Leben und Wirken des Freiherrn Rochus von Liliencron: Mit Beiträgen zur Geschichte der Allgemeinen Deutschen Biographie [Reprint 2019 ed.] 9783111698311, 9783111310060


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German Pages 316 [320] Year 1917

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Table of contents :
An Dr. Ludwig Bettelheim-Gabillon
Vorwort
Inhalt
I. Holsteiner Zugendjahre
II. Auf den Hochschulen Kiel und Berlin
III. Bräutigam. — Privatdozent. — Erste Waffengänge
IV. Professor in Kiel und Jena
V. In meiningischem Hofdienst
VI. Die historischen Volkslieder der Deutschen. Die Anfänge der Allgemeinen Deutschen Biographie
VII. Klosterpropst in Schleswig. — Das erste Alphabet der Allgemeinen Deutschen Biographie. — Goldene Hochzeit
VIII. Denkmäler Deutscher Tonkunst. — Das zweite Alphabet der Allgemeinen Deutschen Biographie. — Neunzigster Geburtstag
Quellen und Anmerkungen
Beilage A. Liliencrons Bericht
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Leben und Wirken des Freiherrn Rochus von Liliencron: Mit Beiträgen zur Geschichte der Allgemeinen Deutschen Biographie [Reprint 2019 ed.]
 9783111698311, 9783111310060

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Leben und Wirken des Zreiherrn

Rochus von Liliencron. Mt Beiträgen -ur Geschichte der Allgemeinen Deutschen Biographie.

Don

Nnton Vettelheim.

QRlt einem Bildnis A-chus v. Ltliencroas.

Berlin. Verlag von Georg Reimer.

1-17.

Alle Rechte, insbesondere bad der Über­ setzung in fremde Sprachen, Vorbehalten.

lltenSurg Pterersche Hofbuchdruckerei Stephan Seibel fc Co.

An

Dr. Ludwig Bettelheim-Gabillon Oberleutnant der Reserve

TürkeifeldHaubitz-Batterie 2/V.

Feld-Post-Nummer 312.

Zum 25. November 1915.

Seitdem Du, mein lieber Sohn, am 1. August 1914 eingerückt, im ersten Kriegswinter nach Galizien, dann vom Hochsommer 1915 an in das Küstenland und die Grafschaft Görz versetzt worden bist, haben sich unsere Gedanken Tag für Tag begegnet. Du fühltest Dich im Feld, nach Deinem eigenen Wort, den Deinigen daheim, wenn möglich, noch näher verbunden als je zuvor. Und wir, die Dich von Grund aus zu kennen glaubten, erfuhren überrascht und bewegt, daß Du im Weltkrieg kein anderer geworden und werden konntest, wohl aber Deines Wesens, vor allem Deiner Zugehörig­ keit zu deutscher Art Dir bewußter wurdest, als das vielleicht ohne die Mühsale und Erlebnisse dieser Zeit ohnegleichen geschehen wäre. Im Sinn der Fichteschen Losung: „Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend" warst Du deutsch, solange ich zurückdenken kann. Allein Deutsch sein ist noch weit mehr. Deutsch sein heißt menschlich sein, deutsch sein heißt empfänglich sein für alles, was Vergangenheit und Gegenwart, Kunst und Wissen aller Völker und Zeiten Mit- und Nachlebenden zu eigen geben. Den unerschöpflichen Besitz dieses unbegrenzten Reiches vermag kein einzelner zu beherrschen. Im Bunde mit mehr als tausend der besten Deutschen seiner Tage war aber der Werkmeister der All­ gemeinen Deutschen Biographie — den Du in Deinen Kinder­ jahren als unangesagten, hochwillkommenen Gast der Billa Gabillon im Elternhause gesehen hast — bemüht, die ganze Fülle deutscher Natur von Arminius bis auf Bismarck, alle Spielarten deutscher Stämme, Stände, Berufe leibhaftig vor Augen zu führen. Jn1*

mitten aller Wirren und Sorgen der Kriegsnot hat mich die Ehren­ pflicht, den Lebenslauf dieses Mannes, eines Kerndeutschen, der Kunst und Forschung mit gleicher Liebe Pflegte, zu erzählen, getröstet und über die kommenden Geschicke Deutschlands vom Anbeginn an ausgiebig beruhigt. Und je länger ich mich mit Rochus von Liliencron und seiner Hauptarbeit, der Allgemeinen Deutschen Biographie, während dieser schweren Zeit befaßte, desto häufiger verlangte es mich, Dich teilnehmen zu lassen an seinem Ernst und Humor, an feiner Lebenskunst und Musikfreude, an der Ausgeglichenheit und Allseitigkeit seiner einzigen Persönlichkeit. Deshalb widme ich Dir diese Blätter mit dem Wunsche, daß Dir die Zukunft friedliche Stunden gönnen möge, sie ruhig zu lesen und unbefangen zu prüfen. Treulich

Dein alter Vater

Auto« Bettelheim.

Vorwort. 2tm

5. März 1912 starb der große Werkmeister der Allgemeinen Deutschen Biographie, Rochus Frecherr von Llliencron, im 92. Jahre. Der außerordentlichen Dauer seiner Lebenszeit kam der ungewöhn­ liche Reichtum seiner Lebensarbeit gleich. Glückliche Naturgaben befähigten den seltenen Mann, von einer Betätigung bei der andern sich zu erholen, die schwersten Lasten leicht und anmutig zu tragen. Was er, seit seinen Knabentagen bis in das Patriarchenaller rast­ los emsig, als Fachmann auf dem Gebiet der deutschen Altertums­ kunde, der Geschichte und Musikgeschichte selbständig vollendet, was er als Führer von Hunderten und aber Hunderten namhafter Forscher in der Allgemeinen Deutschen Biographie und den Denkmälern der Tonkunst zuwege gebracht, haben zu seinem 70., zu seinem 80. und 90. Geburtstag wie nach seinem Heimgang wetteifernd in Huldigungs­ adressen, Ansprachen, Festschriften, Nachrufen die Universität Kiel, die Akademien von München, Berlin, Göttingen, wohlberufene Kenner, Hermann Kretzschmar, Gustav Roethe, Erich Schmidt, Edward Schroeder, gesagt. Was er für seine schleswig-holsteinische Heimat während der Wirren von 1848 bis 1850 in diplomatischer Sendung und anfangs der achtziger Jahre als Vertrauensmann des Hauses Augustenburg bei der Vorbereitung der Ehepakten der heutigen Kaiserin von Deutschland mit Kaiser WUhelm II. geleistet hat, bekunden vielfach noch unveröffentlichte, in Staats- und Familienarchiven aufbewahrte, seiner Feder entstammende Denkschriften und Akten. Und daß und wie er neben feiner Gelehrtenarbeit und seinen Amtsgeschäften als Kabinettsrat des Herzogs von Meiningen und als Klosterpropst des adeligen Damenstiftes Sankt Johann vor Schleswig Zeit, Lust und Kraft fand, dichterische und musikalische Liebhabereien zu pflegen, bezeugen neben seinem Jugenddrama „Graf Ourem" seine Künstler­ novellen „Wie man in Amwald Musik macht" und „Die siebente Todsünde". In aller Bescheidenheit nicht blind über den eigenen Wert, sah Liliencron in dieser Vielseitigkeit seiner Anlagen und

Neigungen nicht so sehr eine Gefahr als einen Vorteil. „Du hast geschrieben" — so antwortete er 1872 seinem Landsmann und Freund Samwer, der ihm von einer möglichen Berufung zum Leiter der Berliner Museen Kunde gab —, „daß mir und meinem Interesse kein einzelner Zweig der Dinge, um die es sich hier überhaupt handelt, ganz fern liege. Es möge nicht als Anmaßung klingen, wenn ich dies selbst sage und darin sogar die Eigentümlichkeit meines Wesens sehe, nach deren Entwicklung ich im Leben mit Bewußtsein hin­ gestrebt habe. Der Trieb dazu hat mich früher manchmal, wenn ich einen Anlauf dazu nahm, gehindert, auf irgendeinem besonderen Gebiete eine Spezialität zu werden. Ich habe diesen Vorzug, der dem rechten wissenschaftlichen Forscher allerdings unentbehrlich ist, nie mit der dazu nötigen Beschränkung erkaufen mögen und bin auf dem Wege dahin immer wieder umgekehrt. Obwohl einem Drange meiner Natur dabei folgend, habe ich mir doch so lange selbst Borwürfe darüber gemacht, bis es mir deutlich wurde, daß es auch eine Art Spezialität einer universalen überschau geben und diese unter Umständen nützlich wirken.könne. Meine jetzige redaktionelle Tätigkeit" — als Herausgeber der Allgemeinen Deutschen Biographie — „zeigt mir gleich nach einer Seite hin ihre Verwend­ barkeit, und ich dächte, innerhalb der Kunst und der Altertümer sollte es mir nicht schlechter gehen. Ich würde mich unter diesem Gesichtspunkt immer in einer mehr oder minder zentralen Leitung, die ihr Wesen und ihren Nutzen in einer Art Übersicht des Ganzen und in der richtigen Abwägung der Teile gegeneinander hat, am besten verwendet halten." Gustav Freytag hätte dem Anspruchs­ losen noch Höheres, die vorbildliche Verwaltung des Unterrichts­ ministeriums, zugetraut. Ebenso wäre kein Urteilsfähiger über­ rascht gewesen, wenn sich 1884 die Zeitungsnachricht seiner Be­ rufung als Oberbibliothekar nach Berlin bewahrheitet hätte. Erich Schmidt wiederum war gar nicht verwundert, als es 1888 hieß, Liliencron sei zum Generalintendanten ausersehen: „Das würde nach langen, für alle Kunstfreunde, Schaffende und Genießende höchst unerfreulichen Stockungen eine Ara bedeuten." Jeder dieser Aufgaben wäre Liliencron gewachsen gewesen, und in keiner dieser Stellungen hätte er seine Fähigkeiten aufgebraucht, in keiner seine Natur verleugnet. Heiter und gelassen antwortete er dem Ber-

leger der Allgemeinen Deutschen Biographie, seinem Freunde Carl Geibel, einmal auf die Frage nach den Aussichten eines derart angekündigten Amtes: Consolez-vous mon enfant! peut6tre que ce n’est pas vrai! Er drängte sich nie vor, ließ alles an sich herankommen oder vorübergehen und hielt es zeitlebens mit dem „Papa Franz!" seiner Meisternovelle: „Es kommt nicht darauf an, wie groß der Wirkungskreis ist, als daß man in seiner Art das Seinige leiste." Sicher und klar hat das Liliencron im Greisenalter ausgesprochen in selbstbiographischen Bekenntnissen: „Ich wurde mir frühzeitig eines Triebes bewußt, der nach allen Seiten ins Weite strebte, der möglichst hoch sich zu fliegen sehnte, um aus der Höhe möglichst weit über die Welt zu schauen." „Was meinem Wesen entsprach, war freie wissenschaftliche Arbeit auf dem Boden der Literatur, der Poesie, der Kunst; damit aber verband sich die Befriedigung, die ich zugleich in dem Grunde eines durch ideale und politische Interessen reichbewegten Lebenskreises emp­ fand, die Lust an freier Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und eines hellen, weitgespannten Horizontes." Bekräftigt werden diese Sätze durch seinen ganzen Lebenslauf, den niemand besser hätte erzählen können als Liliencron selbst: Zeuge dessen die sparsamen, allzu sparsamen Erinnerungen, in denen er, nachdem er die Achtzig überschritten, zunächst nur für Kinder und Enkel „Frohe Jugendtage" neu belebte: Ge­ schichten aus der Kinder-, Studenten- und Bräutigamszeit, nicht weniger gewinnend durch die Frische und Laune, die dem Erzähler bis in das höchste Greisenalter treu blieb, als durch die überlegene Lebenserfahrung, die in diesen Rückblicken zu Worte kommt. Allzu­ lange hatte sich Llliencron gegen die Aufzeichnung seiner Denk­ würdigkeiten gesträubt, well seiner Anspruchslosigkeit das meiste seiner Tage und Werke zu privater Natur erschien, um für die All gemeinheit Bedeutung zu haben. Nun überraschte ihn die Zu­ stimmung, die sein Jugendidyll bei den Besten fand, so angenehm, daß er dem Drängen der Freunde und Kenner nachgab und seiner Frau eine neue Folge seiner Lebenserinnerungen diktierte, die er nach dem Tod seiner geliebten Gefährtin weder veröffenllichen noch fortsetzen wollte. Die drei Kapitel führten von den Anfängen seiner Dozententätigkeit in Bonn und den Erlebnissen während

der Revolutionszeit 1848—1850 bis zu seiner Verheiratung und seiner Wirksamkeit als Professor in Kiel und Jena: Blätter, die für Ernst und Scherz mit gleicher Sicherheit den rechten Ton treffen und — nachdem ich sie in dem von Liliencrons Enkel, Rochus Freiherrn von Rheinbaben, wohlgeordneten Archiv zu Gesicht bekam und bald darauf in der Deutschen Rundschau (März, April, Mai 1913) mitteilen durfte —, ebenso einmütigen Dank der Leser weckten wie zuvor die „Frohen Jugendtage". So hoch alle Sachkundigen Liliencrons Verdienste vorher angeschlagen hatten, der erste und letzte Grund seiner Leistungen offenbarte sich nun Nah- und Fernstehenden sinnfällig in diesem wahrhaftigen Selbst­ bildnis seiner in aller Milde festen, Willensstärken Persönlichkeit. Alle Fülle der Kenntnisse und sein tiefgewurzeltes Ansehen in der Gelehrtenwelt hätten Llliencron nicht befähigt, ein Riesenwerk wie die Allgemeine Deutsche Biographie, deren Anfängen Sybel und Treitschke Zweifel entgegenbrachten, zum Abschluß zu bringen: zur Bewältigung eines so ungewöhnlichen Unternehmens war ein ebenso ungewöhnlicher Charakter notwendig. In duldsamer, von Eitetteit und Selbstsucht freier Gesinnung hat Llliencron fast vierzig Jahre lang seine Werkleute gewählt, ergänzt und mit ihren besten Gaben zur Geltung gebracht, unbekümmert darum, ob die Taten und Siege seiner Helfer und Bundesgenossen in der Öffentlichkeit den eigentlichen Oberbefehlshaber überglänzten oder verdunkelten. Wie wundersam Geduld, Entsagung, Klugheit, Kunst der Menschen­ behandlung, Herzensgüte, Pflichtgefühl, Selbstlosigkeit in dem Wesen Liliencrons sich mischten und mischen mußten, um aller Schwierig­ keiten Herr zu werden, Reibungen zu vermeiden und allgemeinen Vertrauens in den verschiedensten Lagern der Gelehrtenrepublik teilhaftig zu werden und zu bleiben, das wird sich im kleinen und im großen in der aus den Quellen geschöpften Geschichte der All­ gemeinen Deutschen Biographie zeigen. Dort wird sich auch als die dauernde Lehre dieses bedeutenden Lebens erweisen, wieviel ein einzelner durch die Macht seines Beispieles vermag. In seinem engsten Familienkreise war dieser Segen seiner Natur längst so dankbar empfunden, daß nach seinem Heimgang von feinen Angehörigen geradezu der Wunsch geäußert wurde, Rochus von Llliencron zu schlldern, wie er gewesen, nicht bloß in seiner öffent-

lichen Tätigkeit als akademischer Lehrer, Diplomat, Schriftsteller, Sammler und Herausgeber der Historischen Bollslieder, Leiter der Allgemeinen Deutschen Biographie und der Denkmäler Deutscher Tonkunst, sondern auch in seinem häuslichen Kreis, im Verkehr mit seinen Freunden, in der Führung seiner mannigfaltigen Geschäfte. Ermutigt durch ihre Anregung, auf das wohlwollendste unterstützt durch die Kinder Llliencrons, durch die Historische Kommission bei der Königl. Bayrischen Akademie der Wissenschaften, insbesondere durch Se. Exzellenz KarlvonHeigel und Geheimrat Professor Dr. S. von Riezler, auf das freundlichste gefördert durch reiche Aufschlüsse von Julius Rodenberg, Geheimrat Samwer in Gotha, Ministerialdirektor Schmidt in Berlin und manche andere war ich, so sehr ich mir meiner Unzulänglichkeit im Fort­ gang der Arbeit bewußt wurde, bestrebt, seine Eharakteristik weniger im strengen Sinn einer Gelehrtenbiographie, als durch die Dar­ stellung seiner sich niemals auf Fachgrenzen einschränkenden, sondern jederzeit in das Mgemeine ausgreifenden Persönlichkeit zu ver­ suchen, die das Wort, das der Siebenundzwanzigjährige 1847 in das Album der Lübecker Germanistenversammlung eingeschrieben, für alle Folgezeit als Wahl- und Wahrspruch seiner Wirksamkeit betrachten durfte: „Den Blick zum Besten, den Fuß im Festen." Er ist dieser Losung sein Leben lang so treu geblieben, daß es kaum irgendwem möglich sein wird, es ihm gleichzutun oder seinem Schaffen allseitig gerecht zu werden: ich habe mich deshalb wiederholt an gelehrte Musikhistoriker, obenan Geheimrat Professor Kretzschmar in Berlin, an Rat und Urteil anderer Fachmänner für andere Forschungsgebiete Llliencrons und niemals vergebens gewendet, wenn meine Sachkenntnis nicht ausreichte oder völlig versagte. Das letzte Ziel einer solchen Würdigung kann und wird im Geist Llliencrons nicht die Verherrlichung eines noch so hochstehenden einzelnen sein: LUiencron sah bis zum letzten Atemzug die eigene Entwicklung wie den Fortgang seiner Lieblingsstudien und organi­ satorischen Schöpfungen nie als abgeschlossen an. Die Versenkung in sein Lebenswerk soll darum uns, wie ihn selbst, zur beharrlichen Weiterführung seiner Hauptaufgaben, zur Erneuerung oder mindestens zur zeitgerechten Überprüfung und Epitomierung der Allgemeinen Deutschen Biographie, zum Ausbau der Denkmäler der Tonkunst, zur

Belebung seiner liturgischen Pläne, zur Verwirklichung seiner sonstigen Entwürfe bestimmen. Keine Requiemklänge, Helle Auferstehungs­ glocken sollen die reine Seele Rochus von Liliencrons grüßen.

Habrovan (in Mähren), 7. Juli 1914. So weit war meine Niederschrift gelangt, als der Weltkrieg ausbrach und monatelang die Fortarbeit hemmte. Inmitten der ungeheuren Erregung, die den Erdkreis erschütterte, fehlte die Stimmung, sich in ein noch so belangreiches Einzelschicksal zu ver­ tiefen. Nachdem die ersten Schlachten geschlagen waren und der Sieg der deutschen Sache sich immer gewisser ankündigte, erschien es um so mehr als Pflicht, in der „Wolke von Zeugen", die Kraft und Reichtum der deutschen Natur erforscht, begriffen und offenbart hatten, Rochus von Liliencron aufsteigen zu lassen in der Bescheiden­ heit und Redlichkeit seines das eigene Verdienst niemals vordringlich aufzeigenden Wesens, ein Bild und Sinnbild deutscher Art der Alt­ vordern, auf deren unscheinbare Tüchtigkeit aller Glanz und alle Größe der neuen Herrlichkeit von Kindern und Enkeln zurückgeht. Und noch gebieterischer als vor dem Beginn des großen Kampfes erhebt sich die Notwendigkeit, Liliencrons Vermächtnis zu'hüten und die Vollendung seiner letzten Pläne angelegentlich zu betreiben. Die Ergänzung und Erneuerung von Liliencrons friedlicher, in der Allgemeinen Deutschen Biographie geübten Heerschau über alle lebendigen Kräfte der Heimat bleibt vor und nach dem Ausgang des Weltkrieges eine Aufgabe, beten Lösung das Vaterland mit gleichem Eifer in Angriff nehmen soll, wie das während der Napoleo­ nischen Kriege geschah durch die Begründung der Berliner Hoch­ schule und nach dem Wiener Kongreß durch die, gemäß dem Wlllen des Freiherrn vom Stein beschlossene, Sammlung der Monumenta Germaniae.

Wien, 25. November 1915. Anton Bettelheim

Inhalt. Seite

An Dr. Ludwig Bettelheim-Gabillon...........................................................

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Vorwort................................................................................................................

5

I. Holsteiner Jugendjahre...............................................................................13

II. Auf den Hochschulen Kiel und Berlin................................................. 32 III. Bräutigam. — Privatdozent. — Erste Waffengange .... 50 IV. Professor in Kiel und Jena...................................................................82 V. In meiningischem Hofdienst.................................................................104 VI? Die historischen Volkslieder der Deutschen. — Die Anfänge der

Allgemeinen Deutschm Biographie.....................................................139 VII. Klosterpropst in Schleswig. — Das erste Alphabet der Allgemeinen

Deutschm Biographie. — Goldene Hochzeit...................................184 VIII. Denkmäler Deutscher Tonkunst. — Das zweite Alphabet der All­ gemeinen Deutschen Biographie. — Neunzigster Geburtstag.

226

Quellen und Anmerkungen..................................................................................261

Beilagen: A. Lilienerons Bericht an die Historssche Kommission, betreffend die Anlage und Einteilung der Allgemeinen Deutschm Biographie

(1869)..........................................................................................................

270

B. Briefwechsel mit Stichling, betreffmd die Berufung zum Kuratorium der Universität

Jma................................................................................ 288

C. Liliencron und die UniversitätKiel.............................................................297 D. AuS dem Archiv

von Breitkops& Härtel............................................... 299

Namenverzeichnis...................................................................................................307

I. Holsteiner Zugendjahre. Die Freiherren von Liliencron sind ein seit Jahrhunderten in

Schleswig-Holstein ansässiges Geschlecht. Der erste dieses Namens war Andreas Pauli (1630—1700), dem Kaiser Ferdinand III. in Regensburg den Ritterstand und Kaiser Leopold 1673 in Wien den Frecherrnstand mit diesem Beiwort verlieh. Seine Eltern waren Bürgerliche, der Bater Paul Martens Kaufmann in Bredstedt bei Husum, die Mutter eine Predigertochter Margarethe Brechling, be­ güterte Leute, die der Kirche ihres Wohnortes eine feingeschnitzte, heute noch erhaltene Kanzel stifteten und ihren Sohn ungemein sorgsam ausbilden ließen. „Nachdem er die Anfangsgründe der Gelehrsamkeit und Wissenschaften in dem Baterlande unter An­ weisung seiner Privatpräzeptoren gelegt hatte, ist er", wie es in der vom Kieler Professor Lackmann hinterlassenen, in den SchleswigHolsteiner Abhandlungen mitgeteilten Handschrift heißt, „in dem Jahre 1646 nach Hamburg geschickt worden." Dort besuchte er die Stadtschule und das Gymnasium, tat sich durch „öftere Orationes in gebundener und ungebundener Rede hervor, wie er denn auch die Gründe der Politik und mathematischen Wissenschaften gelernt". 1649 ging er auf die Universität Rostock, wo er drei Jahre blieb und sich auf die Wissenschaft der Rechte legte. 1651 besuchte er die Universität Leyden, 1652 trat er Reisen nach Frankreich und Italien an. „Als er von solchen zurückkam und im Jahre 1654 auf dem damaligen Reichstag war, hat Kaiser Ferdinand III. ihn und seine Nachkommen in des Heiligen Römischen Reiches alten edlen Ritter­ stand erhoben, und dieses war die erste Stufe zu seine.» Ehren." Wer dem Bierundzwanzigjährigen zu dieser Gnade verholfen hat, der Herzog von Gottorp, der König von Dänemark oder der König von Schweden, ist ungewiß; auch seine nächsten Schicksale sind nicht ganz aufgehellt. Lackmann erzählt, daß ihn der König von Däne­ mark 1657 zum Generalauditeur in Fünen machte. Wenn dem so war, muß er gleich darauf den Dienst gewechselt haben, denn

sicher ist, daß er 1659 mit den kapitulierenden Schweden als Regiments­ quartiermeister auf Fünen dem dänischen Generalfeldmarschall von Eberstein vorgeführt wurde, der ihm soldatisch streng auf den Kopf zusagte: er verdiene den Tod, well er gegen seinen dänischen Landesherrn gekämpft habe. In Kopenhagen, wohin Ritter von Llliencron als Gefangener kam, dachten die Machthaber nicht nur mllder: Andreas Pauli schwang sich dort „von einer hohen Ehren­ staffel auf die andere. Es ist anmerkenswürdig, daß die vortreff­ lichsten Staatsministri des gottseligen Königs Christiani V., Greiffenfeldt, Ehrenschlldt, Llliencron etc., ohne einige Beihllfe ihrer Raissance, bloß durch ihren Witz, Fleiß, S^avoir-faire eben in einer solchen Periode auf die Spitzen der Ehren und des Glückes gestiegen sind, in welchem Dänemark sich die größte Consideration bei den übrigen Europäischen Höfen erworben hat". In heikler diplomatischer Sendung 1662 als Rat und Resident nach Wien geschickt, war er 1671 schon Gesandter in der Kaiserstadt. Seine Gewandtheit hatte seinem Souverän in den verwickelten Erbfolgefragen zwischen Dänemark, Gottorp, Sonderburg-Plön über alle Erwartung gehenden Erfolg gebracht: Llliencron verstand es, durch wohlbedachte Abfindungen die Sonderburg-Plöner Linie schadlos zu halten, die Gottorper Anwärter auszuschalten und damit dem dänischen König den Er­ werb der Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst zu sichern. Wien und Kopenhagen wetteiferten, den überlegenen Sachwalter aus­ zuzeichnen. Der Kaiser machte ihn seiner „Dexteritaet" wegen zum Baron, der dänische König teilte ihm Würden über Würden zu. Andreas Pauli Reichsfreiherr von Llliencron erhielt 1679 als Kanzler die „Direktion" in den schleswig-holsteinischen Landen, und als Friedrich IV. zur Krone kam, nahm er Llliencron im Sommer 1700 mit sich nach Rendsburg und Glückstadt, „woselbst er stets um ihn sein mußte, machte ihn in eben dem Jahr zum wirklichen Geheimen Rat und zog ihn in das (Eonfeil". Ebenso glücklich wie in seinem öffenllichen war Llliencron in seinem Famllienleben. Ein erstes Mal soll er sich in Schweden verheiratet und dort einen Sohn hinter­ lassen haben, auf den das schwedische Geschlecht der Llljencroens zurückgehen soll: ein zwingender Beweis für diese Vermutung liegt nicht vor. Fest steht dagegen, daß Andreas Pauli seit 1680 mit Elisabeth, der einzigen Tochter des aus den Niederlanden ein-

gewanderten, sehr reichen, zu Hamburg residierenden, Kgl. Dänischen Kommissarii Francois Louis van de Wiele verheiratet war. Diese Gemahlin brachte ihm als Mitgift das in Jütland telegene säku­ larisierte Klostergut Mariager zu. Drei andere Herrschaften, Putlos, Storhammer und Wulfshagen, erwarb Llliencron selbst. Auf Wulfs­ hagen erbaute er ein bis zur Stunde bestehendes Herrenhaus, in dem zwei Gestalten eines Frieses ihn und seine Frau in Schäfer­ tracht zeigen sollen. Angesichts der Staatsämter, Titel und Besitztümer, die der erste Freiherr von Llliencron in raschem Aufstieg errungen, ist es begreiflich, daß seine Nachkommen durch Ehen und Schwägerschaften in enge Beziehungen zu den namhaftesten Häusern der holsteinischen Ritterschaft, der Brockdorff, Rantzau, Rumohr, Thienen usw. traten. Eine von Rochus von Llliencron eigenhändig ausgearbeitete, bis auf ihn und seine Geschwister herabreichende Stammtafel weist fünf Geschlechterfolgen seit Andreas Pauli nach. Der erste Stamm­ halter, Christian Friedrich Reichsfreiherr von Llliencron (1682 bis 1731) auf Wulfshagen, war Landrat. Der zweite, Andreas (1718 bis 1782), Großfürstlicher Geheimer Rat und Erbherr auf Sehe­ stedt. Mit Gütern und Würden dieser Vorfahren konnte sich der dritte Stammhalter, Friedrich Christian Reichsfreiherr auf Grün­ horst (1745—1803), ohne sein Verschulden nicht messen; seine Eltern waren mit dem allmählich zusammenschmelzenden Erbe zu sorglos umgegangen; seine Mutter trieb übergroßen Aufwand, sie liebte Tafelmusiken, engagierte dafür wandernde Musikbanden, so daß ihr Mann gelegenttich unmutig sagte: „Die Kerls werden uns noch die Fettaugen von der Suppe wegblasen." Das Wort war pro­ phetisch. Rach dem Tod von Andreas Llliencron trat nicht nur unaufhaltsam Bermögensverfall ein: Friedrich Christian Llliencron endete tragisch; schon vorher zum Trübsinn geneigt, wurde er, den Schwierigkeiten seiner wirtschafllichen Lage nicht gewachsen, un­ zweifelhaft geisteskrank. Er machte Selbstmordversuche, bedrohte Frau und Kinder an Leib und Leben; infolgedessen veranlaßte der Präsident des ritterschaftlichen Landgerichts in Schleswig, Kanzler Jüchert, von der Famllie als Freund zu Rate gezogen, den Irren als gemeingefährlich in dem befestigten Platz Munkholm auf einer kleinen Insel gefangenzusetzen. Dort blieb der Arme fast 20 Jahre

in Gewahrsam gehalten, bis er auf seinen Wunsch nach Bornholm überführt werden sollte und unterwegs 1803 in Kopenhagen starb, wo das Schiff, auf dem er die überfahrt machte, des Eises wegen liegen blieb. Die beiden Söhne des Unglücklichen standen im Knabenalter, als ihr Vater 1783 oder 1784 in vierspänniger Kutsche unter der Obhut eines Leutnants auf die Schleswiger Hauptwache geführt worden war; sie selbst brachte man nach seiner Verhaftung sofort nach Celle auf die Ritterakademie, und auch die Kinder reisten vor­ nehm in vierspänniger Karosse nach ihrem neuen Bestimmungsort. Die Lebenswege der Brüder, von denen der ältere der Großvater Detlev von Llliencrons, der jüngere der Vater Rochus von Llliencrons werden sollte, gingen weit auseinander. Jener, Andreas Frei­ herr von Llliencron (1774—1823), gelangte nach dem Tod seines Vaters 1803 in den Fruchtgenuß des Ehrencron-Schwartenbeckschen Fideikommisses und vermählte sich mit Clarelia Dorothea von Brock­ dorff, die sich von ihm scheiden und zur linken Hand mit dem Land­ grafen Friedrich von Hessen-Kassel trauen ließ. Andreas Llliencron, der in zweiter Ehe die Leibeigene Friederike Griis heiratete, scheint seiner ersten Gemahlin Anlaß zur Trennung gegeben zu haben, so daß sein Bruder, den er auch durch die Verwahrlosung des Fidei­ kommisses schädigte, nicht seine Partei nehmen konnte. Dieser letztere, Ludwig Karl Christoph Reichsfreiherr von Lllien­ cron (1777—1846), besuchte außer der Ritterakademie von Celle und der Schule von Itzehoe 1796 vorübergehend die Universität Kiel. Dann trat er in das dortige Jägerkorps. Zu seinen Kameraden ge­ hörte Colla (Nikolaus) Graf Luckner, ein Enkel des in Bayern ge­ borenen tapferen Heerführers, der, nach dem Siebenjährigen Krieg in französische Dienste berufen, nach Ausbruch der Revolution von 1789 zum Marschall ernannt, auf dem Schafott endete. Durch arge Schulden, in die sich Colla Luckner gestürzt hatte, war seine Famllie gegen ihn verstimmt worden. Als es Christoph Llliencron gelang, Luckner mit den Seinigen auszusöhnen, hielt es Colla für angezeigt, den Freund zum Schwager zu bekommen. Christoph Llliencron wäre damit wohl zufrieden gewesen. So kam Colla als Freiwerber für den Kameraden zu seiner fünfzehnjährigen Schwester Komtesse Julie Luckner, die er mit ihrer Puppe im Arm traf. Da sie, auf dieses

jäh vorgebrachte Ansinnen nicht gefaßt, zauderte, gab ihr Bruder Eolla ihr zehn Minuten Bedenkzeit; käme sie danach mit ernster Miene aus dem Nebenzimmer, dann solle das Nein, sonst Ja bedeuten. Julie Luckner hatte sich im stillen Kämmerlein vor­ genommen, Nein zu sagen; als sie dann aber über die Schwelle trat, kam chr die Sache so drollig vor, daß sie unwMürlich heraus­ platzte. Damit war ein Bund beschlossen und besiegelt, der allen zum Hell ausschlagen sollte. Am 26. Oktober 1804 wurde Julie ebenso unversehens, wie sie verlobt worden war — von ihrer Mutter Adamine, geborene Moltke, vermeintlich nur zur Konfirmation be­ rufen —, getraut. Baron Christoph Llliencron schied nun aus dem MllitärdieNst. Er hatte nach dem Tod seines Vaters und durch das Vermächtnis eines Großonkels die Mittel, nach dem Wunsch seiner Schwieger­ mutter ein bisher den Luckners gehöriges Gut, Krummbeck, an­ zukaufen. Allein, obwohl Christoph Llliencron sich mit ökonomischen Fragen beschäftigte und 1811 und 1812 sogar Bücher (über „Runkel­ rübenbau" und die „volllommene Wirtschafterin in allen ihren Ge­ schäften außerhalb der Küche") veröffentlichte, scheint er kein großer Landwirt gewesen zu sein. Zudem wurde er durch den dänischen Staatsbankerott schwer heimgefucht; jedes erlaubte Auskunftsmittel zur Minderung seines Schuldenstandes (Abfindung der Gläubiger mit halb oder ganz entwerteten Staatspapieren oder Konkurs­ anmeldung) verschmähte er, als eines echten Edelmannes unwürdig. FreiwMg nahm er es auf sich, bei Hingabe des Gutes ungedeckt gebliebene 144000 Mark in Jahresrenten von je 3600 Mark ab­ zutragen, und es war ihm beschieden, in der ihm vom Schicksal noch vergönnten Lebenszeit (1806—1846) seiner Zahlungspflicht bis auf den letzten Heller zu genügen. Die Einschränkungen, die dieser Entschluß ihm und den ©einigen auferlegte, wurden getrost und leicht im Bewußtsein untadeliger Rechtschaffenheit hingenommen. Christoph Llliencron trat wiederum in die dänische Armee, diesmal als Adjutant des trefflichen kommandierenden Generals Ewald, dem er wiederholt bei der Wahrung der dänischen Neutralität zur Seite stand: 1807 gegen Blücher, 1809 beim Sturm auf Stralsund, wo er Schill in seinem Blut liegen sah, als gut royalistisch gesinnter Mann ohne Anteü für den von ihm als Aufftändischen angesehenen Bettelhelm, R. v. Liliencron. 2

Freiheitskämpfer. Nach Ewalds Tod (dem Rochus von Liliencron ein biographisches Denkmal in der Allgemeinen Deutschen Biographie gewidmet hat) blieb Christoph Liliencron Adjutant bei dessen Nach­ folger, dem Gemahl seiner früheren Schwägerin Claire Brockdorff, dem Prinzen (später Landgraf) Friedrich von Hessen; mit ihm hatte er beim Vorstoß schwedischer und russischer Truppen gegen das mit Napoleon verbündete dänische Heer den ernsten Kampf bei Sehe­ stedt zu bestehen. In diese Kriegsnöte wurde auch seine Frau mit ihren zwei erstgeborenen Söhnen, dem achtjährigen Friedrich, dem siebenjährigen Ferdinand, und einem kaum einjährigen Töchterchen gezogen: auf der Flucht vor Kosaken mußte Baronin Julie Llliencron, als Fischerin verkleidet, in eiskalter Nacht von Eckernförde nach Kappeln sich durchschlagen, ein Abenteuer, aus dem sie selbst mit den beiden Knaben heil hervorging, indessen das kleine Mädchen den Mühseligkeiten dieser Schreckensnacht erlag. Nach Friedens­ schluß trat Christoph Liliencron, der die Ehrenlegion und den Oberst­ leutnantsrang erhalten hatte, aus dem aktiven Dienst und wurde seit 1816 unter dem Titel eines General-Kriegskommissars Landund Seekriegskommissar. Da seine Amtspflicht, Aushebungsgeschäfte, ihn an keinen bestimmten Aufenthaltsort bannte, ließ er sich mit Frau und Kindern in Plön nieder, wo sein Schwiegervater Graf Luckner Amtmann war. Dort kam am 8. Dezember 1820 sein viertes und letztes Kind, Rochus Wilhelm Traugott Heinrich Ferdinand von Liliencron, zur Welt. Der Vorname war nicht nach dem romanischen Helligen gewählt worden, dessen Lebenslauf Goethe im „Rochusfest zu Bingen" erzählt, noch weniger im Hinblick auf eine damals vielgegebene Verballhornung von Molieres „Monsieur de Pourceaugnac“, das Stegmayersche Singspiel „Rochus Pumper­ nickel", sondern nach Rochus von Witzleben, einem Schwager des Grafen Stolberg, der in Plön als Kammerherr des Herzogs Peter von Oldenburg lebte und, dem Hause Liliencron befreundet, monate­ lang vor der Geburt des Kindes für den Fall, als es ein Junge werden sollte, sich zur Patenschaft erboten hatte. Von 1820 bis 1830 verlebte der kleine Rochus meist nur die Zeit von Weihnachten bis März in seinem holsteinischen Geburtsort: den größten Teil des Jahres war er auf einem Gut des Obersten von Rumohr, Dollroth zwischen Kappeln und Arnis an der Schlei,

wohin seine Eltern übersiedelt waren, um dort die Zinsen eines vermutlich aus Fideikommißgeldern stammenden Guthabens ab­ zuwohnen. Der besondere Reiz dieses Landstriches hat sich dem frühzeitig für Naturschönheit Empfänglichen schon in seiner Knaben­ zeit erschlossen. Das Herz ging ihm auf, wenn er in reifen Jahren die Stätten dieser ersten tiefeingeprägten Kindheitseindrücke wieder betrat oder als Greis die Heimlichkeiten dieser Gegend von fremder — Meiborgs — Hand nach Verdienst gewürdigt sah: „Gar schön ist's in Angeln, nicht nur wo die Vergnügungsreisenden schwärmen, an den binsenbekleideten Ufern der Schlei und in den Waldungen bei der Flensburger Föhrde, schön ist's auch drinnen in der Land­ schaft, wohin sich ein Fremder selten verirrt. Die Wege sind meilen­ weit von Haselhecken begleitet, die so regelmäßig sind, als wären sie mit der Schere beschnitten; unter ihnen an den Scheidewällen wachsen zahllose Blumen, und bis hinauf an die Spitze der Hasel­ büsche ranken sich Geisblatt und wilde Rosen. Lebende Hecken gehen auch um alle Felder, und auf den Ackern wächst das Getreide und der Klee mit besonderer Üppigkeit. Viele kleine Gehölze schmücken die Landschaft, und sie liegen einander so nah, daß der Widerhall von dem einen zum andern reicht. Drinnen sind keine Wege, nur halbverwachsene Spuren schwerbeladener Wagen und die kaum erkennbaren Pfade der Holzleserin. Rehe blicken hier und da hervor; das Eichhorn springt von Zweig zu Zweig; Holztauben girren allenthalben, und Singvögel finden sich in Menge. Allerlei Waldbäume wachsen durcheinander; bald kämpfen sie so um Luft und Licht, daß auf nacktem Boden nur krüppelige Stämmchen stehen, bald heben sie die Krone frei und freudig wie in den Urwäldern der Vorzeit. Ein Teil des Unterholzes, von der Stechpalme, Christ­ dorn, gebildet, ist düster und undurchdringlich; anderswo füibct man lichtes Gebüsch mit prächtigem Waldboden. Auf Lichtungen, wo grüne Wände vor jedem Winde schützen, wo das Gras bis an den Gürtel reicht, stehen Disteln und hohe, weiße Doldenblüten, von bunten Insekten umschwärmt; es flattert in allen Farben des Regenbogens nach allen Seiten, wenn man sich über Gras und Blumen den Weg bahnt." Hier hat sich das Kind im Freien gütlich getan, bis zum sechsten Jahr nur von der Mutter zum Lesen an­ geleitet, durch ihre zarte Stimme des ersten musikalischen Genusses, 2*

des Klanges schlichter Volksweisen teilhaftig. In Dollroth wurde dem Sechsjährigen, zunächst als Kontorist eingeführt, auch ein Lehrer, Kugland, gegeben, der den anfangs Widerstrebenden rasch vorwärts brachte. Der Kleine ward ein eifriger Leser, der mit sicherem Geschmack der allzu lehrhaften Einkleidung des Campeschen Robinson und gar zu moralisierenden Geschichtenbüchern stofflich anregende, romantische Erzählungen und trotz ihrer Häßlichkeit die Phantasie weckende Kupfer einer Groschenausgabe Shakespeares vorzog. Bon Kugland lernte Rochus auch die Elemente des Flötenblasens, von dem Bälge tretenden Küster die Anfangsgründe des Orgelspiels. Eine alljährliche Fahrt zum Christfest in das großmütterliche Haus nach Plön bescherte dem Kleinen bei dem regelmäßigen Halt in Kiel, im Nachtquartier bei den Gastfreunden der Eltern, dem Direktor der Forstschule von Warnstedt, die folgenreiche Bekannt­ schaft mit den Bolpawschen Stichen der Raffaelschen Stanzen. Unermüdlich, wie der Knabe sich mit den elenden Kupfern zum Shakespeare beschäftigt hatte, versenkte er sich in die dem Kinder­ sinn rätselvollen Stoffe dieser Bllderreihe, der Llliencron zeitlebens so treulich, auch in selbständigen literarischen Deutungen, nachging wie seinem Lieblingsdichter Shakespeare. Und nicht minder wohl als in Dollroth ließ es sich Rochus in Plön werden, im Verkehr mit zahlreichen Bettern und Basen, in dem mehrstöckigen Schloß, in dessen Hauptgebäude der geistesschwache Herzog Peter von Olden­ burg, derselbe, den vor mehr als einem halben Jahrhundert Herder nach Straßburg begleitet hatte, mit seinem Hofstaat hauste und in dessen Seitenflügeln Rochus' Großmutter und seine Tante (die Witwe des dänischen Gesandten in Wien, Gräfin von Wedell-Jarlsberg), jede für sich und die Ihrigen, durch die Gunst des KönigHerzogs ein paar Stockwerke zu bewohnen hatten. Der Geselligkeit von alt und jung in Plön und dem nahegelegenen Eutin war nichts von den Stürmen der vergangenen Napoleonischen Zeit anzumerken. Der holsteinische Adel pflegte schöngeistige Liebhabereien. Ein ästhetisch gerichteter Konrektor Trede, der als Deklamator mit Tieck verglichen wurde, leitete Lesekränzchen, Liebhabertheater und musi­ kalische Unterhaltungen, bei denen schöne junge Damen als Sänge­ rinnen mit wunderlichen alten Hofkavalieren wetteiferten. Unter diesen tat sich der eine, ein plumper, ebenso großer als dicker Goliath

in virtuosen Trommelwirbeln hervor: ein anderer, mager und halb­ verhungert wie Don Ranudo de Colibrados, erschien gewecht durch die Erinnerung an Earl Maria von Weber, der auf einem Abstecher von Eutin nach Plön mit dem adeligen Klarinettisten gelegentlich musiziert hatte. Rochus fühlte sich unter den Großen so behaglich wie unter den Kleinen. Er hatte ein gutes Auge für die Sonder­ linge der alten Zeit, die er in seinen „Frohen Jugendtagen" als milder Humorist wieder auferstehen ließ, und er bekundete schon als Kind die Neigung und Befähigung zur Schauspielerei, die der Professor, Kabinettsrat und Akademiker nachmals in Jena, Meiningen und München nicht verleugnete: der erste Versuch des Siebenjährigen, den Zriny nicht nach Körners Text, sondern nach einem frei an­ gegebenen Szenarium zu improvisieren, zumal die Sterbeszene, fiel so gut aus, daß die schöne Haustochter ihn mit einem wohl­ schmeckenden Kuß und einem sehr widerwillig hinabgeschluckten kalten Pfannkuchen belohnte. 1830 wurde Dollroth verkauft, und Vater Liliencron wählte als neuen Wohnsitz Preetz in Holstein, den Sitz des größten der vier adeligen Klöster des Landes, in dem er eine der von den Stifts­ fräulein nicht bewohnten Behausungen mietete. Da der Plöner Konrektor den Gymnasialunterricht von Rochus nicht übernehmen konnte, empfahl er als Erzieher seinen Schützling, einen armen Kätnerssohn Wentorp, den der Junggeselle zuerst als Laufbursche kennen gelernt und so lieb gewonnen hatte, daß er den Wißbegierigen in Kiel und Berlin zum Kandidaten der Theologie hatte ausbilden lassen. „Nach meiner Mutter habe ich nie Menschen mehr als Buchwaldt und Wentorp geliebt und reinere Seelen nie gefunden. In meiner Erdennacht bilden Wentorp und Buchwaldt die Sterne, nach denen ich von dem öden Felsen meiner Gegenwart schaue, mit dem Wunsche, der einsame Schauer möge bald vom Felsen für immer verschwunden sein," heißt es in Tredes Brief, der in alt­ väterisch überempfindsamen Wendungen eher zu wenig als zu viel sagt. Wentorp, der zu beider Segen der Führer des jungen Rochus von 1830 bis 1836 wurde, war ein Kernmensch, der, zum Glücke frei von Tredes Überschwang, jeder Verstiegenheit fern, schlicht, ge­ diegen, pflichttreu das Wohl seines Zöglings sich angelegen sein ließ. Kein außergewöhnlicher Geist, doch ein zuverlässiger Pädagog,

legte er sicheren Grund für die lateinischen Sprachkenntnisse des kleinen Rochus, den er allein und mit anderen gleichalterigen Knaben, Wolfgang und Werner von Levetzau (Verwandten der Mutter) unterwies. Ohne Engherzigkeit ließ Wentorp den schauspielerischen Liebhabereien des Knaben freien Lauf. So spielte Rochus mit anderen Jungen zur Freude der Stiftsdamen Kotzebuesche und andere Possen, auch im „Eckensteher Nante". Dagegen behütete Wentorp seine Schutzbefohlenen vor unzeitiger Bielleserei: Rochus bekam „Die Räuber" erst als Sechzehnjähriger zur Hand, dann allerdings durch die Gewalt der Dichtung im Innersten gepackt. Liliencron beherzigte Wentorps Warnungen vor wahlloser, voreiliger Lektüre nicht nur in seinen Knabentagen: zeitlebens, so bekannte er, habe er Modebücher zehn Jahre alt werden lassen, bevor er sie aufschlug, meist nur, um zu merken, daß sie dann gar nicht mehr lesens­ wert waren. Ausnahmen machte der mit gesunder Witterung begabte feine Kenner freilich mehr als einmal. Freytags „Verlorene Hand­ schrift" las er sofort beim Erscheinen. Ebenso Frenssens „Jörn Uhl", den er als einer der ersten nach Gebühr erkannte und anerkannte. Vergnügte, gern gegönnte Ferienreisen brachten dem Lehrer und Schüler gleich willkommene Proben der Erzählergaben des Kleinen. Zwei dicke, in Pappendeckel gebundene, mit Recht unter Liliencrons Familienpapieren aufbewahrte Hefte des Dreizehn­ und Fünfzehnjährigen geben ergötzliche Kunde des Frohsinns, mit dem er seine Ausflüge nach Itzehoe, Crempe, Glückstadt, Hamburg, Lübeck, Travemünde, Plön machte, und der Frische, mit der er daheim seine Abenteuer beschrieb. Überall sieht er mit eigenen Augen, überall urteilt er ohne Altklugheit unbefangen. Die Fahrt im altmodischen Stuhlwagen, die Überraschungen der Marsch­ gegend, schlechte im Wirtshausschild fälschlich als „Quickborn" an­ gegebene Winkelherbergen mit groben Mägden, die Herrlichkeiten der Hamburger Wasser- und Tafelfreuden, Rennen, Kirchturm­ ausblicke, Museumsgänge, vor allem aber die Theatereindrücke — Holtei als alter Feldherr, Cornet als Masaniello, Sophie Schröder als Mutter von Messina, Webers Oberon, spanische Tänzer, eng­ lische Reiter — Großes und Kleines bringt er zur Sprache, sachlich, knapp, mehr als einmal schalkhaft und immer so grundehrlich, daß man die Knabenhand liebgewinnt, von der diese Blätter herrühren.

Ein gleiches gilt von den Briefen und Aufzeichnungen, in denen er seiner Konfirmation gedenkt, zu der er in Kiel von Claus Harms vorbereitet wurde. Der kirchliche Bolksmann war bis in reife Jahre Müllerknecht gewesen. Dann durch innere Erweckung Geist­ licher geworden, wirkte er wie ein Apostel für die Abkehr vom Rationalismus. Als Prediger, akademischer Lehrer und Seelsorger fühlte sich Harms dermaßen in der heimischen Nordmark ein­ gewurzelt, daß er die ehrenvollsten Berufungen — für die Nach­ folge Schleiermachers nach Berlin und eine Einladung nach Peters­ burg — ausschlug. Der Gottesmann, der den Antell eines Dahl­ mann weckte, fromm ohne Kopfhängerei, wuchtig und wahrhaftig, das Urbild eines Niederdeutschen, der „nicht Davids Harfe spielen, doch seine Schleuder führen konnte", war wie für tausend und zehn­ tausend andere Frauen auch für LUiencrons Mutter der vertrauens­ werteste geistliche Führer geworden. So wurde ihr die Konfirmation ihres Rochus durch Harms zur Lebensfreude: „Unser liebes Kind", so schrieb sie dem Gatten aus Kiel, „seh' ich ja eigentlich nur beim Essen und Trinken, doch ist es mir viel, daß ich ihn diese letzte Zeit noch so habe. Harms' Predigten sind ganz herrlich, diese beiden Sonntage. Wie schön Rochus' Aufsätze sind, ist mir eine rechte Wonne, ich lese sie zum zweiten Male." „Rochus ist allerliebst, seine Arbeiten so treu und gut und dabei so fröhlich heiter, daß er mir die heißeste Freude ist. Welch ein Wiedersehen und zu welchem Tage. Gott sei mit uns allen, daß es uns ein Tag des Heils für hier und dort sein möge." Auch Liliencron selbst fühlte sich durch die be­ deutende Persönlichkeit von Claus Harms ergriffen, allein mindestens ebenso tief wirkte nach seinem Bekenntnis die Religiosität seiner Mutter auf Rochus. Ihr Wahlspruch war das Bibelwort: „Durch Stillesein und Hoffen werdet Ihr stark sein", ihr Wesen und Walten, der Ausfluß einer „kindlich reinen Seele, die sich durch alles, auch das Schwerste, mit starkem Mute hindurchkämpfte, weil sie alles als aus Gottes Hand kommend trug und ertrug und in allen Dingen die höchste Kraft einzusetzen hatte, mit der Gott das Menschenherz ausgestattet hat: die Kraft der Liebe". Ihr Beispiel, ihre Gesinnung war, wie für Rochus, folgenreich auch für Albertine von Warnstedt. Das erfuhr Rochus am Tag nach seiner Konfirmation, an dem sich das begüterte Mädchen aus vor-

nehmer Familie mit Wentorp verlobte. Albertine hatte ihren heiß­ geliebten Baler, der vor dem Ausritt frohgemut mit ihr scherzte, jählings verloren; ein Schlaganfall hatte ihn plötzlich hingestreckt; er war unterwegs verschieden. Die Heimsuchung erschütterte das Mädchen dermaßen, daß sie gemütskrank wurde. Julie Llliencron suchte die Verzweifelte aufzurichten. Sie sandte ihr als geistlichen Tröster einen Jünger von Harms, Wentorp, und sein Zuspruch, seine Redlichkeit, seine Güte wirkten so heilkräfttg, daß er sich anschickte, von ihr als einer Genesenen sich zu verabschieden. Zu seiner höchsten Verwunderung lautete ihre Antwort: sie habe chr Leben als ein Geschenk von ihm zurückerhalten, sie wolle es nur für ihn haben. Wentorp mochte ein solches Opfer des Dankes von ihr nicht annehmen, Alberttne müsse zuvor wieder völlig Herrin ihrer selbst geworden sein, bevor sie über sich verfüge. Während der ganzen Zeit von Rochus' Konfirmationsunterricht in Kiel hielt sich Wentorp von Alberttne fern. Fräulein von Warnstedt beharrte auf ihrem wohl­ erwogenen Beschlusse. Der Verlobung in Kiel folgte im Sommer 1836 in Eppendorf bei Hamburg die Hochzeit, an der Rochus mit den ©einigen teilnahm, und bald darauf kaufte Wentorp das Gut Rothenhausen bei Lübeck, auf dem Rochus, der ein Lebensfreund seines Erziehers blieb, mehr als einmal Gastfreundschaft genießen sollte. Durch Wentorps Abschied ergab sich die Notwendigkeit, Rochus an das Gymnasium nach Plön zu schicken. Sein Geburtsort, in dem er sonst nur zu Besuch bei seiner mittlerweile verstorbenen Großmutter gewesen, wurde von 1836 bis 1838 sein dauernder Aufenthalt. Die liebliche, waldumkränzte, seenreiche Gegend er­ schien dem Shakespeare-Schwärmer im Mondschein mehr als einmal wie die Landschaft aus dem Sommernachtsttaum. Er kannte bald so ziemlich alle 1200 Bewohner des Städtchens, jedes Haus am gemütlichen, niederdeutschen Markt, die terrassenförmig abfallenden Gärten, das Herzogsschloß mit dem Park und dem Rokokopalais, in dem in unserem Jahrhundert die Söhne Kaiser Wllhelms II. ihre Lehrjahre durchmachten. Ein Menschenalter hernach träumte sich auf einer langweiligen Fahrt in Kälte, Dunkelheit und ein­ schläfernder Rumpelei Llliencron in die Zeit zurück, da er „ein Prinz war in Arkadien. Zwischen Lichtenfels und Bamberg" — so schrieb

er seiner Frau —, „kam ich auf den glücklichen Gedanken, eine Fuß­ tour von Preetz nach Plön zu machen; ich sah jeden Baum, jedes Haus, jede Biegung des Weges, jede Aussicht; in Plön angekommen, ging ich über den Kirchhof — ein recht sentimental journey durch die vielen Gräber von Menschen, mit denen ich fröhlich gelebt hatte 1 Dann begegnete mir Rasmus, der Totengräber, der alte Schwede, der Mann, der 30 Tage gehungert hätte, wenn er nicht am 28. an dem Genuß von Bouillon gestorben wäre; in jedes Haus trat ich ein und so — als ich eben vom Schloß herunterkam und zu Buch­ binder Goos und Barbier Jansen wollte, dessen Schwester mich barbierte, wenn er selbst nicht zu Haus war — da fuhr ich in Bam­ berg ein und hatte mich mit My life’s novel glücklich um die lang­ wellige Fahrt auf einem bayrischen Güterzug betrogen." 1836 bis 1838 ritt, tanzte, turnte und trieb sich Rochus mit Blutsverwandten und Schulkameraden in Plön und Umgebung herum. Dem Schul­ gang folgte er ohne jede Mühe. Untergebracht war er zuerst bei einem Schlächtermeister, der seinen Kostgänger wohl reichlich, nur nach dem Scherzwort des greisen Llliencron etwas einförmig auf das Innere seiner Schlachtopfer beschränkte Küche, vorsetzte. Bei diesem Quartiergeber blieb Rochus nicht lange, doch wurde der Wohnungswechsel nicht durch Widerstand gegen die Verpflegung, sondern durch einen Studentenstreich veranlaßt. Ein Gymnasiast, der von Eltern und Lehrern wegen Trägheit und Unfähigkeit nichts Gutes zu gewärtigen hatte, heckte den Plan aus, einen Schulaufseher zu ohrfeigen und sich darauf nach Amerika auf den Weg zu machen. Der Anschlag sollte mit Hllfe Luckners, Levetzows und LUiencrons ins Werk gesetzt werden. Als die vier Verschwörer sich aber in einer ländlichen Kegelwirtschaft, der „Hintersten Wache", geheimnisvoll beraten wollten, kam unvermutet der Wirt zu den jungen Leuten, holte sie aus und warnte sie so behaglich in gemütlichstem Platt, daß sie weich wurden und beschlossen, das närrische Vorhaben den Lehrern zu enthüllen. Llliencron, Luckner und Levetzow kamen mit mäßigen Karzerstrafen davon und der Anstifter des Unhells erreichte zugleich friedlich den wlllkommenen Abschied von der Latein­ schule und den seiner Naturanlage gemäßen Übertritt in die prakttsche Landwirtschaft. Rochus aber wurde vorsichtsweise einem berufeneren Hausvater anverttaut, einem Pastor Nielsen. Das harmlos ab-

gelaufene Zwischenspiel hatte für Rochus nur erquickliche Folgen. Im patriarchalischen Heim des Pfarrers befreundete er sich rasch mit den angenehmen Hausleuten. Außer dem Pastorenpaar war eine in der Mitte der Zwanzig stehende Verwandte zu Gast, für die der Siebzehnjährige zärtlichere Regungen verspürte, seit ihn das Mädchen einmal achtlos, um eine gefährdete Schale zu retten, lebhaft bei der Hand gefaßt hatte. Die unausgesprochene Neigung des Jünglings wurde stummberedt von der Hausgenossin erwidert, die auch für seine künstlerischen Liebhabereien Sinn hatte. Zu­ sammen schwelgten sie in Anastasius Grüns „Wiener Spaziergängen", Rückerts Dichtungen, Jean Pauls Geschichten und das lebendige Beispiel, das eine stattlichere Pastorenwirtschaft von Nielsens Bruder gewährte, im Verein mit dem Vorbild des „Schwedischen Pfarrers" in den „Flegeljahren" bestimmte Rochus zu dem Entschluß, Theologe zu werden. Der Soldaten- oder Beamtenstand lockten ihn nicht. Eher hätte er sich noch dem Schauspielerberuf gewidmet: um die Wette mit Cornels Masaniello, der im Wahnsinn die Treppe hinab­ gestürmt war, turnte Rochus als Nachahmer dieses Auftrittes über Tische und Stühle. Dieser Neigung zum Komödienspiel kamen indessen die Liebhabertheater unter Tredes Leitung ausgiebig ent­ gegen. So gab er der Theologie den Vorzug und träumte von einer Friedensinsel mit einer Hausmutter vom Schlage seiner Freundin als Pfarrfrau. Rochus' Mutter sagte, Claus Harms' und seines Seelen aufrüttelnden und heilenden Wirkens eingedenk, freudig ja zu dem Vorhaben des Sohnes, das den verwunderten Vater zwar nicht zum Widerspruch, doch auch zu keiner begeisterten Zu­ stimmung bewog. Er dachte, daß nicht jeder wirklich Geistlicher werde, der das Studium der Gottesgelahrtheit begann. In seinem ge­ selligen Treiben störten diese Absichten Rochus nicht weiter, munter hatte er sich und andere gern zum besten mit Schnurren im Geist der Shakespeareschen Narren, deren Redeweise er sich völlig zu eigen gemacht, über diesen und anderen Allotriis versäumte er feine Studien so wenig, daß ihm das Plöner Lehrerkollegium das Zeugnis ausstellte:

„Der Baron Rochus von LUiencron, geboren in Plön, trat Ostern 1836 in die Sekunda der hiesigen Gelehrtenschule und wurde Ostern 1837 in die Prima versetzt, die Er jetzt verließ, um das Lübecker Gymnasium

zu besuchen. Es ist seine Individualität eine an Geist und Gemüt sehr glücklich begabte, weßwegen sein Fleiß mit dem rühmlichsten Erfolge begleitet war, so daß es sich erwarten ließ, Er würde nach einem halben Jahre sich ein günstiges Prädicat in dem zu bestehenden Maturitätsexamen erworben haben. Wenn aber sein Fleiß, wie lobwürdig auch im Allgemeinen, doch nicht zu allen Zeiten gleich ernst und geregelt war, so lag die Veranlassung größtentheils darin, daß Er den Störungen, welche seine hiesigen verschiedenen Berwandtschaftskreise veranlassen wogten, nicht willens­ kräftig genug zu widerstehen wußte. Im übrigen ist Er uns durch seine Leistungen, wie durch seinen Sinn und Wandel wahrhaft lieb und wert geworden, so daß wir Ihn mit dem herzlichsten Wunsche, daß all die schönen Hoffnungen, welche Er bisher für das Gedeihen seiner Zukunft als Mensch und Staatsbürger weckt, in vollem Maße erfüllt werden mögen, begleiten. Ertheilt im Lehrercollegio der Ploener Gelehrtenschule d. 28. März 1839. D. C. Trede, der Schule Rector, Ritter des Danebrog-Ordens."

Noch vor der Ausstellung dieses Lehrbriefes hatte Trede seinem Rochus zum 18. Geburtstag (8. Dezember 1838) besser gemeinte als geratene Stanzen gewidmet, die seine künftige Sendung als Priester verklärten: „Seit Du zu Jesu Dienste Dich verbunden, was kümmert Dich der Wechsel dieser Welt?" fragt der wohlmeinende Poet. Liliencrons Vater gab sich mit Tredes Urteilen in gebundener und ungebundener Rede nicht zufrieden. So sehr es ihn freute, daß Rochus Plön als Primus verließ, für die Universität schien er ihm noch nicht völlig reif. Er schickte ihn deshalb im folgenden Halb­ jahr an das Catharineum in Lübeck. Rochus kannte die Hansestadt schon aus flüchtigem Besuch auf der Heimkehr von seinem ersten Hamburger Ausflug (1833). Mittlerweile hatte er dort wiederholt kurzen Halt gemacht, und nun lebte er sich als Stubengenosse seines Vetters Graf Adalbert Baudissin gründlich in Lübeck ein. Sein Stammtisch war bei „Mam" Stange, einer Altbürgerin, die durch unverschuldete, aus der Kriegszeit stammende Bermögensverluste weder ihren stets in unverfälschtem Platt blühenden Humor noch ihre Kochkunst eingebüßt hatte. Ihre übrigen Kostgänger belustigten den angehenden Studiosus, wie seinerzeit den Knaben die wunder­ lichen Hofkavaliere des geisteskranken Herzogs Peter von Oldenburg als mimisch beobachtenden, Masken abguckenden oder nachschaffenden Humoristen beschäftigt hatten: noch 60 Jahre später standen sie dem Greis leibhaftig vor Augen, der die Tafelrunde von „Mam"

Stange malte mit der Laune eines Schalks, der die putzigsten Neben­ menschen lieber belächelt als bespöttelt. über dem Spaß wurde der Ernst nicht vergessen. Am Catharineum wirkten in einigen Hauptfächern Lehrer, deren Leistungen in ganz Deutschland Geltung hatten. An der Spitze der Philologe und Pädagoge Jacob, der Schützer der Emsigen, der Schrecken der Lässigen, ein Schulmann, der im Eifer bei angeregten, aus dem Stegreif gehaltenen lateinischen Wechselreden seiner Primaner eine Schnupf­ tabakprise um die andere zwischen den Fingern zerrieb, ohne sie zur Nase zu führen, so daß in der nächsten Stunde ein zweiter, weniger in seine Aufgabe vertiefter Professor auf dem Katheder wMkommene Ernte fand, ohne die eigene Dose hervorzuziehen. Bon Elassen, der ehedem Erzieher bei Niebuhr gewesen, empfing Rochus den unbewußt gegebenen und aufgenommenen ersten An­ stoß für seine späteren germanistischen Studien. Er holte sich, von diesem Führer geleitet, aus der Schulbibliothek eine Quartausgabe der Edda, die ihm hernach Stoff zum Vergleich der altnordischen Dämonologie mit der antiken Mythologie in seiner lateinischen Arbeit beim Abgang aus dem Catharineum bot. Für die ganz und gar nicht pedantische, die Sache über die Form stellende Schule dieser Lübecker Meister zeugt es, daß sie Rochus, unbekümmert um den Plöner Lehrbrief, auf den Umfang seiner Kenntnisse prüften und in die nach ihrem Urteil angemessene Klasse einreihten. Was in Plön im ganzen oder einzelnen, etwa in der griechischen Akzent­ lehre, nicht gepflegt worden war, das holte Rochus aus Privatfleiß oder von hilfteichen Kameraden, wie dem Enkel von Matthias Claudius, gefördert, rasch nach oder, z. B. in Mathematik, auch nicht nach. Die Lübecker Professoren, die kurz vorher Schüler wie Geibel (der dieser Blütezeit des Lübecker Gymnasiums jederzeit dankbar gedachte), Wattenbach, die Gebrüder Curtius in die Welt geschickt hatten, plagten ihre Zöglinge nicht mit Kleinmeisterei und Bielwisserei; sie achteten auf die Durchbildung und Durchdringung des ganzen Wissensstoffes, sie prüften Fähigkeiten und Fehler jeder einzelnen Persönlichkeit. Das Ergebnis der zwei am Lübecker Catharineum verbrachten Semester ist für Liliencron nicht bloß nach feinem Zeugnis zu messen — andere bedeutende norddeutsche Gelehrte, Claus Harms, Beseler, machten gar kein Abiturium;

Müllenhoff hatte sein Bestes seinem Direktor Kolster zu danken —: der Segen dieser wohlbenutzten Lehrzeit kam ihm dauernd zugute. Nicht minder wirksam als diese pflichtgemäß besuchte war die freie Schule der Welt, in die Rochus in Lübeck kam. Die Professoren selbst sorgten dafür, daß chre Schüler vom Tag gebrachte Gelegen­ heiten nicht außer acht ließen. Sie mahnten die jungen Leute, moderne Gemäldeausstellungen in der gotischen Katharinenkirche zu besuchen, und Rochus, der sich die bei Warnstedt in Kiel in der Kinderzeit immer wieder angestaunten Bolpatoschen Stiche nun auf dem fast allsonntäglich besuchten, Lübeck benachbarten Gut Wentorps mit gleichem Antell und besserem Verständnis betrachtete, war nicht einseitig oder vornehmtuerisch; er ließ sich die Neuen, Nazarener und Düsseldorfer, wohl gefallen. Es fügte sich glücklich, daß er im kunstfrohen Haus des Konsuls Nölting weitere wohlbeherzigte Winke durch lebendigen Verkehr mit Künstlern und Kennern erhielt. Er hörte dort Dreyschock, den Klavierspieler, dem er später in der Allgemeinen Deutschen Biographie eine Würdigung widmete, in der Cramers Witzwort nicht fehlt, daß er keine linke, sondern zwei rechte Hände gehabt. Vorher hatte er einmal bei dem Schwiegersohn seiner „Mam" Stange, im Gasthof zu den fünf Türmen, seine bis dahin geübten Paradestücke, Variationen von Henri Herz, zum besten gegeben. Bei diesem Anlaß klopfte chm ein älterer Herr mit bedeutendem Gesicht auf die Schulter mit der brummigen Be­ merkung: „Ganz gut! aber warum spielen Sie so schlechtes Zeug?" Der Warner war der Kunstforscher Rumohr. Ein nicht leicht zu behandelnder Sonderling, der nach dem übereilten Verkauf von Rothenburg an Wentorp verdrießlich in Lübeck saß, um die Fort­ schaffung seiner Sammlungen zu überwachen. Zu seinen guten Eigenheiten gehörte die sokratische Weise, junge Leute auszuforschen und, wenn möglich, auf die rechte Bahn zu führen. Er lud Rochus, nachdem er ein gründlicheres Gespräch mit ihm geführt, für einen der nächsten Sonntage zu sich und machte ihn nach einem des Rumohrschen „Geistes der Kochkunst" würdigen Mahle mit Glucks „Alceste" in der Art bekannt, daß ec dem jungen Mann außer der musikalischen die reformatorische Bedeutung der Textwahl und -Behandlung auseinandersetzte. Wenige Wochen nachher bewies Llliencron seinem Wegweiser zu dessen Befriedigung durch die

gründlich geänderten Programme seiner Vortragsstücke, daß er sich nach besten Kräften in Gluck und Beethoven eingearbeitet und den modischen Birtuosenkünsten für immer den Abschied gegeben habe. Und als ihm Frau Konsul Nölting, der er ohne Noten Beet­ hovens „Quasi una Fantasia“ vorspielte, wohlwollend zurief: „Bravo, Liliencron, das war schön! Bei wem haben Sie das studiert?" konnte er sagen: „Nur bei mir selbst!" Eine Antwort, die der be­ scheidene Mann in der Folge in Kunst und Forschung mehr als einmal hätte geben können. Der Umschwung, den Rochus' eindringende eigene Beschäftigung mit den Schöpfungen klassischer Tondichter begonnen, wurde ver­ stärkt durch eine nicht nur für die damalige Zeit ungewöhnliche Leistung eines großen norddeutschen Musikfestes der verbündeten Städte Lübeck, Hamburg, Schwerin, bei dem im großen Rathaus­ saal Beethovens Fünfte Symphonie, Mendelssohns MelusinenOuverture und in den Prachträumen der Marienkirche ein Händelsches Oratorium von tüchtigen Sängern und Instrumentalisten auf­ geführt wurde. Die Dohlen, die bis dahin in dem Gotteshaus ge­ nistet hatten, schwirrten bei den Proben geräuschvoll auf und die Frommen, schon vorher unwillig über die Verweltlichung der Kirche, murrten laut bei dem Vorschlag, diese Ruhestörer der musikalischen Andacht mit lautknallenden Schießgewehren aus dem Wege zu schaffen, bis ein anschlägiger Kopf die Unglücksvögel durch Wind­ büchsen beseitigen und derart Orgeln, Posaunen und Menschen­ stimmen ungehemmt durch die Räume brausen ließ. Allerliebsten Ausklang fand das Musikfest auf einer Ausfahrt nach Travemünde, auf der die Festgäste unterwegs vom Balkon einer Senatorenvllla durch einen meisterhaft geblasenen Choral begrüßt wurden: eine Überraschung, die jauchzende Hochrufe entfesselte für den Posaunisten Queiß, der schalkhaft als Anwärter auf eine Anstellung zur Auf­ erweckung der Toten beim Jüngsten Gericht vorgeschlagen wurde. Auch seiner Theaterpassion konnte Lüiencron in Lübeck aus­ giebig genügen: er holte sich bei dem damaligen Direktor selbst sein Billett, nur um den in der deutschen Bühnengeschichte vielberufenen Mann, den Grafen Hahn, von Angesicht kennen zu lernen. Er empfing auch einen starken Eindruck von WÜhelm Kunst als Hamlet.

