesagt hatte. Ich habe niemals die überschwenglichenHoffnungen geteilt, die ein Bentham, der diese 1 0 Weissagungen Newtons zu erfüllen . . . den Ehrgeiz hatte, an die Erfolge der Anwendung jener Methode auf die Welt des Geistes knüpfte: daß in den moralischen Wissenschaften Gesetze mit ebensolcher Unleugbarkeit konnten aufgestellt werden wie in den mathematischen." In der methodologisch hochbedeutenden Vorrede zu den Essais de critique et d'histoire vom März 1866 und im 1. Kap. der Philosophie de l'art, wo er wie dort von seiner naturwissenschaftlichen Methode, die er mit der botanischen vergleicht, rühmt, daß sie ,,commence ä s'introduire dam toutes les sciences morcdes", welche sie zur Exaktheit erhebe und dadurch den Naturwissenschaften annähere, taucht dasselbe Motiv und zum Teil dieselben Ausdrücke wieder auf, denen wir schon bei Hobbes und Hume be- 20 gegnen. Geht man aber auf diese Klassiker der moral philosophy selbst zurück, so bemerkt man, daß das der „Einteilung der Wissenschaften" gewidmete Schlußkapitel des Lockeschen Essay, das entsprechende Kapitel in L e i b n i z ' Nouveaux Essais, H o b b e s ' Widmung zur „Lehre vom Bürger" und H u m e s Einleitungen zum „Neuen Traktat" und zum 1., 4. und 7. Abschnitt des Enquiry lange nicht so stark psychologisieren wie es der modernen Neigung entspricht, und daß diese Denker nur in bestimmten Grenzen als Klassiker einer Wissenschaftseinteilung anzusprechen sind, deren Grundlage der Gegensatz von „äußerer Natur" und „innerer seelisch-geistiger Welt" ist. Dieselben stehen durchweg der antiken Einteilung in P h y s i k und E t h i k näher. Und während 30 Leibniz derselben eine erst recht unpsychologische, höchst modern anmutende logische Wendung zu geben versucht, steht gerade der Initiator der psychologistischen Zweiteilung der Welt Locke im Gebrauch des Terminus moral philosophy dem Gegensatz norm a t i v e r und naturwissenschaftlicher Disziplinen näher als dem naturwissenschaftlicher und psychologischer. Die zweite Gruppe der Wissenschaften, die zwischen Physik und Semiotik steht, nennt L o c k e praktika, und diese Wissenschaften Buchen nicht psychologische Gesetze, sondern Normen und Maßstäbe. Ihr Ziel ist das „Rechte" (§ 3). Die Geisteswissenschaft, welche H o b b e s zur Wissenschaft erheben möchte, und welche das Verhältnis der menschlichen Handlungen mit der Gewißheit des Geometers erkennen will, hat das „natürliche Recht" zum Gegenstand. Und H u m e s moral philo- 40 sophy, welche er wie Hobbes den bisherigen mehr anmutigen als wissenschaftlichen Darstellungen ethischer Probleme entgegensetzt, möchte den Ruhm Ciceros, La Bruyeres und Addisons verdunkeln. Nur ist die Welt dem leichten moralischen Räsonnement geneigter als dem abstrakt wissenschaftlichen. Aber Laster, Tugend, Recht und Unrecht sind seine Probleme. Daß der Enquiry zur Lösung dieser W e r t p r o b l e m e psychologische M e t h o d e n anwendet, liegt auf einem anderen Felde.
Zweifellos hat trotzdem der Nebenfluß, der von der moral science her in den Begriff des Geistes bzw. der Geisteswissenschaften einmündete, mitgewirkt, demselben langsam einen psychologischen Sinn zu verleihen. Verbreitet hat sich der wenn immer erst 1849 in Kurs gesetzte Ausdruck von den fünfziger Jahren ab ungewöhnlich rasch. Ich nenne einige Namen:
so
c
DER
TERMINUS
„GEISTESWISSENSCHAFTEN"
9
I. E . E r d m a n n s Ausführungen von 1853 sind bereits erwähnt (s. o.). 1854 spricht R a n k e (Epochen der neueren Geschichte S. 21) von „den einzelnen Geisteswissenschaften, namentlich . . . der Philosophie und Politik". In I. E . K u n t z e s „Wendepunkt der Rechtswissenschaft" (1856, S. 2) ist von Natur- und Geisteswissenschaften die Rede. August R o e c k h s Enzyklopädie (s. o.) beruht nach Angabe des Vorworts auf Vorlesungen, welche Boeckh 1809—65 über dieses Thema gehalten hat. Diesen Vorträgen habe Boeckh bis an das Ende ein 1809 geschriebenes Heft zugrunde gelegt. Wie weit zurück mag der Terminus „empirische Geisteswissenschaften" S. 600ff. der Ausgabe von 1877 reichen? S. 609 verzeichnet Literatur zur „Geschichte der Geisteswissenschaften". Historisch wohl ausschlaggebend für die Verbreitung des Terminus war aber seine Annahme durch H e l m h o l t z . 1862 hielt er zu Heidelberg seine berühmt gewordene Rede „Über das Verhältnis der Naturwissenschaften zur Gesamtheit der Wissenschaften". 1 ) Und gerade dieser Naturforscher hat bei aller Umdeutung, die der Geistesbegriff bei ihm erfährt, die Bedeutung Hegels für Entwicklung und'Begriff der Geisteswissenschaften voll zu würdigen gewußt. Die Identitätsphilosophie sei über Kant hinausgehend von der Hypothese ausgegangen, daß die Welt Resultat des Denkens eines schöpferischen Geistes sei. Darauf gründete sich ihre Hoffnung, die Gedanken des Schöpfers nachdenken und durch eigene innere Tätigkeit wieder finden zu können. In diesem Sinne sei sie darauf ausgegangen „die wesentlichen Resultate der übrigen Wissenschaften a priori zu konstruieren. Es mochte dieses Geschäft mehr oder weniger gut gelingen in bezug auf Religion, Recht, Staat, Sprache, Kunst, Geschichte, kurz in allen den Wissenschaften, deren Gegenstand sich wesentlich aus psychologischer Grundlage entwickelt und die daher unter dem Namen der G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n passend zusammengefaßt werden" usw. D i l t h e y dagegen spricht in seinem Aufsatz „Über das Studium der Geschichte der Wissenschaften vom Menschen, der Gesellschaft und dem S t a a t e " (Schriften V, S. 31) 1875 bemerkenswerter Weise zwar von Mill's „Logik der Geisteswissenschaften", akzeptiert den Terminus aber selbst für die im Titel bezeichnete Wissenschaftsgruppe offenbar noch nicht, sondern bezeichnet dieselben wie Mo hl als „moralisch-politische" Wissenschaften. Erst die „Einleitung in die Geisteswissenschaften" (1883, S. 26 und Schriften I, 4 und 21) faßt das „Ganze der Wissenschaften, welche die geschichtlich-gesellschaftliche Wirklichkeit zu ihrem Gegenstande haben" unter dem Namen der Geisteswissenschaften zusammen. Mit diesem Werke wird der Terminus klassisch. Populäre Vorträge I, 16 ff. Ebenfalls Vortrage und Reden I, 157 ff. Neuerdings in der dankenswerten Auswahl „Natur und Naturwissenschaft", Bücher der Bildung, Bd. 11, S. 107 ff.
10
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
Seiner weiteren Verbreitung vor a n d nach Dilthey nachzugehen ist fast unmöglich. Ich erwähne F r i e d r . A. L a n g e , Geschichte des Materialismus ( R e k l a m I I , 210 u . 362); A d o l f M e r k e l , Ü b e r den Begriff der Entwicklung usw. 1876 ( F r a g m e n t e zur Sozialwissenschaft 1898, S. 45); A. v. ö t t i n g e n , Moralstatistik, 2. Aufl., 1877; G. R ü m e l i n , Uber Gesetze der Geschichte 1878 (Kanzlerreden 1907, S. 230). Von E i n f l u ß war sicher die Einleitung, welche C a r l K n i e s 1883 der 2. Auflage seiner „Politischen Ökonomie" vorausschickte. Wilhelm Scherer, O t t o Gierke, G u s t a v Schmoller, E . Gothein, wohl auch Adolf H a r n a c k d ü r f t e n den T e r m i n u s in Fühlung m i t Dilthey akzeptiert haben. W i l h e l m W u n d t schrieb als d r i t t e n B a n d seiner großen Logik die erste deutsche „ L o g i k der Geisteswissenschaften". Sigwart, Eucken, Reischle, W . Roscher, Jellinek, Cohen 1 ), Kiilpe, Hugo S c h u c h a r d t , L a m p r e c h t u n d viele andere haben sich des Ausdrucks bedient. U m der ungewöhnlichen sachlichen Bedeutung dieser B e s t i m m u n g des Begriffes willen sei ein Passus aus d e m 1894 zuerst erschienenen 5. B a n d e der Deutschen Geschicht e H e i n r i c h v. T r e i t s c h k e s u n g e k ü r z t wiedergegeben: „ J e t z t erhob J a k o b G r i m m seine warnende Stimme dawider in einer Versammlung der Germanisten. E r erwies kurz u n d schlagend, d a ß die Geisteswissenschaften d a r u m die Grundlage der allgemeinen Bildung bleiben müssen, weil sie allein das ganze Menschenleben, a u c h die Welt der P h a n t a s i e u n d des Herzens umfassen; er zeigte, d a ß sie weltbürgerlich u n d national zugleich sind, die Naturwissenschaften weltbürgerlich schlechthin; u n d n u r wo volkstümliche u n d allgemein menschliche Bildung einander durchdringen, e n t f a l t e t sich der ganze R e i c h t u m der Weltgeschichte. E r e r k a n n t e freudig an, was u n s e r gesamtes Volksleben, und in Sonderheit seine geliebte Sprache, der exakten Forschung v e r d a n k t e . Die j u n g e n Naturfroscher schrieben meistens vortrefflich; ihre klare, bestimmte, einfache Prosa n a h m den deutschen Geist, der sich gern zu träumerischen Ahnungen versteigt, in eine strenge, heilsame Z u c h t ; doch sie beherrschte nur einen kleinen Teil des unermeßlichen Sprachschatzes. Der Stil des Naturforschers, der immer von Gesetzen, Begriffen, G a t t u n g e n u n d Arten handelt, legt den Ton auf das starre H a u p t w o r t u n d k a n n , in seiner Art vollendet, schließlich doch nicht wetteifern mit dem reicheren Stile des Historikers, der sich frei in der Welt des Werdens, der freien T a t e n umschaut u n d d a r u m den T o n auf das erregende, Leben spendende Zeitwort legt. Es blieb auch fernerhin bei dem alten Gesetze, d a ß die K u l t u r s p r a c h e n fortgebildet werden, zuvörderst d u r c h den Volksmund und die Dichtung, sodann durch Redner, Historiker, Philosophen: die neuen von den exakten Wissenschaften geschaffenen K u n s t ausdrücke waren in ihrer Mehrzahl international und zeigten schon d u r c h ihre willkürliche Form, d a ß sie nicht der N a t u r g e w a l t des Sprachgeistes, sondern verständiger Berechnung entsprangen." 2 )
Dann erhob sich mit Wilhelm W i n d e l b a n d s bekannter Rektoratsrede über „Geschichte und Naturwissenschaft" (1894) eine Opposition zugunsten einer nicht stofflichen sondern methodologischen Wissenschaftseinteilung, welche ihre klassische Formulierung in R i c k e r t s „Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften" (1896 — 1902) und der kleineren Schrift „Kulturwissenschaften und Naturwissenschaften" (1899, 2. Aufl. 1910) gefunden h a t , ihrer Terminologie ist von Einzel Wissenschaftlern von Rang insbesondere M a x W e b e r gefolgt. ' ) Vgl. Die Geisteswissenschaften u n d die Philosophie in der Wochenschrift: Die Geisteswissenschaften I , 1 (1913). ! ) Heinr. v. T r e i t s c h k e , Deutsche Geschichte im 19. J a h r h u n d e r t . 6. Aufl. (1914), V, 427.
) Vgl. 0 . S p a n n , Kategorienlehre, 1925. es»
68
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
A m g r e i f b a r s t e n ist i h r e Analogie i m F a l l e des hedonistischen I n d i vidualismus, der n a t u r a l i s t i s c h ist, u n d der organischen S t a a t s l e h r e , die wir o f f e n b a r d e m o b j e k t i v e n I d e a l i s m u s zuzuzählen h a b e n . Suchen wir n u n 3. eine ausgesprochen d u a l i s t i s c h e Formel, so d ü r f t e dazu weniger die platonische S t a a t s l e h r e geeignet sein, welche als S t a a t s lehre, d. h . L e h r e einer O r g a n i s a t i o n s f o r m eines objektiv-idealistischen Momentes nie ganz e n t r a t e n k a n n . Wir mflssen es in einer Sphäre f i n d e n , i n welcher der organische Z u s a m m e n h a n g m e h r als dies j e im Gemeinschaftsleben möglich wäre in einen rein Ideellen sich v e r w a n d e l t u n d müssen n a c h dessen V e r h ä l t n i s z u m I n d i v i d u u m f r a g e n . So lesen wir in einem Aufsatz Wilhelm W i n d e l b a n d s 1 ) , auf dessen Beziehungen zur Platonischen Ideenlehre natürlich k a u m hingewiesen zu werden b r a u c h t : „ A b e r eines m u ß vor allem . . . hervorgehoben werden: d a ß niemals d a s I n d i v i d u u m w ä h n e n darf, selbst als solches die schöpferische K r a f t in der Erzeugung der Gegenstande zu sein: wir sind dabei, soweit es sich u m echte K u l t u r w e r t e h a n d e l t , niemals als Individuen, j a nicht einmal als Exemplare unserer G a t t u n g , sondern als W o h n s t ä t t e u n d Träger übergreifender und deshalb sachlich im Wesen der Dinge selbst begründeter Vern u n f t f u n k t i o n e n tätig. Sie allein bestimmen die ,,Gegenstände", die notwendig u n d allgemein gelten. Dies Teilhaben a n einer überragenden W e l t von V e r n u n f t w e r t e n , die doch den Sinn aller der Ordnungen ausmachen, auf denen sich unsere kleinen Welten des Wissens, Wollens u n d Gestaltens a u f b a u e n , diese Einfügung unseres bewußten Kulturlebens in Kulturzusammenh&nge, die über u n s und unser ganzes empirisches Dasein weit hinausreichen — das ist das unbegreifliche Geheimnis aller geistigen Tätigkeit. Aber der ganze Prozeß der menschlichen K u l t u r , die Stärkung u n d Auswertung, welche ihre werth a f t e n Leistungen in der Geschichte erfahren, bestätigt uns i m m e r wieder dies Emporwachsen unseres Lebens in V e r n u n f t z u s a m m e n h ä n g e , die mehr bedeuten als wir selbst."
Das ist spezifisch dualistisch. D a m i t ist der Kreis der W e l t a n s c h a u u n gen d u r c h l a u f e n . Aber das L e b e n ist, selbst auf d e m Gebiete der Theorienbildung, reicher. U n d obwohl diese Theorien den Kreis der Weltanschauu n g e n nie überschreiten, so entwickeln sich doch i n n e r h a l b desselben reiche Variationen. Z u n ä c h s t ist, wie schon das letzte Beispiel gezeigt h a t , der Spielraum, i n n e r h a l b dessen sich das individuelle Prinzip u n d sein Gegenspiel entwickelt, weiter als das Gemeinschaftsleben im engeren Sinne. Soeben w a r das Ideenreich d e m I n d i v i d u u m g e g e n ü b e r g e s t a n d e n . Man darf also theoretisch keineswegs n u r I n d i v i d u u m u n d S t a a t oder I n d i v i d u u m u n d M i l i e u k o n t r a s t i e r e n . N i c h t m i n d e r h ä u f i g sind p r a k t i s c h e Gegenüberstellungen v o n I n d i v i d u u m u n d G e s e l l s c h a f t ( G e m e i n s c h a f t ) , Individuum und G a t t u n g , Individuum und M a s s e ( k o l l e k t i v e Mächte), I n d i v i d u u m u n d K l a s s e , I n d i v i d u u m u n d V o l k s g e i s t , Ind i v i d u u m u n d L a n d s c h a f t , I n d i v i d u u m u n d Z e i t g e i s t , Persönlichkeit u n d h i s t o r i s c h e s G e s e t z , der einzelne u n d die S p r a c h e , Persönlichkeit u n d I d e e , I n d i v i d u u m u n d W e r t , Seele u n d G o t t , die Seele u n d die F o r m e n , P e r s o n u n d S a c h e usw. Weshalb wir es auch ') Wilhelm W i n d e l b a n d , Kulturphilosophie u n d transzendentaler Idealismus. Logos 1,1910, S. 96.
C
SUBJEKTIVISMUS
(INDIVIDUALISMUS)
U. OBJEKTIVISMUS
69
vorziehen, n i c h t v o n e i n e m „ o r g a n i s c h e n " , „ u n i v e r s a l e n " oder „Sozialp r i n z i p " , s o n d e r n allgemeiner v o n einem o b j e k t i v i s t i s c h e n zu sprechen. D a n n aber werden wir sehen, d a ß I d e a l i s m u s der Freiheit, o b j e k t i v e r I d e a l i s m u s u n d N a t u r a l i s m u s sich sowohl m i t individualistischen als objektivistischen T e n d e n z e n v e r b ü n d e n k ö n n e n . J a , wie wir sehen werden, zugleich m i t einem weiteren Begriffspaar, d e m des Rationalismus u n d I r r a t i o n a l i s m u s . Auf diese V e r b i n d u n g e n w e r d e n wir in erster Linie zu a c h t e n h a b e n , die stoffliche Differenzierung der objektivistischen Begriffe interessiert u n s n u r als d e r e n Einkleidung. A b e r wir werden diese Verbind u n g e n n i c h t ableiten. U n t e r den möglichen F o r m e n derselben ragen historisch einige als klassische R e p r ä s e n t a n t e n dieses Prinzips h e r v o r . Dieselben w e r d e n u n g e a c h t e t unserer rein prinzipiellen Absicht a u c h hier s a c h g e m ä ß h e r a u s z u h e b e n sein. I . Die b e k a n n t e s t e , a m b e s t e n a u c h in i h r e n gesetzlichen Z u s a m m e n h ä n g e n m i t N a t u r a l i s m u s , Mechanismus u n d A t o m i s m u s u n t e r s u c h t e F o r m des I n d i v i d u a l i s m u s ist die h e d o n i s t i s c h - e u d ä m o n i s t i s c h u t i l i t a r i s c h e . D a s I n d i v i d u u m ist allein u n d gilt allein. Die o b j e k t i v e n Gebilde sind sein W e r k , dienen i h m als bloße M i t t e l u n d leihen sich von ihm ihre Geltung. Um die Herausarbeitung dieser Form hat sich neuerdings insbesondere 0 . S p a n n verdient gemacht. Zuletzt in seiner Kategorienlehre (Wien 1925). Es ist der „quantitative Individualismus" S i m m e i s und S c h m a l e n b a c h s (Kantstudien Bd. XXIV, 1920). Ich verweise anch auf diese ausgezeichneten Arbeiten.
I I . N e b e n dieser naturalistisch-sensualistischen F o r m s t e h t aber, von den Gegnern „ d e s " I n d i v i d u a l i s m u s lange n i c h t genügend b e a c h t e t , eine idealistische F o r m : der I n d i v i d u a l i s m u s der P e r s o n . Der K a n t s u n d des ersten F i c h t e . U n d i h m s t e h t charakteristischerweise a u c h n i c h t m e h r der naturalistische N o t s t a a t oder W o h l f a h r t s s t a a t gegenüber, sondern v o n der Stoa a b , zwar ebenfalls n a t i o n a l e n t w u r z e l t aber weltanschaulich idealistisch u n d n i c h t m e h r auf V e r s t a n d sondern auf V e r n u n f t b e g r ü n d e t , eine G e m e i n s c h a f t v o n Weisen. E i n e Gesinnungsgemeinschaft. I I I . D e r I n d i v i d u a l i s m u s der Person ist ausgesprochen ethisch u n d dualistisch; charakterologisch der A u s d r u c k einer sehr h e r b e n u n d strengen Gesinnung. D e r W e g v o n K a n t über Schiller zu H u m b o l d t , Schelling u n d zu Hegels Ä s t h e t i k zeigt i h n n u n in m a n n i g f a c h e n A b w a n d l u n g e n ins Ästhetische. D . h . i n n e r h a l b seiner u n v e r ä n d e r t idealistischen u n d ethischen G r u n d h a l t u n g werden sensuelle E l e m e n t e a u f g e n o m m e n , u m die Sinnlichkeit zu v e r s ö h n e n . H i e r ist der logische O r t der s c h ö n e n S e e l e u n d des H u m b o l d t s c h e n B i l d u n g » - u n d H u m a n i t ä t s i d e a l s . Bei F r i e d r i c h Schlegel u n d Schleiermacher t r i t t im Ganzen dieses S t a n d p u n k t e s n o c h ein weiteres Moment h i n z u , ein Irrationales. Der I n dividualismus der E i g e n a r t ist eine irrationalistische A b a r t des bereits ins Ä s t h e t i s c h e g e w a n d e l t e n I n d i v i d u a l i s m u s der P e r s o n .
70
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
E r t r ä g t bereits objektiv-idealistische Züge u n d j e m e h r sich ästhetische M o m e n t e in demselben v e r s t ä r k e n , desto m e h r n ä h e r t er sich der sensualistischen Grenze. Über den Individualismus der Romantiker vgl. insbesondere Panl K l u c k h o h n , Persönlichkeit and Gemeinschaft, Stadien zur Staatsauffassang der deutschen Romantik, Halle 1925. Die Humboldtarbeiten Eduard S p r a n g e r s bedürfen kaum besonderer Erwähnung mehr.
I V . Vorbereitet w u r d e n diese V e r b i n d u n g e n eines I n d i v i d u a l i s m u s der Person m i t sensualistischen u n d irrationalistischen M o m e n t e n d u r c h eine Reihe a n d e r s a r t i g e r V e r b i n d u n g e n derselben individualistischen G r u n d t e n d e n z . So lernen wir in d e m e n t h u s i a s t i s c h e n I n d i v i d u a l i s m u s S h a f t e s b u r y s eine emotionale F o r m des I n d i v i d u a l i s m u s k e n n e n , in welcher die M o m e n t e aller Gefühlsphilosophie: ein idealistisches, das d e n G e l t u n g s a n s p r u c h b e g r ü n d e t , u n d ein sensualistisches, d a s d e n sentimentalischen Z u g erzeugt, sich deutlich sondern lassen, w ä h r e n d das d r i t t e irrationalistische M o m e n t k r ä f t i g e r bei den u n m i t t e l b a r e n V o r g ä n g e r n der Romantik heraustritt im: V. I n d i v i d u a l i s m u s der G e n i e z e i t . Hier ist ein i r r a t i o n a l e r F a k t o r in W i r k u n g , der E i g e n a r t b e g r ü n d e t , g e p a a r t m i t einem der sensuellen u n d irrationalen S p h ä r e a n g e h ö r e n d e n d y n a m i s c h e n Zug. D e r idealistische Zug, der im Geniebegriff des S t u r m s u n d D r a n g s zweifellos d r i n s t e c k t , v e r b l a ß t n e b e n d e m I d e a l i s m u s der T r a n s z e n d e n t a l p h i l o s o p h i e , wird aber auf der Folie des reinen Sensualismus sofort s i c h t b a r . V I . T r i t t dieser idealistische Zug, ohne völlig zu verschwinden, vor einem d y n a m i s c h e n h ö c h s t e r P o t e n z zurück, so e n t s t e h t der Individualismus N i e t z s c h e s . V I I . I m I n d i v i d u a l i s m u s der K r a f t g e n i e s (insbesonders des S t r a ß b u r g e r G o e t h e u n d Herders) wie in d e m K a n t s u n d schließlich besonders d e m Schleiermachers s t e c k t aber ein E l e m e n t , das in d e n individualistischen D e b a t t e n vollends fibersehen zu werden p f l e g t : der I n d i v i d u a l i s m u s der I n n e r l i c h k e i t , der in Mystik u n d P r o t e s t a n t i s m u s angelegt, im P i e t i s m u s ( u n d seiner p r o f a n e n F o r m : der E m p f i n d s a m k e i t ) f ü r unsere D i c h t u n g u n d Philosophie besonders f r u c h t b a r w u r d e u n d in K i e r k e g a a r d seine r a d i k a l s t e V e r t r e t u n g f a n d . Die ganze d e u t s c h e A u f k l ä r u n g ist v o n seinem Wesen d u r c h d r u n g e n , worüber t r o t z der a u ß e r o r d e n t l i c h e n F o r t s c h r i t t e der E r f o r s c h u n g des Pietismus insbesondere i n E r i c h S e e b e r g s „ G o t t f r i e d A r n o l d " (1923) noch i m m e r der § 293 des J . E . E r d m a n n s c h e n Grundrisses der Geschichte der Philosophie n a c h z u s c h l a g e n ist. Bildung, Menschlichkeit, G e f ü h l , Freiheitsliebe, B e s o n d e r h e i t , Persönlichkeit, Genialität, individuelle u n d p r i v a t e F r ö m m i g k e i t , Heiligkeit, Gebetsk u l t u r , das alles sind t y p i s c h s u b j e k t i v e W e r t e (und i h n e n e n t s p r e c h e n d sind Biographie, Selbstbiographie, Brief, T a g e b u c h , Psychologie u n d Weltweisheit, s u b j e k t i v e literarische F o r m e n ) , die sich a n die Stelle der o b j e k t i v e n Idee u n d der o b j e k t i v e n u n d organischen G e m e i n s c h a f t in
C
SUBJEKTIVISMUS
(INDIVIDUALISMUS)
U. OBJEKTIVISMUS
71
Staat oder Kirche setzen. Wo Gemeinschaft erstrebt wird, dann geschieht das in t y p i s c h s u b j e k t i v i s t i s c h e n F o r m e n , wie Freundschaft, Konventikel oder Gemeinschaft der Gesinnung und des Gefühls. Ü b e r d e n Subjektivismus Kierkegaards vgl. insbesondere A. B a e u m l e r , Hegel u n d Kierkegaard, Deutsche Vierteljahrsschrift I I , 116ff. D o r t die ungewöhnlich eindrucksvolle Anekdote, welche die völlige E n t w e r t u n g illustriert, welcher in dieser Perspektive auch der objektive Gehalt des Gedankens v e r f ä l l t : Ein Mann h a t ein gutes Buch ü b e r die Liebe Gottes geschrieben. U n t e r dem Eindruck schwerer Erlebnisse verfällt er in Zweifel. E r sucht R a t bei einem P f a r r e r , der ihn nicht k e n n t . Und dieser sagt ihm schließlich : Lesen Sie das Buch von X . X . ( d . h . dem Frager selbst) über die Liebe Gottes — wenn Ihnen das nicht hilft, d a n n ist I h n e n nicht zu helfen.
