Licht: Meine Erkenntnisse 9783035622942, 9783035622935

Geballtes Know-how zur Lichtplanung Das Spektrum für optimierte Lichtkonzepte ist nahezu grenzenlos: Reise, Freizeit,

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German Pages 464 Year 2021

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Table of contents :
Geleitwort
Vorwort
Danksagung
Inhalt
Einleitung
Kapitel 1 Allgemeine theoretische Grundlagen
Einleitung
1.1 Der Zusammenhang zwischen Leuchtdichte, Beleuchtungsstärke, Materialeigenschaften und der ökologischen Optik
1.2 Das Gesichtsfeld
1.3 Das Infeld und das Umfeld
1.4 Licht- und Raummilieu: Das Theoretische Leuchtdichtemodell
1.5 Einfluss von Farben und Texturen der raumbegrenzenden Flächen auf die visuelle Leistung und Herzratenvariabilität
1.6 Der Einfluss des Adaptations- und Aufmerksamkeitsvorgangs auf die visuelle Leistung
1.7 Die Bedeutung der Aufmerksamkeitsvorgänge für das Erkennen
1.8 Wirkung und Einfluss von Aufmerksamkeitsund Adaptationsvorgängen auf die visuelle Leistung
1.9 Die Bedeutung der Pupillenweite für die visuelle Leistung
Kapitel 2 Licht und Gesundheit
2.1 Prolog
2.2 Das visuelle System
2.3 Herzratenvariabilität – HRV
2.4 Das nichtvisuelle System
2.5 Serotonin
2.6 Darstellung von realen Tageslichtsituationen
2.7 Lichttherapie
2.8 Melatonin
2.9 Lichtwirkung und Melatoninproduktion
2.10 Ermittlung von melatoninerhaltenden Spektren
2.11 Anwendungsmöglichkeiten
Kapitel 3 Der visuelle Raum
3.1 Allgemeines
3.2 Physiologische Voraussetzung eines optimierten Sehablaufs im visuellen Raum
3.3 Komponenten der ökologischen Optik im visuellen Raum
3.4 Information – Wahrnehmung – Bewusstsein – Gedächtnis
3.5 Visuelle Organisation des Arbeitsplatzes
3.6 Umfeldbereich des visuellen Raumes – begrenzende, reflektierende, transparente Oberflächen
3.7 Systeme und Systemkomponenten
3.8 Wandflächen mit gerichteter Strahlung – Strahlungslenkung zur Erzeugung hoher vertikaler Beleuchtungsstärken
Kapitel 4 Tageslicht
4.1 Allgemeines
4.2 Kriterien eines tagesbelichteten Raums
4.3 Seitenbelichtete Räume
4.4 Vergleich und Bedeutung von Tageslichtsystemen – Seitenlicht
4.5 Emotionale und subjektive Einflüsse von Tageslicht – Wirkung auf Stimmung und Wohlbefinden
4.6 Oberlichtsysteme
4.7 Tageslichtwirkung auf das visuelle und das nichtvisuelle System
Kapitel 5 Kunstlicht
5.1 Prolog
5.2 Licht und Raummilieu
5.3 Identität eines Verwaltungsgebäudes durch Licht
5.4 Tageslicht oder Kunstlicht
5.5 Beleuchtungskonzepte für Innenräume
5.6 Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Beleuchtungen
Über den Autor
Projektnachweis
Abbildungsnachweis
Literaturverzeichnis
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Licht: Meine Erkenntnisse
 9783035622942, 9783035622935

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LICHT

LICHT CHRISTIAN BARTENBACH

Meine Erkenntnisse

Birkhäuser Basel

Für meine Frau Lisbeth

Geleitwort Was ist Licht für den Verbraucher?

Prof. Bartenbach bemüht sich, sehr komplexe Themenbereiche aus unter­ schiedlichen Wissenschaftsdisziplinen für unseren Alltag praktisch nutzbar zu machen. Wer wird infrage stellen, dass Licht für unser tägliches Leben unverzichtbar ist, wenn auch wir uns darüber selten besondere Gedanken machen? Wer weiß schon, dass wir im Inneren unserer Häuser auch am Tag nur etwa 3 % der Lichtdichte haben, die vor dem Haus ist? Wir merken es ja nicht. Alle Objekte scheinen ja genauso deutlich sichtbar und prak­ tisch gleich gefärbt zu sein, wenn wir sie von draußen nach innen tragen. So scheint es uns, als könnten wir all die komplexen technischen Fragen über Leuchtdichte, Infeld, neue Helligkeit usw. ruhig den Technikern und Architekten überlassen. Und worin soll der Vorteil von Tageslicht gegen­ über dem Kunstlicht liegen, wenn die Lampe nur hell genug zum Lesen ist? Bartenbach schlägt wieder einmal geradezu revolutionierende Ände­ rungen vor: Wir sollten – allenfalls mit ausgefuchsten Techniken – möglichst Tageslicht mit dem zugehörigen zirkadianen Rhythmus zur Beleuchtung unserer Innenräume verwenden. Ab den Abendstunden wäre es nötig, ein Kunstlicht zu verwenden, durch das das Melatonin erhalten bleibt. Und überhaupt: Licht sollen wir erst sehen können, wenn es reflektiert worden ist. Daher sollen die Lichtquellen möglichst von oben einstrahlen und un­ scheinbar klein bleiben. Und warum braucht es diese Energie verschwen­ denden riesigen Fenster – insbesondere an Arbeitsplätzen? Wir müssen sie ja dann doch aufwendig bei Sonneneinstrahlung verschatten. Bartenbach stellt die Person ins Zentrum seiner Überlegungen: Ihm liegt daher die „neue Helligkeit“ so sehr am Herzen. Dazu muss er sich – ge­ lernter Techniker – auf zahlreiche Wissensgebiete einlassen, für die er sich Wissen und Erfahrungen angeeignet hat, aber keine klassische Ausbildung absolviert hat. Damit geht es ihm so wie jedem von uns, der sich um ein umfassendes Verständnis von Zusammenhängen bemüht. Dann muss man den eigenen hochspezialisierten Fachbereich verlassen und sich um die „Anschlussbereiche“ bemühen. Dies hat Bartenbach in vorbildlicher Weise geschafft: Durch Literaturstudium und dadurch, dass er sich einschlägige Experten geholt hat. Dabei hat er gelernt, die sehr komplexe Problematik auf die für seine Fragestellung relevanten Aspekte zu reduzieren. Das wird den Experten möglicherweise im einen oder anderen Zusammenhang als zu stark vereinfachend vorkommen. Doch entscheidend ist für den Leser, dass der Zusammenhang zur „neuen Helligkeit“ deutlich wird. Und das ist Bartenbach meines Erachtens voll gelungen. Bei der Darstellung der interdisziplinären Bezüge soll sogar die persönliche Sicht des Autors zum Ausdruck kommen: Es geht ja um seine Botschaft an uns. Daher ist auch seine Art zu formulieren ein authentischer Teil der Botschaft: Ein Werk wie dieses ist eben kein Roman eines professionellen Schriftstellers. Ich möchte nur auf einige Aspekte aus der Sicht von Gesundheit und Wohl­ befinden eingehen. Wie kann man sich, ohne auf die detaillierten Erkennt­ nisse der Hormonforschung etc. einzugehen, verständlich machen, warum viele dieser Argumente uns nicht nachvollziehbar scheinen: Wir haben zwar Augen im Kopf und sind gewohnt, kritisch zu überlegen. Doch viele der angesprochenen und wissenschaftlich als wirkungsvoll erkannten Pro­ zesse erleben wir nicht bewusst. 7

Sie wissen ja von sich selbst, dass jeder Mensch über die Befähigung ­verfügt, seine Muskeln für die unterschiedlichsten Arten von Bewegungen zu nutzen, z. B. um einen Brief zu schreiben, einen Geigenbogen benützen zu können, Holz zu hacken oder einfach vor Freude oder Angst zu laufen. Voraussetzung dafür ist, dass man über die nötige Energie und geübte Muskeln verfügt. Doch das allein reicht nicht. Man muss auch wissen, wie man die Muskeln angemessen bewegt. Dazu reicht es nicht zu wissen, ob man über genug Energie verfügt. Es ist wie beim Auto: Wenn man weiß, dass das Auto 10 Liter Benzin für 100 Kilometer braucht, dann weiß man auch, dass die 20 Liter im Tank für 200 Kilometer reichen werden. Aber das ­Benzin bestimmt nicht, wohin die Reise geht. Es braucht also noch eine weitere Befähigung, nennen wir sie Organisationsvermögen. Damit kann man zum einen die Richtung bestimmen, aber auch den Buch­ staben eine bestimmte Bedeutung zuordnen. Erst dadurch bekommen Farbflecken auf dem Brief eine Bedeutung, die man dem Empfänger so vermitteln kann. Lesen kann man den Brief aber nur, wenn man Konsens über die Sprache hat und nicht zu müde zum Lesen ist. So ist nicht nur die verfügbare physische Kraft, sondern auch das Organisationsvermögen be­ grenzt. So weit wird jeder dies akzeptieren. Doch diese Möglichkeiten zur bedeu­ tungsorientierten Wirksamkeit muss man auch jeder einzelnen Zelle im und außerhalb des Körpers unterstellen. So gibt es Bakterien, die andere Bak­ terien „wie ein Rudel Wölfe jagen können“ (Myxococcus xanthus). Diese Bakterien müssen dann ihre Befähigungen aufteilen: für die Organisation in ihrem Inneren und für die Abstimmung des gemeinsamen Jagens. Ähn­ liches ist auch für die Zellen unseres Körpers zu unterstellen. Letztlich müs­ sen immer die Zellen aktiviert werden, damit der Geigenbogen oder die Füllfeder richtig geführt wird. Die Anforderung, die eine Person an ihren Körper stellt, muss also mit den Anforderungen abgestimmt werden, die der gesamte Organismus, seine Organe, Gewebe und Zellen für ihren Eigenbedarf haben. Ist dies nicht gewährleistet, muss man damit rech­ nen, dass die angestrebte Leistung nicht oder nicht in der entsprechenden Qualität erbracht wird. Diese Leistung hängt also stark davon ab, wie erfolgreich die Anforderungen der biologischen Niveaus abgedeckt wer­ den können. Dabei geht es nicht nur darum, dass genügend Energie zu Verfügung steht, sondern auch darum, ob der Bedarf an Organisationsver­ mögen abgedeckt werden kann. Beide stehen ja nur in einem begrenzten Umfang zur Verfügung. Welche Folgen Belastungen auf zellulärem Niveau durch Strahlen auf die Sterblichkeit bei Überlebenden der Atombomben­ abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zusätzlich zu ihren spezifischen Wir­ kungen auf die Entstehung von Krebserkrankungen haben, konnte ich an den vormals unerwarteten Abweichungen der Sterblichkeit nach­weisen. Der durch die Strahlenbelastung bedingte Mehrbedarf an Organisations­ vermögen auf zellulärer Ebene machte die Zunahme an Sterblichkeit infolge nunmehr ­ungenügender Organisation anderer Prozesse einsich­ tig: Ein Mangel an Organisationsvermögen führt eben zu ungenaueren Adaptations­vorgängen. Diese führen – bei entsprechender Vorschädigung oder z. B. altersbe­ dingtem Mehrbedarf – zu massiveren Symptomen und allenfalls auch zum Tod. Diese Abhängigkeiten entziehen sich oft unserem persönlichen Erleben: dies oft deshalb, weil unser Körper im Zuge des evolutionären Prozesses und zum Beispiel durch regelmäßiges Üben diese Prozesse automatisch vornimmt und automatisierte Prozesse oft nicht erlebt werden. So scheint es berechtigt, davon auszugehen, dass die zirkadianen qualitativen und 8

quantitativen Veränderungen des Tageslichts im Zuge des evolutionären Prozesses zum Menschen „verinnerlicht“ wurden. Sollte dies zutreffen, dann ist davon auszugehen, dass diese Veränderungen automatisiert wor­ den sind. Erst seit knapp 200 Jahren ist der Mensch in der Lage, durch künstliches Licht „die Nacht zum Tag zu machen“. Kaum zu erwarten, dass dadurch die Hunderttausende Jahre währenden Vorerfahrungen verloren gegangen sind. Die Untersuchungen von Bartenbach machen es vielmehr wahrscheinlich, dass wir nur nicht merken, dass wir die Abweichungen, die der Aufenthalt in den Innenräumen (mit nur rund 3 % der Ausleuchtung im Vergleich zur natürlichen Situation) generiert, durch eine vermehrte (und damit eigentlich unnötige) Bindung von Organisationsvermögen ausglei­ chen müssen. Eindrucksvoll ist auch das Foto, das der Astronaut von unserem Blauen Planeten gemacht hat: Die hell erleuchtete Erde mit ihren Kontinenten und Meeren vor einem völlig schwarzen Hintergrund – doch das Dosimeter des Astronauten weist 100.000 Lux aus. Er kann also das Licht, das sich neben ihm Richtung Erde bewegt, nicht sehen und auch nicht das Licht, das neben der Erde in den Weltraum strahlt. Doch wenn der Astronaut sich umdreht und den Sternenhimmel betrach­ tet, erlebt er einen eindrucksvollen Sternenhimmel. Kann man Licht also doch sehen? Dazu möchte ich Ihnen einige Gedanken zu „Licht“, „Be­ obachten“ und „Sehen“ mitgeben. Die Sinneszellen unserer Augen kann man auch – unabhängig von ihrer Nutzung im menschlichen Auge – als chemo-elektrische Messgeräte verstehen. Sie interagieren mit den eintref­ fenden elektromagnetischen Feldern wie das Dosimeter. Beide sind auf diesem evolutionären Niveau betrachtet „Beobachter“. Allerdings nicht vergleichbar mit menschlichen Beobachtern. Der menschliche Beobach­ ter nutzt nur bestimmte Frequenzen, wie sie in typischer Weise von den für den Menschen bedeutsamen Wellenlängen und Konfigurationen von den Oberflächen unserer Umweltobjekte reflektiert werden. Dieses für uns bedeutsame „sekundäre“, also reflektierte Licht hilft uns, uns in unserer Umwelt zu orientieren. Es macht Sinn, für diese informationsbezogene Art des Beobachtens einen eigenen Begriff zu verwenden, nämlich „Sehen“. Andere Lebewesen sehen andere Frequenzen, etwa Hunde oder Schmet­ terlinge. Oder gar der Nilhecht: Er sendet elektromagnetische Wellen im trüben Wasser des Nils aus. Diese werden von Objekten im Wasser reflek­ tiert und ändern dadurch in charakteristischer Weise ihre Frequenz. Der Nilhecht empfängt diese Signale und schließt aus den Frequenzverände­ rungen, ob es sich um ein belebtes, fressbares Objekt oder nicht handelt. Dieses Beispiel zeigt, wie wesentlich die Veränderung der Frequenzen des primären Lichtes durch die Reflexion an den Objekten unserer Umwelt ist. Erst durch die Umformung in „sekundäres Licht“ kommt es zu der für uns Menschen bedeutsamen Information. Dass die Meldung vom Ansprechen der chemo-elektrischen Sinneszellen als optische Wahrnehmung erlebt wird, belegt nur einmal mehr das sogenannte „Müller’sche Gesetz“: Wie immer eine spezifische Sinneszelle gereizt wird, sie führt zu der sinnesspe­ zifischen Meldung an das Gehirn. Raucher haben dies vielleicht schon er­ fahren: Menthol-Zigarettenrauch fühlt sich kühl an, Menthol reizt die dafür spezifischen Sinneszellen. Die umfangreichen Studien, die Bartenbach – übrigens auch Mitglieder der Internationalen Akademie der Wissenschaften (Health & Ecology) – ge­ rade für die Zusammenhänge zwischen physikalisch-technischen Aspekten einerseits und Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit andererseits gemacht hat, rechtfertigen nicht nur das Studium dieses bedeutsamen Buches. Sie geben auch Hoffnung, die daraus erwachsenden Schlussfolgerungen zur 9

Steigerung von Wohlbefinden und Gesundheit, möglicherweise auch zur Prävention von ausgewählten Krankheiten nutzen zu können. Wir wären auch nicht überrascht, wenn seine Überlegungen zur baulichen Neuaus­ richtung einen Beitrag zur Senkung des Energieverbrauchs und damit zur Nachhaltigkeit leisten werden. Walter Kofler

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Vorwort

Mein Buch Licht. Meine Erkenntnisse befasst sich mit den komplexen Wir­ kungen des Lichts auf den Menschen. Wir beschränken uns dabei nicht nur auf gutes Sehen, sondern es geht ebenso um das Erkennen, was eine bedeutende Voraussetzung für die Bewusstseinsbildung ist. Wesentliche Grundlage dafür ist das „visuelle System“ als Sinneswahrnehmung, da wir Menschen ca. 80 % unserer Informationen – die wesentlich zu unserem Verhalten und Handeln beitragen – über den Sehapparat erhalten. Wir sind durch und durch Augentiere und leben in einer Welt, die weitge­ hend auf das Sehen ausgerichtet ist, sagt der Neurologe und Nobelpreis­ träger Prof. Eric Kandel in seinem Buch Das Zeitalter der Erkenntnis. Licht ist ein Medium der Informationsvermittlung, und es bestimmt dadurch auch unsere geistigen Vorgänge. Die Lichttechnik erweitert laufend ihren Wissensbereich und ihre technische Ausrichtung um die Erkenntnisse der physiologischen, psychologischen, neurologischen und visuellen Wahrnehmungsvorgänge. Sie muss dabei auch immer stärker die weitreichende Bedeutung und Vielfältigkeit des Lichtes, die Visualität mit ihrer Wirkung auf den Menschen, den Einfluss auf die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Präsenz des Tageslichtes mit seinem Rhythmus erkennen und in ihre Prozesse einbeziehen. Diese Erkenntnisse nehmen Einfluss auf die Architektur und Gestaltung. Gerade deshalb bedarf es der sich daraus ergebenden Forderungen an die Räumlichkeit und die Fassadenstruktur unter Einbeziehen der Tages­ lichtgestaltung. Diese geht über die allgemeine Lichttechnik hinaus und vernetzt sie visuell mit der Raumgestaltung. Der Begriff der Lichtgestaltung umfasst das visuelle Verhalten in Räumen und das Einbeziehen funktionel­ ler und visueller Vorgänge in Verbindung mit der Gestaltung. Darauf ist der Inhalt dieses Buches aufgebaut, und meine begleitenden Überlegun­ gen dazu beziehen sich hauptsächlich auf meinen Tätigkeitsbereich. Der lichttechnische Wissensstand und die häufig angewandten Vorgangs­ weisen jedoch reichen nicht aus, um die komplexe Wirkung des Mediums Licht zu erfassen. Viele meiner Gedanken und daraus resultierende Er­ kenntnisse entstanden während der Umsetzung von Konzepten und Pla­ nungsabläufen in meiner 60-jährigen Tätigkeit im Licht ebenso wie durch Diskussionen mit BauherrInnen, ArchitektInnen, Wahrnehmungspsycholo­ gInnen und StudentInnen während meiner Lehrtätigkeiten. Mein Interesse am Licht entstand in einer Zeit (ca. 1955), in der man in Europa begann, Licht gezielt als Medium zu nutzen und um Aufmerksam­ keit zu erzielen. Meine ursprüngliche Ausbildung fand in der Elektrotechnik statt. Dort hatte ich das große Glück, dass mir Prof. Watzlawek bereits im Studium die erweiterte Sicht der Lichtanwendung vermittelte und über das fotografische Verständnis die Bedeutung von Erscheinungsbildern deutlich machen konnte. Durch meinen späteren Zugang zum Institut für Psycho­ logie an der Universität Innsbruck (Prof. Ivo Kohler und Dr. Anton Hajós) wurde mir bewusst, dass das Verständnis über die visuelle Wahrnehmung Grundlage für die Tätigkeit in der Lichttechnik ist. Meine Aufmerksamkeit galt bis dahin wie bei vielen Lichttechnikern aus­schließlich technischen und physikalischen Gesichtspunkten. Lux-Werte bil­deten den wesentlichen Bewertungsmaßstab, und das Messen und 11

Berech­nen von Lichtanlagen hatte Vorrang. Die bloße Verteilung des Lichts und der höchste Wirkungsgrad – darum ging es. Doch eine derartige Per­ spektive führt schnell zu Stagnation. Die Frage nach dem Warum des Ganzen führt über die Analyse der Sehvorgänge (notwendigerweise unter Einbeziehen physiologischer Tat­ sachen und Prozesse wie Sehschärfe, Unterschiedsempfindlichkeit, Adap­ tationsvorgänge etc.) zum menschlichen Auge. Und da die visuellen Reize, die das Auge empfängt, vom Gehirn verarbeitet werden, begann ich zu begreifen, dass visuelle Erscheinungen erst durch geistige Vorgänge ent­ stehen. So ist es bei der Gestaltung visueller Erscheinungsbilder notwendig, den erheblichen Anteil der Entwurfsarbeit der ArchitektInnen zu verstehen. Mit anderen Worten: Je genauer die Kenntnis über die visuelle Wahrneh­ mung ist, desto präziser und objektiver ist die Umsetzung der Vision eines Erscheinungsbildes in die Realität. Das Erscheinungsbild eines Raumes, dem Nutzungsanforderungen und ästhetische Überlegungen zugrunde liegen, ist der Ausgangspunkt der konzeptionellen und planerischen Arbeit. Dieses geplante Erscheinungs­ bild analysierte ich mit ArchitektInnen und BauherrInnen und entwickelte ein erstes Konzept. Die Abstraktion der visuellen Komponenten wurde in Modellen im Künstlichen Himmel simuliert, demonstriert und allen an der Planung Beteiligten bewusst gemacht, sodass wir gemeinsam zu einer Vor­ stellung und Entscheidung gelangen konnten. Meine Kenntnisse der visuellen Verhaltensmuster beruhen auf persönlichen Erfahrungen in Situationen, die eventuell vergleichbar sind mit jenen, wel­ che spätere NutzerInnen und auch ArchitektInnen gelöst haben wollen. Dabei geht es selbstverständlich auch um ergonomische Anforderungen unter Berücksichtigung der DIN-Normen und anderer technischer Regel­ werke wie Physik, Mathematik, Lichttechnik etc., aber ganz entschieden immer auch um wahrnehmungspsychologische Aspekte. Dazu musste die Akzeptanz bestimmter Lösungen immer wieder aufs Neue in Langzeit­ studien getestet werden. Diese notwendigen Versuche waren Teil meiner systematischen Forschung auf Grundlage optischer und wahrnehmungs­ psychologischer Tatsachen und Prozesse. Sobald die visuellen Erscheinungsbilder bestimmt sind, lassen sich die optischen Komponenten über den Zusammenhang von Leuchtdichte, Materialstruktur und Beleuchtungsstärke objektivieren und technisch in Leuchten oder ganzen Lichtsystemen umsetzen. Meine empfohlenen Licht­ lösungen lassen sich zwar mit konkreten technischen Angaben ausdrücken, stützen sich aber im Wesentlichen auf die Vorstellung visueller Erschei­ nungsbilder, die ich erreichen möchte. Wichtig waren auch meine Studien über die neuronale Verarbeitung der Sehvorgänge bzw. des Informations­ angebotes im Gehirn. Die durch das Sehen beeinflussten Erkenntnisse, die mit den Aufmerksam­ keitsvorgängen verbundene Bewusstseinsbildung, ihre Kodierung und die begleitenden elaborierten Einflüsse, das Speichern im Gedächtnis und dessen Abruf und dazu die Bedeutung des Unbewussten auf unser visu­ elles Verhalten: Diese Wissenserweiterung führte zu einem wesentlichen Zuwachs der an diesen Vorgängen beteiligten visuellen Komponenten und an deren Zuordnung und Bewertung. Daraus entstehen auch Forderun­ gen hinsichtlich der Veränderungen und Gestaltung des Licht- und Raum­ milieus. Es hat ebenso großen Einfluss auf die Art der Tages- und Kunst­ lichtbeleuchtung und ihre Systemarten. 12

Das Entdecken des lichtabsorbierenden Pigmentes „Melanopsin“ (eine Voraussetzung für das nichtvisuelle System) und die Art des Einbeziehens der Visualität in die Licht- und Raumgestaltung erforderte mehr Wissen über das Wesen des Lichtes. Diese Erkenntnis ist nicht neu, und schon der Theologe, Wissenschaftler und Philosoph Pierre Teilhard de Chardin schreibt in seinem Standardwerk Der Mensch im Kosmos wörtlich: „Sehen. Man könnte sagen, das ganze Leben sei darin beschlossen – wenn nicht in seinem Ziel, so doch in seinem Wesen. Deshalb entspricht die Geschichte der lebenden Wesen zweifellos der Ausgestaltung immer voll­ kommenerer Augen inmitten eines Kosmos, in dem die Möglichkeit eines sich immer schärfer ausbildenden Unterscheidungsvermögens besteht.“ Pierre Teilhard de Chardins Ansicht begann meine Arbeit zu bestätigen. Sie führte zu einer Umkehr des üblichen Vorgehens: nicht von der Leuchte zum Erscheinungsbild, sondern vom Erscheinungsbild über die visuelle Wahrnehmung zum Lichtkonzept und dann erst über Physik und Lichttech­ nik zur Leuchte oder zu ganzen Lichtsystemen. Es wurde mir ebenso die Bedeutung des zirkadianen Rhythmus – unsere innere Uhr und deren wichtigster Zeitgeber, das Tageslicht, mit seiner Hel­ ligkeit und seinen begleitenden Rhythmen – bewusst. Diese Erkenntnisse führten zu der Überlegung, wie es meiner Auffassung nach weitergeht. So wurden meine Gedankengänge und Folgerungen das Thema dieses Buches. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die damit verbundenen Visio­ nen und Gedankengänge hypothetisch sind und damit der Zielsetzung des Buchinhaltes entsprechen: Licht. Meine Erkenntnisse. Christian Bartenbach

13

Danksagung

Die Voraussetzung für das Entstehen dieses Buches war die langjährige, internationale Tätigkeit (65 Jahre) des Bartenbach LichtLabor als Familien­ betrieb. Die dominante Tätigkeit erforderte Planung und Realisierung von Lichtprojekten mit den verschiedensten visuellen Ansprüchen, deren Um­ setzung mit Forschungs- und Entwicklungsvorgängen hinsichtlich visueller Wahrnehmung und der Tages- und Kunstlichtsysteme. Dieser dabei ent­ standene Wissensbereich durch solche Tätigkeitsabläufe ist eine der Wis­ sensgrundlagen des Bartenbach LichtLabor bzw. der Bartenbach GmbH. Ich bedanke mich daher bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die an diesen Vorgängen tätig waren. Vielen Dank im Speziellen an die jetzigen Gesellschafter der Bartenbach GmbH Peter, Christian und Verena Bartenbach, die durch ihre Nachfolge das Weiterbestehen dieser Firmenstruktur ermöglicht haben, und Christian Bartenbach jun., der die jetzige Geschäftsführung verantwortet. An Verena meinen Dank, die sich im organisatorischen Ablauf engagierte, im Besonderen bei der Bearbeitung der generellen Verständlichkeit des Buchinhaltes und im Speziellen bei der Darstellung der Diagramme, die in Zusammenarbeit mit Frau Christiane Kurz (Design) in dieser vorbildlichen Form entstanden sind. Auch dafür an Frau Kurz meinen Dank. An Peter meinen Dank für die vielen Fotomotive, die in gekonnter Ergän­ zung mit den Textierungen der Themeninhalte deren Verständlichkeit visuell wesentlich unterstützen. Darüber hinaus vermitteln seine Bilder anschaulich die Resultate und komplexen Möglichkeiten der Erscheinungsbilder des Licht-Raum-Milieus. Danke meinem Enkel Felix für die Unterstützung in verschiedenen techni­ schen Bereichen und der Organisation. In diesem Zusammenhang vielen Dank auch an Judith Groß für ihre Unter­ stützung. Carla Cech hat durch ihre Begleitung und Ausdauer über die gesamte Dauer des Projektes zum Gelingen des Vorhabens wesentlich bei­ getragen – vielen Dank dafür. Im Besonderen gilt mein Dank Prof. Martin Klingler, der mich jahrzehnte­ lang bei meinen Projekttätigkeiten im Bartenbach LichtLabor begleitet und mich bei diesem Buch maßgeblich unterstützt hat. Vor allem hat er die Ent­ wicklungsphasen, die das Tageslicht betrafen, ergänzt und einige wichtige Beiträge geliefert. Vielen Dank auch für die organisatorische Tätigkeit. Wertvoll für mich sind auch die Gespräche mit Prof. Dr. Walter Kofler, seine umfassenden Erfahrungen und stetigen Anregungen, Inhalte des Bu­ ches geeignet darzustellen. Vielen Dank auch für das Geleitwort. Prof. Christian Berger hat durch die vielen Diskussionen und die Stellung­ nahme zum Inhalt dieses Buches viel beigetragen. Durch unsere langjäh­ rige Bekanntschaft und Zusammenarbeit war es hilfreich, auf die visuellen Wirkungen von sinngemäßen Erscheinungsbildern hinzuweisen. Vielen Dank, Christian! 15

Die Diskussionen mit Herrn Robert Gratzel, mit seinem großen Erfahrungs­ hintergrund in Planung und Realisierung, waren interessant und hilfreich – danke! Mein besonderer Dank gilt auch dem Birkhäuser Verlag, namentlich Herrn David Marold und Frau Katharina Holas, sowie Herrn Ekke Wolf. Die Zu­ sammenarbeit war geprägt von sehr professioneller und klarer Organisa­ tion und vielen hilfreichen Anregungen und Beiträgen für die Gestaltung, Darstellung und Umsetzung des Buches. März 2021

16

Inhalt

Geleitwort  7 Vorwort  11 Danksagung  15 Einleitung  23

Kapitel 1 Allgemeine theoretische Grundlagen 1.1

Der Zusammenhang zwischen Leuchtdichte, ­Beleuchtungsstärke, Materialeigenschaften und der ­ökologischen Optik  30

1.2

Das Gesichtsfeld  42 1.2.1 Allgemeines  42 1.2.2 Das Gesichtsfeld – das Blickfeld  43 1.2.3 Der Aufbau des Auges  44 1.2.4 Definition und Einstufung der Netzhaut, des Gesichts­ feldes, des Blickfeldes und des Sehfeldes  47 1.2.5 Ausblick  48 1.2.6 Selektive Aufmerksamkeit – Gesichtsfeld – ­Verarbeitung  49 1.2.7 Vertiefung des Gesichtsfeldes  51

1.3

Das Infeld und das Umfeld  53 1.3.1 Die visuelle Leistung in Abhängigkeit der ­Infeldleuchtdichte  56 1.3.2 Mehrere Infelder im Gesichtsfeld  59

1.4

Licht- und Raummilieu: Das Theoretische ­Leuchtdichtemodell  71 1.4.1 Das Theoretische Leuchtdichtemodell  74 1.4.2 Anwendungsbeispiel des Theoretischen Leuchtdichte­ modells  77 1.4.3 Die Bedeutung der stabilen Wahrnehmung für die ­Lichtgestaltung  81 1.4.4 Darstellung des Licht- und Raummilieus durch ­Modellsimulationen im Künstlichen Himmel  85

1.5

Einfluss von Farben und Texturen der ­raumbegrenzenden ­Flächen auf die visuelle Leistung und Herzratenvariabilität  87 1.5.1 Allgemeines  87 1.5.2 Ergebnisse der visuellen Leistung  89 1.5.3 Herzratenvariabilität (HRV)  97 1.5.4 Ergebnisse der Herzratenvariabilität   99 1.5.5 Zusammenfassung der Ergebnisse der Herzraten­ variabilität  101

1.6

Der Einfluss des Adaptations- und ­Aufmerksamkeitsvorgangs auf die visuelle Leistung  104

1.7

Die Bedeutung der Aufmerksamkeitsvorgänge für das ­Erkennen  106 1.7.1 Allgemeines  106 1.7.2 Visuelle Wahrnehmung des Gehirns bei visueller Suche  107 1.7.3 Der Begriff der Aufmerksamkeit und ihr Zusammenhang mit der visuellen Leistungsfähigkeit  110

1.8

Wirkung und Einfluss von Aufmerksamkeitsund ­Adaptationsvorgängen auf die visuelle Leistung  113 1.8.1 Auswirkung unterschiedlicher Kunstlichtsysteme auf die ­visuelle Leistung  113 1.8.2 Veränderungen der visuellen Leistung durch die Struktur oder der Einfluss von Farben der Raum­ oberflächen  115

1.9

Die Bedeutung der Pupillenweite für die ­visuelle ­Leistung  115

Kapitel 2 Licht und Gesundheit 2.1

Prolog  125

2.2

Das visuelle System  127

2.3

Herzratenvariabilität – HRV  145

2.4

Das nichtvisuelle System  146 2.4.1 Wie viel Licht braucht der Mensch …  150 2.4.2 Tageslicht- und Kunstlichtwirkung auf das visuelle und das nichtvisuelle System  157 2.4.3 Forschungsstudie „Einfluss von Tageslicht und Kunstlicht auf Bildschirmarbeitsplätze“ – der Sonnenraum  160 2.4.4 Die „neue Helligkeit“  166

2.5

Serotonin  168

2.6

Darstellung von realen Tageslichtsituationen  170

2.7

Lichttherapie  171

2.8 Melatonin  180 2.9

Lichtwirkung und Melatoninproduktion

2.10

Ermittlung von melatoninerhaltenden Spektren  185

2.11

Anwendungsmöglichkeiten  186

  181

Kapitel 3 Der visuelle Raum 3.1

Allgemeines  191

3.2

Physiologische Voraussetzung eines optimierten ­Sehablaufs im visuellen Raum  194

3.3

Komponenten der ökologischen Optik im visuellen Raum  197

3.4

Information – Wahrnehmung – Bewusstsein – ­Gedächtnis  200

3.5

Visuelle Organisation des Arbeitsplatzes   202 3.5.1 Der Bildschirmarbeitsplatz  202 3.5.2 Reflektierende Belege am Arbeitsplatz  205 3.5.3 Mehrere Arbeitsplätze im visuellen Raum  206 3.5.4 Die Bedeutung der Infeldleuchtdichte im globalen ­Umfeld  207 3.5.5 Darstellung der visuellen Komponenten zur Optimierung von Arbeitsplätzen  210 3.5.6 Die Bedeutung der gerichteten Aufmerksamkeit beim ­Sehvorgang  211 3.5.7 Bewegung im visuellen Raum – aktive visuelle Wahr­ nehmung – Blickfelderweiterung  213 3.5.8 Anwendung der Erkenntnisse am Beispiel eines ­Konferenzraums  214

3.6

Umfeldbereich des visuellen Raumes – begrenzende, ­reflektierende, transparente Oberflächen  221 3.6.1 Reflektierende Raumoberflächen   222 3.6.2 Diffus reflektierende Raumoberflächen  224 3.6.3 Der Raum als Reflektor für unterschiedliche Raum­ geometrien und Reflexionsarten  225 3.6.4 Gerichtet reflektierende Raumoberflächen  233

3.7

Systeme und Systemkomponenten  241 3.7.1 Leuchtende Deckenflächen direkt strahlend – ­Strahlungsart 2 (gerichtet) und Strahlungsart 1 ­(diffus)  241

3.8

Wandflächen mit gerichteter Strahlung – ­Strahlungslenkung zur Erzeugung hoher vertikaler ­Beleuchtungsstärken  249 3.8.1 Gesichtserkennung  249 3.8.2 Gerichtet reflektierende Wände  253 3.8.3 Leuchtende bzw. gerichtet strahlende Teil­ flächen an den Wänden und Möglichkeiten ihrer ­Umsetzung  255

Kapitel 4 Tageslicht 4.1

Allgemeines  263

4.2

Kriterien eines tagesbelichteten Raums  268 4.2.1 Tageslichtmenge  268 4.2.2 Tageslichtverlauf  269 4.2.3 Optische Wahrnehmung  269 4.2.4 Bezug nach außen   269 4.2.5 Sonnenschutz   270 4.2.6 Spektrale Verteilung  270 4.2.7 Energie  271 4.2.8 Seitenlicht – Oberlicht   271

4.3

Seitenbelichtete Räume   271 4.3.1 Reflektorische Tageslichtumlenkelemente  274 4.3.2 Prismatische Tageslichtumlenkelemente   277 4.3.3 Optische Wahrnehmung  278 4.3.4 Bezug nach außen  279 4.3.5 Sonnenschutz  280 4.3.6 Zusammenfassung der Sonnenschutzsysteme auf dem Prinzip der Verschattung   288 4.3.7 Sonnenschutzsystem und Lichtumlenkung – integrierte 30°-Umlenklamelle und Mehrfachbehang  289 4.3.8 Sonnenschutzsystem und Lichtumlenkung – außen ­liegende Spiegelreflektorsysteme am Beispiel eines realen Projektes  296 4.3.9 Nachgeführter Prismensonnenschutz  301 4.3.10 Feststehendes Sonnenschutz- und Lichtlenksystem  304

4.4

Vergleich und Bedeutung von Tageslichtsystemen – Seiten­ licht  304

4.5

Emotionale und subjektive Einflüsse von Tageslicht – Wirkung auf Stimmung und Wohlbefinden  310

4.6

Oberlichtsysteme  313 4.6.1 Oberlichtöffnungen und ihre Lichtverteilung bei ­bedecktem Himmel  314 4.6.2 Reflektorische Oberlichtsysteme (System 4, 5 und 6)  315 4.6.3 Oberlichtöffnungen, die das gesamte Tageslicht bei Sonne und bedecktem Himmel in das Raum­ innere strahlen – auf ­Grundlage der Spiegelreflektor­ technik  319 4.6.4 Tageslichtrohr  320 4.6.5 Verspiegelter Sonnenschutzraster  322 4.6.6 Prismatisches Oberlicht  327 4.6.7 Nachgeführtes retroreflektierendes Prismensys­ tem  328 4.6.8 Anwendungsbeispiele mit komplexer Aufgaben­ stellung  330

4.7

Tageslichtwirkung auf das visuelle und das ­nichtvisuelle ­System  335 4.7.1 Die Bedeutung des visuellen Systems in der ­Anwendung  339 4.7.2 Die Bedeutung des nichtvisuellen Systems  340 4.7.3 Trennung der Funktionen  341 4.7.4 Realisierung (Beispiel bezogen auf einen seiten­ belichteten Raum – Raumtyp 1)  342

4.7.5 4.7.6 4.7.7 4.7.8

Zirkadianer Rhythmus und die Realität der ­Veränderung  356 Licht- und Raummilieu unter Einbeziehen des ­zirkadianen Rhythmus  356 Erscheinungsbilder bei Veränderung der Außenhelligkeit im Versuchsraum und Künstlichen Himmel  360 Zusammenfassung  360

Kapitel 5 Kunstlicht 5.1

Prolog  369

5.2

Licht und Raummilieu  371 5.2.1 Allgemeines  371 5.2.2 Visuelle Wahrnehmung  371 5.2.3 Milieu  374 5.2.4 Umfeld  375 5.2.5 Energie  375 5.2.6 Zonierung  375 5.2.7 Auswirkung auf das Licht- und Raummilieu  376 5.2.8 Visueller Einfluss durch Lichtquellen, Lichtsysteme, ­Materialien, Farben und Farborte   379

5.3

Identität eines Verwaltungsgebäudes durch Licht  409 5.3.1 Allgemeines  409 5.3.2 Verkehrsbereiche  410 5.3.3 Sitzungs-, Konferenz- und Speiseräume  413 5.3.4 Kantinen, Firmenrestaurants  417 5.3.5 Büroräume mit besonderer Nutzung  419 5.3.6 Foyers  421 5.3.7 Eingangshallen, Eingangsbereiche  421

5.4

Tageslicht oder Kunstlicht?  426

5.5

Beleuchtungskonzepte für Innenräume  427 5.5.1 Das direkte Beleuchtungssystem  427 5.5.2 Das indirekte Beleuchtungssystem  430 5.5.3 Das direkt-indirekte Beleuchtungssystem  434 5.5.4 Das sekundäre Beleuchtungssystem  438 5.5.5 Das Spiegel-Werfer-System  442

5.6

Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Beleuchtungen  445 5.6.1 Die Wirtschaftlichkeit von Tageslicht  446 5.6.2 Die Wirtschaftlichkeit von Kunstlicht  447

Über den Autor  451 Projektnachweis  453 Abbildungsnachweis  457 Literaturverzeichnis  459

Einleitung

Ziel dieses Buches ist es, die Möglichkeit zu schaffen, die praktischen Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe, Interessierten zu­ gänglich zu machen. Ich war bei all meinen Projekten stets bemüht, die Planungskonzepte am konkreten Bedarf und Wunsch meiner Auftraggeber auszurichten und weniger an der verfügbaren Technologie. Dazu muss­ ten jedoch zuerst Varianten erstellt, diskutiert, interpretiert und die Partner von meinem veränderten Zugang zum Thema überzeugt werden, bevor die Projekte realisiert werden konnten. Die Realisierung der Konzepte ­erforderte bei neuen Ideen und Vorstellungen von Leuchtensystemen oder Licht-Raum-Milieus, diese zuerst zu erfinden oder anzupassen, wenn es sie noch nicht gab. Das bedeutete, vorrangig die visuellen Wahrnehmungs­ vorgänge zu ermitteln und Prozesse für die Planungsabläufe zu entwickeln, die dann zur Entstehung dieser neuen Systeme führten. So sehe ich den Bedarf, die Planungskonzepte auf die „neuen Helligkeiten“ auszurichten. Teile des strukturellen Aufbaus und die Gliederung des Buches sind auf das Verständnis für diese „neuen Helligkeiten“ und den Weg, diese mit technischen Maßnahmen zu erreichen, ausgerichtet. Zum besseren Ver­ ständnis enthält es auch Ergänzungen hinsichtlich der Begriffsbildung und der Erkenntnisse aus den dafür notwendigen Forschungsinhalten, die zum Teil noch unveröffentlicht sind. Kapitel 1 – „Allgemeine theoretische Grundlagen“ sind, wie der Titel schon sagt, die spezifischen Grundlagen und eine Erweiterung derselben. Das Kapitel bezieht sich auf die visuellen Wahrnehmungsvorgänge, die von Er­ gebnissen eigener und allgemeiner Forschungsarbeiten begleitet sind, wie • die ökologische Optik, • neuronale Vorgänge und die Verarbeitung im Gehirn, bezogen auf ­visuelle Wahrnehmungsvorgänge, • Aufmerksamkeit, Ablenkung, Adaptation und Pupillenvorgänge in Bezug auf die Anwendung, Ergänzung und Vorstellungen der Gesichts­ feldbegriffe, das Theoretische Leuchtdichtemodell und die Verbindung zur Umsetzung sowie weitere grundsätzliche Betrachtungen. Kapitel 2 – „Licht und Gesundheit“ ist ein Thema, das im Zusammenhang mit Licht viel Bedeutung bekommt. Es wird der Einfluss des Lichts auf das visuelle und das nichtvisuelle System dargestellt und mit Forschungsergeb­ nissen unserer eigenen Studien ergänzt. Diese beziehen sich auf die licht­ empfindlichen Hormonbereiche wie das Serotonin, den dritten Rezeptor Melanopsin und das Nachthormon Melatonin. Dazu kommen die Anwen­ dungsbereiche mit ihrem sinnvollen und realisierbaren Einsatz, um diese Hormonbereiche mit Licht zu unterstützen. Kapitel 3 – „Der visuelle Raum“ als visuelles Gebilde, der sich vorwiegend durch seine ihn umschließenden Oberflächen auf das Fließgleichgewicht einstellt. Der visuelle Raum als Reflexionskörper, der durch die Eigenschaf­ ten der Indikatrix das reflektierende Material differenziert und damit die Lichtverteilung / den Strahlungsverlauf beeinflusst. Diese Wirkungen wer­ den untersucht, für die Anwendung aufbereitet, und der Arbeitsplatz wird hinsichtlich seiner visuellen Komponenten analysiert. Der Beitrag zeigt die Notwendigkeit, den gesamten Raum als Strahlungskörper zu sehen und 23

die visuellen Vorgänge und das visuelle Verhalten in die Gestaltung mit­ einzubeziehen. Kapitel 4 – „Tageslicht“ stellt den Wissensstand in der Tageslichttechnik dar und befasst sich mit dem Tageslichteintrag durch bestehende Tageslicht­ öffnungen in Form von Seiten- und Oberlicht. Es werden Sonnenschutz, solare Nutzung, Lichtumlenkung und Blend- und Ablenkungsvorgänge aufgezeigt, die von Möglichkeiten und Maßnahmen für die Anwendung begleitet sind. Das Kapitel zeigt die konventionelle Tageslichttechnik wie Verschattung und Systemarten, die durch die Lichtlenkung grundlegend den Tageslichtkomponenten entsprechen. Sie werden optimiert und mit konventionellen Systemarten verglichen. Überlegungen hinsichtlich der Re­ alisierung und die Bedeutung des visuellen und nichtvisuellen Systems wer­ den analysiert und mittels realer Projektbeispiele und Tageslichtmodelle im Künstlichen Himmel dargestellt. Es ist mir ein besonderes Anliegen, mit diesem Kapitel den aktuellen Wissensstand aufzuzeigen, denn das immer noch abstrakte Medium Tages­licht ist in seiner Komplexität nur schwer ganzheitlich erfassbar, hat jedoch einen großen Einfluss auf uns Menschen. Kapitel 5 – „Kunstlicht“ versucht die Bedeutung des Kunstlichts aufzuzei­ gen, Anwendungsbereiche zu definieren, zu gliedern und sich mit der Umsetzung zu befassen. Die Leuchtdioden (LEDs) erfahren derzeit eine progressive dynamische Entwicklung, was die Bedeutung vieler Lichtquel­ lenarten verändert. Ich stelle daher nur die grundlegenden Eigenschaf­ ten derselben mit Vorschlägen für entsprechende Systemtechnik dar. Das Thema der Lichtquellen umfasst eine große Vielfalt, und sie sind verbunden mit einer langen Historie, die bis in die heutige Zeit reicht. Sie sind nicht nur von wirtschaftlichen und technischen Kriterien bestimmt, sondern werden in hohem Maße auch von psychologischen und emotionalen Aspekten be­ gleitet. Man denke z. B. an Kaminfeuer, Kerzen, Lüster, Glühlampen, das kalte und unpersönliche Licht von Leuchtstofflampen (umgangssprachlich „Neonlampen“) und dergleichen. Der Beitrag beschränkt sich auf meine persönlichen Gedanken, die auf einer in diesem Buch nicht erarbeiteten Lichtphilosophie beruhen und sich somit auf die Darstellungen von Licht­ quellen, Lichtsystemen und realisierten Anlagebeispielen stützen. Es ist mir bewusst, dass die Bedeutung des Mediums Licht nur zu einem Teil von mir dargestellt werden kann. Da wir das primäre Licht nicht sehen, jedoch über das sekundäre Licht informiert werden, macht es den Pla­ nungsvorgang im Grunde zu einer Abstraktion, denn wir müssen unsicht­ bare primäre Lichtvorgänge über ihre zu erwartende Wirkung bestimmen. Das ist vermutlich auch eine der Ursachen dafür, dass das Medium Licht nach wie vor viel zu wenig bewusst betrachtet wird und die Vorstellung von einem Licht-Raum-Milieu und seiner Bedeutung schwierig ist. Es wird eine Anzahl realer Beispiele in Form von Diagrammen und Fotos beigefügt, um die beschriebenen Gedanken und Überlegungen besser vermitteln zu können. Diese Projektbeispiele und -beschreibungen sind zum Teil aktuell und zum Teil visionär und werden als zu erwartende Er­ scheinungsbilder im Künstlichen Himmel dargestellt. Ebenso bespreche ich vergangene Projekte und Anwendungsbeispiele, um die aufgeführten Lichtwirkungen und Licht-Raum-Milieus darstellen zu können.

24

Ich zitiere in diesem Zusammenhang: Johann Wolfgang von Goethe: „[…] eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszu­ drücken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges. Ver­ gebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild seines Charakters wird uns entgegentreten.“ Albert Einstein: „Die ganzen 50 Jahre bewußter Grübelei haben mich der Antwort auf die Frage ‚Was sind Lichtquanten?‘ nicht näher gebracht. Heute glaubt zwar jeder Lump, er wisse es, aber er täuscht sich …“ (aus einem Brief Albert Einsteins an Michele Besso vom 12. 12. 1951, zitiert nach Melcher, Horst: Albert Einstein wider Vorurteile und Denkgewohnheiten, Akademie Verlag, Berlin, Reihe Wissenschaftliche Taschenbücher, 1979, S. 69) Professor Arthur Zajonc, ein renommierter Quantenphysiker (Fulbright Award), schreibt in seinem Buch Die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewußtsein: „Sobald wir gelernt haben Licht zu sehen, könnte sich alles von selbst ergeben. Es ist deutlich geworden, daß Licht einen eigenen Charakter besitzt. Alle Annahmen, die uns darüber vertraut sind, führen in die Irre.“ Christian Bartenbach

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1

Kapitel 1 Allgemeine theoretische Grundlagen

Im Inhaltsverzeichnis habe ich die Gliederung der Themen dargestellt und werde die Begriffe und die Bedeutung derselben erläutern. Das bezieht sich auf die Kapitel 2 bis Kapitel 5. Das ist meiner Ansicht nach deshalb notwendig, um die Inhalte der visuellen Vorgänge, die z. B. durch die an­ schließende neuronale Verarbeitung im Gehirn oder durch die Wirkungen von zirkadianen Rhythmen auftreten, verständlich zu machen. Da die Wirkung des Lichts auf den Menschen unter Einbeziehen seiner Umgebung eine ganzheitliche ist – wovon ich überzeugt bin –, habe ich den Inhalt des Kapitel 1 vorwiegend so strukturiert, dass die damit verbun­ dene Begriffswelt verständlich wird.

Abb. 1 Der Weg des Lichts vom informationslosen ­Medium (= Beleuchtungsstärke) zum infor­ mativen Licht (= Leuchtdichte), moduliert an der Oberfläche und beeinflusst durch ­Eigenschaften des Materials.

Allgemeine theoretische Grundlagen

29

1.1  Der Zusammenhang zwischen Leuchtdichte, ­Beleuchtungsstärke, Materialeigenschaften und der ­ökologischen Optik Wir wissen, dass der von einer Lichtquelle abgestrahlte Lichtstrom auf eine  Oberfläche auftrifft, von dieser reflektiert wird und auf diesem Weg in unser Auge gelangt. Unter Oberflächen verstehen wir sowohl die raum­begrenzenden Flächen als auch die im Rauminneren befindlichen ­Objekte. Das von einer Lichtquelle abgestrahlte Licht ist das sogenannte „pri­ märe Licht“, welches nicht sichtbar ist und als Beleuchtungsstärke (E in lx) definiert wird. Die Beleuchtungsstärke stellt eine abstrakte Mess- und Rechen­einheit dar und ist als solche in ihrem Ursprung informationslos. Sie ist Energieträger. Durch die Interaktion mit der Oberfläche, auf die das primäre Licht auftrifft, entsteht das „sekundäre Licht“ – also das, was wir gewohnt sind zu sehen. Das reflektierte Licht wird durch die Charakteristika der reflektie­ renden Oberflächen verändert (moduliert). Dieses Licht liefert uns nun die Information über das, „was wir gerade betrachten“. Doch entscheidend ist auch die physikalische Charakteristik des primären Lichtes und die phy­ sikalischen Auswirkungen allfälliger weiterer Reflexionen. Durch das Auftreffen auf eine Oberfläche wird das primäre Licht – also die Beleuchtungsstärke – reflektiert und dabei durch seine spezifischen optisch-­physikalischen Eigenschaften wie Reflexion, Transmission, Absorp­ tion, Remission, Farbe, Oberflächenstruktur, Textur und Form verändert und moduliert. Danach gelangt es über die Mehrfachreflexion – welche in Lichtgeschwindigkeit (300.000 km/sec) erfolgt – als „sekundäres Licht“ in unser Auge und wird im Gehirn verarbeitet. Das sekundäre Licht wird als Leuchtdichte (L in cd/m²) definiert. Das informationslose Licht der Primär­ lichtquelle erlangt somit einen psychologisch erfassbaren Informationsge­ halt und wird sogar zum Informanten, nachdem es die Modulation durch die spezifischen Eigenschaften einer Oberfläche erfahren hat. Farb- und Helligkeitsunterschiede in unserem Gesichtsfeld sind in dieser Verände­ rung begründet, ebenso wie das Sichtbarwerden unserer Umgebung. Ist der Reflexionsgrad (ρ) eines Materials bzw. einer Oberfläche bekannt, so kann auf mathematischer Ebene aus der Beleuchtung (E) der Oberflä­ che die Wirkung bestimmt werden. Dies lässt sich gut anhand der folgenden Formel für diffuse Reflexion erkennen: E × ρ L= π

L … Leuchtdichte L in cd/m² (sekundäres Licht) E … Beleuchtungsstärke E in lx (primäres Licht) ρ … Reflexionsgrad

Diese Formel gilt zwar wie o. a. nur für diffuse Oberflächen, d. h. für Ober­ flächen, die an jedem Punkt gleich stark in alle Richtungen reflektieren („Lambert-Strahlung“). Sie wird jedoch als Richtlinie verwendet, um die einzelnen Parameter eruieren und bestimmen zu können. Aufgrund der Helligkeitsempfindung sind die Beleuchtungsstärke und der Reflexionsgrad variierbar, ohne dass sich die Leuchtdichte verändern muss. Wir müssen uns bewusst sein, dass vorwiegend das sekundäre Licht (= Leuchtdichte) unser Auge erreicht. Es erzeugt aufgrund der unterschied­ lichsten Helligkeiten im Gesichtsfeld eine vertikale Beleuchtungsstärke (= EV) am Auge, die für den Adaptationsvorgang bzw. die Stabilität des Adaptationsniveaus die entscheidende Größe darstellt und der mittleren 30

Kapitel 1

Abb. 2 Die Grafik stellt die Vertiefung und Erweiterung der obigen Über­ legungen dar. Sie zeigt den Weg des Lichts der primären Lichtquelle, deren Farbtemperatur und ihren Strahlungsverlauf unter Einbeziehen der Mehrfachreflexion des Raumes und ihres Einflusses aufgrund der spektralen Veränderungen, welche auch von den Remissionseigen­ schaften spektraler und quantitativer Art der Materialoberflächen im Raum beeinflusst werden und durch diese Transformierung zum sekun­ dären Licht führen, das durch die Informationsvermittlung und deren Verarbeitung zur Sichtbarkeit führt. Entscheidende Komponenten dafür sind die Leuchtdichtewerte, deren Verteilung im Raum, die entsprechen­ den Farborte am Auge, begleitet von den Intensitäten d ­ erselben. Nicht zu übersehen sind bei solchen Analysen die begleitenden vertikalen ­Beleuchtungsstärken. Vor allem die am Auge auftretenden Beleuch­ tungsstärkeverteilungen sind für die lichttechnischen Realisierungsvor­ gänge hilfreich, aber für die Vorstellung von Erscheinungs­bildern zu abstrakt. Aus dieser Darstellung ist ersichtlich, dass Verän­derungen des primären Lichts – z. B. bei Tageslicht – unmittelbar bedingt durch die Lichtgeschwindigkeit sofort zu Veränderungen des Licht- und Raum­ milieus führen, das auch die Komponenten der Informationsvermittlung und des Erscheinungsbildes verändert (ganzheitlicher ­Vorgang).

Allgemeine theoretische Grundlagen

31

Abb. 3 Die Abbildung zeigt, gegenüber­ gestellt und zusammengefasst, die Struktur und Wirkung von primärem und sekundärem Licht (J. J. Gibson).

Umgebungsleuchtdichte entspricht. Dazu kommen die spektralen Kompo­ nenten und ihre Eigenschaften. Beim ersten Schritt des Sehvorgangs wird durch die Augen sensorisch die aktuelle visuelle Szenerie der Außenwelt auf die Netzhaut projiziert. Diese zweidimensionale Projektion mit all ihren Reizinformationen wird im zwei­ ten Schritt über die Sehbahn der Hirnrinde zugeführt. Dort erfolgt als drit­ ter Schritt die Informationsverarbeitung, die das visuelle Wahrnehmungs­ erlebnis generiert. Dadurch wird für uns die Welt erst visuell erlebbar. Wie wir eine Szenerie optisch erleben, hängt also in erster Linie vom vorherrschenden Lichtverhältnis ab. Also vom primären Licht der Lichtquelle und in der Folge vom sekundären Licht, das im Grunde erst sichtbar macht und das die informationsgebende Potenz in sich trägt. Das gilt sowohl für das Kunstlicht als auch für das Tageslicht. Das primäre Licht legt – nachdem es durch die Materialeigenschaften moduliert und reflektiert wird – die wesentlichen Eigenschaften des sekun­ dären Lichts fest und informiert über die Art des Reflektors bzw. des Licht­ systems. Wir erkennen also deutlich, dass primäres und sekundäres Licht zusam­ menwirken und gemeinsam zum Informationsinhalt führen. Im lichttech­ nisch spezifizierten Zusammenhang L = (E × ρ) / π jedoch kommt der informierende Gehalt des sekundären – also des sichtbaren Lichts – kaum zum Ausdruck. Um nun der in der Formel vernachlässigten Wichtigkeit der Interaktion von Licht und Material besser gerecht zu werden, bedarf es der Begriffsbil­ dung der „ökologischen Optik“ im Sinne vom J. J. Gibson (Wahrnehmung und Umwelt, 1982). Die Ökologie ist Teildisziplin der Biologie und definiert sich als die Wissen­ schaft von den „Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außen­ welt“. Nach der ökologischen Optik (Abb. 4) der Wahrnehmungstheorie von J. J.  Gibson ist das Wahrnehmungssystem darauf ausgerichtet, seine Information aus der Umwelt zu beziehen. Demnach ist in der ökologischen Optik der Unterschied zwischen leuchtenden und beleuchteten Flächen ganz entscheidend. J. J. Gibson definiert Licht • als physikalische Energie, d. h. Beleuchtung im Sinne der physikalischen Optik: Licht als Strahlung, 32

Kapitel 1

Abb. 4 Begriffsbildung der ökologischen Optik.

Abb. 5 In diesem Foto befindet sich der Beobachter auf dem Mond mit Blickrichtung auf die Erde und ist umgeben vom ­Universum. Die Sonne als die primäre Lichtquelle beleuchtet alles mit einer Beleuchtungsstärke von ca. 80.000 lx, ist je­ doch nicht sichtbar. Sichtbar und damit zum sekundären Licht wird die Sonnenstrahlung erst, sobald sie auf einen Gegenstand auftrifft. In diesem Fall sind das der Mond und die Erde. Die Leuchtdichte der Mondoberfläche be­ trägt aufgrund ihrer geschätzten Reflexionseigenschaft (ρ = 0,2–0,3) LM ≈ 4.000–6.000 cd/m² und die Erde im bestrahlten ­Bereich LErde ≈ 3.500–15.000 cd/m². Das Uni­ versum ­hingegen erscheint trotz der vorherrschenden hohen ­Beleuchtungsstärke aufgrund seiner geringen Reflexions­ fähigkeit dunkel.

Allgemeine theoretische Grundlagen

33

• als Reiz zum Sehen, d. h. Beleuchtung im Sinne der physiologischen Optik: Licht als Empfindung, • als Parameter der Umwelt, d. h. Beleuchtung im Sinne der ökologischen Optik: Licht als Information. Die folgende Betrachtungsweise zeigt deutlich, welch hohen Stellenwert Materialoberflächen haben und wie wir sie unbedingt einer erweiterten Betrachtungsweise unterziehen müssen. Hier die Ansätze von J. J. Gibson aus der ökologischen Optik für die Wahr­ nehmung von Oberflächen: 1. Alle beständigen Substanzen haben Oberflächen, und alle Oberflä­ chen haben eine Anordnung zueinander (= Layout). 2. Jede Oberfläche besitzt eine charakteristische Textur, die von der Subs­ tanz abhängt (= Pigmentierung, Struktur, Glanz). 3. Jede Oberfläche hat eine charakteristische Form, eine Flächenanord­ nung im Großen (= Umschließung). 4. Eine Oberfläche kann stark oder schwach beleuchtet sein, im Licht oder im Schatten liegen (= primäre Lichtkomponente). 5. Eine Oberfläche kann einen größeren oder geringeren Teil des primä­ ren Lichtanteils absorbieren (= absolute Reflexionseigenschaft). 6. Eine Oberfläche besitzt in Abhängigkeit von ihrer Substanz eine cha­ rakteristische Verteilung der Reflexionsgrade in Abhängigkeit der Licht­ wellenlänge (= Remission). Diese Eigenschaft der Oberfläche kennt man als ihre Farbe, in dem Sinne, dass verschiedene Verteilungen ver­ schiedene Farben hervorrufen. An dieser Stelle möchte ich deutlich noch einmal darauf hinweisen, dass das vorerst informationslose Licht einer Primärlichtquelle (= Beleuchtungs­ stärke) erst dann einen psychologisch erfassbaren Informationsgehalt ­erhält oder/und selbst zur Information wird, nachdem es eine material­ adäquate Modulation und Strukturierung erfahren hat und so als sekun­ däres Licht (= Leuchtdichte) in unser Auge gelangt (siehe Abb. 1). In der weiteren kognitiven Verarbeitung des Menschen entsteht ein Raum­er­schei­nungs­bild, der sogenannte „visuelle Raum“. Dieser visuelle Raum bildet sich aufgrund unserer aktiven Wahrnehmung, indem wir – als interpretierendes Wesen – unsere Erfahrungen und Erinnerungen mit einflie­ ßen lassen. Das bedeutet, dass Beleuchtungsstärke, Reflexionseigenschaf­ ten und Leuchtdichte aufgrund unserer aktiven Wahrnehmung durch Infor­ mationen erweitert werden. An den folgenden Beispielen möchte ich deutlicher darstellen, wie wichtig das Einbeziehen der ökologischen Optik bei der Beleuchtungs­ planung und auch bei der Raumgestaltung ist. Eine diffuse Oberfläche ist durch ihr Reflexionsverhalten und ihren Refle­ xionsgrad lichttechnisch festgelegt. Darüber hinaus impliziert eine diffuse Oberfläche Festigkeit und Stabilität. Diffuse Bodenflächen z. B. vermitteln Stabilität und damit mehr Sicherheit, weiße Deckenoberflächen eine visu­ elle Begrenzung. Würde man die Decke jedoch nun so gestalten wollen, dass sich der Raum visuell nach oben hin öffnet und höher erscheint, dann ist es notwen­ dig, entmaterialisierende Materialien zu verwenden wie z. B. glänzende, metallische oder lackierte Oberflächen (Abb. 7). Das oben Beschriebene funktioniert ebenfalls mit einem glänzenden, verspiegelten oder gläsernen Boden, der den Eindruck von Transparenz und Tiefe vermitteln würde. Jedoch ginge in diesem Fall der Eindruck von Stabilität und Sicherheit verloren (siehe Abb. 8). 34

Kapitel 1

Abb. 6 Diffuse Oberflächen reflektie­ ren das auftreffende Licht und zerstreuen es in alle Richtungen, wobei es durch Absorption vermindert wird. Dabei ent­ steht eine visuell wahrnehmbare raumbegrenzende Oberfläche. Die ­Bewertung solcher diffusen Oberflächen kann durch Farben, Texturen, Formen beeinflusst ­werden (siehe Kapitel 5).

Abb. 7 Die seidenmatte Aluminium­decke entmaterialisiert den Raum, er­ zeugt ein virtuelles Bild und ist ­wesentlich an der Mittelbildung der Umgebungsleuchtdichte beteiligt. Unter entmaterialisiert verstehe ich eine Materialober­ fläche, die ein virtuelles Bild der reflektierten Umgebung erzeugt und damit die Raumbegrenzung verändert.

Abb. 8 In dieser Abbildung haben wir aufgrund des glänzenden und spiegelnden Materials das virtuelle Bild am Boden. Die Spiegelung beinhaltet ca. 10 % der Umgebungsleuchtdichte und passt sich den laufenden Ver­ änderungen der Raumhelligkeiten an. Der Eindruck von Stabilität und Sicherheit – der einem Boden üblicherweise zugewiesen wird – ist stark reduziert. In der Realität kommen solche Situationen häufig vor, und sie zeigen uns, welche Bedeutung der ökologischen Optik zufällt und wie wichtig es ist, bereits in der Planungsphase die Lichtgestaltung miteinzubeziehen.

Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 9a Modellsimulation des Eingangs­ bereichs der Passagenstudie.

Abb. 9b Modellsimulation Eingangs­ bereich.

Abb. 10 Realisierung der o. a. Modell­ studie in der Passage Große Bleichen in Hamburg.

36

Kapitel 1

Unterschiedliche Einflüsse prägen die Gestaltung und das Erschei­ nungsbild eines Raumes stark und beeinflussen das visuelle Verhalten in diesem Raum. Es ist somit meiner Ansicht nach unerlässlich, dass lichttech­ nisch geprägte Überlegungen bereits bei der Entstehung eines Raumkon­ zeptes / einer Raumgestaltung miteinbezogen werden müssen, damit ein aufeinander abgestimmtes „Licht- und Raummilieu“ entstehen kann. Bereits vor vielen Jahren habe ich Untersuchungen durchgeführt, um die visuelle „Schwellenangst“ in Passagen zu reduzieren. Es hat sich herausge­ stellt, dass es notwendig ist, die Helligkeit im Inneren des Raumes – also in der Passage – so auszulegen, dass sie sich der äußeren Helligkeit anpasst. Die auftretenden Helligkeiten im Außenraum betragen: • an Sonnentagen bis zu 80.000 lx, • an Tagen mit bedecktem Himmel bis zu 10.000 lx und • in der Nacht bis zu 50 lx. Am Tage ist demnach die Helligkeit des Außenraums höher als die des Eingangsbereichs der Passage. Um nun die notwendige Transparenz zu erreichen, muss der Innenbereich mit seiner Helligkeit angehoben werden, sodass er der jeweiligen Außenhelligkeit entspricht. Das Ergebnis der Untersuchung damals sorgte für Überraschung, denn nicht die Anhebung der Beleuchtungsstärke und Leuchtdichte im Passagen­ innenraum sorgte für eine auffallende Reduktion des „visuellen Schwellen­ abbaus“, sondern die Bodenmarkierungen in Form von Führungslinien am Boden der Passage. Versuchspersonen bei denselben lichttechnischen Bedingungen bevor­ zugten eindeutig Texturen als „gerichtete Größe“ für die Wegweisung. Be­ sonders Texturen am Boden wie z. B. Leitlinien hatten mehr Einfluss auf die Führung und den Schwellenabbau als die absolute Helligkeit, die Refle­ xionswerte und die Farben. Man sieht in den Abbildungen 9a und 9b der Modellsimulation, dass die Bodenreflexion in 9b (weißer Boden) höher ist als in 9a (grauer Boden). Die Beleuchtungsstärken beider Versuche sind gleich, jedoch die Leucht­ dichte in 9b höher. Trotzdem ist die Leitwirkung in 9a deutlich stärker, da der Kontrast zwischen Linien und Boden größer ist, was die Führung durch das Gebäude wesentlich bestimmt. Diese Gegenüberstellung zeigt uns deutlich, dass Licht ein Medium der Informationsvermittlung ist. Unsere Betrachtungen beziehen sich auf eine Außenhelligkeit bei dif­ fusem, bedecktem Himmelszustand von Em = 5.000–10.000 lx, der ca. 30 % im Jahresverlauf in unseren geografischen Breiten (für unsere Bei­ spiele wurde München gewählt) auftritt. An Sonnentagen und bei Wolken­ bildung/Teilbewölkung, was im Jahresmittel zu ca. 70 % auftritt, steigen diese Außenhelligkeiten auf EA ≈ 30.000–100.000 lx an. Für den optimalen Schwellenabbau ist wie gesagt die Gleichstellung der Außen- und Innenleuchtdichte erforderlich – oder zumindest ein star­ kes Anheben der Innenleuchtdichte. Diese Forderung ist theoretisch zwar realisierbar, jedoch aus Gründen des Energieaufwandes untertags eine unwirtschaftliche Lösung. In unserem Beispiel der Großen Bleichen haben wir die Erkenntnis, dass Leitlinien am Boden eine dominante Rolle spielen, umgesetzt und die inneren Helligkeiten zonal auf ein Zehntel der Außenhelligkeit, also ca. 6.000–10.000 lx, angehoben. So haben wir anhand theoretischer Überlegungen (Weber-­­Fechner’sches Gesetz, Abb. 11) und Versuchen die Erkenntnisse in Modellsimulationen dargestellt, in unserem Künstlichen Himmel (Abb. 12) überprüft und in der Realität umgesetzt. Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 11 Schwellenabbau z. B. nach dem Weber-Fechner’schen Gesetz. Daraus kann bedingt abgeleitet werden, dass bei besagten Intensitäten der Schwellenwert schon bei ca. 1/10 der Außenhelligkeit abgebaut ist. Die genaue Ermittlung muss jedoch gebäudespezifisch erfolgen. Damit die Wirksamkeit gewährleistet ist, muss die genannte Gesetzmäßigkeit sehr sorgfältig angewendet werden, weil sie streng genommen nicht für alle Helligkeitsniveaus gleichermaßen gilt und von Umgebungseinflüssen visueller Art beeinflusst wird. Ich prüfe diese Erscheinungsbilder durch Modellsimulationen im Künstlichen Himmel.

Abb. 12 Künstlicher Himmel in unserem Unternehmen (Bartenbach GmbH).

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Kapitel 1

Abb. 13 Modellsimulation mit sog. „Künstlichen Sonnen“, die partiell in Abständen von 10 bis 12 m ­angeordnet sind und eine Beleuchtungsstärke von Eh zonal ≈ 6.000–10.000 lx auf­ weisen. Sie erhöhen dadurch die mittlere Umgebungshelligkeit und heben das gesamte Erscheinungs­ bild der Passage an.

Abb. 14 In dieser realen Umsetzung werden die Zonierungen ebenfalls durch Künstliche Sonnen erreicht, die in ein entmaterialisiertes ­Decken- und Lichtsystem einge­ setzt wurden.

In der Modellsimulation Abbildung 13 erkennen wir, wie die Leitlinien durch Zonierungen durch sogenannte Künstliche Sonnen erweitert wurden. Die Intensitäten der Zonierungen betragen ca. 6.000–10.000 lx, sie haben eine Farbtemperatur von ca. 6.000 K, und sie sind in Abständen von 10 bis 12 m angeordnet. So bewirken sie einen realistischen Schwellenabbau und lassen den Anreiz und die Motivation entstehen, den Passagenraum zu betreten. Im Dämmerungszustand, der der Nacht vorausgeht, ist die Außen­ helligkeit nur noch gering. Sie entspricht einem Helligkeitsbereich von ­LAußen  ≈ 2–8 cd/m². Die Intensitäten in den Verkehrszonen im Passagen­ inneren weisen Leuchtdichtebereiche von LPassage ≈ 25–100 cd/m² auf und sind als mittlere Umgebungsleuchtdichten aufzufassen. Das eigentliche Infeld stellt das Warenangebot dar. In unserem Beispiel ist der Umgebungsbereich – der Bereich mit den Boden­markierungen – mit einer konstanten Helligkeit von ca. 40 bis 80  cd/m² beleuchtet und weist eine Farbtemperatur von ca. 2.500 bis 3.000 K (Warmton) auf. (Abb. 15). Auch das Nachtmilieu ist der Außen­ Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 15 Diese Modellsimulation zeigt das im vorangegangenen Text ange­ führte Nachtmilieu.

Abb. 16 Die Modellsimulation zeigt die Unterstützung des Nachtmilieus durch Zonierungen, welche durch das Deckensystem illuminativ wirken.

situation angepasst, jedoch in ihrer Helligkeit selbstverständlich höher, als es der tatsächlichen Nacht entspricht. Durch diese Maßnahmen ist das nächtliche Licht- und Raummilieu stark verändert gegenüber dem Tagmilieu, und der Eindruck ist wesentlich fest­ licher. In den o. a. Beispielen sehen wir die Auswirkung der ökologischen Optik mit Licht als Informationsvermittler. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Tagesbelichtung und die Sonnenwirkung nur im Außenraum gesche­ hen. Die Helligkeitsanhebungen (= Zonierungen) über den Bodenmarkie­ rungen mit Unterschieden von ca. 5 : 1 haben sich bewährt, sorgen für eine gute Orientierung und stabilisieren das Licht- und Raummilieu, ohne vom Erscheinungsbild des Warenangebots abzulenken (siehe Abb. 16).

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Kapitel 1

Abb. 17 Ausgeführte Anlage mit Tagmilieu.

Abb. 18 Dieselbe Anlage mit Nachtmilieu.

Allgemeine theoretische Grundlagen

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Zusammenfassung In Kapitel 1.1 liegt mein Schwerpunkt darauf, die Begrifflichkeit der visu­ ellen Komponenten wie Leuchtdichte, Beleuchtungsstärke und Material­ eigenschaften mit denen der ökologischen Optik – also der Wirkung des Lichts als Information – in Einklang zu bringen. Es ist mir dabei hoffentlich gelungen, diese Seh- und visuellen Wahrnehmungsabläufe in ihrer Kom­ plexität, ihrer Wirkung und ihrer Bedeutung verständlich zu machen. Dazu habe ich die von mir geschaffenen Begriffsbildungen des primä­ ren und sekundären Lichts verwendet und auch versucht, deutlich zu ­machen, dass sekundäres Licht informativ ist und unsere Erkenntnisse vor­ wiegend durch das visuelle System verursacht werden. Es ist daher für die Lichtgestaltung und uns Lichtplaner wichtig, den Begriff der Leuchtdichte (welche Beleuchtungsstärke und Materialoberflä­ chen einbezieht) mit der Begriffswelt der ökologischen Optik zu ver­binden, um zu einem Licht- und Raummilieu als Ganzem zu kommen. Das ist auch der Grund, warum ich die Bezeichnung „Lichtgestaltung“ eingeführt habe und diese immer wieder betone. Der Inhalt des Kapitels 1.1 wurde deshalb auf diese Art gestaltet, damit ich bereits in Kapitel 1.2 die bekannten lichttechnischen Begriffe erweitern und meine Theorien mit ihren Wirkungen an realisierten Beispielen mit dem „Warum“, begleitet von meinen Erkenntnissen, darstellen kann. Die ange­ führten Modelldarstellungen haben den Sinn, die theoretisch ermittelten Licht- und Raummilieus mit ihren Lichtwirkungen erlebbar zu machen. Das bedeutet, dass anhand der Modellsimulationen die angedachten und er­ wünschten Milieus vor ihrer Umsetzung erkennbar werden, auch um das primäre Lichtsystem konzipieren zu können (abstrakter Vorgang). Meiner Meinung nach zeigen diese Darstellungen deutlich • die Bedeutung der Komponenten der ökologischen Optik als Verbin­ dung zur Gestaltung, • den Einfluss der Materialoberflächen und des Rauminhaltes, • die Infeld- und Umfeldbereiche, • die Dominanz des Leuchtdichtebegriffs und dessen informative Wirkung sowie • die Notwendigkeit „stabiler visueller Wahrnehmungsabläufe“. Die Verarbeitung aller Reizinformationen erfolgt vorwiegend durch das Gehirn, das durch sein Gedächtnis, dessen Speicherfähigkeit und die Möglichkeit des Abrufens der Erinnerung unsere erfahrbaren Informations­ inhalte und Verhaltensformen bildet.

1.2  Das Gesichtsfeld 1.2.1 Allgemeines Unter dem Gesichtsfeld ist das Sichtfeld der Augen zu verstehen. Die über das Auge in das Sehzentrum unseres Gehirns gelangenden Reize und Infor­mationen werden dort verarbeitet, interaktiv interpretiert und als kon­ krete Wahrnehmungsinhalte vermittelt. Der Mensch nimmt über das visuelle System entscheidungs- und verhal­ tensrelevante Informationen von ca. 80 % auf. Psychologen sagen deshalb vollkommen berechtigt, dass der Mensch ein Augentier ist; dieser Aussage möchte ich mich unbedingt anschließen. 42

Kapitel 1

Unser globales Gesichtsfeld umfasst einen Öffnungswinkel von ω  ≈ 1,26  π und ermöglicht so, dass die Informationen in diesem Ausschnitt zum Gehirn weitergeleitet werden. Dort entsteht beim Fokussieren auf das ­Gesehene durch den Akkommodationsvorgang die gerichtete Aufmerk­ samkeit. Den Hauptanteil unseres globalen Gesichtsfeldes hingegen – den nichtfokussierten Bereich – füllt die sogenannte visuelle Unschärfe aus. Diese beeinflusst und steuert autonom wesentlich auch die Adaptations­ vorgänge und bildet die mittlere Gesichtsfeld-/Umfeldleuchtdichte (LUm) (Abb. 25). Wir sehen also, dass das Gesichtsfeld wesentliche Bedeutung für die visu­ el­len Wahrnehmungsabläufe hat. Hinzu kommen außerdem noch die nicht­visuellen Einflüsse auf den Menschen, wie z. B. durch unsere innere Uhr durch den natürlichen Tageslichtrhythmus (zirkadianer Rhythmus), die Beeinflussung durch die lichtabhängigen Hormone u. v. m. Das Variieren der Pupillengröße, die Steuerungsfaktoren wie parasympathische Ausglei­ che und die visuelle Beeinflussung der Herzratenvariabilität (HRV) gehen im Wesentlichen unbewusst und autonom vonstatten.

1.2.2  Das Gesichtsfeld – das Blickfeld Das Gesichtsfeld beinhaltet die Gesamtheit aller Objekte, die bei ruhen­ dem Auge wahrgenommen werden können. Nur auf ein einzelnes Objekt kann fokussiert werden, dessen Bild in die Mitte der Netzhautgrube (Fovea centralis) gelangt, und das Gesehene wird scharf. Das ist das primäre Infeld. Die Bilder der Objekte außerhalb des primären Infeldes fallen auf an­ dere Netzhautbereiche und werden somit undeutlicher gesehen und mit einem geringeren Aufmerksamkeitsgrad erfasst. Dennoch geschieht das Erfassen von Infeld und Umfeld stets simultan.

Abb. 19 Der visuell erfassbare Raum erweitert sich mit zunehmender Aktivierung des Gesichtsfeldes (Mobilität).

Allgemeine theoretische Grundlagen

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Eine Steigerung der Seheigenschaft im Gesichtsfeld entsteht dadurch, dass das Fokussieren eines Objektes dieses in das Zentrum der Netz­ haut­grube rückt. Dadurch wird die Unterschiedsempfindlichkeit bzw. die Seh­schärfe sukzessive gesteuert; dies lässt uns den angebotenen Infor­ma­ tionsinhalt durch die überwiegend direkt erfassten Objekte besser sehen. Das Blickfeld hingegen stellt die Gesamtheit aller Objektpunkte im Ge­ sichtsfeld dar, die bei ruhiger Kopfhaltung nur durch die Augenbewe­ gung angeblickt werden können. Es enthält demnach, im Gegensatz zum Gesichts­feld, nur direkt gesehene Punkte. Die Blickpunkte werden nach­ einander (sukzessiv) in das Zentrum der Netzhaut (Fovea) gebracht. Ein ­Bereich mit bestimmter Ausdehnung wird visuell also umso besser erfasst, je mehr Punkte in diesem Ausschnitt mit direktem Blick angesehen werden können. Somit können die Sehfunktionen wie Scharfsehen, Farbsehen, Kontrastsehen und Tiefsehen zu ihrer optimalen Entfaltung kommen, da die Unter­schieds­emp­find­lich­keit ihr Maximum erreicht und so der darge­ botene Informationsinhalt durch das bewegte Blickverhalten besser erfasst und erkannt werden kann. Das Schema nach Abb. 19 zeigt die Hierarchie des Erfassens des Blickfel­ des innerhalb des Gesichtsfeldes in Abhängigkeit von der Mobilität einer Person und der stufenbezogenen Aufmerksamkeitsweite bei stabilem bzw. instabilem Gesichtsfeld. Wir können also sagen, dass das Netzhautbild ein optisch-physika­ lisches Ereignis ist und einen Teil des Objektraums repräsentiert. Es erfasst alle projizierten Blickpunkte, die über das begrenzte Gesichtsfeld unserer Wahrnehmung zum aktiven Zeitpunkt zugänglich sind, und stellt somit das physiologische Blickfeld dar. Innerhalb dessen regen die Photorezeptoren der Netzhaut die Zapfen im Zentrum und die Stäbchen an der Peripherie an, wodurch der physiologische Sehvorgang eingeleitet wird und schließ­ lich im Gehirn zum interpretativen Wahrnehmungserlebnis führt. Um die folgenden Begriffe verständlicher zu machen, möchte ich die Anatomie des Auges und der Netzhaut prinzipiell darstellen.

1.2.3  Der Aufbau des Auges Ich möchte es den Lesern selbst überlassen, sich über das Auge ausführlich zu informieren, schon allein deshalb, da der Umfang des Themas den Rah­ men dieses Buches übersteigen würde. Lediglich einen kurzen informativen Auszug zu dieser Thematik werde ich an dieser Stelle bringen, um das Folgende besser vermitteln zu können. Die Rezeptoren der Netzhaut sind zu einem unregelmäßigen Mosaik an­ geordnet und zeigen deutliche Unterschiede in ihrer Anzahl und ihrer Ver­ teilung (Abb. 24) (Eric Kandel, Das Zeitalter der Erkenntnis, 2014). Die einzelnen Rezeptoren sind über die Nervenbahnen mit spezifischen Gehirnarealen verknüpft. So werden beim peripheren Sehen andere Ge­ hirnareale beansprucht als beim detailgenauen Sehen. Das Fokussieren eines Objekts wird durch den Akkommodationsvorgang autonom so gesteuert, dass dieser auf der Fovea scharf abgebildet wird. Dieser fokussierte Bereich wird als Infeld bezeichnet, dessen Aus­dehnung bis ca. 25° beträgt (siehe Abb. 28, 29). Der übrige Netzhaut­bereich wird als Umfeld bezeichnet und beträgt ca. 70–80 % des Gesichtsfeldes. Der Infeldbereich ist der ausschlaggebende Bereich für die Bildung der Unter­ schiedsempfindlichkeit, der Sehschärfe und ganz generell für die visuelle Leistung und das visuelle System. 44

Kapitel 1

Abb. 20 Ausdehnung des Gesichtsfeldes für das linke und das rechte Auge sowie des binokularen ­Bereichs beider Augen. Solche Ausdehnungsmaße sind nur als statistische Richtwerte zu be­ trachten, weil sie individuell relativ stark schwanken können.

Abb. 21 Innerhalb des gesamten Gesichtsfeldes können Farben bei unbewegtem Blick ­geradeaus, nur innerhalb eines relativ engen Bereichs gesehen werden, der außerdem nicht für alle Farben gleich groß ist. Für blaue und gelbe Farben ist die periphere Grenze relativ weit, während für die Erkennbarkeit von roten und grünen Farben der Gesichtsfeldausschnitt geringer ist (­monokular).

Durch den Akkommodationsvorgang ist die Fovea der wesentliche Be­ reich, in dem gerichtete Aufmerksamkeit stattfindet, also der Ort der we­ sentlichen Informationsübertragung. Die mittlere Gesichtsfeldleuchtdichte bewirkt die vertikale Beleuchtungsstärke am Auge und ist aufgrund des Lichteintritts durch die Pupille in das Augeninnere die wesentliche Ursache für die Adaptationsleuchtdichte. Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 22 Prinzip des anatomischen Aufbaus des Auges.

Abb. 23 Aus dem Schnitt durch die Netz­ haut (Fovea) ist ersichtlich, dass das Licht zuerst auf die Ganglien­ schichten fällt und sich die Rezep­ toren, Zapfen und Stäbchen am anderen Ende befinden. Damit wird deutlich, wie komplex die Übertragung von Reizen an das Gehirn ist und dass sie sich nicht auf die Wirkung der Stäbchen und Zapfen beschränkt.

Abb. 24 Darstellung der Struktur der Netz­ haut.

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Kapitel 1

Für Lichtplanungsprozesse bedeutet das, dass die Eigenschaften der Netzhaut und die bewussten und unbewussten Wahrnehmungsabläufe im Gesichts-, Blick- und Sehfeld wichtige Faktoren sind, die unbedingt berück­ sichtigt werden müssen.

1.2.4 Definition und Einstufung der Netzhaut, des Gesichtsfeldes, des Blickfeldes und des Sehfeldes Die Netzhaut Das Sehobjekt wird von den Regionen des Auges wie Hornhaut, Kammer­ wasser, Linse und Glaskörper (siehe Abb. 22, 23) auf die Netzhaut trans­ portiert und wird so zum Netzhautbild. Die meisten auf der Netzhaut ent­ standenen Bildpunkte erreichen die Zapfen und Stäbchen und erzeugen damit das Gesichtsfeld. Das Gesichtsfeld Je nach Erregungsfähigkeit der Zapfen oder Stäbchen wird das Netz­ hautbild stärker oder schwächer aufgenommen. Dies nennt man die All­ gemein- oder Lokaladaptation. • Netzhaut – Bildpunkt > physikalische Größe • Gesichtsfeld > physiologische Größe Das Gesichtsfeld ändert sich mit der Blicklage und durch Akkommodation. Das Sehfeld Aus dem jeweiligen Gesichtsfeld bildet die Hirnrinde das physiologischpsychologische Sehfeld. Es ist die Gesamtheit der zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen Gesichtsfeldwahrnehmung (Sehbilder, Eindrücke, Anschauungsbilder). Das Gesichtsfeld und das Sehfeld unterscheiden sich durch den gesamten physiologischen und psychologischen Sehvorgang. Zum einen gibt es physiologische Abläufe wie z. B. die Adaptation und den physiologischen Kontrast. Zum anderen gibt es die individuelle kogni­ tive Verarbeitung, die von Erinnerungen, Gehirnkonzepten und Vorstellun­ gen des Menschen beeinflusst wird.

LU = 35

LBS1 = 30 LBS2 = 60

Abb. 25 Darstellung des Gesichtsfeldes an einem ­Bildschirmarbeitsplatz (Testraum). LBS1, LBS2 … Infeldleuchtdichtebereiche LU … mittlere Umgebungsleuchtdichte LI Beleg … Infeldleuchtdichte am Beleg Eh … horizontale Beleuchtungsstärke 500 lx EV … vertikale Beleuchtungsstärke 200 lx

LI Beleg = 100–120

Allgemeine theoretische Grundlagen

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Das Netzhautbild als Gesamtheit aller Bildpunkte und das Gesichtsfeld sind nicht identisch.

1.2.5 Ausblick Wie bereits erläutert, umfasst das globale Gesichtsfeld unter Einbeziehen von Nase und Stirn ω = 1,26 π. Während einer konkreten Sehaufgabe, wie z. B. dem Fokussieren von Exponaten in einem Museum, bildet sich der Infeld- und Umfeldbereich. So werden im Infeld die Sehaufgaben lokali­ siert, durch die visuelle Wahrnehmung erkannt, und das Bewusstwerden setzt ein. Dieser Vorgang „Sehen – Wahrnehmen – Erkennen – Bewusstwerden“ ist immer begleitet von den Aufmerksamkeitsvorgängen „geteilte Aufmerk­ samkeit“ und „gerichtete Aufmerksamkeit“. Dem Erkennen und Bewusstwerden eines Ereignisses folgt eine Codie­ rung, die bei geeigneten Voraussetzungen im Langzeitgedächtnis gespei­ chert und dann als Erinnerung abgerufen werden kann. Dieser informa­ tive Vorgang zeigt die Möglichkeiten und die Bedeutung des visuellen Erkennens, das mehr ist als Sehen. Es ist ein geistiger Vorgang, der auch Bewusstseinsbildung und Bewusstseinserweiterung verursachen und beein­ flussen kann. Prof. Daniel L. Schacter beschreibt in seinem Buch Wir sind Erinnerung (1999) die Erinnerung als Ergebnis unserer Informationsverarbeitung unter der Voraussetzung, dass sie abgerufen werden kann. In den letzten Jahren der Gedächtnisforschung und beim sogenannten Konnektivismus wurde die Vorstellung aufgegeben, dass eine Erinnerung das aktivierte Bild eines vergangenen Ereignisses sei. Das Gehirn speichert Engramme, indem es die Verbindungen zwischen Neuronen verstärkt, die an der Codierung eines Erlebnisses beteiligt sind (Kurzzeitgedächtnis). Beim Entstehen des Langzeitgedächtnisses werden die Neuronen-Schalt­ kreise erweitert oder auch neu gebildet. „Der Gedanke, dass eine Erinnerung eine emergente Eigenschaft des ­Abrufreizes und des Engramms ist, ist schwer zu akzeptieren. Wir müs­ sen uns von vielen vertrauten Vorstellungen befreien, wenn wir verstehen wollen, wie sich bruchstückhafte Erfahrungsreste in autobiographische Er­zählungen verwandeln, die die Zeit überdauern“, so Prof. Daniel L. ­Schacter. Die Ausführungen von Daniel L. Schacter führen uns die Notwendigkeit einer neuen Raum-Licht-Gestaltung deutlich vor Augen. Ich bin der Über­ zeugung, dass der Einfluss der visuellen und neurologischen Komponenten in Zukunft in der Licht- und Raumgestaltung verstärkt zu berücksichtigen ist, da sie über die autonomen visuellen Abläufe, die der heutigen Lichtge­ staltung und Lichttechnik zugrunde liegen, hinausgehen. Bei der Licht- und Raumgestaltung geht es darum, Bewusstseinsvorgänge und Erkenntnisse zu unterstützen und diese auch mit zu verursachen. Mein Anliegen, dieses Buch zu schreiben, wird hier deutlich sichtbar. Es geht mir darum, die Inhalte dieses Buches durch neurologische Aspekte zu ergänzen und in die Lichtgestaltung zu integrieren. Es ist notwendig, das Medium Licht erweitert zu betrachten, vor allem seine Verarbeitung durch das Gehirn. So können wir Aufmerksamkeitsvorgänge besser unterstützen und Konzentration und Wissenssteigerung weiterhin fördern. 48

Kapitel 1

Vorangegangene Studien in unserem eigenen Labor haben uns diesen Weg bereits vor Jahrzehnten einschlagen lassen, und dass wir diesen auch weiter gehen und noch stärker durch dieses Wissen ausbauen, erachte ich als Notwendigkeit. So möchte ich im folgenden Beitrag versuchen, neurologische Erkennt­ nisse aufzuzeigen, um in der Lichtgestaltung Ansätze zu finden, die über das bloße Sehen hinaus zu Erkenntnissen führen.

1.2.6  Selektive Aufmerksamkeit – Gesichtsfeld – Verarbeitung Um ein Sehobjekt wahrnehmen und darauf reagieren zu können, müssen wir es ansehen und unsere Aufmerksamkeit darauf richten. Das geschieht durch das Fokussieren. Sind Sehobjekte zu groß, sodass der Sehbereich nicht ausreicht, um sie als Gesamtes auf der Fovea zu erfassen, können wir unsere Aufmerksamkeit immer nur auf einzelne Ausschnitte lenken und erst dann das gesamte Bild scannen. Bei dem Gesicht in einem Porträt bei­ spielsweise werden demnach zuerst die Augen, dann die Nase, dann der Mund, die Haare etc. fokussiert. Diese hier stattfindenden Abtastbewegun­ gen (= Sakkaden) sind unverzichtbar, denn sie geben der Netzhautgrube die Möglichkeit, die Umgebung zu erkunden. Sie ermöglichen das Sehen an sich, da beim Fixieren eines Punktes dieser verschwinden und das Bild unscharf würde. Das Scannen erfolgt so schnell, dass wir das Bild als Ganzes zu sehen glauben, obwohl wir nur in der Fixierpause zwischen den Sakkaden das Bild bewusst wahrnehmen. Sakkaden suchen nach Informationen. Je nach visueller Aufmerksamkeit variiert die Zeitspanne, in der unsere Augen ein Detail des Sehobjektes fokussieren. Dieser kompliziert und zeitintensiv wirkende Prozess dauert nur einen ganz kurzen Augenblick, in unserer Zeitvorstellung nur einige Hundert Milli­sekunden, denn das Auge bewegt sich bereits zum nächsten Merkmal weiter und fokussiert von Neuem. Das Gehirn entscheidet dann, worauf sich die Augen richten, und das Gehirn trifft auch die Entscheidung, indem es Hypothesen über den Charakter des Sehobjektes bildet. Viele kogni­ tive Faktoren spielen hier eine wesentliche Rolle wie Absicht, Interesse,

Abb. 26 Sensorische Übertragung eines Sehobjektes über die Sehbahn. Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 27 Diese beiden unterschiedlichen Bahnen im ­Sehsystem analysieren/­ erfassen unter­schiedliche Aspekte der sichtbaren Welt.

­ timmung, Emotionen, Erinnerungen, unbewusste und bewusste Motiva­ S tion und instinkthafte Triebe. Neurowissenschaftler haben ein dreistufiges Informationsschema für den visuellen Vorgang erarbeitet. Der dreistufige Informationsverarbeitungsprozess Sehen ist Informationsverarbeitung, und das Auge als Sinnesorgan leitet die sensorisch externen Informationen in zwei parallelen Bahnen in das Gehirn weiter, • der „Was-Bahn“ und • der „Wo-Bahn“. Die „Was-Bahn“, die ihren Input vorwiegend von den Zapfen in der Fovea erhält, transportiert Informationen über unsere Wahrnehmung und Identi­ fizierung von Personen, Objekten, Szenen und Farben – wie sie aussehen und worum es sich handelt (Kandel). Es ist die Verarbeitung der oberen Ebene (bewusst – top-down). Die „Wo-Bahn“ (Abb. 27) empfängt ihren Input hauptsächlich über die Stäbchen in dem die Fovea umschließenden Netzhaut- bzw. Gesichtsfeld­ bereich und ist auch spezialisiert, Bewegung und räumliche Informationen aufzunehmen, die man zum Steuern von Bewegungen benötigt. Dazu ge­ hören auch Augen-, Kopf- und Körperbewegungen, die für das Abtasten (Scannen) eines Bildes oder einer Szene von Bedeutung sind. Die „WoBahn“ ist farbenblind (vorwiegend Stäbchen). Die Koordination dieser beiden Bahnen ist nicht an einem einzigen Ort im Gehirn festzumachen. Die Verknüpfung erfolgt, wenn die Aktivitäten der verschiedenen Regionen dieser beiden Bahnen koordiniert werden – und diese Koordination erfordert Aufmerksamkeit (Kandel). 1. Stufe Diese beginnt in der Netzhaut. Die sensorisch übertragenen Informationen werden erfasst, und es erfolgt die visuelle Verarbeitung der unteren Ebene. Sie ist eine „Bottom-up-Verarbeitung“, also ein vorwiegend autonomer Vorgang. Es werden die Merkmale einer bestimmten visuellen Szene durch Bestimmen der Position eines Objektes im Raum und durch Identifizieren seiner Farbe ermittelt. 50

Kapitel 1

2. Stufe In der visuellen Verarbeitung der mittleren Ebene erfolgt der Prozess der Konturintegration (Liniensegmente, Orientierungsachse der Konturen, In­ varianten), welche die Begrenzungen eines Bildes oder eines Raumgebil­ des definieren und so die einheitliche Wahrnehmung der Form des Ob­ jektes konstruieren (Hubel – Wiesel – Zeki). Gleichzeitig wird das Objekt von seinem Hintergrund getrennt. Dieser Prozess erfolgt zusammen mit der unteren Ebene (Verknüpfung) und ist vorwiegend eine „Bottom-up-Ver­ arbeitung“ („Wo-Bahn“). 3. Stufe In der visuellen Verarbeitung der oberen Ebene („Was-Bahn“, primäre Sehrinde zum unteren temporalen Cortex) werden Kategorien und Be­ deutung festgelegt. Das Gehirn verarbeitet die visuelle Information mit relevanten Infos aus einer Vielzahl anderer Quellen und ermöglicht uns so, spezielle Objekte, Gesichter und Szenarien zu erkennen. Diese „Topdown-Verarbeitung“ zieht Schlüsse und Hypothesen in Bezug auf frühere visuelle Erfahrungen und Erinnerungen und prüft sie. Das Endergebnis ist die bewusste visuelle Wahrnehmung und die Interpretation der eigent­ lichen Bedeutung (nicht fehlerfrei und kann irren) (Kandel). Dieser neuronale Vorspann wurde angeführt, um den komplexen Er­ kenntnisvorgang und die Bedeutung der selektiven Aufmerksamkeit hervor­ zuheben. Das Ziel dieses Kapitels ist es, durch visuelle Maßnahmen das Erkennen von Sehobjekten, Licht-Raum-Milieus, Szenarien, Stimmungen, Emotionen und dergleichen zu fördern. Die gerichtete bzw. selektive Aufmerksamkeit ist, wie die Neurologen sagen, das Tor zum Bewusstsein (Roth). So ist für optimales Sehen nicht allein der einwandfreie physiologische Ablauf Voraussetzung, sondern ­ auch das Wissen über das Sehobjekt, denn die Kenntnis darüber erleich­ tert den Sehvorgang – sie kann ihn sogar vorwegnehmen.

1.2.7  Vertiefung des Gesichtsfeldes Im Spezifischen zeigt dieser Zusammenhang, dass durch den anatomi­ schen Aufbau der Netzhaut (Abb. 23 und 24) die Fovea und ihr umgeben­ der Netzhautbereich durch die Struktur der Rezeptoren, der Stäbchen und der Zapfen mit deren Dichte und Weiterleitung von Informationen und ihre Verarbeitung im Gehirn weitgehend unterschiedlich wirken und erst durch Verknüpfung (Bindung) zur gemeinsamen Aktivität gebracht werden. Die Fovea ist vorwiegend dicht mit Zapfenrezeptoren besetzt, welche großteils ihren Input liefern, der vom Infeld, also dem selektiven Aufmerksamkeits­ bereich, geprägt ist und der dann in den Bereich der „Was-Bahn“ („Topdown-Verarbeitung“) geleitet wird (Abb. 27). Durch die Sehfunktion findet die Fokussierung statt, also die Scharf­ stellung mittels Akkommodation, die das Sehobjekt auf die Fovea lenkt. Dies ist der zentrale Bereich der Aufmerksamkeit und wird durch das Scan­ nen von größeren Objekten erweitert. Die Selektion – die die Aufmerk­ samkeit erst ermöglicht – wird durch die Unschärfe im übrigen Netzhaut­ bereich (Umfeld) und durch die Adaptationsvorgänge, welche auch die Empfindlichkeit der Helligkeit reduzieren, unterstützt. Die Leuchtdichteverteilung, die im Umgebungsbereich zustande kommt und somit das gesamte Gesichtsfeld erfasst, bestimmt die Adaptations­ leuchtdichte. Es entsteht ein Mittelwert, die sogenannte mittlere Umge­ bungsleuchtdichte (LUm in cd/m²). Diese steht in direktem Zusammenhang mit der vertikalen Beleuchtungsstärke (EVA in lx) am Auge. Allgemeine theoretische Grundlagen

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Dieser Vorgang wurde durch Forschungsergebnisse bestätigt, die das damalige Bartenbach LichtLabor durchführte und die in Kapitel 1.3 deut­ lich dargestellt sind. Die Steuerung, die zu dieser Mittelwertbildung führt, ist weitgehend eine „Bottom-up-Verarbeitung“ und somit vorwiegend ­autonom. Der Infeldbereich, dessen mittlere Leuchtdichte diesen Helligkeitsbereich der Aufmerksamkeitszone bestimmt, muss eine geeignete Abstimmung der mittleren Umgebungsleuchtdichte erfahren, welche einen stabilen visuel­ len Wahrnehmungszustand schafft (= „Theoretisches Leuchtdichtemodell“, Kapi­tel 1.4, 1.4.1). Störungen dieses visuell stabilen Bereichs kommen meist aus dem visuellen Umfeld. Dabei handelt es sich vorwiegend um Ablen­ kungen, die durch andere Sehobjekte entstehen und dadurch zu einer neuen Aufmerksamkeitszone werden. Solche Aufmerksamkeitsverlagerungen entstehen ständig, da unsere „visuelle Suche“ laufend neue Informationen sucht – ob wir das nun wollen oder nicht. Die räumliche Umgebung beeinflusst ebenfalls stark unsere Aufmerk­ samkeitsvorgänge und definiert das Maß der Ablenkung wie reflektie­ rende, farbige, textierte Oberflächen, Einrichtungsgegenstände, Bilder u. v. m. Ebenso sind maßgebend die Eigenhelligkeiten dieser Objekte und Oberflächen, so wie in hohem Maße auch die kognitive Verarbeitung und die Interpretation des Gesehenen. Um die Komplexität all der möglichen Ursachen für Ablenkung erfassen zu können, ist der Raum in seiner Gesamtheit in die visuelle Gestaltung einzubeziehen. Unser Ziel liegt darin, das Zeitintervall, in dem der Aufmerksamkeitsvor­ gang und der visuelle Wahrnehmungsvorgang geschehen, zu verlängern und damit die Bewusstseinsbildung zu unterstützen. Mit einer optimalen und angepassten Lichtgestaltung ist es möglich, eine visuelle Organisa­ tion der Sehobjekte sinnvoll auszuführen. Die Kriterien solcher Aufmerk­ samkeitszuordnungen wurden von uns bereits für Museen erarbeitet (siehe Kapitel 1.3.2) und die Ergebnisse als Ablenkungsvorgänge eingestuft. Interessant ist an dieser Stelle, dass der Neurologe und Nobelpreisträger Eric Kandel in seinem hervorragenden Buch Das Zeitalter der Erkenntnis, in dem er die Erforschung des Unterbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute beschreibt, die Bedeutung und die kognitive Ursache für das Erkennen und die Bewusstwerdung von Kunst­ werken analysiert. Daraus geht hervor, dass bei der Betrachtung von Personen die Köpfe, Gesichter, Augen, Mundpartien, Hände und Bewegungsabläufe bevor­ zugt wahrgenommen werden und in dieser Reihenfolge die Aufmerksam­ keit auf sich ziehen. Das Einbeziehen des Betrachters in solche Vorgänge ist somit unbe­ dingt notwendig, da dessen persönliches Wissen, Erinnerungen, Erwartun­ gen und Emotionen die Bewertung beeinflussen und individuell prägen. In Erweiterung auf das Blickfeld ist das Gesichtsfeld in Bezug auf das Informationsangebot sozusagen der unmittelbare Codierungsbereich der visuellen Wahrnehmung. Der Psychologe und Nobelpreisträger Prof. Daniel Kahneman schreibt in seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken (2011) über die Be­ deutung des Gesichtsfeldes wörtlich: „Sobald Ihre Augen geöffnet sind, konstruiert Ihr Gehirn eine dreidimensionale Repräsentation all dessen, was sich in Ihrem Gesichtsfeld befindet, einschließlich der Gestalt von Ob­ jekten, ihrer Position im Raum und ihre Identitäten und den Raum selbst routinemäßig, weitgehend autonom.“ 52

Kapitel 1

1.3  Das Infeld und das Umfeld Das Gesichtsfeld setzt sich aus allen Objektarten, die bei unbewegtem Blick wahrgenommen werden, zusammen. Nur ein Bereich wird dabei ­direkt angesehen und sein Bild durch den Akkommodationsvorgang fokus­ siert in die Netzhautgrube projiziert. Er wird scharf und deutlich gesehen und bildet den sogenannten Infeldbereich. Die Abbildungen aller ande­ ren Objekte und Flächen verteilen sich auf das übrige Gesichtsfeld und werden undeutlich und nur indirekt wahrgenommen. Sie bilden das Um­ feld. Der Raumwinkel des Umfeldes beträgt mit seinem das ganze Ge­ sichtsfeld umschließenden Raumwinkel ω ≈ 1,26 × π. Der Bereich des In­ feldes, der sich wie o. a. ausschließlich auf die Fovea beschränkt, wird dabei ebenfalls in das Gesichtsfeld mit einbezogen. Er beträgt jedoch maximal nur ca. 20 % des Gesichtsfeldes. Aufgrund dieser physiologischen Tatsache lässt sich erkennen, wie wichtig das Helligkeits-/Leuchtdichtever­ hältnis zwischen In- und Umfeld ist und wie stark die autonome Steuerung der Wahrnehmungsabläufe wie z. B. Adaptions- und Akkommodationsvor­ gänge beeinflusst werden. Wir sehen anhand der Auswertung der Versuche in den Abbildungen 28 und 29, dass die Unterschiedsempfindlichkeit in den Sehbereichen von

Abb. 28 In unserem Unternehmen fanden Untersuchungen der Infeldausdehnung von 5°, 10°, 24° und 40° in Zusammenhang mit der Umfeldleuchtdichte in einem Raumwinkelbereich von ω = 1,26 × π statt. Das Ergebnis zeigt, dass die Unterschiedsempfindlichkeit (UE) bei gegebener Sehdistanz und den Infeldraumwinkeln von 5°, 10° und 24° konstant ist (LU max ≈ 250 cd/m²), während ab 24° Infeldausdehnung eine signifikante Reduzierung der UE erfolgt. Ähnliche Ergebnisse hat R. O. Schumacher bereits in seiner Dissertation (ca. 1940) festgestellt. („Therapeutische und nicht-therapeutische Lichtwirkungen in Abhängigkeit von spezifischen lichttechnischen Parametern“, Projekt Nr. 2130, Bartenbach GmbH) Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 29 Darstellung der Unterschiedsempfindlichkeit (UE) bei unterschiedlichen Infeldausdehnungen (5°/10°/24°/40°) und bei steigender Umfeld­ leuchtdichte.

5° bis 25° konstant bleibt. Bei Sehwinkelbereichen über 25° hingegen ­verringert sich die Unterschiedsempfindlichkeit, alles wird unschärfer, und es bildet sich das Umfeld. Das geschieht bei Infeldleuchtdichten über 30 cd/m². Unter diesem Wert entsteht eine Situation, in der es zwischen Infeld und Umfeld keine Trennung mehr gibt. Das Infeld, dessen Zentrum in der Fovea liegt – also am Ort der opti­ malen Sehschärfe –, ist bis zu einem Sehwinkel von 25° wirksam. Beträgt das Infeld mehr als 25°, so sinkt die Unterschiedsempfindlichkeit auch mit der steigenden Umfeldleuchtdichte (siehe grüne Kurven bei Infeldleucht­ dichten von 170 cd/m² und 270 cd/m²). Die Ergebnisse in Abb. 29 zeigen auch, dass bei Infeldern unter 30–40 cd/m² der Infeldbereich nicht mehr ausgeprägt ist bzw. sich von der Umgebungsleuchtdichte nicht mehr unter­ scheidet. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich bei der Dissertation von R. O. Schuma­ cher (1940) und in einer Studie der Bartenbach GmbH „Mehrere Infel­ der“ (Kapitel 1.4.1). Es ist deutlich zu erkennen, wie die visuelle Leistung durch die Infeld- und Umfeldleuchtdichte beeinflusst wird, und ich möchte deutlich darauf hinweisen, wie groß die Bedeutung von Infeld, Umfeld, Unterschiedsempfindlichkeit und der Kriterien der visuellen Leistung für die Entstehung einer optimalen Raumbeleuchtung sein kann. Weiters wurden in diesem Zusammenhang im Bartenbach LichtLabor in eigens dafür gebauten Laborräumen (Maßstab 1 : 1) Untersuchungen durchgeführt, um zu ermitteln, wie stark sich Materialoberflächen der Um­ gebung mit ihren reflektierenden und transparenten Eigenschaften diffe­ renzieren und welche Wertigkeit sie vermitteln. 54

Kapitel 1

Raum A

Raum B

Raum C

Raum D

Abb. 30 Darstellung der vier Raumarten A, B, C und D der Versuchs­ reihe mit dem Raumwinkel von ω = 1,26 × π.