Zum Schulfchluß tat sich aber LÜiencron in eigener Person in einer Prachtaufführung der „Menächmen", die geraume Zeit im Gedächtnis der Lübecker fortlebte, in der Rolle des Parasiten hervor. Die Lateinschüler spielten in der Tracht ihrer Tage in dem schönen gewölbten Raum des Refektoriums ihres Gymnasiums, des ehe­ maligen Katharinenklosters. Nach diesem vergnüglichen Schulaktus verließ Liliencron mit einem rühmlichen Reifezeugnis im April 1840 das Catharineum, dankbar für alles, was ihm Lehre und Leben, Kunst und Welt in seinen ersten zwanzig Jahren beschieden hatten, und gewillt, nichts von dieser reichen Vergangenheit in Zukunft zu verlieren.

II. Auf den Hochschulen Kiel und Berlin. Am Frühling 1840 bezog Rochus von Liliencron die Landes­ universität Kiel als Studiosus der Theologie, und erst volle sechs Jahre hernach, im Frühling 1846, bestand er wiederum in Kiel seine Prüfungen als Doktor der Philosophie. Die lange Dauer seiner akademischen Studien erklärt sich aus dem wiederholten Wechsel seiner Berufswahl, die ihn von der Gottesgelahrtheit über die Juristerei zur Germanistik führte. 'Die Umwege zu diesem Ziel erwiesen sich weder dazumal noch für die Folge als Irrwege; ver­ loren war die Zeit, die er theologischen Studien widmete, für seine kommenden Aufgaben so wenig wie sein gründliches Studium der Rechte und Geschichte. „Mich hat", so sagte der Greis im Rückblick auf seinen Werdegang, „eine jede Arbeit, sobald ich sie ernsthaft anfaßte, eben aus diesem Grunde gefesselt und für den Augenblick befriedigt." Als Achtziger wußte er, was er als Zwanziger ahnungs­ voll gewünscht und erstrebt hatte; dem unbestimmten Suchen, dem ungemessenen Drängen der Jugendzeit sollte das Mannesalter Llliencrons nach sauren Mühen volle Erfüllung bringen. Der glück­ lichen Mischung angeborener Fähigkeiten wußte er strenge Selbst­ erziehung zuzugesellen, mit dem Streben nach ungewöhnlicher Vielseitigkeit des Wissens, die Llliencron als einen der letzten großen Polyhistoren erscheinen läßt, methodische Schulung in den Haupt­ fächern seiner Gelehrtentätigkeit zu verbinden. Ms er im Mai 1840 an die Kieler Hochschule kam, träumte der angehende Theologe von einer Zukunft, wie sie Jean Paul im „Glück eines schwedischen Pfarrers" ausgemalt hatte. Das Phantasie­ stück, in dem im Schein des Nordlichtes dem in schwedische Tracht, Rundhut mit wehenden Federn und Schuhen mit hellen Bändern romantisch gekleideten Pfarrer ein rosenfarbenes Reich aufgetan wird, stach gründlich ab von der Wirklichkeit des Kieler Lehrganges, den Llliencron gewissenhaft mitmachte. Er hörte bei Dörner eine für seine damalige Fassungskraft dermaßen schwierige Auslegung

des Briefes an die Galater, bei Pelt eine so dürre theologische Enzy­ klopädie, daß der Lernbegierige Trost und Heil bei den Professoren der orientalischen Sprachen und der Geschichte suchte und fand. Olshausen, bei dem er die Propheten im hebräischen Urtext las, gewann ihn so lieb, daß er den Anfänger aufforderte, mit ihm eine Studienreise nach Syrien anzutreten und, als diesem Plan ein Ver­ bot von Liliencrons Vater ein Halt setzte, dem Neuling die Fort­ führung seiner eigenen Vorarbeiten zur Herausgabe des ZendAvesta nahelegte. Nicht weniger gut gefiel der junge Liliencron dem von Berlin nach Kiel neuberufenen Droysen, der durch seine Vorlesungen über alte Geschichte sich als Forscher und Redner gleicherweise hervortat. Unter den Studenten hatte Rochus anfangs wenig Bekannte. Die meisten seiner Plöner und Lübecker Kameraden waren, um Jura zu treiben, nach Bonn, München, Heidelberg ge­ gangen. Vertrauten Umgang pflegte er zumeist mit einem älteren Kandidaten der Theologie, Gustav Gardthausen, der in Plön Haus­ lehrer bei Luckners gewesen, dann mit einer Dichtung „Die Ostsee" viel Beifall und ein Reisestipendium für Italien gefunden hatte. Nicht als regelrechtes Mitglied, — der Theologe hatte Mensuren zu meiden — doch als Konkneipant trat Liliencron den Holsaten bei und bekam damit Einblick in das heitere und bewegte Kieler Studenten­ treiben, das fast durchaus auf Landeskinder sich beschränkte, denn „Ausländer" wurden selten an die holsteinische Hochschule verschlagen. Die akademischen Bürger vertrugen sich desto besser untereinander. Ein alter Student mit vierzig Semestern, genannt Peter Baß, begann seine Kommersrede nach Georg Beselers Erzählung mit dem Satze: „Unter allen Landsmannschaften, welche mir in meiner langen und bewegten Burschenzeit begegnet sind, halte ich die Pommern und Mecklenburger für die ausgezeichnetsten, wenn — ick uns Schleswig-Holsteiner utnähm." Im Sommer schwärmten die Musensöhne in die schöne Umgegend aus, im Winter zechten sie tüchtig, nicht in Bier, doch in Wein, Punsch, Grog. Die reichste Förderung seines geselligen Verkehrs hatte Liliencron in Kiel, wie nachher anderwärts so häufig, seiner Musikliebe zu danken. Durch seinen Vater, der sich während der Napoleonischen Kriege als Adjutant des kommandierenden Generals mit einem der anderen Adjutanten, Herzog von Holstein-Beck, befreundet Bettelhetm, R. v. Liliencron.

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hatte, bei dessen Nachkommen wirksam empfohlen, war er im Kieler Schloß als Gast oft geladen und besonders wMommen als „Spiel­ kamerad" der nachmaligen Abtissin des Jtzehoer Damenstiftes, Prin­ zessin Luise, mit der er vierhändig musizierte. Wohlgelitten war Liliencron auch in einem Hause, das weit über Kiel und die Nord­ mark hinaus für die Geschichte der deutschen Tonkunst von Bedeutilng werden sollte: im Kreise von Otto Jahn und seiner Schwester Julie Michaelis. Er hatte mit dem älteren Graedener, der aus Hamburg in das etwas rückständige Kiel als akademischer Musik­ direktor gekommen und ein Haupturheber ihres lnusikalischen Um» und Aufschwunges geworden war, Brüderschaft gettunken und war im Hause Droysens nicht nur im Berttauen auf diesen Gewährsmann, sondern durch eine arglos abgelegte Probe — er war dort eingeladen worden, in Gegenwart Otto Jahns eine Beethovensche Sonate vorzutragen — auch von diesem Kenner wert befunden worden, in Berlin bei Droysens Freund Felix Mendelssohn eingeführt zu werden. So gewichtig und erquicklich diese Zeugnisse für den Ernst und Erfolg seiner musikalischen Bestrebungen waren, ihm so wenig wie seinen Freunden und Gönnern wäre es dazumal in den Sinn gekommen, daß Llliencron später ein Musikhistoriker von Beruf ittib in den achtziger und neunziger Jahren der Schutzgeist großer Kieler Musikfeste werden würde. In den Sommerferien 1840 hatte er seinen ersten Ausflug nach Kopenhagen gemacht, wo sein ältester, im dänischen Staatsdienst stehender Bruder Fritz in der schleswig-holsteinischen Kanzlei tätig war. Bei dieser Gelegenheit wurde er Augenzeuge der von Christian VIII. mit außerordentlichem Prunk ins Werk gesetzten Krönungsfeierlichkeiten; in bewußtem Gegensatz zu der am Hof des früheren Königs Friedrich VI. herkömmlichen Einfachheit ent­ faltete der neue Herrscher ein Übermaß von Pomp: die Ritter des Elefantenordens und Großkreuze des Danebrogs erschienen in ihren spanischen Ordensttachten; die Gardeoffiziere, die den Krönungs­ zug geleiteten, trugen himmelblaue Samtwämser; die Majestäten schritten in weißseidener goldgestickter Tracht mit von der Schulter herabwallenden Purpurmänteln durch die Schloßkirche von Frederiks­ borg in ihrer ganzen Länge bis zum Altar. Welche Schicksalswende für seine schleswig-holsteinische Heimat im allgemeinen, für sein

eigenes Los im besonderen mit dem neuen Regenten wenige Jahre hernach heraufsteigen sollte, ließ sich angesichts dieses farbenreichen höfischen Schausttickes der mit den ©einigen allen gut royalistisch gesinnte junge Theologe nicht träumen. Im folgenden Winter­ semester, das er wiederum in Kiel verbrachte, las er wohl all­ wöchentlich mit ein paar Kollegen, unter denen sich Karl Lorentzen befand, der späterhin hervortrat als Vorkämpfer der Sache SchleswigHolsteins, nur aus Freude an dem übermütigen Komödiendichter Aristophanes im Urtext; politische Anwandlungen regten sich aber in Liliencrons akademischem Stilleben 1840 selbst bei den kecksten Ausfällen des griechischen Spötters noch nicht. Im Sommersemester 1841 übersiedelte er an die Universität Berlin. Sein Anmeldungsbogen bezeugt wohl noch den fleißigen Besuch der „Exegese der Psalmen" bei Benary. Ein anderes theo­ logisches Kolleg erscheint aber nicht belegt, und er selbst wird als Studiosus juris bezeichnet, der „für folgende Vorlesungen an­ genommen" hat: im Sommersemester Orientalische Literaturgeschichte, Petermann. Geschichte der neueren Philosophie (Sehr fleißig. Werder.) Neuere Geschichte. (Sehr fleißig, Ranke). Im Winter­ semester 1841/42: Pandekten Savigny. Deutsche Rechtsgeschichte. (Sehr fleißig. Homeyer.) Neueste Geschichte. (Sehr fleißig. Ranke.) Sommersemester 1842. Deutsches Privatrecht. Interpretation deut­ scher Rechtsquellen. (Sehr fleißig. Homeyer.) Erbrecht. (Den aufmerksamen Besuch bescheinigt Dirksen.) Wintersemester 1842/43: Kriminalrecht. (Goeschen. Sehr fleißig.) Neueste Geschichte. Ranke. Interpretation des 20. Bandes der Pandekten. Uber das altdeutsche Gerichtsverfahren. (Sehr fleißig. Homeyer.) Interpretation des Sachsenspiegels. (Fleißig. Goeschen.) Sommersemester 1843: Ge­ meiner Zivllprozeß. (Ausgezeichnet fleißig besucht. Gneist.) Rechtsphllosophie. (Mit ausgezeichnetem Fleiß und vorzüglicher Auf­ merksamkeit gehört. Heydemann.) — Seinen Übertritt von der theologischen zur juristischen Fakultät hatten äußere und innere Gründe veranlaßt. Sein Lübecker Pensionsgenosse, mit dem er auch in Berlin zusammen wohnte, Graf Baudissin, hatte ihm aus praktischen Erwägungen dringend diese Änderung seines Berufes angeraten, die LUiencrons Mutter leid tat, dem Vater dafür desto willkommener war. Im Denken und Fühlen des Kieler Theologen 3*

waren überdies unter dem Einfluß der religiösen Zeitbewegungen und der Evangelienkritik der Tübinger Schule Bedenken rege ge­ worden, die, dem friedfertigen Wesen Liliencrons gemäß, nicht in leidenschaftlichen Ausbrüchen und schmerzenreichen Gedanken­ kämpfen, wohl aber in dem nach sorgsamer Gewissenserforschung gefaßten Entschluß sich geäußert hatten, daß er sich nicht zum ÄHeolog'en berufen fühle. Unter den damaligen Größen der Berliner Universität, deren Borträgen er in aller Bescheidenheit und Empfänglichkeit mit selb­ ständigem Urteil folgte, hat Ranke am unmittelbarsten und stärksten auf ihn gewirkt. Savignys Überlegenheit, die künstlerische Voll­ endung in der Darstellung seiner Gedankengänge kam ihm voll zum Bewußtsein und dauernde Bewunderung der „marmornen Glätte seines Wesens" hat er diesem Meister zeitlebens bewahrt. „Bei Ranke aber erschien alles wie aus augenblicklicher Begeisterung hervorsprudelnd. Er erzählte Geschichte, als wenn er ihre Hergänge im Werden vor sich sähe, ihr folgte, sie belauschte, innerlich hin­ gerissen von dem gewaltigen Weltgetriebe, vor allem von dem Tun und Schaffen der großen politischen Genien." Als „Geschichtsdenker" hat ihn einer seiner bedeutendsten, dankbarsten Leser, Joseph Unger, gepriesen; sein Hörer Liliencron, in seiner Vorliebe für Shakespeare, den Ranke selbst in seiner Englischen Geschichte als geistige Natur­ kraft würdigt, glaubt ihm das höchste Lob zu widmen mit dem Wort: „Alles dramatisches Leben." Im Drang, den geliebten Lehrer einmal anzusprechen, erlaubte er sich, Ranke, der in einer Vorlesung Christian VIII. irrtümlich als Sohn Friedrichs VI. bezeichnet hatte, im Sprechzimmer aufzusuchen und schüchtern zu berichtigen. Eine Begegnung, die Ranke treu im Gedächtnis behielt. Als ihm Liliencron fast ein Bierteljahrhundert danach in der Münchener Historischen Kommission wieder vor Augen kam, begrüßte er ihn mit den Worten: „Sie, Sie haben mich mal korrigiert, hab's nicht vergessen. War's sonst nicht gewohnt von meinen Studenten; machte mir viel Spaß." Ranke hat dem aufmerksamen Hörer unveränderliches Wohlwollen bezeugt und Llliencron, der noch in einem feinen Aufsatz seiner alten Tage Rankes „Wallenstein" mit Schillers Tragödie verglich, nahm aus seinen Berliner Lehrjahren eine so unzerstörbare Er­ innerung an die Persönlichkeit des Meisters mit, daß er als Achtziger

erllärte: „Es ist mir bis heute nicht möglich, ein Buch Rankes anders zu lesen, als ganz mit seinem eigenen Ton, und gerade da­ durch habe ich erkannt, bis zu welchem Grade eben dieser Ton das wahre, fest anschließende Gewand seines Denkens war." So mächtig, wie Ranke, prägte sich dem Andenken Liliencrons kein anderer seiner Berliner Professoren ein. Er hat sich in seinen vier Semestern gründ­ lich eingearbeitet in die Rechtswissenschaft, die ihm nachmals in seiner diplomatischen Tätigkeit und als Stiftspropst zugute kam, allein zu seinem Lebensberuf wollte er die Juristerei weder als Theoretiker und noch weniger als Praktiker machen. Ebenso reich und in mancher Hinsicht reicher, als die Anregungen der Hochschule, wurden die Berliner Jahre für Llliencron durch die Schule von Kunst und Leben. Sein Antrittsbesuch bei Mendels­ sohn, den er verfehlte, veranlaßte Felix zu folgenden Zellen:

Berlin 2. December 1841.

Liebster Droysen! Deinen Brief brachte mir Hr. v. Llliencron und traf mich nicht zu Hause; dann wollte ich Dir einiges über ihn schreiben und traf ihn wieder nicht, endlich dachte ich, er sollte einen Abend bei uns zubringen und mußte an dem Tage dieses Abends unerwarteter Weise wieder nach Leipzig fahren, von wo ich seit vorgestern erst wieder hierher zurückgekehrt bin. Nun habe ich Deinen Empfohlenen zwar erst einmal flüchtig gesehen" — Mendelssohn sprach um 9 Uhr morgens in LUiencrons drei Treppen hoch gelegenem Studentenquartier vor — „doch schiebe ich's jetzt nicht länger auf, Dir zu danken, denn wenn diese ersten Tage der Ruhe und Ordnung wieder vorbei sind, wer weiß, wann ich dann wieder einen stillen Morgen für mich behalte, wie diesen? Auch weißt Du, wie ich mich freuen werde, Hr. v. Llliencron so oft als möglich bei mir zu sehen, ihm Musik zu hören zu geben, so gut la fortune du p—iano sie zuläßt und da gerade jetzt mehrere Wandervögel hier durchziehen (Emst, Liszt usw.), so habe ich auch wohl Gelegenheit, es für ihn selbst interessant zu machen. Er hat mir übrigens bei dem einmaligen flüchtigen Sehen sehr wohl gefallen: Du hab Dank, daß Du meiner gedacht unb ihn mir zugeführt hast, Du weißt, daß mein Herz an Allem und Jedem hängt, das von Dir kömmt."

Mendelssohn löste seine Verheißung in vollstem Maße ein. Liliencron wurde Stammgast bei den berühmten Musiken, bei denen Felix allein oder vierhändig mit seiner Schwester Fanny Hensel oder mit seinem Bruder Paul, dem Cellospieler, sich hören ließ. Und aus solchen Hausmusiken und dem Umgang mit Felix lernte

Liliencron noch mehr, noch Besseres, als vordem von Rumohr und Graedener. Kleines und Großes kam zwischen beiden zur Sprache. Mendelssohn empfahl ihm auf seine Frage nach dem richtigen Klavierlehrer als den Tüchtigsten Theodor Kullak, bei dem Lilien­ cron sich in der Tat auch technisch zum Meister ausbildete. Und die Aufführung der „Antigone" gab Mendelssohn Gelegenheit, seine Musik zur Sophokleischen Tragödie Böckhs Einwand gegenüber, sie sei nicht antik, im Gespräch mit Liliencron zu rechtfertigen, der denn auch bis an sein Lebensende an der Ansicht festhielt, eine stllgerechte, hellenisch archaisierende Musik wäre schwerlich völlig glaub­ haft zu neuem Dasein zu beschwören. Neben neueren spielerischen Versuchen mit Flötenbegleitungen der Chöre bleibe Mendelssohns Musik ein um seiner selbst willen hörens- und dauernswertes Werk. Ernst und Liszt, die Mendelssohn im Brief an Droysen als Zu­ kunftsgäste ankündigte, lernte Llliencron bald kennen: den Geiger bei Mendelssohn, mit dem er seine Othellophantasie spielte; zum Ergötzen der Korona bat ihn Felix, eine Passage dreimal zu wieder­ holen, weil sie ihm so besonders wohlgefiel; er hat sie, wie er nach­ mals Joachim erzählte, für sein Violinkonzert verwendet. Ein anderer Student, der dieselbe Aufführung in Mendelssohns Haus miterlebte, rief sie Liliencron ins Gedächtnis, als er ihn vierzig Jahre später in der Deutschen Botschaft in Rom begrüßte — Keudell. Liszt, den dazumal als „Klingsor aus dem Ungarland" Vergötterten, sah und hörte Liliencron in einer seiner großmütigsten Anwandlungen. Der geniale Virtuos hatte den Studenten ein Freikonzert in der Universitätsaula zugedacht; als dann unter dem Titel von Akademikern viele Professoren mit ihren Familien der Jugend die meisten Plätze weggenommen hatten, versprach er ihnen, reichlich 800, die ihm bis in seinen Gasthof folgten und das Gaudeamus im Chor mit einer Stimmgewalt vorsangen, derengleichen Llliencron sich weder vorher noch nachher entsinnen konnte, zum Dank ein zweites Konzert, bei dem sie ganz unter sich bleiben und das Studenten­ lied neu genießen wollten. Liszt hielt Wort. Sein Spiel und seine Improvisation über das „Gaudeamus" begeisterte die jungen Leute dermaßen, daß sie dem Künstler bei seiner Abfahrt ein Ehrengeleite gaben: beim Abschiedsmahl, das ein Gutsherr dem Meister und den Studenten an der letzten Haltestelle auftischte, forderte Liszt

seine Begleiter auf, sich, wann und wo immer sie ihm wieder be­ gegnen sollten, als seine Freunde zu betrachten. Ein Wort, an das Llliencron ein Jahrzehnt später als Jenenser Professor den Weima­ raner Hofkapellmeister Liszt zu dessen Belustigung, nicht vergeblich, erinnerte, um eine folgenreiche Beziehung anzuknüpfen. Mindestens ebenso angelegentlich wie Musik und Universität beschäftigte Liliencron während seiner Berliner Semester das Theater. Er war von einer Hamburger Verwandten bei der Heldenspielerin Frau Crelinger eingeführt und von der Eigenart der Tragödin und der Liebenswürdigkeit der Hausmutter derart gefesselt worden, daß er so oft als möglich seine Besuche wiederholte. Unausgesprochen wie mit der Plöner Hausgenossin der Pastorenfamllie Nielsen spann sich zwischen Llliencron und einer schauspielerisch begabten Tochter der Crelinger, Clara Stich, wohl auch ein kleiner Roman an. Den Hauptgewinn für sein künstlerisches Empfinden trug er aber aus den Leistungen der Meisterin davon, die Zelter in seinen Berichten an Goethe nach anfänglichen Vorbehalten unbedingt gelten ließ und Laube die einzige Iphigenie nannte, die ihm außer der Bayer-Bürck der Rede wert schien. Neben den Urteilen solcher Kenner wird sich die Charakteristik der Künstlerin, die Liliencron ihr in seinen „Frohen Jugendtagen" widmet, ebenbürtig behaupten; er sah die Crelinger nicht bloß in allen Hauptrollen, es war ihm vergönnt, sie daheim zu hören, wenn sie bei gelegentlichen Erörterungen strittiger Auf­ fassungen, z. B. über den ersten Monolog der Jungfrau von Orleans, am Stickrahmen die Probe auf ihr Exempel machte und ebenso mächtig wie auf der Bühne wirkte. Bon ihr lernte er, wie von wenigen, was großer Stil war und sein sollte, von ihr ließ er sich bestärken in dem, was in der klassizistischen Richtung der Schauspiel­ kunst, in den Überlieferungen der Weimaraner Schule richtig und rühmlich war. Bor Einseitigkeit bewahrte ihn sein angeborener Geschmack. Er würdigte mit eindringendem Kunstverstand nicht bloß die grundverschiedene Art Seydelmanns: seiner gesunden Genuß­ freude bereiteten Louis Schneiders Schnurren und noch mehr die Possenkomiker des Königstädter Theaters, Beckmann, Grobecker usw., Stunden ungetrübter Heiterkeit. Sein Antell an aller Schauspielerei begnügte sich zu guter Letzt nicht mit dem Platz im Zuschauerraum. Als sein Freund Gardthausen in Plön Hochzeit machte, faßte Lllien-

cron den verwegenen Entschluß, noch ehe Berlin den „Sommernachts­ traum" Shakespeares auf die Bühne brachte, die Komödie mit Dilettanten seiner Vaterstadt aufzuführen. Der Rathaussaal wurde dem beherzten Dramaturgen zu Gebote gestellt, der die Ausstattung auf — in Plön im Überfluß herbeizuschaffcnde — Waldbäume, Buschwerk, Rosen- und Efeulauben beschränkte und Theseus mit seinem Hof kurzweg ausschaltete. Als Spielleiter und Darsteller hatte LÜiencron solchen Erfolg, daß die Komödie sofort unter all­ gemeinem Jubel wiederholt werden mußte. Nach dem launigen Bericht des Greises dürften die Rüpelszenen besser ausgefallen sein als die romantischen. Der Triumph bleibt ihm gleichwohl unbestritten, den „Sommernachtstraum", wenn auch nur mit bescheidenen Mitteln, zuerst siegreich vor Deutschen, einer Hörerschaft gegeben zu haben, in der, wie in der Shakespeareschen Komödie selbst, Klein­ städter und vornehme Welt sich fröhlich und friedlich miteinander vertrugen. Die Gaben zum Dramaturgen lagen in Liliencron; er selbst hätte in den sechziger und siebziger Jahren gern eine leitende Stellung an der Dresdener oder Münchener Hofbühne angenommen und als in den achtziger Jahren das Gerücht umging, Llliencron sei zum Intendanten des Berliner Hofschauspiels ausersehen, be­ grüßte, wie schon mein Vorwort erwähnt, Erich Schmidt diesen Plan in einem Brief an den verehrten Mann mit vollem Zutrauen in seine Fähigkeiten, notwendigen Wandel zu schaffen und eine neue Ära der großen Kunst hcraufzuführen. Inmitten der steten Beschäftigung mit Bühnenwerken und Bühnenmenschen war es kein Wunder, daß Liliencron Lust ver­ spürte, sich selbst als Dramatiker zu versuchen; erstaunlich war nur der Anlaß, bei dem er dieser Regung nachgab. Durch Wentorp, der mit Dahlmann verschwägert wurde, war Liliencron den Ge­ brüdern Grimm empfohlen worden. Ohne zu ahnen, daß die beiden bald seine Führer auf einer neugewählten Gelehrtenlaufbahn werden sollten, verkehrte der gastlich Aufgenommene dankbar in ihrem Hause, in dem es manchmal außergewöhnliche Überraschungen gab, so, wenn die elfjährige Gisela von Arnim (hernach die Frau Herman Grimms) unversehens auf Stelzen ins Zimmer kam und um den Abendtisch herumspazierte oder ihre Mutter Bettina un­ vermutet eintrat und trotz ihrer 57 Jahre jugendlich-feurig Einfälle

über Einfälle hervorsprudelte, dann als Trumpf die Frage aus­ spielte : „Was wohl das verehrte Publikum im Parkett sagen würde, wenn wir uns so, wie wir da sind, auf die Bühne setzten und uns unterhielten? Wir sollten's eigentlich mal probieren in einem Stück mit einer Teeszene; da kriegten die Menschen wenigstens etwas Besseres zu hören als in dem Geschwätz in ihrem dummen Lustspiel." Als Liliencron in heller Mondscheinnacht durch den Tiergarten heimging, willfahrte er dem Wunsch Bettinas wohl nicht durch dramatische Wiedergabe des in dem seltenen Kreise gerade Erlebten: aber der Stoff einer historischen Tragödie, mit der er sich schon längere Zeit getragen, gestaltete sich plötzlich vermeintlich; eine flammende Rede, die den ersten Akt beschließen sollte, kam in einem Schuß und Guß heraus und gefiel am nächsten Morgen seinen Freunden, zumal Baudissin, so ausnehmend, daß sie fortan nicht ruhten, bis Liliencron sein Trauerspiel in fünf Akten, Graf Ourem oder Kraft und Macht, zu Ende und 1844 durch die Schwerssche Buchhandlung in Kiel gedruckt vor die Öffentlich­ keit brachte. Das Drama spielt in Lissabon 1383 gleich nach dem Tode König Ferdinands. Königin Eleonore hat ihrem sterbenden Gatten gelobt, Graf Durern, den sie liebt, vom Hofe fernzuhalten. Ourem reißt gleichwohl die Macht an sich und gewinnt die Königin, die ihn zuerst, von Ränkeschmieden gelenkt, als Botschafter nach England schicken wollte. „Auch ein Schuft wie die anderen, aber ein Teufelskerl," scheint Ourem alle Gewalt zu behaupten; der Rachedurst seiner Frau wird indessen sein Verderben. Sie stellt ihn mit einem Mordbrief bloß, den er einst gegen den natürlichen Bruder des Königs, Don Juan (nachmals der größte König Portu­ gals), ausgehen ließ, und nun wird Ourem das Opfer pfäffischer Anschläge. Die Königin ersticht in einer Eifersuchtsszene Ourems Frau. Der intrigante Beichtiger der Königin und der Gattin Ourems, Clemens, der ihre Hofdame Ines einsperren ließ, weil sie seinem Einfluß bei der Herrscherin entgegenwirkt, kommt in einem Bürger­ aufruhr durch einen Fenstersturz um. Ourem wird von Don Juan erstochen, die Königin endet int Wahnsinn, Juan wird Thronfolger. Es geht wüst zu in dieser bald Schillerschen Jambenstücken, bald Shakespeareschen Historien nacheifernden Tragödie; Prosaszenen lösen die Verse ab. Am tröstlichsten sind komische Zwischenspiele des

englischen Trinkers und Haudegens Sir Robert Blackstone und nach dem Muster von Shakespeares Beatrice und Benedikt Stichel­ reden zwischen einer Hofdame und ihrem Galan. Die Haupt­ gestalten (Königin, Ourem, Juan, Clemens) sind Masken, die nicht gerade Schwulst, doch selten Eigenes reden. So wäre diese Tragödie, selbst mit der Crelinger und Clara Stich, an die Liliencron bei den Frauenrollen dachte, schwerlich zum Siege gelangt in der Zeit ihres Erscheinens, in der Laube mit ähnlichen Helden, Monaldeschi, Struensee, Essex, Erfolge hatte. „Seinen Eltern", denen Liliencron den „Ourem" widmete, suchte er in einem langen Brief Absicht und Besonderheit des Trauerspiels zu erklären: „Er schmeichelte sich, daß das Ganze nicht nur so eine Pfütze von zwei Zoll Tiefe ist, der man bei dem ersten Blick auf den Grund sieht." „Graf Ourem ist der Träger des Ganzen, und der innere Kern seines Charakters ist ein Egoismus, der, indem er sich alles opfert, sich selbst vernichtet." Welcher junge Mann von 24 Jahren, sagt er mit Lessing, schriebe wohl ein Trauerspiel, an dem nicht viele Fehler wären, und welche Kritik, setzte Liliencron 1844 hinzu, sucht nicht nach zehn Fehlern, während sie eine Tugend anerkennt. 1902 wurde Liliencron selbst in den „Frohen Jugendtagen" der schonungsloseste Richter des Trauerspiels, dessen Titel er sogar verschweigt: „Das Ganze war ein Mißgriff, indessen — gelernt und geforscht habe ich auch dabei und wär's nur über den Versbau und Komposition." Heilsamer als dieser Ausflug auf dramatisches Gebiet schlug Liliencron eine Ferienreise zu seiner Tante mütterlicherseits, Gräfin Freya Baudissin, an, die in Niederösterreich bei Sankt Pölten auf den Gütern Wasserburg und Sankt Pölten hauste. Die Fahrt in die 1843 noch eisenbahnarme Gegend war recht umständlich: bis Prag zu Schiff stromaufwärts, von da mit dem Stellwagen nach Budweis, von dort mit der Pferdebahn nach Linz, dann mit dem Donaudampfer stromabwärts bis Wasserburg. Fröhlichste Wochen mit sechzehnjährigen schönen Zwiüingsschwestern, seinen Kusinen Baudissin, bescherten chm tagtäglich Landpartien zu Fuß oder zu Wagen, bei denen er ahnungslos für seine kommenden NeidhartForschungen Bekanntschaften mit den Schauplätzen der Dichtungen des von Bayern nach Österreich verschlagenen Minnesängers machte.

Auf der Heimfahrt verweilte er eine Woche in Wien, wo ihm die

Possen der Leopoldstädter Bühne mit Scholz und Nestroy nicht als die geringste Sehenswürdigkeit erschienen. Dann reiste er über München, Nürnberg, Bayreuth, Leipzig zu seinen Eltern, die bei feinem zweiten Bruder Ferdinand, einem Forstmann, in Pinne­ berg bei Hamburg wohnten. Der Bater, bis dahin ein Urbild der Gesundheit und in allen Wechselfällen unwandelbar guter Laune, war schwer, wie sich allmählich zeigte, unheilbar erkrankt. Und nun bereitete ihm Rochus den Schmerz, zu bekennen, er vermöge nicht Jurist zu werden. Zu seinem inneren Widerstreben waren verdrieß­ liche Erfahrungen des ältesten Bruders Fritz im dänischen Staats­ dienst gekommen, der sich als Deutscher mehr und mehr unbehaglich fühlte. Noch schlimmer als die Absage an die Juristerei wirkte Rochus' Plan, Gelehrter zu werden, deutsche Altertumskunde zu treiben, nach mehrjährigen kostspieligen Studien eine aussichtslose Dozentur anzustreben, auf brotlose Künste seine Zukunft zu setzen. Es kam zu heftigen Auftritten. Der Vater sparte nicht mit Borwürfen. Aber so weh Rochus bei diesen Einwendungen und Klagen wurde, er blieb bei seinem Beschluß. Die Mutter und der Bruder nahmen sich seiner an. Er selbst aber vermochte beim Scheiden aus dem Elternhaus nicht mit voller Zuversicht dem Kommenden entgegenzusehen. Als er, den kleinen Ranzen auf dem Rücken, zwei Meilen zu Fuß von Pinneberg bis zur nächsten Poststation wanderte im Abenddunkel durch dichte, aus den Marschwiesen aufsteigende, Nebel starrte ihn alles so düster au wie sein eigenes Innere: „Es waren die schwersten Nachtstunden, die ich bis dahin durchlebt zu haben weiß." Mit straff gesammelter Kraft bildete sich nun Liliencron in Kiel zum Germanisten heran. Vor allem hielt er selbst Umschau, be­ nutzte nach seinem eigenen Bericht „das erste Wintersemester nur dazu, sich in privater Arbeit durch ein allgemeines Literaturstudium für das neue Fach vorzubereiten". Aus seinem Testierbogen ergibt sich indessen, daß er von Anfang bei Müllenhoff (schon im Sommer­ semester 1844 alt- und mittelhochdeutsche Grammatik, altdeutsche Metrik und Exegese altdeutscher Schriftsteller) gehört, und auch in der Folge blieb dieser Professor Liliencrons nächster und meist­ gesuchter Lehrer. Er belegte in den nächsten Semestern wohl noch zwei andere Kollegien: bei Harms Geschichte der neueren Philosophie,

dann Deutsche Geschichte bei Georg Waitz, der chm ein Freund für das Leben werden sollte. Nach wie vor blieben aber die Vorlesungen Müllenhoffs die Hauptsache: im Wintersemester 1845 bescheinigt ihm dieser Meister den sehr fleißigen Besuch für „Nibelungen" und „Otfrit"; im Sommer 1845 für Gotische Grammatik verbunden mit Lektüre des Ulfilas; im Winter 1846 für Altsächsische Grammatik verbunden mit Lektüre des Heliand und Deutsche Mythologie. So wurde Liliencron, wie Scherer ihn mit Recht genannt hat, der erste Schüler des um zwei Jahre älteren Müllenhoff, dem er bis an sein Lebensende treulich anhing. „Kennen Sie Gutzkows weißes Blatt?" so schrieb er 1885 an Scherer auf dessen Bitte um Mittellungen für seine Müllenhoff-Biographie. „Mir geht es fast ähnlich. Ich sinne und weiß doch von jener alten Zeit nichts weiter zu sagen, als wieviel ich bei ihm gelernt habe, d. h. wieviel von dem Wenigen, was ich überhaupt weiß, und cm wie unvergleichlich prächtiges Menschenkind er zu aller Zeit war." Es spricht für die Wißbegier Llliencrons, daß er sich von Anfang an unter einem so strengen Lehrer wie Müllenhoff so wohlfühlte, nicht weniger auch für seiner Sitten Freundlichkeit und für seine Verträglichkeit, daß er dazumal und bis in Müllenhoffs letzte Tage mit dem großen, selbst von seinen getreuesten Jüngern leichter gereizten als besänftigten Forscher in ungestörter Eintracht blieb. Müllenhoff durfte aber auch Freude haben, gleich zu Beginn seines Wirkens einen Musterschüler zu finden wie Liliencron, der in jenem heroischen Zeitalter der Ger­ manistik, von Müllenhoff beraten, ganz im Geist der gleichzeitig wirkenden Größen der deutschen Altertumskunde, den Brüdern Grimm, Lachmann, Wackernagel, Haupt, studierte und forschte. „Es war", wie LUiencron ein Jahrzehnt später in einem Send­ schreiben über die Nibelungen-Handschrift C bemerkt, „an Lachmanns akademischer wie schriftstellerischer Tätigkeit, es war an seinem ganzen Wesen eine der trefflichsten und in ihren Wirkungen segensreichsten Seiten, daß er niemals allein das sachliche Resultat einer Unter­ suchung, sondern daneben immer die erziehende Kraft ins Auge faßte, welche alles wissenschaftliche Treiben und Streben an den Menschen ausüben soll. Warum denn mühen wir uns mit all den großen und kleinen Fragen ab, warum vor allem in unseren philologischen Dingen — nur um die Wahrheit, wenn sie gefunden

ist, einzuregistrieren und, damit zufrieden, nach anderem weiter­ zugraben? Doch wahrlich vielmehr, um an der Wahrheit selbst besser und größer zu werden, um nach ihr suchend und ringend unseren Geist zu schärfen und unser Herz zu läutern." „So wenigstens faßte Lachmann das akademische Treiben auf und nach diesem Gesichts­ punkt gab er auch seinen Arbeiten jenen knappen, auf das äußerste, aber immer genaue und vollständige Maß eingeschränkten Zuschnitt. Wohl manche mögen sich erinnern, wie er, wenn jemand sich über seine Kürze und Wortkargheit beschwerte, mit dem ihm eigenen feinen Lächeln zu sagen pflegte: „Wer von mir lernen will, mag sich abmühen, und wer nicht lernen will, mag meine Bücher liegen lassen." In solchem Sinne hat Liliencron sich als Student keine noch so schwere, scheinbar noch so geringfügige Arbeit verdrießen lassen. Auf den Spuren solcher Vorgänger ist er an seine Doktordissertation gegangen, die nach seinem eigenen Ausdruck „einen noch nicht um­ gebrochenen Acker" urbar machen wollte. Mit dem Rüstzeug phllologischer Methode voll ausgerüstet, ging er daran, Neidhart von Reuenthals Reien und Tänze, Sommer- und Winterlieder kritisch zu sichten. Es galt, aus den unter seinem Namen überlieferten 137 Stücken viel Unkraut auszujäten. Dem Spürsinn des wohlgeschulten Textkritikers kam außer dem angeborenen rhythmischen Gefühl und Künstlersinn Liliencrons ein glückliches Ungefähr zu Hilfe: Neidhart lokalisiert seine Lieder genau, die ersten aus seiner bayrischen, die späteren aus seiner neuen österreichischen Heimat. Dabei fand sich Liliencron unvermutet vielfach in Ortschaften und Gegenden versetzt, die er mit seinen Kusinen Baudissin im Sommer 1843 besucht hatte: Wasserburg, Pottenbrunn, das Tal der Traisen, das Tullner Feld. Während Neidhart selbst sich durchaus ortskundig erweist, gilt das nicht für seine Nachahmer: „Dies wichtige Kriterium traf mit den anderen glücklich zusammen, und es ließen sich mit seiner Nachhilfe von 137 Liedern 44 als allein echte mit Sicherheit ausscheiden." Als Liliencron seine Abhandlung Müllenhoff zaghaft und im Zweifel darüber, ob sie als Grundlage für die Doktorprüfung genügen würde, überreichte, ließ er sich trotz Müllenhoffs Zuspruch nicht träumen, welchen Erfolg ihm die Studie bringen sollte. Müllenhoff schickte die Arbeit an die Gebrüder Grimm und an Moritz Haupt, der sich

selbst seit geraumer Zeit mit dem Plan einer kritischen Ausgabe Reidharts befaßt hatte und nun dem Neuling sagen ließ, er freue sich sehr, daß ihm Liliencron die Mühe einer langen Einleitung in die von ihm vorbereitete Neidhart-Ausgabe erspart habe. Liliencrons Auffassung der Neidhartschen Dichtung und seine Kritik, ins­ besondere auch der betreffs der Ausscheidung der echten Lieder, treffe vollständig mit den Ergebnissen seiner Untersuchung zu­ sammen, er werde seine Arbeit sogleich in seiner „Zeitschrift für deutsches Altertum" abdrucken lassen. Die Veröffentlichung von Liliencrons Abhandlung „überNeidhartshöfischeDorfPoesie" erfolgte 1848 auch wirklich im VI. Band dieser Zeit­ schrift und als Haupt ein Jahrzehnt später seine Neidhart-Ausgabe erscheinen ließ, gedachte er eingangs dankbar neben Wackernagel und Benecke auch Liliencrons als eines hilfreichen Vorgängers, der durch seine Studie „das Verständnis dieser Poesie und die Scheidung des Echten und Unechten wesentlich gefördert hat". Und in der feinen Anzeige, die Gustav Freytag der Hauptschen Ausgabe 1858 in den „Grenzboten" widmete, würdigte dieser sachverständige Leser nach Verdienst Liliencrons „kleine vortreffliche Abhandlung" nicht allein als kritische Leistung, sondern auch soweit sie „die Ver­ bindung Neidharts mit einer bestimmten Form uralter deutscher Bolkslyrik zutage gebracht hat". Freytags behutsam geäußerte Bedenken gegen Liliencrons geistvolle Annahme, Neidhart habe unter der Maske von Bauern Höflinge seiner Bekanntschaft humo­ ristisch behandelt, waren vollkommen begründet. Liliencron selbst schrieb 1872 an Michael Bernays: „Was den Neidhart betrifft, so brauche ich kaum zu sagen, daß Haupt mit Recht voraussetzte, ich habe meine verkehrte Ansicht, als sei sein Spott eine Satire auf seine ritterliche Umgebung, bei reiferer Überlegung aufgegeben. Wenn mir meine alte Abhandlung (es war meine Doktordissertation) zufällig einmal in die Hände kommt, ärgere ich mich immer an der altklugen Weisheit, mit der ich jene falsche Aufstellung vorgetragen habe." Sonst aber durfte Liliencron in aller Bescheidenheit noch 1902 sagen, daß seine Arbeit bis heute herab der Ausgangspunkt für alle weitere Forschung über Neidhart geblieben sei. Die drei Druckbogen haben ihm nur Ehre und Freude gebracht, vor allem aber die Genugtuung, daß sein Vater, der, um berufener ärztlicher

Pflege näher zu sein, von Pinneberg nach Kiel übersiedelt war, unmittelbar vor seinem Tode die Botschaft von der glänzenden Aufnahme der Dissertation und dem vortrefflichen Ausgang des Doktorexamens durch einen teilnahmsvollen Freund, Professor Ratjen, erhalten hatte. Liliencron selbst hatte den Eltern, um ihnen Aufregungen zu ersparen, verschwiegen, daß er sich der Prüfung unterzog. Desto größer war nun die Befriedigung aller über den glücklichen Abschluß. Der Vater umarmte den Sohn, gewiß, daß er seinen Weg weiter machen werde. Wenige Stunden, nachdem Rochus das mündliche Examen abgelegt hatte, verschied der Vater (26. Mai 1846). In den nächsten Monaten blieb der junge Doktor in Kiel. So angestrengt er in den letzten Jahren auch gearbeitet hatte und arbeiten mußte, um sein Ziel zu erreichen, volle Geltung zu gewinnen als Gelehrter, seine geselligen Beziehungen und künstlerischen Neigungen kamen darüber nicht zu kurz. Im Lesekränzchen, an dem Droysen und andere Professoren teilnahmen, wie der Jurist Madai, mit dem bald besonders naher Verkehr sich ergab, war Mendelssohns Musik zur „Antigone" auf dem Klavier zu Gehör gebracht worden; der Text in deutscher Übertragung wurde mit verteilten Rollen vor­ getragen, wobei Liliencron eine Hauptrolle zufiel. Der Versuch war so gut ausgefallen, daß er öffentlich und in größerem Maßstab — dank Graedener das zweitemal mit Orchester und Chor — wieder­ holt wurde. Tiefen Eindruck hinterließ die religiöse Bewegung jener Zeit in Liliencron. Der durch Ronge und seine Anhänger gegebene Anstoß, die freien Gemeinden, ließen bedeutende Geister, unter anderem Karl Mathy, eine Weile glauben, der Augenblick für die Begründung einer deutschen Nationalkirche sei nahe. Und als auch Gervinus im gleichen Sinn seine Stimme erhob, widmete ihm Rochus von Liliencron ein Gedicht: „Die Eine Deutsche Kirche", ein Flugblatt, dem er die Zueignung voranschickte: „Ver­ gönnen Sie mir, den paar folgenden Strophen Ihren Namen vor­ zusetzen, dessen ernstes freimütiges Wort sie hervorrief. Möchte das edle Vertrauen, mit dem Ihre Schrift über die Deutschkatholiken in den kleinen Anfängen den Keim des Großen erkennt und zu kräftigen sucht, möchte es uns Deutsche ermutigen, tatkräftig

an das zu glauben, was unsere schönste Hoffnung fein muß. Und jeder wirke hier, viel oder wenig, nach feinen Kräften." Auf den gleichen Ton sind Liliencrons Verse gestimmt. Er hofft auf das Ende des Glaubenshaders:

Zu Einem Gott — was oft geklungen, Es klinge nicht mehr wie ein Spott; Aus ganzer Seele sei's gesungen: „Wir glauben all' an einen Gott?" Nur Einer ist's in Sturmes Toben, Rur Einer in des Geistes Weh'n, Den preisend alle Welten loben, Den Menschenglaube je gesehn.

O, deutsches Land, es ist der Eine, Der Dich geweiht zu Sturm und Krieg, So oft den Söhnen Deiner Haine Die halbe Welt gehorchend schwieg. Er focht in Barbarossas Reihen, Ihm galt' das Leipz'ger Siegeslied: Er wird Dir neuen Ruhm verleihen, Wenn neuer Glaube Dich durchglüht. Einst hast Du opfemd dem Gewissen Dein höchstes Kleinod dargebracht: Dein Bruderband — es ward zerrissen In blutig wilder Glaubensschlacht. Und noch, noch sind gezückt die Klingen, Laß ab vom fluchbelad'nen Streit; Das Größte gilt es jetzt erringen: Du werde frei durch Einigkeit.

Das ist der Ruf, der durch die Lande, Wie Glockenklang und Hochamt schallt, Der von der blauen Ostsee Strande Bis durch die Schweizer Alpen hallt. Weiht so des alten Domes Hallen, Der nun am freien Rhein erstand: Ein Himmel uns, Ein Gott uns allen, So sei's im Einen Vaterland. Die Zueignung an Gervinus ist vom 26. November 1846 datiert. Ms der Schwärmer diese frommen Wünsche für ein in Glaube und

Staat einiges Deutschland ausgehen ließ, ahnte er nicht, welche Stürme über das ganze Vaterland und seine engere schleswigholsteinische Heimat bald hereinbrechen würden aus dem dänischen Wetterwinkel, in den er selbst sich seiner Studien halber zunächst begab und wohin feine Mutter ihm bald nachfolgte, um seinem Bruder beizustehen, der seine Frau, eine geborene Dumreicher, ver­ loren hatte. So fanden sich die drei Friedfertigen arglos in Kopen­ hagen zusammen.

Bettelhet«, R. v- Ltlienero«.

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III. Bräutigam. — Privatdozent. — Erste Waffengänge. Kopenhagen, das Llliencron das erstemal bei der Krönungs­ feier Christians VIII. 1838 kennen gelernt, dann 1841 und 1842 als Gast seines in der deutschen Kanzlei dienenden ältesten Bruders Fritz besucht hatte, wählte er 1846 wesentlich seiner wissenschaft­ lichen Aufgaben willen für längere Zeit zum Wohnsitz. Mit Müllen­ hoff hatte er beschlossen, besonders das Altnordische zu pflegen, ein Forschungsgebiet, für das nicht leicht irgendwo mehr Anregung und Ausbeute zu holen war, als in den Gelehrtenkreisen und Samm­ lungen der dänischen Hauptstadt. Er suchte und fand fördernden Umgang mit älteren und jüngeren Fachmännern, Magnussen, Rafe, Gislason, arbeitete sich auch mit einem geborenen Isländer, Thorarenson, emsig in die isländisch-norwegischen Sagas ein und hielt so geschäftig Umschau in gedruckten und handschriftlichen Beständen, daß dem Llliencron wohlgesinnten Bibliothekar Moldenhauer biswellen bange wurde, sein junger Freund möchte sich am Ende zer­ splittern. Der ging indessen getrost seinen Gang, sah sich ebenso genau als in den Sagas in den Gragas, den Rechtsbüchern, um und rüstete ernstlich zu einer Ausgabe der Wlltinasage, der Sage Dietrichs von Bern: er wollte damit ein Bindeglied schaffen zwischen seinen altdeutschen und altnordischen Arbeiten. Nichts weniger als ein weltabgewandter Einsiedler ließ es sich Llliencron in seinen Mußestunden wohl werden in der Kopenhagener Gesellschaft. Der „Onkel Oberhofmarschall", Baron Levetzau, führte ihn nicht nur bei den offiziellen Festlichkeiten, sondern auch bei den Teezirkeln König Christians VIII. und der Königin Caroline Amalia ein. Und seine künstlerischen Neigungen kamen in Kopenhagen, wie zuvor in Lübeck, Kiel, Berlin, voll zu ihrem Recht. Der leiden­ schaftliche Theaterfreund versäumte nicht, Holberg in der dazumal noch unverlorenen Überlieferung außerordentlicher Darsteller der Hofbühne kennen und in seiner Bedeutung für das Bollsleben ver-

III. Bräutigam. — Privatdozent. — Erste Waffengänge.

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stehen zu lernen. Hebbel, der bald nachher seine Kopenhagener Zeit gleichfalls wohl ausnützte, hat in einer seiner besten Charakte­ ristiken Holberg ein Talent genannt, das mit Dänemark selbst um die Wette leben und, was die Dichtertaten betrifft, auf dem welt­ historischen Epitaph des ganzen Stammes vielleicht gar den großen Anfangsbuchstaben bilden wird. Llliencron urteilt nicht weniger warm über den großen Dramatiker; ungeachtet aller Anlehnungen des Schöpfers der dänischen Nationalbühne an ausländische Muster, erkannte er lange vor Prutz seine Ursprünglichkeit, die er gern dem deutschen Theater zugänglich gemacht hätte; den mit allen Eigen­ heiten der dänischen Sprache vertrauten Freund Holbergs verdroß nur die Roheit und Eigenmächtigkeit, mit der seine Komödien vor, durch und nach Kotzebue auf deutschem Boden mißhandelt worden waren. Ein paar Jahrzehnte hernach überraschte Llliencron im Jenenser Professorenkreis und auf Meininger Liebhabertheatern durch die Meisterschaft, mit der er selbst Holbergs geschwätzigen Barbier spielte: eine Gestalt, bei der sich ihm, unbeschadet seiner eigenen Schöpfergabe, die Urbllder seiner Kopenhagener Theater­ gänge erneuten. Denn so lebendig schlldert er in seinen „Frohen Jugendtagen" die Größen jener Holbergtruppe, so beredt verkündigt er Holbergs Verdienst als spottender Warner und strafender Sittenrichter, in Ernst und Scherz wirksamer Erzieher seiner Schauspieler und Zu­ seher, daß man fast an eine Wahlverwandtschaft zwischen dem ge­ lehrten Theatermann des achtzehnten und dem mindestens ebenso gelehrten Theaterfreund des neunzehnten Jahrhunderts glauben könnte. Allerliebst glossiert er Holbergs Vorschrift, an die Hofbühne nur Mitglieder mit akademischer Vorbildung zuzulassen; als ver­ trauenswerter Zeuge schlldert er, wie Holbergs Schule dauernd in seinen Enkelschülern fortlebte, einen Stil schuf und erhielt, durch den die Kopenhagener Hofbühne, wenigstens in der Komödie, dem Thiätre fran?ais ebenbürtig erschien. Mit sicherem Geschmack zog er, auch darin unbewußt eines Sinnes mit Hebbel, Holbergs volks­ mäßige Art und Kunst weit den scheinbar höheren Zielen nach­ strebenden Dramen Ohlenschlägers vor. Im Musikleben hatte Kopenhagen nichts den Holbergschen Komödien vergleichbares Ureigenes aufzuweisen; doch entging auch auf diesem Gebiet Llliencron (wie sein späterer Aufsatz „Christian 4*

Weyse und die deutsche Musik" bezeugt) nicht, was an bescheidenen, selbständigen Anläufen im Kirchen- und Volksgesang sich rührte. Sonst konnte der Jünger der großen deutschen Tondichter freilich nur sehr bedingt mitgehen, als dazumal in der Kopenhagener Oper die italienischen Meister, Bellini und Donizetti, maßlos bevorzugt wurden. Trotz dieser persönlichen Vorbehalte verkehrte Liliencron mit dem welschen Tenoristen der Hofbühne so unbefangen, daß er sich in Gesellschaften nicht spreizte, dessen Lieblingsarien auf dem Klavier zu begleiten. Sein eigenes Spiel und sein reifes Urteil ließen deshalb die ernsten Künstler und Kenner nicht irrewerden an seinem Verständnis. Er gewann Leonards und Thalbergs per­ sönlichen Anteil, und er wurde ein willkommener Gast im Hause des altangesehenen Großkaufmanns Tutein, dem Sprößling einer Hugenottenfamilie, der die Tochter eines als Musikschuldirektor nach Kopenhagen berufenen Italieners, Siboni, geheiratet hatte. Selbst eine vortreffliche Pianistin, sah Frau Tutein in ihrem Salon, einem Zentrum für die besten Kreise der Bürgerschaft, die diplomatische Welt, Gelehrte, Künstler, die Fremdenkolonien, und mit besonderer Borliebe Musiker und Musikfreunde. Bald nach seiner Ankunft wurde Liliencron mit seinem Bruder zu den Gesellschaften des preußischen Konsuls Tutein geladen, in denen er sich ausnehmend wohlfühlte. Im Tuteinschen Hause traf er Ohlenschläger; bei diesen Gastfreunden hörte er Andersen, dessen kindliche Schwäche einer ebenso maß- als harmlosen Eitelkeit ihm keinen Augenblick die Genialität, Dichterkraft und Güte des einzigen Mannes verdunkelten, neu­ geschaffene Romane und alte weltbekannte Märchen vortragen. Hier begegnete Liliencron wiederum der Haustochter Louise Tutein, die er schon flüchtig in anderen Kopenhagener Gesellschaften gesehen hatte. Sie stand unter einem Bild Jenny Linds und ihr erstes eingehenderes Gespräch galt der schwedischen Nachtigall, die Llliencron in Hamburg als Regimentstochter bewundert hatte. Louise Tutein gewann durch die Anmut ihrer Erscheinung, die Wahrhaftigkeit chrer Natur, die Feinheit ihrer Bemerkungen von Anbeginn den herzlichen Anteil Liliencrons. Wie tief dieses Wohlgefallen ging, wurde dem Siebenundzwanzigjährigen allerdings erst klar, als Fräulein Louise bei späteren Besuchen sich nicht zeigte: einmal war sie nach Schweden verreist; ein anderes Mal lag sie infolge einer Verletzung am Knie;

III.

Bräutigam. — Privatdozent. — Erste Wasfengänge.

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ein drittes Mal gab es einen Trauerfall in der Familie. Bei jedem neuen Zwischenfall wurde es dem deutschen Baron deutlicher, daß hier „ein besonderes Fädchen zog". Allein in seiner Bescheidenheit wußte Rochus nicht, ob Louise Tutein ähnliche Empfindungen hegte oder seine Gefühle auch nur ahnte. Selbstgefälligkeit war der Treff­ lichen so fremd, daß sie den Besucher, der ihr bei der ersten Wiederbegeguung ein unter ihrem Zeichen entstandenes, ttnverfängliches Gedichtchen vorlas, nicht im geringsten merken ließ, ob sie die Berse auf sich bezog. Als Rochus ein nächstes Mal mit Zustimmung der Mutter, die der Tochter freie Entscheidung überließ, seinen Herzens­ zustand schilderte und um ihre Hand bat, sagte sie rasch und warm Ja. Der Bund der beiden war geschlossen, unzerstörbar durch un­ vorhergesehene Hemmungen, die das einander ebenbürtige Paar, standhaft wie Tamino und Pamina, zu besiegen wußte. Scharlach im Hause Tutein, Reisen der Eltern in die böhmischen Bäder ver­ störten dem Brautpaar die ersten Zeiten unmittelbar nach der Ver­ lobung. Köstliche, nur allzurasch vorüberfliegende Herbstwochen waren Rochus und Louise beschieden, bevor der Bräutigam im September 1847 zur Germanistenversammlung in Lübeck sich auf­ machte, um mit alten Freunden, Lehrern, Fachgenossen Pläne für die Erreichung einer akademischen Lehrkanzel zn besprechen. Gleich nach der Verwirklichung dieser Absichten sollte Liliencron im Hause der Schwiegereltern Hochzeit halten — wie bald ihm durch die Weltereignisse Dänemark Feindesland werden sollte, konnte bei diesem Vorhaben er so wenig wie die Familie seiner Braut, wie seine Mutter und sein Bruder voraussehen. Am 27. September verließ er Kopenhagen und begab sich über die in seiner Bräutigamsstimmung mit neuen Augen angeschauten Stätten seiner Kindheit, Preetz und Plön, zur Lübecker Germanisten­ versammlung. 148 Teilnehmer, Historiker, Juristen, Sprachforscher, unter ihnen Größen der deutschen Altertumskunde, hatten sich zu dem legendarisch fortlebenden Tage zusammengefunden. Zum Vor­ sitzenden wurde Jacob Grimm gewählt, der beim Festmahl zu Ende eines Trinkspruches Dahlmann (nach einer vorübergehenden Ent­ fremdung) an die Brust sank mit dem Ausruf, er habe nie etwas mehr geliebt als das Vaterland. Dahlmann wohnte bei Wentorp, dem Gatten der Milchschwester seiner zweiten Frau; dort erneute

Liliencron die aus seiner Knabenzeit stammende Bekanntschaft mit dem weit über die Gelehrtenkreise als politisches Orakel angesehenen Geschichtschreiber. Dahlmann kam Llliencron so wohlgesinnt ent­ gegen wie Grimm, Haupt, Lachmann, Müllenhoff, durchweg darauf bedacht, ihm zu einer Lehrkanzel zu verhelfen. Er selbst hatte, wie er den Schwiegereltern schrieb, an Jena gedacht. Bon Michelsen und anderen Ortskundigen erfuhr er indessen, daß der Sohn des Dichters Rückert sich dort bereits mit guten Empfehlungen als Dozent festgesetzt habe. Dahlmann verhieß nun, Liliencron die Wege zu einer Dozentur in Bonn zu bahnen. Er wußte, daß Friedrich Diez, der Meister der Romanistik, sich sehnte, die von ihm pflichtgemäß im Nebenamt gehaltenen germanistischen Vorlesungen abzugeben; ihm war auch bekannt, daß Karl Simrock nicht gesonnen war, auf seine Unabhängigkeit als Privatgelehrter zu verzichten. Das Für­ wort Dahlmanns und der ermutigende Zuspruch von Müllenhoff, Haupt, Grimm bürgten für den guten Ausgang der Bewerbung, zu der sich Liliencron bereit erklärte. So blieb diese Zusammen­ kunft Liliencron in dauernder Erinnerung durch den fördernden Verkehr mit den Meistern seines Faches, durch wohlgeratene Feste im Lübecker Rathauskeller und für die Mehrheit der an starken See­ gang nicht gewohnte „Binnenländler" durch weniger gelungene Meerfahrten. Den stärksten Eindruck empfing er aber auf diesem Germanistentag durch die wachsende politische Erregung des Heimat­ landes. Die Gereiztheit der Stimmführer der Gelehrtenrepublik überraschte Liliencron bei heftigen Ausfällen gegen den „verdammten Hemmschuh, die Zensur", und den mit jauchzendem Beifall auf­ genommenen Erörterungen über Schwurgerichte, wie bei den leb­ haften Auseinandersetzungen zwischen Romanisten und Germanisten. Wächter, Beseler, Mittermaier, Hälschner, von der Pfordten waren die Wortführer, juristische Fragen der Hauptinhalt der Beratungen eines Gelehrtenkreises, die Liliencron die unverkennbare Wandlung der Zeiten und Stimmungen vor Augen stellten. Seiner Braut gab er von diesen Erlebnissen und Gedanken wie von seinem Einzug in Bonn Kunde in tagebuchartig fortlaufenden Briefen. Den Oktober verbrachte er noch in Schleswig, wohin ihm eine Stockholmer Handschrift zur Wiltinasage geschickt worden war. Am 9. November fuhr er von Hamburg mit der ihm seit ihrer Kind-

III. Bräutigam. — Privatdozent. — Erste Waffengänge.

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heil wohlbekannten Frau des dazumal in Koblenz als Major stehenden Moltke nach Deutz: „Fühlst Du, was es heißt, wenn ein Deutscher seinen Rhein zum erstenmal sieht? Wie wenn ein Isländer zuerst den Hekla, ein Indier seinen heiligen Strom zum erstenmal schaut." „Mir war, als wenn alle Träume meiner Kindheit mit einem Male verwirklicht vor mir ständen." Am 11. November traf er in Bonn ein. Sein erster Gang galt Dahlmann, der ihn liebreich aufnahm. Der Vereinsamte — seine Frau war bei der schwer erkrankten Tochter, der Gattin von Professor Reyscher in Tübingen — hieß ihn herz­ lich willkommen und gab ihm die nötigen Winke für die unerläß­ lichen Pflichtbesuche. Am 12. November mietete er sich Josephs­ straße 801 bei Gymnasiallehrer Mockel, wie er später erfuhr, Kinkels Schwiegervater, ein und stellte sich dem Kurator der Universität, Bethmann-Hollweg, vor, der ihn mit gemessener Würde empfing und seine Absicht, sich in Bonn zu habilitieren, wohlwollend zur Kenntnis nahm. Arndt und Welcker begrüßten den Ankömmling sehr freundlich. Und Friedrich Diez, der Liliencron bei wieder­ holten Besuchen scheinbar absichtslos in eingehende Gespräche über Fragen seines Faches zog, überraschte ihn durch die Kollegialität, mit der er ihm alle Förmlichkeiten ersparte, Nostrifikation und Examen erließ und im Bunde mit dem Sanskritaner Lassen seine Zulassung als Privatdozent beantragte. An der Abhandlung über Neidhart, die Liliencrons lateinischem Habilitationsgesuch beilag, fand Diez außer ihren sonstigen Vorzügen „auch das Talent ästhetischer An­ schauung" erwähnenswert, und der zweiten, handschriftlich ein­ gereichten Studie de Goelii carminibus sagte dasselbe Gutachten nach: „Die vergleichungsweise unbedeutende Abhandlung in latei­ nischer Sprache über das Alter eines Minnesängers Göli gibt wenigstens Zeugnis, daß der Berfasser mit Sprache, Stil und Metrik des drei­ zehnten Jahrhunderts vertraut ist." Nicht viel mehr als ein Viertel­ jahr lag zwischen Liliencrons Eintreffen in Bonn und dem Kolloquium vom 9. Februar, das in der Fakultätssitzung mit seiner Habilitation und abends im „Schwan" mit einer von den anderen Privatdozenten zu seinen Ehren gestifteten Champagnerbowle endete. In diesen drei Monaten hatte sich der holsteinische Baron in den fast kasten­ mäßig geschiedenen Lagern der Universität tüchtig umgesehen, in den Kreisen der „Geheimräte" und ordentlichen Professoren wohl«

gesinnte Fürsprecher, unter den außerordentlichen und Privat­ dozenten viele Freunde gewonnen. Dahlmann wuchs unablässig in seiner Achtung. Der Selbst­ überwindung, mit der er während der lebensgefährlichen Erkrankung der Tochter seine Vorlesungen fortführte und auch nach ihrem Tode nicht unterbrach, gedachte Liliencron seiner Louise gegenüber in Tönen aufrichtiger Bewunderung, und die Mannhaftigkeit, mit der Dahlmann Toleranz predigte, war ganz im Sinn seiner Gervinus gewidmeten Verse „Die Eine Deutsche Kirche", ganz im Geist seiner eigenen damaligen und späteren Lebensführung. „Gestern", so meldete Liliencron am 30. November seiner Braut, „besprach Dahlmann die Anfeindungen, mit denen eine orthodoxe, eifernde Partei dem milden großen Melanchthon seine letzten Lebensjahre verbitterte. Es waren Männer voll Eifer, aber ihnen fehlte das Beste, die Duld­ samkeit. Sie wußten wenig, daß ein unschuldiges Herz die ver­ fänglichsten Fragen untersuchen kann, und daß dann wenig darauf ankommt, ob das Resultat einem alten oder einem neuen Glauben ähnlicher sieht. Denn wer Duldsamkeit für Jndifferentismus hält, der verkennt ihr Wesen auf schneidende Weise. Duldsamkeit ist Tugend. Wir dürfen uns freilich bei jenen Männern über den Mangel daran so sehr nicht wundern, denn wir müssen bekennen, daß diese Tugend erst ein Gewinn des achtzehnten Jahrhunderts ist. Möchte sie dem neunzehnten nicht wieder verloren gehen. Bor ihm saßen drei einmal zum Regieren berufene Fürstensöhne von Sachsen, Baden, Mecklenburg; möchten sie es sich zu Herzen ge­ nommen haben! Es ist merkwürdig, welchen Eindruck alles macht, was dieser Mann sagt; es ist eine der Erscheinungen, an denen man sich mit ganzer Seele erbaut. Uns erzieht viel mehr, als was uns in den besten Lehren gepredigt wird, das Gute und Große, was wir von anderen verwirklicht und geübt sehen. So ein leuchtendes Beispiel zu sein, ist eigentlich das wahre Priestertum, zu dem jeder berufen ist und — ja, Christus! Ist nicht eben er die erhabenste Ver­ wirklichung eben dieses Priestertums?" Dahlmanns Überlegenheit machte Liliencron weder blind noch ungerecht gegen andere anerkannte und aufstrebende Gelehrte des Bonner Kreises. Er verstand Friedrich Ritsch! voll zu würdigen und fühlte sich, nachdem er, „Jesuitenluft witternd", sich rasch aus