VIII. Nimmt schon dieser Individualismus der Innerlichkeit in seinen radikalen Formen ausgesprochen dualistische Züge an, so kann man auch in dem Individualismus des Willens und der Tat, des Helden und des großen Mannes, wie ihn im 19. Jahrhundert die „ P o l i t i s c h e H i s t o r i e " herausbildete, eine deutliche Wendung von einer pantheistischen und monistischen Geschichtsauffassung zu einem neuen Dualismus erkennen. Es ist nicht der Individualismus des „reinen Willens", wie ihn der idealistische Rationalismus verkündet; auch nicht der des praktischen Verstandes, wie im naturalistischen Utilitarismus; auch hier verbindet sich im Begriff des „großen Mannes" ein irrationalistischer Zug mit dem dualistischen, der mit dem Grundbegriff des Handelns gesetzt ist. Vgl. dazn meine Einleitung in die Geisteswissenschaften S. 162 ff, insbesonders die Charakteristik D r o y s e n s , S. 175f.
Damit ist das Schema entwickelt und sind die Kriterien bestimmt, mittels deren weitere Erscheinungen des Individualismus in feste Verbindung mit den großen Weltanschauungstypen gebracht werden können. „Individuum est ineffabile", das ist eine idealistische Prägung, denn offenbar handelt es sich, wenn dies Wort vor einer Biographie steht, nicht nur um eine unaussprechliche Wirklichkeit als solche, sondern auch darum, daß ihr werthafter Zauber unaussprechlich sei einen irrationalistischen Zug. Individualismus der „ G e s t a l t " : innerhalb einer objektiv-idealistischen Grundhaltung von spezifisch ästhetischem Charakter ist hiereine bestimmte ethische Wendung eingetreten. Über den L e b e n s p h i l o s o p h i s c h e n , auf Persönlichkeiten und Volksgeister eingestellten, irrationalistischen Individualismus der neuesten Historiographie wird unten noch zu sprechen sein. Andere Züge des Individuums werden am deutlichsten auf der Folie der Gegenbegriffe erkennbar. So erhebt sich gegen die Ableitung der geistigen Erscheinung aus dem Milieu die Einsicht in zugleich ideale und dynamische Eigenschaften: S p o n t a n e i t ä t und A k t i v i t ä t des geistigen Lebens. Was ist das gemeinsame dieser Individualismen ? Das Individuum sucht sich auf sich selbst zu stellen. Was ist ihr G r e n z f a l l ? D i e a b s o -
72
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
l u t e I s o l i e r u n g . Negativ: der Verlust jedes Gemeinschaftsbandes. Dessen Sinn und Notwendigkeit zu erweisen ist die Tendenz der o b j e k t i v i s t i s c h e n Systeme. Fragen wir, was sie in concreto dem Individuum entgegenstellen, so sind die Herrlichkeit des S t a a t e s und der G e m e i n s c h a f t die meist behandelten Themen. Auf religiösem Gebiet tritt die K i r c h e als große Objektivität der subjektiven Innerlichkeit in ihrer Einsamkeit gegenüber. In mehr dualistischer Wendung das objektive Dogma. Bei Hegel und den idealistischen Systemen des 19. Jahrhunderts die „Sache 1 '. Schon bei Winckelmann „die" Kunst. Vgl. hierzu die reichen kirchengeschichtlichen Materialien bei Walter K ö h l e r , Idee und Persönlichkeit in der Kirchengeschichte 1910.
In naturalistischer Wendung ist es das Milieu oder sonst eine kollektive Macht, die gegen die Persönlichkeit ausgespielt werden. Aus diesen Systemen des o b j e k t i v i s t i s c h e n N a t u r a l i s m u s spricht die Absicht, die Spontaneität des Geistes zugunsten des naturalistischen P r o z e s s e s und seiner Gesetzlichkeit zu vernichten. Man kann diese Gegensätze kaum näher prüfen ohne zu spüren: hier spielen in Feststellungen wie: der Staat „ist" vor dem Individuum, die „Gesellschaft" ist es, die in ihm denkt, allein auf die „Sache" kommt es auch dem Historiker an, Volkstum und Landschaft sind der „wahre" Gegenstand der Literaturgeschichte und die biographische Methode ist unwissenschaftlich, W e r t u n g e n hinein. Wie Kierkegaard die absolute Einsamkeit der Seele aufs intensivste erlebt, so erleben die Gegner des Individualismus den Segen der Entsagung auf diese Einsamkeit. Das Glück der Gemeinschaft, die Großartigkeit und Mächtigkeit des Staates, der Kirche, des Ganges der Weltgeschichte, die Objektivität des Ideellen, die Tiefe der Tradition, die Übermacht und Herrlichkeit des Volkstums gegenüber dem wie ein Blatt verwehenden Einzelwesen. Diese objektivistischen Standpunkte sind so populär, daß sie im einzelnen einer näheren Darstellung kaum bedürfen. Wohl aber interessiert uns, nachdem wir als den Grenzfall des Individualismus die absolute Isolation kennengelernt haben, nunmehr die D i a l e k t i k des obj e k t i v i s t i s c h e n Pols. Blicken wir noch einmal auf die Verbindung dieser Standpunkte mit den drei großen Weltanschauungstypen zurück, so sahen wir jede der drei mit dem Individualismus und mit dem Objektivismus sich verbinden. Auch unsere Darstellung der drei Systeme selbst hat auf diese Verbindung hingewiesen. Aber gewisse W a h l v e r w a n d t s c h a f t e n bestehen doch: 1. zwischen dem Dualismus und dem Individualismus der Person. Die Mehrzahl der dualistischen Systeme bedarf desselben zur „Tat". Sollen, Handlung, Ethos gehören zur Einzelperson. 2. Zwischen dem Naturalismus und dem hedonistischen und eudaimonistischen Individualismus. Freilich auch
C
SUBJEKTIVISMUS
(INDIVIDUALISMUS)
U. OBJEKTIVISMUS
73
zwischen d e m N a t u r a l i s m u s u n d d e m o b j e k t i v i s t i s c h e n G e d a n k e n eines Kreislaufs d e r N a t u r . Die innigste W a h l v e r w a n d t s c h a f t a b e r b e s t e h t 3. zwischen O b j e k t i v i s m u s u n d o b j e k t i v e m I d e a l i s m u s . E s gibt allerdings auch objektiv-idealistische I n d i v i d u a l i s m e n . So steckt ein solcher, wie wir s a h e n , im G e n i e g e d a n k e n . Derselbe ist eines der g r o ß a r t i g s t e n synthetischen I n s t r u m e n t e d e r Geistesphilosophie gew o r d e n , i n d e m er einmal in eine ungezwungene V e r b i n d u n g z u m objektiv e n Volksgeistgedanken g e b r a c h t werden k a n n , d a n n d u r c h den Gesichtsp u n k t d e r T a t m i t dualistischen A u f f a s s u n g e n zu v e r b i n d e n ist u n d schließlich d u r c h d a s M o m e n t des I r r a t i o n a l e n eine V e r b i n d u n g m i t dem N a t u r a lismus b e s i t z t . Ü b e r ihn wird i m V. K a p . n o c h zu sprechen sein. S o d a n n lassen sich G e m e i n s c h a f t s w e r t e als solche a u c h dualistisch in i h r e m reinen Sollensanspruch d e m I n d i v i d u u m gegenüberstellen. Aber in concreto erlebt es k o n k r e t e G e m e i n s c h a f t e n als o b j e k t i v e Mächte, die sein Leben m i t i h r e m Leben u m s p a n n e n , denen es sich ergibt. D a r a u f ber u h t die b e h a u p t e t e W a h l v e r w a n d t s c h a f t . D a m i t e n t s t e h t aber zugleich eine dialektische Bewegung, welche die im vorigen P a r a g r a p h entwickelte rein weltanschauliche ebenso voraussetzt wie ergfinzt. Zur Sache, z u m W e r t , zur I d e e s t e h t das I n d i v i d u u m in einem Verhältnis freien Sollens. Auch in S t a a t u n d G e m e i n s c h a f t , solange dieselben rein als O r d n u n g e n des Z u s a m m e n l e b e n s g e d a c h t sind, zu welchen b e s t i m m t e Weisen der W e l t d e u t u n g noch in keine n ä h e r e Beziehung gesetzt sind, b e h ä l t es Geistes- u n d Gewissensfreiheit. D a s wird v o n d e m Momente a n anders, in d e m diese W e r t e sich obj e k t i v idealistisch in W e r t k r ä f t e v e r w a n d e l n . Die I d e e s t e h t d a n n n i c h t m e h r als Soll h o c h über dem I n d i v i d u u m , sondern wird Wirklichkeit u n d Leben. A u c h „ d i e " K u n s t , „ d a s " R e c h t „ g e l t e n " j e t z t n i c h t m e h r n u r , sie müssen n u n ebenso als wirkend u n d sich entwickelnd g e d a c h t w e r d e n . U n d m i t i h n e n das K u l t u r g a n z e , dessen T o t a l i t ä t sie sich organisch ein« gliedern. E i n P a n t h e i s m u s der Weltgeschichte e n t s t e h t . D a s Göttliche u n d die V e r n u n f t ist in die Geschichte eingegangen. N i c h t n a c h N a t u r gesetzen freilich, sondern noch n a c h V e r n u n f t g e s e t z e n , aber bereits n a c h o b j e k t i v w i r k e n d e n entwickeln sich dieselben. U n d das h a t notwendig seine Folgen! D a s I n d i v i d u u m verliert seine A u t o n o m i e . I m e x t r e m e n Falle, u n d n u r dieser h a t unser logisches I n t e r esse, „ d e n k t " es schließlich nicht m e h r selbst, sondern „ e s " d e n k t in i h m . Auch hier b e s t e h t wieder eine auffallende Analogie zwischen Positivismus u n d I d e a l i s m u s , d. h . j e n e m u n d dem o b j e k t i v e n Idealismus, die m i t der leisesten objektivistischen W e n d u n g desselben n a c h strengen Gesetzen sich geltend m a c h t . Selbst F i c h t e spricht gelegentlich v o n einer „Besessenheit des I n d i v i d u u m s durch die V e r n u n f t " 1 ) u n d m e i n t „ n i c h t das Ich h a b e B e w u ß t s e i n sondern das Bewußtsein h a b e das I c h " 2 ) . Ein S t a n d ') Werke II, 608.
2
) NW III, 11.
74
LOGIK
UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
punkt, der dem Machschen „es denkt in mir" mindestens in der Form sich stark annähert, nur daß „ e s " bei Fichte wirklich denkt, während bei Mach nur ein objektiver Prozeß abläuft. Reflektiert man nun darauf, daß die objektive Vernunft in die Geschichte einging, dann bekommt dieses Umschlossensein des Individuums eine neue besondere Note. Denn die geschichtlichen Gemeinschaften, die geschichtlichen Volksgeister haben immer ein b e s t i m m t e s S o s e i n , und d e s s e n Repräsentant, Exponent, Statthalter muß das Ich nun werden. So lange diese Mächte statisch gedacht sind, als Volksgeister, Landschaften, Kulturganze, welche das Individuum tragen und deren Ganzheit es sich bewegt, bestehen noch immer Möglichkeiten, zwischen die objektiven Inhalte der Totalitäten und das Individuum die Distanz einer Forderung zu legen, die an sein autonomes Gewissen gestellt ist. Soll es die Gottheit in seinen Willen aufnehmen, damit sie von ihrem Himmelsthron herabsteige, so ist ihm hier gewissermaßen ein freiwilliger Pantheismus empfohlen. Die dualistische Basis ist noch erhalten. Sowie sich aber diese objektiven und historisch immer bestimmt charakterisierten Mächte in objektive und bestimmt gerichtete B e w e g u n g setzen, weltgeschichtlich sich entwickeln, und zwar nach i h r e m Gesetz, dann ändern sich diese Verhältnisse. Das Individuum wird entweder dem D r u c k oder doch der „ L i s t " dieses Gesetzes unterliegen. „ L i s t der V e r n u n f t " ist ein Begriff, der sich mit absoluter N o t w e n d i g k e i t einstellt, wo I d e a l i s m u s und O b j e k t i v i s m u s sich verbünden. Das ist gar nicht mehr zu übersehen, wenn in den letzteren ein d y n a m i s c h e s Moment tritt. K e i n e i n h a l t l i c h e G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i e ohne „ L i s t der V e r n u n f t " . Keine Dynamisierung von Vernunftgesetzen ohne diese notwendige Folge. Denn weit über Hegel hinaus müssen doch die Individuen einer List der Vernunft auch da unterliegen, wo etwa die Kunstgeschichte nach Wölfflinschen oder Riegischen Entwicklungsgesetzen verläuft. Kunstgeschichte als Entfaltung sachlicher Gesetzlichkeiten ist notwendig Kunstgeschichte ohne Namen und Daten. Sowie nun in diesen Schemen die dynamische Seite des Entwicklungsbegriffs die Oberhand gewinnt über die sachliche, dann wandeln sich diese Vernunftgesetze um in h i s t o r i s c h e G e s e t z e , und wir stehen mitten im N a t u r a l i s m u s , und zwar in seiner objektivistischen Form. Hegels List der Vernunft ist zur List des historischen Gesetzes geworden, gegen welches Ranke mit demselben Argument protestierte, wie gegen Hegels Fortschrittsgedanken: es „mediatisiere" das geschichtliche Leben 1 ). Begründet ist dieser Prozeß wiederum im monistischen Charakter des objektiven Idealismus, d. h. durch den Wegfall der Spannung des Sollens. Wird mit diesem Ernst gemacht, so bleibt das geistige Leben als eine homogene Substanz von teils sachlichem, teils dynamisch-wirklichem ') Vgl. meine Auggabe der Rankeschen Schriftchen zur Wissenschaftslehre, Philosophie und Geisteswissenschaften II, 1925, S. 74.
C
SUBJEKTIVISMUS
(INDIVIDUALISMUS)
U. OBJEKTIVISMUS
75
C h a r a k t e r , u n d diese gleitet j e n a c h der Verteilung des Gleichgewichts e n t w e d e r z u r ü c k ins Idealistische oder a b e r inB Naturalistische. I m h i s t o r i s c h e n Gesetz ist der Grenzfall des O b j e k t i v i s m u s erreicht. W i e d e r u m h a b e n wir ein gesetzliches S c h e m a g e w o n n e n : die O b j e k t i v i t ä t der S a c h e steigert sich zur O b j e k t i v i t ä t der wirklichen V e r n u n f t u n d diese z u r O b j e k t i v i t ä t des historischen Gesetzes. Es ist dasselbe S c h e m a , d e m wir s c h o n als einem in der Dialektik des o b j e k t i v e n I d e a l i s m u s beg r ü n d e t e n begegnet sind. Aber j e t z t gewinnt es d u r c h die Beziehung auf das I n d i v i d u u m einen n e u e n I n h a l t . Mit d e m W a c h s t u m der O b j e k t i v i t ä t v e r s c h w i n d e t die Selbständigkeit des Individuellen. Alle seine I n h a l t e w e r d e n i h m i m polaren Falle aufgezwungen. Sein T u n wird eine berechenb a r e F u n k t i o n eines o b j e k t i v e n Gesetzes. E i n e r Sorge ist es freilich e n t h o b e n : d e m Gewissenskonflikt. W a s unsere Zeit sehnlich s u c h t : i n h a l t l i c h e N o r m e n (dies u n d nichts anderes ist das letzte Motiv des R u f e s n a c h M e t a p h y s i k ) , das h a t hier das I n d i v i d u u m im Ü b e r m a ß . E s h a t den l e t z t e n R e s t seiner Freiheit verloren. E m p ö r t es sich aber n u n gegen diese E r n i e d r i g u n g seiner Geistigkeit, d a n n t r e t e n n i c h t m i n d e r gesetzliche Bewegungen ein, welche das bereits gewonnene dialektische Schema n a c h einer völlig n e u e n R i c h t u n g bereichern. D e r I n d i v i d u a l i s m u s bewegt sich zwischen den beiden P o l e n völliger Isolierung u n d völligen Verschlungenwerdens v o n d e m Ganzen. Aber f ü r die k o n k r e t e Wirklichkeit r e i c h t die K a t e g o r i e d e s G a n z e n a l s s o l c h e m n i c h t a u s . D a s I n d i v i d u u m geht nie in einem Ganzen — schlechthin u n t e r . Stets ist es ein b e s o n d e r e s Ganzes, in d e m es lebt u n d d a s i h m seine b e s o n d e r e n I n h a l t e a u f z w i n g t . Ohne dies M o m e n t bleibt die ganze Dialektik u n v e r s t ä n d l i c h . J e m e h r sich also das I n d i v i d u u m von den G e m e i n s c h a f t s b a n d e n (von d e n e n es a u c h u n t e r der H e r r s c h a f t des historischen Gesetzes umschlungen ist) löst, d e s t o m e h r löst es sich zugleich v o n den I n h a l t e n , welche diese G e m e i n s c h a f t i h m gab. J e m e h r es sich aber von diesen I n h a l t e n b e f r e i t , d e s t o weniger I n h a l t e wird es h a b e n . I n h a l t s f r e i h e i ß t i n h a l t s l e e r . E s e m a n z i p i e r t sich zu einer zu keinem b e s t i m m t e n I n h a l t u n d Sosein v e r p f l i c h t e n d e n Freiheit. E m a n z i p a t i o n u n d I s o l a t i o n gehen also H a n d in H a n d u n d f a l l e n , n e g a t i v gesprochen, mit einer sich steigernden I n h a l t s l e e r e der N o r m e n z u s a m m e n , positiv a u s g e d r ü c k t m i t einer F o r m a l i s i e r u n g. E s ist das n i c h t bloße Theorie, sondern das Schema des Lebens selber. N a c h i h m v e r l a u f e n zahlreiche weltgeschichtliche Prozesse. J e d e Z e r s e t z u n g „ o r g a n i s c h e r " G e m e i n s c h a f t e n , in denen nicht n u r das L e b e n , sondern gerade seine inhaltliche Zielsetzung in einem gemeins a m e n Lebensstil einheitlich g e b u n d e n ist, f ü h r t zu individualistischen Zeitaltern, in welchen das Bewußtsein die verlorenen N o r m e n mit Hilfe
76
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
der Reflexion wieder sucht. Es sind nicht mehr die bestimmt inhaltlichen Ziele der organischen Kultur, sondern viel weiter gespannte und dementsprechend gradweise inhaltslosere. Ob Marc Aurel sagt „meine Stadt und mein Vaterland ist, insofern ich Antonin heiße, Rom, insofern ich ein Mensch bin, die Welt" oder ob das 17. Jahrhundert nicht mehr katholisch, nicht mehr lutherisch, nicht mehr reformiert, sondern christlich, und nicht mehr christlich, nicht mehr jüdisch, nicht mehr islamisch, sondern menschlich sein will, das folgt mutatis mutandis derselben Gesetzlichkeit der Formalisierung, die sich auswirkt, wenn die Gemeinschaft nicht mehr auf Blut und Glaube, sondern auf Vernunft gegrttndet werden soll. Dabei bedeutete „Menschheit" dem 17. und 18. Jahrhundert noch immer etwas relativ inhaltliches, d. h. noch immer ein G e m e i n s c h a f t s i d e a l , wenn auch ein ganz offenkundig formalisiertes und inhaltsarmes. Auch darin steckt eine Gesetzlichkeit: je weiter die individualistische Ablösung von den organischen Gemeinschaften fortschreitet, desto u n i v e r s a l e r muß der V e r b a n d werden, mit welchem es sich noch verbunden fühlt. Denkt man sich den Prozeß in der eingeschlagenen Richtung noch weiter schreitend, so tritt ein Moment ein, wo auch das Gemeinschaftsband der Menschheit als ein letztes Totale fällt und nichts mehr bleibt als die individuelle Vernunft, der formale Artcharakter der Vernünftigkeit als ein b l o ß n o c h l o g i s c h G e m e i n s a m e s zwischen den absolut isolierten Individuen. Hier heißt „menschlich" nicht mehr ein historisch universales Ziel, sondern ein abstraktes Generale. Es ist in den einzelnen Individuen nicht mehr historisch dasselbe, nicht mehr h i s t o r i s c h i d e n t i s c h , sondern a b s t r a k t i d e n t i s c h . Die Zeiger zweier Uhren laufen nicht gleich, weil d a s ( h i s t o r i s c h ) s e l b e Werk sie treibt, sondern weil die Mechanismen der einzelnen Werke in abstracto dieselben sind. Hier ist der Formalismus und die Inhaltslosigkeit an ihrem p o l a r e n E n d e . Aber das lebendige geistige Leben bleibt bei solchen polaren Möglichkeiten nicht stehen. Es sucht praktische Lösungen, weil es sie braucht. Die m e t a p h y s i s c h e Antwort: die isolierten Vernunfteinheiten seien, wenn nicht historisch, so doch nicht bloß logisch, sondern m e t a p h y s i s c h eine Einheit, bietet dem formal inhaltsleeren Individuum Steine statt Brot. Im Rahmen der dualistischen Systeme ein erschlichenes objektiv-idealistisches Minimum bieten sie trotzdem den Individuen eine Gemeinschaft bloß in — Formalien. Weit eher kommt die t h e o l o g i s c h e Lösung dem Bedürfnis dieser Individuen entgegen. Nicht so sehr dadurch, daß sie den isolierten Vernunfteinheiten überhaupt einen Einheitspunkt — nun nicht mehr im immanent-metaphysischen, sondern im transzendenten — gibt, sondern dadurch, daß sie mit diesen Transzendenten n e u e p o s i t i v e I n h a l t e verknüpft und an dasselbe eine n e u e k o n k r e t e G e m e i n s c h a f t b i n d e t . Aber auch dies ist zunächst nur eine abstrakte Lösung. Denn das konkrete inhaltsleere Individuum steht in dieser Gemeinschaft entweder
C
SUBJEKTIVISMUS
(INDIVIDUALISMUS)
U. OBJEKTIVISMUS
77
bereits drin, d a n n k o m m t es zu gar keiner Krisis, oder es h a t sich v o n i h r e m a n z i p i e r t , ist i m r a d i k a l e n Falle r a d i k a l inhaltslos u n d m u ß n u n zwischen den zahlreichen sich i h m a n b i e t e n d e n n e u e n I n h a l t e n eine Entscheid u n g t r e f f e n . U n d d a m i t h a b e n wir eine t y p i s c h e S i t u a t i o n . Als b l o ß formales, völlig entleertes u n d v o n allen I n h a l t e n gelöstes I n d i v i d u u m k a n n es n i c h t leben. E s springt in irgendeine P o s i t i v i t ä t u n d meist in eine v o m S t a n d p u n k t e der A u t o n o m i e aus b e t r a c h t e t r e c h t massive. Solange also die G e m e i n s c h a f t b e s t e h t , b i n d e t sie inhaltlich, löst sie sich, so e n t s t e h t A n a r c h i e . D e r Ausweg liegt einzig u n d allein in n e u e r G e m e i n s c h a f t , u n d ist diese n i c h t m e h r o r g a n i s c h , d a n n m u ß sie k ü n s t l i c h w e r d e n . Neue G e m e i n s c h a f t aber h e i ß t n e u e r I n h a l t , u n d das gilt e b e n s o f ü r das einzelne isolierte I n d i v i d u u m wie f ü r eine der Positivitftt e n t b e h r e n d e Mehrzahl solcher I n d i v i d u e n . Mit genialem Scharfblick h a t T h o m a s H o b b e s diese Notwendigkeit einer P o s i t i v i t ä t u m j e d e n P r e i s als G r u n d l a g e k u l t u r e l l e n Lebens e r k a n n t . E r h a t m i t dieser E r k e n n t n i s r e c h t , selbst w e n n seine pessimistische P r ä m i s s e , die Menschen seien Wölfe, n i c h t in voller Schärfe zut r i f f t . Das B e s t e h e n großer L e b e n s t o t a l i t ä t e n ist a u c h da g e f ä h r d e t , wo der Mensch z w a r „ g u t " ist, Gemeinschaft n u n a b e r auf die s c h w a n k e n d e Basis philosophischer W e l t a n s c h a u u n g e n gestellt ist. I n D i a d o c h e n k ä m p f e n , welche die H o b b e s c h e Ansicht bestätigen, f l i e ß t n i c h t m e h r Blut als in Bürgerkriegen, welche auf der scheinbar h a r m l o s e n Basis des entfesselten „ g u t e n W i l l e n s " ausbrechen k ö n n e n . Die Guillotine ist ausdrücklich im N a m e n d e r V e r n u n f t in Bewegung gesetzt w o r d e n . A u c h wo n a c h religiösen R e v o l u t i o n e n neue Gemeinschaften auf G r u n d ausgesprochen individualistischer G r u n d l a g e n e n t s t a n d e n sind, d a k a n n das diesen innew o h n e n d e individualistische P r i n z i p a u c h hier zur Anarchie i m m e r neuer Sektenbildungen führen. So t r e i b t die Dialektik des I n d i v i d u a l i s m u s diesen gerade in seinen r a d i k a l s t e n A u s p r ä g u n g e n in einen neuen O b j e k t i v i s m u s h i n ü b e r . U n d wieder sind es eben dessen r a d i k a l s t e n G e s t a l t u n g e n , in welchen dieser Ü b e r g a n g sich vollzieht. U n t e r diesem G e s i c h t s p u n k t schlagen sich B r ü c k e n zwischen scheinbar ganz h e t e r o g e n e n E r s c h e i n u n g e n : die H o b b e s c h e S t a a t s t h e o r i e , r o m a n tische K o n v e r s i o n e n , De Maistres P a p s t t u m , K i e r k e g a a r d , dialektische Theologie u n d v e r w a n d t e Erscheinungen, deren Gotteslehre b e d e u t s a m e Analogien m i t der Theorie der D i k t a t u r a u f w e i s t , alle r a d i k a l e n F o r m e n des Dezisionismus h a b e n wesensverwandte Züge u n d streifen, so p a r a d o x das i m einzelnen Falle scheinen m a g , die Bereiche des Atheismus. Zugleich a b e r weist die Dialektik des I n d i v i d u a l i s m u s u n d Objektivismus in einen neuen Problemkreis hinüber, in welchem das Verhältnis von Geist u n d I n h a l t eine systematische K l ä r u n g e r f a h r e n m u ß .