In der Versuchsreihe und Abb. 30 wurden vier unterschiedliche Raum­ typen bei einem Raumwinkel von ω = 1,26 × π verglichen, bei voller Aus­ leuchtung des Gesichtsfeldes mit transparenten/klaren, opaken und diffus reflek­tierenden Oberflächen. Das Infeld (= PC + Schreibtisch) war immer dasselbe, das Umfeld (Wände + Raum) jedoch variierte hinsichtlich des Strahlungscharakters: • Raum A – diffus transmittierend, • Raum B – transparent/klar, • Raum C – diffus reflektierend (weiß), • Raum D – Standardraum. Es zeigte sich, dass die diffus transmittierenden (Raum A) oder diffus re­ flektierenden Oberflächen (Raum C und D) der Raumbegrenzung keine signifikanten Unterschiede in der visuellen Leistung ergaben. Signifikante Verbesserungen jedoch waren bei der transparenten und klaren Ober­ fläche zu erkennen. Daraufhin wurde Raum B als Basis für unsere umfangreiche Studie Feld­ größen herangezogen, deren Ziel es war, • die visuelle Leistung (Kriterium Unterschiedsempfindlichkeit) und ihren Zusammenhang mit der Infeldleuchtdichte aufzuzeigen (siehe Kapitel 1.3.1), • den Einfluss der Umfeldleuchtdichte auf die visuelle Leistung bei kons­ tanter Infeldleuchtdichte zu ermitteln (siehe Kapitel 1.3.1), • die Mittelbildung der Umgebungsleuchtdichte durch Adaptationsvor­ gänge zu erarbeiten und den Zusammenhang der mittleren Umgebungs­ leuchtdichte und der vertikalen Beleuchtungsstärke am Auge unter Ein­ Allgemeine theoretische Grundlagen

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beziehung der Gesichtsfeldausdehnung (Raumwinkel ω) darzustellen (siehe Kapitel 1.3.1) • und den Einfluss mehrerer Infelder aufzuzeigen (siehe Kapitel 1.3.2).

1.3.1  Die visuelle Leistung in Abhängigkeit der Infeldleuchtdichte Um die visuelle Leistung im Zusammenhang mit den Komponenten Unter­ schiedsempfindlichkeit (UE), Infeldleuchtdichte (LI) und Umgebungsleucht­ dichte (LU zu untersuchen, wurde das in Abb. 30 dargestellte Versuchs­ design aufgebaut. In umfangreichen Versuchsreihen mit Probanden wurde der Zusammen­ hang von unterschiedlichen Infeldleuchtdichten (Bildschirm) und einer Anzahl von unterschiedlichen Umgebungsleuchtdichten untersucht und die Gesichtsfeldleuchtdichte, die der mittleren Adaptationsleuchtdichte ­entspricht, ermittelt. Die transparente Oberfläche zeigt die im Umfeld vorkommende Strah­ lungsart auf. Generell gilt für den Versuchsaufbau, dass • sich die Infeldleuchtdichte durch den Akkommodationsvorgang auf den fokussierten Netzhautgrubenbereich (Fovea) bezieht; • die Umgebungsleuchtdichte LU dem Mittelwert der Gesichtsfeldleucht­ dichte entspricht. Die Ausdehnung des Gesichtsfeldes (entspricht ca. dem Blickfeld) wird mit ω = 1,26 × π herangezogen; • die mittlere Umgebungsleuchtdichte LUm in unmittelbarem Zusammen­ hang mit der vertikalen Beleuchtungsstärke EV am Auge steht und die Ursache selbiger ist. Der visuelle Raum, der lichttechnisch durch die Umgebungsleuchtdichte definiert ist, verursacht die Adaptationsleuchtdichte (= Mittelwert der Ge­ sichtsfeldleuchtdichte LUm) im Gesichtsfeld. Die Adaptationsleuchtdichte wird von der Infeldleuchtdichte vernachlässigbar beeinflusst, da der In­ feldbereich nur wenig des gesamten Bereichs des Gesichtsfeldes erfasst (Abb. 33).

Abb. 31 Referenzraum B mit Blickwinkel des Probanden auf das Versuchs­ design (homogene Situation). Die homogene Situation bedeutet, dass das Gesichtsfeld im domi­ nanten Umgebungsbereich (LUm) ausgeleuchtet ist.

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Kapitel 1

Abb. 32 Unterschiedsempfindlichkeit bei verschiedenen Infeld­ helligkeiten (Umfeldhelligkeit 10–1.550 cd/m²).

Abb. 33 Die Grafik zeigt den Zusammenhang der vertikalen Beleuchtungsstärke EV am Auge und der Umgebungsleuchtdichte LU, wobei die Infeldleuchtdichtebereiche LI als Parameter dargestellt sind. Es zeigt sich, dass die Bildung der EV wesentlich von der mittleren Umgebungsleuchtdichte bestimmt wird, die dem Zusammenhang der mittleren Adaptationsleuchtdichte entspricht. Bei der Bildung der mittleren Adaptationsleuchtdichte ist es wesentlich, dass die Verteilung der Um­ gebungsleuchtdichte im Gesichtsfeldbereich (ausgenommen der Bereich der Infeldleuchtdichte) keine zu großen Leuchtdichteunterschiede aufweist, die ein Zustandekommen der integrativen Mittelbildung verhindern könnten. Allgemeine theoretische Grundlagen

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Die Ergebnisse der Grafik in Abb. 32 zeigen, dass die Unterschieds­ empfindlichkeit (UE) wesentlich von der Infeldleuchtdichte (LI) geprägt ist. Diese steigt im Bereich von LI = 0–270 cd/m² progressiv an und erreicht bei LI ≈ 270 cd/m² das Maximum, sodass bei weiter steigender Infeldleucht­ dichte keine wesentliche Zunahme der Unterschiedsempfindlichkeit mehr auftritt. Es wurde auch die Bedeutung der mittleren Umgebungsleuchtdich­ ten untersucht, und das Symbol [ stellt den Bereich der signifikanten Ver­ änderung bzw. den Einfluss derselben dar. Eine bessere Übersicht der Ver­ netzung von Infeld- und Umgebungsleuchtdichte aus dem theoretischen Leuchtdichtebegriff ist in Abb. 57, Kapitel 1.4 ersichtlich.

Zusammenfassung Mit dem Begriff „Infeld“ ist die Fovea mit ihrem Wirkungsspektrum gemeint und mit „Umfeld“ der umgebende Teil des Gesichtsfeldes. Die Bedeutung des Gesichtsfeldes, seine Wirkungsbreite und seine Zusammenhänge mit den Verarbeitungsvorgängen im Gehirn wurden bereits in Kapitel 1.2 er­ arbeitet. Aus Abb. 24 ist ersichtlich, dass im Zentrum der Netzhaut (Fovea) die Dichte der Zapfen-Rezeptoren am höchsten ist und über die Sehbahn (Abb. 26, 27) und die „Was-Bahn“ zur „Top-down-Verarbeitung“ geführt wird. Das Ergebnis davon ist, dass vorwiegend die visuelle Wahrnehmung durch Fokussieren zu gerichteter Aufmerksamkeit führt und begleitend vom Scharfsehen die Voraussetzung für Erkenntnisse entsteht. Das alles bewirkt vorwiegend das Infeld. Im Umfeld, welches die Fovea umschließt und im weiteren Sinne die Peripherie der Netzhaut bildet, werden die Zapfen-Rezeptoren spärlicher und die Stäbchen-Rezeptoren größer und dichter. Die sensorisch über­ tragenen Informationen werden erfasst und zur „Bottom-up-Verarbei­ tung“ (vorwiegend autonomer Vorgang) über die „Wo-Bahn“ in das ent­ sprechende Gehirnareal geleitet (Abb. 26, 27). Das Umfeld umfasst ca. 70–90 % des Gesichtsfeldes. Das Ergebnis der Versuchsreihe in Abb. 29 zeigt, dass die im Infeld ­entstandene visuelle Leistung eine Ausdehnung des Sehwinkels von 0° bis 25° erreichen kann. Alles drüber begibt sich in den Bereich des Umfeldes. Das Umfeld besteht überwiegend aus Stäbchen-Rezeptoren, ist „farben­ blind“ und unscharf bei Sehvorgängen, in welchen Akkomodationsvor­ gänge (Fokussieren) stattfinden. Das unterstützt die Selektionswirkung, die im Infeld zur Aufmerksamkeit führt. Durch den überwiegend autonomen Steuerungsvorgang wird unser visuelles Verhalten stark beeinflusst und ge­ steuert. Die Bedeutung des Umfeldes für unsere visuellen Vorgänge ist groß, da diese vorwiegend autonom und unbewusst wirksam sind und nicht immer ganzheitlich erkannt werden. Für unsere Planungskonzepte jedoch ist es unverzichtbar, sie trotz ihrer Komplexität mit all ihren visuellen Kompo­nen­ ten zu erkennen und einzubeziehen. Die Studie in Abb. 32 zeigt den Ein­ fluss der Infeldleuchtdichte im Zusammenhang mit der Umfeldleuchtdichte auf die visuelle Leistung. Wir erkennen, dass die Infeldleuchtdichte bis LI ≈ 300 cd/m2 eine Steigerung erfährt und dann in eine Sättigung übergeht. Die Zusammenhänge zwischen Infeld, Umfeld und visueller Leistung werden im folgenden Kapitel vertieft und erweitert, da sich solche Be­ trachtungen auf einen statischen Seh- bzw. visuellen Wahrnehmungsvor­ gang beziehen, der die analytischen Betrachtungen und Definitionen bei der Beurteilung eines Sehobjektes ermöglicht. Die Realität unserer Seh­ vorgänge ist jedoch dynamisch und entspricht im Allgemeinen unserem visuellen Verhalten und wird im folgenden Kapitel 1.3.2 erarbeitet. 58

Kapitel 1

1.3.2  Mehrere Infelder im Gesichtsfeld Die bisherigen Untersuchungen und ihre Ergebnisse beziehen sich auf die visuelle Leistung unter Einbeziehung der begrenzenden und reflektieren­ den Oberflächen des Raums sowie der großflächigen Leuchtdichteaus­ dehnungen im Umfeld. Sie wurden und werden nach wie vor immer auf eine bestimmte Infeldsituation abgestimmt. Die darin variabel auftreten­ den Komponenten im Umfeld werden mit dem Theoretischen Leuchtdichte­ modell abgestimmt. In der Realität treten viele gleichzeitige Wechselbe­ ziehungen der unterschiedlichen Infelder auf, sodass wir vor allem bei der geteilten Aufmerksamkeit einen Infeldbereich wahrnehmen. Am Beispiel eines Konferenzraums lässt sich das gut veranschaulichen: Es ergeben sich hier viele Wechselbeziehungen durch z. B. Wandprojektio­ nen (Standbild, Film, Animation), Blickwechsel zum Bildschirm oder/und Schriftstücken, Diskussion/Gespräch mit mehreren TeilnehmerInnen etc. Vieles davon trifft in einem einzigen Prozess zu und tritt somit in unserem Gesichtsfeld auf. Es handelt sich dabei um einen simultanen Vorgang, und der Infeldbereich ist immer der Bereich, auf den wir aktuell fokussieren und akkommodieren. Alles andere wird zum Umfeld und damit unschärfer. In dem Moment, wo sich das Auge auf eine neue Szene einstellt und neu fokussiert, wird diese zum aktuellen Infeld und das Vorangegangene in den Umfeldbereich eingegliedert. Ein sukzessiver Vorgang solcher Wech­ sel von Infeldern findet beinahe laufend statt und ist in diesem Umfang nur dadurch zu bewältigen, dass unser Gehirn in der Lage ist, diese Vorgänge in Bruchteilen von Sekunden zu verarbeiten. Für reale Planungskonzepte ist es daher empfehlenswert, Sehbereiche so zu gestalten, dass sie den visuellen Tätigkeitsumfang als Bereich einbe­ ziehen, der eine Optimierung und Stabilisierung des auftretenden visuellen Wahrnehmungsumfangs ermöglicht (Theoretisches Leuchtdichtemodell).

Abb. 34 Anordnung Testraum: Durchführung des Tests mit jeweils zwei Monitorhelligkeiten, 40 cd/m² und 140 cd/m². Es ­können zwei Sitzpositionen gleichzeitig untersucht werden.

Allgemeine theoretische Grundlagen

59

Ich möchte zur besseren Veranschaulichung einen Versuchsaufbau be­ schreiben, der sich ausführlich mit diesem Thema beschäftigt hat und den ich für meine zusammenfassenden Erläuterungen als notwendig erachte. Diese Thematik, die für das Verständnis und als Grundlage für das ak­ tive Wahrnehmen gesehen werden soll (also das visuelle Verhalten bei mehreren Infeldern), wurde von unserem Unternehmen in einer umfangrei­ chen Studie in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Rasch innerhalb des Projektes „Astronomy Museum Mekka“ anhand zweier identischer Test­ räume mit jeweils zwei Arbeitsplätzen untersucht, in welchen es um die visuelle Leistungsfähigkeit in dunklen Räumen ging. („Mehrere Infelder“, Projekt Nr. 1719, 2011) Die Begrenzungsflächen umschließen einen Raumwinkel von ω = 1,26 × π und entsprechen damit dem des Gesichtsfeldes. Der Infeldbereich be­ steht aus zwei Arbeitsplätzen mit jeweils einem Bildschirm. Beide wurden mit zwei unterschiedlichen Infeldleuchtdichten bei gleichen Testmethoden gestaltet: • LI = 40 cd/m² • LI = 140 cd/m² Die Zielsetzung der Testreihe war die Erhebung des Einflusses von Um­ gebungsobjekten auf die Sehaufgabe im Infeld. Die Untersuchung galt für die zwei Infeldhelligkeiten LI = 40 cd/m² und 140 cd/m². Es wurden acht unterschiedliche Bedingungen/Situationen untersucht: • Bedingung 1: Monitore zeigen Bilder mit Lm = 40 cd/m² • Bedingung 2: Monitore zeigen Bilder mit Lm = 140 cd/m² • Bedingung 3: Monitore grau mit Lm = 5 cd/m² • Bedingung 4: Monitore grau mit Lm = 15 cd/m² • Bedingung 5: Monitore grau mit Lm = 2 cd/m² (Wiederholung Unter­ suchung V1) • Bedingung 6: Bilder mit 40 cd/m² und Film 40 cd/m² (Monitor C) – ohne Ton • Bedingung 7: Bilder mit 140 cd/m² und Film 140 cd/m² (Monitor C) – ohne Ton • Bedingung 8: Bilder mit 140 cd/m² und Film 140 cd/m² (Monitor C) – mit Ton

Versuchsreihe V2 – V3a – V3b (Bezeichnung der getesteten ­Erkundungsebenen) Das Erkundungsverhalten in einem Raum wird vorwiegend von den opti­ schen informativen Angeboten des Raumes beeinflusst, und die Wahrneh­ mungsvorgänge werden von diesen bestimmt. Die Reizaufnahme geschieht beim Erkunden in mindestens drei Erkundungsebenen. Diese Erkundungs­ ebenen sind in der folgenden Grafik Abb. 35 zusammengestellt. In den Klammern stehen die Bezeichnungen für die jeweiligen Versuchsvarianten, die im Folgenden analysiert werden. Da diese Erkundungsebenen nicht isoliert nacheinander oder neben­ einander ablaufen, sondern ständig ineinander übergehen, wurde für unsere Untersuchung für jede der drei Erkundungsebenen ein eigenes Untersuchungsdesign entwickelt. Abb. 36 stellt die Testsituation V2 dar, jedoch wurden fünf zusätzli­ che Monitore an der Wand angebracht und mit einer Leuchtdichte von 40 cd/m² und 140 cd/m² beaufschlagt. In dem einen Versuch waren die Wandbildschirme zwar hell, jedoch informationslos. Im anderen Versuch waren die Bildschirme ebenfalls hell und mit bewegten Bildern bzw. ­Filmen und Ton – also informativ (Abb. 37). 60

Kapitel 1

Abb. 35 Gliederung und Übersicht über die Erkundungsebenen.

Abb. 36 Die Abbildung bezieht sich auf die fokussierte Erkundungsebene V2. Die Monitore an den Wänden sind nur „helligkeitsbeaufschlagt“ und ohne Information (Testreihe 1).

140

40

Abb. 37 Die Abbildung bezieht sich auf V2, jedoch zeigen die Umge­ bungsmonitore hier auch Infor­ mation (Testreihe 2).

Allgemeine theoretische Grundlagen

61

Die Anordnung der Leuchten und der Arbeitsplätze waren für V2, V3a und V3b dieselben.

V2 – Fokussive Erkundungsebene – Objekte erforschen Das Erkundungsverhalten in diesem zweiten Versuchsdurchgang beruht auf zwei Bildschirmarbeitsplätzen, bei welchen der jeweilige objektive Sehvorgang – das Infeld – im fokussierten Bereich getestet wurde. Das Kriterium war die visuelle Leistung (UE). Die Umgebung (= Umfeld) ist gegliedert in die Raumbegrenzungen im Gesichtsfeld wie Decke, Wände und zusätzliche fünf Bildschirme, die lediglich ca. 10 % der Umfeldfläche betragen (Abb. 36, 37). Die Bildschirmhelligkeit des Infeldes beträgt LI = 40–140 cd/m² und die der Umfeldmonitore LU = 40–140 cd/m². Dadurch verändert sich entsprechend die mittlere Umgebungsleuchtdichte. In der ersten Testreihe (Abb. 36) sind die fünf Umgebungsmonitore ohne Information ausgeführt und haben eine Leuchtdichte von LU = 40–140 cd/m². Der mittlere Umgebungsleuchtdichtebereich stellt sich hierbei auf LUm = 2–15 cd/m² ein. Die Ergebnisse der Testreihe 1 zeigen, dass die visuelle Leistung (Kriterium UE) bei der Anhebung des Infeldes von LI = 40 cd/m² auf 140 cd/m² pro­ gressiv ansteigt (Abb. 39), jedoch auf die Helligkeitsveränderungen der fünf Monitore im Umfeld keine Wirkung zeigt. Bei Testreihe 2 zeigt sich ebenfalls keine Veränderung der visuellen Leistung, obwohl die Umgebungsmonitore eine Informationserweiterung durch Bild/Film und Ton erhielten. Eine Steigerung der visuellen Leistung zeigte sich erst durch das Anheben der Infeldleuchtdichte von 40 cd/m² auf 140 cd/m². Änderungen durch die Umfeldleuchtdichte wurden keine wahrgenommen (Abb. 42).

V3a – Lokale Erkundungsebene – Annäherung an Objekt Diese Testanordnung unterscheidet sich von V2, indem es keine Bildschirme auf den Tischen gibt. Die Sehaufgaben fanden an den Wandmonitoren statt, die damit das eigentliche Infeld bildeten. In dieser Versuchsreihe wurde ein definierter sequenzieller Blickwechsel zwischen den Infeldern

Abb. 38 Versuchsanordnung V3a.

62

Kapitel 1

Abb. 39 V2-Ergebnisse für den Helligkeitswechsel im ­Infeld von 40 cd/m² auf 140 cd/m².

vorgegeben, indem die Versuchspersonen instruiert wurden, bei jedem Monitor ein Sehzeichen zu beurteilen (Abb. 38). Herausgefunden werden sollte in diesem Versuch, welche Helligkeits­ veränderungen beim Blickwechsel und der jeweiligen Fokussierung auf die Sehaufgabe zulässig sind, um die transiente Adaptationsleistung (­steter Blickwechsel zwischen hohen und niederen Intensitäten) nicht zu stören. Es hat sich gezeigt, dass eine zunehmende Infeldhelligkeit an den Wandmonitoren zu einer besseren Kontrastunterscheidung führt. Ab einer Infeldleuchtdichte von ca. 65 cd/m² war ein laufend signifikanter Anstieg bei der gemessenen visuellen Leistung messbar. Es konnte festgestellt werden, dass keine Ermüdungseffekte auftraten, egal ob ein moderater Wechsel von hellen Infeldern auf dunkle erfolgte oder umgekehrt.

V3b – Mobile Erkundungsebene – Entdecken Die Versuchsreihe V3b war dieselbe wie V3a. Der Unterschied liegt in der Testmethode und der Abfolge. Die Aufgaben- bzw. Fragestellung lautete: • Welche Infeldhelligkeiten sind bei freier visueller Erkundung im Raum notwendig, um die visuelle Leistung nicht zu beeinträchtigen bzw. zu ­stören? • Findet bei fixierten Details im erweiterten Suchfeld der Umgebung Ab­ lenkung statt? • Können die Testvorgaben im informationslosen Umfeld eher gefunden werden als in informationsreicher Umgebung? • Ergebnisse für die mobile Erkundungsebene V3b Den Probanden wurde eine konkrete Sehaufgabe gestellt, und die Wand­ monitore wurden als Umfeld einmal informationsreich und einmal reizarm gestaltet (Abb.  40). Es zeigte sich, dass bei der Infeldleuchtdichte von 40 cd/m² eine deutliche Verschlechterung der Kontrastempfindlichkeit ge­ geben war, wenn die Umgebung informationsreich gestaltet wurde. Bei derselben Infeldleuchtdichte von 40 cd/m² und einer informationsarmen Allgemeine theoretische Grundlagen

63

Abb. 40 Versuchsanordnung V3b.

Abb. 41 Abhängigkeit der visuellen ­Leistung von der Infeldhelligkeit und der Umgebungsgestaltung.

64

Kapitel 1

Abb. 42 Abhängigkeit der visuellen Leistung von der mittleren ­Infeldhelligkeit und der unmittelbaren Gestaltung unter unterschiedlichen Bedingungen.

Umgebung hingegen ergab sich weit weniger Ablenkung der Testperso­ nen. Dieser Unterschied konnte bei Infeldleuchtdichten von 140 cd/m² hin­ gegen nicht mehr gefunden werden (Abb. 41). Es zeigte sich jedoch deutlich und wenig verwunderlich, dass helle In­ felder (140 cd/m²) zu einer deutlich besseren visuellen Leistung führen als Infelder mit 40 cd/m². Bei der Interpretation der Ergebnisse haben wir für uns erkannt, dass eine  reizarme Umgebungsgestaltung bei einem Infeldbereich von LI  =  40  cd/m² zu besseren Werten bei der visuellen Leistung führt. Bei häufigem Wechsel von Infeldhelligkeiten zwischen 40 und 140 cd/m² ist ein relativ großer Freiraum bei der Umgebungsgestaltung gegeben. Reiz­ arme Gestaltung und informationsreiche Gestaltung können beliebig ab­ gewechselt werden – die visuelle Leistungsfähigkeit wird nicht beeinträch­ tigt (bezogen auf Infeldbereich LI > 40 cd/m², Abb. 42).

Zusammenfassung Die Objekthelligkeiten sollten hell gewählt werden (über 60 cd/m²). Mit zunehmender Helligkeit steigen die visuelle Leistungsfähigkeit und damit die dynamische visuelle Wahrnehmungsfähigkeit. Bei mehreren nebeneinanderliegenden Monitoren mit geringer Hel­ ligkeit (LI < 40 cd/m²) sollte die Umgebung reizarm gestaltet werden. Wechseln die Umfeldleuchtdichten an den Monitoren zwischen LI > 60– 140 cd/m², so beeinflussen sie die visuelle Leistung gegenseitig nicht. Eine Infeldleuchtdichte von weniger als 40 cd/m² ist hypothetisch ge­ sprochen ein Bereich, in dem sich die Infeld- von der Umfeldbildung immer weniger differenziert, mit abnehmender Tendenz. Allgemeine theoretische Grundlagen

65

Das zeigt sich bereits in den Untersuchungen der Infeldausdehnung (Abb. 29), in welchen sich bei LI ≈ 30 cd/m² die Infeldausdehnungen an­ gleichen. Schon 1940 weist Schumacher in seiner Dissertation darauf hin, dass die Unterschiedsempfindlichkeit in den maximalen Bereich kommt – ­wörtlich –, wenn bei • Infeldleuchtdichten bis Lf = 300 asb (≈ 95 cd/m²) die Umfeldleucht­ dichte gleich ist und • bei LU = 1.200 asb (≈ 382 cd/m²) die Umfeldleuchtdichte geringer ist (LUm ≈ 1⁄3 LI). Das wurde auch von Herbert Schober (Das Sehen) beschrieben. Vergleicht man nun die Ergebnisse der visuellen Leistungen bei den durch­ geführten Versuchsreihen mit unterschiedlichen Erkundungsebenen (V2, V3a und V3b) miteinander (Abb. 43), so zeigen sich erhebliche signifi­ kante Unterschiede im visuellen Leistungsbild trotz gleicher • Infeldleuchtdichte, • Sehaufgabe, • Anordnung, • Testmethode, • Umfeldbedingungen (LUm und Materialoberfläche), • vertikaler Beleuchtungsstärke am Auge und trotz gleichen • Informationsangebots. Die Voraussetzungen waren bei V3a und V3b dieselben, jedoch hatte V2 geänderte Bedingungen. Der Unterschied der Ergebnisse liegt also nicht in den Komponenten des Sehens (diese sind gleich und im Testergebnis sind diese Einflüsse gering), sondern in der Art der ­Aufmerksamkeitsabläufe: • gerichtete Aufmerksamkeit – Fokussives Erkunden (V2), • geteilte Aufmerksamkeit – Erfassen und Annähern an die Objekte (V3a), • ungerichtete Aufmerksamkeit – Sehen und Entdecken der Objekte (V3b). Analysiert man das Ergebnis in Abb. 37, so zeigt sich, dass beim Vergleich von V3a mit V3b in der visuellen Leistung ein erheblicher signifikanter Un­ terschied auftritt. Beim Versuch V3b (mobiles Erkunden) wurden die Versuchspersonen angewiesen, im erweiterten Suchbereich ein definiertes Sehzeichen zu finden, dieses zu fixieren und nach seiner Ausrichtung zu beurteilen. Es handelt sich hier durch die Sehaufgabe „Findenmüssen“ um einen ge­ teilten und begleitenden Aufmerksamkeitsvorgang, wie er beim Erkunden dominiert (Abb. 40). Die lokale Erkundungsebene V3a ist eine Modifikation des Testverfahrens von V3b, von dem eine visuelle Leistung ohne zusätzliche Suchaufgabe ge­ fordert wurde. Es erfolgte ein genau vordefinierter Blickwechsel zwischen den Infeldern, wobei beim linken Monitor A begonnen wurde (Abb. 38). Die Versuchsperson wurde instruiert, bei jedem Monitor 22 Sehzeichen zu beurteilen. Es handelt sich hier bereits um einen gerichteten Aufmerksam­ keitsvorgang. Das erklärt auch das Ergebnis, das zeigt, dass sich bei glei­ chen lichttechnischen Bedingungen (gleiche Sehaufgabe, gleiche Infeldund Umfeldleuchtdichte) die Unterschiedsempfindlichkeit erheblich durch die unterschiedlichen Aufmerksamkeitsvorgänge von der gerichteten Auf­ merksamkeit zum geteilten Aufmerksamkeitsvorgang differenzieren, wobei die Unterschiedsempfindlichkeit bei der gerichteten Aufmerksamkeit (V3a) signifikant höhere Werte aufweist (Abb. 43). 66

Kapitel 1

Abb. 43 Einfluss unterschiedlicher Aufmerksamkeits­ zustände auf die visuelle Leistung.

Die visuelle Leistung wird also durch die gerichtete Aufmerksamkeit ver­ stärkt und unterstützt den Wahrnehmungsverlauf durch den Selektionsvor­ gang. Der Anteil an Ablenkung, wie er bei der Sehaufgabe bei Erkun­ dungsebene V3b entsteht, verringert diesen Selektionsvorgang und führt dadurch zu der in Abb. 43 angeführten Reduzierung um ca. 40–50 % der Sehleistung. Bestätigt wird dies in der fokussierten Erkundungsebene V2. Bei diesen Versuchen wurde eine gerichtete Aufmerksamkeit dargestellt. Das Ergebnis dieses Versuches zeigt sich in der Tendenz, dass die gerichtete Aufmerk­ samkeit eine erhebliche Steigerung der visuellen Leistung bewirkt. Die Testvorgaben bei V3a förderten die gerichtete Aufmerksamkeit und bei V3b die geteilte Aufmerksamkeit. Es zeigt sich jedoch, dass sich die Werte der visuellen Leistung bei V3b verringern. Die geteilte Aufmerksam­ keit ist wenig selektiv und nivelliert sich mit der visuellen Leistung des Theo­ retischen Leuchtdichtemodells (Bereich A). Aus diesen Erkenntnissen kann man einen Zusammenhang von gerichteter und geteilter Aufmerksamkeit – bezogen auf den Einfluss auf die visuelle Leistung – erkennen. Ein hypothetischer Ansatz ist, dass die gerichtete Auf­ merksamkeit eine Fokussierung auf den Infeldbereich voraussetzt und sich auf einen Vorgang ausrichtet. Anne Treisman nennt das treffend in ihrem Wahrnehmungsmodell: „Scheinwerfer der Aufmerksamkeit“ (Feature Inte­ gration Theory, Anne Treisman, 1963, Abb. 60). Dieser Vorgang ist mit dem Infeldbereich verbunden, wird vom Akkommodationsvorgang begleitet, und durch die Fokussierung findet er im Bereich der Fovea statt. Im Infeld wird die visu­elle Leistung vorwiegend durch die gerichtete Aufmerksamkeit bestimmt, verstärkt durch die Selektion, die zusätzlich die visuelle Leistung durch Sinnesverstärkung steigert. Dies ist vorwiegend ein geistiger Vor­ gang, verbunden mit Bewusstseinsbildung (Karl Popper), also vom Wissen der Vorgänge und damit auch vom Motivationszustand abhängig. Der Vorgang der gerichteten Aufmerksamkeit bewegt sich im vegetativen Nervensystem im Bereich des Sympathikus und ist damit aktivierend. Diese Aktivierung (= positiver Stress) ist damit zeitlich begrenzt. Die begleitenden parasympathischen Abläufe sollen daher nicht ablenken, sondern die Auf­ merksamkeitsvorgänge unterstützen (HRV). Allgemeine theoretische Grundlagen

67

Abb. 44 Für diese Art der visuellen Tätigkeit ist der Leuchtdichtebereich im Raum ausgewogen verteilt und zugeordnet. Der höchste Wert der Umgebungsleuchtdichte reduziert sich durch Mittelbildung (Adaptationsleuchtdichte) auf ca. 100–150 cd/m² am Fenster und wird durch die Mittelbildung (Adaptationsvorgang) der Um­ gebungsleuchtdichte dem stabilen visuellen Wahrnehmungsbereich angepasst.

93–120

57

90

50 34

11

40

703

24

89 112 75 65–100

134–150

Auf der Grundlage dieser Versuchsergebnisse und der Erkenntnisse der Bedeutung von Aufmerksamkeitsvorgängen bzw. deren Verläufe wird in Abb. 54 das Theoretische Leuchtdichtemodell dargestellt, das zur Ermitt­ lung dieser Zusammenhänge führte. Man sieht, dass die Begrenzung A auf ungerichtete Aufmerksamkeit aufbaut (einfache Testaufgabe und nur ein Sehzeichen), während die Begrenzung B ihre Grundlage auf ein Test­ verfahren bezieht, das mit begrenztem Zeitverlauf auf gerichteter Aufmerk­ samkeit aufbaut. Die Darstellung des Theoretischen Leuchtdichtemodells in Abb.  54 zeigt, dass sich bei unterschiedlichem Aufmerksamkeitsverhalten (z. B. bei geteilter Aufmerksamkeit oder bei einfachen Sehaufgaben) der zulässige Umfeldleuchtdichtebereich reduziert (Bereich A). Das bedeutet, dass der Einfluss der Umgebung bei gegebenem Infeld und ungerichteter Auf­ merksamkeit sensibler wird, anstatt sich zu verstärken. Bei zunehmender Konzentration – also bei der Tendenz zur gerichteten Aufmerksamkeit – wird der Einfluss der Umgebungshelligkeit oder generell der Umgebung geringer, und der zulässige Umgebungsleuchtdichtebereich wird größer (Bereich B). Für die Anwendung an realen Projekten empfehle ich, vorwiegend den Bereich A im Theoretischen Leuchtdichtemodell anzuwenden. Die Tätigkeitsabläufe setzen als Basis generell „gutes Sehen“ voraus, wobei es sich um autonome Vorgänge handelt. Das bedeutet, dass die Adaptationsvorgänge und die Verarbeitung der Leuchtdichteverhältnisse – die Komponenten, die an der Optimierung der Sehvorgänge beteiligt sind – weitgehend unbewusst ablaufen und sich daher voraussichtlich im Bereich A bewegen. Es kommt eher selten vor, dass eine Tätigkeit von einer gerichteten „Daueraufmerksamkeit“ begleitet wird, wobei es sicher notwendig ist, speziell bei schwierigen Denkaufgaben die gerichtete Auf­ merksamkeit konzentrationsbegleitend aufrechtzuerhalten oder sie durch 68

Kapitel 1

Abb. 45a Abb. 45b Die Veränderung des Licht- und Raummilieus zeigt in diesem Beispiel deutlich, wie stark sich die Identität des Raums ­verändert und damit verbunden die Wirkung des aus­ gestellten Objektes. Beide Autos werden mit derselben Beleuchtungsstärke beaufschlagt, jedoch entsteht der ­Unterschied sowohl durch die Art der Bestrahlung als auch durch die Umgebung. Allgemeine theoretische Grundlagen

69

Aufmerksamkeitssteuerung immer wieder aufs Neue zu aktivieren. Aber auch in diesem Fall ist die Anwendung des Bereichs A im Theoretischen Leuchtdichtemodell zu empfehlen, da die Leuchtdichteverteilung des Raums und im Gesichtsfeld so ausgelegt ist, dass sie für weniger Ablen­ kung sorgt.

70

Kapitel 1

Abb. 46 Abb. 47 Abb. 48 Abb. 49 Wir sehen deutlich, wie sich bei demselben Raum lediglich durch die Veränderung der Beleuchtung und der Zuordnung der Leucht­ dichten unterschiedliche Stim­ mungen erzeugen lassen, die auch an die Weinsorten/-farben angepasst werden können.

1.4  Licht- und Raummilieu: Das Theoretische ­Leuchtdichtemodell In den Kapiteln 1.2 und 1.3 wurden die visuellen Abläufe in Räumen aufge­ zeigt, die wesentlichen visuellen Komponenten analysiert und ihr Zusam­ men­wirken dargestellt. Um den Informationsinhalt von Objekten und Räumen zu optimieren, ist es sinnvoll, die erhaltenen Ergebnisse dieser Studie umzusetzen. In den Abbildungen 45–51 zeige ich Räume, wo wir mit dem Licht- und Raummilieu die Identität des jeweiligen Raums unterstützt haben. Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 50 Abb. 51 Durch das Licht- und Raummilieu wird auf den Wechsel zwischen Tag und Nacht aufmerksam ge­ macht. Das Milieu Tageslicht unter­ scheidet sich vom Milieu Kunstlicht durch seine Intensität, die Art der Strahlung, die Farbtemperatur und die Veränderung durch den Tages- und Jahreszeitenablauf. Am Tage wurde das Licht- und Raummilieu durch den zirkadia­ nen Rhythmus ergänzt, während in der Nacht durch das Kunstlicht­ milieu die ­Melatoninproduktion erhalten bleibt.

Der Arbeitsplatz in einem Einzelbüro unterscheidet sich von einem Großraumbüro unter anderem durch die belebte Umgebung und die damit verbundene vermehrte Ablenkung. Das bedeutet, dass die Anfor­ derung an das visuelle System steigt, ebenso wie die Anforderung an die Konzentration, die Leistungsfähigkeit, das Wohlbefinden und an den zir­ kadianen Rhythmus. Wir können bereits aus diesen wenigen Beispielen sehr gut erkennen, dass Licht einen Raum sicht- und erkennbar macht und wie wesentlich es für die Konzeption ist, die Licht- und Raumgestaltung zusammenhängend zu be­ trachten und bewusst durchzuführen. Jedes Licht- und Raummilieu hat eine 72

Kapitel 1

Abb. 52 In der Grafik ist dargestellt, wie sich die Leuchtdichten in einem Raum – abgestimmt auf die Sehaufgaben – verteilen und zugeordnet werden können.

konkrete Vorgabe an die künftige Nutzung, an das Erscheinungsbild und an seine Identität. Ich möchte erneut darauf hinweisen, dass ca. 80 % der Informationsver­ arbeitung visuell erfolgen und den visuellen Wahrnehmungsabläufen eine entsprechend hohe Bedeutung zukommen. Eric Kandel sagt wörtlich: „Sehen ist Informationsvermittlung.“ Einen Raum mit seinen Inhalten zu erkennen ist ein geistiger Vorgang, der gutes Sehen und ungestörte visuelle Wahrnehmungsabläufe erfordert. Wie wir bereits wissen, ist die Leuchtdichte eine Funktion der Beleuchtungs­ stärke, des Raumwinkels, der Reflexion und deren Indikatrix. Kurz wieder­ holt ist die Beleuchtungsstärke als informationsloses und primäres Licht unsichtbar und wird erst durch das Auftreffen und die Reflexion sichtbar und informativ. Die Leuchtdichte ist also der bestimmende Faktor, der die Informationsaufnahme ermöglicht und gewährleistet. Diese Information gelangt durch die Sensorik in unser Auge und auf die Netzhaut. Dort wird sie codiert, über die Sehbahnen an unser Gehirn weitergeleitet und im Gehirn verarbeitet. In Kapitel 1.3 haben wir festgestellt, dass das visuelle Informationsangebot für uns Menschen dominant und komplex in seiner Verarbeitung ist. Für die Lichtplanung und die Gestaltung eines Licht- und Raummilieus bedeutet das, sich im Vorfeld Klarheit über das gewünschte Erscheinungsbild und über die Art des visuellen Verhaltens und die Tätigkeitsabläufe zu verschaf­ fen – sich also ein entsprechendes Vorbewusstsein zu schaffen. Die Infeldbereiche erfassen die unmittelbaren Sehaufgaben. In der Abb. 52 sind das der Bildschirm, die Tastatur und die Belege. Durch das Fokussieren und die sakkadische Suche gelangen die Sehobjekte in die Fovea und damit in den Bereich größter Sehschärfe (= Akkommodations­ Allgemeine theoretische Grundlagen

73

vorgang). Im Infeldbereich entsteht also fast ausschließlich die visuelle Leistung. Der umliegende Bereich ist das Gesichtsfeld in seiner Erweiterung und stellt den Umgebungsbereich – das visuelle Umfeld – dar. Die mittlere Um­ feldleuchtdichte stellt sich auf einen Mittelwert ein, und die Abbildungen werden unscharf (= Adaptationsvorgang) gegenüber dem Infeldbereich. Genauer zugeordnet bedeuten die 1 Decke 2 Leuchten 3 Wände 4 Fenster 5 Boden 6 Bildschirm 7 Schreibtischoberfläche

einzelnen Zonen: > Umfeld sekundär > Umfeld sekundär > Umfeld sekundär > Umfeld tertiär > Umfeld sekundär > Infeld > Umfeld primär

Um die Bereiche der Infeld- und der Umfeldleuchtdichte bestimmen zu können, ist es erforderlich, diese über den visuellen Wahrnehmungsvor­ gang zu ermitteln. Je mehr ein Objekt im Zentrum des Gesichtsfeldes betrachtet wird, umso klarer wird es erkannt. Je weiter ein Objekt an die Peripherie des Gesichtsfeldes wandert und somit weiter am Rand der Netzhaut abgebil­ det wird, umso unschärfer und farbloser wird es wahrgenommen. Für den Planungsvorgang und die konzeptionelle Zuordnung werden vor allem die Umgebungsleuchtdichten gegliedert, die für jeden Raum in­ dividuell sind. Die Infelder beziehen sich auf die Sehobjekte im visuellen Tätigkeitsbereich und bilden das Zentrum der Aufmerksamkeit.

1.4.1  Das Theoretische Leuchtdichtemodell Das Theoretische Leuchtdichtemodell stellt einen Zusammenhang zwischen der Infeld- und der Umgebungsleuchtdichte dar. Voraussetzung dafür ist, dass die visuelle Wahrnehmung stabil ist, was durch den Endzustand der Adaptation erreicht wird. In dieser Phase ist die Unterschiedsempfind­lich­ keit konstant, die ein wesentliches Kriterium der visuellen Leistung ­darstellt.

Abb. 53 Grafik aus der Dissertation von R. O. Schumacher.

74

Kapitel 1

Unsere Zielsetzung ist es, den visuellen Wahrnehmungsvorgang zu opti­ mieren und diesen Zustand weitgehend stabil zu halten. Dies verdeutlicht auch die Dissertation von R. O. Schumacher („Die Unterschiedsempfind­ lichkeit des helladaptierten menschlichen Auges“, Berlin, 1940). Die Arbeit „Adaptionsverlauf bei Fixierung des Infeldes bei geeignetem Umfeld“ von R. O. Schumacher zeigt deutlich den Zusammenhang zwi­ schen der Unterschiedsempfindlichkeit (UE) und der Infeld- und Umfeld­ leuchtdichte. Unter geeignetem Umfeld ist der Bereich zu verstehen, in dem bei gege­ bener Sehaufgabe (= Infeld) die Umgebungsleuchtdichte zu einem Opti­ mum der Unterschiedsempfindlichkeit führt. Dies hängt auch von den ab­so­ lu­ten Werten des Infeldes ab. In diesem Bereich erfährt die Unterschieds­ empfindlichkeit keine signifikante Veränderung, was die Stabilität zeigt. Ein weiterer Hinweis geht aus der Dissertation von Peter Scheffler hervor („Anpassung an Farben“ 1949/1950, Leopold-Franzens-Universität Inns­ bruck). Er zeigt mit Farbtafeln und eingearbeiteten Sehsymbolen, dass diese Symbole erst beim Endzustand des Adaptationsvorgangs erkennbar sind und, solange dieser Zustand anhält, auch erkennbar bleiben. Auch Herbert Schober weist in Das Sehen (Band II, 1964) in den „Grund­ regeln“ darauf hin: „Die Unterschiedsempfindlichkeit ist am größten, wenn der Beobachter dem durchschnittlichen Leuchtdichteniveau im Gesichtsfeld angepaßt ist und das Gesichtsfeld in dem die beiden zu vergleichenden Infelder umgebenden Bereich eine möglichst gleichmäßige Leuchtdichte aufweist.“ Er weist ausdrücklich darauf hin, dass der Inhalt dieser Regel nicht nur in der Wissenschaft, sondern in der Realität „eine unübersehbar große Rolle spielt“. Diese Forderung nach dem Endzustand des Adaptationsvorgangs bil­ det in seinen gesamten umfangreichen Arbeiten eine grundlegende Er­ kenntnis. Auch ist seiner Auffassung nach nur beim Adaptationsvorgang dieser Endzustand erkennbar und wirksam, während sich die Ermüdung gerade eben durch keinen stabilen Endzustand definiert. Diese Arbeiten haben stabile Zusammenhänge zwischen • Unterschiedsempfindlichkeit, • Infeldleuchtdichte und • Umgebungsleuchtdichte bei Aufrechterhaltung des erreichten Endzustandes der Adaptation auf­ gezeigt. In Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum Licht wurde in unserem Labor eine Forschungsarbeit mit dem Thema „Feldgrößen 1, 2, 3“ durch­ geführt. (KPZ-Bartenbach). Folgende Zusammenhänge der visuellen Kom­ ponenten wurden in eigens dafür konzipierten Versuchsräumen mit jeweils 30 Probanden erarbeitet: • Unterschiedsempfindlichkeit (UE), • Infeldleuchtdichte (LI), • Umfeldleuchtdichte (LU), • Gesichtsfeldbereich, • vertikale Beleuchtungsstärke (EV), • spektrale Verläufe, • Texturen und Farben der Raumoberflächen, • Farborte und • Herzratenvariabilität/Herzfrequenz. Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 54 Diese Grafik ist das Ergebnis der Forschungsarbeit zum Thema „Feldgrößen“. Sie stellt den Zusammenhang zwi­ schen Infeld- und Umfeldleuchtdichte und dem Kriterium der Unterschiedsempfindlichkeit (UE) dar. Der stabile visuelle Wahrnehmungsbereich entspricht dem Endzustand des Adaptationszustandes bei konstanter UE (Kurve A/B) unter Berücksichtigung der Art der Aufmerksamkeit. LI ist die Infeldleuchtdichte der jeweiligen Sehaufgabe und LUm die mittlere Umfeldleuchtdichte des Raumes.

Der Zeitraum der Versuchsreihe betrug ca. zwei Jahre und wird im Kapi­ tel  1.5 ausführlich beschrieben. Es wurde der Zusammenhang zwischen Infeldleuchtdichte (LI) und Umfeldleuchtdichte (LUm) bei stabil gehaltenem Adaptationszustand ermittelt. Der Endzustand des Adaptationsvorgangs ist mit der Konstanz der Unterschiedsempfindlichkeit verbunden. Es stellt mit dem Endzustand das jeweilige Optimum der visuellen Leistung dar, die als gesamtes Ergebnis der beteiligten visuellen wirksamen Komponenten im Sehbereich (Infeld­ bereich) verstanden werden soll. Aus den Forschungsergebnissen (dargestellt in Abb. 32 und Abb. 53, Kapitel 1.3.1) wurden die stabilen visuellen Wahrnehmungsabläufe erar­ beitet und in Abb. 54 beschrieben und dargestellt. Die Grafik Abb. 54 zeigt das Theoretische Leuchtdichtemodell (Kapi­ tel 1.4.1), das als Grundlage für die Konzeptbildung der Leuchtdichtever­ teilung eines Licht- und Raummilieus zur Anwendung kommen kann, da es durch den Leuchtdichtebegriff L = f (E, ρ) die Gestaltungskomponenten für ein solches enthält. Die Zusammenhänge des Infeld- und Umfeldbereichs sind durch das Kriterium des stabilen visuellen Wahrnehmungszustands festgelegt. Dadurch bekommt man einen objektiven Ergebnisbereich. In meiner langjährigen Planungstätigkeit ist das Theoretische Leuchtdichte­ modell eine wichtige Grundlage und bedeutende Hilfestellung für die Er­ stellung von Planungskonzepten und daraus entstehenden Realisierungs­ vorgängen und Innovationen. 76

Kapitel 1

Kurvenzug B Dieser obere zulässige Grenzbereich wurde bei Aufgaben mit gerichteter Aufmerksamkeit ermittelt, d. h. an einem Arbeitsplatz mit der Konzentra­ tion auf den Bildschirm. Die aufgebrachte Konzentration und der hohe selektive Aufwand machen die betreffende Person unsensibler für die Um­ gebung – für das Umfeld. Solche konzentrierten Vorgänge sind meist zeit­ lich begrenzt und erfordern Anstrengung. Um solche Vorgänge bewusst zu machen und sie in das Langzeitgedächtnis zu bringen, sind in dieser Phase höchster Konzentration Ablenkungen zu vermeiden und die Vor­ gänge mehrmals zu wiederholen. Kurvenzug A Dieser untere zulässige Grenzbereich wurde bei Aufgaben ermittelt, die geteilte und ungeteilte Aufmerksamkeit erforderten, wie z. B. am Arbeits­ platz mit schriftlichen Belegen arbeiten, lesen, schmökern, in Unterlagen blättern etc. Durch die geteilten bzw. fluktuierenden Aufmerksamkeitsabläufe der visuellen Tätigkeit vergrößert sich die Sensibilität zum Umfeld, und damit verbunden nimmt jede Form der Ablenkung Einfluss. Bei Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum ist mit solchen geteilten Aufmerksamkeitszustän­ den zu rechnen. Für das Umsetzen dieser Erkenntnisse in realen Projekten ist somit zu emp­ fehlen, vorwiegend den Bereich A im Theoretischen Leuchtdichtemodell anzuwenden. Gutes Sehen ist ein autonomer Vorgang und bedeutet, dass die Ad­ aptationsvorgänge, die Verarbeitung der Leuchtdichteverhältnisse und all die Mechanismen, die an der Optimierung von Sehvorgängen beteiligt sind, weitgehend unbewusst ablaufen. Es ist unwahrscheinlich, dass die gerichtete Aufmerksamkeit über die gesamte Dauer eines Tätigkeitsablaufs aufrechterhalten werden kann. Wichtig bei der optimalen Planung ist, über die Vorgänge unserer Wahr­ nehmung Bescheid zu wissen und einen guten Mittelweg in der Umset­ zung zu finden. Als Faustregel kann dienen, die Leuchtdichteverteilung des Raumes/Umfeldes und im Gesichtsfeld so zu gestalten, dass sie möglichst wenig ablenkt, und im fokussierten Bereich (Infeld) die sekundäre Infeld­ leuchtdichte anhand des Theoretischen Leuchtdichtemodells zu eruieren und einzusetzen und dabei den zugeordneten Umgebungsbereich einzu­ halten. Die mittlere Umfeldleuchtdichte setzt sich vorwiegend aus den Leucht­ dichten der raumumfließenden und reflektierenden Oberflächen zusam­ men und lässt sich aus der mittleren vertikalen Beleuchtungsstärke am Auge (EVA = π × LUm) errechnen bzw. durch Messung ermitteln.

1.4.2  Anwendungsbeispiel des Theoretischen Leuchtdichtemodells Das Beispiel zeigt einen Raum, in dem allgemeine Büroarbeit stattfindet und dessen Sehaufgaben im Infeldbereich die Nutzungszone bestimmen. Diese Sehaufgaben sind der Blickwechsel zwischen Bildschirmarbeit und Belegen – also geteilte Aufmerksamkeit (Kurve A im Theoretischen Leucht­ dichtemodell, Abb. 54). Die Raumgeometrie wird in den Abbildungen 55–57 gezeigt. Es werden zwei Varianten mit unterschiedlichen Infeldern und unter­ schiedlichen Nennbeleuchtungsstärken verglichen, bezogen auf die Nut­ Allgemeine theoretische Grundlagen

77

Abb. 55 Schnitt und Grundriss des ­vorgegebenen Raums.

Abb. 56 Vorgabe an Milieu 1 und Milieu 2.

Abb. 57 Milieu 1 + Milieu 2 – Ermittlung aus dem Theoretischen Leuchtdichte­ modell bei ungerichteter Aufmerksamkeit (Kurve A). 78

Kapitel 1

zungsfläche, um die daraus resultierenden Lichtmilieus zu erfahren. Aus diesen Werten können die Infeldbereiche LI ermittelt werden. Milieu 1: Nennbeleuchtungsstärke (EN) = 250 lx Mittlere Beleuchtungsstärke (Em) = 185 lx Milieu 2: Nennbeleuchtungsstärke (EN) = 750 lx Mittlere Beleuchtungsstärke (Em) = 555 lx Im Theoretischen Leuchtdichtemodell (Abb. 57) werden die jeweiligen In­ feldleuchtdichten (Abb. 56) eingetragen und die entsprechenden Umge­ bungsleuchtdichtebereiche ermittelt. Diese sollten den Kurvenzug A nicht überschreiten, um sich noch im stabilen Wahrnehmungsbereich zu befin­ den (stabiler Bereich – Kurvenzug A – geteilte Aufmerksamkeit Abb. 57 für das Milieu 1 + 2). Aus den Ergebnissen des Theoretischen Leuchtdichtemodells ergibt sich nun für das Milieu 1 (M1): • Nennbeleuchtungsstärke EN = 250 lx • Infeldleuchtdichtebereich LI ≈ 30–60 cd/m² • Mittlere Umgebungsleuchtdichte LUm1 ≈ 20–30 cd/m² • Mittlere vertikale Beleuchtungsstärke am Auge EVA ≈ 100–125 lx Damit ist der untere visuelle Leistungsbereich für die visuelle Tätigkeit bei geteilter Aufmerksamkeit erreicht (siehe auch Kapitel 1.3.2 „Mehrere In­ felder“). Aufgrund der relativ geringen vertikalen Beleuchtungsstärke von 100 bis 125 lx müssten die Wände hohe Reflexionsgrade von > 0,7 erhalten, um eine Umgebungsleuchtdichte LU2 von 20 bis 30 cd/m² zu erreichen. Das führt jedoch dazu, dass das Licht- und Raummilieu M1 kontrastarm, gleich­ tönig und flach wirkt und sich die Zonen der Aufmerksamkeit nivellieren. Auch können die zirkadianen Rhythmen bei diesem reduzierten Licht­niveau nicht wirksam werden, da die notwendigen Leuchtdichteunterschiede nicht aufgebaut werden können (Abb. 58). Auf den ersten Blick ist der Energiebedarf bei Milieu 1 durch die nied­ rigen Leuchtdichten am geringsten. Das trügt jedoch, denn aufgrund der niedrigen Beleuchtungsstärke ist die Mehrfachreflexion des Raums zu ge­ ring, die Reflexionsgrade müssen erhöht, und die Deckenhelligkeit muss um mindestens 20  cd/m² angehoben werden. Das kann nur durch eine zusätzliche Lichtkomponente erreicht werden, was in der Umsetzung einen zusätzlichen Energiebedarf von ca. 30 bis 40 % und damit steigende Kos­ ten um etwa 50 bis 60 % bedeutet. Wir sehen, dass die ursprüngliche ver­ meintliche Wirtschaftlichkeit infrage gestellt ist. Doch auch die Infeldleuchtdichte von 30 bis 60 cd/m² liegt an der unteren Schwelle für optimale Sehbedingungen. Durch die geringen Helligkeits­ unterschiede im gesamten Raum ist das Erscheinungsbild flach und mono­ ton. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, da – bedingt durch die geringen Reflexionsunterschiede – die Materialkontraste kleiner als der Leuchtdichteunterschied sind. Wenn wir nun die Tatsache betrachten, dass Informationsvermittlung vorwiegend über das Material erfolgt und die Wahrnehmung stark durch Oberflächentextur, -form und -farbe unterstützt werden kann, so erkennen wir, dass dies hier in zu geringem Maße erfolgt, da das Milieu durch die hohen notwendigen Reflexionsgrade eingeschränkt wird. In Abb. 58 wurde ein solches Licht- und Raummilieu simuliert.

Allgemeine theoretische Grundlagen

79

Abb. 58 Die Modellsimulation zeigt die Wirkung des Raums unter den Bedingungen von Licht- und Raum­ milieu 1 (EN = 250 lx).

30–60

50 ρ = 0,8

30–60

60

Aus den Ergebnissen des Theoretischen Leuchtdichtemodells ergibt sich nun für das Milieu 2 (M2): • Nennbeleuchtungsstärke EN = 750 lx • Infeldleuchtdichtebereich LI ≈ 90–220 cd/m² • Mittlere Umgebungsleuchtdichte LU ≈ 30–90 cd/m² • Mittlere vertikale Beleuchtungsstärke am Auge EVA ≈ 60–300 lx Die Variante 2 mit der Nennbeleuchtungsstärke von EN = 750 lx zeigt mit einem Leuchtdichtebereich von LI = 90–220 cd/m² im Theoretischen Leuchtdichtemodell, dass eine optimale visuelle Leistung im Sehbereich entsteht.

Abb. 59 Modellsimulation unter den ­Bedingungen von Licht- und ­Raummilieu 2 (EN = 750 lx).

40–50

40–50 ρ = 0,4

40–60

40–50

80

Kapitel 1

Das bedeutet, dass die Reflexionswerte der Materialien in der Umge­ bung niedrig gehalten werden können, wodurch ein kontrastreiches Er­ scheinungsbild entsteht. Die Freiheit der Gestaltung ist erheblich, und die visuelle Nutzungsmöglichkeit des Raums wird komplexer. Da die Mehr­ fachreflexion gegenüber Milieu 1 wesentlich stärker ist, sind zusätzliche Aufhellungen nicht notwendig. Der Energiebedarf ist ausgeglichen, und auch die Unterstützung als Tageslichtergänzungsbeleuchtung für den zir­ kadianen Rhythmus ist hier möglich. In Abb. 70 wurde ein solches Lichtund Raummilieu dargestellt, das deutlich die Infeldzonierung und damit die gerichteten Aufmerksamkeitsbereiche visuell zuordnet. Dieses Anwendungsbeispiel zeigt den Einfluss der stabilen Wahrneh­ mung auf das Licht- und Raummilieu und damit auf das Erscheinungsbild. Durch die flexible Materialnutzung, durch die Art der Lichtsysteme, durch die Vielfalt der Strahlungsarten und durch die Auswahlmöglichkeit der Lichtquellen und ihrer Intensität ist der Gestaltungsspielraum groß und eine Übereinstimmung mit der Architektur fast immer gewährleistet. Dieses Anwendungsbeispiel ist abstrakt gewählt und dient dazu, das Ver­ ständnis und Gefühl für die Thematik zu verfeinern. Das Ignorieren von Zusammenhängen, die sich aus der stabilen Wahrnehmung ergeben, führt zur Störung des neurophysiologischen Mechanismus der Adaptation und bewirkt Ermüdung, Stress und führt dadurch zu einer Reduzierung der visu­ ellen Leistung und des Wohlbefindens.

1.4.3  Die Bedeutung der stabilen Wahrnehmung für die ­Lichtgestaltung Im folgenden Kapitel möchte ich wiederholt und mit Nachdruck auf die Bedeutung und Wichtigkeit der Stabilität visueller Wahrnehmungsbedin­ gungen am Arbeitsplatz hinweisen. Es ist hinlänglich bekannt, dass etwa 80 % der Informationsverarbei­ tung über das visuelle System – die Augen – erfolgt. Meine jahrzehnte­ lange intensive Auseinandersetzung mit Licht und all seinen Komponenten hat mir gezeigt, dass man gar nicht oft genug darauf hinweisen kann, wie wichtig eine optimale visuelle Wahrnehmung bei der Optimierung von Betriebsabläufen und der Organisation von Arbeitsplätzen ist. Natürlich nicht nur dort, der Berufsalltag und in Zeiten der immer stärker werden­ den Anforderungen an die Arbeitnehmer und an unsere visuelle Wahr­ nehmung macht es im Grunde „selbstverständlich“, die visuellen Kriterien in Planungsabläufe einzubeziehen. Die Bedeutung des Lichts zur Erzielung optimierter Sehbedingungen, visuel­ ler Abläufe und Erkenntnisse wird im wahrsten Sinne des Wortes immer „augenscheinlicher“. Forschungen zum Thema der Informationsver­ mittlung durch die optische Wahrnehmung zeigen, dass sie im Gehirn über mehrere Ebenen abläuft. Auf der Ebene 2 (= Reizinformationen) spielen sich die unbewussten Pro­ zesse der Wahrnehmung ab – besonders jene der Konstanzleistung. Über den sogenannten „Scheinwerfer der Aufmerksamkeit“ wird die Verbindung zur Ebene 1 (= Infeldbereich) hergestellt. Aufmerksamkeitsvor­ gänge, wie z. B. Konzentration auf eine Tätigkeit, beschränken sich auf ein Objekt oder wenige Objekte gleichzeitig. Da die gerichtete Aufmerk­ samkeit für die Berufstätigkeit wesentlich ist und auf dieser Ebene auch der Freiraum für Motivation enthalten ist, geht es darum, sie für die Ar­ beitsvorgänge im Sinne der Rationalität, der Produktivität, aber auch der Huma­nität zu fördern. Da bereits die erste Ebene dem Gehirn eine große Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 60 Gegenstandsreize werden unbewusst strukturiert und redu­ ziert (Selektion) und durch die Aufmerksamkeitsvorgänge bewusst gemacht. (Ebenen von oben nach unten: Ebene 1 = Infeldbereich, Ebene 2 = Umfeldbereich)

Abb. 61 Modell der „freien Gehirnkapazität“: Bei ­stabiler visueller Wahrnehmung und ­entsprechender Beleuchtung – also bei „gutem Sehkomfort“ – ist das verarbeitete Infor­ mationsangebot größer, und es steht mehr freie ­Gehirnkapazität zur Verfügung.

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Kapitel 1

Abb. 62 IBM-Studie.

Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 63 Dieser Forschungsausschnitt mit seinen Ergebnis­ sen zeigt die Bedeutung der stabilen Wahrneh­ mung bedingt durch die geeignete Leuchtdich­ tezuordnung (Theoretisches Leuchtdichtemodell) der Infeld- und Umfeldleuchtdichte.

Verrechnungsleistung abverlangt, die freie Kapazität aber begrenzt ist, kommt es darauf an, Letztere richtig zu nutzen. Richtig zu nutzen heißt, dass sich die optischen Wahrnehmungsabläufe auf das Wesentliche beschränken. Störungen in den optischen Wahrneh­ mungsabläufen wie z. B. Blendungserscheinungen und vor allem Ablen­ kung oder sonstige optische Fehlläufe bedeuten, dass die freie Kapazi­ tät für die Kompensation solcher Störungen beansprucht wird. Sie wird dadurch eingeschränkt und steht besonders für die Aufmerksamkeitsvor­ gänge verringert zur Verfügung, sodass weniger bereitgestellte Informa­ tion verarbeitet wird und mehr Information verloren geht (Abb. 61). Ein einfaches Beispiel: Wenn wir uns mit einer Person unterhalten und eine weitere Person spricht dazwischen, wird unsere Aufmerksamkeit ge­ stört. Wir benötigen dann einen hohen mentalen Aufwand, um beide Reiz­ angebote gleichzeitig verarbeiten und darauf reagieren zu können. In unserem lichtspezifischen Fall bedeutet das: Eine Fensterfläche mit hoher Leuchtdichte aufgrund der Außenhelligkeit und der erkennbaren Außenszenerie zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Es entsteht Blendung und damit Ablenkung, und es tritt eine Störung der physiologischen und psychologischen Vorgänge auf. Die Folge davon ist, dass das Gehirn ver­ mehrten Aufwand hat und freie Gehirnkapazität benötigt, um diese Stö­ rung verarbeiten zu können. Um auf die Bedeutung der stabilen visuellen Wahrnehmungsabläufe hin­ zuweisen, stelle ich einen Teil einer Forschungsarbeit vor, die wir (Barten­ bach GmbH) bereits vor Jahrzehnten für IBM durchgeführt haben. Diese Studie hatte die Zielsetzung, die visuelle Leistung an Bildschirmarbeits­ plätzen unter Einbeziehung der räumlichen Umgebung zu optimieren und den Zusammenhang zwischen mentaler Belastung und Infeld- und Umfeld­ leuchtdichten erkennen zu lassen. Es wurden die Kriterien • Helligkeit, • Oberflächenbeschaffenheit/Farbe des Arbeitstisches, • Fenster, 84

Kapitel 1

• Leuchte und • Reflexblendung mit deren Auswirkung auf die vorgegebenen Wahrnehmungsabläufe untersucht (auftretende Fehlleistung). Diese sind in der Abbildungsreihe 62 mit den Ergebnissen in Abb. 63 dargestellt. Wir können damit sagen, dass die Sehaufgabe den Leuchtdichte­ bereich des fokussierten Blickfeldes – also des Infeldes – bestimmt. Die Leucht­dichten der umgebenden Objekte und Raumoberflächen sind dem­ nach die Umfeldleuchtdichten und werden durch ihre Nähe zum Infeld hierarchisch gegliedert. Damit ist die Schreibtischoberfläche als unmittel­ bare Umgebung zu verstehen, wohingegen die Wände, die Decke, der Fußboden, die Leuchten und die Fensterflächen dem erweiterten Umfeld zugeordnet werden (siehe Kapitel 1.3, 1.3.1–1.3.2 und Kapitel 2.2).

1.4.4  Darstellung des Licht- und Raummilieus durch ­Modellsimulationen im Künstlichen Himmel LICHT IST NICHT SICHTBAR – ES MACHT SICHTBAR Leuchtdichten mit ihrer Intensität, Verteilung und Veränderung sowie Be­ leuchtungsstärke, spektrale Verteilung, Farbort etc. lassen sich nicht im herkömmlichen Sinne darstellen. Sie sind im Grunde abstrakt, und die ge­ wünschten Informationen, die man mit der Lichtplanung vermitteln möchte, können meiner Ansicht nach nicht über Simulationen von Bildern vermittelt werden. Gibson nennt dies „Informationen aus zweiter Hand“. Die Vielseitigkeit eines Licht- und Raummilieus lässt sich am klarsten und deutlichsten durch maßstabgetreue, theoretisch erarbeitete lichttechnische Kennziffern, real eingesetzte Lichtquellen und real zugeordnete Mate­ rialien in einem Modell darstellen. Damit kommt man dem gewünschten Erscheinungsbild am nächsten und kann das erarbeitete Ziel auch am

Abb. 64 Modellsimulation des Changi Airport Terminal 3 in Singapur im Künstlichen Himmel.

Allgemeine theoretische Grundlagen

85

Abb. 65 Realisierung des Changi Airport Terminal 3 in Singapur.

besten vermitteln bzw. sichtbar machen. Auch gibt ein Modell bei ent­spre­ chender Genauigkeit die Möglichkeit, Messungen durchzuführen. Rechen­ methoden allein bleiben Theorie und enthalten teilweise Ungenauigkeiten, die bei der Realisierung des Projektes zu Problemen führen können. Das gilt im Besonderen für Tageslichtprojekte. Modelle im Künstlichen Himmel berechnen zu können und die Wirkung des Tageslichtes hautnah zu erle­ ben, ist äußerst hilfreich und kann den erwünschten Eindruck sehr gut ver­ mitteln. Auch ist der Aufwand im Verhältnis zum erreichten Ergebnis gering, denn mit diesem Hilfsmittel weiß man, was man bekommt (Abb. 64, 65). Für wahrnehmungspsychologische Tests hingegen eignet sich eine Modell­simulation aufgrund des verringerten Maßstabs nicht. Hier sind unbe­dingt 1 : 1-Simulationen/Aufbauten anzuwenden.

86

Kapitel 1

1.5  Einfluss von Farben und Texturen der ­raumbegrenzenden Flächen auf die visuelle Leistung und Herzratenvariabilität 1.5.1 Allgemeines Die der Umgebungsleuchtdichte LU oder LUm zugeordneten Reflexions­ werte (ρ) wurden der Beziehung entsprechend L = E × ρ × 1⁄π (gültig für diffuse Reflexion) der Leuchtdichte zugeordnet. In Zusammenarbeit des Kompetenzzentrums, der Firma Egger und Firma Bartenbach wurde eine Studie (KPS133) erarbeitet, in welcher der Zusammenhang von Reflexionsgrad mit Strukturen in Form von Textur, Farbe und auch Form berücksichtigt wurde. Es wurde bei durchgehend gleicher Sehaufgabe der Einfluss von Textur und Farbe an den raumbe­

LUM = 25/75/250

Abb. 66a Abb. 66b Man sieht die Geometrie des Testraums (L = 6 m, B = 4 m, H = 3 m) und die diffus-weiße Oberfläche (RAL 9010). Bei den Leuchtmitteln handelt es sich um Leuchtstoff­lampen, und die Licht­ farben 3.000 K, 4.000 K, 5.200 K und 6.500 K konnten von den Probanden manuell eingestellt werden.

LI = 140

Allgemeine theoretische Grundlagen

87

grenzenden Oberflächen in Bezug auf die Referenzfarbe „Weiß“ getestet (siehe dazu Kapitel 2.6 und 3.6). Als Testmethoden wurden die objektive Methode aus der visuellen Wahrnehmung für die Ermittlung der visuellen Leistung und der Herzratenvariabilität (HRV) eingesetzt und die subjektive Methode für die Akzeptanzermittlung. Der Versuchsablauf wurde so gestaltet, dass die Infeldleuchtdichte an allen Arbeitsplätzen konstant LI = 140 cd/m² betrug, während die Umge­ bungsleuchtdichte drei unterschiedliche Intensitäten bekam: • LU = 25 cd/m² • LU = 75 cd/m² • LU= 250 cd/m² Diese Einstellungen wurden bei den 13 unterschiedlichen Materialoberflä­ chen angewandt und getestet. Der Versuch fand jeweils mit zwei Personen gleichzeitig über eine Dauer von vier Stunden statt. Es waren 40 Proban­ den daran beteiligt, und es fanden jeweils drei Untersuchungsvorgänge pro Tag statt. Die Gesamtdauer der Studie betrug zwei Jahre. In den folgenden Abbildungen zeige ich neun unterschiedliche Materialoberflä­ chen aus dieser Studie. Die in der Laborstudie untersuchten Materialoberflächen (in Folge ab­ gekürzt mit MO) und die verwendeten Lichtquellen (in Folge abgekürzt mit LQ) sowie die jeweilig vertikale Beleuchtungsstärke am Auge (EV), die Farbtemperatur am Auge (FO) und der Reflexionsgrad der Materialfläche sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengefasst. Die folgenden Abbildungen zeigen die prinzipielle systematische Ver­ suchsanordnung der Testräume mit ihren Kriterien • Infeldleuchtdichte konstant LI = 140 cd/m², • Umfeldleuchtdichte wechselnd, LUm = 25 cd/m², 75 cd/m², 250 cd/m² als Mittelwert und Adaptationsleuchtdichte, • vertikale Beleuchtungsstärke (EVA) am Auge, • Farbtemperatur am Auge, die durch das jeweilige Spektrum der Licht­ quelle, den Remissionsverlauf der Materialoberfläche, die Mehrfach­ reflexion und das Fließgleichgewicht am Auge entsteht, und • Unterschiedsempfindlichkeit (UE) als Kriterium der visuellen Leistung.

88

Kapitel 1

Aus den Darstellungen geht hervor, wie das Spektrum der Primärlichtquelle durch die Remissionseigenschaften der Raumoberflächen mit der Mehr­ fachreflexion (Fließgleichgewicht) des Raums das Spektrum und den Farb­ ort am Auge erreicht (Abbildungsreihe 67–75).

1.5.2  Ergebnisse der visuellen Leistung Dieses Kapitel zeigt die Ergebnisse der Versuchsreihe hinsichtlich der vi­ suellen Leistung, bezogen auf die unterschiedlichen Materialoberflächen und ihre Wirkung. Die Ergebnisse werden aufsteigend nach den Umfeldleuchtdichten dar­ gestellt. Die ermittelte Unterschiedsempfindlichkeit (UE) wurde als prozentualer Wert dargestellt. Der Farbort der jeweiligen Materialoberfläche (MO) ist in den Bildern der Räume eingetragen. Die Messungen bei LUm = 250 cd/m² für die Materialoberflächen • Raum N – Lava (ρ ≈ 18,5 %), • Raum M – Aubergine (ρ ≈ 9 %), • Raum K – Signalrot (ρ ≈ 19 %) wurden nicht durchgeführt, da die Reflexionsgrade zu gering sind. Um hier 250 cd/m² zu erreichen, wären so hohe Beleuchtungsstärken erforderlich gewesen, die in den Versuchsaufbauten nicht realisierbar waren.

Abb. 67 Die Tabelle beinhaltet die realen lichttechnischen Messwerte der Testabläufe.

Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 68 Raum C – Merano.

Abb. 69 Raum D – Merano.

90

Kapitel 1

Abb. 70 Raum E – Orange.

Abb. 71 Raum G – Hellblau.

Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 72 Raum J – Kirsche.

Abb. 73 Raum K – Signalrot.

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Kapitel 1

Abb. 74 Raum M – Aubergine.

Abb. 75 Raum O – Driftwood.

Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 76 Ergebnis bei LU = 25 cd/m², LI = 140 cd/m².

Abb. 77 Ergebnis bei LU = 75 cd/m², LI = 140 cd/m².

Abb. 78 Ergebnis bei LU = 250 cd/m², LI = 140 cd/m². 94

Kapitel 1

Abb. 79 Zusammenhang zwischen Energieaufwand in ø/lm pro Fläche zu den verwendeten Material­ oberflächen (MO), Reflexionsgrad (ρ) und Leuchtdichte (LU).

Energetische Bewertung Um die unterschiedlichen Leuchtdichtewerte zu erreichen, ist selbstver­ ständlich auch dementsprechend viel Energieaufwand nötig. In Abb. 79 ist deutlich erkennbar, dass z. B. die Energiemenge bei LU = 250 cd/m² um das Dreifache höher ist als bei LU = 75 cd/m². Aus dieser Darstellung lässt sich der erforderliche Lichtstrom – also der energetische Aufwand – für die jeweiligen Raumtypen bei der gewählten Umfeldleuchtdichte von 25/75/250 cd/m² ermitteln. Trägt man bei­spiels­ weise die Ergebnisse von LU = 25 cd/m² in das Diagramm in Abb. 80 ein, so zeigt sich, dass bei LI = 140 cd/m² die Materialoberflächen Kirsche, Lava, Driftwood und Hellblau den Referenzwert bei Weiß (hinsichtlich des Kriteriums UE) bis zum Doppelten übersteigen. Die genauen Werte der neun Materialoberflächen sind den Abbildungen 76–78 zu entnehmen. Das bedeutet, dass sich die Sehleistung durch die Materialoberflächen bei den zugrunde liegenden Helligkeitsverteilungen wesentlich beeinflus­ sen lässt. Aus dem Diagramm in Abb. 80 geht hervor, dass sich die Um­ feldleuchtdichte im unteren Bereich (LU = 1/3 LI) befindet. Erhöht man die Umfeldleuchtdichte auf 250 cd/m², so zeigt sich, dass sich die Werte der Unterschiedsempfindlichkeit zur Referenzfarbe hin zum Großteil ­nivel­lieren. Um die Eigenschaften eines Materials optimal zur Wirkung zu bringen, sind entsprechend geringere Umfeldleuchtdichten gegenüber den Infeld­ leuchtdichten empfehlenswert (LU = 1/3–1/5 LI). Die visuelle Leistung ist dabei am differenziertesten (Abb. 76, 77, 78). Die Eingliederung der LU-Werte dieser Untersuchung in Abb. 80 zeigt, dass die Umgebungsleuchtdichte von 25 cd/m² (das ist LU = 1/5 LI) bei einer Reihe von Materialoberflächen eine Steigerung der visuellen Leistung zur Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 80 Einordnung der signifikanten Materialoberflächen bei LU = 25 cd/m² und LI = 140 cd/m² hinsichtlich der Unter­ schiedsempfindlichkeit.

Folge hat. Vor allem bei Oberflächen mit leichter Textur wie bei Kirsche und Lava erreicht man beinahe eine Verdoppelung der Unterschiedsemp­ findlichkeit (Abb. 80, 81). In der Realität würden steigende Umgebungsleuchtdichten zu einem progressiv steigenden Lichtbedarf führen, und das wiederum bedeutet einen Anstieg des Energieaufwandes und der Kosten. Da die Licht­planung

Abb. 81 Die Zusammenhänge sind in dieser Grafik spezifisch erfasst und zeigen, dass die Materialoberfläche leicht strukturierte Kirsche bei LU = 25 cd/m² signifikant die höchste visuelle Leistung erreicht. Tendenziell reduziert sich diese beim Ansteigen der Umgebungsleuchtdichte. Dies tritt bei allen dargestellten Oberflächen außer bei Weiß auf.

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Kapitel 1

ein visuell geprägter Gestaltungsvorgang ist, ist eine Anwendung dieser Erkenntnisse zuvor mit der Aufgabenstellung abzustimmen. Energetisch und wirtschaftlich gerechtfertigt wäre beispielsweise, in tagesbelichteten Räumen einen Szenenwechsel vorzunehmen, indem die Umgebungs­ leuchtdichte von 25 cd/m² auf 250 cd/m² angehoben wird, um den Raum sinngemäß zu erfahren und um ihn mit dem zirkadianen Rhythmus ab­ zustimmen, um diesen in seiner Wirksamkeit zu unterstützen. Mit der An­ hebung der Umfeldleuchtdichte ist es auch möglich, die Infeldleuchtdichte zu steigern und damit verbunden auch die visuelle Leistungsfähigkeit.

1.5.3  Herzratenvariabilität (HRV) Der Unterschied der Herzschläge zueinander wird Herzratenvariabilität (HRV) genannt und beschreibt die zeitliche Variation aufeinanderfolgen­ der Herzschläge. Sie wird vom sympathischen (Aktivität) und parasympa­ thischen (Ruhe) Nervensystem reguliert und ist quantitativer Marker des autonomen vegetativen Nervensystems. Aktivität, Stress, Anspannung, Er­ holung, aber auch Herzerkrankungen beeinflussen die HRV. Mit der Einführung des Begriffs Herzratenvariabilität und seiner Bedeu­ tung für die optischen Wahrnehmungsvorgänge erweitere ich die objekti­ ven Bewertungsmöglichkeiten der visuellen Komponenten, die an dem Zu­ standekommen eines ganzheitlichen Licht- und Raummilieus beteiligt sind und bereits in der jetzigen Phase auftreten. • Eine zunehmende HRV bedeutet: Beruhigung/Entspannung; parasym­ pathischer Vorgang. • Abnehmende HRV bedeutet: Aktivierung; sympathischer Vorgang, der auch auf Stresswirkung hinweisen kann.

Messung der HRV Die HRV basiert auf Dauer des Zeitintervalls zwischen zwei R-Zacken, grafisch dargestellt in Form eines RR-Intervall-Tachogramms. Der Funktions­ wert des Tachogramms ist die Dauer eines RR-Intervalls (in ms) zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Abb. 82 Erstellung eines Tachogramms aus dem EKG.

Definition HRV Die Herzratenvariabilität stellt die Variation der RR-Intervalle des Herzens dar. Ein RR-Intervall (auch Beat-to-Beat-Intervall oder NN-Intervall) ist der Abstand zwischen zwei Herzschlägen und somit umgekehrt proportional zur Herzfrequenz (Eller-Berndl). RR-Intervalle sind von Schlag zu Schlag unterschiedlich. Eine hohe Variabilität und Komplexität zeichnet eine ge­ sunde Herzaktivität aus. Allgemeine theoretische Grundlagen

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Die HRV ist das Spiegelbild eines funktionierenden, aber auch gestör­ ten vegetativen Nervensystems. Bei Stress oder Depressionen ist die HRV ein wertvolles Diagnosewerkzeug und gibt Hinweise auf den Zustand des vegetativen autonomen Nervensystems. Das autonome Nervensystem wird vom Sympathikus und Parasym­pathi­ kus  gemeinsam gebildet. Sie agieren nicht getrennt. Ihr Zusammenspiel ­steuert: • Atmung, • Herzfrequenz, • Gefäßweite, • Stoffwechsel, • Sexualfunktion und • Vorgänge im Immunsystem. Das vegetative Nervensystem vereinigt eine vielschichtige Organisation mit den Eigenschaften eines dynamischen, nonlinearen Netzwerks. Nonlinearer Prozess bedeutet: • simple Regeln – komplexes Verhalten, • kleine Veränderungen können große Effekte haben, • geringe Vorhersehbarkeit und • das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Die Verarbeitung vegetativer Informationen erfolgt auch in Hirnbereichen, welche gleichzeitig effizient für die vegetative Kontrolle des Licht- und Raummilieus zuständig und auch an Prozessen der Emotionsverarbeitung beteiligt sind. Generell gilt, dass alle Gesetzmäßigkeiten des Zentralner­ vensystems auch für das zentral autonome Netzwerk gelten. Die Wirkungen durch das zentrale autonome Netzwerk sind komplex; es gibt Verbindungen zwischen Sympathikus und Parasympathikus auf allen Ebenen. Das HRV-Bild ist nur das Endergebnis dieses Zusammen­ spiels, das wir an der „Basis des Herzens“ wahrnehmen können (Quelle: Herzratenvariabilität, Doris Eller-Berndl). Durch unsere Forschungsarbeiten können wir im visuellen Raum ­signifikante Zusammenhänge zu Helligkeiten • in ihrer absoluten Quantität, • ihrer Verteilung, • zu Materialoberflächen in der Hierarchie der Farben, • ihren Texturen • und zu spektralen Verteilungen der Lichtquellen und deren Interaktion zwischen den Material- und Raumoberflächen über HRV-Messungen feststellen. Wie aus diesem Kapitel hervorgeht, zeigt sich in diesem Zusammenhang: • dass das Frequenz- oder Leistungsspektrum im hochfrequenten Bereich dem Parasympathikus zugeordnet wird, • dass das Frequenz- oder Leistungsspektrum im niederfrequenten Be­ reich dem Sympathikus zugeordnet wird und • dass das Frequenz- oder Leistungsspektrum im mittelfrequenten Bereich durch beide Systeme beeinflusst wird. (Die Frequenz bezieht sich auf den Herzrhythmus.) Es zeigt sich in dieser Studie auch, dass die Beeinflussung der HRV im Wesentlichen durch den Farbort am Auge verursacht wird und die Umge­ bungsleuchtdichte geringere Wirkung hat. Eine Erhöhung der Farbtempe­ ratur um 1.000 K bewirkt bereits signifikant durch das dabei entstehende 98

Kapitel 1

Raummilieu eine den Parasympathikus begünstigende, also eine beruhi­ gende Reaktion. Es ist demnach hypothetisch eine Erhöhung der HRV im Raummilieu anzustreben, da die sinkende HRV (= Sympathikus) eine akti­ vierende Reaktion zur Folge hat und durch ein ruhiges Raumklima diese Akti­vität langsam abbauen kann (= Parasympathikus). Es kann auch be­ wirkt werden, dass der damit verbundene Aufmerksamkeitsprozess bzw. die gerichtete Aufmerksamkeit in nicht gerichtete Aufmerksamkeit umge­ wandelt wird. Aktivität ist einerseits speziell im Arbeitsalltag gewünscht, doch es ist auch zu bedenken, dass gerichtete Aufmerksamkeit mehr Ener­ gie benötigt und dadurch ein verfrühter Leistungsabfall entstehen kann (Stress). Das ist eine Möglichkeit, die öfters vorkommt. Die geteilte Aufmerksamkeit unterstützt die Erkundungsvorgänge (Tonus des Parasympathikus), welche zu gerichteter Aufmerksamkeit führen. Das Erkunden des Umfeldes ist von Blickbewegungen begleitet, die durch die simultane Koppelung den Gesichtsfeldbereich und das Blickfeld erweitern. Der Tonus des Parasympathikus wird durch • Adaptationskonstanz (Optimierung der UE durch ausgewogene LI/LUAbstimmung), • steigende HRV und • steigende Farborte, Farbe, Licht, Textur unterstützt. Ein Yoga-Raum beispielsweise ist meist so gestaltet, dass sich der Atemrhythmus optimal einstellen kann und damit die HRV beeinflusst. Das zeigt uns, wie stark die visuelle Umgebung die Aufmerksamkeit auf bestimmte Objekte und Geschehnisse lenkt, aber auch davon ablenken kann. Durch die optimale und angepasste Gestaltung eines Raums kann Har­ monie zwischen Sympathikus und Parasympathikus erreicht werden.

1.5.4  Ergebnisse der Herzratenvariabilität Forschungsergebnisse KPZ + Firma Bartenbach + Firma Egger In den Abbildungen 83, 84 und 85 ist die mittlere HRV für die getesteten Materialoberflächen bei der konstant gehaltenen Infeldleuchtdichte von 140 cd/m² und den variablen Umfeldleuchtdichten dargestellt. Zum besseren Verständnis: Zunehmende HRV-Werte bedeuten mehr Entspannung (siehe Kapitel 1.5.3). Das Fließgleichgewicht im Raum entsteht, sobald der Einfluss der Re­mission der Materialoberflächen zum Einsatz kommt und so zum wirksamen Farb­ ort am Auge wird. Es besteht ein signifikanter Zusammenhang der HRV-­ Ergebnisse bei den Materialoberflächen, die stark strukturiert sind. Generell zeigt sich, dass in Räumen, welche höhere Farbtemperaturen am Auge erreichen, die HRV steigt und eine entspannende Wirkung, also eine parasympathische Tendenz, auftritt. Gesättigte Farben und starke Strukturen sowie ausreichende Umfeldleuchtdichten unterstützen diese Wirkung. Das zeigt sich beispielsweise bei gleichen Oberflächenstrukturen, wel­ che mit Leuchtstofflampen unterschiedlicher Farbtemperatur bestrahlt wer­ den, wodurch unterschiedliche Farborte am Auge entstehen. • Raum C – Merano: 3.000 K – FO-Lichtquelle / FOAuge 2.275 K • Raum D – Merano: 6.500 K – FO-Lichtquelle / FOAuge 4.637 K

Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 83 Ergebnisse der Testreihe bei konstanter LI = 140 cd/m² und LU = 25 cd/m².

Abb. 84 Ergebnisse der Testreihe bei konstanter LI = 140 cd/m² und LU = 75 cd/m².

Abb. 85 Ergebnisse der Testreihe bei konstanter LI = 140 cd/m² und LU = 250 cd/m². 100

Kapitel 1

Abb. 86 Zusammenhang der visuellen Leistung und ­Aktivität/Entspannung (HRV) bei stark ­strukturierten Oberflächen mit unterschiedlichen Farbtemperaturen am Auge (Abb. 69 Raum D, Abb. 68 Raum C).

Die Grafik (Abb. 86) zeigt die Wirkung des Lichts mit unterschiedlichen Farbtemperaturen, die jeweils dieselbe Raumoberfläche mit „warmem“ (3.000 K) und „kaltem“ (6.500 K) Licht bestrahlt. Durch das Fließgleichge­ wicht entstehen bei gleichem Material unterschiedliche Farbtemperaturen am Auge (Raum C = 2.300 K, Raum D = 4.600 K) und den Materialober­ flächen, die das Erscheinungsbild prägen. Die Ergebnisse zeigen, dass Materialien mit Strukturen oder gesättigte farbige Oberflächen bei niedriger Farbtemperatur (Raum C) beinahe un­ abhängig von der Umgebungsleuchtdichte sind. Raum D hat einen höhe­ ren Farbort am Auge (ca. 4.600 K), was auf mehr Entspannung hinweist. Das wird auch durch die Forschungsergebnisse in Abb. 87 bestätigt.

1.5.5  Zusammenfassung der Ergebnisse der Herzratenvariabilität Wir können also sagen, dass Räume mit strukturierten Oberflächen oder gesättigten Farben mit höheren Farbtemperaturen und damit größer wer­ denden Farborten am Auge höhere HRV-Werte aufweisen und damit mehr Entspannung erreichen. Herbert Schober und Peter Scheffler zeigten schon in ihren Arbeiten Das Sehen, (Band II, Fachbuchverlag Leipzig) und „Anpassung an ­Farben, Anwachsen der Unterschiedsempfindlichkeit bei der Betrachtung von far­ bigen Flächen“ (Dissertation von Peter Scheffler, Leopold-Franzens-Univer­ sität Innsbruck, 1949/1950) auf, dass das Auge bei der Wahrnehmung gesättigter Farben nach einer bestimmten Zeit dazu tendiert, die Sättigung zu reduzieren. Man kann daraus ableiten, dass durch diese zusätzliche Arbeit des Gehirns eine Reduktion der visuellen Leistung auftritt. Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 87 Zusammengefasste Testergebnisse der Versuchsreihe (­objektive ­Methode) zeigen, dass mit steigender Farb­ temperatur am Auge die Entspannung zunimmt.

Das bestätigt sich in einer gemeinsamen Forschungsarbeit zwischen der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck (Kardiologie, Prof. Otmar ­Pachinger) und der Firma Bartenbach, deren Ergebnisse darauf hinweisen, dass Raumoberflächen mit einem Farbortunterschied von ca. 1.000 K und ca. 2.000 K die HRV für zwei Stunden steigern und sich dann n ­ ivellieren. Ein weiteres Ergebnis dieser Versuchsreihe (objektive Methode) zeigen die Zusammenhänge zwischen Unterschiedsempfindlichkeit und Farbtempera­ tur am Auge.

Abb. 88 Sehleistung und Farbtemperatur am Auge: kein erkennt­licher Zuwachs oder Abfall der visuellen Leistung bei allen Farbtemperaturen.

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Kapitel 1

Abb. 89 Subjektive Bewertung mittels ­semantischen Differentials über das ­Erscheinungsbild der einzelnen Raumausstattungen und deren momen­ tane Akzeptanz. Test: weiße Raumoberfläche mit unterschiedlichen Farbtemperaturen bei einer Infeldleuchtdichte von 140 cd/m² und einer Umfeldleuchtdichte von 75 cd/m² bei unterschiedlichen Farbtempera­ turen (subjektive Befragung von ca. 30 Versuchspersonen).

Die Ergebnisse in Abb. 88 beziehen sich auf die Kriterien der visuellen Leistung, der Unterschiedsempfindlichkeit, die Materialarten und deren Farborte am Auge, die durch die Mehrfachreflexion erreicht wurden. Es zeigt sich, dass die Veränderungen der Farborte keinen signifikanten Einfluss auf die visuelle Leistung haben. Das ist deshalb gut zu verstehen, da sich auch die Tageslichtverläufe stets verändern und damit auch die Farborte und die spektrale Zusammensetzung im fotopischen Bereich. ­Veränderungen der Farborte von ca. 4.000 K bis 8.000 K kommen dem­ nach häufig vor, und die hohen Schwankungen können gut verarbeitet werden. Abb. 89 zeigt die subjektiven Ergebnisse auf Basis des semantischen Differentials (Fragebogen). Es zeigt sich, dass Farborte von ca. 4.000 K in einem weißen Raum – also in einem Raum ohne Eigenschaften und ohne große Ablenkungen – keine Reaktion erzeugen und steigende Farborte von ca. 6.500 K nur wenig daran ändern. Die Verringerung der Farborte auf ca. 3.000 K hingegen bewirken subjektive Eindrücke, die auf eine Milieuveränderung hinweisen. Wie bereits angeführt sind solche Ein­drücke und ihre Wirkung kurzfristig und passen sich schnell an, wie weitere Stu­ dien ergaben. Für die Anwendung im Planungsprozess bedeutet das, dass Tageslicht­ ergänzungen untertags mit Farborten am Auge von über 4.000 K und nachts unter 3.000 K mit Melatoninlicht angewendet werden sollten. Beim Allgemeine theoretische Grundlagen

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nächtlichen Melatoninlicht entsprechen die Farborte den gewohnten Er­ scheinungsbildern, und es unterstützt zusätzlich bei angepassten Spektren die Melatoninausschüttung, was sich positiv auf Gesundheit und Wohl­ befinden auswirkt.

1.6  Der Einfluss des Adaptations- und ­Aufmerksamkeitsvorgangs auf die visuelle Leistung Im Theoretischen Leuchtdichtemodell wurde die Abhängigkeit der Infeldund Umfeldleuchtdichte unter Voraussetzung der stabilen Wahrnehmung dargestellt. Es wurden zwei Bereiche mit „A“ und „B“ gekennzeichnet. Diese Differenzierung leitet sich aus den Aufmerksamkeitsvorgängen und aus der Konzentrationsfähigkeit auf die Sehaufgabe (LI) ab. Die wesent­ liche Quelle dieser Erkenntnis waren die Ergebnisse der Forschungsarbeit „Mehrere Infelder“, dargestellt in Kapitel 1.3.2. Bei diesen Versuchen konnte man die Differenzierungen, bezogen auf die visuelle Leistung, ana­ lysieren. Undeutlich in der Begriffsbildung ist die gegenseitige Beeinflussung der Adaptations- und der Aufmerksamkeitsabläufe, die ja beide den stabilen Bereich des Theoretischen Leuchtdichtemodells festlegen. Aufmerksamkeit und Adaptation sind beide Mechanismen, die die Sehleistung optimie­ ren. Für das Informationsangebot, das auf uns zukommt – sensorisch und endogen –, reichen die zur Verfügung stehenden körpereigenen Energie­ ressourcen nicht aus, um sie in diesem Umfang zu verarbeiten. Das Gehirn muss seine Leistung kontinuierlich optimieren. Mehrere Mechanismen lenken diese Ressourcen auf die wesentlichen Teile des Erscheinungsbildes. Räumliche Aufmerksamkeitsvorgänge und Kontraste sind zwei dieser Mechanismen, die den visuellen Leistungsum­ fang und das Erkennen beeinflussen. In diesem Kapitel geht es darum, wie der Adaptationszustand und die Aufmerksamkeitsarten die Kontrast­ empfindlichkeit als eine Komponente der visuellen Leistung beeinflussen.

Aufmerksamkeit Die Aufmerksamkeitsvorgänge sind mit Selektionsabläufen verbunden, um die Informationsaufnahme ökonomisch, schnell und auf das Wesentliche gerichtet durch Auslese durchzuführen (= selektieren). Die Aufmerksam­ keitsvorgänge bewegen sich im autonomen (= ungerichtet, flüchtig, geteilt – „A“) und teilweise im bewussten (gerichtet, selektiv, erkennend – „B“) Verarbeitungsbereich. Der gerichtete Aufmerksamkeitsvorgang wirkt vorwiegend im Infeld, also im Bereich der Fovea, und die Sehobjekte werden durch die Augen­ bewegungen und den Akkommodationsvorgang auf diesen projiziert (autonom und willentlich). Durch die besondere Struktur der Rezeptoren (siehe Kapitel 1.2.3) erhält so das fokussierte Sehobjekt die höchste Kon­ trastempfindlichkeit im Gesichtsfeld. Dieser Kontrastvorgang wird durch die Aufmerksamkeit, die Selektion und teilweise durch das Mentale ver­ stärkt (gerichtete Aufmerksamkeit). Die Struktur der Rezeptoren des umge­ benden Gesichtsfeldes bewirkt bei diesem Vorgang, dass die entstehende Unschärfe in dem die Fovea umgebenden Umfeld (Netzhaut) das Selek­ tieren unterstützt und die visuelle Leistung durch Anhebung der Kontrastwir­ kung zusätzlich weiter ansteigt. Dieser Aufmerksamkeitsvorgang entspricht der selektiven oder gerichteten Aufmerksamkeit und wird im „Was-Gehirn­ areal“ verarbeitet („Top-down-Verarbeitung“). 104

Kapitel 1

Adaptation Der gleichzeitig, also simultan auftretende Adaptationsverlauf, der im ge­ samten Gesichtsfeld wirksam wird, verursacht die Anpassung, die dort die auftretenden Leuchtdichteunterschiede ausgleicht. Es entsteht eine mittlere Umfeldleuchtdichte, welche die Kontrastempfindlichkeit dieses Umfeldes reduziert und die Unschärfe im Gesichtsfeld mitverursacht. Dieser Selek­ tionsvorgang wird als eine wesentliche Komponente der Adaptation von gleichbleibenden Reizen erhöht, während veränderliche Reize das Selek­ tieren verunsichern würden. Damit wird trotz scheinbar gegenläufiger Wirkung der Adaptation gegenüber dem Aufmerksamkeitsverlauf die Erkennbarkeit im Infeld im ­Bereich der Aufmerksamkeitszone verstärkt und weiter angehoben. Die Aufmerksamkeitsvorgänge und die Adaptationsabläufe im simultanen Zeitbereich sind synchron verstärkend auf die visuelle Leistung und darüber hinaus auf die Steigerung der Erkennbarkeit ausgerichtet. Die Aufmerk­ samkeitsvorgänge und der Adaptationsverlauf werden von unterschiedli­ chen Gehirnarealen gesteuert und verarbeitet. Sie wirken unabhängig und beeinflussen sich gegenseitig nicht. Dabei ist es für die Aufmerksamkeit möglich, auf höherer Ebene im Bereich des Mentalen Adaptionsvorgänge zu beeinflussen, z. B. durch das Erkunden neuer Szenarien (gerichtete Auf­ merksamkeit). Im autonomen Bereich bei ungerichteter Aufmerksamkeit ist kein Einfluss auf die Adaptationsvorgänge möglich (Hypothese). Aus einer amerikanischen Studie „Wie beeinflussen Aufmerksamkeit und Adaptation die Kontrastempfindlichkeit?“ (Department of Psychology, New York University, USA; Journal of Vision, Pestilli/Viera/Carrasco) geht hervor, dass es, obwohl die Aufmerksamkeit und die Adaptation die Kon­ trastreaktion verändern, keine gegenseitige Beeinflussung gibt. Die Wir­ kung der Aufmerksamkeit ist unabhängig vom Adaptationszustand des Systems. Es geht weiter daraus hervor, dass der Adaptationszustand und die damit verbundene Kontrastanpassung vor dem Aufmerksamkeitsvorgang stattfinden. Es ist daher von Bedeutung, dass der stabile Adaptationszu­ stand für die darauffolgenden Vorgänge schon stattgefunden hat. Auf­ merksamkeit und Adaptation sind beides Mechanismen, welche die Seh­ leistung optimieren. • Die Aufmerksamkeit optimiert die Sehleistung durch eine Verstärkung der Kontrastempfindlichkeit mit einer selbstlernenden (neuronalen) Re­ aktion auf visuell wahrgenommene Reize. • Die Adaptation optimiert die Sehleistung durch Verstärkung der Kon­ trastempfindlichkeit und eine neurale Reaktion auf sich verändernde Reize; eine Reduzierung der Kontrastempfindlichkeit für sich nicht än­ dernde Reize. • Die Aufmerksamkeit wirkt vorwiegend im fokussierenden Bereich (In­ feld > erhöht Reizerkennung > Top-down-Verarbeitung > geistiger Vor­ gang). • Die Adaptation wirkt im gesamten Gesichtsfeldbereich und findet in anderen Gehirnarealen statt (Umfeld > reduziert Reizerkennung > Bot­ tom-up-Verarbeitung > autonomer Vorgang). • Aufmerksamkeit erhöht die Reizerkennung. • Adaptation reduziert die Reizerkennung. Beide Vorgänge – obwohl sie die Sehleistung gemeinsam optimieren – beeinflussen sich gegenseitig nicht. Es zeigt sich, dass die Aufmerksamkeit und die Adaptation die psychometrische Kontrastfunktion in einer ähnli­ chen, dennoch gegensätzlichen Weise beeinflussen. Der Adaptationszu­ Allgemeine theoretische Grundlagen

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stand beeinflusst das Ausmaß der Aufmerksamkeitswirkung nicht. Die Auf­ merksamkeit jedoch kann die Adaptation überwinden, um die Kontrast­ empfindlichkeit als reduzierte Reizerkennung wiederherzustellen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es im Minimalprinzip der Arbeitsweise der visuellen Wahrnehmung liegt, die Informationsaufnahme ökonomisch zu gestalten – und das mit Selektion (Gibson).

1.7  Die Bedeutung der Aufmerksamkeitsvorgänge für das Erkennen In Kapitel 1.3.2 wurde die Bedeutung von Aufmerksamkeitsvorgängen und der Einfluss auf diese untersucht. Wie wir anhand der Ergebnisse bezo­ gen auf die visuelle Leistung entnehmen können, ergaben sich signifikante Unterschiede. Da der Begriff der Aufmerksamkeit wohl bekannt ist und sie in unserem Sprachgebrauch häufig vorkommt, wird sie dennoch bei den visuellen Vor­ gängen in der Lichtplanung zu wenig beachtet. In diesem Kapitel möchte ich die Aufmerksamkeitsvorgänge analysie­ ren und versuchen, sie auf die Erkenntnisvorgänge – also über das Sehen hinaus – zu definieren. Die Adaptationsvorgänge sind in der lichttechnischen Literatur bereits ausführlich beschrieben: z. B. Das Sehen, Band II (Herbert Schober) und Handbuch für Lichtgestaltung. Lichttechnische und wahrnehmungspsychologische Grundlagen (Christian Bartenbach und Walter Witting).

1.7.1 Allgemeines Die Aufmerksamkeit ist unmittelbar mit der Selektion gekoppelt, da unser Gehirn nicht in der Lage ist, mit dem ihm zur Verfügung stehenden Energie­ potenzial (ca. 25 % unserer Gesamtenergie) den visuellen Informations­ umfang zu verarbeiten. Das macht es notwendig, einen ökonomischen Wahrnehmungsvorgang zu erreichen. Hierbei handelt es sich um die Fähig­keit, Ablenkungen zu vermeiden und sich in einer bewegten Umwelt auf ein einziges Objekt/Geschehen konzentrieren zu können und dabei so viel Wissen wie möglich zu erlangen. J. J. Gibson ist der Auffassung, dass voraussichtlich nur so viele Infor­ mationen aus einem Reizkomplex aufgenommen werden, die notwendig sind, um einen Gegenstand ökonomisch zu identifizieren. In diesem Mini­ mierungsprinzip liegt die Ökonomie nicht in der Organisation, sondern in der Selektion. Um den vorherrschenden Informationsumfang begegnen und verarbeiten zu können, benötigt es selektive Aufmerksamkeit. Die selektive visuelle Auf­ merksamkeit – also die gerichtete Aufmerksamkeit – entsteht mechanisch durch Augenbewegungen. Dies umfasst das Scannen einer Szenerie für die Ausrichtung der Fovea auf selbige, die wir deutlich erkennen und inten­ siv verarbeiten wollen. Obwohl dieser autonome Vorgang des Scannens ein wichtiger Mechanismus der selektiven Aufmerksamkeit ist, wissen wir, dass Aufmerksamkeit in der Realität mehr ist und mehr bewirkt als nur das Sehen von Objekten und Szenen. Schon vor ca. 1880 beschreibt William James wörtlich: „Jeder weiß, was Aufmerksamkeit ist. Sie ist die Inbesitznahme eines einzigen von meh­ reren offenbar möglichen Gedankenvorgängen durch das Bewusstsein, und zwar in klarer und lebhafter Weise …“ 106

Kapitel 1

Die Aufmerksamkeit hat jedoch auch eine mentale Seite, und auf diesen Zusammenhang zwischen Augenbewegung und Erkundungsgeist verweist William James in seinem Zitat. Der autonome Vorgang, Konzentration durch selektive Aufmerksamkeit zu erlangen, wird von der Physiologie un­ seres visuellen Systems unterstützt. Die Struktur der Retina besteht fast aus­ schließlich aus Zapfenrezeptoren. Dieses Areal ist verantwortlich für die hohe Detailauflösung und ist eine wesentliche Komponente für die visuelle Leistung. Die auf der Retina abgebildeten Informationen im Vergleich zu den außerhalb der Fovea abgebildeten Informationen bieten durch die besondere Struktur der Rezeptoren ein überproportionales Maß an Ver­ arbeitung. In Kapitel 1.2.6 wurde dieser Vorgang im Zusammenhang mit dem Gesichtsfeld analysiert. Mit der Aufmerksamkeit wird im Buddhismus der Begriff und Zustand der Achtsamkeit in Verbindung gebracht. In der Literatur wird dazu ver­ merkt, dass Achtsamkeit bedeutet, seine Aufmerksamkeit bewusst und be­ dingungslos auf den gegenwärtigen Moment zu richten und nicht auf die Vergangenheit, Zukunft oder auf jegliche Hirngespinste. Reine Gegenwart, pure Präsenz, keine innere Unruhe oder Überanstrengung des Geistes – dies ist die Quelle aller Zufriedenheit.

1.7.2  Visuelle Wahrnehmung des Gehirns bei visueller Suche Das Auge in der visuellen Welt bewegt sich zufällig oder absichtlich in einer Reihe kleiner, diskontinuierlicher und rapider Sprünge, den soge­ nannten Sakkaden. Das Auge bewegt sich laufend von einem fixierten Gegenstand/Punkt zum nächsten. Das bedeutet, dass sich das Auge suk­ zessive von einem Fokus zum nächsten bewegt und somit jeweils die fokus­ sierten Punkte in die Fovea rückt. Die rasche Beobachtung einer Szenerie erreicht eine Obergrenze der sakkadischen Bewegung und beträgt zwi­ schen 4 und 5 Sakkaden pro Sekunde mit einem minimalen Abstand von 30 bis 60 Millisekunden zwischen den Sakkaden. Das Auge bewegt sich somit auf fließende Art. Bleibt das bewegliche Objekt in der Fovea eingeschlossen, nennt man dies „Verfolgung“. Das gilt auch bei einem „sakkadischen Objekt“, bei dem sich der Beobachter – also das Auge – bewegt. Der Hintergrund des fokussierten Objektes bleibt ständig unscharf.

Die Bildabtastung – das Scannen Das visuelle System führt die Koordination im Auge und Gehirn durch und braucht daher ständig Stichproben durch Scannen der visuellen Welt. ­Dieser Scanprozess der Augen auf verschiedene Stimuli wird durch Sak­ kaden getrennt. Die Informationen, die dabei in einer Fixierung entstehen und in dieser erhalten bleiben, bestimmen meist, wohin das Auge wei­ terwandert. Diese Informationen werden dann vom Gehirn gespeichert, verarbeitet oder selektiert (explizit und implizit). Daraus entsteht – angerei­ chert durch Erfahrungen – eine kognitive Landkarte (mentale Abbildung) im Gehirn.