III. Bräutigam. — Privatdozent. — Erste Wafsengänge.

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einem ultramontanen Zirkel zurückgezogen, ganz in seinem Element, als ihn Kinkel in das Sonnabendkränzchen der „Schwanenritter" — in dem in der Stromgasse gelegenen Wirtshaus zum Schwan — eingeführt und seine Beliebtheit ihm einen Stammplatz am Mittags­ tisch der Dozenten gesichert hatte. Lebenstreu hält er die Charakter­ köpfe der älteren und jüngeren Berufsgenossen fest, unter denen ihm der Sprachforscher Schleicher und der Theologe Albrecht Ritschl besonders nahe kamen. Stundenlang unterhielt er sich manchen Abend mit dem selbständige Wege gehenden Forscher über Ur­ christentum und Evangeliengeschichte; zum Beschluß spielte Liliencron Ritschl Beethoven vor und Ritschl gab zum Dank dafür Schubertsche Lieder zum besten. Einmal verbanden sich die beiden fröhlichen Gesellen sogar zu einer gemeinsamen Konzertreise, die zum Heil ihrer akademischen Laufbahn die einzige den gestrengen Bonner Geheimräten verborgene Extratour dieser Art bleiben sollte. Die Vorgeschichte des tollen Streiches war lustig genug. Bald nach seiner Ankunft, am 21. November, hatte Liliencron einen Ausflug nach Königswinter gemacht und im Gasthof zum Drachenfels vor Tisch am Klavier ein wenig improvisiert. Die Wirtstochter hatte ihn belauscht. Selbst Sängerin, ließ sie sich rasch bewegen, gleich­ falls Proben ihrer Kunst zu geben. Die Eltern, echte Rheinländer, die nach Berthold Auerbachs Wort Wein im Blute haben, kamen dazu; die Hausleute ruhten nicht, bis Liliencron versprach, zu über­ nachten und mit dem Schulmeister und anderen Mitgliedern des Gesangvereins zu musizieren. Der Abend verlief so fröhlich, daß Liliencron nicht das Herz hatte, Nein zu sagen, als alt und jung ihn bat, in einigen Wochen zu einem Wohltätigkeitskonzert für die Armen von Königswinter wiederzukommen, zu dem auch einige Sänger aus Köln sich einstellen wollten. Als Liliencron am nächsten Mittag Ritschl ein wenig beklommen den Handel beichtete, sagte der, ausnehmend erheitert, daß auch er mitwirken wolle; ein Ver­ sprechen, das der Konzertverein in Königswinter mit Jubel auf­ nahm. Am 25. Januar fuhren die beiden Dozenten wirklich in Frack und weißer Binde ins Hotel Drachenfels. Die Einnahme war so groß wie der Beifall, der Ritschl als Sänger, Liliencron als Pianist zuteil wurde. Das Ergötzlichste war ein Nachspiel: die beiden Ge­ lehrten hatten sich nach dem „Souper" und vor dem Tänzchen in

ihr gemeinsames Schlafzimmer zurückgezogen und lagen plaudernd und rauchend schon im Bett, als vor ihrer Tür von Damen und Herren des Gesangvereins ihnen zu Ehren ein Mendelssohnsches Quartett als Ständchen angestimmt wurde, dem eine groteske Dank­ rede eines spaßhaften, glatzköpfigen Assessors folgte, der sein kahles Haupt durch die Türspalte steckte und jeden Satz mit der Anrede begann: „Hochverehrter Anwesender und auch Sie, hochwürdiger Herr!" Nicht weniger vergnügt ging eine Jagd auf Volkslieder aus, die Liliencron mit Simrock unternahm, dem er sich rasch angefreundet hatte. Forscher und Künstler, war der meist Schweigsame gern zu Schnurren bereit. Als z. B. unter Führung Professor Walters, des Kirchenrechtslehrers, Zeitungsartikel und Sammlungen für den Sonderbund warben, hänselten allerlei boshafte Inserate diese Propaganda: Neckereien, als deren Urheber nur die näheren Freunde Simrock kannten. Unter dem Landvolk war der Kernmensch so bekannt und beliebt, daß die Leute auf das erste Wort von seiner Anwesenheit zur Stelle waren. „Eine vergnügte Bauernschaft," so berichtete Liliencron seiner Louise, „die uns bald einzeln, bald im Chor einen unerschöpflichen Reichtum an Liedern vortrug, während Simrock die Worte, ich die Melodien aufschrieb. Namentlich eine alte 63 jährige Frau, schon recht kümmerlich und gebrechlich, steckte voll von lustigen Liedern; ich hätte sie zeichnen mögen, wie sie mit ihrem klugen Gesicht dasaß, den Kopf auf den Ellenbogen gestützt, und sich innerlich vergnügt die Schwänke ihrer Jugend durch die Gedanken ziehen ließ." über solchen Allotriis, den Ausflügen zum Volk, den Empfängen bei Bethmann-Hollweg, steifen Professorengesellschaften, JphigenienBorlesungen mit verteilten Rollen, Bällen usw. versäumte Lilien­ cron seine wissenschaftlichen Aufgaben nicht; er arbeitete sein Kolleg für den künftigen Sommer „Vergleichende Grammatik der ger­ manischen Sprachen" aus, sandte Haupt isländische Studien für seine Zeitschrift, gab auch im „Schwan" einen freien Vortrag über isländische Literatur zum besten. Endlich hielt er seine Antritts­ rede als Privatdozent „vor wenig Zuhörern, selbst ohne eigene Teilnahme". Sehr begreiflich, wenn man hört, daß unmittelbar zuvor das Totenamt für die Berliner Gefallenen im Münster war

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und das Datum dieser Antrittsvorlesung aus demselben Brief er­ fährt: 23. März 1848. Er hat dieses Jahr jederzeit das schwerste seines Lebens genannt. Mit Recht. Es stellte ihn, den nach seinem oft wiederholten Wort in royalistischen Kreisen Ausgewachsenen nicht nur vor die Not­ wendigkeit, gegen die Übergriffe der dänischen Regierung Partei zu nehmen. Als Bräutigam einer geborenen Dänin, deren Bruder in die dänische Armee eintrat, wußte er, welche Widerwärtigkeiten ihm und seiner Louise aus schleswig-holsteinischen Wirren erwachsen würden. Dennoch hat er, ohne große Worte zu machen, keinen Augenblick gezögert, sich unter die Fahne für die deutsche Sache zu stellen. Wissenschaft und Kunst hatten ihn, seit er geistig mündig ge­ worden, ganz anders in Anspruch genommen, als Politik. Er stammte aus einem Geschlecht, dessen Angehörige dem Königshaus als Soldaten und Beamte vielfach willig und treu gedient hatten. Seine ersten politischen Wallungen verspürte der Gymnasiast nicht durch die der Einheit Schleswig-Holsteins geltende Bewegung, sondern im Kampf um die Göttinger Sieben. Der Widerstand, den 1846 der „Offene Brief" Christians VIII., sein Versuch, Schles­ wig durch eigenmächtige Abänderung der Erbfolge von Holstein loszulösen und Dänemark einzugliedern, geweckt hatte, war allerdings dem gerade damals in seine Gelehrtenarbeil Versenkten um so weniger entgangen, als die Kieler Hochschule seit den Tagen von Dahlmanns Waterloo-Rede der Hauptsitz der Lehre von der Zu­ gehörigkeit der Herzogtümer zu Deutschland geblieben war und seine Lehrer Waitz und Müllenhoff ebenso entschieden als sein Studiengenosse Lorentzen sich aussprachen gegen den Offenen Brief. An eine gewaltsame Lösung dieser Frage durch kriegerische Waffen­ gänge mit dem König-Herzog hatte Liliencron gleichwohl dazumal so wenig gedacht wie andere patriotische Söhne Schleswig-Holsteins. „Nur dem Ungeschick der Dänen, welche, statt den berechtigten Wünschen der Herzogtümer entgegenzukommen, deren Zuneigung zu Dänemark durch ihre Übergriffe in Abneigung verwandelten," so urteilt Rudolf Schleiden, „und der Verblendung des sonst so einsichtigen Christian VIII. ist es zuzuschreiben, daß man bald an dem Festhalten an der legitimen Erbfolge das einzige Mittel der

Rettung erblickte." Und wie Bernhard von Bülow glaubte, daß bei längerer Lebensdauer Christians VIII. eine Verständigung ohne gewaltsamen Umsturz möglich gewesen wäre, hatte Liliencron 1846 vor seiner Abreise und während seines Aufenthaltes in Kopenhagen gewünscht und erwartet, daß die dänischen Machthaber sich eines Besseren besinnen und einen Ausweg aus diesen Jrrgängen suchen würden. Als Christian VIII. aber am 20. Januar 1848 starb, ver­ schwieg Liliencron seiner Braut nicht, daß der erste unbesonnene Schritt der Regierung seines Nachfolgers zum Bruch führen könne. Nun und nimmer, darin war er eines Sinnes mit den Massen­ kundgebungen seiner Landsleute, dürfe Schleswig-Holstein das Schicksal von Elsaß und Luxemburg erfahren. Ebensowenig würden die Pläne einer Gesamtstaatsverfassung von den Deutschen an­ genommen werden, da sie den Dänen gegenüber die geborene Minorität bilden würden. Seine Erwartung, daß König Fried­ rich VII. sich zur Umkehr entschließen würde, wurde jedoch bald zu­ nichte. Am 24. Februar erfuhr er im Hause Dahlmanns den Sturz Louis Philipps. „Die Brandfackel ist geschleudert in Europa," schreibt er der Braut, die seine aufregenden Mitteilungen von den unablässig wachsenden Unruhen am Rhein mit aufregenderen Mitteilungen über den Aufruhr in Kopenhagen erwidert. Der Briefwechsel der beiden in den folgenden Märzwochen zeigt das Liebespaar auf gleicher Höhe des Geistes und der Gesinnung. Louise kannte den dänischen Hof aus eigener Anschauung; sie hegte herzliche Sym­ pathien für Christian VIII. und bangte vor der Unberechenbarkeit seines haltlosen Nachfolgers. Ihr Onkel, Oberstjägermeister Peter Tutein, war ein Führer der konservativen „Phönix"-Partei. Durch ihn und andere wurde ihr fast Stunde um Stunde berichtet, wie sich der König durch die extreme „Kasino"-Partei zur Berufung von Orla Lehmann, Monrad, Hvidt zu Ministern und zu dem verhängnis­ vollen Beschluß fortreißen ließ, Schleswig in Dänemark zu in­ korporieren. Liliencron, der, inzwischen in die Bonner Bürger­ wehr eingerückt, unbekümmert um die eigene Sicherheit von einem augenscheinlich für einen Barrikadenbau quer über die Straße ge­ worfenen Kutschbock zur Befriedigung des Kronprinzen von Sachsen ein Hoch auf den König von Preußen ausgebracht und durch seinen Mut zur Meuterei bereite Massen umgestimmt hatte, sah, daß nach

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diesem Gewaltstreich Friedrichs VII. seines Bleibens nicht mehr am Rhein war. Der Rechtsbruch der Dänen machte den Kampf in den Herzogtümern unvermeidlich. „Der Krieg ist vor der Tür," schreibt er der Braut. „Zur Fahne m u ß ich mich stellen." Louise hat die Heimsuchung aufsteigen sehen: „Die Tage, die kaum zurück­ gelegt sind, kennen wir; die, welche kommen, sind noch mit einem Schleier verhüllt, aber der ist schwarz und läßt nichts Gutes ahnen — nein, nein, den Mut darf ich nicht verlieren! Ich habe ihn auch noch! Mit Stolz hebe ich den Kopf, und mein Herz schlägt froh, wenn ich an das Glück denke, was Gott mir, wenn es so sein Wille ist, einst an Deiner Seite bereiten wird; das ist zu groß, um es jetzt mit Feig­ heit zu erwarten." Liliencron verließ Bonn in der Absicht, sich als Freiwilliger zu melden. Unerschütterlich vertraute er auf Louisens Liebe: „Ich baue fest auf Dein starkes Herz," schreibt er ihr am 1. April aus Rendsburg. „Schone Dich in allem. Hoffentlich wird einst ein frohes Wiedersehen diese Stunde vergelten." Es war einer der „Sonnenaufgänge der Geschichte", zu dem Liliencron sich aufmachte, als er ohne Schwanken sein Lebens- und Liebesglück für die Selbständigkeit der Heimat, für die Ehre Deutsch­ lands einsetzte. Seine neuen Bonner Freunde hatten keinen Augen­ blick an ihm gezweifelt, und der getreue Wentorp empfing ihn da­ heim mit dem Ausruf: „Ich wußte, daß du kommen würdest." Als Liliencron am 29. März in Rendsburg eintraf, hatten sich dort in größter Ruhe gewaltige Ereignisse vollzogen. Die wenige Tage vorher in Kiel geblldete provisorische Regierung (Beseler, Graf ReventlowPreetz, Bargum, Bremer, Goldmann) hatte durch die Tatkraft des Prinzen von Noer die Festung am 26. früh durch einen Hand­ streich genommen; die Besatzung mit den deutschen Truppen hatte sich ihr angeschlossen; nur die dänischen Offiziere hatten von der Erlaubnis des Prinzen Gebrauch gemacht, auszuscheiden; die Landes­ kasse war in Händen der provisorischen Regierung, der von allen Seiten der Landsmannschaft Beistand geleistet, Steuer gezahlt wurde. Deutsche Beamte, die, wie Francke und Schleiden, in hohen Stellungen in Kopenhagen tätig gewesen waren, hatten dort sofort ihre Ämter aufgegeben und sich den neuen Machthabern zu Gebote gestellt. Llliencron, der in Rendsburg seinen Bruder, Graf Albert Baudissin und zahlreiche Bekannte aus Gymnasial- und Universitäts-

zeiten traf, wollte dem Kieler Studentenkorps beitreten. Das war aber, ebenso wie das zweite FreiwMgenkorps, bereits gegen Flens­ burg zu abmarschiert, so daß ihm nur übrig blieb, sich dem dritten FreiwMgenkorps anzuschließen. Als er auf dem Rendsburger Marktplatz zur Eidesleistung antrat, schaute Graf Reventlow-Preetz zum Fenster seiner Kanzlei heraus. Gleich nachher ließ er Llliencron mit vier, fünf anderen Freiwllligen zu sich rufen. Mit der Führung der auswärtigen Geschäfte betraut, hatte der Graf seine liebe Not, in den völlig unfertigen Zuständen für die dringendsten Sendungen einigermaßen zulängliche Bertrauenspersonen zu finden. In seiner humorvollen Art sagte der Staatsmann, er habe sich die Rekruten daraufhin angesehen, wer unter chnen einen Frack habe. Da Llliencron mit diesem Kleidungsstück dienen konnte und ver­ mutlich noch aus anderen, auf seine Bildung und Famllienbeziehungen gegründeten Ursachen, betraute ihn der Graf mit dem Auftrag, nach Hannover zu gehen und dort so dringend als möglich die Mobllisierung von Bundeshllfstruppen zu betreiben. Der gleichfalls erst kürzlich zu Staatsgeschäften berufene hannöversche Minister Stüve wohnte zufällig in demselben, der Bahn gegenüberliegenden Hotel Royal, in dem Llliencron bei seiner Ankunft in der Residenz abgestiegen war. Den ganzen Tag wartete er, ob und wann ihm Stüve, bei dem er seine Karte hatte abgeben lassen, die in Aussicht gestellte Unterredung bewMgen würde. Gegen Mitternacht, da Llliencron schon zu Bett gehen wollte, ließ chn der Minister bitten, im HausÜeid zu ihm zu kommen. Der Frack war somit überflüssig und auch sonst verlief die Verhandlung formlos, da Stüve mit einem Ab­ gesandten einer von seinem König noch nicht anerkannten Regierung keinen offiziellen Verkehr Pflegen konnte, ja zur Vorbedingung einer solchen Anerkennung die Anerkennung der provisorischen Regierung durch die Frankfurter Zentralgewalt machen mußte. Gleichwohl empfing Llliencron vertraulich, sowohl vom Minister wie durch zufällige Tischgespräche mit hohen hannöverschen Offizieren tröstliche Versicherungen: der König von Hannover stand auf feiten der vom dänischen König unrechtmäßig ausgeschlossenen Erb­ berechtigten und Stüve wie die hannöverschen Mllitärs machten kein Hehl aus ihrer Absicht, der Sache Schleswig-Holsteins, so­ bald sie dazu bevollmächtigt würden, mit besten Kräften zu dienen.

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Am 8. April brachte LUiencron diesen beruhigenden Bescheid nach Rendsburg, und am nächsten Tage machte er sich, sehr fragwürdig ausgerüstet, auf zu seinem Freikorps. Auf seinem Transportwagen kam sich der Rekrut eher wie ein Sonntagsjäger als wie ein Kriegs­ mann vor. Bald aber trat ihm der Ernst der Lage vor Augen: zer­ sprengt und flüchtig kamen ihm die bei Bau geschlagenen Truppen entgegen. Das Kieler Studentenkorps war umzingelt und größtentells gefangen worden: wäre er ein paar Tage früher in Rends­ burg eingetroffen oder nicht nach Hannover geschickt worden, sein Los wäre vielleicht eine Kugel bei Bau, zum mindesten monate­ lange Gefangenschaft auf einem dänischen Kriegsschiff, der Dronning Marie, geworden. In Schleswig, wo der nach seiner Versicherung am Fehlschlag von Bau nicht schuldige Prinz Noer seine Leute kalt­ blütig sammelte, machte auch Llliencron kurzen Halt. Bon dort aus richtete er am 10. April folgende schwarz gesiegelte Zellen an Louise Tutein: „So kann ich nur in fliegender Elle dieses Wort schreiben, welches bestimmt ist, Dir meinen Scheidegruß zu bringen; meine — ewig meine Louise! Du bist die höchste Seligkeit meines Lebens gewesen, Du weißt es, Du bist der letzte Gedanke meines Herzens, Du bist es, die in tausend, tausend Segnungen mit mir in ein neues Dasein hinübergeht. Vor Gottes Thron bleibe ich Dein! Gott segne und schütze Deine Tage, und Du selbst bewahre Dein Herz! Meine Louise, stark wie Du Dich gefühlt hast an meiner Brust, so sei stark und mutig, wenn mein irdisches Herz nicht mehr für Dich schlagen kann. Denke daran, wie wir einig waren, daß alles, was da kommt, aus Gottes Hand kommt und mit ungebeugtem Sinn, mit Dank getragen sein soll. — Sag allen, den lieben Eltern und Geschwistern meinen kindlichen — brüderlichen Abschieds­ gruß ! — Noch einmal das süße Wort, das Wort voll ewiger Selig­ keit — meine, meine Louise! — Gott segne mein Vaterland! auch mein Blut sei gesät, mit freiem frohem Mut gesät für seine Freiheit! Gott segne mein Schleswig-Holstein! Gott segne Dich! Dein, ewig Dein Rochus. Deine Briefe an mich liegen, adressiert an Dich, unter meinen Sachen —, es ist mein höchster Schatz, weiter hab' ich Dir nichts zu lassen." Geschrieben wurde dieser nicht abgeschickte Brief angesichts einer scheinbar heillosen Unordnung der Truppen mit dem festen Vorsatz,

im Kampf seine Pflicht bis auf das Äußerste zu tun. Mühselige, strapazenreiche Märsche folgten, auf denen es an grotesken Zwischen­ spielen nicht fehlte: als Liliencron eines Nachts im Wandbett einer Bauernhütte sich niederlegen sollte, ging die Büchse seines Schlaf­ kameraden los, so daß er nahe daran war, mitten im Krieg den Strohtod zu finden. Ein andermal wurde er als Vorposten vergessen; er harrte geduldig von 10 bis 4, bis eine zufällig vorbeikommende Patrouille ihn ablöste. All diese tragikomischen Erlebnisse wurden aber wettgemacht durch den großen Augenblick, in dem Liliencron mit seinen Kameraden unversehens an der Eider Pickelhauben aufblitzen sah und die preußischen Bundesgenossen unter dem pommerschen Befehlshaber Bonin mit stürmischen Hurras begrüßte. Die tadellose Feldausrüstung dieser Nothelfer ließ ihm die Notwendigkeit, für die Verbesserung des eigenen soldatischen Aufzuges zu sorgen, unerläßlich erscheinen. Er ging deshalb mit kurzem Urlaub nach Rendsburg. Dort wurde er, vermutlich in der Absicht, ihm bald zu einer Offiziersstelle zu verhelfen, an die Tafel gezogen. Graf Reventlow-Preetz, der seine Mission nach Hannover wohl noch im Gedächtnis hatte, fragte Liliencron wiederum scherzend: „Sagen Sie mir, haben Sie schon einmal einen Hasen geschossen?" »Ja, zwei; aber ich glaube, die Hasen waren noch verwunderter, daß ich sie tot schoß, als ich selbst." Nach diesem munteren Zwie gespräch fuhr Reventlow ernsthaft fort mit dem Antrag, Liliencron möge als zweiter Sekretär bei ihm eintreten; er vermöchte dem Vaterland mit der Feder mehr zu nützen als mit der Flinte. Die provisorische Regierung war in Verlegenheit, auch nur für die wichtigsten diplomatischen Verhandlungen geschulte Kräfte zu gewinnen. Sie hatte die freiwMg aus dänischem Staatsdienst ge­ schiedenen Schleswig-Holsteiner, Francke und Schleiden, sofort in wichtigen Stellungen verwendet und unvorsichtigerweise Bernhard von Bülow, den nachmaligen preußischen Minister des Auswärtigen, der sich zum Eintritt erbot, abgewiesen, well er im unbegründeten Verdacht der Miturheberschaft am Offenen Brief Christians VIII. stand. Sie war auch durch die diplomatische Mitarbeit der Liliencron befreundeten Kieler Professoren Dropsen, Waitz, Madai lange nicht ausgiebig genug gefördert. So war es wohl begreiflich, daß Revent­ low, ein scharfer Menschenbeobachter, auf den Gedanken kam, einen

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Gelehrten von Llliencrons Geschichtskenntnissen und gesellschaftlichen Verbindungen versuchsweise zu Staatsgeschäften heranzuziehen. Reventlows Griff erwies sich als glücklich. Unter der harten, doch lehrreichen und dankbar anerkannten Führung dieses Staatsmannes arbeitete sich Llliencron schnell in die anstrengenden, vielgestaltigen Aufgaben ein, die sein anspruchsvoller Chef und die bewegten Zeiten ihm stellten. Bis zum Jahresende 1848 blieb Llliencron in Rends­ burg. Zunächst als vielgeplagter Lehrling eines biswellen scharf drein­ fahrenden Meisters, mit dem es ihm nach seinem Vergleich erging wie Kurt von Schlözer, der unter Bismarck in Petersburg die Härten dieses schroffen, selten zufrieden zu stellenden Vorgesetzten mehr als einmal grimmig verwünschte und hinterdrein sich am meisten ärgerte, weil er zugeben mußte, daß am Ende „der Kerl" doch immer recht gehabt. Llliencrons Amtsführung brachte ihm anfangs Kleinarbeit im Übermaß; halbe, nicht selten ganze Nächte gingen damit hin, den Einlauf zu sichten und zu registrieren. Dazu kam, daß es in Rendsburg so still zuging, daß Leute, die auf dem Weg zum oder vom Kriegsschauplatz am Sitz der provisorischen Regierung halt machten, sich darüber nicht genug wundern konnten, und Llliencron selbst in einem vertraulichen Brief an Louise den Stoßseufzer nicht unterdrückte: „Wir sitzen in Rendsburg, wie eine exotische Pflanze auf dem Mistbeet der Langewelle." Trotz all dieser Verdrießlichkeiten lernte der Neuling indessen in dieser Schule der Erfahrung den Gang der Dinge, alle Schwierigkeiten im Jnund Ausland, die Listen und Tücken der Großen, die Verschlagen­ heit und Zweizüngigkeit diplomatischer Widersacher, echte Feinde und falsche Freunde, die Wandlungen der Mächte nach den Wetter­ zeichen des Kriegsglückes, jähe, in diesen erregten Tagen doppelt jähe Gesinnungswechsel, das Spiel und Gegenspiel politischer Parteien besser verstehen als aus Geschichtsbüchern und Kollegienheften. Für seine Anstelligkeit spricht es, daß ihm Reventlow wenige Monate nach seinem Eintritt auftrug, beim Zusammentritt der Stände im Juni in fortlaufender Relation den Gang der diplomatischen Ver­ handlungen von den Anfängen der provisorischen Regierung bis zum Beginn des parlamentarischen Beratungen darzustellen: eine Aufgabe, die Llliencron (nach dem mir durch Geheimrat Samwer gütig anvertrauten Entwurf zu urteilen) so sauber, sachkundig und Vettel heim, R. v. Ätltencron.

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übersichtlich löste, daß dieses Blaubuch heute noch stofflich und stilistisch ein bemerkenswerter Beitrag zur Geschichte jener Tage bleibt. Liliencron stellte aber nicht nur mit der Feder seinen Mann. Er bewahrte Haltung, Fassung und klaren Blick in kritischen Zeiten. Der Enthusiasmus, mit dem er für Schleswig-Holstein sein ganzes Können zu Gebote gestellt hatte, verblendete ihn nicht über die Machtmittel seiner Landsleute, über ihre Abhängigkeit von den Großmächten, über den Wankelmut, die Ängstlichkeit und Unzu­ verlässigkeit der nächstberufenen Schirmherren unter den deutschen Staaten. Sein Urteil in heiklen Fragen, seine sachliche Unbefangen­ heit inmitten noch so begründeten persönlichen Unmutes während der Entscheidung über Annahme oder Verwerfung des Malmöer Waffenstillstandes, seine Gewandtheit im persönlichen Umgang ver­ anlaßte seine Vorgesetzten, ihn schon zu Neujahr 1849 in verantwort­ licher Stellung nach Berlin zu schicken. Unter dem Titel eines (Legations-) „Sekretärs", den die preußische Regierung ebensowenig anerkannte wie der hannöversche Minister Stüve im Aprü 1848 ihn „offiziell" als Vertreter der Nordmark gelten ließ, hatte er „offiziös" die Pflicht, den Ministern in Berlin die Wünsche und Beschwerden seiner schleswig-holsteinischen Auftraggeber ans Herz zu legen und den Regierungskreisen in der Heimat unverfälschte Berichte zu geben, wie es um die Sache Schleswig-Holsteins in den wechselnden Phasen jener Revolutionsjahre in Preußen und Deutschland bestellt war. Seine amtlichen Eingaben und Depeschen, wie seine formloseren, bisweilen unter Decknamen, für Samwer, Francke, Schleiden und andere Vertrauensmänner bestimmten Informationen sind erfüllt von reinem, jeder Selbsttäuschung ausweichendem Wahrheitssinn. Er verstand in Ermanglung eines amtlich geregelten Gedankenaustausches mit den maßgebenden Persönlichkeiten vertraulich und gesellschaftlich Gewährsmänner zu wählen und Quellen auszuschöpfen, die, viel­ fach unwillkommene, durchweg glaubwürdige Botschaften boten. Früher als manche seiner älteren, erfahreneren Kollegen durch­ schaute er die Halbheit der vermeintlichen Nothelfer, die Gefahren, die der schleswig-holsteinischen Sache weit über den Augenblick hinaus drohten. Diese Erkenntnis verleitete den Pflichtgetreuen keinen Augenblick, lässig zu werden, verzagt oder vorzeitig das Gebot der Stunde zu versäumen.

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Erholung suchte und fand er in kargen, den Geschäften ab­ geknappten Zwischenstunden in wissenschaftlichen Arbeiten, da flüchtige Anwandlungen, Berufsdiplomat zu werden, bald dem Borhaben wichen, nach Abschluß seines politischen Wehrdienstes in Kiel, Kopenhagen und Bonn begonnene Forschungen weiterzuführen. Sein größter Trost war und blieb aber sein Briefwechsel mit der Braut, der er im Mai 1848 schrieb: ,Lch möchte diese Zeit, wie schwer sie auch ist, doch schon jetzt in der Geschichte unserer Liebe nicht entbehren." Rückhaltlos schüttete er Louisen sein Herz aus, so daß sich in seinen stoss-, sinn- und gemütreichen Briefen seine Schicksale und die auf- und absteigenden Linien der schleswigholsteinischen Erhebung bis ins kleinste verfolgen lassen. In diesen Herzensergüssen an die Geliebte gab er sich anfangs, hingerissen von der Eröffnung der Frankfurter Nationalversammlung und der Persönlichkeit Heinrich von Gagerns, einer Hofsnungsseligkeit hin, die nur allzubald angesichts der tatsächlichen Entwicklung nüchternerer Beurteilung weichen mußte. Gleich nach seinem Eintritt in das Sekretariat wurde Liliencron Zeuge für die Verschiedenheit der Auffassung desselben Ereignisses bei Fernstehenden und Eingeweihten. Die Schlacht bei Schleswig wurde am 23. April unter dem Oberbefehl Wrangels von Preußen und Schleswig-Holsteinern ausgefochten; ein Bote nach dem anderen brachte Meldungen vom Schlachtfeld, die, sehnlich erwartet und mit wachsendem Jubel ausgenommen, zuletzt in einer von Wrangel selbst durch einen Offizier bestellten, den Gang der Kämpfe tteu zusammen­ fassenden Siegesbotschaft ihren Abschluß fanden. „Also ein Sieg," sagte Reventlow, der sich zuvor im Sitzungssaal mit den anderen Regierungsmilgliedern beraten hatte, in ihrer Gegenwart zu Wrangels Abgesandten — „das heißt ein Sieg, bei dem wir gar nichts gewonnen, haben." Äußerlich glanzvoll, war dieser scheinbare Erfolg der Deutschen für die Dänen keine Mederlage: ihre Armee, die nach dem ersten, verwegeneren Plan Bonins sich nicht hätte retten können, war in der Lage, sich zurückzuziehen. Während der weiteren zweieinhalb­ jährigen Kämpfe um Schleswig-Holstein, in denen Liliencron der Sache der Heimat diente, hat er auch späterhin durch die Träger der jeweüigen Regierung und aus eigener Anschauung den wahren Stand der Dinge besser kennengelernt als Außenstehende und als 5*

unbefangener Kritiker nach seinem Wort Kassandrastimmungen frühzeitig empfunden. „Aber es ist nicht die Art meiner schleswigholsteinischen Landsleute, auch wo sie die Sehnen tapfer anspannen müssen, viel Wesens davon zu machen oder, wo sie int Innern tief aufgeregt sind, die äußere Ruhe zu verlieren." Unwandelbar hielt er in allen Wechselfällen fest an den ihm zu­ gewiesenen Pflichtaufgaben, so schwer sie ihm bisweilen wurden, so vergeblich manche der redlichsten Bemühungen seiner Landsleute im Feld und in der Staatskanzlei ihm auch erschienen. Zumal das erste Jahr seiner angestrengten Tätigkeit als Sekretär in Rendsburg, später in Schleswig, ließ ihm in der Erinnerung sein ganzes damaliges Leben nur als „einförmig grauen Nebelstrich" erscheinen. Er hatte in fortlaufenden Korrespondenzen den Abgesandten der provisorischen Regierung nach den Weisungen seines Chefs von allen wesentlichen Vorgängen Tag um Tag Nachricht zu geben und ihre Einläufe der Regierung zu unterbreiten. Der etwas schroffen Art Revenllows paßte er sich rasch und um so bereitwllliger an, als er nicht bloß beständig von seiner Amtsführung und straffen Schreibweise lernte, sondern bald unverkennbare Beweise seines Wohlwollens erhielt: 14 Tage nach seinem Eintritt, am 20. April 1848, empfing Liliencron ein Bestallungsdekret als zweiter Sekretär mit einem Jahresgehalt von 500 Spezies und schon am 16. August rückte er zum Sekretär schlankweg vor. Was in LUiencron trotz alledem keine bessere Stimmung aufkommen ließ, war der Mangel an selbständigem Wirken. Er hatte im wesentlichen bloß im Sinne seines Vorgesetzten zu handeln und als nach dem Waffenstillstand von Malmö die provisorische Regierung einer gemeinsamen Regierung, Graf Reventlow-Preetz dem Departementschef Harbou Platz machte, wiederum nur den Wünschen dieses neuen Vorgesetzten zu wlllfahren. Wie hoch die beiden LUiencrons Fähigkeiten einschätzten, zeigte sich in­ dessen am Jahresende; als der Bevollmächtigte für Berlin, Schleiden, abberufen wurde, gab ihm die gemeinsame Regierung LUiencron zum Nachfolger. Ein Vertrauensposten, der ihm freieren Spiel­ raum gewährte, zum mindesten seinen Auftraggebern zu zeigen, wieviel ein nicht offiziell zugelassener Sendbote nur offiziös bei dem in Sachen Schleswig-Holsteins unschlüssig schwankenden, durch ge­ hässige dänische Treibereien, durch russische und englische Winkel-

züge beunruhigten preußischen Auswärtigen Amt inmitten der Ber­ liner und Frankfurter parlamentarischen Stürme der Revolutions­ zeit erfahren und zuwegebringen konnte. Alte und neue Bekannt­ schaften ebneten ihm vielfach die Wege. Der frühere Gesandte Dänemarks in Berlin, ein Schwager von Radowitz, Graf ReventlowAltenhof, bei dem Liliencron während seiner Berliner Studenten­ zeit oft als Gast gewesen, hatte nach der Kundmachung des „Offenen Briefes" 1846 seine Stelle niedergelegt, nach Ausbruch des Krieges aber der schleswig-holsteinischen Regierung sich als Mittelsmann zu Gebote gestellt; er förderte Liliencrons Bestrebungen, und außer dem Grafen kam ihm Prinz Woldemar von Holstein freundlich ent­ gegen, der bei den Gardekürassieren stand, ein origineller Kauz, mit dem Liliencron zufällig in einem eleganten Frühstückslokal Unter den Linden, Gerold, zusammentraf und dauernd gute Be­ ziehungen unterhielt. Der Prinz bestellte sich mit Liliencron in eine gute Weinstube, in der andere Freunde des Prinzen, Meusebach, Fritz Eulenburg, Flemming aus dem Nachrichtenbureau des Mini­ steriums verkehrten. Es waren nicht die einzigen, für seine In­ formation heilsamen Begegnungen. Der Minister des Auswärtigen, Graf Bülow, war LUiencron und der Sache Schleswig-Holsteins geneigt; am Ende einer ihrer ersten Unterredungen sagte er: „Be­ suchen Sie meine Familie! Sie sehen, wie schwierig die Verhältnisse sind, ich kann Sie offiziell nicht empfangen, aber dort wird sich Ge­ legenheit bieten, manches zu besprechen." Mit der Familie des Generals Bonin verkehrte Liliencron gleichfalls fleißig. Die Ger­ manisten Grimm und Lachmann, die Naturforscher Museumsdirektor Lichtenstein und sein Jugendfreund Wilhelm Peters, Lepsius, die Crelinger und ihre inzwischen an den Schauspieler Hopps verheiratete Tochter Clara Stich nahmen ihn gastlich auf. Auch der Zufall führte ihm liebe Jugendbekannte zu. In dem Restaurant, in dem er zu Mittag speiste, entdeckte er plötzlich seinen alten Lübecker Schulfreund Kurt von Schloezer; es fand sich, daß der im Auswärtigen Amt arbeitende (nachmals zum preußischen Gesandten in Washington und im Vatikan ernannte) diplomatische Anfänger gleichfalls in der Behrenstraße ihm so grad gegenüber wohnte, daß die beiden sich über die Straße unter­ halten konnten. So nützlich diese und andere, absichtlich gesuchten, wie die ab-

sichtslos gefundenen Verbindungen Liliencron und seiner Sache wurden, entscheidend war und blieb fein eigenes Urteil, die Ein­ sicht, mit der er amlliche Äußerungen und vertrauliche Andeutungen prüfte, kombinierte, für seine Berichte und, wenn's not tat, für sein selbständiges Eingreifen verwertete. Die Zeit, in der er als offiziöser Legationssekretär die Geschäfte übernahm, war besonders kritisch. Da der am 26. August 1848 auf sieben Monate geschlossene Malmöer Waffenstillstand am 26. März 1849 ablief, wurden von der Frankfurter Zentralgewalt wie von Preußen und England die verschiedenartigsten Pläne erwogen, vorher Grundlagen eines endgültigen Friedens zu finden. Die bestgemeinten und hinter­ hältigsten, die klügsten und wunderlichsten Vorschläge — Sonder­ stellung Schleswigs; Teilung Schleswigs nach Sprachgrenzen — kamen in den diplomatischen Verhandlungen zwischen Kopenhagen, Frankfurt, Berlin, London und den von den Dänen höhnisch als den fünf Königen von Gottorp bezeichneten fünf Mitgliedern der gemeinsamen Regierung zur Sprache. Keiner dieser Versuche konnte bei der Hartnäckigkeit der dänischen Regierung, die auf die Ohn­ macht der Frankfurter Zentralgewalt und die Haltung Rußlands und Österreichs baute, glücken. Der Waffenstillstand wurde am 26. Februar gekündigt. Liliencrons Berichte verfolgten jede dieser Phasen in seinen Briefen und Depeschen, die fortdauernd den Dank und Beifall seines unmittelbaren Chefs in Schleswig, Harbou, fanden. Er war auch in der Lage, dem Bevollmächtigten der Schles­ wiger gemeinsamen Regierung in Frankfurt rechtzeitig zu melden, daß der General der preußischen Garde, Prittwitz, zum Oberbefehls­ haber der zur Unterstützung der schleswig-holsteinischen Truppen vom Reich entsandten Bundeskontingente ausersehen sei. Als mit dem Waffenstillstand zugleich das Mandat der gemeinsamen Regierung erlosch und an deren Stelle, vom Frankfurter Reichsministerium berufen und von der Schleswiger Landesversammlung erwählt, Ende März 1849 die Statthalterschaft trat — es waren die zwei hervorragendsten Mitglieder der ursprünglichen provisorischen Regie­ rung, Graf Reventlow-Preetz und Wilhelm Beseler —, hatte Lilien­ cron die diplomatische Vertretung Schleswig-Holsteins weiter wahr­ zunehmen, nach wie vor gemäß den Weisungen seines Departements­ chefs Harbou und seit 1. April auch unterstützt von einem bisherigen

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Mitglied der zurückgetretenen gemeinsamen Regierung, Adam Moltke. Kleine und große Sorgen wurden ihm anvertraut. Er sollte bei der Ergänzung und besseren Ausrüstung der Landestruppen durch das preußische Kriegsministerium nachhelfen lassen und für die publizistische Führung und Beeinflussung der Presse zugunsten der Sache Schleswig-Holsteins tätig sein: eine Aufgabe, deren Lösung nicht immer so leicht und dankbar war, wie nach dem 5. April 1849, dem Tag von Eckernförde, an dem das dänische Kriegsschiff „Christian VIII." von heimischen Strandbatterien in Brand ge­ schossen wurde. Liliencron wendete auch den parlamentarischen Verhandlungen sein Augenmerk zu: es begegnete ihm dabei, auf der Tribüne Ranke zum Nachbar zu bekommen, der zu Liliencrons Er­ götzen unzeitiges Lob der Galeriebesucher für Redehelden des Tages schweigend, nur mit vieldeutigem ironischen Lächeln ablehnte. Das Gezänk der Extremen rechts und links widerstrebte auch Liliencron; seinem Wesen lag es fern, sich leidenschaftlich zu bestimmter Partei­ zugehörigkeit zu bekennen; seine Überzeugung von der Unhaltbarkeit des alten Deutschen Bundes, seine Hoffnungen auf ein großes geeintes Reich, hatten ihn zu Beginn der achtundvierziger Bewegung mit überschwenglichen Erwartungen erfüllt. Die Widerstände, die sich der Verwirklichung seiner Ideen entgegenstellten, die Schwierigkeiten, die sich erhoben, als die schleswig-holsteinische Frage eine europäische wurde, blieben ihm nicht lange verborgen und er verschwieg auch in seinen Berichten nicht, daß die Sache der Nordmark nur mit Hilfe des ganzen Deutschland gewonnen werden könnte. Wo war aber in den Wirren jener Tage dieses ersehnte ganze Deutschland zu finden? Der Beginn des neuen Feldzuges brachte zwar trotz des zögernden Vorgehens von Prittwitz, der als Bundesfeldherr doch zugleich die Vorsichtsmaßregeln der preußischen Regierung beachten und, um Rußland nicht zu reizen, Jütland schonen sollte, bei Kolding einen von dem energischen General Bonin als Kommandanten der Schleswig-Holsteiner errungenen und behaupteten Erfolg. Wie wenig willkommen dieses Vorwärtsdringen Bonins war, zeigt das von Liliencron gemeldete Gerücht, Prittwitz habe beantragt, Bonin wegen Eigenmächtigkeit vor ein Kriegsgericht zu stellen. Das ge­ schah wohl nicht: in Preußen, so fügt Schleiden als Gewährsmann der Depesche Liliencrons hinzu, sei es nicht Brauch, siegreiche Generale

zu bestrafen; Kleists „Prinz von Homburg" stimme nicht mit den geschichtlichen Überlieferungen. Bezeichnend bleibt es, daß auch nur die Möglichkeit eines solchen Prozesses von ernsten Leuten be­ redet werden konnte. Noch bedenklicher gestalteten sich die Folgen des Beschlusses der Frankfurter Nationalversammlung, Preußen die Kaiserwürde zu übertragen. Die Verwicklungen, die Friedrich Wilhelms IV. Ab­ lehnung der ihm angebotenen Kaiserkrone nach sich zogen, das Herabsinken des ersten deutschen Parlamentes zum Rumpfparlament, die Bolksaufstände in Sachsen und der Pfalz, der Zusammenbruch aller Hoffnungen auf die Begründung der deutschen Einheit durch die immer schattenhafter gewordene Zentralgewalt bedeutete nicht zuletzt für die Nordmark eine Gefahr. Als nun Friedrich Wilhelm IV. wenige Wochen nach der Zurückweisung der Abgesandten der Frank­ furter Nationalversammlung sich anschickte, die Regierungen der deut­ schen Staaten zu Beratungen über die künftige Gestaltung Deutsch­ lands zusammenzuberufen, fragte Liliencron auf eigene Faust beim preußischen Minister des Auswärtigen am 3. Mai an, ob SchleswigHolstein bei diesem Anlaß vertreten sein oder geflissentlich übergangen werde? Die klar gedachte und geschriebene Eingabe Liliencrons be­ antwortete Bülow bei ihrem nächsten Gespräch mit der Wendung: „Ja, lieber Liliencron, das ist eine Doktorfrage," die er als noch nicht zeitgerecht und spruchreif von sich wies. Und LUiencrons Chef, Harbou, erteilte ihm für seinen diplomatischen Vorstoß den folgenden Verweis: „Sie wissen, liebster Liliencron, daß ich Ihnen aus Herzensgrund bisher nur Freundliches gesagt habe. Heute aber bin ich auf das Be­ stimmteste beauftragt, Ihnen die statthalterschaftliche Mißbilligung des von Ihnen an den Grafen Bülow gerichteten Schreibens vom 3. zu er­ kennen zu geben, welches großes Risiko in sich trug, dessen unschädliche Beseitigung nur der Art beizumessen ist, wie der Graf die Sache auf­ gefaßt hat. Hier wagen wir durchaus kein Urteil darüber, welchen Ver­ lauf und Ausgang die Differenzen zwischen Berlin und Frankfurt an­ nehmen werden, schätzen uns aber mit Recht glücklich, daß wir in der Lage sind, nicht genötigt zu sein, sofort Partei zu nehmen. ES wäre uns sehr unangenehm gewesen, wenn Preußen uns zur Beschickung bei Berliner Congresses eingeladen hätte. Die Centralgewalt ist bisher unsere entschiedene Beschützerin gewesen; ihr verdanken wir 60.000 Mann. Aventuriren Sie uns nicht unnötigerweise in ein Dilemma hinein, das vielleicht an uns vorüberzieht."

III. Bräutigam. — Privatdozent. — Erste Waffengänge.

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Vertraulich bemerkte Harbous offiziöser Beistand Schleiden zu Llliencron: „Ich kann Ihre Ansicht nicht teilen, wenn ich auch weit davon entfernt bin, Ihnen wegen Ihres Schreibens an Bülow, dessen Motive ich lebhaft nachempfinde, Borwürfe machen zu können. Meine Überzeugung steht fest, daß Preußen, selbst wenn es jetzt durchdringt, sein jetziges Berhalten noch einmal schwer bereuen, ganz Deutschland dasselbe in edlem Blute büßen wird." Auf Llliencrons amtliche Stellung und Geltung hatte der Vor­ fall nicht den geringsten Einfluß. Schaden hat seine unvorgreifliche, nicht voreilige Anregung nicht angerichtet; an dem hoffnungslosen Niedergang des Frankfurter Zentralparlamentes konnte Liliencron anfangs Mai 1849 mit Recht nicht mehr zweifeln, und die Gründe seines behutsamen Borbauens, Schleswig-Holstein im Kreise der deutschen Einzelstaaten nicht von vornherein übergehen zu lassen, sind in seiner Eingabe klug erwogen und vorgebracht. Bülows ernst­ gemeintes Scherzwort: einstweilen wäre das Geratenste, Prittwitz als Zentralgewalt anzusehen, war leider ohne die Schuld der Herzog­ tümer zunichte geworden. „Die Theorie des Kriegführens durch Friedensvorschläge", so klagte Llliencron einmal weniger elegisch als epigrammatisch in einer nach Kiel gerichteten Depesche, „scheint wie ein Krankheitsstoff in der Atmosphäre der Wllhelmstraße zu liegen." Und diese Halbheit der damaligen preußischen aus­ wärtigen Politik hatte die Halbheit der damaligen preußischen Heerführung zur verhängnisvollen Folge. Angesichts der (von Moltke in seinen Mllitärischen Schriften also bezeichneten) „kläg­ lichen" Führung der Bundestruppen war somit Bülows launig hingeworfener Schlagsatz ein schlechter Trost, und der Mißgriff, sich vor Fridericia einer Niederlage auszusetzen, verschlimmerte die Aussichten der Herzogtümer in den zwischen Preußen und Däne­ mark geführten Waffenstlllstandsverhandlungen, von denen die äußerlich höflich angehörten, tatsächlich völlig unbeachteten offiziösen Vertreter Schleswig-Holsteins so wenig als möglich erfahren sollten. Noch vier Tage vor dem Abschluß der Vereinbarungen erklärte Herr von Schleinitz Llliencron und A. von Moltke, es seien nur Pourparlers im Zuge. Um so niederschlagender wirkte der Abschluß der mit Friedenspräliminarien verbundenen Waffenstillstandskonvention vom 10. Juli 1849, deren Hauptinhalt Llliencron am 13. Juli persönlich

in Schleswig zur Kenntnis brachte. Unter dem Druck Rußlands, verstimmt durch die Blockade, die dem Handel in der Ostsee schweren Schaden zufügte, in beständig sich steigernder Abneigung gegen die rebellischer Gesinnung bezichtigten Schleswig-Holsteiner hatte Friedrich Wilhelm IV., der ursprünglich nur als Anwalt der durch den „Offenen Brief" verletzten legitimen Erbrechte sich einsetzen wollte, die Be­ endigung seiner Waffengänge gegen Dänemark jählings herbei­ geführt und die entscheidenden Forderungen, um derentwillen der Kampf begonnen worden, preisgegeben. Die Statthalter und die Herzogtümer gaben die Sache des Landes trotzdem noch nicht verloren. Der Konvention gemäß übernahmen die zeitweilige Leitung der Regierung im Schleswigschen Vertreter von Preußen, Dänemark und England, und zwar als Kommissar für Dänemark Kammerherr von Tillisch, für Preußen Graf Eulen­ burg, denen als Schiedsmann für England Oberst Hodge beigegeben wurde. Die Statthalter, Graf Reventlow-Preetz und Beseler, über­ siedelten nach Holstein und führten in Kiel mit ihren bisherigen Departementschefs und deren Vertrauensmännern in Berlin, Frank­ furt, London usw. die Geschäfte weiter. Vom Bolkswitz „Till Eulen­ spiegel" genannt, gab die Landesverwaltung Tillisch-Eulenburg-Hodges durch ihre Mißgriffe und parteiische Haltung in den unaufhörlichen Reibungen zwischen Deutschen und Dänen Anlaß zu beständigen Weiterungen und Beschwerden, deren Wortführer im Auftrag Harbous und der Statthalter bei den preußischen Ministern Liliencron war. Angesichts der Notwendigkeit, es mit den Machthabern in Berlin nicht völlig zu verderben, redete er als Legationssekretär wie seine Berliner Kollegen und Berater A. von Moltke, Baron Heintze, Graf Reventlow-Altenhof den Kieler Chefs gegenüber möglichster Nachgiebigkeit das Wort, indessen er den preußischen Diplomaten, die als Mitglieder des Kabinetts oder Bevollmächtigte für die Friedensverhandlungen einzugreifen hatten (Bülow, Arnim, Schleinitz, Usedom) mit Wärme und, wenn es nötig wurde, mit Schärfe als Sachwalter seiner Landsmannschaft entgegentrat. Der Takt, mit dem er sich in so heikler Lage behauptete, bestimmte die Statthalter, Liliencron im November 1849 nach Kopenhagen zu senden, als der Versuch gemacht werden sollte, den König von Dänemark zu bewegen, die Beratung von Ausgleichsbedingungen

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durch Vertrauensmänner Schleswig-Holsteins und Dänemarks und damit einen Frieden anzubahnen, wie er der Wohlfahrt beider Teile entspräche. Llliencron konnte schriftlich aus Kopenhagen und münd­ lich in Kiel Günstigeres berichten, als erwartet wurde. Das dänische Ministerium hatte einstimmig beschlossen, dem König zu empfehlen, das Schreiben der bisher Rebellen genannten Statthalter entgegen­ zunehmen, und die vom Kabinettssekretär Bluhme ausgefertigte Erwiderung erblickte den Beweggrund der Eingabe in „wieder­ auflebender loyaler Gesinnung" — das Wort „wiederauflebend" hatte Friedrich VII., wie Llliencron erfuhr, selbst gegen die Ansicht seiner Minister eingefügt. Man versprach, auf den Versuch, die unhell­ vollen Zerwürfnisse durch Verständigung auszugleichen, eingehen zu wollen, wenn zuvor Männer namhaft gemacht würden, die, von Partelleidenschaft unberührt, Organe der Wahrheit sein können. Rur dürfe die beantragte Beratung an keinem anderen Ort als in der Residenz Seiner Majestät, also nicht, wie zuvor angeregt worden war, in einer Stadt der Herzogtümer stattfinden. Llliencron gewann den Eindruck, daß man in Kopenhagen aufrichtig auf diesen Bersöhnungsversuch einzugehen scheine, doch arriere-pens^es in den Herzogtümern fürchte. Die Folge lehrte, daß das Entgegenkommen nur trügerisch war: unter dem Vorwand, Ausgleichsverhandlungen nicht früher zu verstatten, als bevor bestimmte Vorschläge eingereicht würden, wurde erklärt, Seine Majestät sei vor der Hand lediglich gesonnen, mit landesväterlicher Huld die Wünsche und Ansichten der wohlgesinnten Untertanen zu vernehmen, während selbstverständlich von Unterhandlungen zwischen Untertanen einer und derselben Monarchie nicht die Rede sein könne. Llliencron hatte der Aufenthalt in Kopenhagen eine heißersehnte Wiederbegegnung mit seiner Braut gebracht und die freudige Ge­ wißheit gegeben, daß Louise Tutein, der er freigestellt hatte, ihr Wort zurückzunehmen, unverbrüchlich treu an ihm festhiett. Sie beirrte es nicht, daß aufgehetzte Deutschenfeinde sich vor dem Haus ihres Vaters zusammenrotteten, um Llliencron anzufallen: ein Anschlag, der durch die Klugheit von Vater Tutein und die Kalt­ blütigkeit ihres Bräutigams zuschanden wurde, der durch einen preußischen Paß amtlich geschützt war. Prinz Woldemar von Hol­ stein hatte Llliencron vor seiner Abreise mit den Worten gewarnt:

„Die schlagen Sie tot, wenn Sie nach Kopenhagen gehen." Als der Legationssekretär nach der Rückkehr wiederum heil im Frühstücks­ lokal sich einfand, freute sich der Prinz des Wiedersehens mit dem Scherzwort: „Für die Sache wär's besser gewesen, die hätten Sie totgeschlagen." Die Gehässigkeiten der Kopenhagener Lärmmacher hatten übrigens nicht Rochus persönlich, sondern dem Namen Liliencron gegolten, seinem Bruder Fritz, der früher in dänischem Staatsdienst, seit Ausbruch der Bewegung in Schleswig und Flensburg in hohen Berwaltungsposten der provisorischen Regierung wirkte. Je mehr die Spannung zwischen Dänemark und den Herzog­ tümern wuchs, desto weniger Lust verspürte die preußische Regierung, bei kommenden kriegerischen Zusammenstößen sich weiterhin zu beteiligen. Sie berief ihre Offiziere aus der Schleswig-Holstein'schen Armee ab und gestattete dem den Statthaltern wie dem Lande be­ sonders vertrauenswerten General Bonin nicht, den Oberbefehl zu übernehmen. In der Sorge, an seiner Stelle einen berufenen Heer­ führer zu gewinnen, hatte Schleiden auf Willisen hingewiesen, den er in Paris kennen gelernt und den Statthaltern so nachdrücklich empfohlen hatte, daß Beseler und der Chef des Kriegsdepartements am 3. April in Hamburg entscheidende Vorbesprechungen mit ihm pflegten. Unmittelbar nach der Verlautbarung der Ernennung Willisens brachte der Preußische Staatsanzeiger einen halboffiziellen Artikel gegen Willisen, der die Einleitung einer Untersuchuirg gegen ihn ankündigte, und bald nachher berichtete das Militärwochenblatt, der König habe die Streichung seines Namens in der Liste der pensions­ berechtigten preußischen Offiziere befohlen. Beide Meldungen ver­ setzten die Statthalter und die schleswig-holsteinische Armee in be­ greifliche Aufregung. Harbou forderte Liliencron auf, den Sach­ verhalt genau zu erforschen. Seine Erwiderung vom 15. April 1850 lautete:

„Der Eindruck, daß Bonin und die anderen preußischen Osficiere durch die Weise der Entlassung des Ersteren beleidigt seien, hat sich fest­ gesetzt. Bonin selbst wird der einzige sein, der ihn vielleicht noch zu mildern vermag. Eben dieser Eindruck hat den Kriegsminister veranlaßt, Bonins sofortige Ernennung znm Kommandanten von Berlin als persönliche Genugthuung für ihn beim Könige zu beantragen. Der König selber ist nicht minder in Ansehung der Entlassung Bonins als der Anstellung

Willisens aufgebracht. Der Artikel im Staatsanzeiger in Betreff des Letzteren beruht auf einer Äußerung, welche der König selbigen TageS bei Tafel gethan hat: irgend ein dienstbarer Geist trug dieselbe dem Staats­ anzeiger zu; sie ist aber während des Druckes wieder zurückgezogen worden und findet sich daher nur in den zuerst abgezogenen Exemplaren. Was die Drohung des Artikels gegen Wlllisen betrifft, so glaube ich nicht, daß es damit etwas zu sagen hat. Es scheint zwar nicht festzustehen, ob für eine gegen ihn einzuleitende Untersuchung der formelle Grund vor­ handen fei oder nicht. Griesheim *) meinte aber, dies sei nicht der Fall. Über Wlllisen kann ich Folgendes berichten. Er zog die allgemeine Auf­ merksamkeit zuerst im Jahre 1831 aus sich, wo er im großen Generalstab stand., Es erschienen damals in der Staatszeitung anonyme Artikel über die Kriegführung der Russen in Polen, welche sich den hier eintreffenden Nachrichten aus jenem Kriege auf dem Fuße anschlossen. Vorausgeschickt waren allgemeine Betrachtungen über die Zustände Polens vor dem Kriege und das Recht des polnischen Aufstandes. Das Weitere enthielt eine bittere Be- und Berurtellung des russischen Verfahrens während des Kampfes. Wlllisen ward bald als Verfasser dieser Artikel bekannt und trägt seit jener Zeit den Haß des Kaisers sowie der hiesigen russischen Partei. Man hat ihn hier doch damals, wie es scheint, nicht fallen lassen wollen, hat vielmehr, ehe man ihn versetzte, über die Sache erst Gras wachsen lassen und ihn dann nach Posen versetzt. Auch daß er gerade dorthin versetzt wurde, beweist, daß man damals hier auf seine polen­ freundliche Gesinnung kein großes Gewicht mehr legte, well der ver­ storbene König diese Rücksicht sonst schwerlich bei Seite gesetzt hätte. In den folgenden Jahren ließ Wlllisen sodann ein mllitärisches Werk er­ scheinen (Theorie des großen Krieges), welches ihn bei dem höher ge­ bildeten Theil der Officiere ziemlich um den bis dahin genossenen Ruf als Theoretiker brachte. Der erste Theil des Buches entwickelt die Theorie, der zweite sucht sie aus dem Russisch-polnischen Krieg vor 31 durch Bei­ spiele zu beweisen. In jenem ist mit großer Sicherheit und nicht ohne Prätension eine Theorie ausgeführt, welche sich für wesentlich neu aus­ gibt. Das allgemeine Urteil erkannte aber darin vielmehr einen Rückals Fortschritt; es seien, wies man nach, nur die Ideen Heinrich Bülows, zwar entwickelt und modernisiert, aber weniger gut, als beides schon z. T. in einem Werk von Clausewitz geschehen sei. Ebenso schlecht erging es dem zweiten Theile; vielfache russische wie namentlich polnische Berichte hatten für jenen Krieg einen Thatbestand längst festgestellt, welcher von demjenigen wesentlich abwich, auf welchen Wlllisen seine Beweisführung baute. Bon Posen ward Wlllisen sodann auf seinen eigenen Wunsch nach Schlesien als General der dortigen Landwehrbrigade versetzt und hier *) Preußischer Oberstleutnant, Direktor des allgemeinen Kriegs-DepartementS.

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fand ihn das Jahr 1848. In der letzten Woche des März kam er ohne eigentlichen Urlaub hierher, erhielt aber von dem damaligen Kriegs­ minister nach 8 Tagen den Befehl, auf feinen Posten zurückzukehren. Bald nachdem Reyher*) an Rohrs Stelle getreten, ward dann WAisen, wol namentlich infolge der vorher mit Auerswald «»geknüpften Ber­ bindung herberufen und demnächst nach Posen geschickt. Er entwickelte hier in den letztgedachten Tagen unverholen die Theorie von der Notwendigkeft eines deutsch-russischen Kriegs, bei welchem man sich auf Polen zu stützen, für welchen man letzteres zu insurgieren hätte. Es bedarf der Erwähnung kaum, daß diese Theorie genügte, ihn mit dem Rest seiner militärischen Freunde zu entzweien. Abgesehen von der politischen Anti­ pathie fällt auch vom mllitärischen Standpunkte das Urteil wenig günstig. Bor Mlem hält man WAisen für sehr unpraktisch; und an seiner Theorie vermißt man nicht nur das Geniale, sondern auch die ruhige consequente Durchführung. Er gilt mehr für excentrisch als für theoretisch; man traut chm viele und rasche Pläne für neue Schöpfungen zu; gute und schlechte, wie'S sich eben trifft; dagegen wenig Stetigkeit in der Ausführung noch sichere Beherrschung gegebener Mittel. So fürchtet man, er werde auch bei uns gleich eifrigst anheben, zu experimentiren, was bei den ohnehin erschütterten Verhältnissen der Armee doppelte Gefahren haben möchte. Man sagt von chm, er besitze die Gabe für die erste Zeit seine Um­ gebung sehr anzuziehen, ihr Urteil zu fesseln, sie in die raschen Wogen feiner Gedanken und Pläne hineinzuziehen, ohne daß er einen so ab­ geschlossenen Charakter besäße, daß nicht er selbst geschickt angebrachten, oft gefährlichen Einflüssen und Einflüsterungen zugänglich sei. So hätten sich namentlich eine Menge Polen an chn herangedrängt. Bon mehreren Seiten, wo man, bei kompetentem Urteil, es gut mit uns meint, bin ich zu der Warnung aufgefordert, äußerst vorsichtig zu sein. WAisen werde Leute jener Art wol zwar nicht herbeirufen; sie würden aber nicht er­ mangeln, von selbst zu kommen, wenn sie seine Anstellung erst erfahren hätten und er selbst würde dann, wenn nicht die Regierung darin un­ nachgiebig fest sei, die Kraft nicht haben, ihrem Andringen zu wider­ stehen."

Selten hat die Geschichte ein Urteil unbedingter bekräftigt als diese Liliencron unversehens abverlangte und aus den ergiebigsten

und reinsten Quellen geschöpfte, vom Tag für den Tag gegebene Charakteristik. Leider fruchtete Liliencrons Warnung so wenig.wie

die

Prophezeiung

des früheren preußischen

Kriegsministers von

Strotha, der Professor Georg Beseler, als er hörte, WAisen habe

*) Preußischer General, wurde Kriegsminister (1. April 1848), später General, pabschef.

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das Kommando an Bonins Stelle übernommen, sagte: „Dann sind die Herzogtümer verloren, er wird sie ruinieren." Eine Weis­ sagung, die die Niederlage seine späteren Waffengänge so sehr be­ wahrheiten sollten, daß nach der Schlacht von Idstedt Spötter das (von Tiedemann überlieferte) bittere Witzwort in Umlauf brachten: WMsen schreibt lieber eine geistreiche Abhandlung über eine ver­ lorene Schlacht, als daß er selbst die Schlacht gewinnt. Wenige Wochen nach Absendung dieses Berichtes über Willisen (Ende Mai) empfing Llliencron von seinem Chef Harbou die Mittellung, daß er seinen Abschied genommen habe. An seine Stelle trat Francke. Veranlaßt war dieser Ministerwechsel durch Meinungs­ verschiedenheiten der beiden Statthalter. Beseler hielt die Erneuerung des Krieges für geboten, während Reventlow kein Mittel unversucht lassen wollte, das zu friedlichem Ausgleich führen konnte. Llliencron hatte in Harbou einen Führer besessen, der ihm unmittelbar vor seinem Scheiden einen Beweis fürsorglichen Anteils gab. „Bor seinem Abgang," so schrieb am 28. Mai der Chef des FinanzDepartements Jensen aus Kiel an Llliencron, „hat Harbou noch eine außerordentliche Professur der nordischen Sprachen an der hiesigen Universität für Michaelis d. I. erwirkt, wozu ich gratu­ liere." Liliencrons Bestallung mit einem Jahresgehalt von 1875 Mark S. H. C‘ (2250 Reichsmark) lief vom Oktober 1850 ab; sie brachte ihm die Erfüllung langgehegter Wünsche, die ihm auch die Begründung des eigenen Hausstandes in größere Nähe rückte. Bor Antritt der Professur hatte er seines Amtes im diplo­ matischen Dienst weiterzuwalten, und sein amtlicher und außer­ amtlicher Briefwechsel mit Francke, Schleiden, Samwer bezeugt den Eifer und die Beweglichkeit, mit der er bedacht blieb, allen An­ forderungen des diplomatischen Verkehres, der Mllitärfragen, der publizistischen Propaganda, Reisen an die Höfe von Braunschweig, Schwerin usw. zu genügen. Aus „reiflichster und redlichster Er­ wägung der Umstände" fand sich Llliencron in diesem letzten Ab­ schnitt seiner Tätigkeit einmal bewogen, einen Auftrag der Statt­ halter nicht auszuführen. Reventlow und Beseler hatten ihm eine sehr scharfe Note zur Übergabe an Schleinitz unmittelbar vor dem Abschluß des Friedens zwischen Preußen und Dänemark überschickt. Er unterließ es, diese Staatsschrift vom 27./28. Juni 1850 dem

preußischen Minister vorzulegen, weil, wie er den Statthaltern am 30. Juni eingehend auseinandersetzte, der Friede bereits in seinen Hauptbestimmungen endgültig vereinbart, durch Gegenvorstellungen der Statthalterschaft nicht abzuändern oder zu hemmen, well überdies in ihrer Note auf Tatsachen Bezug genommen sei, die chm und Samwer nur vertraulich von Usedom bekanntgegeben worden seien; vor allem aber, weil die Wirkung dieser an sich voll begründeten Anklagen nur Erbitterung sein würde: Gereiztheit derjenigen Groß­ macht, mit der trotz alledem Schleswig-Holstein freundliche Be­ ziehungen würde unterhalten müssen. Offenbar hielt Liliencron trotz der tiefgehenden Mißstimmung gegen das augenblickliche Berliner Regiment an dem „unsterblichen Preußen" fest, das Beseler und Reventlow für den Hort der deutschen Einheit und der Sache der Nordmark in kommenden glücklicheren Tagen hielten. Liliencrons wohlerwogener Beschluß wurde ihm von den Statthaltern nicht dauernd verargt. Er trug sein Martyrium den Berliner Macht­ habern gegenüber zäh und bestand erbitterte Kämpfe mit dem preußischen Finanzminister, berichtete über seine Besprechungen im Kriegsministerium und über den starken Eindruck, den SamwerDroysens Buch über die Sache Schleswig-Holsteins auf Friedrich Wilhelm IV. gemacht und verlor auch in den trübsten Stunden nicht den Mut. Das Übermaß von Geschäften, Verdruß und An­ fechtungen setzte endlich seiner Gesundheit so hart zu, daß er um Enthebung von seinem Berliner Posten bat, bereit, nötigenfalls neben dem akademischen Lehramt der Statthalterschaft zu dienen: ein Gesuch, das Francke am 26. September mit den Worten er­ ledigte: „Schon wieder krank, armer Freund — doch hoffentlich gewesen. Wir wollen den Pakt schließen, den Sie anbieten; Sie genießen die Freuden von Kiel und betelligen sich bei den Leiden des Departements. Eine kurze Frist müssen Sie noch Berliner bleiben; die Beendigung der Landesversammlung wirkt ebensosehr auf das Geschick des Landes ein als auf das eines seiner besten Söhne — ich meine Sie." Solches Lob aus solchem Munde war keine Redensart. Der Gelehrte hatte seinen Mann in gefährlicher Zeit auf verantwort­ lichem Posten gestellt, und sein diplomatisches Geschick, seine seltene Vertrauenswürdigkeit blieben seinen nächsten Vorgesetzten und Amts-

genossen, Harbou und Samwer, dermaßen im Gedächtnis, daß sie

Liliencron zu seiner Überraschung Jahre und Jahre hernach ohne sein Zutun für Aufgaben und zu Sendungen vorschlugen, die der Getreue nicht minder wülig auf sich nahm und zu glücklicherem Abschluß bringen konnte als seine diplomatischen Lehr- und Kriegs­ jahre im Dienste Schleswig-Holsteins.

Vettelhelm, R. v. Lttteneron.

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IV. Professor in Kiel und Jena.