18
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
5. RATIONALISMUS U N D I R R A T I O N A L I S M U S . I n engstem Zusammenhang mit den Ergebnissen des Vorhergehenden m ü ß t e an f ü n f t e r Stelle die dort bereits vorbereitete Darstellung der Spannung r a t i o n a l e r und i r r a t i o n a l e r Tendenzen folgen. Dieselbe fällt aus, da sonst der I n h a l t des IV. Kapitels in wesentlichen Bestandteilen vorweggenommen werden m ü ß t e . Die bisher behandelte Dialektik der Weltanschauungen drängt an sich schon lebhaft genug auf die in ihr angelegten systematischen Lösungen. Sind die „möglichen" weltanschaulichen Gegensätze in diesen fünf Paragraphen erschöpft? An sich mag es unabsehbar viele geben. Die spekulative Phantasie könnte noch eine Reihe anderer konstruieren. H i s t o r i s c h w i r k s a m im Gefüge u n s e r e r Geistesphilosophie sind nur einige geworden, und diese schon in sehr verschiedenem Gewicht u n d in einer a priori gar nicht konstruierbaren, sondern erst n a c h t r ä g l i c h k o n s t r u k t i v a u f l ö s b a r e n V e r s c h l i n g u n g miteinander. Unsere Darstellung wird von diesen den von irrational und rational, von universal u n d partikular und gelegentlich immer wieder auch den von dynamisch u n d statisch berühren.
III. DIE GEISTESWISSENSCHAFTLICHEN METHODEN. 1. A U F G A B E E I N E R METHODOLOGIE D E R G E I S T E S WISSENSCHAFTEN. Jeder Geisteswissenschaftler kennt die im vorigen Kapitel analysierten weltanschaulichen Motive und Begriffe, deren Dialektik die Problematik seines Faches restlos umgreift. Er kennt sie meist nicht in abstrakter Form und überblickt selten ihre ganze Tragweite (für Nachbarfach, Philosophie und Lebensgestaltung). Aber dennoch weiß er um ihr Gewicht, denn in der Sache pflegt er sie mit Leidenschaft zu vertreten oder zu verteidigen. Soweit dies nicht naiv geschieht, sondern in gradweise sich konzentrierender Reflexion, kennt er diese Motive meist in der Einkleidung p r i n z i p i e n w i s s e n s c h a f t l i c h e r und m e t h o d o l o g i s c h e r Grundsätze und Gegensätze. Die Bedeutung methodologischer G e g e n s ä t z e als solcher erhellt etwa aus unseren Ausführungen S. 26 f. und 35. Solange ein wissenschaftlicher S t a n d p u n k t (einschließlich der philosophischen Standpunkte) nicht auf prinzipielle Gegnerschaft stößt, hält er seine Prinzipien meist f ü r „selbstverständlich". Erst aus dem Widerstreit im Grundsätzlichen pflegt praktisch das Bedürfnis „kritischer" Grundlegung zu entspringen.
Nachdem unsere Analyse der großen Weltanschauungen bereits des öfteren auf die K o n s e q u e n z e n derselben im Methodologischen hingewiesen hat, gilt es jetzt, diesen Weg auch von den Methoden aus zu den weltanschaulichen V o r a u s s e t z u n g e n zurückzufinden. Eine umfassende Methodologie der Geisteswissenschaften hätte die Aufgabe, jeder einzelnen geisteswissenschaftlichen Methode (nachdem sie zunächst im Sinne des § 5 des I . K a p i t e l s auf ihren gemeingeisteswissenschaftlichen Charakter untersucht wäre) ihren s y s t e m a t i s c h e n O r t im dialektischen Zu-
C AUFGABE EINER METHODOLOGIE
D.GEISTESWISSENSCHAFTEN
79
s a m m e n h a n g der W e l t a n s c h a u u n g e n anzuweisen, deren Bewegung, wie wir n o c h n ä h e r sehen w e r d e n , d a s Gesetz des Geistes selbst ist. Wir b e g n ü g e n uns d a m i t , in diesem K a p i t e l wenigstens einige der großen M e t h o d e n in d e m a n g e d e u t e t e n Sinne zu i n t e r p r e t i e r e n u n d bevorzugen d a b e i insbesonders objektiv-idealistische. Die Tendenzen des N a t u r a l i s m u s u n d des dualistischen Idealismus sind die u n m i ß v e r s t ä n d lichsten. I n s o f e r n ist hier wenig Neues zu sagen. Interpretationsschwierigkeiten b i e t e n in erster Linie die „ m i t t l e r e n " M e t h o d e n . U n d dies u m s o m e h r als a u c h sie in der a n der objektiv-idealistischen W e l t a n s c h a u u n g prinzipiell aufgewiesenenen Weise, in mannigfaltiger Weise n a c h beiden R i c h t u n g e n zu variieren. S o d a n n t r e t e n die M e t h o d e n der beiden E x t r e m e auch im R a h m e n der Geisteswissenschaften h ä u f i g in relativ a b s t r a k t e r , der streng philosophischen E r ö r t e r u n g a n g e n ä h e r t e r F o r m auf u n d sind in dieser Ges t a l t als „philosophische" S t a n d p u n k t e v e r h ä l t n i s m ä ß i g g u t b e k a n n t . So b e d a r f der philosophische G r u n d c h a r a k t e r e t w a der S t a m m l e r sehen R e c h t s w i s s e n s c h a f t keiner spezifisch „ m e t h o d o l o g i s c h e n " I n t e r p r e t a t i o n m e h r . E r h a t sich selbst in philosophischer F o r m e i n g e f ü h r t . U n d dasselbe gilt f ü r die H o b b e s s c h e S t a a t s t h e o r i e , den Psychologismus der Assoziationspsychologen, die illusionslose Psychosophie der französischen Aufklärer, die Gesellschaftslehre B e n t h a m ' s , C o m t e s ' , S p e n c e r s oder K a r l M a r x ' . Der E i n s a t z bereits pflegt hier K l a r h e i t zu schaffen, soweit er n i c h t d a z u a n g e t a n ist, die methodologische E r ö r t e r u n g in einem relativ a b s t r a k t e n Bereiche f e s t z u h a l t e n , d e n n der idealistische E i n s a t z : ohne einen philosophischen Begriff d e r K u n s t , Religion, des R e c h t s , bereits zu h a b e n , k ö n n e n wir empirische K u n s t w i s s e n s c h a f t , Religionswissens c h a f t , R e c h t s w i s s e n s c h a f t g a r n i c h t treiben, s t e h t zwar im Gebiet der einzelnen Fachphilosophien v e r h ä l t n i s m ä ß i g hoch in Geltung, pflegt aber a u c h in ihren Bannkreis eingeschlossen zu bleiben. Der E i n f l u ß der e x t r e m e n Positionen auf die geisteswissenschaftliche P r a x i s ist gegenüber dem der m i t t l e r e n Methoden f a k t i s c h doch ein r e l a t i v begrenzter. Sieht m a n v o n der R e c h t s w i s s e n s c h a f t ab, i n n e r h a l b der wenigstens eine neuk a n t i s c h e Schule a u f t r a t , so h a t doch a u c h der N e u k a n t i a n i s m u s genau besehen keinesfalls einen seiner philosophischen G e l t u n g entsprechenden E i n f l u ß auf die Einzelwissenschaften zu gewinnen v e r m o c h t . U n d wenn immer in d e m letzten Menschenalter einzelne naturalistische Methoden wie die soziologischen, m a r x i s t i s c h e n oder psychoanalytischen in die Geisteswissenschaften e i n g e d r u n g e n sind, so ist die Resorption besonders der l e t z t e r e n doch eine ganz äußerliche, p r o g r a m m a t i s c h e u n d h y p o t h e tische geblieben, w ä h r e n d bei d e n ersteren a u c h erst seit kurzer Zeit die F r ü c h t e reifen, durch welche neue Methoden sich erstmals legitimieren, wobei es b e a c h t e n s w e r t ist, d a ß die beginnende A u f n a h m e derselben in den B e s t a n d w i s s e n s c h a f t l i c h e r Methoden ihren naturalistischen G r u n d z u g wenigstens in D e u t s c h l a n d b e r e i t s mehr u n d m e h r zu neutralisieren scheint.
80
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
2. DIE ENTWICKLUNGSGESCHICHTLICHE METHODE. Der Entwicklungsbegriff steht heute nicht mehr im Vordergrund der geisteswissenschaftlichen Interessen. Rühmte man in den letzten zwei Menschenaltern seine Bedeutung, so handelte es sich häufig um die methodologische Forderung der Geschichtschreibung, die historischen Ereignisse in ihren Zusammenhängen vornehmlich den sozialen zu betrachten; oft um die bis heute in den westlichen Ländern Europas verbreitete Ideologie des „Fortschritts der Zivilisation", der außer den Soziologen z. B. auch Karl L a m p r e c h t anhing; dann auch im Zusammenhang der systematischen Disziplinen um die Bedeutung völkerpsychologischer und ethnologischer Methoden, dem Wesen der großen Kulturgebiete von ihrer Genese her beizukommen. In diesem Sinne hat etwa Paulsen Karls B ü c h er s „Arbeit und Rhythmus" begrüßt als einen neuen Erfolg „der neuen entwicklungsgeschichtlichen Anschauungen in den Geisteswissenschaften", der sich auf allen Gebieten „in der Lehre von der Sitte, vom Recht, von der Gesellschaft, vom Staat, von der Religion und so nun von der Kunst" als ein „Übergang von der formalistischen zur genetisch-teleologischen Betrachtungsweise vollziehe 1 ). I. Der p h i l o s o p h i s c h e S i n n des E n t w i c k l u n g s b e g r i f f s ist aber weit reicher und bedeutsamer als diese und andere vornehmlich naturalistische Nachklänge seiner großen Zeit vermuten lassen. I n zwei großen S t r ö m u n g e n , von deren bestimmter Unterscheidung das geistesgeschichtliche V e r s t ä n d n i s des 17. u n d 18. J a h r h u n d e r t s ganz wesentlich a b h ä n g t , h a t t e die A u f k l ä r u n g alle W a h r h e i t teils auf die allen Vernunftwesen gemeinsame ideenhaltige V e r n u n f t , teils auf zweckhafte Maßnahmen des an sich ideenlosen und meist dem sinnlichen W o h l b e f i n d e n dienenden V e r s t a n d e s begründet. Als d a n n die zweite H ä l f t e des 18. J a h r h u n d e r t s ein neu aufkeimendes Verständnis des P o s i t i v e n b r a c h t e , da k a m diese U m w e r t u n g aller W e r t e , welche die Geniebewegung v o r n a h m , n i c h t n u r dem d u r c h den Pietismus vorbereiteten Verständnis der I n d i v i d u a l i t ä t zugute u n d aus dem Selbstbewußtsein unserer sich erneuernden L i t e r a t u r u n d Sprache h e r a u s dem V e r s t ä n d n i s des N a t i o n a l e n , sondern gestaltete eben d u r c h diese E r ö f f n u n g neuer Horizonte auf nationale Sprachen u n d K u l t u r e n zugleich den Begriff der Menschheit ü b e r h a u p t u m . F ü r den starren dualistischen Idealismus, den K a n t v o m V e r n u n f t r a t i o n a l i s m u s der A u f k l ä r u n g geerbt h a t t e , k o n n t e diese neugewonnene Mannigfaltigkeit nur anthropologisches Interesse haben. Hier erfüllte der Entwicklungsgedanke eine erste große Mission: er erweichte, erweiterte, bereicherte, belebte u n d verflüssigte in Hegels Philosophie, nicht ohne wesentliche Vorbereitung d u r c h Fichtes Ichbegriff, die starren Personbegriffe des K a n t i s c h e n Idealismus, i n d e m er Herders Menschheitsbegriff m i t denselben verschmolz. U n d zugleich b o t er die zweite Möglichkeit, die Mannigfaltigkeit der Positivitäten des kulturellen Lebens u n t e r einem einheitlichen Gesichtspunkt zu sammeln, sie auf einen idealen Generalnenner zu bringen u n d sie so von der Idee her zu vergeistigen. a
) Zit. nach K . L a m p r e c h t , Zwei Streitschriften, S. 39.
C
DIE ENTWICKLUNGSGESCHICHTLICHE
METHODE
81
Wenn man so in den 50er Jahren noch anter dem Eindruck dieser Leistung den Entwicklungsbegriff rühmte, dann war, wie etwa in HettnersLiteraturgeschichte des 18. Jahrhunderts, die Front noch immer gegen die verstandesrationalistische Erklärung der positiven „Verschiedenheiten" der Kulturerscheinungen, etwa der Religion durch Priestertrug und Fälschung, gerichtet, „ein Vorwurf, welcher bei allen Aufklärern des 17. und 18. Jahrhunderts bei den französischen und deutschen sowohl, wie bei den englischen ohne Unterschied immer und immer wiederkehrt. Es gehört erst zu den großen Eroberungen der neueren deutschen Wissenschaft, das Wesen der geschichtlichen Entwicklung, d. h. das allmähliche Werden und Wachsen und die stei10 gende Selbstbefreiung des Geistes zu klarer BewuBtheit und allseitigster Anwendung gebracht zu haben 1 )". In einzelnen Geisteswissenschaften, in denen sich teils auf Grund der Struktur ihres Sachgebietes, teils dank der Autorität ihrer dem Aufklärungszeitalter angehörigen großen Klassiker der Rationalismus besonders lang erhalten hat, beobachten wir im 19. Jahrhundert eine ganz analoge Bewegung. Dem Mechanismus der konstruktiven Staatslehre und Wirtschaftslehre begegnet in Adam Maliers Elementen der Staatskunst ein erster energischer Rückschlag in organischer und dynamischer Richtung. Dann trat dem K o s m o p o l i t i s m u s und P e r p e t u a l i s m u s der klassischen Theorien die h i s t o r i s c h e S c h u l e der Nationalökonomie in H i l d e b r a n d , R o s c h e r und 20 K n i e s entgegen, und nicht minder fühlt man noch dieselbe Spannung und dieselbe sie lösende Dynamisierung der klassischen Konstruktion in den genetischen Schemen der „Entstehung der Volkswirtschaft" von Karl B ü c h e r . Der Entwicklungsbegriff h a t so die positiven Erscheinungen zunächst einmal einem idealistischen S y s t e m e eingereiht. Indem er jede S t u f e in Relation zum sinnvollen Entwicklungsganzen setzt, w i r d derselbe gerechtfertigt. Soweit ist der Entwicklungsbegriff zunächst einmal anti-naturalistisch. II. Indem er dann aber zugleich die Idee realisiert, h a t er bereits einen S c h r i t t über den dualistischen Idealismus hinaus und d a m i t 30 notwendig in naturalistischer Richtung. V o r e r s t natürlich in der des o b j e k t i v e n I d e a l i s m u s . Die Idee ist, lebt und w i r k t in der E n t wicklung. Daß die Idee i s t , das ist die entschieden objektiv-idealistische Setzung D a ß sie aber zugleich l e b t und sich ä n d e r t , daß sie d y n a m i s i e r t wird, ist bereits mehrdeutig. In dieser Dynamisierung und Einbeziehung der Idee in das W e r d e n sind alle weiteren Probleme und dialektischen Krisen des Entwicklungsgedankens beschlossen. Als werdende verliert die Idee notwendig ihre Identität. H e g e l hat darin ganz richtig ein Moment der Negation gesehen. Daß das im 19. Jahrhundert und bis heute 40 so gar nicht mehr verstanden werden wollte, das zeugt von einer doch offenbar ganz fundamentalen Blickwendung desselben auf Wirklichkeitsprobleme und bloß noch auf solche. Denn am Wirklichen ist das Wandeln allerdings nichts weiter Erstaunliches, da Wirklichkeit und Werden zusammenfallen. Um so mehr aber liegt ein Problem da, wo dieses Moment des Wandeins das Wahre und Gültige ergreift. Entwicklung heißt Zustandsänderung. In „Zustandsänderungen" der „Wahrheit", in diesem Begriff steckt ganz offenbar ein Widerspruch. Idee, Menschheit, Geist, das sind aber in Hegelscher Perspektive nicht allein Wirklichkeitsmomente, über die sich Aussagen machen lassen, wie die rein Faktisches betreffende: die Menschheit durchJ)
I, 7. Aufl., 1913, S. 33. Ähnlich S. 162 u. 361. Zuerst 1855.
Handb. d. Phil. II.
C 6
82
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
laufe Phasen oder die K u l t u r der Eskimos sei eine andere als die d e r Chinesen. Diese Begriffe bezeichnen in Hegels Perspektive sogleich W e r t e u n d Gültiges. Nicht n u r Verursachtes sondern auch Begründete«. Alle die Eigenschaften des Ideellen, welche der Neukantianismus u n d in diesem P u n k t e m i t i h m im B u n d e H u s s e r l s Logische Untersuchungen herausgearbeitet haben, waren Hegel w o h l b e k a n n t , n u r k a m e n sie bei ihm zugleich der Wirklichkeit des Geistes zu, was j e n a c h Denkgewohnheiten ihr Verständnis erschwert, anderseits aber auch wieder erleichtert, weil diese G r u n d konzeption zugleich den Vorteil bot, die K l u f t , welche der Dualismus zwischen den Gültigkeiten als solchen u n d den größten Geistestaten der Menschheit a u f r e i ß t , bereits fiberbrfickt zu haben.
Was besagt nun aber diese Negation im Rahmen der I d e e ? Wozu die Unruhe des Werdens ? Ganz generell — über die historischen Motive bei Fichte, Schiller, Hölderlin, Schelling und Hegel wäre sehr viel im besonderen zu sagen — liegen hier noch dualistische Momente vor. Wäre die Idee, wie sie i s t , ganz so wie sie sein s o l l t e , so hfttte sie keine Entwicklung mehr nötig. Entwickelt sie sich aber, dann konserviert sich in der Spannung zwischen den beiden Entwicklungspolen, d. h. zwischen Anfang und Ende, nichts anderes als die dualistische Spannung zwischen Sein und Soll. Beide Spannungen haben denselben systematischen Ort. Zwar tritt dieser dualistische Zug des objektiven Idealismus hier nicht in der Schärfe hervor, die er da haben kann, wo auch noch im objektiv-idealistischen Rahmen Grundbegriffe wie Held, Genius, Tat ausgesprochenermaßen das Moment des S o l l e n s bewahren. Der „ e n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t l i c h e Pantheismus" ist o b j e k t i v i s t i s c h . Er verlebendigt die Idee nicht zur Tat, sondern zu Wandlungen, d. h. dazu als P r o z e ß sich zu entfalten. Der Entwicklungsgedanke hat notwendig die Tendenz der geistigen Bewegung einen objektiven Prozeßcharakter zu verleihen. Der Gedanke einer List der Vernunft, d. h. einer Überlistung des handelnden Subjekts durch den objektiven Entwicklungsgang ist mit diesem Begriff notwendig gesetzt. Aber auch als Entwicklungsprozeß kann er sich wie gesagt die dualistische Spannung erhalten: als die zwischen Anfang und Ende. Dabei sind es nur interne Unterschiede innerhalb der entwicklungsgeschichtlichen Position, ob bei dieser Spannung der W e r t a k z e n t auf den A n f a n g oder das E n d e fällt. Sie k a n n auch d a d u r c h entstehen, d a ß ein U r z u s t a n d bewertet wird u n d die Idee langsam ihren Vollgehalt v e r l i e r t . I n freilich sehr freiem Wortgebrauch könnte m a n d a n n s t a t t von Entwicklung von E m a n a t i o n sprechen. Weltanschaulich ist diese Auffassung wohl weniger problematisch wie ihr Gegens t ü c k : der F o r t s c h r i t t s g e d a n k e . Man k ö n n t e sagen, es liege im Emanationsgedanken ein ausgesprochenerer Fall von objektivem Idealismus v o r : im Anfangsstadium decken sich W e r t und Sein noch f a s t pantheistisch, nur t r i t t in der romantischen Auffassung dieser Idealismus zugleich als ein ausgesprochen irrationalistischer auf. Die „ S a g e " , auf deren unverblaBte Geltung bei J a k o b G r i m m die W e r t a k z e n t e fallen, iBt wie sie ist. Gewisse naturalistische Modifikationen sind allerdings auch hier möglich, so etwa in rassentheoretischen Geschichtsauffassungen. Auch hier schließt eine a m Anfang stehende reine Rasse alle W e r t p r i d i k a t e in sich u n d verliert dieselben
C
DIE
ENTWICKLUNGSGESCHICHTLICHE
METHODE
83
schrittweise. Eine bei G o b i n e a u übrigens weit mehr romantische als biologistisch naturalistische Konzeption.