Selektion in der visuellen Welt Es gibt in der visuellen Umgebung fokale Akzente, also Elemente und Situa­tionen, die das Auge stärker anziehen als andere und je nach Poten­ zial vom Informationsinhalt geprägt sind. Daraus lässt sich die Hierarchie Allgemeine theoretische Grundlagen

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der fokalen Akzente ableiten, welche die Bewegung des Scannens beein­ flussen bzw. stoppen. Die meisten Fixierungen liegen z. B. in Teilen visueller Szenen, welche die meisten Informationen enthalten und damit die Vor­ aussetzung für die Zuordnung der Aufmerksamkeit bilden. Die Aktivität des Suchens liegt tief im menschlichen Nervensystem. Das Scannen von Bildteilen oder visuellen Szenen ist verbunden mit dem je­ weiligen Interesse und der Aufmerksamkeitsspanne für die Augen-Hirn-­ Koordination. Es ist nur eine Frage der Zeit – und die ist kurz –, bevor das Gehirn ermüdet. György Kepes spricht über zwei Begrenzungen vom Feld der Aufmerk­ samkeit: • die Begrenzung in der „Anzahl der optischen Elemente bzw. Einheiten, die sie umfassen kann“, und • die begrenzte zeitliche Dauer, die eine optische Situation zur Konzent­ ration benötigt. Als Beispiel gibt er an, dass das Abbild als eine lebendige Erfahrung nicht lange in einer starren Struktur existieren kann. Damit das Bild ein „lebendi­ ger Organismus“ bleibt, müssen sich die Szenen innerhalb des Bildes stän­ dig ändern, d. h., das Auge und das Gehirn müssen mit visuellen Wechsel­ beziehungen genährt werden. Nur eine sich laufend ändernde Vielfalt ermöglicht die nötige Stimulation /Reizsituation, um die Aufmerksamkeit auf die Bildoberfläche zu erhalten. Der Inhalt dieser Aussage bezieht sich in erster Linie auf die Betrachtung von Bildern. Wir können das jedoch gut auch bei der Planung und Gestaltung von Räumen anwenden, wenn zu viele oder zu wenige Interessenzentren vor­ handen sind. Das, woran das Auge festhält beim Scannen eines Umfeldes, sind fokale Akzente. Damit sind Oberflächen bzw. Gegenstände gemeint, die hohe oder/und neue Wahrnehmungsreize aufweisen, sodass das Auge länger fokussiert und damit die Aufmerksamkeit erhalten bleibt. Die Aufmerksamkeit wird von folgenden Reizen angezogen und das Auge zum Verweilen gebracht: 1. Menschen, 2. Bewegung, 3. Helligkeit, 4. hoher Kontrast, 5. Farben (gesättigt), 6. starke Texturen, deren Bedeutung und Kombination. Der Gestalter hat die Möglichkeit, über die meisten dieser Komponenten bei der Gestaltung eines Raums zu verfügen und sie zu verändern. Menschen Es liegt in der Natur des menschlichen Nervensystems, die Anwesenheit anderer Menschen im Raum zu registrieren bzw. zu erkennen. Die fokale Aufmerksamkeit wird dabei vorwiegend direkt auf das Gesicht gelenkt, speziell auf die Augen (siehe „Gesichtserkennung“, Kapitel 3.8.1). Unter­ schiedliche Experimente haben gezeigt, dass Details eines Gesichtes mit großer Präzision registriert werden. Für die Lichtplanung wird deutlich, wie wichtig hier besonders hohe ausreichende vertikale Beleuchtungsstärken sind. Bewegung Die Bedeutung der Bewegung liegt begründet in der Aktivität der Netzhaut – selbst bei schlechter Beleuchtung. Diese retinale Aktivität ist verbunden 108

Kapitel 1

mit dem Aufmerksamkeitssystem der visuellen Wahrnehmung. Gekoppelt mit hoher Helligkeit entsteht eine außergewöhnlich starke Anziehungskraft für das Auge. Darin finden wir auch den Grund dafür, warum Blendung, Flackern und das Bewegen von Objekten ablenken. Helligkeit Hohe Helligkeit an Objekten und/oder helle Oberflächen des Umfelds haben großen Einfluss auf die Aufmerksamkeit. In klassischen Gestaltungs­ prozessen werden die Anwesenheit von Menschen und Bewegungsabläufe nur selten miteinbezogen, und so ist die Helligkeit eine wesentliche – sogar beherrschende – Gestaltungskomponente, welche die Raum­wahrnehmung stark beeinflussen kann (Ablenkung – physiologische Blendung). Leuchtdichteunterschiede – Kontraste Bei konstanter Helligkeit ist die Differenz der Reflexionsgrade von Mate­ rialoberflächen von Bedeutung. Leuchtdichteunterschiede von 3 : 1 bewir­ ken einen bereits erkennbaren Unterschied und Leuchtdichteunterschiede von 10 : 1 eine starke visuelle Attraktion im Blickfeld. Hier möchte ich darauf hinweisen, dass die hohen Leuchtdichteunterschiede – solange sie sich im stabilen Bereich des Theoretischen Leuchtdichtemodells befinden – keine physiologischen Störungen verursachen, jedoch große Ablenkung in eine visuelle Szenerie bringen können. Farben Intensive und gesättigte Farben als isoliertes Element in der Umgebung werden den Blick und damit den Scanprozess des Auges anziehen. Unter­ schiedliche Versuche zeigten, dass bei konstanter Helligkeit Weiß, Beige, gesättigtes Gelb, Orange und Rottöne heller als dunkles Blau, Grün und Brauntöne erscheinen. Lebendige Farben bzw. gesättigte Farben können bei kontrastierender Umgebung effektiver als fokale Elemente in einer räumlichen Umgebung sein. Diese an sich subjektiven Ergebnisse aktivie­ ren Emotionen und Erinnerungen und können das Raummilieu entweder unterstützen oder gerichtete Aufmerksamkeitsvorgänge reduzieren bzw. verhindern. Starke Texturen Dominante Strukturen und Muster ziehen ebenfalls die gerichtete Aufmerk­ samkeit an. Die Menschheitsgeschichte war stets von unzähligen Mustern in der natürlichen Umwelt begleitet, die unsere Verhaltensformen mit­ gebildet haben und uns wesentliche Aussagen über die Individualität von Objekten vermittelt haben. Dadurch ergeben sich differenzierte Aufmerksamkeitsvorgänge wie: • gerichtete Aufmerksamkeit, • geteilte/fluktuierende Aufmerksamkeit und • ungerichtete Aufmerksamkeit. Wie die Studie „Mehrere Infelder“ zeigt, sind die visuellen Leistungen die­ ser o. g. Aufmerksamkeitsstufen signifikant unterschiedlich (siehe Abb. 96, 97). Auch ist von Bedeutung, ob die Inhalte, auf die sich die Aufmerk­ samkeitsvorgänge beziehen, wie Personen, Bewegungen, Helligkeiten, Kontraste, Farben und Texturen, dem fokussierten Bereich (Infeld) zuge­ ordnet werden oder ob sie sich im umgebenden und damit unscharfen Allgemeine theoretische Grundlagen

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Gesichtsfeldbereich befinden. Im Bereich des Infeldes findet die wesent­ liche Verarbeitung der visuellen Leistung (UE, Sehschärfe, Wahrnehmung, Gesichtsfeld) statt. Ein bedeutender Aspekt bei der Wahrnehmungssuche ist auch, dass die Eigenschaften von Identität, Bedeutung und Ziel dieser Vorgänge das Scannen beeinflussen. Sobald etwas für eine Person „Sinn ergibt“, kann es augenblicklich zum fokalen Akzent werden. Zum Beispiel die Präsenz einer bekannten Person in einer anonymen Menschenmenge, das Blinken des Blaulichts eines Einsatzfahrzeugs im dichten Verkehr etc. Diese individuellen Informationsinhalte erlangen Vorrang bei der Wahr­ nehmungssuche. Die Dominanz kann durch Kombination der Objekte wie­ der angehoben werden. Wesentlich bei diesen Vorgängen ist es, die Aufmerksamkeit zu finden bzw. zu definieren und zu erlangen und dabei das übermäßige Angebot von Objekten/Szenen für den fokalen Akzent nicht zu überlasten – sei es durch das visuelle Angebot, durch Ablenkung oder durch physiologischpsychologische Störungen der visuellen Wahrnehmungsvorgänge, wie z. B. Blendung.

1.7.3  Der Begriff der Aufmerksamkeit und ihr Zusammenhang mit der visuellen Leistungsfähigkeit Die o. g. Wirkungen bzw. Leistungsbeanspruchungen unter bestimmten Lichtbedingungen lassen sich mit dem gesteigerten Aufmerksamkeitsvor­ gang beschreiben. Zum besseren Verständnis will ich den visuellen Wahr­ nehmungsablauf als „Aufnahme von Informationen aus unserer Umwelt“ definieren. Das Phänomen der Informationsentnahme ist, dass diese immer wieder vollzogen werden kann, ohne sich aufzubrauchen. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit sind als System ihrer Wechselbe­ ziehung zu verstehen, welches die Beziehung zwischen Umwelt und Ver­ halten aufrechterhält. Adaptation und Aufmerksamkeit sind getrennte Systeme. Aufmerksamkeit ist als Selektionsprozess zu verstehen, der das Über­ angebot der eingehenden Informationen reduziert. Dieser Prozess wird unterstützt durch den organischen Aufbau des Auges und den Arealen: • Netzhautgrube = Bereich des Infeldes = scharfes Sehen, • Gesichtsfeld = Umfeld = unscharfes Sehen. Damit in einer bestimmten Situation nur die relevanten Reize wahrgenom­ men werden, findet eine Selektion statt. Die Aufmerksamkeit richtet sich nur auf einen bestimmten Teil des Wahrnehmungsfeldes, wobei jener Bereich, auf den sich die Aufmerksamkeit richtet, intensiver und mit einer erhöhten Unterschiedsempfindlichkeit wahrgenommen wird. Zu diesem Intensitäts­ aspekt zählt auch die Wachheit – die Vigilanz – über einen längeren Zeit­ raum hinweg. Es ist somit besonders wichtig, die freie Gehirnkapazität zu erhalten, was wiederum vom Grad der Ermüdung abhängig ist. Ein exploratives Verhalten – das Erkunden – verursacht die geteilte Auf­ merksamkeit. Wir unterscheiden: • Willkürliche, gerichtete oder aktive Aufmerksamkeit: Hier kontrolliert der Beobachter die Richtung und die Intensität der Aufmerksamkeit. Er konzentriert sich auf die Objekte/Szenen, die ihn gerade interessieren. Willkürliche Aufmerksamkeit ist mit Anstrengung verbunden, da sie ein endogener bzw. geistiger Vorgang ist. 110

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• Unwillkürliche, ungerichtete Aufmerksamkeit: Hier wird der Beobachter „gezwungen“, bestimmte Dinge zu beachten, ohne dass die Absicht dazu besteht. Sie ist reizgesteuert, d. h., sie ruft Reize beim Individuum oft auch entgegen seiner Absicht hervor. Der Auslöser hängt also von objektiven und von exogenen Reiz­variablen ab. Objektive Reizparameter sind Intensität, Größe, Farbigkeit, Kontrast und Bewegung. Dazu kommt noch, dass man zwischen absoluter und relativer Neuheit bzw. zwischen kurz- oder langfristiger Neuheit unterscheidet. Absolut neu ist ein Reiz, wenn er noch nie wahrgenommen wurde. Dies ist kaum der Fall, außer bei Babys und Kleinkindern. Unter einer relativen Neuheit versteht man, wenn an sich bekannte Reiz­ elemente neu komponiert werden oder wenn unbekannte Reizelemente im Zusammenhang mit einem bekannten Element auftreten. Kurzfristige Neuheiten beziehen sich auf unmittelbar vorangegangene Reizerlebnisse, während langfristige Neuheiten zeitlich weiter zurückliegen. Ein sich stän­ dig wiederholender Reiz verliert seine aktivierende Wirkung. Er gewinnt sie erst wieder zurück, wenn er längere Zeit nicht aufgetreten ist. Der Überraschungsgehalt entsteht durch das Vergleichen von gegen­ wärtiger Wahrnehmung und der Erwartung, die aufgrund früherer Erleb­ nisse entstanden ist. Bewusst wird die unwillkürliche Aufmerksamkeit bei­ spielsweise in der Werbung genutzt. Ein Plakat, Inserat etc. wird als erfolg­ reich eingestuft, je besser es die unwillkürliche Aufmerksamkeit auf sich zieht. Beworbene Objekte müssen ins Auge stechen und werden mithilfe gezielten Einsatzes psychologischer und kollektiver Variablen gestaltet. Die Variablen wie Neuheit, Überraschungsgehalt, Komplexität, Ungewiss­ heit, Konflikt etc. konstituieren sich aufgrund eines Vergleichsprozesses zwi­ schen verschiedenen Teilen der räumlichen oder zeitlichen Umwelt. Neurologen stellen fest, dass vor allem die gerichtete Aufmerksamkeit das „Tor zum Bewusstsein“ ist. Meiner Überzeugung nach sind die Betrachtungen zum Thema Aufmerk­ samkeit auf die Lichtplanungen auszuweiten. Wir können sie auf die raum­ gestalterischen Aspekte anwenden und gemeinsam mit dem Licht ein ganzheitliches Licht- und Raummilieu schaffen.

Zusammenfassung Im Informationsverarbeitungsmodell entspricht die Aufmerksamkeit den Selek­toren. Diese bewirken eine Informationsreduktion. Die Aufmerk­sam­ keit hat einen selektiven, einen endogenen und einen exogenen ­Aspekt. Weiterhin ist sie gekennzeichnet durch die Fluktuation des Brennpunktes und die Begrenztheit des Aufmerksamkeitsumfangs. Aufmerksamkeit kann unwillkürlich oder willkürlich (individuell) gesteuert sein. Die unwillkür­liche Aufmerksamkeit wird durch die physikalischen Merkmale wie Größe, In­ ten­sität, Farbigkeit, Kontrast, Bewegung und/oder kollektive Variablen wie Neuheit, Überraschungsgehalt, Komplexität, Ungewissheit, Konflikt aus­ gelöst. Der Aspekt der Intensität Die Auslösung der Aufmerksamkeit durch bestimmte Reizinformationen wird von einem Anstieg des Aktivierungsniveaus begleitet, das in unter­ schiedlichen physiologischen Veränderungen zum Ausdruck kommt. Allgemeine theoretische Grundlagen

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Die Orientierungsreaktion Ein großes Reiz-Informationsangebot erfordert Selektion. Darüber hinaus wird jedoch noch ein Mechanismus gebraucht, der in komplexen Situatio­ nen die verfügbare Aufnahmekapazität ohne Verzögerung auf die Ver­ arbeitung relevanter Reizinformationen konzentriert. Dieser Mechanismus ist die Orientierungsreaktion. Sie wird ausgelöst, wenn sich ihre Umwelt­ bedingungen plötzlich ändern. Anstelle der Bezeichnung „Orientierungs­ reaktion“ ist auch der Ausdruck „Orientierungsreflex“ geläufig. Für Vigilien – sogenannte Wachsamkeitszustände – kann auch der Be­ griff „Daueraufmerksamkeit“ verwendet werden. Darunter versteht man die Bereitschaft, relativ seltene und unerwartet auftretende Signale zu bemerken, um darauf zu reagieren. Situationen für Vigilien sind dadurch gekennzeichnet, dass die Signale aus geringfügigen Veränderungen der Reizungen bestehen und dass diese Veränderungen unregelmäßig und selten auftreten. Der Leistungsabfall bei Aufgaben, welche Daueraufmerksamkeit erfor­ dern, entsteht durch die ständig gleichbleibende Reizsituation, wodurch Habituation (= Gewöhnung) erzeugt wird, welche die physiologische Re­ aktionsbereitschaft herabsetzt. So fällt es dem Beobachter zunehmend schwerer, die für die Aufgabe notwendige Aufmerksamkeit aufzubringen. Habituation tritt also bei gleichbleibenden Umweltbedingungen auf. Dis­ habituation ist ein erneutes Auftreten der Orientierungsreaktion. Der Zu­ sammenhang zwischen Orientierungsreaktion, Habituation und Dishabi­ tuation wird im Modell von Soklov dargestellt. Aus dieser Zusammenfassung des Aufmerksamkeitsvorgangs mit seinen spezifischen Eigenschaften erkennen wir, dass die Komponente der Auf­ merk­samkeit, die unsere Aufgabenstellung betrifft, die „unwillkürliche (un­ ge­richtete) Aufmerksamkeit“ ist. Sie ist für unterschiedliche Aufgaben spezi­ fisch zu analysieren. Im Zusammenhang mit der visuellen Leistungs­fähig­ keit, deren Basis die Unterschiedsempfindlichkeit ist, ist die Erweiterung der visuellen Leistung jeweils durch Aufmerksamkeitsvorgänge zu gestalten. Es kommt beim Entstehen eines Licht- und Raummilieus also darauf an, den Tätigkeitsabläufen ihre jeweilige Art der Aufmerksamkeit zuzuordnen, also die fokussierten Bereiche des Infeldes nach ihren jeweiligen Sehauf­ gaben zu betrachten und zu bewerten. Dieser Aufmerksamkeitsbereich mit Zuordnung des Umgebungsbereichs ist entsprechend zu gestalten. Für die Einbeziehung des Aufmerksamkeitsvorgangs ist die ungerichtete Aufmerksamkeit als Komponente wesentlich. Die „objektiven Reizvariablen“, die durch Intensität, Größe/Ausdeh­ nung, Farbigkeit, Textur der Raumoberflächen, Kontraste und Bewegung zustande kommen, sind für die räumliche Gestaltung des Licht- und Raum­ milieus vorrangig. Der Gestaltungsspielraum liegt im Bereich des Umfeldes, das bei einem visuellen Raum aus den umschließenden Raumoberflächen und den Ein­ richtungsobjekten besteht. Da die Intensität in den Infeldbereichen durch den Blickwinkel der Sehaufgabe und die Detailerkennbarkeit weitgehend festgelegt ist (max. 20 % des Gesichtsfeldes), wird der Umgebungsbereich durch das gesamte visuelle Gesichtsfeld erfasst und weitgehend autonom gesteuert.

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Kapitel 1

1.8  Wirkung und Einfluss von Aufmerksamkeitsund ­Adaptationsvorgängen auf die visuelle Leistung In den bisher besprochenen Kapiteln habe ich die Infeld- und Umfeldbe­ reiche und die Adaptations- und Aufmerksamkeitsvorgänge in ihrer Bedeu­ tung und im Zusammenhang mit der visuellen Wahrnehmung analysiert und definiert. Es wurden die Vorgänge auf das visuelle Verhalten objektiv und subjektiv dargestellt und für die Anwendung in Planungsprozessen umsetzbar gemacht. Für die Schaffung von Licht- und Raummilieus sehe ich es als unerlässlich, Lichtplanungsprozesse in die Raumgestaltung zu ­integrieren. Das Thema des folgenden Kapitels 1.8 beschreibt vorwiegend am Beispiel von durchgeführten Forschungsvorhaben und Studien (zum Teil noch unver­ öffentlicht) die Wirkung auf die visuelle Leistung, auf das Wohlbefinden und ab wann Stabilität in optimierten Wahrnehmungsabläufen erreicht wird.

1.8.1  Auswirkung unterschiedlicher Kunstlichtsysteme auf die ­visuelle Leistung Bereits vor vielen Jahren befassten wir uns mit der Thematik, welchen Ein­ fluss unterschiedliche Leuchtensysteme bei gleichen visuellen Aufgaben in identischen Räumen unter Einbeziehung der beteiligten visuellen Kom­ ponenten auf die visuelle Leistung haben. Die Testmethoden bezogen sich auf die mentale Gesamtleistung, die sich aus der Mittelbildung von acht Teilleistungen unterschiedlicher Gehirntätigkeiten ergaben. Dafür wurden mit separaten Methoden die Bearbeitungszeit und die Ermüdung ermittelt. Der Versuchsaufbau bestand aus zwei identischen Büroräumen mit unterschiedlichen Kunstlichtsystemen, in denen dieselben Sehbedingun­ gen und räumlichen Leuchtdichteverteilungen herrschten. Herauszufinden galt es, wie stark unterschiedliche Kunstlichtsysteme bei stabilem visuellem Wahrnehmungsbereich und spezifisch hohen Leuchtdichteverteilungen im Umgebungsbereich durch Ablenkungen (z. B. Blendung) die mentale Leis­ tung beeinflussen bzw. reduzieren. Der Versuchsaufbau ist in Abb. 90 und 91 dargestellt. Im ersten Testraum wurde eine direkt strahlende und blendfreie Spiegel­ rasterleuchte angebracht, die den Arbeitsbereich mit einer konstanten Be­ leuchtungsstärke von EN = 500 lx ausleuchtete. Der Bildschirm hatte eine Eigenleuchtdichte von LI ≈ 60–70 cd/m², und die Umgebungshelligkeiten im Gesichtsfeld betrugen LUm = 20–30 cd/m². Der Bereich der Infeld­leucht­ dichte an den Belegen wies eine Leuchtdichte von LI = 60–70 cd/m² auf. Der zweite Testraum wurde mit einem direkt/indirekt strahlenden Licht­ system aus­gestattet. Die Infeldleuchtdichte an der Sehaufgabe war die­ selbe wie im anderen Raum, jedoch wurde der Leuchtdichtebereich der Um­ge­bung verändert, und an der Decke traten Leuchtdichten von LD = 800 cd/m² auf. Die Ergebnisse dieses Versuchsaufbaus und die getesteten Kriterien sind in Abb. 92 dargestellt. Man erkennt in der Grafik, dass die mentale Leistung beim direkten Be­ leuchtungssystem signifikant besser ist als beim direkt/indirekt strahlenden System, ebenso dass die Bearbeitungszeit und die Ermüdung signifikant geringer sind. Der Unterschied liegt in der hohen Deckenleuchtdichte von LD = 800 cd/m² beim direkt/indirekt strahlenden System. Zwar reduziert sie sich im gesamten Bereich des Gesichtsfeldes auf LUm ≈ 100–120 cd/m², und auch die stabile Wahrnehmung ist nicht beeinträchtigt – es entsteht in Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 90 Testraum für direkte Beleuchtung.

Abb. 91 Testraum für direkt-indirekte ­Beleuchtung.

Abb. 92 Testergebnisse. 114

Kapitel 1

dem Sinn also keine physiologische Störung –, jedoch verändert sich der gerichtete Aufmerksamkeitsvorgang durch Ablenkung in einen geteilten Aufmerksamkeitsvorgang. Die visuelle Leistung wird reduziert, und auch der visuelle Wahrnehmungsvorgang verändert sich.

1.8.2  Veränderungen der visuellen Leistung durch die Struktur oder der Einfluss von Farben der Raumoberflächen Hier möchte ich auf die Ergebnisse der Forschungsarbeit „Materialober­ flächen“ zurückkommen, auf die ich bereits ausführlich eingegangen bin. Wir stellten fest, dass bei der Raumoberfläche Weiß gegenüber ande­ ren Raumoberflächen hinsichtlich der visuellen Leistung erhebliche Unter­ schiede auftraten, die sich nochmals differenzierten bei unterschiedlichen Umgebungsleuchtdichten von 25/75/250 cd/m² und konstant gehaltener Infeldleuchtdichte von 140 cd/m² (Kapitel 1.5).

1.9  Die Bedeutung der Pupillenweite für die ­visuelle ­Leistung Lichtverhältnisse, wie sie im Inneren unserer Räume auftreten, werden nach lichttechnischen Kriterien geplant wie • Leuchtdichte, • Beleuchtungsstärke, • Lichtverteilung im Raum, • spektrale Zusammensetzung der Lichtquellen und • Farborte unter Einbeziehung von physiologischen und psychologischen Kompo­ nenten des visuellen Verhaltens wie • visuelle Leistung und • Wohlbefinden, Behaglichkeit. Die physiologischen Mechanismen und optischen Eigenschaften des Au­­ ges, seine Bewegungsabläufe und Interaktion sind wohl allgemein be­ kannt, finden jedoch in den Planungsabläufen nach wie vor wenig Beach­ tung. Da bei vielen Menschen Aberrationen (= häufige Störungen) im op­ tischen System des Auges auftreten und durch die Pupilleneinstellung (Verkleinerung der Pupillenweite) eine defokussierende Wirkung erreicht werden kann, wird die Pupillenweite zu einer visuellen Komponente. Der Zusammenhang von Pupillenweite und visueller Leistung wurde in Unter­ suchungen in den Laboratorien in Berkeley, Kalifornien, von Prof. Sam M. Berman mit seinem Team erarbeitet. Es wurde festgestellt, dass vorrangig die optische Qualität der Augen und weniger die Beleuchtungsstärke auf der Retina die visuelle Leistung beeinflussen. Da der Mechanismus der Pupilleneinstellung fast ausschließlich vom globalen Gesichtsfeld bestimmt wird und in diesem die Stäbchenrezep­ toren die größte Häufigkeit aufweisen, fällt dem skotopischen Sehen (Schwarz-Weiß-Sehen) eine besondere Bedeutung für die Pupillensteue­ rung zu (Abb. 95). Die Pupillenweite wird also vom globalen Gesichtsfeld (EVA = LUm × π) gesteuert. Das geschieht vorwiegend autonom, und die Stäbchenrezepto­ ren werden auf der Netzhaut aktiviert, was zusätzlich eine spektrale Emp­ findlichkeit mit sich bringt. Untersuchungen zeigen, dass die Pupillengröße in erster Linie von der skotopischen Reizwirkung kontrolliert wird und für die Sehleistung die Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 93 Zusammenhang zwischen Pupillenweite und mittlerer ­Umgebungsleuchtdichte (globales Gesichtsfeld).

Pupil­lengröße wichtiger ist als die retinale Beleuchtungsstärke. Das Hellig­ keitsempfinden weist sowohl skotopische (globales Gesichtsfeld) als auch photopische (Retina) Komponenten auf. Die daraus resultierende Erkenntnis ist, dass das skotopische Spektrum bestimmend für die Pupillengröße ist, da durch die Verengung der Pupille die defokussierende Wirkung der Aberrationen reduziert wird. Diese Betrachtungen gelten mit der Einschränkung, dass die vorherr­ schenden Leuchtdichten im globalen räumlichen Gesichtsfeld Helligkeiten aufweisen, auf welche die Pupillengröße noch reagiert. In den o. g. Versuchen von Prof. Berman wurde auch festgestellt, dass bei skotopisch verbessertem Umgebungslicht (= Lichtquelle mit höherer Farb­ temperatur) im Vergleich zur skotopischen Beleuchtung besonders die älte­ ren Versuchspersonen nachweislich eine höhere Sehleistung aufwiesen. Die Ursache darin liegt in der erreichten Verringerung der Pupillenfläche. Die Forscher glauben, dass bereits kleine Veränderungen der Pupillen­ größe bei den älteren Menschen einen großen Effekt auf ihre Sehleistung bei schwierigen Sehaufgaben haben. Die Grafik in Abb. 95 zeigt die spektrale Empfindlichkeit von • photopischer Sensibilität, wie sie im neutralen Bereich bei Leuchtdichten L > 20 cd/m² wirkt, • skotopischer Sensibilität, die im globalen Gesichtsfeld auftritt und bei L > 20 cd/m² wirkt – auch in der Retina, • Cirtopic-Sensibilität, die im globalen Gesichtsfeld durch einen neu ent­ deckten Rezeptor bei höheren LUm anspricht. Abb.  96 zeigt die Abhängigkeit der Pupillenweite von der Sehaufgabe (LI der Lesekarte) und der Umgebungsleuchtdichte. Es geht deutlich daraus hervor, dass die mittlere Umgebungsleucht­ dichte LUm Einfluss auf die Pupillenweite und damit auch auf die Sehleis­ tung ausübt. Die Erweiterung dieser Studie bestand darin, die räumliche Umgebung des Testfeldes miteinzubeziehen, wobei die Ausdehnung desselben dem globalen Gesichtsfeld (2π) entsprach. Die umgebenden Raumoberflächen wurden mit folgenden Farbanstrichen versehen: 116

Kapitel 1

Abb. 94 Die Grafik zeigt den Zusammenhang zwischen Umgebungsleuchtdichte, Alter und Pupillen­ weite. Daraus geht hervor, dass sich bei älteren Menschen die Pupillenweite verringert (Prof. Berman).

Abb. 95

Allgemeine theoretische Grundlagen

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Abb. 96 Zusammenhang der Pupillenfläche (mm²) mit der Infeld­leuchtdichte (Lese­karte) und dem globalem Gesichtsfeld LUm (Lesetest von Prof. ­Berman, University of California, Berkeley, 1996).

Abb. 97 Zusammenhang der Sehleistung bezogen auf die Infeldleuchtdichte der Lesekarte in Abhängigkeit der Umgebungsleuchtdichte LUm der umgebenden Raumoberfläche (Weiß); im Vergleich LUm = 5 und LUm = 50 cd/m² (Versuchs­ reihe von Prof. Berman, University of California, Berkeley, 1996).

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Kapitel 1

Abb. 98 Man sieht den Zusammenhang der Pupillenweite (mm²) mit der skotopischen Beleuchtungsstärke am Auge im Vergleich der Leuchtstofflampen Warmton (ww) 3.000 K und Tageslicht-Weiß (C 75) 7.500 K bei farbigen Raumoberflächen Himmelblau und Rostbraun (Versuchsreihe von Prof. ­Berman, University of California, Berkeley, 1996).

• Weiß, • Blau, • Rostbraun und • Sandfarben. Durch die Mehrfachreflexion entstand eine Interaktion des Lichtquellen­ spektrums mit dem Remissionsspektrum der Raumoberfläche. Als Lichtquel­ len wurden folgende Leuchtstofflampen verwendet: • Warm-Weiß 2.500 K und • Tageslicht-Weiß 6.500 K. Die Ergebnisse sind in der Grafik Abb. 98 dargestellt und zeigen, dass sich die Pupillenfläche erwartungsgemäß bei höherer Beleuchtungsstärke am Auge (skotopisch) und bei höherer Farbtemperatur signifikant verrin­ gert. Dieser Trend wird durch die Remissionseigenschaften und die Inter­ aktion der Lichtquelle verstärkt. Wie bereits beschrieben, wurde in unserem Unternehmen eine Versuchs­ reihe in einer Forschungsarbeit gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum LICHT durchgeführt, in welcher der Zusammenhang zwischen • Umgebungsleuchtdichten LUm, • Infeldleuchtdichte LI, • Farbort am Auge mit den Kriterien • visuelle Leistung, • Herzratenvariabilität (HRV) bei verschiedenen Raumoberflächen wie • weiß, • strukturiert und • farbig Allgemeine theoretische Grundlagen

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mit objektiven Methoden und subjektiver Befragung (semantisches Diffe­ rential) getestet, gemessen und verglichen wurde. Die genaue Vorgangs­ weise ist in Kapitel 1.5 beschrieben und dargestellt. Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman beschreibt in seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken, dass sich die Pupillen­ größe auch durch psychologische Einflüsse wie emotionale Erregung und Reaktion auf mentale Anstrengung verändert. Er kommt zu dem Schluss, dass die Pupillenreaktionen auch ein sichtbarer Indikator für geistige An­ strengung sind. Versuche ergaben, dass sich die Pupille bei anspruchs­ vollen Aufgaben in den ersten fünf Sekunden um ca. 50 % von ihrer ur­ sprünglich physiologisch bedingten Auslegung erweitert. Der Herzschlag steigt dabei um sieben Schläge pro Minute. Die Pupillengröße gibt damit zuverlässig Aufschluss über den Aufwand mentaler Energie. Solche Vorgänge überlagern physiologisch die Pupillensteuerung des globalen Gesichtsfeldes. Auch Herbert Schober hat auf solche Er­ weiterungsreaktionen in seinem Buch Das Sehen (Band I, 1956, Seite 52, Regel 4) hingewiesen.

Zusammenfassung Das Auge mit seinen optischen Eigenschaften gehört in der Lichttechnik zum allgemeinen Wissensstandard, wird jedoch in Lichtplanungsabläufe nur teilweise eingebunden. Die Bedeutung der Pupillenweite und ihr Einfluss besonders auf die visuelle Leistung werden bei Bewertung derselben selten berücksichtigt. Wie aus unterschiedlichen Untersuchungen hervorgeht, ist die optische Qualität des Auges bezogen auf die visuelle Leistung bedeutender als die Beleuch­ tungsstärke auf die Retina. Da die Pupilleneinstellung im physiologischen Ablauf vorwiegend autonom erfolgt und über das globale Gesichtsfeld gesteuert wird, fällt dem skotopischen Spektrum eine besondere Bedeu­ tung zu, da die Stäbchenrezeptoren außerhalb der Fovea die größte Dichte in dem globalen Gesichtsfeld haben. Die Verkleinerung der Pupillen, die in einem bestimmten Helligkeitsbe­ reich wirksam ist, bewirkt eine Anhebung der visuellen Leistung und korri­ giert dadurch das häufige Auftreten von Aberrationen. Wesentlich verstärkt wird dieser Vorgang durch spektrale Anhebung und spektrale Verteilung des Lichtes hin zu höherer Farbtemperatur, da dies durch die skotopische Wirkung der Stäbchen im globalen Gesichtsfeld die Pupillenweite domi­ niert und diese weiterhin verringert. Bei älteren Menschen wirkt sich dieser Effekt verstärkt aus und ver­ mindert dadurch die sogenannte Alterssichtigkeit. Der Einfluss der Umge­ bungsleuchtdichte LUm (globales Gesichtsfeld) auf die Pupillenweite und die Sehschärfe ist in den Grafiken 97 und 98 dargestellt. Des Weiteren zeigt sich, dass durch Interaktion der spektralen Anteile der Lichtquelle und die Remissionseigenschaften der umgebenden Mate­ rialoberflächen des Raums durch Mehrfachreflexion Veränderungen des Farbortes am Auge bewirkt werden. Es wird Einfluss auf die visuelle Leis­ tung und auf das visuelle Verhalten genommen, da der autonom gesteu­ erte physiologisch ablaufende Pupillenmechanismus in seiner Wirkung bei immer kleiner werdender Pupillengröße sein Ende findet. Vor allem bei höhe­ren Umgebungsleuchtdichten und hohen Farborten ist bei Pla­ nungskonzepten nach individueller Aufgabenstellung der Wirkungsbereich schon im Konzept abzuschätzen. 120

Kapitel 1

Versuche in unserem Hause zeigten, dass Räume mit höheren Farbtem­ peraturen einen Anstieg der HRV verursachen und damit den parasym­ pathischen Tonus verstärken und die oben angeführte Stresswirkung aus­ gleichen. Solche damit verbundenen visuellen Aufgabenstellungen, die über den üblichen Bereich des guten Sehens hinausgehen und sich ganzheitlich auf unser visuell bedingtes Verhalten auswirken, benötigen auch das Einbezie­ hen der räumlichen Raumgestaltung.

Allgemeine theoretische Grundlagen

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2

Kapitel 2 Licht und Gesundheit

2.1 Prolog Licht beeinflusst unseren Körper, Licht beeinflusst unser Wohlbefinden, und Licht erhält unsere Gesundheit. Der Begriff „Gesundheit“ wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als der Zustand des vollständigen • körperlichen, • geistig-seelischen und • sozialen Wohlbefindens und nicht nur als das Freisein von Krankheit und Gebre­ chen definiert. In diesem Kapitel geht es um die komplexe Wirkung des Mediums Licht auf das visuelle und das nichtvisuelle System des Menschen. Es geht hier nicht nur um „das gute Sehen“, sondern darüber hinaus um „das Schaffen von Erkenntnis“. Das ist die Voraussetzung für die Bewusstseinsbildung und trägt somit ebenfalls zur Gesundheit und zum Wohlbefinden bei – man kann auch sagen, es trägt zur Sinnhaftigkeit unseres Lebens bei. Die Urfunktion unseres Gehirns ist das „Streben nach Erkenntnis“, und es verfolgt diese Aufgabe durch die „Bildung von Konzepten“, so schreibt der Neurologe Prof. Semir Zeki. Wesentliche Grundlage dafür ist das visuelle System. Der Mensch er­ hält über das Sehvermögen die meisten Informationen, die zu unserem täglichen Leben und zu unseren unmittelbaren Tätigkeitsbereichen gehö­ ren. Wir sind durch und durch Augentiere, und wir leben in einer Welt, die weitgehend auf das Sehen ausgerichtet ist. Tatsächlich sind gut die Hälfte aller Sinnesreize, die unser Gehirn erreichen, visueller Natur, sagt Eric Kandel in seinem Buch Das Zeitalter der Erkenntnis. Im Laufe meiner jahrzehntelangen Tätigkeit und Studien zum Thema Licht habe ich erkannt, dass die Verarbeitung durch das Gehirn mit seinen visuel­len Konzeptionen auch aufgrund unserer Umwelt einen bedeuten­ den Einfluss auf unser Verhalten hat. Das bezieht sich im Besonderen auf das Tageslicht mit seinem zeitlichen Tagesablauf, den ihn begleitenden zir­ kadianen Rhythmus, seine Quantität, seine Verteilung, seine spektrale Zu­ sammensetzung und das damit verbundene visuelle Informationsangebot. OHNE LICHT KEIN LEBEN „Gutes Licht“ aus meiner Sicht bedeutet, dass hohe Sehschärfe und visu­ elle Leistung in unserer Lichttechnik ein wesentliches Kriterium sind. Das visuelle Wahrnehmen, das Erkennen, die Aufmerksamkeit und die Erwei­ terung des Bewussten und des Unbewussten – die durch die Verarbeitung Licht und Gesundheit

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des Informationsangebots im Gehirn entstehen – haben eine höhere Di­ mension, als wir ihr bisher einräumten, denn sie bestimmen weitgehend unser Verhalten. Gutes Sehen ist wichtig, jedoch ist es eine vorwiegend begleitende und orientierende Komponente des „visuellen Systems“. Zum besseren Verständnis möchte ich in diesem Kapitel visuelle Verarbeitungs­ vorgänge im Gehirn anführen. Studien der Neurologie kann man entnehmen, dass die Funktion des Gehirns die kontrollierte Produktion von Verhalten ist. Es verarbeitet Infor­ mationen und fungiert wie ein Rechner, der zwischen sensorischen Ein­ gängen und motorischen Ausgängen geschaltet ist. Die Produktion von Verhalten wird vom Gehirn über Muskelkontraktionen gesteuert, die über emotionale und kognitive Verarbeitung von Reizen kontrolliert wird. Der Informationsfluss des Gehirns erfolgt über Sinneszellen, welche die Infor­ mationsschnittstelle zwischen Außenwelt und Gehirn darstellen. Die Funk­ tion eines Sinnesorgans ist die Übersetzung von Reizinformationen, die über sensorische Eingänge erfolgt, wie z. B. der Sehapparat des visuel­ len Systems. Der Informationsfluss von außen gelangt zum Gehirn und wird begleitet von der Verhaltenskontrolle über den inneren Zustand des eigenen Körpers. Diese Art der Informationsübertragung nennt man Eigen­ wahrnehmung oder Propriozeption. Wahrnehmen bedeutet also nicht nur Reizaufnahme, sondern es bringt bereits gespeicherte Erfahrung und Informationen in Verbindung und hat immer einen relativen Charakter. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Informationsfluss zu einer Wahrnehmung führt. Die ersten Verarbeitungsschritte betreffen einfache Komponenten, z. B. sensorische Informationen, die zu immer komplexeren Vorgängen verar­ beitet werden. An einem bestimmten Zeitpunkt werden Zusammenhänge (wieder)erkannt. Diese einfache sensorische Informationsverarbeitung ist bereits in der Lage, eine Gedächtnisleistung zu erbringen. Ab dieser Phase arbeitet das Gehirn mit Wissen und ist die Voraussetzung für das Bewusst­ sein, das mit dem Wissen verbunden ist. Wissen über Bedeutung führt aber nicht immer zu Bewusstsein. Das Gehirn kontrolliert auch unabhängig vom Bewusstsein das Verhalten, benötigt dafür jedoch eine Menge semanti­ scher Informationsverarbeitung. Vieles davon beansprucht nicht unbedingt unsere bewusste Aufmerksamkeit. Diese Funktionsweisen des Gehirns sind im ersten Schritt die „sensori­ schen Informationen“ der Außenwelt. Um sie der Innenwelt – also dem Gehirn – zugänglich zu machen, werden sie in spezifischen Gehirnarealen verarbeitet. Die Informationen werden zusammengefügt und sind vorwie­ gend ein Resultat der bewussten Wahrnehmung. In einem zweiten Schritt werden diese Informationen emotional und kognitiv verarbeitet. Die Emo­ tion im weitgehenden Sinne bedeutet „Regung“. Dieser Zustand ist nach außen hin sichtbar und lässt eine positive oder negative Erregung erken­ nen. Bemerkenswert ist, dass ein emotionaler Zustand als Reaktion auf ein Ereignis nur wenige Minuten anhält und dann wieder verschwindet. Emotion als Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis führt in der Folge zur Aus­ schüttung von Hormonen wie z. B. Adrenalin und Cortisol, was in der Folge meist zu Schweißausbrüchen, Pulsanstieg oder dergleichen führt. Dieser Hormonanstieg bleibt im Körper für eine Weile erhalten und führt zu einer gesteigerten Bereitschaft zur Handlung und Aktivität. Das benennen wir mit einem Gefühl (= unbewusste Emotion). Der rationelle Teil der Entscheidungsfindung ist kognitiv. ­Grundsätzlich beginnt Kognition oder Denken mit dem Verstehen bzw. mit ­Wissen. Es gibt in unserem Gehirn zusammengehörige Zellverbände, deren Akti­vi­täts­ muster zu bestimmten Gehirnkonzepten führen. Donald Hebb nennt solche Zellverbände „Ensembles“. Man kann ein solches Konzept am besten als 126

Kapitel 2

Antwort auf die Frage „Was kann dieses Objekt?“ verstehen. Je differen­ zierter man über diese Frage nachdenken kann, desto ­besser ­funktioniert das komplexe Denken. Denken ist also ein Prozess, der mit solchen Ge­ hirnkonzepten (= neuronale Repräsentation) jongliert. „­Gedacht“ werden kann auch unterhalb der Bewusstseinsgrenze wie z. B. Intention. Eine intui­ tive Entscheidung basiert auf Leistung unter der ­Bewusstseinsgrenze.

2.2  Das visuelle System Das visuelle System wurde in den Beiträgen in Kapitel 1.1 mit den Krite­ rien der visuellen Leistung erarbeitet. Es basiert vorwiegend auf der Ver­ arbeitung der sensorischen Informationen aus dem Bereich der Fovea. Die Unterschiedsempfindlichkeit und die Sehschärfe wurden als physio­ logische Funktionen beschrieben und in weiterer Folge das Erkennen, das zur Wissenserweiterung führt und dessen Vertiefung über die gerichtete Aufmerksamkeit zur Bewusstseinsbildung beiträgt. Begleitet werden diese Vorgänge von den visuellen Wahrnehmungsabläufen, in welchen ca. 80 % des Informationsangebots verarbeitet werden. Die Optimierung der visu­ ellen Wahrnehmungsvorgänge beruht auf stabilen visuellen Voraussetzun­ gen, deren Inhalte ebenfalls in Kapitel 1.1 ausführlich erarbeitet und dar­ gestellt wurden. Besonders aus den Kapiteln 1.2.6 und 1.2.7 geht hervor, dass die Ver­ arbeitung des fovealen Gesichtsfeldbereichs (Infeld) über das neuronale Nervensystem erfolgt und vorwiegend der Informationsvermittlung dient. Die neuronale Verarbeitung geschieht blitzschnell. Das visuelle System passt sich ebenfalls den Erfordernissen der Sehbedingungen an und bewältigt die enormen – auch in der Natur auftretenden – Helligkeits­ unterschiede am Tag und auch teilweise in der Nacht, die von EA Sonne ≈ 100.000 lx bei Sonnenschein bis EA Nacht ≈ 0,1 lx betragen können. Unser Sehorgan ist fähig, zu adaptieren und in diesem Bereich zu sehen. Im Kapitel „Licht und Gesundheit“ werden die bedeutenden Komponen­ ten für das visuelle System aufgezeigt wie • visuelle Leistung, • visuelle Wahrnehmung, • Aufmerksamkeit und • Informationsverarbeitung. Es geht um die Optimierung der visuellen Leistung und der dazu notwen­ digen Voraussetzungen, die zu gutem Sehen führen. Notwendig hierfür sind • die Kriterien der Unterschiedsempfindlichkeit, • die Adaptationsvorgänge, • die Bedingungen der stabilen Wahrnehmung, • die Leuchtdichtezuordnungen für Infeld und Umfeld in den Gesichts­ feldbereichen, • die Positionierung und • die Texturen und Farben mit ihren örtlichen Positionen im visuellen Raum. Noch einmal möchte ich ganz deutlich darauf hinweisen, dass über die vi­ suelle Wahrnehmung ca. 80 % des Informationsangebots verarbeitet wer­ den und dass dieser autonome Vorgang des visuellen Systems die Voraus­ setzung für „das gute Sehen“ ist. Die Mechanismen und Abläufe der unwillkürlichen und geteilten Auf­ merksamkeit erfolgen ebenfalls weitgehend autonom und unbewusst. Sie werden fast ausschließlich vom vegetativen Nervensystem beeinflusst. Um Licht und Gesundheit

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Erkenntnisse und die damit verbundene Wissenserweiterung zu erlangen, sind allerdings die gerichtete Aufmerksamkeit und die Bewusstseinsbildung notwendig. Das visuelle Informationsangebot ist zu groß, um vollständig verarbeitet werden zu können, und würde die Wahrnehmung und die Verarbeitung überfordern. Aus diesem Grund reduzieren die Aufmerksamkeitsvorgänge das Informationsangebot selbstständig durch Selektion. Bewusstseinsvorgänge beschränken sich nicht nur auf mechanistische und autonome Voraussetzungen. Sie umfassen aufgrund des Vorbewusst­ seins das für die jeweilige Situation zugeordnete geistige Umfeld und sind dadurch ein tiefgreifender und bedeutungsvoller Vorgang. Bewusstsein gilt als geistig-mentaler Zustand. Neurologen bezeichnen das individuelle Be­ wusstsein als Ergebnis von Wahrnehmen, Erkennen, Vorstellen, Erneuern und Handeln. Charakteristische Formen des Bewusstseins sind das soge­ nannte Ich-Bewusstsein (= Identität) und das Aufmerksamkeit-Bewusstsein (Gerhard Roth, 1997). Diese letzte Bewusstseinsform hat auf unsere Vor­ gehensweise großen Einfluss, da Aufmerksamkeit und Bewusstsein bis hin zur Identität miteinander verbunden sind. Je stärker unsere Aufmerksamkeit auf ein Geschehen gerichtet ist, desto bewusster wird es uns und desto mehr verschwinden andere Geschehnisse aus unserem Bewusstsein (Enge des Bewusstseins – Fokusbereich). Die Vorgänge, die zur Optimierung der visuellen Leistung führen – also zu gutem Sehen –, sind die Adaptationsabläufe, der stabile Wahrneh­ mungszustand, die Unterschiedsempfindlichkeit, die Sehschärfe etc., also die visuellen physiologischen Komponenten. So sind einwandfreie visuelle Abläufe der optischen Wahrnehmung sowie die der Aufmerksamkeitsvor­ gänge unter Einbeziehung der Sehaufgaben und der visuellen Information Voraussetzung für Wohlbefinden und Gesundheit. Darin enthalten ist auch der Einfluss der räumlichen visuellen Umgebung mit seinen Farben, Textu­ ren, Oberflächen und optischen Erscheinungsbildern. Das daraus entste­ hende Licht- und Raummilieu hat ebenfalls wesentlichen Einfluss auf das Wohlbefinden (siehe Abb. 99). Bei der Konzeption von Licht- und Raummilieus ist demnach wichtig, da­ rauf zu achten, dass bei der visuellen Wahrnehmung und ihren Verarbei­ tungsprozessen unbewusste (autonome) und auch bewusste, mit Aufmerk­ samkeit gekoppelte Vorgänge beteiligt sind. Wir erkennen und verstehen dadurch deutlich, dass ein unbehagliches Licht- und Raummilieu mit un­ ausgeglichenen Leuchtdichtebereichen mentale Belastung, Ermüdung und Stress bewirken kann. Dazu kommen meist noch Störungen durch Blendung und weitere zusätzliche Ablenkungen, die zur Reduktion der Aufmerksam­ keit führen und den Bewusstheitszustand negativ beeinflussen. Wesentliche Voraussetzung für ein behagliches Licht- und Raummilieu ist demnach die ausgewogene Helligkeitszuordnung für die einzelnen Sehaufgaben. Die angeführten Betrachtungen befinden sich im Bereich des visuellen Systems. Ebenso von Bedeutung ist das nichtvisuelle System, das den Hor­ monhaushalt umfasst und beeinflusst. Die qualitative Beurteilung der Beleuchtung erfolgt bedauerlicherweise meist immer noch nach vorwiegend quantitativen Kriterien, wie wir an­ hand der Normen sehen können. Es werden zwar die physiologischen Komponenten des Sehens berücksichtigt, die jedoch nicht ausreichen, um den komplexen Prozess der visuellen Wahrnehmungsabläufe zu erfassen. Dies ist aber unbedingt notwendig, um objektivierbare Erkenntnisse zu er­ halten, auf deren Basis die Beleuchtungsqualität von Räumen hinsichtlich unterschiedlicher Anforderungen wie Nutzung, Tätigkeit und Sehaufgaben beurteilt werden kann. Wichtig für uns Lichtplaner ist somit, die Erkenntnisse der visuellen Wahr­ nehmung in die Planungsvorgänge miteinzubeziehen, speziell bei der 128

Kapitel 2

Abb. 99 Stufen der Lichtintegration in ein visuelles ­Gesamterlebnis.

Konzeption des Licht- und Raummilieus. Die visuelle Wahrnehmung muss im Mittelpunkt stehen, und die Beurteilung der Erscheinungsbilder sollte durch die Komponenten des Wahrnehmungsablaufs erweitert werden. Die vorwiegend als Randbedingungen bewerteten Themen wie Farbe, Textur, Materialoberfläche, Möblierung etc. sollten ebenfalls unbedingt in die Überlegungen einfließen, um so ein gesamtheitlich-integratives Erschei­ nungsbild auf visuellen Grundlagen real planen zu können. Die visuelle Erfassung eines Raums ist ein komplexer geistiger Prozess, und so gilt es, sich dem realen Erscheinungsbild in differenzierteren Schrit­ ten/Stufen anzunähern. Dieser Vorgang kann reversibel gehandhabt werden, denn in den meisten Fällen werden das Raumkonzept und das gewünschte Erscheinungsbild von den Bauherren und den Architekten vor­ gegeben. Die Zielsetzung sollte es also unbedingt sein, ein Licht- und Raummilieu so zu gestalten, dass seine Wirkung sowohl dem visuellen System als auch dem nichtvisuellen System des Menschen entspricht. Adaptation Beim neurophysiologischen Mechanismus der Adaptation passt das Auge seine Hellempfindlichkeit autonom – also größtenteils unbewusst – den ständig wechselnden Helligkeitsbedingungen im Gesichtsfeld an. Dadurch werden die Helligkeitsschwankungen als eine weitgehend invariante – also unveränderliche – Größe gesehen, was die primäre Voraussetzung für die relativ kontinuierliche Raumwahrnehmung ist. Die Adaptation ist also dafür verantwortlich, dass die Helligkeit zur Invariante wird. Dieser Bereich ist dann gegeben, wenn der Adaptationsvorgang bei den ge­ gebenen Leuchtdichteverhältnissen seinen Endzustand erreicht hat (siehe Kapitel 1.4 und Kapitel 1.6). Wir sehen anhand Abb. 54 in Kapitel 1.4 auch, dass ein Zusammen­ hang zwischen mentaler Belastung und Adaptationslabilität besteht. Bei Optimierung der Helligkeitsverhältnisse zwischen Sehaufgabe und Umge­ bung erreichen auch die Sehfunktionen (Scharf-, Farb- und Tiefensehen) ihren Bestwert und minimieren die visuelle Belastung. Ein Festlegen der Licht und Gesundheit

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Abb. 100 Bildschirmarbeitsplatz und die ergonomisch ­relevante Gliede­ rung des Gesichtsfeldes in seine räumlichen Teilkomponenten.

lichttechnischen Kriterien wie Leuchtdichte, Beleuchtungsstärke und Refle­ xionseigenschaft kann also im Sinne eines psycho-physiologischen Seh­ komforts über die Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmungsvorgänge durch Anwendung des Theoretischen Leuchtdichtemodells erfolgen. Diese o. g. empfohlenen Leuchtdichtebereiche wurden anhand von Ver­ suchen in unserem Labor erarbeitet und werden bis heute in unseren Pla­ nungsvorgängen – speziell bei der Bürobeleuchtung – umgesetzt. In der folgenden Abbildungsreihe 101–118 zeige ich einen Ausschnitt der o. g. Versuchsreihe mit ihren Ergebnissen. Für mich ergab sich daraus deut­ lich, dass, wenn man sich mit den Leuchtdichteverteilungen eines Raums nicht im stabilen Wahrnehmungsbereich befindet, das Wohlbefinden lei­ det und sogar mit gesundheitlichen Auswirkungen gerechnet werden kann. Der Versuchsaufbau wurde in einem eigens dafür errichteten Testraum installiert und hatte folgendes Modell der optischen Wahrnehmung und Informationsverarbeitung als Grundlage: „Quantitative Erfassung der psy­ cho-physiologischen Stressbelastung unter variierbaren Leuchtdichtever­ hältnissen zwischen Infeld und Umfeld“ (Abb. 101, 102). Wir haben mehr als 30 Beleuchtungsvarianten unter dem Gesichtspunkt des Leistungsabfalls und der Ermüdung miteinander verglichen und dafür pro Beleuchtungsvariante ca. 30 Testpersonen herangezogen. Im Zuge dieser Forschungsarbeit stellte sich mehr und mehr heraus, dass die objektive Methodik für die Ermittlung des visuellen Systems bes­ ser geeignet ist, um psychomentale Belastungen in Abhängigkeit von Be­ leuchtungsbedingungen zu erfassen und zu interpretieren, als ausschließ­ lich subjektive Akzeptanzerhebungen. Es ist möglich, die entwickelten Test­ verfahren auch an bestehenden Arbeitsplätzen durchzuführen, indem der sogenannte Ist-Zustand erfasst wird und diesem optimierte Lichtlösungen gegenübergestellt werden. Bei der objektiven Methode werden in den Versuchsanordnungen visu­ elle Aufgabenstellungen angeboten und die Kriterien variieren. Als Ergeb­ nis wird dann z. B. die Unterschiedsempfindlichkeit als Bewertungskriterium für die visuelle Leistung herangezogen (Kapitel 2.2, Abb. 110, 111). 130

Kapitel 2

Abb. 101 Abb. 102 Die Ergebnisse dieser Testreihe sind in Abb. 104 dargestellt.

Abb. 103 Darstellung der visuellen Leistungsarten, die für die Erfassung der ­mentalen Belastung angewandt und getestet wurden. Licht und Gesundheit

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Abb. 104 QDO-Test mit Blickwechsel. Der Hautleitwert in Abhängigkeit des Zeitablaufs gemessen unter variierenden Deckenleuchtdichten. Daraus geht hervor, dass Deckenleuchtdichten von 2.000 cd/m² wesentlich höhere Stresswerte zeigen als Deckenleuchtdichten von 100 cd/m². Das Kriterium des Hautleitwerts wird auch als emotionale Bewertung herangezogen.

Abb. 105 Veränderung der Muskelspannung an der Stirn als Stresskriterium. Wenn der Arbeitsplatz zu nahe an der Wand steht und dadurch keine Entspannung des Akkommodationsvorgangs mög­ lich ist, treten Stresserscheinungen auf. Beträgt die Grenzentfernung hingegen über fünf Meter von der Wand weg, dann ist die Akkommodation auf unendlich eingestellt, bleibt konstant und entspannt sich. Diese interessante Erkenntnis sollte bei der Gestaltung eines Raums unbedingt berücksichtigt werden. Doch trotz des signifikanten Unterschieds wird das bisher bedauerlicher­ weise noch zu wenig beachtet. 132

Kapitel 2

Abb. 106 Vergleich von elektronischen und konventionellen Vorschaltgeräten hinsichtlich der visuellen Leistung. Dieser Test zeigt, dass auch das technische Zubehör von Leuchten Einfluss auf die visuelle Leistung nimmt, wie hier der Vergleich zwischen Leuchtstofflampen mit elektronischen Vorschaugeräten gegenüber konven­ tionellen Vorschaltgeräten. Wir haben festgestellt, dass der Test mit subjektiven Testmethoden keine signifi­ kanten Aussagen ergibt im Gegensatz zur objektiven Testmethode, die signifikante Unterschiede aufweist.

Der subjektive Test besteht aus Fragebögen, die von den Versuchsper­ sonen beantwortet werden müssen, z. B. nach der Methodik des semanti­ schen Differentials. Auch bei anderen Arten von Leuchtstofflampen zeigt sich, dass bei far­ biger und monochromer Oberfläche des Bildschirms ebenfalls Differenzen in der visuellen Leistung auftreten, was bereits hier auf einen Zusammen­ hang mit der spektralen Differenzierung hinweist. Aufgrund des Ergebnisses wurde dieses umfangreiche Thema noch weiter vertieft und mit einer Studie in unserem Büro erweitert, was im Folgenden beschrieben wird. Erweiterung dieser Versuchsreihe um Tageslichtspektren mit HalogenGlühlampen (Temperaturstrahler) und spektral kontinuierlichen Verläufen sowie Halogen-Metalldampflampen mit spektral diskontinuierlichen Ver­ läufen. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen die Abhängigkeit der relativen Er­ müdung von den spektralen Verläufen und den Farborten der Lichtquellen in einem weißen Raum. Der weiße Raum wurde für diese Versuchsreihe deshalb gewählt, da das Spektrum der primären Lichtquelle durch die Mehrfachreflexion der weißen Umgebung nicht verändert wird. Das Ergebnis in Abb. 109 zeigt, dass die relative Ermüdung (objektive Testmethode) verstärkt bei den Lichtquellen mit niedrigen Farbtemperatu­ Licht und Gesundheit

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Abb. 107 Vergleich unterschiedlicher Lichtquellen mit differenzierten spektralen Verläufen und Farbtemperaturen, mit kontinuierlichen und diskontinuierlichen spektralen Verläufen. Hier wurde die Abhängigkeit der visuellen Leistung von den Farborten getestet. Die Ergebnisse zeigen, dass bei objektiven Messdaten höhere Farbtemperaturen an Bildschirmarbeitsplätzen zu signifikant höheren ­visuellen Leistungen führen. Subjektive Testmethoden (Befragungen – semantisches Differential) bringen keine signifikante Aussage (siehe Abb. 109).

ren (TK = 2.700–3.000 K) und diskontinuierlichen Spektren auftritt. Die Licht­ quelle mit Halogen-Glühlampe und kontinuierlichem Spektrum bei einer Farbtemperatur von TK = 3.000 K (Temperaturstrahlung) hingegen weist eine wesentlich geringere Ermüdung gegenüber den niedrigen Farborten der diskontinuierlichen Spektren auf. Eine ähnliche Tendenz ist auch bei den Lichtquellen mit höheren Farbtemperaturen wie den Halogen-Metall­ dampflampen HQI-D, HQI-NDL und den Leuchtstofflampen LL Biolux und LL erkennbar. Es zeigt sich, dass mit Ausnahme der Temperaturstrahlung (kontinuierliches Spektrum) die Lichtquellen mit höheren Farbtemperaturen zu weniger Ermüdung tendieren. Im Weiteren wurde in Kapitel 1.5, „Einfluss von Farben und Texturen der raumbegrenzenden Flächen auf die visuelle Leistung und Herzraten­ variabilität“, ausführlich der Zusammenhang zwischen den Lichtquellen (= primäres Licht) und der Einfluss der Mehrfachreflexionen und des Fließ­ gleichgewichts der Raumoberflächen mit deren spektralen Eigenschaften dargestellt. Die abgeleiteten realen Wirkungen auf den Menschen wurden mit dem daraus entstehenden Licht- und Raummilieu erarbeitet. Auf den Umstand, dass Lichtquellen mit Linien- und diskontinuierlichen Spektren bei gleicher Farbtemperatur unterschiedliche Farbwiedergabe zur Folge haben, haben schon vor Jahrzehnten Autoren wie Anton Hajós, Fritz Hollwich, John Ott und Jacob Liberman hingewiesen. 134

Kapitel 2

Abb. 108

Julia von Chamier hat in ihrer Dissertation (2020) dieses Thema, „Die Interpendenz von Material und ihre Folgen für Raumgefühl und Wohlbe­ finden“, ausführlich erarbeitet und beschrieben. Die Zielsetzung ihrer Arbeit war es herauszufinden, ob es Einfluss bzw. Unterschied zwischen künstlichen Lichtquellen mit einem kontinuierlichen Spektrum gegenüber Lichtquellen mit einem diskontinuierlichen Spektrum gibt. Das bezieht sich auf folgende visuelle Wirkungsbereiche mit den Kri­ terien • Sehleistung, • Erkennbarkeit von Sehobjekten, • Aufmerksamkeitsvorgänge wie Konzentration/Ablenkung, • physiologische Einflüsse wie Blendung, • Fehlerhäufigkeit, Licht und Gesundheit

135

Abb. 109 Zusammenhang von Lichtquellen mit unterschiedlichen Farbtempe­ raturen und spektralen Verläufen.

Abb. 110 Spektrale Verteilungen bezogen auf Abb. 109.

• Zeitabläufe bei visuellen Vorgängen, • Wohlbefinden, • Entspannung, • Anspannung, • Akzeptanz der Gesundheitsvorgänge und • auf die Ästhetik. Dabei wurden diese spektralen Verläufe mit ihren Farborten am Auge dif­ ferenziert betrachtet und waren der Inhalt der Zielsetzung: • TK = 3.000 K • TK = 4.000 K 136

Kapitel 2

• TK = 5.000 K • TK = 6.000 K Für die Untersuchung war ein umfangreicher Wissensbereich notwendig wie • visuelle Wahrnehmungsvorgänge, • lichttechnische Kenntnisse in der Anwendung und Technologie, • Verständnis für die Architektur, • Kenntnisse in der Anwendung von psychologischen Testmethoden und • Erfahrung im Erstellen von Planungskonzepten in der Lichtplanung. Der Autorin ist es gelungen, durch ihre Arbeitsvorgänge zu signifikanten, beweisbaren und eindeutigen Ergebnissen zu kommen, die von der Auto­ rin wie folgt zusammengefasst werden: „Die zu Beginn dieser Forschungsarbeit gestellte Frage, ob es für die ­visuelle Sehleistung und Konzentration, kurz arbeiten, und das Wohlbe­ hagen, kurz entspannen und erholen, im Raum von Bedeutung ist, sich unter kontinuierlichen oder diskontinuierlichen Lichtbedingungen und da­ runter bestimmten Farbtemperaturen aufzuhalten, kann nun im Gesamt­ überblick wie folgt zusammenfassend beantwortet werden: • Kontinuierliches Licht signifikant mehr Akzeptanz • Kontinuierliches Licht signifikant weniger Fehler • Kontinuierliches Licht signifikant bessere Befindlichkeit • Arbeiten kontinuierliches Licht 4.000 K • Erholen kontinuierliches Licht 3.000 K.“ Zum besseren Verständnis dieser ausführlichen und umfangreichen Arbeit möchte ich einige Originalauszüge dieses Testergebnisses aus der Disser­ tation von Frau von Chamier übertragen (mit freundlicher Genehmigung von Julia von Chamier):

Abb. 111 Buchstabenvergleichs-Test kontinuierliches und diskontinuierliches Licht im Vergleich Ergebnis Buchstabenvergleichs-Test (objektiv) kontinuierliches/diskontinuierliches Licht: Unter allen Farbtemperaturen im Durchschnitt fällt die Fehlerhäufigkeit unter kontinuierlichem Licht mit 13 % signifikant geringer aus als unter diskontinuierlichem Licht und wird 2 % schneller unter kontinuierlichem Licht bearbeitet. Licht und Gesundheit

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Abb. 112 Semantisches Differential kontinuierliches und diskontinuierliches Licht aller Farb­ temperaturen in der Gesamtakzeptanz im Vergleich Ergebnis semantisches Differential kontinuierliches + diskontinuierliches Licht im ­Vergleich der Gesamtakzeptanz (subjektiv): Die positive Gesamtakzeptanz von kontinuierlichem Licht unter allen Farb­ temperaturen im Durchschnitt ist im Vergleich zu diskontinuierlichem Licht mit einer Tendenz von durchschnittlich 20 % Differenz in der Bewertungsskala signifikant erkennbar. Besonders aufgeprägt ist das in Bewertungskriterien wie „entspannen“ und ­„erholen“ differenziert betrachtet. Aber auch zum Arbeiten wird kontinuierliches Licht eindeutig bevorzugt. Zu dieser Entscheidung kommen Probanden unter kontinuierlichen Lichtbedingun­ gen durchschnittlich 10 % schneller als unter diskontinuierlichem Licht.

Abb. 113

138

Kapitel 2

Abb. 114 Befindlichkeitsfragebogen kontinuierliches + diskontinuier­ liches Licht aller Farbtemperaturen in Arbeiten + Entspannen im Vergleich: Wieder werden positive Eigenschaften unter kontinuier­ lichem Licht gleich welcher Farbtemperatur signifikant positiver empfunden und als solche bewertet, negative Eigenschaften hingegen unter diskontinuierlichem Licht noch negativer als unter kontinuierlichem Licht. Ob zum Arbeiten und Konzentration oder zur Entspannung und Erholung werden alle damit im Zusammenhang stehenden Eigen­ schaften, positiv zur Förderung und Verstärkung dieser, negativ zur Minimierung und Vermeidung dieser, klar dem kontinuierlichen Licht zugesprochen.

Kontinuierliches + diskontinuierliche Licht im Vergleich: (Farbsehen, Kontrastsehen, Konzentration (Fehlerhäufigkeit und Zeit) – Buchstabenvergleichstest) Insgesamt werden unter allen Farbtemperaturen mit 13 % signifikant weniger Fehler unter kontinuierlichem als unter diskontinuierlichem Licht gemacht und das bei nahezu gleichem Zeitaufwand (2 % schneller unter kontinuierlichem Licht). Von allen Farbtemperaturen im Vergleich (kontinuierlich und diskontinuierlich zusammen) werden unter 3.000 K mit 10 % signifikant weniger Fehler bei nahezu gleichem Zeitaufwand gemacht. Licht und Gesundheit

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In der Betrachtung der Ergebnisse der einzelnen Farbtemperaturen in Bezug auf kontinuierliches und diskontinuierliches Licht zeigen sich fol­ gende signifikante Unterschiede in der Fehlerhäufigkeit und der Bearbei­ tungszeit: 3.000 K … 20 % geringere Fehlerhäufigkeit unter kontinuierlichem Licht bei annähernd gleichem Zeitaufwand. 4.000 K … 27 % geringere Fehlerhäufigkeit unter kontinuierlichem Licht bei leicht geringerem (4 %) Zeitaufwand. 5.000 K … 14 % geringere Fehlerhäufigkeit unter diskontinuierlichem Licht und dabei 9 % weniger Zeitaufwand. 6.000 K … 19 % geringere Fehlerhäufigkeit unter kontinuierlichem Licht bei 5 % mehr Zeitaufwand. Der Faktor Zeit spielt in der Differenzierung der Farbtemperaturen im Vergleich von kontinuierlichem zu diskontinuierlichem Licht keine so große Rolle, die Fehlerhäufigkeit aber schon. Bis auf die Ausnahme bei 5.000 K mit 14 % weniger Fehlern unter diskontinuierlichem Licht werden unter kontinuierlichem Licht mit durchschnittlich 22 % signifikant weniger Fehler gemacht. In der Gesamtakzeptanz unter allen Farbtemperaturen im Durchschnitt findet kontinuierliches Licht im Gegensatz zu diskontinuierlichem Licht mit 20 % signifikant mehr Zustimmung im semantischen Differential. Zu dieser Entscheidung kommen die Probanden unter kontinuierlichem Licht auch 10 % schneller, was für eine eindeutige Entscheidungssicherheit spricht. Differenziert man diese Beurteilung noch in Hinblick auf die Unterscheidung männlicher und weiblicher Teilnehmer/innen, werden Arbeiten und Entspannen ganz besonders ausgeprägt von männlichen Probanden bevorzugt. Alle Farbtemperaturen in der Gesamtakzeptanz, unabhängig von kontinuierlichem und diskontinuierlichem Licht, bevorzugen zum Arbeiten und Erholen folgende Farbtemperaturen in der Beliebtheit nachfolgender Reihenfolge: • zum Arbeiten 4.000, 6.000, 3.000, 5.000 K, • zum Erholen 3.000, 5.000, 4.000, 6.000 K, wobei 3.000 K als am angenehmsten, natürlichsten, attraktivsten und am ästhetischsten empfunden wird. Farbtemperaturen, einzeln in Bezug auf kontinuierliches und diskontinuierliches Licht im Vergleich betrachtet, zeigen folgende Ergebnisse: 3.000 K … 25 % mehr Akzeptanz unter kontinuierlichem Licht und die beliebteste Farbtemperatur bei zügigster Bearbeitungszeit (26 %). 4.000 K … insgesamt nicht mehr ganz so beliebt, aber signifikant beliebter unter kontinuierlichem Licht, bei 15 % weniger Zeitaufwand. 5.000 K … noch weniger in der Gesamtakzeptanz und in der Unterscheidung von kontinuierlichem zu diskontinuierlichem Licht ausgeprägt als die beiden vorhergehenden Farbtemperaturen, bei annähernd gleichem Zeitaufwand in der Beurteilung beider Spektren. 6.000 K … Unterscheidung kontinuierlich zu diskontinuierlich kaum ausgeprägt die am wenigsten beliebte Farbtemperatur (Zeit gleich). Befindlichkeit – kontinuierliches und diskontinuierliches Licht im Vergleich 140

Kapitel 2

Auch in dieser Befragung schneidet kontinuierliches Licht mit durchschnittlich 17 % bis 25 % signifikant positiver ab als diskontinuierliches Licht. Zu dieser Beurteilung kommen die Probanden unter kontinuierlichem Licht in 5 % weniger Zeit. Positive Eigenschaften werden (gleich unter welcher Farbtemperatur) deutlich positiver unter kontinuierlichem Licht als solche empfunden und negative Eigenschaften hingegen unter diskontinuierlichem Licht signifikant negativer. Unter kontinuierlichem Licht jedoch werden negative Eigenschaften weniger ausgeprägt wahrgenommen. Weibliche Proband(inn)en empfinden negative Eigenschaften unter diskontinuierlichem Licht noch ausgeprägter als männliche Teilnehmer. Gleiches gilt für Arbeiten und Erholen. Alle der Konzentration und Motivation förderlichen Eigenschaften werden unter kontinuierlichem Licht ausgeprägter wahrgenommen als unter diskontinuierlichem Licht, hingegen die negativen Eigenschaften unter diskontinuierlichem Licht noch ausgeprägter negativ und unter kontinuierlichem Licht weniger, also positiver empfunden. Die Farbtemperaturen in Bezug auf die Befindlichkeit in der Unterschei­ dung von kontinuierlichem zu diskontinuierlichem Licht im Vergleich: 3.000 K … das positive Empfinden unter kontinuierlichem Licht dieser Farbtemperatur ist gegenüber diskontinuierlichem Licht besonders signifikant ausgeprägt. Diese Entscheidung wird dort auch 26 % schneller getroffen. 4.000 K … auch diese Farbtemperatur wird unter kontinuierlichem Lichtmilieu eindeutig dem diskontinuierlichen Licht gegenüber bevorzugt, wenngleich die Gesamtakzeptanz dieser Farbtemperatur nicht mehr ganz so ausgeprägt ist wie die von 3.000 K. Diese Entscheidung wird unter kontinuierlichem Licht dieser Farbtemperatur 11 % schneller als unter diskontinuierlichem Licht getroffen. 5.000 K … die Befindlichkeit bei kälter werdenden Farbtemperaturen ist in der Unterscheidung zwischen kontinuierlichem und diskontinuierlichem Licht nicht mehr so ausgeprägt wie bei den wärmeren vorhergehenden Farbtemperaturen. Auch der Zeitaufwand, diese Entscheidung zu treffen, ist annähernd gleich. 6.000 K … die Unterscheidung zwischen der Beurteilung der Befindlichkeit von kontinuierlichem und diskontinuierlichem Licht ist unter dieser Farbtemperatur noch geringer, der Zeitaufwand zur Beurteilung unter kontinuierlichem Licht etwas höher. (Ende des Auszugs der Dissertation von Julia von Chamier) Zusammenfassend geht aus diesem Beitrag über das Thema „Vergleich von verschiedenen Lichtquellen mit differenzierten spektralen Verläufen und Farbtemperaturen mit kontinuierlichen und diskontinuierlichen Verläu­ fen“ hervor, dass mit kontinuierlichen Spektren bessere Ergebnisse erzielt werden, vor allem im Bereich des visuellen Systems. Die angeführten Arbeiten der diversen AutorInnen beziehen sich auf den Vergleich mit künstlichen Lichtquellen und werden vorwiegend an Bildschirmarbeitsplätzen getestet, wobei das ins Auge gelangende Licht in der Natur der Sache liegend diskontinuierlich ist. Somit setzt sich das wahrgenommene visuelle Angebot aus dem Licht der Bildschirme und dem Bereich der Belege zusammen. Eine Ausnahme bildet die Arbeit von Frau von Chamier, die für ihre Testabläufe keine Bildschirme verwendet hat und in deren Ergebnissen eindeutig und signifikant die Ausrichtung hin zum kontinuierlichen Verlauf gezeigt wird. Licht und Gesundheit

141

Abb. 115 Spektrale Verläufe.

SONNE PRIMÄRSPEKTRUM (22.04) FARBTEMPERATUR 4.749 K

TAGESLICHT

LEUCHTSTOFFLAMPE (WARMTON) PRIMÄRSPEKTRUM FARBTEMPERATUR 3.000 K

LED 5.300 K

Das zu meinem aktuellen Wissensstand. Dazu kommt noch, dass auch die Tageslichtverläufe mit ihren Verände­ rungen und Rhythmen im fotopischen Bereich von kontinuierlichen spek­ tralen Verläufen geprägt sind und selbst durch den Einfluss von Remis­ sionsarten nur in Ausnahmefällen zu diskontinuierlichen Spektren – also zu instabilen visuellen Wahrnehmungszuständen – führen. Das ist sicherlich einer der Gründe, warum Tageslicht nur begrenzt durch Kunstlicht ersetzt werden kann. Das gilt besonders für Tageslichtzustände wie Sonnenschein und mittlerer Himmel bei höheren Helligkeitsniveaus (z. B. nichtvisuelles Milieu). Die spektralen Verläufe der am meisten verwendeten künstlichen Lichtquellen unterscheiden sich stark gegenüber dem Tageslicht, wie die Abbildungsreihe 115 zeigt. Meiner Ansicht nach ist es immens wichtig, die Studien der spektralen Ver­ läufe sowie die Zuordnung der Spektren auf das jeweilige Anwendungs­ gebiet fortzusetzen und dabei darauf zu achten, dass die Lichtwirkung auch in die Vorgänge der visuellen Wahrnehmung, des Wohlbefindens und der Gesundheit miteinbezogen wird. Im Folgenden sehen wir die Ergebnisse für tagesbelichtete Räume mit unterschiedlichen Tageslichtsystemen, die mit den objektiven Methoden der visuellen Leistung (richtige Reaktionen) getestet wurden. Der Vergleich von Leuchtensystemen mit unterschiedlichen Strahlungsprin­ zipien zeigt in Abb. 117, dass die Leistungsunterschiede auf die Unter­ schiedlichkeit der Strahlungsprinzipen zurückgeführt werden können. Die anderen Parameter wie die Farbtemperatur des Lichts, die Art der Vorschaltgeräte (eVg/kVg) und natürlich die Sehleistungsanforderungen (Tests) wurden bei allen Varianten konstant gehalten. Als Auswertungs­ variablen wurden das Mengenleistungsmerkmal, die Ermüdungswerte und der Zeitfaktor herangezogen. 142

Kapitel 2

Abb. 116 Die Ergebnisse dieser Testreihe zeigen, dass die visuelle Leistung signifikante Unterschiede aufweist und diese wesentlich von der Systemart abhängt (ausführlich beschrieben in Kapitel 4.4).

Abb. 117 Vergleich der Strahlungsprinzipien von Leuchten hinsichtlich der Produktivitätsleistung bei Bildschirmarbeit. Die effizi­ entesten Beleuchtungssysteme stellen die direkt strahlen­ den und die sekundär strahlenden Systeme dar. Die rein indirekt strahlenden Systeme zeigen signifikant schlechtere Leistungsergebnisse hinsichtlich schlechterer Mengenleistung (= steigende Fehlerhäufigkeit), längerer Bearbeitungs­ zeit und höherer Ermüdung. Dies erklärt sich u. a. durch den unterschiedlichen Lichtstromanteil, der die vertikale Beleuchtungsstärke am Bildschirm bestimmt, und durch die relativ hohe Deckenleuchtdichte (Theoretisches Leuchtdichte­ modell). Die Darklight- und Sekundärsysteme halten diesen Anteil eher klein und verbessern dadurch die Kontrastver­ hältnisse am Bildschirm, während die Indirektsysteme durch ihre hohe Deckenleuchtdichte Mehrfachreflexionen entste­ hen lassen und sich der Kontrast stark verringert.

Licht und Gesundheit

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1

2

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Abb. 118 Die Abbildung zeigt die Beleuch­ tungssysteme, die für die Test­ vorgänge in Abb. 117 verwendet wurden.

Aus den Ergebnissen der eben beschriebenen Versuchsreihe geht hervor, dass die Optimierung der visuellen Leistung nachhaltig zustande kommt, wenn die Kriterien, die für die stabile Wahrnehmung verantwortlich sind, optimal und korrekt dimensioniert und entsprechend den Folgerungen des Theoretischen Leuchtdichtemodells angewandt werden. Die Versuche be­ rücksichtigen darüber hinaus noch folgende Aspekte: • die Lichtfarbe, • das elektronische Zubehör und • den Akkommodationsvorgang (Fokussierung). Die signifikanten Unterschiede, die sich bei den visuellen Leistungstests (Abb. 117, 118) zeigen, verdeutlichen die Wichtigkeit der visuellen Kompo­ nenten bei der Planung eines Licht- und Raummilieus. Während der Infeld­ bereich die Aufmerksamkeit bestimmt, ist der Umfeldbereich für die Stabili­ sierung der visuellen Wahrnehmung (die sakkadische Suche, also die Posi­ tionierung der Aufmerksamkeitsvorgänge) und die Bewegungsabläufe, die meist autonom geschehen, entscheidend. Sie bestimmen zusammen die Stabilisierung der visuellen Wahrnehmungsvorgänge, das Maß der Wahrnehmungsfähigkeit und damit verbunden auch das Wohlbefinden. Die Reduktion der Wahrnehmungsfähigkeit (bewusst/unbewusst) bedeutet Informationsbegrenzung, Aktivitätsverlust, Unbehagen und damit die Ver­ ringerung des Wohlbefindens.

144

Kapitel 2

2.3  Herzratenvariabilität – HRV Die Ausweitung dieser o. g. Wirkungen wurde durch die Forschungsarbeit des Kompetenzzentrums in Zusammenarbeit mit der Firma Egger und Firma Bartenbach erarbeitet. In Testräumen wurden 14 unterschiedliche Materialoberflächen bei konstantem Infeld und variierenden Umfeldleuchtdichten hinsichtlich ihrer Intensität und Farbtemperaturen verglichen und dabei die Herzratenvaria­ bilität (HRV) gemessen. Unter HRV versteht man die Schwankungen der Herzfrequenz von Schlag zu Schlag über einen kürzeren (Minuten) oder längeren Zeitraum (24 Stunden). Es ist die Messgröße der autonomen Funktion des Herzens. Es wurden folgende Leuchtdichtezuordnungen untersucht: • Leuchtdichte im Infeld: LI = 140 cd/m² am Bildschirmarbeitsplatz, • Leuchtdichte im Umfeld: LU = 25/75/250 cd/m² an den Raumoberflä­ chen. In Kapitel 1.5.3 habe ich diese Begriffsbildung und diese Versuchsreihe bereits ausführlich dargestellt und beschrieben. Die Ergebnisse zeigen, dass im Wesentlichen die visuelle Leistung, die Informationsverarbeitung, die Aufmerksamkeitszuordnung und damit verbunden auch die Bewusst­ seinsbildung beeinflusst werden und die Herzratenvariabilität weitgehend Stimulierung, das Maß an Wohlbefinden und Kondition anzeigt. Dabei sind die Art der Raumoberflächen mit ihren Remissionseigenschaften, ihren Texturen (Oberflächenattribute) und die spektrale Zusammensetzung der Farbtemperatur am Auge dominant. Je höher die HRV und ihre Verän­ derung sind, desto schneller und flexibler passt sich das Herz unseren externen Einflüssen an. Darüber hinaus ist die HRV das Spiegelbild eines funktionierenden oder auch gestörten vegetativen Nervensystems (Doris Eller-Berndl). Das vegetative bzw. autonome Nervensystem wird vom Sym­ pathikus und Parasympathikus gemeinsam gebildet. Ihr Zusammenspiel steuert Atmung, Herzfrequenz, Gefäßweite, Stoffwechsel, Sexualfunktion und Vorgänge im Immunsystem. Dies alles geschieht vorwiegend unbe­ wusst. Sympathikus und Parasympathikus sind die vegetativen Nervenver­ bindungen zum Herzen. Es wurde allgemein festgestellt, dass Schwankungen der Herzfrequenz von einem Schlag zum nächsten überraschenderweise durch die Para­ sympathikus-Aktivität bedingt sein können, und rascheste Regulationsvor­ gänge werden ausschließlich durch diesen ermöglicht: • rasche Schwankungen der HRV zeigen die Parasympathikus-Modula­ tion, • langsame Schwankungen der HRV spiegeln eine Kombination von Para­sympathikus-Modulation und nicht autonomen Faktoren (Quelle: Doris Eller-Berndl, Herzratenvariabilität, „Die Bedeutung und Wirkungsbreite der HRV“, S. 206). Das HRV-Bild zeigt nur das Endergebnis auf der „Bühne des Herzens“ – das Zusammenwirken des vegetativen Nervensystems. Mediziner empfeh­

Abb. 119 Tachogramm aus dem EKG.

Licht und Gesundheit

145

len, langfristige Veränderungen der HRV zu erreichen, um die Parasympa­ thikus-Aktivität (steigende HRV) zu verbessern. Die in Kapitel 1.5.4 dargestellten Ergebnisse dieser Forschungsarbeit zeigen, dass sich die HRV-Werte durch den spektralen Verlauf bzw. die Farbtemperatur am Auge – vor allem durch die Art der Raumoberfläche in Zusammenhang mit der Lichtquelle (Fließgleichgewicht) – beeinflussen lassen. Dies weist darauf hin, dass eine gezielte Lichtgestaltung Einfluss auf das autonome vegetative Nervensystem und damit verbunden auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit hat. Die umfangreiche Darstellung der Versuchsreihe in Kapitel 1.5 zeigt sol­ che komplexen Zusammenhänge und ist das Ergebnis einer ca. zwei Jahre andauernden Forschungsstudie. Weitgehend ist die visuelle Leistung mit den autonomen Vorgängen, die unsere visuellen Vorgänge steuern, vernetzt. Über den fokussierten Bereich – das Infeld – wird vor allem über die gerichteten Aufmerksamkeitsvor­ gänge die Bewusstseinsbildung angeregt. Soweit sich generell die Zu­ stände „bewusst – unbewusst“ trennen lassen und ob das Entstehen von Bewusstseinszuständen abrupt geschieht – also ein Schwellenphänomen ist – oder ob es einen gleitenden Übergang zwischen unbewusst und be­ wusst gibt, ist unklar. Gerhard Roth wörtlich: „Ich halte letzteres für wahrscheinlich.“ Man kann dem autonomen visuellen Geschehen Kriterien der stabilen Wahrnehmungsvorgänge zuordnen. Sie sind die Grundlage, die zur Opti­ mierung der visuellen Leistung führen, und auf ihnen beruht das Entstehen eines der Aufgabenstellung entsprechenden Licht- und Raummilieus, wel­ ches das Wohlbefinden und die Gesundheit unterstützt. Offen ist noch die Frage, ob sich die Farborte bzw. die Primärspektren und die Beleuchtungsstärken am Auge, die bei den Testräumen gemes­ sen und deren Einfluss durch die Unterschiedsempfindlichkeit und die HRV deutlich wurden, den differenzierten Raumoberflächen zuordnen lassen. Gleiche HRV-Werte können auch bei unterschiedlichen Materialoberflä­ chen und durch das Fließgleichgewicht summarisch gleicher Werte der Farbtemperatur am Auge entstehen.

2.4  Das nichtvisuelle System Das nichtvisuelle System (Timing-System) ist auf eine andere Zielrichtung ausgelegt. Es misst die langsamen Schwankungen der Leuchtdichte am Tag und den Zeitpunkt des Übergangs von Tag zu Nacht. Es reagiert auf die foto­ sensitiven Ganglienzellen der Netzhaut, die als eigenständige Rezeptoren in der Lage sind, Licht zu absorbieren. Sie sind über die gesamte Netzhaut diffus verteilt und besitzen die größten rezeptiven Felder in der Netzhaut. Sie sammeln dadurch effizient Licht mit seinen Informationen über hell und dunkel. Sie erhalten ebenso den Input von Zapfen und Stäbchen und sind damit Teil des visuellen Systems. Sie enthalten als lichtabsorbierendes Pigment das Melanopsin (Abb. 120). Diese im letzten Jahrzehnt entdeckten fotosensitiven Ganglienzellen agie­ ren als dritter Fotorezeptortyp neben Zapfen und Stäbchen. Sie reagieren weniger empfindlich und deutlich langsamer auf Lichtreize als Zapfen und Stäbchen, weshalb sie zur Bildverarbeitung nicht geeignet sind. Sie sind jedoch in der Lage, ausdauernd auf eine kontinuierliche Belichtung mit hoher Intensität wie Tageslicht zu reagieren. Dieser Unterschied ­gegenüber den Rezeptoren des visuellen Systems (Zapfen und Stäbchen) verändert 146

Kapitel 2

Abb. 120 Neben den Zapfen und den Stäbchen sind die fotosen­ sitiven retinalen Ganglienzellen (ipRGC = intrinsic photo­ sensitive retinal ganglion cell) der dritte Rezeptortyp der Netzhaut. Diese erhalten außerdem auch von Zapfen und Stäbchen über ON-Bipolarzellen Input. Zudem sind sie über Amakrinzellen mit anderen rationalen Ganglienzellen (G) verknüpft. Die lichtsensitiven Ganglienzellen projizieren über den Traktus retinohypothalamicus zum Nucleus supra­ chiasmaticus (H = Horizontalzellen). (Quelle: Fa. Osram)

auch ihre Verarbeitung und Wirkungsweise, und sie werden dadurch zum nichtvisuellen System. Die fotosensitiven Ganglienzellen sind somit unmit­ telbar mit dem „SCN“ (Nucleus suprachiasmaticus), also mit der inneren Uhr verbunden. Es ist bekannt, dass die zirkadianen Rhythmen wie • Schlafen – Wachen, • Ruhe – Aktivität, • Einfluss auf die Hormonsteuerung wie Melatonin, Serotonin, Cortison, • Verdauung – Entgiftung, • ultradianer Rhythmus (Atmung, Herztätigkeit, Hirntätigkeit etc.) und • infradianer Rhythmus (Tagesablauf, Wochen, Monat, Jahr) von dieser zentralen inneren Uhr gesteuert werden. Da jede Zelle über eine innere Uhr verfügt und wir aus Billionen von Zellen bestehen, die ihrer Funktion angepasst entsprechende Rhythmen haben, werden sie von der zentralen Uhr (SCN) gesteuert und synchronisiert. Wie ein Dirigent sein Orchester führt und als Zeitgeber fungiert, so wirkt das Licht über den SCN als der bedeutendste Zeitgeber der inneren Uhr. Der SCN ist der anatomische Sitz der biologischen Uhr. Er kontrolliert und koordiniert in einem hierarchisch gestuften System (als teilautonomes System mit Organuhren) zahlreiche Tagesrhythmen, die vegetativen Funk­ tionen und den hormonellen Blutspiegel. Licht und Gesundheit

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Abb. 121 Zirkadiane Hormon- und Wachsamkeitsrhyth­ men (aus Gerrit van den Beld, „Arbeitsleistung und Produktivität“, Philips-Licht) im Zeitablauf einer Tagesperiode.

Diese in Abb. 121 dargestellten Rhythmen modifizieren Empfindungen und Befinden und bilden so die Grundlage für tagesrhythmische Verhaltens­ muster (Wolfgang Ehrenstein). Synchronisierende Faktoren in der Um­ welt werden Zeitgeber genannt, und einer der stärksten Zeitgeber ist das Tages­licht mit seiner Verteilung, seinen Veränderungen und seinem Rhyth­ mus. Maßgebend ist das Licht, das am Auge eintritt, also die vertikale Beleuchtungsstärke am Auge (EVA). Es stellt sich nun die Frage, wie das Licht beschaffen sein muss, um die fotosensitiven Ganglienzellen – als Grundlage des nichtvisuellen Systems und des zirkadianen Rhythmus – zu aktivieren. Dies ist für Planungsvor­ gänge von großer Bedeutung, da die Qualität und Art des Lichts bestimmt werden müssen, um die gewünschte Wirkung zu erreichen. Die Forschungsergebnisse zeigen uns, dass Licht in ausreichender Hel­ ligkeit und einem geeigneten Spektrum vorhanden sein muss. Der stärkste und wichtigste Zeitgeber ist das Tageslicht. Es gibt jedoch auch andere Zeitgeber und Strukturen im rhythmischen Tagesablauf wie Schlafen/­ Wachen, Freizeit und andere Gewohnheiten in/mit rhythmischen Abläu­ fen. Diese Strukturen halten unsere innere Uhr in einem 24-stündigen Zeit­ rhythmus stabil. Chronobiologen sehen in der inneren Uhr die zentrale Steuerung eines übergeordneten Schrittmachers, dessen vorwiegende Aufgabe es ist, • den komplexen Organismus des Menschen und sein Zellgefüge lau­ fend abzustimmen; • die innere Uhr mit der Außenwelt zu synchronisieren (z. B. erhält dieser Schrittmacher jeden Morgen über die Zeitgeber Signale wie eine Funk­ uhr, um bei „Hellphasen“ auf Aktivität und bei „Dunkelphasen“ in den Ruhezustand zu schalten); • Störungen zu verhindern; bei lang anhaltenden Störungen beginnt wie­ der von Neuem die Abstimmung mit der Außenwelt; • Vorbereitungen für kommende Ereignisse zu treffen, wie z. B. die Vor­ bereitung vom Schlaf- in den Wachzustand. Dadurch wird die Voraussetzung für die Optimierung des nichtvisuellen Systems, das Wohlbefinden und die Gesundheit geschaffen.

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Kapitel 2

Abb. 122 Schematische Übersicht der neuronalen Verschaltungen bezüglich des Einflusses des Lichts auf das zirkadiane System. Lichtinformationen werden zum SCN = Nucleus suprachiasmaticus weitergeleitet. Inhibie­ rende Signale (Inhibition = Hemmung) erreichen von dort die Glandula pinealis über das Ganglion cervicale superius. In der Abwesenheit von Licht verschwindet diese Inhibition.

Für uns LichtgestalterInnen bedeutet die Tatsache, dass Licht den mensch­ lichen Körper beeinflusst, eine dementsprechende inhaltliche Erweiterung, besonders durch die Tageslichtplanung mit den entsprechenden Forde­ rungen wie die Art der Tageslichtöffnung, die Art der entsprechenden Tageslichtsysteme und die notwendige Gebäudestruktur. Die Tageslichter­ gänzungsbeleuchtung wird durch Kunstlicht realisiert, das dem jeweiligen Tageslichtzustand angepasst ist (Kapitel 5.4). Das Nachtlicht soll durch ein sogenanntes „Melatoninlicht“ (siehe Kapi­ tel 2.8) erfolgen, das die Melatoninproduktion aufrechterhält (spezielles Spektrum, Abb. 154).

Zirkadianer Rhythmus Wir Menschen haben uns im Laufe unserer Existenz genetisch an die Tages­rhythmen der Erde angepasst. Es entwickelten sich die endogenen zirkadianen Rhythmen, die unter konstanten Umgebungsbedingungen eine Periodendauer von 24 Stunden haben. Der SCN (Nucleus suprachiasmaticus) und die innere Uhr desselben – auch als Master-Clock bezeichnet – erhalten die Lichtinformationen über die Netzhaut. Er kontrolliert und koordiniert systembezogen das teilauto­ nome System, die Organuhren, zahlreiche Tagesrhythmen, vegetative Funktionen und den hormonellen Blutspiegel. Licht und Gesundheit

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Diese Rhythmen modifizieren Empfindungen und bilden so die Grund­ lage für tagesrhythmische Verhaltensmuster. Die synchronisierenden Fakto­ ren in der Umwelt werden Zeitgeber genannt, und der maßgebliche Zeit­ geber für den Menschen ist das Tageslicht. Ein dem SCN untergeordnetes Zentrum ist die Zirbeldrüse. Sie produziert das Hormon Melatonin, wel­ ches in der Nacht ausgeschüttet wird. Die Wirkung des „hellen Lichts“, das den zirkadianen Rhythmus be­ einflusst, wird vorwiegend durch die Umfeldleuchtdichte verursacht. Diese umfasst, wie wir wissen, beinahe das gesamte Gesichtsfeld (ca. 80 %) mit Ausnahme der Fovea. Die Abläufe dieser Reizinformationen sind fast aus­ schließlich autonom. Für das visuelle Wahrnehmen des zirkadianen Rhyth­ mus ist das bewusste Erkennen desselben von Bedeutung, was über das Sehen des sekundären Lichts als Informationsvorgang erfolgt. Die Bedeu­ tung des zirkadianen Rhythmus ist wohl bekannt und wird in der medizini­ schen Literatur – besonders in der Chronobiologie – ausreichend beschrie­ ben. In meinem Beitrag beschränke ich dieses Thema auf die Einflüsse des Lichts und hier vor allem des Tageslichts, das in Kapitel 4 noch vertieft wird und sich auf die Tageslichtverläufe in den Innenräumen ­bezieht. Ergänzt wird dieser Beitrag durch das Thema „Bedeutung von Licht für die Gesundheit“ vom Institut UMIT für Urlaubs-, Reise- und Höhenmedizin Prof. Wolfgang Schobersberger. Dieser Artikel ist Bestandteil der Studie des Kompetenzzentrums LICHT in Partnerschaft mit UMIT und der Barten­ bach GmbH und zeigt den Einfluss von Licht auf den Menschen.

2.4.1  Wie viel Licht braucht der Mensch … Wörtlich übernommener Auszug aus:

Wie viel Licht braucht der Mensch? – Bedeutung von Licht für die Gesundheit (Univ.-Prof. Wolfgang Schobersberger, Veronika Gufler, Georg Hoffmann; Institut für Urlaubs-, Reise- und Höhenmedizin an der UMIT) Einleitung Die Spezies „Mensch“ ist von biologischer Betrachtungsweise eine tagesaktive Spezies. Bis vor zwei Jahrhunderten wurde der Ablauf des menschlichen Lebens primär vom täglichen Hell-Dunkelzyklus und dem damit in Verbindung stehenden Wach-Schlaf-Rhythmus bestimmt. Fast alle physiologischen Prozesse unterliegen im Körper dem „Diktat einer inneren Uhr“. Mit Beginn der industriellen Revolution und vor allem durch die Erfindung des elektrischen Lichts haben sich zusätzliche Faktoren zu den endogenen hinzugesellt, sodass die heutige Gesellschaft sich in eine 24-Stunden-7-TageGesellschaft entwickelt hat. Diese Entwicklung ist von physiologischer Sicht sehr bedenklich und die Entstehung neuer Krankheitsbilder war und ist die Folge der Beeinflussung unserer inneren Uhr. Bereits Hippokrates (460–370 v. Christus) wusste, dass sich Laune und Energie mit dem Stand der Sonne verändern. In seinem Aufsatz „Über Lüfte, Gewässer und Örtlichkeiten“ schreibt Hippokrates, dass Bewohner sonniger Regionen einen positiveren Charakter und klarere Stimmen hätten, sowie fröhlicher seien und seltener von Krankheiten gezeichnet würden. Im folgenden Artikel werden die mannigfaltigen Einflüsse von Licht auf die Gesundheit dargestellt, wobei der Schwerpunkt auf die Problematik des Lichtmangels und asso­ ziierte Gesundheitsprobleme gelegt wird. 150

Kapitel 2

Generell ist Sonnenlicht auch ein exogener Zeitgeber, der keine pathophysiologische Rolle spielt. Endogene Faktoren sind in erster Linie die genetisch determinierten Zeitgeber, die in jeder Zelle zu finden sind (circadian timing system, clock genes, wie z. B. Per, Cry, Bmal u. a. rhythmisch exprimierte Gene und zugehörige Proteine) und deren übergeordnete Kontrolle durch den suprachiasmatischen Nukleus (SCN). Sonnenlicht moduliert die endogenen Faktoren. Kunstlicht ist ein exogener Faktor wie Sonnenlicht, wird aber zu Zeiten eingesetzt, die im Widerspruch zu den endogenen Taktgebern stehen. Physiologie des zirkadianen Rhythmus und die wichtigsten Einfluss­ größen Bereits seit einer Mrd. Jahre existieren innere Taktgeber in Einzellern. Gezeiten- und mondsynchrone Rhythmen finden sich in Meeresbewohner, beim Menschen überwiegend tages- und jahreszeitliche Rhythmen. Durch das synergetische Zusammenspiel von zahlreichen Schrittmachern werden die Körperzellen derart reguliert, dass es nach Außen den Anschein hat, dass der Mensch nur eine einzige innere Uhr hat. Die meisten der inneren Rhythmen sind circadian (circa = ungefähr; dies = Tag) und betragen demnach etwa 24 Stunden. Hierzu werden der Temperatur-, der Schlaf-WachRhythmus sowie einige Hormonrhythmen gezählt. Darüber hinaus gibt es noch ultradiane Rhythmen (ca. 90 min. Länge) und infradiane Rhythmen (­Monats- und Jahresrhythmen). Beispiele für zirkadiane Rhythmen sind in Abb. 123 dargestellt. Jeder einzelne dieser physiologischen Variablen zeigt einen typischen 24-Stunden-Ablauf. Die Körpertemperatur nimmt am Ende der Schlafphase zu, der Spiegel des Hormons Melatonin sinkt. In der Folge steigen Blutdruck und Pulsfrequenz, wodurch ein besseres Wachheitsgefühl am Morgen entstehen soll. Etwa 1 Stunde danach wird der Organismus mit stimulierenden Hormonen (v. a. Steroide) geflutet. Die Maximalwerte von Körpertemperatur, Puls und Blutdruck werden gegen 16 Uhr erreicht, gegen 18 Uhr sinken diese wieder ab. Der Harnfluss steigt passager an, ebenso der Melatoninspiegel: der Körper bereitet sich auf den Schlaf vor. Normalerweise befinden sich die verschiedenen zirkadianen Rhythmen im Einklang, sie können jedoch durch exogenen Faktor verändert werden. Das „zirkadiane Orchester“ verliert seine Harmonie, Unwohlsein ist die Folge und Krankheiten können sich entwickeln. Dem exogenen Faktor Licht kommt hierbei eine zentrale Rolle zu. Licht spielt die entscheidende Rolle als exogener Zeitgeber, das Auge dient als Sinnesorgan (Buijs et  al., 2003). Der primäre Verarbeitungsort für Licht ist die Netzhaut des ­menschlichen Auges. Dort lokalisierte Stäbchen und Zapfen reagieren auf Photonen als adäquaten Reiz. Nach Verarbeitung dieses ­Inputs in Horizontal-, Bipolar- und amakrinen Zellen erfolgt die Weiterleitung der Information über den N. opticus, das Chiasma opticum und den Nucleus geniculatus lateralis zum visuellen Cortex. Seit den Forschungsarbeiten von David Person wissen wir, dass in der Netzhaut nebst den ­bekannten Stäbchen und Zapfen noch ein weiterer Sensor vorhanden ist, der mit dem Pigment Melanopsin arbeitet. Melanopsin ist für die Einstellung der inneren Uhr entscheidend und die Melanopsin-Rezeptoren wurden deshalb auch „circadiane Photorezeptoren“ genannt. Im Gegensatz zur maximalen Empfindlichkeit von Stäbchen und Zapfen zeigt Licht mit einer Wellenlänge von 410–460 nm die größte Effektivität in der Akti­vierung von Melanopsin-Rezeptoren. Werden diese circadianen Photorezeptoren durch einen Dunkelreiz aktiviert, dann wird der Impuls über Nervenbündel von der Netzhaut in den sog. suprachiasmatischen Nukleus (SCN) im Zentralnervensystem geleitet. Der SCN ist die zentrale Schaltstelle des inneren Zeitgebers und übernimmt die Verarbeitung exogener Lichtreize. Vom Licht und Gesundheit

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SCN zweigen die Impulse über das basale Vorderhirnbündel zum oberen thorakalen ­Rückenmark und schließlich zu den oberen Zervikal­ganglien. Aus dieser Verschaltung ziehen postganglionäre sympathische Fasern in die Epiphyse. In der Epiphyse werden nun Schrittmacherenzyme der Mela­ toninsynthese aktiviert, die Melatoninproduktion steigt. Trifft ein Lichtreiz auf das Melanopsin, so bleibt die Weiterleitung des Nervenimpulses bis in die Epiphyse aus und die Melatoninbildung wird unterdrückt. Die Melatoninbildung setzt nebst einer bestimmten Lichtintensität auch das Licht einer bestimmten Wellenlänge (Absorbtionsmaximum ca. 460 nm) voraus. In einer natürlichen Umgebung synchronisiert das sichtbare Licht die innere Uhr auf den 24-Stunden-Hell/Dunkel-Rhythmus der Erde. Ohne Licht beginnt die biologische Uhr von selbst mit einer Periode von ca. 24 Stunden und 15 Minuten zu laufen, wodurch sie täglich jeweils etwas mehr von der Umgebungsuhrzeit abweicht, d. h. desynchronisiert wird (Czeisler et al., 1999). Das führt zu Symptomen, die denen eines Jet lags nach einer Reise über mehrere Zeitzonen entspricht. Nach einigen Tagen verschwinden diese Symptome, und die zirkadiane Einstellung kehrt zurück, weil das Licht zu den richtigen Zeiten des neuen täglichen Hell/Dunkel-Zyklus die Phase der inneren Uhr verschiebt, so dass sie wieder synchronisiert ist. In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war man noch der Ansicht, dass Tageslicht als exogener Zeitgeber nur eine untergeordnete Rolle spielt. Grund dafür war die Beobachtung, dass die damals übliche Büroraumbeleuchtung nicht ausreichend war, um einige bekannte Parameter, die einem zirkadianen Rhythmus unterliegen, zu beeinflussen (u. a. das epiphyseale Hormon Melatonin; [Perlow et al., 1980]). Erst durch Arbeiten von [Lewy et al., 1980] und den daran anknüpfenden Studien konnte gezeigt werden, dass ab einer bestimmten Beleuchtungsstärke (> 2.500 lux) beim Menschen eine lichtinduzierte Melatoninsuppression zu beobachten ist. Inzwischen gilt es als gesichert, das Licht in Abhängigkeit von seiner Intensität, der Menge und dem Zeitpunkt der Applikation einen deutlichen Einfluss auf die zirkadiane Rhythmik ausübt [Czeisler et al., 1981; Honma et al., 1987; Minors et al., 1991; Wever et al., 1983]. Zudem ist bekannt, dass langwelliges, rotes Licht und solches mit geringer Farbtemperatur (3.000 K) kaum Auswirkungen auf biologische Rhythmen beim Menschen zeigen. Kurzwelliges und mittelwelliges Licht mit höherer Farbtemperatur (6.500 K) verhindern die Reduktion der Körpertemperatur und den Anstieg der Melatoninsekretion in den Nachtstunden. Melatonin als multipotentes Hormon Derzeit stützen sich die meisten Funktionen des Melatonins auf in vitro- und tierexperimentelle Studien. Folgende Wirkungen wurden bislang beschrieben: • viele Tierarten nutzen Melatonin zur Anpassung physiologischer bzw. arterhaltender Funktionen. Eine Verkürzung der Photoperiode führt zu einer erhöhten Paarungsbereitschaft. • beim Menschen soll Melatonin andere Hormone beeinflussen, sowohl im Hinblick auf Bildung als auch auf deren Funktionen. Die Sekretion von Sexualhormonen (auch von Östrogenen) wird unter Melatonin Einfluss gehemmt, Wachstumshormon wird gefördert. • eine Melatonin Zufuhr senkt die Körpertemperatur. • Melatonin soll entscheidend an der Entwicklung eines diurnalen Rhythmus beteiligt sein. Vollständig erblindete Menschen entwickeln einen eigenen, vom Lichteinfluss unabhängigen, sog. freilaufenden Rhythmus. Dieser ist mit ≈ 25 Stunden zwar ebenfalls zirkadian, aber nicht durch Hell/Dunkel-Wechsel determiniert. Diese Menschen haben massive Schlaf­probleme und sind häufig völlig übermüdet, wenn erhöhte Leis152

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Abb. 123

tungsbereitschaft am Tag gefordert wäre. Auch die Melatonin-Rhythmen sind bei diesen Personen freilaufend, was evtl. die Ursache der Symptome darstellt. Melatonin besitzt nämlich am SCN Rezeptoren und kann dort als endogener Zeitgeber fungieren, evtl. sogar seine eigene Synthese steuern. • Melatonin wirkt als Antioxidans, d. h. es kann Radikale vernichten. In physiologischer Konzentration schwächt es die Wirkung bekannter Hydro­xylradikalbildner ab. Da es lipophil ist und die Blut-Hirn-Schranke ungehindert passieren kann, wird Melatonin als Schutzmechanismus des ZNS diskutiert. Die Wirkung des Melatonins als Antioxidans soll der von Vitamin C oder E um das 60–70-Fache überlegen ein [Reiter 2002; Reiter et al., 2004]. • in vivo hat das Pinealorgan einen onkostatischen Effekt, d. h. es unterdrückt das Wachstum verschiedener Tumoren. Dies betrifft nicht nur Mammakarzinome, sondern auch maligne Melanome, Dickdarmkrebs und Leukämien. Neben der allgemeinen Schutzfunktion des Melatonins als Antiodxidans, die DNA-Schäden und Zellentartungen vorbeugt, werden selektive Mechanismen diskutiert, u. a. die Hemmung der Östrogensynthese (Mammakarzinom) oder der Melatonin Produktion (malignes Melanom). Gesundheitliche Probleme infolge geänderter Lichtverhältnisse und ­zirkadianer Rhythmen Schichtarbeit In der Europäischen Union wird von ca. 20 % aller Beschäftigten Schichtarbeit geleistet. Unter physiologischen (auch i. S. v. gesundheitspolitischen) Aspekten betrachtet stellt Nachtarbeit einen Widerspruch zur natürlichen, im Verlauf der Evolution herausgebildet zirkadianen Rhythmik dar. Nachtarbeiter verlangen ihrem Organismus eine erhöhte Leistungsbereitschaft ab, wenn er auf Erholung und Regeneration eingestellt ist, und suchen Erholung und Regeneration tagsüber, wenn der Körper die Phase höchster Leistungsbereitschaft erreicht. Akute Folgen dieser Umkehr der natürlichen Zeiteinstellung sind Schlafstörungen sowie ein erniedrigtes Aufmerksamkeitsniveau während der Arbeit mit den entsprechenden Konsequenzen (z. B. erhöhte Fehlerrate Licht und Gesundheit

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und Unfallhäufigkeit). Diese Probleme sind bekannt und führten zu einer Reihe von Empfehlungen für eine hinreichend physiologische Gestaltung der Schicht-/Nachtarbeit (z. B. wenig aufeinanderfolgende Nachtschichten mit anschließend ausreichender Freizeit zur Anpassung an den normalen Rhythmus). Langfristige Auswirkungen und damit verbundene, spezielle Gesundheitsrisiken der Schichtarbeit wurden bislang weniger gut studiert; einige Arbeiten sind im Folgenden zusammengefasst: • eine Studie aus Japan [Fujita et al., 1993] zeigte keine Unterschiede im Hinblick auf die Erkrankungshäufigkeit zwischen Schicht- und normalen Arbeitenden im Zeitraum von 20 Jahren, • in einer holländischen Untersuchung über 12,5 Jahre Laufzeit steig das Ermüdungsniveau bei den Schichtarbeitern, hinzu kamen eine erhöhte Häufigkeit von Appetit- und Verdauungsstörungen [Verhaegen et  al., 1986], • bei prädisponierten Personen soll langjährige Schichtarbeit mit einer erhöhten Prävalenzrate für Depressionen verbunden sein [Scott et al., 1997], • gleiches gilt für eine Reihe kardiovaskulärer Erkrankungen [Kawachi et al., 1995; Knutson et al., 1986], • es gibt, allerdings umstrittene, Hinweise auf einen direkten Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und spontanem Abort bei Schwangeren [Goulet und Theriault, 1987]. Ein Problem von Langzeituntersuchungen und retrospektiven Erhebungen ist die Tatsache, dass keine idealen Laborbedingungen gewährleistet werden können. Folglich lassen sich Störgrößen nicht ausschließen. Depressionen können als Folge der langjährigen Schichtarbeit angesehen werden, aber auch als Konsequenz der damit verbundenen Veränderungen im sozialen Umfeld des Arbeitnehmers. Kardiovaskuläre Erkrankungen können auch durch die bei Schichtarbeitern gehäufter auftretenden Risikofaktoren (Rauchen, falsche Ernährung, exzessiver Koffeingenuss etc.) bedingt sein. Andere Voraussetzungen gelten wahrscheinlich für Studien, die einen Zusammenhang zwischen Nachtschichtarbeit und einer erhöhten Inzidenz eines Mammakarzinoms bei Schichtarbeiterinnen feststellen konnten. Das Brustkrebsrisiko steigt bei Frauen, die über mehr als sechs Jahre Nachtarbeit hinter sich haben, auf das 1,7-Fache an (im Vergleich zu Tagarbeiterinnen). Untersucht wurden 7035 Frauen mit Brustkrebs, die mit einer Kontrollgruppe gesunder Frauen verglichen wurden [Hansen, 2001]. Schernhammer und Mitarbeiter (2001) werteten zwischen 1988 und 1998 Informationen zu 78.562 Krankenschwestern aus, die mindestens drei Nächste pro Monat im Rotationsdienst waren. Für den Untersuchungszeitraum sind 2441 Brustkrebsfälle dokumentiert, was im Vergleich zu Tagearbeiterinnen einem 1,08-fachen erhöhten Risiko entspricht. Bringt man in diese Gleichung die Beobachtung ein, dass erblindete Frauen ein 50 % niedrigeres Risiko haben an Brustkrebs zu erkranken als Sehende, liegt die Vermutung nahe, dass Lichtexposition während der Nacht (also auch während der Nachtschichtarbeit) das Brustkrebsrisiko erhöht. Dieser Zusammenhang lässt sich durch die physiologische Bedeutung des Hormons Melatonin zumindest teilweise erklären. Jet Lag Der Jet lag dürfte die häufigste zirkadiane Rhythmusstörung darstellen und wird durch die Überschreitung verschiedener Zeitzonen bei Langstrecken­ flug verursacht. Beim Überfliegen von Längengraden verschiebt sich bekanntermaßen die Ortszeit, was im menschlichen Organismus zur Folge hat, dass es zur Diskrepanz zwischen der inneren Uhr und der realen 154

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Ortszeit kommt. Als Faustregel gilt, dass sich die innere Uhr mit einer ­Geschwindigkeit von etwa einer Stunde pro Tag an die neue Ortszeit anpasst, was einer Synchronisationszeit von ca. einem Tag pro überquerte Zeitzone entspricht. Das Ergebnis ist das „Jet-Lag-Syndrom“, unter welchem bis zu 90 % aller Passagiere nach einem Langstreckenflug über mehrere Zeitzonen leiden. Klassische Jet-Lag-Symptome sind Ein- und Durchschlafprobleme, Tagesschläfrigkeit, Verdauungsstörungen, Gereiztheit und Konzentrationsschwäche. Delayed Sleep Phase Syndrom (DSPS) und Advanced Sleep Phase Syndrome (ASPS) Schlafprobleme stellen für 20–30 % der Erwachsenen ein essenzielles ­Gesundheitsproblem dar. Einige der Schlafstörungen werden durch Timingprobleme unserer inneren Uhr verursacht. Nebst dem Jetlag, der Schichtarbeit und der Winterdepression (siehe unten) sind zwei Extrem­varianten zu nennen, das „Delayed Sleep Phase Syndrome (DSPS)“ und das „Advanced Sleep Phase Syndrome (ASPS)“ [Wright & Lack, 2004]. Das DSPS betrifft normalerweise jüngere Personen, die zur gewünschten Zeit Einschlafprobleme haben und unfähig sind zur vorgesehenen Morgenzeit aufzuwachen bzw. aufzustehen, was zwangsläufig zu Konflikten mit gesellschaftlich vorgegebenen Schul- und Arbeitszeiten führt. Umgekehrt verhält es sich bei Personen mit ASPS, das vorwiegend bei älteren Personen auftritt. Typischerweise tritt die Hauptschlafperiode vorzeitig in Hinblick auf die von den Betroffenen gewünschten Schlafzeit ein. Personen mit ASPS, die beispielsweise bereits um 19 Uhr abends einschlafen, sind d ­ ementsprechend in den sehr frühen Morgenstunden wach („senile Bettflucht“). Für beide Krankheitsbilder wird ursächlich eine Phasenverschiebung der inneren Uhr vermutet, wobei durchaus die Zeitverläufe des Melatonin-Rhythmus und des Rhythmus der Körpertemperatur eine pathophysiologische Rolle spiele dürften. So werden verzögerte Rhythmen für Melatonin und Körpertemperatur bei DSPS bzw. bei vorgeschobenen Rhythmen bei ASPS ­beschrieben. Saisonale Affektive Störung (SAD, Seasonal Affektive Disorder) SAD wurde erstmals 1984 beschrieben und wird durch folgende vier Auffälligkeiten charakterisiert (Übersicht siehe [Winkler et al., 2006 und Canadian Consensus Guidelines for the Treatment of SAD, 2004]): 1. Wiederkehrende Episoden von schweren Depressionen, die jahreszeitlich im Herbst beginnen und im Frühjahr enden. 2. Vollständige Remission der Symptome in den Monaten während der nicht-betroffenen Jahreszeiten (d. h. Mai bis August). 3. Während des gesamten Verlaufs der Erkrankung treten mehr saisonale als nicht-saisonale Episoden von Depressionen auf. 4. SAD Episoden treten normalerweise während zwei aufeinander folgenden Jahren auf. Die sog. Winterdepression ist die häufigste Form der SAD. Die Prävalenz der SAD liegt zwischen 2 % und 5 %. Zudem gibt es viele Fälle von nichtsaisonaler Depression, in denen sich die Symptomatik in den Herbst- und Wintermonaten verschlechtert. Die SAD hat demnach eine große Bedeutung hinsichtlich Public Health und der volkswirtschaftliche Ausfall durch SAD dürfte ein sehr großer sein. SAD Patienten zeigen die klassischen Symptome der Depression wie Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwächen, Müdigkeit, schlechte Stimmung u. v. a. Zudem gesellen ich bei der SAD atypische vegetative Symptome wie erhöhtes Schlafbedürfnis, gesteigerter Appetit und rasche Gewichtszunahme. Licht und Gesundheit

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Die pathophysiologischen Ursachen für SAD sind noch nicht restlos geklärt. Wahrscheinlich handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen, welches zu SAD führt. Die primäre Vermutung, dass es sich bei der SAD um eine reine photoperiodische Regulationsstörung („Photoperiodenhypothese“) handelt, wurde bislang nicht bestätigt. Diese Hypothese besagt, dass der Mangel an Tageslicht zu den psychischen Veränderungen bei SAD führen soll. Viel diskutiert wird über die Bedeutung von Melatonin bei der SAD. Viele, jedoch nicht alle SAD Patienten zeigen einen verzögerten Melatonin-Anstieg nach Dämmerung und eine überschießende MelatoninSuppression durch Tageslicht. Ein Großteil der Patienten hat zudem höhere Melatonin-Plasmaspiegel, v. a. tagsüber, im Vergleich zu Personen ohne SAD. Dass Melatonin eine kausale Rolle in der SAD Genese spielt, wird mehrheitlich angezweifelt. Eine weitere Annahme, die sog. „Phasenverzögerungshypothese“ besagt, dass bei SAD Patienten die innere Uhr im Winter nicht nur länger im Nachtmodus tickt, sondern auch der realen Zeit und dem Schlaf-Wach-Rhythmus hinterherhinkt. Ein weiterer Botenstoff, das Serotonin, könnte an der SAD-Entstehung mitverantwortlich sein. Im Zusammenhang mit anderen Formen der Depression konnte gezeigt werden, dass ein Mangel an Serotonin eine ursächliche Rolle spielt. Serotonin zeigt bei gesunden Personen ein saisonales Muster mit den geringsten Werten im Herbst und Winter und den höchsten Werten im Frühling und Sommer. Studien bei SAD-Patienten haben Dysregulationen im Bereich der post­synop­ tischen Serotonin-Rezeptoren nachweisen können. Verschiedene Medikamente, die in die biochemische Regulation von Sero­tonin eingreifen und zur Erhöhung der Serotoninkonzentration im Gehirn beitragen (z. B. SSRI = Selektive Serotonin Reuptake Inhibitoren) sind bei verschiedenen Depressionsformen inklusive SAD wirksam. Letztendlich gibt es Hinweise für eine genetische Disposition zu SAD. So leiden in Fami­ lien von SAD Patienten zwischen 13 % und 17 % der Verwandten ersten Grades gleichfalls unter SAD. Licht als Therapeutikum bei gestörten zirkadianen Rhythmen? Seit dem Nachweis, dass Licht der stärkste Zeitgeber in der Synchronisation von zirkadianen Rhythmen beim Menschen ist, hat sich die Lichttherapie als eine effektive Methode zur Regulierung der inneren Uhr herausgestellt. Mit Hilfe dieser „Chronotherapie“ wird seit einigen Jahren bei Nachtschichtarbeitern versucht, das zirkadiane System zu optimieren. Ein ähnliches Ziel wird beim Einsatz der Lichttherapie beim Jet-Lag verfolgt, allerdings ist die Datenlage noch sehr spärlich. Die Anwendung von hellem Licht am Morgen dürfte hinsichtlich der Phasenverschiebung des Melatonin-Rhythmus zu früheren Melatoninanstiegen beim DSPS erfolgreich sein, gleiches gilt für die Phasenverzögerung des Melatonin-Rhythmus bei ASPS. Für Details zur Indikationsstellung der Lichttherapie bei D ­ epressionen sei auf einschlägige Literatur verwiesen [Eagles, 2003; Terman and ­Terman 2005, O’Grady et al., 2006; Winkler et al., 2006]. Unabhängig von der primären Erkrankung sind die Empfehlungen für die klassische Licht­therapie sehr ähnlich. Die meisten Studien wurden an Patienten mit saisonaler (SAD) oder nicht saisonaler Depression durchgeführt. Die Lichttherapie ist gerade bei der SAD eine etabliertes Therapieverfahren mit Responseraten von 60–90 % in kontrollierten Studien. Empfohlen wird eine Licht­exposition entsprechend 5000 Lux-Stunden, was einer Exposition von 10.000 lux für 30 min. oder 2.500 lux für 2 Stunden entspricht. In den standar­disierten Lichttherapiegeräten werden Vollspektrum-Leuchtstoffröhren mit vor­geschaltetem UV-Filter verwendet. Der Patient sitzt in einem definierten Abstand vor dem Lichttherapiegerät und wird angehalten pro Minute etwa 5 sec. direkt in die Lichtquelle zu blicken. Wenn sich auch 156

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bei vielen Patienten nach wenigen Sitzungen der erste Erfolg einstellt, sind meistens mehrwöchige Therapieanwendungen mit einigen Sitzungen pro Woche nötig. Licht und Gesundheit: Projekt mit K-Licht Seit Oktober 2004 existiert eine Kooperation zwischen der Universität für Gesundheitswissenschaft, Medizinische Informatik und Technik in Hall i. T. (UMIT) und dem LichtLabor Bartenbach in Aldrans, Tirol, die eingebettet ist in die Projekttätigkeiten des Kompetenzzentrums Licht GmbH (K-Licht). Gegenstand unserer gemeinsamen Forschungsarbeiten war die Etablierung von Beleuchtungssystemen im Arbeitsumfeld, die lichtabhängige Störungen der zirkadianen Rhythmik ebenso wie Beeinträchtigungen der Arbeitsleistung vermeidet. Strukturell gliedern sich die Untersuchungen in einen Nachtschicht- und einen Tagschicht-Studienteil. Im Nachtlicht-Setup wurde die Auswirkung eines speziellen Beleuchtungssystems, dem der kurzwellige, als exogener Zeitgeber wirksame Anteil fehlte, mit der eines Vollspektrumlichts verglichen. Zu den erhobenen Parametern zählten Fragebögen zu Lichtqualität und Befindlichkeit der Probanden, Leistungstests und physiologische Kenngrößen der zirkadianen Rhythmik (z. B. Herzfrequenzvariabilität, Körperkerntemperatur und die Melatonin-Konzentration im Blut). Das Tageslicht-Projekt hatte die Optimierung der Lichtbedingungen am Arbeitsplatz mit Fokus auf körperliche und geistige Leistungserhaltung ohne Alter­ nation natürlicher oszillierender 24-h-Rhythmen zum Gegenstand. Die Auswertung beider Studien ist demnächst abgeschlossen. Weitere Kooperationen im Rahmen des Netzwerkes K-Licht sind geplant.