Erst

Jahr und Tag nach seiner Ernennung zum Universitäts­ professor konnte Liliencron seine Vorlesungen in Kiel beginnen. Gern hätte er seinen Berliner Posten schon im Sommer 1850 ver­ lassen und Hochzeit gemacht. Allein noch Ende August bat ihn Francke, bis Michaelis auszuhalten, dann sollte er „aus dem dortigen Irr­ garten befreit werden". Auf Liliencrons Gegenfrage „Wann ist Michaelis?" erwiderte Francke drei Wochen später: „Wann Sie wollen, werter Freund, vorausgesetzt, daß Sie zwei Fragen be­ jahen: 1. wollen Sie anhaltend in Kiel bleiben? 2. wollen Sie im Departement des Auswärtigen mitarbeiten?" Nur nachdem Lilien­ cron das eine wie das andere versprochen hatte, wurde seinem wieder­ holten Wunsch nach Abberufung stattgegeben; sein Abgang verzögerte sich aber auch dann eine Weile, da er seinem Nachfolger das Archiv zu übergeben hatte. Seine letzte Berliner Depesche vom 6. November 1850 lautete trüb und ernst: „Es leidet keinen Zweifel, daß Preußen seine Schritte und seine Worte an die Herzogthümer darnach einrichtete, daß es sie als Schild gegen russische Borwürfe und Fordernngen gebrauchen könne. Im Ganzen wünscht man uns alles Gute, aber für die That gebricht es an Mut. Die russisch­ österreichischen Pläne gehen aus die äußerste Demütigung Preußens hinaus; keinen Tropfen des bitteren Kelches wird man Preußen ersparen wollen. Preußen soll als wamendes Beispiel der Gefährlichkeit des Constitutionalismus dienen und so die Rückkehr zum Absolutismus angebahnt werden. Gelingt dies, so geht unsere Sache im allgemeinen deutschen Strudel mit unter. Die Krisis rückt heran; wohin sie ausschlagen wird, ist noch nicht zu sagen. Das verletzte Ehrgefühl regt sich hier ungemein stark, auch in sehr conservativen Kreisen der Officiere und höheren Civilbeamten. Der heute erfolgte Tod des Grafen Brandenburg kann, so wenig bedeutend seine staatsmännische Persönlichkeit war, von Einfluß werden. Sein allgemein geachteter biederer Privatcharakter war es vor­ nehmlich, der den König Scheu tragen ließ, der Radowitz'schen Ansicht Geltung zu geben in Betreff der Mobilisirung der Armee. Ob man

unter Manteuffels — des immer mehr Entlarvten — Ägide die ferner verlangten Demütigungen, förmliches Aufheben der Union, Rückzug aus Kurheffen bis auf die Etappenstraße, Gewährenlassen Österreichs in den Herzogthümern, Herstellung des Bundestages (ohne Volksvertretung) mittelst freier Conferenzen unter österreichischer Perfidie über sich er­ gehen zu lassen wagen wird — muß eine nicht gar ferne Zukunft lehren." Die Olmützer Punktationen vom 28. und 29. November be­ wiesen, wie begründet Liliencrons Besorgnisse gewesen; der Rück­ schlag auf die Schleswig-Holsteiner Zustände im allgemeinen, auf Liliencrons akademische Stellung im besonderen blieb in der Folge nicht aus. Die Nordmark und ihre Vorkämpfer galten den dänischen Machthabern als mißliebig und strafwürdig, und der Vollzug des Rachewerkes ließ nicht lang auf sich warten. Liliencrons eigene Bestallung zum Professor durch die Statthalterei war gefährdet, sobald einer nachfolgenden Regierung des König-Herzogs freistand, über die Rechtsbeständigkeit der Ernennungen ihrer Vorgänger nach ihrem Gutdünken zu befinden. So wußte selbst die dänische, Liliencrons Braut sehr wohlgesinnte Königin bei einer Audienz, die sie Louise Tutein im Februar 1851 gewährte, nicht zu sagen, ob man ihn später an der Universität Kiel belassen würde. Unter solchen Umständen wäre auch die Begründung eines selbständigen Haus­ standes, die Liliencron durch sein Lehramt zu verwirklichen vor­ hatte, unmöglich gewesen, ohne die aus freien Stücken gegebene, den Einspruch der Tochter gütig abwehrende Zusicherung eines Jahreszuschusses durch Vater Tutein für die Zukunft. Nun durften die Liebenden, seit deren Verlobung nahezu vier, an Aufregungen und Stürmen reiche Jahre verstrichen waren, endlich hoffen, den Bund für das Leben schließen zu dürfen. Was die Eltern ausdenken konnten für eine gediegene, geschmack­ volle Ausstattung des neuen Heims, geschah; sie sandten aus Kopen­ hagen den ganzen Hausrat in eine zum voraus gemietete Wohnung nach Kiel, dazu als Ordnerin ein erprobtes altes Tuteinsches Haus­ mädchen, das alle- behaglich an die rechte Stelle rückte. Dem Bräutigam war es wie ein Traum, als er zum ersten Male in den über alles Erwarten wohnlich gewordenen Räumen sich umsah. Einfach und vornehm zugleich, patrizisch und so dauerhaft war der Grundstock des neuen Hauswesens, daß er bis über die goldene Hochzeit Liliencrons in allem Wechsel seiner Wohnorte der gleiche 6*

blieb: „Niemals haben wir uns herbeigelassen, Stil und Wesen des Ganzen umzuändern," schrieb Liliencron als Achtundachtzigjähriger, „wie sehr auch der wandelnde Stilgeschmack der Zeilen und die modernen Empfindungen der Kinder dazu drängen mochten. Es hat sich ein bestimmt individueller Charakter über das Ganze ge­ legt, den jeder Eintretende als den Abglanz eines langen, mit geistigen Interessen ausgefüllten Lebens empfindet. Wir leben heute weder im Stil von 1851 noch in dem von 1908, sondern in unserem Eigenen." Eine Wahrheit, die nicht bloß auf den Hausrat, sondern auf die ganze Lebensführung von Louise und Rochus Liliencron zutraf. Bevor das junge Paar aber sein heimliches Nest beziehen durfte, waren neue Verdrießlichkeiten zu beseitigen. Als in Kopenhagen ruchbar wurde, daß die Hochzeit im Hause Tutein gefeiert werden sollte, fand sich der Polizeidirektor bei dem hochangesehenen Groß­ kaufmann ein mit der Warnung, von diesem Vorhaben abzustehen; es könnte zu Straßenaufläufen kommen, wenn Liliencron sich in der dänischen Hauptstadt zeigte; deshalb habe der Polizeidirektor angeordnet, ihn, wenn er sich wirklich in Kopenhagen einfinden sollte, verhaften und über die Grenze schaffen zu lassen. Alle Em­ pörung von Vater Tutein half nichts, das Verbot blieb aufrecht. Bon Kiel mußte aus mehr als einem Grunde gleichfalls abgesehen werden: „Ich will nicht meinem Bräutigam in die Arme laufen, er muß mich holen," sagte Louise. So wurde Lübeck zum Schau­ platz der Vermählung bestimmt, der dortige Generalkonsul Platz­ mann, ein Freund Tuteins, mit allen Vorbereitungen betraut. Am 27. Mai sollte die Heirat statthaben, am 26. Mai fuhr Rochus dem Kopenhagener Dampfer bis Travemünde entgegen. „Hier winkten wir uns den ersten Gruß zu, hier lagen wir uns wieder in den Armen. Nach Lübeck wurde in einer großen, des Regens halber geschlossenen Postkutsche gefahren; da der Kutscher vom Sattel aus fuhr, bemächtigten Louise und ich uns rasch des Kutsch­ bockes trotz des Regens und der scheltenden Frau Mama." Bei der Ankunft im Lübecker Hotel mußte Generalkonsul Platzmann die Brautleute sammt ihren Angehörigen mit einer neuen kleinen Hiobs­ post heimsuchen: das Pflaster vor der reformierten Kirche sei auf­ gerissen, so daß man nicht werde vorfahren können; gutgemeinte Vorschläge, die Trauung in das Hotel oder in eine andere Kirche

zu verlegen, wurden von der Hand gewiesen. Dem hilfreichen Generalkonsul gelang es endlich, die Pflasterung nachts bei Fackel­ schein zu ermöglichen, so daß die Hochzeit zur festgesetzten Stunde in der ursprünglich bestimmten Kirche vor sich ging. Nach der Ver­ mählung fand ein Frühstück statt, an dem außer der Mutter und dem ältesten Bruder Liliencrons die Schwiegereltern mit den Schwestern der Braut, das Ehepaar Wentorp, der Generalkonsul und der Gast­ freund des Lübecker Gymnasiasten, Consul Nölting, teilnahmen. Nach dem Gastmahl reiste die Familie Tutein nach Paris. Die Fahrt der Neuvermählten aber ging nicht weiter als nach Kiel: „Nach so langer Vorbereitung auf die Hochzeit bedurfte es der weiteren Hochzeitsreise nicht, und das Schönste aller fremden Länder und Städte, die wir dabei hätten aufsuchen können, blieb doch der neue Kieler Feenpalast, der uns um Mitternacht mit hell erleuchteten Stuben freundlich willkommen hieß. Es war eine unvergeßlich köstliche Fahrt in der inzwischen nach einigen Regengüssen hell ge­ wordenen Maien- und Mondnacht." Schon vor dem Einzug der jungen Frau hatte Liliencron seine Forschungen und die Ausarbeitung seiner Kollegienhefte eifrig aus­ genommen. Alle Rückstände seiner diplomatischen Amtsführung (unter anderem die Klärung der törichten oder böswilligen Be­ schuldigung, er habe in Berlin ein Werbebureau gehabt, während er im Gegenteil stets nur darauf gedrungen hatte, die Papiere der sich freiwillig zum Eintritt in die schleswig-holsteinischen Truppen Meldenden behutsam zu prüfen) waren erledigt, seine Vorlesungen für das Sommersemester 1851 angekündigt (Isländische Grammatik. Runenlehre. Die Rechtsbücher der Gragas). Die Wahl dieser Gegenstände für seine Kollegien entsprach dem Geist, in dem die Lehrkanzel aufgerichtet worden war; sie trat an die Stelle des bis­ herigen Lektorates der dänischen Sprache, und sie war wohl am Platz in der Grenzmark, in der ein Fachmann bequem Brücken schlagen konnte zwischen der deutschen und außerdeutschen Forschung auf diesem Gebiet. Liliencron war für eine derartige Aufgabe besonders berufen; während seines Kopenhagener Aufenthaltes hatte er sich in diese Studien dermaßen eingearbeitet, daß sein früherer Lehrer in dieser Spezialität sein Privatschüler wurde. Gründliche, selb­ ständige, in Hauptpunkten heute noch gültige Untersuchungen über

Runenalphabete, über ältesten Runengebrauch und die Schreibe­ runen glückten Liliencron so sehr, daß Müllenhoff nicht nur öffent­ lich anerkannte, es sei ihm gelungen, das ursprüngliche Wesen unserer alten nationalen Schrift zuerst ins rechte Licht zu setzen, Müllenhoff ließ 1852 der Abhandlung seines früheren Schülers in demselben Heft „Zur Runenlehre" seinen streitbaren Aufsatz über altdeutsche Losung und Weissagung folgen: „Eine Doppelabhandlung über Runen, bei der", nach dem glaubwürdigen Zeugnis des bescheidenen Liliencron, „jeder fast Blatt bei Blatt dem anderen in die Hand arbeitete." Nicht weniger wohlgesinnt als Müllenhoff erwiesen sich zwei andere, ältere, hochstehende Kollegen des neuen Professors; der Historiker Droysen und der Jurist Planck schrieben sich als Hörer­ in seine Vorlesung über das Gesetzbuch der Gragas ein; nach Liliencrons Erzählung wünschten sie ihm ein Kolleg zu sichern, um sein Verbleiben in Kiel zu fördern; in Wahrheit war es außerdem sicher­ lich seine überlegene Sachkenntnis auf diesem Felde, von der sie Belehrung erwarteten. Das Wohlwollen, die Achtung und Freund­ schaft, die Liliencron in den akademischen Kreisen genoß, kam auch seiner Frau zugute. Anfangs wußten nicht alle der aus anderen Gesellschaftszirkeln kommenden Dame unbefangen zu begegnen, und der eine und der andere traf aus bester Absicht, um der geborenen Dänin keinen unangenehmen Augenblick zn bereiten, nicht immer den rechten Ton. Der Takt der Baronin und Liliencrons Beliebt­ heit halfen aber bald über solche kleine Verlegenheit hinweg. Alte und neue Größen der Kieler Hochschule wetteiferten, sich und anderen reiche, fröhliche Stunden geistiger und geselliger Anregung zu bieten. Im „Lesekränzchen" fehlte es nicht an künstlerischen Unterhaltungen. Wie Liliencron in den vierziger Jahren bei einer Aufführung von Mendelssohns Musik zur „Antigone" den verbindenden Text vor­ getragen, tat er nun ein gleiches, als die Chöre desselben Meisters zu Racines „Athalia" gesungen wurden. Außer den Gelehrten standen Liliencrons Angehörige, seine Mutter, der Bruder, die adeligen Familien Baudissin, Rantzau, Reventlow, Blome in nahen Beziehungen zu seinem Hause. So wäre der Aufenthalt in Kiel dem jungen Paar nur freudenreich gewesen, hätte sich nicht immer bedrohlicher gezeigt, daß seines Bleibens auf die Dauer nicht sein

könne. Deshalb mußte Llliencron, noch bevor das unduldsame dänische Regiment seiner Lehrtätigkeit von Amts wegen ein Ende machte, darauf bedacht sein, einen anderen Wirkungskreis zu suchen. Am 4. April 1852 reiste Llliencron zunächst nach Berlin zu Jacob Grimm, der ein halbes Menschenalter zuvor, 1837, gleichfalls poli­ tischer Wirren halber aus seinem Lehramt vertrieben worden war. „Nicht der Arm der Gerechtigkeit, die Gewalt nötigte mich, ein Land zu räumen, in das man mich berufen," schrieb Grimm in dem Heft „über meine Entlassung", und seine Leidensgeschichte hätte mit denselben wahrhaftigen Worten Llliencron beginnen und ebenso fortsetzen können: „.Gib dem Herrn eine Hand, er ist ein Flüchtling/ sagte eine Großmutter zu chrem Enkel, als ich die Grenze über­ schritten hatte. Und wo ward ich so genannt? In meinem Geburts­ lande." Schon die Gleichheit dieser Schicksale hätte die Grimms bestimmt, dem Altbekannten hilfreich entgegenzukommen; die gute Meinung, die sie von Llliencrons Leistungen hatten, bestärkte sie noch in ihren Absichten, einem der tüchtigsten jüngeren Germanisten eine der Professuren zu verschaffen, für deren Besetzung Berufs­ genossen und Unterrichtsbehörden die Altmeister zu Rate zu ziehen pflegten. Zwei Kanzeln sollten nach Jacob Grimms Mittellung in nächster Zeit frei werden: in München gedachte Schmeller, der als Oberbibliothekar zugleich germanistische Vorlesungen hielt, zurück­ zutreten, und in Jena war für die Nachfolge Heinrich Rückerts, der nach Breslau übersiedelte, vorzusorgen. Aus München hatte Schmeller, aus Jena der Kurator der Universität bei Jacob Grimm angefragt, der aus freien Stücken noch vor Llliencrons Eintreffen auch auf ihn neben anderen Kandidaten hingewiesen hatte. München, so riet Grimm, wäre, wenn errreichbar, der Vorzug zu geben; da Llliencron beistimmte, rüstete ihn Grimm mit zwei prächtigen Empfehlungsbriefen an Schmeller und den Vertrauensmann des Königs Maximllian II., von Dünniges, aus. Ermutigt verbrachte Llliencron in der Berliner Archäologischen Gesellschaft noch einen frohen Abend mit Peters, Curtius, Schloezer, Lepsius, Wattenbach, Gerhardt. Dann begab er sich über Leipzig, wo er die von Beust gemaßregelten Freunde Otto Jahn und Moritz Haupt besuchte, nach Nürnberg, wo er kurzen Halt machte, um sich, wie er das jeder­ zeit mit Vorliebe tat, den äußeren Rahmen für seine Forschungen

zu suchen, „die Gegenstände seines Wissens in lebendige Anschauung zu kleiden". Von Nürnberg ging es nach München. Der erste, der ihm dort zufällig im Gasthof begegnete, war sein letzter Chef im schleswigholsteinischen Departement des Auswärtigen, Francke, den Herzog Ernst von Sachsen-Koburg-Gotha kürzlich als Staatsrat in seinen Dienst gezogen hatte. Mit größtem Eifer nahm sich der von Däne­ mark gleichfalls vertriebene Francke Liliencrons an, führte ihn bei den Ministern von der Pfordten und Ringelmann ein und ebnete ihm mit dem Beistand des Adjutanten Max II., dem früheren schneidigen Führer schleswig-holsteinischer Freischaren, von der Tann, sogar den Weg zum König von Bayern. Schmeller nahm ihn mit größter Güte auf: zunächst sei nach dem Befehl des Königs Wacker­ nagel in Basel gefragt worden, der eine Berufung ablehnte. Nun habe er in seinem Vorschlag Simrock an erster Stelle und nach ihm Liliencron vorgeschlagen. Der König empfing Liliencron gleich nachher. Der Holsteiner gefiel dem Monarchen sehr gut, insbesondere durch die Ritterlichkeit und Bescheidenheit, mit der er aufrichtig erklärte: vor allem habe Simrock sich zu entscheiden; mit ihm könne er als Anfänger sich nicht messen, Simrock wünsche er auch als Freund nicht entgegenzutteten. Der Kultusminister von Ringelmann forderte Liliencron auf, in einer Eingabe den Gang seiner Bildung und die Vorgeschichte seiner Amtsentsetzung bekanntzugeben, ein Wunsch, dem er in einer kleinen Denkschrift vom 12. April nachkam. Bei diesen Pflichtgängen ließ es Liliencron während seines Münchener Aufenthaltes nicht bewenden. Er suchte erquickliche Anknüpfung im Hause von Thiersch, befreundete sich rasch und warm mit seinem engeren Landsmann, dem Landschafter Charles Roß; besonders aber ging ihm eine neue Welt auf in den Kirchenmusiken Münchens. Sein wissenschaftlicher Antest für die Entwicklung der Osterspiele hatte ihn veranlaßt, die Formen des katholischen Gottesdienstes näher kennenzulernen. Den stärksten, lebenslang nachwirkenden Eindruck trug Liliencron bei diesem Anlaß durch die Messen in der Michaelskirche, durch die von Ett zu neuer Macht und Pracht be­ schworenen Meister der Kirchenmusik davon. Zum ersten Male stieg dort in ihm die Ahnung auf, daß auch dem protestantischen Gottes­ dienst ein Zurückgehen auf ältere Formen der Liturgie not tue, eine Wiederbelebung herrlicher, halbvergessener Kirchenmusik zum

Heil gereichen könne: Regungen, die sich im Lauf der folgenden Jahre und Jahrzehnte immer mehr klärten, durch tiefgehende Forschungen und unablässige Propaganda Liliencrons Wege und Ziele einer durchgreifenden Umgestaltung der protestantischen Chor­ ordnungen vorzeichnen ließen. In Kiel eröffnete dem Heimgekehrten ein Dekret des Departe­ ments der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten vom 24. April in dürren Worten, „daß seine bisherige Wirksamkeit an der Universität Kiel als beendigt angesehen werde". Wenige Wochen darauf er­ hielt Liliencron das folgende vertrauliche Schreiben seines früheren Vorgesetzten Harbou:

Meiningen, 7. Mai 1852.

Lieber Liliencron!

Nachdein ich aus der Zeitung erfahren hatte, daß man Ihnen das Dociren in Kiel untersagt, bin ich auf anderweite Beschäftigung für Sie bedacht gewesen. Ich habe Sie dem Herzog von Meiningen, meinem jetzigen gnädigen Herrn, als Hofmarschall vorgeschlagen und erhielt heute den höchsten Auftrag, Sie, für den Fall, daß Sie eine solche Stellung annehmen würden, aufzufordern, sich baldigst hierherzubemühen, damit der Herzog Ihre Bekanntschaft mache. Dies würde am geeignetsten unter dem Borwand eines Besuches, der mir gälte, geschehen können. Der Herzog geht demnächst ins Bad nach Ems und würde wünschen, Sie vor­ her, mithin baldmöglichst, hier zu sehen. Ob Sie nun zu Derartigem Neigung spüren, müssen Sie wissen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich den Herzog und die Herzogin wahrhaft achte und liebe, daß die Be­ soldung wol nicht groß sein wird, aber doch einer außerordentlichen Professur gleichkommen dürfte, daß der Herzog natürlich nicht gebunden sein will, ehe er etwa mit Ihnen abschlöße, daß ich Sie gern bei mir hätte usw. Antworten Sie mir baldigst." Fast gleichzeitig mit Harbous Anfrage hatte sich bei Liliencrons am 14. Mai das erste Kind eingestellt: ein Ereignis, das er seinem Schwiegervater in übermütiger Laune berichtete:

Lieber Papa!

Ihr erster Enkel, welcher gestern wie ein strahlender Held hinter den Coulissen auf die Lebensbühne getreten ist, läßt Sie recht sehr grüßen und bittet, daß Sie ein ebenso guter und lieber Großpapa wie Papa sein mögen. Tr bedachte sich ein bischen lange, denn c’est le premier pas qui coüte! und an dem Herzen einer solchen Mutter mag er sich wol so gut befunden haben, daß er zweifeln mochte, ob es der Mühe lohnte, sich noch nach andern

Herzen in der Welt umzusehn. Er ließ sich deßhalb auch kaum die Zeit, sich durch pusten etwas Lust zu geben, ehe er uns durch ein erbittertes Geschrei zu verstehen gab, daß er wenigstens über die'Hebamme keine sonderlich gute Ansicht hegte. Ich kann Sie dahin beruhigen, daß er einen entschiedenen Ansatz zu dunkelbraunem Haar zeigt, übrigens entspricht er ziemlich den Vorstellungen, welche ich mir von einem Samojeden mache. Darum sagen die Leute auch natürlich, daß er mir ganz ähnlich sieht; aber ich bin ganz geduldig darauf gefaßt, daß mir die Schuld für jede Linie, welche keine Schönheitslinie an dem kleinen Wesen ist, aufgebürdet wird; wenn ich nur hernach ebensoviel Grund zu der Behauptung be­ komme, daß sein Herz avant la lettre bei der Mutter in die Schule ge­ gangen ist. Mama, die uns mit treuester Liebe beigestanden hat, wird ja das historische Detall mitthellen, so daß ich mich auf die metaphysische Seite der Sache beschränken darf; indem ich Ihnen nur unser Glück und unsere Freude ausspreche. Wir beide — oder nein, wir alle drei umarmen Sie! — Den Geschwistern und Emma die herzlichsten Grüße. Kiel, den 15. Mai 1852.

Ihr treu ergebner Llliencron.

P. S. Ich glaube doch eigentlich, daß es noch ein sehr schöner Junge werden wird. Bon Talenten ist bis jetzt das musicalische noch bedeutend im Borsprung. Der Lebenskampf zwischen Character und Erziehung hat schon begonnen; er zieht es nemlich vor, auf der rechten Seite zu liegen; aus pädagogischen Rücksichten muß er aber nun links liegen. — Seine Malzeiten hat er erst eben angefangen; wenn man sich nicht nachgrade an das Wunderbare im Leben zu sehr gewöhnt hätte, so würde ich gestern meiner Meinung nach Grund zur Verwunderung gefunden haben, indem der kleine Herr, noch ehe ihm irgend ein dinatoirischer Genuß geboten war, seine Lebensthätigkeit auf eigene Faust vom andem Ende begonnen. Beide Großmütter kamen natürlich zu mir herein, um mir ihre an­ erkennende Bewunderung über diese That auszusprechen." Die Ankunft dieses jüngsten Llliencron wurde sofort auch Harbou gemeldet; sein freundschaftliches spontanes Eingreifen und das Zu­ reden der ©einigen, ein solches Anerbieten nicht ungeprüft von der Hand zu weisen, bestimmte Llliencron, so wenig lockend eine derartige bloße Hofstellung ihm und seiner Frau erschien, sich zu einer Vorbesprechung in Meiningen einzufinden, nachdem er bei Harbou angefragt, ob die Geschäfte eines Hofmarschalls Muße für seine Studien übriglassen würden, und eine beruhigende Antwort erhalten hatte. Auf seine Anmeldung wurde er für den 2. Juni

zur herzoglichen Tafel beschieden. Den Morgen benutzte Liliencron zu einem Spaziergang mit Harbous jungem Sohn durch das Werra­ tal nach dem vom Herzog erbauten kleinen Lustschloß Landsberg. Rach einer Welle hielt vor demselben Schlößchen der Wagen des Herzogs, der kein Hehl daraus machte, daß diese Begegnung keine zufällige war. Zu Fuß wanderte der Herzog mit Llliencron nach Meiningen zurück. Unterwegs fragte er dem Lebensgang des holsteinischen Barons nach; beim Englischen Garten bog er ein, um dem Gast wie von ungefähr die Dienstwohnllng des Hofmarschalls zu zeigen. Liliencron bemerkte bei dieser Andeutung und hernach an der Tafel des Herzogs, daß er eine derartige Hofstellung zwar nicht ausschlage, sich aber eigentlich berufener für eine Professur halte. Der Fürst nahm dieses offene Bekenntnis nicht übel auf, behielt sich endgültige Entscheidung vor und verabschiedete sich mit wohlwollenden Worten, denen in der Folge werktätige Gesinnungen entsprachen. Die Möglichkeit seines Eintrittes in meiningischen Hofdienst war noch in Schwebe, als in einer vom 5. Juni datierten Zuschrift der bayerische Unterrichtsminister von Ringelmann an Liliencron die Borfrage richtete, ob er geneigt wäre, eine ordentliche Professur der deutschen Literatur an der Münchener Hochschule mit einem Jahresgehalt von 1000 Gulden zu übernehmen. Auch Ringelmann verlangte „in Bälde" eine bestimmte Gegenäußerung, fügte seiner Aufforderung aber den Vorbehalt bei, seine Anfrage noch keines­ wegs als offiziellen Ruf anzusehen, da er für seine Proposition noch die Allerhöchste Sanktion zu erholen habe. In demselben Monat Juni erging endlich an Llliencron noch die Aufforderung des Kurators Seebeck, als außerordentlicher Professor mit einem Jahresgehalt von 300 Talern nach Jena zu kommen; bejahendenfalls werde seine förmliche Berufung unverwellt erfolgen. Rach wie vor hätte sich Llliencron am liebsten für die Professur in München entschieden. Herzog Bernhard Erich Freund, hatte mittlerwelle nach einer Mitteilung Harbous vom 8. Juni seinen Beschluß „in biederer Gewissenhaftigkeit" gefaßt. „Sie haben dem Herzog, wie er mir wiederholt, im Ganzen gut gefallen; gleichwie Sie aber nicht verhehlt haben, daß Sie primo loco eine zusagende Professur wünschten, so hat der Herzog die Besorgnis, daß Ihnen

die Stelle eines Hofmarschalls durch die Art der Geschäfte nicht die volle und dauernde Befriedigung gewähren möchte, die erforder­ lich sein würde, damit das Verhältnis ein glückliches sei." Elf Tage später meldete Harbou, daß der Herzog die Hofmarschallstelle dem Hauptmann von Speßhardt verliehen habe: „In Jena sprach ich mit Seebeck, der in Ihrem Interesse Jena den Vorzug vor München geben zu müssen glaubte. Sie Glücklicher," schloß Harbou, „dem eine Wahl zu Gebote steht." Schmeller und von der Tann konnten Liliencron auf seine Fragen versichern, daß maßgebende Kreise bei seiner Anwesen­ heit in München, nachdem Simrock abgelehnt hatte, seinen Wünschen geneigt waren. Eine Erledigung der laufenden Kabinetts­ geschäfte wurde jedoch durch Reisen des Königs hinausge­ schoben, bis Liliencron sich notgedrungen im August nach München begab, um dort dem (an Stelle des ausgeschiedenen Ringelmann amtierenden) Minister des Inneren, von Zwehl, zu erklären, er habe sich durch seinen Briefwechsel mit Ringelmann gewissermaßen gebunden angesehen, überdies in der Erlangung einer Professur in München einen lebhaften eigenen Wunsch erfüllt haben wollen; nun aber fürchte er eine Entscheidung in betreff Jenas nicht allzu­ lange verzögern zu dürfen, ohne sich die von dort eröffnete Aus­ sicht zu verschließen. Liliencrons Lage war durch diese Ungewißheit immer unbequemer geworden. Die Kieler Wohnung mußte zum Kündigungstermin geräumt werden, und da sein nächster dauernder Aufenthaltsort noch nicht bestimmt war, blieb seiner Frau nur übrig, mit chrem Kind nach Kopenhagen in ihr Elternhaus zu gehen. In München erfuhr Liliencron durch Zwehl, daß der König in Hohenschwangau sei; sein Akt liege noch immer unerledigt im Kabinett; er möge deshalb selbst beim Sekretär Pfistermeister die Sache in Gang bringen. Dünniges billigte diesen Rat und empfahl überdies, sich unmittelbar an König Max zu wenden; der Fürst habe der An­ gelegenheit offenbar besonderes Augenmerk vergönnt und sich darum die letzte Entscheidung Vorbehalten. Liliencrons Bedenken, daß er keinen Frack bei sich habe, beseitigte Dönniges mit dem heiteren Anerbieten, ihm mit seinem eigenen Anzug auszuhelfen. Als der Gelehrte dann nach Hohenschwangau kam und durch von der Tanns Fürwort gleich aufs Schloß befohlen wurde, war aber Dönniges auf

der Jagd; von der Tanns Gewandung hätte dem kleinen Liliencron unmöglich gepaßt: „Sie würden aus meinen Hosen herausfallen; gehen wir zum Leonrodt". Dieser zweite Adjutant des König- wurde der Helfer in der Not. Beide tauschten ihre Kleider, und die Audienz nahm denselben Verlauf wie die erste im Mai. Der König war ebenso freundlich und ebenso unschlüssig, obwohl er ihm sagte, Simrock habe in seiner Ablehnung des an ihn ergangenen Rufes Liliencron als den rechten Mann genannt. Zuletzt verhieß der Fürst, sich neuerdings berichten zu lassen, sobald er nach München zurück­ gekehrt sein werde. Liliencron feierte nicht während dieser Wartezeit. Er holte Bücher aus der Bibliothek, um seine Kollegien auszuarbeiten. Diese angestrengten Studien hinderten ihn aber dazumal so wenig wie sonst, sich daneben in Kunst und Welt tüchtig umzutun. Charles Roß wanderte fleißig mit ihm, die Umgebungen Münchens er­ schlossen ihm ihre Heimlichkeiten, und der Landschafter wies ihn auf Partien der Jsarau, die Claude Lorrain als Vorwürfe benutzt haben soll. Roß führte Liliencron auch mit Buonaventura Genelli zusammen, für den der Gelehrte warme Verehrung fühlte. „Den berühmten Theatervorhang sah ich im Karton fast beendigt in dem Atelier des Meisters und war tief ergriffen von der überaus sinnigen Komposition und ihrer großartigen Ausführung. Auf dem Karton war ein leeres Spruchband; der Künstler erklärte mir, er wünschte darauf den Sinn des Vorhanges epigrammatisch ausgesprochen, er habe seine dichtenden Freunde bisher vergebens darum gebeten. Das führte zu einem eingehenden Gespräch über die hier dargestellten Gedanken. Für drei LangzeUen gab es Raum; darauf mußten sie zusammengedrängt werden. Die Aufgabe reizte mich —" Liliencrons alte Theaterleidenschaft spielte mit — „Anderen Morgens legte ich ihm folgenden Vers vor:

Der Leidenschaften wüstes Heer, dem Schooß der alten Nacht entstammt, Die stille Schaar der Tugenden, vom Licht geboren, lichtumflammt, Der Nemesis, des Fatums Walten, ihr schaut sie hier in Traumgestalten. Die Verse fanden ganz seinen Beifall; sie seien ganz das, was er sich gedacht habe. So liest man sie denn heute in der Schackschen Galerie auf dem herrlichen Bilde. Ergötzlicherweise entspann sich später die Sage, diese harmlosen Verse seien von Goethe; nicht sie seien nach dem Bilde, sondern das Blld sei in buchstäblicher Auf-

fassung nach ihnen gemacht. Zu meiner Überraschung las ich dies in dem Manuskript der Biographie Genellis, welche mir Friedrich Pecht in München für die Allgemeine Deutsche Biographie im Jahre 1878 schrieb. Glücklicherweise konnte ich vor dem Druck den Irrtum ausklären und damit Goethe vor dem Kuckucksei meiner Verse, zu­ gleich aber auch Genelli vor dem Borwurf bewahren, die Verse .buchstäblich' auf die Leinwand übertragen zu haben." Liebenswürdiger und anspruchsloser kann die anmutige Ge­ schichte dieses Spruchbandes nicht erzählt werden. Llliencron war pnd blieb von jeder Selbstgefälligkeit so frei, daß er das eigene Ver­ dienst immer verdunkelte. Nur der Künstlerehre Genellis wlllen, nicht seinetwegen, hellte er den Sachverhalt auf, den wir in der Lebensgeschichte beider Männer nicht missen möchten. Max II. war mittlerweile nach München gekommen; eine Ent­ scheidung fiel aber noch immer nicht. Llliencron hörte nur, daß noch andere Bewerber in Betracht gezogen würden, vor allem ein Landeskind, Konrad Hofmann. In seiner nicht alltäglichen Un­ befangenheit auch in der Beurtellung persönlicher Angelegenheiten an­ erkannte er die Berechtigung des Borangehens eines begabten Bayern und reiste, nachdem er eine letzte Frist von acht Tagen fruchtlos zugewartet hatte, nach Jena, wo er sich zur Annahme der Professur bereit erklärte und für das Wintersemester 1852/53 zwei Vorlesungen (Nibelungenlied und Deutsche Heldensagen) ankündigte, zwei Kol­ legien, von denen das erste zwei, das andere einen Hörer haben sollte, während es im Sommersemester die Vorlesung über Minne­ sänger auf die höchste Hörerzahl brachte, die Llliencron in Jena beschieden sein sollte: zwölf, indessen deutsche Grammatik nur drei Hörer angemeldet aufweist. Der Germanist und Literarhistoriker jener Zeiten beschränkte sich fast durchaus nur auf die älteren Zeiten bis zum dreizehnten Jahrhundert in seinen Borträgen, die stets nur ein kleines Auditorium fanden. Und klein und eng wie die Hörerkreise der Kollegien und die Professorengehalte waren dazumal alle Ver­ hältnisse der durch unvergängliche Erinnerungen geweihten thüring­ ischen Universität. Llliencron war bei seinen ersten Gängen durch Jena ein wenig bange geworden, wie sich seine an die städtische Art Kopenhagens gewohnte Frau selbst nach den bescheideneren Kieler Verhältnissen

in die 1852 geradezu kleinstädtischen Zustände finden würde. Besorglich bereitete er sie unterwegs von Berlin darauf vor, daß inan in Jena vielfach andere als die ihr geläufigen Ansichten über Be­ quemlichkeit habe. Zu seiner Beruhigung sagte sie bei der Anfahrt zum „Hotel Sonne" zartfühlend: „Ei, die Borstadt sieht doch ganz reputierlich aus!" — „Borstadt?" erwiderte der Gatte wahrheit­ gemäß. „Liebes Herz, wir sind hier im Zentrum der Stadt, und um uns her liegen ihre Paläste." Der Willkomm, den nun aber die Wirtsleute der zu ungewohnter Stunde Quartier und Essen verlangenden Professorenfamüie bereiteten, war geradezu grotesk; die Gäste wurden in schlechte Hinterstuben verwiesen, die auf den schmutzigen Hof gingen; Speisen waren nicht mehr zu haben; auf wiederholtes Drängen wurde nur etwas aufgewärmte Hafergrütze gebracht, dazu zinnerne Löffel und verbogene Messer und Gabeln. Llliencrons Frau saß in stummer Verzweiflung, so jämmerlich war sie zeitlebens nirgends ausgenommen worden. Als der Kleine, der auf ein Bett gelegt worden war, heillos zu schreien begann, fertigte die Wirtin die Bitte um Abhilfe kurz angebunden ab: das Kind läge da ganz gut; eine Wiege habe sie nicht. Nun war es dem geduldigen Liliencron selbst zu bunt. Er fragte nach dem Professor Droysen, eine Bekanntschaft, die das Ansehen der Ankömmlinge ein bißchen hob. Er hörte, daß der Herr schräg gegenüber wohnte. Liliencron ließ nun seine Ankunft mit der Bitte melden, womöglich mit einer Wiege auszuhelfen. Im Nu war Frau Droysen da mit der gewünschten Wiege. Als sie die Leidensgeschichte Llliencrons erfuhr, gab sie lachend die Aufklärung: in der „Sonne" hätte man ihn bisher nur als außerordenttichen Professor kennen gelernt und demgemäß als Hungerleider mißtrauisch behandelt; nach seiner Beglaubigung durch die Autorität des Hauses Droysen bekam er mit den Seinigen bessere Unterkunft und Kost, die deshalb noch lange nicht leidlich oder gar gut waren. Kläglich verlief auch in den nächsten Wochen die Wohnungs­ suche. Jena, das 1852 noch keine Eisenbahnverbindung hatte, zeichnete sich durch unglaublich schlechte, freilich auch unglaublichwohlfelle Quartiere aus. Die Möbel des Hauses Llliencron ver­ drossen sogar die Packer, die ihre Geringschätzung nicht verbargen über so viel unnützen, überflüssigen Kram. Den Behausungen vieler

Professoren waren ihre Gastmahle ebenbürtig. Llliencron schildert besonders feine Abendessen, bei denen der Schweinebraten statt mit Schwarten mit Schokoladenplätzchen garniert und sogenannter falscher, d. h. aus gehacktem Fleisch hergestellter künstlicher Hase mit einem auf Draht mit Siegellack angesetzten Schwänzchen aufgetischt wurde. Schlecht und recht fand sich Liliencron mit den ©einigen in eine dem Buchhändler Mauke am Marktplatz abgemietete Wohnung, die schon im Januar 1853 durch ein eigenes Haus abgelöst wurde, das vor dem Johannistor in einem Garten lag: Llliencron konnte das bescheidene Anwesen dem nach Tübingen übersiedelten Juristen Fein abkaufen. Die aus einem Gartenhäuschen zum Wohnhaus umgestaltete Baulichkeit enthielt im Erdgeschoß einen von der Straße aus zugänglichen Raum, der Fein als Hörsaal gedient hatte, denn an der Universität fanden zu jener Zeit nur wenige Vorlesungen statt; die meisten Professoren lasen entweder in ihrer eigenen Wohnung oder in einem am Fürstengraben gelegenen Kollegienhaus. Feins Auditorium stand nach dem Besitzwechsel Frau Liliencron als Vorrats­ kammer oder für Logiergäste zu Gebote: für die Zuhörerzahl, auf die damals ein Germanist hoffen konnte, war es zehnmal zu groß. Eine Erfahrung, die Llliencrons Lehrfreudigkeit nicht heben konnte. So dürftig diese äußeren Voraussetzungen sich anließen, dem Forscherernst, der geistigen Regsamkeit und dem kollegialen Zu­ sammenleben der Professoren aller Fächer konnten sie nichts an­ haben. Gustav Freytag, der in der „Verlorenen Handschrift die drolligen Sonderlinge und komischen Seiten der akademischen Welt launig und lebenstreu geschüdert hat, beklagt in seinen „Lebens­ erinnerungen", daß die patriarchalischen Sitten jener heute schon halb sagenhaften Professorengeschlechter der vierziger und fünfziger Jahre mittlerweile grundverschiedenen Prunkhaften Gastereien ge­ wichen sind, bei denen man sich mit Bärenschinken bewirtet, mit kostbaren Weinen überbietet. Im Jena der fünfziger Jahre gab es solchen Überfluß nicht. In Forschung und Lehre, in den Rosen­ vorträgen und Kränzchen fehlte es gleichwohl nicht an Festen des Geistes. Sechs Semester lang hat Llliencron Vorlesungen in Jena ge­ halten. Außer den vorerwähnten Kollegien (Nibelungenlied, Deutsche Heldensage, Minnesänger, Deutsche Grammatik) über Gotisch, Deutsche

Mythologie, Edda, Deutsche Grammatik, Literatur des Mittelalters. Die Durcharbeitung des Stoffes gab ihm so viel zu schaffen, daß er an größere selbständige Beröffentlichungen nicht denken konnte. Begonnen hat er aber schon in Jena später abgeschlossene und ge­ druckte Untersuchungen und Ausgaben. So bittet er Samwer, der mittlerweile Bibliothekar in Gotha geworden, schon im August 1853 um Handschriften zu der von Liliencron geplanten, erst 1859 veröffentlichten Ausgabe von Johannes Rothes Düringischer Chronik. So erscheint erst 1856 sein im August 1855 aus Altenstein datiertes, noch früher angefangenes „Sendschreiben an Herrn Hofrat Professor Göttling in Jena über die Nibelungenhandschrift C". In dem Kampf der Lachmannianer gegen Holtzmann vermeidet Liliencron ab­ sichtlich jedes Eingehen auf die Liedertheorie (die Frage war ihm von Anbeginn nicht ganz geheuer). Mit großer stilistischer und sach­ licher Feinheit prüft er nur die Handschriftenfrage, in der er allzu hitzigen Widersachern, die entdeckt haben wollten, Lachmann sei kein Kritiker, nur ein unklarer Gefühlsmensch gewesen, sachlich in ein­ dringlicher Prüfung entgegenttitt und in diesem Philologenturnier Holtzmann sonst nicht in seiner Kampfart gebrauchte Hiebe versetzt, wie den (in seinem Greisenalter belächelten und seiner Härte willen dem Gegner ins Grab hinein abgebetenen) Ausfall: „Hätte Herr Holtzmann sich über das, was bei Beurteilung von Handschriften überhaupt in Frage kommt, orientiert, ehe er so tobeliche sluoc, dann wäre es ihm vielleicht auch möglich geworden, Lachmanns .Anmerkungen' und die .Lesarten' zu verstehen. Ich muß Ihnen übrigens gestehen, ich zweifle auch nach Herrn Holtzmanns letzten Erklärungen noch immer daran, daß er dieses Buch wirklich gekannt, d. h. gelesen hat — in seinem eigenen Interesse. Denn es gelesen zu haben, ohne zu bemerken, daß Lachmann die Lesarten in der ihm eigenen, bewunderungswürdigsten Schärfe und Genauigkeit zusammengestellt und verglichen hat, dies von einem Gegner voranszusetzen, halte ich mich, ttotz der Hitze der Schlacht, denn doch nicht für berechtigt". Den Beweis, daß die Handschrift L die jüngste Redaktion sei, hat aber Liliencron nach Haupts unbedingter Zustimmung auch noch nach Scherers Wort erbracht, und seinen „unermüdlichen" Fleiß bestreitet nicht einmal Holtzmann selbst in seiner advokatorisch spitzigen Abwehr (Pfeiffers „Germania" 1857). Bettelheim, Ä. v. Liliencron. 7

Friedlicher waren Liliencrons Gänge auf das Grenzgebiet zwischen mittelalterlicher Musik- und Literaturgeschichte. Mit dem Jenenser akademischen Musikdirektor Stade, dem er sich bald so eng befreundete wie 1840/41 in Kiel dem dortigen Musikdirektor Graedener, ver­ suchte er die Melodien aus der Jenenser Minnesängerhandschrift zu enträtseln und, vierstimmig gesetzt, Hörern der Gegenwart nahe­ zubringen. Als die Auswahl dieser „Lieder und Sprüche" fertig war, trug der Verleger Bedenken, ob sich auch Käufer finden würden? Liszt, bei dem sich Liliencron munter, mit Berufung auf das Berliner Studentenabenteuer, als alter Bekannter einführte, wußte Rat: auf sein Fürwort zeichnete der Großherzog 50 Exemplare. Damit war die Ausgabe zustande gekommen, und nach ihren Weisen wurde auf der Wartburg ein Lied des Tannhäuser gesungen. Seinen Anteil an der Arbeit hat Liliencron später in aufrichtiger Selbst­ kritik — in der Abhandlung über die Jenaer Mmnesängerhandschrift 1894 und in seiner kleinen Musikgeschichte für Hermann Pauls Grund­ riß — als überholt bezeichnet. Es war nicht die einzige Beziehung, die Liliencron mit dem Großherzoglichen Hof verband. Jenenser Professoren hatten ab­ wechselnd der schwerhörigen Großherzogin Marie Paulowna jeden Sonnabend Vorträge zu halten. Als die Reihe an Liliencron kam, las er über Runen. Ihr Empfangszimmer war so überheizt und das angestrengte Schreien machte ihm so warm, daß er weder vorher noch nachher ärger schwitzte, als an jenem Abend. Zum Dank zeigte ihm Marie Paulowna die Handschrift der bekanntlich zu ihrer Ver­ mählung gedichteten „Huldigung der Künste". Noch eine andere Schiller-Erinnerung trug Liliencron aus Weimar mit sich fort. Es waren damals Mittellungen aus Altweimarischer Zeit erschienen, in denen unter anderem behauptet war, daß Schiller ganz unwürdig beigesetzt worden wäre. Da saß Liliencron beim Frühschoppen im „Erbprinzen", als der Streit über diese Frage hin und her ging, bis endlich ein alter Tischlermeister mit der Geschichte herausrückte: „Ich hab als Tischlerbursch selbst an dem Sarg gearbeitet, und es war ein sehr schöner eichener Sarg." Lebendige Zeugen der Goeche-Schüler-Zeit waren in jenen Tagen im ganzen Großherzogtum noch reichlich zur Stelle, und Llliencrons besonderer Liebling, der klassische Phllolog Göttling,

dem er sein Sendschreiben über die Nibelungenhandschrift C zu­ geeignet hatte, war Goethes Berater und Berttauensmann gewesen. Anfangs absichtslos, allmählich aber mit bestimmten Forscherzielen saiftmelte Llliencron solche mündliche Zeugnisse und weiterhin alle schriftlichen und gedruckten Überlieferungen für die Glanzzeit der Universität Jena. Er ging dem Wirken Goethes und Schillers, der Romantiker- und der Phllosophenschulen, der Literaturzeitungen und der Naturforscher in Jena im 18. und 19. Jahrhundert so sorgsam nach, und er suchte und fand zudem die Wege zu den dieser Ruhmes­ zeit vorangehenden und folgenden Epochen der thüringischen Hoch­ schule so sicher, daß er im Greisenalter mühelos in engem Rahmen mit sparsamen Meisterstrichen ein rundes Bild ihrer Entwicklung von ihren Anfängen bis auf die Gegenwart entwerfen konnte, über diesen geschichtlichen Gängen und Liebhabereien versäumte er nie den Genuß persönlichen Verkehrs mit dem engeren Kreis wahlverwandter Universitätsprofessoren itni> anderen bedeutenden Männern, wie dem Pädagogen Stoy und dem Leiter des Landwittschaftlichen Institutes, Schulze. Den Kurator der Universität, Seebeck, kannte Liliencron schon aus der Zeit seiner diplomatischen Berliner Wirksamkeit. Seebeck, der Sohn des bekannten Natur­ forschers, war der Erzieher des sachsen-meiningischen Erbprinzen, hernach zeitwellig im Dienst dieses Hofes zu diplomatischen Sen­ dungen verwendet, endlich mit dem seinem Wunsch und Wesen willlommenen Amt des Kurators der von den vier „Nuttitoren" (dem Großherzog von Sachsen-Weimar, den Herzögen von Alten­ burg, Sachsen-Koburg-Gotha und Sachsen-Meiningen) gemeinsam erhaltenen Landesuniversität Jena betraut worden. Eine seiner ersten Berufungen hatte Llliencron gegolten. Er hatte auch in der Folgezeit von mehr als zwei Jahrzehnten seiner von Kuno Fischer in einer dankerfüllten Monographie gewürdigten, segensreichen und vorurtellslosen Amtsführung eine glückliche Hand in der Auswahl der Lehrkräfte und in der Ausgestaltung der Universitätsanstalten, so daß trotz der Bescheidenheit der ihm zu Gebote stehenden Mittel Jena unter seinem Kuratorium bemerkenswerten Aufschwung nahm. Llliencron hat diese Verdienste Seebecks immer nach Gebühr er­ kannt und anerkannt. In seiner Gerechttgkeitsliebe wurzelte die Aufrichtigkeit, mit der er im Rückblick auf die Jenenser Tage und 7*

Werke schonungsvoll als milder Humorist auch die Eigenheiten und Grenzen seiner Art und der Persönlichkeiten anderer Universitäts­ größen andeutete. Lüiencrons Menschenkenntnis riß ihn nie zu harten oder höhnischen Urtellen fort. Ebensowenig machte ihn seine Herzensgüte blind. Er verstand ohne Menschenmäkelei Wert und Verdienst, wie sie sich in Wirklichkeit abstuften, gewissenhaft einzuschätzen, im täglichen Umgang aber allen gegenüber gleichmäßig gewinnend zu wirken durch angeborenen Takt und Adel der Ge­ sinnung. Besonders wohl wurde ihm und seiner Frau in einem Kränzchen, in dem der Feuergeist Droysen die stärkste Anziehungskraft war. Im ersten Winter hob Droysen Damen und Herren dieser Gesell­ schaft durch seine Charakteristik der griechischen Tragiker auf ansehn­ liche Höhen künstlerischen Verständnisses. Im zweiten Minter ging Llliencron nach Droysens vorblldlicher Art daran, den Tellnehmern dieses Kränzchens das Nibelungenlied nahezubringen. Mit solchem Erfolg, daß die Hörer sich nicht nur immer dringender auch über technische, dem Nichtfachmann ferner liegende Dinge, wie die Lieder­ theorie, gründlich unterrichten lassen wollten, auch die Frauen waren eifrig darauf aus, zwischen einzelnen Lesarten mit der gleichen Fein­ fühligkeit zu wählen, mit der nach Llliencrons niedlichem Gleichnis ihre Finger beim Prüfen von Seiden- und Leinenfäden unterschieden. Den dauerhaftesten Eindruck machte Llliencron aber Droysens ge­ schichtliche Vertiefung in Dantes „Divina commedia“. Der dritte Winter des Kränzchens, in dem die Göttliche Komödie unter einem Führer von solcher Überlegenheit gelesen und erläutert wurde, war die Krone dieser Veranstaltungen. Llliencron gewann hier zum ersten Male „die richtige Auffassung für diesen Einzigartigen unter den Größten", und alle seine späteren, von Otto Glldemeister hoch­ gehaltenen Dantearbeiten gehen aus von diesen Abenden. Diese und andere gemeinsame Forschungen und in die Tiefe gehende Unter­ redungen festigten die vor einem halben Menschenalter begründete Be­ ziehung Droysens zu Llliencron, die nachmals von beiden Männern weiter gepflegt werden und der Wissenschaft gute Früchte tragen sollte. Sein akademisches Stllleben wurde ungesucht und unvermutet unterbrochen durch eine erneute, von Harbou übermittelte Auf­ forderung des Herzogs von Meiningen, Bernhard Erich Freund,

vom 4. Februar 1855, deren Inhalt aus Liliencrons Antwort vom 8. Februar sich ergibt: „Lieber Harbou! Sie werden es erklärlich finden, daß ich Ihren freundlichen Brief vom 4. d. M. nicht ganz umgehend habe beantworten können. Es handelt sich, so weit es denn hierbei auf eine Entscheidung ankommt, um eine in mein und der Meinigen Leben tiefeingreifende Bestimmung und die Wahl zwischen einer Laufbahn, welche man kennt und übersehen kann, und einer neuen bisher fremden Aufgabe ist immer eine fehr verantwortungs­ volle. Ich bedurfte daher, ehe ich antwortete, einiger Überlegung, um nteine Gedanken zu ordnen. Sie wifsen, lieber Harbou, wie ich die wisfenschaftliche Carrisre aus Neigung ergriffen habe. Meine bisherigen Erlebnisse auf der unter Ihren freundlichen Auspicien begonnenen Bahn haben mir die Lust zur Sache nicht genommen. Wenn auch mein Fach hier wie überall in gegenwärtiger Zeit nicht eben viel Theilnahme findet, so fühle ich mich doch bei meinen Arbeiten sehr zufrieden, lebe in einem Kreis so anziehend und geistig an­ regend wie er sich nur finden mag und auch an Aussichten für die Zu­ kunft fehlt es nicht. Gleichwol hänge ich um mehrerer Ursachen willen nicht so fest an der akademischen Thätigkeit, daß ich mich nicht entschliessen könnte, sie zu verlassen, wenn mir eine meinen Kräften durchführbare Aufgabe geboten wird. Einem Fürsten wie dem Herzog von Meiningen meine Dienste widmen zu dürfen, würde ich immer schon an und für sich als ein Glück betrachten, um so mehr wenn des Herzogs Vertrauen mir eine Stellung in feiner persönlichen Umgebung anwiese. Schon die Annahme, welche ich bei Ihnen voraussetzen darf, der Herzog werde eventualiter Ihrer vertrau­ lichen Borfrage weitere Folgen geben, ist mir eine große Freude, indem ich daraus des Herzogs gütige Meinung von mir aufs Neue erkenne und schließen darf, daß er bei früherer Gelegenheit in meinem Verhalten keinerlei Undankbarkeit gegen seine gnädigen Absichten erkannt hat. Sie ersehen hieraus, wie sehr ich im Allgemeinen bereit bin, Ihnen die mir gestellte Frage zu bejahen. Doch glaube ich es der Sache und mir schuldig zu sein, ehe ich dies thue, Ihnen eine Voraussetzung auszusprechen, die ich für nötig halten würde und worauf ich mir Ihre Antwort erbitten möchte. Aus den Angaben Ihres Schreibens kann ich nicht mit Bestimmtheit entnehmen, um welche Art Stellung und Thätigkeit es sich handeln würde. Sie nennen dreierlei: Beschäftigung im Cabinet des Herzogs, die Bibliothek, Borlesen. Letztere beide Aufgaben, wie angenehm auch als dem Herzog persönlich zu leistende Dienste, find doch nicht genügend, um die Thätig­ keit eines Mannes zu füllen; und was das Cabinett betrifft, so ist, so viel mir bekannt, ein Cabinetssecretär oder Rat in Meiningen; ich kann daher nicht ermeßen, inwiefern eine Thätigkeit unter oder neben demselben

notwendig ist. Dies ist es, was ich erst von Ihnen hören möchte, rind dies die Voraussetzung, die ich meine machen zu müssen, daß es die Absicht sei, mir als Grundlage meiner Stellung eine Thätigkeit im Cabinet des Herzogs zuzuweisen, welche sich um ernste und fachliche Interessen drehen. Es ist mir durch meine bisherige Laufbahn zu sehr zur ich denke guten Gewohnheit geworden, mich geistig ernst und in größerem Zusammen­ hang zu beschäftigen, als daß ich mich entschließen dürfte, für eine in dieser Hinsicht zu leicht wiegende Aufgabe die meinige zu verlassen. Sage ich es kurz und mit einem Wort: zu einer Aufgabe, welche mich in eine politische staatliche Laufbahn brächte, wenn der Herzog, wenn Sie mich dafür geeignet halten, wäre ich mit Freuden bereit; zu einer ausschließlichen Hofcarriere dagegen würde ich mich auch an dem Hofe des edelsten Herrn nicht entschließen können. Natürlich verkenne ich dabei durchaus nicht, daß der Umfang von Geschäften, welche mir des Herzogs Vertrauen übertragen möchte, sich im einzelnen erst darnach richten kann, wie der Herzog hernach das mir geschenkte gnädige Zutrauen begründet und meine Kraft ausreichend fände. Nur das möchte ich wünschen, daß von Anfang herein meine Aufgabe int Allgemeinen in dieser Weise gestaltet und auch äußerlich darnach charakterisirt würde. Die Verleihung der Kammerherrenwürde, deren Sie Erwähnung thun, würde ich selbstverständlich als eine wesentliche Annehmlichkeit mit dem größten Danke erkennen; daneben aber den dringenden Wunsch haben, daß auch meiner dienstlichen Stellung ein Titel, als Cabinetssecretär oder dgl. gegeben würde, der sie nach außen kennzeichnet. Wenn ich, lieberHarbou, mir über diese Puncte noch eine weitere freund­ liche Mittheilung von Ihnen erbitte und meine übrige freudige Bejahung der mir gestellten Frage von der Richtigkeit solcher Voraussetzungen ab­ hängig mache, so wollen Sie darin nichts anderes sehen, als eine gebotene Rücksicht ernster Überlegung bei einem so wichtigen Schritt. Was meine Befähigung betrifft, so muß ich in dieser Hinsicht das Urteil denen über­ lassen, die es mit mir versuchen wollen; der Mensch traut sich nur zu gerne die Fähigkeiten für dasjenige zu, was ihm wünschenswert erscheint. So­ weit aber habe ich die Pflicht, meine Individualität selbst in Rechnung zu bringen, daß ich mich nicht in eine Stellung begebe, der ich schon darum nicht würde genügen können, well ich mich in ihr nicht ganz heimisch fühlen würde. Sie fragen schließlich nach den äußerlichen Bedingungen, die ich wünschenswert halten möchte. Ich sehe mich außer Stande, in dieser Beziehung meinerseits Vorschläge zu thun, da mir alle einschlägigen Ver­ hältnisse zu wenig bekannt sind. Nur zwei Wünsche erlaube ich mir zu äußern. Ganz ohne zu ahnden, inwiefern es etwa eintretendenfalls in des Herzogs Absicht liegen oder durch die Localitäten etwa nahegelegt sein könnte, mir eine Wohnung im Schlosse anzuweisen, erlaube ich mir die Bemerkung, daß ich es vorziehen und erbitten würde, daß dies nicht

geschähe, weil ich erfahren habe, wie nur zu leicht Abhängigkeit in den kleinen häuslichen Dingen auf ernstere trübend einzuwirken vermag. — Die zweite Bitte ist die, daß mir behufs der Übersiedlung nach Meiningen eine Hülfe bewMgt würde. Wenn es nach Alle diesem des Herzogs Absicht ist, die in Rede stehende Angelegenheit weiter zu führen, so bin ich, falls es gewünscht wird, sehr gern bereit, behufs mündlicher Besprechung zu Ihnen hinüberzukommen. Ich kann mich immer leicht durch Verlegung einer einzelnen Vorlesung so einrichten, daß ich von Donnerstag nach­ mittag bis Sonntag frei bin." Der Herzog ließ Liliencron zu persönlichen Besprechungen gleich im Februar zu sich bitten: die Briefe, die der Jenenser Professor an seine Frau am 18. und 21. Februar richtete, erzählen von Unter­ redungen mit dem Herzog, die noch zu keiner Entscheidung führen. Am 22. Februar 1856 unterfertigte Herzog Bernhard Erich Freund aber ein von Harbou gegengezeichnetes Dekret, in dem der bisherige Professor an der Universität Jena, Frecherr Rochus von Liliencron zum Kammerherrn mit einer jährlichen Besoldung von 1050 Gulden rheinisch vom 1. Mai d. I. mit der Bestimmung ernannt wurde, daß „derselbe uns und unserem Hofe und sonst nach unserer Anweisung, namentlich als Lector, Dienste zu leisten hat". Am 18. März ge­ nehmigten Prorektor (Hase) und Senat der Großherzoglich Sächsischen Gesamt-Universität die von Liliencron erbetene Entlassung mit herzlichem Glückwunsch zum künftigen Beruf und ebenso aufrichtigem Bedauern, daß die Universität ihn verliere und dadurch sein ge­ deihliches Wirken für ihr Wohl und Blühen entbehren werde. Das Loos war gefallen, Liliencrons akademische Tätigkeit beendigt.