In diesen Zusammenhang gehören auch die romantischen Begriffe „ o r g a n i s c h e r Entwicklung", die konservativen Entwicklungsbegriffe überhaupt. Es ist nicht wahr, daß der Konservativismus der Restaurationszeit im strengen Sinne „reaktionär" war. Er hat einen ganz spezifischen E n t w i c k l u n g s b e g r i f f ausgebildet. Daffir einige selten im Zusammenhang gewürdigte Beispiele: 10
20
30
40
50
1. „ W e n n die recht hätten, welche fortwährend auf dem Alten verharren wollen, so b e d ü r f t e m a n n u r des strengen, einmal gegebenen Gesetzes u n d etwa der Unwandelbarkeit einer Aristokratie. Wäre dagegen den andern zu glauben, welche in unermüdlicher Bewegung einem immer zurückweichenden und immer wechselnden Ziele nachjagen, so würden allerdings die Zügel der Dinge einer demokratischen Versammlung anzuvertrauen sein. Allein etwas anderes braucht die W e l t ; gesetzmäßige Entwicklung t u t ihr n o t ; die Gegenwart bedarf zugleich der Vergangenheit und der Z u k u n f t . " ( R a n k e , Frankreich und Deutschland (1832). Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im 19. J a h r h u n d e r t , 1887, S. 66.) 2. „Die Historische Schule . . . . Gerade in dem wahrhaft Historischen liegt auch andererseits der Gegensatz zu dem toten Konservativismus. Dieser ist es, der einen Zustand bloß deswegen festhalten möchte, weil er eben ist. Die Historische Schule negiert ebenso den Gedanken, als könne und müsse m a n in irgendeinem Zustande a b s t r a k t verharren, als sie es abweist, daß man die Zustände im S t a a t und Leben nach vorgefaßten afterrationalen Doktrinen machen könne u n d müsse. Sie verlangt dort dieselbe organische Entwicklung anerkannt und geachtet zu sehen, die in dem Einzelleben den Menschen vom Kinde an bis zum Manne und Greise f o r t f ü h r t , die den B a u m von dem Wurzelkeim an bis zur Frucht treibt, die die Sprache von ihrem ersten Entstehen a n durch die Jahrhunderte durch v e r ä n d e r t . " ( J o s . M a r i a v. R a d o w i t z , Fragmente von 1843, Ausgewählte Schriften, herausgegeben von W. Corvinus I I , 276 f.) 3. „ K o n s e r v a t i v ist, wer die lebendigen K r ä f t e einer Nation, eines Staates erhalten wissen u n d erhalten will, liberal derjenige, welcher darüber wacht, d a ß die Produkte des Lebens dieser Nation, dieses Staates nicht der Lebenskraft gleichgesetzt und gleich geachtet werden, durch welche sie ins Dasein gerufen worden sind. Der Liberalismus ist, so gefaßt, die notwendige Ergänzung des K o n s e r v a t i v i s m u s . . . wehe der Nation, welche nicht konservativ empfindet: sie trägt öffentlich zur Schau, daß sie unglücklich ist, d a ß ihre Geschichte nichts taugt. . . . " ( P a u l d e L a g a r d e , Konservativ? Spätsommer 1853, Deutsche Schriften, 4. Aufl., 1903, S. 14.) 4. „ J e d e s Volk h a t es noch zu schätzen gewußt, wenn sein gesellschaftlicher Organismus durch eigentümliche Gestaltung des Rechts und der Sitte sich so entwickelt h a t t e , daß es in demselben nirgends oder doch nicht in wesentlichen Gliedern das Gefühl der Hemmung, der Erstickung, der in ihm liegenden Aufgaben Beines Lebens, seiner göttlichen Mission, der in ihm beschlossenen Entelechie h a t t e — wenn es sich m i t einem Worte in organischem Wachsen und Bewegen, in organischer Gesundheit f ü h l t e , und h a t solche Gestalt seines Lebens seine Freiheit genannt." ( H e i n r i c h L e o , W a s ist konservativ? 1864, Nominalistische Gedankenspäne, Reden und Aufsätze, Halle 1864.) Das sind Ideale „ o r g a n i s c h e r E n t w i c k l u n g " , d. h. einer Entwicklung, welche die Anpassung an die Weltverhältnisse und die Bewegung des Lebens wohl anerkennt, j a wie die Sätze Paul de Lagardes zeigen, Erstarrung u m so mehr fürchten, als sie auf eineT Verwechslung der lebendigen K r ä f t e einer Nation mit den bloßen P r o d u k t e n dieses Lebens beruhte, welche aber dennoch in der Forderung organischer c 6»
84
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
S t e t i g k e i t dem romantischen Standpunkte insofern nahesteht, als Stetigkeit eigentlich heiBtein: M i n i m u m von Änderung in der ursprfinglichen Substanz. Diese wird gewissermaßen historisch „dehnbar", aber die Entwicklung darf die Spannung dieser an die Ursprünge bindenden Binder nur Schritt für Schritt fiberwinden, um sie nicht zu zerreißen. Vgl. hierzu das Register meiner Einleitung in die Geisteswissenschaften unter Entwicklung, insbeonders S. 120.
Lehrreicher ist in unserm Zusammenhang eine Analyse des Fortschrittsgedankens. An die Stelle des dualistischen Soll tritt in ihm die „ Z u k u n f t " . Zukunft ist das Soll eines objektiven Prozesses. Herrschte bei den Konservativen die Tendenz, denselben tunlichst zu verlangsamen, so hatten die Jung-Hegelianer die umgekehrte Neigung, ihn möglichst zu beschleunigen. Dies verschärfte Tempo ist das objektivistische Korrelat eines dualistischen Aktivismus. In dem Glauben an eine herannahende herrliche Zukunft des Menschengeschlechtes nähern sich dieselben, wiewohl sich ihre Zielsetzungen mehr und mehr naturalisierten, logisch stark dem Dualismus. III. Aber zugleich geht eine andere Wandlung mit dem Entwicklungsbegriff vor sich. Indem der Wert mehr und mehr in die Zukunft rückt, e n t w e r t e t sich Schritt für Schritt die sich entwickelnde, durch das Vergangene doch auch irgendwie repräsentierte Substanz. Wie kann man noch von einer Entwicklung der Vernunft sprechen, wo die Cesamtauffassung schließlich nur noch einen Weg aus halbtierischen Zuständen zu einem vernünftigen Zustand hin kennt. Und woher nimmt ein Zukunftsgläubiger, wenn man diesen Begriff streng faßt, seine Normen ? Hier entsteht wieder das typische Dilemma des objektiven Idealismus. Entweder gibt es Werte außerhalb des Werdens, dann brauche ich nicht an die Zukunft zu glauben, dann handle ich, eine Zukunft im Sinne dieser Werte herbeizuführen und bewerte die Epochen nach diesem der Entwicklung entzogenen Maßstab. Das ist dualistisch gedacht. Oder die Norm fließt mir letztlich aus der werdenden Zukunft erst zu. Dann ist mein Normbewußtsein diesem Prozesse ausgeliefert, ich kapituliere in unbedingtem Fortschrittsglauben vor dem Werden; das jeweilig Neueste wird das Gute sein müssen, mein Gewissen ist an die Zukunft, d. h. einen objektiv sich vollziehenden Prozeß fatalistisch gebunden, bringe er was er wolle. Und diese fatalistische Kapitulation vor dem Irrationalen, die freilich auch in religiöser Fassung auftreten kann, dort aber den naturalistischen Stachel verliert, kann nun noch ein anderes Gesicht bekommen, wenn es sich zeigen sollte, daß der irrationale Prozeß an dem sich mein Wertbewußtsein letztlich orientiert, nicht willkürlich und unberechenbar, sondern n a t u r g e s e t z l i c h verläuft, d. h. wenn die Zukunft so werden wird, wie historische Gesetzlichkeiten das unabwendbar bestimmen. Dann bin ich statt vorbehaltlos einem Zufall verschrieben zu sein, einem Naturgesetze verschrieben, d. h. vom Standpunkte der
c
DER
ORGANISMUSGEDANKE
85
autonomen Vernunft aus betrachtet, noch immer einem zufälligen Prozeß. Aber dieser Prozeß kann, wenn ich an den Sinn des Naturgesetzes g l a u b e , nun wiederum in pantheistischer Wendung ein objektividealistisches Gesicht bekommen. IV. Die Struktur der normalen n a t u r a l i s t i s c h e n und b i o l o g i s t i s c h e n Formen des Entwicklungsbegriffs ist so durchsichtig, daß wir dem Gesagten nichts mehr hinzuzufügen brauchen. 10
20
30
Es sind extreme Fälle, die hier konstruiert wurden. Zu nnsern Folgerungen muß der „reine Zukunfteglaube" als Extrem des Entwicklungsgedankens fahren, wenn er völlig konsequent durchdacht wird. Die Praxis ist nicht in diesem Malle konsequent, sie verzichtet durchaus nicht absolut auf „Vorbehalte" und ist nicht ohne Hintergedanken. Sie hat ihre bestimmten Vorurteile und bestimmt sich nach diesen ihre Zukunftsideale. Aber die rechtsphilosophische Lehre, die Ziele der Gesetzgebung seien aus Reflexionen auf die „ R i c h t u n g e n " zu gewinnen, welche die Kulturentwicldung Europas eingeschlagen „ h a t " , fahrt letzten Grundes zu den oben entwickelten Konsequenzen. Auch wo in Mischformen Soll und Zukunft verfließen, wo etwa an Stelle sachlicher philosophischer Probleme ein ganz charakteristische Formen annehmendes Interesse für „ P h i l o s o p h i e der G e g e n w a r t " , für aktuelle Strömungen derselben tritt — wobei Gegenwart im entwicklungsgeschichtlichen Sinne verstanden wird, da sind Verflechtungen von Idee und Werden bereits angebahnt, die sich irgendwie im Ganzen dieses Systemes bemerkbar machen mttssen. Die Entwicklungsbegriffe, welcher die produktive H i s t o r i e sich praktisch bedient, haben Ober diese unentrinnbaren weltanschaulichen Charaktere hinaus weit konkretere Formen. Ist Entwicklung pflanzenhaft kontinuierlich? Wieweit vertragen sich Katastrophentheorien mit den Entwicklungsbegriffen, Neptunismus oder Vulkanismus? Verlaufen Kulturentwicklungen an isolierten Substanzen wie S p e n g l e r das historische Leben sieht? In welchen Formen treten solche historische Monaden doch in Wechselwirkung, inwiefern kommt Weltgeschichte erst dadurch zustande usf. ? Dies sind alles noch meist wenig untersuchte Themen der sog. materialen Geschichtsphilosophie. Aus der reichen Literatur verdienen die Aufsitze Adolf M e r k e l s aus den Fragmenten zur Sozialwissenschaft noch immer Beachtung. Prinzipien und Methoden der Entwicklungspsychologie behandelt vortrefflich R . W . D a n z e l in Abderhaldens Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden Abt. VI, Teil C (1921).
2. D E R
ORGANISMUSGEDANKE.
I. Eine ähnliche Funktion erfüllte bei ähnlichen Schicksalen der Organismusgedanke. 40
1. Seinen ganzen Bedeutungsreichtum zu entfalten, ist hier unmöglich. Daß die WOrterbQcher außer E u c k e n s unentbehrlichen „Geistigen StrOmungen der Gegenwart" (der frühere Titel des Buches „Grundbegriffe der Gegenwart" scheint mir übrigens wesentlich glücklicher gewesen zu sein) fast ausschließlich vom b i o l o g i s c h e n Organismusbegriff handeln, ist um BO beschämender, als über die mit den biologischen und m e t a p h y s i s c h e n Bedeutungen gleichaltrigen Anwendungen des Begriffs auf ethisch-gesellschaftliche Verhältnisse eine relativ große Literatur besteht. Ich nenne aus derselben: Eucken a. a. O., 3. Aufl., S. 125 ff. O. G i e r k e , Deutsches GenoBsenschaftsrecht, I I I . Bd. Über ihren staatswissenschaftlichen und soziologischen Mißbrauch O. Gierkes
86
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
A n l e i n a n d e r s e t z u n g e n m i t A. v a n K r i e k e n . Über die sog. organische S t a a t s t h e o r i e 1873 in G r u n d b e g r i f f e des S t a a t s r e c h t s 1874, N e u d r u c k 1915; J e l l i n e k , Allgemeine Staatslehre, 3. A u f l . , S. 148 f . ; P . B a r t h , Die Philosophie der Geschichte als Soziologie I , 3. A u f l . , S.260 f f . K i s t i a k o w s l c i , Gesellschaft nnd Einzelwesen, 1899. Erich K a u f m a n n , Ü b e r den Begriff des Organismus in d e r Staatslehre des 19. J a h r h u n d e r t s , 1908. Aktuell ist von diesen Lehren noch die von G i e r k e im „ W e s e n der menschlichen V e r b i n d e " 1902 u n d die von O. S p a n n in seinen zahlreichen S c h r i f t e n v e r f o c h t e n e aristotelische Lehre, das gesellschaftliche Ganze sei vor den Teilen, vgl. $ 4 des vorigen Kapitels.
Als Gegensatz organischer und mechanisch-atomistischer Gesellschaftsideale beherrscht er die ganze romantische Staatswissenschaft. 2. V e r w a n d t m i t dieser A u f f a s s u n g ist die romantische L e h r e organischer u n d n a t u r h a f t e r E p o c h e n i m Gegensatz zu bewuBten individualistischen, a u f g e k l ä r t rationalistischen E p o c h e n . E s ist bemerkenswerterweise nicht n u r in d e r d e u t s c h e n R o m a n t i k a u f g e t a u c h t u n d klassisch i n Heinrich L e o s Naturgeschichte des S t a a t e s 1833 v e r t r e t e n , sondern auch bei S a i n t S i m o n u n d C o m t e . E r s t e c k t a u c h - i n G o e t h e s S a t z v o n den „ E p o c h e n des Glaubens". 3. D a m i t h ä n g t der Begriff der „ o r g a n i s c h e n E n t w i c k l u n g " z u s a m m e n , von dem i m vorigen P a r a g r a p h e n die R e d e war. Und ebenso der r o m a n t i s c h e Gegensatz von N a t n r p o e s i e , V o l k s p o e s i e u n d K u n s t p o e s i e . 4. I n engster Verbindung m i t der NeuschOpfung des Organismnsgedankens in K a n t s K r i t i k der U r t e i l s k r a f t s t e h t die Verknflpfung desselben m i t dem Begriff des K u n s t w e r k s u n d seit S c h e l l i n g m i t d e m Begriff der W i s s e n s c h a f t . D e r Gedanke des philosophischen „ S y s t e m s " ist geradezu als Gedanke des „ O r g a n i s m u s " des Wissens geschaffen worden. Bei allen diesen Analogien ist zu beachten, d a ß die traditionelle Einstellung, es handle sich hier u m die Heranziehung biologischer Analogien zum V e r s t ä n d n i s geistiger oder gesellschaftlicher Phfinomene gar n i c h t selbstverständlich ist. Grundsatzlich k o n n t e o f t genau so g u t das U m g e k e h r t e der Fall gewesen sein u n d ist es gewesen. Aber a u c h da, wo der biologische Begriff den festen Maßstab a b g i b t , ist zu b e a c h t e n , d a ß gerade dieser Begriff sich i m ständigen F l u ß b e f i n d e t bzw. ein sehr vielseitiges P h ä n o m e n b e t r i f f t . So k a n n „ O r g a n i s m u s " o f t nicht viel mehr besagen als „ E i n h e i t in der M a n n i g f a l t i g k e i t " , d a n n S y m m e t r i e , E u r y t h m i e , klare D u r c h g l i e d e r u n g , o r g a n i s c h e S c h ö n h e i t , d a n n wieder ganz einfach T e l e o l o g i e , d a n n wieder eine besonders intensive W e c h s e l w i r k u n g d e r T e i l e oder den R a n g des G a n z e n v o r d e n T e i l e n . U n d wieder anders schneiden die Bedeutungen von „organischem W e r d e n " b e s t i m m t erlebte Seiten des Lebendigen und n u r diese aus demselben heraus. So h e i ß t organisches W e r d e n langsames s t e t i g e s W e r d e n , d a n n h e i ß t es n a t ü r l i c h oder n a t u r w ü c h s i g im Gegensatz zu allem künstlichen Machen. U n d in diesem Sinne k a n n die organische Analogie auch die I m m a n e n z der E n t w i c k l u n g i m Gegensatz zu j e d e r Abhängigkeit von außen besagen usf. D a ß alle diese Begriffe einen ausgesprochenermaßen o b j e k t i v i d e a l i s t i s c h e n Grundzug b a b e n , bedarf k a u m m e h r besonderer E r w ä h n u n g .
II. Was die besondere geisteswissenschaftliche Verwendung des Organismusbegriffs angeht, so k o m m t es hier zunächst darauf an, auf was für Gebilde er angewandt wird. Auf die Menschheit, auf Lebenstotalitäten, wie Völker und Kulturen, auf Lebensordnungen, wie Staat, Recht, Gesellschaft, Wirtschaft, auf Systeme des absoluten Geistes, wie Sprache, Kunst oder gar die Philosophie selbst.
c
DER
ORGANISMUSGEDANKE
87
1. In Anwendung auf die eiste Aufgabe, auf Menschheit and Kultur oder Nationen kann er als ein ( t a t i s c h e s A n a l o g o n d e s E n t w i c k l n n g s b e g r i f f e s angesehen werden. Was im Ganzen der Entwicklung die S t u f e bedeutet, das ist hier ein G l i e d oder Organ. Die Menschheit ist ein großer Organismus, in welchem die qualitativ verschieden entwickelten Kulturen sich zu einem organischen Gänsen ffigen. Auch das Bild einzelner Stimmen und Instrumente im Ganzen eines Konzerts der Völker findet hier gelegentliche Anwendung. Oder die einzelnen Kultursysteme erfüllen im Rahmen einer Kulturtotalitftt bestimmte lebensnotwendige F u n k t i o n e n . 2. Wichtiger ist eine d y n a m i s c h e Verwendung des Organismusgedankens in Anwendung auf e i n z e l n e K u l t u r s y s t e m e . Lange ehe es eine biologische Soziologie gab mit ihren naturalistischen Analogien und vor allem ehe dieselben in Deutschland bekannt wurden, gab es Theorien, welche statt S p r a c h e , S t a a t oder R e c h t als Systeme zu konstruieren, dieselben a l s O r g a n i s m e n zu begreifen suchten. Der „ O r g a n i s m u s " eines Kultursystemes erfüllt zweierlei Funktionen: erstens verbindet er ganz im Sinne des objektiven Idealismus in seinem Begriff die I d e a l i t & t des Vernflnftigen und Gfiltigen mit dem V e r w i r k l i c h t s e i n des historischen Lebens. Der Organismus ist ein V e r n u n f t o r g a n i s m u s nnd g i l t . Er ist zudem aber ein objektiver historischer Kulturorganismus und l e b t . Damit sind Anknüpfungsmöglichkeiten an die historische Erfahrung gegeben. Dieselbe kann dem Organismusbegriff eingefügt und trotzdem zugleich in seinem Rahmen systematisiert werden, denn er ist b e w e g l i c h genug, historische Mannigfaltigkeit in sich aufzunehmen, die in seinem Rahmen als historische Gegebene historisch beschrieben werden kann, und s y s t e m a t i s c h genug, sie dialektisch begreiflich zu machen und in ihrer gliedhaften Notwendigkeit zu erkennen. Zudem bietet dieser Organismusgedanke Anknüpfungspunkte für die e n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t l i c h e nnd die v e r g l e i c h e n d e M e t h o d e . Das Allgemeine ist wieder ganz im Sinne des im vorigen Paragraphen entworfenen Schemas zum Ganzen geworden. Und man kann deutlich verfolgen, wie an diesem Ganzen, als historisch verwirklichtem, langsam die ideelle G ü l t i g k e i t sich umwandelt in universalhistorische G e m e i n s a m k e i t e n , die nun ihrerseits wieder in ihrer faktischen Gesetzlichkeit dazu dienen sollen, Geltungen zu begründen. Besonders lehrreich ist in dieser Hinsicht Vorwort und Einleitung zur 2. Aufl. (1866) von R. J h e r i n g s Geist des Römischen Rechts, der dies Buch in der ersten Auflage (1852) als „Beitrag zur N a t u r l e h r e d e s R e c h t s " eingeführt hatte.
III. Nur von dieser objektiv idealistischen Basis aus ist dann auch die ganz analoge Gewohnheit zu verstehen, die Behandlung von Kultursystemen in einem noch vorbiologisch-naturalistischen Sinne als n a t u r g e s c h i c h t l i c h zu bezeichnen. In vieler Hinsicht ist dieser Sprachgebrauch bei genauerem Zusehen harmloser, als es zunächst scheinen mag. Die Blickwendung des 19. Jahrhunderts auf Wirkliches und nur Wirkliches beginnt. Vorerst aber erreicht sie erst ein objektiv-idealistisches Stadium. Die Wirklichkeit ist noch werthaft. Ja, genauer, der Blick ist noch gar nicht auf Wirkliches als s o l c h e s gerichtet, „ i n " welchem Werte verwirklicht sind (was ja idealistischer formuliert ist, als wenn man sagt: die Werte hafteten „ a n " ihr), sondern der Blick ist noch unentwegt auf die Wertwelt als solche gerichtet, nur wird diese nunmehr betrachtet in ihrer Verwirklichungsform als Kulturorganismus. Weder ist die Wendung auf bloß Wirkliches vollendet noch die schroffe Trennung von Wert und Wirklichkeit durch den Neukantianismus vollzogen, noch die typisch subjektivistische Verlegung des „objektiven Geistes" ins Psychologische. Was heute als „ o b j e k t i v e r G e i s t " neu entdeckt wird, ist damals der zentrale Gegenstand der Philosophie bereits gewesen. Nichts das psychologische S p r e c h e n , sondern die S p r a c h e , nicht der isolierte juristische Sinnzusammenhang und nicht die reinpsychologische Verankerung eines Staatsgebildes in den Köpfen der Individuen,
88
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
Ober welche dasselbe M a c h t h a t u n d in denen es angeblich allein existiert, sondern die o b j e k t i v e n S t a a t s g e b i l d e selbst sind das eigentliche Ziel dieser m o r p h o l o g i s c h e n Einstellung. E s h a n d e l t sich d a b e i p r i m ä r n n d vor allen analogisierenden MiBbränchen n m eine b e s t i m m t e E i n s t e l l u n g : S t a a t e n , Rechtszustände, Sprachen, K u n s t s t i l e wie groBe sich w a n d e l n d e K ö r p e r zu b e t r a c h t e n u n d auf i h r e „ N a t u r " u n d deren Gesetzlichkeiten hin zu u n t e r s u c h e n . I n diesem Sinne werden „ N a t u r g e s c h i c h t e n " des Staates, des R e c h t s , der Sprache usw. geschrieben.