2.4.2 Tageslicht- und Kunstlichtwirkung auf das visuelle und das nichtvisuelle System Forschungsstudie KPZ/Bartenbach: „Einfluss von Tages- und Kunstlicht auf den Bildschirmarbeitsplatz“ (Testraum und Testanlage) Tageslicht ist das Licht, an das wir Menschen biologisch angepasst sind. Unsere aktuellen Baustrukturen haben jedoch in den meisten Fällen zur Folge, dass Tageslicht häufig durch Kunstlicht ergänzt bzw. zur Gänze er­ setzt werden muss. Unter diesem Aspekt ist Kunstlicht im Grunde lediglich als Werkzeug zu betrachten. Durch die allgemeine Wirkungsvielfalt empfehle ich gerne, Forschungs­ projekte durchzuführen, um Aussagen über die Art und Eigenschaften der visuellen Komponenten zu erhalten, die notwendig sind, um als Grund­ lage für Planungsvorgänge bei der Licht- und Raumgestaltung zu dienen. So entstand in der Zusammenarbeit vom Kompetenzzentrum LICHT und der Firma Bartenbach die Forschungsarbeit „Einfluss von Tageslicht und Kunstlicht auf den Bildschirmarbeitsplatz“. Die dreijährige Studie setzte sich zum Ziel, den Einfluss von Tageslicht auf den zirkadianen Rhythmus, also den Einfluss vom nichtvisuellen System auf das visuelle System, zu untersuchen sowie die Wirkungen von Tageslicht und Kunstlicht miteinan­ der zu vergleichen. Es handelt sich bei dem Versuchsraum (siehe Abb. 124) um einen unter­ irdischen Raum, der nur durch einen verspiegelten Lichtschacht mit dem Außenraum verbunden ist. Durch diesen werden die entsprechenden Licht­ situationen in das Innere übertragen (Abb. 124, 125). Die primäre Licht­ quelle ist die Sonne, welche über eine Heliostatenanlage über den Licht­ schacht vom Außen- in den Innenraum gelenkt wird. Licht und Gesundheit

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Abb. 124a Testraum und Testablauf des ­Projekts „Sonnenraum“.

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Abb. 124b Die Testpersonen wurden durch das Licht objektiv und subjektiv ­beeinflusst, wobei ihnen die Art des Lichtes nicht bewusst war.

Abb. 125 Testraum mit den unterschiedlichen Tages- und Kunstlicht­situationen.

Licht und Gesundheit

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Abb. 126 Die angeführte Nummerierung in der Grafik gibt den Zeitablauf und die Art der Testabläufe an und zeigt den Verlauf der horizontalen mittleren Beleuchtungsstärke am Arbeitsplatz. Bei der 2-Systeme-­ Variante (Halogen-Metalldampflampe und Leuchtstofflampe) wurde die horizontale Beleuchtungsstärke von 1.100 lx konstant gehalten und das Tageslicht rhythmisch dem Tagesverlauf und dem zirkadianen Rhythmus, der sich vom Außen- in den Innenraum überträgt, angepasst.

In unserem Bürogebäude in Aldrans gibt es diesen unterirdischen und fensterlosen Raum, den wir „Sonnenraum“ nennen. Er wird über einen Lichtschacht mit unterschiedlichen Lichtquellen beleuchtet, ohne dadurch die Lichtverteilung im Raum zu beeinflussen. In der Versuchsreihe wurde ein klassischer Arbeitsplatz (Bildschirm und Beleg) bei Sonnenschein (klarer Tag) simuliert.

2.4.3 Forschungsstudie „Einfluss von Tageslicht und Kunstlicht auf Bildschirmarbeitsplätze“ – der Sonnenraum Diese Versuchsreihe ist aus meiner Sicht sehr interessant, da sie den Zu­ sammenhang zwischen dem Tageslicht und den wichtigsten Kunstlichtsys­ temen zeigt und in den Ergebnissen die visuellen Wahrnehmungsabläufe berücksichtigt sind.

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Abb. 127 Man sieht keine signifikanten Unterschiede bei HMI und Leuchtstofflampe untertags und am Nachmittag. Bei Sonne ergab sich eine tendenzielle Zunahme (p = 0,074) der Wahrnehmungsleistung. Generell kann man sagen, dass die unterschiedlich getesteten Lichtquellen keinen signifi­ kanten Unterschied in der visuellen Leistung bewirken.

Den Versuchsraum möchte ich im Folgenden in seiner Leuchtdichtevertei­ lung mit drei unterschiedlichen Lichtsystemen analysieren. Die Darstellung erfolgt anhand eines Falschfarbenbildes, um damit die Leuchtdichtever­ teilung besser differenzieren zu können und um das Licht- und Raummilieu zu definieren. Die Zielsetzung der Versuchsreihe war es, bei allen drei Testsystemen (Sonne, Halogen-Metalldampflampe und Leuchtstofflampe) den Infeld­ bereich konstant zu halten. Alle Varianten hatten ein beinahe identisches Erscheinungsbild, da der mittlere Umgebungsleuchtdichtebereich – der stabilen Wahrnehmung entsprechend – mit ca. 10–300 cd/m² vorgegeben wurde. Die Differenzierung der Licht- und Raummilieus entstand aufgrund der unterschiedlichen Strahlungsarten der Lichtsysteme, wie wir anhand der Ergebnisse sehen werden. Für die Bewertung des visuellen Systems war der Infeldbereich wesent­ lich, da über diesen bei stabilen visuellen Wahrnehmungsbedingungen die visuelle Leistung analysiert werden kann. Die Infeldleuchtdichte betrug für alle drei Systemarten LI = 100–400 cd/m² (Abb. 125) mit entsprechend komplexen Testaufgaben. Der mittlere horizontale Beleuchtungsstärke­ bereich betrug 800–200 lx. Dieser Infeldleuchtdichtebereich wurde bei den Testabläufen von vorwiegend gerichteter Aufmerksamkeit begleitet, und damit ergab sich der mittlere Umgebungsleuchtdichtebereich von 10– 300 cd/m² (siehe Theoretisches Leuchtdichtemodell, Kapitel 1.4, Abb. 54). Das Ergebnis dieser Versuche in Abb. 127 zeigt, dass das visuelle System und die visuelle Leistung (bezogen auf das Infeld) bei allen drei System­ arten dieselben sind und sich keine signifikanten Unterschiede ergeben. Die Konstanz der visuellen Leistung im visuellen System aufgrund der o. g. Versuchsparameter ist im Grunde verständlich, und doch möchte ich deut­ lich darauf hinweisen, wie wichtig und interessant dieses Ergebnis für wei­ tere Planungsaufgaben ist. Es zeigt nämlich, dass bei ähnlichen Vorgaben Licht und Gesundheit

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Abb. 128 Das Ergebnis zeigt, dass die HRV bei Tageslicht die signifikant höchs­ ten Werte aufweist und damit den optimalen Entspannungszustand.

im Leuchtdichtebereich einer stabilen Wahrnehmung keine Unterschiede zwischen Sonnenlicht (klarer Tag) und Kunstlicht festgestellt wurden, wenn sie ähnliche Farbtemperaturen aufweisen. Ein weiteres Kriterium, das getestet wurde, war die Messung der Herz­ ratenvariabilität innerhalb der Entspannungsphasen für das Kriterium der RMSSD (= Ausdruck für parasympathische Aktivität). Die Auswertung der Ergebnisse ergab im Verlauf der ersten Entspannungsphase am Nach­ mittag des Versuchstags signifikant höhere Entspannungswerte bei Sonne/ Tageslicht als bei Leuchtstofflampen (Abb. 128). Die Veränderung der Helligkeit durch den Tageslicht- und Sonnenver­ lauf zeigt, dass trotz wesentlich höherer Beleuchtungsstärken bei Sonnen­ licht gegenüber dem konstant gehaltenen Kunstlicht mit seiner ­geringeren Helligkeit keine signifikanten Differenzen in der visuellen Leistung auf­treten. Das liegt vermutlich daran, dass Helligkeiten im Infeld über 300  cd/m² keine Steigerung der visuellen Leistung mehr bringen. Jedoch zeigt sich deutlich, dass mit steigender Helligkeit des Tageslichtes (Vormittag zu Nach­mittag) auch die Entspannung steigt und signifikant besser ist als beim Kunstlicht. Dieses objektive und nachhaltige Ergebnis, das durch das Kriterium der HRV objektiviert wurde, hat sich durch das Ergebnis der subjektiven Befra­ gungen (semantisches Differential) tendenziell bestätigt. Für das nichtvisuelle System, das durch die Herzratenvariabilität und die Pulsrate erfasst wurde, ergibt sich deutlich, dass sich die Entspannungs­ phase bei Sonne/Tageslicht signifikant verbessert und das Tageslicht zu­ sätzlich den zirkadianen Rhythmus mit seiner Veränderung beinhaltet. Das vorwiegend autonom wirksame nichtvisuelle System wird durch den zirkadianen Rhythmus und die innere Uhr des SCN sowie durch Hormone gelenkt. Es reagiert in diesem Ergebnis mit Entspannung und Wohlbe­ finden, was sich durch die subjektive Befragung tendenzmäßig bestätigt hat. 162

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Abb. 129 Falschfarbenbild desselben Testraums bei Sonne, Halogen-­ Metalldampflampe und zusätzlichem Plasmabildschirm anstatt eines Fensters, der über eine Kamera das Bild der Außenwelt nach innen überträgt.

23 Probanden gaben an, dass ihnen die drei folgenden Umweltbedingun­ gen am Arbeitsplatz am wichtigsten sind: 1. gute Beleuchtung, 2. Lärmfreiheit, 3. angenehme Raumtemperatur. Weiters stellte sich heraus, dass direktes Sonnenlicht am unmittelbaren Ar­ beitsplatz von 52,2 % gewünscht und von 30,4 % nicht/ungern gewünscht wurde. Hingegen mochten die Probanden Sonnenlicht im Raum zu 69,6 %, und nur 8,7 % lehnten es ab. Kunstlicht im Arbeitsraum wurde allgemein nicht gewünscht, jedoch nahm es der überwiegende Teil mit 78,3 % als nicht störend hin. Auf die Frage „Welche Arbeitsplatzhelligkeit bevorzugen Sie hauptsächlich?“ antworteten die Probanden vielfach mit „eher hell“ (30,4 %), „ziemlich hell“ (43,5 %) oder „sehr hell“ (4,3 %). Der beschriebene Testraum lag wie gesagt unterirdisch und erhielt sein Licht über einen Lichtschacht. Die Testperson konnte somit das Lichtsystem, das den Raum und den Tätigkeitsbereich beleuchtete, nicht bewusst er­ kennen und war ohne Bezug zum Außenraum. So wurde in einer weite­ ren ­Studie ein Plasmabildschirm an der hinteren Wand angebracht, auf dem mithilfe einer Kamera die Außensituation über den Bildschirm ins In­ nere übertragen wurde und der dabei reale Außenleuchtdichten aufwies (Abb. 129). Da die drei Lichtsysteme für die Testpersonen nicht sichtbar waren und sich die lichttechnischen Kennziffern (LI, LUm) im stabilen Wahrnehmungs­ bereich befanden, zeigten sich die Unterschiede ausschließlich im Erschei­ nungsbild bzw. über die Lichtsituation und Strahlungseigenschaften wie • das System mit Leuchtstofflampen durch die diffuse Verteilung und die konstante Helligkeit, • das System mit Halogen-Metalldampflampe durch die stark gerichtete Strahlungsverteilung und die konstante Helligkeit und Licht und Gesundheit

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• die Sonne bzw. das Tageslicht durch die gerichtete Strahlung und die Erkennbarkeit der rhythmischen Veränderungen der Helligkeit und die begleitende Glitzerwirkung, die durch differenzierte Streulichtkompo­ nenten hervorgerufen wird und bei Sonne und Halogen-Metalldampf­ lampe hohe Werte annehmen kann. Durch die Art der Beleuchtung und speziell durch die Ausrichtung der Hel­ ligkeitsverteilung im Infeldbereich (zoniert) und die reduzierte Helligkeit im Umfeldbereich (großflächig) konnte der Raum vorwiegend über das nichtvisuelle System empfunden werden (Abb. 124, 129). Das Ergebnis zeigte uns, dass das künstliche Fenster als Ersatz nicht akzeptiert wurde. Der Wunsch nach dem natürlichen Bezug zum Außen­ raum dominierte, und auch der Wunsch nach Pflanzen im Raum wurde geäußert. Das weist darauf hin, dass das Sehen und Erkennen der Außen­ welt als Information für die Bewusstwerdung des zirkadianen Rhythmus von Bedeutung ist.

Gedanken zur Bedeutung des Fensters Um die Bedeutung und Vielschichtigkeit zum Thema Fenster zu vermitteln, möchte ich an dieser Stelle das Zitat des Vorworts eines Buches der Zum­ tobel Group 2013 über das Fenster von Architekt David Chipperfield an­ führen: Ungeachtet der komplexen Gestaltungsmöglichkeiten unserer Gebäude ist unsere räumliche Erfahrung stets geprägt von den Wänden, die uns umgeben und Räume bilden, in denen wir leben. Wände und Dächer unserer Gebäude schützen uns vor dem „Draußen“. Während es die Aufgabe der Umbauung ist, aus der Anordnung von Böden, Decken, Öffnungen und Treppen ein „Drinnen“ zu schaffen, ist es das Fenster, das diese Grenze wieder durchbricht und uns mit der Welt verbindet: von innen nach außen und von außen nach innen. Das Fenster stillt unsere Sehnsucht, unseren Blick zurück auf die Welt zu richten, vor der wir Schutz suchen. In dieser Sehnsucht schwingen Erwartungen und Möglichkeiten mit. Geht nicht jeder von uns zunächst ans Fenster, wenn wir einen neuen Raum betreten? Fenster ziehen uns nahezu magisch an, weil wir durch sie das Geschenk des Tages­lichtes erleben. Wie die Türe ist auch das Fenster auf uns zugeschnitten und wird so zum Bindeglied zwischen dem Menschen, dem Gebäude und der Außenwelt – oder kann zumindest dazu werden. Die Bilder, die wir ausgewählt haben, zeigen diese besondere Beziehung zwischen Menschen und Architektur. Sie beschreiben einen intimen ­Moment der Architektur, wo es durch die Architektur gelingt, uns an unserem Platz in der Welt zu verorten – oder an dem Platz, an dem wir gerne wären. Warum sonst hat sich das Fenster bei Künstlern zu einem so beliebten Sujet entwickelt? Die Gestalt am Fenster, das Fenster das Licht auf eine häusliche Szene wirft. Das Fenster als eine gerahmte und intensive Sicht auf die Welt. David Chipperfield, Juni 2013 Die Fensteröffnung lässt das Tageslicht in den Raum und erhellt ihn. Es gestattet die Sicht nach außen und hebt dadurch die Abgeschlossenheit des Innenraums auf. Durch das Fenster geschieht somit eine Interaktion zwischen Beleuchtung des Inneren durch Licht und Sichtverbindung nach außen. Da die Helligkeit im Außenraum ein Vielfaches gegenüber dem Innen­ raum beträgt und uns durch das „Sehen“ Information und Wissen vermit­ 164

Kapitel 2

Abb. 130 Die Abbildung zeigt den Vergleich von zwei Tages- und zwei Kunstlichtsystemen. Auf der vertikalen Achse sind die Unterschiedsempfindlichkeit (Balken) und die Ermüdung (Linie) aufgetragen. Das Ergebnis bedeutet, dass bei opti­ mierten Tages- und Kunstlichtsystemen keine signifikanten Unterschiede in der visuellen Leistung auftreten. Dasselbe zeigt sich auch für die Ermüdung.

telt, hat der Außenraum mit seinem Informationsinhalt einen beträchtlichen Stellenwert. Das Erkennen und das Umsetzen des Erkannten ist ein geis­ tiger Vorgang, der von der Bewusstwerdung begleitet und durch emotio­ nale Aspekte beeinflusst wird. Fensteröffnungen werden nicht nur durch ihre Geometrie und Lage im Raum wahrgenommen, sondern auch durch den Informationsgehalt, den sie von außen nach innen transportieren, und besonders durch ihre hohe Eigenleuchtdichte, die stark von der aktuellen Himmelsleuchtdichte ab­ hängt. Sie sind individueller Bestandteil eines Raums und können selbstver­ ständlich auch zu beachtlichen Ablenkungsvorgängen führen. Aus der Grafik geht hervor, dass sowohl bei Tageslicht als auch bei Kunst­ licht die visuelle Leistung vom jeweiligen System abhängt: beim Tageslicht von der Art der Fensterkombination und beim Kunstlicht vom Leuchtensys­ tem, also von der Art der Beleuchtung, dem Wirkungsgrad der Leuchte, dem Leuchtmittel, dem elektrischen Zubehör und der Eigenleuchtdichte. Beim Tageslicht geschieht die Beleuchtung mittels einer Fensteröffnung mit klarem Glas. Die visuelle Leistung ist schlecht aufgrund der ungleich­ mäßigen Helligkeitsverteilung, der Blendung durch fehlende Sonnen­ schutzmaßnahmen und der allgemeinen Ablenkung. Eine Fensteröffnung ganz wegzulassen empfiehlt sich nicht, da der Bezug nach außen sehr wichtig für die Personen im Inneren ist und das Weglassen ein großes emo­ tionales Problem darstellen würde. Emotionen beeinflussen die Stimmung und unsere Denkvorgänge mit den damit verbundenen Handlungen. Der Gedächtnisforscher Prof. Daniel L. Schacter führt in seinem Buch Wir sind Erinnerung an, dass die Genauigkeit des Gedächtnisses in direkter Beziehung zur emotionalen Erregung steht. Es beeinflusst damit – zu­ sammen mit einem emotionalen Erlebnis (elaborierte Codierung) –, dass Licht und Gesundheit

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wir uns erinnern. Unsere Aufmerksamkeit wird damit von den emotional besetzten Aspekten der jeweiligen Situation mit dem Erkennen und dem damit ­verbundenen Wissen in Anspruch genommen und weniger von Ein­ zelheiten. Emotionale Zustände beeinflussen die Erkenntnis und die Bewusst­ seinsvorgänge meist stärker als die vorwiegend autonome physiologi­ sche Wirkung in Form von Blendung. Dadurch wird verständlich, warum eine ­Fensteröffnung bei der Gestaltung eines visuellen Raums sinnvoll er­ scheint.

2.4.4  Die „neue Helligkeit“ Die Zusammenfassung der Studie „Einfluss von Tageslicht und Kunstlicht auf den Bildschirmarbeitsplatz“ zeigt, dass die visuelle Leistung zwischen den Lichtbedingungen bei Tages- und Kunstlicht keine signifikanten Unter­ schiede bringt. Die Helligkeitsbereiche des Infeldes von LI ≈ 190 cd/m² am Bildschirm und 100–400 cd/m² an den Belegen, die über den Großteil der getesteten Zeitabläufe im gesättigten Bereich liegen und bereits eine Optimierung für beide Sehaufgaben erreicht haben, sind die Ursache für diese Konstanz. Das HRV-Kriterium (Abb. 128) als Ausdruck des parasym­ pathischen Vorgangs zeigt, dass beim Tageslicht bzw. bei Sonne im rhyth­ mischen Zeitablauf bei meist höheren Helligkeiten (Ehm > = 1.000–1.900 lx) die Entspannungsphasen (hormonelle Verarbeitung – innere Uhr, SCN) die höchsten Werte erzielen und sich signifikant von den Lichtbedingungen des Kunstlichts unterscheiden. Die Untersuchungen verstärkten auch die Erkenntnis, dass vertikale Raumhelligkeiten den Helligkeitseindruck ganz wesentlich beeinflussen und in einem Beleuchtungsstärkebereich (EVA) am Auge von ca. 250  lx und einer Umgebungsleuchtdichte von 80–200 cd/m² liegen sollen (Kapi­ tel  4.7.4). Die subjektiven Befragungen bestätigen diesen Trend (Kapi­ tel 2.4.3). Die Zeitgebung des nichtvisuellen Systems, die Intensität und der zirka­ diane Rhythmus des Tageslichts erfolgen autonom über die mittlere Ge­ sichtsfeldleuchtdichte und werden von den Melanopsin-Fotorezeptoren (Kapitel 2.4) und deren physiologischen Eigenschaften dominiert. Sie sind daher mit der Anpassung an die Rezeptoren (Stäbchen und Zapfen) nicht vereinbar. Das begründet auch den notwendigen hohen Helligkeitsanteil der mittleren Gesichtsfeldleuchtdichte und die damit verbundene Raum­ helligkeit, die vor allem mit der vertikalen Beleuchtungsstärke am Auge im Zusammenhang steht. Dieser Helligkeitsbereich von EVA > 250 lx und LUm ≈ 80–200 cd/m² unterstützt angepasst den zirkadianen Rhythmus und die Zeitgebung der inneren Uhr. Für das visuelle System würde damit auch die Synchronisation beider Systeme – des visuellen und des nichtvisuellen Systems – möglich sein. Wie die Ergebnisse in Abb. 127 zeigen, ist die visuelle Leistung als phy­ siologische Größe und teilweise autonomer Vorgang zu verstehen. Die Anwendung von Tageslicht bringt für dieses Kriterium der visuellen Leistung gegenüber dem Kunstlicht keine Vorteile. Eine Optimierung liegt im Be­ reich der Infeldleuchtdichte (Kapitel 1.3) und in dem angepassten Umfeld­ leuchtdichtebereich. Aufmerksamkeit, lichttechnische Komponenten wie Kontrast, Sehobjektgeometrie etc. und die visuellen Komponenten tragen wesentlich zum Erkennen bei. Aufgrund der Ergebnisse dieser Forschungsarbeit und unter Einbezie­ hung der Studie „Mehrere Infelder“ (Kapitel 1.3.4) kann ich für ein Licht­ planungskonzept empfehlen, unbedingt die Synchronisierung des visuel­ len Systems mit dem nichtvisuellen System – vorrangig die Kriterien des 166

Kapitel 2

Abb. 131 Subjektive Munterkeit (alertness) in Abhän­ gigkeit von der Beleuchtungsstärke an der ­Hornhaut.

nichtvisuellen Systems – zu beachten. Die Kriterien beider Systeme sind unterschiedlich und treten dennoch für die visuelle Zielsetzung der Tätig­ keitsabläufe im selben Raum auf. Das erfordert einen Leuchtdichtebereich mit einem dementsprechenden Licht- und Raummilieu, das beiden System­ abläufen entspricht. Zu berücksichtigen sind: • der zirkadiane Rhythmus; • die Lichtart, das Tageslicht; • die Forderung an die mittlere Umgebungsleuchtdichte, die einen Be­ reich von 60 bis 300 cd/m² betragen soll, um die Synchronisation zu ermöglichen und das Licht- und Raummilieu in einem hellen Raum zu gestalten, der die zirkadianen Rhythmen bewusst macht und das Wohl­ befinden sicherstellt; • die vertikale Beleuchtungsstärke am Auge beträgt ca. > 250 lx; damit tritt erfahrungsgemäß die 3- bis 5-fache mittlere horizontale Beleuch­ tungsstärke von 750 bis 1.250 lx als Grundlage für die Infeldleucht­ dichte auf, die das visuelle System mit Helligkeit unterstützt; • die Farbtemperaturbereiche der Farborte mit ihren spektralen Inhalten betragen am Tage > 4.000–8.000 K. Wie bereits beschrieben, wurden das Tageslicht und sein Rhythmus als stärkster Zeitgeber als Vorgabe an die innere Uhr erkannt. In der Literatur wird die notwendige Intensität desselben mit ca. 2.500 lx angegeben, was sich aus den Beschreibungen und den Versuchsergebnissen als die horizontale Beleuchtungsstärke des Infeldbereichs bzw. des Sehobjektes darstellt. Wesentlich jedoch ist die vertikale Beleuchtungsstärke am Auge, die bei solchen Anordnungen individuell bestimmt werden muss. In einer Untersuchung des amerikanischen Lighting Research Center New York (Rea/Figueiro/Bullough) wurde Folgendes ermittelt: • Helligkeiten mit Leuchtstofflampe 3.000 K von Eh = 2.500 lx bei EVA = 500 lx (am Auge), • Helligkeiten mit Leuchtstofflampe 7.500 K von Eh = 1.500 lx bei EV = 300 lx (am Auge). Licht und Gesundheit

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Bei den o. g. Intensitäten während einer Zeitdauer von einer Stunde wurde ein Ergebnis von 50 % Melatonin-Unterdrückung ermittelt. Zu ähnlichen ­Ergebnissen kommt Andreas Berke (Höhere Fachschule für Augenoptik Köln, „Blaues Licht – gut oder schlecht“), indem er sagt, dass bei einer höheren Beleuchtungsstärke am Auge als EVA = 100 lx das Gefühl der ­subjektiven Ermüdung sinkt, die subjektive Munterkeit zunimmt und diese bis zu einer EVA  =  300 lx stark ansteigt. Eine weitere Steigerung bringt hingegen keine weitere Optimierung. Darüber hinaus sinkt die Fehlerrate, und die Merkfähigkeit (Erinnerung) nimmt zu. Je niedriger die Plasma­ konzentration des Melatonins am Tage ist, umso größer ist die Wachheit/ Munterkeit. In diesem Kapitel habe ich das Thema der Tageslichtwirkung auf das ­visuelle und nichtvisuelle System deshalb so ausführlich beschrieben, da meiner Ansicht nach der Bedeutung des nichtvisuellen Systems allgemein und der Trennung der beiden Systeme hinsichtlich ihrer Bedeutung für lichttechnische und architektonische Planungskonzepte nur sehr wenig ­Aufmerksamkeit zukommt. Ich erachte es als ebenso wichtig, in Lichtpla­ nungsprozessen lichttechnische Kennziffern mit den Leuchtdichtebereichen in ­Zusammenhang zu bringen. Die „neuen Helligkeiten“ und ihre Rhythmen waren Gegenstand dieser Forschungsarbeit. Die Ergebnisse bestätigen unsere Hypothese, welch großen Einfluss Licht im Zusammenhang mit Farben und Materialien auf unsere Gefühlswelt, unsere Gesundheit, unsere Leistungsfähigkeit, auf die Akzeptanz und auf unser Wohlbefinden hat. Diese Erkenntnisse nun in der Realität umzusetzen bedeutet, die Ge­ staltung von Gebäude- und Raumstrukturen so zu verändern, dass sie die Informationen über das visuelle und das nichtvisuelle System berücksich­ tigen und miteinander in Einklang bringen. Das beeinflusst natürlich die räumliche Gestaltung stark, doch die Wirkung des Ergebnisses spräche für sich. Dies wird in einem Beispiel in Kapitel 4.8 dargestellt. An dieser Stelle möchte ich noch einmal kurz die Empfehlungen für Planungskonzepte, die auf Basis der neuen Helligkeiten erstellt werden, zusammenfassen. Das bedeutet, dass für den Infeldleuchtdichtebereich die untere Grenze ab 60 cd/m² und die obere Grenze bis 300 cd/m² liegt. Bei Werten darüber tritt eine Sättigung beim visuellen System ein. Die begleitende horizontale Nennbeleuchtungsstärke soll zwischen 800 und 1.800 lx betragen, und die mittleren Umgebungsleuchtdichten sollen im Bereich von 80 bis 200 cd/m² liegen. Die damit verbundene verti­ kale Beleuchtungsstärke soll den Helligkeitsbereich EVA > 250 lx am Auge nicht unterschreiten. Die Anwendung dieser erarbeiteten Ergebnisse wird in Kapi­tel 4 vertieft und angewendet. Dieser o. g. erarbeitete Helligkeits­ bereich entspricht dem Begriff der „neuen Helligkeiten“.

2.5  Serotonin Das Hormon Serotonin wirkt hauptsächlich im limbischen System, das die Stelle im Gehirn bezeichnet, die für das emotionelle Gedächtnis verant­ wortlich ist. Es sorgt für allgemeine Stimmungsaufhellung und hat eine an­ triebssteigernde Wirkung. Es hat daher auch den Namen „Glückshormon“ (Gerhard Roth, Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten, 2007). Sero­ tonin ist ein Neurotransmitter (= biochemische Stoffe, welche die Informa­ tionen von einer Nervenzelle zur anderen weitergeben), der im Zentralner­ vensystem, Darm, Herz-Kreislauf-System und im Blut fungiert. Serotonin ist ein Hormon, das den Druck (Tonus) in den Blutgefäßen reguliert (Gerhard 168

Kapitel 2

Abb. 132 Die Abbildung zeigt die Außenhelligkeit des Tagesablaufs (gelb und grau) gegenüber dem typischen Tageslichtanteil in Innenräumen (rot). (Grafik aus dem Buch Melatonin, Russel J. Reiter, Jo Robinson, S. 229)

Roth). Alle Antidepressiva wirken direkt oder indirekt auf den Serotonin­ haushalt. Man weiß, dass einer der Faktoren für die Serotoninproduktion Licht ist. Damit ist im Besonderen Sonnen- und Tageslicht gemeint, doch auch Kunstlicht mit ausreichender Quantität und Qualität (Spektrum) kann diese Wirkung erzielen. Zu wenig Licht und dadurch entstehender Serotonin­ mangel hängen zusammen und sind unbestritten mitverantwortlich für die Entstehung von Depressionen. Aus diesem Grunde kommen bei der Be­ handlung von Depressionen oft Lichttherapien zur Anwendung, um den Lichtmangel auszugleichen. Eine amerikanische Studie von Russel J. Reiter im sonnigen San Diego zeigt, wie wenig Zeit wir tatsächlich im Freien verbringen. Bei der Erhe­ bung stellte sich heraus, dass sich Erwachsene mittleren Alters durchschnitt­ lich ca. 4 % im Freien (außer Haus) und davon noch ca. 50 % im Auto aufhalten. Das bedeutet, dass ca. 96 % der Menschen ihre Zeit im Inneren von Gebäuden/Räumen verbringen. Wenn wir uns nun vor Augen halten, dass die Norm eine Tageslichtmenge (TQ = Tageslichtquotient) in Innen­ räumen von TQ = 1–3 % für erstrebenswert betrachtet, erkennen wir, dass wir uns in einem Bereich der steten Dämmerung bewegen. Wenn wir von der visuellen Leistung ausgehen, reicht diese Tageslichtmenge zwar teil­ weise aus, um sehen zu können, jedoch entspricht sie nicht den Forderun­ gen des nichtvisuellen Systems. Wenn wir uns die nun folgenden angeführten Forschungsergebnisse ansehen und daraus entnehmen, dass für die Serotoninbildung und für die Stabilisierung des zirkadianen Rhythmus eine mittlere Vertikalbeleuch­ tungsstärke von ca. 2.000 lx am Auge vorausgesetzt wird, dann erkennen wir deutlich, dass die derzeit vorherrschenden Lichtmilieus die Anwendung von Lichttherapien notwendig machen. Licht und Gesundheit

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2.6  Darstellung von realen Tageslichtsituationen Eingangs möchte ich noch einmal vor Augen führen, wie paradox die all­ gemein gültigen Beleuchtungsverfahren teilweise aussehen und gehand­ habt werden: Der Begriff „Tageslichtquotient“ (= TQ) bezieht sich auf den genormt bedeckten Himmelszustand, der im zeitlichen Tages- und Jahresverlauf ­variiert. Die empfohlene Tageslichtmenge für Büroräume beträgt TQ ≈ 2 % für Seitenlicht und 4 % für Oberlicht, wobei diese Angaben lediglich auf das Funktionieren des visuellen Systems ausgelegt sind. Laut DIN-Norm hingegen wird ein TQ in der Größenordnung von ca.  1 % als ausreichende Tageslichtmenge in Büroräumen angegeben. Reicht nun diese Tageslichtmenge für die unmittelbaren Tätigkeiten nicht aus, so wird Kunstlicht zugeschaltet. Gut zu erkennen ist das am Beispiel von Ver­waltungsbauten, in welchen trotz des häufig sehr hohen Glas­ anteils untertags fast durchgehend das Kunstlicht zugeschaltet ist. Das bedeutet, dass wir uns in Räumen aufhalten, die nur einen Bruchteil der eigentlichen Tageslichtmenge aufweisen, und wir uns somit vorwiegend im Bereich der Dämmerung bewegen. Die Helligkeit reicht im Grunde zwar für die Sehleistung aus, jedoch kann man nicht von einem tagesbelichteten Raum sprechen. Schon allein die Tatsache, dass Lichttherapien bei Depressionserschei­ nungen mit Erfolg eingesetzt werden, zeigt uns zum einen, dass akuter Tageslichtmangel in Innenräumen herrscht, und zum anderen, wie drin­ gend notwendig es ist, das Licht- und Raummilieu so zu gestalten, dass die Serotoninproduktion auch im Innenraum gewährleistet ist. Die Tages­ lichthelligkeiten, ihre zeitliche Veränderung, ihre Szenerien und die Art der Übertragung auf den Innenraum (z. B. Fensteröffnungen mit Tageslichtsys­ temen) nehmen großen Einfluss auf das Licht- und Raummilieu und auch auf das Wohlbefinden und die Gesundheit.

Abb. 133 Darstellung der Außenbeleuchtungsstärke bei bedecktem Himmel (geogr. Ort Innsbruck) in Abhängigkeit des täg­ lichen Jahresablaufs (links) und Darstellung der Außen­ beleuchtung (lx) bei klarem Himmel mit Sonnenschein (rechts). Berechnung nach DIN 5034.

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Kapitel 2

Wie wir aus den Diagrammen der Abbildungsreihe 133 ­entnehmen kön­ nen, ist Tageslicht in ausreichender Fülle vorhanden, wir sind biologisch daran angepasst, und es steht uns kostenlos zur Verfügung. Nun wird es dringend notwendig, es in ausreichendem Maße und zur richtigen Zeit in unsere Räume zu bringen. Und hier sind wir Lichtgestalter ­gefragt! Es sollte unser Ziel sein, dafür zu sorgen, dass das Tages- und Kunstlicht­ niveau im Innenraum eine so hohe Qualität und Quantität ­erreicht, dass das Licht- und Raummilieu auf die Serotoninproduktion abgestimmt ist und eine eventuelle Lichttherapie dadurch gar nicht erst notwendig wird. Es stellt sich nun die Frage, welche Kriterien wir ansetzen und wie diese beschaffen sein müssen, um allen Forderungen für die Unterstützung der Serotoninproduktion im Inneren zu entsprechen. Diese sind wie folgt: • Lichtmenge, • Dauer der Lichtwirkung, • spektrale Zusammensetzung und • visuelle stabile Wahrnehmungsbedingung bezogen auf die visuelle Leistung.

2.7 Lichttherapie Die folgenden Angaben sind Erfahrungswerte und Schätzungen, die in der Literatur zum Thema Lichttherapie zu finden sind und bei welchen ein Erfolg hinsichtlich der Verminderung von Depression zu verbuchen ist und damit empfohlen wird: • 2.500 lx am Auge über eine Zeitspanne von zwei Stunden; • 5.000 lx am Auge über eine Zeitspanne von einer Stunde; • 10.000 lx am Auge über eine Zeitspanne von einer halben Stunde. Beleuchtungsstärkewerte unter 1.250 lx regen die Serotoninproduktion gar nicht erst an. Die allgemein verwendeten Geräte bei einer Lichttherapie sind meist kleinflächig und an einer Stelle im Raum fixiert.

Abb. 134 Das Beispiel zeigt die klassische Situation und visuelle Ausrichtung an einem Licht-Therapie­ gerät. Es wird empfohlen, 2.500 lx für eine Zeitspanne von zwei Stunden zu fixieren. Das ­Gesichtsfeld wird nur zum Teil erfasst. ­Dadurch wird die Wirksamkeit eingeschränkt.

Licht und Gesundheit

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Abb. 135 Klassische handelsübliche klein­ flächige Lichttherapiegeräte, die hohe Eigenleuchtdichten aufwei­ sen müssen, um die Serotoninpro­ duktion zu unterstützen. Die diese Systeme begleitenden Folgen sind Blendung und Ablenkung.

Abb. 136 Die Grafik zeigt die Vergrößerung des Raumwinkels gegen­ über Abb. 134. Durch das Einbeziehen des Innenraums in das Gesichtsfeld (LUm) wird eine Anhebung der vertikalen Beleuchtungsstärke am Auge erreicht. Damit „therapiert“ die Raumbeleuchtung.

Abb. 137 Versuchsaufbau für die im Folgen­ den beschriebene Forschungs­ arbeit. Mit dem Raumwinkel von ω = 1,26 × π entspricht diese Licht­ kabine dem Prinzip des Referenz­ raums B in Kapitel 1.3, Abb. 30.

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Kapitel 2

Abb. 138 In dieser Abbildung ist der Zusammenhang zwischen Raum­winkel – ­bezogen auf das ­Gesichtsfeld – und benötigter Leuchtdichte eines Thera­piegeräts entsprechend den Abbildungen 136 und 137 zu erkennen. Die ­notwendige mittlere Umgebungsleuchtdichte ist vom Raum­winkel, von der Zeitspanne und der Beleuchtungsstärke abhängig. Es zeigt sich, dass bei einem Raumwinkel von ω = π–2π der Leucht­ dichtebereich auf ca. 600 bis 800 cd/m² (LUm) reduziert werden kann. Damit wird es möglich, den beleuchteten Innenraum als Therapiegerät zu sehen.

Gestaltet man das Licht- und Raummilieu nun ganzheitlich, indem man den möglichst gesamten Raumwinkel auf das Blickfeld erweitert, dann kann die notwendige mittlere Umgebungsleuchtdichte bei der geforder­ ten vertikalen Beleuchtungsstärke am Auge erheblich reduziert werden (Abb. 139). Gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum LICHT, der UMIT Hall (Prof. Wolf­ gang Schobersberger) und der Bartenbach GmbH haben wir eine Studie (P 131) zu diesem Thema durchgeführt und dabei erkannt, dass bei Thera­ piekabinen, welche den Raumwinkel ω = 1,26 × π umfassen, keine Neben­ wirkungen wie z. B. Kopfschmerzen auftreten. Auch kann die notwendige Helligkeit gegenüber den handelsüblichen kleinflächigen Therapiegeräten reduziert werden, welche sehr hohe Leuchtdichten benötigen. Im Vergleich zu einem herkömmlichen Therapiegerät mit Leuchtdichten bis zu 10.000 cd/m² ergibt sich bei einem Raumwinkel von ω = 1,26 × π eine mittlere Umgebungsleuchtdichte von LUm ≈ 600–800 cd/m² über eine Zeit­ dauer von zwei bis drei Stunden. Wie bereits erwähnt, gibt es bei einer sogenannten Lichtkabine keine Probleme mit Nebenwirkungen, da der Mittelwert, der sich auf die Ge­ sichtsfeldleuchtdichte bezieht (Umgebungsleuchtdichte = 600–800 cd/m² bei zwei bis drei Stunden Adaptationsleuchtdichte), die Grundlage der Licht und Gesundheit

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stabilen visuellen Wahrnehmung ist. Eine Anpassung an den Leuchtdichte­ bereich des Gesamtraums ist möglich. Die Dauer von durchschnittlich zwei bis drei Stunden ist leicht realisierbar, da der Aufenthalt in den Räumen durch die Arbeitszeiten vorgegeben ist, die meist um ein Vielfaches höher sind. Diese angeführten Werte sind als Vorgabe an die Lichtplanung jedoch noch zu allgemein, da daraus nicht ersichtlich ist, ob es sich um horizon­ tale oder vertikale Beleuchtungsstärken handelt bzw. wie sie im Gesichts­ feld verteilt sind. Angewandt auf einen Innenraum ist das von großer Be­ deutung, da die Serotoninproduktion durch Licht wesentlich von der mitt­ leren Umgebungsleuchtdichte des Raums abhängt. Diese ist die vertikale Beleuchtungsstärke am Auge EVA und für das „beidäugige“ Gesichtsfeld von Bedeutung. Ich möchte hier noch einmal deutlich auf unser Ziel hinweisen, das Licht in unseren visuellen Räumen so zu gestalten, dass seine Wirkung den zir­ kadianen Rhythmus erhält, das visuelle System miteinbezieht und mit dem nichtvisuellen System synchronisiert. Das Tageslicht mit seiner Intensität, sei­ ner spektralen Zusammensetzung und seiner zeitlichen Veränderung ist die Voraussetzung dafür. Ein Planungsvorgang erfordert genaue Vorgaben an die Leuchtdichte­ werte, da diese die Lichtmenge und ihre Verteilung im Raum wesentlich beeinflussen und die Positionen und Geometrien von Tageslichtöffnungen bestimmen. Sie nehmen damit eine dominante Position bei der Raumge­ staltung ein und bestimmen den Energiebedarf. Zu diesem Thema haben wir gemeinsam mit der Medizinischen Universität Innsbruck (Prof. Hartmann Hinterhuber) einen Forschungsauftrag durchge­ führt, der vom Kompetenzzentrum LICHT beauftragt wurde. Die hypothetische Annahme dafür war: Wenn Helligkeit die Serotonin­ produktion unterstützt bzw. unter Einbeziehung des Spektrums und der Wirkungsdauer des Lichtes ermöglicht, dann geht das mit der Erhaltung des zirkadianen Rhythmus konform. Drei Studienabläufe wurden durchgeführt. Allen dreien waren die Be­ reiche der zu testenden Leuchtdichtespannen (LUm) gemeinsam: 1. Versuchsreihe: 80–1.500 cd/m² 2. Versuchsreihe: 33–130–1.462 cd/m² 3. Versuchsreihe: 11–274–770 cd/m²

Vorgehensweise Es wurde eine Tryptophan-Depletion (TD) durchgeführt; das ist eine etab­ lierte Methode, um das serotonerge System und die Stimmung zu beein­ flussen. Zweck der Studie war es, die Wirkung der TD unter verschiedenen Lichtverhältnissen durch serotoninassoziierte Plasmaspiegel und eine visu­ elle Analogskala (vAS) zu untersuchen. Es wurde an gesunden Frauen getestet, wofür 215 Studentinnen an der Medizinischen Fakultät Innsbruck rekrutiert wurden. Das Ergebnis dieser Studien für die Serotoninsteigerung ist in Abb. 140 dargestellt. Die Ergebnisse der Studien zeigten uns, dass das Umgebungslicht (= mitt­ lere Umgebungs- bzw. Gesichtsfeldleuchtdichte) von LUm > 130 cd/m² einen erheblichen Einfluss auf das zerebrale serotonerge System hat. Außerdem weisen die Ergebnisse in Abb. 140 darauf hin, dass helles Um­ gebungslicht einen positiven Einfluss auf die Stimmung haben kann, selbst wenn die Helligkeiten unter den Empfehlungen für übliche Lichttherapien 174

Kapitel 2

Abb. 139 Versuchsanordnung der 1., 2. und 3. Versuchsreihe. In dieser ­An­ordnung/Sitzposition umfasst das Gesichtsfeld einen Raumwinkel von ω ≈ 1,26 × π. Beim visuellen Wahrnehmungsvorgang stellt sich die ­Gesichtsfeldleuchtdichte (Umgebungsleuchtdichte) auf einen ­Mittelwert ein.

Abb. 140 Versuchsreihe 1. Das Ergebnis nach einer fünfstündigen (8:00–13:00 Uhr) Tryptophan-Diät der Versuchspersonen mit anschließender Lichteinwirkung ergab, dass der Serotonin­ anstieg schon bei LUm = 130 cd/m² beginnt. Es wurde die Tryptophan-Diät bei beiden Versuchspersonen (VP) über fünf Stunden durchgeführt (8:00–13:00 Uhr) und dann ab 13:00 Uhr die VP mit zwei Lichtintensitäten (2.645 lx und 277 lx) beleuchtet, und dies führte zum Serotoninanstieg.

Licht und Gesundheit

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Abb. 141 Diese Versuchsreihe bestätigt die Ergebnisse von Versuchsreihe 2, und sie wurde mit einem Leuchtdichtebereich von LU ≈ 270–770 cd/m² gegenüber Versuchsreihe 2 differenziert.

Abb. 142 Das Ergebnis der HRV bei Versuchsreihe 2 zeigt, dass höhere Farborte am Auge und eine Umgebungsleuchtdichte im Bereich von > 60–100 cd/m² mehr Entspannung bringen.

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Kapitel 2

(2.500 lx / 10.000 lx) liegen. Außerdem zeigte sich, dass bei hellem Licht die Verbesserung von Dysthymie (zirkadiane Rhythmusstörung) nach einer Tryptophan-Diät nicht nur wirksamer ist als gedämpftes Licht (80 cd/m²), sondern auch für andere emotionale und kognitive Funktionen positive Auswirkungen hat. Wesentlich dafür ist jedoch, dass die mittlere Umge­ bungsleuchtdichte einen Raumwinkelbereich von mindestens ω ≈ 1,26 × π umfasst, also räumliche Dimensionen aufweist (Abb. 139). Aus den Ergebnissen in den Abbildungen 140 und 141 geht hervor, dass schon bei einer Umgebungsleuchtdichte von ca. 130 cd/m² ein Sero­to­nin­ anstieg erfolgt. Das Ergebnis der Studie 2 zeigt, dass bei LUm ≈ 270 cd/m² ein signifikanter Anstieg der Serotoninproduktion erfolgt. Das ­bedeutet, dass bei bereits geringeren allgemein empfohlenen Umgebungs­leucht­ dichten Serotoninproduktion entsteht. Wenn wir nun berücksichtigen, dass die Aufenthaltsdauer in Innenräumen durchschnittlich drei bis vier Stunden beträgt und der Tageslichtrhythmus unterschiedliche Helligkeits­ intensitäten, Verteilungen und Erscheinungsbilder erzeugt, so ist es sehr wohl ­machbar, zu Tages- und Jahresspitzenzeiten ausreichende Hellig­ keitswerte zu erhalten, welche die Serotoninproduktion unterstützen bzw. verur­sachen. Diese Ergebnisse sind signifikant und lassen zusammenfassend den Schluss zu, dass die zu vermittelnden Helligkeitsbereiche LUm ≈ 130–1.500 cd/m² über die Zeitdauer von über zwei Stunden in Innenräumen nicht nur die Serotoninproduktion ermöglichen und unterstützen, sondern auch die Voraus­ setzung für die Erhaltung der zirkadianen Rhythmen liefern. Sie wirken sich damit auch auf das autonome Nervensystem sowie auf die Stimmungslage, das Wohlbefinden und die Gesundheit aus. Bei der Tageslichtplanung ist es demnach sinnvoll, dass sich die Leucht­ dichtebereiche, die sich mit der Außenhelligkeit verändern, im Bereich des Theoretischen Leuchtdichtemodells befinden und dadurch das visuelle und das nichtvisuelle System synchronisieren. Die Serotoninproduktion beginnt bereits morgens, und so ist es wichtig, diese auch früh am Tage zu ermög­ lichen und im Planungsvorgang zu berücksichtigen. Erfahrungsgemäß hält der Serotoninspiegel dann während des Tages an, und die Voraussetzung für die anschließende Melatoninproduktion ist gegeben. Auf Basis einiger typischer tagesbelichteter Raummilieus werden in der Abbildungsreihe 143–146 synchronisierende Wirkungen zwischen dem vi­ suellen und nichtvisuellen System diskutiert. Abb. 143 zeigt ein typisches mit Tageslicht seitenbelichtetes Büro, bei welchem die zur Synchronisation notwendigen Werte zwar im Infeld auf­ treten, jedoch wird die Gesichtsfeldleuchtdichte durch den Außenraum gebildet. Es handelt sich um einen nach außen hin orientierten Raum, der durch die hohe Fensterhelligkeit (siehe tertiäres Umfeld, Kapitel 4.2.3) und die äußere Ablenkung keine Synchronisation ermöglicht. Die LeuchtdichteObergrenze für das visuelle System wird bei Weitem überschritten. Abb. 144 zeigt ein Raummilieu, das die notwendigen Helligkeiten in Fensternähe erreicht und damit die Serotoninproduktion und den zirka­ dianen Rhythmus ermöglicht und unterstützt. Die visuelle Leistung hingegen wird durch die labilen visuellen Wahrnehmungsabläufe, die physiologi­ sche Blendung und Ablenkung verringert. Der Raum ist ähnlich dem in Abb. 143. Die Anlage in Abb. 145 wird durch ein Tageslichtsystem mit einer 30°-Umlenklamelle als Doppelbehang (= Umlenkung und Sonnenschutz) optimiert. Eine Synchronisation ist möglich, jedoch brauchen die Infeld­ helligkeiten – besonders an Tagen mit bedecktem Himmel in der Raumtiefe des Großraumbüros – eine Unterstützung durch Zuschaltung von Kunst­ Licht und Gesundheit

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Abb. 143 Der Raum ist nach außen orien­ tiert, und im Außen ist Freiraum (entspricht der jeweiligen Tages­ licht-Außenhelligkeit).

3000–10.000

Abb. 144 Dieser Raum ist ebenfalls nach außen orientiert, wobei das Außen ein Innenhof darstellt.

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Kapitel 2

Abb. 145 Lichtumlenkung, Sonnen- und Blendschutz mit 30°-Umlenk­ lamelle als Doppelbehang.

Abb. 146 Lichtumlenkung, Sonnen- und Blendschutz mit 30°-Umlenk­ lamelle als Doppelbehang.

licht. Der zirkadiane Rhythmus ist ebenfalls wirksam. Dasselbe gilt für den Raum in Abb. 146, in dem die Lichtmenge durch die Tageslicht-/Sonnen­ nutzung erhöht wird und damit die Serotoninproduktion unterstützt. Zusammenfassend können wir feststellen, dass es bei allgemein üb­li­ chen seitenbelichteten Gebäudestrukturen schwierig ist, die Zielsetzung der Synchronisierung des visuellen und des nichtvisuellen Systems ohne ergänzende Tageslicht-Systemtechnik zu erreichen.

Licht und Gesundheit

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2.8 Melatonin Das Melatonin ist ein Stoffwechselprodukt des Serotonins. Man bezeich­ net es auch als das Schlafhormon, und es wird vorwiegend in der Zirbel­ drüse produziert. Die Produktion und die Ausschüttung des Melatonins werden unter an­ derem durch Licht beeinflusst. Als Stoffwechselhormon wird das Melatonin nachts produziert. Es unterstützt das Einschlafen und reguliert die Körper­ funktionen in der Schlafphase. Auf die Netzhaut auftreffendes helles Licht mit Vollspektrum löst ein Signal aus, das die Ausschüttung von Melatonin hemmt. Melatoninmangel verursacht Schlafstörungen, schwächt das Im­ munsystem und reduziert die Regeneration in der Nacht. In einer amerikanischen Großstudie mit einer enorm hohen Anzahl von Krankenschwestern im Nachtdienst (die beinahe ausschließlich bei Kunst­ licht arbeiteten) wurde festgestellt, dass die Darm- und Brustkrebserkran­ kungen um ca. 35 % zunahmen, was auf die reduzierte Melatoninproduk­ tion zurückgeführt wurde. Die positive Wirkung von Melatonin ist: • Es fängt freie Radikale und schützt damit vor Krebs, • es schützt vor Alzheimer, • es ist eine Vorbeugung gegen Schlaganfall und Herzinfarkt (Blutgerinn­ sel werden vermindert), • es dient der Aktivierung des Immunsystems, • es aktiviert das Fortpflanzungssystem, • es fördert die Regeneration des Körpers im Schlaf, und • es fungiert als Antioxidans. Die maximale Sekretion von Melatonin erfolgt zwischen dem ersten und dem dreizehnten Lebensalter. Bis zum Erwachsenenalter nimmt die Mela­ toninproduktion in der Zirbeldrüse um ca. 80 % ab. Melatonin wird daher oft auch als Jugendhormon oder Wachstumshormon bezeichnet. Die Wis­ senschaft der Altersforschung vermutet, dass dieses Hormon die biologi­ sche Alterung verzögert und somit lebensverlängernd wirkt (Abb. 147).

Abb. 147 Melatoninproduktion in Abhängig­keit vom Alter. (Quelle: ­Russel J. Reiter, Jo ­Robinson, ­Melatonin)

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Kapitel 2

In den lichtarmen Monaten baut der Körper das überschüssige Melatonin tagsüber nicht immer ausreichend ab (Tageslichtmangel in den Innenräu­ men), was zu einer Störung des Schlaf-wach-Rhythmus führen kann. Bei hohen Helligkeiten zeigt sich eine abrupte Unterdrückung der Melatonin­ produktion. Diese Unterdrückung am Tage ist wie oben angegeben wich­ tig, da laut Forschung ansonsten zu viel oder zu lange ausgeschüttetes Melatonin untertags vorhanden wäre, was die Serotoninproduktion und die Stabilität des zirkadianen Rhythmus negativ beeinflusst. Es zeigt sich auch, dass am Tage ausreichend Serotonin vorhanden sein soll, da es wie bereits erwähnt auch eine wesentliche Komponente für die Melatoninproduktion ist. Wir erkennen hier wieder deutlich, dass der zirkadiane Rhythmus eine der Voraussetzungen für den Funktionsablauf des nichtvisuellen Systems ist. Unsere Verbindung zum Hell-dunkel-Zyklus geschieht über die Augen, welche den sensorischen Eingang zu den Nervenbahnen der Netzhaut darstellen und über diese zur Zirbeldrüse. Diese ist nicht nur der Produzent des Melatonins, sondern auch der Vermittler zwischen der zirkadianen Rhythmik und den endokrinen Funktionen, welche die Hormone in Blut und Organismus absondern. Beinahe alle Körperzellen werden über den Mela­toninspiegel im Blut darüber informiert, wann der Tag zu Ende geht und wann er am Morgen wieder beginnt. Das Melatonin steuert und be­ einflusst auch unsere biologische Uhr und ist eine der wesentlichen Vor­ aussetzungen unseres zirkadianen Rhythmus und damit verbunden unserer Gesundheit und unseres Wohlbefindens. Um diese Betrachtungen für die Handhabung und Umsetzung des nichtvisuellen Systems in Planungsvorgänge einzubauen, stellt sich eine Reihe weiterer Fragen, welche Forschungs- und Entwicklungsaufgaben notwendig machten.

2.9  Lichtwirkung und Melatoninproduktion Wie der Zeitablauf in Abb. 148 zeigt, baut sich die Melatoninproduktion in der Nacht auf und reduziert sich zu den Morgenstunden hin. Durch das

Abb. 148 Der 24-Stunden-Zyklus der Melatonin-Produktion. Tagsüber ist der Melatoninspiegel sehr niedrig; nachts kann er fünf- bis zehnmal höher sein. (Man beachte, dass die Mengenangaben in Pikogramm erfolgen, also in billionstel Gramm pro Milliliter.) (Quelle: Russel J. Reiter, Jo Robinson, Melatonin)

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Auftreten von Licht – vor allem mit Vollspektrum (Tageslicht) – reduziert sich die Melatoninproduktion. Da wir im Laufe unserer Entwicklung inzwischen die Nacht zum Tage gemacht haben, wurde dieser evolutive Vorgang ver­ ändert. Die Wirkung des Lichts auf die Melatoninproduktion hängt von seiner Intensität, seiner Verteilung im Innenraum und seiner mittleren vertikalen Beleuchtungsstärke am Auge ab. Im Wesentlichen also von der spektra­ len Zusammensetzung des Lichts, das am Auge ankommt, sowie von den tages- und jahreszeitlich schwankenden Lichtintensitäten und Spektren, die über unsere Augen ins Gehirn gelangen und dort verarbeitet werden.

Abb. 149 Melatonin-Unterdrückungskurve. Die zirkadiane Empfindlichkeitskurve ist die Grundlage für die Melatoninerhaltung- bzw. Melatoninproduktion.

Abb. 150 Spektraler Bereich für die Erhaltung der Melatonin-­Produktion. Vorgabe an die ­spektralen Bereiche von Leuchtmitteln, durch welche die Melato­ ninproduktion erhalten werden kann. Diese Darstellung entspricht dem Verständnis zur Realität, da es darum geht, die Melatoninproduktion in der Nacht bei Anwendung von Kunstlicht zu erhalten. 182

Kapitel 2

In Abb. 149 sind die Empfindlichkeitskurven der photopischen, sko­topischen und zirkadianen Abläufe dargestellt und in Abb. 150 die Melatonin-Erhal­ tungsfunktion. Aus Abb. 151 geht hervor, dass in einem Raum aufgrund der Mehrfachreflexion und des Fließgleichgewichts die wirksame spekt­ rale Verteilung (die dem Farbort zugeordnet ist) aus dem Spektrum der Lichtquelle und den Reflexionseigenschaften (Indikatrix) der Materialien entsteht. Anhand des aktuellen Wissensstandes über das Melatonin entstand eine Forschungsarbeit zum Thema Nachtarbeit zwischen dem Kompetenz­ zentrum LICHT, der Bartenbach GmbH und der UMIT Hall. Ziel war es, die spektralen Verläufe zu eruieren, die bei ausreichender Helligkeit wäh­ rend der Nacht für eine ungestörte visuelle Leistung sorgen und dabei die Mela­toninproduktion aufrechterhalten. Mit diesen Voraussetzungen wurden zwei Versuchsräume gestaltet: Ver­ suchsraum 1 (= V1) wurde mit sogenanntem Melatoninlicht und Versuchs­ raum 2 (= V2) mit weißem Licht beleuchtet. Beide Räume haben außer ihren differenzierten Spektren dieselben lichttechnischen Kennziffern, die­ selbe Ausstattung und dieselben visuellen Tätigkeiten. Die angewandten Farborte am Auge sind in Abb. 151 und 152 dar­ gestellt und die empfohlenen Spektren und deren Bereiche beispielhaft in Abb. 154.

Abb. 151 Versuchsraum 1 zeigt den Test­ vorgang mit dem Spektrum des sog. „Melatoninlichts“ (LED, TK 2.500 K) und dem begleiten­ den Licht- und Raummilieu.

Abb. 152 Versuchsraum 2 zeigt den Testvor­ gang mit „normalem Licht“ (weiße Leuchtstofflampe, TK 6.300 K) und dem begleitenden Licht- und Raummilieu.

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Diese umfangreiche Forschungsarbeit wurde nachts durchgeführt. Das Ergebnis zeigt uns, dass trotz der hohen Lichtintensität von EV = 800 lx und LUm = 310 cd/m² im Versuchsraum 1 mit sogenanntem Melatoninlicht die Melatoninproduktion signifikant erhalten blieb. Im Versuchsraum  2 mit dem weißen Licht der Leuchtstofflampe und einer Farbtemperatur von 6.300 K hingegen reduzierte sich die Melatoninproduktion (Abb. 153). Der Bereich der spektralen Verteilungen, welche die Melatoninproduktion erhalten, ist in Abb. 154 dargestellt. In einer simulierten Nachtschicht wurden Leistungstests (visuelles System) durchgeführt. Es zeigten sich weder in der visuellen Wahrnehmungsleis­ tung noch in der kognitiven Informationsverarbeitung und der motorischen Antwortorganisation signifikante Unterschiede zwischen dem Melatonin­ licht und dem weißen Licht mit Vollspektrum. Anhand der im Anschluss ermittelten Blutwerte konnte jedoch eine Melatonin-Unterdrückung bei weißem Licht festgestellt werden. Der spektrale Verlauf eines Leuchtmittels, das dem Melatoninlicht ent­ spricht, lässt sich tendenziell aus der sogenannten Melatonin-Unterdrü­ ckungskurve in Abb. 150–154 bzw. der Melatonin-Erhaltung ermitteln. Daraus geht hervor, dass die Melatoninproduktion bei entsprechenden spektralen Verläufen im Farbort am Auge weiter stattfindet, was auch in Diagramm Abb. 154 dargestellt ist. Es ergibt sich nun auf Basis der Ergebnisse für konzeptionelle Planungs­ vorgänge die Empfehlung, dass • objektiv die Aufrechterhaltung der Melatoninproduktion im Intensitäts­ bereich von LI = 80–300 cd/m² und LU = 15–75 cd/m² möglich ist;

Abb. 153 Die Grafik stellt das Ergebnis der o. g. Testreihe dar und zeigt die signifikante Reduktion des Melatoninspiegels bei Normallicht in der wirksamen Zeit von 22:00 bis 06:00 Uhr (Ziffer 1 + 2) gegenüber dem Testlicht (Ziffer 3 + 4). Normallicht – erste Nacht 22:00 Uhr Normallicht – zweite Nacht 06:00 Uhr Testlicht – erste Nacht 22:00 Uhr Testlicht – zweite Nacht 06:00 Uhr „S“ Signifikant

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Kapitel 2

• objektiv die spektralen Zusammenhänge ermittelt werden können, die durch das Tageslicht, die Tageslichtergänzungsbeleuchtung und den Übergang zum Kunstlicht zum Nacht- bzw. Melatoninlicht führen; • objektiv die bei der Planung infrage kommenden visuellen Verhaltens­ formen zu analysieren sind; • objektiv die Leuchtdichteverhältnisse mit ihren lichttechnischen Kennzif­ fern zu ordnen sind und die auftretenden spektralen Verläufe im zirka­ dia­ nen Rhythmus im Laufe des Tages und bei den Übergängen zu prü­fen sind und dann das unter diesem Vorgang zugeordnete Mela­ toninlicht ganzheitlich auf seine Produktionsfähigkeit zu überprüfen ist und für die Nachtsituation auf alle Tätigkeits- und Aufenthaltsbereiche auszulegen sind; • subjektiv die Akzeptanz solcher Licht- und Raummilieus zu untersuchen ist, da Melatoninlicht-Spektren aufgrund des geringen Blauanteils und niedrigen Farborts ungewohnte Licht- und Raummilieus erzeugen kön­ nen. Daher sind die zeitlichen und auch spektralen Übergänge für das Akzeptanzverhalten (Erscheinungsbild) dominant.

2.10  Ermittlung von melatoninerhaltenden Spektren Als theoretischer Ausgangswert, um die Melatonin-Erhaltungskurve zu konzipieren, dient die Melatonin-Unterdrückungskurve. Aus Abb. 154 geht ­hervor, dass sich ein großer Bereich von ca. 2.000 bis 2.500 K ergibt, der keine Melatoninreduktion erwarten lässt. Die Spektren in Versuchsraum 1 zeigen bereits, dass auch bei hohen Intensitäten von EV = 800  lx und LU = 310 cd/m² die Melatoninproduktion vorhanden bleibt (Abb. 153).

Abb. 154 Spektrale Melatonin-Erhaltungsfunktion. Man sieht die unterschiedlichen spektralen Verläufe der Farbtemperatur am Auge, die in einem Bereich liegen, der die Melatoninproduktion und die Vorgaben des visuellen Systems ­ermöglicht.

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Der Einsatz von Melatoninlicht betrifft im Allgemeinen vorwiegend Be­ reiche, wo auch während der Nacht gearbeitet werden muss. Das setzt selbstverständlich auch zu diesem Zeitpunkt hohe visuelle Leistungen voraus, was wiederum einer einwandfreien Lichtplanung bedarf. Und ­ auch hier muss wieder die Möglichkeit für Entspannung und Wohlbefinden miteinbezogen werden. Entsprechend dem biologischen Ablauf sollte der Mensch in der Nacht schlafen und sich dabei regenerieren. In unserer Gesellschaft ist das nicht mehr in diesem Umfang möglich, und wörtlich wird die Nacht zum Tag gemacht. Das bedeutet, dass für alle Tätigkeiten während der Nachtzeit Kunstlicht eingesetzt werden muss (Melatoninlicht). In der Geschichte der Menschheit wurde das bis zum 19. Jahrhundert in Form von Feuer erreicht und ab der Erfindung des elektrischen Lichts mittels unterschiedlichster künstlicher Lichtquellen. Licht in der Nacht ist eine vom Menschen geschaf­ fene Künstlichkeit. Es ist zu vergleichen mit einem Werkzeug, das im Laufe der Zeit verändert und verbessert wurde – also Licht als Werkzeug. Das Feuer (Feuerlicht) als die älteste Lichtquelle wird begleitet von Erscheinun­ gen wie Wärme, Behaglichkeit, Nähe und Wohlbefinden. Dieses künstlich erzeugte Nachtlicht hemmt zwar nicht die Melatonin­ produktion, wie wir wissen, doch wäre es sinnvoll, bei solch niedrigen Farbtemperaturen die damit gewohnten und verbundenen o. g. Erschei­ nungsbilder anzustreben.

2.11  Anwendungsmöglichkeiten Das Nachtlicht, dessen Spektralbereich sich innerhalb der Melatonin-Er­ haltungskurve befinden sollte, weist ein kontinuierliches Spektrum und eine bevorzugte Farbtemperatur von ca. 2.000 bis 2.500 K auf. Aus den Er­ gebnissen der beschriebenen Studie kann man entnehmen, dass bei die­ sen Farbtemperaturen und geeigneten spektralen Verläufen ein Licht- und Raummilieu entsteht, das objektiv (nachhaltig), aber auch subjektiv ange­ nommen wird. Der Wechsel vom Tag- zum Nachtlicht ist unproblematisch, wenn er nicht abrupt vorgenommen wird. Die Studie in Kapitel 1.6 zeigt uns, dass Raumoberflächen mit der Refe­ renzfarbe Weiß objektiv bei Farbtemperaturen von 3.000, 4.000 und 6.500 K keine signifikanten HRV-Differenzen aufweisen. Subjektiv hinge­ gen wurden dem Versuchsraum mit 3.000 K mehr angenehme Eigenschaf­ ten zugeordnet. Dies geht auch aus der Befragung der Versuchspersonen beim Melatoninlicht aus den Studien für Nachtschichtarbeit hervor. Diese Studie unterstützt die Erfahrung, dass Lichtmilieus in der Nacht mit niedri­ gen Farbtemperaturen besser akzeptiert und vermehrt gewünscht wurden. Für die Umsetzung in der Realität wird damit deutlich, dass die jeweiligen Tätigkeiten und Nutzungen den entsprechend notwendigen optimierten visuellen Leistungen zugeordnet werden können. Es ist bei der Konzeption von Nachtlicht (Melatoninlicht) daher wesentlich, den spektral kritischen Bereich mit den Wellenlängen von 450 bis 550 nm so zu gestalten, dass auch bei Intensitäten von Lmax = 250 cd/m² die Melatoninproduktion er­ halten bleibt. Zusätzlich sind die Infeldbereiche nicht nur in ihrer Intensität angepasst, sondern auch räumlich zoniert und damit entsprechend differenziert. Der Infeldbereich beträgt max. 20° des Gesichtsfeldes in der Fovea, was ca. 2–3 % des gesamten Gesichtsfeldes betrifft. Dominant für die Bildung der Unterschiedsempfindlichkeit und für die gerichtete Aufmerksamkeit ist allerdings die mittlere Umfeldleuchtdichte, die den Großteil des Gesichts­ feldes umfasst und damit maßgebend für die Gestaltung des Licht- und 186

Kapitel 2

Raummilieus ist. Der Zusammenhang zwischen Umfeldleuchtdichte, Farb­ temperatur, Textur, Farbe, Form und Art der Lichtquelle bzw. des Lichtsys­ tems unter Einbeziehung des Raums ist als Ganzes aufzufassen. Das be­ deutet auch, dass es für die Entwicklung eines Leuchtensystems notwendig ist, die spektralen Möglichkeiten so zu konzipieren, um dem in Abb. 154 dargestellten spektralen Verlauf zu entsprechen. Während bei derartigen Konzepten mit Nachtlicht die visuelle Leistung und die gerichtete Aufmerksamkeit weitgehend erhalten bleiben, wird das Erscheinungsbild des Raums verändert. Speziell bei weißen Raumoberflä­ chen kommt es meist aufgrund der chromatischen Anpassung mit der Zeit zu einer Gewöhnung und zur Akzeptanz. Solche Anpassungsvorgänge müssen optimiert werden, da sie viele Möglichkeiten zulassen. Es wird daher notwendig, diesen spektralen Be­ reich durch psychologische Experimente auf objektiver (HRV) und subjekti­ ver Basis (semantisches Differential) zu ermitteln. Empfohlene Systemkonzeptionen sind: • direkt strahlende Systeme auf Reflektorbasis und mit Optiken regelbar, mit einem Strahlungswinkel von 2 × 30° und außerhalb des Strahlungs­ kegels auftretenden Systemleuchtdichten (Lmax = 80 cd/m²), • mit einem Grundspektrum für Melatoninerhaltung ausgestattet, • Wallwasher auf LED-Basis mit • direkter Wandanstrahlung in zonalen Bereichen, • bestimmbarer additiver Überlagerung für unterschiedliche Raum­ größen, • regelbaren Intensitäten, • einer Eigenleuchtdichte außerhalb des Strahlungskegels (LU = 40–80 cd/m²), • einem Grundspektrum für die Melatoninerhaltung, • einer Veränderung des Blauanteils, • einer spektralen Anpassung an die Materialoberflächen und • einer Regelung. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Licht im Allgemeinen die nächtliche Melatoninproduktion hemmt, jedoch diese bei optimalem Licht­ spektrum nicht beeinträchtigt wird und dabei die visuellen Ansprüche wie visuelle Leistung (UE = gerichtete Aufmerksamkeit), Wohlbefinden und ge­ sundheitliche Aspekte (HRV) und Akzeptanz des dadurch entstehenden Raummilieus für den visuellen Tätigkeits- und Aufenthaltsbereich zufrieden­ stellend löst. Betrachten wir den wirtschaftlichen Trend in unserer Gesellschaft und die immense Bedeutung des Melatonins für unsere Gesundheit, so können wir daraus ableiten, dass die Dringlichkeit, die Melatoninproduktion in der Nacht zu erhalten, steigen wird. Damit meine ich, dass künstliches Licht für die Nachtstunden als „Melatonin-erhaltendes Licht“ ganzheitlich zum Einsatz kommen wird. Die Tätigkeiten in der Nacht sind vielschichtig, und so sind die Optimierung der visuellen Leistung und die Erhaltung der ge­ richteten Aufmerksamkeit ebenfalls von großer Bedeutung. Es sollte daher also unser Ziel sein, Melatoninlicht zu schaffen, dessen spektrale Verteilung die Melatoninproduktion bei Nacht erhält und die notwendigen Infeldleuchtdichtebereiche von 80 bis 300 cd/m² und Um­ feldleuchtdichtebereiche von 15 bis 80 cd/m² zulässt.

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3

Kapitel 3 Der visuelle Raum

3.1 Allgemeines Ein visueller Raum wird durch die Oberflächen, die ihn begrenzen, defi­ niert und wahrnehmbar. Beim Erfassen und Erkennen eines Raums sind im Besonderen die visuellen Wahrnehmungsvorgänge beteiligt. Wichtig für die Gedächtnisspeicherung – also für das Entstehen einer Erinnerung und deren Abruf – ist das reale physische Umfeld bei der Informations­ aufnahme, also z. B. der Raum und seine Inhalte mit deren Bedeutung. Während des visuellen Wahrnehmungsvorgangs soll hinsichtlich der Auf­ merksamkeit keine Ablenkung erfolgen, sodass der Erinnerungsgehalt beim erneuten Abrufen nicht reduziert oder gar verhindert wird. Am deut­ lichsten sind Situationen bei visuellen Eindrücken, sagt der amerikanische Gedächtnisforscher Daniel L. Schacter über den Abruf der Erinnerung. Auf dieser Grundlage können die Leuchtdichtevorgaben für den visuellen

Abb. 155 Die Grafik stellt für das visuelle System die Bedeutung im Ablauf desselben dar und be­ gleitend den Vorgang für den Konzeptablauf. Es wird auf die Kriterien bei Nichterfüllung des Konzeptinhaltes hingewiesen.

Der visuelle Raum

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Abb. 156 Die Grafik stellt die Stufen der Lichtintegration für das nichtvisuelle ­System dar und begleitend für die Hormone Serotonin und Melatonin die Bedeutung bei Einhaltung der Vorgehensweise und die Kriterien.

Raum erarbeitet werden. Unter Berücksichtigung der Nutzungs- und Mate­ rialanforderungen werden nun mithilfe des Theoretischen Leuchtdichte­ modells (Kapitel 1.4.1) die Zusammenhänge der Sehaufgaben (Infeld) und der Umgebung (Umfeld) objektiviert bestimmt. Damit sind die Voraussetzungen für den lichttechnischen Planungsab­ lauf geschaffen, und die Vernetzung mit den Lichtsystemen wird möglich und umsetzbar. Der visuelle Wahrnehmungsvorgang in einem visuellen Raum umfasst fol­ gende Schritte: • Die gesamtheitliche Vorstellung eines zu gestaltenden Raums als ein integratives Erscheinungsbild. Es beruht noch auf dem Vorbewusstsein – einer Vorstufe des Realisierungsprozesses und des Gestaltungs- bzw. Planungsablaufs. • Die psychologische Umsetzung aus visueller Sicht bedarf bereits auf Basis der Nutzung dieser Räumlichkeit Milieu- und ­Stimmungsvorstellungen. • Diese oft nur teilbewussten Vorstellungen machen es notwendig, die informativen ökologischen Komponenten in die begrenzenden Raum­ oberflächen des visuellen Raums einzubeziehen (siehe Kapitel 1, „Öko­ logische Optik“). • Diese Vorgangsweise führt zu den physiologisch geprägten visuellen Wahrnehmungsbedingungen, wie z. B. stabile Wahrnehmungsbereiche (Adaptionskonstanz), als eine Voraussetzung für den überwiegend un­ bewussten Teil dieses visuellen Wahrnehmungsablaufs. Ich wiederhole hier: 80–90 % der Informationen werden durch das visuelle System aufgenommen, und damit ist Licht ein wesentliches Medium der In­ formationsvermittlung. Wie wir zusätzlich wissen, beeinflusst Licht auch das nichtvisuelle System, also jene Bereiche des Hormonhaushaltes, welche die Aktivität, das Wohlbefinden und den zirkadianen Rhythmus (Wach-/ Schlafrhythmus) unterstützen. Beispielsweise kann der Mangel von Serotonin in weiterer Folge zu Depressionszuständen führen. Das Schlafhormon Melatonin steuert die zir­kadiane Rhythmik, regeneriert den Körper während des Schlafs und re­ duziert freie Radikale. 192

Kapitel 3

Wir sehen, wie wichtig es ist, beide Systeme – das visuelle und das nicht­ visuelle System – in Planungsvorgänge einzubeziehen und aufeinander abzustimmen, um Gesundheit, Wohlbefinden, Aktivität und Stimmung best­ möglich aufeinander abzustimmen und zu unterstützen. Das Informationspotenzial des Lichts umfasst • die Intensität, • die Verteilung, • die Richtung (Schattenbildung), • die Farbtemperatur und den Farbort, • die spektrale Zusammensetzung und • den zeitlichen Ablauf in Bezug auf die Veränderung der Tageslichtsitua­ tion. Ich möchte an dieser Stelle auf Abb. 1 in Kapitel 1 hinweisen, in der deut­ lich zu erkennen ist, dass das primäre von einer Lichtquelle abgestrahlte Licht nicht informativ und somit als solches auch noch nicht wahrnehmbar ist. So wie eine Reihe von Buchstaben erst durch ihre systematische Zu­ ordnung zu einem Wort, einem Satz und damit zur Information werden, erhält das Licht seine Information und Aussage erst durch die Reflexion, Absorption und Transmission. Das primäre Licht ist also die „Ursache der Beleuchtung“ und nicht deren Wirkung. Das einen Gegenstand sichtbar machende Licht ist das sekundäre Licht oder das Umgebungslicht. Es ist reflektiertes Licht. Es ist also das primäre Licht, das reflektiert und moduliert in unser Auge gelangt und dann ein Objekt, eine Szenerie erkennbar macht. Die Qualität des Sekundärlichts hängt in erster Linie von der Zusam­ mensetzung und Qualität des Primärlichts ab. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass die höchste Bedeutung auf jeden Fall dem Tageslicht zu­ kommt. Eine häufig unterschätzte und unbeachtete Vielfalt von Erscheinungs­ formen, welche beim Beleuchten von Objekten oder Szenerien entsteht, geschehen durch die zusätzlichen Bewegungen der Objekte und des Be­ obachters. Dazu kommen noch die Art, die Position und die möglichen Tätigkeitsbereiche, also die zu fokussierenden Infelder (gerichtete Auf­ merksamkeit) und die permanente Veränderung des Tageslichts hinsicht­ lich seiner Intensität und Rhythmik. Die Reflexions-, Absorptions- und Transmissionsgrade eines Materials und seine Zuordnung zu den Raumflächen und zum Rauminhalt bestimmen in Abhängigkeit vom eintretenden Primärlicht das Fließgleichgewicht der Raumbeleuchtung. Dieses stellt sich mit Lichtgeschwindigkeit ein. Angenommen, wir hätten einen Raum mit einem Reflexionsgrad von 100 %, also einen Raum, der keinerlei Licht absorbiert und aus dem kein Licht austritt, so wäre es in diesem Raum in Kürze – in Lichtgeschwindigkeit – unendlich hell. Ein Reflexionsgrad von 100 % kann jedoch nicht erreicht werden, da bei jeder Reflexion ein Teil des Lichts absorbiert wird. Ohne nachkommendes Primärlicht also würde sich das Sekundärlicht ebenso in Lichtgeschwindigkeit reduzieren, und es wäre dunkel. Wir sehen, dass pri­ märes und sekundäres Licht in Intensität und Spektralverlauf in direktem Zusammenhang stehen. Ein visueller Raum besteht wie eingangs erwähnt aus den ihn begrenzen­ den Oberflächen und dem Licht, das durch die Beschaffenheit der Struktur und Farbe moduliert wird. Um die Wirkung und den Informationsgehalt des sekundären Lichts bestmöglich verarbeiten zu können, ist ein ungestör­ ter visueller Wahrnehmungsvorgang Voraussetzung. Die visuellen Wahr­ Der visuelle Raum

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nehmungsabläufe begleiten und steuern die physiologischen Abläufe und sind meist autonom. Diese Zusammenhänge sind in den Kapiteln 1.1 bis 1.5 beschrieben und dargestellt.

3.2  Physiologische Voraussetzung eines optimierten ­Sehablaufs im visuellen Raum Das primäre Licht gelangt über eine Tageslichtöffnung oder ein Kunstlicht­ system in den Raum. Dort wird das einfallende Licht von den begrenzen­ den Raumflächen und Objekten reflektiert, vom Primär- zum Sekundärlicht umgewandelt und informiert uns dabei über die Art und die Inhalte des Raums. Üblicherweise hat jeder Raum seinen Zweck zu erfüllen und be­ stimmt durch die Art seiner Nutzung die Sehaufgabe und damit verbunden die notwendigen bzw. geforderten Helligkeiten. Das In- und Umfeld werden aufgrund der dynamischen Blick- und Kör­ perbewegungen in die visuelle Wahrnehmung miteinbezogen. Das Infeld ist die unmittelbare Sehzone und durch Fokussieren der Bereich der gerich­ teten Aufmerksamkeit. Als solches muss es eine höhere Helligkeit bekom­ men als das Umfeld, welches als Umgebung mit entsprechend geringerer Leuchtdichte zu versehen ist. Das Verhältnis Infeld- zu Umfeldleuchtdichte ist als Bereich der stabilen visuellen Wahrnehmung gekennzeichnet und

Abb. 157 Die Grafik zeigt die optischen Strahlungs­ eigenschaften unterschiedlich reflektierender Materialien und lässt erkennen, welchen Einfluss auf das Erscheinungsbild eines Raums Mate­ rialien im Zusammenspiel mit Lichtquellen und Lichtsystemen haben können.

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Kapitel 3

kann über die Beziehung L = 1/π × E × ρ (für diffuse Reflexion) objektiviert werden. Der stabile visuelle Wahrnehmungsbereich ist wesentlich, da er die Grundlage für optimales Sehen ist. Alle reflektierenden Flächen und Objekte prägen das Sekundärlicht und damit das Erscheinungsbild eines Raums. Die physische Eigenschaft eines Materials ist dabei wesentlich. In den drei Varianten in Abb. 159a beträgt die vertikale Beleuchtungs­ stärke konstant 300 lx und der Reflexionsgrad des Bildes ρm = 0,6. Die Beleuchtungsstärke (= primäres Licht) wird durch das Bild reflektiert und moduliert und erscheint dem Betrachter als Infeldleuchtdichte (= sekundä­ res Licht). In allen drei Beispielen bleibt diese ebenfalls konstant, da sich an den Komponenten des Bildes (L, E, ρ) nichts ändert. Die Reflexionsgrade der Bilderwände jedoch – als unmittelbares Um­ feld – sind bei jedem Beispiel anders, und dadurch verändert sich jedes Mal die Leuchtdichte der Wand bzw. des Umfeldes. Man erkennt deutlich, wie sich aufgrund der konstant bleibenden Leuchtdichte des Bildes und der veränderten Leuchtdichte der Wand die Wirkung und Intensität des Exponats verändert. Das Gemälde vor hellem Untergrund (ρWand  =  0,8, LWand  =  76 cd/m²) wirkt „stumpfer“ als vor dem dunklen Hintergrund (ρWand = 0,3, LWand = 28 cd/m²), wo es schärfer und brillanter hervortritt.

Abb. 158 Man erkennt, dass die Position der Leuchte und des Beobachters bei diffus reflektierenden Materialien hinsichtlich der wahrgenommenen Leuchtdichte keinen Einfluss hat. Bei Materialien mit spreizenden Refle­ xionseigenschaften jedoch ist die Position von Leuchte und Beobachter für das Erscheinungsbild und die absolute Leuchtdichte von Bedeutung.

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Abb. 159a Oben: Modellsimulation mit ­weißem Hintergrund. Mitte: Modellsimulation mit ­mittelgrauem Hintergrund. Unten: Modellsimulation mit ­dunkelgrauem Hintergrund.

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Kapitel 3

Abb. 159b Die Abbildung zeigt, dass sich aufgrund der unter­ schiedlichen Reflexionswerte der Wand bei gleich­ bleibender Beleuchtungsstärke (EV = 300 lx) und bei konstanter Helligkeit des Bildes (LI = 57 cd/m²) das visuelle Erscheinungsbild und die visuelle Zuordnung jeweils ­differenzieren. EV Vertikale Beleuchtungsstärke am Exponat (Infeld) und an der Bildwand (Umfeld) ρWand Reflexionsgrad der Wand LU = LWand Leuchtdichte der Wand – Umfeldleuchtdichte LI = LBild Leuchtdichte des Exponats – Infeldleuchtdichte ρI – ρBild Reflexionsgrad des Exponats – Infeld

Dies hat seine Ursache im physiologischen Adaptationsvorgang, der bewirkt, dass sich bei dunklerer Umgebung das Verhältnis LBild : LUmgebung er­ höht und damit verbunden die Sehleistung und die Aufmerksamkeit (Selek­ tion) verstärkt. Wie wir deutlich erkennen, müssen wir bei einer realen Umsetzung da­ rauf achten, wie die Umgebung gestaltet wird. Bei einem Raum mit gerin­ gen Reflexionswerten des Umfeldes verstärkt sich beim Betrachten eines Exponates der Kontrast, und das Exponat erfährt eine höhere Aufmerk­ samkeit. Der Raum erscheint dadurch als Gesamtes zwar weniger hell, jedoch verringert er damit auch die Ablenkung. Man könnte nun zwar ver­ suchen, die aufgrund der dunkleren Wandfarbe reduzierte Leuchtdichte so anzuheben, dass sie den Werten einer weißen Wand entspricht, um damit die Helligkeitsdifferenz auszugleichen. Dies würde jedoch nur begrenzt gelingen, da die Farbe Grau selbst mit Anhebung der Adaptationsleucht­ dichte immer einen dunkleren Eindruck als Weiß vermittelt. Die Anhebung der Helligkeit müsste in diesem Fall um ein Vielfaches stärker sein, um überhaupt eine Differenzierung wahrzunehmen. Ich selbst habe im Laufe der Jahre die Erfahrung gemacht, dass in den komplexen Eigenschaften eines Materials wie Reflexion, Transmission, Farbe und Textur eine viel höhere Informationspotenz liegt, als es durch Veränderungen der Helligkeiten erreicht werden kann (siehe Kapitel 1.6).

3.3  Komponenten der ökologischen Optik im visuellen Raum Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir unseren visuellen Raum erst durch die ihn begrenzenden Oberflächen wahrnehmen und wir uns damit in die Begriffswelt der ökologischen Optik begeben, welche Licht vorwiegend als Medium der sensorischen Informationsvermittlung für die optische Wahrnehmung betrachtet (J. J. Gibson). Die Ökologie ist Teildis­ ziplin der Biologie und definiert sich als die Wissenschaft von den Bezie­ hungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt. In der ökologischen Der visuelle Raum

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Optik ist der Unterschied zwischen leuchtenden und beleuchteten Flächen ganz entscheidend. In Kapitel 1 haben wir das ausführlich behandelt, doch möchte ich es an dieser Stelle noch einmal kurz anschneiden, da es von großer Bedeutung für den visuellen Raum ist. Licht schafft als Informationsvermittlung für die visuelle Wahrnehmung ­erweiterte Kriterien. Das vorerst informationslose Licht einer Primärlicht­ quelle erlangt erst dann einen psychologisch erfassbaren Informations­ gehalt – oder wird selbst zu Information –, nachdem es eine material­ adäquate Modulation und Strukturierung erfahren hat. Leuchtdichte, Beleuchtungsstärke und Reflexionseigenschaften, die man für die Defi­ nition des visuellen Raums den raumbegrenzenden Oberflächen zuord­ net, werden durch den Informationsinhalt unserer aktiven Wahrnehmung ­aufge­laden. Verwenden wir beispielsweise eine Wand mit Holztäfelung und ver­ gleichen sie mit einer grauen, weißen und schwarzen Oberfläche bei gleichbleibender Leuchtdichte und denselben Reflexionseigenschaften und passt man jeweils die Beleuchtungsstärke an die konstante Leucht­ dichte an, dann müssten die Wandoberflächen gleich hell erscheinen. Das trifft jedoch nicht zu. Im Folgenden (Abb. 160–163) sehen wir die unterschiedlichen Erschei­ nungsbilder trotz gleichbleibender Wandleuchtdichte. Wie man deutlich erkennt, unterscheiden sich die Erscheinungsbilder wesentlich voneinander, trotz der gleichbleibenden gemessenen Leucht­ dichte als der physikalisch gleichen Helligkeit. Die weiße Fläche erscheint heller als die graue, und die Holztäfelung erfährt durch seine Material­ eigenschaft noch eine weitere Prägung. Der schwarze Raum zeigt, dass die Umfeldleuchtdichte L = 30 cd/m² eine starke Anhebung des primä­ ren Lichtes benötigt (ca. das Sechsfache!), um eine Leuchtdichtegleichheit herzustellen. Ein derart gestalteter Raum würde trotz der stabilen Wahr­ nehmung und trotz derselben Leuchtdichte dunkel erscheinen aufgrund der Wahrnehmung des Raums und des entstehenden Bewusstseins. Das sekundäre Licht wird strukturiert und mit Information aufgeladen, welches der Beobachter dann unterschiedlich bewertet. Diese eben beschriebenen Betrachtungen beschränken sich auf diffuse Materialien und werden nun auf gerichtet reflektierende oder transpa­ rente Materialien ausgeweitet. Wie wir in Abb. 158 gesehen haben, wird für die visuelle Wahrnehmung nun auch die Position des Betrachters, die Position der Leuchte, die Lichtverteilung und die Art der Leuchte bzw. des Lichtsystems bedeutend. Wie bereits erwähnt, bewirkt ein Material mit seiner Oberflächenstruktur die Modulation des primären Lichtes und die Veränderung der Strahlung, die von diffuser über unterschiedliche Arten der spreizenden Reflexion bis hin zur Spiegelung reicht. Diese unterschied­ lichen spezifischen Materialeigenschaften und Wirkungen habe ich in Kapi­tel 1 bereits genauer erläutert.

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Kapitel 3

Abb. 160 Weiße Wand.

Abb. 161 Graue Wand.

Abb. 162 Holztäfelung.

Abb. 163 Schwarze Wand.

Der visuelle Raum

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3.4  Information – Wahrnehmung – Bewusstsein – ­Gedächtnis Die visuelle Informationsflut, die durch unsere Umgebung auf unser Sinnes­ organ Auge einströmt, übersteigt das Maß unserer Aufnahmekapazität bei Weitem. Ich möchte mich vorrangig auf bewusste Abläufe beschränken, da diese besser erkennbar sind und durch die Sprache besser dargestellt werden können (Gerhard Roth). Um überhaupt bewusst wahrnehmen zu können, sind Ereignisse aus unserem Umfeld zu finden, die uns interessieren und die wir lokalisieren können und die so erkennbar werden. Dieses Erkennen – das Schauen – geht über die Bedeutung des Sehens hinaus. Es ist ein geistiger Vorgang, der uns beim Aufmerksam-Werden auf visuell vermittelten umgebenden Ereignissen unterstützt und diese erst bewusst macht. Aufmerksamkeit – vor allem selektive oder gerichtete Aufmerksamkeit – und Wahrnehmungsvorgänge visueller Art sind die Voraussetzung der Bewusstseinsbildung. Wird ein Ereignis bewusst erkannt, wird es in seiner Informationsstruktur codiert und im Gedächtnis als Erinnerung festgehal­ ten. Die gespeicherte Erinnerung kann dann durch Abrufen dieses Ereig­ nisses wieder nahegebracht werden.

Ereignis Visuelle Aufgabenstellungen können als Ereignisse verstanden werden. Sie sind daher visuell so zu gestalten, dass sie gerichtete Aufmerksamkeit als Voraussetzung ermöglichen – z. B. über den Weg der ungerichteten Auf­ merksamkeit zur gerichteten Aufmerksamkeit (Kapitel 1.3.2). Dazu sagt der amerikanische Gedächtnisforscher Daniel L. Schacter, dass das Maß an Aufmerksamkeit, welche wir für das Ereignis ursprüng­ lich aufgebracht haben, wesentlich mitbestimmender ist als Informationen, welche wir beim Erinnerungsakt abrufen können (Bewusstseinsbildung). Der damit eingeleitete Wahrnehmungs- und darauf folgende Bewusst­ seinsvorgang soll möglichst lange anhalten, um Bewusstseinserweiterung anzuregen. Wachheit und Erhaltung der freien Gehirnkapazität haben dafür eine wesentliche Bedeutung, und es ist notwendig, beim Gestal­ tungsvorgang Ablenkungen zu vermeiden bzw. diese so gut wie möglich zu minimieren. Daniel L. Schacter weist darauf hin, dass Ablenkungen bei einem Ereig­ nis große Schwierigkeiten verursachen, sich an Einzelheiten des Gesche­ hens zu erinnern (Daniel L. Schacter, Wir sind Erinnerung). Ereignisse werden über die Vorgänge der Aufmerksamkeit wahrgenom­ men, erkannt und bewirken die Bewusstseinsbildung. Aufmerksamkeit – be­ sonders selektiv gerichtete Aufmerksamkeit – ist das Aufmerksamkeitsbe­ wusstsein. Aufmerksamkeit ist also der generelle Zugang zum Bewusstsein. Der Fokus der Aufmerksamkeit wird durch extern auffällige oder unerwar­ tete Ereignisse bestimmt oder durch willentliche Kontrolle einer internen Aufmerksamkeitssteuerung (Gerhard Roth). Das so gebildete Bewusstsein wird von dem, was es wahrnimmt, codiert und als Erinnerung im Gedächtnis gespeichert. Dies ist eine besondere Art der Aufmerksamkeit, die den momentanen Ereignissen gilt und sich nach­ haltig auf die spätere Erinnerung auswirkt. Um den Vorgang der Codie­ rung zu vertiefen, ist es notwendig, den jeweiligen Ereignissen Bedeutung durch Bewusstheit zu verleihen und durch „elaborierte Codierung“ – wel­ che eine höhere Gedächtnisleistung fördern – zusätzliche Informationen 200

Kapitel 3

in das vorhandene Wissen zu bringen. Laut Daniel L. Schacter verarmen unsere Erinnerungen ohne elaborierte Codierung. Das Investieren von Auf­ merksamkeit verbessert die Leistung bei vielen Aktivitäten. Der Fokus der Aufmerksamkeit ist mitbestimmend für unseren emotionalen Zustand. Wir konzentrieren uns auf die gegenwärtige Aktivität im unmittelbaren Umfeld und die Verfügbarkeit der darin enthaltenen Informationen. Dies ist ent­ scheidend für das Zustandekommen einer Erinnerung (Daniel Kahneman). Das in diesem Kapitel angesprochene Gebiet umfasst die Informationsvor­ gänge bis hin zum Gedächtnis und den Abruf der Erinnerung. Es ist äu­ ßerst umfangreich und komplex und würde den Rahmen dieses Buches sprengen. So habe ich lediglich einen kurzen Abriss an dieser Stelle dar­ gestellt.

Erinnerung „Die Erinnerung“, sagt Daniel L. Schacter, „ist das Endprodukt des Ge­ dächtnisses. Empfundene Erinnerung ist die abgerufene Information im Kontext einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Ortes, bezogen auf das ‚Ich‘ als Teilnehmer.“ Versuche haben gezeigt, dass die Verfügbarkeit von visuellen Informationen über das physische Umfeld eines Ereignisses entscheidende Bedeutung für das Zustandekommen einer Erinnerung hat. Situationen, mit welchen wir visuelle Eindrücke verbinden, sind am deut­ lichsten (Daniel L. Schacter, Wir sind Erinnerung). Die große Bedeutung der Erinnerung wäre ohne Abruf derselben ohne Wirkung. Die Vorstellung wurde aufgegeben, dass eine Erinnerung das aktivierte Bild eines voran­ gegangenen Ereignisses sei, sondern sie ist eine emergente Eigenschaft des Anrufreizes und des Engramms.

Zusammenfassung Den Beitrag „Information – Wahrnehmung – Bewusstheit – Gedächtnis“ erwähne ich in Verbindung mit dem visuellen Raum aus dem Grund, um konkret auf die Bedeutung der visuellen Wahrnehmungsvorgänge auf­ merksam zu machen, die, wie wir wissen, ca. 80 % des Informationsan­ gebots verarbeiten und die eine Andeutung der Komplexität sind, die diese Vorgänge begleiten und ermöglichen. Die Selektion des auf uns zukommenden umfangreichen Informationsangebots macht das visuelle Wahrnehmen erst möglich und ist im Zusammenhang mit den Aufmerk­ samkeitsabläufen zu sehen, wobei die Aufmerksamkeit (bewusst) und die Adaptionsabläufe (autonom) weitgehend unabhängig voneinander ab­ laufen. Die Konzentration ist eine Folge der Aufmerksamkeit. Sich zu konzent­ rieren strengt an und ist daher als eher kurzfristig einzustufen. Es ist somit notwendig, eine Bewusstseinserweiterung anzuregen, diesen Vorgang der gerichteten Aufmerksamkeit zu verlagern oder zu erneuern. Das kann durch • Vermeiden von Ablenkung, • Erhalten oder Steigern der freien Gehirnkapazität, • Wachheit oder • geeignete Gestaltung des visuellen Raums unterstützt werden.

Der visuelle Raum

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Der Neurologe und Nobelpreisträger John C. Eccles sagt: „Ohne Bewusst­ sein kein Gedächtnis und ohne Gedächtnis kein Bewusstsein.“ Für mich ergibt sich daraus, dass der Einfluss der visuellen Wahrneh­ mung weit über gutes Sehen in Bezug auf die Lichttechnik hinausreicht. Die Bewusstseinsbildung durch selektive Aufmerksamkeit, Erkennen von Er­ eignissen, Codierung, Erneuerung und Abruf derselben kann durch licht­ gestalterische Maßnahmen beeinflusst und unterstützt werden und trägt damit zur Wissenserweiterung bei. Mein Ziel für Kapitel 3.5 ist es deshalb, nochmals die Komplexität der visuellen Informationsverarbeitung und die Bedeutung der visuellen Vor­ gänge aufzuzeigen.