V. In meiningischem Hofdienst. ^ast ein halbes Menschenalter, 1855—1868, stand Liliencron in

meiningischem Hofdienst. Sein Wirkungskreis war anfangs nicht bestimmt umschrieben: er hatte nur, wie 1852 bei der ersten Be­ gegnung auf dem Spaziergang mit Herzog Bernhard Erich Freund vom Lustschloß Landsberg durch den Englischen Garten in die Meininger Residenz, auch bei den neuerlichen Berhandlungen an dem Verlangen festgehalten, auf keine bloße Hofstellung beschränkt zu bleiben. Der ersten Ernennung zum Kammerherrn (22. Februar 1855) folgte (12. September 1855) die Übertragung der Intendantur der Hofkapelle. Fünf Jahre hernach (21. April 1860) wurde Lilien­ cron Herzoglicher Kabinettsrat, den 7. Juni 1861 unter Beibehaltung seiner bisherigen Funktionen zum Kabinettsbibliothekar und Biblio­ thekar bei der öffentlichen Bibliothek, endlich am 17. Dezember 1863 zum Geheimen Kabinettsrat ernannt. Seine Bezüge wurden 1855 mit 1050 Gulden rheinisch, 1860 mit 1800, zuletzt mit 2000 Gulden bemessen. Der Gehalt wurde zum größten Teil bar, für einen kleinen Teilbetrag von 126 Gulden 30 Kreuzern in Naturalien, Korn und Holz, beglichen. Die Geschäfte, mit denen der Herzog seinen Kabinetts­ rat betraute, waren, seiner Vielseitigkeit gemäß, mannigfaltig. Diplomatische Sendungen führten ihn vom ersten bis zum letzten Jahr seiner Meininger Tätigkeit wiederholt an große und kleine Höfe. Zeitweilig hatte er die Leitung des Regierungsblattes zu überwachen. Gutachten, zumal in Schulfragen, wurden von ihm eingeholt, und bei Prüfungen blieb er als milder „Rettungskommissär" lange im Gedächtnis der Thüringer Mittelschüler. Dem Herkommen des Hofes entsprechend, wurde Liliencron jahraus, jahrein oft wochen­ lang auf die Sommersitze der Herzoglichen Familie, in die Wald­ paradiese von Altenstein, geladen. Mehrmals hatte er die Fürstlich­ keiten auch auf Ferienausflügen, Bade- und offiziellen Reisen zu begleiten. Sein persönliches Verhältnis zum Landesherrn war auf

wechselseitiges Vertrauen gegründet. „Der Herzog, welcher im Alter von 54 Jahren steht, wie der 28 Jahre alte Erbprinz sind ein paar an Geist und Charakter gleich hervorragende Männer," schrieb Liliencron seinem Schwiegervater vor der Übersiedlung von Jena nach Meiningen. „Der letztere", der 1866 als Herzog Georg den Thron bestieg und späterhin als einer der Reformatoren deutschen Bühnen­ wesens hervortrat, „ist ein Zögling unseres (Universitäts-) Kurators Seebeck." Lüiencron kam dem regierenden Herzog, dem sein Vater zu den beiden Taufnamen Bernhard Erich den bedeutsamen Zu­ namen „Freund" als Zeichen volkstümlicher Gesinnung, als Richt­ schnur menschenfreundlichen Wirkens im Geist Kaiser Josephs auf den Lebensweg mitgegeben hatte, mit seiner natürlichen Liebens­ würdigkeit entgegen. Als Vorleser bewies er sicheren Geschmack in der Wahl und im Vortrag seiner Texte. Im Gespräch gab er, ohne je mit seinem Wissen zu prunken, Aufschluß über große und kleine Dinge, Zeitbegebenheiten und entlegenere Fragen. Manche der grauen Stunden, deren es im langweiligen Einerlei des Hoflebens mehr als sonstwo gibt, schwanden, wenn der treffliche Musiker am Flügel edle Stücke alter und neuer Meister, oder auf der Liebhaber­ bühne, ohne seiner sonstigen Stellung irgend etwas zu vergeben, mit angeborenem schauspielerischen Talent Holbergs „geschwätzigen Barbier" oder den „Malvolio" in „Was ihr wollt" zum besten gab. Nicht minder anregend als am Hofe wirkte Liliencron in der Meininger Gesellschaft. Sein Haus wurde geistig und künstlerisch ein Mittel­ punkt. Er und die Deinigen verkehrten viel und gut mit der Familie Harbou, mit dem ausgezeichneten Leibarzt Domrich, dem bedeuten­ den Prediger Ackermann, dem Theaterleiter Dr. Locher. Die heimischen Adelsgeschlechter von Stein, Bibra, der gemütliche Hofmarschall Speßhardt waren im Hause Liliencron so willkommen wie Gelehrte, Musiker, Literaten, die zu längerem oder kürzerem Aufenthalt kamen. Die fünf Kinder — dem Erstgeborenen Ferdinand folgten im Laufe der Jahre drei Töchter, Hedwig, Else, Fernande, und ein zweiter Sohn, Luiz — hatten in der anmutigen Thüringer Landschaft, im Umgang mit Altersgenossen aller Stände, ohne Pedanterie richtig erzogen, eine glückliche Jugend. Hofdienst und Amtsgeschäfte, so beflissen Liliencron sich ihnen auch widmete, gönnten ihm — wie Droysen und Seebeck das vorausgesagt, als sie ihm rieten, den Posten

anzunehmen — Muße zu selbständigen Forschungen und weitaus­ greifenden wissenschaftlichen Unternehmungen. So kam ihm der Jahrzehnte hernach dankbar und beredt (in einem der Entwicklung deutschen Lebens nachgehenden Aufsatz) gepriesene Segen „Kleiner Residenzen" für die Vielgestaltigkeit unserer Kunst und Wissenschaft zugute. Die Schatten fehlten gleichwohl nicht in Liliencrons Meininger Zeit. Die Vertraute seiner Leiden war zugleich seine beste Trösterin, seine Frau, die, ihrem Rochus auf das zärtlichste zugetan, dem Lebensgefährten ebenbürtig war an Geist und Gemüt. Der Ehebund der beiden verwirklichte das Wort des römischen Rechtes: consortium totius vitae, und nicht das geringste Zeugnis dieser Gemein­ schaft des ganzen Lebens ist der Briefwechsel des seltenen Paares, soll bis auf die letzten Schneespitzen des Lebens so bleiben," schrieb der Bierundvierzigjährige seiner Louise einmal, „daß wir uns Liebesbriefe schreiben." Ein Wort, das der Zweiundachtzigjährige nach der goldenen Hochzeit getrost hätte wiederholen können. Im Gedränge der größten Arbeiten unterließ er es unterwegs niemals, seiner Louise Rechenschaft zu geben nicht bloß von den wechselnden Eindrücken des Allgenblicks und dem Berlalif der Ereignisse: seinen genauen Reisebeschreibungen und tagebuchartig fortlaufenden Mit­ teilungen schließen sich literarische Urteile, religiöse Betrachtungen, Eingebungen eines Hellen Kopfes an, der ohne Selbstgefälligkeit seiner Frau einmal humoristisch bekannte: „Mir leben draußen so viel gute alte Gedanken wieder auf, verheiraten sich, kommen Zwillings-, drillingsweise mit Jungen wieder. Ich denke Folianten in Schweins­ leder, Gottlob, daß ich sie nicht zu schreiben brauche. Aber ich habe eine ganze Literatur von Philosophie, Ästhetik, Poesie uslv. zu be­ quemstem Gebrauch in Taschenformat, von der kein Mensch außer mir eine Ahnung hat." Proben dieses eigensten Gedankenlebens ergötzen und erheben in Liliencrons Briefen an seine Frau, die früher oder später gesichtet und gesammelt werden sollten und vor­ läufig dem Biographen als sicherste Wegweiser dienen mögen. So friedfertig, so weltläufig und anschmiegsam der Menschen­ kundige im Verkehr mit den Fürstlichkeiten war, oder vielleicht gerade well er das Getriebe in ihrer Umgebung so gut kannte, vor der ersten Audienz beim Herzog, wie nach dem ersten Gastbesuch auf dem Altenstein, schreibt er seiner Frau, daß er sich nie zu einer bloßen

Hofcharge verstehen könne: ein leeres Höflingsleben wäre seinem Ärbeitsdrange unerträglich gewesen. Diese Erkenntnis tat indessen

der Unbefangenheit seines Urteils über die Reize des Schloßlebens, die Anregungen im persönlichen Verkehr mit der fürstlichen Familie keinen Eintrag. „Die Schönheit der Gegend ist bezaubernd," schreibt er vom Altenstein. „Diese Verbindung von großen, prächtigen Buchenwäldern und Berg und Fels ist entzückend. Unmittelbar vor meiner Tür z. B. hebt sich aus den Buchen heraus eine nackte Felsspitze mit einer in Stein gehauenen Treppe, auf deren kleinen Spitze man, in der Krone der schönsten Buche stehend, eine herr­ liche Aussicht hat. Aber weiter hinauf scheint es noch viel schöner." Fußwanderungen im Thüringer Wald machen ihn mit Land und Leuten vertraut. Da gibt es merkwürdige Grotten, leibhaftige, phantastische, gelegentlich mit einigen hundert Lichtern illuminierte Zwergbehausungen: „Ich sah mich ordentlich um, ob nicht Alberich irgendwo steckte, um den Hort zu gewinnen und ihn üz dem holen berge hervorzuziehen." Die Tageseinteilung findet sich allmählich» Der Herzog gibt ihm die Kabinettssachen, über die er Vortrag hält; Spaziergänge, Hoftafel, bei der sich zu den Hofdamen und Kavalieren in steter Abwechslung geladene und Zufallsgäste gesellen, Ausflüge zu Fuß und zu Wagen mit den Herrschaften nach Liebenstein, zu Sommertheatern und Virtuosenkonzerten lösen einander ab. Da­ zwischen arbeitet Liliencron nicht nur an seiner Nibelungenabhandlung und dem Studium der neueren Fachliteratur, u. a. Zachers Runen­ schrift, weiter. Er vertieft sich in die Korintherbriefe, denkt an eine Charakteristik des Apostels Paulus, den er als ersten Reformator über Luther stellt, liest unb kritisiert die neuen Geschichtswerke von Leo, Gervinus, Droysen, versenkt sich in Partituren Bachs und, wenn ihn der Herzog dazu auffordert, in die Lektüre neuer fran­ zösischer Sittenstücke Octave Feuillets, über die er klug urteilt: er schätzt die Technik und Gesellschaftsschllderung der Franzosen höher ein als den Durchschnitt der deutschen Phllisterkomödien; er weiß aber ebensogut, was der Pariser Bühnendichtung fehlt. Bon alle­ dem spricht er seiner Frau, der er wohlmeinend rät: „Mache es wie die Droysen, Dir eine Stunde zum Lesen bei verschlossensten Türen festzusetzen." „Es ist das eine Nahrung, deren Dein Geist bedarf. Es ist wie ein geistiges Mittagbrot." „Und wenn Du glaubst, daß

im einzelnen Falle Küche und Keller oder Rechnungen oder auch schreiende Kinder Dich dringender in Anspruch nehmen, so denke, daß auf der anderen Seite meine Bitte steht und Dir Dein Buch und den Türschlüssel reicht. Es muß aber auch nicht am Abend sein, wo Deine Kräfte schon fertig sind, sondern vor oder nach Tisch." Bester Laune wird er freilich erst wieder, wenn Herbstfröste die Herrschaften in die Residenz heimzukehren mahnen; dann dichtet er übermütig Knittelverse, in denen er neckend fragt: Glaubst Du denn, daß ein Hofmarschall ohne sanftere Triebe wäre, Oder arme Kammerherren ohne Liebe? nein, auf Ehre! Sie auch haben weiche Kerne, ob gehüllt in hättre Rinden Sie auch wollen ihre Rechnung bei dem Weltenplane finden. Mittlerweile war Liliencron dem Herzog und dem Erbprinzen so lieb geworden, daß sie ihm nahelegten, diesen letzteren auf einer Winterreise nach Italien zu begleiten; allein, obwohl ihm freigestellt wurde, seine Frau mit den Kindern inzwischen Quartiere in Nizza beziehen zu lassen, wollte sich Liliencron, der Familienzuwachs zu erwarten hatte, nicht zu einer neuen Trennung von seiner Gattin verstehen. Und er beharrte auf diesem Beschluß, obwohl sein Schwiegervater ihn bat, sich die Sache zu überlegen, der Erb­ prinz seine Wahl auf ihn gerichtet und der Herzog ihm den ersten Berttauensbeweis mit der Bemerkung gab: „Ich hoffe, ohne Ihnen damit etwas Angenehmes sagen zu wollen, sondern es ist mein Ernst, aber das bleibt unter uns: ich hoffe, daß Ihr Umgang die schroffen Seiten meines Sohnes mildern wird." Als Liliencron dem Herzog den Grund seiner Ablehnung nicht verschwieg, nahm er sie mit der verbindlichen Erklärung auf, es sei ihm lieb, daß er ihn nun nicht um sich in Meiningen zu missen habe. Der Verzicht auf die italienische Reise fiel dem zärtlichen Ehemann nicht schwer, und ein Ausflug auf die Wartburg mit Ludwig Bechstein, dem Maler Müller und anderen Künstlern brachte ihm die Bekanntschaft Schwinds, der „ebenso liebenswürdig war, wie er unter gewöhn­ lichen Umständen grob ist, was viel sagen will". Der Meister hatte in dem einen Sommer mit zwei Schülern seine Fresken und MedaÜlons fertiggebracht, in Verzweiflung über die „hin­ gesudelten" Bilder; er hätte gern sechs Jahre statt der sechs Monate dazu gehabt, aber die Mittel reichten nicht. „Nun aber, was da ist,

ist auch groß, ganz groß." „Es geht durch diese Bilder ein deutscher Charakter im engen, aber geistvollsten Anschluß an die mittelalterliche deutsche Kunst." Manche Woche muß er noch auf dem Altenstein ausharren; an interessanten Besuchen ist nie Mangel. Der Schwager des Herzogs, Fürst Hohenlohe, österreichischer Feldmarschalleutnant, findet sich ein. Der Gartendirektor von Sanssouci, Lenns, kommt, um Pläne für den Herzog zu beraten: ein Glücklicher, der, glänzend gestellt, in voller Unabhängigkeit für den König von Preußen seine Entwürfe ausführen darf. Am wohlsten fühlt sich aber Llliencron, wenn er einen Abstecher nach Meiningen machen kann oder seine Frau, dringend geladen, zu Gast an die Herzogliche Tafel kommt. In Meiningen gehen nach der Rückkehr von Altenstein Kabinetts­ geschäfte und die Intendantur der Hofkapelle fort. Im Dezember aber hat Liliencron die erste diplomatische Sendung zu erledigen. Sein Weg geht über Koburg, wo er Francke als Staats» rat wiederfindet und Gustav Freytag bei Herzog Ernst von Koburg kennen lernt, nach München, wo ihm von der Tann in alter Herzlich­ keit entgegenkommt, von der Pfordten in Verhandlungen über die Werrabahn sich mit ihm zusammenfindet und sein ehemaliger Mit­ bewerber um die Münchener Lehrkanzel, Konrad Hofmann, als Professor kollegial begegnet. „Vermöge der Präsentation bei Hofe werde ich wohl eine Portion Besuche machen müssen; auch wlll ich Thiersch, Geibel (der seine Frau leider kürzlich verloren hat), Genelli, Kaulbach aufsuchen. In dem sehr gemütlichen Roßschen Hause lernte ich gestern den jungen Dichter Paul Heyse kennen, dessen Persönlichkeit fein und angenehm ist." Inmitten aller Amts­ geschäfte und Hofgänge findet er überdies Lust und Zeit, Charles Roß', wie sein künstlerisches Testament gedachtes und gemachtes, der Zeitrichtung widerstreitendes Landschaftsblld und Genellis neue Arbeiten zu prüfen und zu preisen. Die Fortsetzung der Eisenbahnkonferenzen führte ihn Ende Januar 1856 wiederum nach München, und abermals verstand er seiner Dienst- und Gelehrtenpflicht gleichmäßig zu genügen, Kunst­ genuß und Geselligkeit gleichzeitig zu pflegen. Er wählte auf den damaligen umständlichen, selten mit geheizten Wagen versehenen Bahnfahrten immer neue Wege, um neues, u. a. den Bamberger Dom, dessen Restauration er als Sachverständiger würdigt, kennen

zu lernen; besucht zwischen zwei Beratungen im Ministerium mit von der Pfordten und Rotenhan, von Konrad Hofmann geleitet, die Bibliothek, um dort in einer vermutlich unbekannten Handschrift eine andere Version der Rotheschen Düringer Chronik, die er, wie schon erwähnt, für den Thüringischen Geschichtsverein philologisch treu herauszugeben hat; hört mit Entzücken in den Odeon-Konzerten eine begeistert aufgenommene Mendelssohn-Symphonie und die vom Publikum unwMig abgewiesene, auch von ihm bizarr gescholtene Faustouverture Richard Wagners. Die Freunde Roß, von der Tann, Genelli (dessen „Vertreibung aus dem Paradies" ihn durch ge­ waltige Tragik ergreift) kommen darüber nicht zu kurz; auch nicht der Humor, der ihn antreibt, einen musikalischen Tee eines DUettantenkreises gutmütig zu persiflieren, und das herzhafte Gelächter, mit dem er eine Vorstellung der „Falschen Pepita" beschreibt, auch da ein­ gedenk eines Wunsches des Meininger Theaterleiters, eine kleine Schauspielerin für eine mögliche Berufung an die Hofbühne ins Auge zu fassen. 1857 fällt ihm die Aufgabe zu, Erbprinz Georg auf einer Ver­ gnügungsreise nach Paris und einem zugleich vielleicht mit einer Brautschau des Witwers verbundenen Besuch des englischen Hofes zu begleiten: ein drei Monate dauernder Ausflug, auf dem Llliencron stets in bestem Einvernehmen mit dem Prinzen blieb und nicht müde wurde, der neuen französischen und englischen Eindrücke Herr zu werden. Die ersten Gänge durch Paris, die mühsame Unterkunft in dem überfüllten Hotel du Louvre, die artige Bielgeschäftigkeit der Verkäuferinnen, die dem Eintretenden hundert andere Dinge, als seine erste Bestellung, ausschwatzen, die Selbstgefälligkeit des Haarkünstlers, der Llliencron wider dessen Wlllen une belle täte anglaise zurechtmachen will, Tuilerien, Louvre, Elyseeische Felder, Eintrachtsplatz, das und anderes mehr bringt der erste Tag, dessen unvergeßbarer Abschluß eine Vorstellung der Ristori wird: Medea. Sie „läßt alles hinter sich, was ich von dramatischer Kunst geträumt habe"; selbst das von Legouvs bearbeitete italienische Stück erscheint Llliencron trotz mancher Vorbehalte wert, in das Deutsche über­ tragen zu werden: ein Plan, den er sofort auszuführen begann und nach der Rückkehr in die Heimat ernstlich fortsetzte. Das alte Paris mit der Notre-Dame-Kirche, „die man nicht satt sehen kann",

und das just auf Geheiß Napoleons entstehende neue Paris mit seinen palastbesetzten Straßen, Zeilen, Kunstsammlungen, Truppen­ revuen, Oper und Ballett, Possenbühne und Com6die fran^aise, das Kaiserpaar und die Wagenauffahrten der großen Welt, die äußeren Boulevards und die Arbeiterviertel schildert er, frisch emp­ fänglich, mit kindlicher Wißbegier, zur Anerkennung bereit, in Kunst und Leben allerdings auch nicht ohne der tiefersitzenden Schäden und Schwächen gewahr zu werden. Dankbar rühmt er z. B. eine gute geschmackvolle Neueinstudierung von Webers „Oberon" im TH6atre lyrique: „Der Deutsche kennt seine Oper in einzelnen Stücken hier kaum wieder; was bei uns als heroische Oper auf­ gefaßt wird, traf hier durchweg den Stll der komischen Oper, zum Tell zum größten Vorteil der Darstellung"; das drollige Nachspiel bescherte der nächste Morgen: „Der Prinz fragte beim Friseur, ob es eine italienische Oper sei? ,Fran?aise, Monsieur.* ,Von wem denn?* ,Jc n’en sais pas le nom, mais il est Fran^ais; POp6ra est tout nouvelle.* Natürlich, neu für Paris muß neu für die Welt sein . . ." Die sonderbare Mischung geistlicher und profaner Motive im „Pantheon** und der „Madeleine" ist ihm aus dem Schwanken ihrer Bestimmung während , des Baues bald zu einem Kultus Gottes, bald zu einem der Nation oder der großen Armee bestimmt, erklär­ lich, doch nicht erquicklich. Desto tiefer wirkte die Sainte-Chapelle: „Einen so mystisch ergreifenden Eindruck habe ich noch nie von einem Bauwerk gehabt". Die Schauspiellunst mit der Sorgfalt ihrer Proben, ihrer auf deutschen Bühnen vor sechzig Jahren unbekannten vervolttommneten Technik der Ausstattung, dem urgallischen, unnach­ ahmlichen Stil der Posse und der empfindsamen Marivaudagen würdigt er als gelehriger Kenner; doch selbst im „Haus Molieres" verliert er seine Meinungsfreiheit nicht; den Tartuffe hätte seines Dafürhaltens Seydelmann schärfer charakterisieren können als der Pariser Darsteller. In Longchamps, wo Napoleon mit einem russischen Großfürsten sich einfindet, sieht ihn Liliencron in der Nähe: „Der Kaiser hat ein höchst anziehendes, bedeutendes Gesicht; die Züge haben etwas Eisernes, und man sieht dem Gesicht seine Ge­ wohnheit der Selbstbeherrschung an, die nicht die leiseste Regung der inneren Empfindungen durchblicken läßt; der Kaiser ist dafür berühmt: in diesen Zügen liest niemals jemand etwas von seinen

Gedanken. Das Auge ist gekniffen, scharf beobachtend, der Teint ganz blaß, mehr, möchte man sagen, farblos als gelb: der Körper schlank, von feinen Gliedern; die Schultern (schien mir) int Paletot (alles war in Zivil) etwas hoch; die Bewegungen sehr leicht und nonchalant. Die Herrschaften, ohne Eskorte gekommen, promenierten, alles grüßend, durch die Menschenmenge. Bei solchen Gelegenheiten erwartet alles hier, wenn auch halb in (fürchterlichem) Scherz, einmal einen Dolchstoß oder Schuß, der trifft; es ist einmal so die allgemeine Meinung, obgleich die Zahl derer, denen es erwünscht wäre, wohl wirklich in diesem Augenblick sehr gering ist. Welch eine Existenz für ihn!" Auf englischem Boden genießen die Reisenden zunächst Gast­ freundschaft auf den Herrensitzen britischer Herzöge. Dann kommen sie nach Osborne: „Im Park begegneten wir den Herrschaften, denen ich bei dieser Gelegenheit vorgestellt wurde, und die sehr freund­ lich konversierten." „Die Königin ist weit älter, als man nach den Bildern glauben sollte, sie hat merkwürdigerweise etwas Verlegenes in ihrem Wesen. Prinz Albert ist eine stattliche, d. h. nicht gerade große Figur; ziemlich stark." Die Festlichkeiten, die sich an die Taufe der kleinen Prinzeß Beatrice Viktoria Herzogin von Sachsen knüpften, hat Moltke (als Begleiter des preußischen Kronprinzen) in den Briefen an seine Gattin beschrieben; er führt dort alle erschienenen Fürstlichkeiten mit ihrem Gefolge auf: „Das des Erbprinzen von Meiningen besteht aus Rochus von Liliencron, der einmal sein Ge­ heimer Kabinettsrat werden wird," heißt es bei Moltke am 14. Juni 1857. Liliencrons eigene eingehende Schllderungen seiner Hof­ gänge, bei denen er auch dem preußischen Kronprinzenpaar zum ersten Male näher kam, Museumswanderungen, Flottenbesuche, seines Händeschüttelns „ohne Worte" mit Palmerston, seiner starken Eindrücke von einer Vorstellung „Richard II.", seiner musikalischen Vormittage bei Clara Schumann und dem Geiger Ernst wären nicht unwert, mit Moltkes Briefen verglichen zu werden. Nicht minder anziehend sind ihre wortkargen Andeutungen über die stille Kunst des Erbprinzen, einer ihm nicht genehmen Werbung auszuweichen. Derby, Oberhausdebatten, „Richard III." als Zirkusstück, ungezählte Routs, Botschafteressen, Empfänge in Windsor, Abstecher nach Greenwich, das und anderes mehr zieht nicht in flüchtigem Wirbel,

sondern von Liliencron gründlich beredet in Briefen in die Heimat vorüber; harte Worte fallen über die unverbesserlich unmusikalische Art der Engländer. Geladen, fährt er mit dem Erbprinzen auch nach dem wunderschönen melancholischen Clairmont: „Die Famllie war zahlreich versammelt, die alte Königin" — Louis Philipps Wittwe — „ein tief ergreifender Anblick, Herzog von Nemours mit Gemahlin, Herzog von Aumale mit Gemahlin, die Herzogin von Joinvllle (er ist im Bad); eine Herzogin-Schwiegermutter und eine Schar von Kindern; einige ältere Damen und Herren. Ich saß beim Dejeuner neben der Herzogin von Aumale. Nachher hat die alte Königin ziemlich lange mit mir gesprochen; der Schluß der Unterredung nahm eine ergreifende Wendung. Sie hatte von Paris gesprochen, ich fühlte ihr die Sehnsucht an, wie sie von den Schönheiten, von Louvre und Tullerien sprach und sagte: J’espere que Votre Majestt- le reverra 1 Da sagte sie: Oh non, Monsieur, je ne le reverrai pas! je suis une vieille femine, ä moi ne reste que le tombeau! Dabei erstickten Tränen ihre Stimme, ich schwieg auch, tief ergriffen von dem Mit­ gefühl für ein solches Schicksal; nach einigen Augenblicken sagte sie mit einem Ton voll rührender Freundlichkeit: Mais je vous remercie de vos bons souhaitsl" Anfangs Juli kam Liliencron nach kurzem Halt am Haager Hof heim, und gleich nach seiner Rückkehr beschenkte ihn seine Frau mit einem dritten Töchterlein: „Sie galt," wie der vergnügte Vater einer Kusine schrieb, „bis zu ihrer Geburt für einen Sohn, und Louise kann bis heute ein gewisses gereiztes Wesen gegen das arme kleine Geschöpf nicht ablegen, welches mit dem unerlaubten Trotz in die Welt getreten ist, seine Mutter Lüge» zu strafen! Sie ist aber unzweifelhaft eine Tochter und sieht nach der in diesen Dingen kompetenten Meinung der Hebamme aus wie eine Pröpstin; viel­ leicht ein Überrest ihrer entschwundenen Mannheit, jedenfalls aber passend, da sie schon vor ihrer Geburt in Preetz" — einem der vier adeligen holsteinischen Damenstifter — „eingeschrieben war, so daß sie fast dort Schulfräulein geworden wäre, ehe sie hier zur Hebung kam." (Im Sprachgebrauch der Damenstifte heißen die zur „Hebung" gelangten Damen Konventualinnen; das Recht auf einen Stift­ platz wird erworben durch Einzahlung einer bestimmten Summe.) 0«t«elyeim, R. e. Silkncton. 8

Eine kurze, gelungene Schweizer Reise mit dem Herzog fiel noch in den Herbst. Auf der Fahrt durch Thüringen erzählte Herzog Bernhard interessant von Karl August, den er viel gesehen. „In Jena studierend, hatte er die Erlaubnis erhalten, an den Sessionen der Staatsratssitzungen in Weimar hörenden Anteil zu nehmen. Karl Augusts äußerst einfache Art schilderte et; man sah ihn fast immer nur, selbst im Theater, in der grünen Jagdpikesche, einem sehr lose und flüchtig umgewundenen Halstuch, gewöhnlich in Schmierstiefeln. Nur bei Tafel war immer er wie alle anderen in Uniform und Schuhen, wie denn überhaupt die Bequemlichkeit sich nur auf des Großherzogs eigenes Leben erstreckte und übrigens eine sehr stramme Etikette herrschte. In der Konversation sei er zwar immer interessant und höchst liebenswürdig gewesen, dabei aber kurz und bis zu gewissem Grade trocken, sprach nie ein Wort mehr, als zur knappen Erledigung der Sache not tat." Auf der Weiter­ reise hatte Liliencron am Bodensee und in Sankt Gallen Gelegen­ heit, der handschriftlichen Schätze zu gedenken, die er gern, seiner Nibelungenarbeit halber, in den Urgestalten gesehen hätte; die Reise verstattete keinen Aufenthalt; so beschied er sich damit, seiner Frau und wohl auch dem Herzog zum Andenken Lahbergs und der Mönche von Sankt Gallen gedankenreiche Betrachtungen zum besten zu geben. In Zürich stieß Ludwig Bechstein zu der kleinen Gesellschaft, „mit seinem unverwüstlichen Humor ein höchst spaßhafter Reisekumpan". „In Arth gefrühstückt, dann auf vier Pferde gepackt, was mit dem dicken Bechstein, der nie zu Pferd gesessen hatte, lustige Szenen gab. Bis oben hinauf hielt er, halb dem Sancho, halb dem Falstaff ähnlich, uns und die Führer in Lachlaune." Die Rigiaussicht „begrüßten wir mit so lautem Ausruf des Entzückens, daß wir die Heiterkeit der um uns versammelten Roastbeefs vom Rigistaffel erregten. Es ist hier natür­ lich alles überschwemmt von Engländern in ihrer ganzen lächerlichen Reiseerscheinung". Ein Herbstausflug, den er ein Jahr darauf als Begleiter des Erbprinzen nach Berlin und Potsdam unternahm, schloß mit einem überraschenden wissenschafllichen Auftrag, der Llliencron über ein Jahrzehnt beschäftigen sollte. Hofdienst und Berufspflichten hielten ihn nicht ab, die altverehrten Fachgenossen Grimm und Haupt und

den eben nach Berlin berufenen Müllenhoff zu besuchen, überall warm bewlllkommnet und durch die besondere Zustimmung des strengen Haupt zu seiner Kritik der Nibelungen-Handschriften er­ freut, konnte er seiner Frau folgende Neuigkeit berichten: „Der König von Bayern hat eine ziemlich bedeutende Summe für eine Reihe von Jahren zu großen historischen Arbeiten bestimmt. Es ist unter dem Präsidio der Münchener Akademie eine Kommission aus den ersten deutschen Historikern geblldet, welche die Sache leiten soll und eben ihre erste Zusammenkunft gehalten hat in München: Sybel aus München (als Sekretär), Ranke und Pertz von hier, Droysen von Jena, Häusser von Heidelberg, Waitz aus Göttingen. Sie haben nun die zunächst auszuftthrenden Arbeiten bestimmt und darunter eine Sammlung und Ausgabe der Historischen Bolkslieder auf den Vorschlag von Pertz und Droysen. Es ist dann be­ schlossen worden, mir diese Arbeit anzutragen, für die, wie es scheint, einstweilen 1500 Gulden bestimmt sind, und Droysen hat den Auf­ trag bekommen, mit mir darüber zu verhandeln. Ich werde die Arbeit mit Freude übernehmen, obgleich ich mir die großen Schwierig­ keiten nicht verhehle; wo meine Kraft nicht ausreicht, werde ich wohl Hllfe finden. Die wesentlichsten handschriftlichen und bibliothekarischen Schätze dafür sind hier, in Dresden, Wien, München, wie es scheint. Ich bin heute bei Pertz gewesen, der mir das hiesige Material zu vorläufiger Durchsicht in diesen Tagen zurechtlegen läßt. Ich fühle, wie. gesagt, daß es für mich ein ziemlich gewagtes Unternehmen ist; aber noch mehr würde ich es doch für verkehrt halten, eine so ehrende Aufforderung abzuweisen, auch ist die Arbeit selbst außer­ ordentlich interessant." Droysen war bei seiner (1857 in den Ab­ handlungen der sächsischen Akademie gedruckten) Studie über den abenteuernden Geschichtschreiber Kaiser Sigismunds, Eberhard Wind­ eck, auf Zeitgedichte gestoßen, für die er Llliencrons Rat eingeholt hatte; bei diesem Anlaß wies er in seiner Abhandlung auf den Wert dieser Gattung von geschichtlichen Zeugnissen im allgemeinen hin: „So gering der Wert derartiger Gedichte für die Geschichte der deutschen Poesie sein mag, so wichtig im historischen Interesse wäre eine Sammlung derselben; sie enthalten das reichste und lebens­ wahrste BÜd der Geschichte bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts." Der ganze Umfang des hier zu durchforschenden Gebietes ließ sich 8*

nur ahnen; es war zuvor notwendig, Umschau zu halten in allen deutschen Landen, in Handschriften- und Büchersammlungen; daß aber in Liliencron der Berufenste für eine so große und heikle, den Philologen und Historiker, den dichterisch und musikalisch Fach­ kundigen erfordernde Aufgabe zur Stelle sei, war Droysens wohl­ gegründete Annahme. Der Ernst und die Ruhe, mit der Liliencron an die Arbeit ging, war eine Gewähr für das Gelingen. Seine nächste Pflicht war, sich mit Kennern zu beraten und auf „LiederReisen", die ihn durch Deutschland und die Schweiz führten, in Verkehr mit Fachgelehrten, Bibliothekaren, Archivaren, Sammlern das weitschichtige Material zusammenzubringen. Sein Spür­ talent und sein Ordnung liebender und schaffender Geist wirkten zusammen, ihm die rechten Wege für die Sichtung und Herausgabe der Lieder zu weisen. „Seiner Sitten Freundlichkeit" gewann ihm bei zahlreichen persönlichen Begegnungen und brief­ lichen Auseinandersetzungen mit wissenschaftlichen Größen und Hand­ langern allerorten Sympathien. Er selbst aber erweiterte im Ver­ lauf dieser zehnjährigen Studien menschlich, künstlerisch und wissen­ schaftlich seinen Gesichtskreis. Die fachmännischen (tellweise in Sybels Historischer Zeitschrift gedruckten) Reiseberichte für die Historische Kommission finden schöne Ergänzung in den Briefen an seine Frau, in denen die Gegenden und Forscher, zu denen seine Liederreisen ihn führten, lebenstreu festgehalten erscheinen. Seine Meininger Amtspflichten wurden durch diese Gelehrten­ arbeit nicht gefährdet. Der Krieg zwischen Österreich, Frankreich und Italien im Jahre 1859 brachte sogar eine Mehrung seiner diplomatischen Agenden. Er hatte den Herzog vor Beginn des Feld­ zuges nach Dresden und Berlin begleitet, als Vertrauter des Ministers Harbou die Stimmungen Beusts, im Kreise Prinz Wllhelms von Preußen und der Parteigänger für und wider das Eingreifen des Deutschen Bundes erforscht, vor und nach dem Frieden von Billafranca durchaus nicht einverstanden mit der Haltung des Berliner Kabinetts. „Wir gehen nach meiner Überzeugung in ganz kurzer Zeit großen Katastrophen entgegen," schreibt er im Juli seiner zur Kur in Kissingen weilenden Frau, „die mit dem Zerfall des Deutschen Bundes beginnen werden." „Preußen, welches es dahin gebracht hat, wird jetzt die Probe zu bestehen haben, ob es stark und inner-

lich konsolidiert genug ist, um, alleinstehend, den Kern einer neuen Gestaltung, die wesentlich den protestantischen Teil Deutschlands umfassen dürfte, zu konsolidieren." „So sehe ich bisher die Sache an, und nicht ohne Grauen denke ich an das, was hierbei zwischen Anfang und Ende liegen müßte, und nicht ohne Zweifel an die Fähigkeit der preußischen Staatslenker frage ich mich, wo die rück­ sichtslose Energie dort zu finden sein wird, die zur glücklichen Durch­ führung einer so kühnen Politik nötig ist." Für diese Prophezeiungen zog er nicht nur die Gegenwart, friedliche und streitbare Gespräche mit dem Herzog und seinem Kreis, Droysen und den Gästen, die von nah und fern auf den Altenstein kamen, zu Rate: er studierte das Leben Steins und Häusfers Bücher vom Zerfall des alten Reiches gründlich durch, um Ähnlichkeiten mit dem neuen im alten Zeiten­ lauf zu finden. Dazwischen begann er in freien Stunden einen dramatischen Entwurf auszuführen und sich und anderen am Herzogshof (Prinzessinnen, den Hofdamen, wie den Kavalieren Uechtritz und Egloffstein) mit guter Musik und harmlosen Eulenspiegeleien die auf dem Altenstein mitunter etwas träg verfließende Zeit zu verkürzen. Im November trat er die erste „Lieder-Reise" an, nach München zum Sekretär der Historischen Kommission, Sybel, „der mich sehr freundlich empfing, und in dem ich einen höchst angenehmen Mann fand, recht nach dem Bild, was ich mir schon aus den Bonner Er­ zählungen und nach seinen vortrefflichen Büchern von ihm gemacht hatte. Frisch, geistvoll, kräftig und offen." Die „Liederangelegen­ heit" wurde in kluger Unterredung rasch vorwärtsgebracht; Sybel ließ Zirkulare ausgehen, stellte Geldmittel bereit, orientierte auch über die Verwalter der Münchener Bibliothek, die nachmals eine unversiegliche Quelle für Liliencrons Forschungen werden sollte, bei seinem anfänglichen Besuch aber arg enttäuschte. Es fehlte an den rechten Verzeichnissen. Nur eine Masse von einzelnen Blättern und Drucken, die aus Sammelbänden herausgelöst waren, fanden sich. Allmählich ging es aber besser; der Germanist Konrad Hofmann, der jahrelang unter Schmeller auf der Bibliothek gearbeitet hatte, gab Liliencron wohlbefolgte Winke. Eine Audienz beim König, der ihn mit viel freundlichen Worten aufnahm, frohe Stunden mit Geibel, Heyse, Genetti, zumal ein Gastspiel des französischen Komiker-

Levassor, den Liliencron mit der Überlegenheit eines Tieck oder Laube charakterisiert, Professorenabende beim Bier hoben seine Stimmung, und kurz vor der Abreise konnte er der Frau die tröst­ liche Botschaft senden: „Habe ich mich anfangs über die unvollkommene Ordnung der alten Drucke beschwert, so muß ich dagegen jetzt, wo ich bei den Handschriften bin, die ganz vortreffliche Katalogisierung rühmen, eine meisterhafte und immense Arbeit des seligen Schmeller. Die Bibliothek besitzt nämlich ca. 30 000 Handschriften. Die Aus­ beute für mich ist groß." Die Bibliothekare begegnen ihm mit aller erdenklichen Zuvorkommenheit; sie weisen ihm Platz in ihren eigenen Arbeitszimmern an. Dort findet er auch den Kustos der großen Schätze alter Musik, dem er sich nicht nur wegen der historischen Volkslieder (der Kustos hat ein Verzeichnis von ca. 6000 Lieder­ melodien dieser Jahrhunderte), sondern als leidenschaftlicher an­ gehender Musikhistoriker eng anschließt. Ein Abend bei Sybel mit Jolly, Bluntschli, Windscheid, den Koryphäen der protestantischen Partei, Kaulbach und den Frauen, Atelierbesuche, eine sinnig gedeutete Aufführung eines alten Puppenspieles von Dr. Faust, weite Spazier­ gänge im Isartal gefallen ihm so gut, daß er, insbesondere nach dramaturgischen Unterhaltungen mit Heyse, seiner Frau schreibt: er glaube, München und diese Menschen würde man bei längerem Verweilen recht lieb gewinnen. Eine Prophezeiung des Ahnungs­ losen, die sich mit der Zeit bewahrheiten sollte. Das Hauptereignis des Jahres 1860 für Liliencron war seine Sendung nach Baden-Baden, als Napoleon III. dort im Juni mit dem Prinzregenten von Preußen, vier deutschen Königen, den Großherzögen von Baden und Weimar, dem Herzog von Nassau und Ernst von Koburg-Gotha zusammentraf, „über das, was sich zwischen den hohen Herren begibt," sagte Liliencron seiner Frau, „verlautet begreiflicherweise noch keine Silbe. Herr von Fonton (Russe) hat auf die Frage, was Napoleon hier wohl mit den deutschen Fürsten machen werde, geantwortet: ,11 les prendra tous et alors ils s’en iront Contents*. Hoffentlich wird das denn doch wohl nicht so ganz richtig sein." Bald sah und hörte Liliencron, daß Napoleon selbst seinen Hoch rufenden Mouchards abwinken ließ, weil das Publikum kalt blieb oder zischte, indessen die Menge gleich darauf kehrt gegen den Balkon des Prinzen von Preußen machte und

ihm ein donnerndes Hoch ausbrachte. Mer Prunk des französischen Kaisers, die Galauniformen der Cent-gardes verfehlten auf die Gaffer ihre Wirkung ebenso wie seine Lockungen auf die Fürsten: die Steno­ graphen, die er, hinter Tapetentüren verborgen, seine vertraulichen Gespräche mit den einzelnen Regenten heimlich festhalten ließ, hatten nichts von Belang zu hören. Der Herzog von Meiningen hatte nichts versäumt, als er in Ems blieb und an seiner Statt seinen Kabinettsrat in das Oostal schickte: es blieb zeitlebens eine der stolzesten Erinnerungen Liliencrons, daß der Prinzregent Wilhelm von Preußen ihn tagtäglich über den Gang der Dinge zur Bericht­ erstattung an Herzog Bernhard Erich Freund orientierte. „Ich für mein Teil bin Sonnabend vom König von Sachsen, der einen äußerst angenehmen Eindruck macht, klug und wohlwollend, dann vom Prinz von Preußen empfangen; Sonntag vom Herzog von Koburg; gestern vom König von Hannover und heute noch vom Großherzog von Weimar. Es war interessant genug, die Herren in diesem Augenblick zu sehen; im Grunde sprach sich jeder in seiner Art offen aus und zeichnete seine Art sehr deutlich vom Hochtory herab bis zum Reformer von Gotha. Der Prinzregent war diesmal in der Tat höchst gewinnend durch seine ehrliche gerade Sprache; ich höre mit herzlicher Freude, daß man auch im Kreis der Könige von seiner Haltung höchst entzückt ist. Er war dabei in äußerst guter Laune, was etwas Erquickendes gerade in diesem Augenblicke der Spannung hatte." Der Prinzregent war so rückhaltlos in seinen für den Herzog bestimmten Aufschlüssen, daß der Bote, so treulich er das Amtsgeheimnis wahrte, glaubte, seiner Frau in einer Bleistift­ nachschrift den Trost spenden zu dürfen: „Die Zusammenkunft von Baden hat viel Heil gebracht; es ist prinzipiell der Sieg unserer Politik in Deutschland, d. h. der Einigung Preußens und Österreichs." Liliencron sollte nur allzubald sehen, daß der Fehlschlag der napo­ leonischen Versuchungen noch lange nicht die Verständigung der beiden um die Vorherrschaft in Deutschland kämpfenden Groß­ mächte bedeutete. Schon im Sommer hatte er Angriffe der vom Rationalverein beherrschten Blätter gegen die angeblich antideutsche, österreichfreundliche Politik Bernhard Erich Freunds publizistisch abzuwehren: Vorboten der Wirren, in die der Herzog und mit ihm sein Kabinettsrat 1866 rettungslos verstrickt werden sollten.

Im Winter 1861 machte er sich auf die Wanderung zu großen Liederreisen durch Süddeutschland, über Würzburg, Frankfurt, Heidelberg, Stuttgart, wo er von den namhaftesten Historikern, Wegele, Häusser, Stälin usw., zuvorkommend gefördert wurde, ging er nicht ohne Bangen nach Tübingen. Dort wollte er Uhland zum Richter aufrufen über seine Pläne, den größten Kenner des Bolksliedes, der als Forscher und Dichter am vertrautesten war mit der Aufgabe, an die Liliencron ein Stück des eigenen Lebens zu setzen gedachte. Eine Legende geht dahin, daß Uhland in seiner bekannten Schweigsamkeit seinen Besucher gemessen empfing, während seines ersten mehrstündigen Bortrages über die Anlage seiner Aufgabe kein Wort einwarf und nach Schluß der Rede den etwas betretenen Liliencron auf den nächsten Tag zu sich beschied. Erst als der Gast, dieser Ladung gemäß, wiederkam, soll Uhland geurteilt haben, er sei vollkommen mit seinen Absichten einverstanden, genau so habe er sich selbst die Bearbeitung gedacht. Im Borwort zum II. Band der Historischen Bolkslieder berichtet Liliencron da­ gegen, bei der Rechtfertigung seiner Textbehandlung, „daß er nicht lange vor Uhlands Tode das Glück gehabt habe, sich in eingehender Unterredung über diesen Gegenstand mit ihm zu besprechen", und seiner Frau schildert er im Februar 1861 die Begegnung wahrheitsge­ mäß unmittelbar darnach folgendermaßen: „Mir ist es gestern sehr schön gegangen. Holland brachte mich erst zu Uhland. Man hatte mir in Stutt­ gart bange gemacht mit seiner Unzugänglichkeit, aber ich habe nicht da­ runter zu leiden gehabt, sondern er nahm mich mit vieler Freundlichkett auf und ging auf das wohlwollendste in all meine Fragen und Wünsche ein, so daß mir der Tag ebenso nützlich als erfreulich ge­ wesen ist. Mir klopfte das Herz, als ich dem alten Sänger die Hand schüttelte. Er ist alt, trägt die Spuren des Alters in seiner äußeren Erscheinung, wie in der Art zu sprechen, nicht aber in dem kräfttg noch immer rastlos tätigen Geist. Er spricht langsam, der Form nach trocken, aber dem Inhalt nach klar, scharf und gehaltvoll. Den Dichter würde man auf den ersten Blick nicht ahnen; aber wenn er warm wird, blickt das kindlich freundliche Herz durch, das reiche Gemüt, dem auch die Gegner nachrühmen, daß es lauter ist wie Gold. Nachdem wir eine Weile geredet, ward verabredet, daß ich nachmittags wiederkommen soll." „Um 4 wieder zu Uhland, mit.

dem ich über zwei Stunden in köstlichem Gespräch blieb; ich kann sagen, es ist den Stunden keine Minute mit Nebendingen verloren­ gegangen. Er hat zu seinen wundervollen alten Boltsliedern einen nie erschienenen" — seither längst gedruckten unübertroffeneu — „Kommentar versprochen, in dem er seine Methode der Herausgabe erläutern wollte; das war es hauptsächlich, worüber ich ihn befragen woll»e, um von dem Meister zu lernen, und ich habe diesen Zweck voll­ ständig erreicht, so daß der Gewinn unschätzbar ist. Ms ich aufbrach, sagte er, er würde nachher in die Traube kommen, damit wir da den Abend mit anderen Bekannten, mit denen er Montags immer zu­ sammentreffe, zubringen." Llliencron war selbstverständlich zur Stelle: er traf außer Uhland Karl Mayer, Adelbert Keller, den Sohn Fichte, Holland und Rapp. Ermutigt und bestärkt in seinen Ideen durch diesen Führer, ging Liliencron in Regensburg, Augsburg, Nürnberg seiner Forscher­ pflicht weiter nach. Jin Sommer brachte ihm eine Schweizer Reise gleiches Labsal. In Basel, Zürich, Sankt Gallen, Bern und Freiburg durfte er Schätze heben. Wilhelm Wackernagel kain ihm besonders nahe: „Eine noble, frische Persönlichkeit tritt aus allen seinen Urteilen hervor. Auf Haupt und Müllenhoff ist auch er wegen ihrer Grobheit und Bissigkeit ärgerlich und schlecht zu sprechen, obgleich er in den Sachen selbst ganz mit ihnen übereinstimmt. Auch Lachmann gegenüber bewegt er sich bei der höchsten Liebe und Verehrung doch ganz frei in seinem Urteil; er tadelt dessen Art, die ihm die beiden Berliner nachmachten, Irrtümer und Dummheiten anderer gleich als Im­ moralitäten zu stempeln. Es ist eine ganz eigene Freude, so einem Manne plötzlich nahe zu sein, mit dem man seit zwanzig Jahren gleiche Wege des Arbeitens geht. In seinem Lesebuch habe ich das erste altdeutsche Wort gelesen, bei Müllenhosf darin meine ersten Studien gemacht, sein Lexikon, seine Literaturgeschichte sind immer meine Handbücher gewesen. Und dann noch die Freude, eine so köstliche Persönlichkeit in dem Manne zu finden," in demselben Wackernagel, der den letzten entscheidenden Anstoß zur Schöpfung der Allgemeinen Deutschen Biographie geben und in Llliencron den würdigsten Nachfolger bei der Ersatzwahl in die Historische Kom­ mission finden sollte. Mit Wackernagel wetteiferten dessen Schüler,

Liliencron in der Schweiz die Wege zu bereiten: „Nun, nun, einer Empfehlung Wackernagels muß man doch Ehre machen", meinte ein besonders beflissener Bibliothekar, um Liliencrons Danksagung abzuwehren. Wyß und Mülinnen berieten ihn hilfreich, der alte Ettmüller und Heinrich Kurz in Aarau stellten sich ihm zu Gebote. Außer den öffentlichen erschlossen sich ihm kostbare Sammlungen aus Privatbesitz. Tschudis Handschriften verglich er genau mit den anderen Liedertexten, Luzern und Einsiedeln verließ er nicht, ohne Beistand von erzkatholischen Fachmännern, wie P. Gall Morell zu erbitten und zu gewinnen. Und rein und reich wie seine Forscher­ freuden waren die Wanderfreuden des ausdauernden Fußgängers, die Kunstgenüsse des für Bildwerke und musikalische Leistungen gleich Aufnahmsfähigen, den es im Freiburger Dom beim Spiel des großen Organisten überkam „wie eine Phantasie vom Jüngsten Gericht. Meine Augen hingen gefesselt an dem mittleren Sttlck der Orgel, über dem zufällig das Licht das Zeichen des Kreuzes erscheinen ließ. Ich sah es so lebhaft, als hätte ich nie ein schöneres Blld Christi gesehen, seine Gestalt wie in Wolken darunterstehen, und hinter ihm schienen Scharen zu sein, von denen der milde Ge­ sang herkam; dann fielen am Ende freundliche Schalmeientöne ein, die nur den Text sangen: »Ich bin ein guter Hirte.' Es war so einer von den Augenblicken der Feier, wie sie nur einzeln im Menschen­ leben sind, und noch indem ich's schreibe, weine ich wie ein Kind." Seine Frau wird die Mitwisserin all dieser Empfindungen. Ihr sagt er bald in lyrisch hochgestimmten Ergüssen, dann wieder in Frohsinn und Übermut Tag um Tag, was er erlebt. Diesem Aufschwung sollten nach der Rückkehr böse Stunden folgen. Harbou war vom Herzog, der seine Übereilung selbst am meisten beklagen sollte, wegen kleinlicher Angebereien und Miß­ verständnisse seines Amtes enthoben worden, und Liliencron war mannhaft entschlossen, sich unter keinen Umständen zum Werk­ zeug niedriger in und außerhalb Meiningen verhaßter unverant­ wortlicher Berater des Herzogs herabwürdigen zu lassen. Monate und Monate hindurch wurde ihm seine Stellung dermaßen zur Last, daß er sich in aller Stllle um das durch Prellers Tod in Weimar freigewordene Amt eines Oberbibliothekars bewarb. „Was mich dazu bestimmt," schrieb er im August nach manchen heftigen Aus-

brüchen des Unmutes vom Altenstein seiner Frau, „Du weißt es ungesagt. Die Stellung ist sehr anständig, gibt mir die häusliche Unabhängigkeit wieder und läßt mir freie Zeit zum Arbeiten." Die Entscheidung fiel anders. Prellers Nachfolger in Weimar wurde Schöll, und Liliencron beruhigte sich nach und nach; das Ärgste, Harbous Ablösung durch von Fischern, blieb vermieden; zur all­ gemeinen Verwunderung wurde ein früherer preußischer Landrat, von Krosigk, Minister in Meiningen. Die höchstpersönliche, der preußischen Hegemonie abgeneigte, mit Trias-Ideen spielende deutsche Reformpolitik des Herzogs erfuhr durch diese Berufung keinen Wandel. Im Spätherbst 1861 legte Liliencron auf Sybels Wunsch der Historischen Kommission sachlichen Bericht über die Ergebnisse seiner bisherigen eigenen und der in seinem Auftrag vom jüngeren (Rein­ hold) Bechstein unternommenenen Forschungsreisen vor. Knapp, klar, vollständig wurden diese Abhandlungen wiederholt in der neu­ gegründeten Historischen Zeitschrift, der sie zum dauernden Schmuck gereichen. Seine Vorschläge über Einteilung, chronologische An­ ordnung, Textbehandlung wurden fast unbedingt von der Historischen Kommission gebüligt. Für die Gewissenhaftigkeit und Herzensgüte Liliencrons zeugt es, daß er den dazumal nicht nach Verdienst ge­ kannten, in seinen Einnahmen kärglich gestellten Frommann in Nürnberg als bewährten Kenner der Dialekte heranziehen wollte: eine Ansicht, auf die auch die Historische Kommission einzugehen bereit war, und die nur dadurch vereitelt wurde, daß die Kommission gleichwohl Liliencron allein die ausschließliche Verantwortung für die Aufgabe überlassen wollte. Seine zweite Liederreise nach der Schweiz, Straßburg, Donau­ eschingen konnte sich an Bedeutung mit der ersten nicht messen; der Frau brachte sie wieder eine Reihe von Prachtbriefen, lebens­ volle Schilderungen des Urner Bodens und Bilder aus dem Volks­ leben der echten (d. h. nicht der Fremdenindustrie pflichtigen) Schweizer. So u. a. sein Abenteuer in Bremgarten, wohin er einer Handschrift zuliebe fuhr. Er bekam das kostbare, dem Archiv gehörige Stück „sofort ganz harmlos durch einen Buben ins Gasthaus ge­ schickt mit der Weisung, sie nur nach Gebrauch dem Wirt einzu­ händigen." Als Liliencron mit der Arbeit fertig war, brachte ihm

der Wirt das bestellte Essen; nebenan, bei offener Tür, saßen die Knechte und Mägde des Hauses essend. „Der Wirt setzte sich zu mir, mich zu unterhalten. ,Ah,' sagte er, indem er den Kodex sah, .haben Sie den Zürcher Krieg studiert?' .Ich hab' nach Liedern drin ge­ suchte .Da haben Sie umsonst gesucht, sind keine drin', und dann begann er ein wohlunterrichtetes Gespräch über Chroniken und Schweizergeschichte, während er mir das Essen servierte; zugleich entdeckte ich, daß er auch Stadtrat sei. Es ist doch ein wunder­ liches Ländchen!" Besondere Liederreisen unternahm Llliencron fortan nicht, well ihn mittlerweile um Beistand angerufene Forscher (in Wien I. M. Wagner) mit Nachweisen, Abschriften und Ratschlägen för­ derten und seines Erachtens mit dem Fortgang seiner Ausgabe Beiträge freiwllliger Helfer in immer reicherer Zahl zu gewärtigen waren. Indessen Llliencron beharrlich und erstaunlich rasch seine Texte sammelte, verglich, druckreif fertigstellte, mit gründlichen ge­ schichtlichen Untersuchungen einbegleitete und erläuterte, wurde er vom Herzog unerwartet angestrengter und verantwortlicher als je zuvor den Verhandlungen zugezogen, die zur Lösung und Neu­ ordnung der deutschen Frage begannen. Richt ohne Grund war Bernhard Erich Freund zum Inhaber des 46. Österreichischen Linienregimentes ernannt worden, nicht ohne Stolz zeigte der Herzog auf dem Altenstein am 18. Juli 1862 das eingegangene Patent, das mit „graziösen Worten" die Meldung brachte, „ein wahres Prachtwerk von Kalligraphie, auf Pergament, das große Siegel in goldener Kapsel und das Ganze in einem Kastep sauberer Wiener Lederarbeit". Aus triftigen Ursachen und nicht bloß des Dankbesuches halber begab sich der Herzog, von Llliencron begleitet, im April 1862 an den Wiener Kaiserhof. Der Herzog wurde mit außergewöhnlicher Auszeichnung empfangen. Auf dem Bahnhof begrüßte ihn der erste Flügeladjutant des Kaisers, Graf Crennevllle, und in seinem Absteigequartier, Hotel Munsch, in dem der ihm zugeteilte Oberst seines Regimentes, Baron von Fleisch­ hacker, gleichfalls wohnte, kam Franz Joseph seinem Gast mit einem Besuch zuvor. Am Tag der Ankunft, 24. April, gab es gleich Hosdiner zu dreißig Personen in Schönbrunn, bei dem Llliencron neben Graf Crennevllle saß: „Das Beste von allem war mein Platz, nämlich

der Kaiserin gegenüber, die wunderschön ist." „Nur einen Arger habe ich gehabt, daß ich nicht entdeckte, daß Graf Rechberg da war; er sieht so wenig bedeutend aus, daß ich ihn für den letzten Kammer­ herrn Exzellenz hielt und mich nicht vorstellen ließ." „Die schöne Kaiserin unterhielt sich nach Tisch eine ganze Welle mtt mir." Abends war der Kaiser mit dem Herzog in einer Gastvorstellung der Patti, die Herren in einer für „45 fl. (!)" erstandenen Loge. Der Wirbel der amt­ lichen Aufwartungen, in den Hof- und Privattheatern Abend für Abend zur Verfügung gestellten Aufführungen macht es selbst Llliencron schwer, biswellen unmöglich, seiner Frau in herkömmlicher Vollständigkeit zu berichten; er hilft sich mit Schlagworten: „Sonn­ abend morgen in der Kaisergruft. Stundenlang im Vorzimmer, um Visiten zu empfangen. Mit dem Oberst Visiten gefahren. Be­ such bei der Sina. Diner beim Erzherzog Albrecht. Im Burgtheater: Ein Attache. Tee bis 1 Uhr beim Herzog. — Sonntag. Messe in der Hofkapelle (eine Mozartsche). BisitentournLe bei sämtlichen Gesandten für den Herzog; Diner beim Herzog von Koburg-Kohary; Ballett (die verwandelten Weiber) im Hoftheater; musikalische Soiräe bei der Sina, für die ich mich hier beurlauben ließ. Mon­ tag: nach den Morgenstunden, die für mich die schlimmsten sind, um 11 Uhr in die Franz-Josephs-Kaserne, die Zentral-KavallerieSchule, ins Arsenal; Diner beim Kaiser in Schönbrunn (Famlliendiner für die Herrschaften, Marschalltafel für uns), die Posse im Treumanntheater." „Es geht uns übrigens vorttefflich; man ist von der allergrößten Artigkeit, wie gegen den Herrn, so gegen uns. Wir profitieren von der Lage, und ich gebe mir alle Mühe, die Zuvor­ kommenheit der Exzellenzen, die meinen Umgang bllden, mit so unbefangener Seelengröße hinzunehmen, wie möglich. Der Hof ist wirklich überaus liebenswürdig, wenn er es sein will; es liegt in der Art der Menschen eine gewisse Bonhommie, die ihre Freund­ lichkeit weit angenehmer macht als die kalte Artigkeit z. B. am preußischen Hof. Wir müssen (ich meine der Oberst und ich) geradezu sagen, daß man sich bemüht, es uns behaglich zu machen; überall weist man uns die ersten Plätze, die liebenswürdigste Gesellschaft an, und jeden Morgen wird uns wieder vorgeworfen, daß wir so wenig verlangen: es stehe uns alles und jedes in Wien zur Verfügung, wir sollten nur eben befehlen. Gestern abend (der

Herzog war in der Kaiserlichen Loge) hatte uns Graf Grünne, der zweite Kaiser von Österreich, in seine Loge eingeladen. Mit Graf Rechberg habe ich mich neulich eine Welle unterhalten; sein Aus­ sehen gewinnt, wenn man ihn genauer betrachtet, indem die Züge außerordentlich scharf und klug sind." Beim Festmahl, das der Herzog in österreichischer Uniform den herkommandierten Offizieren seines Linienregimentes gibt, legt Llliencron zum ersten Male das Komman­ deurkreuz des Franz-Joseph-Ordens an, das ihm ein Adjutant des Kaisers „zum Andenken an den Besuch in Wien" überreicht hat. „Das hochrote Band ist ein hübscher Schmuck." Hofstallungen, in denen Graf Grünne, das Belvedere, in dessen Kunstschätzen der Galeriedirektor den Führer macht, Praterfahrten, Zirkus, Schön­ brunner Menagerie, Stephansdom, Atelierbesuche bei Fernkorn, dem als Schöpfer des Erzherzog-Karl-Denkmals Llliencron einen Meininger Orden zu bringen hatte, werden ausführlich erwähnt: Besprechungen mit Rechberg und dem Chef der deutschen Angelegen­ heiten im Auswärtigen Amt, nur gestreift, desto angelegenllicher mit dem Herzog weiter beredet, den Llliencron im Sommer wiederum nach Ems zu begleiten hatte. Seinen Freimut bewies dort der Kabinettsrat, als ihm der Herzog verdrießlich eine Korrespondenz der Allgemeinen Zeitung aus Meiningen zeigte: „Ungemeines Auf­ sehen macht die Pensionierung des Appellationsgerichts-Präsidenten von Fischern in Hlldburghausen. So groß der Einfluß dieses Mannes bisher war, so klein war das Vertrauen des Landes zu ihm. Seine Beseitigung hat eine Schranke zwischen Fürst und Volk niedergelegt." Den Ailftrag des Herzogs, eine von dem Fürsten selbst verfaßte Mllderung dieser Kritik der Allgemeinen Zeitung zu senden, konnte Llliencron nicht abweisen: unumwunden und scharf begründete er aber dem Fürsten gegenüber, weshalb und wodurch dieser Günst­ ling ein Verhängnis geworden, und seine Voraussicht erfüllte sich, da die Allgemeine Zeitung die versuchte „Rettung" nicht brachte. Der Zwischenfall hatte keine schlimmen Folgen. Llliencron studierte sich tiefer in Uhlands Bolkslieder-Ausgabe und Grundtvigs dänische Sammlung hinein, verkehrte mit der Badegesellschaft, zu der auch die Famllie des Badedirektors Graf Bismarck gehörte. Ungemeinen Eindruck machte ihm die Todes­ nachricht der Frau Liedtke, die in erster Ehe Frau HoppL und

als Mädchen Clara Stich geheißen hatte, die Tochter der Crelinger. Er besuchte den Witwer, um sein Beileid auszu­ sprechen : „Es hat mich doch tief bewegt," schrieb er seiner Gattin. „Hinter der langen Reihe von Jahren trat meiner Er­ innerung so deutlich und mit so frischen alten Farben die alte Clara Stich hervor. Wir bleiben den Menschen, die wir und die uns lieb gehabt haben, doch immer so unendlich schuldig, schuldig für das Beste in unserem Wesen. Wie hat sie in den gefährlichsten Jahren den idealen Schwung meines Wesens erhalten, genährt, gekräftigt und damit zu dem Kapital beigesteuert, von dem ich mit Gottes Hilfe bis ans Ende zehre. Und Du kannst, wenn ich auch in aller Erinnerung einen Augenblick schwärme, indem eben die fremd­ gewordene Frau Hopps und die fremdere Frau Liedtke vor dem alten Bild, welches sie mir zu verdecken schienen, wie Nebel ver­ schwinden — Du kannst mir die kleine Schwärmerei ohne Eifer­ sucht gönnen, süße Frau, denn jenes Kapital gehört mit zu der Kraft, mit der ich dich liebe." Der anschließende Sommeraufenthalt in Allenstein brachte, von Harbou geheimnisvoll angedeutet, an demselben 7. August aber von den Zeitungen gemeldet, dem Herzog nicht überraschend, die große Neuigkeit, der Kaiser von Österreich habe unmittelbar nach der Rückkehr von Gastein eine Einladung an alle Bundesfürsten erlassen, am 16. in Frankfurt mit ihm zu einer persönlichen Beratung der Bundesreform zusammenzutreffen. LUiencron, der nie mit dem Nationalverein gegangen war, begrüßte die Nachricht mit hohen Er­ wartungen. Bom ersten Augenblick allerdings begierig zu hören, ob der König von Preußen zu diesem Frankfurter Fürstentag kommen werde, den LUiencron mitmachte und seiner Frau als Augenzeuge beschrieb. Warmfühlend schUdert er den Vollsjubel, die Auffahrt und jauchzende Begrüßung der (Bismarck spottete: weißgekleideten) Fürsten, die Leitung der Verhandlungen durch Franz Joseph, die Sehnsucht der Besten nach Erfüllung des Einheitstraumes, „aber bisher behält, soweit meine Fühlhörner reichen, die Stimmung die Oberhand, daß nach dem Ausbleiben des Königs von Preußen ein Abschluß nicht mehr kommen könne." Von weiteren Minister­ konferenzen verhoffte sich LUiencron dagegen viel. „Eigentlich be­ schäftigt in der großen Sache selbst bin ich für jetzt nicht anders als

in gelegentlichem Gespräch. Ich glaube wohl, daß der Herzog bcnlt, ich dränge etwas zu stark vorwärts; es liegt aber auch in der Art, wie die Dinge hier gehen; ist auch gut so." „Man ist, so heißt es, zwischen Österreich und den Königreichen bereits übereingekommen, welche Punkte der Reform — natürlich die obersten Hauptsätze, die das großdeutsche Programm, mehrköpfige Exekutive, Staatenbund, nicht Bundesstaat feststellen —, jetzt von den versammelten Fürsten anzunehmen wären; ich glaube nicht, daß das trotz auseinander­ gehender Meinungen und Interessen der Kleinen erhebliche Schwierig­ keiten finden wird, denn noch ist Österreich Herr der Situation und wird schon so manövrieren, daß es diese Situation möglichst ausbeutet zugunsten dessen, was es will. So weit die Fürsten, neben denen gestern der .Abgeordnetentag. auf die Szene trat." Lilien cron wohnte ihrer Verhandlung von 10 bis 6 Uhr auf der Tribüne bei. Sämtliche Führer des Nationalvereines waren da. Häusser als Berichterstatter. Die von Bennigsen meisterhaft geleiteten Ver­ handlungen schlossen nach Liliencrons Auffassung damit, daß der Nationalverein sich „so toeit" geneigt erklärte, unter Änderungen nach Seite des Parlamentarismus hin und unter Vorbehalt einer An­ nahme durch die Konstituante das Projekt als eine Abschlagszahlung anzunehmen und so weit und bis auf weiteres auf die konsequente Geltendmachung seines Prinzips Verzicht leisten zu wollen. „Dem Kaiser wurde übrigens in der Debatte mehrmals zu verstehen gegeben, daß bei dieser Partei gegen die nötigen Konzessionen die deutsche Kaiserkrone auch für ihn zu haben sein werde. Und Gott allein weiß, ob dies nicht die letzte Karte ist, die Österreich als ä tont in der Hand hält." Liliencron selbst war, als er Frankfurt am 1. September verließ, der Ansicht: „Die Würfel find gefallen, und wenngleich, wie vorauszusehen war, in den letzten Tagen nicht alle mitgegangen sind, so ist gleichwohl das vorläufige große Ziel als erreicht zu betrachten." „Die verbündeten Fürsten haben die ganze Reformakte, so wie sie aus der Beratung hervor­ gegangen ist, angenommen. Sie haben sodann, den Kaiser an der Spitze, ein Schreiben an den König von Preußen gezeichnet." „Jeder hat das sichere Gefühl, daß Österreich mit gleichem Mut und Ge­ schick die Sache weiterführen wird, und daß es sein Ziel erreichen will. Uber die persönlichen Eigenschaften des Kaisers, dessen ein-

sichtiger Leitung das Resultat in erster Linie zu danken ist, gibt es nur eine Stimme größter Anerkennung. Gott gebe seinen Segen!" Der Krieg gegen Dänemark im folgenden Jahr endete nach Liliencrons Ansicht damit, „daß den Herzogtümern das zuteil wird, was sie seit dem Beginn des ganzen Streites als ihr volles Recht betrachtet und auf dessen vollständige Erlangung noch vor kurzem wohl wenige zu hoffen wagten. Dänemark hat die Geschichte mit den Sibyllinischen Büchern wiederholt und Überboten". Vor Kriegs­ ausbruch war Liliencron gleich nach dem Tode König Friedrich VII. von Dänemark 1863 mit Genehmigung von Herzog Bernhard auf einige Wochen nach Gotha zur Beratung mit dem Herzog von Augustenburg gegangen. Harbous Sohn fiel als Leutnant beim Sturm auf die Düppeler Schanzen, als preußischer Leutnant. Beide Male, in seiner Beurteilung des Ausgangs der deutschen Bundesreform auf dem Frankfurter Fürstentag, wie der Folgen des Feldzuges gegen Dänemark, hatte Liliencron mehr mit dem Herzen, als mit kühler Staatsraison geurteilt. Der selbständige Denker, der aus Ems 1864 seiner Frau sehr bedeutende Ideen über Glaubensfragen, über die Notwendigkeit einer neuen Reformation zur Einigung von Wissenschaft und Religion entwickelte; der Forscher, der im September 1865 den ersten Band seines monumentalen Werkes „Historische Volkslieder" mit einer stoffreichen, gedankenvollen Einleitung veröffentlichte, mußte als Vertrauensmann seines Herzogs und als ehrlicher deutscher Patriot im Krieg von 1866 durch schmerzenreiche Erfahrung die Probe auf seine nicht mit Sieg gekrönte Politik machen. Im August 1865 wurde der Preuße Krosigk, der den Fürsten­ tag verblüfft, anfangs ohne Verständnis für dessen eigentliche Bedeutung über sich hatte ergehen lassen, von dem Meininger Uttenhoven abgelöst. Der Kurs der vom Herzog allein be­ stimmten auswärtigen, Österreich zugeneigten Politik erfuhr da­ durch keine Ändenmg. Im März 1866 begab sich Liliencron als Sendbote Bernhard Erich Freunds nach Wien. „Die Hoffnung auf Erhaltung des Friedens, indem Preußen schließlich doch vor der letzten Entscheidung zurückweicht, ist nicht ganz aufgegeben; in der Hauptfrage wird man hier nicht weichen. Daß Bismarck selbst den Krieg will, scheint ziemlich unzweifelhaft, zweifelhaft Bettelhetm, R. v. Liliencron. 9

aber, ob die auswärtigen Chancen (trotz Italien!) günstig genug sind, daß es ihm wirklich gelingt, den 69 jährigen König zu dem letzten verhängnisvollen Schritt mit fortzureißen." über den In­ halt jener Verhandlungen Liliencrons mit Graf Mensdorff und Biegeleben sind, solange die Wiener und Meininger Archive für diesen Zeitraum verschlossen bleiben, genaue Angaben unmöglich, und in der offenbar in Hauptpunkten von Liliencron selbst überprüften auf­ schlußreichen Würdigung des Herzogs von Meiningen Bernhard Erich Freund aus der Feder von W. Germann in der Allgemeinen Deutschen Biographie wird angedeutet, daß der Schleier über diesen Vorgängen vielleicht bei einer Säkularfeier von Bernhards Geburt gelüftet werden dürfte: das ist aber weder 1900 noch seither geschehen. Desto will­ kommener ist das Zeugnis, das Liliencron schon beim Tode des Herzogs, 1882, in einem Privatbrief an den Historiker Wegele abgab: »Ich gedenke seiner in treuer Dankbarkeit für viele gute Tage und für vertrauensvolle und warme freundschaftliche Gesinnung, die der sonst leider so von Mißtrauen geplagte und in sich verschlossene Herr mir in guten und bösen Tagen gehegt und bis zuletzt bewahrt hat. Als Regent war er viel, viel besser als sein Ruf, wenigstens der Ruf der letzten Regierungsperiode. Was er durch eigene Ein­ sicht und in der Ausübung wahrer Regententugenden in der Zeit von 1825 bis 1848 geschaffen hat, das wird die Geschichte seines kleinen Ländchens in unvergänglicher Dankbarkeit bewahren. Wenn man sagt, er sei 1866 als Opfer undeutscher Gesinnung ge­ fallen, so ist das eine schnöde Entstellung. Er fiel als Opfer seiner ehrlichen und auf die Geschichte der deutschen Dinge gebauten Über­ zeugung, daß die Besserung der deutschen Zustände nur durch ein­ trächtiges Zusammengehen Österreichs und Preußens und dem­ entsprechende dualistische Gestaltung der Bundesbehörde erreicht werden könne. Seine eigenen Reformvorschläge waren nur der Form nach eine Triaskonstruktion. In dem von Preußen unter­ nommenen Kriege glaubte er nur allseitiges Unglück, die Einmischung des Auslandes und den.Untergang Preußens vorauszusehen. Als er n a ch ausgebrochenem Kriege seine Parteistellung nach solchen Überzeugungen festhielt, zweifelte er schon nicht mehr, daß er sich selbst zunächst dabei opfere. Er hat mir das in der Stunde der Ent­ scheidung mit dürren Worten ausgesprochen."