IV. Ein in derselben Zeit aufkommendes Verfahren, die Geschichten einzelner Kultursysteme ihrerseits wieder geschichtsphilosophisch zu betrachten, z. B. als P h i l o s o p h i e d e r Philosophiegeschichte oder P h i l o s o p h i e d e r R e c h t s g e s c h i c h t e (Trendelenburg) oder K u n s t g e s c h i c h t e , ist den angeführten verwandt. V. Der Organismus eines Kultursystems ist in dieser Epoche oft unter dem Bilde der A n a t o m i e analysiert worden, wie denn das Muster de* vergleichenden Anatomie Cuviers und Goethes von stärkstem Einf l u ß auf die Entwicklung der vergleichenden Methoden in den Geisteswissenschaften gewesen ist. Wo diese anatomische Betrachtungsweise angesichts der historischen Beweglichkeit der geistigen Welt als bloß s t a t i s c h empfunden wurde, trat neben sie das methodologische Postulat einer P h y s i o l o g i e der Kultursysteme. Auch dieser Terminus tritt zunächst nicht in biologistischer, sondern ganz idealistischer Bedeutung auf. D a Monographien fehlen, stelle ich einiges Material zur G e s c h i c h t e d i e s e r T e r m i n i z u s a m m e n u n d verweise auch wieder auf das Begister meiner Einleitung in die Geisteswissenschaften. D a die besprochenen Termini zum Teil in d e n Schriften u n d Bttchertiteln derselben A u t o r e n a u f t a u c h e n , zum Teil s y n o n y m g e b r a u c h t werden, lassen sich die einzelnen R u b r i k e n schwer reinlich voneinander t r e n n e n . Ü b e r n o m m e n wurden die T e r m i n i O r g a n i s m u s u n d o r g a n i s c h den Systemen der idealistischen Philosophie. I n erster Linie der K r i t i k der U r t e i l s k r a f t . Von hier w a n d e r t der T e r m i n u s zu F i c h t e , Schelling, Hegel. Über die erste Anwendung auf den S t a a t b e i S c h e l l i n g vgl. W . M e t z g e r , Gesellschaft, R e c h t und S t a a t s in der E t h i k des deutschen Idealismus (1917), S. 246. Von d a w a n d e r t er zu den R o m a n t i k e m . Seine Rolle in A d a m M a l i e r s Elementen der S t a a t s k u n s t ist von Seite zu Seite dieses Werkes zu studieren. Aus Friedrich S c h l e g e l s S t u d i u m der griechischen Poesie (1797) zitiere ich Minor I, 146: „ D i e griechische Poesie e n t h ä l t f ü r alle ursprünglichen Geschmacks- u n d Kunstbegriffe eine vollständige S a m m l u n g von Beispielen, welche so überraschend zweckmäßig f ü r das theoretische System sind, als h ä t t e sich die bildende N a t u r gleichsam herabgelassen, den W ü n s c h e n des n a c h E r k e n n t n i s strebenden Verstandes zuvorzukommen. I n ihr ist d e r ganze K r e i s l a u f d e r o r g a n i s c h e n E n t w i c k l u n g der K u n s t abgeschlossen u n d v o l l e n d e t . . . Sie ist eine ewige N a t u r g e s c h i c h t e des Geschmacks und der K u n s t . " Über den romantischen Entwicklungsgedanken im allgemeinen vgl. Poetzsch, Studien zur f r ü h r o m a n t i s c h e n Politik und Geschichtsauffassung 1907, S. 96 ff. Den Klassikern u n d B o m a n t i k e r n folgen zahlreiche philosophische Epigonen: B u r d a c h , Organismus menschlicher Wissenschaft u n d K u n s t 1809; J o s e p h H i l l e b r a n d . Der Organismus der philosophischen Idee in wissenschaftlicher u n d geschichtlicher Hinsicht 1842; F e r d i n a n d M ü l l e r , Über den Organismus und den Entwicklungsgang der politischen Idee im A l t e r t u m 1839; H . A h r e n s , Die organische Staatslehre auf philosophisch-anthropologischeT Grundlage; derselbe, Juristische Enzyklo-
10
30
40
50
c
10
20
30
40
50
DER
ORGANISMUSGEDANKE
89
pkdie oder organische Darstellung der Rechts- u n d Staatswissenschaft auf G r a n d l a g e einer ethischen Rechtsphilosophie 1855. Desgleichen begegnet d e r Terminus auf Schritt a n d T r i t t bei A h r e n s ' Meister K . C. F . K r a u s e u n d d e n meisten jflngeren spekulativen Staatsphilosophen dieser Generation, wie F . I. S t a h l , L. v . S t e i n usw. D a n n erneuert der einflußreiche Ad. T r e n d e l e n b u r g auf aristotelischer Grundlage eine „ o r g a n i s c h e M e t h o d e " : K . F . B e c k e r s „Organismus der Sprache" b e h a n d e l t dieselbe vornehmlich u n t e r l o g i s c h e n Gesichtspunkten. W e n n aber W e l c h e r von „Organismus der Sage" spricht oder Moriz H a u p t in j u n g e n J a h r e n dem d a m a l s besonders beliebten T h e m a des „ E p o s " „ n a c h N a t u r f o r s c h e r w e i s e " nachging (vgl. Chr. B e l g e r , M. H a u p t als akademischer Lehrer 1879, S. 163ff.), so h i n g t diese Behandlungsweise der P o e t i k u n m i t t e l b a r z u s a m m e n m i t der oben erwähnten B e t r a c h t u n g der S p r a c h e n als geistiger K ö r p e r , Lebewesen u n d Individuen, eine Betrachtungsweise, welche den Philologen bis in die j ü n g s t e Zeit hinein so gelaufig war, d a ß polemische Auseinandersetzungen m i t ihr sich allenthalben f i n d e n . Eine besonders interessante Auseinandersetzung f i n d e t sich in B. D e l b r ü c k s Einleitung in das S t u d i u m der indogermanischen Sprachen, S. 65 ff. N u n h a t j a diese organische B e t r a c h t u n g auch den Weg geebnet zu dem n u n m e h r wirklich n a t u r a l i s t i s c h e n Behandlungsweisen des sprachlichen Lebens, etwa in A. S c h l e i c h e r s „Darwinsche Theorie u n d die Sprachwissenschaft" (1863), a b e r wenn anderseits auch Max M f i l l e r die Sprachwissenschaft als N a t u r w i s s e n s c h a f t bezeichnet, so h a t eben dieser TerminuB hier wiederum eine vornaturalistische B e d e u t u n g , wie d e n n auch A. Schleichers Naturalismus u n d Darwinismus n i c h t in die Tiefe ging. Als lehrreiches Analogon zu dem erwähnten wissenschaftsgeschichtlichen K a p i t e l Delbrücks ist die vortreffliche Charakteristik G e r b e r s u n d J h e r i n g s in E . L a n d s b e r g s Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 3. A b t . , 2. H a l b b d . , T e x t S. 7 7 8 f f . , heranzuziehen. W e n n nach Wilhelm Scherer, Kl. Schriften I, 91 f., der Philologe B e n e c k e Grimms G r a m m a t i k eine „ N a t u r g e s c h i c h t e der deutschen S p r a c h e " n e n n t u n d von einer v e r g l e i c h e n d e n A n a t o m i e der Sprachen spricht, so ist das erst recht i m alten Stil gemeint. Die Anwendung des Terminus N a t u r g e s c h i c h t e a u f d i e Geschichte geistigen Lebens f i n d e t sich übrigens schon bei H e g e l . Und im R a h m e n seiner o b j e k t i v idealistischen Weltanschauung notwendig im anderen Sinne, als wenn David H u m e eine „ n a t ü r l i c h e Geschichte der Religion" schreibt. Nach Hegel: H . L e o , Naturgeschichte des S t a a t e s 1833. Auch L. A. W a r n k ö n i g bezeichnet seine Rechtsphilosophie von 1839 als „ N a t u r lehre des R e c h t s " . Freilich schreibt er sie in anthropologischer, d. h . psychologischer Auffassung. Aber die gemeinsame Einstellung der hier geschilderten Versuche gilt doch auch f ü r F . E . B e n e k e s ebenfalls psychologistische „ G r u n d l e g u n g zu einer P h y s i k der S i t t e n " (1822); Constantin F r a n t z , Vorschule zur Physiologie der S t a a t e n 1857. Dort Kapitel I X , S. 314: „ V o n der Aufgabe und Methode der politischen Physiologie"; S. 321: „ D i e Physiologie ist die Wissenschaft, welche die N a t u r oder Physis des S t a a t e s untersucht." Derselbe: „ D i e Naturlehre des Staates als Grundlage aller S t a a t s w i s s e n s c h a f t " 1870. D o r t wird natürlich auch Comte zitiert. Dennoch sind beide S c h r i f t e n besonders wichtig zur E r k e n n t n i s eines vorpositivistischen S t a d i u m s der deutschen Soziologie. W . R o s c h e r : „ D i e Naturlehre der Monarchie u n d A r i s t o k r a t i e " in S c h m i d t s Zeitschrift f ü r allgemeine Geschichte 1847—48. Derselbe behalt diese Einstellung bis in sein hohes Alter bei wie seine „ P o l i t i k , geschichtliche N a t u r l e h r e der Monarchie, Aristokratie und D e m o k r a t i e " 1892 bekundet. Vgl. dazu O t t o H i n t z e , Roschers politische Entwicklungstheorie, Schmollers J a h r b u c h 1897 u n d Historische u n d politische Aufsätze IV, 35ff. W. H. R i e h l , Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Sozialpolitik 1858. Victors H e h n , Gedanken ü b e r Goethe, 3. K a p . : „ N a t u r f o r m e n des Menschenlebens" (1883 vgl. Schiemann, H e h n , S. 343). Bogumil
90
LOGIK
UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
G o l t z , Zur Naturgeschichte und Charakteristik der Frauen 1853. L o t s e i Mikrokosmos hat den Untertitel: Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit mit freilich stark naturalistisch-anthropologischer Grandbedeutung. Die Termini A n a t o m i e und P h y s i o l o g i e des Staates usw. finden sich schließlich bei einer großen Anzahl der bereits genannten Autoren. Ausgezeichnetes zur Sache steht in den §$3 und 4 der methodologischen Einleitung zu J h e r i n g s Geist des Römischen Rechts. Von Anatomie des Staates sprechen bereits Adam M a l l e r s Elemente auf den ersten Seiten. Auch Wilhelm A r n o l d , dessen Monographie über Kultur und Rechtsleben von 1865 noch immer methodologisch bedeutsam ist, bezeichnet seine Schriften nach E. Landsberg, a. a. 0 . , S. 761, als physiologische Beiträge. Denselben Terminus gebraucht G e r v i n u s in seiner Anzeige der Dahlmannschen Politik, Kl. historische Schriften, Neue Ausgabe 1839, S. 596, und schließlich handelt der { 29 von R o s c h e r s Grundlagen der Nationalökonomie von der physiologischen Methode. Constantin F r a n t z ist bereits erwähnt.
VI. Seit wenigen Jahren erfahren diese „Einstellungen" eine Renaissance in einer selbst wieder weit verzweigten Art der Geschichtsund Menschheitsbetrachtung, welche man als m o r p h o l o g i s c h bezeichnen kann. Dieselbe knüpft in ihren Grundbegriffen historisch häufig erst an die Lebensbegriffe N i e t z s c h e s und D i 11 h e y s an, oder gar die verdünntere und mit B e r g s o n s c h e n Begriffen verbrämte Form dieser Lebensbegriffe bei S i m m e 1. Sie hangt aber aus der Logik des objektiv-idealistischen Ansatzes heraus sachlich notwendig mit den älteren geisteswissenschaftlichen Positionen zusammen. Die Grundbestimmungen sind deshalb im Abschnitt über 'den objektiven Idealismus bereits gegeben, des näheren sind sie objektivistisch. Auch die M o r p h o l o g i k ist — ob sie sich organologisch, typologisch, physiognomisch oder sonstwie nennt — eine Logik des G a n z e n . Ob dasselbe Gott, Kosmos, Substanz, Sein, Wesen, Seele, Leben, Geist, Stil, Typus, Mitte, Haltung, Gesinnung, Ethos heißt, dies Ganze wird weder von transzendenten Ausgangspunkten her d e d u z i e r t , k o n s t r u i e r t und b e u r t e i l t , noch aus ihm ebenso transzendenten Kräften her k a u s a l abgeleitet und e r k l ä r t . Seine Kräfte wie seine Werte sind ihm i m m a n e n t . Es ist q u a l i t a t i v , nicht quantifizierbar, summierbar, kein Aggregat. Es ist nicht zu machen oder zu erfinden. Abzuleiten ist es als Ganzes nur aus einem umfaOenderen Ganzen. H a t es selbst letzte Ganzheit, so sind seine Teile nur am Ganzen, seine Erscheinungen nur am Ganzen, seine Prozesse nur am Ganzen zu verstehen. Dagegen bietet es einen gewissen Spielraum für genetische und irrationale Bestimmungen. Auch der Keim, die Anlage, der Urgrund ist noch eine Totalität. Im Werden bewahrt sich dieselbe ihre Mitte. An die Stelle des Kausalzusammenhangs tritt ein Ausdrucksverhältnis der Erscheinung zum Ganzen. Dasselbe stellt sich dar, offenbart sich, manifestiert sich, dokumentiert sich, reflektiert sich; es hat in der Erscheinung sein Symbol, seinen Träger, Vollstrecker, seinen Sitz, seinen Beauftragten,
c
DIE VERGLEICHENDE
METHODE
91
es lebt in der Gestalt, wirkt in der Wertkraft. In seiner Irrationalität wird es in erster Linie in den o r g a n i s c h e n Gebilden der Gemeinschaft, den u n b e w u ß t gestalteten Kräften des Mythus, der Kunst und Religion aufgesucht. Die Front gegen jeden i d e a l i s t i s c h e n D u a l i s m u s wie gegen jeden m e c h a n i s t i s c h e n N a t u r a l i s m u s ist ein deutliches Kennzeichen. Zu besonder» scharf »innigem Ausdruck ist diese Gegnerschaft in Erich v . K a h l e r s K a m p f s c h r i f t gegen Max Weber, D e r Beruf d e r Wissenschaft (1920) gekommen.
3. DIE VERGLEICHENDE METHODE. In diesem Rahmen müssen auch die vergleichenden Methoden behandelt werden: in ihrer Vereinigung mit dem entwicklungsgeschichtlichen stellen sie den wissenschaftlich einflußreichsten Beitrag des objektiven Idealismus nach Hegel zur Methodologie der Geisteswissenschaften dar und geben Anlaß, auf die besondere logische Struktur eines „organologischen" oder „morphologischen" Denkens Oberhaupt einen Blick zu werfen. I m B n n d e m i t den entwicklungsgeschichtlichen u n d später in K o n k u r r e n z m i t den psychologischen Methoden sind die vergleichenden im 19. J a h r h u n d e r t mehr als einmal als die maßgebenden Methoden der Geisteswissenschaften gefeiert worden. So von Ad. H a m a c k 1907: „ I m 19. J a h r h u n d e r t ist die vergleichende Methode geradezu zur Herrscherin in der Wissenschaft geworden. Vergleichende Sprach-, Religions-, Rechts- u n d Verfassungswissenschaft usw. sind an die Spitze getreten u n d keine einzige Disziplin v e r m a g sich dieser Methode zu entziehen" ' ) . I n einer Auseinandersetzung m i t der naturalistischen Kulturgeschichtschreibung aus d e m J a h r e 1876 lesen wir bei dem J u r i s t e n E r n s t Z i t e l m a n n : „ I n raschem Siegeslauf h a t die vergleichende Methode ein Gebiet des Erkennens n a c h dem anderen ihrer H e r r s c h a f t unterworfen u n d m i t wie herrlichem Erfolg." E s werde die Zeit kommen, „ d a n i e m a n d Aber die Probleme der Rechtsphilosophie zu urteilen versuchen werde, der nicht vergleichende Rechtswissenschaft g e t r i e b e n " ' ) . I n den gesammelten Rechtsphilosophischen Abhandlungen Felix D a h n s ' ) fordert ein Aufsatz „ Ü b e r das Verhältnis der Rechtsphilosophie zur Philosophie u n d Rechtswissenschaft" aus d e m J a h r e 1855 „Vergleichende Rechtsgeschichte" als „Vorbedingung der Rechtsphilosophie" (S. 55). I n einer K r i t i k von P o s t s „ D i e A n f i n g e des S t a a t s - u n d Rechtslebens. E i n Beitrag zu einer allgemeinen vergleichenden Staats- u n d Rechtsgeschichte 1878" schreibt D a h n „seit 20 J a h r e n t r ä g t Referent Rechtsphilosophie vor u n d ebensolange weist er darauf hin, d a ß auf vergleichender Rechtsforschung eine wissenschaftliche Rechtsphilosophie gebaut werden k a n n " (S. 288). E b e n d a , S. 291, „ D i e Rechtsvergleichung als Grundlage der Rechtsphilosophie." N a c h B e l o w , „ P r o b l e m e der Wirtschaftsgeschichte" (120, S. 4) erklärt L a m p r e c h t im Lit. Zentralblatt 1900, Spalte 172, „die Vergleichung f ü r das größte Hilfsmittel geisteswissenschaftlicher F o r s c h u n g " . Aus Wissenschaft u n d Leben I, 6. ' ) E . Z i t e l m a n n , Der Materialismus in der Geschichtschreibung, P r e u ß . J a h r b . 1876, S. 177 ff. ») Bausteine IV, 1.
92
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
Einen bedeutsamen Beitrag zugleich zur Aufklärung der Genese vergleichender Methoden liefert ein Satz aus Dilthey s Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften I, 25 f. „Mit diesem großen Blick der historischen Schule verband sich dann ein methodischer Fortschritt von der höchsten Bedeutung. Von der aristotelischen Schule ab hatte die Ausbildung der vergleichenden Methoden in der Biologie der Pflanzen und Tiere den Ausgangspunkt für deren Anwendung in den Geisteswissenschaften gebildet. Durch diese Methode war die antike politische Wissenschaft zur höchst entwickelten Disziplin der Geisteswissenschaften im Altertum erhoben worden. Indem nun die historische Schule die Ableitung der allgemeinen Wahrheiten in den GeisteswisBenSchäften durch abstraktes konstruktives Denken verwarf, wurde für sie die vergleichende Methode das einzige Verfahren, zu Wahrheiten von größerer Allgemeinheit aufzusteigen. Sie wandte dies Verfahren auf Sprache, Mythos, nationale Epik an, und die Vergleichung des römischen mit dem germanischen Recht, dessen Wissenschaft eben damals emporbltthte, wurde der Ausgangspunkt für die Ausbildung derselben Methode auch auf dem Rechtsgebiet. Auch hier besteht ein interessantes Verhältnis zu dem damaligen Zustand der Biologie. Cuvier ging von einem Begriff der Kombination der Teile in einem tierischen Typus aus, welcher gestattete, aus den Resten untergegangener Tiere den Bau derselben zu rekonstruieren. Ein ahnliches Verfahren übte Niebuhr, und Franz Bopp und Jakob Grimm haben die vergleichende Methode ganz im Geist der 2 0 großen Biologen auf die Sprache angewandt. DaB Streben der früheren Jahre Humboldts, in das Innere der Nationen einzudringen, wurde nun endlich mit den Mitteln des vergleichenden Sprachstudiums verwirklicht. An diese Richtung hat sich dann in Frankreich der große Analytiker des Staatslebens, Tocqueville, angeschlossen: im Sinne des Aristoteles hat er Funktionen, Zusammenhang und Entwicklung der politischen Körper verfolgt. Eine einzige, ich möchte sagen morphologische Betrachtungsweise geht durch all diese GeneTalisationen hindurch und führte zu Begriffen von neuer Tiefe. Die allgemeinen Wahrheiten bilden nach diesem Standpunkt nicht die Grundlage der Geisteswissenschaften, sondern ihr letztes Ergebnis" (Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften I, S. 25—26). 30 Da eine zusammenhangende Geschichte der vergleichenden Methode nie geschrieben wurde, stelle ich unter dankbarer Benutzung der Fachliteraturen einige für die Erkenntnis der prinzipiellen Zusammenhange wichtige Hauptdaten zusammen. Mögen dieselben einer eingehenden Darstellung zur Vorarbeit dienen. Das vergleichende Heranziehen von Analogien läßt sich im religionswissenschaftlichen, sprachwissenschaftlichen, historischen Schrifttum bis in die Blütezeit der humanistischen Religionsgespräche zurück verfolgen. Im 18. Jahrhundert finden sich Anfänge einer der Yergleichung deutlich gewidmeten Literatur. Spranger 1 ) zitierte kürzlich das Werk des Jesuiten L a f i t a u : Moeurs des sauvages ameriquains comparées aux 40 moeurs des premiers temps von 1724. A. Gunkel*) führt vom Beginn des 19. Jahrhunderts mehrere religionsvergleichende Schriften an, von denen nur G. Ph. Chr.K a is e r, Biblische Theologie oder Judaismus und Christianismus nach der grammatisch-historischen Interpretationsmethode und nach einer freimütigen Stellung in die kritisch-vergleichendeUniversalgeschichte der Religionen und in die universale Religion 1813, genannt sei. 1 ) E. S p r a n g e r , Die Kulturzyklentheorie und das Problem des Kulturverfalls. Sitzungsberichte der Berl. Akad. 1926. 2 ) Zum religionsgeschichtlichen Verständnis des Neuen Testaments. 1923.
c
DIE VERGLEICHENDE
METHODE
93
Aber erst das 19. Jahrhundert bildet insbesondere im Zusammenhang mit dem vordringenden Entwicklungsgedanken S c h u l e n der vergleichenden Geisteswissenschaften aus, welchen sich die vergleichende Erdkunde K. R i t t e r s zugesellt. Am vollkommensten in der Sprachwissenschaft, am populärsten in der Mythologie, in den übrigen Geisteswissenschaften in sehr verschiedenem Entwicklungstempo, aber immer untereinander zusammenhängend. 1. Die vergleichende Sprachwissenschaft ist nach methodischen Anregungen der beiden Schlegel und nach dem Vorgänge Wilhelm v. H u m b o l d t s (dessen Monographie 10 Aber die Basken 1812 erschien), begrfindet durch Franz B o p p s Schriftchen „ U b e r das Konjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache" (1816). J . J o l l y macht in seiner deutschen Ausgabe von W. D. Whitneys Sprachwissenschaft (s. 3.) seine Bedeutung sehr anschaulich, indem er das „kleine Büchlein" mit dem 1817 vierbändigen H a u p t w e r k A d e l u n g s , dem „Mithridates", vergleicht, das in einem ungeheuren Chaos von Sprachproben aus beinahe 500 Sprachen eine „allgemeine Sprachenkunde" entwickelt, welche durch die Ignorierung zweier inzwischen eingetretener u n d von Bopp genial ausgewerteter Ereignisse sofort Makulatur wird: die Entdeckung des Sanskrit und die Aufdeckung des indogermanischen Sprachstammes. J a k o b G r i m m m a c h t 20 die Resultate Bopps in der deutschen Grammatik (1819) f ü r die Germanistik fruchtbarer und stellt neben die vergleichende Grammatik die historische. B o p p zieht 1830 ff. in seiner vergleichenden Grammatik die ersten Grundzüge des neuen Gebäudes. Wilhelm v. H u m b o l d t b a u t sie in seine große Sprachphilosophie ein (1836). A. F. P o t t , der Begründer der vergleichenden Lautlehre, und August S c h l e i c h e r (Kompendium der vergleichenden Grammàtik der indog. Sprachen 1861) f ü h r e n die Boppschen Forschungen fort. Georg C u r t i u s f ü h r t sie in die klassische Altertumswissenschaft ein. H . S t e i n t h a l bereichert sie durch psychologische Methoden. Seit den 80er J a h r e n werden ihre Methoden durch die Junggrammatiker fortgebildet. In einem zweiten Anlauf sprengt sie den klassischen R a h m e n der Altertums30 Wissenschaft und lehrt dieselbe „von der klassischen Zeit a u s " vorwärts und rückwärts zu schauen. Sie entdeckt die antiken Dialekte und baut die S y n t a x der klassischen Sprachen nach allgemeinen sprachwissenschaftlichen Prinzipien aus. Über die programmatische Vorarbeit der S c h l e g e l s belehrt uns Scherers Grimm. In einer Rezension von A. F. Bernhardis Identitäts-philosophischer Sprachlehre schreibt August Wilhelm 1803: „ B e i den Meistern des Stils ist das Gefühl für die Individualität ihrer Sprache sehr rege, allein von Grammatikern ist bis j e t z t für die Charakteristik wenig geleistet worden. Die vergleichende G r a m m a t i k , eine Zusammenstellung der Sprachen nach ihren gemeinschaftlichen u n d unterscheidenden Zügen würde dazu ungemein behilflich sein. So müßte man das Griechische und Lateinische; 40 die Sprachen deutschen Stammes, das Deutsche, Dänische, Schwedische und Holländische; die neulateinischen mit deutschen und anderen Einmischungen; das Provenzalische, Französische, Italienische, Spanische, Portugiesische; dann das in der Mitte liegende Englische; endlich wieder alle zusammen als eine gemeinsame Sprachfamilie nach grammatischen Übereinstimmungen und Abweichungen und deren inneren Zusammenhang vergleichen. Ebenso die orientalischen zuerst u n t e r sich, hernach mit den okzidentalischen. Leichter ist es zwar, diesen Plan zu entwerfen, als ihn auszuführen; doch würde solchergestalt die Philologie immer mehr zur K u n s t werden und auch die Ausbildung der lebenden Sprachen kunstgemäßer fortschreiten können 1 )." ') Sämtl. Werke 12, 152. Zitiert nach Wilhelm Sc h e r er, J a k o b Grimm, 2. Aufl., 1885, S. 349. Neudruck 1921, S. 285.