3.5  Visuelle Organisation des Arbeitsplatzes Die Bedeutung der Aufmerksamkeitsvorgänge und ihre Komponenten für das visuelle Erkennen wurden bereits in den Kapiteln 1.10 und 3.4 be­ schrieben. Ziel ist es, den Infeldbereich möglichst zum Fokus der gerich­ teten Aufmerksamkeit zu machen und die Wachsamkeit – diese an sich kurze Phase der gerichteten Aufmerksamkeit – zu verlängern bzw. zu er­ neuern. Dadurch kann die visuelle Leistungsfähigkeit wesentlich verstärkt, die Bewusstseinsbildung unterstützt und eine Speicherung im Langzeit­ gedächtnis erreicht werden. Da sich die Infeldbereiche spezifisch auf die ent­sprechenden visuellen Tätigkeiten beziehen und so Aufmerksamkeits­ bereiche schaffen, werden im Folgenden einige Aufgabenbereiche bei­ spielhaft analysiert. Die visuellen Wahrnehmungsabläufe sind dynamisch und aktiv.

3.5.1  Der Bildschirmarbeitsplatz Bildschirme sind Selbstleuchter, die im Allgemeinen eine mittlere Infeld­ leuchtdichte von 5 bis 300 cd/m² aufweisen. Die Sehaufgaben sind auf­ grund der unterschiedlichen Aufgaben sehr differenziert hinsichtlich ihrer Helligkeiten, Kontraste, Schriftzeichen, Bildangebote, Farben und Ge­ schwindigkeiten der informativen Abläufe. In den Kapiteln 1.3 bis 1.5 wurden der Infeldbereich und seine Bedeu­ tung ausführlich analysiert. Die Infeldleuchtdichte bezieht sich auf den fo­ kussierten Bereich mit der eigentlichen Sehaufgabe und beeinflusst wesent­ lich die visuelle Leistung (Kapitel 2.4.1). Wie aus Untersuchungen unseres Unternehmens hervorgeht, liegt der zu empfehlende Leuchtdichtebereich am Bildschirm bei allgemeiner Bürotätigkeiten bei LI = 60–300  cd/m². ­Intensitäten darunter erzeugen Labilität in den visuellen Wahrnehmungs­ abläufen. Intensitäten darüber erhöhen die visuelle Leistung im Allgemei­ nen nicht mehr (Kapitel 1.5.2). Um im Infeldbereich die visuelle Leistung zu steigern, ist es notwendig, • die Kontrastbedingungen des Bildschirms (Positiv- und Negativdarstel­ lung) auf die Sehaufgabe zu beziehen, • die Abstimmung des primären und des sekundären Umfelds auf die mittlere Gesichtsfeldleuchtdichte über das Theoretische Leuchtdichte­ modell vorzunehmen (Kapitel 1.4). Der Kontrast, der den Sehkomfort mitbestimmt, hängt in erster Linie von der Qualität des Bildschirms ab, tritt jedoch auch in Wechselwirkung mit der Beleuchtung des Arbeitsplatzes. Diese Wechselwirkung gilt es durch geeignete und angepasste Beleuchtung zu optimieren, denn in der Praxis 202

Kapitel 3

Abb. 164a Bildschirm positiver Kontrast (LIm ≈ 80–300 cd/m²).

Abb. 164b Bildschirm negativer Kontrast (LIm ≈ 5–10 cd/m²).

Abb. 165 In der Grafik sind diese Zusammenhänge dargestellt. Es ist ersichtlich, dass bei Positiv­ darstellungen (auch bei gleichen Vorausset­ zungen des Kontrastes) die Sehschärfe höhere Werte erreicht.

Der visuelle Raum

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Abb. 166 Typische Arbeitssituation mit ­Belegen.

Abb. 167 Typische Situation eines Arbeits­ platzes mit mehreren Personen, Bildschirm und Beleg.

hat sich gezeigt, dass sich die Art des Raumlichts mit dem Eigenlicht des Bildschirms unterschiedlich gut verträgt. Großen Einfluss auf die Ablesequalität hat die Kontrastdarstellung im/ am Bildschirm, wobei speziell bei monochromatischen Kontrasten zwi­ schen Positivdarstellung (heller Hintergrund, dunkle Zeichen) und Negativ­ darstellung (dunkler Hintergrund, helle Zeichen) unterschieden wird. Beide Darstellungsarten unterscheiden sich vorwiegend durch die Hinter­ grundleuchtdichte des Bildschirms, die, je niedriger sie ist, umso anfälliger wird für Spiegelungen von zu hellen Raumkomponenten wie Leuchten, Wänden, Decke, Fenster, etc. und Einfluss auf die visuelle Leistung hat (Abb. 164, 165). Um die visuelle Leistung zu steigern, ist es notwendig, im Infeldbereich die Kontrastbedingungen der Positiv- und der Negativdarstellung sowie die Farbkontraste bei farbigen Darstellungen auf die Sehaufgabe zu be­ ziehen und diese mit den Belegen abzustimmen. Eine wesentliche Kom­ ponente dabei ist der Kontrast zwischen Sehzeichen (Zeichenleuchtdichte der Schrift) und Hintergrund (Bildschirmoberfläche). Weitere visuelle Komponenten, die zur Optimierung beitragen, sind die Schriftgröße und die Schriftgestaltung. 204

Kapitel 3

3.5.2  Reflektierende Belege am Arbeitsplatz Die visuellen Tätigkeiten heute geschehen vorwiegend an Bildschirmen und sind damit von Selbstleuchtern bestimmt. Dennoch ist das Ablesen von ­Papier aller Art (Zeitung, Beleg, Magazin, Fotos etc.) nicht wegzu­ denken. Diverse Materialien werden beleuchtet, reflektieren das auf sie auftreffende primäre Licht, und das sekundäre Licht als Leuchtdichte wird vom Sehorgan erfasst. Wie wir wissen, ist das primäre Licht mit seiner Strahlungscharakteristik vom Lichtsystem und der Mehrfachreflexion des Raums abhängig, während die Leuchtdichte hingegen das Ergebnis der Beleuchtungsstärke und der reflektierenden Eigenschaften einer Material­ oberfläche ist. Aufgrund des Zusammenhangs von Aufmerksamkeitsvorgängen, visuel­ ler Leistung und unterschiedlichen visuellen Bedingungen zeigt sich, dass sich bei entstehender gerichteter Aufmerksamkeit die visuelle Leistung bei gleichen lichttechnischen Werten signifikant ändert. Am Arbeitsplatz treten laufend veränderte Infeldbereiche auf, die durch die sakkadischen Auf­ merksamkeitsvorgänge in den Sehvorgang miteinbezogen werden (suk­ zessiver Vorgang). Durch das Stoppen des sakkadischen Vorgangs erfolgt die Fokussierung auf ein Objekt. Untersuchungen in unserem Unternehmen, in welchen wir Belege und Selbstleuchter gegenübergestellt haben, zeigten, dass bei ausschließlicher

Abb. 168 Darstellung unterschiedlicher Kontrastbereiche in Abhängigkeit von visuellen Sehaufgaben. Dieses Diagramm gibt konstante Bereiche für in der Realität häufig auftretende Tätigkeiten an. Der reale visuelle Wahrnehmungszustand ist dynamisch und somit für seine Stabilität in die auftretenden Sehbereiche einzubeziehen.

Der visuelle Raum

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Bildschirmarbeit die visuelle Leistung höher ist als bei Wechsel zwischen Beleg und Bildschirm – dass also Konzentration ohne Ablenkung nach­ weislich einen Anstieg der visuellen Leistung zur Folge hat. Wir konnten aus dieser Versuchsserie „Mehrere Infelder“ ableiten, dass die Hauptursache von verminderter visueller Leistung nicht nur in der Sehschärfe, sondern vor allem in der Ablenkung liegt, welche eine Störung des Aufmerksamkeits­ vorgangs verursacht. Es ist somit empfehlenswert, für visuelle Tätigkeiten am Arbeitsplatz einen mittleren Infeldbereich zu ermitteln, der auf alle möglichen Sehaufgaben abgestimmt ist, ganz besonders auf anspruchs­ volle und differenzierte Sehaufgaben und auf Räume, in welchen mehrere Personen arbeiten.

3.5.3  Mehrere Arbeitsplätze im visuellen Raum Arbeitsplätze gibt es in allen Bereichen und Berufssparten, und für die meis­ ten Situationen können unsere Erkenntnisse angewandt werden. In die­sem Kapitel betrachte ich vorwiegend Arbeitsplätze in einem B ­ ürogebäude. Meist finden wir folgende Bürotypologien vor: • Einzelbüros, • Großraumbüros, • Konferenz-, Kommunikations- und Schulungsräume.

Abb. 169 Klassische Situation eines ­Konferenz-/Seminarraums mit unterschiedlichen Sehaufgaben.

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Kapitel 3

Abb. 170 Bewertung von Visus-Zahlen. Rechts drei Beispiele für die Sehdistanz, aus der beim jeweiligen Visus ein Testreizabstand von 1 mm gerade noch getrennt wahrgenommen wird. Daraus ergibt sich auch der jeweilige Sehwinkel (Kennwert der Visus-Zahl).

Für alle Raumtypen gleichermaßen wichtig und entscheidend ist, dass die im Fokus befindlichen Sehaufgaben – also das Infeld – mit dem Umfeld abgeglichen werden müssen. Wichtige Parameter für eine Optimierung der visuellen Leistung sind • die Größe und die Art des Sehobjektes (z. B. Schriftgröße), • der Sehabstand zum Beobachter, • der physiologische Kontrast und • die Sehschärfe (Visusgröße). In Abb. 170 sind für absteigende Visus-Werte deren qualitative Bewertung und drei Beispiele für den maximalen Sehabstand angegeben, aus dem bei entsprechendem Visus und Sehvermögen ein Testreizabstand von 1 mm noch ohne Verschmelzung gesehen wird (unter Lichtbedingungen gemäß DIN EN 8596). Demnach genügt für die Verkehrstauglichkeit bereits ein Visus von 0,6, und das bedeutet, dass aus einer Sehentfernung von mehr als 2 Metern ein Testreizabstand von 1  mm nicht mehr als solcher wahr­ genommen werden muss (Quelle: Christian Bartenbach, Walter Witting, Handbuch für Lichtgestaltung).

3.5.4  Die Bedeutung der Infeldleuchtdichte im globalen Umfeld Die Unterschiedsempfindlichkeit und die Sehleistung stehen in unmittel­ barem Zusammenhang und erreichen ihr Optimum, wenn in die Betrach­ tung der Kontrast und das Adaptationsniveau miteinbezogen werden. In Abb. 171 ist dieser Zusammenhang dargestellt. Der visuelle Raum

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Abb. 171 Sehschärfe als Funktion von ­Umfeldleuchtdichte und Kontrast C (K).

Bei niedrigen Kontrasten kann auch eine hohe Adaptationsleuchtdichte die Visusleistung nicht mehr erhöhen, und umgekehrt ist es nicht möglich, die Sehschärfe bei zu geringen Adaptationsleuchtdichten ( 150 cd/m² Raum 3: Tisch hellgrau ρ = 0,25– 0,45 LT = 60–100 cd/m²

Raum 2

Raum 3

Abb. 173 Das Ergebnis des obigen Versuchsaufbaus zeigt, dass Oberfläche 3 (grau) die höchste visuelle Leistung aufweist. (Quelle: Bartenbach GmbH)

Der visuelle Raum

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Als Lichtplaner ist es äußerst schwierig, visuelle Ordnung in der ­ständigen Veränderung eines Arbeitsplatzes zu schaffen und diesen dauerhaft zu beeinflussen. Es ist jedoch sehr wohl möglich einen Raum so zu gestal­ ten, dass sein Leuchtdichteverhältnis die visuelle Leistung verstärkt und Ablenkungserscheinungen bzw. Aufmerksamkeitskiller vermieden werden können. Wie ich bereits ausführlich beschrieben habe, worauf ich aber trotz­ dem immer wieder hinweisen möchte, ist, dass optimal angepasste Leucht­ dichtebereiche anhand des Theoretischen Leuchtdichtemodells objektiv ermittelbar sind und in einen allgemeinen Gestaltungsprozess einbezogen werden sollen. Das Verhältnis Infeldleuchtdichte zur Umfeldleuchtdichte ist ein immens wichtiger Bestandteil der visuellen Organisation eines Arbeits­ platzes (siehe Kapitel 1.5 und 1.6). Aus den bereits beschriebenen Arbei­ ten inkl. des Themas „Mehrere Infelder“ wurde ein dynamischer Infeldbe­ reich von LI = 60–300 cd/m² ermittelt. Wir haben bei unseren Arbeiten in diesem Zusammenhang erkannt, dass die Oberflächenbeschaffenheit der ­Arbeitsfläche und ihre Ausrichtung (horizontal, vertikal, geneigt) als primäres Infeld nachweislich großen Einfluss auf den Sehkomfort hat und auch die Art der Farbe bzw. der Farborte am Auge, ihre Sättigung und die Struktur der Raumoberflächen dominant sind (Kapitel 1.5, Abb. 80). Wird z. B. dem arbeitsspezifischen Infeld die Forderung 500 lx zu­ grunde gelegt, ergeben sich für die unterschiedlichen Reflexionsgrade jeweils andere Infeldhelligkeiten. Jedoch ist zur Gewährleistung stabiler Wahrnehmungsbedingungen und guter Sehleistung wie oben angeführt ein Infeldleuchtdichtebereich von 60 bis 300 cd/m² erforderlich. Bezie­ hen wir hier nun die unmittelbar umgebenden Oberflächen mit ein, so ist darauf hinzuweisen, dass bei zu hellen oder zu dunklen Tischoberflächen eine visuelle Wahrnehmungskonstanz aufgrund der zu hohen Helligkeits­ unterschiede nicht aufrechtzuerhalten ist. Das kann nur mit einem mittleren Reflexionsgrad der Tischoberfläche erreicht werden. Die Leistungsunterschiede bis hin zum Doppelten lassen uns deutlich erkennen, dass es notwendig ist, die Helligkeiten der unmittelbaren Um­ gebung wie Tische und Arbeitsmittel jeweils gesondert zu bestimmen und in die Planung miteinzubeziehen (Abb. 173). In der Versuchsanordnung in Abb. 172 erkennen wir deutlich, welchen Einfluss z. B. die Tischoberfläche auf die visuelle Leistung hat und wie stark diese Interaktion Infeld/Umfeld bei der Planung für Arbeitslätze zur Stabi­ lisierung der visuellen Wahrnehmungsvorgänge beiträgt. Die angepasste primär visuelle Umfeldgestaltung beeinflusst den Selektionsvorgang der Aufmerksamkeitsbildung, und es kann somit durch die visuelle Gestaltung das visuelle Erkennen beeinflusst werden. Dieser primär visuelle Umfeld­ bereich ist der fließende Übergang zum gesamten Umfeld und hat durch seine unmittelbare Zuordnung zum Infeld auch informative Bedeutung. Es ist damit also möglich, Gestaltungsbereiche mit den visuellen Wahrneh­ mungsvorgängen zu vernetzen. Diese Betrachtungen gelten für die unterschiedlichsten Anwendungsbei­ spiele und visuelle Abläufe und sind bereits in Kapitel 3.3 beschrieben.

3.5.5  Darstellung der visuellen Komponenten zur Optimierung von Arbeitsplätzen Visuelle Tätigkeiten, besonders in Verbindung mit mehreren Personen in einem Raum, sind sehr vielschichtig und führen oft zu visuellen Belastungen. Ich möchte hier erneut darauf hinweisen, dass wir Menschen Augentiere sind und 80–90 % unserer Informationen über die Augen aufnehmen. Sie sind unsere sensorische Verbindung zur Außenwelt, über die der visuelle 210

Kapitel 3

Informationsinput erfolgt, und Licht ist dabei das Medium zur Informa­ tionsvermittlung. Sehen ist ein weitgehend autonomer Vorgang und lässt uns deutlich erkennen, warum gutes, ungestörtes und optimiertes Sehen Voraussetzung für die Weiterverarbeitung von Informationen ist. Die visuellen Komponenten sind: • die Infeldleuchtdichte, • die Infeldbereiche, • die Umfeldleuchtdichte, • die Umfeldbereiche, • die Kontraste, • die Unterschiedsempfindlichkeit, • die Sehschärfe, • der Sehwinkel (min.), • die Größe des Sehobjektes (d) wie z. B. Schriftgröße und • der Sehabstand (D). Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass die Schriftgrößen, die Sehobjekte und der Sehabstand häufig wechseln. Der Art der Belege, der Bildschirmoberflächen, dem Schwarz-Weiß- und dem Farbkontrast werden leider kaum Beachtung geschenkt. Das bedeutet, dass die Nutzer dies nach eigenen Vorstellungen auswählen und meist auch einen vorge­ gebenen Arbeitsplatz hinnehmen, ohne die Auswirkungen auf die visuelle Leistung zu bedenken. Die Ergebnisse der gemeinsamen Forschungsarbeit von Kompetenzzen­ trum LICHT und Bartenbach (Kapitel 1.5, Abb. 80) zeigen den Zusammen­ hang zwischen der Unterschiedsempfindlichkeit und der Infeldleuchtdichte an Arbeitsplätzen. Die Unterschiedsempfindlichkeit im Infeldbereich bei einer Umgebungs­ leuchtdichte von 25 cd/m² hängt wesentlich von der Infeldleuchtdichte ab und erreicht bei ca. 250–300 cd/m² ihren Maximalwert. Durch Ab­ stimmung der Umfeldleuchtdichtebereiche (LUm 20–80 cd/m²) durch z. B. leichte Textur oder Farben lassen sich die Werte der visuellen Leistung im Bereich von LI = 80–200 cd/m² stabilisieren, sodass auch eine Erweiterung des Gesichtsfeldes durch Bewegungen miteinbezogen werden kann. Aus der Abb. 171 geht hervor, dass sich bei einem physiologischen Kontrast (C 0,4) bei dieser Helligkeit eine Visusgröße von V > 2° einstellt. In die­ sem Bereich, in dem die visuellen Komponenten mit LI ≈ 80–200 cd/m², LUm ≈ 20–80 cd/m² und leicht strukturierten Raumbegrenzungsflächen ihr Optimum erreichen, sind Kontraste von über 0,8 und eine ausreichende Schriftgröße (Schwarz auf weißem Hintergrund K 0,9) anzustreben. Blen­ dungs- und Ablenkungselemente wie Fenster und Leuchten sind dabei zu beachten. Die Leuchtdichten von Fenstern und Leuchten sollten sich im Be­ reich der mittleren Umgebungsleuchtdichten befinden, um Störungen im ­visuellen Wahrnehmungsablauf zu vermeiden. Bei allen Planungsvorgän­ gen ist es notwendig, all diese Bewertungen und visuellen Komponenten auf das jeweilige Objekt zu übertragen.

3.5.6  Die Bedeutung der gerichteten Aufmerksamkeit beim ­Sehvorgang Die Informationszufuhr der Außenwelt erfolgt also wie gesagt sensorisch über das Auge. Die Verarbeitung der Informationen geschieht vorab über die Netzhaut und wird über den Sehnerv in das Gehirn geleitet, wo sie dann neuronal verarbeitet werden. Sehen ist ein geistiger Vorgang. Das Ziel des „guten Sehens“ setzt das Erkennen des jeweiligen Sehobjektes in Verbindung mit dem visuellen Wahrnehmungsvorgang voraus. Der visuelle Raum

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Das Erkennen eines Objektes aktiviert die Aufmerksamkeit, verstärkt diese hin zur gerichteten Aufmerksamkeit und fördert letztendlich die Be­ wusstseinsbildung. Dieser Ablauf wurde bereits in Kapitel 3.4 beschrieben. In diesem Zusammenhang bedeutet der Begriff „gutes Sehen“, dass der vorwiegend autonome physiologische Ablauf – also der Adaptations­ vorgang – durch die Wahl geeigneter und angepasster Infeld- und Um­ feldleuchtdichten unterstützt wird und damit die Voraussetzung schafft, ein Sehobjekt zu erkennen. Für einen Raum mit vielen Arbeitspositionen und wechselnden Sehauf­ gaben ist die Aufmerksamkeitszuordnung dringend notwendig. Gerichtete Aufmerksamkeit ohne Ablenkung zu erhalten ist weitgehend über das räumliche Umfeld möglich. Ablenkung bedeutet, dass der Auf­ merksamkeitsvorgang in einer Situation gestört bzw. unterbrochen wird, er des Öfteren wiederholt bzw. neu gestaltet werden muss oder er sogar zur Gänze eliminiert wird. In Kapitel 1.3.2 „Mehrere Infelder im Gesichtsfeld“ zeigt sich, dass bei gleicher Infeldleuchtdichte Ablenkungen bereits durch Szenenwechsel bei gleichen Versuchsmotiven zu signifikanten Unterschie­ den in der visuellen Leistung führen und somit Ursache für die Verlage­ rung der Aufmerksamkeitsvorgänge sind. Ebenfalls in Kapitel 1.3.2 wurde beschrieben, welche Bedeutung die Aufmerksamkeitsvorgänge durch das räumliche Umfeld mit all seinen Komponenten bekommen. Für Räume mit mehreren Arbeitspositionen bedeutet dies, dass Ablenkun­ gen • durch zusätzliche Personen entstehen können, die einen Raum betreten, jedoch an den eigentlichen Vorgängen nicht teilhaben. • durch Bewegungen im Umfeld, durch Geräusche (z. B. Klimaanlage), durch Nachrichten visueller und akustischer Art am Bildschirm etc. ent­ stehen können. • durch Umfeldhelligkeiten, welche die Infeldhelligkeit überschreiten, her­ vorgerufen werden können. Dazu gehören blendende Tageslichtöffnun­ gen, aber bereits auch wechselnde Leuchtdichten. Auch Objekte mit geringer Helligkeit wie z. B. Gemälde können bei hohem Informations­ gehalt zu Ablenkung führen. • durch Farben erfolgen können. Wie ich bereits in Kapitel 1.6 ausführlich beschrieben habe, bestimmen die Farben der Umgebung im Zusam­ menwirken mit dem Licht der Lichtquellen (Tages- oder Kunstlicht) und ihren spektralen Eigenschaften – bedingt durch die spektrale Remission der farbigen Oberfläche und die Mehrfachreflexion – den Farbort am Auge. Eine zu starke Präsenz von z. B. zu hoher Sättigung oder Textur kann zu Ablenkung führen. • Materialoberflächen des umgebenden Raums bewirken gegenüber den weißen glatten Oberflächen, wie schon in Kapitel 1.6 angeführt, besonders bei leichten Strukturwerten eine Anhebung der visuellen Leis­ tung, wobei sich bei nicht linearen, chaotischen und starken Texturen die visuelle Leistung reduziert. Die Herzratenvariabilität zeigt auch bei Orten hoher Farbtemperatur, dass der subjektive Einfluss der Material­ oberflächen und seine Bedeutung abnehmen. Das reduziert aber auch die Ablenkung. Ergebnisse von Forschungsarbeiten in unserem Labor zeigen, dass sich durch diese Komponenten der Farbort, die Beleuchtungsstärke am Auge, die visuelle Leistung und die HRV beeinflussen lassen und damit verbun­ den das visuelle Leistungskriterium und der Entspannungszustand bzw. die Aktivitätsphase (Kapitel 1.6). So zeigt sich auch, dass sich bei hohen Farbtemperaturen (am Auge) der Entspannungszustand durch das vege­ tative Nervensystem verstärkt, was zugleich den Einfluss der umgebenden 212

Kapitel 3

Raumoberflächen des visuellen Raums reduziert. Das geschieht auch bei ungesättigten Farben, deren Einfluss auf die spektrale Mehrfachreflexion weniger Einfluss ausübt.

3.5.7  Bewegung im visuellen Raum – aktive visuelle Wahrnehmung – Blickfelderweiterung Das wahrnehmbare Erscheinungsbild bzw. die Bilder im Gesichtsfeld sind definiert durch das Fokussieren auf das Sehobjekt. Das Bild wird auf die Fovea projiziert und erreicht dort die maximale Sehschärfe. Der visuelle Vorgang wird von der gerichteten Aufmerksamkeit begleitet, welche über die Sehbahn in das Gehirnareal geleitet wird und die „Top-down-Verar­ beitung“ bewirkt. Diese ist fast ausschließlich bewusst, und die Rezeptoren – die Zapfen – sitzen überwiegend in der Fovea. Der Netzhautanteil be­ trägt ca. 1–3 %. Der gesamte die Fovea umschließende Netzhautanteil (ca. 95–98 %) besteht vorwiegend aus Stäbchenrezeptoren, welche die sensorischen Informationen in das „bottom-up“ verarbeitende Gehirnareal leitet, das unbewusst arbeitet. Dieser visuelle Vorgang, der durch Bindungsvorgänge die beiden Gehirnhälften vernetzt, erfordert Aufmerksamkeit (Kandel und Treisman). Werden die fovealen Bereiche zu ausgedehnt, um scharf sehen zu kön­ nen, so erfolgt ein blitzschnelles Scannen. Solche Sakkaden sind un­ver­ zichtbar. Zum einen erlauben sie der Sehgrube, das Infeld zu erwei­tern und die visuelle Umgebung zu erkunden, zum anderen ermöglichen sie das Sehen generell. Das Scannen erfolgt so schnell, dass wir glauben, das Bild in seiner Gesamtheit zu sehen. Wir nehmen nur in der Fixa­tionsphase zwischen den Sakkaden bewusst auf, was wir sehen und erkennen. Sakka­ den sind nicht nur reflexhafte Bewegungen, sondern sie suchen nach In­ formationen. Diese Informationssuche dehnt sich über die Netzhautgrube (Fovea) auf das gesamte Gesichtsfeld aus, wobei das die Fovea umge­ bende Gesichtsfeld (ω = 1,26 π) durch die Selektion der Aufmerksam­ keitsvorgänge und die der Adaptation unscharf und bis zur Verschwom­ menheit hin wahrgenommen wird. Diese simultane Analyse ist auf eine statische Wahrnehmungsstufe bezogen, und in diesem Bereich wird die Leuchtdichte­verteilung des Infeldes und des Umfeldes durch das Theore­ tische Leuchtdichtemodell erkundet und bestimmt. Vorwiegend haben wir es mit einem aktiven visuellen Wahrnehmungs­ ablauf zu tun. Wir bewegen uns durch einen Raum, das selektive Informationsange­ bot ist sukzessiv, und das Gesichtsfeld setzt sich zum Blickfeld zusammen. Das bedingt auch, dass sich die auftretenden Leuchtdichtebereiche auf den gesamten Blickfeldbereich ausdehnen. Um Adaptationsstabilität zu erhalten, ist es notwendig, diesen Bereich so weit miteinzubeziehen, wie der gesamte mittlere Umgebungsleuchtdichtebereich, der eine Adapta­ tionskonstanz zulässt, sich also im Bereich der Adaptationskonstanz (Theo­ retisches Leuchtdichtemodell) befindet. Durch den schnellen Vorgang des Scannens stellt die durch die Bewegung verursachte Leuchtdichteverände­ rung so lange kein Problem dar, solange die Geschwindigkeit der Bewe­ gung den Adaptationszustand nicht beeinflusst. Blickfelderweiterung von dunkleren zu helleren Bereichen sind meist möglich, da die Adaptationsvorgänge blitzschnell erfolgen, während hell zu dunkel den Adaptationsvorgang verlangsamt und längere Anpassungs­ zeiten benötigt.

Der visuelle Raum

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3.5.8  Anwendung der Erkenntnisse am Beispiel eines ­Konferenzraums Ich möchte in diesem Abschnitt die Erkenntnisse aus Kapitel 3.5 zusam­ menfassen und anhand eines Konferenzraums deutlich machen. Unser Konferenzraum hat die Maße 8,4 × 6 × 3 m (l/b/h). Es gibt einen Tisch mit neun Plätzen, einen Vortragenden und eine Projektionsflä­ che an der Wand. Die einzelnen Positionen stehen in ständigem Austausch miteinander. Die Gesichtserkennung (siehe Kapitel 3.8.1) des jeweiligen Gegenübers ist für die visuelle Kommunikation von großer Bedeutung. Zu­ sätzlich befinden sich am Tisch diverse Arbeitsmittel wie z. B. Laptops, Bro­ schüren, Schreibutensilien etc.

Konzeptausarbeitung Konferenzraum Anforderungen Ein Konferenzraum ist ein Ort der Kommunikation mit hohen visuellen An­ sprüchen. Die vertikalen Helligkeiten spielen hier eine große Rolle. Bei ausreichender Vertikalhelligkeit werden die Gesichter natürlich beleuchtet und begünstigen die Kommunikation. Es ist wichtig, die einzelnen Tätigkei­ ten im Raum gut aufeinander abzustimmen und gute Sehbedingungen zu schaffen, um Aufmerksamkeit und Wohlbefinden zu ermöglichen. Grundsätzlich kann man den Konferenzraum in zwei Bereiche teilen (Abb.  176), welche unterschiedliche Forderungen an das Beleuchtungs­ system stellen: • den Bereich des Vortragenden (orange) und • den Bereich der Gesprächspartner/Zuhörer (gelb). Der Vortragende muss „in einem guten Licht“ erscheinen, darf sich jedoch nicht in Konkurrenz zur Projektionsfläche bringen. Der Schwerpunkt liegt auf der Akzentuierung des Vortragenden und damit auf der vertikalen Hel­ ligkeit. In der Hörerzone müssen die Vertikalhelligkeit und die horizontale Beleuchtungsstärke aufeinander abgestimmt werden. Während eines Vor­ trags muss sichergestellt sein, dass genügend Helligkeit zum Mitschreiben vorhanden ist. Weiters sollten die Gesichter der Teilnehmer auch für den Vortragenden gut erkennbar sein. Leuchtdichtebereiche Die empfohlenen Leuchtdichten werden in den folgenden Grafiken im Theoretischen Leuchtdichtemodell dargestellt. Sie zeigen die geforderten Leuchtdichtebereiche für die Szenen A, B und C (Abb. 179). Grundlage dafür ist das Kapitel 3.5 („Visuelle Organisation des Arbeitsplatzes“). Lichttechnische Kennziffern Folgende Szenen und ihre jeweilige Nutzung wurden definiert: • Szene A: Konferenztisch – lesen, diskutieren, schreiben, Laptop etc. • Szene B: Vortragsbereich – Vortrag an Projektionsfläche, Flipchart etc. • Szene C: Gesichtserkennung – Gesichtserkennung des Vortragenden und der am Tisch sitzenden Personen

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Kapitel 3

Abb. 174 Übersicht Grundriss.

Abb. 175 Längs- und Querschnitt.

Der visuelle Raum

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Abb. 176 Darstellung der Tätigkeitsbereiche.

Abb. 177 Ermittlung der Leuchtdichtebereiche (LI, LU, LUm) für den Konferenztisch und Vortragsbereich (Szene A und B).

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Kapitel 3

Abb. 178 Ermittlung der Leuchtdichteberei­ che (LI, LU, LUm) für die Gesichts­ erkennung am Konferenztisch (Szene C).

Abb. 179 Analyse der Szenerie A, B und C.

Abb. 180 Verlauf der horizontalen und vertikalen ­Beleuchtungsstärke am Auge. Der visuelle Raum

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Abb. 181 Lichtmilieu Szene A + C.

Abb. 182 Lichtmilieu Szene B.

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Kapitel 3

In Abb. 180 ist der Verlauf der horizontalen und vertikalen Beleuchtungs­ stärken dargestellt. Die Werte sind aus der Tabelle Abb. 180 entnommen, wobei der horizontale Wert ein Mittelwert aus Enh ist. Die Beleuchtungs­ stärke wurde über die Beziehung E = L × ρ × 1/π berechnet. Dabei wur­ den Reflexionswerte an den Belegen von ρ = 0,3–0,8 definiert. Bei einer Leuchtdichte von L = 140 cd/m² und einem mittleren Reflexionsgrad von ρ = 0,5 ergeben sich folgende Beleuchtungsstärken: • horizontale Beleuchtungsstärke Eh= 140 × π/0,5 = 800–900 lx, • vertikale Beleuchtungsstärke EV = 30 × π/0,5 = 200 lx. Die Verteilung der Helligkeiten in Abb. 180 basiert auf der Überlegung, dass aufgrund der aktiven visuellen Wahrnehmungsvorgänge, die ja vor­ wiegend auf Bewegungsabläufen beruhen, Helligkeitsbereiche die visu­ elle Grundlage darstellen (Studie „Mehrere Infelder“). Diese liegen im Infeldbereich generell über LI > 60 cd/m² (60–300 cd/m²) und werden individuell an die spezifische Tätigkeit und die einzelnen Posi­ tionen angepasst. Diese Anpassung ist in der Tabelle Abb. 179 gegliedert angeführt und in Abb. 180 als zonierter Verlauf eingetragen. Die Ermittlung dieser Leucht­ dichteverteilung wurde im Theoretischen Leuchtdichtemodell in Abb.  177 und Abb. 178 dargestellt. Beleuchtungskonzept Das Konzept dieses Raums beruht auf der Überlegung, den Raum mittels Reflexion über die Wandflächen zu beleuchten (Abb. 183, 184) Im ersten Schritt ist ein umlaufendes und in die Decke integriertes sog. Wallwasher-System als Primärlichtquelle geplant. Dabei handelt es sich um ein Leuchtensystem, das die Wände ausschließlich von oben bestrahlt. Über reflektierende Wandelemente wird nun das sekundäre Licht in den

Abb. 183 Systeme dieser Art werden in Kapitel 5 ­erarbeitet.

Der visuelle Raum

219

Abb. 184 Das primäre Lichtsystem an der Decke strahlt über die reflektierenden Elemente an den ­Wänden sekundär in den Raum.

Abb. 185 Beispiel einer Raumsituation mit ihrem Umgebungsbereich.

220

Kapitel 3

Raum gelenkt, und die einzelnen Bereiche werden gemäß den definierten lichttechnischen Anforderungen und dem gewünschten Erscheinungsbild beleuchtet. Dieses Konzept beruht auf der Überlegung, dass die notwendigen ver­ tikalen Helligkeiten bei den angedachten Intensitäten keine Blendungs­ erscheinungen und keine Ablenkungen verursachen. Dafür eignet sich am besten ein blendfreies, direkt strahlendes und sekundär reflektierendes System (siehe Kapitel 5). Der Bereich des Umfeldes definiert sich aus den den Raum begrenzen­ den und reflektierenden oder transparenten Oberflächen und erfasst das nichtvisuelle System. Die Zusammenhänge zwischen visuellem und nicht­ visuellem System und ihre Bedeutung sind in den Kapiteln 2, 2.2, 2.4 und 2.4.4 bereits erarbeitet und dargestellt. Der folgende Inhalt der Kapitel 3.6–3.7 stellt eine Vertiefung des Um­ feldbereichs und des nichtvisuellen Systems dar. In Kapitel 3.6 beschreibe ich eine analytisch geprägte Vorgangsweise, die als Möglichkeit, Unterstützung, Anregung und Hilfestellung für reale Lichtplanungsvorgänge zu sehen ist. Kapitel 3.6 ist demnach hilfreich, stellt jedoch für das Gesamtverständnis des Buchinhaltes keine Nordwendigkeit dar und kann übergangen werden.

3.6  Umfeldbereich des visuellen Raumes – begrenzende, reflektierende, transparente Oberflächen Wie wir bereits wissen und auf was ich dennoch zur besseren Verinnerli­ chung immer wieder hinweisen möchte, ist, dass das Erscheinungsbild des visuellen Raums vorwiegend vom globalen Gesichtsfeld des Umfeldes ge­ prägt wird, das jeweils die Blickrichtung – also den Bereich des Fokussie­ rens – umschließt. Dieses globale Gesichtsfeld stellt in seiner Erweiterung zum Blickfeld den Umgebungs- oder Umfeldbereich des visuellen Raums dar und informiert über die begrenzenden räumlichen Raumoberflächen. Wie in Kapitel 1.2 beschrieben, werden die sensorisch-visuellen Reize über die Sehbahnen über den „Wo-Bereich“ im Bottom-up-Vorgang vor­ wiegend unbewusst verarbeitet. Es werden die Adaptationsvorgänge, die Pupillenweite, die Akkomodationsvorgänge und die Serotonin- und Me­ latoninproduktion beeinflusst und die vorwiegend unbewussten Abläufe erfasst. Da der Großteil der Rezeptoren Stäbchen sind, ist dieser Bereich beinahe farbenblind. Wichtig ist somit, dass sich die Helligkeit und ihre Differenzierung summarisch als mittlere Umgebungsleuchtdichte gestaltet und diese der Adaptationsleuchtdichte des Raums entspricht. Wie ich ebenfalls bereits im Kapitel 1.3.1, Abb. 32 und 33, beschrieben habe, steht die vertikale Beleuchtungsstärke am Auge (EVA) in direktem Zu­ sammenhang mit der mittleren Umgebungsleuchtdichte (LUm) und wird von den Infeldleuchtdichten (LI) fast nicht beeinflusst. Ausgewogene Leuchtdichteverhältnisse am Arbeitsplatz bedeuten eine raumspezifische Abstimmung der Leuchtdichten zwischen dem fovealen Tätigkeitsbereich und dem peripheren Arbeitsraum. Wenn stimmige Hellig­ keitsproportionen auftreten, wird das Auge auch bei einem fluktuierenden Blick mühelos einen weitgehend stabilen Zustand der Adaptation beibe­ halten können. Durch eine derartige Gestaltung der Leuchtdichten bleiben dem Auge eine konstante Unterschiedsempfindlichkeit und Sehschärfe er­ halten, auch bei einem meist dynamischen Tätigkeitsablauf. Dieser sich daraus ergebende Leuchtdichtebereich ist im Theoretischen Leuchtdichte­ modell in Kapitel 1.4.1, Abb. 54, dargestellt. Der visuelle Raum

221

Das Erscheinungsbild der Umgebung wird durch die den Raum um­ schließenden reflektierenden Oberflächen und ihre zugeordneten Mate­ rialien gebildet. Je nach Differenzierung ihrer Struktur, Textur, Farbe und Form wird das Licht nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten reflektiert, ab­ sorbiert und ggf. transmittiert. Das dadurch entstehende Erscheinungsbild wird über das Sekundärlicht mit seinen informativen Inhalten erweitert, und durch die Verarbeitung im Gehirn und die damit verbundenen Ge­ hirnkonzepte entsteht daraus das visuelle Verhalten. Nur das reflektierte und modulierte Licht (= Sekundärlicht) wird vom visuellen System wahrge­ nommen und vermittelt uns die Information und den materialspezifischen Helligkeitseindruck in Form der messbaren Leuchtdichte in cd/m². Jene Umfeldkomponenten, die einem Raum Gestalt geben und die für eine sta­ bile Wahrnehmung lichttechnisch optimiert werden müssen, sind • die Schreibtische (= primäres Umfeld), • die Wände (= sekundäres Umfeld), • die Raumdecke (= sekundäres Umfeld), • der Fußboden (= sekundäres Umfeld), • die Beleuchtungskörper (= sekundäres Umfeld) und • die Fenster (= sekundäres und tertiäres Umfeld). Zusammenfassend kann man feststellen, dass der visuelle Raum in seiner Wirkung und in seinem Erscheinungsbild stark von seinem unmittel­baren und tertiären Umfeld und seinen visuellen erfass- und erkennbaren Ob­ jekten geprägt wird. Darin einbezogen ist auch das Tageslicht, dem infor­ mative und im Besonderen zirkadiane Wirkung zukommt, denn das bio­ logische Licht ist letztendlich das Tageslicht. Künstliche Beleuchtung ist als Werkzeug zu sehen, das während der Dämmerung und Nacht als Ersatz für Tageslicht dient und dabei die Melatoninproduktion ermöglicht (Kapi­ tel 2.8). Der Begriff des visuellen Raums ist ganzheitlich aufzufassen, da in ihm all die visuellen Komponenten vernetzt werden.

3.6.1  Reflektierende Raumoberflächen Wände sind die vertikalen Begrenzungsflächen eines Raums. Sie funk­ tionieren zusätzlich als Raumteiler, Stellflächen und sind wesentliche Ge­ staltungselemente, die das visuelle Erscheinungsbild eines Raums prägen. In der Hierarchie der Leuchtdichtezuordnung gelten sie als unmittelbares und erweitertes Umfeld. Für die Stabilisierung des Wahrnehmungszustan­ des sind diese vertikalen Flächen – vor allem der obere Halbraum (Hemi­ sphäre) – dominant. Für Wände nun die Bezeichnung „Lichtwand“ einzusetzen ist durch­ aus angebracht, da die mittleren Leuchtdichten an den Wänden von ca. 15–80  cd/m² beinahe wie Selbstleuchter in den Raum strahlen. Wir er­ kennen damit deutlich, dass sowohl reflektierende als auch diffuse Wände wesentlich zur Beleuchtung beitragen. Bei einer Wandleuchtdichte von LU ≈ 50 cd/m² beträgt der Strahlungs­ anteil ca. 150–200 lm/m². Bei der angepassten und bewusst eingesetzten Strahlungscharakteristik eines Wandmaterials mit optimiertem Lichtsystem kann damit besonders die Vertikalbeleuchtungsstärke angehoben wer­ den und damit das visuelle Erscheinungsbild von Personen und Objekten (Abb. 186, 187). Da die Wände, über die das Licht reflektiert wird, einen Großteil der Raumoberfläche einnehmen, treten keine Blendungen und keine störenden Ablenkungen auf, und die Leuchtdichtebereiche können gut angepasst werden. 222

Kapitel 3

Abb. 186 Das Erscheinungsbild des Gesichts bei direkter und gerichteter Beleuchtung erzeugt Schatten. Es kann eine Veränderung, oftmals sogar Verzerrung, des Gesichtsaus­ drucks entstehen und damit verbunden eine Veränderung der Mimik.

Abb. 187 Diffuse Komponenten im gerichteten Strahlungsbereich verringern die Schattenbildung.

Das Erscheinungsbild eines Gesichts ändert sich erheblich durch diffe­ renzierte Vertikalbeleuchtungsstärken. Durch das Ausrichten der vertikalen Helligkeiten an Personen soll die störende Schattenbildung auf Gesichtern in Grenzen gehalten werden. Wir wissen alle, wie wichtig es ist, das Ge­ sicht unseres Gegenübers in all seinen Einzelheiten wie Mimik, Augen­ farbe etc. deutlich und ungestört zu erkennen. Der Vertikalbeleuchtungs­ stärke kommt demnach für die Informationsvermittlung und das Licht- und Raummilieu sehr große Bedeutung zu. Im Außenraum liegen untertags die vertikalen Beleuchtungsstärken nahe den horizontalen Beleuchtungsstär­ ken und bei tiefer stehender Sonne sogar noch darüber. Es herrscht also ein Wechsel der Intensitäten, damit verbunden der Szenen und der Er­ scheinungsbilder während des Tagesverlaufs. Bei künstlicher Beleuchtung im Inneren hingegen dominiert bei der aktuell allgemeinen Betrachtung vorwiegend die horizontale Helligkeit, und es wird auch meist nur diese gemessen und bewertet. Es ist daher für uns Lichtplaner notwendig, darauf zu achten, die Be­ leuchtungssysteme so zu konzipieren, dass die horizontalen und vertika­ len Leuchtdichten (als Ergebnis der Beleuchtungsstärken) als Ergebnis der gesamten Anlage – konkret des visuellen Raums – entstehen. Blendungs­ erscheinungen, wie sie solche Systemarten häufig begleiten, dürfen nicht auftreten, da sie das Erscheinungsbild der gesamten Anlage infrage stel­ len würden. Es können sehr wirksam die Raumoberflächen des visuellen Raums so gestaltet werden, dass entsprechend notwendige Eh/EV erreicht werden und durch die Großflächigkeit die Eigenleuchtdichte der Raum­ oberflächen reduziert werden kann.

Der visuelle Raum

223

3.6.2  Diffus reflektierende Raumoberflächen Wie bereits erwähnt, können diffus reflektierende Wandflächen durch Anstrahlung im zulässigen Bereich als eigene Beleuchtungskomponenten genutzt werden. Sie tragen 30–50 % zur Raumbeleuchtung bei und unter­ stützen im Besonderen die vertikalen Helligkeitskomponenten. Neben den Grenzwerten zur Aufrechterhaltung der stabilen Wahrnehmung ist weiters darauf zu achten, dass farbige Wandflächen aufgrund ihrer ­Material- und spektralen Eigenschaften (spektrale Remission) das Spek­ trum des ­primären Lichts mehr oder weniger stark beeinflussen. Wir kön­ nen damit zwar spektrale Verläufe teilweise korrigieren, aber auch ver­ zerren. In ­diesem ­Zusammenhang ist es unerlässlich, die Erkenntnisse der ökologischen Optik (Kapi­tel 1.1) zu berücksichtigen, da Wandflächen mit gleicher Leuchtdichte je nach ihrer Materialbeschaffenheit zu unterschied­ lichen subjektiven Helligkeitsbewertungen und Erscheinungsbildern führen ­können. Zur Erinnerung: Ein Raum mit weißem Anstrich und einer Leuchtdichte von ca. 50 cd/m² erscheint heller und nüchterner als ein mit Holz verklei­ deter Raum mit derselben Leuchtdichte, der als wärmer und gedämpfter beurteilt wird. Die lichttechnischen Kennziffern erhalten dadurch eine in­ formative Aufladung und prägen das Erscheinungsbild (Abbildungsreihe 160–163, Kapitel 3.3). Zusammenfassend sei noch einmal erwähnt, dass angestrahlte und re­ flektierende Wandflächen genutzt werden können, um die herkömmliche Beleuchtung zu beeinflussen, zu optimieren und zu korrigieren hinsichtlich • ihrer Quantität, • ihrer Verteilung, • ihrer spektralen Zusammensetzung des Raumlichtes (Lichtquellen und Materialoberflächen), • ihrer Erhöhung der vertikalen Komponenten, • ihrer Strahlungsart, • ihres Licht- und Raummilieus, • ihres Erscheinungsbildes und • ihres Energiebedarfs. Das bedeutet, dass das Modulieren des primären Lichtes über große Wandflächen mit angepassten Materialfarben und -strukturen zu einer erheblichen Verbesserung des Licht- und Raummilieus führen kann. Vor­ aussetzung dafür ist selbstverständlich immer, dass die Leuchtdichten des In- und Umfeldes optimal auf die stabile Wahrnehmung abgestimmt sind. Doch selbst mit ihrem optimal genutzten Lichtstromanteil (der sich aus der Umgebungsleuchtdichte ergibt) sind den diffus reflektierenden sogenann­ ten leuchtenden Wänden Grenzen gesetzt, denn die wirksame Sekundär­ strahlung wird durch den Rauminhalt wie Mobiliar, Personen etc. beein­ flusst und eingeschränkt (Fließgleichgewicht). Ich möchte an dieser Stelle die Abbildungsreihe 160–163 in Kapitel 3.3 noch einmal genauer betrachten: Alle Wände haben eine mittlere Leuchtdichte von LW = 30 cd/m² und somit gleiche Helligkeit des Sekundärlichts. Daraus geht hervor: • In Abb. 160 ist die Wand weiß, und der Reflexionsgrad beträgt ρ = 0,7. Um eine Wandleuchtdichte von LW = 30 cd/m² zu erreichen, benötigen wir eine Beleuchtungsstärke von EV ≈ 135 lx. • In Abb. 161 ist die Wand grau, und der Reflexionsgrad beträgt ρ = 0,3. Um eine Wandleuchtdichte von LW = 30 cd/m² zu erreichen, benötigen wir eine Beleuchtungsstärke von EV ≈ 315 lx. 224

Kapitel 3

• In Abb. 162 ist die Wand aus Holz, und der Reflexionsgrad beträgt ρ = 0,3. Um eine Wandleuchtdichte von LW = 30 cd/m² zu erreichen, benötigen wir ebenfalls eine Beleuchtungsstärke von EV ≈ 315 lx. • In Abb. 163 ist die Wand fast schwarz, und der Reflexionsgrad beträgt ρ = 0,05. Um eine Wandleuchtdichte von LW = 30 cd/m² zu erreichen, benötigen wir eine Beleuchtungsstärke von EV ≈ 1.885 lx. Physiologisch sind die Helligkeiten an den Bildwänden mit LW ≈ 30 cd/m² bei allen Varianten gleich, vom Erscheinungsbild her jedoch alle unter­ schiedlich. Subjektiv erscheint die weiße Bildwand am hellsten und die Oberfläche am neutralsten. Durch den verringerten Reflexionsgrad der Holzwand beispielsweise benötigt man bereits den doppelten Energie­ aufwand, und das Erscheinungsbild wird stark von der Materialeigen­ schaft geprägt. Die Wand in Abb. 163 ist besonders stark durch die Farbe Schwarz geprägt und vermittelt trotz derselben Leuchtdichte Dunkelheit. Zwar erfährt das Exponat die höchste Aufmerksamkeit, jedoch ist der Ener­ gieaufwand hier um das ungefähr 14-Fache angestiegen.

3.6.3  Der Raum als Reflektor für unterschiedliche Raumgeometrien und Reflexionsarten Im folgenden Beispiel wurden unter Zuhilfenahme des Berechnungs­modells Dialux Berechnungen für zwei unterschiedliche Raumgeometrien durch­ geführt. Es wurde ermittelt, welchen Anteil die Raumoberflächen (Wände und Decke) zur Raumbeleuchtung beitragen, und die Beleuchtungs­stärke wurde horizontal und vertikal dargestellt. Darüber hinaus wurden unterschiedliche Strahlungsarten dargestellt und analysiert, die ebenfalls über die Indikatrix der Materialoberflächen beeinflusst und bestimmt werden können. Die Absicht dieses Beispiels ist es, den Einfluss der Lichtanteile, die von der Umgebungshelligkeit des Raums stammen, prinzipiell darzustellen. Prinzipiell deshalb, da die Indi­ vidualität von Raumgebilden mit ihren Formen, Farben, Beleuchtungsarten und Prägungen durch die visuelle Tätigkeit vielschichtig ist. Wenn es über­ haupt möglich ist, dies zu erfassen, so würde es den Rahmen dieses Bei­ trags überschreiten. Ich glaube jedoch, dass diese Darstellung eine gute Übersicht über die Bedeutung dieser Überlegungen bietet.

Vorgaben für die Berechnung • • • • •

diffus strahlende Raumoberflächen (Lambert-Strahler), gerichtete Raumoberflächen (Anordnung A und B), mittlere Leuchtdichte der Raumoberflächen LU = 25 cd/m², Reflexionsgrad des Fußbodens ρ = 0,3 und fehlender Tageslichteinfluss (= fensterlose Räume).

Zusätzlich wurden unterschiedliche Strahlungstypen definiert und im Be­ rechnungsmodell untersucht.

Strahlungstypen Strahlungstyp A Die Decke und die Wände strahlen diffus bzw. gerichtet in den Raum mit einer mittleren Leuchtdichte von LUm = 25 cd/m². Der visuelle Raum

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Abb. 188 Raumgeometrie 1: 4,8 × 4,8 × 2,4 m (l × b × h).

Abb. 189 Raumgeometrie 2: 10 × 10 × 3 m (l × b × h).

Strahlungstyp B Die Decke strahlt diffus bzw. gerichtet mit einer mittleren Leuchtdichte von LUm = 25 cd/m² in den Raum. Die Wände erzeugen Mehrfachreflexion und haben einen Reflexionsgrad von ρ = 0,6. Strahlungstyp C Die Wände strahlen diffus bzw. gerichtet mit einer mittleren Leuchtdichte von LUm = 25 cd/m² in den Raum. Die Decke erzeugt Mehrfachreflexion und hat einen Reflexionsgrad von ρ = 0,8.

226

Kapitel 3

Abb. 190 Strahlungstyp A.

Abb. 191 Strahlungstyp B.

Abb. 192 Strahlungstyp C.

Aufbau Berechnungsmodell Um die angestrebte mittlere Leuchtdichte von LUm = 25 cd/m² zu errei­ chen, wurden Leuchten mit definierter Lichtverteilung vor die Raumoberflä­ chen (Wände, Decke) gesetzt und damit diffus bzw. gerichtet strahlende Flächen erzeugt. Diese Flächen wurden so dimensioniert, dass sie sich in einem „eingeschwungenen Zustand“ befinden, d. h., die Mehrfachrefle­ xion wurde bereits in der Dimensionierung des abgegebenen Lichtstroms berücksichtigt. In der Berechnung wird nicht mit dem installierten Licht­ strom, sondern mit dem abgegebenen Lichtstrom gerechnet: Φ = L × A × π. Ausgewertet wurde die horizontale Beleuchtungsstärke auf der Nutz­ ebene h = 0,85 m und die vertikale Beleuchtungsstärke EV auf h = 1,2 m in der Raummitte. Der visuelle Raum

227

Abb. 193 Strahlungsart 1 – diffuse Lichtverteilung.

Abb. 194 Strahlungsart 2 – gerichtete Lichtverteilung.

Abb. 195 Raumart 1, Strahlungstyp A, ­Strahlungsart 1 (diffus) Beleuchtungsstärkeverlauf ­horizontal (Eh) in der Raummitte.

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Kapitel 3

Abb. 196 Raumart 1, Strahlungstyp A, ­Strahlungsart 1 (diffus) Beleuchtungsstärkeverlauf vertikal (EV).

Abb. 197 Raumart 1, Strahlungstyp B, ­Strahlungsart 1 (diffus) Beleuchtungsstärkeverlauf horizontal (Eh) in der Raummitte.

Der visuelle Raum

229

Abb. 198 Raumart 1, Strahlungstyp B, ­Strahlungsart 1 (diffus) Beleuchtungsstärkeverlauf vertikal (EV).

Abb. 199 Raumart 1, Strahlungstyp C, ­Strahlungsart 1 (diffus) Beleuchtungsstärkeverlauf ­horizontal (Eh) in der Raummitte.

230

Kapitel 3

Abb. 200 Raumart 1, Strahlungstyp C, ­Strahlungsart 1 (diffus) Beleuchtungsstärkeverlauf vertikal (EV).

3.6.3.1  Übersicht über die Strahlungstypen A, B und C Strahlungstyp A: Hier geht die Strahlung von Decke und Wand aus (LD/LW = 25  cd/m²). Es entsteht eine von diesen umschließenden Strahlungsanteilen, abhängig von der Raumgeometrie 1 (RG1) und Raumgeometrie 2 (RG2). Dadurch entsteht ein Erscheinungsbild, das seine Ursache in seinen Komponenten hat und von ihnen geprägt wird wie • Eh – Verläufen, • Ehm – Mittelwert, • EV – Verläufen, • EVm – Mittelwert, • LUm – mittlere Umgebungsleuchtdichte. Mit der diffusen Art der Strahlung erreicht man die höchsten horizontalen und vertikalen Beleuchtungsstärken (Abb. 201, 202). Strahlungstyp B: Hier geht die Strahlung von der Decke aus, und die übrigen Raumbereiche sorgen für die Mehrfachreflexion (Zuordnung LD = 25 cd/m²). Durch die Raumgeometrie 1, bei welcher die Wandfläche summarisch größer als die Deckenfläche ist, ergibt sich im Gegensatz zur Raumgeo­ metrie 2, wo dies umgekehrt ist, ein unterschiedliches Erscheinungsbild. Bei Raumgeometrie 1 erreichen wir die geringsten mittleren vertikalen Beleuch­ tungsstärken (Abb. 201) und eine horizontale Beleuchtungsstärke, deren Verlauf zur Raummitte hin ansteigt und dadurch das Erscheinungsbild domi­niert. Bei Raumgeometrie 2 hingegen ist durch die größere Decken­ fläche die Deckenstrahlung dominant. Der visuelle Raum

231

Strahlungstyp C Hier geht die Strahlung von den Wänden aus, und die übrigen Raum­ anteile wie Decke und Fußboden sorgen für die Mehrfachreflexion (Zu­ ordnung LW = 25 cd/m²). Die Unterschiede der Raumgeometrie 1 und Raumgeometrie 2 liegen darin, dass bei Raumgeometrie 1 die summarische Wandfläche im Verhält­ nis zum gesamten Raum am größten ist und diese Strahlungsanteile domi­ nieren. Man erreicht dadurch eine höhere vertikale Beleuchtungsstärke. Der horizontale Beleuchtungsstärkeverlauf steigt in der Wandzone an und fällt zur Raummitte hin ab. Generell ist auch die vertikale Beleuchtungs­ stärke höher, was sich in Richtung Wandbereiche noch steigert (Abb. 202). Es zeigt sich, dass das Einbeziehen des gesamten visuellen Raums mit sei­ nen umfließenden Raumoberflächen mit der diffus reflektierenden Strah­ lungsart wie ein ganzheitliches Reflektorsystem aufgefasst wird. Durch die Variation der Raumsysteme RG1 und RG2 und der Strahlungs­ typen A, B und C ist eine komplexe Veränderung der Lichtführung einge­ schränkt möglich, auch durch die Trägheit der „Diffusität“. Dadurch kön­ nen die Eh/EV je nach Notwendigkeit durch die Nutzung des Erscheinungs­ bildes und des Energieaufwandes beeinflusst und sinngemäß zugeordnet werden. Da die Möglichkeiten durch die ungerichtete „diffuse Strahlung“ Eingrenzungen erfahren, können sie durch gerichtete Strahlungskompo­ nenten erweitert werden.

3.6.3.2 Zusammenfassung Der visuelle Raum mit seinen begrenzenden und diffus reflektierenden Raumoberflächen kommt in der Realität häufig vor. Natürlich sind nicht alle Raumoberflächen mit diffusen Materialien ausgestattet, und auch ­befinden sich in der Regel Möbel, Bilder etc. in einem Raum. Das ­Sekundärlicht wird durch die spektralen Eigenschaften sowohl der Lichtquelle als auch der darin befindlichen Materialien moduliert und reflektiert. Durch die Mehr­ fachreflexion und das daraus resultierende Fließgleichgewicht jedoch ent­ steht meist diffuse Raumstrahlung. Diffuse Strahlung wird in den meisten Fällen lediglich in Zusammenhang mit indirekter Beleuchtung gesehen, ansonsten wird ihr wenig Bedeutung beigemessen. Sie nun als unmittel­ bare Beleuchtungskomponente anzuwenden und einen Raum als Reflektor bewusst zu nutzen wird nur wenig betrachtet und umgesetzt. Bei der sorgfältigen Planung großer Räume wie z. B. Museen, Galerien, Shops etc., in welchen für Ausstellungsobjekte und die Warenpräsentation hohe Infeldbereiche notwendig sind, empfehle ich, die Raumoberflächen in das Beleuchtungssystem miteinzubeziehen und es mit den Ergebnissen aus Kapitel 1, 1.5 zu vernetzen.

3.6.3.3  Der weiße diffuse visuelle Raum Der weiße und diffuse visuelle Raum stellt physikalisch, physiologisch und psychologisch eine Besonderheit dar. Physikalisch entsteht durch die Mehrfachreflexion eine progressive Ab­ hängigkeit zum Reflexionsgrad der Wandoberflächen. Das bedeutet, dass die Helligkeit im Raum durch die Mehrfachreflexion vom Reflexionsgrad progressiv dominiert wird. Für das Erkennen der Raumkonturen und die Orientierung im Raum ist die Bildung der Invarianten bedeutend. Um die Unschärfe, die sich durch Diffusität ergibt, zu korrigieren, ist es notwendig, die Raumkonturen zu verdeutlichen. Ein weißer Raum wird meist automa­ 232

Kapitel 3

tisch als hell bewertet. Das kann man neurologisch und hypothetisch so begründen, dass „weiß“ und „hell“ in eines unserer angeborenen Gehirn­ konzepte gehört. Das ist für mich die Erklärung, warum Weiß in der Archi­ tektur so häufig umgesetzt wird. Wie Forschungsstudien erkennen lassen, ist die visuelle Leistung im weißen und diffusen Raum weitgehend unabhängig von der Umge­ bungsleuchtdichte. Auch die Herzratenvariabilität differiert nicht bei wech­ selnder Lichtfarbe. Die subjektive Bewertung (semantisches Differential) eines weißen Raums lässt summarisch den Schluss einer Materialober­ fläche ohne Eigenschaften zu. Damit sind auch keine Ablenkungen der Aufmerksamkeit zu erwarten, mit Ausnahme bei zu hohen Helligkeiten im Umfeld. Dies zeigten uns Untersuchungen anhand des Hautleitwertes in Zusam­ menhang mit Deckenleuchtdichte, Infeldleuchtdichte, Zeitablauf, Schweiß­ bildung und Emotionen. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit wurden bereits in Kapitel 2.2 dargestellt.

3.6.4  Gerichtet reflektierende Raumoberflächen Die Ergebnisse der Untersuchung diffus strahlender Wände und die Ab­ bildungen 201 und 203 zeigen uns, dass • die Leuchtdichte und ihre Intensität, • der Reflexionsgrad, • die Raumgeometrie, • der Bereich der Raumoberfläche und ihre Zuordnung, • der Energieaufwand und • die Art der Strahlung erheblichen Einfluss haben auf • die mittlere horizontale Beleuchtungsstärke, • den mittleren horizontalen Beleuchtungsstärkeverlauf, • die mittlere vertikale Beleuchtungsstärke und • den mittleren vertikalen Beleuchtungsstärkeverlauf und wie stark bereits diffuse Komponenten ein Lichtkonzept beeinflus­ sen können. Der Beitrag dieses Kapitels führt diese Überlegungen fort, indem nun der Einfluss gerichteter Strahlung an den Raumoberflächen untersucht wird. Es werden dieselben Raumgeometrien RG1 und RG2 für die Betrachtung herangezogen. Abb. 201 zeigt, dass die Strahlungsart A die gleichmäßigste ­vertikale und horizontale Helligkeitsverteilung ergibt und auch die höchsten Be­ leuch­tungsstärken ausweist, jedoch auch den höchsten Energieaufwand benötigt (Abb. 211). Die gerichtete Strahlungsverteilung zeigt deutliche Veränderungen gegen­ über der diffusen. Im Besonderen kommt die Variabilität der Verteilung zum Ausdruck (Abb. 203, 204). Die Verteilung wird von der direkten Strahlung der Decke beeinflusst. Die mittlere horizontale Beleuchtungsstärke wird angehoben und die verti­ kale Helligkeit weitgehend über den Raum verteilt und konstant gehal­ ten. Dieser Strahlungstyp benötigt am wenigsten Energie und die verti­ kale Beleuchtungsstärke ist weitgehend über den Raum verteilt konstant (Abb. 205, 206).

Der visuelle Raum

233

Abb. 201 Übersicht der Ergebnisse Raumart 1, Strahlungsart 1 (diffus) Vergleich der horizontalen Beleuchtungsstärkeverläufe (Eh).

Abb. 202 Übersicht der Ergebnisse Raumart 1, Strahlungsart 1 (diffus) Vergleich der vertikalen Beleuchtungsstärkeverläufe (EV).

234

Kapitel 3

Abb. 203 Raumart 1, Strahlungstyp A, Strahlungsart 2 (gerichtet) Beleuchtungsstärkeverlauf horizontal (Eh) in der Raummitte.

Abb. 204 Raumart 1, Strahlungstyp A, Strahlungsart 2 (gerichtet) Beleuchtungsstärkeverlauf vertikal (EV).

Der visuelle Raum

235

Abb. 205 Raumart 1, Strahlungstyp B, Strahlungsart 2 (gerichtet) Beleuchtungsstärkeverlauf horizontal (Eh) in der Raummitte.

Abb. 206 Raumart 1, Strahlungstyp B, Strahlungsart 2 (gerichtet) Beleuchtungsstärkeverlauf vertikal (EV).

236

Kapitel 3

Abb. 207 Raumart 1, Strahlungstyp C, Strahlungsart 2 (gerichtet) Beleuchtungsstärkeverlauf horizontal (Eh) in der Raummitte.

Abb. 208 Raumart 1, Strahlungstyp C, Strahlungsart 2 (gerichtet) Beleuchtungsstärkeverlauf vertikal (EV).

Der visuelle Raum

237

Abb. 209 Übersicht der Ergebnisse Raumart 1, Strahlungsart 2 (gerichtet) Vergleich der horizontalen Beleuchtungsstärkeverläufe (Eh). Die ­gerichtete Strahlungsart ist besonders geeignet, um die Verteilung der Helligkeiten zu verändern.

Abb. 210 Übersicht der Ergebnisse Raumart 1, Strahlungsart 2 (gerichtet) Vergleich der vertikalen Beleuchtungsstärkeverläufe (EV).

238

Kapitel 3

Abb. 211 Zusammenhang zwischen dem erforderlichen Lichtstromaufwand und den jeweiligen Leucht­ dichten an den Raumoberflächen.

Aus den Ergebnissen erkennen wir deutlich, dass bei der gerichteten Strah­ lung bei Strahlungstyp A und B die höchsten horizontalen Beleuchtungs­ stärkewerte erreicht werden, wobei die vertikale Beleuchtungsstärke leicht verminderte Werte erzielt. Diese Differenz lässt sich durch die Lichtvertei­ lung ausgleichen. Wie wir in Abb. 211 sehen, hat die gerichtete Strahlungs­ art B den geringsten Energieaufwand. Die Ergebnisse bestätigen generell, dass die umschließenden und begren­ zenden Raumoberflächen eines Raums mit ihren Reflexionseigenschaften im Zusammenhang mit dem Primärlicht, das auf sie fällt, und den entste­ henden Mehrfachreflexionen einen wesentlichen Beitrag zum Licht- und Raummilieu leisten (Kapitel 1, Abb. 2). Die visuellen und lichttechnischen Komponenten sind hierbei • die Reflexions- bzw. Transmissionseigenschaften der begrenzenden Raumoberflächen, • die Dimension und die Reflexionswerte des Rauminhaltes (Möblierung etc.), • die Quantität, Verteilung, Strahlungscharakteristik und spektrale Zusam­ mensetzung des Primärlichts, • die Remissionseigenschaften, Indikatrix und spektralen Eigenschaften der Materialoberflächen, • die Geometrie des Raums und • die Textur, Farbe und Strahlungscharakteristik der Materialoberflächen. Die entstehenden vertikalen Beleuchtungsstärken am Auge geben Aussa­ gen über die Objekt- und Gesichtserkennung und über den Zusammen­ hang LUm = π × EVA. Die vertikalen Beleuchtungsstärken können aus diesem vereinfachten Zu­ sam­menhang als Richtwerte ermittelt oder gemessen werden (­Kapitel 1.2). Der visuelle Raum

239

Abb. 212 Raumart 1 – Darstellung der Ergebnisse im Balkendiagramm.

Abb. 213 Raumart 2 – Darstellung der Ergebnisse im Balkendiagramm.

240

Kapitel 3

Die Ermittlung der Umgebungsleuchtdichten, die für das Erscheinungs­ bild, aber auch allgemein für unsere autonomen Vorgänge von großer Bedeutung sind, sind mitbestimmend bei • der visuellen Leistung, • der Herzratenvariabilität, • den stabilen visuellen Wahrnehmungsvorgängen, • dem Zustand der Aufmerksamkeit und damit verbunden • der Bewusstseinsbildung.

3.7  Systeme und Systemkomponenten All diese Gedanken führen in logischer Folge zu Systemkomponenten und darauf abgestimmte Anwendungsmöglichkeiten und sind hypothetische Ansätze, die in diesem komplexen Thema anzudenken sind.

3.7.1  Leuchtende Deckenflächen direkt strahlend – Strahlungsart 2 (gerichtet) und Strahlungsart 1 (diffus) Eine leuchtende Fläche definiert sich als Selbstleuchter und ist selbst die Lichtquelle bzw. Leuchte. Sie ist damit die Ursache des primären Lichtes. Durch ihre Transparenz unterscheiden sich leuchtende Flächen von den dif­ fus reflektierenden Flächen durch ihr Erscheinungsbild. Mit zunehmender Transparenz nimmt auch die Entmaterialisierung zu, während bei opakdiffus reflektierenden Flächen der Eindruck der Festigkeit und Dichte eben durch ihre Diffusität entsteht. Auch hier erkennen wir wieder deutlich, wie wichtig es für Planungsvorgänge ist, sich mit dem Thema der ökologischen Optik auseinanderzusetzen und auf die Strahlungs- und Reflexionscharak­ teristiken Einfluss zu nehmen.

Decke 8

Abb. 214 Strahlungsart 1 (diffus); das Decken­system dominiert den Raum, lenkt vom Verkehr ab, reduziert die visuelle Leistung und ­benötigt den höchsten ener­ getischen Energiebedarf („Tunnel­ studie“, Bartenbach GmbH).

Wand 2

Fahrbahn 1

Der visuelle Raum

241

Abb. 215 Strahlungsart 2 (gerichtet); in diesem Szenario gibt es durch das seidenmatte Aluminium kaum Ablenkung, keine Blendung, und es weist einen geringeren Energie­ bedarf bei entmaterialisierender Wirkung auf („Tunnelstudie“, Bartenbach GmbH).

Decke 1

Wand 1

Fahrbahn 1

Abb. 216 Strahlungsart 2 (gerichtet); die spiegelnden Raumoberflächen (höherer Glanzgrad) sind zu stark entmaterialisierend, und die virtu­ ellen Bilder an Decke und Wand sorgen für zu viel Ablenkung und für große Irritation. Der Energie­ bedarf hingegen ist gering („Tun­ nelstudie“, Bartenbach GmbH).

Decke 1

Wand 1

Fahrbahn 1

Abbildungen 214–216 zeigen die Modellsimulation eines Tunnels mit unterschiedlichen Materialoberflächen. Die jeweiligen Erscheinungsbilder werden stark durch die Materialwahl geprägt und verändert, was sich natür­lich auch lichttechnisch auswirkt. Diese Art der Raumgestaltung ist komplex und kann vielschichtig angewendet werden, was ich im Folgen­ den anhand einiger Beispiele aufzeigen möchte.

242

Kapitel 3

Abb. 217 Diffus leuchtendes Deckensystem In diesem Raum dominiert die leuchtende Decke und nicht die ausgestellten Exponate. Die ­visuelle Wahrnehmung wird durch die Dominanz derselben in Form von Ablenkung und Blendung ­gestört und die Bewusstseins­ bildung durch die Verminderung der gerichteten Aufmerksamkeits­ bildung beeinträchtigt.

Abb. 218 Wir erkennen deutlich die in der ökologischen Optik erläuterte entmaterialisierende Wirkung. Die Decke nimmt die Umgebungs­ leuchtdichte des Raums sowie sein räumliches Erscheinungsbild auf und gibt es unscharf und verschwommen wieder. Das Spie­ gelbild liegt damit im Bereich der Umgebungsleuchtdichte.

Spiegeldecke Die seidenmatte Spiegeldecke bildet den oberen Raumabschluss und hat eine entmaterialisierende Wirkung. Das unscharfe virtuelle Bild an der Decke entsteht durch die räumliche Umgebung und nimmt damit – wie oben angeführt – auch die Umgebungsleuchtdichte auf. Die Beleuchtung des Raums erfolgt durch direkt strahlende (Strahlungstyp B) und einge­ baute Spiegelrasterleuchten (Abb. 220). Die seidenmatte Aluminiumdecke in Abb. 221 ist als ausgedehntes und raumbildendes Deckensystem ausgebildet und funktioniert gleichzeitig als Der visuelle Raum

243

Abb. 219 Detail der Spiegeldecke mit ihrer entmaterialisierenden Wirkung.

Abb. 220 Im seidenmatten Spiegeldecken-System entsteht ein virtuel­ les Bild des Raums. Die mittleren Umgebungsleuchtdichten werden durch die differenzierten Leuchtdichten der Wand, des Fußbodens und eines Teils des Außenraums (Fenster) gebildet.

244

Kapitel 3

Abb. 221

Abb. 222 Anwendung des Spiegel-WerferSystems.

Der visuelle Raum

245

Abb. 223 Leuchtendetail der sekundär strahlenden Stehleuchte aus Abb. 222.

Abb. 224 Dieses Sekundärsystem ist auf dem Prinzip des Spiegel-Werfer-­ Systems aufgebaut.

246

Kapitel 3

Abb. 225 Die Kombination einer Spiegel­ decke hinter Glaspaneelen erzeugt ein einzigartiges Erschei­ nungsbild.

Abb. 226 Die transparente Glasdecke wirkt durch ihre virtuelle Anordnung entmaterialisierend.

Der visuelle Raum

247

Abb. 227 Detail der Glasdecke aus Abb. 226.

sekundäres Beleuchtungssystem. Sie nimmt die Umgebungsleuchtdichte auf, und Strahlungstyp B kommt zur Anwendung. Die vorwiegende Strah­ lungsausrichtung geschieht zu den Regalen hin, das System ist blendungs­ frei, es gibt keine Ablenkung, und der Energieaufwand ist gering. Die seidenmatte entmaterialisierende Spiegeldecke in Abb. 222 wurde als Akustikdecke (Lochung mit weißer schalldämmender Hinterlegung) ausgebildet. Das primäre Licht kommt aus einer direkt strahlenden Steh­ leuchte, deren Strahlungsrichtung auf die reflektierende Decke ausgerich­ tet ist. Dieses System basiert auf dem Prinzip des Spiegel-Werfer-Systems – auf dem Konzept der sekundären Strahlung. Durch die Position der Steh­ leuchte (= Werfer) und ihrer Strahlung entsteht keine Reflexblendung. Aufgrund der Seitenfenster wird die Außenwelt mit ihrer Veränderung ebenfalls als virtuelles Bilder über das Deckensystem in den Raum über­ tragen und macht den Tagesrhythmus bewusst erlebbar.

248

Kapitel 3

3.8  Wandflächen mit gerichteter Strahlung – ­Strahlungslenkung zur Erzeugung hoher vertikaler ­Beleuchtungsstärken Aus dem Kapitel 3.7 geht deutlich hervor, wie viele Möglichkeiten die gerichtete sekundäre Deckenstrahlung bietet, den visuellen Raum gleich­ mäßig oder/und zoniert zu beleuchten. Durch die Materialart der gerich­ tet reflektierenden Oberflächen und die dabei im Deckensystem entste­ henden virtuellen Bilder kann das Erscheinungsbild der Umgebung dem Raum entsprechend angepasst werden. Die optimal angepasste Zuord­ nung des Lichtsystems auf den Nutzungsbereich macht es möglich, die Blendleuchtdichte des Lichtsystems auf die Umgebungsleuchtdichte zu reduzieren. Die vertikale Beleuchtungsstärke ist für viele unterschiedliche Szenarien und Sehaufgaben notwendig. Wie bereits besprochen ist es wichtig, sein Gegenüber deutlich zu sehen hinsichtlich Gesichtszüge, Mimik, Augen/ Augenfarbe etc. Das gilt besonders für Bereiche und Situationen mit viel Kommunikation wie z. B. Restaurants, Konferenz-, Aufenthalts- und Wohn­ räumen etc. Die Intensität, spektrale Zusammensetzung und Position des primären Lichts sind dafür wesentlich.

3.8.1 Gesichtserkennung Zur Zielsetzung einer Lichtplanung gehört es festzulegen, in welchem Maße die wirksamen vertikalen Helligkeiten in ihrer Intensität und Ver­ teilung in visuellen Räumen auftreten sollen. Prinzipiell sind für diese Er­ mittlungen die jeweiligen Sehobjekte, ihre Positionen und ihre Nutzung von Bedeutung. Die generellen Kriterien sind im Wesentlichen die visuelle Leistung, ein ungestörter visueller Wahrnehmungsablauf, die Aufmerksam­ keitsabläufe, die Akzeptanz und das Erscheinungsbild.

Abb. 228 Die Ergebnisse des Experiments von Colby et al. (1995) zeigen, wie ­Aufmerksamkeit das Antwortverhalten eines Neurons im parietalen Kortex eines Affen beeinflusst. Der Affe schaute stets auf den mit „Fix“ bezeichneten Punkt. Anschließend leuchtete innerhalb des mit „RF“ ­bezeichneten Kreises ein Licht auf. (a) Das Antwortverhalten des Neurons, wenn der Affe dem Licht keine Aufmerksamkeit widmete. (b) Das Antwortverhalten des Neurons, wenn der Affe dem Licht Aufmerk­ samkeit widmete.

Der visuelle Raum

249

Der Neurologe Prof. Eric Kandel vermerkt in seinem Buch Das Zeitalter der Erkenntnis, dass unser Gehirn Formen weitgehend über Leuchtdichtewerte wahrnimmt, so wie wir sie aus Schwarz-Weiß-Aufnahmen kennen. Die Far­ ben ergänzen dabei nicht nur die Abbildung, sondern können auch eine große Bandbreite an Gefühlen auslösen. Beim Erkennen von Objekten bilden Gesichter die bei Weitem wich­ tigste Kategorie. Wir nähern uns Menschen als Freunde oder Feinde, und wenn wir sie erkannt haben, schließen wir von ihrem Gesichtsausdruck auf ihre Gefühls­ lage, so Kandel. Margaret S. Livingstone schreibt: „Gesichter gehören zu den informativs­ ten Reizen, die wir wahrnehmen.“ Bereits ein Sekundenbruchteil, in dem wir das Gesicht einer Person sehen, verrät uns Identität, Geschlecht, Stim­ mung, Alter, ethnische Zugehörigkeit und worauf sich ihre Aufmerksamkeit richtet. Das Kapitel „Gesichtserkennung“ zeigt die Ergebnisse einer Studie, die in unserem Unternehmen gemeinsam mit der Lichtakademie Bartenbach durchgeführt wurde. Eine Studie von Michael E. Goldberg und Robert H. Wurtz zeigt, dass eine Reaktion der Nervenzellen auf visuelle Reize wesentlich von Aufmerksam­ keit beeinflusst wird (Abb. 228). Ich erachte es daher als äußerst wichtig, bei visuellen Erkennungsvor­ gängen die Leuchtdichteverhältnisse und die Gestaltungsvorgänge so auf­ einander abzustimmen, dass sie mit der gerichteten Aufmerksamkeit im Einklang stehen und diese positiv beeinflussen. Dem Thema der Gesichts­ erkennung und im Weiteren der Objekterkennung messe ich deshalb so viel Bedeutung bei, da in Lichtplanungen diese Aufmerksamkeitsvorgänge oft vernachlässigt werden. Ich wiederhole es hier deshalb noch einmal: Wir sind durch und durch Augentiere, das visuelle System dient vorwiegend der Informationsvermitt­ lung, und es macht ca. die Hälfte unserer Gehirnkapazität aus, wie Eric Kandel sagt. Daraus lässt sich erkennen, welch großen Einfluss die vertikale Beleuch­ tungsstärke und ihre Zuordnung auf die Sehobjekte und die damit verbun­ dene Lichtszenerie bereits in der Phase der Gestaltung haben. Wir wissen anhand des Vorangegangenen, dass die gerichtete Strah­ lung von der Decke aus den Vorteil hat, als allgemeine und auch zonierte Beleuchtungsstärke Eh mit ihrer Verteilung die Sehaufgaben des Infeldes weitgehend zu beeinflussen, welches dominant für die Erreichung der vi­ suellen Leistung ist. Durch die gerichtete Strahlung entstehen geringe verti­ kale Beleuchtungsstärken. Bei einwandfrei konzipierten Leuchtensystemen treten dabei außerhalb des Strahlungskegels Leuchtdichten auf, die im Bereich der Umgebungsleuchtdichte liegen, wodurch sich bei der direkten Beleuchtung die vertikale Beleuchtungsstärke weiterhin reduziert. Daher ist bei Anhebung der vertikalen Helligkeit auf die direkt an den Lichtsystemen auftretenden Leuchtdichten zu achten (Blendwirkung). Wie aus der Studie der Strahlungsabhängigkeiten des visuellen Raums hervorgeht, ist der Einfluss auf die vertikale Beleuchtungsstärke durch Ver­ änderungen diffuser und gerichteter Strahlung über die Wandflächen von geringer Bedeutung.

250

Kapitel 3

Abb. 229 In einer Simultananordnung ­wurden anhand eines Gesichtsmodells die Erscheinungsbilder bei veränderter Lichtrichtung gemessen (EV/Eh) und fotografisch dargestellt. In der Tabelle werden die lichttechnischen Daten gezeigt, die diesem Versuch zugrunde liegen.

Abb. 230 Das Ergebnis (der Versuchsaufbau) einer Studienarbeit mit ca. 20 Versuchspersonen an der Lichtakademie Bartenbach.

Abb. 231 Das Ergebnis des obigen Versuchsaufbaus.

Der visuelle Raum

251

Abb. 232 Die Grafik zeigt die einzelnen Beleuchtungsvarianten des Spiegels, bei welchen sich die Versuchspersonen die ­gewünschten Helligkeiten selbst einstellen konnten.

Abb. 233 Ergebnisse der Testversuche.

Gesichtserkennung Wie oben gezeigt, stammen die folgenden Ergebnisse aus einer Versuchs­ reihe unseres Unternehmens, in welcher wir uns mit der Veränderung des Erscheinungsbildes eines Gesichts im Zusammenhang mit der Lichtein­ fallsrichtung horizontaler und vertikaler Beleuchtungsstärke befasst haben (Abb. 229). Die Erscheinungsbilder in Abb. 232 zeigen die sensiblen Reaktionen der Gesichter, die durch die Einstrahlrichtung und das Verhältnis EV/Eh auf­ treten. Die Gesichter der Szenen E und G sind demnach anzustreben, um folgende Parameter zu erfüllen: • das Erkennen der Augenfarbe, • der Modellier-Effekt (Plastizität), • keine Verzerrung der Mimik durch Verschattung und • keine Verschattung der Halspartie. 252

Kapitel 3

Die Abbildungen 230 und 231 zeigen eine Seminararbeit der Lichtaka­ demie Bartenbach, die sich auf die Sehaufgabe mit gerichteter Aufmerk­ samkeit bezieht, wobei die Gesichtsfeldleuchtdichte zur Infeldleuchtdichte wird. Die Leuchtdichten des Gesichtsfeldes und des Infeldes sind beispiels­ weise identisch mit der Spiegelleuchtdichte und damit den gerichteten/­ selektiven Aufmerksamkeitsvorgängen zuzuordnen. Die Tätigkeiten wie z. B. Rasieren, Schminken etc. bestimmen automatisch das Infeld, auf das sich die Aufmerksamkeit und der Fokus richten.

Zusammenfassung Um die visuellen Vorgänge in einem visuellen Raum zu fördern, ist es not­ wendig, die vertikale Beleuchtungsstärke zu erhöhen. Die Bestimmung der vertikalen Helligkeit hängt von der Art der Sehaufgabe, der Position der­ selben, ihrer Bedeutung und dem zu erwartenden Erscheinungsbild ab. Die Gesichtserkennung hat dabei eine besondere Bedeutung. Die Art der Aufmerksamkeit – gerichtet oder geteilt – ist für die Tätigkeiten von gro­ ßer Bedeutung und bei der Gestaltung eines Raums unbedingt zu berück­ sichtigen. Anhand des Beispiels der Gesichtserkennung sehen wir, dass bei einem vorwiegend geteilten Aufmerksamkeitsvorgang (z. B. Gespräch) die emp­ fohlene Leuchtdichte ca. 20 cd/m² beträgt. Beim Blick in den Spiegel ­hingegen, bei dem die Aufmerksamkeit gerichtet ist, wird das Spiegel­ bild  zum fokussierten Infeld, und wir benötigen eine Leuchtdichte von ≈ 50 cd/m². Wir können anhand dieses Beispiels gut ableiten, dass die Helligkeits­ verteilungen der In- und Umfelder in Zusammenhang mit dem gewünschten Licht- und Raummilieu und den spezifischen Aufmerksamkeitsvorgängen stehen und für jede Planungsaufgabe erarbeitet werden müssen. Diffuse und gerichtete Strahlung haben wenig Einfluss auf die vertikale Beleuch­ tungsstärke. Wesentliche Veränderungen auf Intensität und Verteilung hin­ gegen haben z. B. leuchtende Wände und leuchtende Teilflächen mit den Strahlungstypen A und C (gerichtete Strahlung). Für Umsetzungen bieten sich demnach folgende Möglichkeiten an: • leuchtende Wände – gerichtete Strahlung, • leuchtende Teilflächen – gerichtete Strahlung.

3.8.2  Gerichtet reflektierende Wände Einen Raum mittels gerichteter Reflexion über die Wände zu beleuchten kann durch großflächige Reflektorstrukturen ermöglicht werden. Die Um­ setzung – bezogen auf physikalische und wahrnehmungspsychologische Vorgaben – lässt sich aufgrund der Positionen und der damit verbundenen zulässigen Leuchtdichtebereiche im Gesichtsfeld erreichen. In den Abbildungen 234–236 werden die Möglichkeiten solcher For­ derungen umgesetzt. Wir sehen, dass bei abgestimmten Leuchtdichtewer­ ten im positionsbezogenen Gesichtsfeldbereich die gesamte Leuchtdichte und der Lichtstrom um ein Vielfaches angehoben werden. Die leuchtenden Wandelemente können auf relativ kleine Flächen konzentriert werden, ohne dass der gesamte vertikal bedeutsame Lichtstrom zu stark abnimmt. Es ist möglich, den gesamten Raum mit solchen Flächen zu beleuchten und dabei das Verhältnis Eh : EV beizubehalten sowie die spektrale Zuordnung zu den Aufgabenbereichen und Zonierungen zu gewährleisten. Der visuelle Raum

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Abb. 234 Die reflektorisch gegliederte und verspiegelte Oberfläche verteilt gezielt den Lichtstrom großflächig und reduziert die Systemeigen­ leuchtdichte im Sehbereich auf LUm ≈ 30–40 cd/m². Die Wand­ fläche (= Leuchtensystem) wird durch die Materialart und Struktur entmaterialisiert. Dieses System eignet sich sehr gut als „künstli­ ches Fenster“ (Erscheinungsbild).

Abb. 235 Unterirdische Kantine mit ­künstlichem Fenster und ­partieller Sonneneinstrahlung durch ­Heliostaten.

Abb. 236 Wir sehen einen fensterlosen Vorlesungssaal im Tiefgeschoss. Hier wurde mit sogenannten künstlichen Fenstern als gerichtet strahlende Wandfläche gearbei­ tet, sodass der ursprüngliche Charakter des Raums verändert wurde. Die Lichtflächen basieren auf der Systemtechnik in Abb. 234 und vermitteln das Erscheinungs­ bild eines Fensterbereichs.

254

Kapitel 3

Leuchtende Wandflächen können die vertikalen Helligkeiten im Raum verstärken und durch ihre Art der Lichtverteilung die Umfeldleuchtdichten so gestalten, dass stabile visuelle Wahrnehmungsverhältnisse realisierbar werden. Bei fensterlosen Räumen lässt sich auf diese Weise zusätzlich auch ein Tageslichteindruck simulieren. Aufgrund der innovativen Technologien ist es mittlerweile möglich, groß­ flächige Spiegelelemente mit der nötigen Präzision immer wirtschaftlicher herzustellen, sodass Tageslicht in unterirdische Bereiche gelenkt werden kann und so auch das psychologische Erlebnis, der Rhythmus und die Figu­ ration von Tageslicht transportiert und vermittelt werden können.

3.8.3  Leuchtende bzw. gerichtet strahlende Teilflächen an den Wänden und Möglichkeiten ihrer Umsetzung Um all diese komplexen Forderungen der vorangegangenen Kapitel in einem Raum mittels gerichtet strahlender Teilflächen umsetzen zu können, ist es notwendig, die individuell gewünschten vertikalen Beleuchtungs­ stärken am Auge zu analysieren, um Einfluss auf sie nehmen zu können. Sie bestimmen im Wesentlichen die Lichtmenge, die in unser Auge und über die Sehaufgabe in die Gehirnareale gelangt und dort verarbeitet wird. Die Beiträge in den vorangegangenen Kapiteln zeigen uns deutlich, wie dominant ausgedehnte und gerichtet reflektierende Wandflächen sind und das Licht- und Raummilieu beeinflussen und bestimmen. In Abb. 237 wird durch das Zusammenwirken der primären Lichtquelle (= Wallwasher in der Decke) und dem Sekundärreflektor an der Wand der notwendige Lichtstrom mit angepasster Verteilung in den eigentlichen Wirkungsbereich gelenkt. Die Teilflächen können je nach Strahlungswunsch und Aufgaben­stellung mit unterschiedlich reflektierenden Materialien versehen werden. In Abb. 238 beispielsweise sind es drei differenziert reflektierende Elemente, die einen jeweils unterschiedlichen Strahlungsverlauf bewirken. Die Abbildungen 237–244 zeigen unterschiedliche Möglichkeiten gerich­ tet reflektierender Teilflächen, mit welchen sich die jeweils vorgegebenen Lichtverteilungen erreichen lassen. Wir können anhand der gezeigten Beispiele sagen, dass die Komple­ xität – die durch die visuellen Anforderungen eines visuellen Raums mit all seinen Objekten und Tätigkeiten entsteht – mittels gerichtet strahlender Teilflachen gut zu bewältigen sind und damit auch die Erwartungen an das Erscheinungsbild eines Licht- und Raummilieus erfüllt werden können. Diese Beispiele stellen nur einen Teil der Möglichkeiten dar, die mit die­ ser Systemart realisierbar sind – die lichttechnischen und gestalterischen Möglichkeiten sind vielschichtig –, auch bedingt durch die Individualität der Raumgestaltung.

Der visuelle Raum

255

Abb. 237 Strahlungsprinzip einer sekundär reflektieren­ den Teilfläche.

Abb. 238 Dreiteilige strukturierte und sekundäre Reflektor­ elemente, deren Lichtverteilung dem Strah­ lungsprinzip in Abb. 237 entspricht, jedoch als ebene Fläche ausgebildet ist.

256

Kapitel 3

Abb. 239 Beispiele strukturierter, sekundär reflektierender Ober­ flächen für unterschiedliche Teilflächen mit differenzierter Strahlungsverteilung.

Abb. 240 Die Grafik zeigt Messergebnisse einer SekundärreflektorStruktur im Zusammenwirken mit dem primären Leuchten­ system (Wallwasher).

Der visuelle Raum

257

Abb. 241 Möglichkeit einer weiteren Reflexionsfläche, deren Struktur die Primäreinstrahlung differen­ ziert reflektiert.

Abb. 242 Veränderung der Strahlung bei veränderter Position des Sekundärsystems.

258

Kapitel 3

Abb. 243 Das Reflektorelement auf der Basis von prisma­ tisch geschliffenen Kristallen.

Abb. 244 Die vertikalen Reflektorelemente sind als Prismensystem ausgebildet (Modellsimulation Restaurant­ bereich). Der visuelle Raum

259

4

Kapitel 4 Tageslicht

4.1 Allgemeines Mit dem Thema Tageslicht beschäftige ich mich schon seit sehr langer Zeit. Die ersten Anwendungen haben wir bereits im Jahre 1970 realisiert, und auch heute denken wir nach wie vor über Tageslichtlösungen nach, ent­ wickeln und verwirklichen sie. Das Interesse daran ist nach wie vor groß, und in der Architektur, im Bereich Klima und in der Elektrotechnik wird viel darüber geredet. Und doch ist der allgemeine Wissensstand über dieses Thema mit sei­ ner immensen Bedeutung noch viel zu gering und die Aufklärung und Ent­ wicklung meiner Meinung nach zu langsam. In Kapitel 3 bin ich ausführlich auf den visuellen Raum eingegangen und auf die Betrachtung, dass ein Teil des primären Lichtes mehr oder we­ niger über die leuchtenden Flächen der Tageslichtsysteme kommt – über die Fenster. In der Architektur ist ein Raum ohne Tageslichtöffnung im Grunde nicht denkbar und wird als Ausnahme betrachtet. Louis Kahn sagt: „Der Grundriss eines Gebäudes sollte sich lesen lassen wie ein Ganzes aus Räumen und Licht. Selbst ein Raum, der dunkel zu sein hat, sollte durch eine Öffnung wenigstens so viel Licht erhalten, dass man weiß, wie dunkel es innen ist. Jeder Raum muss sich aus seiner eigenen Struktur und dem ihm eigenen natürlichen Licht bescheinen lassen.“ Diese von Louis Kahn angeführte Notwendigkeit, dass die Wirkung des Lichtes mit dem Raumempfinden abgestimmt werden sollte – also ein Lichtund Raummilieu ergibt –, wird zwar erkannt, doch leider selten in dieser Form realisiert. Da unser visuell sensorisches Informationsangebot in der Weiterverarbei­ tung durch das Gehirn teils unbewusst, teils bewusst erfolgt und den Ge­ staltungsprozess stark beeinflusst, ist es schwierig, solche Licht- und Raum­ milieus zu formulieren. Über das gute Sehen hinaus spielen Emotionen und die Zeit eine große Rolle, denn die visuellen Eindrücke werden durch Er­ innerungen und Vorurteile mitbeeinflusst. Man kann also sagen, dass Licht als Medium der Informationsvermittlung zwar nicht sichtbar ist, ­jedoch über seine Sichtbarwerdung durch reflektierende Oberflächen und Ob­ jekte informativ und emotional wirksam wird. Das Tageslicht ist als primäre Lichtquelle unmittelbar nicht sichtbar, je­ doch erlebbar. Es bewirkt durch seine Intensität, seinen Verlauf, seine spek­ trale Zusammensetzung, seine stete Veränderung (Tages- und Jahreszei­ ten) variable Erscheinungsbilder und ist die Ursache für den zirkadianen Rhythmus. Der permanente Szenenwechsel wird zusätzlich durch individu­ elle Erinnerungen angereichert und so zu einem uns ständig begleitenden Informationsangebot. Dieser reale Wechsel wird also auch emotional er­ fasst und bewusst und unbewusst verarbeitet. Angepasst an den Tageslicht­ rhythmus und davon abhängig ist ebenso unsere Hormonsteuerung (z. B. Serotonin, Melatonin, Cortisol, Melanopsin etc.). Tageslicht

263

Wir erkennen, wie komplex das Thema Tageslicht ist und wie wichtig es ist, die physiologischen Abläufe zu stabilisieren und über das visuelle Sys­ tem abzustimmen, um so die Voraussetzung für gutes Sehen zu schaffen. Es ist unbedingt notwendig, uns intensiv Gedanken über das Tageslicht zu machen (generell über Licht!) und unsere Erkenntnisse darüber zu erwei­ tern, sodass wir entsprechende Forderungen formulieren können. Der Tagesrhythmus umfasst: • den Morgen = Morgendämmerung (mesopisch), • den Tag = Sonne bzw. bedeckter Himmel (photopisch), • den Abend = Abenddämmerung (mesopisch) und • die Nacht = Dunkelheit (skotopisch). In der Lichtplanung bedeutet das für uns, dass in der Dämmerung und zum Teil bereits bei bedecktem Himmel eine sogenannte Ergänzungsbeleuch­ tung mit Kunstlicht notwendig wird und nachts ausschließlich Kunstlicht an­ zuwenden ist. Meiner Ansicht nach wird man künftig auch nachts mittels geeigneter und angepasster spektraler Verläufe und Helligkeiten die Melatoninaus­ schüttung auch bei Kunstlicht aufrechterhalten können. In vielen unserer Projekte nehmen wir bereits seit einigen Jahren darauf Rücksicht und versu­ chen, den Hormonspiegel auch bei künstlichen Situationen unserem natür­ lichen Rhythmus anzupassen (siehe Kapitel 2). Das bedeutet nun also konkret, dass wir es uns zur Aufgabe machen sollten, das Tageslicht mit seinem Rhythmus, seiner Wirkung, seiner Inten­ sität und seiner spektralen Zusammensetzung vom Außen- in den Innen­ raum zu übertragen. Seine Helligkeiten und Intensitäten müssen die natur­ getreuen Werte annehmen, um unsere innere Uhr – unseren zirkadianen Rhythmus – zu unterstützen (z. B. auch die Serotoninproduktion). In Kapitel 2 „Licht und Gesundheit“ habe ich eine Studie erwähnt, die in San Diego (USA) an ca. 1.000 Personen vorgenommen wurde und deren Ergebnis zeigte, dass wir uns nur noch ca. 4 % des Tages im Freien (im Tageslicht) aufhalten und davon noch ca. 50 % im Auto sitzen. Für uns bedeutet das also, dass wir uns vorwiegend in Innenräumen aufhalten, deren Tageslichtanteil (Tageslichtquotient TQ) im Mittel 2–3 % beträgt. Das ist zwar zum Sehen ausreichend, jedoch entspricht das Raummilieu unter diesen Bedingungen einem Dämmerzustand. Die bereits beschriebenen Eigenschaften des Tageslichts werden nur unzureichend wahrgenommen bzw. entfallen zur Gänze, ebenso wie der zirkadiane Rhythmus. In der Realität erhalten die meisten Räume nach wie vor ihre Tageslicht­ zufuhr über Seitenfenster. Um möglichst viel Tageslicht in den Raum zu bekommen, werden diese dann auch großflächig gestaltet. Jedoch wird dadurch lediglich erreicht, dass das tertiäre Umfeld durch die Außensze­ nerie dominiert wird, die Leuchtdichte am Fenster zu hoch ist und dass Blendung und Ablenkung entstehen, was sich ungünstig auf die visuelle Leistung auswirkt (Kapitel 1.3). Die Helligkeit im Raum hingegen steigt damit nicht automatisch an. In Abb. 245 sehen wir eine klassische Situation: Die Leuchtdichten am Fenster betragen ca. 3.000–10.000 cd/m², was zu Störungen im stabilen Wahrnehmungsablauf führt. Durch die große Fensterfläche öffnet sich der Raum nach außen und sorgt neben den hohen Leuchtdichten für zusätz­ liche Ablenkung. Diese Art der Störung übertrifft häufig die der physio­ logischen Blendung. 264

Kapitel 4

3.000–10.000

Abb. 245 Die Umgebungsleuchtdichte des Außenraums ist um ein Vielfaches höher als die Infeldleuchtdichte am Arbeitsplatz, und es ent­ steht ein nach außen orientierter Raum. Dazu kommt, dass sich die Verteilung der Tageslichthelligkeit vom Fenster zum Rauminneren hin progressiv reduziert.

Abb. 246 Unterschiedliche Leuchtdichteverteilungen im globalen Gesichtsfeld können die visuelle Leistung so beeinflussen, dass sie durch ihre ­absoluten Helligkeiten und erhöhten Um­ feldleuchtdichten zu Stresswirkungen führen können. Es ist erkennbar, dass sich bei gleichem LI : LU = 1 : 10-Verhältnis (rot/blau) die Stress­ wirkung durch die absolute höhere Helligkeit (rot) verstärkt.

Tageslicht

265

Unser Bestreben geht also dahin, in Innenräumen gute Seh- und Wahr­ nehmungsbedingungen zu schaffen, um damit die visuellen Abläufe zu optimieren. Das bedeutet, in unserem visuellen Raum für eine ausreichend hohe Tageslichtmenge zu sorgen, um folgende Kriterien erfüllen zu können: • optimierte visuelle Leistungsfähigkeit, • gesteigertes Wohlbefinden, • Unterstützung der Serotoninproduktion und damit verbunden die Vor­ aussetzung der Melatoninausschüttung in der Nacht, • erhöhte vertikale Beleuchtungsstärken und verbesserte Gesichtserken­ nung, um die Qualität der Kommunikation zu steigern, • Optimierung des guten Sehens und damit Verbesserung der autono­ men Abläufe und der Bottom-up-Verarbeitung, • Erhaltung und Gewährleistung des zirkadianen Rhythmus und • emotionale Zuwendung, Akzeptanz und Motivation (auch unbewusst). Die optimierte Helligkeitsverteilung gibt die Möglichkeit, • die Leuchtdichteverteilung des Raums so zu gestalten, dass sie dem sta­ bilen visuellen Wahrnehmungszustand entspricht (Theoretisches Leucht­ dichtemodell). Durch die natürliche Veränderung des Tageslichtes hinsichtlich seiner Helligkeit tritt eine entsprechende Veränderung der Lichtverteilung im Raum auf, die ebenfalls im stabilen visuellen Leucht­ dichtebereich liegen muss. Die Tageslichtveränderung informiert über den äußeren Tageslichtzustand und nimmt so zusätzlich Einfluss auf unser visuelles System. • zu der Erkenntnis zu gelangen, dass unsere innere Uhr über die Hellig­ keit und die spektrale Verteilung gesteuert wird. Dieser Einfluss auf die Steuerung von Hormonabläufen und deren Produktion (nichtvisuelles System) macht es notwendig, diesen visuellen Zusammenhang zu be­ rücksichtigen. Wie wir bereits in den vorangegangenen Kapiteln erarbeitet haben, kön­ nen die Aufmerksamkeitsvorgänge unterstützt werden, indem die Infeldbe­ reiche die höchsten Leuchtdichten erhalten und dadurch als solche erkannt werden. Diese Helligkeitsunterschiede erreichen wir dann, wenn wir die Infeldleuchtdichte mindestens um das Dreifache gegenüber der mittleren Umgebungsleuchtdichte (LI ≥ 3 × LUm) anheben. Die mittlere Umgebungsleuchtdichte begleitet und beeinflusst die Ge­ staltung eines visuellen Raums und kann mithilfe des Theoretischen Leucht­ dichtemodells ermittelt werden. Es ist von Bedeutung, besonders die Um­ gebungsleuchtdichten im stabilen visuellen Wahrnehmungsbereich zu hal­ ten und Ablenkungsvorgänge zu vermeiden. Das ist auch der Grund, warum ich immer wieder auf die Ablenkung durch Blendungserscheinungen hinweise, da diese in der Lichttechnik noch immer zu wenig beachtet und in Planungskonzepten noch immer zu wenig berücksichtigt werden. Da die Aufmerksamkeit durch das Erkennen eine höhere Ordnung als das „gute Sehen“ in der Bewusstseinsbildung hat (geistiger Vorgang), ist auch die Ablenkung besonders groß, da das sensorische Informationsan­ gebot nicht nur verringert, sondern teilweise zur Gänze verhindert wird. Das kann mit dem physiologischen Blendungsvorgang verglichen werden, welcher die Sehleistung reduziert.

266

Kapitel 4

Tagesbelichtete Räume Der Mensch ist biologisch an das Tageslicht angepasst – auch hinsicht­ lich seiner visuellen Wahrnehmung. Wir können somit voraussetzen, dass Tageslicht in Innenräumen wesentlich besser akzeptiert wird als Kunstlicht. Wenn wir das nun auch auf die Gestaltung unserer Arbeitsräume über­ tragen, so erkennen wir, wie wichtig es ist, über eine möglichst lange Zeit­ spanne ausreichend Tageslicht nutzen zu können. Von tagesbelichteten Räumen sprechen wir dann, wenn untertags über längere Dauer die Nutzung eines Raums ausschließlich über Tageslicht erfolgen kann. Selbstverständlich ist das nicht zu 100 % möglich, da sich das Tageslicht tages- und jahreszeitlich laufend verändert und auch Witterungsverhält­ nisse starke Verminderungen hervorrufen können. Ergänzend zum Tages­ licht und generell für die Abendsituation muss also zusätzlich auf alle Fälle Kunstlicht verwendet werden. Bei der Planung von Beleuchtungskonzepten ist daher darauf zu ach­ ten, dass die Tageslichtabläufe im Innenraum genau beobachtet und ana­ lysiert werden, schon allein deshalb, da sie das Licht- und Raummilieu eines Raums stark prägen. Erst nach einer genauen Analyse ist es möglich, ein daran angepasstes optimiertes Kunstlichtkonzept zu erstellen. Bei der Tageslichtplanung muss auch dahingehend unterschieden wer­ den, ob es sich um einen Neubau oder um ein bestehendes Gebäude handelt. Bei der Lichtplanung neuer Bauwerke ist es wichtig – nach Be­ stimmen der visuellen Nutzungsbereiche –, die Tageslichtöffnungen derart zu setzen, dass die Tageslichtmenge ausreichend ist und der zirkadiane Rhythmus mit den neuronalen Abläufen des visuellen und nichtvisuellen Systems synchronisiert wird. Vorhandene Gebäude sind durch ihre bestehenden Tageslichtöffnun­ gen geprägt. Reicht die Tageslichtmenge und deren Verteilung für die ­optimale Nutzung nicht aus, so muss die Ergänzung mit Kunstlicht erfolgen bzw. muss zur Gänze künstlich beleuchtet werden. In vielen Fällen ist es jedoch möglich – gestalterische Akzeptanz vorausgesetzt –, korrigierende Maßnahmen mittels nachträglicher Tageslichtumlenkung durchzuführen. Die Vorteile eines tagesbelichteten Raums sind nicht nur die erhebliche Energieeinsparung und die durch Tageslicht erreichte optimierte visuelle Leistung, sondern auch die emotionale Begeisterung und Akzeptanz durch den Nutzer. Den Ablauf in diesem Kapitel gestalte ich so, dass zu Beginn • tagesbelichtete Räume und die Tageslichtkriterien definiert (Kapitel 4.2), • seitenbelichtete Räume analysiert (Kapitel 4.3) und • zenital belichtete Räume analysiert, mit ihren spezifischen Eigenschaf­ ten dargestellt und in ihrer Umsetzung erläutert werden (Kapitel 4.6). All diese Betrachtungen erfolgen nach dem aktuellen Stand der Technik. Sie beziehen sich auf bestehende Baustrukturen mit ihren Tageslichtöff­ nungen und sind zum Teil anwendungsbezogen. Sie werden anhand der oben angeführten Kriterien korrigiert und im Rahmen der Machbarkeit bzgl. Blend- und Sonnenschutz bewertet. In Kapitel 4.4 vergleiche ich real umgesetzte Systemtechniken in Bezug auf Seitenfenster. Der Beitrag in Kapitel 4.7 befasst sich mit der Erkenntnis, dass unsere sorisch informative Übertragung neuronal über das Nervensystem sen­ ­erfolgt und vor allem über die visuelle Leistung und seine Verarbeitung abläuft: Tageslicht

267

• • • • • • • • •

das Sehen, das Erkennen, das Wissen über das Sehobjekt, die visuellen Wahrnehmungsabläufe, die Aufmerksamkeitsvorgänge, die Bewusstseinsbildung, die Gedächtnisspeicherung, die Erinnerung und die Möglichkeit des Abrufens.

All diese Vorgänge erfolgen blitzschnell. Sie sind bereits seit Langem er­ forscht und teilweise schon Bestandteil von lichttechnischen Grundlagen. Hinzu kommt der hormonelle Prozess, der vorwiegend unbewusst abläuft und über den zirkadianen Rhythmus unsere innere Uhr steuert. Die Tages­ lichtabläufe, die durch die tages- und jahreszeitlichen Rhythmen bestimmt sind, erhalten so ihren sensorischen Input und werden dadurch gesteuert. Diese Vorgänge erfolgen langsamer und rhythmisch. Diese Zusammenhänge sind für einen tagesbelichteten Raum ganz we­ sentlich, da durch das Tageslicht die Rhythmen spezifischer Zellgruppen synchronisiert werden, die ebenfalls eine innere Uhr beinhalten. Die damit zusammenhängende Notwendigkeit und die Auswirkung auf tagesbelich­ tete Räume sind ebenfalls Gegenstand dieses Kapitels. Diese Ausführun­ gen beschränken sich auf einen Wissensstand, der bereits die Vorgänge der Lichtumlenkung hinsichtlich des diffusen Tageslichtes (klarer, bedeckter Himmel) sowie die Lenkung des Sonnenlichtes berücksichtigt. Ich versuche nun also, das Folgende anhand meines Wissensstands zu vermitteln und die Bedeutung von Tageslicht für eine zukünftige Licht- und Raumgestaltung zu erarbeiten und darzustellen (Kapitel 4.7).

4.2  Kriterien eines tagesbelichteten Raums Die Kriterien eines tagesbelichteten Raums sind: • Tageslichtmenge, • Tageslichtverlauf, • optische Wahrnehmung, • Bezug nach außen, • Sonnenschutz, • spektrale Verteilung und • Energie.