Der Fehlschlag des Fürstentages und hernach Preußens Haltung gegen den Augustenburger hatten Herzog Bernhard verstimmt. „In Berlin war", nach der Darstellung der Allgemeinen Deutschen Biogra­ phie, „mißliebig vermerkt, daß der Herzog als Agnat förmlich gegen die Koburger Militärkonvention protestiert hatte und von allen Thüringer Kontingenten «Nein der Meininger sich nicht den preußischen Truppen­ übungen anschloß." Zornige Reden des Herzogs über die Ver­ drängung der sächsischen Truppen aus den Elbherzogtümern, auch alle Zeitungsstimmen wurden in Berlin kontrolliert und hi sein Schuldbuch geschrieben. Beim Zerwürfnis der beiden Großmächte neigte sich Herzog Bernhard, wiewohl ihm König Wllhelm selbst schrieb, sofort Österreich zu, durch das er den Bund gesichert glaubte. Der Augustenburger mit Staatsrat Samwer wellte vom 13. bis 15. Juni 1866 im Meininger Schloß. Bei der Abstimmung des Bundestages, 9 für, 7 gegen Österreich war in der 12. Kurie Meiningen von den drei anderen sächsischen Fürsten, Koburg, Weimar, Altenburg, über­ stimmt worden, seine Stimme galt also für Preußen. Das Kon­ tingent des Herzogs von Meiningen ließ nur eine Ersatzkompagnie zurück und ging zufolge einstimmigen Bundesbeschlusses vom 6. Juni nach dem neutralen Mainz. Der Herzog konnte somit über seine Truppen nicht verfügen. Preußen erklärte, Meiningen nicht schützen zu können. Es stand den Bayern offen. Bon Preußen erging keine Sommation, keine Kriegserklärung, auch die diplomatischen Be­ ziehungen erfuhren keinen Abbruch. Der Herzog hatte trotzdem Ge­ fangensetzung durch die Preußen zu besorgen und flüchtete nach Völkershausen, dann nach Bamberg. Llliencrons Frau war wieder wie in früheren Jahren zum Sommeraufenthalt in der Fasanerie bei Meiningen, einem reizend im Wald gelegenen herzoglichen Jagdschloß; er selbst schrieb ihr am 21. Juni aus Meiningen: „Ich habe mir unterwegs überlegt, daß man auch bei Elle nichts Überellen soll und ich dich nicht von den Kindern trennen will." „Bis jetzt ist kein Anzeichen, daß die Preußen wirklich kommen." Er glaubt nicht, daß sie den Werragrund besetzen werden. Deshalb mögen sie ruhig draußen bleiben. „Sobald es sich ändert, schicke ich den Wagen." Der Schwiegermutter schrieb er nach Kopenhagen am 9. Juli: „Louise war Freitag vor acht Tagen zur Stadt ge­ kommen, weil die Einquartterungen der bayerischen Armee, deren 9*

Hauptquartier einige Tage hier war, die Anwesenheit der Hausfrau nötig machten. Was irgend draußen an Bettzeug entbehrt werden konnte, ward mit hereingenommen. Die Kinder blieben mit Fräulein Lynge draußen; nur Ferdinand natürlich war hier. Wir gaben die ganze obere Etage für die Soldaten, deren durchschnittlich 16—20 000 pro Tag hier und in der nächsten Umgegend lagen, die jedesmal müde und hungrig ankamen; wir selbst wohnten und wohnen bis heute in den beiden unteren Stuben." Uber der Aufregung und Anstrengung hatte die Frau fast eine Woche hindurch anhaltende schmerzhafte Krämpfe. „Die bayerische Armee war bis dahin von hier in die Rhön fortgezogen und ward bei Roßdorf, einige Stunden von hier, auf ihrem rechten Flügel angegriffen. Das lebhafte Ge­ fecht, dessen Kanonendonner uns so nahe war, währte bis zum Abend. Wir konnten vom Haus nicht fortgehen, denn, wenigstens nach der fieberhaft aufgeregten Phantasie der Stadt, mußte sich der Kampf, wenn die Bayern geschlagen wurden, hierherziehen. Gewisser aber war noch, daß ein Teil ihres Rückzuges sich über die Fasanerie oder dran vorüberziehen mußte. Glücklicherweise be­ haupteten sich aber die Bayern, so daß alle jene Phantasien un­ erfüllt blieben." Gleich nachher, „bald Bayern, bald wieder Preußen in Meiningen, auch beim Herzog im Schloß, doch nur die auf dem Roßdorfer Schlachtfelde nach dem Treffen vom 4. Juli herrenlos gefundenen Podewilsgewehre der Bayern wurden beschlagnahmt." Die Schlacht von Königgrätz war geschlagen. Herzog Bernhard sandte ein würdiges Unterwerfungsschreiben nach Nikolsburg. Die Herzog Bernhard höchlich überraschende Antwort König Wilhelms lautete: „Wenn ich den Nachrichten, die zu mir gelangt sind, trauen darf, würden Ew. Hoheit beabsichtigen, die Regierung dem Erb-. Prinzen zu übertragen, und ich würde dies unter den obwaltenden Umständen begreiflich finden." An eine Abdankung war aber bisher in Meiningen nicht entfernt gedacht worden. Ein erster Sendbote des Herzogs an König Wilhelm, Oberst Buch, wurde freundlich an Bismarck gewiesen, der sich schroff aussprach, und Savigny, einem früher bei Herzog Bernhard beglaubigten, in Un­ frieden geschiedenen preußischen Gesandten in Meiningen, das Weitere überließ. Savigny erklärte, der Herzog könne bleiben, wenn er die reiche Grafschaft Kamburg sowie die schlesische Herrschaft Wangern

abtreten und drei Taler Kontribution für den Kopf zahlen wolle. Daraufhin gab Herzog Bernhard die Gegenerklärung, er wolle, um dem Lande keine Opfer aufzuerlegen, zugunsten des Erbprinzen abdanken. Auf die Bitte um kurze Frist zur Auseinandersetzung — der Erbprinz war nach Berlin gegangen, um „in kindlicher Liebe" die Übertragung der Regierung abzulehnen, — folgte am 15. Septem­ ber die Besetzung Meiningens durch ein westfälisches Regiment. „Wir haben hier noch schwere Zeiten durchlebt," schrieb Liliencron am 1. Oktober an Giesebrecht, „die meine eigene Tätigkeit mit absorbierte. Ich war nach Berlin geschickt, wo ich bis nach dem Vollzug des hiesigen Regentenwechsels bleiben mußte, und als ich nach Hause kam, war mein Zimmer von preußischer Einquartierung bewohnt. Persön­ lich allerdings mir sehr willkommen, denn ein freundlicher Zufall hatte u. a. Herrn von Druffel" — den Historiker — „in mein Haus geführt, der mir eine angenehme Bekanntschaft war und sich auch seinerseits angenehm überrascht fühlte, als er an meinen Büchern erkannte, daß er sich bei einem Kollegen befinde." Die Septembertage, die Liliencron in Berlin verlebte, gehörten nach seinem Bekenntnis zu den ärgsten, die er je durchgemacht. Herzog Bernhard hatte am 15. September an König Wilhelm ein Handschreiben gerichtet, in dem er sich zur Abdikation bereit erklärte. Borangehen müßte nur die Ordnung der Verhältnisse mit dem Thronfolger, „Vereinbarungen, deren Abschluß bisher vermöge vielfacher Anstände leider noch nicht hat erreicht werden können. Es handelt sich dabei um Dinge, welche die Ruhe der mir noch vergönnten Jahre bedingen, welche mir ans Leben greifen; und die Verhandlungen darüber schlagen meinem Baterherzen um so liefere Wunden, weil es mein Sohn ist, der mir dabei gegenüber­ steht." Der König möge von etwaigen Pressionen absehen, welche auf einen schnelleren Abschluß wirken sollen. „Schon ohnedies sind die Leiden, die ich in diesen Tagen zu tragen habe, so tief und bitter, daß ich zu Gott bitten will, Ew. Maj. vor ähnlichen Er­ fahrungen in Gnaden zu behüten. Ich habe meinen Geh. Kabinetts­ rat, den Kammerherrn von Liliencron, welcher um die Ehre bitten wird, dies Schreiben zu überreichen, in den Stand gesetzt, münd­ lich, wenn es gewünscht wird, nähere Auskunft über den Stand der Sache zu geben." Die Hoffnung, von König Wilhelm emp-

fangen zu werden, erwies sich als eitel. Die gleichzeitige Anwesen­ heit des Erbprinzen-Thronfolgers war Llliencron als Abgesandtem des Vaters peinlich. Der Jubel bei der Einzugsfeier erschien ihm begreiflich, die allgemeine Huldigung für Moltke gerechtfertigt, jeder Zweifel ausgeschlossen, daß „dieser Sieg wirklich die Grund­ lage einer neuen, folgenschweren Gestaltung gelegt hat." Wie die Dinge sich in betreff seiner Sendung im einzelnen abspielten, ergibt sich aus einem Brief Llliencrons an Herzog Bernhard, der in der „Denkschrift über die Abdikation Sr. Hoheit des Herzogs Bernhard zu Sachsen-Meiningen" — deren einziges erreichbares Exemplar mit nach langem Umfragen durch die Meininger Bibliothek zugänglich wurde — seinem ganzen Wortlaut nach abgedruckt wird: „Durchlauchtigster Herzog! Gnädigster Herr! Gestern Abend spät, nachdem das Telegramm an Ew. Hoheit abgegangen war, wurde ich noch zu Hr. v. Savigny ins auswärtige Ministerium beschieden und habe nochmals — es war das dritte Mal seit meiner Herkunft, daß ich ihn sah, — die ganze Sache mit ihm durchsprochen. Das Ergebnis war aber angesichts der entscheidenden heutigen Audienz bei S. M. dem König zu halb und schwankend, als daß ich den Büchsenspanner Böller mit einem Berichte heute morgen absenden konnte." „Ich muß leider mit der Be­ merkung beginnen, daß die Aufnahme, welche ich fand, mich anfangs völlig an irgendeinem Erfolg verzweifeln ließ und daß, wenn die Sache etwas besser steht — viel ist es nicht — das allein der Gesinnung Seiner Majestät des Königs zu danken ist. Ein Schreiben des Königs an Hr. v. Savigny, aus dem mir die Cardinalpunkte mitgetheilt sind, ist es, welches die Sachlage und den Ton meiner Ausnahme um etwas gebessert hat. Ob S. M., falls Sie ganz ungehindert nach eigenem Herzen handeln könnte, auch noch etwas weiter gehen würden, vermag ich natürlich nicht zu ermessen; das muß ich aber mit großer Bestimmtheit behaupten, daß eben auch der König nicht ohne Rücksicht auf den energischen Willen, welcher die Geschicke Preußens in dieser ganzen Katastrophe lenkt, handelt und daß darum jeder Versuch, noch etwas zu erlangen, von einer uner­ schütterlichen Mauer abprallen würde. Ich muß noch mehr sagen, und, wenn auch mit schwerem Herzen, ich sage es, weil in einem Augenblicke, wie dieser, nur die nackte Wahrheit frommt. Jeder Versuch, etwas anderes, als was jetzt der König vorschlägt, zu erreichen, würde Ew. Hoheit den schwersten Gefahren aussetzen. Was der König als letztes Mittel einer müderen Beendigung der Krisis bietet, ist nicht mehr ein Angebot, sondern ein unabwendbares Gebot, denn Ew. H. können es nicht ablehnen, ohne Alles zu risquiren: die militärische Besetzung würde unmittelbar in eine zwangsweise Durch-

führung des Regierlmgswechsels übergehen. G e s a g t mit nacktem Wort hat mir das zwar Niemand, aber ichweiß, daß es so ist und ich beschwöre Ew. H., meinen offenen Augen zu trauen. Ihre Sehkraft ist durch mein Herz und seine Treue gegen Ew. H. geschärft worden und mir ist nichts entgangen in den Unterredungen, die ich zum Theil mit leichtem Munde, aber mit blutender Seele geführt habe. In der ersten Unterredung hörte ich nur schroffste Abweisung, härteste Anllagen und Hohn; davon hier etwas zu wiederholen, hat keinen Zweck. Durch die zweite klang bereits der mildernde Einfluß des Königs durch, wobei jedoch, von allem Andern abgesehen, das Eine, daß die Truppen nicht Gegenbefehl erhielten, ehe die Abdication erfolgt und im Lande proclamirt sei, unerschütterlich feststand. Dieß u. A. ward mir auch aus vorerwähntem Brief S. M. vorgelesen. Daneben aber hieß es jetzt: Ew. H. seien während eines langen folgenreichen Lebens einer der treff­ lichsten Fürsten Deutschlands gewesen; ein wahrer Fürst, denn das Wol Ihres Landes sei Ihre Lebensaufgabe gewesen. Sie stünden darum in ehrenhafter Würde unter Ihren Mitfürstcn da und es fei zu wünschen, sei auch der ausgesprochene Wunsch S. M., daß der unvermeidliche Schritt so würdig geschehe, wie es dem langen Regentenleben entspreche. Dazu sei es nötig, daß er rasch geschehe, ehe der Zwang noch drückendere Formen annehme und ehe die Zeitungen Zeit erhielten, die Sache noch mehr ins Breite zu ziehen. Ehe eine Bermittlung geübt werden könne, sei und bleibe, wie in Betreff der Besetzungstruppen, so auch für alles Andere, die auf keine Weise hinweg zu bringende Vorbedingung, daß Ew. Hoheit Abdication erfolgt und publicirt sei. Der König erklärt nun ferner, er könne den Schiedsspruch aus ver­ schiedenen Rücksichten nicht übernehmen. Es wird also auch ein Commissär in der von Ew. H. beantragten Weise nicht nach Meiningen geschickt werden. S. M. wollen aber, um das Ihnen mögliche zur Schlichtung zu thun, mir heute für Ew. Hoheit folgenden Vorschlag thun: Ew. H. würde un­ verzüglich pure die Abdications-Urkunde vollziehen und publiciren; indem Ew. H. dieselbe Seiner Hoheit dem Erbprinzen mittheüen, sprechen Höchst Sie in dem begleitenden Schreiben aus: indem Sie die Regierung über­ trügen, unterwürfen Sie die Entscheidung über das für Höchst Ihre künftige „persönliche und financielle Stellung" zu treffende Arrangement dem Schiedsspruch desjenigen Schiedsrichters, welchen S. M. der König von Preußen dafür bezeichnen werde. Dann werde auf erhaltene Benach­ richtigung hierüber S. M. in erster Linie den morgen hier eintreffenden Fürsten von Hohenzollern, da Ew. H. zu demselben besonderes Zutrauen zeigten, ersuchen, den Spruch zu übernehmen, und derselbe würde dann, ohne weiteres contradictorisches Verfahren nach dem ihm vorliegenden Material hier den entscheidenden Spruch fällen. So wird nach dem­ jenigen, was ich bis zu diesem Augenblick (4% Uhr Nachmittags) erfahren habe, der Königliche Vorschlag lauten. Ich" bin gewarnt worden, Ein-

reden nicht zu versuchen und ich selbst sehe auch aus meiner jetzigen Kenntnis von demjenigen, was man hier will und was man nicht will, daß eS leine Möglichkeit mehr gibt, eine bessere Wendung zu erlangen. Ich wünschte, mit meinem Bericht bis nach stattgefundener Audienz zögern zu können. Da ich aber bis jetzt nicht befohlen bin, obgleich, wie auf meine Frage erwidert ward, S. M. vom Adjutanten erinnert sei, so kann ich nun erst nach der Tafel beschieden werden, und dann ist es zu spät, um bis zum Abgang des Zuges zu schreiben. Darum schreibe ich dies jetzt nieder und lasse auf alle Fälle Böller mit diesem Berichte heute Abend abgehen, so daß er morgen 10 Uhr in Meiningen ist. Rach stattgehabter Audienz kann und werde ich dann telegraphisch so viel sagen, ob etwas sich geändert hat oder die Sache so geworden ist, wie sie mir bis jetzt angekündigt ward und oben dargelegt ist. Es ward mir dabei der Wunsch ausgedrückt, ich möchte sofort nach der Audienz nach Meiningen eilen, um zu streben, daß kein Zwischenfall den Schaden größer werden lasse, und wie mir deutlich genug zu verstehen gegeben ist, daß dies das einzige und letzte sei, worauf S. M. eingehen werde. Indem ich diesen schmerzlichen Bericht schließen soll, wolle mein gnädigster Herr mir, dem es sonst zu raten nicht zukommt, die Gunst ge­ währen, daß ich es als das Recht einer außerordentlichen Lage betrachte, sagen zu dürfen, was ich meine. Meldet ein späteres Telegramm keine Änderung der Lage, so thun Ew. Hoheit die geforderten Schritte, wie schwer sie sein mögen, noch im Laufe des morgigen Tages, sie sind das einzige Mittel zur Wendung der unhaltbar gewordenen Lage und zur Verhütung schwereren Unglücks. Mir vergeben Ew. Hoheit diese Worte? sie fließen aus der Treue und Ergebenheit, welche Ew. Hoheit ich bewahren werde, so lange ich lebe.

In tiefster Ehrfurcht m . in ~ _ 1O„„ Berlm den 19. Sept. 1866.

Ew. Hoheit unterthänigster Diener v. Liliencron.

Eine Meldung über eine günstigere Gestaltung der Sache ging, wie die „Denkschrift über die Abdikation" fortfahrend bemerkt, nicht ein, und der Herzog erklärte dem hierzu versammelten Staats­ ministerium am 20. September (also einen Tag nach Absendung des Berliner Briefes an Liliencron), daß er bereit sei, die Abdikations­ urkunde zu vollziehen. Die Abdikation wurde sofort in Berlin telegraphisch angezeigt, worauf der König von Preußen noch am 20. September von Herzog Bernhard depeschierte: „Ich bedauere, daß Hoheit meiner Aufforderung nicht nachgekommen sind, jenen entscheidenden Schritt aufzuschieben, bis meine Vermittlung eintraf; ein Vermittler wird alsbald eintreffen, während ich Ew. Hoheit

Abdikation nunmehr akzeptieren muß." Die preußische Vermittlung wurde nicht erforderlich. Ferner schrieb König Wilhelm unter dem 22. September an Herzog Bernhard: er sei überrascht gewesen von der Nachricht der Abdikation, da er diesen Schritt, wie er mehrfach ausgesprochen, weder verlangt noch erwartet habe. Es sei ihm ein unnennbar wehmütiges Gefühl, daß er berufen gewesen, so Schweres über den Herzog und dessen Gemahlin herbeizuführen. Die Frage wie diese letzten Äußerungen des Königs von Preußen mit dem­ jenigen, was auf anderem Weg in betreff der Abdikation bekannt geworden war, vereinbar seien, sei — nach den Worten der „Denk­ schrift" — bis jetzt ungelöst geblieben. Liliencrons Brief scheint dem unbefangenen Leser die Erklärung vorwegzunehmen: der König neigte persönlich milderen Entscheidungen zu als Bismarck und Savigny. Nur der Rücktritt Herzog Bernhards bewahrte Meiningen vor Einbußen an Land und Leuten, vor ansehnlichen Kriegsentschädi­ gungen. Unversehrt und ungeschwächt ging das Herzogtum auf den Erbprinzen Georg über. Die preußischen Truppen wurden auKambnrg und Meiningen zurückgezogen, die mit Beschlag belegten meiningischen Domänen und Landesrevenuen von Preußen restituiert, und Herzog Georg konnte auf gleicher Grundlage wie die übrigen thüringischen Regierungen den Anschlußvertrag mit Preußen ein­ gehen dergestalt, daß Sachsen-Meiningen ohne Gebietsabtretung und ohne Kontribution in den Norddeutschen Bund eintrat. Herzog Bernhard Erich Freund sagte in seiner Abschiedsansprache an seine getreuen Meininger: „Das eiserne Geschick unserer Tage hat auch uns betroffen. Ich trete heute von der Regierung des Landes zurück, das ich 45 Jahre lang mit Liebe und Treue regiert habe. Ich tue es schmerzlich und tief bewegt; ich hatte gehofft, bis ans Ende meiner Tage euer Herzog zu bleiben, und nur um euch vor schweren Opfern zu bewahren, die ich auf andere Weise von euch und dem Lande nicht abwenden konnte, entschloß ich mich dazu. Die Re­ gierung geht auf meinen Sohn über, dem Gott beistehen möge auf seinen schweren Wegen. Derselbe tritt mit rüstiger Kraft in die neue Zeit und wird sich ihr besser anzupassen verstehen, als mir es möglich wäre." „Mir ist unter diesen Umständen alles recht und einerlei," hatte Liliencron seiner Frau nach Meiningen geschrieben, als er ihr empfahl,

die Einquartierung in seinem Arbeitszimmer unterzubringen. „Gott weiß, was für uns nachkommt. Auf diese Gedankenreihe will ich aber jetzt nicht eingehen." Rach der Thronbesteigung von Herzog Georg durfte er sich dieser Zukunftssorgen nicht entschlagen. Im Oktober wurde er zwar nach Sondershausen und Greiz geschickt, um den Thron­ wechsel zu notifizieren, in aller Stille meldete er sich aber im Dezember persönlich beim König von Sachsen und bewarb sich um den dort erledigten Posten des Hoftheaterintendanten. König Johann vertröstete ihn, und Liliencron merkte bald, daß in Dresden aus­ giebig imb erfolgreich — vermutlich sogar von angeblichen Gönnern und Fürsprechern seiner Kandidatur — gegen ihn gearbeitet werde. Der neue Wirkungskreis, der ihm vom Herzog Georg im Mai 1867 zugewiesen wurde, die Leitung der Bildergalerie, war offenbar keine Erweiterung seiner Dienstpflichten. Es währte noch eine Welle, bis ihm nach anderen, noch trüberen Erfahrungen außer Zweifel stand, daß seines Bleibens nicht mehr in Meiningen war, und daß ihm, wie Wilhelm von Humboldt, Niebuhr, Bunsen nach dem Abschied von den Staatsgeschäften Hell und Trost nur in wissenschaftlicher Arbeit übrig blieb.

VI. Die historischen Volkslieder der Deutschen. Die Anfänge der Allgemeinen Deutschen Biographie. Dem Kriegsjahr 1866 folgten keine Friedenszeiten für Lllien-

cron. Seine wissenschaftliche Hauptarbeit, die „Historischen Volks­ lieder", erfuhren wohl kaum einen Aufschub: dem zweiten Band, dessen Vorwort vom 19. Juli 1866 datiert war, folgte 1867 der dritte, den der Unermüdliche am 30. September abgeschlossen hatte; trotz aller Ablenkungen und Anfechtungen brachte er das grund­ legende Werk beständig vorwärts und 1869 zu gedeihlichem Ende. Daheim und auf unerläßlichen Studienreisen steigerte sich wennmöglich sogar sein Eifer; insbesondere die von Chrysander im ersten Band vermißten Weisen seiner Lieder, die musikhistorischen, bis dahin wenig durchforschten Elemente seiner Stoffmassen ergründete er mit unablässig wachsender Arbeitsfreudigkeit. Die Fähigkeit, auf solchen damals noch selten betretenen Wegen die rechten Führer zu finden, war nicht nur glücklicher Instinkt: auf diesem und auf jedem anderen Gebiete war der große Gelehrte jederzeit bereit, wenn es not tat, bei noch so unscheinbaren Leuten in die Schule zu gehen, wenn sie ihm just in der Kenntnis von Nebendingen über­ legen waren. Und weil ihm Dünkel so fremd war, wie freiwillige oder unfreiwlllige Beschränkung auf seine mit strenger Methodik behandelten Fachaufgaben, fand er Zeit, in Kunst und Leben froh zu genießen, was-Tag und Stunde gerade bescherten. Wiederum spiegeln sich seine Stimmungen und Erlebnisse während der kritischen Übergangsjahre 1867 und 1868 in den Briefen an seine Frau, die monatelang in Kopenhagen bei ihrer Familie wellte. Wie von seinen wissenschaftlichen, künstlerischen und geselligen Eindrücken gibt er ihr zugleich Kunde von Plänen, die er allein und mit hilfsbereiten Freunden für die Zukunft ins Auge faßte; denn ungeachtet aller äußerlichen Freundlichkeit des Herzogs, auf dessen Wunsch er als

Hofkavalier der Herzogin die Badereise nach Ems mitmachte, fühlte er, daß der Boden in Meiningen nicht mehr sicher für ihn war. Im Februar 1867 begibt er sich zunächst nach München, wo er vormittags fünf Stunden auf der Bibliothek, dann im Gasthof weitere vier Stunden arbeitet; er besucht Pocci, Heyse, Giesebrecht. Baden­ stedt ist nach Meiningen umgezogen, wo er bald mit der Leitung des Hoftheaters zu tun haben wird. Liliencron, der für diese Tätig­ keit jedenfalls der näher Berufene gewesen wäre, hat eine Weile daran gedacht, nach dem Fehlschlag in Dresden um die Intendanz der Münchener Hofbühnen sich zu bewerben.. Allein was er von den dortigen Verhältnissen, dem Druck der Wagnerianer, der Will­ fährigkeit der augenblicklichen Leiter hört, macht ihn stutzig, so daß er sich nicht entschließen kann, von seinen eigenen Wünschen etwas verlauten zu lassen. Auch mit Weimar ist es nichts. „Unter 2000 Talern könnten wir nicht hingehen. Die anderen Schwierig­ keiten würden mich weniger schrecken. Schwierig und unangenehm ist jede Stelle dieser Art, und aus manchen Rücksichten würde ich ein kleines Theater für den Anfang mit mehr Ruhe übernehmen." Der Humor verläßt ihn nach diesen ersten Enttäuschungen nicht. Er geht nach Zwickau, wo der dienstfertigste Bibliothekar, der Robert Schumann ähnelt, der „gleichfalls Zwickauer" war, ihm in das spieß­ bürgerlich kleinstädtische Wirtshaus „Zur Tanne" Korb um Korb der begehrten Sammelbände sendet, Fundgruben für das 16. Jahr­ hundert, die Liliencron nicht an einem Tage ausschöpfen kann, ob­ wohl er unausgesetzt von 8 bis s-6 Uhr liest, schreibt, vergleicht. Im Juni ist er wiederholt Gast von Herzog Georg auf Lieben­ stein; „der ist wie in guten alten Tagen". Abends liest Liliencron Fritz Reuter: „Woans ik to ne Fru kam". Herzog Georg ist nicht ans Plattdeutsche zu bringen, so gut ihm Reuter, der zweimal zu Tisch da war, persönlich gefiel. Unterwegs nach Ems, geht Lilien­ cron auf eigene Hand zu Reuter, den er auf seinem Balkon sitzend fand. „Rach wenigen orientierenden Worten nahm er mich höchst freundlich und gemütlich auf. Die Frau, die mich hereingebracht hatte — ich sagte ihr, ich vermutete, daß sie .min leve Fru' wäre —, eine sehr angenehme Erscheinung, war die Dritte im Bunde. Er hat das Gepräge von kluger, heiterer, gutmütiger Laune und Lebe­ lust; ein Gesicht, was man trotz seiner abscheulichen Rase nicht schelten

VI. Histor. Volkslieder d. Deutschen. — Anfänge d. Mg. Deutschen Biographie

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möchte, well es so gut und klug ist. Allerdings etwas vertrunken. Damals aber war er so nüchtern, wie ein neugeborenes Kalb. Sie wollten mich zu Tisch behalten, was ich aber ablehnen mußte. Wir unterhielten uns über plattdeutsche Sprache und Schreibung, über die historischen Figuren in seiner Erzählung." „Auch auf Bräsig und Reuters Ärger über die Berliner Reise, aus der ihm selbst der rechte Bräsig erst herausgewachsen, kam er in diesem Zusammen­ hang zu sprechen. Dafür wollte er aber auch mal die Geschichte von den drei Brauten erzählen; er liebe zwar solche Wiederholungen nicht, aber ihm käme immer vor, als wenn er feinen Lesern schuldig wäre, ihnen dieses Bräsigsche Geheimnis gelegentlich noch mal zu verraten. Die kurze Stunde war im Fluge hingegangen, und ich schied unter der freundlichen Einladung, bald und auf länger wieder­ zukommen. Mit den BUdern zu seinen Werken war er wenig und die Frau noch weniger zufrieden." In Ems ist er stetig Tischgast der Herzogin; im Verkehr mit dem Gefolge König WUhelms I., von dem ihm noch nicht bekannten Graf Perponcher, Graf Lehndorff usw. so wohl ausgenommen, wie von dem aus alten Zeiten der Schleswig-Holsteiner Kämpfe von 1848 bis 1850 ihm wohlvertrauten Prinz Woldemar, Wrangel usw. König WÜhelm ladet, als er hörte, daß sie keine Bllletts zu Levassor be­ kommen, auf seine Plätze ein, und ein Diner, das in Koblenz zu Ehren des Sultans gegeben wird, macht Liliencron an der Königlichen Tafel mit, höchlich erheitert durch Tracht und Haltung des Großherrn und best kleinen türkischen Prinzen, den die Damen so lange mit Bonbons überfüttern, bis er seekrank wird. Außer der Hofchronik wird Jaques Offenbachs, der als Gast in Ems gelegentlich seine Operetten dirigierte, vor Allem aber der Arbeit an den Liedern gedacht, die zu sinnreichen, unbedingt zu Luthers Gunsten ausschlagenden Parallelen mit Zwingli Anlaß gibt. Und Gustav Freytags „Verlorene Handschrift", die er im Wald zu lesen begonnen und anfangs wesentlich nur ihrer lebens­ treuen Professorenporträts wlllen gelten ließ, erscheint ihm zuletzt viel belangreicher, als er vorausgesetzt: die tragisch ansteigenden Begebenheiten, der Größenwahn an kleinen Fürstenhöfen weckte wohl manche Gedankenverbindungen. Den Oktober verlebte der Forscher wieder in München. „Heyse

142 VI. Hifior. Volkslieder d. Deutschen. — Anfänge d. Allg. Deutschen Biographie.

ist ein liebenswerter Mensch, rein, kindlich, ideal, reich an Geist. Line Natur, die in manchem Betracht an Mendelssohn erinnert." Mit den Gelehrten im Hause Giesebrechts verbrachte er gute Zeiten. Weniger willkommen war ihm Konrad Hofmann, „die lebendige Chronique scandaleuse der deutschen Gelehrtenwelt; alle Personalien, aller Zwist und Stank ist ihm bekannt", dabei so unaufhaltsam in seinem Drang, all das mitzuteilen, daß er Liliencron in seiner Arbeit oft stundenlang störte. Den entscheidenden Gewinn dieses Münchener Herbstaufenthaltes sollte der Musikfreund und Musikforscher davon­ tragen. In seinem bescheidenen, gutbürgerlichen „Gasthof Munkert" horchte er hoch auf, als eine neu eingezogene junge Pianistin zu üben anfing: es war Sophie Menter, mit der er in Gesellschaft ihrer Mutter manchen frohen Abend verlebte. Auf der Bibliothek aber machte er „den ganzen musikalischen Katalog durch, um die alten Liederbücher zu finden, auf die es ankommt, und die in staunens­ werter Menge da sind, darum staunenswert, weil sie den Beweis liefern, in welchem Umfang damals das Publikum den Gesang kultiviert hat": ein Kapitel, das Liliencron hernach in den Historischen Volksliedern eindringend mit Proben belegte. Neben diesen ge­ druckten Wegweisern entdeckte Liliencron auf der Bibliothek noch einen leibhaftigen: „Im Zimmer neben mir arbeitet ein junger Geist­ licher in alter Musik, der Haberl heißt, Musikpräfekt in Passau ist und im Begriff steht, zu kirchenmusikalischen Zwecken auf zwei Jahre nach Italien zu gehen. Ich hatte ihn schon einige Male interpelliert und immer eine so ausgezeichnete Antwort gefunden, daß' ich ihn heute darauf anredete, ob er mir nicht in Hauptsachen (Schlüssel, Notenschrift, Kirchentöne usw.) einige Aufschlüsse geben könne. Er orientierte sich rasch über meine Arbeit und setzte sich freundlich zu mir, um mir eines der Lieder aufzulösen in heutige Schreibart und in Partitur zu setzen, weil ich's auf diese Art praktisch am schnellsten lernte. Dann hat er mir nachmittags noch in seiner Wohnung zwei Stunden lang das Notwendigste erläutert und mich auf diese Weise prächtig gefördert. Das sind die Leute, die diese Dinge wissen, well sie sie fortwährend in der Kirche noch praktisch üben." Liliencron faßte die Lehren Haberls so rasch, daß ihm der, als er sah, daß er eine komplizierte Tonart richtig bestimmte, sagte: »Ja, ja, ein kleines Licht macht ein ganzes Zimmer hell." Zum

VI. Histor. Bolkslieder d. Deutschen. — Anfänge b. Allg. Deutschen Biographie. 143

zweiten Male wurde München also richtunggebend für Liliencrons musikgeschichtliche Kenntnisse. Wie 1852 die Messen der Michaels­ kirche, wirkten 1868 die Winke Haberls, der ein Menschenalter später sein Mitarbeiter an den Denkmälern der Tonkunst werden sollte, entscheidend für alle Folge seiner literarischen und liturgischen Auf­ fassung dieser Dinge. Im Frühjahr 1868 kam Liliencron nach Berlin. Droysen und die Seinigen begegneten chm mit alter Freundschaft; der politischen Meinungsverschiedenheiten wurde — und das war vielleicht der stärkste Beweis der unveränderlichen Borliebe Droysens für Lilien­ cron — mit keinem Worte gedacht. Müllenhoff hatte die Freude, Liliencron nicht allein selbst warm wMommen zu heißen: er lud ihn zusammen mit Scherer, „wohl unter den jüngeren Germanisten der bedeutendste. Ein schöner junger Mann mit prachtvollem Kopf, höchst geistvoll und ebenso liebenswürdig heiter als guter Österreicher. Müllenhoff, der ihn herzlich liebt, meinte, er wäre gestern ungewöhn­ lich still gewesen, well er mir das Wort lassen wollte oder weil er die Nacht bis drei getanzt hätte." Sehr ernst brachten die Freunde aus freien Stücken Liliencrons kommende Lebensstellung zur Sprache. Meiningen schien ihnen keine Gewähr der Dauer zu verheißen. Einen Augenblick schien es, daß er Oberbibliothekar in Wolfenbüttel werden könnte. Das hätte Llliencron gelockt. Das von Lessing angebahnte Werk sei von seinem Nachfolger nicht vollendet worden: „Man meinte hier, es müsse darum ein richtiger, deutscher, stupider Gelehrter dahin; das bin ich nun frellich gottlob nicht, aber ich denke, ein Mann, der einen raschen Blick, allgemeine Orientierung und einige Kühnheit im Bauen hat, wird auch, ja wird vielleicht sicherer hinreichen, und das sind Eigenschaften, die ich mir nachsagen darf." Es war ihm nicht beschieden, die Richtigkeit dieser Selbstcharakteristik in Wolfen­ büttel zu erweisen. Er war auch ein wenig überrascht, als ihm Droysen zwei weitere Ämter vorschlug: eine Stellung im preußischen Kultusministerium (die Llliencron sofort verwarf) oder an Stelle des durch einen Schlaganfall dienstunfähigen Olfers die General­ direktion der Museen; da Llliencron stutzte, meinte Droysen: er fei nicht darauf vorbereitet, aber völlig dafür geschaffen. DroysenK drittes Projekt lautete, sonst wüßte er nichts Passendes als ein

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Universitätskuratorium. „Ich teilte ihm natürlich mit, was in dieser Beziehung vorgegangen und sagte, daß ich selbst nichts lieber wünschte." Wohl möglich, daß in Jena schon damals Liliencrons Nachfolge für Seebeck in Erwägung gezogen wurde. Herzog Georg von Meiningen wußte vermutlich von der Sache. Sein Wort sollte 1868 den Ausschlag geben, ob Liliencron noch weiter in Meiningen bleiben könnte, sein Beto 1875 Liliencrons von den drei anderen Nährvätern der Universität (Weimar, Koburg, Mtenburg) gebilligte und gewünschte Berufung zum Jenenser Kuratorium vereiteln. Schon beim Abschiedsbesuch der Baronin Liliencron im Jahre 1867 hatte Herzog Bernhard zu seiner Gemahlin gesagt: „Die kommen uns nicht wieder." Und Liliencron selbst sah seit der Ab­ dankung des alten Herrn, daß er auf Fortbestand der bisherigen Bertrauensstellung nicht werde bauen können. Als er nun aber Mitte April 1868 wieder nach Meiningen kam und, wo er sich zeigte, mit Freudenrufen und ausgebreiteten Armen begrüßt, auch von Unbekannten unter Bürgern und Handwerkern auf der Straße herzlich angesprochen und durch Zeichen ehrlicher Hochachtung gerührt wurde, fiel ihm die Entscheidung schwerer, als er das geahnt. „Es sind Tage, die an der Seele arbeiten," schreibt er der Frau, der er Schmerzliches zu melden hat. Er sieht eine dunkle Zukunft vor sich, hat wenig Vertrauen auf schnelles Gelingen anderer Pläne. Aber „solange wir zusammen sind und zusammen tragen, wird immer noch der innerste Kern unseres Glückes gerettet sein, und Gott wird neue grüne Sprossen schicken, wenn der Nachtfrost die Blätter fallen läßt". „Wenn Dein nächster Brief zustimmt, so schreibe ich dem Her­ zog, der schon nach Italien abgereist ist, mein Abschiedsgesuch." Am 21. April ging Liliencrons Brief an Herzog Georg, und am 24. April 1868 willfahrte dieser in seiner aus der Villa Carlotta am Comer See datierten Antwort. „Wenn zur Gewinnung einer neuen Stellung meine Hilfe Ihnen nützlich sein kann, verfügen Sie über mich. Bon Herzen wünsche ich, daß Sie einen Ihrem Können entsprechenderen Wirkungskreis finden mögen, als der war, der Ihnen bei uns geboten war." Herzlichste Grüße, auch im Namen der Her­ zogin, sendet Herzog Georg der Baronin Liliencron, und mit ihm will er sich im Sommer in Liebenstein weiter aussprechen. Das Regierungsblatt veröffentlichte in einem Dekret vom 2. Mai 1868

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die nachgesuchte Entlassung „unter Anerkennung seines bisherigen ausgezeichneten und treuen Wirkens und gleichzeitiger Verleihung des Komturkreuzes II. Klasse des Herzoglich Sachsen-Ernestinischen Hausordens". In der Residenz wurde weit über den Hof-- und Freundes­ kreis hinaus Liliencrons Rücktritt lebhaft beklagt; „niemals soll in Meiningen wieder ein Haus gewesen sein, in dem eine so anmutige, geistig anregende, vielseitige Geselligkeit gepflegt wurde, wie damals bei Liliencrons". schrieb mir Frau von Wardenburg-Bibra. „Die Jahre ihres Hierseins gehören," nach dem Zeugnis von Frau von Lenz-Imhoff, „zu den hübschesten und anregendsten in unserer kleinen Stadt. Herr von Liliencron sowohl wie feine liebenswürdige Frau waren sehr gastfrei und machten ihr Haus zu einer Stätte ernster Kunst sowohl wie heiterer Unterhaltungen. Seine Vielseitigkeit, Talente jeglicher Art und ein köstlicher Humor machten ihn zu einem selten liebenswürdigen Gesellschafter. Er war ein sehr bedeutender Musikverständiger und leistete als Pianist wirklich Künstlerisches. Bei den herrlichen Mattnees, die sie gaben, wirkte er selbst mit, und bei den vielen theattalischen Aufführungen am Hof sowohl wie im eigenen Haus bewies er sich immer als ganz ausgezeichnetes schauspielerisches Talent. Als Malvolio in Was Ihr wollt, Schelle, Barbier, in den Schleichhändlern von Raupach, Sperling in den Deutschen Kleinstädtern war er ganz brillant, ebenso wie bei den vielen Abendunterhaltungen, von ihm arrangiert, wo mit verteilten Rollen gelesen wurde, meist klassische Werke. Er beteiligte sich mit gleichem Eifer an harmloser Fröhlichkeit und kindlichen Spielen, wie an ernsten Borträgen, meist über Musik, die er mit dem damaligen Hofrat Dommrich, Professor Roßmann und Hofprediger Ackermann abwechselnd am Hofe des damaligen Erbprinzen Georg und auch am Hofe des Herzogs Bernhard hielt. Sein Familienleben war ein sehr glückliches, seine Frau nahm warmen Anteil an allen seinen Interessen und war sein tätiger Genosse. Der Wegzug dieser liebenswürdigen Famllie wurde allgemein bedauert, man hatte ihr viel zu danken." So blieben Liliencrons in Meiningen ebenso unvergessen, wie in ihnen selbst das Andenken an glückliche Zeiten und treue Lebensfreunde in Meiningen dauernd fortlebte. Vettelhetm, R. v. Liliencron.

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Bei der Wahl eines neuen Aufenthaltes kamen, wie er seiner Frau schrieb, drei Punkte in Betracht. Seine Mittel reichten, da Liliencron den herzoglichen Dienst ohne Pension verlassen hatte, nicht, in eine große Stadt zu ziehen; die Nähe einer großen Bibliothek war unentbehrlich; endlich schien es rötlich, sich an einem Ort an­ zusiedeln, wo sich Chancen für Erreichung einer würdigen Stelle bieten könnten. Erst danach könne Bedacht genommen werden auf Annehmlichkeiten. Angesichts dieser Notwendigkeiten entschied er sich für Braunschweig. Lange sollte seines Bleibens dort nicht sein. Ohne sein Zutun hatten Freunde Liliencrons neue Wirkungs­ kreise für ihn zu schaffen getrachtet. Samwer schlug ihn als „eine Kraft auf dem ihm bestimmten Boden" für ein Hofamt beim preußi­ schen Kronprinzenpaar vor, und die Historische Kommission ließ ihm durch ihren Präsidenten Ranke das Anerbieten ins Haus tragen, die Leitung der neu ins Leben zu rufenden Allgemeinen Deutschen Biographie zu übernehmen. Der Urheber dieser A. D. B. *) war Leopold von Ranke. Ihr Werkmeister sollte nun sein früherer Hörer Llliencron werden. Ihre Hüterin und Pflegerin blieb von ihren Anfängen 1868 bis zur Aus­ gabe des 56. abschließenden Registerbands 1912, volle 44 Jahre hindurch, die der Bayerischen Akademie der Wissenschaften bei­ geordnete H. Ä. *), die König Maximilian II. 1858 nach Rankes Rat­ schlägen ins Leben gerufen (und von der Llliencron 1858 in Berlin, wie oben — V— berichtet ward, durch Haupt, Pertz, Drohsen zuerst ge­ hört und die Aufforderung zur Herausgabe der Historischen Volks­ lieder erhalten) hatte. König Max wollte für die Wissenschaft leisten, was sein Vater, König Ludwig I., als werktätiger Schirmherr für die Kunst getan. Wie ernst der Jünger Schellings es mit diesem Vorhaben nahm, bezeugt Döllingers Wort: „Mir ist im ganzen Umfang der Geschichte kein Fürst bekannt, der aus seiner Privat­ kasse mit so einsichtsvoller Liberalität die wissenschaftlichen For­ schungen in ihren mannigfaltigen Verzweigungen unterstützt und gefördert hätte, wie Max II." Der Antrieb zu diesen Bestrebungen war Wißbegier. Obwohl oder vielleicht weil seine Geschichtsstudien *) Fortan wird im Text für Allgemeine Deutsche Biographie die Abkürzung

A. D. B. gebraucht und für Historische Kommission H. K. gesetzt.

in der Jugend so vernachlässigt worden waren, daß er erst auf der Göttinger Hochschule von Heeren die Ursachen der Glaubenstrennung erfuhr und hörte, daß es einen gewissen Luther gegeben, wandle er sich ihnen fortan mit solcher Vorliebe zu, daß er seinem Lehrer Ranke bekannte, wenn ihm nicht durch die Geburt der höchste Beruf zu­ gefallen wäre, würde seine besondere Neigung ihn bewogen haben, vorzugsweise mit historischen Aufgaben sich zu befassen. In dieser Gesinnung verharrte er so fest, daß er zehn Jahre nach seinem Regierungsantritt die H. K. begründete. Die Stiftung knüpfte, nach Rankes Erzählungen, an die Versammlungen der deutschen Historiker in den vierziger Jahren an. Der damalige Kronprinz Max nahm an den Mitteilungen, die ihm darüber aus Frankfurt und Lübeck zukamen, so lebendigen Anteil, daß ihm mit Aussicht auf Erfüllung der Vorschlag gemacht werden konnte, bei einem der nächsten „Tage" sich selbst einzufinden. Das Jahr 1848 und seine Thronbesteigung traten dazwischen. Seiner Vorliebe für historische Studien vergaß der König gleichwohl so wenig, daß er die Größen dieses Faches in seinen Kreis ziehen und dem auf jenen „Tagen" vielbellagten Mangel an Mitteln zur Aufrichtung historischer Monu­ mentalwerke abhelfen wollte. Er bemühte sich, Ranke für die Uni­ versität München zu gewinnen, und als das nicht gelang, gab er Rankes Lieblingsschüler und Vertrauensmann Sybel Gelegenheit, im Sinne seines Meisters zu wirken und Schule zu machen. Der König dachte mit Ranke weiter daran, eine Akademie für deutsche Geschichte ins Leben zu rufen. Aus Rücksicht auf die bereits bestehende bayerische Akademie der Wissenschaften wurde das Vorhaben nicht in dieser Form verwirklicht. Nach Anhörung Rankes und Sybels widmete der König laut Stiftsbrief vom 26. November 1858 jähr­ lich 15 000 Gulden „einer Kommission für deutsche Geschichts- und Quellenforschung b e i seiner Akademie der Wissenschaften", über die Verwendung dieser Mittel waren für den König und die Mit­ glieder der neugeschaffenen Körperschaft vor allem Rankes An­ regungen maßgebend. Als die wichtigsten Aufgaben bezeichnete seine programmatische Denkschrift Jahrbücher der deutschen Ge­ schichte und eine Geschichte der Wissenschaften in Deutschland; „die beiden vorgefchlagenen Arbeiten umfaßten den Staat und die Wissen­ schaften. Wäre aber nicht auch für die Persönlichkeiten, die in den10*

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selben wirksam gewesen sind, eine besondere Berücksichtigung nützlich und notwendig? Ich schlage jedoch erst an dritter Stelle eine all­ gemeine Lebensbeschreibung der namhaften Deutschen vor, ein Werk vielleicht in lexikalischer Form, welches in einer beschränkten Anzahl von Bänden sichere und parteilose Auskunft über alle der Erwähnung würdige Namen darböte." Rücksichten auf den wirtfchaftlichen Haushalt der jungen Schöpfung, die für die Jahrbücher, die Geschichte der Wissenschaften, die deutschen Städtechroniken, Hanserezesse, Weistümer, Historische Bollslieder usw. zu sorgen hatte, ließen es rätlich erscheinen, diesen kostspieligen, weitaus­ greifenden Plan einstweilen zu vertagen und 1859 nur Preise aus­ zusetzen für einzelne Lebensbeschreibungen berühmter Deutscher und — wohl im Hinblick auf einen schon vorher vom König ins Auge gefaßten bayerischen Plutarch — insbesondere berühmter Bayern. Desto angelegentlicher wurden nun außerhalb der Kommission in Nord- und Süddeutschland, in katholischen und protestantischen Kreisen die Aussichten eines derartigen einheitlich geleiteten bio­ graphischen Sammelwerkes erwogen. „Sie fragen mich," so schrieb Döllinger Weihnachten 1861 dem Freiburger Verleger Herder, „be­ züglich eines großen historischen Unternehmens, das von katholischer Seite der H. K. gegenübergestellt werden könnte. Ich wlll Ihnen einen derartigen Plan mitteilen, den ich schon seit fünf Jahren etwa gehegt habe und wofür ich bis jetzt frellich vergeblich nach einem Manne mich umgesehen habe, der sich an die Spitze stellte und die Sache leitete. Deutschland vor 1517 hatte eine reiche katholische Geschichte, große Männer in Fülle, eine lange Periode des Glanzes, aber alles dies ist noch verhältnismäßig verdunkelt, well es in der Tendenz des Protestantismus liegt, Deutschlands Größe und Be­ deutung erst mit der Reformation beginnen zu lassen und der Pro­ testantismus unsere ganze Literatur beherrscht. Da wäre nun ein Werk, das patriotisch und religiös wohltätig wirken möchte, e i n deutscher Plutarch, eine Reihenfolge von Biographien und Schllderungen der großen und bedeutenden Deutschen etwa seit dem 8. Jahrhundert. Nichts ähnliches ist bis jetzt unternommen worden, und doch ist reiches Material dazu vorhanden, und wenn man die katholischen Kräfte (auch wohlgesinnte Protestanten könnten mitarbeiten) sammelte und zur Tellnahme bewegte, könnte ein

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Deutschland und die deutschen Katholiken ehrendes Werk zustande kommen. Auch ich würde den Beitrag einer Biographie liefern. Da sind Cornelius, Witt, Watterich, Roth von Schreckenstein, Jungmann in Breslau, Weech, Weiß in Grätz, Höfler natürlich und viele andere. Als ich vor ein paar Jahren mit einzelnen davon redete und an andere schrieb, gefiel der Plan jedem; es fragte sich nur, wer an die Spitze treten, wer sich dem Geschäft der Leitung unterziehen sollte — allerdings keine leichte Sache. Man könnte dem Werk auch den Titel geben «Pantheon Deutschlands' oder .Walhalla' oder «Biographische Geschichte Deutschlands'. Auch Frauen wären aufzunehmen." Kam Döllinger auch nicht in Ver­ legenheit, die rechten Mitarbeiter zu nennen für dieses Unternehmen, „gleichsam eine Besitzergreifung der deutschen Geschichte von feiten des katholischen Deutschlands", einen berufenen Leiter vermochte er so wenig wie der Herderfche Verlag zustande zu bringen. Sein Briefwechsel über dieses Vorhaben blieb deshalb folgenlos. Um so tatkräftiger kam Döllinger auf den Vorschlag eines biographi­ schen Sammelwerkes zurück, nachdem er 1863 in die Münchener H. K. berufen worden war. Ungeachtet mancher offenen und versteckten Einsprache hatte sich seine Wahl nicht verhindern lassen. „Der Mann in Frage," so schrieb Ranke dem ersten, inzwischen von München nach Bonn übersiedelten Sekretär der H. K., Sybel, „hat eine so eigentümliche Stellung genommen, besonders in den hiesigen kirch­ lichen Wirren, er hat sich so entschieden für die Rechte der Wissen­ schaft erklärt, daß er in gewissem Sinne hier am Ort zu unseren Verbündeten gehört." „Es muß auch nicht aussehen, als wenn wir den Mann in irgendeiner Weise fürchteten." Wie wenig Anlaß vorlag, Döllinger als Widersacher der Ziele der H. K. anzusehen, zeigte sein erster Antrag im Kreise der neuen Kollegen: der Vor­ schlag einer Bearbeitung der deutschen Geschichte in allgemein­ verständlich abgefaßten, chronologisch geordneten Biographien der hervorragendsten Persönlichkeiten. Ranke hatte stets an a l p Ha­ tz e t i s ch e Reihenfolge gedacht, an ein Lexikon, das sich äußerlich an das Muster von Michauds Biographie g6n6rale halten, allerdings genauer und zuverlässiger gearbeitet und nur auf Deutschland beschränkt sein sollte. Der vorzeitige Tod von König Max im Jahre 1864 schob vorerst

nicht bloß Beratungen und Beschlüsse über Döllingers Antrag hinaus, der ganze Fortbestand der H. K. schien gefährdet. Ein so sparsamer Haushalter König Max sonst gewesen, für neue Aufgaben der H. K. hatte er freigebig einen besonderen Zuschuß von 50 000 Gulden gewidmet, über ihre Zukunft mit Ranke auf Jagden und Gebirgs­ gängen in Berchtesgaden Gespräche geführt und gerade die bio­ graphischen Entwürfe besonderer Förderung wert erachtet. Gleiche Gesinnungen waren bei seinem blutjungen, andere Liebhabereien pflegenden Nachfolger nicht ohne weiteres zu gewärtigen. In der Umgebung König Ludwigs II. fehlte es der H. K. zudem nicht nur an Fürsprechern, der Kabinettssekretär, der sich durch manche ihrer norddeutschen Mitglieder verletzt fühlte, stand ihr nichts weniger als wohlwollend gegenüber. „Wie sich die Dinge weitergestalten werden, weiß ich nicht," schrieb Giesebrecht, der mit Liliencron, dem Herausgeber der Historischen Volkslieder, amtlich als Sekretär der H. K. korrespondierte. „Doch hege ich keine-Besorgnis, daß die wissenschaftlichen Arbeiten, welche König Max in hochherzigster Weise angeregt und begonnen hat, unterbrochen werden könnten." Ein Vierteljahr später, 28. Juni 1864, meldet derselbe Gewährs­ mann: „Die Angelegenheiten der H. K. gehen lahm. Man kann sich am Hofe über die zu treffenden Maßregeln offenbar nicht recht schlüssig machen, und ein rechtes Herz für diese vortreffliche Stiftung des Königs Max hat dort gewiß niemand. Das Ministerium hat den besten Willen für unsere Angelegenheit, aber es scheint leider nicht so viel zu vermögen, wie man wünschen sollte." Da war es Rankes und Döllingers persönlichen Vorstellungen beim König und Giesebrechts Erklärung, eine Berufung nach Leipzig nur dann auszuschlagen, wenn die H. K. gesichert würde, zu danken, daß Lud­ wig II. der H. K. für weitere 15 Jahre die Zuwendung von je 15 000 Gulden zusagte: „Nach Allerhöchster Bestimmung sollen", so lautete der Bericht über die Beschwörung der Krise, „die der H. K. neuerdings zur Verfügung gestellten Mittel zunächst zur Voll­ endung der bereits begonnenen Arbeiten verwendet werden. Da hierfür die volle Dotation des nächsten Jahres beansprucht wurde, sah sich die H. K. genötigt, von der Ausführung der in der vorigen Plenarversammlung eingebrachten und angenommenen Anträge in betreff einer deutschen Geschichte und eines gelehrten

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biographische« Lexikons zur deutschen Geschichte vorläufig abzu­ stehen." Angesichts der Sachlage konnte weit weniger dieser Verzicht, als vielmehr die Beherztheit wundernehmen, mit der vier Jahre später der als Nachfolger Jacob Grimms in die H. K. gewählte Wilhelm Wackernagel auf das Vorhaben zurückkam und, nachdem er Döl­ linger vermocht hatte, von der chronikalischen zugunsten der nach Rankes Wunsch alphabetischen Anordnung des Stoffes abzusehen, die H. K. bestimmte, die Herausgabe einer Deutschen Biographie endgültig zu beschließen. Zwei Fragen mußten gelöst werden, wenn das Wagestück nicht von vornherein mißglücken sollte. Wird König Ludwig II. den Beschluß und damit den bedeutenden, Jahr um Jahr sich erneuernden, aus den Einnahmen der H. K. zu bestreiten­ den Aufwand für ein solches biographisches Lexikon gutheißen? Und wird sich der anfangs der sechziger Jahre von Döllinger und dem Herder'schen Verlag vergeblich gesuchte Baumeister für das geplante Riesenwerk finden lassen? Die Möglichkeit eines Einspruches König Ludwigs II. besorgten die Mitglieder der H. K. nicht ernstlich. Die Wahl und Werbung eines geeigneten Leiters weckte weit größere Bedenken. Zwei zu­ nächst in Betracht gezogene Mitglieder der Akademie sagten rund­ weg Nein. Der Würzburger Historiker Wegele war durch sein Lehr­ amt und früher übernommene literarische Pflichten so in Anspruch genommen, daß er der Aufforderung nicht Folge leisten mochte. Und ein durch Vorlesungen und Prüfungen nicht belasteter freier Schriftsteller, Gregorovius, entzog sich der ihm angebotenen redak­ tionellen Tätigkeit mit dem Hinweis auf die Fortführung seiner Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. Da lenkte Giesebrecht die Aufmerksamkeit der H. K. auf Liliencron, der in ihrem Auf­ trag die Historischen Volkslieder zu ihrer Genugtuung, nach dem einmütigen Urteil der Fachkritik mustergültig, herausgegeben und im persönlichen und brieflichen Verkehr mit dem Sekretariat wie mit der Gelehrtenwelt Deutschlands, Österreichs und der Schweiz alle wünschenswerten Fähigkeiten weltgewandter Behandlung der verschiedenartigsten Naturen offenbart hatte. Giesebrechts Vorschlag wurde allgemein gebilligt, und da Ranke ohnehin vorhatte, von München zu Archivstudien nach Wolfenbüttel zu reisen, übernahm

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er es, Llliencron in Braunschweig zu besuchen und alle einschlägigen Fragen mit ihm zu besprechen, über den Berkaus dieser Unter­ redungen geben drei Schriftstücke Liliencrons Aufschluß: zwei für den Sekretär und die H. St., das dritte mit dem Vermerk „vertraulich" nur für Giesebrecht bestimmt. In einem Promemoria faßt Liliencron knapp Zweck und Ziel des Biographischen Lexikons zusammen, wie das Ranke mit ihm erörtert und eigenes Weiterdenken das Unternehmen ausgestaltet hat. Die Bedeutung der Aufgabe steht ihm so klar vor Augen wie die Ver­ antwortung, die er mit ihrer Übernahme auf sich laden würde. Zweifel in die Zulänglichkeit seiner Kraft verschweigt er nicht. Mut könnte er nur aus dem Zutrauen der Männer in ihn schöpfen, deren Urteil er sonst unbedingt glaubt. Mit ihrem Beistand würde er, wenn andere persönliche und sachliche Hemmungen sich beheben lassen sollten, einer Berufung folgen, die eine universelle Beschäftigung mit deutscher Geschichte und Wissenschaft bedingen, reichhaltig an eigener Ausbeute für den Arbeitenden sein, seiner Neigung sehr zusagen und ihn bestimmen würde, dem Unternehmen im Bunde mit der lebenden Gelehrtenwelt eine Reihe von Lebensjahren zu widmen. Im vertraulichen Begleitbrief bittet Liliencron Giese­ brecht um Bedenkzeit: die Bezüge, die die H. K. dem Leiter der A. D. B. zudenke, kämen an sich ungefähr seinem früheren Ein­ kommen als Kabinettsrat gleich. Augenblicklich schwebten aber andere Verhandlungen wegen seines Eintrittes in ein anderes Hof­ amt, vor deren Abschluß er sich nicht entscheiden könnte. Wichtig wäre weiter, zu wissen, ob die Leitung der A. D. B. ihm Muße zu sonstiger Tätigkeit in einer Hofstellung geben würde, wie seiner­ zeit die dienstlichen Geschäfte beim Herzog ihn nicht gehindert hätten, daneben wissenschaftlich zu arbeiten. Diesfalls könnte Giesebrecht ihm vielleicht Fingerzeige geben, ob sich möglicherweise am baye­ rischen Hof im Bereich der Kunst ein Wirkungskreis für ihn finden ließe, da er seiner ganzen Komplexion nach sich zu solcher Duplizität bewegten gesellschaftlichen und stillen wissenschaftlichen Lebens hin­ gezogen fühle. Giesebrecht, nach dem Wahrwort seines Meisterbiographen Riezler nicht nur der Sekretär, sondern die Seele der H. K., nahm Sitten* crons Antwort mit größtem Entgegenkommen auf. Er begrüßte

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LUiencrons bedingte Zusage freudig, billigte die Gründe seines Zuwartens und verhieß für den Fall der endgültigen Übernahme der Redaktion alles in seiner Macht Stehende zu tun, um seinem Kandidaten den Aufenthalt in München, den er nicht für unerläßlich, doch für wünschenswert und ratsam ansah, so behaglich als möglich zu machen. Bald nachher mußte Giesebrecht, der die Genehmigung König Ludwigs II. für den die A. D. B. betreffenden Beschluß der H. K. erhalten hatte, Liliencron, ohne ihn zu drängen, nahelegen, seinen Entschluß zu beschleunigen. Nach kurzem, von Liliencron unverschuldetem Zaudern konnte er eine bindende Zusage geben. Es war die Absicht des getreuen Samwer gewesen, Liliencron zum Hofmarschall des Kronprinzen Friedrich Wilhelm und seiner Ge­ mahlin Viktoria berufen zu sehen. Das fürstliche Paar, das Lilien­ cron seit der Londoner Begegnung in freundlichstem Andenken hatte, wäre damit einverstanden gewesen; es kam auch zu brief­ lichen und mündlichen Verhandlungen mit dem Vertrauensmann des Kronprinzen, Normann, die sich durch Reisen Friedrich Wilhelmnach England und sonstige Zwischenfälle verzögerten, zuletzt aber fruchtlos verliefen. Die Dotation der Stelle stand nicht im Ver­ hältnis zu dem für ein solches Hofamt in der Hauptstadt erforder­ lichen Aufwand; überdies wurde Liliencron von Gegnern seiner Berufung verantwortlich gemacht für die Haltung des Herzogs Bernhard von Meiningen im Jahr 1866, und obwohl er in einem ostensibel« Brief Punkt für Punkt diese Bezichtigung, insbesondere den Borwurf publizistischer Parteinahme widerlegen konnte, wurde der vom Kronprinzenpaar nach wie vor hochgehaltene Mann zu­ nächst amtlich nicht in Anspruch genommen, wohl aber dauernd im Auge behalten und zwölf Jahre später, 1881, bei der Heirat des ältesten Sohnes mit dem ebenso heikeln als ehrenvollen Auftrag betraut, die Ehepakten vorzubereiten. Giesebrecht nahm LUiencrons Ankündigung, er sei nun, Januar 1869, bereit, die Leitung der A. D. B. zu übernehmen, aus persön­ lichen und sachlichen Gründen mit Genugtuung auf. Als Berater und Helfer stand er dem Freund zur Seite, darauf bedacht, ihm „das Bett so bequem als möglich zu machen". LUiencrons einen Augenblick gehegter Einfall, sich in Leipzig niederzulassen, leuchtete ihm nicht ein. Dessen Bedenken gegen eine Übersiedlung nach

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München — vermeintliche Abschließung der Einheimischeil gegen die Zugewanderten; Übereifer protestantischer Orthodoxie, den LUiencrons milder Sinn fürchtete und floh — widerlegte er in ein­ gehenden Briefen so liebreich, daß der neue Redakteur im Früh­ jahr 1869 in die bayerische Hauptstadt kam, um sich die Dinge selbst an Ort und Stelle zu beschauen. Noch angelegentlicher als bei früheren Besuchen kamen ihm die Freunde diesmal gastlich ent­ gegen. Die Vorstände der Münchener Bibliothek, Föringer und Halm, ermöglichten ihm nicht nur die freieste Benutzung der Bücher­ schätze, sie vermittelten dem unablässig an den Elltwürfen und Namens­ listen der A. D. B. arbeitenden Redakteur beim Ministerium Ausnahmsvergünstigungen, unbeschränkte Freiheit der Bewegung. Mit Dichtern, Malern, Musikern und Musikhistorikern, Heyse, Wilbrandt, Kobell, Riehl, Tücher, entwickelten sich so herzliche Beziehungen wie zu den Militärs von der Tann, Parseval, Spruner. Als Welt­ kind versäumte Llliencron nicht, nach harten Arbeitstagen in den Münchener Hof- und Bolkstheatern, in Konzerten und auf Fuß­ wanderungen sich zu erholen, überall verstand er zuzulernen, nirgends unterließ er, ohne Hast und ohne Rast die rechten Gewährs­ männer aufzuspüren und an sich zu ziehen. Außer den Altmeistern warb er die tüchtigsten Neulinge, die dazumal Heigel und Riezler hießen. Beim Schoppen mit jungen Forschern kam er sich, wie er seiner Louise scherzend schrieb, bisweilen vor, wie ein herum­ kutschierender Jnsektenjäger. Und trotz aller angeborenen und an­ erzogenen Gelassenheit überkam ihn angesichts der Größe der Auf­ gabe, inmitten der ungemessenen Mühe, bis zur Plenarversammlung der H. K. vom Oktober 1869 den Urentwurf, den Grundplan für die A. D. B. zu vollenden, manchmal ein Schauder, und er ver­ glich sich gelegentlich in einer köstlicheren Anwandlung bestenfalls dem Stollenarbeiter, der ein fernes Licht im Tunnel aufblitzen sieht. Kein Geringerer als der sachkundige Anreger der A. D. B., Ranke, hat bald nach Beginn der Vorarbeiten LUiencrons in offener Akademiesitzung gesagt, man erschrickt, wenn man sich den Umfang und die Schwierigkeit des Unternehmens vor Augen stellt. Liliencron erschrak nicht, obwohl er besser als jeder andere im Verlauf seiner Vorbereitungen sich darüber klar wurde, daß er wohl Vor­ gänger, aber keine Vorbilder für sein Beginnen habe und mit un-

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gezählten, in dieser Sache unerprobten Arbeitskräften ein ganz Neues, Eigenes, Urdeutsches würde schaffen müssen. Rankes Absehen war auf ein deutsches Gegenstück zur Biographie universelle gerichtet, die 1810 vom Bruder des Geschichtschreibers der Kreuzzüge, Michaud, begonnen, durch das Zusammenwirken zahlreicher Forscher und Schriftsteller ein unentbehrliches Nach­ schlagewerk für die Gelehrtenwelt aller Länder und Zungen ge­ worden und in einer zweiten, ergänzten und verbesserten Ausgabe zu noch größerer Verbreitung gelangt war. In der anmutigen Vorrede dieser neuen Auflage erzählte Charles Nodier von ihrem Anfang und Aufstieg; sein Wort, daß hier ein bis dahin noch nicht Versuchtes geglückt sei, wurde von einem Chor großsprecherischer Lobredner maßlos übertrieben, bis Edouard Thierry sich zu dem verzückten Ausruf verstieg, Walter Scott sei wahrer als die Ge­ schichte. Wahrer noch als alle Kunstwerke der Phantasie seien aber die unbefangen erzählten Lebensläufe von Menschen, insbesondere von überlegenen Menschen aller Stände, Lande, Jahrhunderte, und diese wunderreiche Komödie in 100 000 Akten sei die Biographie universelle. Ein solches Buch der Bücher ist Michauds Unternehmen, unbeschadet der Verdienste vieler ihrer 300 nicht ausschließlich fran­ zösischer Mitarbeiter — auch die Humboldts gehörten dazu — nie­ mals gewesen. Kein Sammelwerk kann durchweg gleichmäßig und gleichartig Gediegenes enthalten, und bei allem Streben nach Voll­ ständigkeit ließ die Biographie universelle die Nicht-Franzosen so wenig zu ihrem vollen Recht kommen, daß nach und neben ihr national begrenzte biographische Lexika sich als Bedürfnis erwiesen. Schweden begann 1835, Holland folgte 1852, Wnrzbach für Österreich seit 1856, Belgien von 1866 ab, nur für die engere Landsmannschaft — in bescheidenerem räumlichen und zeitlichen Umfang als Michauds Biographie universelle, und die bei Didot seit 1855 unter Dr. Höfers Leitung erscheinende Nouvelle biographie g6n6rale — alphabetisch ge­ ordnete biographische Lexika herauszugeben. Liliencron prüfte, be­ vor er ans Werk ging, alle Leistungen dieser Vorgänger, seiner Art nach geneigt, lieber das Gute zu beherzigen, als das Verfehlte zu tadeln. Empfänglich für jedes Beispiel in Einzelheiten und im ganzen unabhängig von allen, gedachte er nach seinem unschein­ baren Ausspruch „eine Geschichte der Dinge selbst in biographischer

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Darstellung zu geben". Im Geist ehrlicher Forschung, wie sich das für das Unternehmen eines Gelehrtenvereines geziemt, sollte die größte Menge wissenschaftlichen Stoffes in die knappste Form ge­ bracht und zugleich nach Rankes oft wiederholter Wendung wohl lesbar sein. „Er meinte damit," wie Llliencron dreißig Jahre später in seiner Anzeige des ersten Bandes meines Biographischen Jahr­ buches und Deutschen Nekrologes erläuternd bemerkte, „nicht nur, daß die einzelnen Biographien in gutem Stlle geschrieben sein sollten, sondern er dachte an eine Art der Behandlung, die weder auf das Verständnis des Fachmannes allein berechnet noch auch im ge­ meinen verflachenden Sinne populär, sondern so sein sollte, daß die hier ja nur mögliche wissenschaftliche Quintessenz durch ihre Dar­ stellung auch dem Geblldeten überhaupt zugänglich, lehrreich und anziehend bleibt." Liliencron ließ solche Forderungen nicht nur aussprechen, die A. D. B. bezeugt, wie ernst er es mit ihrer Ein­ lösung nahm. Wandlungen in Einzelheiten, Schwierigkeiten in der Auswahl der Mitarbeiter, Irrtümer in den ursprünglichen An­ sätzen der Bändezahl waren nicht zu vermeiden. Ausstellungen und Verbesserungen sind, wie bei jedem Menschenwerk, auch bei der A. D. B. berechtigt. Als Ganzes bleibt sie ein Riesenwerk, das seinen Schöpfer lobt und loben wird als Meister, der schon bei der Grundsteinlegung Kleines und Großes weitblickend und weise so wohl bedacht hatte, daß auch die Schlußsteinlegung nach seinem Grundriß erfolgen konnte, gemäß seinem ersten in der Plenarsitzung der H. K. erstatteten Bericht über Aufgabe und Anlage der A. D. B., der Beilage A. seinem vollen Wortlaut nach mitgeteilt erscheint. Eine Urkunde, die nicht allein den Vergleich mit dem 1868 nach dem Gedankenaustausch mit Ranke zu Papier gebrachten Promemoria nicht zu scheuen hat, sondern an den zu vollem Abschluß gebrachten zwei Alphabeten der A. D. B. gemessen sein wlll, 55 Bände, die den Zeitraum vom Jahre 1 bis zum Jahre 1899, von Arminius bis auf Bismarck in 26 300 Lebensläufen vor Augen stellen, ein Monumentum Germaniae, das dem Schicksal so mancher Riesen­ dome und wissenschaftlicher Schatzhäuser (u. a. des Grimmschen Wörterbuches) nicht verfiel, im Ausbau stocken, halb oder ganz un­ vollendet zu bleiben. Bezeichnend, wie für das eigenste Wesen Liliencrons, ist an diesem

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die ganze Entwicklung voraussehenden Bericht von 1869 seine Be­ scheidenheit. Ebensofrei wie von Selbstgefälligkeit, ist er allerdings auch von Befangenheit. Im ersten Promemoria vom 14. Oktober 1868 hatte Liliencron, eines Sinnes mit Ranke, Gestalt und Gehalt der A. D. B. folgendermaßen umschrieben: „Der äußere Umfang der ganzen Publikation wird auf ungefähr 15 Bände Großoktav berechnet. Was den inneren Umfang betrifft, so soll die gesamte Geschichte der Nation in chrer politischen, wissenschaftlichen, künstlerischen und industriellen Entfaltung umspannt werden." In der ein volles Jahr später, im Oktober 1869, der H. K. vorgelegten Denkschrift zeigt Liliencron in umfassender Ausführung, in welchem Geist eine A. D. B. diesen inhaltreichen Postulaten gerecht zu werden ver­ möchte, wie Leser und Schreiber jedes der drei Titelworte „All g e m e i n", „Deuts ch", „Biographie" zu verstehen hätten. Eine allgemeine, Deutsche aller Zeiten und Lande ein­ beziehende Biographie könne das Unternehmen, wenn es nicht unabsehbar anschwellen sollte, nur in dem Sinne sein, daß es in der Auslese wählerischer verfahren würde als besonderen Gebieten, Fächern, Epochen gewidmete biographische Werke. Und als d e u t s ch anzusprechen wären nicht Bewohner aller Striche, die deutschen Herrschern irgendwann untertan gewesen: hier müßten räumlich und zeitlich weltgeschichtliche Ereignisse und Abschlüsse, die Erd­ karte vor und nach Karl dem Großen, vor und nach dem Westfälischen Frieden in Betracht gezogen werden; in diesem Zusammenhang beschäftigt ihn, wie nachmals vielfach Mitarbeiter und Kritiker, die Frage, ob und wie weit außerhalb Deutschlands wirkende Deutsche oder in Deutschland zu dauernder Niederlassung eingewanderte oder vorüber­ gehend in und außer Deutschland folgenreich tätige Nichtdeutsche auf­ zunehmen wären? Alfred Dove wollte späterhin Tacitus nicht über­ gangen sehen. Ist Attila res nullius? Darf Ulfilas in einer A. D. B. fehlen? Gehört Granvella in die A. D. B.? Und wenn dem so ist, gllt ein gleiches nicht von Napoleon oder zum mindesten von König Jerome? Endlich oder erstlich waren Regeln aufzustellen für die Form der Biographie. Im Promemoria von 1869 war ausgesprochen worden, daß es bei der wissenschafüichen Grundlage des Unter­ nehmens nicht um farbige Darstellung und doch nicht bloß um dürftige Angaben wie in einem Repertorium sich handeln könne. Lllien-

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crons Bericht von 1869 verlangt Abstufungen nach der innerlichen Bedeutung der Persönlichkeiten, die äußerlich durch Verschieden­ artigkeit des Raumausmaßes kenntlich gemacht werden soll. Der ersten Klasse, — Liliencron nennt sie die Klasse der Genies, Karl der Große, Goethe, — soll ein Bogen, drei anderen Klassen in absteigender Linie je ein halber Bogen bis zu einer Seite und für die Mehrheit der Namen noch weniger, ein paar Zeilen (für Geburts- und Sterbe­ zeit; Angabe der hauptsächlichen Lebensereignisse und Quellen­ nachweise) zugebilligt werden. Aus diesen ziffernmäßigen An­ sätzen erwuchsen Lüiencrons Berechnungen der zulässigen Zahl von Namen und Bänden. Die 1868 von Ranke und Liliencron veranschlagte Zahl von 15 Bänden erschien 1869 auf 20 erhöht (in Wirklichkeit wurden es zuletzt 55). Die Ziffer der einzureihenden Namen schwankte noch stärker. In mühseligen selbständigen Forschungen und in gemeinsamen Beratungen mit Fachmännern aller Gebiete hatte Liliencron 80 000 erwägenswerte Persönlich­ keiten vorgemerkt; in der H. K. wurde diese Zahl auf die Hälfte herab­ gesetzt, bis Liliencron für 20 Bände von je 800 Seiten auf ein Viertel, 20 000 Namen, sich beschränkte. Unbeschadet der Gründlichkeit dieser Vorschläge und Beschlüsse zweifelte Liliencron nicht, daß sie die Probe nur durch die Erfahrung bestehen würden. Die H. K. schloß sich den Gedankengängen und Anträgen seines Berichtes unbedingt an, und der Sekretär, Giesebrecht, kündigte diese volle Übereinstimmung zwischen Llliencron und der Kommission in der amt­ lichen Verlautbarung über das Jahr 1869 mit den Worten an: „Für die im Laufe des Jahres in Angriff genommene, von Geheimem Rat von Ranke und Reichsrat von Döllinger beantragte Allgemeine Biographie der Deutschen, ein Unternehmen umfassendster Art, ist in dem Geheimen Kabinettsrat a. D. von Liliencron ein Redakteur gewonnen worden, der alle erforderlichen Eigenschaften in hervor­ stechendem Grade besitzt. Freiherr von Llliencron, der seinen Wohn­ sitz jetzt hierher verlegt hat, wohnte den Verhandlungen bei, welche über die Begrenzung, Einrichtung und Ausführung des Werkes in der Plenarversammlung gepflogen wurden. Um ihn bei den ein­ leitenden Arbeiten weiter zu unterstützen, wurde ein besonderer Ausschuß aus hiesigen Mitgliedern der Kommission bestellt und in denselben Reichsrat von Döllinger, Reichsarchivdirektor von Löher

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und Professor von Giefebrecht gewählt. Wie das Werk die Teil­ nahme der gesamten deutschen Nation in Anspruch nimmt, wird auch auf die Mitwirkung der deutschen Gelehrtenwelt im weitesten Umfang gerechnet. Ein Programm soll in möglichst kurzer Frist veröffentlicht werden." Dieselbe Kundgebung der H. K., die den Anbeginn des neuen, LUiencrons Leitung anvertrauten Unternehmens anzeigte, konnte den Abschluß der Liliencron elf Jahre zuvor, bei der Begründung der Kommission übertragenen Aufgabe melden: „Die Sammlung der Historischen Volkslieder der Deutschen ist mit dem vierten Bande zum Abschluß gediehen. Der Herausgeber, Freiherr von Llliencron, wird ein Supplementheft folgen lassen, welches den musikalischen Teil der Volkslieder erläutert; der Druck desselben hat bereits begonnen." „Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahr­ hundert" sammelte und erläuterte Liliencron in dieser grundlegenden Arbeit, und nicht an ihm lag es, daß er mit seinen Gaben nicht in ältere und spätere Zeiten griff. Er wollte (nach seinem schriftlichen Bericht an die H. K. vom 1. Oktober 1861) mit den historischen Liedern der Minnesänger beginnen. So sinnreich sein Vorschlag aber auch begründet erschien, die Kommission mußte aus Rücksicht auf ein anderes, „von Jacob Grimm angeregtes, noch betriebenes" Unter­ nehmen davon absehen. Eine 1867 von Liliencron geplante, von der Commission grundsätzlich gebilligte zweite Sammlung der speziell der Reformationsgeschichte angehörigen Dichtungen unterblieb wieder­ um, weil Llliencron 1868 nach näherer Überlegung erklärte, die Arbeit dürfe nicht gemacht werden, ehe Phllipp Wackernagels große Sammlung der Kirchenlieder fertig sei; dazu kam zur Zeit seines Austrittes aus meiningischen Diensten der störende Wechsel seiner Wohnsitze: „Den vorigen Winter", so schrieb er Giefebrecht aus Hasserode bei Wernigerode am 21. September 1868, „habe ich in Kopenhagen zugebracht, den Sommer hier im Harz, und jetzt gehe ich nach Braunschweig, um dort zu hausen, bis es mir gelingt, eine Anstellung zu finden." Bei solcher Unsicherheit über seine Zukunft wollte er sich nicht mit einer zweiten Reihe der Historischen Vollslieder binden, und nach der Übernahme der A. D. B. wäre die Ver­ wirklichung des älteren Planes durch Liliencron nirgends weniger am Platze gewesen als im Kreis der H. K.