94
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
Besonders instruktiv aber sind die Ausführungen Scherers über F r i e d r i c h S c h l e g e l . „ . . . F r i e d r i c h Schlegel schrieb 1808, indem er von der Verwandtschaft der arischen Sprachen redete, die verschiedenen dafür oder dawider sprechenden Grflnde erwog und anf ein entscheidendes Moment hinwies, welches die ganze Sache zur Gewißheit erhebe: ,Jener entscheidende Punkt aber, der hier alles aufhellen wird, ist die innere Struktur der Sprachen oder d i e v e r g l e i c h e n d e G r a m m a t i k , welche uns ganz nene Aufschlüsse Ober die Genealogie der Sprachen auf Ähnliche Weise geben wird, wie die v e r g l e i c h e n d e A n a t o m i e Aber die höhere Naturgeschichte Licht verbreitet hat.' Und Jakob Grimm schrieb 1829: ,Wird man sparsamer und fester die Verhältnisse der einzelnen Sprachen ergrflnden und stufenweise zu allgemeineren 10 Vergleichungen fortschreiten, so ist zu erwarten, daß bei der großen Menge unserer Forschungen offener Materialien einmal Entdeckungen zustande gebracht werden kftnnen, neben denen an Sicherheit, Neuheit und Reiz etwa nur die d e r v e r g l e i c h e n d e n A n a t o m i e in der Naturgeschichte stehen.' Die vergleichende Anatomie ward in Paris durch Georges C u v i e r um die Scheide des 18. und 19. Jahrhunderts zn einer ungeahnten Vollkommenheit gefflhrt, um eben die Zeit, wo Paris die Augen der ganzen Welt auf sich zog und wo auch Friedrich Schlegel sich in Paris aufhielt. Was er auf dem Gebiete der Naturwissenschaft mit Augen sah, das wünschte er auf die Sprachwissenschaft übertragen, und den Begriff einer .vergleichenden Grammatik*, den, soviel wir wissen, er zuerst aufstellte, hat er 20 nach dem Muster der .vergleichenden Anatomie' geprägt. Wir sahen im 8. und 13. Kapitel, wie Grimm erst durch Bopp und wie Bopp dann wieder durch Grimm gefördert und wie so eine wirkliche vergleichende Grammatik in dem engeren germanischen und in dem weiteren arischen Gebiete begründet wurde; Wir sahen, wie Grimm die Lautgesetze entdeckte, auf welche dann Bopp und Pott die Wortvergleichung der arischen Sprachen stützten. Die vergleichende Methode blieb aber bei Grimm nicht auf die Sprache beschrlnkt. Vergleichung aller germanischen Volker auf jedem Lebensgebiete war der Kunstgriff, wenn man es so nennen darf, den er durchgingig anwandte. Vergleichung Öffentlicher Einrichtungen überlieferter Satzungen, symbolischer Handlungen bei allen Germanen 30 waltet in den Rechtsaltertümern. Vergleichung der skandinavischen Mythologie mit den Resten des sonstigen germanischen Heidentums war die Seele der Mythologie. Der Stil der ursprünglichen Poesie ergab sich, wie die Edition von .Andreas' und ,Elene' zeigte, aus der Vergleichung der angelsachsischen und nordischen alliterierenden Gedichte, wozu der alts&chsiche Heliand und die wenigen althochdeutschen Trümmer hinzutraten. Im deutschen WOrterbuche war es selbstverständlich, daß die ursprünglichen Bedeutungen, die an der Spitze stehen mußten, durch die Altere deutsche Sprache und innerhalb dieser dnrch weitere Vergleichung ermittelt wurden. Vergleichung bildet so die Grundlage der geschichtlichen B e t r a c h t u n g . . . . " ' ) 2. Von der Sprachwissenschaft wanderte die vergleichende Methode zur Mytho- 40 logie und Religionswissenschaft hinüber. Ihr Begründer ist J a k o b G r i m m . An die Stelle wilder Etymologien werden die von ihm entdeckten Sprachgesetze philologische Grundlage der Mythenforschung. So wird allerdings auch die krisenhafte Geschichte derselben mit der krisenhaften Entwicklung der Etymologie verknüpft. Man kann in der Geschichte der mythologischen Forschung deutlich einige Etappen unterscheiden. Am Anfang steht J a k o b G r i m m . Die zweite Etappe bezeichnet Max M ü l l e r . Wie die Entwicklung der vergleichenden Sprachwissenschaft mit der Entdeckung des Sanskrit zusammenhangt, so die der vergleichenden Religionswissenschaft mit dem Bekanntwerden des Rigveda. Hier glaubte man die Anfange der Religionsbildung greifen zu kOnnen. Hier suchte man den Schlüssel zu den Mythen aller indo- 50 germanischen Volker. ') W. Scherer a. a. 0 . , S. 326 f. bzw. Neudruck S. 266 f.
c
10
20
30
40
50
DIE
VERGLEICHENDE
METHODE
95
Grundlegend für Müller» Methode war «ein Essai Ober „Vergleichende Mythologie" (Essais 1856). Die dritte Etappe bezeichnet „Die Herabkunft des Feuers and des Göttertranks" von Ad. K u h n , dem „zweiten Begründer der vergleichenden Mythologie". Durch ihn wird dieselbe aufs neue eng mit der vergleichenden Sprachforschung verknüpft, die damals ihre erste Krise durchmachte. Daneben tritt ein neuer Faktor in die Entwicklung: der Einfluß der V o l k s k u n d e . O t f r i e d M a l l e r verglich in den Prolegomena 1825 die antiken Mythen noch nicht mit denen anderer Volker, denn Bopps vergleichende Grammatik erschien erst im Lauf der dreißiger Jahre. Aber er ging auf die griechische Volkssage zurück. Hier wirkte das Vorbild Grimms. Neben ihm ward W. S c h w a r t z , „Der heutige Volksglaube und das alte Heidentum" 1849 der Lehrer der sog. „niederen Mythologie", einer der Begründer der anthropologischen Mythenforschungen. Und mit M a n n h a r d t s German. Mythol. 1858 vollzieht sich die Erweiterung des volkskundlichen Horizontes von Sage und Märchen auf Sitte und Brauch. Otto J a h n , „Der Aberglaube des bösen Blicks", erschien 1854. Schließlich tritt zur Volkskunde die Völkerkunde und Anthropologie. Und mit ihr ein Einsehlag des englischen Positivismus. Beide Wissenschaften verschmelzen zur Folkloristik. Das Wort Folklore ist 1846 von T h o m s vorgeschlagen worden, und 1878 entsteht die Folklore Society. T h . W a i t z , „Anthropologie der Naturvölker" beginnt 18S9 zu erscheinen, ebenso die von M. L a z a r u s und H. S t e i n t h a l begründete Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Der Begr&nder der neueren Völkerkunde in Deutschland Ad. B a s t i a n entwickelt in diesen Jahren seinen „Elementargedanken", der „Mensch in der Geschichte" 1860, „Das Beständige in den Menschenrassen" 1868, Beiträge zur vergleichenden Mythologie 1868. E. B. T y l o r , „Researches into the early history of mankind" 1865, deutsch 1867, Primitive culture 1871, deutsch als: Anfinge der Kultur 1871. L u b b o c k , Prehistoric Times 1865, deutsch 1872; The Origine of civilisation 1870, deutsch 1875. Andrew L a n g , Costom and Mythe, 1884. In den Forschungen Hermann U s e n e r s , Erwin R o h d e s und Albrecht D i e t e r i c h s einerseits, W u n d t s Völkerpsychologie anderseits findet diese Bewegung ihren Abschluß. Vgl. dazu insbesondere O. G r u p p e , Geschichte der klassischen Mythologie nnd Religionsgeschichte 1921 und Art. Religionsgeschichte und religionsgeschichtliche Schule in „Religion in Geschichte und Gegenwart" IV. Dazu die ausgezeichnete Eingruppierung des großen mythologischen Sondergftngers J. J . B a c h o f e n in die allgemeine geistesgeschichtliche Entwicklung in A. B a e u m l e r s Einleitung zu M. S c h r ö t e r s Bachofenausgabe „Der Mythus von Orient und Okzident. Eine Metaphysik der alten Welt" 1926. 3. Daneben entwickelt sich von ganz ähnlichen Faktoren gespeist eine v e r g l e i c h e n d e R e c h t s w i s s e n s c h a f t . „Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung" von Ed. G a n s 1823 gehört noch einer älteren Phase an. Der Satz von T h i b a u t , den Gans seinem Werke vorausschickte und an dem schon Savigny Anstoß nahm: „Zehn geistvolle Vorlesungen Ober die Rechtsverfassung der Perser und Chinesen würden in unsern Studierenden mehr wahren juristischen Sinn wecken als hundert Aber die jammerlichen Pfuschereien, denen die Intestaterbfolge von Augustus bis Justinianus unterlag", blieb allerdings weiter und eigentlich für alle Fächer das Schiboleth der Freunde und Gegner der vergleichenden Methode. Er verstieß ebenso gegen die philologisch - historische Gesinnung wie gegen die klassisch-philologische. Dennoch kam die vergleichende Methode auch den humanistischen Verächtern des außermediterraneischen Kulturkreises zugute, indem sie half, in den 70er Jahren die Scheidewand zwischen griechischem und römischem Recht niederzulegen. ') Zivilistische Abhandlungen S. 433. Vgl. dazu S a v i g n y , „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft", Neudruck 1892, S. 102.
96
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
1878 erhielt die vergleichende Rechtswissenschaft ihre eigene Zeitschrift, herausgegeben v o n F r a n c B e r n h ö f t , Georg C o h n a n d später J . K o h l e r . Dieselbe stellte ihr die A u f g a b e zu lehren: „ w i e Volker gemeinsamer A b s t a m m u n g die ü b e r k o m m e n e n Rechtsbegriffe selbständig ausarbeiten, wie ein Volk die I n s t i t u t e eines a n d e r n übern i m m t u n d seinen eigenen Anschauungen g e m ä ß u m f o r m t , wie endlich a u c h ohne j e d e tatsächliche V e r b i n d u n g die Rechtssysteme verschiedener N a t i o n e n sich nach gemeinsamen Entwicklungsgesetzen fortbilden 1 )." D a s e n t s p r a c h genau den P r o g r a m m e n der vergleichenden Sprach- u n d Religionswissenschaft, u n d ebenfalls wie dort t r a t das ethnologische Moment dazu, das von n u n a b ein H a u p t t h e m a der vergleichenden Rechtswissenschaft geblieben ist. 4. Es liegt in der N a t n r der Sache, d a ß auf diesem ethnologischen u n d vorgeschichtlichen Felde vergleichende R e c h t s - , G e s e l l s c h a f t s - u n d W i r t s c h a f t s g e s c h i c h t e sich eng b e r ü h r t e n . Zwei m e i s t e r h a f t e Essais unterrichten a b e r deren Schicksale: H e r m a n n U s e n e r s Vortrag ü b e r vergleichende Sitten- und Rechtsgeschichte (1893)*) u n d die v e r n i c h t e n d e K r i t i k , die Georg v . B e l o w u n t e r dem T i t e l : „ D a s kurze Leben einer vielgenannten Theorie (1903) neuerdings seinen „ P r o b l e m e n der Wirtschaftsgeschichte" (1920)') vorausgeschickt h a t . Hier lernen wir zugleich die Grenzen des Vergleichens k e n n e n . Der Belowsche Aufsatz verfolgt zunächst den glänzenden Aufstieg der vergleichenden Lehre v o m Ureigen t u m . Georg H a n s s e n h a t t e in Arbeiten der 60er J a h r e seine Auffassung des Agrarwesens der deutschen Vorzeit ganz wesentlich durch die Analogie späterer dänischer Verhältnisse e r h ä r t e t . 1844 zog H . v. S y b e l s „ E n t s t e h u n g des deutschen K ö n i g t u m s " Schilderung afghanischer, hochschottischer u n d anderer fremdvölkischer Verhältnisse energisch heran. Nicht minder bezog sich G. L . v. M a u r e r in der Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- u n d StadtveTfassung vielfach auf slawische, albanesische, ungarische, asiatische, afrikanische, amerikanische Zustände. D a n n schien Georg H a n s s e n im J a h r e 63 eine E n t d e c k u n g zu glttcken, in „ G e h ö f e r s c h a f t e n im Regierungsbezirk T r i e r " glaubte er Reste des deutschen Urzustandes zu f i n d e n : Gemeineigentum a m Ackerland. R o s c h e r , der schon 1858 die „ L a n d w i r t s c h a f t der ältesten D e u t s c h e n " durch sibirische Verhältnisse e r l ä u t e r t h a t t e , griff in den vielen Auflagen seiner Nationalökonomie des Ackerbaus 1859 f f . die Hanssensche Hypothese auf und v e r s t ä r k t e sie d u r c h immer neu g e f u n d e n e Analogien. Dabei schenkte e r besondere Rücksicht dem russischen „ M i r " , eine Feldgemeinschaft der russischen Bauern, die von H a x t h a u s e n in seinen Studien 1847—1852 e n t d e c k t h a t t e . 1872 v e r m e h r t e der E n g l ä n d e r H a r r y M a i n diese Analogien sehr wesentlich durch indische Beispiele. A m F u ß e des Himalaya u n d a n den Ufern des Ganges glaubt er Einrichtungen wiederzufinden, die ihm denen des alten Germanien ähnlich zu sein schienen. I n einem zweiten Werk „lectures on t h e early History of I n s t i t u t i o n s " 1875 spricht er v o m Kollektiveigentum aller Vorzeit als einem gesicherten wissenschaftlichen Resultat. Dasselbe Ergebnis h a t t e schon 1874 der Belgier E. de L a v e l e y e in seinem B u c h : De la p r o p r i é t é et d e ses formes primitives, das der Leipziger Nationalökonom Karl B f i c h e r in mehreren deutschen Auflagen, als das Ureigentum weiter ausgestaltete, 1879 f f . verkttndet. „ W e n n m a n . . . diese Einrichtung u n t e r allen Himmelsstrichen u n d allen Rassen wiederfindet, so kann man darin eine notwendige Entwicklungsphase der Gesellschaft u n d eine A r t von Universalgesetz erblicken, welches in der Bewegung der Grundeigentumsformen v o r w a l t e t . " ') I. Bd., S. 36. *) Vorträge u n d s ) Materialreich j a h r s s c h r i f t 1922/23,
Zit. nach G. v . B e l o w , „ P r o b l e m e der Wirtschaftsgesch." S. 3. Aufsätze 1907, S. 103 ff. ergänzt d u r c h „ D i e vergleichende Methode" (Historische ViertelS. 129 f f . Beide Arbeiten sind hier d a n k b a r b e n u t z t .
10
20
30
40
c
DIE VERGLEICHENDE
METBODE
97
Seitdem wurde die Lehre vom Ureigentum wissenschaftlicher Gemeinbesitz. B r a n n e r spricht von ihr als einem Ergebnis der vergleichenden Rechtswissenschaft 1887. R. S c h r ö d e r spricht im selben Jahre von den drei Stadien, welche die Entwicklung des Grundeigentums erfahrungsgemäß durchzumachen pflegt und bestärkt wurde diese Öffentliche Meinung durch die einflußreichen Forschungen M o r g a n s . Die vergleichende Methode stand auf der Hohe ihres Erfolges. Nun begann der Abstieg. Zuntchst zeigte J . v. K e u s l e r , daß der russische „Mir" nichts Ursprüngliches, sondern eine neuzeitliche Bildung sei, unter dem Drucke der Leibeigenschaft und der 10 Kopfsteuer seit dem 16. Jahrhundert entstanden. Die Freunde des Ureigentums gaben sehr langsam nach, heute besteht, nach B e l o w , unter den Gelehrten kein Zweifel, daß der russische „Mir" eine neuzeitliche Bildung ist. Dasselbe aber wies L a m p r e c h t in den 80er Jahren für die Trierer GehOferschaften nach, die etwa im 13. Jahrhundert entstanden sind. Nicht minder aber waren dies die ebenfalls als urseitliches Institutionen verbfindeten Hauberggenossenschaften des Kreises Siegen. Und selbst für Asien gelang der analoge Nachweis vielfach. Der Artikel Feldgemeinschaft von M e i t z e n im Handbuch der Staatswissenschaften 1892 zeigt die Ureigentumstheorie in vollstem Rückzug. Und selbst die 20 wenigen Beispiele für dasselbe, die Meitzen noch retten zu können glaubte, haben sich seitdem vermindert. Insbesonders blieb die südslawische Zadruga als letztes Bollwerk. Im Jahre 1900 hat P e i s k e r auch dieses zu Fall gebracht. „Die Entdeckung Peiskers ist für die Geschichte unserer Theorie von abschließender Bedeutung", die Historie hatte Aber Vergleich und Analogie gesiegt. Was ihr bleibt, ist die Erhellung quellenkritisch belegter historischer Fakten, der V e r g l e i c h ist M i t t e l , n i c h t S e l b s t z w e c k . 5. Und dennoch hat er gerade in unseren Tagen in erstaunlichem Maße wieder Boden gewonnen. Ein neuerer NationalOkonom Joh. P l e n g e , dem historischer Sinn 30 durchaus nicht abzusprechen ist, sieht in vergleichender Wirtschaftstheorie, vergleichender Ideengeschichte und vergleichender Weltgeschichtsbetrachtung geradezu das erlösende Wort der modernen Geisteswissenschaften. Und keineswegs nur für die Erkenntnis primitiver Stufen der Menschheit 1 ). Derselbe hat zugleich die Stufenlehren des Aristoteles, Dik&arch, Varro, Adam Smith, Friedrich List, Karl Marx, Bruno Hildebrand, A. Schönberg, Heinrich Schurz in vortrefflichen Auszügen als „Stammformen der vergleichenden Wirtschaftstheorie" zusammengestellt und damit nicht nur ein wertvolles historisches Hilfsmittel zum Studium der vergleichenden Methoden geschaffen (welchem nur noch für die Antike die platonischen Stufenlehren*) und das sechste Buch Polybs, für die Neuzeit Macchiavell und 40 für die Gegenwart die Entwicklungslehre Karl Bachers einzufügen wlre), sondern zugleich den ungebrochenen Einfluß dieser antiken Schemen erneut anschaulich gemacht, insbesondere der aristotelischen, an welche Roschers Politik unmittelbar angeknüpft hat. Gedenkt man daneben des zunehmenden Einflusses Friedrich L i s t s 3 ) und der Tatsache, daß der erste lebende Verfassungshistoriker Otto H i n t z e an einem vorsichtig formulierten Programm der Vergleichung festhalt, ebenso wie H a t s c h e k , zieht man zugleich das Ausland heran, F r e e m a n ' ) , K j e i l e n , dann die kulturgeschicht') J . P l e n g e , Die Stammformen der vergleichenden Wirtschaftstheorie (Staatswissenschaftliche Musterbücher I, 1919), Geleitwort. ') S a l i n , Piaton und die griechische Utopie, 1921. ' ) Derselbe, Zu Methode und Aufgabe der Wirtschaftsgeschichte (Schmollers Jahrbuch, 45. Jahrg., 2. Heft) 1921, und Geschichte der Volkswirtschaftslehre 1923. *) Comparative Politics 1873. Haodb. d. Phil. II.
C7
98
LOGIK
UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
liehen Studien V e d e l s 1 ) und die dort blfihende vergleichende Literaturforschung'), so kann von einer endgültigen Niederlage der vergleichenden Methode kaum die Rede sein. Die ganze neuerliche Bewegung aber gipfelt in dem nach der Ablehnung, die L a m p r e c h t erfahren hat, fast unerhörtem Erfolge S p e n g l e r s und verwandter „Kulturzyklentheorien". Von ihnen wendet sich der Blick zugleich auf andere Theorien zurück, welche diesen Erfolg vorbereiteten. Erst kürzlich hat Eduard S p r a n g e r * ) wieder die Aufmerksamkeit auf die Genese der geschichtsphilosophischen Denkweise gelenkt, welche W i l a m o w i t z , D i l t h e y , Eduard M e y e r , Rob. P ö h l m a n n zu größtem historiographischen Einflüsse geführt haben. Dieselbe betrachtet die Geschichte der Menschheit nicht mehr 10 wie Kirche, Humanismus und Aufklftrung als zusammenhängende Linie, sondern, wie in schärfster Ausprägung S p e n g l e r zeigt, als ein Nebeneinander oder Nacheinander geschlossener kultureller Entwicklung sl&ufe, deren jeder in sich eine Reihe notwendiger Entwicklungsstufen vollendet. W i l a m o w i t z hat schon 1881 von der griechischen Barockzeit gesprochen, 1897 halt er seine Rede Aber Weltperioden. D i l t h e y wendet 1883 das C o m t e s c h e Drei-Stadiengesetz auf die alten wie auf die neuen Völker an, Eduard M e y e r periodisiert 1893 und 1895 die griechische Geschichte in griechisches Altertum, Mittelalter und Neuzeit. 1872 hat B e r g k s Griechische Literaturgeschichte diese Begriffe bereits vorausgenommen. Aber schon 1835 stellt nach B e l o w s Nachweis Heinrich L e o in seinem Lehrbuch der Universalgeschichte die griechische Geschichte 20 unter den Überschriften: Griechenlands Altertum, Mittelalter, spAtere Zeit dar. Auch W e l c k e r s Götterlehre 4 ) spricht in der Einleitung des 2. Bandes von einem griechischen Mittelalter und in G. G. G e r v i n u s Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts lesen wir verschlungen mit nniversalhistorischen Anschauungen ganz aristotelisch: „Die Geschichte der europäischen Staaten christlicher Zeit bildet ein gemeinsames Ganzes, wie im Altertum« die Geschichte der Staatengruppe der griechischen Halbinsel und ihrer Pflanzst&dte. In beiden Zeiten offenbart sich in dem Verlaufe der inneren Entwicklung der Staaten einerlei Ordnung und ein gleiches Gesetz. Und dieses Gesetz ist dasselbe, das sich wieder ganz im großen in der Geschichte der Menschheit selber beobachten lftßt. Von den despotischen Staatsordnungen des Orients zu den aristo- 30 kratischen, auf Sklaverei und Leibeigenschaft gegründeten Staaten des Altertums und des Mittelalters und von da zu der neueren noch im Gange begriffenen Staatenbildung ist ein regelmäßiger Fortschritt zu gewahren von der geistigen und bürgerlichen Freiheit der einzelnen zu der der mehreren und der vielen. Wo aber die Staaten ihren Lebenslauf ganz vollendet haben, da beobachtet man dann wieder, von dem Höhepunkte dieser aufsteigenden Linie der Entwicklung abwärt», ein Zurückgehen der Bildung, der Freiheit und Macht von den vielen zu den wenigen und einzelnen. Dieses Gesetz ist es, das sich in jedem Teile der Geschichte, in jedem vollkommeneren Einzelstaate vorfindet, und so auch in den zusammengesetzten Gruppen, die wir bezeichnet haben"*). 40 Von kaum zu bezweifelndem Einfluß auf die weitere Entwicklung dieser Gedanken waren aber Ausführungen K. W. N i t z s c h s von 1882: „ I n dem normalen Entwicklungsgange der alten und modernen Völker treten uns drei Perioden entgegen: eine solche des Ackerbaues und der Naturalwirtschaft, eine zweite, in welcher sich neben dem Ackerbau die Interessen des Verkehrs und der Geld») Mittelalterliche Kulturideale (Aus Natur und Geisteswelt 1910). *) Vgl. D. L i t . Z. 1914, Nr. 49, Finsler über Chadwick The heroic age und daselbst, 1. Juli 1916, W a s e r über Drerups Homer. ' ) Die Kulturzyklentheorie und das Problem des Kulturverfalls. Sitzungber. d. Preuß. Akad. d. Wiss. 1926. ' ) 1857—1863. ' ) G. G. G e r v i n u s , Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts, 4. Aufl., 1864, S. 13 (1. Aufl. 1852).
c
10
20
30
40
DIE
VERGLEICHENDE
METBODE
99
Wirtschaft erheben, eine dritte, in welcher diese Interessen das Übergewicht über diejenigen der bäuerlichen Kultur gewonnen haben. In jener ersten Periode steht das geistige Leben wesentlich unter dem Einfloß der religiösen Vorstellungen, die gesellschaftliche Bildung ist eine vorherrschend aristokratische und kriegerische; in der zweiten entwickelt sich neben der religiösen eine intellektuelle, neben der aristokratischen eine städtische, neben der kriegerischen eine industrielle Kultur; in den dritten überwiegt die intellektuelle Bildung mit entschiedener Hinneigung zum Kosmopolitismus und zur Universalmonarchie. In der deutschen Geschichte kommt dieser natürliche Entwicklungsgang keineswegs so rein und ungestört znr Erscheinung, wie bei anderen Volkern, den Hellenen, Italikern, ja selbst wie bei den Franzosen und Engländern. Es läfit sich dies bei einem Gebiet mit Oberali geöffneten Landesgrenzen und in der Mitte des europäischen Staatensystems nicht anders erwarten. Kein Land des europäischen Kontinents stand fremden Einflüssen in gleicher Weise offen wie Deutschland; bei keinem war daher der Gang der wirtschaftlichen und damit der politischen Entwicklung so sehr vom Ausland abhängig, wie im kontinentalen Mitteleuropa" '). Wo ist der Ursprang dieser K u l t u r z y k l e n t h e o r i e n zu suchen? Uralte Mythen vom Weltenjahr nehmen sie voraus, auch der Vergleich historischer Verlkufe ist schon antik. Die antike Lehre vom Kreislauf der Verfassungen haben wir schon erwähnt. Die klassische Darstellung der Kulturzyklentheorie findet S p r a n g e r bei Giambattista Vico*). Alle Volker durchlaufen nach ewigen Gesetzen ein Zeitalter der Gotter, der Heroen, der Menschen. Aber Vico bleibt vergessen. Der Schotte A. F e r g u s o n entwirft 1766 eine erste anthropologische Kulturstufenlehre und wirkt mit ihr auch auf Deutschland. Aber auch bei uns sind Keime einer Kreislauflehre zu entdecken. Bei H e r d e r , bei H e g e l , in G o e t h e s „Geistesepochen", in Friedrich S c h l e g e l s Auffassung der griechischen Literaturgeschichte, als Kreislauf einer organischen Entwicklung, i n S c h e l l i n g s Weltaltern und mehrfach in dessen Nachfolge, so in Ernst v o n Las a u l x s „Neuem Versuch einer alten auf die Wahrheit der Tatsachen begrOndeten Philosophie der Geschichte" (1856), an den Jakob B u r c k h a r d t s „Weltgeschichtliche Betrachtungen" neu erinnert haben. Die moderne Kulturzyklentheorie ist also „nicht allein aus dem Positivismus und der empirischen Biologie geboren worden, sondern hingt mit dem mystisch-spekulativen Untergründen des deutschen historischen Denkens der klassischen und romantischen Epoche tief zusammen". Aber sie kehrt nach dieser ersten spekulativen Phase auf den Boden der Tatsachenforschung in der interessanten Epoche wieder, die Spranger als „die Zeit der Infiltration des franzOsisch-englischen Positivismus bezeichnen" mochte. Diese aber beginne nicht erst mit B u c k l e , sondern schon in der vierziger Jahren. Ihr erster Hauptvermittler sei Lorenz v. S t e i n . Nach ihm Wilhelm R o s c h e r , den ich allerdings auch auf Grund des von Spranger aufgeführten Materials weit eher als typischen Vertreter der „vorpositivistischen Naturgeschichte" denn als Vermittler, wenn immer nur „inhaltlicher, nämlich gesellschafts- und wirtschaftsgeschichtlicher Interessen" des Positivismus ansprechen mOchte. 1849 nimmt er die Zyklentheorie der Wirtschaft voraus, die dann Eduard M e y e r neu ausgebaut hat. Weit eher scheint die von Spranger erwähnte Griechische Geschichte von Friedegar M o n e spezifisch positivistische Einschlage in ihrem spekulativen Methodensynkretismus aufzuweisen. Dann setzt die Bewegung der sechziger Jahre ein, deren Kräfte schlieBlich in die geschichtlichen Theorien L a m p r e c h t s , B r e y s i n g a , S p e n g l e r s einmünden. Daß ') K. W. N i t z s c h , Geschichte des deutschen Volkes bis zum Ausgang der Ottonen. Herausgeg. von Georg Matthäi. Leipzig 1892, S. 447. *) Dessen „Neue Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Volker" soeben E. A u e r b a c h in vortrefflicher Übersetzung (gekürzt) neu zugänglich gemacht hat (1925). C 7*
100
LOGIK
UND SYSTEMATIK
DER
GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
S p r a n g e r auf deren nähere Charakteristik verzichtet ist um so bedauerlicher, als schon die Nennung einiger zwanzig Namen n u n Hinweis darauf genügt, welch verwickelte wissenschaftsgeschichtliche nnd systematische Probleme hier noch der nftheren Bearbeitung harren. Denn in diesen Zusammenhang gehören — anch wenn wir von den allerneuesten Geschichtsphilosophien, die nach Spengler entstanden sind und aus denen allein A. D e m p f s wertvolle nnd besonnene „Weltgeschichte als Tat nnd Gemeinschaft, Eine vergleichende Kulturphilosophie" 1924, und Friedrich C o r n e l i u s , „Die Weltgeschichte und ihr Rhythmus" 1925 hervorzuheben sind, absehen — außer den schon genannten Namen anch die Begrflnder der Volkerpsychologie L a i a r u s , S t e i n t h a l B a s t i a n und nach ihnen W u n d t , V i e r k a n d t , F r o b e n i u s , eine Reihe von NationalOkonomen, von denen Karl B Ach er schon genannt ist und mit denen im übrigen auch Robert P A h l m a n n zusammenzustellen wäre, die Soziologie von Ferdinand T O n n i e s , Paul B a r t h nnd M S l l e r - L y e r , die besonders einflußreiche Gruppe der Vertreter der „Menschheitswissenschaft" Scherer, Usener, D i l t h e y , ErdmannsdOrffer, O. L o r e n z 1 ) nnd nicht zuletzt die Kunsthistoriker S e m p e r , R i e g l , S c h m a r s o w und W O l f f l i n .