4.2.1 Tageslichtmenge Visuelles System: Die Nutzungsbereiche eines Raums – also das Infeld – erhalten eine Hel­ ligkeit, die dem individuellen Tätigkeitsablauf und seiner Sehaufgabe ent­ sprechen (= gutes Sehen) und die visuelle Leistung erreichen. Das sind ca. TQ > 2–3 % (LI ≈ 120–300 cd/m² – LI min. ≈ 60 cd/m²). Nichtvisuelles System: Die Helligkeitsbereiche sind auf die vertikale Beleuchtungsstärke von EVA > 250–500 lx am Auge bezogen. Damit ist der mittlere Umgebungsleucht­ dichtebereich im Raum auf LUm ≈ 80–250 cd/m² auszulegen. Im horizonta­ len Bereich entstehen dabei Beleuchtungsstärken von Eh < 1.000–1.500 lx und Infeldleuchtdichtebereiche von LI ≈ 120–400 cd/m². 268

Kapitel 4

Im Planungsvorgang müssen beide Systeme aufeinander abgestimmt werden, da sie neuronal in unterschiedlichen Gehirnarealen verarbeitet werden und sich die Kriterien des visuellen Systems vorwiegend auf die visu­elle Leistung beziehen (foveal – begrenzt – Infeld – Top-down-Verar­ beitung). Beim nichtvisuellen System wirkt das Licht als wesentlicher Zeit­ geber für die innere Uhr. Es ist damit von der mittleren Umfeldleuchtdichte (Gesichtsfeld – Bottom-up-Verarbeitung) und deren Rhythmus abhängig und wird davon gesteuert. Es gelten somit andere Helligkeitsbereiche als beim visuellen System. Beide können im Bereich ihrer Überschneidung syn­ chronisiert werden.

4.2.2 Tageslichtverlauf Für das visuelle System ist der Helligkeitsverlauf des Tageslichts so aus­ zurichten, dass er die notwendigen Infeldleuchtdichten erreicht. Der Hel­ ligkeitsverlauf für das nichtvisuelle System ist so zu gestalten, dass sich seine maximale Helligkeit über die Tätigkeitszone des Raums ausdehnt, dadurch die notwendige Umfeldhelligkeit entstehen kann und der Tages­ lichtrhythmus den gesamten Raumbereich erfasst und diesen bewusst er­ fahrbar macht. Für die Synchronisierung beider Systeme ist die Aufmerk­ samkeitszuordnung zur Tätigkeit hin (Fokussierung – visuelles System) und das Vermeiden von Ablenkung in der Umgebung bei Planungskonzepten zu empfehlen.

4.2.3  Optische Wahrnehmung Die Leuchtdichteverteilung wird beim visuellen System auf die O ­ ptimierung der visuellen Leistung bezogen und auf das Erreichen der stabilen v­ isuel­len Wahrnehmungsverhältnisse (Theoretisches Leuchtdichtemodell) abge­ stimmt. Beim nichtvisuellen System spielen die Befindlichkeit, das Wohlbe­ finden, die subjektive Akzeptanz und die Erkennbarkeit des Tageslicht­ rhythmus mit seinem Helligkeitsniveau und seiner Bedeutung als Zeitgeber eine große Rolle. Bei der Synchronisierung beider Systeme soll darauf geachtet werden, dass der visuelle Wahrnehmungsvorgang ungestört und optimal ablaufen kann und sich der gesamte Leuchtdichtebereich im sta­ bilen visuellen Wahrnehmungsbereich befindet.

4.2.4  Bezug nach außen Dieser ist durch die im Raum notwendigen Tageslichtöffnungen (z. B. Fens­ ter) im tertiären Bereich gegeben. Die Kriterien für das visuelle System liegen vorwiegend in der Erreichung der Infeldleuchtdichte im Tätigkeits­ bereich, um die Fokussierung im Infeld zu ermöglichen und zu sichern. Im nichtvisuellen System gilt es die Helligkeiten, die Verteilung und die zirka­ dianen Rhythmen zu erreichen. Ablenkung und Blendung sind auch hier zu vermeiden, jedoch muss der Bezug nach außen gewährleistet sein, der für das Wohlbefinden wichtig ist. Die Forderung nach Synchronisation beider Systeme (eine zum Teil wider­sprüchliche und jedem Bauvorhaben individuell zugeordnete Auf­ gabe) erfordert in vielen Fällen eine Trennung der Funktionen. Damit meine ich, Tageslichtöffnungen als getrennte Systeme für die notwendige Lichtmenge und für den Bezug nach außen zu konzipieren.

Tageslicht

269

4.2.5  Sonnenschutz Sonnenschutzsysteme verhindern, dass die Sonne direkt in den Raum strahlt, da sie durch Blendung, Ablenkung, Veränderung der gewünsch­ ten Leuchtdichteverteilung und Wärmeeinstrahlung stören kann. Optimale Sonnenschutzsysteme müssen demnach so ausgebildet sein, dass sie aus­ reichend Tageslicht in den Raum lenken, Blendung vermeiden und die Wärmelast beschränken, um die Kühllast zu verringern und Energie einzu­ sparen. Im Winter hingegen können die solaren Einträge für das Gegen­ teil, also als Heizungsergänzung, genutzt werden und damit ebenfalls Energie einsparen.

4.2.6  Spektrale Verteilung Es ist untertags wichtig, das Tageslichtspektrum möglichst ohne Verände­ rung seines kontinuierlichen Verlaufs und seiner Zusammensetzung in den Raum zu transportieren. Die Farbtemperatur am Auge sollte sich in einem Bereich von > 4.000 bis 7.000 K befinden. Abends/nachts ist es not­ wendig, das ergänzende Kunstlicht mit einem entsprechenden Spektrum gemäß Abb. 247 zu versehen, besonders um die Melatoninausschüttung zu erhalten. Es ist darauf zu achten, dass die der Melatoninforderung angepasste spektrale Verteilung im Raum dem Farbort am Auge entspricht. Die Zu­ sammensetzung des Spektrums des Farbortes am Auge ergibt sich aus dem Spektrum der Lichtquelle und der Mehrfachreflexion (= Fließgleich­ gewicht) im Raum (siehe Kapitel 2).

Abb. 247 Die Melatonin-Erhaltungskurve begrenzt den oberen ­Bereich der spektralen Verläufe der Beleuchtung, bezogen auf die EV am Auge, die durch das Fließgleichgewicht im Raum entsteht. 270

Kapitel 4

4.2.7  Energie Die Energiebilanz setzt sich zusammen • aus der elektrischen Leistung für die Einschaltdauer des Kunstlichts als Ergänzungsbeleuchtung und dem damit verbundenen Wärmeanteil; • aus der Kühlenergie, die aufgebracht werden muss, um den Wärmeein­ trag durch die Sonne zu kompensieren; das wesentliche Kriterium dafür ist der g-Wert; • aus der Nutzung der Sonne und des Tageslichts für das visuelle und nichtvisuelle System; • aus der eventuellen Nutzung des Tageslichts und der Sonne als Heiz­ zusatz.

4.2.8  Seitenlicht – Oberlicht Zu einem weiteren wesentlichen Kriterium der Tageslichtnutzung gehört die Position der Tageslichtöffnungen, die durch den geografischen Ort und die Lage des Gebäudes und die Art der Lichteinstrahlung definiert werden. Der Tageslichteintritt von der Seite (z. B. Fenster) bewirkt bei gleicher Geo­ metrie einen grundsätzlichen Unterschied hinsichtlich Lichtintensität und -verteilung gegenüber einem Oberlicht. Bei Sonneneinstrahlung ist die Wirkung des Seitenlichtes wesentlich von der Himmelsrichtung abhängig, wohingegen ein Oberlicht durch seine zenitale Öffnung davon unabhän­ gig ist und auch sonst einen völlig anderen Charakter aufweist. Deshalb müssen Seiten- und Oberlicht unterschiedlich betrachtet und behandelt werden.

4.3  Seitenbelichtete Räume Bei seitenbelichteten Räumen werden die Tageslichtmenge und der Tages­ lichtverlauf durch die Geometrie und Materialien der Seitenöffnung (Fens­ ter) bestimmt. Der Tageslichtverlauf im Inneren wird durch die Veränderung des Raum­ winkels geprägt, also durch die Verkleinerung des Raumwinkels zur Raum­ tiefe hin. Die Intensität ist in Fensternähe sehr hoch (60–80 %) und fällt progressiv zum Rauminneren hin ab, sodass sich der Helligkeitsbereich in der eigentlichen Arbeitszone stark reduziert. In Abb. 248 ist ein klassisch seitenbelichteter Raum dargestellt. Um nun die Kriterien der Tagesbelichtung in Räumen umsetzen zu kön­ nen, müssen wir die Arbeitszone / den Nutzungsbereich definieren und die Helligkeit und Verteilung mittels geeigneter Systemtechnik daran an­ passen, sodass sie dem visuellen Aufgabenbereich entspricht. Der Nachteil der Fensteranordnung in Abb. 248 und 249 liegt in der ungleichmäßigen Verteilung der Helligkeit. Nach ca. 0,5 m Abstand vom Fenster treten Helligkeiten von bis zu 2.000 lx auf, die sich bereits in 3 m Raumtiefe auf 1/3 reduzieren. Eine derartige Verteilung begrenzt die Nut­ zungsmöglichkeiten, denn bereits in 2,5 m Raumtiefe ist keine ausschließ­ liche Tageslichtnutzung mehr möglich. Ein weiterer Nachteil dieser Art der Seitenbelichtung liegt darin, dass die hohen Leuchtdichten des Außen­ raums diesen dominant werden lassen und sich der Raum zu stark nach außen hin orientiert. Diese Tageslichtöffnungen in Arbeitsräumen sind klassisch und werden von Blendung und Ablenkung begleitet (siehe Abb. 245).

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271

Abb. 248 Ein seitenbelichteter Raum mit einer typischen Geometrie und Fenstergröße. Die sich ergebende Beleuchtungsstärke und Leuchtdichteverteilung des Tageslichtverlaufs bei ­bedecktem Himmel mit einer im Außenraum auftretenden Helligkeit sind die Basis.

Abb. 249 Das Diagramm zeigt die Verteilung des Lichtstroms (zonal) in Abb. 248, und wir sehen, dass im Bereich bis einen Meter hinter der Fensterfront ca. 70 % der Lichtquantität auftreten, welche sich außerhalb der Nutzungszone befindet, und durch solche Verteilungsarten nicht visuell wirksam werden. Ein häufiges Problem der Seitenbelichtung, das durch die Positionierung des Fensters verringert werden kann. 272

Kapitel 4

Abb. 250 Diese Abbildungsreihe zeigt, dass sich durch Veränderung der Position der Tageslichtöffnung die Verteilung des Tageslichtes im Raum verändert. Es ist daher sinnvoll, schon bei der Raumkonzeption die Art der Tages­ lichtverteilung einzubeziehen.

Tageslicht

273

Bei seitenbelichteten Raumtypen ist die Tageslichtmenge mit ihrer steten Veränderung abhängig: • von der Fensteröffnung mit ihrer Geometrie und Position an der Fas­ sade, • von der Ausrichtung der Fassade zur Himmelsrichtung, • vom Himmelszustand hinsichtlich der Wettersituation (klarer Himmel, Sonne, Teilbewölkung, bedeckter Himmel), • von Tages- und Jahreszeit und • vom geografischen Ort, der Außensituation und dem Material. Unter Einbeziehung dieser Kriterien betragen die Schwankungen der ver­ tikalen Beleuchtungsstärke an der Fassade ca. 18.000–85.000 lx, und es treten dadurch an der Außenseite der Tageslichtöffnungen oft Lichtströme von ca. 18.000–85.000 lm/m² im photopischen Bereich auf. Diese Werte dienen der Orientierung und sind einer Statistik entnommen, die den Standort München während mehrerer Tage im Februar und Juni betreffen und eine Tageszeit von 09:30 bis 15:00 Uhr umfassen (siehe Abbildungs­ reihe Kapitel 4.7.4). Setzen wir voraus, dass es gelingt, solche Lichtstrom­ mengen in den Innenraum zu bringen, so sind die klassischen seitlichen Tageslichtöffnungen (Abb. 248, 249) aufgrund ihrer Lichtverteilung meist ungeeignet. Für unsere Tageslichtplanung bedeutet das, dass zwar eine hohe und ausreichende Tageslichtmenge zur Verfügung steht (auch unter Einbeziehen der biologischen Veränderung), es dennoch notwendig ist, diese große Lichtmenge am Fenster durch angepasste und optimierte Sys­ temtechniken im Raum geeignet zu verteilen. Die Erkenntnis, Tageslicht im Innenraum gut lenken zu können, ist im Grunde eine einfache Überlegung – und ebenso eine absolute Notwen­ digkeit. Bei Kunstlicht wird die Lichtlenkung als selbstverständlich betrach­ tet und laufend angewandt, für die Tagesbelichtung jedoch ist die Anwen­ dung von Lichtumlenkung häufig noch zu fremd. Ich vermute, das verhält sich deshalb so, da das Fenster als ein Fassadenteil betrachtet wird und es somit in den Bereich der Architektur und Gestaltung fällt und damit einem Tabu unterliegt. Betrachten wir hingegen die Kriterien des tagesbelichteten Raums in Kapitel 4.2, so erkennen wir deutlich die Komplexität, die einer Fensteröffnung anhaftet. Für eine optimierte Tageslichtbeleuchtung benötigen wir nun also die ­sorgfältige Ermittlung der visuellen Anforderungen der jeweiligen Tätig­ keiten im Raum und der sich daraus ergebenden geforderten Infeld- und Umfeldleuchtdichtebereiche, ebenso die Anordnungen der Tageslichtöff­ nung mit Bezug nach außen, die Tageslichtmenge und die Verläufe, die es benötigt, um einen stabilen visuellen Wahrnehmungszustand im Innen­ raum zu ­schaffen, und die entsprechenden Tageslichtrhythmen (zirkadia­ ner ­Rhythmus).

4.3.1  Reflektorische Tageslichtumlenkelemente Unter reflektorischen Umlenkelementen verstehen wir gerichtet angeordne­ ­te Spiegelreflektoren, die in unterschiedlichen Systemarten vor oder hinter einer seitlichen Verglasung angebracht werden und dadurch das einfal­ lende Tageslicht in seiner Verteilung entsprechend verändern können. Es macht keinen Sinn, anstelle von Spiegelreflektoren weiße diffus reflektie­ rende Elemente zu verwenden, da mit diesen eine effektive Tageslichtum­ lenkung und Veränderung der Lichtverteilung infrage gestellt ist. In Abb. 251 ist eine prinzipielle Tageslichtumlenkung mittels eines Spie­ gel­reflektors (Umlenkschwert) am Seitenfenster und einzelner Spiegelele­ 274

Kapitel 4

Augpunkt (sitzend)

Abb. 251 Prinzip der Tageslichtumlenkung bei Seitenlicht: Das durch die Fensteröffnung eintretende Tages­ licht wird durch einen Umlenkreflektor (Spiegelfläche) auf das Deckensystem umgelenkt und dort mit der geforderten Verteilung über eine Spiegelreflektordecke in den Innenraum gelenkt.

Abb. 252 Die Grafik zeigt die Veränderung der Lichtverteilung, die durch Lichtumlenkung erreicht wird. Das gewählte Raum­ beispiel bezieht sich auf Abb. 248. Systemarten, mit welchen die Tageslichtumlenkung realisiert werden können, werden in Kapitel 4.3, 4.3.1 und 4.3.10 dargestellt, ebenso in Abb. 253. Tageslicht

275

Abb. 253 Darstellung einer 30°-Umlenk­lamelle. Sie ermöglicht, das Tageslicht mit all seinen natürlichen Veränderungen in den Innenraum zu lenken. Sie erfüllt neben der Tageslichtlenkung bei bedecktem Himmel auch die Sonnen- und Blendschutzwirkung an Sonnentagen und ermöglicht so die stabile visuelle Wahrnehmung.

Abb. 254 Die Anlage wurde mit einer 30°-Umlenklamelle inkl. Reflektorelement an der Decke ausgeführt.

276

Kapitel 4

mente an der Decke dargestellt. Die reflektierenden Elemente an der Decke ermöglichen, das eingelenkte Tageslicht optimal angepasst im Raum­inne­ren zu verteilen.

4.3.2  Prismatische Tageslichtumlenkelemente Eine weitere Möglichkeit der Tageslichtlenkung und -verteilung sind Pris­ mensysteme. Diese Systemart hat den Vorteil, bei Raumtiefen von z. B. sechs bis sieben Metern kleinere geometrische Abmessungen möglich zu machen, und erlaubt das Integrieren in Fensterelementen. Die Herstellver­ fahren jedoch sind aufwendig, und man sollte darauf achten, auf Norm­

Abb. 255 Das durch die Tageslichtöffnung eintretende Tageslicht kann auch durch ein Prismensystem und ein geeignetes Deckensystem diffus oder gerichtet mit der gewünsch­ ten Verteilung in den Innenraum gebracht werden.

Abb. 256 Umlenkprismen in Fensterkombination mit reflektierendem Deckensystem.

Tageslicht

277

Abb. 257 Diese Grafik zeigt die Tageslichtlenkung mittels eines Umlenkprismas mit weißer diffuser Decke (1) und im Vergleich dazu mit einer ca. zwei Meter tiefen Spiegelreflektordecke (2) bei gleichem äußeren Himmels­ zustand.

teile oder vorgefertigte Elemente zuzugreifen, um den kostenintensiven Werkzeugbau bei Sonderanfertigungen zu vermeiden. Abb. 255 stellt die Tageslichtlenkung mittels eines Umlenkprismas dar. Diese Art der Lichtumlenkung ist aufgrund der hohen Lichtdurchlässigkeit des Materials effektiv, lässt sich in Fensterkombinationen integrieren und wirkt transparent und gläsern bis transparent.

4.3.3  Optische Wahrnehmung Um störungsfreie optische Wahrnehmungsabläufe zu gewährleisten, ist es notwendig, die Nutzung eines Raums mittels Vorgaben an die Leucht­ dichteverhältnisse zu formulieren, welche der Sehaufgabe entsprechen, Blendung im Umfeld vermeiden und Ablenkung verringern (Theoretisches Leuchtdichtemodell). Wir wissen, dass optimale Leuchtdichteverhältnisse Voraussetzung für einen einwandfreien visuellen Wahrnehmungsablauf sind und Störungen zu starken mentalen Belastungen führen. Dieses Thema wurde bereits ausführlich in den Kapiteln 1.1, 1.4.2 und 1.4.4 beschrieben. Es ist somit unbedingt notwendig, auch bei der Tagesbelichtung mit Fenstern bzw. Tageslichtöffnungen Blendungsfreiheit zu gewährleisten. Eine optimal angepasste Tageslichtlenkung kann die am Seitenfenster vorherrschende extreme Helligkeit abbauen und ins Rauminnere lenken. Diese Tageslichtumlenkung erfolgt in Winkelbereichen, in welchen Blen­ dung vermieden werden kann. Besonders bei tiefen Räumen kann zusätz­ lich mit Deckenelementen gearbeitet werden, die das einfallende Tages­ licht derart umlenken, dass die gewünschte Helligkeitsverteilung und die geforderten Leuchtdichteverhältnisse erreicht werden.

278

Kapitel 4

Abb. 258 Arbeitsplatz mit Lichtlenkung und Bezug nach außen.

4.3.4  Bezug nach außen Bei einem Seitenfenster ist die Sicht nach außen für die Nutzer des Raums eine unerlässliche Notwendigkeit. Die Fassade soll aber auch den Son­ nenschutz, den Blendschutz und die Lichtumlenkung sicherstellen. Dies führt zu einem Konflikt, da Tageslichtumlenksysteme meist den Bezug nach außen verhindern oder zumindest erschweren. Ergebnisse diverser Untersuchungen zeigen, dass ca. 25–30 % der Fas­ sadenfläche für den Außenbezug zu verwenden sind. Eine Verringerung dieser Fläche kann sich für die Nutzer problematisch auswirken, und es

Abb. 259 Bürogebäude von außen.

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empfiehlt sich, diese Vorgabe unbedingt einzuhalten. Ein Überschreiten dieses Anteils jedoch bringt keine Vorteile, und es kann gestalterisch frei entschieden werden. Um sich für optimale Lösungen entscheiden zu kön­ nen, empfehle ich eine Trennung der Funktionen, also ein Aufteilen der Fassade in Bereiche für die Tageslichtlenkung und in Bereiche für das Hinaus­schauen. Im Rundbau unseres Bürogebäudes in Aldrans (Abb. 258 und 259) wurde dieses Prinzip der Funktionstrennung a) Tageslichtversorgung und Lichtumlenkung und b) Bezug nach außen angewandt.

4.3.5  Sonnenschutz Mit dem einfallenden Sonnen- und Tageslicht kommt natürlich auch Wärme in den Raum, die an Sonnentagen auf Maximalwerte ansteigt. Neben den dadurch auftretenden Blendungserscheinungen muss auch die Erwärmung durch die Sonne kompensiert werden. Diese Kompensation erfolgt durch sogenannte Sonnenschutzsysteme. Diese verhindern bzw. regulieren den Wärmeeintrag der Sonnenein­ strahlung. Je wirksamer also der Sonnenschutz ist, umso geringer ist die Sonneneinstrahlung – allerdings auch die damit einhergehende Licht­ menge der Sonne und des Himmels. Die aktuell nach wie vor am häufigsten verwendete Systemtechnik sieht so aus, dass das direkt auftreffende Sonnenlicht mittels Verschattungsvorrich­ tung daran gehindert wird, in den Raum zu gelangen. Diese Verschattung bewirkt jedoch auch, dass diffuses Tageslicht in den Raum gelangt. Es ent­ steht nun das Paradoxon, dass an hellen Sonnentagen der Raum so weit abgedunkelt wird, dass Kunstlicht zugeschaltet werden muss. Zusätzlich wird die Sicht nach außen verhindert, und der zirkadiane Rhythmus findet nur reduziert statt oder wird zur Gänze verhindert.

4.3.5.1  Konventionelle Jalousie außen liegend Die konventionelle außen liegende Jalousie besteht aus geformten und lackierten Metalllamellen. Im Regelfall werden sie bei Sonnenschein und auch bei niedrigem Sonnenstand geschlossen und reflektieren das Licht zurück. Bei bedecktem Himmel oder sehr hohem Sonnenstand sind die Lamellen in waagrechter Position. Die Sonnenschutzwirkung ist bei diesem System hoch und der Wärmeeintrag gering, da sie außen liegend vor dem Fenster angebracht werden. Der g-Wert ist ein Maß für den Wärmeeintrag und beträgt bei diesem System > 0,1–0,15 (Abb. 261). In Abb. 260 ist eine konventionelle Jalousie dargestellt. Der in den Abbildungen 261 und 262 dargestellte Helligkeitsverlust be­ zogen auf eine außen und innen liegende gelochte Jalousie zeigt die Reduktion der in den Innenraum gelangenden Lichtmenge bei waagrech­ ter (Abb. 261) und bei geschlossener Stellung (Abb. 262). Dennoch sind trotz des starken Lichtverlustes die Leuchtdichten für anspruchsvolle Bild­ schirmtätigkeiten zu hoch, und es kann nicht von Blendschutz gesprochen werden. Die Ergebnisse der Systemtechnik der konventionellen Jalousie (Abb. 260, 261, 262) zeigen, dass durch die Abschattung des Sonnen- und Himmels­ lichtes zwar die Wärmestrahlung reduziert wird, gleichzeitig jedoch auch die Tageslichtwirkung. Die Sonnenschutzwirkung wird demnach weitge­ 280

Kapitel 4

Abb. 260 Äußeres Erscheinungsbild einer außen liegenden konven­ tionellen Jalousie in geschlossener und waagrechter Form bei hoch stehender Sonne.

Abb. 261 Die waagrechte Stellung der Jalousie, die bei hohem Sonnenstand angewandt wird, reduziert die einfallende Tageslichtmenge von TQ ≈ 10 % auf TQ ≈ 2 %. Es treten jedoch – vor allem bei Sonne – hohe Leuchtdichten an der Innenseite der Jalousie auf, die zu Ablenkung und physiologischer Blendung führen.

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281

Abb. 262 Die geschlossene Form der konventionellen Jalousie (außen oder innen liegend) zeigt die Reduktion der Beleuchtungsstärke auf TQ ≈ 0,12 % im Innenraum, also praktisch Lichtlosigkeit und Verhinderung der Sicht nach außen. Die Sonnenschutzwirkung ist bei der außen liegenden Jalousie einwandfrei.

hend auf Kosten der Tageslichtmenge erreicht. Das erklärt die starke Ver­ minderung der Selektionszahl (siehe Definition Seite 288). Die Absurdität des Ganzen zeigt sich deutlich in den Verschattungs­ systemen, denn die Aufgabe eines Fensters ist es, Tageslicht in den Raum zu transportieren und nicht Maßnahmen erforderlich zu machen, die das verhindern.

4.3.5.2  Konventionelle Jalousie innen liegend Die konventionelle innen liegende Jalousie zeigt im Allgemeinen dieselben lichttechnischen Werte wie die außen liegende Jalousie, jedoch beträgt der g-Wert > 25 %. Dadurch erhöht sich der Wärmeeintrag erheblich, da die Sonne bereits im Innenraum ist, ehe die innen liegende Jalousie ihre Wirkung entfalten kann.

4.3.5.3  Sonnenschutzsystem „Screen“ Dieses Sonnen- und Blendschutzsystem beruht auf dem Prinzip der Ab­ schat­tung. Es schließt die Tageslichtöffnung mit einem teiltransparenten Textil- oder Folienelement ab und wird sowohl innen als auch außen lie­ gend eingesetzt. 282

Kapitel 4

Abb. 263 Der textile außen liegende Sonnenschutz (Screen) verhindert durch das Abschatten den Son­ neneintrag in den Raum, reduziert jedoch im Maße seiner Sonnen­ schutzwirkung proportional den Lichteintrag.

Abb. 264 Das Foto zeigt deutlich die Situa­ tion, dass das Fenster verschattet wird und Kunstlicht zugeschaltet werden muss. Die Lichtdurchlässig­ keit reduziert sich bei Optimierung der g-Werte auf 5–10 %.

Abb. 265 Die Tabelle zeigt Zusammenhänge zwischen dem Wärme­ eintrag ins Rauminnere und der Lichtdurchlässigkeit des Systems „Screen“ innen und außen liegend. Tageslicht

283

Abb. 266 Die meiste Zeit – auch bei Sonne – wird eine künstliche Ergänzungsbeleuchtung notwendig, da das Tageslicht im Innenraum zu geringe Intensität aufweist.

Die Absurdität der Verschattung liegt darin, dass der Ursprung der Licht­ quelle „Tageslicht“, nämlich das Sonnenlicht, stark reduziert bis hin zu völlig daran gehindert wird, in den Innenraum zu gelangen, und damit auch die Sicht nach außen stark einschränkt. An einem hellen Sonnentag werden die Fensteröffnungen verhängt, und es entsteht „Lichtlosigkeit“. Be­ gründet werden solche Maßnahmen dann meist mit dem Argument, die Wärmeeinstrahlung verhindern zu wollen. Jedoch wird außer Acht gelas­ sen, dass wir das Sonnenlicht mit seiner Intensität, seinem Rhythmus und seinem Spektrum unbedingt brauchen, um den zirkadianen Rhythmus zu ermöglichen. Mein Bemühen geht nun im Folgenden dahin, Systeme und Vorgangs­ weisen aufzuzeigen, die das notwendige Tageslicht ungehindert und „ruhig“ hinsichtlich seines Rhythmus in den Raum lassen. An dieser Stelle möchte ich auch noch erwähnen, dass Screens häufig noch farbig gestaltet werden und sie dadurch den spektralen Verlauf des verringerten noch in den Raum gelangenden Lichtes verändern, also sozu­ sagen farbiges Licht erzeugen. Dies führt zu einer Veränderung des Lichtund Raummilieus und erweist sich häufig als sehr störend. Wie wir wissen, ist es aus wahrnehmungspsychologischen Gründen notwendig, die farb­ neutrale Wirkung des Tageslichtes zu erhalten. 284

Kapitel 4

Abb. 267 Die Modellsimulation zeigt die Reduktion des Lichtein­ trags aufgrund der Anwendung des Sonnenschutzsystems „Screen“. Wird der Screen noch zusätzlich mit farbigem Textil ausgestattet, verändert sich neben der Lichtreduktion die spektrale Zusammensetzung des einfallenden Tages­ lichtes.

Abb. 268 Sonnenschutzgläser im Vergleich.

4.3.5.4  Reflexionsgläser Bei Reflexionsgläsern wird eine klare Fensterfläche mit einer teiltranspa­ renten reflektierenden Schicht versehen (z. B. im Hochvakuum bedampft). Die Teiltransparenz lässt das Licht durch, und die Reflexionsschicht reflek­ tiert die Sonnenstrahlung bzw. spiegelt diese wieder zurück. Tageslicht

285

Abb. 269 Funktionsprinzip Sonnenschutzglas.

Bei der Lichtplanung ist neben dem Sonnenschutz und der Lichtdurchläs­ sigkeit auch auf die Spiegelung zum Innenraum und die Spiegelung zum Außenraum hin zu achten. Der heutige Stand der Technik ermöglicht die Durchlässigkeit des Tageslichtspektrums bei Verwendung von farbneutra­ len Gläsern. Der Bezug nach außen ist damit unverfälscht gegeben, und das eintretende Licht ist identisch mit dem jeweiligen Tageslichtzustand. Die Spiegelung der Innenseite hingegen beträgt 8–30 % und kann da­ durch Ablenkung und Irritationen hervorrufen. Die Spiegelwirkung an der Außenfassade ist abhängig von der Glasart und kann 10–50 % Lichtrefle­ xion betragen. Das kann für das Umfeld besonders bei Sonnenschein pro­ blematisch werden, da die entstehenden Blendungserscheinungen z. B.

Abb. 270 Spiegelung der Sonne und des umgebenden Himmelsanteils an der Fassade durch teilverspiegelte Reflexionsscheiben.

286

Kapitel 4

Abb. 271 Wir sehen, dass das Sonnen­ schutz-/Reflexionsglas bei den auftretenden Tageslichthellig­keiten die Umgebung spiegelt und dadurch das Erscheinungsbild der bespiegelten Fassade verzerrt, bis hin zur Unkenntlichkeit. Dieser Effekt kann jedoch auch als ge­ stalterische Komponente bewusst genutzt werden, was jedoch bereits in der Konzeptphase der Fassadengestaltung beachtet werden muss.

im Straßenverkehr in weiterer Folge zu Irritationen und Unfällen führen können. Des Weiteren können solche Spiegelungen (man muss die Leucht­ dichte der Sonne von ca. 10⁹ cd/m² berücksichtigen) umgebende Bauten durch ihre Blendungseffekte beeinträchtigen und durch die Energieüber­ tragung mit Wärme belasten. Spiegelfassaden werden hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes so ­konzipiert, dass sich die Umgebung darin spiegelt und sie damit Teil der Fassade wird und diese beeinflusst. Für energiebewusstes Planen wird ein g-Wert von 0,1 bis 0,15 angestrebt, sodass zusätzliche Maßnahmen (meist innen liegende Screens) zur Ver­ besserung des g-Wertes getroffen werden müssen. Somit kann auch die Blendung durch Innenspiegelung vor allem in der Dämmerung, nachts oder am Tage reduziert werden. Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass Reflexionsscheiben als Son­ nenschutzsystem häufig angewandte Fassadenkonstruktionen sind, die sich aufgrund ihrer vermeintlichen Einfachheit durchgesetzt haben. Sie be­ ruhen auf dem Prinzip der Verschattung und nicht der Umlenkung. Neben der Reduktion des Wärmeeintrags reduzieren sie auch einen erheblichen Anteil des einfallenden Lichtes. Die Sicht nach außen ist möglich und kann bei Farbneutralität des Produktes einwandfrei erreicht werden. Es werden meist Zusatzmaßnahmen wie z. B. teiltransparente Screens angebracht, die den g-Wert weiter verbessern, jedoch die Lichtdurchlässigkeit stark ver­ ringern und die Sicht nach außen reduzieren. Nachts sind die Screens jedoch von Vorteil, da sie die Innenspiegelung vermeiden und den Blick auf schwarze Fensterflächen verhindern. Doch im Prinzip handelt es sich auch hier um Verschattung.

Tageslicht

287

4.3.6  Zusammenfassung der Sonnenschutzsysteme auf dem Prinzip der Verschattung Die Kriterien eines Sonnenschutzsystems sind: • Sonnenschutzwirksamkeit – Wärmeeintrag – g-Wert, • Lichtdurchlässigkeit und Lichtverteilung, • spektrale Durchlässigkeit, • Durchsicht – Transparenz und • Wartung – Wirtschaftlichkeit. Das Entscheidende eines Sonnenschutzsystems ist sein wirksamer Schutz vor der Sonne, wie sein Name deutlich ausdrückt. Über den sichtbaren Bereich hinaus müssen auch die Anteile der UV- und Infrarotstrahlen mit­ einbezogen werden. Die Wärmestrahlung und ihre Umwandlung in Kon­ vektion sollten möglichst außen vor der Fensterkombination stattfinden (Dreifachverglasung), um die Wärme gar nicht erst ins Innere gelangen zu lassen. Das Maß für die Sonnenschutzwirkung und den Wärmeeintrag ist der g-Wert. Eine weitere dominante Größe ist die Lichtdurchlässigkeit bzw. der Transmissionsgrad (τ). Der Zusammenhang zwischen dem g-Wert und der Lichtdurchlässigkeit ist die Selektivitätszahl (S). Die Formel dafür lautet: τ S= g τ … Lichtdurchlässigkeit g … Gesamtenergiedurchlassgrad Es ist tendenziell empfehlenswert, die Lichtdurchlässigkeit des Tageslicht­ systems zu optimieren und den Energieeintrag gering zu halten. Das be­ wirkt einen Anstieg der Selektivitätszahl. Wie vorangegangen bereits besprochen, sehen Sonnenschutzsysteme nach dem Prinzip der Verschattung meist so aus, dass vor der Tageslicht­ öffnung eine sonnen- und lichtundurchlässige Abdeckung oder eine starre oder/und bewegliche Reflexionsschicht angebracht ist. Primär wird damit die Sonneneinstrahlung verhindert bzw. verringert. Je nach Art des Systems werden die begleitenden Komponenten wie Lichtdurchlässigkeit, Sicht nach außen, spektrale Veränderung des eintretenden Tageslichtes, Verän­ derung des Tageslichtverlaufs und die damit verbundene Leuchtdichtever­ teilung im Raum weitgehend vernachlässigt. Solche Verschattungssysteme dominieren nach wie vor den Markt, sie sind beinahe so alt wie das Bau­ geschehen selbst, und es gibt sie in unzähligen Varianten. Eines der am meisten angewandten Systeme ist die konventionelle außen liegende Jalousie als beweglicher Sonnenschutz. Der g-Wert ­beträgt bei geschlossenem Zustand > 0,1–0,2 und die Lichtdurchlässig­ keit im Mittelwert τ ≈ 0,1. Die errechnete Selektivitätszahl S beträgt somit S = 0,5–1. Diesen Wert können wir als Richtwert für Beschattungssysteme ansetzen. Das bedeutet, dass eine Verbesserung des Sonnenschutzes (= Verminderung der Sonneneinstrahlung) zu einer entsprechenden Redu­ zierung der Lichteinstrahlung führt und damit das Fenster als Lichtbringer teilweise infrage stellt.

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Kapitel 4

4.3.7  Sonnenschutzsystem und Lichtumlenkung – integrierte 30°-Umlenklamelle und Mehrfachbehang Die Ursache von Tageslicht ist die Sonne. Aufgrund der Sonnenlaufbahn verändert sich ihre Position laufend und damit verbunden auch ihre Strah­ lungsrichtung. Aufgrund ihrer Entfernung zur Erde funktioniert die Sonne wie ein Parallelstrahler. Zwischen Sonne und Erde befinden sich Luftschich­ ten, unterschiedliche Wolkengebilde und weitere diverse Dunstschichten, die ihre gerichtete Strahlung verändern, sodass die Parallelstrahlung der Sonne • zeitweise direkt und sehr gerichtet mit Intensitäten von ca. 60.000 bis 90.000 lx (35 % Jahresmittelwert) bei klarem Himmel mit Sonnenschein, • zeitweise direkt-diffus mit Intensitäten von ca. 16.000 bis 35.000  lx und Übergängen bis hin zu 60.000 lx bei dynamischer Wettersituation (35 % Jahresmittelwert) und • zeitweise diffus mit Intensitäten von 4.000 bis 16.000 lx (30 % Jahres­ mittelwert) bei bedecktem Himmel im Jahres- und Tagesverlauf auftritt (die Angaben sind bezogen auf die Position München). Diese Veränderungen haben selbstverständlich Einfluss auf das Tages­ licht, das dann auf unser Tageslichtsystem trifft, welches wiederum den visuellen Forderungen des Innenraums und der visuellen Wahrnehmung entsprechend angepasst werden muss. Die Aufgabe eines Tageslichtsystems ist es, die jeweilige Situation und Eigenschaft des auffallenden Tageslichts aufzunehmen, es umzulenken, den Wärmeeintrag zu regulieren (besonders bei Sonne) und seine solare Nutzung zu erfassen, um es dann angepasst und optimiert in den Innen­ raum zu übertragen. All dies geschieht unter der Voraussetzung, dass die Tageslichtverteilung den visuellen und psychischen Aspekt, die zirkadiane Rhythmik, das Wohlbefinden, die Gesundheit, das Raumklima und die Energieoptimierung miteinbezieht. In Kapitel 4.7.4 sind solche Tageslichtverläufe für das Beispiel München im Jahre 2000 für Januar und August bei sonnigen Tagen und solchen mit bedecktem Himmel dargestellt. Die Kriterien für Sonnenschutz- und Lichtumlenksysteme sind: • das Tageslicht ausreichend und optimal verteilt in der entsprechenden Zeit in den Innenraum und die Nutzungszone zu bringen, • das Tageslicht mit seiner Veränderung so in den Innenraum zu lenken, dass sich die Seh- und Wahrnehmungsabläufe in Zusammenhang mit der Optimierung der visuellen Leistung (entsprechend dem Infeldleucht­ dichtebereich) stabilisieren können und sich mit der auftretenden zirka­ dianen Rhythmik synchronisieren.

Reflektorische 30°-Umlenklamelle als Fensterbehang und ­Deckenumlenksystem Bei dieser Systemtechnik handelt es sich um einen Fensterbehang, der aus reflektierenden 30°-Umlenklamellen besteht. Das Strahlungsprinzip und der Strahlungsverlauf sind in Abb. 253 dargestellt. Durch Umlenkung wird das diffuse Tageslicht in den oberen Halbraum gelenkt und gelangt damit an die Decke, wo es durch entsprechend aus­ geformte und an die Situation angepasste Deckenelemente blendfrei im Innenraum verteilt werden kann (Abb. 254). Tageslicht

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Abb. 272 Funktionsprinzip der 30°-Umlenklamelle.

Abb. 273 Gerichteter Transmissionsverlauf der 30°-Umlenklamelle.

Abb. 274 Die Grafik zeigt das Strahlungsprinzip der 30°-Umlenklamelle. Das Tageslicht wird über die Lamelle an die Decke gelenkt und von ­dieser diffus bzw. gerichtet reflektiert in den Raum zurückgestrahlt und entsprechend im Raum verteilt.

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Kapitel 4

Abb. 275 Funktionsprinzip Retro- und ­Durchlass-Stellung.

Abb. 276 Vergleich der Lichtmenge mit den Verschat­ tungssystemen und dem Lamellensystem. Tageslicht

291

Abb. 277 Wir sehen ein verspiegeltes Lamellensystem, welches bereits in vielen unterschiedlichen Ausführungen ­besteht und an die jeweilige individuell gestaltete Gebäudefassade angepasst werden kann. Die Systeme sollten möglichst nicht an der Außenseite der Fassade vorgesehen werden, um durch ihre verspiegelte Oberfläche nicht zu stark zu reflektieren und um sie vor Verschmutzung und allgemeinen Beschädigungen zu schützen. Erfahrungsgemäß ist eine Dreifach-Fensterkombination optimal, da sie einen hohen g-Wert, hohe Lichtdurchlässigkeit, eine gute Wärmedämmung bei minimaler Verschmutzung und eine einfache Wartung aufweist.

Findet die Seitenbelichtung einer Fassade beispielsweise vorwiegend von der Südseite statt, dann erfolgt die Beaufschlagung durch die Sonne vor­ mittags von der Ostseite, nachmittags von der Westseite und dazwischen direkt von der Südseite. Blendungen zu den unterschiedlichsten Zeiten sind in diesem Fall vorprogrammiert, und das Tageslichtsystem muss mit seinen Bewegungsabläufen der Situation entsprechend gesteuert wer­ den. Weiters zu berücksichtigen sind die dynamischen Wettersituationen, die im Laufe eines Tages auftreten. Das bedeutet, dass die auftreffende Lichtmenge und damit verbunden der Wärmeeintrag dem Tageslichtrhyth­ mus folgen. Die Außenhelligkeit an der Fassade bewegt sich zwischen EV ≈ 4.000–90.000 lx. Die Systemtechnik der 30°-Umlenklamelle ist für bestehende und neu entstehende Fenstertypen eine gute Möglichkeit, die komplexen Aufga­ benstellungen der Tageslichtführung zu realisieren, die da sind: 292

Kapitel 4

Abb. 278 Tageslichtsystem entsprechend Variante 2.

Abb. 279 Tageslichtsystem entsprechend Variante 3.

Tageslicht

293

• ausreichende Tageslichtmenge und angepasste Tageslichtverteilung, • Übertragung und Synchronisation des zirkadianen Rhythmus unter Be­ rücksichtigung der stabilen Wahrnehmung und der visuellen Leistung, • Lenkung der Aufmerksamkeit und Vermeidung von Blendung und Ab­ lenkung, • Bezug nach außen, • Sonnenschutz und • solare Nutzung. In einer Studie gemeinsam mit der Universität München (Prof. Gerhard Hausladen) wurde die Vielschichtigkeit dieser Forderungen unter Einbe­ ziehung des Wärmeeintrags, seines Einflusses auf den Luftwechsel, der Klimabelastung (g-Wert) und der Wirtschaftlichkeit ausführlich untersucht. Das Tageslichtsystem wurde um diese Erkenntnisse erweitert, und und die daraus resultierenden Ergebnisse wurden in Abb. 280 dargestellt. Anhand der Ergebnisse wurde das System der 30°-Umlenklamelle so konzipiert, dass mit drei Systemvarianten ein großer Bereich von Anforderungen ab­ gedeckt werden kann. Zwei dieser Varianten werden im Folgenden dargestellt. Die Abbildungen 253, 278 und 279 stellen die Tageslichtsysteme der Va­ riante 1, 2 und 3 dar, deren Vergleich aus Abb. 275 ersichtlich ist. Die genaue Beschreibung dazu wird weiter unten im Text vorgenommen. Das Balkendiagramm in Abb. 280 zeigt die Möglichkeiten des Licht­ eintrags von 30°-Umlenklamellensystemen bei besonnter Fassade und variab­lem g-Wert in Abhängigkeit von der Systemart und der eintretenden Lichtmenge, bezogen auf eine bestimmte Innenraumgeometrie.

Abb. 280 Das Diagramm zeigt die zusammengefassten Ergebnisse der o. g. Studie.

294

Kapitel 4

Variante 1: Die 30°-Umlenklamelle erstreckt sich als Behang über die gesamte Fens­ terfläche und wird der jeweiligen Tageslichtsituation angepasst: bei be­ decktem Himmel hinsichtlich Blendschutz und Lichtumlenkung; bei Sonne hinsichtlich Sonnen- und Blendschutz und Lichtumlenkung mit einem g-Wert von ≈ 0,15 (siehe Abb. 253). Variante 2: Die 30°-Umlenklamelle erstreckt sich als Behang über die gesamte Fens­ terfläche und ist zweigeteilt, um an Sonnentagen einen geteilten g-Wert über den Zeitablauf zu ermöglichen. Der optimierte g-Wert ≈ 0,15 tritt zwischen ca. 11:00 und 14:00 Uhr auf. Die restliche Zeit beträgt der g-Wert ≈ 0,2–0,3. Durch die Teilung der Systeme erreichen wir, dass mit dem zusätzlichen Wärmeeintrag (Lamellenstellung lässt Sonnenanteil durch) mehr Licht in den Raum gelangt und der Tageslichtrhythmus erlebbar und damit bewusst (nichtvisuelles System) wird (siehe Abb. 278). Variante 3: Die 30°-Umlenklamelle entspricht Variante 2, jedoch ist das System so kon­ zipiert, dass zusätzlich zu den variablen g-Werten auch die Wintersonne in den Raum gelenkt wird. Das trägt zu einer Erwärmung in den Winter­ monaten bei und gleicht damit die der Jahreszeit anhaftende Tageslicht­ verminderung durch einen verstärkten Lichteintrag aus und entspricht damit zusätzlich der solaren Nutzung (siehe Abb. 279). Eine Spiegelreflektorlamelle mit 6–20 % Lochanteil ermöglicht eine teil­ transparente Sicht, die ausreichend ist, um die Außenwelt zu erkennen. Der Anteil der Lochung bestimmt die Erkennbarkeit des Äußeren, erhöht jedoch auch die Leuchtdichte am Sonnenschutzsystem selbst. Blendung

Abb. 281 30°-Umlenklamelle mit einer Lochung von ca. 10 bis 20 % für bessere Sicht nach außen, die ergänzend angewandt werden kann.

Tageslicht

295

durch die direkte flache Sonneneinstrahlung kann entweder durch den Lochanteil / die Lochstruktur verhindert werden oder durch Überlappung der Lamellen.

4.3.8  Sonnenschutzsystem und Lichtumlenkung – außen liegende Spiegelreflektorsysteme am Beispiel eines realen Projektes In diesem Kapitel möchte ich einen realen Planungsprozess beschreiben, den wir gemeinsam mit Architekt Prof. Thomas Herzog am Erweiterungs­ bau der ZVK in Wiesbaden vorgenommen haben. Der Bau wurde mit überwiegend seitenbelichteten Einzelraumbüros er­ richtet, deren Nutzung klar definiert und vorgegeben war. Die Arbeits­ plätze mit den Bildschirmen sind zur Fensterfront hin orientiert, und die Verkehrszonen befinden sich im hinteren Bereich des Raums. An der Fassade wurden außen liegende Umlenkelemente angebracht, die durch ihre jeweilige Stellung für die Tageslichtumlenkung und als Son­ nenschutz verwendet werden. 15 % der Gesamtfläche dieses sogenannten Lichtschwertes sind mit Umlenklamellen ausgestattet, um auch bei Sonnen­ schutzstellung Tageslicht in den Raum zu bringen (Abb. 284–286). Für die Tageslichtlenkung bei bedecktem Himmel wird das Lichtschwert waagrecht gestellt; es lenkt so das Tageslicht über ein Spiegeldeckenele­ ment am Vordach in den Raum (Abb. 283, 284). An Sonnentagen – also an ca. 30–40 % aller Tage im Jahresverlauf – wird das Lichtschwert vertikal aufgerichtet und befindet sich so in seiner Sonnenschutzposition (Abb. 285). Die einfallende Sonnenstrahlung wird beinahe zur Gänze reflektiert und nur ein kleiner Teil der Sonne (ca. 15 %) gelangt über die Umlenklamellen in den Raum. Die Intensität der Sonne ist bekanntlich um ein Vielfaches höher als die des bedeckten Himmels (ca. zehnfach), und so wurden die Umlenklamellen des Lichtschwertes derart

Abb. 282 Schnitt eines typischen Einzelbüros mit der Vorgabe des Tageslichtver­ laufs bei einer Außenhelligkeit von EA ≈ 10.000 lx. Als Tageslichtsystem wird ein außen liegender, großflächiger, reflektierender Umlenkreflektor angewandt, und der Sonnenschutz mit dem solaren Nutzungselement ist mit dem Umlenkelement verbunden.

296

Kapitel 4

Abb. 283 Erscheinungsbild der Fassaden­ struktur.

dimensioniert, dass sie bei Sonnenschutzstellung nur die Sonnenmenge durchlassen, welche das diffuse Himmelslicht in seiner Quantität und Ver­ teilung annähernd ersetzt (Abb. 287). Die dadurch entstehenden Sonnen­ figurationen gelangen an die Decke im Inneren und vermitteln dadurch den Tageslichtrhythmus. Wie wir sehen, erhalten wir durch diese Beleuchtungsart die für „gutes Sehen“ notwendige Quantität und Verteilung des Lichtes und aufgrund der ausgewogenen Leuchtdichteverteilung auch einen stabilen visuellen Wahrnehmungsablauf. Die Himmelszustände • klarer Himmel, • mittlerer Himmel (dynamischer Himmelszustand) und • bedeckter Himmel sind in Kapitel 4.7.4 dargestellt. Sie zeigen, dass die unmittelbare Wir­ kung der Sonne und ihre vorwiegend gerichtete Strahlung ca. 70 % des Jahres vorhanden sind und mit ihren Veränderungen Grundlage für den zirkadianen Rhythmus sind. Es ist daher notwendig, die Sonnenschutzwir­ kung so auszulegen, dass Störungen durch zu hohen Wärmeeintrag, durch Blendung und damit verbunden durch Ablenkung verhindert werden. Die solaren Einträge können jedoch auch genutzt werden und haben große Bedeutung, wobei sie wie gesagt den vorgegebenen Klimaanforderungen entsprechen müssen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal erwähnen, dass die solare Nut­ zung der in den Raum gelangenden Lichtmenge durch Vorgaben an den g-Wert seitens der Klimatechnik begrenzt ist. Der Helligkeitsanstieg im In­ feldbereich ist in Abb. 286 dargestellt und das entsprechende Erschei­ nungsbild in Abb. 287. Tageslicht

297

Abb. 284 Fassade mit dem Lichtschwert bei bedecktem Himmel.

Abb. 285 Fassade mit Lichtschwert bei Sonnenschein. Der störende Anteil des Sonnen-Wärmeeintrags wird durch Abschattung verhindert, während ein Teil des Sonnenlichts für die Tagesbelichtung im Innenraum als solare Nutzung verwendet wird. Dadurch erreicht man einen g-Wert von g ≈ 0.12–0.16 und die vorgegebene Tageslichtver­ teilung über das kombinierte Umlenkelement. Das Lichtschwert lässt die Sonnenstrahlung bis zu 10–20 % in den Innenraum (solare Nutzung).

298

Kapitel 4

Abb. 286 Horizontale Helligkeitsverläufe (Rhythmen) bei unterschiedlichen Sonnensituationen (Bereichs­ bildung).

Abb. 287 Es entstehen Sonnenfigurationen im Innenraum an der Decke durch die Senkrechtstellung des Lichtschwertes bei Sonnenschein, und dadurch wird der zirkadiane Rhythmus unterstützt.

Tageslicht

299

Abb. 288 Funktionsprinzip eines retro­ reflektierenden Sonnenschutz­ prismas. Durch Nachführung des Sonnenschutzprismen-Systems ist es möglich, über die Zeit des Sonnenverlaufs den Sonnen­ schutz (g-Wert  0,5; Selektionszahl S > 4). Zusammenfassend möchte ich sagen, dass sowohl die reflektorischen als auch prismatischen Umlenk- und Sonnenschutzsysteme den Tageslicht­ kriterien gerecht werden und den gestalterischen Erfordernissen angepasst werden können. Weiters ist es durch die Trennung der Funktionen (siehe Kapitel 4.7.4) möglich, den zirkadianen Rhythmus gestalt- und erlebbar zu machen.

4.4  Vergleich und Bedeutung von Tageslichtsystemen – Seitenlicht Für diesen Vergleich werden folgende Räume gegenübergestellt: • klares Fenster (Abb. 248), • klares Fenster ergänzt mit Screen als Blendschutz/Verschattung (Abb. 264) und • klares Fenster mit reflektierenden 30°-Umlenklamellen. Die Grundlage für diese Gegenüberstellung basiert auf • Forschungsarbeiten des KPZ Kompetenzzentrums LICHT und Barten­ bach, • Studienarbeiten der Lichtakademie Bartenbach und • realen Tageslichtprojekten und Entwicklungen (nicht veröffentlicht) der Bartenbach GmbH. Der Versuchsraum, den wir für die Gegenüberstellung der drei Systeme verwenden, ist in Abb. 296 und 297 dargestellt. Die Blickrichtungen an den Arbeitsplätzen sind mit P1 und P2 gekennzeichnet. Sie wurden des­ halb differenziert betrachtet, da die Positionen erhebliche Unterschiede bei der visuellen Leistung bringen können. Das gilt besonders für das klare Fenstersystem, wie eine Untersuchung in unserem Unternehmen gezeigt hat (siehe Abb. 301). 304

Kapitel 4

Abb. 296 Schematischer Versuchsaufbau, auf dem die Testabläufe basieren.

Abb. 297 Versuchsraum mit klarem Fenster bei bedecktem Himmel (EA ≈ 10.000 lx).

200–700

3.000–10.000

400–1.000

500–7.000

Abb. 298 Versuchsraum mit klarem Fenster und Sonnenschutz, ergänzt mit Screen bei bedecktem Himmel (EA ≈ 10.000 lx).

Tageslicht

305

Abb. 299 Versuchsraum mit klarem Fenster und 30°-Umlenklamelle als Son­ nen- und Blendschutz bei bedeck­ tem Himmel (EA ≈ 10.000 lx). Die Lamellen weisen für die Sicht nach außen eine ca. zehnprozentige Lochung auf.

Abb. 300 Helligkeitsverläufe der Testreihe als Grundlage für den Vergleich der einzelnen Systemarten mit Erweiterung einer außen liegenden Jalousie bei EA ≈ 10.000 lx bei bedecktem Himmel.

306

Kapitel 4

Abb. 301 Wahrnehmungspsychologischer Vergleich von Tageslichtsystemen. Bei diesem Test werden die Wirkungen verglichen, die durch die Verän­ derung der Sitzpositionen erfolgen, bezogen auf den Versuchsaufbau des Testraums. Wie das Ergebnis zeigt, entstehen vor allem bei der Fensterkombination „klares Fenster“ ­signifikante Veränderungen der visuellen Leistung (Sitzposi­ tion frontal zum Fenster). Diese Fensterposition und die zugeordnete Sitzposition (orange) weisen die höchsten Eigenleuchtdichten auf.

Abb. 302 Die Grafik zeigt das Ergebnis der o. g. Studie und die Erweiterung der Versuchsreihe „­Vergleich der Tageslichtsysteme“, bei welcher die visuelle Leistung als Kriterium für die Bewertung der ­Infeldtätigkeit herangezogen wurde. Diese bezieht sich ausschließlich auf Bildschirmtätigkeit (grau – ohne Beleg – Fokussierung) und entspricht der gerichteten Aufmerksamkeit mit zusätz­ licher Bildschirmarbeit in Kombination mit Beleg (orange – ungerichtete Aufmerksamkeit). In diesem Testvorgang steht der Infeldbereich mit LI ≈ 150–200 cd/m² (grau) im Fokus. Unter Einbeziehen des Belegs beträgt dieser LI ≈ 80–300 cd/m² (orange). Durch die Wechselwirkung des Sehvorgangs zwischen Bildschirm und Beleg kommt es zur ungerichteten Aufmerksamkeit. Man sieht in der Tabelle, dass durch die gerichtete Aufmerksamkeit höhere visuelle Leistungen erreicht werden als bei der ungerichteten Aufmerksamkeit. Es geht auch daraus hervor, dass bei höheren Fensterleuchtdichten eine progressive Reduzierung derselben eintritt, deren Ursache die physiologische Blendung und Ablenkung ist (siehe Theoretisches Leuchtdichtemodell). Tageslicht

307

In den Abbildungen 296–299 möchte ich zum besseren Verständnis die reale Testszenerie aufzeigen. Die Beleuchtungsstärkeverläufe bilden die Grundlage für die Versuchsabläufe und die Messungen. Es werden spezi­ fische Testmethoden auf visueller und wahrnehmungspsychologischer Basis angewandt (Abb. 297–302). Sie zeigen das visuelle Verhalten für das „gute Sehen“ sowie visuelle Vorgänge mit hoher kognitiver Belastung, ge­ richteter Aufmerksamkeit und verstärkter Ablenkung.

Bewertung und Zusammenfassung der Ergebnisse Wir vergleichen das klare Fenster, die Verschattung desselben und die Tages­ licht- und Sonnenschutzwirkung mit Lichtumlenkung. Die wesentli­ chen Kriterien dafür sind die nutzbare Tageslichtmenge, die in den Raum gelangt, und ihre Verteilung. Die Ergebnisse wurden damals noch durch eine vierte Systemart er­ weitert, nämlich die außen liegende Jalousie, die eine der häufigsten An­ wendungen der Verschattung ist (in Abb. 299 enthalten). Die Gegenüberstellung der Ergebnisse zeigt uns deutlich, dass die 30°-Umlenklamelle die optimalste und ausgewogenste Wirkung auf die visuelle Leistung hat (Abb. 300, Kurve 4). Die Sonnenschutzwirkung, die den Wärmeeintrag verhindern soll, ist beim klaren Fenster am schlechtesten (g-Wert > 0,7; S ≈ 1). Sie hat eine ungüns­ tige Lichtverteilung im Raum, weist Blendungserscheinungen auf und führt zu Ablenkung. Die außen liegende Jalousie weist mit g ≈ 0,1–0,15 gute Werte auf, ­jedoch zeigt uns die Selektivitätszahl S ≈ 1–2, dass der Lichteinfall dabei stark reduziert und auch die Sicht nach außen weitgehend verhin­ dert wird. Derselbe Trend zeigt sich bei der Anwendung des Screens, der außen liegend gute Werte von g ≈ 0,07 aufweist, jedoch innen liegend mit einem g-Wert von > 0,3 einen erheblichen Wärmeeintrag bringt. Bei beiden Anwendungen – außen liegende Jalousie und Screen – wer­ den die Sicht nach außen, der Lichteintrag und seine Verteilung stark ver­ ändert und reduziert. Die 30°-Umlenklamelle hingegen lenkt das diffuse Tageslicht in den Raum, ebenso wie das Streulicht der Sonne bzw. den für die solare Nutzung vorgesehenen Sonnenanteil. Durch die retroreflek­ tierende Lamellenstellung ist es möglich, g ≥ 0,1 zu erreichen und durch den Lochanteil (ca. 8–20 %) die Transparenz nach außen hin zu erhalten, ohne dass dabei Blendungserscheinungen auftreten. Da es sich bei die­ sem Umlenksystem um ein „optisches Gerät“ handelt, gelingt es auch, die geforderten komplexen Forderungen (Lichtmenge, Lichtumlenkung, Son­ nenlenkung, Bezug nach außen) zu optimieren und die Selektionszahl von S ≈ 4–5 zu erreichen. Es zeigt sich deutlich, dass Verschattungssysteme (vor allem außen lie­ gende) die Sonnenschutzwirkung zwar erfüllen, jedoch den Lichteintrag und seine Verteilung verändern, ebenso wie den Bezug nach außen. Systeme mit spiegelnden und prismatischen Strukturen (feststehend oder nachgeführt) können das komplexe Thema des Fensters als „Öffnung in der Wand“ gut bewältigen. Das bezieht sich nicht nur auf die visuelle Leistung und den Wärmeein­ trag, sondern auch auf die wirtschaftliche Umsetzung. In einer weiteren Studie unseres Unternehmens ging es darum, die Wirt­ schaftlichkeit folgender Systemarten miteinander zu vergleichen:

308

Kapitel 4

A) außen liegende konventionelle Jalousie/Verschattung, g-Wert 0,15, B) Umlenk- und Sonnenschutzlamelle innen und außen liegend, g-Wert ≈ 0,15, C) außen liegendes Sonnenschutzprisma und in die Fensterkombination integriertes Umlenkprisma, g-Wert ≈ 0,1. Die Kriterien dafür waren: • Tageslichtquotient (TQ), • TQ-Verlauf, • g-Wert, • maximale Temperatur, • mechanische Lüftung, • Grundkühlung, • zusätzliche Kühlung, • Kunstlichtzuschaltzeiten, • Investitionskosten, • jährliche Betriebskosten, • Wirtschaftlichkeit und • Blendung.

Betriebskosten • System A (außen liegende Jalousie): Die Betriebskosten sind relativ am höchsten, da durch die Verschattung am meisten Kunstlichtzuschaltung notwendig ist. • System B (30°-Umlenklamelle, Drei-Scheiben-Verglasung mit Umlenk­ decke): Der g-Wert von g = 0,15 wurde durch Weiterentwicklung auf g = 0,1 reduziert (B’), wodurch die zusätzliche Kühlung entfällt. Damit

Abb. 303 Die Grafik zeigt die Aufwände der Betriebsund Investitionskosten bezogen auf die Tages­ lichtsysteme A, B und C.

Tageslicht

309

ist System B’ durch seine optimierte Tageslichtwirkung und die vermin­ derte zusätzliche Kunstlichtzuschaltung hinsichtlich der Betriebskosten am ­rationalsten. • System C (außen liegendes Sonnenschutzprisma mit Umlenkprisma und reflektierender Umlenkdecke): Die Prismensystemtechnik weist den geringsten g-Wert ≈ 0,06–0,1 auf, und es entfällt damit die zusätzli­ che Kühlung. Auch die Kunstlichtzuschaltung kann durch die optimierte Tages­licht­wir­kung stark verringert werden.

Investitionskosten • System A weist bei seiner Anschaffung relativ geringe Kosten und Auf­ wände auf, jedoch benötigt es durch seine Verschattung höhere Auf­ wände für Kunstlicht und zusätzliche Kühlung. • System B’ verursacht keine zusätzlichen Investitionen für Kühlung und hat reduzierte Investitionen beim Kunstlicht durch den optimalen Tages­ lichteintrag. • System C hat durch seine Komplexität hohe Investitionskosten, jedoch sind seine Erhaltungskosten sehr gering. Zusätzlich hat das Prismensys­ tem ein transparentes Erscheinungsbild. Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass sich mit den Systemen B/B’ und C die in Abb. 303 dargestellten Optimierungen erreichen lassen. Mit System B ist es durch die Dreifach-Fensterkombination möglich, den gWert von g = 0,15 auf g ≈ 0,1 (B’) zu reduzieren, was den Verzicht auf zusätzliche Kühlung zur Folge hat und wodurch die dafür notwendigen Investitions- und Betriebskosten entfallen. Die Auswertung der Versuchsreihe zeigt uns, dass der g-Wert des Fensters einen wesentlichen Einfluss auf die Temperaturentwicklung des Innenraums hat und dadurch die Dimensionierung der mechanischen Lüftungs- und Klimaanlage stark mitbestimmt (Abb. 303). Einen sehr großen Anteil der Kosten tragen die Investitionen für Luft- und Kältetechnik bzw. für Tages­ lichtsysteme, während den Betriebskosten für die Beleuchtung (Dauer der Kunstlichtzuschaltzeiten) weniger Bedeutung zukommt und sie sich unwe­ sentlich auf das Gesamtergebnis der gesamten Kosten auswirken. Licht in seiner Quantität wird meist nur energetisch bewertet. Die Vorga­ ben werden beinahe ausschließlich an die Beleuchtungsstärke gegeben, was als rein physikalische Energie jedoch keine Aussage über die Qualität des Lichtes hat. Dasselbe gilt für die Beleuchtung mit Tageslicht, denn so­ lange das Tageslicht nicht als tatsächliche Beleuchtungsart gesehen wird, wird nach wie vor kleinen Fensteröffnungen der Vorrang gegeben. Aktuell wird die Lichtqualität im Zusammenhang mit visuellen Wahrnehmungskrite­ rien vorwiegend nur subjektiv und noch nicht objektiv gefordert.

4.5  Emotionale und subjektive Einflüsse von Tageslicht – Wirkung auf Stimmung und Wohlbefinden In diesem Kapitel möchte ich die vorwiegend energetische und wirtschaft­ liche Betrachtung aus Kapitel 4.4 um folgende Kriterien erweitern: • Emotion, • Stresswirkung, • objektive Befragung zum Thema Akzeptanz (semantisches Differential) und • stabiler visueller Wahrnehmungsablauf. 310

Kapitel 4

Gemeinsam mit dem KPZ Kompetenzzentrum LICHT haben wir eine wei­ tere Forschungsarbeit und bislang unveröffentlichte Studie durchgeführt, bei der mittels des Hautleitwertes – also mittels eines Lügendetektors – neurologische und emotionale Zusammenhänge bei Bildschirmarbeit auf­ gezeigt wurden. Diese Studie mit ihren Ergebnissen habe ich bereits in Kapitel 2.2 be­ schrieben und dargestellt. Ich möchte an dieser Stelle jedoch noch ein­ mal erwähnen, dass wir anhand der Ergebnisse erkannt haben, dass der Stresswert (= Verringerung des Hautleitwertes) durch zu hohe Umgebungs­ leuchtdichten (Deckenleuchtdichte / obere Hemisphäre) wahrscheinlich unbewusst steigt. Das bedeutet, dass die Anhebung der Umgebungs­ leuchtdichten durch Ablenkung und visuelle Wahrnehmungsdestabilisie­ rung zusätzliche Stresswirkungen erzeugt. Unser klassisches klares Fenster befindet sich also durch seine hohe Fensterleuchtdichte im labilen visuellen Wahrnehmungszustand, was Ursa­ che für die Reduzierung der visuellen Leistung ist. Emotional jedoch wird es aufgrund seiner ungehinderten Sicht nach außen subjektiv bevorzugt und gut angenommen. Es zeigt sich, dass das klare Fenster als natürlich, lebendig, großzügig, hell und gewohnt eine bessere subjektive Bewertung (semantisches Differential) erfährt als das System „Screen“ (Abb. 304).

Abb. 304 Subjektive Bewertung der ­getesteten Fensterkombinationen bei Verwendung des semantischen Differentials.

Tageslicht

311

Die 30°-Umlenklamelle zeigt bei den objektiven Testverfahren, dass durch die richtig verteilte und auf die Infeldleuchtdichte abgestimmte Umge­ bungsleuchtdichte die visuelle Leistung optimiert wird (Abb. 300). Die Stimmung wird mit behaglich, angenehm und freundlich bewertet. Diese positiven Kriterien fördern den Arbeitsvorgang, indem sie die visuellen und objektiven Kriterien des „guten Sehens“ und des Erkennens optimieren. Durch das Wohlbefinden des Nutzers und die emotionale Akzeptanz des Raums wird auch die visuelle Leistung tendenziell gesteigert. Das Tageslichtsystem „Screen“ als textile Abdeckung des klaren Fensters vermindert die einfallende Tageslichtmenge und bewirkt eine diffuse Ver­ teilung des Tageslichtes im Raum (Abb. 300). Es wird dadurch die Fens­ terblendung reduziert. Allgemein ist es durch Abschattung und Reduktion der Tageslichtmenge nicht möglich, eine ausschließliche und gewünschte Tagesbelichtung durchzuführen, ohne sie durch Kunstlicht zu ergänzen.

Abb. 305 Diese Darstellung zeigt die Tageslichtverläufe in Abhängig­ keit der Position der Tageslichtöffnungen. Die Abmessungen der Öffnungen bei allen angeführten Systemarten (A, B, C, D, E) sind gleich. Es geht daraus hervor, dass das Seiten­ licht (System A) eine generell unterschiedliche Lichtmenge und -verteilung aufweist als die Oberlichtsysteme. Bei den Systemen B–E sind die Arten der Tageslichtverteilung ähn­ lich, jedoch unterscheiden sich Qualität und Intensität des eintretenden Lichtstroms wesentlich voneinander.

312

Kapitel 4

4.6  Oberlichtsysteme Zu den erweiterten Tageslichtkriterien gehört neben der Gliederung in geo­ grafischen Ort und Gebäudeausrichtung auch die Art der Lichteinstrahlung. Der seitliche Lichteintritt in ein Gebäude (Seitenfenster) ­ergibt gegenüber einem Oberlicht auch bei denselben geometrischen ­Abmessungen einen grundsätzlichen Unterschied hinsichtlich Lichtintensität, Lichtver­teilung und dem Sonneneinfall. Für die Besonnung ist die Lage des Seitenlichtes we­ sentlich von der Himmelsrichtung abhängig, während das Oberlicht als zenitale Öffnung davon meist unabhängig ist. Vorwiegend deshalb wer­ den das Seitenlicht und das Oberlicht getrennt voneinander betrachtet. Wir erkennen, dass eine zenitale Tageslichtöffnung für die Ausleuchtung eines Raums optimale Lösungsansätze zulässt und die konzeptionellen Möglichkeiten der Tageslichtanwendung erweitert. Die Kriterien für die Oberlichtsysteme sind dieselben wie für das Seiten­ licht: • Tageslichtmenge • Tageslichtverlauf • Sonnenschutz • Wahrnehmung • Blendung • Bezug nach außen • Energie • Klima, g-Wert • Abschalten des Kunstlichtes • Zeitablauf

Abb. 306 Die Grafik stellt den jeweils in den Raum eintretenden Licht­ strom der Systeme A–E in Abb. 305 dar.

Tageslicht

313

Im Folgenden möchte ich unterschiedliche Arten von Oberlichtsystemen mit ihren Möglichkeiten aufzeigen.

4.6.1  Oberlichtöffnungen und ihre Lichtverteilung bei bedecktem Himmel Im Folgenden vergleiche ich unterschiedliche Oberlichtsysteme hinsichtlich ihres TQ-Verlaufs im Innenraum bei bedecktem Himmel: 1 Lichtöffnung einfach 2 Lichtschacht diffus weiß 3 Lichtschacht schwarz 4 Oberlicht verspiegelt mit 60°-Sonnenausblendung 5 Oberlicht verspiegelt mit 60°-Sonnenausblendung und darunterliegen­ dem verspiegeltem Lichtlenksystem 6 Lichtöffnung einfach mit darunter liegendem verspiegeltem Lichtlenk­ system

Abb. 307 Die Grafik vergleicht unterschied­ liche Oberlichtsysteme hinsichtlich ihrer Lichtmenge und Verteilung im Innenraum. Die Systeme 1, 2 und 3 sind diffus strahlend, und die Systeme 4, 5 und 6 sind verspie­ gelt und reflektierend ausgebildet.

314

Kapitel 4

4.6.2  Reflektorische Oberlichtsysteme (System 4, 5 und 6) Bei diesen Systemarten wird mittels eines optischen Spiegelreflektors in der Oberlichtöffnung das einfallende Tageslicht gerichtet und die Lichtver­ teilung entsprechend den Forderungen der Nutzung angepasst und opti­ miert. Die Eigenleuchtdichte des Oberlichtes reduziert sich, und es wird dadurch blendfrei. Je nach Vorgaben an die Planung ist es bei System 2 möglich, die Tages­ lichtmenge und -art an die Sonneneinstrahlung anzupassen und durch die Anwendung reflektorischer Systeme diese Forderungen zu erfüllen. Bereits vor vielen Jahren haben wir den Terminal 2 des Changi Airports in Singapur großflächig mit Oberlichtsystemen nach dem Prinzip System  6 geplant und ausgeführt. Der Tageslichtquotient beträgt im Mittel ca. 5 %.

Abb. 308 Dieses verspiegelte Oberlicht entspricht ­System 6 in Abb. 307. Seine reflektierende Oberfläche bringt eine erhebliche Verbesse­ rung des Raum- und Leuchten­ wirkungsgrades. Das System ver­ ändert die Verteilung, verhindert Blendungserscheinungen und vermindert dadurch Ablenkung. Im Gegensatz zu ­System 1 erreichen wir eine wesentliche ­Erhöhung der Beleuchtungsstärke und redu­ zieren die Eigenleuchtdichte des Oberlichtes.

Abb. 309 Der Vergleich zwischen diffusem und verspiegeltem Lichtschacht zeigt, dass reflektorisch a ­ usgebildete ­Oberlichtöffnungen durch die Verwendung optischer Komponenten erhebliche Vorteile bringen. Das ­Reflektorsystem in Rohrform (= Lichtrohr) wird im Folgenden noch ausführlicher behandelt. Tageslicht

315

Abb. 310 System 4: Durch Anpassung der Reflektorausbildung kann der Sonneneintrag auf das vorgegebene Maß reduziert bzw. ganz verhindert werden.

Abb. 311 In der Abbildung sehen wir Theorie und anschließende Um­ setzung des Oberlichtes nach Systemart 6 (Abb. 308, 309). Für die angepasste Lichtführung und Sonnenschutzwirkung wurde es mit einem gelochten beweglichen, dem Sonnenverlauf nachgeführ­ ten Paneel ergänzt (Abb. 313). Damit erreichen wir eine optimale Lichtnutzung bei geringer System­ leuchtdichte.

316

Kapitel 4

In Singapur steigt die Sonne bis zum Zenit. So wurde für den Sonnenein­ trag ein spezielles teildurchlässiges Streckmetall gewählt, das bis zu 20 % der Sonneneinstrahlung in den Raum bringt (solare Nutzung). An Sonnen­ tagen kann somit ungefähr das Doppelte der Tageslichtmenge eines Tages mit bedecktem Himmel erreicht werden. Die beweglichen Sonnenschutz­ elemente an den Oberlichtern (Abb. 311, 313) wurden mithilfe einer auto­ matischen Regelvorrichtung dem Tageslichtverlauf angepasst, was einen gezielten Sonneneintrag und Sonnenscheincharakter im Inneren bringt, ohne dabei den Klimahaushalt des Gebäudes zu belasten. Bei der Planung eines Oberlichtsystems ist jedoch besonders die Situa­ tion des bedeckten Himmels maßgebend. Dieser bestimmt die notwen­ dige Größe der Oberlichtöffnung und damit die blendfreie Verteilung des Tageslichtes im Raum. Generell kann der Sonneneintrag durch dieses System ganz verhindert werden oder – wie im Falle des Changi Airports – für eine bestimmte und angepasste solare Nutzung sorgen. Das Einsparpotenzial, das wir in Singapur erreichen konnten, ist in Abb. 316 angeführt.

Abb. 312 Durch die Anordnung der Ober­ lichtsysteme werden im Innenraum entsprechend den Veränderungen der Außenhelligkeiten Helligkeits­ bereiche von ca. 300 bis 1.500 lx erreicht. Das entspricht dem neuen Helligkeitsbereich und überträgt den zirkadianen Rhythmus in das Rauminnere. Die Wirkung des zirkadianen Rhythmus wird durch Sonnenfigurationen verstärkt und bewusst gemacht.

Auf die Vorteile des Sonneneintrags – also die solare Nutzung – in ein Gebäude möchte ich an dieser Stelle noch einmal konkret eingehen. Dies kann die Tageslichtplanung unterstützen, indem sie • die Quantität des Tageslichts anhebt, • die Verteilung des Tageslichts zoniert, • den Tageslichtrhythmus unterstützt oder bewirkt, Tageslicht

317

Abb. 313 Dachansicht mit dem solaren ­dynamischen Sonnenschutzsystem.

Abb. 314 Tagesbelichtung mit Lichtfiguratio­ nen bei Sonnenschein.

Abb. 315 Tagesbelichtung bei bedecktem diffusem Himmel.

318

Kapitel 4

Abb. 316 Reale Energieeinsparung im Changi Airport Singapur.

• das emotionale Wohlbefinden steigert, • die Information des Außenraums vermittelt und • die Wärmezufuhr – je nach Bedarf – unterstützt oder verringert. All diese Kriterien hängen selbstverständlich von der Individualität des je­ weiligen Bauvorhabens ab, von der Gebäudetypologie, von der geografi­ schen Lage und von der Art der Nutzung und sie sind für den jeweiligen Planungsvorgang sorgfältig zu ermitteln. Ebenso sollte die Nutzung mit den Klimaanforderungen eines Bauvorhabens abgestimmt werden.

4.6.3  Oberlichtöffnungen, die das gesamte Tageslicht bei Sonne und bedecktem Himmel in das Rauminnere strahlen – auf ­Grundlage der Spiegelreflektortechnik Diese Art des Oberlichtes ist geeignet sowohl für die Tageslichteinstrah­ lung bei Sonnenlicht als auch bei bedecktem Himmel. Um die Sonnen­ einstrahlung aufzustreuen und den Wirkungsgrad des Systems optimal zu halten (Systemwirkungsgrad noL ≈ 60–70 %), ist ein prismatisches kla­ res Material als Lichtkuppel zu empfehlen. Die Strahlungseigenschaften (Abb. 317) können von 2 × 30° bis 2 × 60° ausgerichtet werden, um so die Eigenleuchtdichte des Systems außerhalb seines Strahlungsbereichs zu reduzieren und Ablenkung zu vermeiden. Die Winkelbereiche bis 2 × 60° dienen dazu, die Abstände der Oberlichter zu vergrößern.

Abb. 317 Prinzip Spiegelreflektor-Oberlicht.

Abb. 318 Spiegelreflektor-Oberlicht. Tageslicht

319

4.6.4  Tageslichtrohr Eine Vereinfachung des parabolisch geformten Oberlichtreflektors ist das sogenannte Lichtrohr. Es lässt sich sehr einfach an bauliche Gegebenhei­ ten anpassen und ist auch zum Nachrüsten eines bestehenden Gebäudes gut geeignet. Durch die Verwendung von hochreflektierenden AluminiumSpiegelflächen mit einem Reflexionsgrad von ρ ≈ 92–96 % durch den Pro­ zess der Mehrfachreflexion, durch die Rohrgeometrie, durch spezifische reflektorische Zusätze im Rohr und durch die gerichtete Reflexion ist es möglich, die durch die Planung vorgegebene Lichtverteilung zu erreichen und die Wirkungsgrade in einer noch umsetzbaren Größenordnung zu erhalten. Die Anwendung in Abb. 320 hat eine Lichtdurchlässigkeit von ηL ≈ 60 %. Der Vorteil liegt in der zusätzlichen solaren Nutzung und dem Transport des Tagesrhythmus in den Innenraum (zirkadianer Rhythmus). Der Wärmeein­ trag (g-Wert) kann in Abstimmung mit der notwendigen Tageslichtmenge begrenzt werden. Eine verbesserte Reduktion der Eigenleuchtdichte bei Sonneneinstrahlung kann durch den Einsatz eines Fresnel-Elements er­ reicht werden (Abb. 321).

Abb. 319 Das Lichtrohr als Vereinfachung der Systemart 6, jedoch mit einer Verringerung der visuellen Leistung und mit einfacher technischer Handhabung bei vielen Realisierungsarten. 320

Kapitel 4

Abb. 320 Bei dieser Ausführung des Oberlichtes werden das diffuse Himmelslicht und die Sonne durch Mehrfachreflexion ­gerichtet in den Raum gelenkt. Durch die prismatische Aufstreuung und die Geometrie des Rohrs entsteht die ­gewünschte und gleichmäßige Lichtverteilung.

Abb. 321 Lichtrohr mit Fresnel-Einsatz.

Tageslicht

321

Abb. 322 Falschfarbenbild zeigt die Leuchtdichte­ verteilung an der Lichtaustrittsöffnung bei einer Außenbeleuchtungsstärke von ca. 10.000 lx bei bedecktem Himmel.

Die Bedeutung dieses Systems liegt in seiner Einfachheit. Mithilfe von Er­ gänzungen wie Fresnel-Einsatz, strukturierter Abdeckung, geeignetem Fil­ ter und strukturierter Spiegeloberfläche ist es möglich, das Tageslicht ganz­ heitlich (= Sonne und globaler Himmelsbereich) in den Raum zu lenken, zu dosieren und die Lichtverteilung und spektrale Zusammensetzung geeignet zu variieren. Auch die solare Nutzung kann den Planungsvorgaben ent­ sprechend optimiert werden.

4.6.5  Verspiegelter Sonnenschutzraster Ein Oberlicht kann auch noch ganz anders ausgeführt sein. Beispielsweise kann System 4 durch Verkleinerung und unter Beibehalten seiner optischen Funktion zu einem ausgedehnten und flächigen System werden. Wir nen­ nen es das „Mikroraster“ (Abb. 323). Dieses Mikroraster wurde in Zusam­ menarbeit mit Prof. Thomas Herzog für das Designcenter Linz (Abb. 325) entwickelt und realisiert. Bei dieser Systemart können die Tageslichtlenkung und der Sonnenschutz voneinander getrennt ausgeführt werden, sodass eine eventuell notwen­ dige lichttechnische und gestalterische Maßnahme vorgenommen wer­ den kann. Auch hier ist es möglich, die solare Nutzung durch angepasste Komponenten zu erreichen. In der folgenden Abbildungsreihe möchte ich anhand des Kunstmuseums Bern (Atelier 5, Bern) einen solchen Vorgang darstellen.

322

Kapitel 4

Abb. 323 Das Mikroraster kann in den Zwi­ schenraum einer Fensterkombina­ tion eingebaut werden. Es werden ein optimierter Sonnenschutz von g ≈ 0,12–0,15 und eine Lichtdurch­ lässigkeit von τ > 0,35 erreicht. Besonders geeignet ist dieses System für Glasdächer.

Abb. 324 Ansicht eines Deckenfeldes mit Mikroraster bei Sonnenschein.

Abb. 325 Das Mikroraster ist vollflächig im Glasdach integriert. Tageslicht

323

Abb. 326 Es ist möglich, das Sonnenschutzraster mit zusätzlichen reflektorischen Komponenten zu erweitern, um eine bessere Lichtlenkung zu erzielen und um die Eigenleuchtdichte des Systems weiter zu reduzieren. Auch ist eine individuelle Anpassung bezogen auf die Position und geografische Lage des Bauvorhabens möglich, ebenso wie die Anpassung des Verhältnisses von g/τ in gewisse Zonen.

Abb. 327 Das retroreflektierende Sonnen­ schutzsystem ist an die geogra­ fische Lage und Sonnenlaufbahn angepasst, lässt das Tageslicht ins Rauminnere und lenkt die Sonne zurück.

Abb. 328 Das reflektorisch ausgebildete Oberlicht ist im Rauminneren ­unterhalb des Sonnenschutz­ systems angebracht und lenkt das Tageslicht entsprechend ­seiner Vorgabe auf die Bildwände.

324

Kapitel 4

Abb. 329 Abb. 330 Das Prinzip des Sonnenschutz­ rasters wurde in diesem Projekt als stark vergrößerte Variante ausgeführt. Das zenitale Him­ melslicht wird über das Spiegel­ reflektorsystem in das Rauminnere gelenkt. Das Reflektorsystem ist als Wallwasher – also asym­ metrisch strahlend – ausgeführt, und es wurde das Kunstlicht darin integriert. Die Wände mit den Exponaten werden auf die Art bis zu zwei Stockwerke tief ausge­ leuchtet. Im Hohlraum zwischen den Längslamellen ist die Lüftung integriert.

Tageslicht

325

Abb. 331 Das Umlenkprisma dient aus­ schließlich der Tageslichtumlen­ kung. Das diffuse Himmelslicht wird ins Rauminnere gelenkt und auch das Sonnenlicht, wenn dies gewünscht bzw. gefordert wird.

Abb. 332 Abb. 333 Ansicht des Glasdaches und seine Wirkung im Rauminneren. Die Tageslichtkriterien wurden ganzheitlich erfüllt, und durch die Reduktion der UV- und Infrarot­ strahlung wurden die konservatori­ schen Forderungen berücksichtigt.

326

Kapitel 4

Abb. 334 Hier sieht man das Prinzip des Dachaufbaus, der in der o. g. ­Anlage umgesetzt wurde.

Abb. 335 Bewegliches retroreflektierendes Sonnenschutzprisma.

4.6.6  Prismatisches Oberlicht Die Lichtumlenkung und die Sonnenschutzwirkung lassen sich auch im Oberlicht mit einem optisch wirksamen Prismensystem realisieren. In der Abbildungsreihe 332–334 zeige ich diese Anwendung am Beispiel Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. In diesem Projekt wurde der Forderung nach einem Prismensystem mit angepasster Lichtver­ teilung, Blend- und Sonnenschutz, der notwendigen Konservatorik und der Ergänzung durch Kunstlicht entsprochen. Eine weitere Aufgabenstellung war es, den Tageslichtrhythmus des Außenraums ins Innere zu transportie­ ren, sodass dieser bewusst erlebbar wird.

Tageslicht

327

Abb. 336 Dachansicht mit außen liegenden retroreflektierenden Sonnenschutz­ prismen, welche die Sonnen­ schutzwirkung und die Lichtdurch­ lässigkeit optimieren.

Abb. 337 Detailansicht des außen liegen­ den Prismen-Sonnenschutzsystems.

4.6.7  Nachgeführtes retroreflektierendes Prismensystem Ein weiteres Prismensystem ist das bewegliche Sonnenschutzprisma, das die Sonnenstrahlung mit hohem Wirkungsgrad retroreflektiert und die Himmelsstrahlung ungehindert durchlässt. Beweglich deshalb, da es auto­ matisch der Sonnenlaufbahn nachgeführt wird, um so die Retroreflexion untertags lückenlos gewährleisten zu können. Dieses System haben wir erfolgreich im Plenarsaal des ehemaligen Deutschen Bundestags in Bonn eingesetzt. Der g-Wert liegt bei ca. 0,08– 0,1, die Lichtdurchlässigkeit τ bei > 60 %. Das bewirkt eine erhebliche Re­ duktion der Kühlleistung in einem hellen Raum, welcher den zirkadianen Rhythmus erlebbar macht. 328

Kapitel 4

Abb. 338 Das eintretende Himmelslicht wird durch die Prismen und ein darunter angebrachtes groß­ flächiges Spiegelreflektorsystem so im Raum verteilt, dass ein optimiertes Licht- und Raummilieu entsteht. Blendung und Ablenkung werden verhindert, der zirkadiane Rhythmus wird jedoch erkenn- und erlebbar. Die gezielte Tageslicht­ lenkung erfolgt innen liegend über Spiegel- und Prismenumlenk­ elemente. Diese beiden Elemente erreichen die gleiche Wirkung und werden aus gestalterischen Grün­ den differenziert eingesetzt.

Abb. 339 Tageslichtwirkung im Innenraum.

Tageslicht

329

4.6.8  Anwendungsbeispiele mit komplexer Aufgabenstellung Im Folgenden möchte ich noch einige Beispiele zeigen, die im Laufe der Jahre in unserem Planungsbüro mit den erarbeiteten Erkenntnissen der Tages­lichtplanung realisiert wurden. Ich möchte an dieser Stelle einleitend und zusammenfassend noch ein­ mal darauf hinweisen, dass man mit einer zentral im Raum angeordneten Tageslichtöffnung das meiste Licht im Rauminneren erhält. Der Grund dafür ist die hohe Leuchtdichte des bedeckten Himmels, die durch die zenitale Anordnung ungehindert in den Raum gelangt und dort optimal gelenkt werden kann. Die Sonneneinstrahlung hingegen ändert sich laufend mit ihrer Einfallsrichtung und Intensität und weist einen hohen Wärmeeintrag auf. Sie ist bei einem Planungsvorgang als besondere Komponente zu be­ rücksichtigen. Wir müssen demnach bei jeder Tageslichtplanung zwischen

Abb. 340 Der Sonneneintrag wird genutzt, und die entstehenden Figuratio­ nen werden als informatives Ge­ staltungselement in die Planung miteinbezogen. Die Aufmerksam­ keit wird bewusst auf diese Zone gelenkt und der Tageslichtrhyth­ mus im Inneren vermittelt.

Abb. 341 Das facettierte Oberlicht wurde mit einzeln aufeinander ab­ gestimmten Umlenkelementen konzipiert.

330

Kapitel 4

Tageslichtlenkung, Sonnenschutz und solarer Nutzung unterscheiden und sie dann gezielt oder ganzheitlich wirksam machen. In der Stadtbibliothek in Augsburg (Architekt: Hans Schramml; Abb. 340 und 341) wurde ein Oberlicht gestaltet mit der Aufgabe, neben dem Tages­ strahlung zu nutzen. Unter Berücksichtigung des licht auch die Sonnen­ Wärmeeintrags konnte die Sonne reduziert und gezielt in das Oberlicht strahlen und so Lichtfigurationen im Rauminneren erzeugen. Das Raum­ milieu erhält dadurch eine enorme Belebung, und auch der zirkadiane Rhythmus wird erlebbar. Oberlichter dieser Art ermöglichen aufgrund ihrer hohen Lichtdurchläs­ sigkeit und Anpassungsfähigkeit an die Baustruktur eine Abstimmung von Tageslichteintrag zur Synchronisation mit dem zirkadianen Rhythmus und begrenzen gleichzeitig den Energieeintrag (g-Wert). Weitere Untersuchungen (Abb. 242 und 243) haben uns gezeigt, dass wir Innenhöfe als Ganzes durch das Verwenden von lichttechnisch aus­ geprägten Materialen als Lichtschacht nutzen können. Reflektierende Oberflächen (spiegelnd, spreizend, diffus, reflektierend) an der Innenseite der Lichtschächte verändern die Tageslichtführung wesentlich. Das bedeu­ tet in der Umsetzung, dass an einen Innenhof Forderungen hinsichtlich der Tageslichtnutzung gestellt werden können, was für die Sanierungen bzw. nachträgliche Aufwertung eines Gebäudes von großer Bedeutung ist. Diese Anwendung entspricht dem Prinzip des Lichtrohrs (siehe Kapitel 4.6.4), das in seiner einfachsten Form über größere Raumtiefen wirkt und sich durch die Materialart und Struktur verändern lässt und auch räumliche Dimensionen annehmen kann.

Abb. 342 Messmodell eines Lichtschachtes im Künstlichen Himmel.

Tageslicht

331

Abb. 343 Die Grafik zeigt die Messergebnisse aus Abb. 342. Die Geometrie, die Reflexionseigenschaften der Materialoberflächen, die Lage und die Form des Lichtschachtes beeinflussen die Tageslichtverteilung und prägen das ­Erscheinungsbild. 332

Kapitel 4

Abb. 344 Schematische Darstellung der Lichtführung der Hauptverwaltung von Genzyme, USA.

Abb. 345 Wir sehen die Lichtlenkung über die verspiegelte Fassade in das Gebäudeinnere und in die seit­ lichen Bürobereiche, ebenso wie die Tageslichtdynamik bis in die Tiefe des Gebäudes.

Tageslicht

333

Abb. 346 Sonnenfigurationen am Boden des Innenhofes.

Abb. 347 Bürobereich mit Aluminium-­ Umlenkdecke und Sonnenschutz­ system an der Fassade.

Die Abbildungen 344–347 zeigen die Hauptverwaltung der Firma Gen­ zyme in den USA (Architekt: Stefan Behnisch). Auf dem Glasdach über dem Innen­hof des Gebäudes wurden Heliostaten angebracht, die der Sonne automatisch nachgeführt werden und das Sonnenlicht gezielt ins In­ nere lenken. Über teilverspiegelte Elemente, die zum Teil als Skulptur und Luster ausgeführt sind, können Lichtfigurationen im Raum entstehen. Auch das diffuse Tageslicht gelangt durch das Glasdach ins Innere und wird über die reflektierende Verkleidung der Fassade mit wenig Verlust bis ganz nach unten transportiert. Die seitlich abzweigenden Räume verfügen über 334

Kapitel 4

Spiegel­decken, über die das einfallende Tageslicht bis in die Raumtiefen gelenkt wird und auch hier für einen hohen Tageslichtquotienten sorgen. Durch das Einbeziehen der solaren Nutzung wird der Tageslichtrhythmus erlebbar.

4.7  Tageslichtwirkung auf das visuelle und das ­nichtvisuelle System Das visuelle System, das nichtvisuelle System und die Herzratenvariabilität habe ich bereits ausführlich in Kapitel 2.2–2.4 besprochen, ebenso die Begriffsbildung der „neuen Helligkeiten“, die sich aus den Ergebnissen der Forschungsarbeit von Bartenbach und dem Kompetenzzentrum LICHT, „Einfluss von Tageslicht auf Bildschirmarbeitsplätze“ (Kapitel 2.4.3) und „Sonnenraum – Hohllichtleiter“ und „Mehrere Infelder“ (Kapitel 1.3.2), er­ geben haben. Die Begriffsbildung der „neuen Helligkeit“ wurde deshalb geschaffen, da aus einer amerikanischen Studie von Russel J. Reiter im sonnigen San Diego hervorgeht, dass sich Erwachsene mittleren Alters durchschnittlich nur noch 4 % außer Haus – also im Freien – aufhalten und davon noch 50 % im Auto verbringen. Das bedeutet, dass sich die Menschen zu ca. 96 % in Innenräumen aufhalten. Das, was wir allgemein unter Tageslicht und seinen Helligkeiten verstehen, ist der photopische Bereich, der den visuellen Wahrnehmungsablauf erst ermöglicht. In diesem Helligkeitsbereich findet eine optimale Verarbeitung des visuellen Systems (neuronal) und vor allem des nichtvisuellen Systems

Abb. 348 Die Grafik stammt aus dem Buch Melatonin (S. 299) von Russel J. Reiter und Jo Robinson. Die Grafik zeigt die Außenhelligkeit während des Tagesverlaufs (gelb und grau) gegenüber dem daraus resultierenden Tages­lichtanteil im Innenraum (rot) als typisches Beispiel für einen aktuellen Büroraum. Diese Innenhellig­ keiten sind auf das visuelle System abgestimmt – also auf die neuronale Verarbeitung. Für das nichtvisuelle System ist dieser Helligkeitsanteil zu gering, und wir befinden uns damit in einer künstlichen Dämmerung (mesopischer Bereich) – es herrscht Lichtmangel.

Tageslicht

335

Abb. 349 Der Helligkeitsbereich des ­menschlichen Sehens erstreckt sich über mehr als zehn Zehner­ potenzen der Gesichtsfeldleucht­ dichte.

(hormonell) statt. Die Dunkelheit – die Nacht – befindet sich in einem Leuchtdichtebereich von ca. < 0,01 cd/m² und ist der skotopische Bereich (Abb. 349). Für das nichtvisuelle System ist der photopische Helligkeitsbereich not­ wendig, da er als Zeitgeber für die zentrale innere Uhr (SCN) den zirka­ dianen Rhythmus erst ermöglicht. Laut wissenschaftlichen Untersuchungen ist es unbestritten, dass Licht auch für das nichtvisuelle System hinsichtlich der zirkadianen Regulierung wichtig ist, sich jedoch in seinen Komponen­ ten vom visuellen System unterscheidet. Die Komponenten des visuellen Systems sind auf die Sehfunktion ausgelegt, die Anpassung an die mittlere Gesichtsfeldleuchtdichte und den Bezug auf Geschwindigkeit und Ausmaß des Informationsvorgangs, um trotz der großen Änderungen der Leucht­ dichten im Laufe eines Tages das Sehen im Zeitablauf zu sichern. Aufgrund des chronischen Tageslichtmangels in Innenräumen befinden wir uns demnach während eines Großteils unserer aktiven und wachen Zeit in einem Tageslichtzustand, der der Dämmerung entspricht. Wir müs­ sen uns dabei bewusst machen, dass die Dämmerung – der mesopische Bereich – den nur kurze Zeit andauernden Übergang zwischen Tag und Nacht darstellt und als Purkinje-Phänomen bekannt ist. Es ist jener Zustand, in dem das Zapfensehen in das Stäbchensehen übergeht: • Zapfensehen > 30 cd/m², • Stäbchensehen < 10 cd/m² (Abb. 350). Unsere Augen und unser visueller Wahrnehmungsapparat sind an diesen Zustand und Leuchtdichtebereich LUm < 10 cd/m² schlecht angepasst, und schon Herbert Schober weist in seinem Buch Das Sehen (Band I) darauf hin, diesen Leuchtdichtebereich wegen der Gefahr des Pukinje-Phänomens „tunlichst“ zu vermeiden. 336

Kapitel 4

Abb. 350 Die Empfindlichkeit der Sehzellen hängt vom Lichtniveau ab. Die farbtüchtigen ­Zapfen erreichen ihr Empfindlichkeitsmaximum bei Tageslicht, während die Stäbchen mit abnehmender Helligkeit und entsprechender Anpassungszeit immer empfindlicher werden. Für das mesopische Dämmerungssehen ist das menschliche Auge am wenigsten empfindlich, weil hier weder die Zapfen noch die Stäbchen ihre optimale Leistung (Empfindlichkeit) aufweisen.

Für uns ist dieser visuelle mesopische Wahrnehmungsbereich labil und wird von diversen Autoren auch als „biologische Dunkelheit“ bezeichnet. Da wir Menschen aus biologischer Sicht Lichtwesen sind, die sich vor­wiegend im Helligkeitszustand des Sonnen- und Tageslichtes (­photopischer Bereich) aufhalten, ist es besonders wichtig, einen Teil des Tageslichtes mit seinem Rhythmus ins Gebäudeinnere zu transportieren (Licht- und R ­ aummilieu). Noch einmal weise ich darauf hin, dass die Lichtmenge, der Tageslicht­ rhythmus und die Lichtverteilung als die „neuen Helligkeiten“ bezeichnet werden (Kapitel 2.4.4). Die aktuelle Tageslichtnutzung erfolgt – polemisch ausgedrückt – vor­ wiegend willkürlich. Die Anordnung der Tageslichtöffnungen eines Ge­ bäudes ist stark den formalen Vorstellungen unterworfen und wird ent­ sprechend eingesetzt. Die Kriterien der visuellen Wahrnehmungsvorgänge werden infrage gestellt, und die Ausrichtung auf das visuelle Verhalten wird dabei ignoriert. Dies wurde bereits in den Kapiteln 2 und 4 ausführ­ lich beschrieben. Die daraus resultierenden „Unvollkommenheiten“ wer­ den dann mittels Kunstlichtbeleuchtung versucht zu korrigieren. Die Folge davon ist, dass ein Großteil unserer Gebäude eine Kunstlichtbeleuchtung erhält, die den Beleuchtungsanforderungen hinsichtlich der visuellen Leis­ tung eventuell entspricht, das Tageslicht jedoch lediglich eine psychologi­ sche Alibifunktion erfüllt. Der Inhalt dieses vierten Kapitels zeigt jedoch deutlich, welche Priorität das Tageslicht für das visuelle und das nichtvisuelle System erfahren sollte und dass das Kunstlicht lediglich als Ergänzung dient. Tageslicht

337

Die Notwendigkeit, einen neuen Helligkeitsbereich zu ermitteln, hat seine hauptsächliche Ursache also im Tageslichtmangel unserer Räume, den es zu vermeiden gilt. Die in Kapitel 2.4.3 angeführten Ergebnisse der Forschungsarbeiten „Einfluss von Tages- und Kunstlicht für Bildschirm­ arbeitsplätze“ und „Sonnenraum – Hohllichtleiter“ zeigen den Entwick­ lungsvorgang, der zu der Empfehlung des neuen Helligkeitsbereichs führt, und die dazu begleitenden psychologischen Maßnahmen. Um sich die Bedeutung dieser Vorgänge bewusster zu machen, emp­ fehle ich, sich ergänzend in das Kapitel 2.4.1 „Wie viel Licht braucht der Mensch?“ zu vertiefen. Zusammenfassend möchte ich als Empfehlungen für die „neuen Helligkei­ ten“ folgende Werte angeben: • Infeldleuchtdichtebereich LI > 60–300 cd/m² • horizontaler Beleuchtungsstärkebereich Eh > 300–1.800 lx • mittlerer Umgebungsleuchtdichtebereich LUm > 80–200 cd/m² • vertikaler Beleuchtungsstärkebereich am Auge EV Auge > 250 lx Bei der Umsetzung der „neuen Helligkeiten“ sind die Minimumwerte ein­ zuhalten. Der obere Grenzwert hingegen kann überschritten werden, da er im Wesentlichen keine weitere Optimierung mehr bringt, vor allem nicht im Bereich des Infeldes (visuelle Leistung).

Tageslicht und Dynamik – Tageslichtoptimierung für den ­zirkadianen Rhythmus Für unsere Lebensqualität wäre es von Bedeutung, eine Regelmäßigkeit in unsere Lebensgewohnheiten zu bringen und diese aufrechtzuerhalten, um damit den zirkadianen Rhythmus mit all seinen Komponenten zu stabi­ lisieren. Diese Regelmäßigkeit begleitet uns durch alle Lebensabschnitte und erhält besonders beim Älterwerden eine immer größer werdende Be­ deutung. Prof. Wolfgang Ehrenstein (Universität Hohenheim) schreibt in seinem Artikel „Das Auge stellt die biologische Uhr“ in seiner Schlussfolgerung zum Thema Tageslicht (Zitat): Optimales Tageslicht am Arbeitsplatz (Innenraum) • ist die unübertroffene Lichtquelle für das Sehen, • ist die einzige natürliche Lichtquelle für das Timing-System des Menschen, • synchronisiert und stabilisiert circadiane Rhythmen, • ist dynamisch (ständig gleitende Änderungen der spektralen Zusammensetzung und Intensität), • fördert die Leistungsbereitschaft während der ergotropen Phase, • fördert Wohlbefinden und Kreativität. Tageslichtmangel birgt gesundheitliche Risiken • Lethargie und psychische Depression (Winterdepression), • Ernährungsstörungen (Adipositas, carbohydrate craving), • Störungen hormonell-vegetativer Regulationen, • Schlafstörungen. Tageslicht • ist die physikalische Basis unserer Zeitstrukturen, • stabilisiert gesellschaftliche Zeitstrukturen. 338

Kapitel 4

Tageslicht am Arbeitsplatz • bietet ökonomische und ökologische Vorteile. Kunstlicht am Arbeitsplatz • ist kein Alibi für den Verzicht auf Tageslichtversorgung. Tageslichtmangel am Arbeitsplatz (z. B. durch schlechtes Wetter oder die Jahreszeit bzw. durch ungeeignete Tageslichtöffnungen) • soll durch Kunstlicht kompensiert werden, das dem Tageslicht ähnlich ist. (Die Versorgung von Nacht- und Schichtarbeitern mit Licht und Dunkelheit stellt besondere Probleme dar, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann.) Tageslichtüberschuss am Arbeitsplatz – insbesondere durch direkte Sonnen­ einstrahlung – soll durch geeignete Schutzmaßnahmen (Sonnenschutz) gelöst werden. Licht wirkt über die Netzhautsensoren des Timing-Systems nicht nur als Zeitgeber, sondern löst zusätzlich direkte biologische Wirkungen aus. Zusammengefasst bedeutet das, dass es für das aktuelle und das künftige Konzipieren von Tageslichtprojekten notwendig wird, die Komponenten, die als Tageslichtwirkung für das visuelle und nichtvisuelle System ange­ führt wurden, wie die Themenreihe desselben, • die neue Helligkeit (Kapitel 2.4.4), • der Tageslichtmangel in den Innenräumen und • die Notwendigkeit des Tageslichts mit seinen Rhythmen, in dieselben Vorgänge grundlegend einzubeziehen. In den folgenden Beiträgen bemühe ich mich, an zwei Beispielen diese Überlegungen und Gedanken auch in reale Projektansätze in Form einer Lichtgestaltung einzubringen und darzustellen.

4.7.1  Die Bedeutung des visuellen Systems in der Anwendung Die Ausrichtung des visuellen Systems ist auf den Infeldbereich gerichtet, in dem sich die eigentliche Sehaufgabe befindet. Da es sich im Sehbereich um mehrere individuelle Sehaufgaben handelt, ist die Nennbeleuchtungs­ stärke im Sinne des neuen Helligkeitsbereichs zu ermitteln und orientiert sich an den schwierigsten Sehaufgaben und -objekten. Über diesen Vor­ gang habe ich bereits in Kapitel 1.3.2 „Mehrere Infelder im Gesichtsfeld“ geschrieben. Die Sehabläufe, die damit verbundenen Erkenntnisse und teilweise auch die Bewusstseinsbildung erfolgen sehr schnell. Die mittlere Infeldleuchtdichte für die eruierten Sehaufgaben und Sehbereiche muss also sinnvoll gewählt werden, um alle Anforderungen zu erfüllen. Der In­ feldbereich ist die wesentliche Größe für eine Optimierung der visuellen Leistung. Das visuelle System ermöglicht im Wesentlichen gutes und schar­ fes Sehen, den Vorgang der Erkenntnis, die Unterstützung der Aufmerk­ samkeitsvorgänge, das Erkennen von Farben und Strukturen, die schnelle neuronale Verarbeitung und die räumliche Orientierung. Die Stabilität der visuellen Wahrnehmung hängt ab von einer Reihe autonom gesteuerter Kriterien wie der Pupillenweite, den Augenbewe­ gungen, dem Fokussieren, den Sakkaden und den visuellen Adaptations­ abläufen, welche die mittlere Umgebungsleuchtdichte bilden. Tageslicht

339

Um also die visuelle Wahrnehmung stabil halten zu können, ist es not­ wendig, den Adaptationsendzustand durch das abgestimmte Leuchtdich­ teverhältnis von Infeld zu Umfeld – bezogen auf den jeweiligen Sehzu­ stand – zu erreichen. Dieser Zusammenhang ist am Theoretischen Leucht­ dichtemodell in Kapitel 1.4.1, Abb. 54, ersichtlich. Die visuelle Leistung kann ganzheitlich als die Wirkung aller beteiligten visuellen Komponenten verstanden werden, die am Sehbereich beteiligt sind. Das individuelle Licht- und Raummilieu entsteht durch die Wahl • der Infeldleuchtdichte, • der Umfeldleuchtdichte, • der horizontalen Nennbeleuchtungsstärke, • der vertikalen Beleuchtungsstärke am Auge, • der jeweiligen Farben und Strukturen der raumbegrenzenden Flächen mit ihrer Indikatrix, • der entstehenden Farborte des Lichtes im Raum mit ihrem spektralen Inhalt und • deren Veränderungen, wie z. B. bei Tageslicht (kontinuierliche spektrale Verläufe). Zu wenig beachtet wird jedoch, dass durch Ablenkung der Aufmerksam­ keitsprozess mit seiner Ausrichtung auf die Aufgabenstellung unterbrochen oder zumindest erheblich reduziert wird. Auch Ablenkung stellt ein neues – wenn auch ungewolltes –Aufmerksamkeitsfeld dar (Konkurrenz), das den gesamten visuellen Wahrnehmungsvorgang infrage stellen kann. Ablen­ kungen gehen in ihrer Bedeutung über die Reduktion der visuellen Leistung hinaus, denn sie können Arbeits- und Lernprozesse, Produktionsvorgänge, Präsentationen etc. stark beeinträchtigen und zum Teil ganz infrage stellen.