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Wie 1868 bei der A. D. B., war ein Jahrzehnt zuvor für die Historischen Bolkslieder der Anstoß zu dem Unternehmen nicht durch eigenen Antrieb Liliencrons gegeben worden. Beide Male nahm er aber den Auftrag der H. K. erst an, nachdem er die eigene Kraft auf ihre Eignung für die Aufgabe gewissenhaft geprüft hatte. In beiden Fällen verstand er es, die Verdienste seiner Vorgänger zu würdigen, indem er ihre Leistungen nach Gebühr anerkannte und, von ihren Bahnen ausgehend, auf eigenen selbstgefundenen Wegen weit über sie hinauskam. 1836 hatte ein Schützling Fouquss, Fr. Leonard von Soltau, „Ein Hundert Deutsche Historische Bolkslieder" gesammelt und, in urkundlichen Texten chronologisch geordnet, dem Kronprinzen (nachmals König) Friedrich Wilhelm (IV.) als dem hohen Beschützer vaterländischer Altertumskunde geweiht. In einer stoffreichen Einleitung schickte Soltau seinem Quellenwerk eine kleine Literaturgeschichte des historischen Liedes voran, die Chroniken, fliegende Blätter und die seit Anfang des 16. Jahrhunderts auf­ tauchenden Spezialsammlungen historischer Lieder benutzt und dank­ bar der Winke Herders gedenkt, der in seinen Volksliedern unter 34 deutschen wohl nur drei historische mitteilt, in seiner Vorrede aber Nacheiferern beherzigenswerte Fingerzeige gab mit dem an­ spornenden Wort: „Was für mich nicht dient, kann für einen anderen dienen." Den Spuren solcher und anderer rechter Freunde des historischen Volksliedes, nicht den Irrwegen des von ihm als Pfuscher bekämpften O. L. B. Wolff folgend, entwickelte Soltau den hoch­ fliegenden Plan: „Wenn es jemals dahin käme, alle auffindbaren irgend beachtenswerten historischen und kulturhistorischen Bolks­ lieder in der Art zu vereinigen und ein Korpus deutscher historischer Bolkslieder zur Erläuterung der deutschen und europäischen Ge­ schichte von mindestens einem halben Jahrtausend chronologisch und möglichst urkundlich aufzustellen, so müßte, was auch diesen Liedern an historischem Werte abgeht, der historische Überblick einer solchen Sammlung wahrhaft belehrend und in mancherlei Hinsicht merkwürdig, ja einzig werden, ein poetischer Geschichtsspiegel, der auch in dem, was er nicht berührt, unterrichtend sein würde, eine historische vox populi, die ferner der Geschichtsforscher nicht un­ berücksichtigt lassen dürfte." Jacob Grimm urteilte gleich nach dem Erscheinen von Soltaus Arbeit wohlwollend in einer (in Haupts

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und Hoffmann von Fallerslebens „Altdeutschen Blättern" veröffent­ lichten) Anzeige, die Liliencron vielleicht in einigen Beziehungen als Mchtschnur gedient hat: Soltaus Sammlung habe begründeten Anspruch auf das Lob der Treue und Genauigkeit, sie sei aber noch zu unvollständig, und auch am Plan ließe sich manches aussetzen." Grimms weiterer Vorbehalt, die aufgenommenen Sprüche gehörten nicht unter die Lieder, sie verdienten aber ein besonderes Buch, scheint Llliencron dagegen nicht überzeugt zu haben. Zwanzig Jahre nach der Ausgabe von Soltaus zielweisendem Buch ließ ihm R. Hlldebrand aus Soltaus und Lysers Nachlaß ein zweites Hundert Historischer Bollslieder folgen. Beide Bücher sind nach Llliencrons unum­ wundenem Bekenntnis die Grundlagen, auf denen er weitergebaut hat. Was aber Soltau (nach Edward Schröders Charakteristik in der A. D. B. „ein Sonderling mit Don-Quichotte-Alluren") nur begonnen, das hat Liliencron innerhalb der von ihm abgesteckten Zeitgrenzen von 1243 bis 1554 unter Dach und Fach gebracht. Als Sprach-, Geschichts- und Musikkenner seinem Vorgänger überlegen, gibt er nicht allein die Texte von 623 Liedern als wohlgeschulter Philologe; er geht bei jedem einzelnen dem geschichtlichen Anlaß als Kenner der Zeitumstände in sachlich sicher einführenden, den Erzählerton gut tteffenden Einführungen nach, und die tiefgeschöpften Einleitungen geben gleicherweise Zeugnis für den Forschersinn wie für den Künstlergeist Llliencrons. Er selbst hat ein halbes Menschen­ alter nach Abschluß seiner „Historischen Bollslieder" in dem Buch „Deutsches Leben im Bollslied" die Wandlungen der Stoffe und Stimmungen auf die kürzeste Formel gebracht. Bis in das letzte Viertel des 15. Jahrhunderts sind alle Vorkommnisse von mehr oder minder lokaler Bedeutung, Bürgerzwiste und Berfassungs­ kämpfe in den Reichsstädten, Fehden der Fürsten und Ritter unter­ einander und mit den Städten. „Selten schimmert einmal, wie in den Hussitenkriegen oder bei dem ersten Andrängen der Türken, ein allgemeines Reichsinteresse durch." Mit den Kriegen Karls des Kühnen fangen die Jnteressenkreise an, sich zu erweitern. Llliencrons Untersuchungen über die Sempacher und sonstigen Schweizer Lieder sicherten ihm den Dank eines so heikeln Kenners wie Ottokar Lorenz. „König Maximllian zieht die Augen aller auf sich; wie sehr auch die Geschichtschreibung die Summe seines polittschen Tuns auf ein Betielhei«, R. v. Liliencron.

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kleineres Maß zurückführen mag, der deutschen Mitwelt war er der alles bezaubernde, romantische, ritterliche Held, und seine ver­ unglückte Brautwerbung um die schöne Herzogin Anna von Bretagne, das »Fräulein von Britannien', ward zu einer Herzenssache des Volkes." Liliencrons Vorliebe für diese Verklärung des letzten Ritters beschränkt sich nicht auf seine Würdigungen dieser Bolksliedertexte und des Bolkswitzes, der die Melodie des Liedes „O du armer Judas" anzüglich gegen die Falschheit der Widersacher des Kaisers als bezeichnendes musikalisches Zitat anstimmte. Er widmete dem „Weißkunig" und Treitzsauerwein in Riehls Historischem Taschenbuch und der A. D. B. kritische Monographien, die bis zur Stunde allen folgenden Forschern bis auf Alwin Schultz und I. Strobl maßgebend geblieben sind. „Um Maximilian I. als seine Schöpfung erhob sich das Volk der Landsknechte, unter denen alle Gaue des Vaterlandes vertreten waren, ein allgemein deutsches Kriegsvolk": die Türkengefahr, die großen europäischen Kriege brachten „Feinde, die allen gemeinsam, politische Ziele, die auch dem gemeinen Mann erkennbar und packend waren. So wuchs über das lokale und land­ schaftliche ein Reichsinteresse hinaus. Mir ist in historischen Liedern das Wort Deutschland zuerst 1512 begegnet: »Sol ich von wunder sagen, so ist ir das wol eins, daß auf dem löblichen Tage Deutschland ist worden eins'." In der von hoher Achtung erfüllten Anzeige, die Gustav Freytag Neujahr 1866 schon dem 1. Band der Sammlung widmete, meinte er: Llliencron sei sich wohlbewußt, daß die Lieder, welche er seiner Nation zum Weihnachtsangebinde über­ reiche, auf den Blättern des Buches gettockneten Blüten gleiche; der Leser müsse sich sinnend darüberneigen, um der Farbe und des Duftes, welche sie ehemals hatten, teilhaftig zu werden. Was immer aber in Llliencrons Macht stand, die Ereignisse und Empfindungen, aus denen die einzelnen Lieder aufschossen, den Nachlebenden, Ge­ lehrten und Laien, nahezubringen, hat er getan mit der Sachkenntnis eines Zeugen, der sich mit der rechten Andacht zum Unbedeutenden in alle Eigenheiten der oft geringfügigen Anlässe der einzelnen Lieder einlebte und das Treiben entschwundener Zeiten in den Trinkstuben des Adels, den Zunfthäusern der Bürger, den Bad­ stuben, Schenken und Herbergen des Volkes aller Klassen, die Ritte

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der Boten durch alle Landstriche so genau kennt, als wäre er selbst dabeigewesen, und die hoch und eigentümlich entwickelte Musik­ pflege der von ihm behandelten Epochen so lebenstreu schildert, als hätte er selbst mitgesungen. Und er arbeitete sich in jede einzelne Vorgeschichte dieser (nach seiner im 2. Band geäußerten Ansicht richtiger als Politische Volksdichtungen, denn als Historische Volks­ lieder zu bezeichnenden) Zeitgedichte mit einer Energie ein, die ihn die Vorgänge wie einen Augenzeugen schildern ließ. Diese innerliche Vertrautheit mit allen äußeren Vorgängen befähigte Liliencron, selbst spröde, dem Verständnis der Laien in der Gegen­ wart entrückte Stoffe anschaulich zu formen. Und kommt ihm gar die Empfänglichkeit des Unbefangenen von vornherein entgegen, wie für die Gegnerschaft von Bruder Veit wider Heini, Landsknechten und Söldnern, oder für Schwärmer, Abenteurer, Blutzeugen, wie in der Niclashäuser Fahrt, Pauker Böhm, eine Art Emanuel Quint seiner Zeit, Bürgermeister Schwarz von Augsburg und a. m., dann wirkt er in seinen wahrhaftigen Einrahmungen dieser Bilder aus der deutschen Vergangenheit mit ganz anderer Wucht als die meisten Erzähler historischer Romane. Seine künstlerischen Urteile sind durchweg unabhängig und zumeist wohlbegründet. Seiner Vor­ liebe für Veit Weber wird man Uhlands Ansicht entgegenhalten dürfen, daß er mehr durch tüchtige Gesinnung, als durch besondere Kraft der Darstellung sich auszeichne; „keines seiner Gedichte kann sich an Fülle lebendiger Kraft mit Halbsuters Lied der Sempacher Schlacht vergleichen". Liliencron hat den Sempacher Liedern übrigens nicht nur besonderes Augenmerk zugewendet; er durfte (in Riehls Taschenbuch) neue Abwandlungen derselben mitteilen, wie er denn das ganze Feld auch weiterhin gepflegt und so fleißige Nachlese gehalten hat, daß er seiner Frau sagte, die Masse der Lieder wäre leicht zu mehren; das mögen andere nach zwanzig bis dreißig Jahren tun. Allein seit dem Abschluß seiner Sammlung sind inzwischen nahe­ zu fünfzig Jahre verflossen, und trotz seiner Prophezeiung und dem Forscherfleiß der Neueren sind Llliencrons Historische Volkslieder nach wie vor das unübertroffene und unentbehrliche Haupt- und Quellenwerk geblieben. Die H. K. ehrte den Herausgeber der Historischen Volkslieder beim Abschluß der Sammlung 1870, indem sie ihn an Stelle des 11*

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geschiedenen Wackernagel zum Mitglied wählte. Ihr Bericht über die Plenarversammlung desselben Jahres meldete zugleich, daß ihre Beratungen vorzugsweise der A. D. B. gegolten hätten, in denen Liliencron inhaltreiche Mitteilungen über seine Reisen und Vorarbeiten im Dienste des großen Werkes machen konnte. Seine nächsten Hauptaufgaben waren die Heerschau über alle in eine A. D. B. gehörigen Persönlichkeiten und die Höhenschau über die zu ihrer Würdigung vorhandenen Kräfte. Starken Rückhalt suchte und fand der erwählte Leiter der A. D. B. in beiden Be­ ziehungen zunächst an den Mitgliedern der H. K., die sich außer zur Mitwirkung an der Entwerfung der Listen für die einzurechenden Namen und der zur Mitarbeit geeigneten Fachmänner vielfach auch zur Übernahme ganzer Gruppen oder doch wesentlicher Bei­ träge bereitfinden ließen. Die mühseligste Arbeit für die zwei General­ verzeichnisse der Biographien und der Biographen fiel jedoch Liliencron selbst zu. Gleich am Anfang seiner Amtsführung hatte er inmitten außerordentlicher Weltereignisse seine Selbstbeherrschung zu be­ haupten. Unterwegs zu Besprechungen mit Fachkennern, reiste er am 20. Juli 1870 mit D. F. Strauß von Heidelberg nach Heil­ bronn, wo beide den Ausbruch des Krieges erfuhren. So gewaltig ihn die Schicksalswende des Vaterlandes in jener Stunde und der aufregenden Folgezeit ergriff, in der Arbeit an der A. D. B. ließ der Pflichtgetreue sich dadurch nicht hemmen. In der Einigung von Nord und Süd, im gemeinsamen Kampf von deutschen Katholiken und Protestanten sah er die Bekräftigung der Gedanken und Wünsche, die seine Denkschrift von 1869 für das Zusammenwirken der Ge­ lehrten aller Lager geäußert hatte. Unbeirrt durch Verschiedenheiten des Glaubens, der Politik, der Schulen wollte Liliencron den Wort­ führern aller Parteien Redefreiheit innerhalb der Grenzen un­ befangener Forschung vergönnen. Eine Verheißung, die, dank dem Vertrauen, das seinem Wesen von allen Seiten entgegengebracht wurde, die Besten aller Stämme, Stände, Konfessionen, neben den protestantischen Größen sämtliche von Döllinger im Brief an den Herder'schen Verlag genannte katholische Historiker und Schriftsteller, Künstler und Liebhaber, Männer der Geistes- und Naturwissen­ schaften, Diplomaten und Generale, Kaufleute, Techniker, Land-

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und Forstwirte, Deutsch-Österreicher, Deutsch-Russen, DeutschSchweizer, Deutsch-Amerikaner der A. D. B. als Mithelfer zuführte. Der vielseitige Gelehrte und der duldsame Weltmann, dessen weise Menschenbehandlung in der Milde seines Gemütes wurzelte, erwies sich überdies wohlerfahren in praktischen Geschäften. Mcht zum wenigsten in den Verhandlungen mit den Verlegern, die sich um die A. D. B. bewarben. Schon in Braunschweig wurde Liliencron Ostern 1869, als er mit seinem kleinen Sohn in seinem Arbeits­ zimmer im Gespräch saß, durch einen derartigen Besuch überrascht. Ein in dickem Reiseanzug vermummter hagerer älterer Herr trat ein, wickelte sich ein mehrmals um Hals und Kopf geschlungenes gestricktes Tuch ab, schritt dann auf Liliencron los und sagte: „Ich bin Brockhaus. Ich habe gelesen, daß Sie die A. D. B. heraus­ geben und habe nicht Übel Lust, das Werk in meinen Verlag zu nehmen. Ich muß Ihnen indessen gleich sagen, daß ich das Werk viel weniger wissenschaftlich gehalten wünsche, als Sie in Ihrem Prospekt in Aussicht genommen haben." — „Da muß ich Sie unter­ brechen. Ich bin im Gegenteil in dem, was ich in meinem Prospekt sagte, vorsichtig und bescheiden gewesen; in Wahrheit habe ich die Absicht, in bezug auf strengste Wissenschaftlichkeit sehr viel mehr zu leisten, als ich im Prospekt zu versprechen wagte." — „Unter diesen Umständen würde allerdings eine weitere Besprechung keinen Zweck haben," antwortete Brockhaus. „Jedenfalls würde ich von diesem Prinzip keinen Zock breit abgehen." Brockhaus zog mühsam die Uhr aus der Tasche seines pelzumhüllten Innern: „Ich sehe, daß ich gerade noch den nächsten Zug zur Rückfahrt nach Leipzig er­ reichen kann." Ein kurzer Händedruck, und der Gast war ebenso plötzlich verschwunden wie gekommen. Verdutzt hatte der Sohn der Szene beigewohnt. „Imponiert hatten mir eigentlich beide. Beide wußten ganz genau, was sie wollten." Was Brockhaus im Sinne lag, zeigte sein „Moderner Plutarch", ein Sammelwerk, das, von Rudolph Gottschall herausgegeben, trotz mancher guter Arbeiten an Bedeutung und Wirkung nicht zu vergleichen ist mit der A. D. B. Bekundete Liliencron in dem Gespräch mit Brockhaus eine jeden Zweifel ausschließende Festigkeit, so bewies er im Umgang mit Rankes Verleger, dem Inhaber der Firma Duncker & Humblot,

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Carl Geibel, die ganze Liebenswürdigkeit und Verträglichkeit seiner Natur. Es war nicht leicht, den Verlag, der zuerst nur an kommissions­ weise Übernahme einer solchen Riesenunternehmung dachte, zu Ver­ einbarungen mit der H. K. zu vermögen, in denen sich diese ledig­ lich zu der sehr bescheiden bemessenen Entschädigung für den Redakteur verpflichtete, während Duncker & Humblot die gesamten Druck­ kosten und Autorenhonorare zu tragen hatten. Sicherlich hatte an dem Zustandekommen dieses Kontraktes auch Ranke wesent­ lichen Anteil, der Geibel im Oktober 1870 mit in die Plenarversamm­ lung der H. K. und die wechselseitigen entscheidenden Zusagen in derselben Stunde zum Abschluß brachte, in der auf der Straße Extra­ blätter mit der Meldung vom Fall Straßburgs ausgerufen wurden. Bon Anbeginn dieser für die A. D. B. ebenso gedeihlichen, als für den wagemutigen, opferbereit ausharrenden Verleger ehrenvollen Verbindung verstand sich aber auch Liliencron so vortrefflich mit Geibel, daß die Beziehungen sehr bald freundschaftliche wurden. Der Leiter der A. D. B. sah es als Pflicht an, dem Verleger Ein­ blick in die Mühen und Aussichten des Unternehmens zu verschaffen, und mancher seiner fast die ganze Zeit seiner Amtsführung 1870 bis 1907 umspannenden Briefe an Geibel gehört geradezu in die Geschichte der A. D. B. So gleich das Schreiben, in dem er vom Stab seiner Mitarbeiter Rechenschaft gibt:

München 9. Oct. 1871. Salvatorstr. 18. Berehrtester Herr! Wol möchten Sie zümen, daß ich mich in so langes Schweigen hüllte. Nicht einmal einen Dank für Ihre so überaus freundliche Aufnahme in Leipzig! Das aber werden Sie zugleich vermutet haben, daß nicht Mangel an Beschäftigung mit dem, was uns gemeinsam betrifft, sondern viel­ mehr eine einigermaßen massenhafte Beschäftigung damit der Grund meines Schweigens war. Was ich Ihnen als ein Fertige- melden und vorrücken wollte, das rückte so Schritt um Schritt und Glied um Glied vorivärts, daß sich niemals ein Stück Abschluß fand und der Abschluß der ganzen Vorarbeit ist natürlich auch jetzt noch nicht erreicht. Doch nötigte die Commissionssitzung, einmal die Summe des Erreichten zu ziehen Und nachdem die notwendigsten sich daran anschließenden Geschäfte sich erledigt haben, sollen Sie der erste in der Reihe der neu aufgenommenen Correspondenz sein. Durch unseren hochverehrten Präsidenten'), der mit x) Ranke.

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wunderbarer Frische bei der Sache war, sind Sie inzwischen schon im Allgemeinen über die Sachlage orientirt. Um Sie nun weiter von dem Stand der Arbeit in Kenntniß zu setzen, halte ich es für das Einfachste, Ihnen vertraulich und mit der Bitte um gef. Rücksendung meinen der Komm, vorgelegten allgem. Bericht zu senden und daran hier aus einer langen Reche mündlich gegebener Er­ läuterungen das, was Sie am Meisten interessiren kann, nemlich die Namen der Hauptmitarbeiter hier anzuschließen. 1. Allg. D. Geschichte. Älteste Zeit und Bölkerwanderung wird Dr. Kauf­ mann in Göttingen bearbeiten; F. Dahn in Würzburg wird noch dazu herangezogen werden (Alarich: Wach). Merowinger: Dr. Arndt in Berlin. Karolingerzeit: Prof. Sickel und Prof. Dümmler nach der unter ihnen selbst festzustellenden Theilung (Bonifatius: Hase in Jena). Heinrich I.: Wach. — Otto I.: Dümmler. — Otto II.: Giesebrecht. — Otto III.: Hegel. — Heinrich II.: Dove. — Konrad II. und Heinrich III.: Steindorsf in Göttingen. — Heinrich IV.: Sybel. — Heinrich V.: Arndt. — Lothar: Dr. Toeche. — Konrad III.: Dr. Scheffer-Boichorst in München. — Friedrich I.: Giesebrecht. — Heinrich VI., Philipp, Otto, Friedrich II. und s. Sohn: Winkelmann. — Interregnum: wahrscheinlich Lorenz. — Rudolf v. H.: Stälin. — Adolf und Albrecht I.: Wegele. — Heinrich VII.: Hegel. — Ludwig: wahrscheinlich Weech. — Karl IV.: Huber in Innsbruck.— Wenzel u. Siginund: Weizsäcker. — Albrecht II., Friedrich III. und Maxim.: Voigt. — Karl V. und Ferdinand I.: Maurenbrecher. — Maximilian II.: Kluckhohn. — Rudolf und Mathias: Ritter. — Ferdinand II. rind III.: Cornelius. — Für Leopold I. ist Wolf in Graz aufgefordert. Die zunächst folgenden Kaiser bis Franz I. sind noch unentschieden, weil Arneth, der nicht hier war, sich noch nicht darüber erklärt hat. Erboten hat sich übrigens Beer in Wien dafür. Karl VII.: Heigel in München. — Joseph II. und Leopold II.: Ranke. — Franz II.: Springer ist aufgefordert. Sie sehen, es fehlt hier nur Weniges noch. Demnächst also die Territorien. Preußen machte hartnäckige Mühe; jetzt hat mit raschem Entschluß der alte Ranke die Organisation dieses wichtigen Theils selbst übemommen. Ich habe inzwischen, um nicht vorzugreifen, innerhalb Preußens nur für einen Theil der sich ab­ sondernden Einzelheiten gesorgt. Nemlich: Die preuß. Ordensgeschichte haben Lohmeyer in Königsberg und subsidiär Amdt übernommen. Pommern—Rügen: Dr. Häckermann in Greifswald (wegen Pommern— Stettin stehe ich noch in Unterhandlung). Schlesien: Dr. Grünhagen und Dr. Markgraf nebst mehren Anderen. Das Erzstift Magdeburg: Dr. Janicke. Das Erzstift Köln: Dr.Cardanus (Dr.Ennen wird noch zugezogen werden) und Pf. Barrentrapp. Erzstift Trier: Dr. Kraus. Wegen Schleswig-Holstein

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stehe ich mit Handelmann in Kiel in Unterhandlung. Waitz und Nitzsch werden dafür mitwirken. Hannover: Dr. Hänselmann, Archivrat Dr. Grote« send und Dr. Janicke. Für Hessen (Kassel) hoffe ich Hartwich zu gewinnen. Nassau und Oranten ist schon durch den Tod erledigt? Schliephake hatte diese Partie übernommen. Auch über die Oesterr. Geschichte sind die Dinge noch nicht zum Ab­ schluß gediehen. Hoffentlich bald. Dann referire ich weiter. Baiern: ältere Zeit Dr. Riezler und Dr. Heigel. 16.—17. Jahrh.: Kluckhohn, Druffel, Ritter u. A. 18.—19. Jahrh.: Dr. Heigel. Die Bair. Pfalz z. Th. v. Weech, z. Th. die Genannten. Regensburg: v. Ocsele. Augsburg: Domvicar Dr. Strichele. Nürnberg: Archivar Dr. Lochner. Bamberg und Würzburg: Wegele. Würtemberg: Stälin < Vater u. Sohn) und mehrere Mitarbeiter f. ein­ zelne Partien. Baden: v. Weech. Elsaß: eben heute hat sich — der erste aus dem Reichsland — auf leises Anklopfen Spach zur Mitarbeit erboten. Barack meint, daß andere folgen werden. Schweiz: Meyer v. Knonau hat es übernommen, mit v. Wyß in Zürich die Arbeit zu machen u. event, andere Arbeiter heranzuziehen. Hessen-Darmstadt: Archivrat Baur. Er roiib das Stift Mainz ein­ schließen, so weit nicht die Erzbischöfe chren Bearbeiter, was vielfach der Fall ist, innerhalb anderer Zusammenhänge finden. Doch denke ich auch noch einen Mainzer Specialhistoriker zu gewinnen. Oldenburg: Archivr. Mertzdorff. Für Bremen hat Archivar Ehmck zugesagt; ich werde noch Dr. Schumacher zuziehen. Thüring. Landgrafengesch.: Wegele. Königreich Sachsen und Thüringen-Meißen: Prof. Flathe in Meißen. Sachsen-Weimar von der Theil, der Ernest-Alb. Linien: wahrscheinl. Burckhardt unter Mitwirkung von G. Staatsr. Stichling (schreibt z. B. Herzogin Amalia, Karl August usw.). Sachsen-Gotha-Coburg-Altenburg seit Joh. Friedr. I.: Archivr. Beck in Gotha. Sachsen-Meiningen-HUdburgh. einschließlich der älteren Grafschaft Henneberg: Archivrat Brückner in Meiningen. Reuß. Lande: Derselbe. Schwarzb. Lande: Archivr. Anemüller in Rudolstadt. Für die gesamte Jurisprudenz hat für Feststellung der Liste wie für Bertheilung der Arbeit Stintzing in Bonn die Oberleitung übernommen. Beigetreten sind außer Andern (mir liegt der abschließende Bericht Stintzings noch nicht vor) Muther und Stobbe für allg. Rechtsgeschichte, Schulte in Prag für das gesamte canonische Recht, Dove für Protest. Kirchenrecht.

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Für die Medicin hat Hirsch in Berlin die obere Leitung und die Haupt­ arbeit übernommen. Daneben für Gynäkologie: Hecker, für Ophthal­ mologie: Rothmund; für Anatomie: Kollmann; für Physiologie: Boit und für Pharmaceuten: Buchner, sämtl. hier in München, für letztere auch Dr. Husemann in Göttingen; für Irrenärzte Dr. Stahl, Director bei Regensburger Irrenhauses. In der Naturforschung sind noch Lücken. Übernommen hat die Chemiker (vorläufig für A und B) Dr. Oppenheimer in Berlin. Die Botaniker: Dr. Pritze! das. Die Physiker: Prof. Lommel in Erlangen. Die Mineralogen einschließlich des Berg- und Hüttenwesens: Oberbergrat und Akademiker Gümbel hier. Die Zoologie aber und die allgem. Naturgeschichte ist noch unbesetzt und in dieser Hinsicht könnten Sie mir einen freundlichen Dienst leisten. Ich habe Ostern mit Prof. Leuckart in Leipzig verabredet, daß ich ihm, wenn mir nicht gelänge, die Naturwissenschaften zweckmässig unter­ zubringen, ein Verzeichnis der in A und B nachbleibenden Namen sende; er selbst werde zwar nicht mitarbeiten, wolle mich aber beraten, wohin ich meine Bitten richten solle. Ein solches Verzeichnis nun habe ich ihm schon vor ziemlich langer Zeit geschickt, er hat mir aber nicht drauf ge­ antwortet. Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie ihn einmal des­ wegen interpelliren und dadurch die Sache anstossen wollten. Carus hat allerdings seine Mitwirkung für Zoologen zugesagt, ich möchte aber, ehe ich ihn weiter darum angehe, erst Leuckarts Antwort haben. Ich habe noch zwei Bitten, die ich, wenn auch außer dem Zusammenhang, gleich hier anknüpfen will. Auch von Roscher, den ich wegen der Nationalökonomen anging, erwarte ich seit lange vergebens eine Ant­ wort. Dann habe ich Freytag gefragt, ob er nicht den Artikel Arndt (Ernst Mor.) schreiben wolle; zugleich bat ich ihn, Dr. Dove zu sagen, daß Ranke selbst die Biographie Papst Adrians übernommen habe. Auch von Freytag habe ich keine Antwort. Dies letztere werden Sie leicht durch Dr. Dove, den ich bestens zu grüßen bitte, erledigen können. Wenn Sie aber Roscher und Leuckatt selbst danim ansprechen wollten, würden Sie mich sehr ver­ binden. Ältere Kirchengeschichte einschließlich der Biographien der einzelnen Fürsten vertheüt sich in viele Hände (darunter Döllinger, Reinkens, Schulte von kathol. Seite). Evangel. Theologie und Kirchengeschichte: an der Spitze Wagenmann in Göttingen; angenommen haben daneben bisher: Tholuck, Weingarten (Berlin), Köstlin (Luther), Franck in Wien; Gaß in Heidelberg; Herzog in Erlangen; Henke und Heppe in Marburg; Zeller für Baur; Hase für Melanchthon (und Erasmus); Dllthey für Schleiermacher. Zunächst werden auch Mörikofer in Winterthur und Palmer in Tübingen gewonnen werden. Für kath. Theologie seit d. 16. Jahrh, hat sich Werner in Wien an die

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Spitze gestellt; Mitarbeiter für einzelne Namen sind verschieden da, darunter Friedrich hier, Knoodt in Bonn, Steichele in Augsburg. Philosophie: Die großen Namen hat K. Fischer übernommen. Sonst ist nur noch ftir die einzelnen zunächst in Betracht kommenden Namen und auch noch nicht vollständig gesorgt. Ich habe aber mit Dllthey über eine bessere Organisirung des Ganzen beraten und erwarte seine Vor­ schläge. Er selbst hatte frellich keine Lust zur Mitarbeit. Die Direktion für Pädagogik hat Director Kern in Berlin unter Ge­ heimrat Wiese's Beratung und Mitarbeit übernommen. Die Namen aus A—B sind an mehre Mitarbeiter (unter denen auch Max Müller in Oxford für feinen Großvater Basedow) nach Wieses Vorschlägen verteilt. Phllologie. Die Linguisten, deren zunächst in Betracht kommende wichtigste LeSkien übernahm, wird eben er, wie ich hoffe, auch ferner übernehmen; ich schreibe ihm nächstens darüber. Die class. Phllologie haben Director Halm hier und Bursian in Jena übernommen; die Humanisten Geiger jun. in Berlin (zugleich die Hebraisten des 16. Jahrh.). Die Orientalisten: Sachau in Wien. Die Germanisten (nachdem Raumer in Erlangen sein Versprechen zurückgezogen) Scherer in Wien einstweilen für A und B. Historiker a) bis z. 13. Jahrh. Wattenbach; b) bis zum 16. Jahrh. Lorenz in Wien; c) bis zur Gegenwart Wegele. Doch werden die Terri­ torialhistoriker meistens auch von den betr. Localforschern behandelt. Litterärhistoriker: Kelchner in Frankfurt (d. h. die kleineren Artikel dieser Art. Buchhändler und Buchdrucker: Mühlbrecht. Mathematiker: Cantor in Heidelberg. Technologen und Mechaniker: Karmarsch in Hannover. Astronomen: Bruhns, vorläufig A und B. Geographie und Reisende: Peschel. Morgenländ. Reisende: T. Tobler. Das ist, was bis jetzt an Organisation für das Ganze gewonnen ist; einzelne Mitarbeiter für Einzelnes sind daneben manche . . Doch da sehe ich, daß ich die Litteratur noch überging sammt manchem Anderen. Ich muß also mein Verzeichnis noch fortsetzen. Litteratur: Die wenigen Namen der ältesten Zeit vertheilen sich einzeln. Erst mit dem 13. Jahrh, kommen Gruppen. Epische Dichter des 12.—13. Jahrh. Jänicke; einzelnes Bechstein und Schroeder. Minnesänger: Wilmanns in Berlin. Dramatiker, deutsche und latem, des 16. Jahrh.: Scherer in Wien. 17.—18. Jahrhundert bis Gottsched: Lemcke in Heidelberg in Ver­ bindung mit Schief. Localforschern. Gottsched bis auf die Gegenwart: Goedeke. Aber neben ihm: Klopstock» Hainbund und norddeutsche Kreise Weinhold in Kiel. Lessing: Kuno Fischer. Herder: Ehrenfeuchter in Göttingen. Wieland, Goethe, Schüler

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und der ganze Weimarische Kreis ist (unter Staatsrat Stichlings schon zugesagter Mitwirkung) Schöll angetragen. Er hat Krankheitshalber sich noch nicht entscheiden können. Sollte er ablehnen, so würde ich mich zu­ nächst an Mich. Bernays wenden. Die Romantiker: Hettner in Jena'). Musik: Dr. Arrey v. Dommer. Die Familie Bach hat Riehl über­ nommen. Daß Jul. Meyer die Arbeit und resp. Bertheilung der Arbeit für die bildende Kunst übernommen hat, ist Ihnen bekannt. Endlich ist noch die Militärbiographie zu erwähnen: a) Preußische: im Mittelpunct dieser Arbeit steht Major v. Meerheimb in Berlin vom pr. Generalstabe. Mitarbeiter: Hauptm. Jähns in Berlin, Hr. v. Koscielsky für allg. Mil.Gesch. Graf E. zur Lippe für Friderieianische Zeit, für welche zunächst auch Gen. v. Witzleben (jetzt in Dessau) heran­ gezogen werden wird. Im Augenblick war damit das Bedürfnis gedeckt. Wenn die Armee zurück ist, werden neben den guten Schwertern auch manche gute Federn mit heimkehren. b) Oesterreichische: Hr. v. Janko (im Kriegsministerium in Wien). Bor der Hand hat er noch keine Mitarbeiter begehrt. c) Sächsische: Oberstleut. Winkler in Dresden. d) Hannöversche, Hessische etc.: Oberstleutn. v. Felting in Meiningen. e) Bairische: Major v. Würdinger hier. Für jetzt ist damit das Bedürfnis gedeckt. Die Druck-Probe, wie sie im Allgemeinen im Programnr vorlag'), hat sehr den Beifall der H. C. gehabt. Nur eine Änderung in der Einrichtung erschien wünschenswert und ward beschlossen und ich wurde zugleich be­ auftragt, Ihnen dies mitzutheilen: daß nemlich die biograph. u. Quellen­ literatur am Schluß der Artikel nicht mit derselben, sondem in neuer Zeile mit kleinen Lettern folge. Es ist wünschenswert, daß sie sich für das Arrge deutlich absondern, anstatt wie es jetzt der Fall ist, hinter der eigent­ lichen Biographie unabgetrennt schwanzartig herzuschleppen. Nachdem ich in dieser langen Epistel schon 2 mal unterbrochen bin, will ich jetzt eiligst schließen, damit sie nicht noch einmal liegen bleibe. Fast muß ich, nachdem ich mich erst für mein Nicht-schreiben entschuldigt, jetzt für mein Bielschreiben um Entschuldigung bitten. Aber ich dachte, es werde Sie interessiren, etwas im Einzelnen die Lage der Sache kennen zu lernen. Mit der Bitte, mich Ihrer Frau Gemalin und dem elterlichen Hause bestens zu empfehlen, bleibe ich in aufrichtiger Verehrung Ihr ergebenster v. Liliencron. x) War damals in Dresden. *) Als Muster war der Druck von Holtzendorsss Rechts-Encyclopädie gewählt

worden.

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Welches Maß und Übermaß von Mühen erforderlich war, solcher­ art den Stoff zu gliedern und ein doppeltes Netz für die Aufzunehmen­ den und für die Mitarbeiter anzufertigen und auszuwerfen, läßt sich aus diesen für Geibel bestimmten Blättern nur annähernd er­ messen. Ihre Ergänzung und Erläuterung hätte nur Liliencron selbst geben können, solange chm alle Besuche, Reisen, Briefwechsel, Sitzungen, Abzettelungen unzähliger Geschichtsbücher, biographischer Fachwerke, Lexika gegenwärtig waren, die die Voraussetzung zur Vollendung seines von Georg Waitz bewundernd anerkannten General­ verzeichnisses waren. „Daß das jetzige Stadium der Vorbereitung ein lästiges und dornenvolles ist, kann ich wohl ermessen. Möge es glücklich durchschrttten und dann hinter der Dornenhecke ein freund­ licher Blumenanger zu finden sein", wünschte dieser Kenner 1871. Das war leichter begehrt als gewährt. Die für jeden einzelnen und für ganze Gruppen von Artikeln notwendige Zahl von Fragen und Antworten wäre statistisch nicht genau zu bestimmen. Jedenfalls erforderte sie für 26 000 Namen ein Vielfaches dieser Ziffer, min­ destens eine Biertelmlllion von Einladungen, Mahnungen, Vor­ merkungen, Empfangsanzeigen, Kritiken, Änderungsvorschlägen und Danksagungen. Das Archiv der A. D. B. hat sich nur in Proben erhalten, das meiste von dem, was er von Menschen und Dingen hörte, blieb, wie er seiner Frau einmal schrieb, zu gelegentlicher Be­ nutzung im „Kopfarchiv" liegen, so daß Llliencron wiederholte Auf­ forderungen, eine eingehende Geschichte seiner Redattion zu schreiben, stets mit dem Bedeuten abgelehnt hat, dazu sei es noch zu früh und werde es wohl immer zu früh bleiben. Immerhin gaben die Zu­ schriften bedeutender Hauptmilarbeiter lehrreichen Einblick in seine Werkstatt. Durchweg sind sie auf den Ton unbedingten Berttauens zum Führer gestimmt. Aus den nach den Stellungen und Stufen­ jahren verschiedenen Äußerungen dieser Korrespondenten ist zu er­ sehen, mit welcher Feinheit er die Feder führte, mit welcher Geduld und Güte er Größen und Anfänger und zum Gelingen eines solchen Riesenbaues nicht zu übergehende Handwerker, Leute ersten und letzten Ranges, behandelte. Ärger und Enttäuschungen konnten in einem zeitlich und örttich so weitgedehnten Bettiebe nicht ausbleiben. Sybel stand der A. D. B. nicht allein von Anbeginn zweifelnd mit der heillosen Prophezeiung gegenüber: „Da wird nichts draus";

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er verhehlte Liliencron nicht, daß die überbürdeten „Magnaten" der Berliner Gelehrtenwelt, selbst wenn sie den einen und den anderen Beitrag versprochen hätten, den Redakteur notgedrungen im Sttch lassen würden. In Wirklichkett lösten fast alle Größen der deutschen Wissenschaft ihre Zusagen ein. Meister der Geschichtschreibung, Ranke, Sybel, Giesebrecht, Dümmler, Wyß, Meyer-Knonau, Arneth, Riezler, Heigel mit ihren Schülern und Enkelschülern, die ersten Männer der deutschen Mertumskunde, von Literarhistorikern Scherer und sein Kreis, Goedeke, Technologen wie Karmarsch, späterhin mit stofflich und künstlerisch gleich hervorragenden Würdigungen von Technikern und Erfindern Bauernfeind; Geographen, wie Ratzel, gaben aus den Urquellen geschöpften, vielfach abschließenden Bericht über ganze Gebiete deutschen Lebens. Uneigennützig be­ gnügten sich alle Autoritäten mit demselben für sie wie für die Neu­ linge geltenden einheitlichen kleinen Honorarsatz. Mle dienten der A. D. B. im guten Glauben, an einem Tag, Jahr und Jahrhundert überdauernden Monumentalwerk mitzuschaffen. Die Stetigkeit, mit der Llliencron bei seiner Arbeit ausharrte, die Entsagung, mit der er um ihretwillen, wie er Geibel einmal schrieb, ohne Klage auf eigenes Schaffen verzichtete, steigerte bewußt und unbewußt den Eifer seiner Nothelfer, deren Kreis er unaufhörlich erweiterte, von vorgefaßten Meinungen frei, nur darauf bedacht, für jedes Fach und jeden Namen den besten Bearbeiter zu gewinnen. Neben dem Forscher ließ er den Liebhaber, außer dem Schulmann den Künstler zu Wort kommen. Sein Ansehen und seine Beliebtheit vermochten Gustav Freytag mit einer anmutigen persönlichen Huldigung seiner Aufforderung zu willfahren, Ernst Moritz Arndt zu würdigen. „Daß dieses Unternehmen, soweit Sie dasselbe fördern können, gut fort­ gehen würde," schrieb er 31. Mai 1872 aus Siebleben, „ließ sich erwarten, denn von allen Mitgliedern der Münchener Tafelrunde haben Sie uns bis jetzt die reichste Gabe" — die Historischen Volks­ lieder — „gebracht und die größte Tätigkeit bewährt. Dem Werke selbst wünsche ich, daß auf das Verzeichnen der Werke ttotz allem und allem mehr Gewicht gelegt werde. Was ist das Erwähnenswürdige im Leben eines Schaffenden, wenn es nicht seine Werke sind? Uns allen aber ersehne ich, daß die ausgez'ichnete Begabung einer geistvollen und wissenschaftlichen Oberadministration,

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welche Sie bewiesen haben, der Nation noch auf anderem Gebiete zugute kommen möge, als auf dem eines literarischen Unternehmens." Freytags Andeutung hatte triftigen Anlaß. Die Gothaer Freunde wollten mit Hilfe Usedoms LUiencron zum Leiter der neu zu ge­ staltenden Berliner Museen berufen lassen. An Samwer schrieb Liliencron im Februar 1872, daß er nicht selbst zu solchem Amt sich gemeldet, vielleicht nur durch die früheren Verhandlungen wegen der Hofmarschallstelle beim Kronprinzenpaar in Betracht käme, grund­ sätzlich jedoch nichts dagegen hätte, da die Arbeiten für die A. D. B. weit genug gediehen seien, um äußerstenfalls Teilung eintreten zu lassen, d. h. die Verwirklichung der Einzelheiten einer jüngeren Hilfskraft anheimzugeben; wohl fehle es noch an manchem Ende, auch werde noch mancher Faden reißen, „aber in summa ist dieser mein Plan, an dessen Ausführbarkeit im Beginn fast niemand glauben wollte, gelungen". In der Berliner Museumsfrage erklärte es Lilien­ cron int Hinblick auf die gewaltigen nordischen Kopenhagener Samm­ lungen und die Zersplitterung der deutschen Schätze für unmöglich, Ähnliches in den Originalien zusammenzubringen, doch schien es ihm nicht ausgeschlossen und der eigenen zentralisierenden Fähig­ keit gemäß, gute Nachbildungen des Notwendigen vollständig vor Augen zu führen. Allein auch in dieser bescheidenen Form kam Liliencrons Anregung nicht zur Verwirklichung. Und auch diesen Fehlschlag nahm er so gelassen auf wie manche früheren. In den Tagesmühen für die A. D. B. schlug der Unverdrossene nicht bloß in Korrespondenzen mit Halm und Bursian ernste, philologischen Fragen geltende Töne an, ein Scherzgedicht, mit dem Felix Dahn einmal die Biographien einer Reihe von Gotenkönigen ankündigte, wurde der Ausgangspunkt für humoristische Episteln in Versen, in denen Liliencrons Laune sich siegreicher erwies als Dahns Schnurren. Der Frohsinn, der ihm in Sorgen und Plagen des gelehrten Tage­ werks treu blieb, erquickte bie ©einigen und seinen erlesenen Bekannten­ kreis, zu dem Liebig, Planck, Heyse, Kaulbach, Piloty, Wllbrandt, Siebold und vor allem Riehl gehörten, in allen freien Stunden, in denen es an Geselligkeit und edlen Kunstgenüssen, Quartetten und Rezitationen nicht fehlte. „Wie oft bin ich in Gedanken bei Ihnen und Ihrer verehrten Famllie gewesen," schrieb der nach DonauEschingen in die Fürstenbergischen Sammlungen berufene junge

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Riezler im Januar 1872. „Ihr Salon, aus dem man immer geistige Anregung und ästhetischen Genuß davontrug, repräsentiert so recht, was mir hier abgeht, eine verfeinerte geistige Atmosphäre und gute Musik und — anderes." Der Geschichtschreiber Bayerns spielte den Geigenpart an Liliencrons Trioabenden und besaß die rechte Empfänglichkeit für den Geist, der das ganze Hauswesen durch­ waltete. Der spätere Schwiegersohn, Baron Lerchenfeld, gehörte zur jungen Generation, die sich mit anderen Freunden des Sohnes Graf Fugger, Holnstein und den Freundinnen der Töchter regel­ mäßig im Liliencron'schen Hause zusammenfanden, um unter der Führung des Hausherrn Dantes Hölle und Himmel zu durch­ wandern oder während eines anderen Winters den Shakespeare­ scheu Königsdramen, Hamlet usw. zu lauschen, die er meisterhaft vortrug. Einmal wurde Liliencron das Königliche Residenztheater zu einer Wohltätigkeitsvorstellung überlassen, die von der Fama als Anwartschaft auf die Intendanz der Hofbühne ausgerufen wurde. Einer der wenigen überlebenden Zeugen dieses Abends, der neunzig­ jährige Hyacinth Holland, einer der eifrigsten Mitarbeiter der A. D. B., berichtete mir am 16. Februar 1917: „Am 6. Mai 1870 wurde im Münchener Residenz-Theater „Die Aufforderung zum Tanz nach Dumas von Moritz" aufgeführt, wo Liliencrons Gattin rauschenden Beifall fand; ihr Partner war Liliencron als voNendeter Salonheld. Im .Schwert des Damokles' löste er als Buchbinder Kleister ganz im Stil eines sächsischen Kleinmeisters ä la Ludwig Richter in roter Perücke, Schlapp­ schuhen und Schurzfell arbeitend, ganze Ströme von Heiterkeit und rauschendsten Beifall. Wie er in Büchern wühlte, jedes handhabte, nach dem Zitat suchend, tatterich vor Aufregung, war hinreißend komisch." Die Leitung der Hofbühne war und blieb Liliencron, wie er sich selbst lange zuvor sagte, in der Bagner-Ära anderen Persönlichkeiten Vorbehalten. Musik trieb und genoß er eifriger als je. Mit dem pensionierten Obergerichtsrat von Tücher, dem Herausgeber des Schatzes des „Evangelischen Kirchen­ gesanges" kam er in fruchtbaren Verkehr, und er ruhte nicht, bis er bei katholischen Geistlichen Messe singen lernte. Das schien ihm der einzige Weg, um für historische Kirchenmusikstudien festen Boden unter die Füße zu bekommen. Und nicht weniger als an den Herr-

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lichen Messen der Michaelskirche labte er sich an Opern- und Symphonieaufführungen unter Levi, dem er freundschaftlich so nahe kam, daß er zu den Generalproben der aus dem Manuskript gespielten neuen Quartette von Brahms geladen wurde. Lllieneron hatte den Tondichter gelegentlich dessen Reise nach Kopenhagen auf einer Seefahrt getroffen und von der ersten Begegnung an Gefallen an dem Mann gefunden. Borher und nachher begleitete er fein Schaffen mit Antell, und einmal holte er brieflich sein Gutachten in musilgeschichllichen, die historischen Bolkslieder betteffenden Fragen ein. Brahms wiederum hegte solche Sym­ pathien für Lllieneron, daß er ihn, wenn er nach München kam, oft besuchte. Sehr deullich steht Baronin Rheinbaben ein Wend in Erinnerung, an dem Brahms mit Bogl, dem damaligen Tenor der Münchener Hofbühne, in ihr Elternhaus kam, um feine neuesten Komposittonen zu bringen und hören zu lassen. Er verbrachte den Sommer, der ein sehr regenreicher war, am Starnberger-See und hatte dort die Regenlieder komponiert. Er kam auch sonst viel und gemütlich in das Haus Lllienerons und sah ihn sicherlich gern bei der Generalprobe seiner Quartette. Die neuen Schöpfungen entzückten Lllieneron dermaßen, daß er dem Komponisten am nächsten Tag schrieb: München, Sonntag Morgen 7/9. 73. Lieber Herr Brahms!

Mein Herz läßt mir keine Ruhe, ehe ich nicht noch ein Wott der Be­ wunderung und des Dankes für gestern Abend ausgesprochen habe. Mündlich bringe ich den Ausdruck meines 'wahren Gefühles in solchen Fällen, je tiefer es ist, um so schwerer über die Lippen. Auch sind Sie nicht der Mann, der es sich gern ins Gesicht sagen läßt. Mir ist, als wäre ich gestern bei zwei Kindern Taufzeuge gewesen, denen es beschieden ist, berühmte Männer zu werden. Nur daß solcherlei Kinder den Borzug haben, aus dem Schoß ihrer Mutter gleich als ge­ harnischte Männer hervorzuspringen, so daß sie sich bei der Taufe anständiger Präsentiren, als andere arme Erdenkinder. Ihre Quartette haben einen tiefen, gewaltigen Eindruck auf mich gemacht und so oft ich später — — möchte es recht oft sein! — die Freude haben werde, sie wieder zu hören, werde ich mit neuem Dank an den unvergeßlichen Abend zurück­ denken, den Sie und Ihr verehtter Witt, dem ich mich freundlich zu empfehlen bitte, uns gestern bereiteten. Ich bin nun dazu, offen gestanden,

als das glückliche Kind einer vergangenen Zeit, die romantischer empfand wie unsere Tage und ihre Kinder, ein so gut organisierter Narr der Phantasie, daß ich mich durch allerlei Wind der Vorstellungen nicht nur bewegen, sondern auch in die blaue Lust hinaustragen lasse, so daß der Künstler hernach um so leichteres Spiel mit mir hat. So habe ich z. B. manchmal, wenn mich ein Kunstwerk, das die Welt und ich selbst schon lange kannten, so recht entzückte, dem Eindruck nachgedacht, den das Werk auf die Hörer gemacht haben müßte, als es zum ersten Mal — als das Mädchen aus der Fremde vor sie hintmt, vor sie, die auf nichts vorbereitet waren und von Rote zu Rote Überraschungen hörten. Dies Gefühl, dies unvergleich­ liche Herzensglück haben Sie mir gestern bereitet, denn ich weiß gewiß, daß ich Werke gehört habe, die meinen Enkel ebenso ergreifen werden, wie gestern mich, wenn anders mein Enkel, sofern er überhaupt geboren wird, nicht mit dummen Eselsohren auf die Welt kömmt. — Rur Einer von den 8 Sätzen der Quartette ist mir fremd geblieben. Ich sage dies nur, damit Sie sehen, daß ich unter dem Hören die Kritik nicht verloren habe; nicht aber, als wenn ich Sie durch meine Kritik reformiren zu können wähnte. Darum sage ich auch nicht einmal, welchen Satz ich meine und worauf meine Meinung sich stützt, sondern drücke mich nur so kokett aus, daß Sie mich gelegentlich stagen können, wenn es Sie nicht langweüt. U. s. w. U. s. w. Ich wollte ja keinen Brief, sondern nur einen Dank aus warmem, ergriffenem Herzen schreiben! Ihr ergebenster

v. Lüiencron. Der jugendliche Schwung, mit dem der 63 jährige das Reue, Große, Dauernde erkannte und anerkannte, gibt nicht allein Zeugnis

für seine Empfänglichkeit; sein sicheres Urteil für das Echte, Starke, das die lebendige Gegenwart hervorbrachte, zeigte sich durch seine

immer tiefer gründende Beschäftigung mit den Meisterwerken der Vergangenheit geschärft, nicht wie bei manchen anderen Musik­ historikern einseitig

und

eigenrichtig

befangen.

Offenen

Sinnes

für die ganze Entwicklung der neueren Tonkunst von Bach bis auf Beethoven und Brahms, versenkte er sich zugleich in die weltliche

und geistliche Musikliteratur der diesen Meistern vorangehenden Jahrhunderte. Seine früheren Studien über Töne und Weisen

der Minnesänger und Historischen Bolkslieder fanden immer weiter­ greifende Fortsetzung durch seine

Beschäftigung mit der älteren

Kirchenmusik, deren Erforschung ihm Herzenssache und deren Hebung in den folgenden Jahrzehnten bis in seine letzten Zeiten theoretisch «»ttelheim, R. v. ßUlencron.

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und praktisch eine Hauptaufgabe seines Lebens wurde. Der langen, reichen Reihe von Aufsätzen und Büchern, in denen Liliencron zu­ meist in den neunziger Jahren heilsame Reformen der Liturgie im protestantischen Gottesdienst das Wort redete, ging eine 1874 rasch in die Form von Reisebriefen an seine Tochter Hedwig ge­ kleidete Novelle voraus: „Wie man in Amwald Musik mach t". Ein Humoreske, die für Kunst und Leben beherzigens­ werte Wahrheiten launig predigt und durch den stofflichen Reiz ihrer Fabel und die Anmut des Vortrags dauernd, am besten im Pfennigheft einer Universalbibliothek fortzuleben verdient. Auf einer Sommerfahrt im bayerischen Gebirge eingeregnet, findet Liliencron im Apotheker der kleinen Ortschaft Kohlgrub einen ent­ fernten Angehörigen aus dem Geschlecht der Luckner. Dieser Ver­ wandte, der Vater eines allerliebsten Mädchens, ist ein in sauberer Kleinmalerei liebreich konterfeites Original: Protestant und Frei­ sinniger, der dessenungeachtet mit dem katholisch gesinnten Regenschori der Unterstadt in bester, durch unablässige Neckereien gewürzter Freundschaft steht. Er will Röschen seinem Provisor, dem er die Nachfolge in seiner Apotheke zudenkt, zur Frau geben. LUiencron wird indessen Zeuge, wie statt dessen ein Schützling des Regenschori, der in die Fremde ausgeflogene Sohn eines dritten, mittler­ welle verstorbenen Freundes der beiden Kleinstädter, durch musi­ kalische Leistungen im welllichen Konzert und auf der Kirchenorgel siegreich die Hand des Mädchens, dessen Herz er längst sein eigen nannte, zugleich mit der protestantischen Kantorei der Oberstadt erringt. Das biedermeiersche Idyll gewinnt durch seine Schlicht­ heit; das Liebespaar ist von herzstärkender Frische, die alten Herren sind so sicher geschaut wie Urbilder von Spitzweg. Saft und Kraft lebt in jedem Wort des Regenschori, der als Maschinist der Hand­ lung eingreift und zugleich als musikalischer Erzieher der Orts­ schüler, wie der längst seiner Führung entwachsenen, doch auf seinen Spuren weiterwandelnden Hüter und Heger echter Tonkunst in und außer dem Gotteshause witzig und weise all das zur Sprache bringt, was Llliencron im Musikleben seiner Zeit als verkehrt und verderblich, was Llliencron in der protestantischen Kirchenmusik als verbesserungsfähig und -würdig ansieht. Die Standreden gegen Klavierpest und Modekonzerte; das lebendige Beispiel, das Lllien-

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cron von den Unterrichtsmethoden gibt, in denen der Regenschori seine Schulkinder in den Kalender der Musica sacra einweiht, ihr Verständnis für die Eigenheiten des musikalischen Kirchenjahres weckt; die Schilderungen, die er von der Art und Gewalt der Orgel­ phantasien des alten Regenschori und des neuen Kantors gibt, sollten unverloren bleiben. Kernworte fallen über die rechte Technik, in der von Bach und Mozart bis auf Brahms Händel-Variationen Klavier geübt und gespielt werden soll. Alles Lehrhafte ist wie Salz und Zucker aufgelöst in einem aufschäumenden kohlensäurehaltigen Labetrunk. Lustige Einfälle gibt's beständig: so die lästige Um­ quartierung des ahnungslos überrumpelten Gastes aus dem Wirts­ haus in die Apotheke; so der Gedächtnisbehelf des zerstreuten Apo­ thekers, Zeitangaben, die er sonst vergäße, durch ein-, zwei -oder mehrtaktige Themen von Lieblingskompositionen als Mahnruf für 1 Uhr, 2 Uhr usw. sich einzuprägen. Und hinter dem rechten Scherz steht der rechte Ernst: die drei Kleinstädter, der Regenschori, der Apotheker, der Baler des Bräutigams sind über Staat und Kirche grundverschiedener Ansicht. Der Royalist, der Republikaner, der Weltbürger; der Protestant, der Katholik, der Freigeist finden sich aber einträchtig in nathanischer Gesinnung oder wie Grlllparzers Friedensritter zusammen. Unter den ungeschriebenen Gesetzen ihres Freimaurerbundes ist Duldsamkeit und Freiheit der Meinungs­ äußerung das Höchste, weil sie Unfehlbarkeitshochmut für das wahre Teufelskraut auf dem Acker Gottes ansehen: offenbar einer An­ sicht mit dem letzten Schluß von Llliencrons eigener Weisheit, wie sie der müde Mann jederzeit im Leben betätigte und als Leiter der A. D. B. für sich und seine Mitarbeiter als Grundgebot verkündigte. Am 28. November 1874 las Liliencron die „Novellette" (so lautete in Anlehnung an Schumanns Novelletten ursprünglich der Unter­ titel der Geschichte) einem Freundeskreise vor, in dem sein Wahl­ verwandter, Riehl, nicht fehlen durfte; sie gefiel ausnehmend. Drei Vierteljahre hernach wurde sie in Rodenbergs „Salon" gedruckt und viel beachtet. Die Lust an der Arbeit und ihr Erfolg regten Llliencron bald darauf zu einer anderen Künstlergeschichte an, deren Held diesmal kein namenloser Kleinstädter, sondern Shakespeare war: ein Versuch, Hamlets schwermütige Anwandlungen nach der „Siebenten Todsünde" zeitgenössischer Magister, der Acedia

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scholastischer Weltspiegel zu taufen. Eine Erzählung, die bei manchem Shalespearefreund Anklang gefunden, meines Erachtens indessen nicht gleichen Wert hat wie die musikalische Novellette. Im Vertrauen auf seine Zähigkeit hatte sich Liliencron so viel­ seitige Tätigkeit zugemutet, daß auch seine scheinbar unerschöpfliche Kraft jählings versagte. Er erkrankte schwer; dem langsam Ge­ nesenden schrieb Geibel, der wie wenig andere Zeuge feiner Über­ anstrengung gewesen, int Juli 1873: „Du hast zu viel übernommen. Bedenke, daß Du neben den laufenden Korrespondenzen, die sich auf die im Druck befindlichen Arbeiten beziehen, neben den Schreibe­ reien, welche die Fortsetzung betreffen, neben den zeitraubenden, unerquicklichen Arbeiten der Zusammenstellung, Sichtung, Amendierung, der Mahnung usw., von den Reisen, Werbebriefen gar nicht zu reden, nun auch noch die Korrektur, die Revision der ge­ setzten Bogen übernehmen sollst! Das übersteigt eines Menschen Kraft, und wenn er ein Riese an Körper und Geist wäre." Pflicht der Kommission sei es, zu ihrem eigenen wohlverstandenen Vorteil für Liliencrons Entlastung durch eine Hilfskraft zu sorgen; beflissen wollte der Freund Ranke und Giesebrecht, Arneth und Dümmler diese Notwendigkeit vertraulich vorstellen. Im Einvernehmen mit der H. K. teilte sich von Oktober 1873 Liliencron in die Redaktion der A. D. B. mit Franz X. Wegele in der Art, daß der Würz­ burger Historiker über die historisch-politischen Artikel zu bestimmen hatte. Fast ein Vierteljahrhundert (bis zu seinem Tod, Oktober 1897) war Wegele in solcher Weise mit und neben Liliencron an 44 Bänden des ersten Alphabetes beteiligt; sein Verdienst schmälert es nicht, wenn wahrheitgemäß festgestellt wird, daß, wie schon der erste Be­ richt von 1869, das erste, an die Mitarbeiter gerichtete, Zweck und Plan des Unternehmens bis in alle Einzelheiten auseinandersetzende Einladungsschreiben und der Urentwurf des Generalverzeichnisses bezeugt, der in jeder Bedeutung des Wortes erste Werkmeister der A. D. B. Liliencron gewesen und, da er nach Wegeles Tod das Unternehmen knapp bis zum Abschluß des zweiten Mphabetes führte, auch geblieben ist. Unvorhergesehene Hemmungen — außer der Säumigkeit mancher Mitarbeiter und der Erkrankung Liliencrons ein großer Buchdruckerausstand — verzögerte die für 1872/73 in Aussicht genommene Ausgabe der ersten Lieferung des ersten Bandes

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bis zum Jahr 1874/75. Bon diesem Zeitpunkt an folgte mit er­ staunlicher Pünktlichkeit programmgemäß fast jahraus, jahrein die Ausgabe von durchschnittlich zwei Bänden zu je 50 Bogen Lexikon­ oktav. Im ersten Band wurde das Raumausmaß von ungefähr einer Seite für den Beitrag eingehalten, so daß bei weiterer Be­ schränkung der Mitarbeiter auf diesen Durchschnittsumfang der Artikel die Bollendung der A. D. B. binnen zehn Jahren in zwanzig Bänden zu gewärtigen war. Die Betelligung der Gelehrtenwelt wuchs aber an Zahl und mehr noch in der Ausdehnung der Beiträge bald dermaßen, daß die Leitung von den ursprünglichen Berechnungen abgehen mußte. Nicht zum Schaden des Inhalts. Neben den durch­ weg wohlwollenden, vielfach bewundernden Stimmen, die die ersten Bände willkommen hießen, hatte sich auch Treitschke vernehmen lassen, der dem Unternehmen im ganzen freundlich und aufmunternd be­ gegnete, zugleich aber die Unzulänglichkeit vieler den neueren deutschen Diplomaten, Beamten, Fürsten und Staatsmännern geltenden Artikel rügte: ein Tadel, dem sich die Redaktion, insbesondere Liliencron, so wenig verschloß, daß sie für die Verbesserung der erst­ ausgegebenen Bände eine zweite Auflage in Betracht zog. Solchem Borhaben standen aber, so gut sich anfangs in der durch die Be­ gründung des Reiches gesteigerten Stimmung des Stolzes auf die deutsche Vergangenheit der Absatz der A. D. B. anließ, Bedenken über die der H. K. zur Beifügung stehenden Geldmittel entgegen. Bedenken, die den Vorsitzenden Ranke so anhaltend beschäftigten, daß er schon 1871 in einer Eingabe an den Fürsten Bismarck die Begründung einer Deutschen Akademie vorschlug, die nach seinem Wunsch auch die A. D. B. auf ihre Lasten übernehmen sollte. Bis­ marck ging auf Rankes Gedanken nicht ein, und die H. K. wagte getrost die Fortführung des erweiterten Unternehmens, das erst 1889, durch einen unerwarteten Glücksfall, die anläßlich des Wittels­ bachjubiläums erfolgte Widmung eines neuen Fonds von 650 000 Mk. für wissenschaftliche Zwecke aus drohenden Gefahren befreit wurde. Liliencron hatte auch in den fragwürdigsten Zeiten unverzagt aus­ gehalten. Allerdings durfte und konnte er sich den aus freien Stücken er­ folgten Anerbietungen eines Amtes nicht versagen, das seinen innersten Neigungen entsprochen und seine weitere Betättgung an der A. D. B.