I I . Worin liegt die Werbekraft dieser Ideen ? Man kann die geisteswissenschaftliche Bedeutung der vergleichenden Methode, dieselbe zunächst einmal auf ihre Intention hin betrachtet, nur würdigen, wenn man neben ihrem Charakter als „historischer Methode" aufs stärkste ihre s y s t e m a t i s c h e Grundabsicht beachtet. Blickt man auf das historische Material zurück, so ist im Laufe der Geschichte dieser Methode in sehr verschiedenem Sinne von Vergleichung gesprochen worden: Zunächst in einem völlig elementaren. So lange Vergleichung aber nichts anderes heißt, als ein Ding neben ein anderes zu halten, um es zu erkennen, ist es unnötig, ausdrücklich von vergleichender Methode zu sprechen. In diesem weitesten Sinne steckt in allem Erkennen, das stets ein Beziehungen suchen ist, ein vergleichendes Moment. Und obzwar schon in der Stellungnahme zu diesen Elementarbegriffen weltanschauliche Gegensätze sich auszusprechen pflegen, so ist doch diese Art des Vergleichens in unserem Zusammenhang nicht problematisch. Das gilt auch noch für den Fall, in dem bereits ganz schulmäßig von vergleichender Methode gesprochen wird und den W u n d t * ) als „ i n d i v i d u e l l e " Vergleichung bestimmt von der „ g e n e r i s c h e n " unterscheidet. Hier liegen die h i s t o r i s c h e n Verdienste der vergleichenden Methoden: der Blick auf Analogien soll dem Sprach-, Mythen-, Rechtshistoriker die Augen für die Eigenart seines b e s o n d e r e n Stoffes schärfen. P r i n z i p i e l l e Bedeutung gewinnt die vergleichende Methode aber erst, wenn sie nicht mehr auf Unterschiede, sondern auf Gemeinsamkeiten hin vergleicht, denn dann stehen wir vor einer Methode genereller Wesensforschung. Somit sind also paradoxerweise gerade die wissenschaftlichen Methoden aus unserer prinzipiellen Würdigung auszuschalten, welche als die ' ) Vgl. meine Einleitung in die Geisteswissenschaften. ») W u n d t , Logik I I I , 3. Aufl., S. 62ff.
c
DIE
VERGLEICHENDE
METHODE
101
Methoden der „vergleichenden indogermanischen Sprachwissenschaft", der „vergleichenden Mythologie", „vergleichenden Rechtswissenschaft" usw. als die vergleichenden im klassischen Sinne auftraten. Dieselben nehmen eine ganz eigentümliche Mittelstellung ein. Denn wiewohl sie die einzelnen Sprachen, allerdings normaliter nur innerhalb meist des indogermanischen Stammes, auch generell vergleichen, so ruht doch ihr Hauptaugenmerk auf der Rekonstruktion genealogischer Urzustände, aus welchen dann die Besonderheiten der Sprachverzweigungen nach allgemeinen Regeln und auf Grund bestimmter historischer Daten abzuleiten sind. So lange sie somit zu historischen Erkenntnissen kommen, mag wohl ihr Weg bestimmte logische Besonderheiten haben, prinzipielle, d. h. philosophische Bedeutung hat er nicht. Dieselbe kommt ausschließlich den vergleichenden Methoden zu, welche ausdrflcklich Wesenserkenntnisse prätendieren. Die s y s t e m a t i s c h betrachtet klassischen Fälle der Vergleichung liegen demnach da vor, wo 1. z. B. religiöse Erscheinungen verglichen werden, um so das W e s e n der Religion zu finden; 2. wo typische E n t w i c k l u n g s g e s e t z e der Religion gesucht werden, und 3., das ist die letzte Steigerung, wo die Absicht und Hoffnung zum Ausdruck kommt, aus diesen Entwicklungsgesetzen schließlich n o r m a t i v e Aufschlüsse zu gewinnen. Man h a t tatsächlich vergleichende Methoden selten propagiert, ohne die Hoffnung zu hegen, dabei auf Gesetzlichkeiten zu stoßen, welche mehr bedeuten als reine Strukturgesetze. Man sucht zum „objektiven Wesen' 4 vorzudringen, aber man meint Normen. Aber gerade diese Abaicht ist doch der scharfen Kritik der Historiker und Philologen begegnet. Und es wäre nicht schwer, der vernichtenden Kritik Georg v. B e l o w s und den am genannten Ort angefahrten Namen weiterer Gegner der Vergleichung noch einige hinzuzufügen. Ich hebe hervor, die Kritik, welche Georg W i s s o w a in „Religion und Kultus der Römer", 2. Aufl. 1912, und die F. G r a e b n e r in seiner vortrefflichen „Methode der Ethnologie" (1911) an derselben geflbt hat, und nochmals wäre es besonders interessant, in diesem Zusammenhange die Stimme Moriz H a u p t s zu hOren über dessen Stellung zu Sprachvergleichung, Mythenvergleichung und vergleichender Poetik Chr. Belg er eingehend berichtet 1 ) und welche in dem Satze gipfelt, die Sprachvergleichung künne wohl Wurzel und Abstammung angeben, aber durchaus nicht die Schattierung des Begriffs und den bestimmten Gebrauch, den z. B. gerade Homer davon machte.
Aber hier im Philologischen und Historischen liegt die Stärke der vergleichenden Methode nicht. Man kann auch zugeben, daß sie angesichts des Rufes, den sie genoß, erstaunlich wenig klassische Werke hervorgebracht hat. Man könnte meinen, ihr Ruhm beruhe ganz wesentlich auf der Suggestionskraft ihres Programms. Und das ist in gewissem Sinne auch ganz richtig. Ihre historische wissenschaftliche Mission, ihre Stärke und ihre Schwäche, ist aus der e w i g e n S p a n n u n g d e s B e s o n d e r e n u n d d e s A l l g e m e i n e n zu verstehen. Ihre Schwäche: ') Moriz Haupt als akademischer Lehrer 1879, S. 99 ff.
102
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
aus dem unverbrüchlichen Recht der Historie, den Finger auf die Besonderheit aller Erscheinungen zu legen; ihre Stärke: aus der Reflexion, daß diese historischen Erscheinungen zusammenfassende und generelle Namen tragen. Und infolgedessen in i r g e n d e i n e m G r a d e G e m e i n s a m e s e n t h a l t e n m ü s s e n . Die vergleichenden Methoden sind l e g i t i m n u r im R a h m e n der s y s t e m a t i s c h e n u n d t h e o r e tischen Geisteswissenschaften. Im Rahmen der letzteren aber ist ein feiner Unterschied zu machen zwischen Konstruktionen und Generalisationen, welche historische und philologische F e h l e r implizieren, und solchen, welche bewußt von ganz bestimmten Seiten und Momenten der historischen Wirklichkeit a b s t r a h i e r e n , weil eine andere Seite derselben sie mehr i n t e r e s s i e r t . T r e i t s c h k e hat gelegentlich sehr richtig bemerkt: bei der Geschichte der Chemie liege der Ton auf Chemie, nicht auf Geschichte. Er hat damit an einem besonders ausgeprägten Beispiel auch den Unterschied zwischen Historiographie im engeren Sinne und zwischen den historiogTaphischen Teildisziplinen der systematischen und theoretischen Geisteswissenschaften bezeichnet. Auch Friedrich M e i n e c k e hat einmal in seiner Charakteristik Theodor Ludwigs 1 ) diesen Punkt berührt: „Gerade der allgemeine Historiker hat es schwerer als der Rechts- und Wirtschaftshistoriker, solche vasten Materien geistig zu formen, weil er sich nicht auf einige wohl durchgebildete Kategorien beschrinken will, sondern die Falle der Anschauung oder trockener gesagt, das persönliche und sachliche Detail stärker auf sich wirken Uflt, weil er Dinge in ihm sieht, deren Erkenntniswert er wohl fflhlt, die er nur nicht gleich in Kategorien fassen kann. Dies eben ist es nicht zum geringsten, was den Weg des allgemeinen Historikers von heuzutage so erschwert. Er kann, wie es Ludwig getan hat, außerordentlich viel lernen von den mehr systematisch vorgebildeten Historikern des Rechts, der Wirtschaft usw., aber er wird sich — und auch das hat Ludwig getan — ihnen nicht ganz und gar hingeben können, sondern nach dem schwereren und höheren Ziele streben. Fülle der Anschauung mit Allgemeinheit der Anschauung zu verbinden."
Dieser Unterschied der allgemeinen Historie und der Fachhistorie beruht aber nicht mehr auf kritischer Ungenauigkeit, sondern auf z w e i v e r s c h i e d e n e n I n t e r e s s e r i c h t u n g e n . .Man kann sich, liest man etwa die Auseinandersetzungen zwischen Karl B ü c h e r und Eduard M e y e r , insbesondere die große Anmerkung des letzteren (Kleine Schriften, 1910, S. 85 ff.), des Eindrucks nicht erwehren, als spielte, über die kritisch-historischen Fragen hinaus, der Gegensatz der beiden E i n s t e l l u n g e n hier eine ganz außerordentliche Rolle. Auch gegen Werner S o m b a r t wird an dieser Stelle der Vorwurf erhoben, er prätendiere eine prinzipielle Unterscheidung von Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftstheorie. Dieser Unterscheidung ist prinzipiell ganz im Sinne Sombarts zuzustimmen. Nur dürfte in der besonderen h i s t o r i s c h e n A n w e n d u n g derselben auf das Mittelalter sein Kritiker v. B e l o w im Recht gewesen sein. Dasselbe gilt für manche Kritik, die von universalhistorischem ') Preußen und Deutschland 1918, S. 459.
c
DIE
VERGLEICHENDE
METHODE
103
Standpankt aus an Darstellungen spezifisch isolierender und vergleichender Geschichtsbetrachtungen, sei es Breysigs, sei es Lamprechts, sei es Spenglers, geübt wurde. Es ist selbstverständlich richtig, daß etwa das germanische Königtum sich unter universalhistorischen Bedingungen entwickelt hat, welche andere waren, als die unter denen analoge Erscheinungen anderer „nationaler" Verläufe standen. Und trotzdem könnte es sein, daß, abgesehen von unzweideutigen historischen Irrtümern unter theoretisch vergleichenden Gesichtspunkten, dasselbe M o m e n t e in sich schlösse, welches Vergleiche sehr wohl erlaubte. Jedenfalls wird man der positiven Leistung dieser Autoren am ehesten gerecht, wenn man sie a u c h als soziologische Typologen würdigt. Auch mancher Konflikt Alois R i e g l s oder W ö l f f l i n s erledigt sich, wenn man auf die ausgesprochen k u n s t t h e o r e t i s c h e Ader dieser stark philosophischen Köpfe reflektiert. I n praxi kommt hier natürlich alles auf den Erfolg an, und deshalb ist der wissenschaftliche Rang der hier genannten Autoren auch ein verschieden hoher. Denn die Auseinandersetzung mit der historischen Wirklichkeit wird immer unvermeidlich bleiben. Und deshalb ist auch eine generelle Würdigung neuerer t y p o l o g i s c h e r , t r a n s z e n d e n t a l p h i l o s o p h i s c h e r und p h ä n o m e n o l o g i s c h e r Methoden auf das äußerste erschwert, so lange sich dieselben noch nicht reich auf historische Stoffe anwandten und an diesen dann bewährten. In Erdmannsdörffers' „Zeitalter der Novelle in Hellas' 4 lesen wir: „Die Forderung einer vergleichenden Behandlung der Geschichte ist eine längst gestellte. Ich will mir selber gleichsam zur Ermutigung und Warnung ein sch&nes Wort Schillers an diese Stelle setzen: „Die Beglaubigung des philosophischen Verstandes (zur philosophischen Behandlung der Geschichte) l i e g t i n d e r G l e i c h f ö r m i g k e i t u n d u n v e r ä n d e r lichen E i n h e i t der N a t u r g e s e t z e und des menschlichen Gem&tes, welche Einheit Ursache ist, daß die Ereignisse des entferntesten Altertums, unter dem Zusammenfluß Ähnlicher Umstände von außen, in den neuesten Zeitlftuften wiederkehren; daß also von den neuesten Erscheinungen, die im Kreis unserer Beobachtung liegen, auf diejenigen, welche sich in geschichtslose Zeiten verlieren, rfickw&rts ein Schluß gezogen und einiges Licht verbreitet werden kann. Die Methode nach der Analogie zu schließen ist, wie flberall, so auch in der Geschichte, ein mächtiges Hilfsmittel; aber sie muß durch einen erheblichen Zweck gerechtfertigt und mit ebensoviel Vorsicht als Beurteilung in Ausübung gebracht werden" 1 ).
So ist die vergleichende Methode d i e Methode der empirischen theoretischen Geisteswissenschaften geworden. „Wer das innere Wesen des Rechts, der Sitte, der Sprache, der Religion, der Kunst, des wirtschaftlichen und staatlichen Lebens theoretisch verstehen will, für den gibt es keinen besseren Weg als den, die Entwicklung dieser Kulturerscheinungen in den verschiedenen Kulturkreisen vergleichend zu ver') Bernhard E r d m a n n s d O r f f e r , Kleinere historische Schriften, 2. Bd. (Deutsche Bacherei 123/25), S. 6.
104
LOGIK
UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
folgen".1) Der Anspruch der vergleichenden Methode auf diese praktische Bedeutung reicht aber viel weiter zurück. So hat demselben schon 1836 G e r v i n u s in einer Anzeige der Dahlmannschen Politik bemerkenswerten Ausdruck gegeben: „Den Schreiber des folgenden Artikel« fesselte d u Buch, das er hier anzeigt, schon durch den Namen des Verfassers, weil ihn bewährte Schriftsteller, die ihm einmal von Interesse und Mutzen waren, mehr anzuziehen pflegen als interessante Büchertitel. Es fesselte ihn aber auch persönlich darum, weil er sich zuzeiten wohl selbst mit dem Entwürfe einer rein wissenschaftlichen Staatslehre trug, die den besten Teil seines Lebens beschäftigen sollte. Er würde für dieses Werk das Gebiet der Geschichte in 10 seinem ganzen Umfange durchwandert und aufgenommen haben; er würde gesucht haben, aus der ungeheuren Summe der Erfahrungen, aus dem Unsteten, Flüchtigen, Wiederkehrenden, Besonderen, das Gesetzmäßige und Allgemeine festzuhalten, aus den vollendeten Völkergeschichten die unvollendete Geschichte der Menschheit zu erraten, aus dem Ganzen die Teile, wie aus den Teilen das Ganze, aus den Staaten den Staat zu erklären; er würde sich nicht gescheut haben, die Analogien der Geschichte des dichtenden und denkenden Menschen für die des Handelnden zu Hilfe zu nehmen und selbst den himmlischen Staat der Nationen, den die gläubigen Erdbewohner unbewußt und sicher konstruieren, zur Erläuterung des weltlichen, über den sie sich in Theorie und Praxis abquälen, zu benutzen. Er würde gesucht haben, das, was sich in 20 der Entwicklung der Volker und Staaten als notwendig und naturgesetzlich herausstellt, in sein Gemälde allein aufzunehmen, um hauptsächlich damit denen zu opponieren, die im Leben oder in der Wissenschaft an dem Staate alles künsteln und an dem großen Wege der Natur ihre zwerghaften Wegweiser aufstellen, die nicht über den nächsten Grashalm hinwegsehen. Seine Staatslehre würde gleichbedeutend mit einer Geschichte des Staats, seine Geschichte des Staats gleichbedeutend mit einer Philosophie der Geschichte und sie würde zu einer Philosophie der Menschheit oder, was einerlei ist, des Menschen, der nötigste Grundstein geworden sein. Denn die rein wissenschaftliche Politik sollte nichts sein als eine Philosophie des politischen Teils der Geschichte, wie die Ästhetik die Philosophie der Dichtungsgeschichte sein müßte. Allein zu andern 30 Zeiten kam ich von diesen hohen Plänen demütig zurück, weil ich einsah, daß alles, was man bisher von Wissenschaften oder Theorien mit diesen Titeln geschmückt hatte, kaum Spur der rechten Forschung geschweige irgendein Ziel gefunden hatte; daß also aller Riß und Konstruktion des aufzuführenden Gebäudes fast von der ersten Linie an begonnen werden müsse, und daß am Ende das (geschichtliche) lange noch nicht nahe genug gebracht war, um an ein solches Werk nur denken zu können. Die kindischen Versuche, die hier und da gemacht wurden, schreckten desto mehr ab, und die Forderungen der Gegenwart riefen auch immer lauter von solcherlei Unternehmungen zurück. Eine solche wissenschaftliche Politik ist die Dahlmannsche nicht, sondern sie ist eine praktische. Die Politik ist ihm in seiner Behandlungsart, nach seinem eigenen Aus- (o drucke Gesundheitslehre; in jener Behandlungsart würde sie der Physiologie entsprechen oder dem Teile derselben, der neuerdings als Geschichte des Lebens abgeteilt ist. Und daß sie eine solche wissenschaftliche Politik nicht ist, ist für uns so gut und ersprießlich, wie es, scheint mir, natürlich iBt, daß sie es gar nicht werden konnte."
So ist dasselbe bereits in der „Physiologie der Staaten" von Cons t a n t i n F r a n t z formuliert. „Mit dieser Aufgabe der politischen Physiologie ist zugleich ihre Methode vorgezeichnet. Sie hat die Staaten als Wesen von eigener Art zu betrachten, die man analysiert und untereinander vergleicht, um dadurch ihre Eigenschaften, Kräfte und Einrichtungen wie die Gesetze ihrer Entwicklung zu erkennen. Die Untersuchung geht SO ') Heinrich M a i e r , Das geschichtliche Erkennen, 1914, S. 14.
c
DIE
VERGLEICHENDE
METHODE
105
also nicht von irgendwelchem allgemeinen Begriffe an«, nm sich in d u Gedanken ding eine« Normalstaates i a verlaufen, sondern sie geht von den wirklichen Staaten ans und kehrt zu denselben zurück. Sie hält sich ganz innerhalb der Erfahrung. Da es aber unmöglich ist, die fast grenzenlose Mannigfaltigkeit der tatsächlichen Erscheinungen des Staatalebens in ein Ganzes zusammenzufassen, und da es für die Staaten nicht solche Klassen, Ordnungen und Gattungen gibt, wie sie in den Naturreichen bestehen — weil die Individualität eines jeden Staates zu seinem Wesen selbst gehört —, so wird man nicht sowohl nach einem Kanon von positiven Lehren zu streben haben, als vielmehr nur nach einem Schlüssel, wodurch man befähigt wird, das eigentümliche Wesen 10 eines jeden gegebenen Staates zu analysieren und aufzuschließen; indem man nlmlich lernt, worauf es bei den verschiedenen Staaten ankomme und worauf man zu achten habe." C. F r a n t z , Vorschule zur Physiologie der Staaten, Kap. X I . Von der Aufgabe und Methode der politischen Physiologie 1857, S. 321 f.
Und so sind es doch unverkennbar theoretische Gesichtspunkte, welche Gottfried S e m p e r bei seinem genialen „Entwurf eines Systems einer vergleichenden Stillehre" im Jahre 1853 bewegten, eine Schrift, welche zugleich wertvolle und Scherers oben zitierte Ausführungen ergänzende Hinweise auf die Genese der vergleichenden Methoden enthftlt. 20
30
(0
„Die moderne Wissenschaft ist bestrebt, diese verlorengegangenen Beziehungen wieder aufzufinden und anstatt der fiüheren rein äußerlichen und mehr oder weniger willkürlichen Systeme der Beiordnung oder einer Scheinordnung ein organisches vergleichendes System zu schaffen. So geht z. B. die Chemie, die experimentellste aller Wissenschaften, jetzt weit konstruktiver vor als früher; sie trennt mit der Absicht zu vereinigen; sie sucht die Verschiedenheiten der Dinge auf mit der Absicht, sie dadurch alle zusammen auf einige wenige Elemente der Naturkr Ufte zurückführen zu kennen. Als ich in Paris studierte, war mein gewöhnlicher Spaziergang in den jardin des plantes, und dort fühlte ich mich stets aus dem sonnigen Garten wie durch magische Gewalt in jene Räume gezogen, in denen die fossilen Überreste des Tierreiches der Vorwelt in langen Reihen zusammen mit den Skeletten und Schalen der jetzigen Schöpfung aufgestellt sind. In dieser herrlichen Sammlung, dem Werke des Baron Cuvier, findet man die Typen für alle noch so komplizierten Formen des Tierreiches, man sieht, wie die Natur in ihrem Fortschreiten trotz ihrer Abwechslung und ihres unermeßlichen Reichtums doch in ihren Fundamentalformen und Motiven Äußerst sparsam und Ökonomisch bleibt. Dasselbe Skelett wiederholt sich fortwährend, jedoch mit unzähligen Abänderungen, welche wieder teils durch die allmähliche Entwicklung der Individuen, teils durch die Existenzbedingungen, welche sie zu erfüllen hatten, modifiziert werden. An dem einen Skelett sind einige Teile weggefallen, andere nur angedeutet, welche dagegen bei anderen Individuen in hervorragender Weise entwickelt sind. Sollten wir bei Betrachtung des ungeheuren Reichtums der Natur und ihrer großen Mannigfaltigkeit bei aller ihrer Einfachheit nicht durch Analogie schließen dürfen, daß es sich mit den Schöpfungen unserer Hände, mit den Werken der Kunst ebenso verhalten mOge? Wie die Werke der Natur, sind sie durch einige wenige Grundgedanken miteinander verknüpft, die ihren einfachsten Ausdruck in gewissen ursprünglichen Formen oder Typen haben. Aus diesen wenigen Grundformen entsprangen und entspringen noch jetzt durch Entwicklung oder Verschmelzung eine unbegrenzte Menge von Varietäten, je nach den speziellen Erfordernissen ihrer Art, den allmählichen Fortschritten in der Erfindung sowie den verschiedensten Einwirkungen und Umständen, welche bei ihrer Entstehung maßgebend waren. ') G. G. G e r v i n u s , Ges. Kleine historische Schriften 1839: „Über Dahlmanns Politik." S. 595—96.
106
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
Ea dürfte von Wichtigkeit sein, einige dieser Grundtypen der künstlerischen Formen zu bezeichnen und sie ihrem stufenweisen Fortschritte bis zu ihrer höchsten Entwicklung zu verfolgen. Eine solche Methode, Ähnlich derjenigen, welche Baron Cavier befolgte, aof die Kunst und speziell anf die Architektur angewandt, würde zum mindesten dazu beitragen, einen klaren Überblick Uber deren ganzen Bereich zu gewinnen und vielleicht sogar die Basis einer Lehre vom Stile und einer Art von Topik oder Erfindungsmethode, welche zur Erkenntnis des natürlichen Prozesses des Erfindens führen konnte, womit wir mehr erreicht haben würden, als dem großen Naturforscher im Bereiche seiner Wissenschaft vergönnt war." Gottfried S e m p e r , Kleine Schriften, Entwurf eines Systems der vergleichenden Stillehre 1884, S. 261.