4.7.2  Die Bedeutung des nichtvisuellen Systems Das nichtvisuelle System auf ein Planungskonzept bezogen bedeutet (be­ dingt durch die fotosensitiven Ganglienzellen „Melanopsin“), die zirka­ diane Rhythmik bewusst erlebbar zu machen und in den Innenraum zu übertragen (siehe Kapitel 2.4). Kurzfassung: Die Funktionsabläufe der fotosensitiven Ganglienzellen sind von der Inten­ sität des Lichtes und den spektralen Verläufen abhängig und gekoppelt an die zeitliche Orientierung des zirkadianen Rhythmus, der wiederum • Schlafen – Wachen, • Ruhe – Aktivität, • Hormonsteuerung (Serotonin – Melatonin), • Verdauung – Entgiftung, • Atmung – Herz – Hirntätigkeit, • Tag – Woche – Monat – Jahr – Jahresrhythmus beeinflusst. Diese Vorgänge sind dem vegetativen Nervensystem zugeordnet und finden somit vorwiegend autonom statt. Da diese Rezeptoren der 3. Art – wie sie auch genannt werden – über die gesamte Netzhaut (also auf das Gesichtsfeld) verteilt sind, sind sie für die Bildverarbeitung ungeeignet. Ihre Wirkung bezieht sich vorwiegend auf das räumliche Umfeld, dessen mittlere Umgebungsleuchtdichte, die spektrale Verteilung und deren Veränderung (Rhythmus). Kontinuierliche spektrale Verteilungen mit hohen Farbtemperaturen kennzeichnen das Tageslicht, und es ist das Licht biologischen Ursprungs. 340

Kapitel 4

Der Übergang von Aktivität zu Entspannung zeigt die Trennung von Tag (Helligkeit) und Nacht (Dunkelheit) an und weist auf die Nachtruhe und den Schlafvorgang hin. Das Hormon Serotonin wirkt nur untertags, und nachts stellt sich der Körper auf die Melatonin-Ausschüttung ein, um sich in dieser Phase zu regenerieren. Für uns Lichtplaner bedeutet das, ausreichend Helligkeit im Sinne der „neuen Helligkeit“ in Innenräumen zu konzipieren, auch um Serotonin pro­ duzieren zu können. Mit Tageslicht und seinen Helligkeiten und Verände­ rungen entsteht der zirkadiane Rhythmus. Sobald in der Dunkelheit Kunst­ licht zugeschaltet werden muss, muss Licht mit einem speziellen Spektrum zum Einsatz kommen (Melatoninlicht). Der Übergang vom Tag zur Nacht ist die mesopische Phase, die durch die Verringerung des Tageslichtes mit einer Anhebung der Farbtemperatur begleitet wird. Ein Anheben der Blauanteile im Spektrum stellt den Über­ gang vom Tag zur Nacht (die Abenddämmerung) sowie den Übergang von der Nacht zum Tag (die Morgendämmerung) dar. Das „Purkinje-Phänomen“, der Grenzbereich der visuellen Leistung, der Wechsel der Hormonveränderung von Serotonin auf Melatoninproduktion und die visuelle Wahrnehmungslabilität, ist im mesopischen Bereich zu er­ warten. Daher ist dieser Bereich der Helligkeit möglichst zu vermeiden und der Zeitraum, in dem dieser Zustand auftritt, zu verkürzen, z. B. durch Akti­ vierung mittels Melatoninlicht (siehe Kapitel 5), das wir künftig als Nacht­ licht bezeichnen, oder durch eine künstliche Tageslichtergänzungsbeleuch­ tung in der Zeitdauer bis hin zum Nachtlicht.

4.7.3  Trennung der Funktionen Anhand des Vorangegangenen ist demnach zu empfehlen, den zirkadia­ nen Rhythmus in den Innenraum zu übertragen und diesen Eintritt des Tages­lichtes von außen nach innen funktionell zu differenzieren bzw. zu trennen. Für eine solche Trennung bietet sich an, die notwendige Licht­ menge durch eine entsprechende Tageslichtöffnung zu lenken und sie so im Raum zu verteilen, dass sie den Anforderungen des visuellen und nichtvisuellen Systems (= Trennelement 1) entspricht. Die zusätzliche Tages­ lichtöffnung, z. B. das Seitenfenster, soll den Außenrhythmus und den not­ wendigen Bezug nach außen zulassen (= Trennelement 2). Das so entstan­ dene Licht- und Raummilieu ist nun mit dem visuellen System abzustimmen. Das visuelle System, das sich auf die Sehaufgabe bezieht, liegt mit seinen absoluten Helligkeiten, seiner Verteilung und dem zugeordneten Fokus weitgehend im Helligkeitsbereich des nichtvisuellen Systems. Das Synchronisieren beschränkt sich demnach vorwiegend individuell auf die Stabilisierung der visuellen Wahrnehmungsabläufe. Das wurde bereits an­ hand des Bauvorhabens Vimmo Vaucher in den Abbildungen 291–295 analysiert. Dieses Verwaltungsgebäude in Bern wurde in den 1980er-Jah­ ren gemeinsam mit dem Architekturbüro Atelier 5 konzipiert und realisiert. In dieser Zeit sprachen wir noch nicht über die zirkadiane Rhythmik und in diesem Sinne auch nicht über das nichtvisuelle System, sodass die Tages­ lichtplanung mit diesen Kriterien nur bedingt umgesetzt wurde. Die Wir­ kung und das individuelle Erscheinungsbild jedoch sind im Prinzip deutlich erkennbar.

Tageslicht

341

4.7.4  Realisierung (Beispiel bezogen auf einen seitenbelichteten Raum – Raumtyp 1) Der Raumtyp 1 in diesem Beispiel hat eine Raumgeometrie mit einer Länge und Breite von 4,8 × 4,8 m und eine Höhe von 3 m (Abb. 351, 352). Beim Einsatz einer reflektierenden Tageslicht-Umlenkdecke als zusätz­ liche Komponente zum Trennelement 1 zeigt sich in den Abbildungen 351, 352 und 353 und im Theoretischen Leuchtdichtemodell, Abb. 369, dass sich die notwendigen Tageslichtintensitäten für das nichtvisuelle System mit den Intensitäten des visuellen Systems vernetzen (synchronisieren) lassen. Die Systemart des Trennelementes 1 (Abb. 353) ist so konzipiert, dass die notwendigen Intensitäten für das visuelle System (= Infeldbereich) und das nichtvisuelle System (= Umfeldbereich) mittels der Tageslicht-Umlenkdecke angepasst verteilt werden. Dieser komplexe und dominante Vorgang wird mittels eines Raummodells in Abb. 351 und 352 dargestellt. Die Berechnungen und Messungen dieser Modellsimulation im Künst­ lichen Himmel ergaben, dass die „neuen Helligkeiten“ bereits bei einer Außen­beleuchtungsstärke von EAh  ≈  10.000–12.000  lx und EAV  4.100– 5.000  lx erreicht werden. Das entspricht dem Leuchtdichtebereich von LI ≈ 60 cd/m² und LUm ≈ 80 cd/m² und einer mittleren Beleuchtungsstärke im Innenraum von Emh > 300 lx und EVAuge 200–250 lx bezogen auf die Nutzfläche und einer Längsausblendung von 30°–40° am Trennelement 1. Abb. 353 zeigt konzeptionell das Umlenksystem, welches bei dieser Mo­ dellsimulation verwendet wurde und als Grundlage für die Berechnungen dient, unter Einbeziehung der Längsausblendung.

Abb. 351 Raumtyp 1: Modellsimulation im Künstlichen Himmel für die Bedeutung des Licht- und Raummilieus bei einer Außenhel­ ligkeit von EA horizontal ca. 10.000 lx und EA vertikal ca. 4.200 lx (bedeckter Himmel) und den dabei auftretenden neuen Helligkeiten im Innenraum mit 340 lx in der Arbeitszone.

342

Kapitel 4

Abb. 352 Raumtyp 1 EAh = Außenbeleuchtungsstärke horizontal in lx EAV = Außenbeleuchtungsstärke vertikal am Fenster in lx Messwerte im Künstlichen Himmel

Das Ergebnis ist in den Abbildungen 352 und 353 dargestellt und zeigt einen Tageslichtzustand, der sich auf eine Außenbeleuchtungsstärke von EA ≈ 10.000 lx bei diffusem Himmelszustand bezieht und als Grundlage für die Bewertung herangezogen wurde. In der Realität sind die Tageslichtzustände des Außenraums veränder­ lich, da sie vom Sonnenverlauf, dem damit verbundenen Tages- und Jah­ resrhythmus und von der geografischen Position abhängen. Auch spielt die jeweilige Wettersituation eine Rolle. Unser Beispiel hat die Tageslichtöffnung im Süden, die geografische Lage ist München, es ist das Jahr 2000, und die Jahreszeiten sind auf Januar und August bezogen. Die daraus resultierenden Ergebnisse sind in Abb.  354 (statistische Wirksamkeit der Wettersituation) aufgezeigt. In den Abbildungen 355–366 sehen wir Tageslichtverläufe im Januar und August 2000, die bei unterschiedlichen Himmelszuständen die tageszeitli­ chen Veränderungen zeigen (Südausrichtung). Auf dieser Basis können bei Planungsvorhaben die zu erwartenden dynamischen Helligkeitsbereiche mit ihren Rhythmen vorbestimmt werden. Es zeigt sich, dass im gewählten Zeitablauf die „neuen Helligkeiten“ erreicht werden (vor allem an den klaren und dynamischen Himmelszu­ ständen) und im Tagesverlauf Schwankungen der Helligkeiten (LUm) be­ sonders im nichtvisuellen Bereich des Ein- bis Sechsfachen auftreten. Diese Tageslicht

343

Abb. 353 Vorkonzept des Tageslichtumlenk­ elements „Trennelement 1“ in ­Zusammenhang mit dem Ausblendwinkel der Längs­ ausblendung.

sind erkennbar und lassen den zirkadianen Rhythmus bewusst werden. An Tagen mit bedeckten Himmelszuständen, welche im Jahresverlauf zu ca. 30 % auftreten, können die „neuen Helligkeiten“ zum Teil nicht erreicht werden, und es muss mit Kunstlicht ergänzt werden. Die Ergebnisse der Studien in Kapitel 2.4.1 und 2.4.2 zeigen, dass die künstlichen Lichtquellen wie Halogen-Metalldampflampe, Leuchtstofflampe und LED keine wesent­ lichen Wirkungsunterschiede zum Sonnenlicht aufweisen, besonders nicht hinsichtlich des visuellen Systems. Der Einsatz von Kunstlicht ist in diesem Falle nur von kurzer Dauer (lediglich 10–30 % im Jahresverlauf) und kann besonders in den Übergangszeiten (mesopischer Bereich) durch spektrale Anpassung unterstützend eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang sollten wir uns bewusst machen, dass bei dieser konzipierten Tageslicht-Systemart (Abb. 353) die Sonne (= klarer 344

Kapitel 4

Abb. 354 Der Tabelle können wir entnehmen, dass z. B. in München im Jahre 2000 der klare Himmel ca. 38 % im Mittel, der mittlere Himmel ca. 34 % im Mittel und der bedeckte ­Himmel ca. 28 % im Mittel wirksam ist.

Tag), der diffuse Himmel und der dynamische Wechsel untertags gemein­ sam wirken. Damit erhält die Sonnennutzung eine Dominanz, die neben der Steigerung des Wohlbefindens und der Förderung der Gesundheit auch Energieeinsparung bewirkt – also einen neuen sinnvollen Aspekt in der Tageslichtbeleuchtung ergibt. Vor allem an klaren und dynamischen Tagen bewirkt die Sonne eine Aufhellung der Umwelt, woraus in der Folge die „neue Helligkeit“ entsteht. Die Sonne hat in dem Zusammenhang vor allem auch ihre besondere Bedeutung in Bezug auf Stimmung und Wohl­ befinden. Unter Einbeziehen dieser Gesamtheit ist sie ca. 70–80 % im Jah­ resmittel vorhanden und beeinflusst den zirkadianen Rhythmus. Für das Beispiel Raumtyp 1 bedeutet das, wie aus Abbildungsreihe 355–366 ersichtlich ist, dass die zirkadianen wirksamen vertikalen Hellig­ keitsverläufe im Innenraum bei klarem und mittlerem Himmel über das Jahr verteilt in einer Tageszeit von 09:00 bis 16:00 Uhr mit der vorgegebenen „neuen Helligkeit“ und der vertikalen Beleuchtungsstärke am Auge von EVA > 250 lx auftreten. In dieser Zeit treten vertikale Beleuchtungsstärken von EVA ≈ 300–1.400 lx im Innenraum auf. An den Ergebnissen dieses Bei­ spiels erkennt man die Komplexität, die in den Veränderungen der Tages­ lichtverläufe auftreten und den zirkadianen Rhythmus bilden. Diese Dyna­ mik gestaltet die visuellen Erscheinungsbilder und damit auch den Verlauf des Licht- und Raummilieus. Vor allem im nichtvisuellen Bereich beeinflusst es nicht nur den Sehbereich, sondern hat Auswirkungen auf unser Verhal­ ten, Wohlbefinden, unsere Gesundheit und Stimmung. Aus den Darstellungen 355–358 ist ersichtlich, dass an klaren Tagen in München im Jahresverlauf im Januar und August an der Südfassade in der Zeit von 09:00 bis 17:00 Uhr die vertikale Beleuchtungsstärke am Auge den „neuen Helligkeiten“ für das nichtvisuelle System entspricht. Man erreicht um ca. 09:00 Uhr morgens EVA ≈ 350 lx, in der Tagesmitte EVA ≈ 750 lx und gegen 16:00 Uhr noch EVA ≈ 300 lx. Aus den Darstellungen 359–362 ist ersichtlich, dass am Tage bei wech­ selhaftem Himmelszustand im Jahresverlauf in der Zeit von 09:00 bis 17:00 Uhr die vertikale Beleuchtungsstärke am Auge der geforderten Beleuchtungsstärke entspricht. Wir erreichen in der Tagesmitte und über den Tages­verlauf die geforderten zirkadianen Rhythmen gegenüber dem ­klaren Himmel wechselhafter, doch sind sie über den Jahresverlauf in der geforderten Intensität ausreichend. Tageslicht

345

Abb. 355 Legende zu Abb. 355–366 SS ... Sonnenschutzfilter EAV ... vertikale Beleuchtungsstärke an der Fassade EI ... Beleuchtungsstärke im Innenraum

Abb. 356

346

Kapitel 4

Abb. 357

Abb. 358

Tageslicht

347

Abb. 359

Aus der Abbildungsreihe 355–366 geht hervor, dass vorwiegend an be­ deckten und partiell auch an dynamischen Himmelszuständen im Jahres­ verlauf (Abb. 359) von ca. 09:00 bis 17:00 Uhr die geforderten horizon­ talen und vertikalen Beleuchtungsstärken im Innenraum nicht erreicht wer­ den. Es wäre demnach möglich, das Trennelement 1 zu vergrößern, was generell zu höherem Lichteintritt führen würde. Sinnvoller jedoch ist, diese Helligkeitsdefizite mittels Kunstlicht auszugleichen, da die bedeckten Him­ melszustände im Jahresverlauf nur ca. 28 % betragen (Abb. 354). Wie aus den Forschungsarbeiten des Kompetenzzentrums LICHT mit der Bartenbach GmbH, „Einfluss von Tages- und Kunstlicht auf den Bildschirm­ arbeitsplatz“ (Kapitel 2.4.2) und „Sonnenraum – Hohllichtleiter“, hervor­ geht, gibt es in der visuellen Leistung keine signifikanten Unterschiede zwi­ schen Tages- oder angepasstem Kunstlicht. Die subjektiven Bewertungen hingegen zeigen, dass 70 % der Versuchspersonen Tageslicht „wünschen“. Das Kunstlicht hingegen wird zwar von 80 % der Probanden angenommen und als nicht störend bewertet, jedoch wird es nicht gewünscht. Bei der ob­ jektiven Beurteilung durch die HRV ergab sich, dass die Tageslichtzustände in der Entspannungsphase bevorzugt wurden. Für mich ergab sich aus dieser Studie die Schlussfolgerung, dass die An­ wendung von Kunstlicht als Ergänzungsbeleuchtung – speziell bei bedeck­ tem Himmel – möglich ist und auch teilweise gut akzeptiert wird. Auswir­ kungen auf den zirkadianen Rhythmus sind keine zu erwarten, denn die Differenzen im Erscheinungsbild durch die geringen Schwankungen der Helligkeitsbereiche des bedeckten Himmels sind kaum erkennbar und ver­ ändern das Licht- und Raummilieu nicht wesentlich. Die geringen Helligkeiten mit der einhergehenden Diffusität des be­ deck­ten Himmels und seinen psychologischen Begleiterscheinungen sind von relativ kurzer Dauer und Konstanz. Meiner Auffassung nach ist 348

Kapitel 4

Abb. 360

Abb. 361

Tageslicht

349

Abb. 362

Abb. 363

350

Kapitel 4

Abb. 364

­ ieser diffuse Himmelszustand Bestandteil des zirkadianen Rhythmus und d technisch unkompliziert umzusetzen. Voraussetzung dafür ist jedoch, die den visuellen Wahrnehmungsabläufen entsprechende Anpassung an die Leuchtdichtebereiche und spektralen Verläufe vorzunehmen. Dies wurde im Folgenden erarbeitet und in Abb. 376 dargestellt. Zur besseren Übersicht möchte ich an dieser Stelle noch einmal auf die „neuen Helligkeiten“ hinweisen. Für das visuelle System wird der Hellig­ keitsbereich von LI = 60–300 cd/m² empfohlen. Dabei entstehen Nenn­ beleuchtungsstärken von EN ≈ 300–1.800 lx bei Farborten am Auge von FOA > 4.000 K. Diese Ergebnisse stammen aus der Studie „Mehrere Infelder“ und zei­ gen uns, dass eine Infeldleuchtdichte von LI > 60 cd/m² bei einer Nenn­ beleuchtungsstärke von ENh > 300 lx nicht unterschritten werden soll und dass bei einer Infeldleuchtdichte von mehr als LI = 300 cd/m² und einer Nennbeleuchtungsstärke von ENh = 1.600–1.800 lx keine Steigerung mehr in der visuellen Leistung auftritt (Kapitel 1.3.1, Abb. 32). Die Wahl der vertikalen Beleuchtungsstärke am Auge von EVAuge > 250 lx bei einem mittleren Umgebungsleuchtdichtebereich von LUm ≈ 80–200 cd/ m², im Zusammenhang mit dem zirkadianen Rhythmus, der Zeitgebung und der inneren Uhr, wurde bereits in Kapitel 2.4.2 erarbeitet. Ähnliche Werte wurden auch bei einer Untersuchung des amerikanischen Lighting Research Center New York (Rea/Figueiro/Bullough) ermittelt. In die „neue Helligkeit“ miteinzubeziehen sind die Erkenntnisse, die bei der Anwendung von Tageslichtergänzungsbeleuchtung – also Kunstlicht – hinsichtlich der spektralen Verläufe und Farbtemperaturen in Forschungs­ arbeiten erarbeitet und in Kapitel 2.4 ausführlich dargestellt wurden. Die Bedeutung dieser Arbeit liegt vor allem in der vorwiegenden Verwendung von künstlichen Lichtquellen mit kontinuierlichen Spektren. Tageslicht

351

Abb. 365

Abb. 366

352

Kapitel 4

Abb. 367 Tageslichtsimulation für den Raumtyp 1 ohne Möblierung, Reflexionsgrade ­(ρDecke = 0,8, ρWände = 0,5, ρBoden = 0,2), ­Betriebswerte, ­Wetterdaten aus Satelight (München, 2000). Bewertet wird die Häufigkeit (%), mit welcher der Schwell­ wert innerhalb der Arbeitszeit von 08:00 bis 17:00 Uhr überschritten wird. Schwellwert: Eh ≈ 314 lx (= visuelles System), EV ≈ 250 lx (nichtvisuelles System).

In diesem Zusammenhang wurde für den Raumtyp 1 auch die Abhän­ gigkeit des Tageslichteintritts von den Himmelsrichtungen Norden, Osten, Süden und Westen untersucht, in Bezug auf die Positionen der Tageslicht­ öffnungen eines Gebäudes. Das Ergebnis ist in Abb. 367 dargestellt. Be­ wertet wurde die Häufigkeit in %, mit welcher der Schwellwert innerhalb der Arbeitszeit von 08:00 bis 17:00 Uhr überschritten wird. Als Schwellwert wird berücksichtigt: • Beleuchtungsstärke horizontal Eh = 314 lx (visuelles System; LI = 60 cd/m², ρ = 0,6), • Beleuchtungsstärke vertikal EV = 250  lx (nichtvisuelles System, LU > 80 cd/m²), • Wetterdaten aus S@tel-Light, München, 2000, • Tageslichtsimulation für den Raum ohne Möblierung (Abb. 359), • Reflexionsgrade ρ = 0,8–0,5–0,2, • System mit allen Verlustfaktoren, • ohne Verschmutzung. Das Ergebnis überraschte mich, denn es geht daraus hervor, dass sich die zirkadianen Rhythmen bezogen auf die Helligkeiten nur gering durch die Himmelsausrichtung differenzieren. Bedeutend an dem Ergebnis ist auch, dass sich zumindest Teile bewohnten Gebietes in geografischen Zonen be­ finden (wie z. B. mitteleuropäischer Bereich), die den „neuen Helligkeits­ bereich“ und den begleitenden zirkadianen Rhythmus mit seinen Schwell­ werten und seine Transformation in den Innenraum sicherstellen. Die Untersuchungen am Raumtyp 1 zeigen auch, dass die Abhängig­ keit von Veränderungen hinsichtlich der Gebäudeausrichtung (Himmels­ richtungen) gering und auch anpassungsfähig ist. Interessant ist auch der im Jahresverlauf auftretende Energiebedarf – siehe die Darstellung in  

Tageslicht

353

Abb. 368 Monatlicher Energiebedarf für den Raumtyp 1 im Testjahr 2000.

Abb. 368. Für das gewählte Raumbeispiel in den Abbildungen 351, 352 und 353 wurde für die vorgegebene geografische Position München und Südausrichtung der notwendige Energieaufwand bezogen auf Kunstlicht, Heizung und Kühlungsbedarf ermittelt. Durch das Einbinden des neuen Helligkeitsbereichs in das Theoretische Leuchtdichtemodell in Abb. 369 wird der Bereich der Synchronisierung zwischen dem visuellen und dem nichtvisuellen System erkenn- und defi­ nierbar. Es ist empfehlenswert, wie schon in Kapitel 1.4.1, Abb. 54, erarbei­ tet und beschrieben, sich auch in diesem Beispiel für den Kurvenzug A zu entscheiden, als obere Leuchtdichtebegrenzung für die Synchronisierung. Damit entscheidet man sich für den sensibleren und dauerhafteren Zu­ stand der visuellen Tätigkeit in diesem Raum, bedingt durch die ungerich­ tete Aufmerksamkeit; doch auch ein Bereich der gerichteten Aufmerksam­ keit wird damit erfasst. Für dieses Beispiel bedeutet das für den synchronisierten Leuchtdichte­ bereich: Der Zustand der ungerichteten Aufmerksamkeit bedeutet zum einen geringere Konzentrationsfähigkeit, die jedoch bei den häufig auftreten­ den allgemeinen Tätigkeitsabläufen über längere Zeiträume stabilere 354

Kapitel 4

Abb. 369 Bereich der Synchronisation im Theoretischen Leuchtdichtemodell.

visuelle Wahrnehmungszustände aufweist. Um die Serotoninproduktion zu unterstützen, ist es empfehlenswert, die Umfeldleuchtdichte während einer ­längeren Zeit im Tagesverlauf (über zwei bis drei Stunden) über >  130  cd/m² anzuheben (Kapitel 2.7). Es verbessert sich dadurch auch die Voraus­setzung für eine bessere Konzentration, und das Raummilieu erfährt eine höhere Akzeptanz – vorausgesetzt, man befindet sich im sta­ bilen Wahr­neh­mungs­bereich. Bei zu starkem Anstieg der Umfeldleucht­ dichte über den Stabilitätsbereich hinaus ergibt sich für den stabilen Wahrnehmungsbe­reich eine Tendenz hin zur Ablenkung, die sich negativ auf die gerichtete Aufmerksamkeit auswirkt (Abb. 369). Da Ablenkungen unter anderem ebenfalls stark von der Raumausstattung und den raumbe­ grenzenden Mate­rialien abhängen, ist diese Betrachtung individuell und immer auf das jeweilige Projekt mit seinen Aufgabenstellungen bezogen. Wie bereits angeführt, haben die mittleren Raumhelligkeiten bei Steige­ rung der Raum- und Infeldhelligkeiten auf den zirkadianen Rhythmus und die Serotoninproduktion positive Wirkung. In Abb. 369 ist das im Bereich der Synchronisierung dargestellt und betrifft die ungerichtete Aufmerksam­ keit (Bereich A). Im Bereich B kann dieser bei gerichteter Aufmerksamkeit auf die Obergrenze angehoben werden. Der Leuchtdichtebereich des Tageslicht

355

Infeldes und des Umfeldes, in dem die Synchronisierung stattfindet, ist ge­ kennzeichnet und bezieht sich auf das vorgegebene Beispiel. Die in dem Beispiel betrachtete Analyse der Komponenten des visuellen und nichtvisuellen Systems zeigt die prinzipielle Machbarkeit des ersten Trennungsbereichs hinsichtlich des notwendigen Tageslichteintrags und dessen Funktionsbereichs, der bei einer realen Umsetzung eine individu­ elle Anpassung an den jeweiligen Raum erfahren muss. Dieses Beispiel wurde deshalb so detailliert ausgeführt, um die An­ wendungsbreite der verschiedenen angeführten visuellen Komponenten in die Planungsvorgänge zur Ermittlung des Licht- und Raummilieus darzu­ stellen.

Zur Systemkonzeption des Trennelementes 1 Wie aus den Ergebnissen der Modellstudie in Abb. 351 und den beglei­ tenden Messungen in Abbildungsreihe 352–366 hervorgeht, ist es mög­ lich, das für die neuen Helligkeitsbereiche notwendige Tageslicht in den In­ nenraum zu übertragen. Ein für das Trennelement 1 gut geeignetes System ist in Abb. 353 dargestellt. Damit das Tageslicht dann auch im Innenraum optimal verteilt werden kann, empfiehlt sich eine Aluminium-Umlenkde­ cke. Um Blendungs- und visuelle Ablenkungserscheinungen zu vermeiden, wurde die Eigenleuchtdichte des Tageslichtsystems auf den mittleren Um­ gebungsleuchtdichtebereich reduziert, und die am Deckensystem auftre­ tenden virtuellen Erscheinungsbilder wurden miteinbezogen. Wie bereits erwähnt ist das Systemkonzept in der Abbildungsreihe 351–354 dargestellt und wird in der Abbildungsreihe 373 und 374 noch vertieft.

4.7.5  Zirkadianer Rhythmus und die Realität der Veränderung Ich möchte an dieser Stelle erneut auf die Forschungsarbeit „Sonnenraum“ (Kapitel 2.4) hinweisen, in welcher der Bereich der „neuen Helligkeiten“ ursprünglich erarbeitet wurde. Da sich die wesentlichen Kriterien dafür aus dem nichtvisuellen System ergeben, ist die Übertragung des zirkadianen Rhythmus vom Außenraum – der durch die Tageslichtsituation als Zeitgeber bestimmt wird – in den Innenraum dominant. Die Vorgaben, die sich aus dem Forschungsergebnis der „neuen Hel­ ligkeit“ ergeben, beziehen sich auf meinen aktuellen Wissensstand. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich dieses Wissen in naher Zukunft progressiv erweitern wird, besonders die Bedeutung der zirkadianen Rhythmen auf die menschliche Gesundheit, das Wohlbefinden und damit verbunden auch auf unser Verhalten.

4.7.6  Licht- und Raummilieu unter Einbeziehen des zirkadianen Rhythmus Die Forderung, die notwendige Tageslichtmenge vom Außen- in den Innen­ raum zu transportieren, das Tageslicht dort richtig zu verteilen und dabei dem visuellen und nichtvisuellem System zu entsprechen, hat in diesem Beispiel als konzeptioneller Ansatz zur Trennung der Funktionen geführt, wobei • Trennelement 1 die Helligkeit, die Helligkeitsverteilung und den Tages­ lichtrhythmus erfasst und 356

Kapitel 4

• Trennelement 2 den individuell zu gestaltenden Bezug nach außen dar­ stellt. In diesem Beitrag konzentriere ich mich auf die Wirkungsweise des Trenn­ elementes 1 (Abb. 353). Berechnungen und Messungen in der Modell­ simulation im Künstlichen Himmel haben gezeigt, dass mit dem Trennele­ ment 1 und den Decken-Umlenklamellen (Abb. 352) • bei Südausrichtung, • bei bedecktem Himmel, • bei horizontaler Beleuchtungsstärke von EhA = 10.000–12.000 lx, • bei vertikaler Beleuchtungsstärke von EVA = 4.000–5.000 lx an der Fas­ sade und • im Betriebszustand der vorgegebene neue Helligkeitsbereich erreicht wird. Die Abbildungen 351, 371 und 372 zeigen die Veränderung des Tages­ lichtes in Form von unterschiedlichen Erscheinungsbildern, die im Inneren der Räume auftreten. Dargestellt sind einige Tage im August 2000, ver­ schiedene Himmelssituationen wie klarer und bedeckter Himmel und unter­ schiedliche Tageszeiten. Abb. 370 zeigt beispielhaft den Helligkeitsverlauf im Raum (Abb. 352) bei einer Außenbeleuchtungsstärke von EhA ≈ 10.000 lx (bedeckter Him­ mel) und an einem dynamischen Himmelszustand von EAmax. ≈ 30.000 lx. Die Abbildungen 371 und 372 zeigen die Beleuchtungsstärkeverläufe im Innenraum für zwei Himmelssituationen. Die Darstellung in Abb. 370 zeigt die Leuchtdichteverteilungen im Innen­ raum während eines Tages im August, die bei klaren, dynamischen und ­bedeckten Himmelszuständen auftreten (Abb. 354–366). Entsprechend der Leuchtdichteverteilung verändern sich die visuellen Erscheinungs­ bilder und das Licht- und Raummilieu. Es zeigt sich, dass im Laufe die­ ses ­Augusttages während der Arbeitszeit von 08:00 bis 17:00 Uhr am dynamischen Tag Leuchtdichten von Lm ≈ 100–400 cd/m² auftreten und bei ­bedecktem ­Himmel Lm ≈ 100–150 cd/m². Diese Leuchtdichteverände­ rungen und ihre visuellen Erscheinungsbilder verlaufen weitgehend kon­ tinuierlich. Es ­entsteht durch diese Veränderung der Helligkeit der zirka­ diane ­Rhythmus, dessen Wirkung der wesentliche Zeitgeber der inneren Uhr (SCN) ist. Es ist von großer Bedeutung, diese Vorgänge bewusst zu ­machen und sie in den Bereich des stabilen visuellen Wahrnehmungsbe­ reichs zu bringen. Die Darstellung der Leuchtdichteverteilungen in Abb. 370 ist als Grund­ lage zu sehen, um die Tages- und Kunstlichtplanung für ein konkretes Pla­ nungsprojekt vornehmen zu können und um ein optimales und angepass­ tes Licht- und Raummilieu schaffen zu können.

Warum Leuchtdichteverteilung Wie in Kapitel 1 bereits ausführlich beschrieben, ist Leuchtdichte die Kom­ ponente, welche das sekundäre Licht vorwiegend physisch vermittelt. Die Beleuchtungsstärken und ihre Verläufe (horizontal und vertikal) sind die Voraussetzung für die Leuchtdichte unter Einbeziehung des Materials mit seiner Form und Farbe, welche das auffallende Licht modulieren und es dadurch erst sicht- und vorstellbar machen. Erkenntnisse, die wir durch Be­ obachtung erhalten, haben ihre Ursache im sekundären Licht – also in der Leuchtdichte –, und die Verarbeitung der Eindrücke im Gehirn bilden den Informationsvorgang. Tageslicht

357

Abb. 370 Raumtyp 1: Die Grafik zeigt die Leuchtdichteverteilungen im Innenraum in Abhängigkeit vom Zeitablauf eines Tages. Man sieht die auftretenden Helligkeitsschwankungen des Tageslichtverlaufs im August.

Ich möchte an dieser Stelle auf diesen Vorgang deshalb noch einmal hinweisen, da in den lichttechnischen Planungsvorgängen nach wie vor zu häufig mit Vorstellungen und Vorgaben an die Beleuchtungsstärke gear­ beitet wird. Dies erachte ich persönlich als Abstraktion, denn die Beleuch­ tungsstärke sehen wir nicht. Die Vorstellung einer Lichtstimmung anhand der Beleuchtungsstärke und die Bedeutung des entsprechenden Licht- und Raumilieus reduzieren sich hierbei und sind vor allem technisch. Die Dar­ stellung der Leuchtdichteverteilung ist darum notwendig, denn sie enthält die physischen und psychischen visuellen Bewertungskomponenten. Die Leuchtdichte ist der eigentliche Begriff, der den materiellen und geistigen Vorgang des sekundären Lichtes als Informationsaufnahme de­ finiert. Bei geeigneter Interpretation ist es möglich, das Licht- und Raum­ milieu mit den begleitenden Gestaltungsinhalten verständlich und bewusst zu machen. Die Informationsvermittlung durch die visuelle Wahrnehmung ist ein vorwiegend geistiger Vorgang.

Reale Umsetzung Um visuelle Szenarien dem Nutzer, Architekten, Lichttechniker etc. bes­ ser vermitteln zu können und auch um selbst in der Konzeptphase das gewünschte Erscheinungsbild einer Planung zu erleben, ist eine zweidi­ mensionale Darstellung meinen Erfahrungen nach unzureichend. Die Bild­ 358

Kapitel 4

haftigkeit ist laut J. J. Gibson nur Information aus zweiter Hand. Das Licht­ erlebnis kann auf diese Art nicht ausreichend vermittelt werden, und so habe ich 1975 den Künstlichen Himmel entwickelt. Mit diesem Simulations­ werkzeug ist es möglich, in einer maßstabgetreuen Modellsimulation die konzipierten und komplexen Lichtwirkungen mit ihren realen Leuchtdichte­ verteilungen, den auftretenden Helligkeiten und Materialzuordnungen im Raum – also das gesamte Licht- und Raummilieu – zu verstehen und zu bewerten. Aus dem Theoretischen Leuchtdichtemodell lassen sich dabei der Leuchtdichtebereich und die zulässigen objektiven Grenzen für den Bewertungsbereich entnehmen.

Die reale Bedeutung des Theoretischen Leuchtdichtemodells Das Theoretische Leuchtdichtemodell habe ich in den vorangegangenen Kapiteln 1.4.1–1.4.4 bereits ausführlich erklärt und beschrieben. In diesem Kapitel bewerte ich nun die reale Bedeutung des Theoretischen Leucht­ dichtemodells für Planungskonzepte, die in erster Linie das Licht- und Raummilieu betreffen. Bei Tageslichtkonzepten ist das Dominante, dass sich die Helligkeits­ verläufe ständig verändern und entsprechend vom Außen- in den Innen­ raum transformiert werden müssen. Die Vorgaben dafür leiten sich aus den Vorstellungen des visuellen Licht- und Raummilieus ab, dessen Gestal­ tungsumfang nicht nur komplex ist, sondern auch in gewissem Sinne eine Abstraktion darstellt. Abstraktion deshalb, da primäres Licht nicht sichtbar ist, sondern erst über seine sekundäre Form wahrgenommen wird. Also müssen wir diese primäre Lichtform über die angestrebte Wirkung des sekun dären Lichts und seine visuelle Wahrnehmungsform bestimmen. Es ist nun also notwendig, die Vorgabe in einer visuellen Begriffsbildung zu definieren. Für die meisten Raumkonzepte bestehen bereits seitens der Bauherren und Architekten Tätigkeits- und Gestaltungsabläufe, die wir als Aufgabenstellung für die Lichtplanung berücksichtigen müssen. Für diese sind nun die visuellen Abläufe zu erarbeiten, wobei wir beachten müssen, dass vor allem Sehvorgänge mit laufender Informationsaufnahme dynami­ sche und aktive Abläufe beinhalten und daher die Gesichtsfeldbereiche erfasst werden müssen. Die von mir bevorzugte Vorgehensweise, visuelle Sehvorgänge zu erfas­ sen und den Raumeindruck und die Szenerie visuell erkennbar zu machen, ist diesem die ganzheitliche Leuchtdichteverteilung zuzuordnen. Diese er­ fasst die Infeld- und Umgebungsleuchtdichtebereiche und muss so abge­ stimmt sein, dass alle entstehenden Helligkeitsveränderungen (wie z. B. auf Grund des Tageslichtrhythmus oder auf Grund differenzierter Sehvor­ gänge) diesem entsprechen und sich im stabilen visuellen Wahrnehmungs­ bereich befinden. In Abb. 369 ist solch ein Vorgang am Beispiel des Raumtyps 1 dar­ gestellt und beschrieben. Es wurde die „neue Helligkeit“ als Vorgabe ver­ wendet. Es ist wesentlich, dass eine Vorgabe an den Leuchtdichtebereich entsteht, da dieser im unmittelbaren Zusammenhang mit der Beleuchtungsstärke und den Materialeigenschaften steht und nun mit den notwendigen be­ gleitenden psychischen Vorgängen erweitert werden muss. Damit gibt das Theoretische Leuchtdichtemodell einen Bereich an, in dem ein Zusammen­ hang zwischen Infeldleuchtdichte, Umfeldleuchtdichte und stabiler Wahr­ nehmung besteht. Es handelt sich hierbei um eine „dynamische Stabilität“, denn der Organismus hat die Fähigkeit, die Systemfunktionen bei Ver­ änderungen und den dabei auftretenden Belastungen stabil zu halten. Tageslicht

359

Dabei ist es möglich, die im Fließgleichgewicht entstehenden Größen – die sich ebenfalls ständig verändern können – stabil zu halten und sie dabei zu optimieren. Den stabilen Wahrnehmungsbereich sehe ich als Voraussetzung zur Optimierung. Es ist somit wichtig, die visuellen Vorgaben eines Konzepts in Leucht­ dichtebereichen darzustellen und diese den Komponenten der Beleuch­ tungsstärke, visuellen Materialeigenschaften, spektralen Verläufe und Art der Lichtverteilung zuzuordnen. Vorrangig dabei ist es, das Licht- und Raummilieu als Zielsetzung zu erarbeiten, da dies zum einen zur gestalte­ rischen Raumvorstellung führt und zum anderen die Ausrichtung der visu­ ellen Konzeption wesentlich beeinflusst. Hilfreich dabei ist wie schon ge­ sagt die Darstellung des Licht- und Raummilieus mittels Modellsimulation im Künstlichen Himmel, um durch das bewusste Erleben des Milieus die Konzeptvorgänge zu unterstützen. Das Erarbeiten eines Theoretischen Leuchtdichtemodells ist also Grund­ lage für die Konzeptbildung und den weiteren Ablauf, da es durch die Schaffung des dynamischen Stabilitätsbereichs eine „objektive Basis“ als Voraussetzung für die folgenden physischen und psychischen Vorgangs­ weisen ermöglicht.

4.7.7  Erscheinungsbilder bei Veränderung der Außenhelligkeit im Versuchsraum und Künstlichen Himmel Fazit

Wie bereits oben gezeigt, wurden in den Abbildungen 370, 371, 372 und 376 anhand der Modellsimulation und Messung im Künstlichen Himmel (klarer Himmel, Sonne, August 2000) zu unterschiedlichen Tageszeiten und auch bei bedecktem Himmel die Veränderungen des Helligkeitsver­ laufs ermittelt und die jeweiligen Erscheinungsbilder dargestellt. Aus den Messwerten ist ersichtlich, wie die Leuchtdichteverteilungen im Rauminneren während des zeitlichen Tagesverlaufs variieren. Es geht daraus hervor, dass besonders von 08:00–17:00 Uhr – also während der Hauptarbeitszeit – die „neuen Helligkeiten“ erreicht werden. Auch die Helligkeitsverläufe sind gut erkennbar, besonders im Umgebungsbereich. Demnach wird mit Trennelement 1 der zirkadiane Rhythmus bewusst und wahrnehmbar, besonders über das nichtvisuelle System. Es zeigte sich jedoch auch, dass am Trennelement 1 Eigenleuchtdich­ ten von über 2.000 cd/m² aufgetreten sind. Der zenitale Himmelsanteil spiegelt sich in der Längsrichtung der Umlenkdecke und erscheint dort als virtuelles Bild. Damit wurden die Leuchtdichten des Außenraums in den Innenraum verlagert, und im Gesichtsfeldbereich traten Leuchtdichten von über 2.000 cd/m² auf, was zu Ablenkung und physiologischen Blendungs­ erscheinungen führt und das emotionale Erscheinungsbild des Raums in­ frage stellen würde. Das Problem haben wir dann mittels einer Systemerweiterung durch reflektierende Längslamellen gelöst, die in den Abbildungen 373 und 374 zu sehen sind.

4.7.8 Zusammenfassung Wie wir aus den Inhalten Kapitel 4.7. erkennen, ist es machbar, durch die individuelle Anpassung der Tageslicht-Systemtechnik den vorhandenen Tageslichtzustand mit seiner Helligkeit, zeitlichen Veränderung (zirkadia­ ner Rhythmus) und seinen spektralen Verläufen von außen nach innen zu transferieren. Die dargestellten Raumbeispiele zeigen uns, dass dies durch 360

Kapitel 4

Abb. 371 Beleuchtungsstärkeverlauf vertikal (h = 1,2 m, rote Linie) und horizontal (Arbeitsebene, blaue Linie) in Raumtyp 1 bei bedecktem Himmel.

Abb. 372 Beleuchtungsstärkeverlauf vertikal (h = 1,2 m, rote Linie) und horizontal (Arbeitsebene, blaue Linie) in Raumtyp 1 bei klarem Himmel.

Tageslicht

361

Abb. 373 Raumtyp 1: Erscheinungsbild ohne Längsausblendung.

Abb. 374 Raumtyp 1: Erscheinungsbild mit Längsausblendung.

die Trennung der Funktionen (Kapitel 4.7.3) möglich wird und dass die Dynamik des Tageslichts für das visuelle und besonders für das nichtvisu­ elle System erlebbar und bewusst wird. Auch die spezifisch zugeordneten Leuchtdichtebereiche können in ein gemeinsames Licht- und Raummilieu integriert werden. Wie aus Abb. 375 und 376 hervorgeht, ist es möglich, diese Tageslicht­ wirkung auch auf Raumtyp 2 zu übertragen (Kapitel 3). Es wird jedoch durch die Geometrie des Raumtyps 2 notwendig, diese Raumart zweiseitig (z. B. Nord-Süd bzw. Ost-West) zu belichten (Abb. 376), um die zirkadia­ nen Beleuchtungsvorgaben der „neuen Helligkeiten“ zu erfüllen. Ein realer Beleuchtungsstärkeverlauf ist in Abb. 377 dargestellt.

362

Kapitel 4

70

60

30

90

35

40

55 50–100

45–90 75

40

Abb. 375 Raumtyp 2 beidseitig belichtet, bedeckter Himmel am 4. Oktober, 16:00 Uhr, vertikale Beleuchtungsstärke an Süd- und Nordfassade ca. 4.700 lx. Horizontale ­Beleuchtungsstärke in der Arbeitszone 350–400 lx.

280

240

110

360

90

85

200 210–430

90–180 220

120

Abb. 376 Raumtyp 2 beidseitig belichtet, klarer Himmel am 6. ­August, 9:00, vertikale Beleuchtungsstärke an Südfassade ca. 40.000 lx, ­vertikale ­Beleuchtungsstärke an Nordfassade ca. 15.000 lx. Horizontale ­Beleuchtungsstärke in der Arbeitszone 700–1.700 lx.

Wie in den Kapiteln 4.2–4.3 beschrieben, nimmt die Ausrichtung zur Him­ melsrichtung Einfluss auf die Helligkeitsverläufe des Tages- und Jahresver­ laufs. Da es jedoch darauf ankommt, wie sich das auf den neuen Hellig­ keitsbereich auswirkt, wurde das im Jahresverlauf (2000) – bezogen auf die Schwellwerte der neuen Helligkeit – ermittelt und für unterschiedliche Tageslicht-Systemarten erarbeitet. Anhand der Ergebnisse dieser Studie zeigt sich, dass bei einer Arbeitszeit von 08:00 bis 17:00 Uhr im Tages­ ablauf auf das visuelle und nichtvisuelle System bezogene Helligkeiten im jährlichen Zeitablauf im Nutzbereich zu ca. 80 % vorhanden und wirk­ sam sind, wobei sich die Schwankungen aufgrund der Veränderung der Außensituation inklusive der positionellen Differenzierungen durch die Himmelsrichtung – auch im Jahresbereich bei derselben Systemart – er­ staunlich wenig differenzieren. Tageslicht

363

Abb. 377 Die Grafik zeigt den Verlauf der horizontalen und vertikalen Beleuchtungsstärke im Innenraum bei bedecktem Himmel mit einer horizontalen Außenbeleuchtungsstärke EhA von ca. 10.000 lx und bei klarem Himmel am 6. August um 13:00 Uhr.

Die Umsetzung dieses komplexen Themas bezogen auf den Menschen, seine Verhaltensweise, sein Wohlbefinden und seine Gesundheit wurde bereits ausführlich in Kapitel 2.4 behandelt. Für mich lässt sich aus den gewonnenen Erkenntnissen hypothetisch Folgen­ des ableiten: Entspricht ein Raum den Forderungen des visuellen und be­ sonders des nichtvisuellen Systems und hält die Tagesbelichtung in diesem Raum langfristig an, so trägt das dazu bei, Unbehagen und Krank­heits­ erscheinungen, die nachweislich mit Lichtmangel in Verbindung stehen, gar nicht erst entstehen zu lassen. Erfolge bei der Anwendung von Licht­ ­ ublikationen zu therapie sind mittels Studien gesichert, und es gibt viele P diesem Thema. In unserem Falle würde nun statt der meist klein­flächigen Therapiegeräte der gesamte Raum mit seinen Tageslichtmilieus wirken und therapieren. Wir können also Räume mit den neuen Helligkeitsbereichen schaffen, die das visuelle und nichtvisuelle System unterstützen und die entsprechen­ den Licht- und Raummilieus entstehen lassen. Die Licht- und Raummilieus, die wir anhand der o. g. Modellsimulatio­ nen erarbeitet haben, sind nicht nur lichttechnisch, sondern auch emotio­ nal und subjektiv zu bewerten, sodass daraus Gestaltungsvorgaben ermit­ telt werden können, die der Ästhetik entsprechen. Wie wir aus den vorangegangenen Kapiteln entnehmen können, sind Stö­ rungen des zirkadianen Rhythmus in Räumen mit • Tageslichtmangel, • instabilen visuellen Wahrnehmungsabläufen, • ungeeigneter Tageslichtverteilung, 364

Kapitel 4

• Abweichung vom zirkadianen Rhythmus und • subjektiver Ablehnung des Licht- und Raummilieus durch Störungen oder Nivellierung des zirkadianen Rhythmus ein aktuelles und auch dringliches Thema, und so habe ich in den Kapiteln bereits Möglichkeiten für eine Realisierung erdacht. In diesen Beiträgen schließe ich auf Grundlage der Forschungsergebnisse über das Hormon Serotonin und dessen begleitende Depressionserscheinungen im Zusam­ menhang mit Lichtmangel am Tag und der Veränderung der Melatonin­ produktion durch Licht in der Nacht auf den Zusammenhang von Licht und Hormonsteuerung und auf den Einfluss des zirkadianen Rhythmus über die innere Uhr im SCN (siehe Kapitel 2.5–2.11).

Notwendigkeit Heilungsprozesse aufgrund von Lichttherapie sind bereits wissenschaftlich nachgewiesen (Kapitel 2.7) und in diversen Forschungsberichten in den Bereichen der Chronobiologie, Medizin und Psychologie zu finden. Auch wir haben vor Jahren in Studien erarbeitet (Kapitel 2.7), dass ein Pro­ zess der Regeneration und zum Teil Heilung bei den Hormonen Serotonin und Melatonin auftritt und damit realistisch anwendbar wird. Wir haben daraufhin selbst Therapiegeräte zur Unterstützung der Serotoninproduk­ tion entwickelt, die einen erweiterten Gesichtsfeldbereich umfassen, den Bedingungen eines Innenraums entsprechen (ω > 2 π) und die man als Unterstützung in Innenräume heranziehen kann (Kapitel 2.4). Damit ist es machbar, die Forderungen der „neuen Helligkeiten“ und des zirkadianen Rhythmus (visuelles und nichtvisuelles System) zu erfassen, zu definieren und daraus eine Planungsvorgabe zu erarbeiten. Dieses Thema habe ich zwar bereits in Kapitel 2.7 ausführlich bespro­ chen, doch möchte ich hier noch einmal deutlich darauf hinweisen, dass wir uns nur noch ca. 4 % unserer Zeit im Freien aufhalten und den Rest in Innenräumen, wie anhand einer Studie in San Diego festgestellt wurde. Die Tagesbelichtung der Innenräume entspricht in der Praxis nur sehr sel­ ten den neuen Helligkeitsbereichen und weist damit keinen erkennbaren zirkadianen Rhythmus auf. Wir leben demnach häufig in einem labilen vi­ suellen Wahrnehmungszustand und in einer künstlichen Dämmerung, also im Übergang zur Nacht – im mesopischen Zustand. Dieser wird auch die „biologische Dunkelheit“ genannt und hat auf Dauer Auswirkungen auf unsere Lebensqualität und Gesundheit. Die Zielsetzung ist also daraufhin ausgerichtet, das Licht- und Raum­ milieu so zu gestalten, dass im Raum die „neuen Helligkeiten“ und der zirkadiane Rhythmus bewusst wirken und damit über den Raum therapiert wird. Wie erwähnt, sind die am häufigsten verwendeten Lichttherapiegeräte kleinflächig (Kapitel 2.7, Abb. 135), und aufgrund des kleinen Raumwin­ kels benötigt man, um Wirkung zu erhalten, hohe Leuchtdichten (Kapitel 4.2.7), die wiederum zu Blendung, Ablenkungen und Störung führen. Be­ zieht man hier nun den Innenraum und den erweiterten Gesichtsfeldbe­ reich ein, dann vergrößert sich der Raumwinkel entsprechend, und die Umfeldleuchtdichte kann erheblich reduziert werden (ω ≈ 1,26 π). Das ist anhand der Forschungsergebnisse in Kapitel 2.7, Abb. 140 und 141, dar­ gestellt. Die auf dieser Basis erarbeiteten Raumstrukturen, ausgestattet mit den entsprechenden Tageslichtsystemen (Abb. 371, 372), ermöglichen einen sozusagen andauernden Aufenthalt unserer Aktiv-/Wachzeiten bei Tages­ licht im Raum. Das bedeutet, wir bewegen uns ca. 80 % des Jahres im Tageslicht

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photopischen Bereich und nur noch ca. 20 % in der künstlichen Dämme­ rung, die man eventuell mit Kunstlicht als Tageslichtergänzungsbeleuch­ tung kompensiert. In der realen Umsetzung werden diese Erkenntnisse jedoch nur selten an­ gewandt, und unser Aufenthalt im Innenraum begleitet von Tageslichtver­ läufen mit den neuen Helligkeiten und ihren zirkadianen Rhythmen ist nicht gegeben. Die daraus resultierenden Folgen für die Gesundheit und das Wohlbefinden sind global noch nicht erfasst und durch ihre Komplexität auch schwer erkennbar. In der Architektur wird das Tageslicht in der Raum­ gestaltung ebenso vernachlässigt. Es ist generell noch unüblich, die Tages­ lichtplanung ganzheitlich in die Lichtgestaltung miteinzubeziehen. Um eine Bewusstwerdung in diesem Sinne zu aktivieren und zu be­ schleunigen, habe ich in Kapitel 2.4.1 den Beitrag „Wie viel Licht braucht der Mensch? Bedeutung von Licht und Gesundheit“ von Prof. Wolfgang Schobersberger vom Institut für Urlaubs-, Reise- und Höhenmedizin der UMIT Hall angeführt, der im Zusammenhang mit dem gemeinsamen For­ schungsprojekt des Kompetenzzentrums LICHT (KPZ35) erarbeitet wurde. Kapitel 4.7.7 bezieht sich auf die Erarbeitung von Innenraumstrukturen – vorrangig von Seitenbelichtung –, um den Tageslichtrhythmus des Außen­ raums und die damit einhergehende notwendige Lichtmenge und -vertei­ lung (zirkadianer Rhythmus und neue Helligkeiten) in den Innenraum zu leiten. Begleitet wird dieses Vorhaben mit konzeptionellen Vorstellungen von machbaren Tageslichtsystemen. Meine Erwartung hinsichtlich dieses Vorgehens ist, mithilfe des angepass­ ten Tageslichtzustandes die Voraussetzung für den Menschen zu schaffen, auch in Innenräumen eine anhaltende Tageslichtwirkung und eine daran angepasste Nachtsituation (Melatoninproduktion) zu erleben. Die ­positive Wirkung des Lichtes soll sich stabilisieren, und Unbehagen und Krank­ heitsbilder sollen so verringert oder sogar teilweise zur Gänze vermieden ­werden.

366

Kapitel 4

5

Kapitel 5 Kunstlicht

5.1 Prolog Wir Menschen sind Lichtwesen und biologisch dem Tageslicht angepasst. Wie der Name schon sagt, ist Tageslicht untertags wirksam, und unsere visuellen Vorgänge finden in diesem zeitlichen Rahmen statt. Das Kunst­ licht hingegen ist – wie auch dieser Begriff vorwegnimmt – künstliches Licht, das vom Menschen geschaffen wurde, um die visuellen Vorgänge auch in der tageslichtarmen/-losen Zeit nutzen zu können. Wir ersetzen damit das Tageslicht und machen uns die Nacht zum Tage. Die historische Entwicklung des Kunstlichts begann mit dem Feuer vor ca. 1.500.000 Jahren. Erst um 1900 wurde das Kerzen- und Gaslicht durch das elektrische Licht – die Glühlampe – abgelöst. Bis heute haben sich daraus die unterschiedlichsten Lichtquellen und Lichtsysteme ergeben. Um „Stimmungslicht“ zu erzeugen, finden dennoch nach wie vor Kerzen, ­Kamine, Feuerstellen etc. als „warmes Licht“ ihren Einsatz. Der Begriff der Wärme steht unmittelbar in Verbindung mit der Flamme und haftet damit auch jenen Lichtquellen an, die auf dem Prinzip der ­Temperaturstrahlung be­ ruhen wie Lichtbögen, Glühlampen und Halogen-Glühlampen. Das Feuer als Lichtquelle selbst erzeugt im Grunde wenig Licht, jedoch viel Wärme und hat in seinem Spektrum einen hohen Rot- und geringen ­Blauanteil. Emotional gesehen wird Licht mit niedriger Farbtemperatur als warm, entspannend, gemütlich und beruhigend empfunden und bewirkt eine Steigerung des Wohlbefindens. Zusätzlich erhält nach heutigem Wissens­ stand das Feuerspektrum mit seiner niederen Farbtemperatur die Melato­ ninausschüttung aufrecht (siehe Kapitel 2). Doch nicht nur über das Spektrum einer Lichtquelle kann ein niederer Farbort entstehen, sondern auch über das Zusammenspiel von Licht mit farbigen Oberflächen. In der Literatur wird das Wohlbefinden bei nied­ riger Farbtemperatur in Verbindung mit geringen Lichtintensitäten in der Kruithof’schen Behaglichkeitskurve ausgedrückt. Wie wir bereits in den vorangegangenen Kapiteln erfahren haben, gibt es diverse Forschungsarbeiten in unserem Unternehmen mit ent­ sprechenden Partnern, die ergaben, dass die Steigerung höherer ­Farborte am Auge bei Aufenthalt in Innenräumen eine Steigerung der HRV und damit eine Zunahme der Entspannung bewirkt. Das bedeutet, dass die Wirkung der parasympathischen Vorgänge zu höheren Farborten hinten­ dieren (Kapitel 1.5.4). Dieser Widerspruch zu den Ergebnissen der Kruit­ hof’schen Be­haglichkeitskurve ist vermutlich in der Art der subjektiven Me­ thodik zu finden, worauf diese Ergebnisse basieren (siehe Handbuch für Licht­gestaltung, Seite 212, Abb. 5. Das findet seine Bestätigung in einer weiteren Versuchsreihe in Kapitel 2.2, aus der hervorgeht, dass die Unter­ schiede der Farborte am Auge bei objektiver Methode feststellbar sind, während sie bei subjektiver Methode nicht eindeutig feststellbar ­gemacht werden ­können. Für die Umsetzung in Planungsprojekten hat diese Thematik jedoch wenig Bedeutung, da bei Nachtlicht die spektrale Zuordnung zum Farbort Kunstlicht

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am Auge generell so gestaltet werden soll, dass die Melatoninproduktion erhalten bleibt (Kapitel 2). Das Kunstlicht hat sich im Laufe seiner Entwicklung vom ausschließlichen Warmton hin zu den hohen Farborten des Tageslichtes mit seinen spektra­ len Verläufen verändert. Durch die Entwicklung der Gasentladungslampen und Leuchtdioden wurden die Lichtausbeute, die Lebensdauer und die Wirtschaftlichkeit gegenüber den Temperaturstrahlern um ein Vielfaches verbessert. Durch diese Weiterentwicklung ist es möglich, Kunstlicht als Tages­licht­ergän­zung so einzusetzen, dass der Tageslichtrhythmus durch die höheren Helligkeiten, die angepassten spektralen Verläufe und Farb­ orte realistisch simuliert werden kann. Im vorangegangenen Kapitel haben wir ausführlich über das Tageslicht gesprochen, doch möchte ich hier noch einmal seine Kriterien erwähnen: • Quantität, • Qualität, • Verteilung, • Art der Strahlung (gerichtet – diffus), • spektrale Zusammensetzung, • Art und Menge des Wärmeeintrags (variabler g-Wert), • Tageslichtrhythmus als zirkadianer Zeitgeber (Veränderung), • Bezug zum Außenraum, • wahrnehmbare Leuchtdichtebereiche mit ihren stabilen Bereichen und • Wirtschaftlichkeit. Tageslicht gelangt in den Innenraum, und seine visuelle Nutzung fordert die entsprechende Anpassung anhand der o. g. Kriterien, der spezifischen Vorgaben, der Normen und dergleichen. In vielen Gebäuden sind die Tageslichtöffnungen bereits vorhanden und vorgegeben und müssen da­ durch nachträglich entsprechend den visuellen Nutzungsvorgängen ange­ passt werden. Dies kann durch Tageslichtelemente erfolgen (siehe Kapi­ tel 4) oder durch Ergänzung mit Kunstlicht. Als Basis für solche Maßnahmen dient ein entsprechendes Licht- und Raummilieu: • Entspricht die Tageslichtwirkung/-nutzung im Inneren eines Gebäudes den visuellen Kriterien, so kann sich Kunstlicht auf Ergänzungs- und Nachtlicht beschränken. Um dabei die nächtliche Melatoninproduktion aufrechtzuerhalten, ist es notwendig, die entsprechenden spektralen Vorgaben für das Nachtlicht zu berücksichtigen (siehe Kapitel 2). • Der Übergang von Tag zur Nacht – also die Phase der Dämmerung – macht in vielen Fällen eine visuelle Anpassung durch Kunstlicht notwen­ dig. • Fensterlose Räume benötigen ein spezielles Licht- und Raummilieu, das sich mit dem Tageslicht synchronisiert und bis zum Nachtlicht fortsetzt, also einen individuell auf die Raumnutzung bezogenen Vorgang. Es ist demnach erforderlich, für unterschiedliche visuelle Nutzungen von In­ nenräumen ein Licht- und Raummilieu zu erarbeiten, das alle individuellen Ansprüche miteinbezieht.

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Kapitel 5

5.2  Licht und Raummilieu 5.2.1 Allgemeines Der Wunsch nach Steigerung des humanitären Aspekts auch in der Arbeits­ welt wird immer stärker. Das macht es notwendig, die Bedürfnisse des Menschen in seinem unmittelbaren Tätigkeitsbereich hinsichtlich • Individualität, • Konzentrationsfähigkeit, • Leistungsbereitschaft, • Raum- und Arbeitsatmosphäre und • Entspannung vorrangig zu berücksichtigen. Sobald diese Voraussetzungen optimal erfüllt sind, müssen auch energiesparende Lösungen erarbeitet werden.

5.2.2  Visuelle Wahrnehmung Das menschliche Verhalten ist wesentlich auf die optische Wahrnehmung ausgerichtet. Damit meine ich im Besonderen die Informationsaufnahme und die Umweltorientierung. Wenden wir die Kenntnisse über die optische Wahrnehmung an, so kann eine weitgehende Objektivierung als Voraus­ setzung für das entstehende Licht- und Raummilieu gefunden werden und damit verbunden die logischen Zusammenhänge zwischen der Informa­ tionsverarbeitung und der uns umgebenden Arbeitswelt. Voraussetzung dafür ist, dass unser optischer Wahrnehmungsapparat funktioniert und ungestört ablaufen kann. Wie wir wissen, belasten Störungen des Wahr­ nehmungsablaufs die freie Gehirnkapazität und schränken die Informa­ tionsaufnahme und ihre Verarbeitung ein. Die Folge ist, dass die Orien­ tierung sowie der Bezug zur Umgebung gemindert bzw. zur Gänze ge­ stört werden und die optische Umwelt eine veränderte Wertigkeit erfährt. Das ungestörte Ablaufen der optischen Wahrnehmung bedeutet, dass die Grundempfindungen des Auges wie • die Unterschiedsempfindlichkeit, • die Sehleistung, • die Wahrnehmungsgeschwindigkeit und • die Aufmerksamkeitsvorgänge nur unter dieser Voraussetzung optimiert werden können. Funktioniert der optische Wahrnehmungsablauf, so bedeutet das im weiteren Sinne eine Optimierung der menschlichen Bedürfnisse und liefert damit den ge­ wünschten Beitrag zur Humanisierung der Arbeitsumwelt.

Aktive Wahrnehmung Die Aufnahme von Informationen aus der Umwelt geschieht zum Teil mithilfe unseres optischen Wahrnehmungssystems. Dieser Vorgang funk­ tioniert so, indem das visuelle System durch Erkundungsbewegungen (Augen­bewegung) laufend neue Ausschnitte aus der umgebenden (Licht-) Situation ermittelt. Es transferiert sozusagen diesen an sich sukzessiven Vorgang durch seine Ausrichtung auf das Finden von unveränderlichen Informationen (= Invarianten) auf die tatsächlich simultane Wahrnehmung unserer Umwelt (Kapitel 1.4.3).

Kunstlicht

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Aus den Mechanismen der Erkundungsbewegung kann man mithilfe des Erkundungsinteresses ein Stufensystem der Informationsaufnahme aus unserer optischen Umwelt ableiten: • Die allgemeine Stufe: Der Körper bewegt sich in seiner Umgebung, wie beispielsweise beim Durchschreiten eines Raums. Die Erkundungsspanne ist aufgrund der Körper-, Kopf- und Augenbewegung am größten und damit auch die allgemeine Informationsaufnahme. Die detaillierte Aufnahme hingegen ist hier am geringsten. • Die mittlere Stufe: Das Erkunden der optischen Situation geschieht von einem festen Standpunkt aus. Der Erkundungsbereich ist auf die Kopf- und Augenbe­ wegungen beschränkt. Die Informationsaufnahme ist damit zwar etwas begrenzt, jedoch steht dem eine veränderte gesteigerte Wahrnehmung gegenüber, indem es ein Vorgang der Selektion zur differenzierten Auf­ merksamkeitsbildung ist. • Die differenzierte Stufe: Diese Stufe ist der unmittelbare Sehbereich. Die Kopfbewegung ent­ fällt, und die Erkundung erfolgt ausschließlich über die Augenbewe­ gung. Das Abtasten von Einzelheiten erfolgt mit der Fovea (ca. 20 % des Gesichtsfeldes) und wird begleitet vom Fokussieren der Linse auf die eigentliche Sehaufgabe. Es ist die differenzierteste Form der Wahr­ nehmung, jedoch mit dem geringsten Einbeziehen der Umwelt. Dem­ entsprechend erfolgt die Informationsaufnahme im unmittelbaren fokus­ sierten Bereich (Top-down-Verarbeitung) und entspricht vorrangig dem gerichteten Aufmerksamkeitsbereich. Wenn ich das nun auf unsere Umwelt übertrage, bedeutet das, dass Infor­ mationsaufnahme eine stete Aktivität erfordert, welche nur durch ständige Aufmerksamkeit und Bewegung unseres visuellen Systems aufrechterhalten werden kann. Unsere optische Umgebung setzt sich aus unterschiedlichen zueinander angeordneten Materialien zusammen, deren differenzierte Texturen und Farben das auftreffende Licht entsprechend ihren Eigenschaften reflektie­ ren, absorbieren bzw. transformieren. Wie wir wissen, ist dieses reflektierte und von uns wahrgenommene Licht die Leuchtdichte. Unser visuelles System ist dank des Adaptationsmechanismus imstande, sich großen Helligkeitsschwankungen anzupassen, so wie sie in der Natur vorkommen. Die Adaptation bewirkt aufgrund der Empfindlichkeit der ­Retina bzw. ihrer Rezeptoren eine Helligkeitskonstanz. Das ist der Grund, warum Beleuchtungsstärkedifferenzen von z. B. 10.000 bis 15.000 lx in der Natur nicht unterschiedlich wahrgenommen werden und sich die optische Szene für uns kaum verändert. Unser visuelles System nimmt immer diffe­ renzierter wahr, unterstützt die Aufmerksamkeitsvorgänge und die Bewusst­ seinsbildung. Entsprechend der Hierarchie des Erkundungsinteresses erreicht der Adaptationsablauf in der höchsten Stufe der Wahrnehmung seinen End­ zustand (Stabilisierung). Der Adaptationsmechanismus ermöglicht die Konstanthaltung der Helligkeit und macht sie damit zur Invariante, was eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren der optischen Wahr­ nehmung ist. Wichtig ist auch das Vermeiden von Ablenkungen.

372

Kapitel 5

Stabiler Wahrnehmungszustand Beziehen wir nun die obigen Überlegungen in unsere Arbeitswelt mit ein und beschränken sie vorläufig auf große Räume, dann kann man dem darin tätigen Menschen alle drei Wahrnehmungsstufen der aktiven Wahr­ nehmung zuordnen. Diese Wahrnehmungsstufen können selbstverständ­ lich nicht isoliert gesehen werden, da sie sich – bedingt durch das aktive menschliche Verhalten – laufend überlagern. Um einen Wahrnehmungs­ bereich optimieren zu können, ist es daher notwendig, den gesamten Raum in einen Zusammenhang zu bringen, entsprechend seinen Ober­ flächen und Tätigkeiten. Die differenzierte Stufe der Wahrnehmung ist der unmittelbaren Tätigkeit zugeordnet und bedingt bei ihrer Optimierung den Endzustand des Adaptationsablaufs. Dafür müssen die Leuchtdichte­ verhältnisse des In- und Umfeldes aufeinander abgestimmt werden, das heißt, dass sich die Leuchtdichten im Gesichtsfeld in einem Bereich be­ finden müssen, in welchem sich der Adaptationszustand des Auges seinem Endzustand nähert und sich stabilisieren kann. In Kapitel 1.4.1 wurde der Zusammenhang zwischen dem In- und Umfeld­ leuchtdichtebereich dargestellt. Der stabile Bereich im Diagramm basiert auf Grundlage der Konstanz der Unterschiedsempfindlichkeit, welche den Endzustand des Adaptationsverlaufs aufzeigt. Die Infeldleuchtdichte ent­ spricht dem Leuchtdichtebereich, der die Sehaufgabe umfasst, und damit der differenzierten Stufe der Wahrnehmung. Er beschränkt sich auf das foveale Sehen, begleitet vom Fokussieren der Linse. Für die Bestimmung der Infeldleuchtdichte werden die Sehleistungskriterien entsprechend DIN EN 12464 für die Bestimmung der Beleuchtungsstärke herangezogen. Die Umfeld- und Umgebungsleuchtdichten entsprechen dem mittleren Leucht­ dichtebereich der Umgebung, welcher noch differenziert werden kann, falls dies notwendig wird. Unter Umfeldleuchtdichte werden allgemein die reflektierenden Ober­ flächen der • Rauminhalte (z. B. Personen), • Schreibtische und diversen Einrichtungsgegenstände, • Fußböden, • Decken, • Lichtsysteme (Eigenleuchtdichte) und • Wände und Fenster, also die Leuchtdichte der begrenzenden Oberflächen des Raums, verstan­ den. Bürotätigkeit beruht auf aktiver Wahrnehmung und umfasst somit alle o. g. Wahrnehmungs- bzw. Verhaltensstufen. Dazu kommt noch, dass der Adaptationsmechanismus auch ein photochemischer Vorgang und somit generell zeitabhängig ist. Es ist also notwendig, die gesamte visuelle Um­ gebung in den stabilen Wahrnehmungsbereich miteinzubeziehen. Durch das in Kapitel 1, Abb. 1 dargestellte Diagramm ist es möglich, den unmittel­ baren Zusammenhang auf optischer Grundlage zwischen den Tätigkeiten und der Arbeitsumwelt herzustellen. Die Leuchtdichte L in cd/m² und die Beleuchtungsstärke E in lx bekom­ men in der Beziehung L = E × ρ × 1⁄π (beschränkt auf diffuse Reflexion) einen unmittelbaren objektiven Zusammenhang. Für das physiologische Funktionieren – also das Auslösen des Adaptationsmechanismus – sind die einzelnen Faktoren dieser Gleichung austauschbar, und jeweils eine Größe ist über die andere steuer- und eruierbar. Das optische Wahrnehmungssystem ist im Wesentlichen auf Informa­ tionserkundung ausgerichtet. Die Beleuchtungsstärke ist als auffallendes Kunstlicht

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Licht nur unmittelbar wirksam. Die Leuchtdichte (als Helligkeitseindruck de­ finiert) wird bei konstanter Steigerung nur in logarithmischen Stufen wahr­ genommen und durch den Adaptationsmechanismus tendenziell konstant gehalten. Das auf das Material auftretende Licht wird durch die Reflexion in seiner Richtung und spektralen Zusammensetzung verändert und ge­ langt so in unser visuelles System. Das bedeutet, dass sich der wesentliche Informationsinhalt im Material bzw. durch die Materialanordnung (Ge­ staltungsvorgang) bildet.

5.2.3 Milieu Diese Anwendung der Erkenntnisse bzgl. der aktiven Wahrnehmung bil­ det durch den Zusammenhang zwischen Leuchtdichte, Beleuchtungsstärke und Material, ausgedehnt auf die visuelle Umwelt und bezogen auf den Arbeitsplatz, das visuell wahrgenommene Raummilieu. Die bestimmenden lichttechnischen Faktoren des Raummilieus sind: • die Infeldleuchtdichte LI in cd/m², • die Umfeldleuchtdichte LU in cd/m², • die Beleuchtungsstärke E in lx (Eh = Beleuchtungsstärke horizontal, EV = Beleuchtungsstärke vertikal am Auge), • die Materialeigenschaften ρ = Reflexionsgrad (Arten der Reflexion: dif­ fus, spreizend, gerichtet), • die Remissionseigenschaften (spektrale und damit farbige Eigenschaf­ ten) und • die Lichtfarbe, der Farbort und die spektrale Verteilung am Auge. Die Infeldleuchtdichte hat den unmittelbaren Bezug zur Tätigkeit am Arbeits­platz und entspricht damit der differenzierten Stufe des visuellen Verhaltens mit der größten Erkennbarkeit im fovealen Bereich der Netz­ haut. Aufgrund dieser Begrenzung des Gesichtsfeldes tritt die Umgebung am stärksten zurück und verliert somit in dieser Phase an Bedeutung. Das Fokus­sieren der Linse und der damit verbundene Akkommodationsvorgang sind dabei ständig beteiligt. Das Maß der Infeldleuchtdichte wird aus der Sehaufgabe abgeleitet, welche von einer Vielfalt von Faktoren abhängt. Solche Faktoren sind: • Art der Arbeit: Schreiben, Lesen unterschiedlicher Schriftgrößen auf unterschiedlich re­ flektierenden Materialien (glänzend bis matt, weiß bis dunkel, farbige Hintergründe etc.), unterschiedliche Positionen, Ablesen am Bildschirm (dunkler Bildschirm, helle Schrift im permanenten Wechsel mit Papieren auf hellem Hintergrund). • Personenbezogene Faktoren: Alter, Kondition, Wissen, Fertigkeit, Motivation etc. • Sonstige Faktoren: Kontraste, Feldgröße, absolute Helligkeit und dergleichen. Aus diesen Erfordernissen werden die Werte für die Infeldleuchtdichte und der daraus äquivalenten Beleuchtungsstärke abgeleitet. Diese Zusammen­ hänge wurden bereits ausführlich untersucht und in den Kapiteln 2 und 3 beschrieben.

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Kapitel 5

Abb. 378 Der Energie- und Milieuvergleich zeigt, dass der Energiebedarf proportional mit der mittleren Raumbeleuchtungsstärke zusammenhängt. Milieu 1: EN 250 lx Milieu 2: EN 750 lx

5.2.4  Umfeld Die visuelle Zuordnung des Umfeldes und das damit entstehende Lichtund Raummilieu wurden bereits ausführlich in den Kapiteln 1.4.1–1.4.4 be­ schrieben.

5.2.5  Energie Der Energiebedarf, der sich aus den in Kapitel 1.4.2 angeführten Bei­ spielen ableitet, ergibt sich aus Milieu 1 und 2. Vergleicht man Milieu  1 und 2 nun energetisch miteinander, so erkennen wir anhand des not­ wendigen Energiebedarfs eine umgekehrte Wertung. Der Energiebedarf bei Milieu  2 ist um das Dreifache höher als bei Milieu 1, bedingt durch die höhere ­Beleuchtungsstärke in Milieu 2. Das bedeutet neben einem Vielfachen an Energie auch höhere Investitionskosten und einen Anstieg der Klima­leistung. Trotz der vermehrten Kosten ist Milieu 2 zu empfeh­ len, wenn das Wirksamwerden des zirkadianen Rhythmus im Zusammen­ hang mit ­Tageslicht notwendig wird. Wie wir aus Kapitel 2 wissen, benö­ tigt die Synchronisation des zirkadianen Rhythmus hohe Helligkeiten, die nicht ­unmittelbar die visuelle Leistung betreffen, sondern das nichtvisuelle ­System. Die Gegenüberstellung der Milieus in Abb. 378 zeigt, dass Milieu  1 gegenüber Milieu 2 als Grundlage für die Milieudarstellung dient.

5.2.6  Zonierung Wenn wir uns ein Großraumbüro mit seinen unterschiedlichen Arbeits­ abläufen ansehen, erkennen wir, dass sich dieses in Arbeits-, Verkehrs-, Aufenthalts- und Besprechungsbereiche gliedert. Anhand des folgenden Beispiels möchte ich zeigen, wie wir ein optimales Lichtmilieu erhalten und dabei die Energie reduzieren können. Kunstlicht

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In Milieu 2 beträgt die horizontale Beleuchtungsstärke im Arbeitsbereich 800–1.000 lx. Für die Besprechungs- und Aufenthaltsbereiche kommt die mittlere visuelle Stufe zum Tragen, und die Beleuchtungsstärken können geringer als im unmittelbaren Arbeitsbereich ausgeführt werden. Die Ver­ kehrszone als die allgemeine Stufe kann noch weiter in ihren Helligkeiten reduziert werden. Von Zonierung spreche ich deshalb, da wir die Helligkeiten in Zonen entsprechend ihren Tätigkeiten aufteilen. Es gibt sich daraus folgende Gliederung für die Beleuchtungsstärken: • Verkehrszone: 150–300 lx • Arbeitszone: 800–1.000 lx 400–500 lx • Besprechungszone: • Aufenthaltszone: 350–500 lx Auf Basis der Helligkeiten, welche in den Arbeits- und Besprechungs­zonen von der visuellen Tätigkeit (dem Infeld) geprägt sind, um die visuelle Leis­ tung zu optimieren, wird die Aufenthalts- und Verkehrszone vom nicht­ visuellen System (dem Umfeld) bestimmt. Die dominante Größe dafür ist die Umfeldleuchtdichte. Um diesen Werten zu entsprechen, müssen bei reduzierten Beleuchtungsstärken die Reflexionsgrade des Materials ange­ hoben werden. Abb. 378 zeigt den Energiebedarf für ein Großraumbüro mit einer All­ gemeinbeleuchtung von Em = 800–1.000 lx gegenüber dem Beispiel mit zonierter Beleuchtung, bei der es durch den Zonierungsvorgang gelungen ist, die mittlere horizontale Beleuchtungsstärke auf ca. 500 lx zu reduzie­ ren (Abb. 379). Für unser Beispiel mit Zonierung wurde ein Großraumbüro mit eingebauten Spiegelreflektorsystemen mit einem Leuchtenwirkungs­ grad von ηL = 65 % beleuchtet. Durch sorgfältige Auswahl der Einrichtung und durch genaue Milieuvorstellung ist es möglich, den Energiebedarf um 20–40 % zu reduzieren. Die Möglichkeit, Energie zu sparen, besteht darin, den spezifischen Bezug der Helligkeitsausrichtung auf den Arbeitsbereich zu schaffen und dabei den notwendigen Sehbereich zu erfassen. Dadurch werden die Umge­ bungsbereiche größer und damit verbunden der Anteil der Umgebungs­ leuchtdichte. Blendung und Ablenkung können besser vermieden und das individuelle Erkennen der Arbeitszone kann optimiert werden.

5.2.7  Auswirkung auf das Licht- und Raummilieu Abb. 383 zeigt eine allgemeine Raumausleuchtung mit Emh ≈ 600 lx und einer Zonierung mittels Pendelleuchte über der Arbeitsfläche von ca. ­Ezonal ≈ 1.000 lx. Durch die Blendfreiheit des Leuchtensystems sind die Hel­ ligkeitsdifferenzen im Erscheinungsbild nicht wahrnehmbar, wirken sich jedoch positiv auf die visuelle Leistung aus. In Abb. 384 hingegen ist die Zonierung bewusst deutlich erkennbar ausgebildet und dominiert das Er­ scheinungsbild. Wir erkennen anhand der Abbildungsreihe, dass die Leuchtdichtedif­ ferenzen zwischen Zonierung und Allgemeinbeleuchtung nicht deutlich er­ kennbar sind, wenn das Verhältnis zwischen Infeld und primärem Umfeld LI : LU nicht über 5 : 1 liegt. Das liegt daran, dass bei höheren Leuchtdichte­ niveaus (> 100 cd/m²) Helligkeitsunterschiede immer weniger erkennbar werden. In diesem Kapitel beziehen sich die beschriebenen Systeme und Aus­ führungen auf ein Großraumbüro, was natürlich auch in angepasster Form für kleinere Gruppen- bzw. Einzelbüros umgelegt werden kann. 376

Kapitel 5

Abb. 379

Abb. 380 Zonierte Allgemeinbeleuchtung auf Basis des Milieus 2. Die mittlere Beleuchtungsstärke von 500 lx auf den gesamten Raum bezogen ist die Grundlage für den Energieaufwand und ergibt sich durch den Zonierungsvorgang, der den Energiebedarf reduziert. Die Zonierung besteht in der spezifischen Zuordnung der Helligkeitsbereiche in den Arbeits-, Aufenthalts-, Besprechungsund Verkehrszonen, die sich aus den verschiedenen visuellen Tätigkeitsabläufen ergeben. Damit ist es möglich, bei ausreichenden Sehbedingungen den Energiebedarf zu reduzieren.

Abb. 381 Zonierter Arbeitsbereich in einem Großraumbüro durch Zuordnung der Leuchten mit ­gerichteter ­Strahlungsverteilung und Halogen-­ Metalldampflampen.

Kunstlicht

377

Abb. 382 Die Zonierung der Arbeitsplätze erfolgt mittels in die Decke integrierter Leuchten mit einer Lichtverteilung von 2 × 30° und Leuchtstofflampen in Ringform.

Abb. 383 Das Großraumbüro erhält eine Allgemeinbeleuchtung und Zonie­ rungen durch Pendelleuchten mit Leuchtstofflampen in Ringform über den Arbeitsplätzen.

Einzelbüros sind vorwiegend nach außen und zum Tageslicht hin orien­ tierte Räume. Das Kunstlicht muss sich demnach dieser Tageslichtorientie­ rung anpassen und hat die vorwiegende Aufgabe, das Tageslicht zu er­ gänzen. Das lässt sich mit einer zonierten Beleuchtung der Arbeitsfläche und der unmittelbaren Umgebung sowie mit reduzierten Intensitäten in den Verkehrsbereichen problemlos lösen. Arbeitsplatzbezogene Leuch­ tensysteme im Sinne von Abb. 383 und 384 würden im Widerspruch zur Tages­licht­anpassung und zum Charakter des Raums stehen, da sie durch ihre Präsenz auf das Fehlen von Tageslicht aufmerksam machen (siehe Kapitel 1.4.2). 378

Kapitel 5

Abb. 384 Die zonierte Ausleuchtung erfolgt durch die zugeordneten punktför­ mig strahlenden Glasstableuchten (Halogen-Metalldampflampen) im unmittelbaren Sitzungsbereich.

5.2.8  Visueller Einfluss durch Lichtquellen, Lichtsysteme, ­Materialien, Farben und Farborte Die Definition und die Zusammenhänge des Primär- und Sekundärlichts, den Einfluss des Materials mit seiner Oberflächenbeschaffenheit und seine Auswirkung auf die visuelle Informationsvermittlung habe ich bereits ausführ­lich beschrieben. Die Komponenten wie spektrale Verteilung und Farbort wurden ebenfalls erwähnt und werden nun im Folgenden genauer behandelt. Ich möchte hier erneut kurz anführen, dass das ­primäre Licht die Ursache der Beleuchtung, nicht aber seine Wirkung ist. Das p ­ rimäre Licht ist das Licht, das die Lichtquelle abstrahlt. Im erweiterten Sinn kann unter Primärlicht die Lichtquelle, die Leuchte oder das Lichtsystem v­erstanden werden.

Lichtquellen und Lichtsysteme Die Kriterien für die Bewertung einer Lichtquelle/eines Leuchtmittels sind: • die Lichtausbeute, • die Lichtverteilung, • die Geometrie, • die Leuchtdichte und Leuchtdichteverteilung, • die Lebensdauer, • die Betriebsart • die Lage des Leuchtmittels, • die Regelfähigkeit, • die Betriebsgeräte, • das Temperaturverhalten, • die spektrale Verteilung, • die Farbtemperatur, • die Investitionskosten und • die Betriebskosten. Kunstlicht

379

Abb. 385 Lichttechnische Kennwerte zur Übersicht der im Beitrag ­dargestellten Lichtquellen.

Die Kriterien einer Leuchte oder eines Lichtsystems sind: • die Art der Lichtquelle, • die Lichtverteilung, • der Leuchtenbetriebswirkungsgrad, • die mittlere Eigenleuchtdichte, • der Lichtdruck, • die Geometrie, • die elektrische Betriebsweise und Bedingungen, • die Schutzart, • die Investitionskosten und • die Betriebskosten. Die Leuchtmittel und die Leuchte selbst sind in der Anwendung immer als Ganzes zu sehen. Da die Entwicklung der Lichtquellen progressiv voran­ schreitet und damit natürlich auch die Lichtsysteme selbst mit ihren licht­ technischen Kriterien, werde ich in diesem Beitrag diese Veränderungen und ihre Wirkungsweise auf die jeweilige Anwendung beschränken. Ich bemühe mich, die Veränderungen, die sich aus den begleitenden Über­ legungen für die Zukunft ergeben, hypothetisch einzubeziehen. Die an­ geführten lichttechnischen Daten sind auf den aktuellen Stand der Technik bezogen, und Lichtquellen und ihre Systeme, die ich als nicht zukunfts­ orientiert betrachte, werde ich auch nur begrenzt darstellen.

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Kapitel 5

Abb. 386 Temperaturstrahler Glühlampe (links oben), Halogen-Glühlampe Hochvolt (rechts oben) und Halogen-Glühlampe Niedervolt (rechts).

Abb. 387 Spektraler Verlauf einer Halogen-Glühlampe 100 W / 12 V (Temperaturstrahler – kontinuierliches Spektrum).

5.2.8.1  Die Temperaturstrahler Glühlampe und Halogen-Glühlampe Das erste elektrische Leuchtmittel mit seiner weltweit größten Verbreitung ist die klassische Glühlampe. Ihre Lichtausbeute von ca.10 lm/W, und ihre Lebensdauer von ca. 1.000 Brennstunden machen sie im Grunde unwirt­ schaftlich hinsichtlich der Betriebskosten. Die daraus entstandene Halo­ gen-Glühlampe hat eine Lichtausbeute von 20–30 lm/W und eine durch­ schnittliche Lebensdauer von ca. 2.000–4.000 Brennstunden. Sie ist damit um einiges effizienter und wirtschaftlicher als die Glühlampe, im Verhältnis zu anderen Lichtquellen jedoch immer noch relativ unwirtschaftlich. Doch Kunstlicht

381

Abb. 388 Beispiele des sogenannten JuniorStrahlers (Aufbau, Pendel und ­Einbau) mit Aluminiumreflektor und teilbedampftem Glasreflektor.

durch ihre Anwendung vorwiegend im Wohnbereich und ihre allgemeine Akzeptanz ist sie bis jetzt nicht leicht zu ersetzen. Sie verdankt diesen Um­ stand ihrem kontinuierlichen Spektrum, das dem Feuer ähnlich ist und an das wir Menschen seit Jahrtausenden angepasst sind. Ihr Licht erzeugt be­ grenzte Helligkeit, hohe Brillanz, gewohnte Schattigkeit, typische spektrale Verteilung (Plank’scher Strahler) und hat eine niedrigere Farbtemperatur. Ebenso besticht sie durch ihre Kleinheit, was sich auf die Geometrie und das Design der Leuchte auswirkt. Im Folgenden möchte ich Beispiele von Leuchtensystemen für NiedervoltHalogen-Glühlampen zeigen, die mit ihren Eigenschaften wie Lichtaus­ beute, Lebensdauer und geringer Abmessung ein breites Spektrum an Ein­ satzmöglichkeiten bieten. Diese Systemtechnik wurde bereits vor ca. 40 Jahren für die NiedervoltTechnologie entwickelt und produziert. Es ist ein direkt strahlendes Reflek­ torsystem, das bereits in einem Strahlungsbereich von 2 × 20° bis 2 × 30° 382

Kapitel 5

Abb. 389 Funktionsprinzip und Lichtverteilung eines Junior-Strahlers 30°.

Abb. 390 Beispiel eines Vortragssaals mit Junior-Strahlern als Allgemein­ beleuchtung.

Abb. 391 Beispiel eines Kinosaals mit JuniorStrahlern.

Kunstlicht

383

Abb. 392 Beispiel des sogenannten ­Nautilus-Ellipsenstrahlers (Einbau und Aufbau).

384

Kapitel 5

Abb. 393 Funktionsprinzip und Lichtverteilung eines Nautilus-Ellipsenstrahlers.

blendungsfrei wirksam ist und jegliche Streustrahlung über den Strahlungs­ bereich hinaus vermeidet. Es ist dadurch möglich, effektiv höhere Infeld­ leuchtdichten bei geringer Umgebungsleuchtdichte zu erzielen, und ent­ spricht damit genau meiner Philosophie: Das zu Beleuchtende soll heller sein als die Leuchte und das Umfeld. Wir haben diese Systemart laufend weiterentwickelt und ­perfektioniert, um die Leuchte als Objekt noch weiter in den Hintergrund treten zu ­lassen und die Ablenkung im Raum durch das System weiter reduzieren zu ­können. Es entstand dadurch ein Ellipsoid-Strahler, den wir NautilusStrahler nannten. Dieser sogenannte Nautilus-Strahler hat sich in unseren realisierten Projek­ ten über ca. 50 Jahre bewährt und ist in angepasster Form für die Licht­ quellen Halogen-Metalldampflampen und LEDs nach wie vor sehr aktuell. Durch die kleine Lichtaustrittsöffnung und die damit einhergehende Blen­ dungsfreiheit lassen sich Ablenkungen auch hier sehr gut vermeiden.

Abb. 394 Die Lichtquelle befindet sich in einem Reflektor, dem sogenannten „Gegenreflektor“, und strahlt über eine darüber liegende spreizend reflektierende Reflektorfläche (eben oder gekrümmt) in den Raum. Der direkte Einblick in die Lichtquelle wird ver­ hindert und durch ein virtuelles Bild unscharf bzw. aufgelöst.

Kunstlicht

385

Abb. 395 Sekundärleuchte „Monofokus“.

Abb. 396 Sekundärleuchte „Visus“.

Abb. 397 Glasstableuchte mit HalogenGlühlampe.

386

Kapitel 5

Abb. 398 Funktionsprinzip der Glasstabtech­ nik symmetrisch und asymmetrisch.

Als Erweiterung der direkten Strahlung gilt das Sekundärsystem, wel­ ches bei aktiven visuellen Wahrnehmungsvorgängen die hohe Eigenleucht­ dichte auch im Strahlungsbereich der Lichtquelle weiter reduziert. Eine weitere Strahlungsart ist die Nutzung der Totalreflexion in klaren Glasstäben. Ihr Kriterium ist die Lichtdurchlässigkeit und die große Licht­ menge durch Parallelstrahlung. Durch das Medium Glas werden die Infra­ rotstrahlen der Lichtquelle gefiltert und verhindert, was besonders in der Konservatorik bei der Beleuchtung von Museen, Galerien, Ausstellungen etc. eine große Rolle spielt. In den Jahren vor der LED-Technologie war dies ein sehr empfindliches Thema und hat uns Planer immer wieder vor große Herausforderungen gestellt. In weiterer Folge entstanden die Linsenleuchten/Linsenluster, welche die primäre Strahlung (Parallelstrahlung) mit einem Linsensystem ergänzen (Abb. 401). Der direkte Lichtkegel wird mithilfe von Linsen verkleinert oder vergrößert, und durch die Zerlegung der Strahlung entsteht weitgehende Blendungsfreiheit (Abb. 402, 403). Der indirekte Anteil sorgt für eine vertikale störungsfreie Beleuchtungsstärke im Raum. Die Linse verhindert ebenfalls die direkte Infrarot-Strahlung. Die Anordnung und Anzahl der Linsen kann an das jeweilige Lichtkonzept angepasst werden. Bei dieser Systemart kann durch die Veränderung des Reflektors und/oder der Linsen Kunstlicht

387

Abb. 399 Lichtpunktzerlegung durch ­Glasleitung.

Abb. 400 Systemprinzip zu Abb. 399.

388

Kapitel 5

Abb. 401 Hier sieht man das „Grund­ element“ eines Linsenstrahlers. Die Parallelstrahlung des Werfer­ systems erreicht durch die ab­ gehängte Linse blendungsfrei die geforderte Lichtverteilung (hoher Wirkungsgrad).

Abb. 402 Hier sehen wir einen Linsenluster. Die zentrale Parallelstrahlung des Werfers (punktförmig, HalogenGlühlampe oder Halogen-Metall­ dampflampe) erreicht durch das Linsensystem die notwendige Licht­ verteilung. Die Anzahl der Linsen bewirkt die Lichtpunktzerlegung, die Linsen illuminieren, sorgen für Blendfreiheit und weisen einen hohen Wirkungsgrad auf.

Abb. 403 Unteransicht des Linsenlusters aus Abb. 402. Kunstlicht

389

Abb. 404 Beispiele für asymmetrische Reflektortypen.

die direkte Lichtabstrahlung asymmetrisch erfolgen. Ebenso weist sie hohe Wirkungsgrade auf. Die aufgezeigten Leuchtensysteme beziehen sich deshalb auf die Halo­ gen-­­Glühlampe, da sie aus einer Zeit stammen, wo dieses Leuchtmittel den Markt beherrschte und mannigfaltige Möglichkeiten hinsichtlich der Reflektortechnik bot. Ich möchte mich nun kurz dem Thema der Gasentladungslampen widmen. Wie der Name bereits andeutet, basiert bei dieser die Lichterzeugung auf dem Prinzip der Gasentladung, also dem Stromfluss in Gasen. Solche Lichtquellen sind: • Niederdruck-Entladungslampen wie z. B. Leuchtstofflampen, • Hochdruck-Entladungslampen wie z. B. Halogen-Metalldampflampen, • Natriumdampf-Hochdrucklampen und • Quecksilberdampf-Hochdrucklampen.

5.2.8.2  Die Halogen-Metalldampflampe Die Lichterzeugung bei diesem Leuchtmittel geschieht durch Gas­entladung unter Hochdruck. Unter Beimischen seltener Erden vermischt sich das ­Lichtspektrum. Da diese Leuchtmittel auf kleinstem Raum sehr hohe Licht­ ströme abstrahlen, treten im Brennerbereich Leuchtdichten von bis zu 60  ×  10⁶  cd/m² auf. Mithilfe dieser Leuchtmittel kann bei hoher Brillanz auch maximale Wirkung erzielt werden. Die kleine Brennergeometrie ermöglicht relativ kleine Reflektortypen, die jedoch aufgrund der hohen Leistung besonders hochwertig optisch angepasst werden müssen, um die hohen Lichtströme optimal transportieren zu können. 390

Kapitel 5

Abb. 405 Halogen-Metalldampflampe zweiseitig ­gesockelt (links oben), Halogen-Metalldampf­ lampe einseitig gesockelt (rechts oben) und Hochdruck-Entladungslampe mit E27-Gewinde (rechts).

Abb. 406 Spektrale Verteilung von Hochdruck-Entladungslampen HQI-TS NDL (links) und HQI-TS WDL (rechts).

Kunstlicht

391

Abb. 407 Die Halogen-Metalldampflampe benötigt eine hochwertige Optik mit hohem Wirkungsgrad, einen UV- und IR-Filter sowie eine Linse, welche die Leuchtdichte der Lampe durch Lichtpunktzerlegung in viele einzelne Lichtpunkte aufteilt. So wird beim Blick in den Strahlungskegel die enorme Leuchtdichte aufgeteilt und minimiert und die Blendung sowie der Lichtdruck stark reduziert. Durch eine angepasste Verteilungslinse wird das Licht in die gewünschte Lichtverteilung transferiert.

Abb. 408 Leuchtensystem mit Linsenoptik und Lichtpunktzerlegung.

Abb. 409 Unteransicht einer Zerlegungslinse mit Blick in den Strahlungskegel.

392

Kapitel 5

Abb. 410 Doppel-Brennpunkt-System (­Nautilus-Ellipsenstrahler) für Halogen-Metalldampflampe, ­symmetrisch strahlend.

Abb. 411 Nautilus-Strahler für Halogen-­ Metalldampflampe, asymmetrisch strahlend.

Abb. 412 Beispiel eines Linsenlusters als ­Beleuchtung eines Entrees.

Kunstlicht

393

Abb. 413 Linsenluster als Treppenhaus­ beleuchtung.

Wie aus der Tabelle in Abb. 385 hervorgeht, haben die Halogen-Metall­ dampflampen eine hohe Lichtausbeute bei mittlerer Lebensdauer, was sie zu einem wirtschaftlichen Leuchtmittel macht. Ihr Leistungspaket umfasst 20–2.000 W, und sie decken durch ihre kompakte Form und Punktförmig­ keit ein breites Anwendungsgebiet ab. Ihre Verläufe in den niederen Farb­ temperaturen jedoch sind noch diskontinuierlich, weshalb sie trotz ihrer hohen Wirtschaftlichkeit die Temperaturstrahler nicht ersetzen ­können. Den­ noch sind sie nach wie vor ein hochwertiges und vielschichtig einsetzbares System und für die Lichttechnik und Lichtgestaltung von großer Bedeutung. Durch die Lichtpunktzerlegung in der Linse, wird die mittlere Leuchtdichte des Systems stark reduziert (z. B. Abb. 403). Der primäre ­Parallelstrahl wird durch das Linsensystem aufgeteilt, und die Teillichtströme werden in die entsprechenden Nutzungsbereiche gelenkt.

394

Kapitel 5

5.2.8.3  Die Leuchtstofflampe Bei der Leuchtstofflampe geschieht die Lichterzeugung mithilfe von Edel­ gasen und Quecksilber an der Innenseite des Lichtrohrs, welche mittels zweier Glühelektroden in Licht umgewandelt werden. Durch die unter­ schiedlichen Leuchtstoffe können die spektralen Verläufe und die Farb­ temperatur bestimmt werden. Auf dieser Lichtquelle basieren ca. 70 %

Abb. 414 Leuchtstofflampe T8 (Ø 26 mm) (links) und Leuchtstofflampe T5 (Ø 16 mm) (rechts).

Abb. 415 Leuchtstofflampe in Ringform (rechts oben), Kompaktleuchtstofflampe (rechts unten) und Energiesparlampe (links). Kunstlicht

395

Abb. 416 Spektrale Verteilung von Leuchtstofflampen.

Abb. 417 Allgemeinbeleuchtung in einem Großraumbüro mit direkt strahlen­ der Spiegelrasterleuchte. In dieser Anordnung wird eine mittlere horizontale Beleuchtungsstärke EhN ≈ 800–1.000 lx erreicht.

396

Kapitel 5

Abb. 418 Spiegelrasterleuchte mit Leucht­ stofflampe, Quer- und Längsaus­ blendlamellen, direkt strahlend 2 × 40°, blendungsfrei und mit hohem Wirkungsgrad.

Abb. 419 Lineare Spiegelrasterleuchte.

Abb. 420 Strahlungsprinzip Spiegelraster­ leuchte.

Kunstlicht

397

Abb. 421 Runde Spiegelrasterleuchte mit Leuchtstofflampe in Ringform.

Abb. 422 Die Abbildung zeigt eine lineare Sekundärreflektorleuchte asymme­ trisch strahlend (Leuchtstofflampe) mit Quer- und Längsausblendung. Bei dieser Systemtechnik wird der direkte Einblick in den Strahlungs­ bereich und auf die Lichtquelle verhindert, wodurch sich die Reflexblendung verringert.

Abb. 423 Strahlungsprinzip der linearen Sekundärreflektorleuchte.

des Kunstlichts weltweit, und sie ist sicher noch die am häufigsten ange­ wandte und wirtschaftlichste Lichtquelle. Sie ist prinzipiell als lineares Sys­ tem zu verstehen und in dieser Form am ertragreichsten – doch gibt es eine Vielfalt von Sonderformen. Ihre Eigenleuchtdichte ist im Vergleich zu anderen Leuchtmitteln gering, und ihre Strahlungswirkung erzeugt diffuse Erscheinungsbilder mit wenig Brillanz. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Lampenformen gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Leuchtenmodelle (rechteckig, quadratisch, rund, Addition etc.), die jedoch immer eine aus­ 398

Kapitel 5

Abb. 424 Runde Sekundärreflektorleuchte mit Längsausblendung und Leucht­ stofflampe in Ringform. Auch hier ist kein direkter Einblick in den Strahlungsbereich der Lichtquelle möglich.

Abb. 425 Strahlungsprinzip einer runden Sekundärreflektorleuchte.

Abb. 426 Allgemeinbeleuchtung eines Großraumbüros mit der ­runden Sekundärreflektorleuchte in Abb. 424. Kunstlicht

399

Abb. 427 Die Grafik zeigt unterschiedliche blendfreie Spiegel­ reflektorsysteme mit ihren Strahlungsarten sowohl für ­punktförmige (LED, Halogen-Metalldampflampen) als auch für lineare Lichtquellen.

gedehnte Geometrie benötigen. Ihre spektralen Verteilungen sind sehr komplex und reichen bis hin zu Farbigkeit. Sie sind jedoch immer von der Struktur der Linienspektren geprägt. Die Abbildungsreihe zeigt unterschiedliche Systemarten für lineare und runde Leuchtstofflampen, welche bei optimierten Wirkungsgraden Blend­ freiheit auch bei aktiver visueller Wahrnehmung garantieren, die Blendung im Strahlungskegel reduzieren und damit auch die Ablenkung verhindern. Diese Lichtquellen werden seit ca. 70 Jahren effizient eingesetzt und sind somit hinsichtlich ihrer Verwendung dominant. Es ist im Laufe der Jahre eine Vielzahl von Systemarten entstanden, und die Systeme, die ich in den Kapiteln immer wieder darstelle, sind entsprechend begrenzt und dienen zur Veranschaulichung. Sie erfüllen jedoch alle die Kriterien der visuel­ len Wahrnehmung und sorgen für eine einwandfreie Infeldbeleuchtung, sind wirtschaftlich optimiert, durch ihre angepasste Reflektortechnik blend­ frei und optimal an den Umgebungsleuchtdichtebereich angepasst. Sie ­wurden in den letzten Jahrzehnten vielfach eingesetzt und werden auch aktuell nach wie vor angewandt.

400

Kapitel 5

5.2.8.4  Die Leuchtdiode – LED Die Lichterzeugung der LEDs (= Licht emittierende Dioden) erfolgt so, dass die elektrische Energie direkt in Licht umgewandelt wird. Die den einzel­ nen Systemen entsprechenden spektralen Verteilungen sind spezifisch. Da die Lichtstrompakete pro Einheit mit ca. 20–120 lm je nach Leistung (0,1–3 W) nur gering sind, ist eine Addition des Systems für Beleuchtungs­ zwecke erforderlich. Ihre unkomplizierte Regelfähigkeit ermöglicht den ge­

Abb. 428 Leuchtdioden in einigen ihrer unterschiedlichen Größen und Formen.

Abb. 429 Die Abbildung zeigt einen Raum aus dem Jahre 2000, der anläss­ lich einer Architekturausstellung aufgebaut wurde und in dem ein blendfreies LED-System mit additiver Lichtmischung zur An­ wendung kam. Es standen damals ausschließlich farbige LEDs (RGB) zur Verfügung.

Kunstlicht

401

Abb. 430 Strahlungsverlauf und Darstellung eines „Linsenreflektors“. Die Beson­ derheit dieses Ellipsen-Reflektorsystems ist die kleine Austrittsöffnung, mit der es möglich ist, die zu beleuchtenden Bereiche von jeglicher Ablenkung zu befreien. Das System hat einen hohen Wirkungsgrad von ηL = 80 %.

Abb. 431 LED-Beleuchtung mittels EllipsenStrahler.

mischten Einsatz der einzelnen LED-Typen in einem Leuchtensystem, und es können Intensität und Lichtfarbe an das jeweilige Erscheinungsbild an­ gepasst werden. Die LED entwickelt sich unentwegt weiter, und genaue Angaben können daher kaum getroffen werden. Selbst in der Zeitspanne vom Schreiben dieser Zeilen bis zum Erscheinen des Buches werden sich technische Daten erneut verändert haben. Die LED hat den Leuchtenmarkt bereits vor einigen Jahren erobert und revolutioniert durch ihre Flexibilität und Vielseitigkeit bei der Schaffung un­ terschiedlicher Lichtmilieus, ihre geringen Abmessungen (Punktförmigkeit) und durch ihre Wirtschaftlichkeit hinsichtlich der Betriebskosten und ihrer Lebensdauer. Ein weiterer Vorteil ist die geringe Strahlungswärme und die 402

Kapitel 5

fehlende UV- und IR-Strahlung. Die allgemeine Aussage, dass die LED keine Wärme erzeugt, ist nicht korrekt, da sie sehr wohl Wärme am System selbst erzeugt, die abgeführt werden muss. In Abb. 398 ist zu sehen, dass diese Lichtquelle die höchste Lichtausbeute und die längste Lebensdauer hat. Die LED steht meiner Meinung nach erst am Anfang ihrer Entwicklung, und ihre progressive Weiterentwicklung lässt uns noch viel erwarten. Das freut mich persönlich sehr, denn bereits vor vielen Jahren habe ich mich in­ tensiv mit dieser neuen Lichtquelle auseinandergesetzt und sie als Zukunft für die Licht- und Leuchtenbranche gesehen (Abb. 429). Die Vorteile der LEDs für die Leuchtensysteme sind: • kleine Geometrie, • individuelles Leuchtendesign, • geringe Wärmeentwicklung, • Dimmbarkeit von 0 bis 100 %, • Dimmbarkeit ohne Farbveränderung, • regelbare Lichtfarben (bei LED-Kombination), • hohe Brillanz, • extrem lange Lebensdauer, • stark verringerte Wartungskosten und • geringer Energieverbrauch. Die Idee, eine Lichtdiode als Lichtquelle für die Beleuchtungstechnik zu konfektionieren, ist absolut gelungen und hat der Lichttechnik und Leuch­ tenindustrie eine neue Dimension eröffnet. Wir befinden uns in einer Phase, in der mit großem Interesse und mit hoher Geschwindigkeit die Möglich­ keiten der LED-Beleuchtung genutzt werden, und so entstehen laufend neue Ansätze und kreative Produkte. Die Vorteile der LED habe ich bereits aufgelistet, doch ich möchte noch verstärkt auf die hohen Leuchtdichten eingehen. Diese erfordern ein optisch hochwertig angepasstes Leuchtensystem, denn die fehlgeleitete Streustrahlung hat bereits hohe Eigenleuchtdichten, die sogar im Promille­ bereich schon über 103–104 cd/m² betragen können. Die Folge ist Blen­ dung, Ablenkung, und das Leuchtensystem dominiert im negativen Sinne das Licht- und Raummilieu. Mögliche Systemtechniken können auf Basis der Reflektortechnik oder mittels Prismen-Linsen-Elementen erfolgen oder als Kombination beider Prinzipien. So lässt sich beispielsweise das Prinzip des Ellipsen-Strahlers für die LED-Technologie umwandeln (Abb. 430), und es erlangt eine Optimie­ rung hinsichtlich Optik, Wirkung, Wirtschaftlichkeit und Erscheinungsbild. Die dadurch entstehenden Leuchten können unauffällig in die Umgebung integriert werden, sodass sie Bestandteil derselben werden und Blendung und Ablenkungsvorgänge nicht mehr auftreten (Abb. 430, 431). Es gibt bereits eine Reihe unterschiedlicher Leuchten, die unter Einbezie­ hen des Erscheinungsbildes und des Licht- und Raummilieus auf die Indi­ vidualität der visuellen Tätigkeiten ausgerichtet sind. Um die LED mit ihrer Komplexität sinnvoll einsetzen und ihre Flexibilität hinsichtlich Leistung, Farbtemperatur und spektralem Verlauf nutzen zu können, ist eine Reihe von Leuchten mit symmetrischer und asymmetrischer Lichtverteilung in nie­ der- bis hochlumigen Einheiten entstanden. Um die Vorteile der LED zu erhalten, sind die niederlumigen Einheiten als Addition im Gegensatz zu den hochlumigen größeren Einheiten eine neue Möglichkeit. Bei der An­ wendung der LED ist besonders darauf zu achten, dass an der Optik der Leuchtensysteme möglichst wenig Streustrahlung entsteht, da die Eigen­ leuchtdichte dieser Lichtquelle sehr hoch ist und Störungen in Form von Kunstlicht

403

Abb. 432 „Einzel-LED“ und in Addition.

Abb. 433 Handelsübliche Beispiele von LED-Systemen.

404

Kapitel 5

Abb. 434 Symmetrisch strahlende Linsen­ optik.

Abb. 435 Asymmetrisch strahlendes Reflektorsystem mit Lichtverteilung.

Abb. 436 Lineare Anordnung der LED-­ Einbaustrahler, symmetrisch strahlend.

Kunstlicht

405

Abb. 437 LED-Einbaustrahler in linearer Anordnung.

Abb. 438 LED-Einbaustrahler.

Streulicht und unerwünschten Illuminationen bereits bei geringen Streu­ anteilen (Promille) auftreten. Allgemein ist die Optik der LED präziser hin­ sichtlich der Strahlungsverläufe, das System ist filigran, und die Wärme­ ableitung ist unproblematisch. Das Achten auf UV- und Infrarotstrahlung kann vernachlässigt werden. Mit dem gesteigerten Interesse an der LED geht die Entstehung vieler Varianten und Abarten einher wie z. B. die Form der „klassischen“ Glüh­ birne etc. Die sehr kleine Form mit all ihren Vorteilen verliert durch diese unnatürliche und unnötige Verzerrung ihren Charakter und ihre Besonder­ heiten. Ich denke, die Beispiele in Abb. 433 sprechen für sich. Im Folgenden zeige ich flächig und linear angeordnete Beispiele, welche in ihrer Addition die gewünschte Lichtmenge, die geeignete Verteilung und die gestalterische Anpassung im funktionellen Sinne ermöglichen. 406

Kapitel 5

Abb. 439 Direkt und symmetrisch strahlendes ­LED-Spiegelreflektorsystem.

Es handelt sich um ein direktes symmetrisch und asymmetrisch strahlen­ des Reflektorsystem (Freiform-System) mit additiv angeordneten Lichtquel­ len, das eine umfangreiche Differenzierung der Leistung und Lichtfarbe ermöglicht. Die aufgezeigten Beispiele in Abb. 434–439 ermöglichen hohe In­ feldhelligkeiten bei einem geringen energetischen Leistungsaufwand. Es wird ein Licht- und Raummilieu geschaffen, das einen optimierten visuellen Wahrnehmungsablauf gewährleistet und die Differenzierung von Hellig­ keiten (Zonierung) und Farborten blend- und ablenkungsfrei auf wesent­ licher Basis ermöglicht. Die in Abb. 440 dargestellte Operationsleuchte haben wir vor vielen Jahren mit der Firma Trumpf entwickelt. Parallel strahlende LED-Reflektor­ einheiten wurden addiert, und es entstand ein Scheinwerfer mit hohem Lumenpaket. Kunstlicht

407

Abb. 440 Operationsleuchte für Firma Trumpf.

Dieses Leuchtensystem war eine große Herausforderung – ganz beson­ ders zur damaligen Zeit –, und die Aufgabenstellung war umfangreich: Es mussten sehr hohe und variable Beleuchtungsstärken in unterschiedlichen Infeldbereichen erzeugt werden, es durfte keine Wärme entstehen, und die Lichtfarben und Strahlungsrichtungen mussten differenzierbar einge­ stellt werden können. Aufgrund der Eigenschaften der LED und der additi­ ven Anordnung konnten wir all diese Anforderungen erfüllen. Die Leuchte wurde realisiert, findet großen Zuspruch und wird laufend dem aktuellen Stand der Technologie angepasst. Dieses Prinzip lässt sich auch auf die allgemeine Scheinwerfertechnik übertragen, wodurch neue Systeme mit erweitertem und vielschichtigem Wirkungsbereich entstehen können. 408

Kapitel 5

Die Darstellung von LED-Systemen und ihre Anwendungen sehe ich ledig­ lich als gedankliche Anregung, denn wir stehen erst am Beginn der LEDEntwicklung, die weiterhin progressiv voranschreitet. Es ist jedoch von Be­ deutung und meiner Ansicht nach sogar eine Notwendigkeit, die Licht­ systeme auf Basis der Zielsetzung zu realisierender Projekte zu konzipieren und sie darauf auszurichten, um optimale visuelle Wahrnehmungsabläufe zu erhalten.

5.3  Identität eines Verwaltungsgebäudes durch Licht Im Folgenden möchte ich die visuellen Abläufe am Beispiel eines Verwal­ tungsgebäudes mit seinen komplexen und individuellen Anforderungen aufzeigen.

5.3.1  Allgemeines Wir wissen, dass es für die Konzeption einer Beleuchtungsanlage not­ wendig ist, die Zielsetzungen für individuell geprägte Raumtypen und die Erwartung an die jeweiligen Raummilieus zu definieren. Die visuellen ­Aufgaben werden ermittelt, und daraus wird dann die Realisierung kon­ zipiert. Ein Verwaltungsgebäude beinhaltet unterschiedlich genutzte Bereiche, wobei sicherlich die Arbeits-/Bürozonen quantitativ dominieren. Sie wer­ den erweitert durch • Flure und Verkehrszonen, • Aufzugsbereiche, • Warte- und Aufenthaltszonen und • Treppenhäuser. Individuell zugeordnete Räume sind • Speiseräume und Kantinen, • Sitzungs- und Konferenzräume, • Foyers, • Sanitärbereiche und • die Vorstandsetagen mit ihren Sonderräumen. Eine Besonderheit stellen die • Eingangshallen, • Innenhöfe und • Außenansicht (Fassade und Umgebung) eines Gebäudes dar. Eine Besonderheit deshalb, da in diesen Bereichen das „Außen“ mit dem „Innen“ eines Gebäudes verbunden wird. Die Nutzung all dieser Raumzonen ist sehr differenziert, und das gilt auch für die visuelle Aufgabenstellung. Die Aufgaben in den Arbeits-/Büro­zonen erfordern hohe Sehleistung, welcher durch spezifische und optimierte Be­ leuchtung entsprochen werden muss. Die Verkehrszonen und Aufenthalts­ bereiche sind entsprechend der Wahrnehmungsstufe hinsichtlich Orien­ tierung, Erwartungshaltung und der gestalterischen Anforderungen zu beleuchten. In den Eingangsbereichen und Innenhöfen sind die Tages­ lichtrhythmen sowie der Nachtzustand mit seinem visuellen Erscheinungs­ bild zu berücksichtigen, sowohl im Inneren des Gebäudes als auch beim Außenbezug, der Fassade und der unmittelbaren Umgebung. Kunstlicht

409

Es ist also bei der „Identität eines Gebäudes durch Licht“ ein ganzheit­ liches Konzept zu erstellen, welches der Nutzung und dem gewünschten Erscheinungsbild entspricht. Im Folgenden die gesamte und detaillierte Gestaltungsvielfalt zu er­ arbeiten ist natürlich nicht möglich, doch möchte ich prinzipielle Tenden­ zen aufzeigen.

5.3.2 Verkehrsbereiche Damit sind die unmittelbaren Verkehrszonen gemeint, welche die Arbeits­ räume erschließen wie • Flure, • Wartebereiche, • Aufenthaltszonen, • Aufzugsvorräume und • Treppenhäuser.

5.3.2.1  Flure, Wartebereiche und Aufenthaltszonen Üblicherweise werden Flure gleichmäßig ausgeleuchtet. Die daran an­ geschlossenen Arbeitsbereiche sind meist gut tagesbelichtet und weisen den hohen visuellen Ansprüchen entsprechend große Helligkeiten auf. Das Kunstlicht in den Büroräumen passt sich diesem Helligkeitseindruck an, und somit haben diese Räume vorwiegend Beleuchtungsstärken von 500 bis 700 lx und eine Lichtfarbe von 4.000 bis 5.000 K. Die Flure hingegen stellen keine Aufgaben mit hohen visuellen An­ sprüchen und werden üblicherweise mit ca. 1/3–1/4 der Bürohelligkeit kon­ zipiert. Die meisten Verkehrsbereiche werden sowohl mit Tages- als auch mit Kunstlicht eher vernachlässigt, und es entsteht häufig ein eintöniges, fahles und dämmrig wirkendes Lichtmilieu, was noch durch die Verwen­ dung von einfachen und billigen Beleuchtungskörpern verstärkt wird. Be­ dauerlicherweise unterstützen auch die Empfehlungen der DIN-Norm die­ sen Trend. Meiner Meinung nach sollten diese Bereiche jedoch bereits die „Wertig­ keit“ ihrer angrenzenden Räume spiegeln und im Grunde als deren Visiten­ karte gesehen werden. In vielen Fällen dienen sie bereits als Wartezone. Eine geringe Grundbeleuchtung kann zwar aufgrund der nicht sehr hohen Sehaufgaben ohne Weiteres angewendet werden, jedoch müssen wir darauf achten, dass durch die niederen Lichtniveaus keine Dämme­ rungserscheinungen entstehen. Ich empfehle daher, die allgemeine mittlere Helligkeit im gesamten Flurbereich in Warmton durch Zonen großer Helligkeit des Drei- bis Fünf­ fachen zu ergänzen, um den psychologisch wirksamen Helligkeitseindruck und eine bessere Milieuanpassung zu erreichen. Die Zonierungen sind an exponierten Stellen im Flurbereich vorzusehen wie Anfang und Ende der Verkehrszone, als Markierung von Kreuzungspunkten, vor Türen, Auf­ zügen, Sitzgruppen etc. Sie werden damit zur wesentlichen Gestaltungs­ motivation des Raums gemacht. Helligkeit bedeutet Leuchtdichte, und da diese unmittelbar von den reflektierenden Oberflächen abhängt, müssen die jeweiligen Materialien mit in die Betrachtung einbezogen werden. Weiters ist zu beachten, dass die Wahrnehmungsabläufe vorwiegend von den vertikalen Flächen gebildet werden. Bei der Wahl der Beleuchtungs­ systeme ist darauf zu achten, dass sich das Leuchtensystem den jeweiligen räumlichen Gegebenheiten anpasst und mit seiner Eigenleuchtdichte nicht zum Wesentlichen wird (Abb.  442, 443). In speziellen Fällen empfehle 410

Kapitel 5

Abb. 441 Konventionell beleuchteter Flur mit typisch monotonem Lichtmilieu.

Abb. 442 Der Flur erhält seine Lichtstruktur mittels Lichtfiguration.

ich, an den Leuchtensystemen sichtbare Prismen- oder Reflektorteile vorzu­ sehen, deren illuminierender Effekt eine gestalterische Unterstützung des Lichtmilieus schaffen kann. Verkehrszonen mit viel Tageslicht sollten so gestaltet werden, dass ihre Grundhelligkeit entsprechend den Tageslichthelligkeiten angehoben wird und mit Kunstlicht bei Dämmerung und bedecktem Himmel ergänzt wird. Hier sind Lichtfarben mit höheren Farbtemperaturen zu wählen. In der Nacht muss das Lichtmilieu verändert und damit ein eigenes Nachtmilieu geschaffen werden. Kunstlicht

411

Abb. 443 Die Beleuchtungssysteme mit ihren Lichtfigurationen an den Wänden kennzeichnen die Eingangsberei­ che zu den Sitzungsräumen.

Abb. 444 Ein asymmetrisch strahlendes Lichtsystem im Treppenauge be­ leuchtet die Treppenaufgänge. Durch die illuminierende Wirkung der Lichtsäule wird das innere Erscheinungsbild nach außen übertragen.

412

Kapitel 5

5.3.2.2  Aufzugsbereiche und Treppenhäuser Die Bereiche vor den Aufzügen sollten ein höheres Lichtniveau durch Zo­ nierungen erhalten, um sich von den umliegenden Zonen zu unterscheiden und auf sich aufmerksam zu machen. Im Aufzugsinneren muss das Licht­ niveau angepasst sein, damit nicht der Eindruck entsteht, vom Hellen ins Dunkle zu treten. Die Aufzugskabine selbst sollte mit entmaterialisierenden Materialien wie Glas und Spiegel ausgeführt werden, um das Gefühl des Eingeschlossenseins aufzuheben. Für die Treppenzugangsbereiche empfehlen sich erneut Zonierungen und partielle Aufhellungen, um die Treppe damit optisch und psychologisch zu unterstützen. Bei verglasten Treppenhäusern mit Verbindung nach außen gelten dieselben Empfehlungen wie bei tagesbelichteten Fluren. Es kommt hier jedoch noch der Aspekt hinzu, das Innere des Gebäudes nach außen hin darzustellen und ihm einen symbolischen Charakter zu geben (Abb. 444). Kurz möchte ich hier zusammenfassen, dass Verkehrsbereiche durch Zo­ nierungen und geeignete Lichtfarben und Lichtsysteme milieugerecht be­ leuchtet werden. Die Individualität der Verkehrsbereiche mit ihren Materia­ lien, Strukturen, Farben und Formen, kann durch Licht unterstützt werden. Eventuell fehlende Gestaltungskomponenten können durch zusätzliche Lichtfigurationen oder -strukturen ersetzt werden. Dabei ist jedoch unbe­ dingt darauf zu achten, dass eventuelle Illuminationen in ihrer Intensität so dimensioniert werden, dass sie keine Dominanz entwickeln und dadurch unter Umständen die Lichtplanung infrage gestellt wird.

5.3.3  Sitzungs-, Konferenz- und Speiseräume Auch hier sind die Empfehlungen der DIN-Norm allgemein gehalten und weisen auf die Individualität solcher Räume hin. Diese Raumtypen werden sehr häufig repräsentativ genutzt, und so ist das Beleuchtungsthema sub­ jektiv und wird komplex behandelt. Unser Büro hat gemeinsam mit der Firma Osram und der Universität Karls­ ruhe (Fakultät Architektur, Ottokar Uhl) eine Untersuchung durchgeführt, die sich mit den Beleuchtungsverhältnissen in Wohnräumen befasst (Halogeni­ sierung des Wohnraums). Die Ergebnisse dieser Untersuchung können wir für die folgenden Raumtypen heranziehen, speziell für die Tischzonen und ihre unmittelbare Umgebung, bei unterschiedlichen Tätigkeiten. Wir haben in der Studie eine große Anzahl Versuchspersonen unterschied­lichen Alters um einen Tisch gruppiert und ließen sie die Tätigkeiten Gespräch/Diskus­ sion, Lesen, Kartenspielen und Essen ausüben. Die Tests ­wurden mit hellen und dunklen Tischoberflächen und hellen und dunklen Wänden durchge­ führt, und die Probanden konnten bei der jeweiligen Tätig­keit die Hellig­ keiten des Tischbereichs und der Umgebung selbst ­einstellen. In der folgenden Tabelle finden wir die Zusammenfassung dieser Er­ gebnisse und erkennen deutlich die Helligkeitsdifferenzierung für die ­unterschiedlichen Tätigkeiten. Wir sehen deutlich, wie die Wände je nach Reflexionsgrad das Helligkeitsergebnis beeinflussen. Dasselbe gilt auch für die helle und die dunkle Tischoberfläche, die als Infeld die unmittel­ bare Umgebung beeinflussen. Anstelle von allgemein ausgeleuchteten Wänden können z. B. Bilder (oder Lichtfigurationen) mit einer partiellen Leuchtdichte L von 60 bis 80 cd/m² beleuchtet werden, wodurch die um­ gebende Wandfläche in ihrer Helligkeit stark reduziert werden kann. Kunstlicht

413

Abb. 445 Zusammenfassung der Ergebnisse der Versuchsreihe.

Bei der Betrachtung der einzelnen Raumtypen habe ich die Ergebnisse dieser Arbeit als Grundlage verwendet, wobei vorhandene Empfehlungen und Erfahrungen selbstverständlich miteinfließen (Abb. 445, 446). Die vorwiegenden Tätigkeiten an Tischen in Sitzungs-, Konferenz- und Speiseräumen sind Kommunikation, Schreiben, Lesen und Essen. In Konfe­ renzräumen werden zusätzlich noch Vorträge gehalten, bei welchen an­ schließend oder gleichzeitig kommuniziert wird. Sie sind meist von Präsen­ tationen an Leinwänden o. Ä. begleitet, und es wird an Bildschirmen ge­ arbeitet. Die Wände werden meist noch als erweiterte Darstellungsfläche verwendet. Für ein Beleuchtungskonzept bedeutet dies nun, dass in der horizonta­ len Ebene – also im Tischbereich – eine konstante und relativ hohe Beleuch­ 414

Kapitel 5

Abb. 446 Milieudarstellung mit weißer ­Tischdecke und brauner Wand. Dieses Milieu ist ein Resultat der Tabelle Abb. 445.

Abb. 447 Anhand der Gesichtsstudie wird erkennbar, wie sich das Erscheinungsbild bei unterschiedlichen vertikalen Beleuch­ tungsstärken ändert.

tungsstärke vorhanden sein muss. Das heißt, dass Beleuch­tungsstärken von 600 bis 1.000 lx und eine Leuchtdichte LI ≈ 100 bis 250 cd/m² Voraus­ setzung sind, um eine im gesamten Tischbereich ausreichende Infeldhel­ ligkeit zu erhalten (siehe Kapitel 3.5.8). Die Tischflächen sollten diffuse Materialien erhalten, um Reflexblendungen zu vermeiden. Auch sollte ihr Reflexionsgrad nicht zu hoch sein, um eine angepasste Umgebungshellig­ keit zu erlangen. Werden dennoch spiegelnde Materialien verwendet wie z. B. polierte Flächen oder im Extremfall Glas, so muss das Lichtsystem mit seiner Strahlungscharakteristik und Anordnung so ausgeführt werden, dass keine Reflexblendungen auftreten können. Das hat den Nachteil, dass wir bei der Anordnung und Wahl der Lichtsysteme bereits Zwängen unterlie­ gen und die Gestaltungsmöglichkeiten reduziert sind. Um die vorgegebenen Umgebungsleuchtdichten zu erhalten, kann der Kunstlicht

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Abb. 448 In Milieu 1 werden Leuchtstoff­ lampen mit „weißem“ Licht ver­ wendet. Die allgemeine Beleuch­ tungsstärke beträgt ca. 800 lx. Das System ist klar, einfach und funktionell und als Tageslichtmilieu aufzufassen.

Abb. 449 In Milieu 2 werden Halogen-­ Glühlampen („warm“) verwendet, die Helligkeit reduziert und die Verteilung zoniert. Die Beleuch­ tung ist illuminierend und dient als Nachtlicht.

Reflexionsgrad der umgebenden Materialien entsprechend angepasst oder die Beleuchtungsstärke der Umgebung durch Regelung (Schaltung) entsprechend variiert werden. Bei der Wahl der Beleuchtungssysteme ist darauf zu achten, dass ihre Vertikalkomponenten die auftretenden Leuchtdichten im Gesichtsbereich der Personen (Abb. 447) auf mindes­ tens 20–40  cd/m² bringen. Die Lichtsysteme müssen selbstverständlich blendfrei sein. Die Wandbereiche sind mit einer angepassten vertikalen Beleuchtungsstärke (EV > 300 lx) auszuleuchten, sodass die darauf be­ findlichen Exponate gut erkennbar sind. Auch die Reflexionsgrade der Wände sollten so dimensioniert sein, dass sie die unmittelbare Umgebung 416

Kapitel 5

zu den Infeldern der Tischfläche bilden (Theoretisches Leuchtdichtemodell, ­Kapitel 1.4). Aufgrund der unterschiedlichen Tätigkeiten in diesen Raumtypen variiert die visuelle Belastung stark, und die Intensitäten müssen unbedingt darauf abgestimmt werden, was durch Regelung der Lichtsysteme erreicht werden kann. Diese sind unbedingt blendfrei zu konzipieren, um Störungen der visuellen Abläufe zu vermeiden. Auch ist es empfehlenswert, eine Milieu­ differenzierung hinsichtlich der Lichtfarbe vorzunehmen. Ist gemeinsam mit der Milieudifferenzierung auch ein illuminierender Charakter gewünscht (z. B. für festliche Anlässe), so ist es notwendig, die entsprechenden Hellig­keitsschwellwerte im Bereich der Umgebungsleuchtdichte zu halten (Abb. 448, 449). Die in diesem Kapitel angeführten Helligkeitsbewertungen basieren auf der Grundlage des Theoretischen Leuchtdichtemodells (Kapitel 1.4) und werden durch die Ergebnisse der o. g. Studie (Abb. 445) ergänzt. Die an­ geführten Beispiele sind in diesem Sinne zu bewerten.

5.3.4  Kantinen, Firmenrestaurants Kantinen und Firmenrestaurants werden üblicherweise von einem großen Teil der MitarbeiterInnen eines Unternehmens genutzt. Die Esstische sind meist flexibel und variabel frei gestaltbar, sodass sie für unterschiedliche Veranstaltungen verwendet werden können. Meist haben die Esstische keinen individuell ausgeprägten Charakter, die Räume sind hell und gut tagesbelichtet. Aus der Tabelle in Abb. 445 ergibt sich nun für helle Tischflächen eine mittlere Beleuchtungsstärke von Em = 450 lx und für helle Wände eine Wandleuchtdichte von LW = 60–80 cd/m². Wesentlich für die Wahl der Beleuchtungssysteme ist, dass – neben der gleichmäßigen Allgemeinbe­ leuchtung – einwandfreie Farbwiedergabe und ausreichend Brillanz der Speisen, Getränke, Geschirr etc. erreicht wird, um ein optimales Erschei­ nungsbild zu gewährleisten. Die Systeme sollten daher direkt und blen­ dungsfrei strahlen und vorwiegend mit z. B. Halogen-Glühlampen, LEDs (weißes Licht am Tage, Warmton nachts) bestückt sein und illuminierenden Charakter (z. B. Linsensystem, Abb. 452) besitzen. Die Leuchtdichtediffe­ renzierung zwischen Infeld und Umfeld wird – da die Allgemeinbeleuch­ tung konstante Beleuchtungsstärken aufweist – durch die Reflexionsberei­ che des Materials erreicht (Abb. 445, 446 und Kapitel 1.4 „Theoretisches Leuchtdichtemodell“ und Abb. 450, 451). Individuell gestaltete Speiseräume für Vorstände und Gäste sind häufig in dunklen und gedeckten Farben gehalten. Die Beleuchtungssysteme sollten auch hier vorwiegend mit Halogen-Glühlampen oder LEDs be­ stückt, zoniert (tischbezogen) angeordnet und direkt strahlend sein. Die empfohlene Beleuchtungsstärke am Tisch beträgt ca. 500–600 lx und die Wandleuchtdichte LW = 40 cd/m². Dadurch entsteht ein plastisches und brillantes Erscheinungsbild, und die Farbwiedergabe ist sehr gut. Die Per­ sonen am Tisch werden nicht unmittelbar angestrahlt, sondern befinden sich im Bereich der Mehrfachreflexion. Die Umfeldleuchtdichten liegen bei LU = 30–40 cd/m², und es empfiehlt sich, Materialien mit Reflexionsgraden von ρ ≈ 0,3 zu verwenden. Ich möchte zusammenfassend festhalten, dass für Räume mit dem Schwer­ punkt Essen ausreichende Helligkeiten, eine gute Farbwiedergabe und hohe Brillanz für die optimale Darstellung von Speisen und Getränken Kunstlicht

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Abb. 450 Die Grundbeleuchtung der Kantine ist mit Halogenstrahlern ausgeführt.

Abb. 451 Die allgemeine Beleuchtungs­ stärke der Kantine beträgt 400–500 lx. Die Leuchten sind abgehängt, und die Einrichtung ist mobil. 418

Kapitel 5

Abb. 452 Zonierte Beleuchtung mittels ­sogenannter Linsenluster „illu­mi­ nierend“ und Grund­beleuchtung mit Halogen-Strahlern.

(Glanzwirkung/Funkeln des Geschirrs, Bestecks, Gläser etc.) Vorausset­ zung sind. Die Leuchtdichteunterschiede des Umfeldes hinsichtlich des Materials und der Lichtverteilung sind wesentlicher Faktor zur optimalen Wirkung des Licht- und Raummilieus. Blendung durch Lichtsysteme muss zur Gänze vermieden werden. Essen ist zwar ein vorwiegend gustatorischer Wahrnehmungsvorgang, der jedoch eng mit der Visualität verbunden ist. Und so ist Aufmerksamkeit als Unterstützung der Geschmacksdifferenzie­ rung notwendig, was die Optimierung der optischen Wahrnehmungsvor­ gänge erfordert.

5.3.5  Büroräume mit besonderer Nutzung Damit sind Räume von beispielsweise leitenden Angestellten gemeint, wel­ che durch ihre spezielle Nutzung gekennzeichnet sind. Sie haben neben dem eigentlichen Arbeitsplatz meist einen separaten Sitzungsbereich, und die Möblierung ist stark auf die Individualität des Nutzers bezogen. Die Beleuchtung sollte über eine Allgemeinbeleuchtung erfolgen, je­ doch mit Differenzierung je nach Nutzungszone und zusätzlicher vertikaler Beleuchtung für Bilder, Skulpturen etc. Die Nennbeleuchtungsstärke am Schreibtisch soll EN = 600–800 lx betragen und im Besprechungsbereich auf 400–600 lx reduziert werden. Die Leuchtdichte an den Wänden soll ca. 40–60 cd/m² betragen. Sowohl die Allgemeinbeleuchtung als auch die Zonierungen können mittels Schaltung und Regelung getrennt geschal­ tet werden. Da all die beschriebenen Tätigkeiten und Bereiche auf relativ kleinem Raum stattfinden, eignen sich hierfür gut punktförmige Leuchtensys­ teme, deren Strahlung nicht zu hart und nicht zu direkt sein sollte. Systeme mit Halogen-Glühlampen oder LEDs sind hinsichtlich Lichtfarbe und Farb­ wiedergabe sehr geeignet. Auch hier ist wieder darauf zu achten, dass die Vertikalhelligkeiten für die Gesichtsaufhellung optimal abgestimmt und absolut blendfrei sind. Die angrenzenden Bereiche wie Sekretariat, Foyer, Kunstlicht

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Abb. 453 Büroraum mit besonderer ­Nutzung: Der Arbeitsbereich wird um eine Besprechungszone ergänzt.

Abb. 454 Detail des Leuchtensystems für die zonale ­Raumbeleuchtung. ­Illuminierung durch ein ­funktionales gläsernes Linsen­ system.

Flur, Sitzungsräume sollten dieser Beleuchtungsart angepasst werden. Bei Systemen mit LEDs ist es möglich, auch die Farborte zu differenzieren. Die Vorstandsräume mit ihrem individuellen Charakter erhalten eine spe­ zifische Zuordnung der Lichtsysteme, die es ermöglicht, den geforderten Kriterien zu entsprechen, wie • optimale und ausreichende Anordnung der Leuchtensysteme mit der Möglichkeit zu variieren, 420

Kapitel 5

• einwandfreie Farbwiedergabe und angepasste Farbtemperatur, • keine Direktblendung und kein Lichtdruck (auch nicht bei aktiver Wahr­ nehmung), • keine Reflexblendung, • ausreichende Vertikalkomponenten und • ästhetischer Anspruch. Ähnlich verhält es sich mit den Besprechungs- und Konferenzräumen im Vorstandsbereich. Sie werden meist komplex genutzt und bieten neben der Präsentation und Kommunikation auch den geeigneten Rahmen für die Bewirtung von Gästen. Die Wände werden auch hier wieder unter­ schiedlich genutzt, und wir benötigen sowohl eine partielle Anstrahlung von Einzelgegenständen als auch eine gleichmäßige Ausleuchtung der gesamten Wandfläche. Es sind 40–60 cd/m² zu empfehlen. Die Vor­ standsräume und ihre Besprechungsbereiche können mit rein funktionalen Lichtsys­temen für die Allgemeinbeleuchtung und mit zusätzlichen zonieren­ den, den in­di­viduellen Ansprüchen entsprechenden Leuchtensystemen aus­ gestattet ­werden. Wir sehen, dass die Räume mit besonderer Nutzung die folgenden Krite­ rien gemeinsam haben: • hohe Intensität im unmittelbaren Arbeitsbereich, • Reduzierung der Intensitäten im Besprechungsbereich, • abgestimmte Ausleuchtung der Wände (zoniert und allgemein), • vertikale Helligkeiten für die notwendige Gesichtsleuchtdichte (keine zu harte Strahlung), • regel- und schaltbare Leuchtensysteme, • absolute Blendungsfreiheit der Leuchtensysteme, • Empfehlung von punktförmigen Lichtquellen und • ästhetische Anpassung an die Gestaltung und an das Licht- und Raum­ milieu.

5.3.6  Foyers Foyers stellen meist ausgedehnte Bereiche vor Konferenz- und Seminar­ räumen dar. Sie werden als Aufenthaltszone vor/während/nach Veran­ staltungen genutzt, während der Pausen, für die Begrüßung/Verabschie­ dung und auch als Ort für Einzelgespräche während einer Konferenz. Sie sind zum einen als Erweiterung der Konferenzräume zu sehen und zum anderen als unmittelbare Verbindung zu den Verkehrszonen und der Gar­ derobe. Die Beleuchtung von Foyers sollte daher vorwiegend allgemein und gleichmäßig konzipiert sein mit der Möglichkeit, einzelne Helligkeits­ anpassungen vorzunehmen. Das heißt, dass für die allgemeine Nutzung ein reduziertes Lichtniveau eingestellt ist, das bei Bedarf gesteigert werden kann und das ggf. auch Zonierungen in unterschiedlichen Bereichen er­ laubt. Die Wände sollten auch hier allgemein und kontinuierlich ausge­ leuchtet sein, mit zusätzlicher Objekt-/Bildbeleuchtung. Foyers mit ihren unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten sind für uns LichtgestalterInnen eine Herausforderung und müssen für die optimale Planung gut erfasst und durchdacht werden.

5.3.7  Eingangshallen, Eingangsbereiche Der Eingangsbereich eines Gebäudes ist die direkte Verbindung vom Außen- zum Innenraum und umgekehrt. In seiner einfachen Nutzung und Kunstlicht

421

Form schließen die Verkehrszonen, Treppenhäuser, Aufzüge etc. direkt an ihn an. Die Eingangshalle beinhaltet meist den Empfang und ist mit groß­ zügigen Sitzgelegenheiten ausgestattet. In jedem Fall ist dieser Bereich der erste Eindruck, den ein Unternehmen erweckt, und dementsprechend wird er gerne anspruchs- und eindrucksvoll gestaltet. Auch auf die Fassaden nimmt der Eingangsbereich Einfluss, und diese Zone wird dementsprechend differenziert gestaltet. Von einfachen einund mehrgeschossigen Glasflächen mit und ohne Vordach bis hin zu großzügig transparent gestalteten und ausschließlich glasüberdachten Eingangshallen. Viel Glas bedeutet eine entsprechend hohe Tageslicht­ menge über einen langen Zeitraum, die durch optimale Verteilung das Licht- und Raummilieu wesentlich beeinflusst. Das Kunstlicht übernimmt in diesem Fall die Funktion der Ergänzungsbeleuchtung bzw. des ausschließ­ lichen Nachtlichtes. Jedoch sollte hinsichtlich der Tageslichtmenge darauf geachtet werden, dass im Inneren noch wahrnehmbare Helligkeitsdiffe­ renzierungen ausgeführt werden können, um die Aufmerksamkeit durch Zonierungen auf wichtige Bereiche zu lenken. Im Folgenden möchte ich das noch ausführlicher betrachten.

5.3.7.1  Eingangshallen mit Seitenbelichtung Diese Art der Gestaltung ist vermutlich die häufigste. Die Verglasung be­ ginnt meist ohne Brüstung direkt am Boden und endet an der Decke bzw. zieht sich über die gesamte Fassade, und der Tageslichtverlauf entspricht dem des Seitenfensters (siehe Kapitel 4). Das Tageslicht tiefer in den Raum zu lenken kann durch einfache Maßnahmen wie z. B. verspiegelte Decken oder diverse Materialien mit gerichteter Reflexion wesentlich verbessert werden. Verwaltungsgebäude befinden sich meist in stark bebauten Ge­ bieten, was wesentlichen Einfluss auf die Lichtverhältnisse im Inneren hat. Durch die allgemeine Verbauung wird der Anteil des Tageslichtes redu­ ziert, und so kann eine erhöhte diffuse Bodenreflexion die Verbesserung des Helligkeitsverlaufs im Inneren unterstützen. In den Abbildungen 455 und 456 wird der Einfluss solcher Maßnah­ men dargestellt. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Oberfläche der umliegenden Verbauung reflektierend zu gestalten – zur Gänze oder als Teilflächen. Das von der gegenüberliegenden Fassade reflektierte Tageslicht wird in den Raum gelenkt, mittels eines verspiegelten und geformten Deckensys­ tems weit ins Innere transportiert und dort angepasst und optimal verteilt. Bei direkter Sonneneinstrahlung ist selbstverständlich natürlich auch der Wärmeeintrag zu bedenken. Der vorrangige Grund, Eingangsbereiche zu verglasen, liegt neben dem gestalterischen Aspekt in der Transparenz vom Außen- zum Innenraum und umgekehrt. Aufgrund der Reflexionseigenschaft von Glas (ca. 10 %) jedoch spiegelt sich die Umgebung an der Außenseite der Glasfassadem, und bei hohen Außenhelligkeiten (heller Tag, Sonnenschein) ist ein Erkennen des Inneren von außen nicht mehr möglich. Es ist, als würde man auf einen Spiegel zugehen, und von Transparenz ist keine Rede mehr. Hier treffen zwei Kriterien aufeinander: die Material- und die Tageslicht­ eigenschaften. Die Intensität der Spiegelung hängt vom jeweiligen Glastyp ab. Bei klaren Scheiben beträgt diese 4–10 %, bei Thermoscheiben 20–30 % und bei Sonnenschutzgläsern 50–70 %. Wir können also sagen, dass stark 422

Kapitel 5

Abb. 455 Es werden die Tageslichtverläufe gezeigt, wie sie sich durch unterschiedliche Einflüsse verändern.

Abb. 456 Veränderung der Tageslichtverteilungen durch Licht­ umlenkung als Maßnahme. Kunstlicht

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Abb. 457 In der Grafik in Abb. 457 sehen wir, dass im Blickbereich eine primäre Himmelsleuchtdichte von 6.000 cd/m² direkt auf die Scheibe auftrifft. Der Himmel wird bei Klarglas mit LS = 200 cd/m² gespiegelt und auch mit dieser Intensität gesehen. Bei der Reflexionsscheibe steigt die Leuchtdichte dieser Spiegelung auf LS2 = 1.000 cd/m² an. Beim Klar­ glas gelangt das Licht ins Rauminnere und erzeugt hinter der Scheibe an einem Objekt eine Leuchtdichte von 40 bis 80 cd/m². Das Spiegelbild ist damit ca. 2,5-fach heller als das Objekt dahinter im Inneren.

Abb. 458 Supermarkt mit Teiltransparenz der Glasfläche im Eingangs­ bereich.

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Kapitel 5

r­eflektierende Sonnenschutzgläser im Grunde teildurchlässige Spiegel sind, die beinahe jede Transparenz und Durchsicht verhindern. Das zweite Kriterium ist die Außenhelligkeit. Genauer definiert sind es die Leuchtdichten der horizontalen und vertikalen Flächen des Außen­ raums, welche sich – bezogen auf das Gesichtsfeld und die Bewegung des Betrachters (Beobachterposition) – in der Glasfläche spiegeln. All diese Vorgänge sind sehr komplex, und neben den physikalischen und mathematischen Betrachtungen und den Aspekten der Tageslichtschwan­ kungen kommen noch die Kriterien der Wahrnehmungsabläufe dazu wie • Adaptationszustand und -verlauf, • Aufmerksamkeit und Konzentration, • Bewegung der Person und • Bildüberlagerung. In Räumen mit Seitenfenstern verhält es sich im klassischen Fall so, dass die Helligkeit unmittelbar am Fenster am größten ist und progressiv zur Raumtiefe hin nachlässt. Die Außenhelligkeiten differenzieren sehr stark, und so empfehle ich, diese in drei Stufen zu teilen: • Stufe 1: Sonnentage … EA ≈ 60.000–100.000 lx • Stufe 2: bedeckter Himmel … EA ≈ 8.000–15.000 lx • Stufe 3: Nacht … kein Tageslicht Für unseren Eingangsbereich bedeutet das, dass der Schwellenabbau beim Betreten von der hohen Außenhelligkeit zur stark reduzierten Innen­ helligkeit bei Stufe 1 (Sonne) am höchsten ist. Die unterschiedlichen Hellig­ keiten von außen und innen überlagern sich, und es ist notwendig, hohe Intensitäten auch im Rauminneren vorzusehen. Will man also die Trans­ parenz von außen nach innen an Sonnentagen trotz der hohen Außen­ helligkeit herstellen, so müssen partielle Sonnenfigurationen im Inneren des unmittelbaren Eingangsbereichs vorgesehen werden. Diese partiellen künstlichen Sonnenfigurationen reichen aus, denn unser Wahrnehmungs­ vorgang wertet solche Erscheinungen als transparent. Bei Stufe 2 – bedeckter Himmel – und den durchschnittlichen Außenhellig­ keiten von EA = 10.000 lx ist die Transparenz aufgrund des progressiven Lichtabfalls zum Rauminneren hin ebenfalls infrage gestellt. Die Schwelle des Helligkeitsabbaus ist zwar geringer gegenüber Stufe 1. Als Lösung bieten sich Vordächer an, die als Umlenkschwert ausgebildet sind und nicht transparent sind. Sie verschatten zum einen den Eingangsbereich im Außen­raum und transportieren zum anderen das Tageslicht gelenkt ins Rauminnere (siehe Abb. 456). Die Anhebung der Leuchtdichte im Innen­ raum ist auch hier ratsam, um die Transparenz von außen nach innen zu unterstützen. Das kann bereits durch eine Differenzierung der Reflexions­ grade – insbesondere der vertikalen Flächen – erreicht werden. Stufe 3 (Nacht) muss nicht weiter beschrieben werden, da mit dem feh­ lenden Tageslicht im Außen und dem Kunstlicht im Innen die Transparenz gegeben ist.

5.3.7.2  Glasüberdachte Eingangshallen Durch ein transparentes Glasdach kann auch das zenitale Tageslicht (be­ deckter Himmel) ins Innere gelangen. Die Helligkeitswerte im Rauminne­ ren erreichen eine wesentlich höhere Leuchtdichte (ca. vier- bis fünffach), Kunstlicht

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und die Transparenz von außen nach innen steigt. Jedoch erhöht – wie bereits oben gezeigt – ein lichtundurchlässiges Vordach die Transparenz noch weiter, da sich die Außenhelligkeit am unmittelbaren Eingangsbe­ reich reduziert und die Innenhelligkeit verstärkt wahrgenommen wird. Das Vordach hat dabei gleichzeitig eine Sonnenschutzwirkung, und es können keine Blendungen durch direkte Sonneneinstrahlung entstehen. Auf Kunst­ licht als Tageslichtergänzungsbeleuchtung kann bei diesen Raumtypen verzichtet werden, und Kunstlicht kann lediglich als Nachtlicht ausgeführt werden.

5.4  Tageslicht oder Kunstlicht? Spontan und subjektiv würde ich diese Frage mit „Tageslicht“ beantworten. Es gibt jedoch viele Technokraten, die dem nicht so ohne Weiteres zu­ stimmen würden. Man kann beim heutigen Stand der Technik – so ihre Meinung – alle Komponenten des primären Lichtes herstellen wie • die Quantität, • die Verteilung, • die Strahlungsart (gerichtet – diffus), • die Eigenleuchtdichte, • die Farbtemperatur und • den spektralen Verlauf. Das ist grundsätzlich zwar korrekt, jedoch in der Realität nur Theorie. Die wesentlichen Merkmale des Tageslichtes wie beispielsweise seine zeitlichen Veränderungen der Intensität, seine Strahlungsrichtung und seine spektralen Verläufe mit Zuordnung zur Farbtemperatur sind künstlich nur sehr eingeschränkt zu simulieren bzw. herzustellen. Dazu kommt der zirkadiane Rhythmus als Zeitgeber. Biologisch haben wir Menschen uns im Laufe der Evolution dem Tages­ licht angepasst. Unsere Mechanismen und unsere optische Wahrnehmung sind vom Tageslicht geprägt und konnten sich dadurch evolutionär ent­ wickeln. Ebenso sind unsere Verarbeitungsvorgänge im Gehirn dadurch entstanden. Der permanente Wechsel des Tageslichtes und die Vielfalt der daraus entstehenden Erscheinungsbilder informieren uns, und wir haben gelernt, sie zu deuten. Allein beim aufmerksamen Betrachten von z. B. Objekten in einem tages­belichteten Museum können wir aufgrund der Veränderung der Licht­ strukturen auf das Wetter und auf die Tageszeit schließen. Das Kunstlicht hingegen hat weitgehend eine stets statische und – wie der Begriff beinhaltet – künstliche Wirkung. Da dieses primäre Licht keine wesentliche Veränderung erfährt, ist das Informationsangebot einge­ schränkt und wird systemtypisch von der Lichtquelle beeinflusst. Das Kunst­ licht kann mit der Tageslichtwirkung in seiner Gesamtheit nicht verglichen werden – es ist bestenfalls das Plagiat eines Zeitmoments des Tageslichtes. Ein Raum erfährt seine Prägung vorwiegend über die Tageslichtwirkung. Ist dies nicht ausreichend vorhanden, so ist eine Tageslichtergänzung in Form von Kunstlicht notwendig. Es ist damit als Nachtlicht während des Abend und der Nacht zu verstehen (siehe Kapitel 2.8, Melatoninproduk­ tion) und an das geforderte Licht- und Raummilieu – also an Stimmung, Wohlbefinden, Tätigkeit und Alter – anzupassen. Es sollte den unter­ schiedlichen Phasen des primären Tageslichtrhythmus entsprochen werden (= Außen­situation), wie z. B. an Sonnentagen die Helligkeitsschwelle zwi­ schen Außen- zu Innenraum an das Maß der visuellen Tätigkeiten und des zirkadianen Rhythmus anzupassen und auch das Wettergeschehen dabei zu berücksichtigen. Bei bedecktem Himmel ist die Beleuchtung eines 426

Kapitel 5

Raums durch Kunstlicht in der Art zu ergänzen, dass neben den Kriterien der visuellen Leistung auch das Erscheinungsbild einer Tageslichtbeleuch­ tung weitgehend entspricht. In der Nacht kann dieses Beleuchtungsprinzip individuell weitergeführt werden, und die Beleuchtung sollte auf Melato­ ninlicht ausgelegt sein. Das Kunstlicht kann also als Werkzeug zur Ergän­ zung bzw. als Ersatz von Tageslicht aufgefasst werden.

5.5  Beleuchtungskonzepte für Innenräume Die Hierarchie der Kriterien, die einem Beleuchtungskonzept zugrunde liegen, lassen sich aus den Forderungen der optischen Wahrnehmung ab­ leiten: • die Wahl der Infeldleuchtdichte, • der Bereich der Umfeldleuchtdichte, • der Arbeitsbereich als unmittelbares Umfeld, • die Wände als erweitertes Umfeld, • der Fußboden als erweitertes Umfeld, • die Decke als erweitertes Umfeld, • die Fensterflächen, • die Leuchten- und Deckensysteme und • die visuellen Ansprüche anhand der Nutzung von Datensichtgeräten. Dazu kommen noch die Faktoren wie: • die Raumgeometrie, • die Arbeitsplatzgestaltung, • die psychologischen Aspekte der Individual- und Kommunikationsberei­ che, • die Zonen und Art der Tagesbelichtung, • die Konzentrations- und Entspannungszonen, • die gegenseitige Zuordnung dieser Raumbereiche und • die ästhetischen Gesichtspunkte und Raumvorstellungen seitens Bauher­ rInnen und ArchitektInnen. Um ein Beleuchtungskonzept erstellen zu können, müssen zuerst diese Kom­po­nenten und Voraussetzungen analysiert werden, um dann mit den Konzeptüberlegungen für die Kunstlichtplanung beginnen zu können. Grundsätzlich stehen sich beim Erstellen eines Beleuchtungskonzeptes zwei Systemarten diametral gegenüber: das direkte und das indirekte Be­ leuchtungssystem.

5.5.1  Das direkte Beleuchtungssystem Bei der direkten Beleuchtung wird das Licht direkt und unmittelbar über einen Reflektor in den Raum gestrahlt. Bei einer allgemeinen Ausleuchtung ist die horizontale Beleuchtungsstärke im Raum gleichmäßig verteilt und weist überall denselben Messwert auf. Die Beleuchtungsstärke als auffal­ lendes Licht jedoch ist nicht sichtbar, wie wir wissen. Es ersteht nun also ent­ gegen der allgemeinen Annahme kein gleichmäßig heller Raumeindruck, sondern die Raumszenerie wird durch die reflektierenden Materialien gestaltet. Es wird in der horizontalen und vertikalen Ebene eines Raums anhand der Helligkeit und Materialtexturen das Leuchtdichteniveau be­ stimmt (Sekundärlicht). Das gilt natürlich auch für die im Raum befindlichen Objekte, wobei deren Form und Farbe das Erscheinungsbild zusätzlich beeinflussen. Kunstlicht

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Abb. 459 Prinzip der direkten Beleuchtung. Das primäre Licht fällt direkt auf die Arbeitszone und ihre Oberflächen, wird ­moduliert reflektiert und als Sekundärlicht wahrgenommen.

Grundsätzlich bestimmt bei der direkten Allgemeinbeleuchtung die ge­ forderte Nennbeleuchtungsstärke und damit die mittlere Infeld- und Um­ feldleuchtdichte die Raumhelligkeit. Der Zusammenhang dieser beiden Komponenten leitet sich aus den Gesetzmäßigkeiten der stabilen visuellen Wahrnehmung ab (Theoretisches Leuchtdichtemodell). Die Aufgabenstel­ lung und die visuelle Tätigkeit im Arbeitsbereich sind das Wesentliche und der hellste Bereich im Raum – das Infeld. Räume mit direkter Allgemeinbe­ leuchtung zeigen ein typisches und diesem System entsprechendes Milieu, dessen Erscheinungsbild durch helle Infeldzonen umgeben von dunklerem Umfeld und Materialzuordnung geprägt ist. Das Licht ist wie gesagt gerichtet, und die Arbeitsbereiche erscheinen damit in einem relativ hellen Licht, während sich die Umgebung in einem etwas weicheren Licht befindet und sie durch die Materialeigenschaften und die Mehrfachreflexion zurücktritt. Das direkte Licht hat eine plastische Wirkung und verursacht damit auch Schattenbildung, die je nach Art der Lichtquelle und Leuchtensystem differenziert ausfällt. Spiegelrasterleuch­ ten mit Leuchtstofflampen beispielsweise haben eine weichere Schattenbil­ dung als Systeme mit Halogen-Metalldampflampen oder LEDs, die durch eine vergrößerte Strahlungsrichtung einen erhöhten diffusen Strahlungs­ anteil aufweisen. Die direkte Beleuchtung ermöglicht im Allgemeinen eine hohe Flexibi­ lität, und die Arbeitsflächen können sich an beliebigen Stellen im Raum befinden. Die konstanten vertikalen Beleuchtungsstärken sorgen neben der angepassten Gesichtsleuchtdichte für zusätzliche Positionsmöglich­ keiten von Trennwänden oder sonstigen Aufbauten im Raum. Die fokalen Bereiche der Infeldzonen werden zu Bereichen der gerichteten Aufmerk­ samkeit, und das zurücktretende Umfeld lenkt weniger ab und verhindert Blendungserscheinungen.

Die Vorteile des direkten Beleuchtungssystems liegen in • der großen Vielfalt von gestaltbaren Bereichen hoher Konzentration, welche die Aufmerksamkeit fördern, wenig Ablenkung zulassen und da­ durch stärker motivieren (soweit das mit optischen Faktoren unterstützt werden kann), • der maximalen Nutzung und Ausweitung der Arbeitsflächen, 428

Kapitel 5

• • • • •

den einfachen Leuchtensystemen, der hohen Blendungsfreiheit an Bildschirmarbeitsplätzen, den hohen Wirkungsgraden, der hohen Wirtschaftlichkeit durch die hohen Wirkungsgrade und der Strahlungscharakteristik des Tageslichtes.

Die Nachteile dieses Beleuchtungssystems sind: • das erhöhte Auftreten von Reflexblendungen; • bei aktiven Wahrnehmungsabläufen besteht die Möglichkeit des direk­ ten Blicks in das Lichtsystem, was jedoch durch entsprechende Aus­ blendwinkel und Anordnungen korrigiert werden kann; • der Höhe der Vertikalbeleuchtungsstärke sind Grenzen gesetzt und bei der Planung muss dieser Tatsache große Aufmerksamkeit zukommen. Da die Decke und teilweise auch die Wandflächen nicht direkt, sondern beinahe ausschließlich über die Mehrfachreflexion beleuchtet werden, ist das Erreichen der notwendigen Umgebungsleuchtdichten begrenzt. Das bedeutet beispielsweise, dass die Deckenleuchtdichte von der Grundbe­ leuchtungsstärke, vom Reflexionsgrad des Fußbodens und natürlich auch vom Reflexionsgrad der Decke abhängt. Kommen wir nun zurück zu unseren Verwaltungsbauten und ihrer Nutzung, so stellen wir fest, dass die unmittelbaren Arbeitsflächen nur ca. 50 % der gesamten Raumfläche ausmachen. Die übrigen Bereiche gliedern sich in Besprechungs-, Aufenthalts- und Verkehrszonen. Die einzelnen Bereiche benötigen aufgrund der jeweils geforderten Sehleistung unterschiedliche Nennbeleuchtungsstärken und Infeldleuchtdichten. Eine Differenzierung der Helligkeiten für die unterschiedlichen Nutzungsbereiche ist erforder­ lich, und die Beleuchtungssysteme müssen sorgfältig gewählt und berech­ net werden, damit wir eine den stabilen Wahrnehmungsbedingungen entsprechende Leuchtdichteverteilung in den einzelnen Zonen / im Raum erreichen und damit auch eine entsprechende Energieeinsparung erfolgen kann (Kapitel 5.2.6). Die sich daraus ergebenden Beleuchtungssysteme können als Allgemeinbeleuchtung ausgeführt werden, und die Zonierung auf die Bereiche kann durch angepasste Regelung erfolgen. Ein Anheben der Intensitäten kann ebenso mittels Anhäufung der Leuchten an der be­ treffenden Stelle erfolgen. Denken wir an Kapitel 1.4.3 „Die Bedeutung der stabilen Wahrnehmung für die Lichtgestaltung“ und die Tatsache, dass diese differenzierten Helligkeitsstufen für den Betrachter lediglich durch die sichtbare Zuordnung bzw. die Menge der Leuchten erkennbar sind, nicht jedoch die Helligkeitsunterschiede selbst. Ein großer Vorteil der Zonierungen liegt in der reduzierten Allgemein­ beleuchtung und der damit einhergehenden Energieeinsparung von ca. 30 bis 40 %. Auch aus ästhetischer Sicht ist die variable Zuordnung der Beleuchtungskörper interessant, da sie die Monotonie des Deckenbildes unterbrechen können und einen größeren Gestaltungsspielraum ermög­ lichen. Der Nachteil der Zonierungen liegt in der Einschränkung der Mate­ rialwahl aufgrund der Gesetzmäßigkeit der optischen Wahrnehmung. Das heißt, dass durch die geringere Beleuchtungsstärke im allgemeinen Bereich die Oberflächen höhere Reflexionswerte aufweisen müssen, um bei konstanter Leuchtdichte den geringeren Vertikalkomponenten der Be­ leuchtungsstärke zu begegnen. Das bedeutet, dass der Raum an Kontrast verliert, er flach wirkt und die Aufmerksamkeit verringert wird. Auch der Boden muss einen höheren Reflexionsgrad aufweisen, damit die Decke ausreichend hell wird. Dasselbe gilt für die Schreibtische und speziell für die Trennwände. Kunstlicht

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Dennoch erachte ich die Zonierung als notwendig, da sie dem Arbeits­ platz individuell und unmittelbar zugeordnet wird und Reflexblendung auf­ grund der flexibleren Leuchtenzuordnung vermieden werden kann. Die unterschiedlichen Möglichkeiten und die Bedeutung der Zonierung wurde bereits in den Kapiteln 5.2.6 und 5.3.3 ausführlich erarbeitet.

5.5.2  Das indirekte Beleuchtungssystem Wenn das abgestrahlte Licht einer Leuchte auf eine große, diffuse, weiße Fläche gelenkt wird und über diese den Raum beleuchtet, dann handelt es sich um die allgemeinste Form der indirekten Beleuchtung. Sie gehört zu der ältesten und damit „gewohnten“ Methode, einen Raum zu beleuchten. Ihr Prinzip beruht darauf, dass die hohe Eigenleucht­ dichte einer Lichtquelle durch einen Reflektor nach unten hin abgedeckt und damit aus dem Gesichtsfeld genommen ist. Der gesamte Lichtstrom wird auf eine Fläche darüber gelenkt und strahlt über diese blendungs­ frei in den Raum. Meist handelt es sich dabei um die Raumdecke, welche möglichst großflächig und gleichmäßig angestrahlt wird. Durch den meist weißen und streuenden Anstrich entsteht eine stark diffuse Strahlung. Die Raumausleuchtung ist weich, schatten- und konturlos, und die Beleuchtung wird als gedämpft, hell und blendfrei wahrgenommen und ist als solche in unserem Gedankengut verankert (angelernte Gehirnstruktur). Aus diesem Grunde fällt es den Lichttechnikern bedauerlicherweise nach wie vor sehr leicht, die indirekte Beleuchtung als Lösung vieler Probleme anzubieten. Sie wird in den meisten Fällen auch kritiklos angenommen, da die visuellen Eindrücke der optischen Wahrnehmung vorwiegend unbewusst geschehen und die subjektive Beurteilung nur bedingt der Realität entspricht. Um uns die Problematik dieser Beleuchtungsart vor Augen zu führen, möchte ich sie im Folgenden unter Berücksichtigung der Forderungen der optischen Wahrnehmung und der Lichttechnik analysieren. Wie wir wissen, sind die wesentlichen Kriterien, die sich generell auf Licht­ systeme beziehen, • die Gesetzmäßigkeiten der optischen Wahrnehmung, • die Wirtschaftlichkeit gekennzeichnet durch den Wirkungsgrad und • die Strahlungscharakteristik, die für das Erscheinungsbild wesentlich ist.

Abb. 460 Prinzip der indirekten Beleuchtung.

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Abb. 461 In der realisierten Anlage mit Indirektbeleuch­ tung erkennen wir die Dominanz der Decken­ helligkeit. Sie attestiert dem Raum zwar subjek­ tiv Helligkeit, jedoch sind die Nutzungsbereiche des Infeldes gegenüber dem Umfeld reduziert.

Abb. 462 Der Testraum mit indirekt strah­ lender Stehleuchte zeigt, dass die Deckenhelligkeit durch die in­ direkte Beleuchtung dominiert und zu mentaler Belastung führt.

Kunstlicht

431

Abb. 463 Das Büro wird mit einer run­ den Sekundärreflektorleuchte beleuchtet (direkte Allgemein­ beleuchtung). Die Auswertung in Abb. 464 zeigt, dass dieses System die geringste Ermüdung und geringste Bearbeitungszeit zur Folge hat.

Abb. 464 Vergleich von Kunstlichtsystemen (objektive Methode): Das Ergebnis zeigt, dass die Komponenten des visuellen Systems bei der indirekten Beleuchtung mehr Ermüdung aufweisen und die Bearbeitungszeiten (Belastung) länger werden.

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Kapitel 5

5.5.2.1  Optimierte Wahrnehmung Um den stabilen Wahrnehmungsbereich zu erreichen, ist es wesentlich, dass die Umgebungsleuchtdichte nicht größer als die Infeldleuchtdichte ist. Weiters darf die absolute Umgebungsleuchtdichte für die Bildschirm­arbeit bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten. Diese Grenzwerte sind von den spezifischen Eigenschaften der Bildschirme selbst abhängig (Oberfläche, Hintergrund etc.), damit Reflexblendungen durch Spiegelung der Umge­ bung vermieden werden können. Unter Umgebungsleuchtdichte wird in unserem konkreten Fall die Deckenleuchtdichte aufgrund der indirekten Beleuchtung verstanden. Die Decke ist also maßgeblich am Erreichen der geforderten Beleuchtungsstärke beteiligt und bestimmt die Infeldhelligkeit. Das Infeld heller als das Umfeld zu gestalten ist hier schon rein physika­ lisch nicht möglich, denn aus dem Wirkungsprinzip „Erreichtes kleiner als Erzeugendes“ lässt sich ableiten, dass die Umfeldleuchtdichte (spezifisch die Deckenleuchtdichte) immer größer als die Infeldleuchtdichte sein muss und sein wird. Um beispielsweise eine LI ≈ 100 cd/m² bei einer Nennbe­ leuchtungsstärke von ca. 600 lx zu erreichen, muss die Umfeldleuchtdichte der diffus reflektierenden Decke ungefähr den drei- bis vierfachen Leucht­ dichtewert betragen, also LUD ≈ 300–400 cd/m². Dazu kommt, dass die Deckenleuchtdichte ausgedehnt über die gesamte Decke wirksam ist und somit zu einer Verlagerung des mittleren Adaptationszustandes führt, was sich in einer steigenden mentalen Belastung auswirkt. Vom Standpunkt der optischen Wahrnehmung aus können wir also fest­ halten, dass durch die zu hohe Umgebungsleuchtdichte (= Deckenleucht­ dichte) eine Störung des stabilen Wahrnehmungszustandes verursacht wird. Auch ist die ausschließlich indirekte Beleuchtung für die Nutzung von Bildschirmen nur bedingt geeignet.

5.5.2.2 Wirkungsgrad Die Strahlung beim indirekten Beleuchtungssystem erfolgt über zwei Kom­ ponenten: Komponente 1 ist die Leuchte mit der Lichtquelle und Kompo­ nente 2 in diesem Fall die Decke, die als Reflektor fungiert und über die das Licht in den Raum gestrahlt wird. Wir sehen in Abb. 460 die Wege, welche die Reflexion im Raum durchläuft. Im Gegensatz dazu hat das direkte Leuchtensystem erheblich geringere Reflexionswege, und das Licht wird direkt und gerichtet an die gewünschte Stelle gelenkt. Der Prozess des Reflektierens ist immer mit Verlusten verbunden, und so ist es notwen­ dig, die Reflexionsgrade so hoch wie möglich zu halten. Für die indirekte Beleuchtung wächst dadurch der Zwang zu möglichst hellen Flächen, was zu dem typischen stark diffusen Lichtcharakter im Erscheinungsbild führt. Wir können sagen, dass der typische Raumeindruck einer indirekten ­Beleuchtung vom Deckenbild und nicht vom visuellen Tätigkeitsbereich be­ stimmt wird. Mit einer indirekten Beleuchtung Objekte und Zonen differenziert zu beleuchten ist nicht möglich. Auch ist die Verschmutzung solcher Systeme durch die größere Beaufschlagung der Reflexionsfläche wesentlich höher. Hinsichtlich der Energiebilanz ist es ein aufwendiges und unwirtschaft­ liches Beleuchtungssystem.

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5.5.2.3 Strahlungscharakteristik Diffuses Licht ist schatten- und konturlos, und plastische Gegenstände be­ kommen durch die Schattenlosigkeit eine verflachte Wirkung. Auch Räume – besonders wenn sie ganz weiß gehalten sind – erhalten einen über­ strahlten und flachen Charakter. Ich möchte hier noch einmal festhalten, dass die Beleuchtung mit aus­ schließlich indirekter Beleuchtung nur aufgrund der Gewohnheit und dar­ aus resultierender Kritiklosigkeit als angenehm beurteilt wird. Unser Bedürfnis nach Helligkeit verleiht diesem System den Eindruck von Weichheit und Blendungsfreiheit. Tatsächlich jedoch liegen die Vor­ teile der indirekten Beleuchtung lediglich darin, • dass die relativ hohen Vertikalkomponenten im visuellen Wahrneh­ mungsablauf zu unbelasteten Informationen führen, • dass durch die hohe kontrastlose gleichförmige Deckenleuchtdichte ein heller und blendfreier Raumeindruck entsteht und • dass störende Spiegelungen – vor allem in den horizontalen Berei­ chen – vermieden werden. Der große Nachteil liegt in der zu hohen Deckenleuchtdichte, welche zur Verschiebung der mittleren Adaptationsleuchtdichte und damit zu direkten Blendungserscheinungen und Ablenkungen führt, die durch die Großflä­ chigkeit noch verstärkt werden. Dass trotz der hohen Deckenleuchtdichte die damit verbundenen ­Blendungserscheinungen oft nicht wahrgenommen werden, liegt daran, dass bei tagesbelichteten Räumen die Fensterleuchtdichte mit bis zu 10.000  cd/m² noch wesentlich höhere Werte aufweist und die objektive Wertung verlagert. Ein weiterer Nachteil ist die Überstrahlung und die damit entstehende Kontur- und Schattenlosigkeit und die Unwirtschaft­ lichkeit hinsichtlich der allgemeinen Betriebskosten sowie eine emotional begleitende Ablenkung, die, wie ein Forschungsprojekt zeigt (Abb. 464), auch in Form von Stress auftreten kann.

5.5.3  Das direkt-indirekte Beleuchtungssystem Dieses Beleuchtungssystem setzt sich – wie der Name vermuten lässt – aus einer direkten und einer indirekten Strahlungskomponente zusammen. Für die Lichtplanung einer Büroanlage rate ich, die Vorteile der direkten und der indirekten Beleuchtung anzuwenden. Wir erreichen den Großteil der geforderten Infeldleuchtdichte und der Nennbeleuchtungsstärke am Arbeitsplatz durch die direkte Komponente und schaffen damit ein der direkten Beleuchtung entsprechendes visuelles und wirtschaftliches Arbeits­ milieu. Diese kann sowohl als Allgemeinbeleuchtung als auch als Zo­nierung ausgeführt werden. Die Indirektkomponente dient in diesem Falle ledig­lich der Raumaufhellung und um den vertikalen Anteil zu erhöhen. Die Decken­ leuchtdichte soll aus Gründen der stabilen Wahrnehmung 200 cd/m² nicht überschreiten, was bedeutet, dass sie Beleuchtungsstärken von nicht mehr als ca. 300 lx im Bereich der horizontalen Arbeitsebene und zusätzlich ca. 100–150 lx vertikal bringen darf. Da die indirekte Beleuchtung aufgrund ihrer großen Streuung nur schwer zonierbar ist, strahlt sie diesen mittleren Streuanteil immer ganzheitlich in den Raum. Wie schon im vorangegangenen Kapitel erwähnt, ist die indirekte Be­ leuchtung beliebt, da sie flexibel gehandhabt werden kann. Es ist jedoch sehr wichtig, darauf zu achten, dass die Deckenleuchtdichten 200 cd/m² nicht überschreiten, da es sonst zu Problemen an den Bildschirmen kommt und mentale Belastungen aufzutreten beginnen. 434

Kapitel 5

Abb. 465 Prinzip der direkt-indirekten ­Beleuchtung. Abb. 466 Nachtsituation eines Bildschirm­ arbeitsplatzes bei direkt-indirekter Beleuchtung.

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Abb. 467 Strahlungsverlauf der direkt-indirekten Beleuch­ tung des Büroraums in Abb. 466.

Konkret liegt der Vorteil der direkt-indirekten Beleuchtung in der An­ hebung der vertikalen Helligkeit. Die Wahrnehmung eines Raums erfolgt ja vorwiegend aufgrund der Vertikalebene, und so kann durch die höhere Deckenhelligkeit (max. 200 cd/m²) die psychologische Aufhellung selbi­ ger entstehen. Sobald diese Deckenhelligkeit jedoch überschritten wird, wird die Überstrahlung bewusst, und der Raum erhält eine ungewollte Künstlichkeit. Wir erkennen, dass bei dieser Art der Beleuchtung psychologische Milieu­ betrachtungen maßgebend sind. Sie stellt generell eine Bereicherung dar, denn man kann auf einfache Art viele Randprobleme bewältigen.

Abb. 468 Funktionsprinzip des sekundären Beleuchtungssystems.

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Kapitel 5

Abb. 469 Leuchtensystem einer Sekundär­ reflektorleuchte mit punktförmiger Lichtquelle.

Abb. 470 Sekundärsystem mit HalogenMetalldampflampe in der Anwendung in einem schwarzen Konferenzraum.

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Abb. 471 Lineare Sekundärreflektorleuchte mit Kompaktleuchtstofflampen.

5.5.4  Das sekundäre Beleuchtungssystem Bei dieser Beleuchtungsart befindet sich die Lichtquelle in einem Reflektor (= Primärreflektor), der unter einem darüber liegenden ebenen oder ver­ formten zweiten Reflektor (= Sekundärreflektor) angebracht ist und über den sie in den Raum strahlt. Es handelt sich im Grunde um die Kombination aus einem direkten und indirekten System. Das Licht wird über den Primärreflektor direkt nach oben gelenkt und lässt keinen Blick mehr auf die Lichtquelle zu. Im Ge­ gensatz zur Indirektbeleuchtung wird das Licht dann jedoch nicht diffus reflektiert, sondern es gelangt gezielt und gerichtet über den Sekundär­ reflektor in den Raum. Mit dem sekundären Leuchtensystem kann sowohl eine allgemeine als auch eine zonierte Beleuchtung ausgeführt werden. Der relativ großflächige Sekundärreflektor ermöglicht es, die Eigenleucht­ dichte des Leuchtensystems stark zu reduzieren und eine höhere Vertikal­ beleuchtungsstärke zu erreichen. Reflexblendungen können reduziert und Blendungserscheinungen ver­ mieden werden. Es ist kein direkter Blick ins Leuchtmittel mehr möglich. Ledig­lich die Spiegelungen des Leuchtmittels unter vereinzelten Blickwin­ keln sind sichtbar, deren Eigenleuchtdichte jedoch bereits stark verringert ist und nur noch als virtuelles Bild erscheint. Auch Bildschirme werden selbst bei starker Neigung so beleuchtet, dass keine störenden Lichtreflexe in ihnen auftreten. Wie bereits erwähnt, kann der Sekundärreflektor eben oder optisch geformt sein und spreizende oder gerichtete Reflexionseigenschaften ­aufweisen. Der Primärreflektor kann in die Leuchte integriert sein oder auch extern als Steh-, Wand- oder Säulenleuchte ausgebildet sein. Ebenso kann das Leuchtensystem für lineare oder punktförmige Lichtquellen ver­ wendet werden. Gut eignen sich Halogen-Metalldampflampen und LEDs, welche ein fast kontinuierliches Spektrum aufweisen und durch ihre hohen Lumenpakete größere Lichtpunktabstände zulassen. Durch die Spiegel­ wirkung der Reflektoren lässt sich der Brennpunkt virtuell transformieren, sodass Leuchtenabstände von sechs bis acht Metern bei drei Meter hohen ­Räumen möglich sind. Dadurch treten Reflexblendungen nur noch spora­ 438

Kapitel 5

Abb. 472 Lineare Sekundärreflektorleuchte mit Leuchtstofflampe.

Abb. 473 Tageslichtumlenkung kombiniert mit einem Sekundärsystem.

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disch auf, und es ist relativ einfach, ihnen mit den Arbeitsflächen auszu­ weichen. Mit dieser Systemtechnik sind wir in der Lage, viele Kriterien hinsichtlich der visuellen Wahrnehmung zu erfüllen, und wir erhalten zusätzliche An­ wendungsmöglichkeiten mit hohen Wirkungsgraden. In Kapitel 3.7 (Abb. 221) sehen wir, dass wir auch die gesamte Decke in Form einer Spiegeldecke als Sekundärreflektor gestalten können. Das hat neben der Flexibilität für die Leuchtenpositionen auch den Vorteil, dass man sie für den Tageslichttransport von außen nach innen nutzen kann. Verwenden wir noch zusätzliche Umlenkelemente an der Decke, so kön­ nen wir das Tageslicht über die Spiegeldecke gezielt im Raum verteilen (Kapitel 4, Abb. 251). Durch die entmaterialisierende Wirkung von spiegelnden Materialien an der Decke entsteht ein dynamischer Raumeindruck. Das übliche Problem der Deckenaufhellung erübrigt sich in diesem Fall, da die Spiegeldecke die räumliche Umgebungshelligkeit als virtuelles Bild aufnimmt und ihre Be­ wegungsabläufe nach unten transformiert. Es ist jedoch immer zu berück­ sichtigen, dass die Eigenleuchtdichte der virtuellen Bilder an der Decke in das Theoretische Leuchtdichtemodell und in das gewünschte Licht- und Raummilieu miteinbezogen werden müssen.

Abb. 474 Sekundärsystem als Spiegel-­ Werfer-System mit Halogen-­ Metalldampflampen ausgeführt.

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Kapitel 5

Abb. 475 Eine ca. 150 m breite Halle wird mittels Spiegel-Werfer-System beleuchtet. An der Seite befinden sich die Werfersysteme, die auf die Sekundärspiegel im Dach strah­ len und die Halle gleichmäßig ausleuchten. Die großen Abstände zu den Werfern nehmen die eigentlichen Blendquellen aus dem Gesichtsfeld, indem die virtuellen Bilder dieser nach oben transformiert werden. Die Streustrahlung wird genutzt, um die Tragekonstruktion der Halle aufzuhellen.

Abb. 476 Werfereinheit mit Spiegelwolke in der Dachkonstruktion.

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Abb. 477 Nächtliche Fernwirkung des glas­ überdachten Postautodecks.

5.5.5  Das Spiegel-Werfer-System Eine Erweiterung des sekundären Beleuchtungssystems ist das Prinzip des Spiegel-Werfer-Systems. Der Werfer als Primärreflektor beinhaltet die punktförmige Lichtquelle (Halogen-Glühlampe, Halogen-Metalldampflampe, LED), und der se­ parate Umlenkspiegel ist der Sekundärreflektor. Das System ist flexibel gestalt- und einsetzbar, und es ist möglich, bei großen Entfernungen mit relativ kleinen Leuchtensystemen wirksam zu sein Die separaten Sekundärspiegel sind auch hier wieder eben oder geformt ausgebildet. Eine Variante dazu ist das Prinzip der Lichtpunktzerlegung, die den Umlenkspiegel in viele Einzelelemente aufteilt. In jedem dieser partiellen Teilspiegel bildet sich das virtuelle Bild des Werfers mit der Licht­ quelle ab und zerlegt dieses Werferbild in die Anzahl der jeweiligen Teil­ spiegel. Die hohe Eigenleuchtdichte der Lichtquelle wird dadurch eben­ falls auf die Teilspiegel verteilt, und die Leuchtdichte des Umlenkspiegels verringert sich. Diese Teilspiegel können in ihrer geometrischen Optik dif­ ferenziert, die entstehende Beleuchtungsstärkeverteilung kann variiert und angepasst werden. Die physiologische Blendung kann dadurch auch bei angepasster Lichtpunktzerlegung um ca. 50 % reduziert werden. 442

Kapitel 5

Abb. 478 Spiegel-Werfer-System für das Nachtmilieu einer gläsernen Ein­ gangshalle.

Abb. 479 Die Primärlichtquelle ist als Parallelstrahler in die Decke integriert und strahlt direkt auf die Bodenspiegel. Diese lenken das Licht zurück an die Deckenspiegel, von wo es vorwiegend blendfrei auf die Tische und als Allgemein­ beleuchtung in den Raum gelangt. Das entstehende virtuelle Bild wird auf ca. 14 m nach oben trans­ formiert und zum Gesichtsfeld hin versetzt. Blend- und Ablenkungs­ erscheinungen werden verhindert.

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Abb. 480 Die reflektierenden Umlenk­ elemente an der Decke werden auf das Exponat ausgerichtet und über Werfer-Systeme im Boden angestrahlt. Es entsteht ein ent­ materialisierter Eindruck, und es bildet sich die Umgebung in der spiegelnden Lackierung der Auto­ oberfläche ab.

Abb. 481 Die Werfer-Systeme befinden sich im Boden und beleuchten das ausgestellte Objekt über das reflektierende Deckenelement. Das virtuelle Bild der Scheinwerfer wird verlagert und auf die dop­ pelte Raumhöhe gebracht. Durch diese Anordnung und den Aus­ strahlwinkel von 2 × 15° wird eine optimierte Ausleuchtung erreicht. Die hochglänzende Oberfläche des Fahrzeugs wird für seine Formbetonung (als Invariante) ge­ nutzt und die Nennbeleuchtungs­ stärke auf bis zu EN > 10.000 lx angehoben, um umliegende Reflexerscheinungen und störende Spiegelungen zu vermeiden.

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Kapitel 5

Abb. 482 Wir sehen einen unterirdischen Mehrzweckraum (Versuche, Schu­ lungen, Besprechungen etc.) mit Spiegel-Werfer-System und Künst­ lichem Himmel im Hintergrund.

Meiner Meinung nach ist die sekundäre Systemtechnik ein wichtiger Be­ standteil der Lichtgestaltung, da sie sowohl lichttechnisch als auch gestal­ terisch hohe Flexibilität mit sich bringt. Sie ermöglicht es, entmaterialisierte Flächen und ihre Funktion und Wirkung in die Raumgestaltung einzubezie­ hen, das Licht auf weite Entfernungen zu transportieren, unterschiedlichste Lichtwirkungen zu schaffen und dabei das allgemein nur schwer lösbare Problem der Blendleuchtdichte als gewollt in die Umgebungshelligkeit mit­ einzubeziehen. Für mich stellt sie eine äußerst effektive, optisch anspre­ chende und wirtschaftlich interessante Systemtechnik dar, die wir bereits seit Jahrzehnten erfolgreich realisieren.

5.6  Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Beleuchtungen Für uns Lichtgestalter bedeutet Wirtschaftlichkeit, die jährlichen Betriebs­ kosten einer Kunst- oder/und Tageslichtanlage unter Aufrechterhaltung der Qualitätsanforderungen gering zu halten. Diese Kosten setzen sich zusam­ men aus der Investition, dem Stromverbrauch, der Handhabung und der Instandhaltung einer Beleuchtungsanlage. Die Umsetzung der optimalen Kunstlicht

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Sehbedingungen wie Blendungsfreiheit, Farbwiedergabe, Lichtverteilung etc. sind selbstverständlich Voraussetzung dafür und sind damit indirekt in diesen Kosten enthalten. Die Effektivität einer Beleuchtungsanlage er­ schöpft sich demnach nicht in der ausschließlich quantitativen Sparsamkeit, sondern letztlich im Sehkomfort, den die Planung bietet. Das Wesent­liche für die Informationsaufnahme, das Wohlbefinden und die Gesundheit ist das Lichtmilieu, und so erhält das Thema Wirtschaftlichkeit eine zusätzliche Dimension, die nur indirekt in Zahlen erfassbar ist. Die Aufgabenstellung an die Lichtplanung hängt primär von den bau­ lichen und technischen Vorgaben ab wie • Tageslichtöffnungen, • Sehaufgabe im Infeld, • Material des Umfeldes, • Leuchten und • Leuchtmittel. Die Wahl und Kombination der Materialien – insbesondere der Raumbe­ grenzungsflächen und der Möblierung – spielen für das Erscheinungsbild eines Raums eine wesentliche Rolle. Je nach Art und Grad der Oberflä­ chenreflexion erhält das Auge über das sekundäre und sichtbar machende Licht den Helligkeitseindruck und die Information über das Material. Werden dunkle Oberflächen verwendet, so muss im Regelfall wesentlich mehr primäres Licht als bei hellen Materialien aufgestrahlt werden, um die nötige Infeld- und Umfeldhelligkeit zu erzielen. Das bedeutet mehr Energieaufwand, und das wiederum wirkt sich entsprechend auf die Be­ triebskosten aus. Auch bei der Verwendung von Tageslicht wirken sich helle Materialien insofern günstiger aus, da sie bessere Blend- und Sonnenschutzmaßnah­ men durch hochwertige Systeme erlauben, weil sie relativ viel Licht zur Raumerhellung reflektieren. Diese Motive sind bei der Gestaltung eines Raum- und Lichtmilieus unbedingt einzubeziehen, da sie wesentlich zur Entscheidungsfindung beitragen.

5.6.1  Die Wirtschaftlichkeit von Tageslicht Auch wenn uns Sonne und Tageslicht kostenlos zur Verfügung stehen, so müssen die Kriterien der Tagesbelichtung nach den vorher genannten Ge­ sichtspunkten analysiert und bewertet werden. Wie wir wissen, sind diese Kriterien • Tageslichtmenge, • Tageslichtverlauf, • Sonnenschutz, • Anforderungen an die visuelle Wahrnehmung, • zirkadianer Rhythmus, • Sicht nach außen und • Energieaufwand für etwaige Tageslichtergänzungsbeleuchtung. Die Wirtschaftlichkeit ist auch hier umfassend zu betrachten und lässt sich kaum auf die Floskel „Gutes Licht für wenig Geld“ reduzieren. Als solches ist es nicht schwierig, gute und einfache Lösungen für die Tageslichtplanung zu finden. Das Problem sehe ich vielmehr in der immer noch geläufigen Handhabung dieses Themas und in den daraus resul­ tierenden Ergebnissen mit ihren Vorbehalten – die so natürlich nicht zu Unrecht entstehen. Bei zu kleinen Fensteröffnungen in einem Gebäude beispielsweise erhalten wir einen sehr geringen Tageslichtquotienten, und 446

Kapitel 5

es muss vermehrt Kunstlicht verwendet werden, um die Räume den Forde­ rungen entsprechend zu beleuchten. Große Öffnungen verringern einer­ seits die Wärmedämmungsfläche der Außenwand und damit die Raum­ isolation, und der Energieaufwand für die Beheizung eines Gebäudes steigt. Andererseits verursachen große klare Fenster (auch mit einfachen Sonnenschutzsystemen) zu viel Wärmestrahlung im Raum und benötigen mehr Energie für die Kühlung. Und bei unüberlegter Abschattung und allgemeinen Blendschutzmaßnahmen muss dann auch an Sonnentagen paradoxerweise doch wieder Kunstlicht zugeschaltet werden. Die notge­ drungen steigenden Kosten für all diese Gegenmaßnahmen werden in Kauf genommen und leider zu wenig hinterfragt. Optimiert man ein Tageslichtsystem z. B. durch Verwendung eines retro­ reflektierenden Sonnenschutzes und geeignete Umlenksysteme, die auch die Funktion des Blendschutzes übernehmen, dann sind zwar die Anschaf­ fungskosten erhöht, doch die laufenden Betriebs- und eventuelle Folgekos­ ten reduzieren sich, und die visuelle Leistung sowie der zirkadiane Rhyth­ mus werden optimiert. Eine optimierte Tageslichtplanung ist meiner Ansicht nach bereits in der Planungsphase seitens der Architektur notwendig, sodass angepasste Grundrisse und erweiterte Raumtypen möglich werden und sich die Spei­ chermasse erhöht. Auch hinsichtlich Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit sind bereits zu Beginn eines Planungsprozesses solche Optimierungsüber­ legungen gefragt. Selbstverständlich muss dabei das der Forderung ent­ sprechende Lichtmilieu gewährleistet werden und der Kosten-Nutzen-Kal­ kulation zugrunde liegen, sodass der finanzielle Aufwand gerechtfertigt ist.

5.6.2  Die Wirtschaftlichkeit von Kunstlicht Kunstlichtlösungen sind im Gegensatz zu Tageslichtlösungen systembezo­ gener, da sie lampen- und leuchtenspezifisch sehr unterschiedlich und in ihrer Lichtwirkung unverwechselbar sind. So lässt sich beispielsweise eine Beleuchtungsanlage auf Basis von Halogen-Glühlampen mit ihrem cha­ rakteristischen Lichtmilieu nicht mit LEDs oder Leuchtstofflampen erzielen, selbst wenn die primären Kriterien wie Beleuchtungsstärke und Lichtfarbe dieselben sind. Aufgrund ihrer spektralen Zusammensetzung, ihrer Bril­ lanz, ihrer Schattenbildung und ihrer Lichtfiguration hat jede Kunstlicht­ quelle ihren spezifischen Einfluss auf das Erscheinungsbild eines Raums und kann durch ein anderes System nicht ohne Veränderung oder Ver­ zerrung des Milieus ersetzt werden. Die Lichtwirkung und der damit zu­ sammenhängende funktionale Aspekt der Kunstlichtbeleuchtung muss im Vordergrund stehen, und eine „nur“ wirtschaftliche Gegenüberstellung von Systemen ist allenfalls ein unvollständiger Teilvergleich. Wir erleben immer wieder, dass die Beleuchtung z. B. eines barocken Fest­ saals mit einem Kronleuchter trotz der hohen Anschaffungs- und Betriebs­ kosten nie infrage gestellt wird. Ebenso verhält es sich in Wohnräumen, wo praktisch kaum das Bedürfnis nach energetisch und erwerbsmäßig preiswerten Leuchten mit Leuchtstofflampen aufkommt, sondern die Glüh­ lampe mit ihrem relativ schlechten Wirkungsgrad hinsichtlich Lichtausbeute der Stimmung wegen bevorzugt wird. Kostenbezogene Wirtschaftlichkeits­ vergleiche gibt es im Allgemeinen weniger dort, wo die Beleuchtung als gestaltendes Element für das Milieu eingesetzt wird, sondern da, wo die ausreichende Lichtausbeute im Vordergrund steht und die Kosten an den Kunstlicht

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Minimalforderungen ausgerichtet werden (z. B. Industriehallen, Lagerhal­ len, Notbeleuchtung etc.). Immer wieder tritt auch die Frage nach der Wirtschaftlichkeit von Be­ leuchtungsanlagen auf, die vorwiegend der Tageslichtergänzung dienen. Sie haben erheblichen Einfluss auf die monatlichen bzw. jährlichen Be­ triebsstunden, und wie bereits im vorherigen Kapitel beschrieben, müssen die beiden Systeme (Tageslicht – Kunstlicht) optimal aufeinander abge­ stimmt sein, um die Kosten so gering wie möglich halten zu können. Sowohl für Kunstlicht- als auch für Tageslichtsysteme gilt: „Wenn man nicht nur nach der Lichtmenge, sondern hauptsächlich nach der Lichtwirkung fragt, sind Wirtschaftlichkeitsberechnungen eine komplexe Angelegenheit.“ In den meisten Fällen besteht die wirtschaftliche Vertretbarkeit einer Be­ leuchtungsanlage in ihrer funktionalen Synthese von ausreichender Licht­ menge und angemessener Lichtwirkung. Da wir ca. 80 % der Informatio­ nen mit den Augen aufnehmen und da die visuelle Beanspruchung an unseren Arbeitsplätzen immer weiter zunimmt, ist der für eine konsequente Optimierung des Sehkomforts notwendige Beleuchtungsaufwand eher ge­ ring zu sehen.

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Kapitel 5

Anhang

Über den Autor

Christian Bartenbach, Jahrgang 1930, studierte an der Höheren Techni­ schen Lehranstalt in Innsbruck das Fach Elektrotechnik. 1954 trat er als Teilhaber in die Firma seines Vaters G. A. Bartenbach ein. Daraus entstand in Zusammenarbeit mit seinem Bruder Adolf die Leuchten­ fabrik Bartenbach Lichtsysteme GmbH, wo Christian Bartenbach bis 1960 die lichttechnische Abteilung mit dem Tätigkeitsschwerpunkt auf dem Ge­ biet der Entwicklung, Planung, Gestaltung und Ausführung von Kunstlicht­ systemen ausbaute. 1968 Gründung des Ingenieurbüros Lichtplanung Christian Bartenbach in München, wo er sich in den 1970er-Jahren hauptsächlich mit der Be­ leuchtung von Großraumbüros unter Einbeziehung seiner wahrnehmungs­ psychologischen Forschungen beschäftigte und profilierte. Seiner Arbeit entsprangen marktbestimmende, europa- und weltweit patentierte Erfin­ dungen von blendungsfreien Systemtechniken mit hoher Energieeinspa­ rung wie die Darklight-Technik, die Tageslichtumlenkung und neue Sonnen­ schutzsysteme. 1976 Gründung des Bartenbach LichtLabor, das sich mit der Konzeption und Planung von Tages- und Kunstlichtsystemen befasst. 1989 Bezug des nunmehr zentralen LichtLabors in Aldrans/Tirol, das mit modernen Simulations-, Mess- und Forschungseinrichtungen ausgestattet ist und wo Christian Bartenbach mit circa 50 Mitarbeiterinnen und Mit­ arbeitern die Weiterentwicklung innovativer Lichtsysteme und deren Ein­ satzmöglichkeiten in bestehenden und neuen Bauvorhaben realisiert und seine Lichtphilosophie erfolgreich verwirklicht. Seit 1993 ist Christian Bartenbach Honorarprofessor an der Technischen Universität München, und seine in der Fachwelt anerkannten Leistungen und Publikationen auf dem Gebiet der Lichttechnik und Lichtgestaltung brachten ihm darüber hinaus zahlreiche Lehraufträge und Gastprofessu­ ren im mitteleuropäischen Raum (Innsbruck, München, Karlsruhe, Stuttgart, Kassel, Nürnberg, Zürich und Wien) und führten zu einer konstruktiven und zukunftsorientierten Zusammenarbeit mit namhaften Architekten. 1995 Verleihung des Berufstitels „Professor“ durch den Österreichischen Bundespräsidenten 1995 Unternehmer des Jahres im Bereich Dienstleistung, Auszeichnung durch die Bundessektion Gewerbe und Handwerk und die Zeitschrift Trend (Österreich) 2000 Initiator des Kompetenznetzwerks Licht 2002 Verleihung des Ehrenzeichens des Landes Tirol durch den Landes­ hauptmann

Über den Autor

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2003 Initiator der Lichtakademie Bartenbach, Lehrgangsleiter des Univer­ sitätslehrgangs Lichtgestaltung der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck mit dem akademischen Grad „Master of Light and Lighting (MLL)“ 2009 Verleihung des Ehrendoktorats der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck aufgrund seiner Verdienste um die von der Universität vertrete­ nen gesellschaftlichen und kulturellen Aufgaben 2018 Verleihung des Österreichischen Staatspreises „Patente“ – Spezial­ preis Lebenswerk 2018 Verleihung des Deutschen Lichtdesignpreises – Ehrenpreis der Jury für das Lebenswerk

Weiterführende Literatur zur Biografie des Autors: Christa Klingler (Hrsg.), Christian Bartenbach. Ein Meister des Lichts, ­Verlag Müry Salzmann, 2015.

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Anhang

Projektnachweis

Kapitel 1 Abb. 6: Allianz – Kasino und Cafeteria, München (D) Architekt: Lanz Architekt & Ingenieure (D) Abb. 7: BMW Pavillon, München (D) Architekt: Grünwald, Mayer/Thomeier (D) Abb. 8: Flughafen Frankfurt Terminal 2 (D) Architekt: Christoph Mäckler; Jo Franzke (D) Abb. 9, 10, 13, 15, 16: Passage Hanse-Center Große Bleichen, Hamburg (D) Architekt: von Gerkan, Marg und Partner (D) Abb. 14: Olympia-Einkaufszentrum, München (D) Architekt: Hans Baumgarten und Curt O. Schaller (D) Abb. 17, 18: ECE Alstertal, Hamburg (D) Architekt: ECE Projektmanagement (D) Abb. 45a, 45b: BMW Forschungs- und Ingenieurzentrum, München (D) Architekt: Henn Architekten Ingenieure (D) Abb. 46–49: Weingut Polz, Spielfeld (A) Architekt: g2plus (A) Abb. 50, 51: Deutscher Bundestag, Plenarsaal, Bonn (D) Architekt: Behnisch, Behnisch & Partner (D) Abb. 64, 65: Changi Airport Terminal 3 Singapore (SGP) Architekt: Skidmore, Owings + Merrill LLP (USA); CPG Consultants Pte. Ltd. (SGP) Kapitel 2 Abb. 143: agiplan, Mülheim an der Ruhr (D) Architekt: Sir Norman Foster (GB) Abb. 144: Hoffmann-La Roche, Pfaffenacker, Basel (CH) Architekt: Bauabteilung Hoffmann-La Roche (CH) Abb. 145: BMW Vierzylinder, München (D) Architekt: ASP Schweger + Partner (D) Abb. 146: Deutsche Bank – Unter den Linden, Berlin (D) Architekt: Novotny Mähner Assoziierte (D) Kapitel 3 Abb. 167: Deutsche Leasing, Bad Homburg (D) Architekt: Ulrich Heiken (D) Abb. 169: Bartenbach GmbH (A) Architekt: Josef Lackner (A) Abb. 217: Villa Favorita, Locarno (CH) Architekten: Atelier 5, Bern (CH) Abb. 218: Allianz – Kasino und Cafeteria, München (D) Architekt: Lans Architekt & Ingenieure (D) Abb. 220: KTW, Wörgl (A) Architekt: Dipl.Ing. Klaus Ebner ZiviltechnikergmbH (A) Abb. 221: Sussmann’s Buchladen, Hauptbahnhof, München (D) Architekt: Dieter Schaich (D) Abb. 222, 224: Deutsche Eisenbahn-Versicherungskasse, Köln (D) Architekt: Kraemer, Sieverts & Partner (D) Abb. 225: Bundesrat, Berlin (D) Architekt: ASP Schweger + Partner (D) Abb. 226, 227: Bayerische Staatskanzlei, München (D) Architekt: Siegert + Partner (D) Abb. 235: Allianz – Kasino und Cafeteria, München (D) Architekt: Lans Architekt & Ingenieure (D) Abb. 236: Aula Fachhochschule Aargau (CH) Architekt: Architektengruppe Olten (CH) Projektnachweis

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Kapitel 4 Abb. 254: Jakob-Kaiser-Haus, Berlin (D) Architekt: Schweger + Partner; von Gerkan, Marg und Partner; Thomas van den Valentyn; Busmann + Haberer; de Architekten Cie. Abb. 256: Schweizerischer Bankverein, Biel (CH) Architekt: Marc + Yvonne Hausammann (CH) Abb. 258, 259: Bartenbach GmbH, Aldrans (A) Architekt: Josef Lackner (A) Abb. 264: Mannesmann, Düsseldorf (D) Abb. 278: BMW 4Zylinder, München (D) Architekt: ASP Schweger + Partner (D) Abb. 279: Deutsche Bank – Unter den Linden, Berlin (D) Architekt: Novotny Mähner Assoziierte (D) Abb. 283–287: ZVK – Zusatzversorgungskasse, Wiesbaden (D) Architekt: Herzog + Partner (D) Abb. 289, 290: Schweizerischer Bankverein, Biel (CH) Architekt: Marc + Yvonne Hausammann (CH) Abb. 291–295: Vimmo Vaucher, Bern (CH) Architekt: Atelier 5 (CH) Abb. 313–315: Changi Airport Terminal 3 Singapore (SGP) Architekt: Skidmore, Owings + Merrill LLP (USA); CPG Consultants Pte. Ltd. (SGP) Abb. 318: Flughafen Zürich/Kloten (CH) Architekt: Keller, Bachmann + Partner (CH) Abb. 325: Design Center Linz (A) Architekt: Herzog + Partner (D) Abb. 327–330: Kunstmuseum Bern (CH) Architekt: Atelier 5 (CH) Abb. 332, 333: Haus der Geschichte, Bonn (D) Architekt: Rüdiger + Rüdiger (D) Abb. 336–339: Deutscher Bundestag, Plenarsaal, Bonn (D) Architekt: Behnisch, Behnisch & Partner (D) Abb. 340, 341: Stadtbibliothek Augsburg (D) Architekt: Schrammel Architekten (D) Abb. 345–347: Genzyme Headquarters, Cambridge, MA (USA) Architekt: Behnisch Architekten (USA) Kapitel 5 Abb. 381: Tchibo Hauptverwaltung, Hamburg (D) Abb. 382: Colonia Hauptverwaltung, Köln (D) Architekt: Dansard, Kalenborn + Partner (D) Abb. 383: Gas- und Elektrizitätswerke, Köln (D) Architekt: Kraemer, Sieverts & Partner (D) Abb. 384: Dresdner Bank Hauptverwaltung, Frankfurt am Main (D) Architekt: ABB Architekten (D) Abb. 390: Hotel am Rohrdamm, Berlin (D) Architekt: Jürgen Sawade (D) Abb. 391: Tagungszentrum Roche Forum Buonas (CH) Architekt: Scheitlin Syfrig Architekten (CH) Abb. 399: Dresdner Bank Hauptverwaltung, Frankfurt am Main (D) Architekt: ABB Architekten (D) Abb. 402, 403: Deutsche Bank, Düsseldorf (D) Abb. 412, 413: Kreditanstalt für Wiederaufbau, Frankfurt am Main (D) Architekt: ABB Architekten (D) Abb. 417, 418: Dresdner Bank Hauptverwaltung, Frankfurt am Main (D) Architekt: ABB Architekten (D) Abb. 426: Deutsche Leasing, Bad Homburg (D) Architekt: Ulrich Heiken (D) Abb. 436: Hotel Gasthof Post, Lech am Arlberg (A) Abb. 437: Antriebstechnik Geislinger, Bad St. Leonhard (A) Architekt: Atelier Volkmar Burgstaller (A) Abb. 438: Bundesrealgymnasium in der Au, Innsbruck (A) Architekt: ARGE reitter – eck&reiter (A) Abb. 442: Union Banque Suisse, Biel (CH) Architekt: Marc + Yvonne Hausammann (CH) 454

Anhang

Abb. 443: Landeszentralbank Hessen, Frankfurt am Main (D) Architekten: Berghof, Landes, Rang (D) Abb. 444: Kreditanstalt für Wiederaufbau, Frankfurt am Main (D) Architekt: ABB Architekten (D) Abb. 448–450: Landeszentralbank Hessen, Frankfurt am Main (D) Architekten: Berghof, Landes, Rang (D) Abb. 451: Techniker Krankenkasse, Hamburg (D) Architekt: Schweger + Partner (D) Abb. 452: Landeszentralbank Hessen, Frankfurt am Main (D) Architekten: Berghof, Landes, Rang (D) Abb. 453: Dresdner Bank Hauptverwaltung, Frankfurt am Main (D) Architekt: ABB Architekten (D) Abb. 461: Flughafen Barcelona (E) Abb. 466: ZVK – Zusatzversorgungskasse, Wiesbaden (D) Architekt: Herzog + Partner (D) Abb. 470: Lech-Elektrizitätswerk, Augsburg (D) Architekt: HPP Architekten, Stiermann + Partner (D) Abb. 471: Kreditanstalt für Wiederaufbau, Frankfurt am Main (D) Architekt: ABB Architekten (D) Abb. 472: Dresdner Bank Hauptverwaltung, Frankfurt am Main (D) Architekt: ABB Architekten (D) Abb. 474: Hauptbahnhof Luzern (CH) Architekt: Ammann + Baumann (CH) Gestalter: Roland Gfeller-Corthésy (CH) Abb. 475–477: Hauptbahnhof und Postautodeck Chur (CH) Architekt: Robert Obrist (CH) Abb. 478: Dresdner Bank Hauptverwaltung, Frankfurt am Main (D) Architekt: ABB Architekten (D) Abb. 479: Audi-Kundencenter, Ingolstadt (D) Architekt: Henn Architekten Ingenieure (D) Abb. 480, 481: Mercedes – Autosalon Genf (CH) Abb. 482: Bartenbach GmbH, Aldrans (A) Architekt: Josef Lackner (A)

Projektnachweis

455

Abbildungsnachweis

Bartenbach GmbH / Bartenbach Lichtgestaltung: Abb. 9a, 13, 15, 16, 25, 30, 31, 36, 37, 38, 40, 66b, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 90, 91, 105, 106, 107, 109, 125, 129, 137, 151, 152, 159a, 160, 162, 163, 172, 230, 241, 244, 267, 281, 298, 299, 322, 326, 342, 386, 405, 414, 415, 430, 431, 434, 435, 437, 439, 462 Fotograf Peter Bartenbach, München: Abb. 6, 7, 8, 9b, 10, 12, 14, 17, 18, 44, 45a, 45b, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 58, 59, 62, 64, 65, 101, 102, 118, 124b, 139, 143, 144, 145, 146, 161, 166, 167, 169, 185, 186, 187, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 224, 225, 226, 227, 229, 235, 236, 245, 254, 255, 256, 258, 259, 260, 263, 264, 270, 271, 277a, 277b, 278, 279, 283, 284, 285, 287, 288, 290, 291, 293, 294, 295, 297, 308, 311, 315, 318, 323, 324, 325, 327, 328, 329, 330, 331, 332, 333, 335, 336, 337, 338, 339, 340, 341, 351, 373, 374, 375, 376, 381, 382, 383, 384, 388, 390, 391, 392, 395, 396, 397, 399, 401, 402, 403, 404, 408, 409, 410, 411, 412, 413, 417, 418, 419, 421, 422, 424, 426, 429, 438, 441, 442, 443, 444, 446, 447, 448, 449, 450, 451, 452, 453, 454, 458, 463, 466, 469, 470, 471, 472, 473, 474, 475, 476, 477, 478, 479, 480, 481, 482 Adobe Stock (Rechte bei Bartenbach GmbH): Abb. 5, 135, 428, 432, 433 Bruno von Beck: Abb. 461 Croci Fotografie (Roland Altmann): Abb. 289 Durlum GmbH: Abb. 313, 314 Fotograf Herbert Lehmann: Abb. 436 Roland Halbe Fotografie: Abb. 345, 346, 347 Trumpf Kreuzer Medizin Systeme: Abb. 440

Abbildungsnachweis

457

Literaturverzeichnis

Ein Teil der in diesem Buch angeführten Literaturangaben basiert auf der Grund­ lage von Forschungsergebnissen, die von der Bartenbach GmbH (ehem. Bart­ enbach LichtLabor) erarbeitet wurden. Sie sind meist einem spezifischen Thema zugeordnet und mit diesem Bearbeitungs- oder Erklärungsvorgang vernetzt. Diese Arbeiten sind meist in ihrer Zusammenfassung mit „unveröffentlicht“ vermerkt und liegen vorwiegend bei Bartenbach auf und erfassen einen Großteil des Literatur­ umfangs. Die Ursache dafür ist, dass der Inhalt des Buches überwiegend auf den Erfahrungen und der realen Durchführung von Aufgabenstellungen beruht. Häufig sind diese von Forschungen an der Wahrnehmung und der Entwicklung lichttechni­ scher Systemtechniken für Tages- und Kunstlicht begleitet. Diese Forschungsergeb­ nisse machen einen bedeutenden Wissensanteil am Inhalt dieses Buches aus.

Christian Bartenbach (sen.): „Von der Helligkeit zur Wahrnehmung“ Bartenbach LichtLabor, Aldrans/Innsbruck – unveröffentlicht Christian Bartenbach (sen.): „Licht- und Raummilieu“ Bartenbach LichtLabor, Aldrans/Innsbruck – unveröffentlicht Christian Bartenbach (sen.): „Licht und Farbe“ Lichtplanung Ch. Bartenbach, Aldrans/Innsbruck – unveröffentlicht Christian Bartenbach (sen.): „Ökologische Optik“ Bartenbach LichtLabor, Aldrans/Innsbruck – unveröffentlicht Christian Bartenbach (sen.): „Vergleich v. künstlichen Beleuchtungssystemen“ Bartenbach LichtLabor, Aldrans/Innsbruck – unveröffentlicht Christian Bartenbach (sen.): „Beleuchtung mit Sekundärsystemen“ Sonderdruck TAB (Technik am Bau), 1990 Christian Bartenbach (sen.): „Identität eines Verwaltungsgebäudes durch Licht“ Bartenbach LichtLabor, Aldrans/Innsbruck – unveröffentlicht Christian Bartenbach (sen.): „Mehrere Infelder“ (Dr. Rasch Architekturbüro – Astronomy Museum Mekka – Projekt Nr. 1719) 2020 Bartenbach LichtLabor, Aldrans/Innsbruck – unveröffentlicht Christian Bartenbach (sen.): „Neue Tageslichtkonzepte“ Sonderdruck TAB (Technik am Bau), 1986 Bartenbach LichtLabor, Aldrans/Innsbruck Christian Bartenbach (sen.): „Tagesbelichtung von Arbeitsräumen“ Bartenbach LichtLabor, Aldrans/Innsbruck – unveröffentlicht Christian Bartenbach (sen.): „Tages- und Kunstlicht in Einkaufspassagen“ Bartenbach LichtLabor, Aldrans/Innsbruck – unveröffentlicht Christian Bartenbach (sen.) „Lichtvorhänge oder Fensterbehänge“ Lichtplanung Bartenbach, Aldrans/Innsbruck – unveröffentlicht Christian Bartenbach (sen.): „Sonnenraum – Detailbericht Analyse der Leistungsund Befindlichkeit – physiologische Messungen“, 2006 Lichtplanung Bartenbach – Kompetenzzentrum 09, Aldrans/Innsbruck Christian Bartenbach, Martin Klingler: „Tageslicht“, S. 88 ff.

Jahrbuch für Licht und Architektur; hrsg. von Ingeborg Flagge, 1995.

Christian Bartenbach, Walter Witting: „Bildschirmarbeit bei unterschiedlichem Licht“, S. 156 ff. Jahrbuch für Licht und Architektur; hrsg. von Ingeborg Flagge, 1995. Christian Bartenbach, Walter Witting: „Feldkomponenten des Sehens und ihre Be­ deutung als Informationsquelle am Arbeitsplatz“, S. 12 ff., und „Der visuelle Raum aus der Sicht der ökologischen Optik“, S. 22 ff. Jahrbuch für Licht und Architektur; hrsg. von Ingeborg Flagge, 1998. Bartenbach LichtLabor: „Lichtvorhänge oder Fensterbehänge“, S. 202 ff., und „Das Fenster und das Licht“, S. 210 ff. Jahrbuch für Licht und Architektur; hrsg. von Ingeborg Flagge, 2000. Literaturverzeichnis

459

Bartenbach LichtLabor: Bauen mit Tageslicht und Bauen mit Kunstlicht Herausgeber: Roland Gfeller-Corthésy Verlag Vieweg und Sohn, 1998 Christian Bartenbach (sen.), Walter Witting: „Welches Licht am Bildschirm“ Quantitativer Leistungsvergleich verschiedener Lichtbedingungen (am Bild­ schirm) am Arbeitsplatz Bartenbach LichtLabor, Aldrans/Innsbruck – unveröffentlicht Christian Bartenbach (sen.), Walter Witting: „Wellness, Licht und Gesundheit in Gastronomie und Hotellerie“ Bartenbach LichtLabor, Aldrans/Innsbruck – unveröffentlicht Christian Bartenbach (sen.), Walter Witting: Handbuch für Lichtgestaltung. Lichttechnische und wahrnehmungspsychologische Grundlagen Bartenbach LichtLabor, Aldrans/Innsbruck Springer Verlag, 2009 Christian Bartenbach (sen.), Ottokar Uhl (Universität Karlsruhe), Fa. Osram, Mün­ chen: „Halogenisierung des Wohnraumes“ Christian Bartenbach (sen.), Markus Canazei, Siegmund Staggl, Julia Wörgötter: „Therapeutische und nicht themenspezifische Lichtwirkungen“ (Theoretisches Modell), Projekt Nr. 2230 Bartenbach LichtLabor – KPZ 2009 – unveröffentlicht – KPZ 130 + Medizini­ sche Universität Innsbruck, Prof. Hartmann Hinterhuber, Dr. Josef Marksteiner Christian Bartenbach (sen.), Markus Canazei, Siegmund Staggl, Martina Ascher: „Kriterien der Psychophysiologischen Behaglichkeit“, Projekt Nr. 133, 2009 (Wissenschaftliche Gesamtdokumentation) Bartenbach LichtLabor, Kompetenzzentrum, Fa. Egger – unveröffentlicht Doris Eller-Berndl: Herzratenvariabilität Verlagshaus der Ärzte, 2010 MS Rea PhD, MG Figueiro MSc, JD Bullough MSc, Lighting Research Center, Rens­ selaer Polytechnic Institute, Troy, New York, USA: „Circadian photobiology: an emerging framework for lighting practice and research“, 2002 Stephen Bitgood, Jacksonville University, USA: „The Mind in visual search“ Sam M. Berman, George Fein, Don L. Jewett, Blaine R. Benson, T.M. Law, Alan M. Myers: „Visual Performance and Light Spectrum: The Inadequacy of Conven­ tional Photometry“, November 1996 Peter Dal-Bianco, Peter Walla: Verrückt, was unser Hirn alles kann Galila Verlag, 2010 Andreas Berke: „Blaues Licht – gut oder schlecht?“ (Teil 1 und 2) DOZ-Verlag (www.doz.verlag.de unter „Service“ im Download-Bereich) Atelier 5: Architektur und Tageslicht – Haus Vaucher Ammann Verlag, , 1984 Julia Anna von Chamier: „Die Interdependenz von Material und ihre Folgen für Raumgefühl und Wohlbefinden“ Dissertation, TU München, Lehrstuhl für Raumkunst und Lichtgestaltung, 2020 Wolfgang Ehrenstein: „Das Auge stellt die biologische Uhr des Menschen“ Konse­ quenzen für Lichtnutzung und Lichttechnik (3. Symposium „Licht und Gesund­ heit“, Berlin, Februar 2002) Universität Hohenheim, Angewandte Physiologie James J. Gibson, Ivo Kohler: Die Sinne und der Prozess der Wahrnehmung Verlag Hans Huber, 1973 James J. Gibson: Wahrnehmung und Umwelt Verlag Urban und Schwarzenberg, 1982 E. Bruce Goldstein: Wahrnehmungspsychologie, 7. Auflage Spektrum Akademischer Verlag, 2008 Springer Verlag, 2008 Herbert Hagendorf, Joseph Krummenacher, Hermann-Josef Müller, Torsten Schu­ bert: Wahrnehmung und Aufmerksamkeit Springer Verlag, 2011 Gunther Hildebrandt, Maximilian Moser, Michael Lehofer: Chronobiologie und Chronomedizin (Biologische Rhythmen – Medizinische Konsequenzen) Verlag Hippokrates, 1998 György Kepes: Sprache des Sehens Florian Kupferberg (Paul Theobald und Company), 1970 460

Anhang

Eric Kandel: Das Zeitalter der Erkenntnis Pantheon Verlag, 2014 Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken Verlag Siedler, 2011 Russel J. Reiter, Jo Robinson: Melatonin Verlag Knaur, 1996 Gerhard Roth: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Verlag Klett-Cotta, 2007 Ders.: Das Gehirn und seine Wirklichkeit Suhrkamp Verlag, 1997 Thomas Herzog: Nutzung – Effizienz – Nachhaltigkeit SOKA-BAU (KFW-Wiesbaden, 1994) Prestel, 2007 Peter Spork: Das Uhrwerk der Natur Rororo – Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2004 R. O. Schumacher: „Die Unterschiedsempfindlichkeit des helladaptierten mensch­ lichen Auges“ Dissertation, Technische Hochschule Berlin, Charlottenburg, 1940 Peter Scheffler: „Anpassung an Farben“ Dissertation, Philosophische Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Inns­ bruck, 1949/1950 Wolf Singer: Der Beobachter im Gehirn Suhrkamp Verlag, 2002 Herbert Schober: Das Sehen (Band I/II) Fachbuchverlag Leipzig, 1957/1964 Semir Zeki: Glanz und Elend des Gehirns Ernst Reinhardt Verlag, 2010 Arthur Zajonc: Lichtfänger – die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewusstsein Verlag Freies Geistesleben, 2008 Jürgen Zulley, Barbara Knab: Unsere Innere Uhr Herder Verlag, 2000 Daniel L. Schacter: Wir sind Erinnerung Rowohlt Verlag, 1999 Franco Pestilli, Gerardo Viera, Marisa Carrasco: „How do attention and adapta­ tion affect contrast sensitivity?“, Journal of Vision, 2006 Bartenbach LichtLabor – KPZ35 (2011) – UMIT Hall (Prof. Wolfgang Schobersber­ ger): „Lichtwirkung und Melatoninproduktion“ Rolfdieter Krause, Rainer Stange (Hrsg.): Lichttherapie Springer Verlag, 2012 (Seite 58, Abb. 4.2) E. Bruce Goldstein: Wahrnehmungspsychologie, 7. Auflage Spektrum Akademischer Verlag, 2008

Literaturverzeichnis

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Christian Bartenbach Rans 2 6071 Aldrans Acquisitions Editor: David Marold, Birkhäuser Verlag, A-Wien Content & Production Editor: Katharina Holas, Birkhäuser Verlag, A-Wien Korrektorat: Monika Paff, D-Langenfeld Layout, Covergestaltung und Satz: Ekke Wolf, A-Wien Litho: Pixelstorm Litho & Digital Imaging, A-Wien Druck: Holzhausen, die Buchmarke der Gerin Druck GmbH, A-Wolkersdorf

Library of Congress Control Number: 2021936755 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungs­ anlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-0356-2293-5 e-ISBN (PDF) 978-3-0356-2294-2 © 2021 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston 9 8 7 6 5 4 3 2 1

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