Lesen wir unter diesen Gesichtspunkten eine Würdigung, wie sie etwa W u n d t im 9. Bande der Völkerpsychologie, S. 348, der vergleichenden und soziologischen Richtung der neueren Rechtswissenschaft in dem Sinne zuteil werden läßt, daß sie als ein Zeichen dafür anzusehen seien, daß auch in der Jurisprudenz das Bedürfiiis nach einer der Wundt sehen Völkerpsychologie vorschwebenden „psychologischen Entwicklungsgeschichte des Rechts" sich geltend mache, nur dürfe dabei nicht übersehen werden, daß eine solche Untersuchung „der Psychologie und der Ethnologie zu ihrer Grundlegung" bedürfe, denn bloß auf dieser vermöge sie „jene den Rechtsgedanken i m m a n e n t e G e s e t z m ä ß i g k e i t d e r E n t w i c k l u n g zur Geltung zu bringen, vermöge deren alles Recht trotz der ungeheuren Verschiedenheit seiner Inhalte ein in sich zusammenhängendes und darum einer letzten allgemeinen Einheit zustrebendes Ganzes" sei, so können wir an diesen Sätzen den Übergang der o b j e k t i v i s t i s c h e n vergleichenden Methodik in einen wenn immer völkerpsychologisch die Sachprobleme verwischenden P s y c h o l o g i s m u s auf das deutlichste erkennen. Das prinzipielle Verdienst der vergleichenden Methoden ist dies, daß sie n i c h t h i s t o r i s c h e und auch n i c h t p s y c h o l o g i s c h e Gesetze zu gewinnen suchen, sondern S a c h g e s e t z l i c h k e i t e n . Ungeachtet jeder möglichen Hilfe, welche bei deren philosophischen Durchdringung auch psychologische Gesetze zu leisten vermögen, und ungeachtet dessen, daß alle Arten geistiger Tätigkeit im Geiste wurzeln, spricht die vergleichende Religionswissenschaft, Rechtswissenschaft oder Kunstwissenschaft doch in erBter Linie von Religion, Recht und Kunst als solcher und bekundet damit deutlich, daß zwischen ihrem Objektivismus und der kritischen Bearbeitung der Sachprobleme unabgebrochene Brücken liegen. Unter diesem Aspekte sind die natürlichen Erben der vergleichenden Methoden die sog. a l l g e m e i n e n P r i n z i p i e n w i s s e n s c h a f t e n geworden. Solcher bedürfen nicht nur die Rechtswissenschaft, Staatswissenschaft, Gesellschaftsleben, Nationalökonomik und Sprachwissenschaft sondern alle Geisteswissenschaften. Als Beispiel einer modernen religionswissenschaftlichen empirischen Prinzipienlehre sei A. H e i l e r s „Gebet" genannt. Eine kritische Sichtung der p s y c h o l o g i s c h e n M e t h o d e n wird gesondert erscheinen.
C
METHODEN, WELTANSCHAUUNGEN
UND LEBENSKAMPFE
107
IV. METHODEN, WELTANSCHAUUNGEN UND LEBENSKÄMPFE. Eine umfassende Darstellung aller geisteswissenschaftlicher Methoden wäre Aufgabe eines eigens diesem Zweck gewidmeten Handbuches. Es mußte hier genflgen, die p r i n z i p i e l l e n Zusammenhänge zu klären. Aber die Einzelanalysen des I I I . Kapitels beanspruchen exemplarischen Wert u n d wollen an besonderen Fällen die methodologische Grundstruktur aller geisteswissenschaftlichen Methoden überhaupt sichtbar machen. Diese aber beruht unabänderlich in ihrer d u r c h g r e i f e n d e n f u n k t i o nalen Abhängigkeit von den großen weltanschaulichen Gegensätzen. Mag dies Ergebnis fiberraschend sein, mag es unter dem Gesichtsp u n k t e der relativistischen Gefahr bedenklich erscheinen, die behauptete weltanschauliche Durchdringung ist ein schlichtes, analytisch aufweisbares F a k t u m u n d konnte nur von Fall zu Fall und Schritt f ü r Schritt widerlegt werden. Was wollen gefährliche Konsequenzen gegenttber so bestimmten Tatbeständen besagen? H a t die aufgewiesene Struktur der geisteswissenschaftlichen Methoden die gefürchteten relativistischen Folgen, so stellen dieselben vor allem dem D e n k e n ein Problem. Nicht die geistesschwache Vogel-Straußpolitik, auf welche die landläufige Polemik gegen den Historismus hinausläuft, sondern intellektuelle Redlichkeit allein und eine neue systematische Konzeption können das Welträtsel des Historismus lösen. J a , eine systematische Lösung muß sich mit einer noch viel weitgehenderen Relativierung der Geisteswissenschaften vertraut machen, als wir sie bisher aufgewiesen haben. I. Wir haben den Anteil der großen Weltanschauungen bisher an den Methoden dargestellt, welche i n n e r h a l b des festen Gerüstes der an sich logisch zu unterscheidenden Teildisziplinen sich auswirkten. Wir finden innerhalb einer solchen, wie z.B. der Historie, methodologische Gegensätze naturalistischer oder idealistischer Grundrichtung vor, wir sehen naturalistische, objektiv-idealistische und dualistische Theorien im Streit u m die Herrschaft in den systematischen Disziplinen. Sehen wir uns nun aber diese T e i l d i s z i p l i n e n s e l b s t an, wie sie im Rahmen der heutigen Geisteswissenschaften sich gestaltet haben, so bemerken wir, daß auch diese wieder im R a h m e n ganz bestimmter Weltanschauungen entstanden sind. Die h i s t o r i s c h e M e t h o d e , so wie sie h e u t e sich auswirkt, ist ein Produkt der Romantik. Um die s y s t e m a t i s c h e n Methoden h a t sich die Philosophie des deutschenldealismus und in ihremGefolge der dualistische Kantianismus ganz besonders verdient gemacht. Die t h e o r e t i s c h e Nationalökonomie trägt noch alle Spuren des 18. Jahrhunderts im Gesicht. Lehrreich durchkreuzt durch die Tendenzen der historisch-romantischen
108
LOGIK
UND SYSTEMATIK
DER
GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
Ökonomik des 19. Jahrhunderts und die naturalistischen Auswirkungen des Marxismus und der Soziologie. Die d o g m a t i s c h e n Disziplinen sind von vornherein getragen vom Geist eines bestimmten Glaubens, der Autorität, des Willens. Unter dem Gesichtspunkt der „Wissenschaftlichkeit" nehmen sie eine Sonderstellung ein. Aber eben die Z w e i f e l a n dem R a n g und Anspruch dieser Disziplinen sind geeignet, zu einer vertieften Einsicht in die Struktur der Teildisziplinen Oberhaupt zu führen. Der f o r m a l e l o g i s c h e C h a r a k t e r dieser Grundmethoden, seine Fähigkeit, systematisch deduziert zu werden, ist als solche vom Weltanschaulichen unberflhrbar. Diesen logischen Charakter haben wir mit Recht wahrhaft n e u t r a l genannt. Er ist unwandelbar und liegt als solcher im unveränderlichen und weit über die Wirklichkeit hinausragenden Bereiche des M ö g l i c h e n . Aber die V e r w i r k l i c h u n g dieser möglichen Methoden fällt, wie immer so auch hier, in den Bereich menschlichen I n t e r e s s s e s (im weitesten Sinne) und des Willens. Diese Disziplinen wurden garnicht als Disziplinen u n t e r a n d e r e n Disziplinen geschaffen, ihre methodische Grundstellung wurde vielmehr jeweils konzipiert als die der maßgeb e n d e n P r i n z i p i e n w i s s e n s c h a f t . Und soweit sie andere Teildisziplinen bereits vorfanden, i n K o n k u r r e n z zu diesen. Die Teildisziplinen, mögen sie immer neben einander stehen, sind aus e n t g e g e n g e s e t z t e n W e l t a n s c h a u u n g e n e n t s p r u n g e n und stehen, weil sie diesen Ursprung in ihrer Grundintention bewahren, in R a n g s t r e i t i g k e i t e n unter einander. Die theoretischen sind die Grundwissenschaften des Positivismus, die systematischen die Grundwissenschaften des Idealismus, die historischen die des irrationalistischen objektiv-idealistischen Historismus, und mit diesem hängen auch, wie sich noch zeigen wird, die dogmatischen Disziplinen auf das engste zusammen. So ist es nur cum grano Balis zu verstehen, daß diese Disziplinen n e b e n e i n a n d e r lägen. Dem reinen Rationalismus, sei er idealistischer oder positivistischer Art, sind die historischen Disziplinen, wie oft bezeugt, viel zu gleichgültig, als daß dieselben unter seiner Vorherrschaft je blühen könnten. Sie können ihn etwas „Neues" und „Wesentliches" schlechterdings nicht lehren, da doch die Frage nach dem „Wesen" des Rechts, der Kunst, der Religion usw. bei ihnen bereits aus dem System beantwortet wird und das Verhältnis zur Geschichte ganz konsequent dahin bestimmt ist, daß ohne die Idee der Kulturgebiete, wie das System sie entwickelt, Rechtsgeschichte oder Rechtstheorie garnicht getrieben werden könnte. Und was könnte ähnlich diesem Standpunkt der Vergleich verschiedener Rechtsentwicklungen wesentliches bieten ? Und wie könnte in ihm eine dogmatische Disziplin eine andere als eine sekundäre Rolle spielen? Umgekehrt, wer das „Wesen des Rechts, der Sitte, der Sprache, der Religion, der Kunst, des wirtschaftlichen und staatlichen Lebens theore-
C
METHODEN,
WELTANSCHAUUNGEN
UND LEBENSKÄMPFE
109
tisch" am besten verstehen lehrt, indem er „die Entwicklang dieser Kulturerscheinnngen in den verschiedenen Kulturkreisen v e r g l e i c h e n d verfolgt" 1 ), dem wird die idealistische Systematik eben n i c h t Genfige tun, wie denn auch Savigny, Ranke, Grimm*), der logischen Grammatik, der logischen Poetik, der naturrechtlichen Staatstheorie deutlich genug abgesagt haben. Die Bifite unserer historischen Wissenschaften beruhte auf der L i e b e zum Individuellen, und dieser V o r l i e b e entspricht negativ ein niederer Rang des Theoretischen, nicht T a t s a c h e n also, sondern V o r l i e b e n sind es demnach wieder, welche die Arbeit des Erkennens an den Tatsachen letztlich dirigieren. Die großen weltanschaulichen Gegensätze beherrschen also nicht nur die interdisziplinären M e t h o d e n in ihrem Anspruch auf w e s e n t l i c h e Aussagen, sie bestimmen in genau demselben Sinne auch die R o l l e , welche die Teildisziplinen selbst im Gesamtfach bzw. in deren geistesphilosophischem Inbegriff spielen. Denn diese Teildisziplinen verkörpern nichts anders als besonders verfestigte und im Umkreis methodologischer Möglichkeiten besonders markante Stellen einnehmende Methoden. Geschaffen wurden diese Methoden um ihres „Wesentliches" bietenden Ertrages willen, d. h. i m m e r aus weltanschaulichen Impulsen. Dies ist der Nerv ihres Entstehens. Erhalten konnten sie sich, weil hinter jeder e i n e u n a u f h e b b a r e w e l t a n s c h a u l i c h e T e n d e n z steht, welche jeweils am Stoffe f r u c h t b a r wurde in einem Maße, daß auch die Gegenpartei ihre R e s u l t a t e nicht entbehren konnte. Die besondere Aufgabe der „Grundlegung" hat deshalb im Rahmen der oben entworfenen logischen Systematik keinen festen Ort gehabt, weil ihre Funktion im Auf und Ab siegreicher Tendenzen zwischen den verschiedenen Disziplinen wandert. I I . Aber noch tiefer und noch gefährlicher greifen „Weltanschauungen" in die Substanz der Geisteswissenschaften ein. I m § 5 des I. Kapitels haben wir eine Skala steigender und sinkender Abstraktion aufgestellt, eine „Pyramide", an deren Spitze die philosophischen Systeme standen, dann in wachsender Konkretion die besonderen Fachphilosophien, die Prinzipienwissenschaften und Methodologien und unten in breiter Ausdehnung die lebendigen methodischen Verfahrensweisen selbst. Das illustrierende Beispiel bot der Hinweis darauf, daß Taines Werke die naturalistische Milieutheorie nicht nur programmatisch verkünden, sondern zugleich durch die Tat gestaltend anwenden. Durch die T a t ? Diese w i s s e n s c h a f t l i c h e n Anwendungen stellen noch längst nicht die wahre Basis dieser Pyramide dar, denn unterhalb ihrer liegt das g e i s t i g e L e b e n s e l b s t , und dieses ist nicht minder weit») Heinrich M a i e r S. o. S. 103. ') S. u. die Zitate auf S. 116.
110
LOGIK
UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
anschauungsdurchdrungen wie die geisteswissenschaftliche Methodik. Wir haben darüber schon mehrfach reflektiert, nun gilt es ausdrücklich, einige Konsequenzen dazu zu riehen. Auch dieses geistige Leben könnte man wieder gliedern nach Stufen einer Sphäre schöpferischer Maximen und Intuitionen, von Taten, von Verfestigung in Institutionen und schließlich von Lebenshaltungen bestimmten Stiles. Auch hier kann nicht scharf genug betont werden, daß alle diese Stufen produktiv, u n d d a s heißt w e l t a n s c h a u l i c h schöpferisch sind. Sokrates hat nicht philosophiert im s t r e n g e n Sinne. Luther hat keine theoretische Dogmatik im strengen Sinne geschrieben (und hat dennoch unzählige Dogmatiken restlos festgelegt), die bildende Kunst schafft Stile, ohne die theoretische Ästhetik, Stile, deren weltanschaulicher Gehalt bis ins kleinste bestimmbar ist 1 ). Selbst eine so theorienahe Wissenschaft wie die Jurisprudenz treibt ihre Praxis, ohne, nach dem bekannten Spottworte Kants, ihren Grundbegriff gefunden zu haben. Nicht nur die Staatslehre des Thomas Hobbes, der a b s o l u t i s t i s c h e S t a a t s e l b s t ist naturalistischen Geistes. Gerade die idealistische Philosophie, die ihrerseits nicht nur etwa in den Werken Schillers G e i s t e s g e s c h i c h t e gemacht hat, und in Humboldtschen Schulreformen K u l t u r g e s c h i c h t e , sondern auch in ihrem Wirken auf die Männer der Reformzeit W e l t g e s c h i c h t e , hat allen Anlaß, auf das freudigste anzuerkennen, daß der strenge Gedanke durch Anwendungen „Geist" und „Leben" w e r d e n und damit auch sein kann. Wollte sie die eigentümlichen Existenzweisen des Geistes in Lebensstil, Institution und Intuition leugnen, sie würde sich selbst ihrer Macht über das Leben berauben. Um zu wirken und Wirkung zu haben, muß sie Leben werden. Wo aber geistiges Leben ist, da muß sein gültiger Gehalt ebenso von ihm abhebbar und im Wege der Reflexion zum System zu erheben sein, wie umgekehrt zweifellos die aller Wirklichkeitsbande ledige sittliche Wahrheit wieder zur Norm für das Leben werden kann. Damit fällt ein neues Licht auf die oben analysierten P r i n z i p i e n f r a g e n . Erst jetzt, wo wir die produktive geisteswissenschaftliche Arbeit in Beziehung zu dem produktiven geistigen Schaffen selbst bringen, wird die eigentümliche Mittel- und Mittlerstellung der Geisteswissenschaften nach der theoretischen wie auch nach der praktischen Seite hin ganz erkennbar. M i t t e n z w i s c h e n t h e o r e t i s c h e r R e f l e x i o n und p r o d u k t i v e m S c h a f f e n empfangen sie Impulse von beiden Seiten und geben sie nach beiden Seiten weiter. Was heißt schließlich: Prinzipien der geistigen Welt ? Es sind zugleich Prinzipien des geistigen L e b e n s . Sie dürfen an der Klippe der Anwendung nicht mehr scheitern und haben notwendig p r a k t i s c h - n o r m a t i v e Bezüge. Sind StrukturWie mir N o h l s „Weltanschauungen der M a l e r e i " ( J e n a l 9 0 8 ) u n w i d e r l e g l i c h gezeigt zu haben scheinen.
C
METHODEN,
WELTANSCHAUUNGEN
UND LEBENSKÄMPFE
111
f r a g e n auf d e m Gebiet der D i c h t u n g , der K u n s t , des S t a a t e s je etwas theoretisch entgültig zu Erledigendes ? Geht der oben analysierte Met h o d e n s t r e i t der K u n s t h i s t o r i e wirklich n u r u m die „ a k a d e m i s c h e " F r a g e : worin das w a h r e Wesen der K u n s t „ b e s t e h e " ? I s t „ G e s t a l t " in G u n d o l f s Goethe ein reiner S t r u k t u r b e g r i f f ? Gingen die prinzipiellen Gegensätze der Religionswissenschaft u m das „ W e s e n " der Religion, u m e t w a s in ewigen Gesetzen s t a r r G r ü n d e n d e s ? I n welchen Gegensätzen g r ü n d e t l e t z t l i c h ein M e t h o d e n s t r e i t wie der zwischen K u l t u r g e s c h i c h t e u n d politischer Geschichte ? ' ) Derselbe ging zunächst gewiß n i c h t u m die triviale T a t s a c h e , d a ß E b e r h a r d G o t h e i n sich m e h r f ü r die kulturelle, Dietrich S c h ä f e r m e h r f ü r die politische Seite des geschichtlichen Geschehens s u b j e k t i v interessierte. Nein, der Streit ging d a r u m , welche Seite des geschichtlichen Lebens dieses Interesses in vorwiegendem Maße w e r t sei, als die w e s e n t l i c h e r e Seite desselben. D a m i t scheint die A n t w o r t n o c h i m m e r dem Gebiet der T a t s a c h e n e n t n e h m b a r zu sein. Es w ü r d e sich somit u m den Nachweis eines m e h r oder weniger s t a r k e n kausalen Einflusses staatlicher Ereignisse auf das geschichtliche Gesamtgeschehen h a n d e l n . Aber es bleibt die F r a g e : weshalb sich Gegner in solch einem Streit f a s t nie überzeugen. Dieses gegenseitige Sich-nicht-überzeugenk ö n n e n n a m h a f t e r Gegner, bei dessen B e w e r t u n g im Sinne einer unmißv e r s t ä n d l i c h e n W ü r d i g u n g des Tatsächlichen zu b e a c h t e n ist, d a ß die Meinung v o n D i l e t t a n t e n gänzlich irrelevant ist, ist fast stets ein S y m p t o m f ü r die M i t w i r k u n g eines „ A p r i o r i " . Die N ä h e des Lebens a b e r r a u b t hier auf politischem Gebiet diesem Apriori seine rein theoretische B e d e u t u n g , sie wird r e c h t eigentlich p r a k t i s c h . Theoretisch d r e h t sich der Streit u m ein Prinzipielles, nämlich d a r u m , w e l c h e S e i t e des geschichtlichen Lebens dessen e i g e n t l i c h e n K e r n bilde, die w a h r h a f t w e s e n t l i c h e sei. I n diesem P u n k t e aber differieren keineswegs n u r theoretische R i c h t u n g e n , sondern recht eigentlich p r a k t i s c h e . Der Kulturliberalismus eines letzten Vertreters der Goethezeit s t r i t t m i t einem R e p r ä s e n t a n t e n des Bismarckschen Zeitalters. Die S t r e i t e n d e n differierten in Lebens- u n d S t a a t s i d e a l e n . U n d n i c h t anders liegen die Verhältnisse auf den anderen K u l t u r gebieten. „ G e h a l t oder F o r m " sind die Schlagworte nicht n u r zweier K u n s t t h e o r i e n sondern zweier K u n s t i d e a l e . Letztlich aber — u n d das ist das E n t s c h e i d e n d e — k ä m p f e n diesen R a n g s t r e i t d i e p r o d u k t i v e n K ü n s t l e r u n t e r sich aus. „ D o g m a oder E r l e b n i s " kennzeichnen nicht n u r zwei religionsw i s s e n s c h a f t l i c h e , sondern zwei große r e l i g i ö s e R i c h t u n g e n . Sämtliche geisteswissenschaftliche Methodenstreitigkeiten erhalten d a m i t ein neues Gesicht. D e r W i l l e z u r A n w e n d b a r k e i t i n H a n d ') D . S c h ä f e r , Das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte, 1888; E. Gothein, Die Aufgabe der Kulturgeschichte, 1889.
112
LOGIK UND SYSTEMATIK
DER GEISTESWISSENSCHAFTEN
C
l u n g u n d L e b e n s t e l l t s i e u n t e r e i n n e u e s G e s e t z . Dieser Wille und die Berührung mit dem Handeln ist aber aus ihren methodologischen Standpunkten je so wenig herauszulösen, wie das andere Element ihres Wesens: die theoretische Reflexion. Aus jenem erst wird uns nun aber die L e i d e n s c h a f t l i c h k e i t dieser geisteswissenschaftlichen Methodenkämpfe voll verst&ndlich, denn es sind L e b e n s k ä m p f e , die sich in den Prinzipienwissenschaften widerspiegeln. Und damit erst ist ein letztes Verständnis dieser methodologischen Standpunkte gewonnen. I m K e r n ist an der in ihnen jeweils sich vollziehenden neuen Synthesis stets der produktive W i l l e beteiligt. Willensrichtungen, Wertungen, Forderungen, Postulate der p r o d u k t i v e n Kunst, der produktiven Politik, der produktiven Wirtschaft, der lebendigen Religion und Weltanschauung sind es, die sich in vielfacher Verkleidung hinter scheinbar rein theoretischen und „akademischen" Erörterungen von Problemen des Individualismus, des Lebens, des Gehaltes und der Form, der Spontaneität und der Passivität des Lebens, des Primats der Ideale oder des Übergewichts der Massen und der „unteren Seelenkräfte" verbergen. Erscheinen aber damit nicht notwendig auch die W e l t a n s c h a u u n g e n in einem neuen Lichte? In welcher Beziehung stehen sie zum W i l l e n und zu den K ä m p f e n d e s p r o d u k t i v e n L e b e n s ? Damit kommt unsere analytische Aufgabe zu einem ersten Abschluß. Wir fanden die geisteswissenschaftlichen Methoden gestaltet und getragen von weltanschaulichen Grundtendenzen. Selbst die Gliederung in Teildisziplinen war ihre Funktion. Es sind dieselben Weltanschauungen, welche auch das produktive Leben beherrschen. In Methodik und Aufbau sind die Geisteswissenschaften bis ins einzelnste ihr Werk. Sie sind wie das Leben selber ein Produkt des Widerstreites der ewigen weltanschaulichen Gegensätze. Ihr Gliedbau ist gewissermaßen zwischen diesen aufgespannt. Seine Bewegung ist der Ausdruck ihres Widerstreits. Es liegt auf der Hand, weshalb dies mehrdimensionale Gebilde n i e m a l s a u s e i n e m S y s t e m a b g e l e i t e t werden konnte. Die Geisteswissenschaften haben wohl eine systematische Struktur, welche bis ins letzte klar gemacht werden kann, aber sie stehen in keinem S y s t e m , weil sie in sich so widerspruchsvoll sind, w i e daB L e b e n s e l b e r , dem sie dienen. Man kann ihnen aus einer bestimmten Weltanschauung heraus wohl ein P r o g r a m m geben, und in der Auseinandersetzung mit diesem Programm vollzieht sich ja — soweit diese Programme fruchtbar sind — ihre Bewegung. Aber Struktur und Bewegung der Geisteswissenschaften aus e i n e m derselben zu begreifen, ist hoffnungslos. Diese produktive Bewegung hat aber nicht nur einen M e c h a n i s m u s , sondern auch einen S i n n und der Schlfissel zu demselben steckt in dem Begriffe des P r o d u k t i v e n .
C
METHODEN,
WELTANSCHAUUNGEN
UND LEBENSKAMPFE
113
Dieser Begriff u n d seine Verbindung mit dem Begriff des L e b e n s ist es, der uns n u n m e h r vor eine zweite s y n t h e t i s c h e Aufgabe stellt. Die Reduktion der geisteswissenschaftlichen Methodik auf Weltanschauungen u n d der Aufweis ihrer Verflechtung mit dem Leben stellt uns an sich vor ein Factum brutum. Die neue Frage l a u t e t : gesetzt den Fall, der Sinn der geisteswissenschaftlichen Arbeit wurzle wirklich in Lebenskämpfen. Muß sich da nicht die Frage nach einer „ L o g i k " d e r G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n verschieben in die neue, o b n i c h t a u c h Lebenskämpfe einer Logik folgten? io Die Philosophie h a t diese Frage selten genug zu beantworten gesucht. Aber auch, wo sie es t a t , h a t keine ihrer Antworten die tiefsinnige Lösung unseres Problems übertroffen, welche die d e u t s c h e historische S c h u l e geschaffen h a t . I h r wendet sich unsere Darstellung im synthetischen Teile zun&chst zu.
Handb.