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nicht ausgeschlossen hätte. Der hochverdiente Kurator der Universität Jena, Seebeck, dachte an seinen Rücktritt, und der Weimarische Staats­ minister von Stichling hielt Lüiencron nicht nur für dessen best­ berufenen Nachfolger, Stichling glaubte, zumal Lüiencron mit Freuden auf seine Borfrage Ja sagte, die Angelegenheit für ent­ schieden, da er der Bestätigung dieser Berufung durch die Nutritoren der thüringischen Gesamtuniversität sicher zu sein glaubte. SachsenKoburg und Sachsen-Altenburg traten auch dem Vorschlag SachsenWeimars bei. Als aber Herzog Georg von Sachsen-Meiningen Einspruch erhob, wollten die anderen Nutritoren dem Wlllen des Herrschers eines Fürstenhauses, in dessen Diensten Lüiencron früher gestanden, nicht entgegenhandeln, und zum unverhohlenen Ber­ druß des bestürzten Stichling unterblieb die Bestallung Llliencrons, der dem Herzog von Meiningen Komturkreuz und Kammerherrn­ schlüssel zurückschickte. Der Verlauf der mit den frohesten Zukunfts­ aussichten beginnenden und — wie der Vellage B mitgeteilte Brief­ wechsel mit Stichling zeigt — so leidig abschließenden Angelegenheit vermochte Lüiencron nicht lange zu verstimmen. Seine Frau wurde staunend Zeugin der Gelassenheit, mit der er diesen Schicksalsschlag verwand. „Rochus trägt diese Täuschung," so schrieb sie in ihr Tage­ buch, „wie nur e r dergleichen hinnehmen kann, mit Ergebung und erhabener Liebenswürdigkeit, die sich abends auch in seinem Dantevortrag und der Einleitung in das neue Jahr, das uns noch in der Hölle findet, widerspiegelt." Und einige Tage später heißt es: „Rochus war morgens bei dem wundervollen klaren, müden Winter­ wetter spaziert, um seine Seele mehr noch als den Körper zu erfrischen, und doch wie edel, groß und schön trägt er dieses Aufaeben eines seit vielen Jahren gehegten Lieblingsgedankens." Er vehielt den Kopf oben auch in Heimsuchungen, die sein Herz schwer bedrückten. Seine Frau wurde von einem Rückenleiden befallen, das sie monate­ lang ans Krankenlager fesselte, Todesgedanken aufsteigen ließ, Reisen nach Meran und zur Schonung ihrer Nerven zeitwellige Trennung von den Ihrigen, Ausruhen im Hause der befreundeten Famüie v. Pacher notwendig machte. Lüiencron trug die Kranke treppauf und treppab, führte sie im Kranketistuhl, stand ihr als zärtlichster Pfleger und Tröster zur Seite. Die süberne Hochzeit, die das Paar in seltener Glückseligkeit beging, gab Louise Anlaß, dem Schicksal, das sie zu-

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sammengeführt, in dichterisch gehobenen Gefühlsergüssen zu banse» und ihrem Rochus aus tiefstem Herzensgrund wiederum zu sagen, wie grenzenlos sie ihn liebe. Wie Liliencron selbst über seine Ehe dachte, geht aus einem von Preis und Dank für seine Louise erfüllten Brief an Schwiegervater Tutein hervor, dem er bei der­ selben Gelegenheit zugleich Kunde gab von einer neuen Wendung in der äußeren Gestaltung seiner Lebensstellung. Es bot sich dem schleswig-holsteinischen Edelmann die Möglich­ keit, zum Stiftspropst eines der vier adeligen Damenstifte seines Heimatlandes gewählt zu werden. Ein Amt, das, mäßig bezahlt, seinem Inhaber eine ansehnliche äußere Stellung und manche Be­ quemlichkeit, u. a. in dem an der Schlei schön gelegenen Schleswiger Johanniskloster eine behagliche Wohnung mit geräumigem Garten zubrachte. Der Abschied von München machte die Trennung von vielen alten Freunden, zu denen Neugewonnene (Wüllner, auch der aus Leipzig gelegentlich als Gast einkehrende Herzogenberg, Holstein usw.) sich gesellt hatten, nötig. Zerrissen wurden die Fäden schon deshalb nicht, weil Liliencron der Akademie angehörte, in der er kurz vor der Übersiedlung den Festvortrag „über den Inhalt der allgemeinen Bildung im Zeitalter der Scholastik" hielt, ein Thema, das den polyhistorischen Neigungen Liliencrons ent­ gegenkam und seine selbständige Auffassung der enzyklopädischen Weltspiegel Bincent von Beauvais', Brunetto Latinis und Dantes Dichtung bewies und in mannigfaltigen Wandlungen auch späterhin

Am Schluß der Artikel ist die biographische Literatur über die be­ sprochene Person möglichst vollständig zu verzeichnen. Wenn von be-

beutenbeten Persönlichkeiten Porträts ober Statuen von gleichzeitigen Meistern bekannt sind, so muß auch hierauf hingewiesen werben. Die Quellen endlich, aus benen bie einzelnen Artikel gearbeitet sind, Ä behülfen nur in bem Fall bet Angabe, wenn sie erstens nicht in bet auf- «nuST geführten biographischen Literatur schon enthalten sind, und zweitens nicht anberweitig als allgemein bekannt angenommen werben bütfen. Es sind mit einem Wort nur solche Quellen zu nennen, welche für ben gelehrten Forscher, wenn er bie Sache weiterzuverfolgen wünscht, nicht ohne Mühe zu fhtben sein würben. Eine Garantie für ben Leser sollen biefe Quellenangaben bagegen nicht hüben; bie Verantwortlich­ keit für ben Inhalt bet Biographie fällt ben Herausgebern unb ben Ber­ fasfern bet einzelnen Artikel zu. Eine anbete Frage ist es jeboch, ob nicht in bieser Beziehung bie Herausgeber sich von ben Mitarbeitern eine Sicherung geben lassen sollen, eine Sicherung bagegen, baß nicht ein Artikel eine bloße Wiedergabe ober Auszug eines Artikels, z. B. aus Ersch unb Gruber, wäre. Die belgische Akabemie hat es für nötig gehalten, sich in bieser Hinsicht sicherzustellen: sie legt jebem Mitarbeiter bie Pflicht auf, bei Einreichung bes Artikels seine Quellen zu bemerken, nur zur Kontrolle seitens bes Komitees. Zum Druck gelangen biefe Quellenangaben nicht. Die alphabetische Einreihung bet Namen bietet verschiedene schwierige ztp»4»«ttf*e Fragen. Doch scheint es hier noch nicht am Platze, dieselben zu erörtern. Ihre Erledigung wird vielmehr zweckmäßiger mit der Aufstellung bet vorläufigen Namensverzeichnisse Hand in Hand gehen können. Es ist nicht einmal möglich, sie früher ganz zu übersehen. Dagegen sind einige andere, die Anordnung der Artikel betreffende Fragen gleich jetzt zu erwägen. Zuerst die Frage, wie es mit den regierenden fürstlichen Häusern «linMnff gehalten werden soll? Es scheint bei ben Fürsten eine doppelte Aufführung das richtigste. Denn diejenigen Fürsten, denen eine spezielle Biographie gewidmet ist, wird man doch unter dem Buchstaben chres fürstlichen Vornamens aufzusühren haben: Adolf von Nassau, Berthold von Henneberg, Friedrich II. von Preußen, Konrad, deutscher Kaiser, Ludwig I. von Bayern usw. Daneben aber wird auch ben Häusern als solchen unter ihrem Buchstaben ein eigener Artikel zu widmen sein, bet in kurzer Skizze bie Reihenfolge bet sämtlichen Namen und sonstigen äußeren Daten enthält. Dieser Artikel bietet zugleich Gelegenheit, über solche fürstliche Namen, denen ein eigener Artikel seines Ortes nicht ge­ widmet ist, wo es zweckmäßig scheint, noch einige Notizen einzufügen. Die Seitenlinien, wenigstens die wichtigeren, werden dabei ebenfalls zu berücksichtigen sein; wo sie sich durch Zusatznamen von der Hauptlinie unterscheiden, werden sie in eigene genealogische Artikel zu stellen sein, auf welche dann in der Hauptlinie bei dem Urheber bet Seitenlinie ver­ wiesen wird. Wie denn überhaupt diese genealogischen Artikel vielfach durch Verweisungen aneinander zu binden sind.

So wird, um ein Beispiel zu geben, der Artikel „Thüringen, Landgrafen von" die Reche der Landgrafen von Ludwig I. bis zu Hein­ rich Raspe und seinen Brüdern anführen und hier mit einer Berweisung auf Meißen und Hessen schließen. Anderseits wird,, um von Hessen hier abzusehen, der Artikel „Wettin, Grafen von"; die kurzen Notizen über dies Haus bis auf Markgraf Konrad geben und dann gleichfalls auf Meißen verweifen. Unter „Meißen, Markgrafen von"; wird man die genealogische Skizze dieses Hauses von Konrad bis zu Friedrich II. den Friedfertigen finden, wo sie mit der Berweisung auf Sachsen schließt, und der Artikel „Sachsen, Herzöge, Kurfürsten und Könige von"; wird endlich seinerseits mit den älteren Herzögen anhebend, wobei sich die Linien Sachsen-Wittenberg und Sachsen-Lauenburg zu besonderen Artikeln abzweigen, jenen in Meißen zusammengeflossenen Strom aufnehmen, um bei der ersten Linientellung mit der Berweisung auf: „Sachsen, albertinischer Linie, Herzöge, Kurfürsten und Könige" und „Sachsen, ernestinischer Linie, Herzöge und Kurfürsten" zu schließen usw. Die mit dem Zusatznamen abgezweigten Linien folgen sodann nach dem ersten Buch­ staben des zweiten Namens geordnet: „Sachsen, albertinischer Linie, S.Eoburg; S.-Eisenach; S., ernestinischer Linie; S.-Gotha, S.-Lauenburg usw. Der Anfang dieser abgezweigten Artikel wird jedesmal wieder durch eine Berweisung an den dazugehörigen Hauptartikel gebunden. Der Artikel „S.-Weimar, Herzöge und Großherzöge von"; wird zu beginnen haben: „Wilhelm IV. (s. Sachsen, ernestinischer Linie, am Schluß)" usw. Es ließe sich nun weiter auch so anordnen, daß die einzelnen Fürsten, denen außer diesen genealogischen Hauptartikeln noch eine besondere Biographie gewidmet ist, unter dem Buchstaben des Hauses („Sachsen" usw.) dem einleitenden Hauptartikel folgten, und zwar könnten sich dann alphabetisch oder, was in diesem Fall vielleicht das übersichtlichere wäre, chronologisch geordnet werden. Aber eine Unterbrechung der allgemeinen alphabetischen Anordnung durch so umfangreiche Einschiebungen von anderer Anordnung dürfte durchaus zu widerraten sein. Wo einmal alphabetische Ordnung herrscht, soll man sie so lange wie irgend möglich streng festhalten. Abweichungen, die dem Anordner vorzüglich erscheinen, well sie, wie z. B. gerade die eben angeführte Einordnung der fürstlichen Namen unter ihr Haus, den Anschein einer mehr organischen Einrichtung haben, dienen dennoch dem suchenden Benutzer des Buches meistens nur zur Verwirrung, well er sich die Gesichtspunkte, die den Anordner dabei geleitet haben, nicht gleich klarmachen kann. Man tut praktisch immer wohl, sich in zweifelhaften Fällen zunächst die Frage vorzulegen, an welcher Stelle ein Nachschlagender ohne jede weitere Reflexion am ersten ver­ muten wird, den gewünschten Namen zu finden. Daß aber im vorliegenden Fall z. B. jemand, der Friedrich den Großen sucht, nicht erst umhersinnen würde, ob er unter „Brandenburg, Preußen oder Hohenzollern" suchen solle, sondern daß er einfach die „Friedrich II." aufschlagen und unter

diesen den König von Preußen leicht herausfinden würde, das unterliegt keinem Zweifel. ES wird darum daS richtigste bleiben, die Häuser, wie gesagt, unter chre Buchstaben und alle einzeln zu besprechenden Fürsten nach dem Buchstaben ihres Bornamens einzuordnen. Die gleichen Bor­ namen werden wohl zunächst am richtigsten, wie z. B. auch bei Ersch und Gruber geschehen, nach Ranggruppen geordnet: Kaiser, Könige, Kurfürsten, Großherzöge, Herzöge, Fürsten, Grafen (gefürstet); Erzbischöfe, Bischöfe, Abte usw.; innerhalb der einzelnen Klasse wieder alphabetisch nach dem Territorium, innerhalb des Territoriums natürlich nach der Zahl. Eine zweite Frage geht dahin, ob auch die geistlichen Territorien in ähnlicher Weise in allgemeinen Artikeln zusammenzufassen seien, welche die Reche der Erzbischöfe usw. enthalten, und zu denjenigen, welche nicht in besonderen Artikeln unter ihrem Bornamen besprochen werden und gleichwohl für die Geschichte ihres Territoriums nicht ohne Bedeutung sind, außer dem Regierungsjahr, welches bei allen anzugeben ist, noch einige fernere Notizen hinzuzufügen. Es ließe sich eine allerdings nur ganz leicht skizzierte Geschichte der Stifter in solchen Artikeln denken. Je mehr aber die Artikel sich eben diesem Inhalt nähern, um so mehr gehen sie, genau genommen, über die natürliche Grenze der Biographie, welche sich mit Personen, nicht aber mit Territorien beschäftigt, hinaus. Je mehr sie umgekehrt bloße Regentenrechen sind, um so mehr wiederholen sie nur eine anderwärts bereits geleistete Arbeit. Denn Hopf gibt in feinen genealogischen Tabellen solche Reihen der Erzbischöfe usw. und gibt sie, soviel ich weiß, in korrekter Gestalt. Man könnte seine Arbeit nur revi­ dierend wiederholen und wäre chm wenigstens schuldig, ihn selbst um Übernahme einer solchen Arbeit für die Biographie zu ersuchen. Es scheint aber rätlicher, von Artikeln der besprochenen Art, die schon in ihrem Stich­ wort, einem Städtenamen, das Unorganische ihrer Einschiebung verraten würden, ganz abzusehen. Anders bei den fürstlichen Famüien, wo die Ländernamen, wenigstens tellweise, in die Bedeutung von Famüiennamen übergegangen sind. Drittens wird es sich fragen, inwieweit adeligen Famüien ein all­ gemeiner genealogischer Artikel, wenn auch natürlich in viel geringerer Ausführlichkeit wie bei den fürstlichen Famüien und mehr nur auf die allgemeinen Umrisse der Hausgeschichte beschränkt, gewidmet werden soll. Mit dem Adel als solchem hat die Biographie nichts zu tun; ihn in der Gesamtheit seiner Familien aufzuführen, muß Sache der Genealogie bleiben. Für die Biographie kommt dagegen eine Famüie nur insoweit in Betracht, als sie sich geschichtlich durch persönliche Verdienste ihrer Mitglieder hervorgetan hat. Wo dies der Fall ist, da wird es sich darin zeigen, daß ein oder mehrere Mitglieder der Famüie sich in dem alpha­ betischen Ramensverzeichnis der Biographie vorfinden. Daraus scheint sich die natürlichste Antwort für die aufgeworfene Frage zu ergeben; adelige Famüien, von denen sonst kein Mitglied in der Biographie be-

tn Mttff Mr tdfUUMe Territorien.

c) In betreff der «bell» gtneologte.

282

d> KU-

Quellen und Anmerkungen.

sprachen wird, sind überhaupt nicht anzuführen. Wo nur ein einzelner Name einer Famllie vorlommt, sind mit seiner Besprechung die nötigen genealogischen Nachrichten über seine Familie zu verbinden; wenn endlich mehrere Mitglieder einer Famllie Vorkommen, ist chnen ein genealogischer Artikel vorauszuschicken. Bei diesem Anlaß mögen dann immerhin auch noch über andere Glieder der Familie, die entweder an sich oder durch ihre Verbindung mit den historisch gewordenen Namen Interesse gewähren, einige Nachrichten eingeflochten werden. In ähnlicher, wie der zuletzt erwähnten Weise, scheint es endlich zweck­ mäßig, auch bei anderen Namen bedeutender Männer in einem und dem­ selben Artikel mit chnen die sie umgebenden weniger bedeutenden Per­ sönlichkeiten ihrer Familie in aussteigender oder absteigender Linie ab­ zuhandeln. Diese empfangen gleichsam von dem berühmten Namen, den sie umgeben, erhöhtes geschichtliches Licht. Der Fall kommt, wie man z. B. in der belgischen Biographie, welche ihn in der hier angedeuteten Weise behandelt hat, sehen kann, nicht so gar selten vor, und die vorgeschlagene Zusammenfassung ist auf erwünschte Art raumersparend. Sie ist aber daneben auch sonst praktisch, denn die Bäter oder Kinder berühmter Männer, soweit sie nicht entweder durch eigene Verdienste ebenso berühmt und einer eigenen Besprechung wert oder aber gänzlich obskur und darum über­ haupt nicht nennenswert sind, erwartet man unwillkürlich bei dem be­ rühmten Namen mit genannt zu finden.

®u«t Me»«Es ist festzustellen, wie weit oder wie eng der Begriff des „D eu t jKwtSrw schon" für die Biographie zu fassen ist, und zwar zunächst in betreff der ») i»' Mnfl”«territorialen Ausdehnung. Zwar theoretisch läßt sich der oberste dafür «St«»«»“? brohl unzweifelhaft aufzustellende Grundsatz leicht so ausdrücken: Deutsch ist ein jeder, dessen Geburtsort zur Zeit seiner Geburt zu Deutschland gehörte. Aber mit diesem Satz kommt man für die überhaupt in Frage kommenden Gebiete hiermit nicht weit, sondern erkennt bei der Anwendung leicht, daß dieser Satz namentlich unter dem Gesichtspunkt einer weisen Beschränkung mannigfachen und zum Tell ziemlich tief einschneidenden Modifikationen unterworfen werden muß. Wäre man in Hinsicht auf den äußeren Umfang der Arbeit jeden Bedenkens überhoben, dann möchte man ihn ohne weiteres zur Richtschnur nehmen. Die Sache liegt aber so, daß man vielmehr angesichts der ohnehin schwer zu bewältigenden Masse des Stoffes jede Einschränkung, welche sich durch verständige Gründe rechtfertigen läßt, nur wlllkommen heißen kann. Es wird aber anderfeits auch geboten sein, über die durch jenen Grundsatz gezogenen Grenzen, wenigstens wenn man „Deutschland" im Sinne des Deutschen Reiches fassen will, hier und da hinauszugreifen. Es müssen die einzelnen frag­ lichen Territorien für sich betrachtet werden. Auf den Elsaß und die mit ihm in gleicher Lage befindlichen Territorien deutscher Rationalität

findet der angeführte Grundsatz wohl seine Anwendung: sie müssen von der Biographie bis zu dem Zeitpunkt, wo sie nacheinander politisch an Frankreich kamen, einbefaßt werden. Anders bereits Lothringen und die burgundischen Lande; chre Be­ völkerung kann nicht als deutsch betrachtet werden; sie stehen nur während eines Zeitraums in politischer Verbindung mit dem Reich, ohne übrigenmit deutschem Leben und Wesen wirkliche Gemeinsamkeit zu haben. Da­ nach wird sich denn auch ihre Berücksichtigung in der Biographie richten müssen. Die Männer, in denen die politische Verbindung mit Deutsch­ land zutage tritt, sind aufzunehmen, namentlich also die Fürsten. Sonst aber nur solche Männer, die in irgendeiner Weise als Staatsmänner, Krieger, Gelehrte, Künsller für das übrige Deutschland eine spezielle Wichtigkeit gewonnen haben. Auch hier schneidet dann die Aufnahme überhaupt mit dem Ende der Reichsstandschaft dieser Lande ab. Anstoßende Gebiete romanischer Rationalität oder die romanischen Telle der zuletzt genannten Gebiete selbst fallen überhaupt, trotz zeit­ weiliger politischer Verbindung mit dem Reich, außerhalb des Begriffs des Deutsche«, denn zur Ergänzung der politischen Seite dieseBegriffes muß man seine nationale Bedeutung heranziehen, um nicht einer Abstraktion zu verfallen. Aus Schleswig, ebenso aus Mecklenburg und den Ostseelanden, soweit sie einst Ordensland waren, muß alles, was politisch oder geistig dem deutschen Wesen angehört, berücksichtigt, alles Dänische und Slawische dagegen, jedoch mit Ausnahme der mecklen­ burgischen und pommerschen Fürstenhäuser, ausgeschlossen werden. Dieselbe Scheidung zwischen Deutsch und Tschechisch wird wohl auch in der schwierigen Frage wegen Böhmens den richtigsten Ausweg büden, wird in den südösterreichischen Gebieten die Scheide finden lassen. Anders als mit den bisher besprochenen Territorien verhält es sich aber mit der Schweiz und den Niederlanden. Nach dem nationalen Element betrachtet, gehören beide mit Ausschluß ihrer romanischen Bestandteüe ganz zu Deutschland; nach dem politischen ist zwischen ihnen und dem übrigen Deutschland schwer eine Grenze zu ziehen. Besteht doch mit Luxemburg das Band bis heute. Wül man für diese Territorien eine Zeit feststellen, bis wohin sie in einer das gesamte deutsche Wesen um­ fassenden Arbeit zu Deutschland zu rechnen seien, von da an aber vermöge ihrer ferneren Bahnen nicht mehr, so kann dies für beide meines Er­ achtens nur die Mitte des 16. Jahrhunderts sein. Denn die deutsche Schweiz erscheint in der Reformationszeit zum letzten Male in nationaler, ob­ wohl nicht mehr politischer Gemeinsamkeit mit dem übrigen Deutsch­ land, und die Niederlande, sowohl die Nordstaaten als die spanischen Lande, gehen seit dem Freiheitskrieg ihre eigenen Wege. Man muß aber eigentlich in betreff beider Territorien einräumen, daß auch schon vor diesem Zeitraum, während die politische Verbindung mit dem Reich noch wirksam war und lebhafter empfunden ward, ihr Leben dennoch ohne

tiefere Wechselwirkung mit dem übrigen Deutschland in eigenen Kreisen blühte, obwohl in einzelnen Richtungen hiervon Ausnahmen erscheinen. Man kommt deshalb zu der Entscheidung, für die Biographie diese Aus n a h m e n zu berücksichtigen, weil sie eben für das deutsche Leben Wichtig­ keit haben und chm akS Teil angehören, im übrigen aber diese Territorien ganz auszuschließen. Was jene Ausnahmen betrifft, so ist damit für die Schweiz z. B. das im frühen Mittelalter in St. Gallen blühende wissenschafUiche Leben gemeint; ohne diese würde der Geschichte des deutschen Geisteslebens die Grundlage fehlen. Ebensowenig könnte man füglich die schweizerischen Dichter des 13. Jahrhunderts von den übrigen Deutschen, mit denen sie der gleichen Schule angehören, trennen; man würde da­ durch etwas im Wesen Zusammengehöriges zerreißen. In den Nieder­ landen werden sich innerhalb der Geschichte, der Wissenschaften und Künste Namen finden, die man um ihrer nach Deutschland hinübergreifenden Wirksamkeit in einer deutschen Biographie nicht gern entbehren möchte. Wenn man dagegen diese Lande mit ihrer ganzen Geschichte in eine deutsche Biographie hineinziehen wollte, so würde man ganz entschieden auf ein fremdes Gebiet, welches billig seiner eigenen nationalen Arbeit zu überlassen ist, hinübergreifen. Oder wenn man innerhalb des späteren Mittelalters für die deutsche Arbeit hier eine Grenze suchen wollte, so würde man das damit anerkannte eigene Arbeitsgebiet jener Lande den­ noch nur ungebührlich zerreißen. Wenn man dagegen einzelne Er­ scheinungen, weil sie eine nicht wohl zu entbehrende Ergänzung für die damit zusammenhängenden deutschen Dinge hüben, in eine deutsche Biographie hereinzieht, so maßt man sich damit nicht fremdes Gut an, sondern behält nur von dem Seinen, indem man übrigens unter speziellen Gesichtspunkten darauf verzichtet, so viel zurück, als für die Abrundung der eigenen Arbeit nötig scheint. Man kann füglich, dem Beispiel der belgischen Arbeit folgend, diese von jenseits der Grenze vorübergezogenen Namen, um jeder fremden Einwendung zu begegnen, mit einem Sternchen bezeichnen. Man wird aber, glaube ich, in einzelnen Fällen über die Grenze der Nationalität sogar gänzlich hinausgehen müssen und auch solche Männer aufnehmen, welche zwar nicht von deutscher Geburt sind, aber dem Dienste deutscher Staaten oder der deutschen Wissenschaft und Kunst in irgendeiner Stellung ihre Kräfte gewidmet und eine einflußreiche Wirksamkeit geübt haben. Diese Ausnahme ist jedoch meines Erachtens nicht, wie es die Belgier getan haben, auf fremde Staatsmänner auszudehnen, welche als Diplo­ maten an den deutschen Höfen, wenn auch in langer und bedeutender Tätigkeit, gelebt haben. Das scheint mir schon dämm prinzipiell unrichtig, weü die Tätigkeit der Diplomaten doch an sich chrem eigenen, nicht aber dem fremden Staate güt, in dem sie sich aufhalten. Es wäre von da kein gar großer Schritt zu der Behauptung, man müsse wegen seiner tief eingreifen­ den Bedeutung für die deutsche Geschichte z. B. Napoleon I. aufnehmen.

Das Wort „deutsch- bedarf aber ferner auch in Hinsicht auf die ßcitb) einer erläuternden Bestimmung. Will man, wie sich seine Deutung für die Biographie an den territorialen Begriff des Deutschen Reiche- an­ lehnt, auch der Zeit nach erst mit dessen Anfang, d. h. mit dem Jahr 843, beginnen? Oder etwa mit der Zusammenfassung der einzelnen Stammes­ herrschaften durch Karl den Großen? Es wird vielmehr auch die Vor­ geschichte bis zur Römerzeit hinauf in die Biographie mit hinein­ gezogen werden müssen. Es fragt sich dann wieder nur, in welchem Umfang? Für die Zeit der ersten Berührungen mit den Römern, d. h. für die Zeit vor Thristi Geburt und das erste Jahrhundert danach, beantwortet sich dies leicht. Die Zweifel beginnen mit der Bölkerwanderung: wie weit soll die Geschichte der wandernden Stämme und der ältesten Staatenblldungen als Borgeschichte Deutschlands gefaßt werden? Denn hier ist ohne Zweifel zu unterscheiden. Es liegt sofort auf der Hand, daß es widersinnig sein würde, wenn man die Geschichte der Angelsachsen und ihrer überseeischen Reiche mit einschließen wollte. Das gleiche muß man von dem afrikanischen Vandalenreich, von den gotischen Herrschaften in Spanien und Südfrankreich sagen. Aber güt es nicht auch von den Lango­ barden in Italien, ja von den Franken in Gallien bis zur Zeit der frän­ kischen Herrschaft über alle anderen Stämme? Mir scheint, daß man dies konsequenterweise einräumen muß, und ich meine, daß sich zwei Gesichts­ punkte ergeben, ein theoretisch-geschichtlicher und ein praktischer, unter denen man die richtigste Grenzbestimmung findet. Theoretisch betrachtet werden nämlich unter der Borgeschichte Deutschlands diejenigen Stämme und Territorien befaßt werden müssen, durch deren spätere Zusammenfchließung das Reich gebüdet worden ist. Praktisch betrachtet sind solche Stämme auszuschließen, welche nach demselben Prinzip der Vorgeschichte eines anderen Staates und demnach auch der biographischen Arbeit einer anderen Nation angehören. Diese beiden Entscheidungsgründe fallen in ihrer Wirkung zusammen. Es gehören danach, wie die Angelsachsen den Engländern, so die Langobarden den Italienern, die linksrheinischen Franken den Franzosen usw. Das schließt aber wiederum nicht aus, daß aus der Geschichte dieser außerdeutschen Germanen solche Namen, welche gleichwohl für die deutsche Geschichte selbst von Bedeutung sind, für die Biographie ausgehoben werden. Daß Karl der Große schon als Herr des ganzen Reiches als an der Spitze der deutschen Geschichte stehend, daß er als Gemeingut Deutschlands, der Niederlande, Frankreichs, Jtaliens und Spaniens betrachtet werden und in den Biographien all dieser Nationen seinen Platz einnehmen müsse, versteht sich von selbst. Aber auch die Bor­ fahren seines Geschlechtes werden in Betracht kommen; auch dem Stamm der Merowinger wird wenigstens ein zusammenfassender Hauptartikel gebühren. Ebenso sind aus der Geschichte der wandernden Goten, Bandalen usw. die für Deutschland wichtigsten Namen herauszuheben. SÄbst

Attila dürfte nicht abzuweisen sein, zwar kein Deutscher, aber innerhalb der lebenden Böller gewissermaßen eine res nullius. S«utiM «nb* Ergibt sich aus diesen Betrachtungen die Bestimmung für den zeitMr ljchen Anfang der Biographie, so möge sich daran sogleich die Frage rechen, wie es mit ihrem zeitlichen Abschluß gehalten werden solle. Im allgemeinen ist dafür in den vorläufigen Besprechungen bereits als Richtschnur der Satz aufgestellt worden, daß die Biographie bis an die lebende Generation heranreichen soll. Die belgische Akademie, indem sie im ganzen denselben Grundsatz befolgt, hat dabei doch die Einschränkung für nötig gehalten, daß niemand ausgenommen werde, der nicht seit wenigstens zehn Jahren zu den Toten zähle, sei es, daß man dadurch nur die Empfindlichkeit der Nachlebenden hat schonen wollen, oder daß man von der Voraussetzung ausgegangen sei, es bedürfe einer solchen Frist, um dem Urteü über den Verstorbenen die wünschenswerte Objektivität zu sichern. Ich meine, daß beide Gründe nicht schwer genug wiegen, um die Einbuße zu recht­ fertigen, welche die Biographie dadurch erleidet. Man könnte vielmehr ruhig, wie mir scheint, ihren Endtermin auf den Schluß des Jahres 1870 setzen, der innerhalb des Abschlusses der Vorarbeiten liegt. Sn llkn demnächst aus die Ausarbeitung der Biographie ttberzugehen, 'taptaaMttH.fo wird es zuvörderst als wünschenswert anerkannt werden müssen, die Mitarbeiter daran nicht etwa auf eine kleine Zahl von, wenn auch noch so vortrefflichen Stilisten eingeschränkt zu sehen, sondern umgekehrt die möglichst große Menge von Männern der Wissenschaft zur Teilnahme heranzuziehen. Nicht nur, daß allein unter dieser Voraussetzung die Möglichkeit gegeben ist, eine so außerordentlich große Masse des Stoffes in verhältnismäßig wenig Jahren zu bewältigen, sondern es kann auch nur dadurch erreicht werden, daß der Hauptinhalt der Biographie aus einer neuen und selbständigen Bearbeitung des Stoffes hervorgeht. Darin aber ist ein wesentlicher Ruhm und Vorzug der Arbeit zu setzen. Sie hat sich vor allem dadurch vor jedem ähnlichen, bloß buchhändlerischen Unter­ nehmen auszuzeichnen. Ar^ eben diesem Gesichtspunkte muß sich meines Erachtens der oberste Grundsatz für die Verteilung der Arbeit im einzelnen ergeben: daß nämlich für einen jeden Artikel derjenige unter den lebenden Gelehrten und Schriftstellern, welcher sich bereits in eigener Forschung mit diesem Namen oder dem Kreise, in den er gehört, beschäftigt und seine Kenntnis an diesem Punkte des großen Ganzen durch achtens­ werte Arbeiten bekundet hat, als der erste betrachtet werden müsse, an den man die Bitte zu richten habe, daß er seiner Forschung die für die Biographie erforderliche Gestalt gebe, indem er die betreffenden Artikel übernimmt. Wie hierbei im einzelnen und wiefern in denjenigen Fällen, wo eine solche Priorität nicht angezeigt ist, verfahren werden solle, darüber werden zunächst die Männer vom Fach zu hören sein, welche dem ein­ gangs gemachten Vorschlag gemäß an dem Komitee teilhaben, und eS dürfte, damit die Arbeit im Laufe der Jahre durch diese Frage nie ver-

zögert werde, geraten sein, dem Komitee das Recht zu erteilen, über die chm von seinen Mitgliedern und dem Redakteur gemachten Borschläge endgültig zu entscheiden. Die Berhandlung mit den zu gewinnenden Mitarbeitern wird Aufgabe des Redakteurs sein, doch muß chm das Recht erteilt werden, dabei als Beauftragter der Historischen Kommission zu handeln. Die Mitarbeiter müssen ersucht werden, die von chnen zu ver­ fassenden Artikel in alphabetischer Ordnung in Angriff zu nehmen, und für die einzelnen Buchstaben ist ihnen zum Zweck des alsbald unter der Arbeit beginnenden Druckes eine gewisse Frist zu setzen. Der Redakteur muß es sich in dem allgemeinen, den Mitarbeitern mitzutellenden Regulativ Vorbehalten, über die betreffenden Artikel, falls sie bis zur gestellten Frist nicht eingeliefert sein sollten, anderweitig zu verfügen. Ebenso wird er das Recht beanspruchen müssen, falls die eingegangenen Artikel den all­ gemeinen Gesichtspunkten für die Arbeit nicht entsprechen sollten, den Berfassern die nötigen Borschläge zur Änderung und etwa erforderlichen Kürzung vorzulegen und, wenn eine Einigung darüber nicht zu erreichen sein sollte, auf die Annahme der Artikel zu verzichten. Für alle Streit­ fragen, welche sich in dieser und anderer Hinsicht zwischen den Mitarbeitern und dem Redakteur erheben sollten, dürfte dem Komitee die endgültige Entscheidung, gegen die keinem der Teile eine weitere Appellation zu­ steht, zu übertragen sein. Die belgische Akademie hat ein ähnliches Ver­ fahren beobachtet und hat dadurch, wie in der Einleitung der Biographie nationale ausgesprochen wird, den Erfolg gehabt, in dieser allerdings delikaten Frage die durch gekränkte Empfindlichkeit drohenden Gefahren im ganzen glücklich zu umschiffen. Den Verfassern der einzelnen Artikel ist ein nach Druckbogen zu be­ rechnendes und. nach Beendigung jeden Bandes fälliges Autorhonorar zuzusichern. Ihre Autorschaft an den Artikeln ist ihnen durch eine Chiffre zu sichern, welche ihre Deutung in einem vorauszuschickenden Verzeichnis findet. Mit der Autorschaft fällt ihnen zugleich die nächste Verantwortung für den Inhalt des Artikels zu. Der Redaktion gebührt die weitere Ver­ antwortung dafür, daß der Artikel sich in das große Ganze soweit, wie davon überhaupt bei einer von so vielen Köpfen zu leistenden Arbeit büligerweise die Rede sein kann, harmonisch einfügt. Denn daß eine Arbeit dieser Art weder in äußerer Gestalt noch in der Auffassung der Verhältnisse und in ihrer Stellung zu den Parteifrugen diejenige Homogenität zeigen kann, welche dem Werke, das entweder ein einzelner oder wenige durch ihre Parteistellung geeinte Männer aus­ führten, gebührt, das versteht sich von selbst. Es ist vielmehr ihre Aufgabe, eine Reihe von Gegensätzen, welche sich im Leben kämpfend und feindlich gegenüberstehen, Gegensätze der Politik, der Religion und wissenschaft­ licher Streitfragen soweit — nicht etwa zu verschweigen, sondern nur zu mildern, daß sie in friedlicher Duldung nebeneinander Platz haben. Es

muß dies hier besonders hervorgehoben werden, well sich aus eben diesem Umstande, daß die allgemeine Biographie aus versöhnlich gemeinsamer Arbeit der verschiedenen Parteien hervorgehen soll, ein weitere- wichtiges Prhizip für die Berteüung ihrer einzelnen Bestandtelle unter die Mit­ arbeiter ergibt. Die einzelnen Artikel, vorweg die bedeutenderen, sind, soweit möglich, solchen Männern zur Ausarbeitung zu übergeben, welche von ihrem eigenen Standpunkt aus die darin zu behandelnden Persönlich­ keiten mit demjenigen Wohlwollen betrachten, welches sie im Lichte vorurteüsfreier Geschichtsforschung verdienen. Bei streitigen Gebieten ist jeder Seite die Darstellung ihrer Streiter zu gewähren. Dabei aber ist es den Mitarbeitern zur unerläßlichen Pflicht zu machen, zu erwägen, daß die Biographie kein Feld für die Leidenschaften sein soll, daß darum die Darstellung sich jeder Bitterkeit und Gehässigkeit, jeder herausfordern­ den Polemik gewissenhaft zu enthalten hat. Sie soll vielmehr grade da, wo vielleicht draußen der Kampf am heißesten tobt, in müder Ruhe ihre Würde und ihren Adel suchen. Es soll ihr keineswegs an der Wärme persönlicher Überzeugung fehlen, denn diese in angeblich abstrakter Ob­ jektivität fernhalten zu wollen, hieße das Ganze in killtes und mattes Grap eintauchen. Es soll ihr nicht die Liebe und Verehrung fehlen, welche aus der Gemeinsamkeit der Interessen hervorkeimt, sondern nur deren Kehr­ seite, der Haß und die Unduldsamkeit der Parteien. Tin nationales Werk in diesem Geiste zustande zu bringen, kann wohl als eine schöne und in ihren Wirkungen segensreiche Aufgabe erscheinen.





*

In diesen Erwägungen dürften die Fragen, welche zunächst einer normativen Entscheidung und weiterer Anordnungen der Historischen Kommission bedürfen, angedeutet sein.

Beilage B.

Briefwechsel mit Stichling, betreffend die Berufung zum Kuratorium der Universität Jena. Großherzogthum Sachsen. — Ew. Hochwohlgeboren wollen mir ge­ statten, auf einen Brief zurückzukommen, den ich vor einigen Jahren von Ihnen zu erhalten die Ehre hatte. Sie schrieben mir damals, daß es Ihnen wünschenswert sei, wieder in eine feste dienstiche Stellung ein­ zutreten und stellten sich zur Verfügung, falls eine für Sie passende Stelle im diesseitigen Hof- oder Staatsdienste vakant werde. Damals war eine derartige Vakanz nicht vorhanden, und ich konnte also nur in dem Sinne antworten, wie ich es gethan.

Heute liegt die Sache insofern anders, als in nächster Zeit eine Stelle zur Erledigung kommen wird, bei deren Wiederbesetzung Ew. Hochwohl­ geboren meiner Ansicht nach wohl in Frage kommen könnten: ich meine den Posten eines Curators der Universität Jena, da Geh. Staatsrath See­ beck in Jena um seine Pensionirung gebeten hat. Ihre wissenschaftliche und selbst akademische Büdung, Ihre Bekanntschaft mit den akademischen Verhältnissen wie Ihre Übung in bestimmter Geschichtsthätigkeit, vor Allem Ihre Sinnesart und Liebe zur Wissenschaft lassen Ew. Hochwohl­ geboren mir als einen wohlqualifizierten Eurator der Universität Jena, für die Sie gewiß noch einige Liebe bewahrt haben, erscheinen, und ich weiß mich hierin im vollen Einverständniß mit Seebeck selbst. Aber ehe ich weitere Schritte in der Sache thue, zu welcher ja, wie Sie wissen, verschiedene Factoren ihre Zustimmung zu geben haben, möchte ich vor Allem von Ew. Hochwohlgeboren baldmöglichst erfahren: 1. ob Sie überhaupt geneigt sind, eine dienstliche Stellung an­ zunehmen und in specie die eben bezeichnete? 2. wie es sich mit den Gehaltsverhältnissen stellen würde? In letzterer Beziehung hab' ich zu bemerken, daß Seebeck im Ganzen einen Gehalt von 1800 Thalern und daneben eine Pension (wenn ich nicht irre von 1000 fl.) aus Meiningenschen Kassen bezog. Die Besoldung von 1800 Thalern zerfällt in 1300 Thalern aus Großherzoglich und Herzog!, sächsischen Staatskassen und 500 Th. Zuschuß aus Weimarischen Hof­ mitteln, welcher Seebeck seit mehreren Jahren wegen Unzureichendheit der eigentlichen Curator-Besoldung und mit Rücksicht auf seine Verdienste gnädigst bewllligt worden ist. Ob auch Ew. Hochw. im Bezüge einer Meiningischen Pension sich befinden? und welcher? ist mir natürlich unbekannt. Indem ich Ew. Hochw. um baldgefällige Mitthellung Ihrer Geneigt­ heit sowie der sonstigen, zur Förderung der Sache dienenden, Bemerkungen bitte, bin ich in vorzügl. Hochachtung Weimar, d. 18. X. 74.

Ihr ergebener G. Th. Stichling. Auf diesen (laut Llliencrons Vermerk am 20. Oktober 1874 ein­ gegangenen) Brief antwortete er am 21. Oktober. Die Zuschrift lautet nach dem Bleistift-Entwurf: Ew. Hochwohlgeboren geneigtes Schreiben habe ich gestern empfangen und sage Ihnen meinen lebhaftesten Dank dafür. Es ist sehr gütig von Ihnen, sich meines vor Zeiten ausgesprochenen Wunsches noch zu er­ innern und ich lege hohen Werth auf die gute Meinung und das so ehren­ volle Vertrauen, welches Ihr Schreiben mir ausspricht. Sie setzen mit Recht voraus, daß meine Anhänglichkeit an Jena und meine Theilnahme an dem Geschick der Universität in unvermindertem Maße fortbesteht, v ettelheim, R. v. ßtltencron. 19

Es würde mich glücklich machen, wenn es mir beschieden wäre, für ihr ferneres Gedeihen einzutreten. Freilich verkenne ich auch nicht die sehr großen Schwierigkeiten dieser Ausgabe, wie sie teüs in den allgemeinen Verhältnissen der Universität begründet sind, thells aber auch aus dem Umstande hervorgehen, daß der neu eintretende Curator einen Borgänger von so ungewöhnlicher Persönlichkeit ersetzen soll. Der Nachfolger meines hochverehrten Freundes Seebeck zu sein, ist eine Aufgabe, vor der auch ein Besserer als ich, wohl Bedenken fühlen möchte. Daß, wie Sie an­ deuten, auch Seebeck selbst hierbei an mich denkt, ist am meisten geeignet, mir ein solches Bedenken zu erleichtern, und das Bewußtsein, daß, wenn er einmal beschlossen hat, aus seiner Stellung zu scheiden, die Person des gewählten Nachfolgers ihm erfreulich ist, würde mir in jedem Falle wohlthätig und ermutigend sein. Was meine eigenen Verhältnisse betrifft, d. h. den Stand meiner biographischen Arbeiten, so bin ich danach jetzt in der Lage, eine ander­ weitige Stellung zu übernehmen, muß dies sogar angesichts der precären Lage der Hist. Comm., deren Verlängerung über das Jahr 1879 hinaus leider sehr fraglich erscheint, dringend wünschen. Indem ich eine jüngere Arbeitskraft engagiere, welche unter meiner Anleitung den geschäftlichen Theü der Redaetionsarbeiten übernimmt, kann ich die Oberleitung der Sache auf ein Maß von Arbeit zurückführen, welche mit einer anderweitigen Thätigkeit wohl verträglich ist. Es würde sogar keine andere Stellung so sehr geeignet sein, als grade die eines Curators, mich auch auf jenem Gebiete zu fördern, da natürlich die meisten Mitarbeiter der A. D. B. den Universitäten angehören und die Redaction mich mit allen deutschen Universitäten in mannigfacher Verbindung erhält. Die daraus hervor­ gegangenen persönlichen Beziehungen könnten auch umgekehrt mit­ unter wieder dem Curator zugute kommen. Wenn aber alle diese Rück­ sichten, zu denen noch der Umstand kommt, daß in der That Thüringen einmal für mein Herz die zweite Heimat geworden ist, mir den lebhaften Wunsch geben, eine solche Berufung, wenn sie an wich erginge, mit beiden Händen ergreifen zu dürfen, so fürchte ich doch, daß die pekuniären Ver­ hältnisse dabei ein nicht zu beseitigendes Hindernis bieten werden. Ich beziehe nxmlich von Meiningen, wo ich meinen Abschied selbst verlangte, keinerlei Pension. Außer Famüieneinkünften, welche ich aus hier nicht zu erörternden Gründen bei der Annahme einer Anstellung nicht in Rechnung stellen kann, habe ich nur mein Redactionshonorar aus der Casse der Hist. Comm. Wenn ich jedoch eine anderweitige Anstellung übernehme, fällt dasselbe weg und es tritt an seine Stelle ein nach Druck­ bögen berechnetes Buchhändlerhonorar. Dadurch vermindert sich zu­ nächst der Jahresbetrag selbst im günstigsten Fall, d. h. wenn wir wirllich programmäßig 100 Bögen im Jahre drucken, von 2000 fl. auf 1000 Thaler. Wenn der Druck diesen sehr beträchllichen Umfang nicht erreicht oder wenn er unterbrochen wird, tritt auch eine entsprechende Minderung

oder Unterbrechung dieser Einnahme ein. Wenn das Werk fertig ist, oder falls es durch eine Katastrophe einen Abbruch erlitte, hört sie ganz auf. ES kommt aber auch bis dahin nicht jene Summe von 1000 Thalern in Betracht, sondern nur was nach Gagirung einer angemessenen Arbeits­ kraft und nach dem Wegfall meiner zufälligen hiesigen Frecheit von jeder Steuerzahlung nachbleibt. Die Rechnung ist leicht gemacht und ergibt, daß ich diese ganze Einnahme nur als ein zeitweüiges nicht erhebliches litterär. Nebenverdienst betrachten kann. Ich sehe demnach nicht ein, wie ich die Stellung als Eurator ohne den Seebecks entsprechenden Gehalt von etwa 2500 Thalern übernehmen könnte und angesichts meiner Famüienverhältnisse übernehmen dürfte. Daß ein solcher Gehalt für das Curatorium ausgeworfen werden sollte, scheint mir bei der Sachlage, wie ich sie kenne, nicht glaublich. Denn ich bin weder so eingebüdet, zu meinen, daß dies um meiner Person wülen geschehen würde, noch kann ich mir denken, daß nicht innerhalb der Zahl ihrer älteren Beamten sich eine verwendbare Persönlichkeit finden sollte, bei der ein ähnliches Pensionsverhältnis, wie bei Seebeck, die Anstellung erleichterte. Sie können mir zwar antworten, daß auch bei geringerer Besoldung immerhin den Zahlen nach eine Verbesserung meiner Lage einträte. Sie würde aber durch die, von jener Stellung nicht ganz zu trennenden Repräsentationspflichten wohl mehr wie ausgewogen werden. Ich bin zu alt, meine Famllie ist zu groß und eine Verpflanzung in neue Ver­ hältnisse mit zu viel Schwierigkeiten für uns verbunden, als daß ich noch unsichere Versuche in dieser Hinsicht machen dürfte. So schwer es mir bei meiner ganzen Sinnesart fällt, da, wo es sich um allgemeine Interessen handelt, die mir selbst wichtig und hoch sind, mit persönlichen Verhältnissen zu rechnen und zu markten, so kann ich doch als Famüienvater nicht anders. Sie werden mir auch daraus keinen Borwurf machen und es wird Ihnen nur erwünscht sein, wenn ich klar und einfach sage, wie die Sache für mich liegt. Falls Sie nun danach, wie ich leider fürchte, voraussehen zu müssen, den Gedanken an mich fallen lassen, so wird das meine aufrichtigste Dank­ barkeit dafür, daß Sie überhaupt bei diesem Anlaß meiner in so wohl­ wollender Weise gedachten, um nichts vermindern und es wird mir stets eine wohlthuende Erinnerung bleiben, daß Sie und Seebeck mich einer so ehrenvollen Anfrage werth schätzten. Mit ausgezeichneter Hochachtung Ew. Hochwohlgeboren ergebenster v. Liliencron.

Ew. Hochwohlgeboren gefälliges Schreiben vom 21. d. M. habe ich erhalten und mit Freuden daraus ersehen, daß das in Frage befindliche Amt an sich Ihnen nicht als unannehmbar erscheint. Was die Besoldungs­ verhältnisse anbelangt, so waren meine Mitthellungen über die z. Z. vor1»«

handenen Mittel zunächst nur dazu bestimmt, eine Aussprache von Ihrer Seite über das, was Ew. Hochwohlgeb. als Bedürfnis erscheint, hervor­ zurufen. Run diese Aussprache erfolgt ist, lasse ich mich durch die genannte Besoldungshöhe nicht abschrecken, auf die Verwirklichung des Plans hin­ zuwirken und habe um so mehr Hoffnung auf das Gelingen, als bereits in den Verhandlungen mit dem letzten ordentlichen Landtag auf den jetzt vorliegenden Fall Rücksicht genommen worden ist und ich auch nicht ganaussichtslos bin, von einem der Höfe noch einen Zuschuß zu erlangen, falls ihnen, wie ich hoffe, die Wahl genehm ist. Also bitte ich jetzt nur um bestimmte Erklärung: 1) ob E. H., w e n n die Besoldung auf 2500 Th. erhöht würde, bereit wären, den Posten anzunehmen? 2) ob E. H. 2500 Th. begehren würden excl. der jetzigen Dienstwohnung, die Ihnen wohl bekannt ist; ev. mit welchem Betrage Sie diese Dienst­ wohnung sich würden auf die Besoldung aufrechnen lassen mögen? 3) wann Sie zum Antritt Ihres neuen Amtes in Jena bereit sein würden? Die Beantwortung dieser Fragen ist mir nötig zur Einleitung der Eorrespondenz mit den Höfen wie zur diesseitigen höchsten Entschließung. Eben im Begriffe, nach Berlin zu den Sitzungen des Bundesrats zu gehen, bitte ich, Ihre Antwort dorthin und zwar nach Meinhardts Hotel zu adressieren. In Hoffnung auf befriedigende Antwort bin ich in vorzüglicher Hoch­ achtung E. H. ergebenster

Weimar, d. 24. X. 74.

G. Th. Stichling.

(Concept der Antwort.) E. H. geneigtes Schreiben vom 24. habe ich mit dem lebhaftesten Danke empfangen. Es hat mich auf das freudigste überrascht, denn meine Befürchtung eines entgegengesetzten Ausganges war völlig aufrichtig gemeint. Ihre erste Frage, ob ich, wenn die Besoldung auf 2500 Thaler erhöht würde, bereit sei, den Curatorposten anzunehmen, kann ich nur mit einem freudigen Ja beantworten. Etwas schwieriger ist mir die Beantwortung der 2ten Frage in Betreff der Dienstwohnung. Die .etwa 2500 Th.' meines vor. Briefes sind exclus. Dienstwohnung gemeint. Ich ging bei der Bemessung der für mich not­ wendigen Forderung von den thatsächlichen Dienstbezügen des bisherigen Curators aus, die ich mh auf ca. 2500 Thaler und die Dienstwohnung berechnete. Die ausdrückliche Erwähnung der letzteren versäumt zu haben, dazu bin ich dadurch veranlaßt worden, daß mir die Sachlage in dieser Hinsicht zweifelhaft war. Denn ich wußte weder, ob es Ihre Absicht sein werde, die bisherige Dienstwohnung auch dem neuen Curator anzubieten oder wie hoch, falls es sich um eine Geldentschädigung für die Wohnung handle,

diese nach jetzigen Jenenser Verhältnissen zu bemessen sein dürste. Was aber die erste dieser Eventualitäten betrifft, so fürchte ich, daß die bisher von S. innegehabte Wohnung für uns wenig geeignet wäre. Denn ich muß mit Rücksicht sowohl auf die Gesundheit meiner Frau, welche in­ folge ihres alten Leidens wenig gehen kann, als auf diejenige der Kinder sehr dringend wünschen, eine frei gelegene Wohnung mit Garten zu be­ ziehen. Sofern es sich also um die Wohnung in der inneren Schloßseite handeln sollte, muß ich offen bekennen, daß da mir kaum gestattet werden könnte, diese Wohnung meines Thells anderweitig zu vermieten, eine Geldentschädigung, welche mir in Wahl der Wohnung freie Hand läßt, bei Weitem das Willkommenere wäre. Ich würde Ihnen überaus dank­ bar sein, wenn Sie die Frage unter Berücksichtigung dieser Gesichtspuncte ordnen könnten. Wenn ich, was allerdings hätte geschehen sollen, der Dienstwohnung zu erwähnen versäumte, ist dies dadurch veranlaßt, daß mir die bett. Sach­ lage nach zwei Seiten nicht klar war. Erstlich nemlich wußte ich nicht, ob nicht etwa die Absicht vorhanden sei, Seebeck bei seiner Pensionirung die bisher von ihm innegehabte Wohnung zu belassen. Sodann haben sich seit meinem Aufenthalt in Jena auch dort die Wohnungs-Preise so geändert, daß ich keinen Anhalt dafür habe, wie der Preis einer Wohnung zu berechnen ist, deshalb, falls an die Stelle der Dienstwohnung eine Geldentschädigung treten sollte, die Bemessung derselben ganz anheim­ geben möchte. Mir kommt aber hier noch ein Bedenken. Die Dienstwohnung, soweit ich mich ihrer überhaupt erinnere, wäre kaum zweckmäßig für uns. Ich fürchte, daß schon die Treppe für meine Frau, welcher von ihrem alten Leiden eine Schwäche in dieser Hinsicht nachgeblieben ist, Unbequemlich­ keiten hätte, muß aber auch mit Rücksicht sowohl auf ihre Gesundheit, da sie wenig gehen kann, als auf die der Kinder sehr dringend wünschen, eine freigelegene Wohnung mit Garten zu beziehen. Daher wäre mir statt jener Wohnung eine Geldentschädigung, selbst wenn sie nicht hoch­ gegriffen wäre, das bei Weitem Erwünschtere. Sind Sie in der Lage, eine Regelung der Frage im Sinne dieser An­ deutungen herbeizuführen, so werde ich Ihnen dafür zu ganz besonderem Danke verpflichtet fein. Als Zeitpunkt des Antrittes würde mir Ostern das geeignetste er­ scheinen. Jetzt unmittelbar hier abzubrechen würde sowohl mit Beziehung auf meine Arbeiten als auf andere Dinge seine Schwierigkeiten haben; auch möchte der Umzug dadurch in die unbequemste Winterzeit fallen, da doch auf eine Entscheidung der Sache auch im günstigen Fall so gar rasch wohl nicht zu hoffen ist. Ich denke mir dazu, daß es auch wohl nicht Ihre und Seebecks Meinung ist, den Wechsel fo augenblicklich herbei­ zuführen. Es erübrigt mir nur, noch einmal meiner freudigen Bewegung bei

dem Gedanken an die wirkliche Erfüllung dieser mir so überaus werten Aussicht Ausdruck zu geben und Ihnen den wärmsten Dank für Ihr wohl­ wollendes und ehrendes Vertrauen auszusprechen. Mit ausgez. Hoch­ achtung E. H. usw. München, 28. Oct. 74.

von Liliencron.

Am 29. Oct. 74 antwortet Stichling aus Berlin, daß er, wenn Lllieneron Seebecks Wohnung nicht in natura benutzen wolle, dafür zunächst nur 60 Thaler Entschädigung in Aussicht stellen könnte, da sie nur mit diesem Anschlagswert in den Staats-Etat eingestellt ist, dergestalt, daß er sich das Gehalts-Berhältnis folgendermaßen dachte: 2440 Thaler baute Besoldung, 60 Thaler in Gestalt einer Dienstwohnung oder ebenfalls baar. Summa: 2500 Thaler. Mit dem Amts-Antritt zum 1. April wäre Stichling einverstanden. Laut Bermerk auf diesem Bries antwortete L. am 31. Okt.: er sei bereit, die Stelle anzunehmen gegen die gebotene Besoldung von 2440 Thalern und der Seebeckschen Dienstwohnung. Die Bitte um Umzugsgelder Vorbehalten. Auch dieses letzte Verlangen er­ klärt Stichling in seiner Erwiderung aus Berlin vom 3. XI. gerechtfertigt. Sobald Seebeck, wie Stichling hofft, zustimmt, bis 1. April zu bleiben, will er „die geschäftliche Ordnung und Feststellung der Sache, also nament­ lich auch die Communikation mit den herzoglichen Höfen in Scene setzen und das Resultat E. H. mitthellen." Mit dem Ausdruck aufrichtiger Freude, daß er hoffen darf, mit LLiencron gemeinsam nach Einem Ziele zu streben, schließt er diese Zellen. In einem anderthalb Monate hernach. Weimar, 17. Dezember datierten Schreiben ist Stichling noch nicht imstande, den Ausgang mit Sicherheit zu übersehen: die Sache befinde sich noch im Stadium der Verhandlung unter den beteiligten Höfen, „bis dahin frellich wird die Vorsicht gebieten, noch keine Schritte zur Lösung Ihrer dortigen Verhältnisse zu thun. Der Ausgang der mit den drei Herzog!, sächs. Regie­ rungen zu pflegenden Verhandlungen ist, wie ich aus Erfahrung weiß, namentlich in Personalangelegenheiten, nicht vorauszusagen." Einen Monat später, 14. Jänner 1875, meldet Stichling: „Ew.Hochw. nicht länger in Ungewißheit zu lassen über die für Ihre Ent­ schließungen so wichtige Frage der Wiederbesetzung des Curator-Postens in Jena, halte ich für Pflicht, so schwer mir auch diese Mitthellung fällt. Nachdem der diesseitige höchste Hof Ihre Ernennung zu dem genannten Posten im Einvernehmen mit dem zeitherigen Curator den drei Herzog!, sächs. Höfen angelegentlich empfohlen hatte unter den Ihnen bekannten Bedingungen, ist dieser Vorschlag in Meiningen einer entschiedenen Ab­ lehnung begegnet und die beiden andern Herzog!. Höfe haben sich Meiningen anschließen zu müssen geglaubt, well Ew. Hochwohlgeb. früher ein Meiningenfcher Diener gewesen seien. Eine nochmalige Eorrespondenz von hier aus und ein auf unser Erfordern von Seebeck unmittelbar an die drei Herzog!. Minister erstatteter Bericht sind ebenso wirkungslos gewesen.

Wie schmerzlich dieser AuSgang mir ist, brauche ich E. H. wohl nicht zu versichern: schmerzlich für die Universität, der Sie gewiß ein guter Curator gewesen wären; schmerzlich aber auch für Sie, der Sie um eine Hoffnung ärmer, um eine Täuschung reicher geworden sind. Zürnen Sie mir nicht, daß ich der unglückliche Urheber dieser Täuschung bin. Ich hab' es gut und redlich gemeint; ich glaubte nicht, den Höfen den Bor­ schlag machen zu können, ohne vorher mich versichert zu haben, daß Sie auch geneigt seyen, darauf einzugehen und unter welchen Bedingungen Sie dazu geneigt seyen. Dadurch aber mußten Sie von meinem Bor­ haben benachrichtigt werden, ehe noch seine Realisirung feststand. Gott mag wissen, was nun an die Stelle unseres Borschlags tritt! Zunächst bleibt, so hoffe ich wenigstens, Seebeck noch in Funktion. Aber wie lange ist dies dem Ruhebedürftigen noch zuzumuten? Und was dann? Wir haben bis jetzt nichts Neues vorzuschlagen gefunden; der seit Jahren sich bewerbende und agitierende Regierungsrath Rudlof wird sicher nicht angenommen. Ebensowenig die Verbindung der Curatel mit einer Pro­ fessur. So dunkel ist die Perspektive durch die herzogl. Weigerung ge­ worden, daß man nur in einem Interim aliquid fit die Möglichkeit eines Auswegs sich denken kann. Doch genug von dieser traurigen Sache. Nochmals bitte ich, den un­ glücklichen Ausgang derselben nicht zu einer Trübung des freundlichen An­ denkens werden zu lassen, das E. Hochwohlgeb. mir bisher stets geschenkt haben und auf welches ich aus derpersönlichenHochachtung stets großen Wert legen werde, in welcher ich bin und bleiben werde , Jyr ganz ergebener G. Th. Stichling. LLiencrons Antwort liegt mir weder in Abschrift noch im Entwurf vor. Sein wesentlicher Inhalt läßt sich indessen aus dem Brief Stichlings vom 30. Jänner entnehmen: E. Hochwohlgeb. gefälliges Schreiben vom 15. d. M. zu beantworten, hab' ich von Tag zu Tag verschoben, well es mir — offen gestanden — Peinlich war; nun aber kann und mag ich es doch nicht länger verzögern. Peinlich war es mir, well ich Ihnen offen bekennen muß, daß ich Ihren Borschritt gegen den Herzog von Meiningen — die Rücksendung von Orden und Kammerherrnschlüssel — nicht für einen richtigen und zweckmäßigen erkennen kann. Er war, wie mir scheinen wlll, in zwie­ facher Hinsicht nicht motivirt. Denn einerseits schließt das Urteil, daß Jemand zu einem gewissen Posten nicht in aller und jeder Hinsicht, viel­ leicht sogar um gewisser BerhAtnisse wlllen, die mit seiner Person gar nichts zu thun haben, der ganz qualificirte Mann sei, noch keineswegs auch nur die mindeste Ehrverletzung in sich. Ja selbst das bekannte non omnia poasumus omnes berührt nicht die Ehre des Einzelnen. Anderseits aber haben Sie, wenn ich nicht irre, Orden und Kammerherrnschlüssel nicht einmal von dem jetzigen Herzog, sondern von seinem Bater erhalten.

Jedenfalls haben E. Hochwohlgeb. mit jenem Schritte auch uns zugleich das Spiel erschwert und unsere Situation Meiningen gegenüber so ver­ schärft, daß ich fürerst nicht daran denken kann, den von Ihnen angedeuteten Wunsch weiter zu verfolgen, da man dies in Meiningen zur Zeit als eine Art von Feindseligkeit von Weimar ansehen und in alle möglichen jetzt eben schwebenden resp, bevorstehenden Verhandlungen übertragen würde. Daß meine Mitthellung über den bisherigen Mißerfolg unseres Vorschlags eine ebenso vertrauliche nur sein konnte, wie die ganze Mitthellung unseres Vorschlags, glaubte ich als auch von E. H. angenommen ansehen zu dürfen. In Meiningen wird man aber ohne Zweifel die Quelle Ihrer Kenntniß des Resultates der Correspondenz der Höfe in Weimar suchen und das kann nicht verfehlen, die eben bezeichnete Wirkung zu unserem Nachthell zu haben. Es thut mir außerordentlich leid, daß die ganze so mißglückte Sache auch noch diese Wendung genommen hat, und hab' ich meine stets be­ währte Offenheit auch dadurch bestätigen zu müssen geglaubt, daß ich diese meine Empfindungen Ihnen ganz unumwunden ausspreche, — so leid es mir tut, Ihnen augenblicklich nicht eine angenehmere Antwort geben zu können. Lassen Sie uns inzwischen der Zukunft mit der Hoffnung entgegen­ sehen, daß die Zeit, die so Vieles mlldert, auch in diesen unglücklichen Wirrwarr wieder lösenden Balsam gießen werde. In unveränderter aufrichtiger Hochschätzung e. H. ergebenster G. Th. Stichling.-

Nach Lüiencrons eigenhändigem Vermerk aus Stichlings Briefblatt hat er sein Schreiben am 2. (offenbar: Februar) erhalten und an dem­ selben Tag beantwortet. Auch diese Entgegnung war mir weder im Ent­ wurf noch in einer Abschrift zugänglich. Aus Erich Schmidts Mittellungen weiß ich aber, daß Llliencron noch Jahrzehnte später seine Abwehr einer völlig unverdienten Kränkung nie bereut, sein Vorgehen vielmehr aus freien Stücken dem jüngeren Freund erzählt hat, in der bei dem müden Mann doppelt bemerkenswerten unverkennbaren Absicht, seine ungewöhn­ liche Tat als wohlüberlegt und wohlbegründet hinzustellen. Die Uni­ versität Jena hat durch die Nichtberufung Lüiencrons gewiß viel verloren. Wie sehr sein Herz an der thüringischen Landesuniversität hing, zeigt der aus seiner Greisenzeit stammende, der großen Zeit Jenas und seiner eigenen dortigen Lehrtätigkeit gedenkende Abschnitt seiner LebensErinnerungen. (Deutsche Rundschau, Mai 1913.) Es blieb Llliencron zeitlebens ein Schmerz, daß das einstige schöne Freundschaftsverhältnis zum Erbprinzen und späteren Herzog Georg durch äußere uncontrolirbare Einflüsse derart Schiffbruch gelitten. Jahr­ zehnte darauf nahm daher nach Lüiencrons Tod seine Tochter Ver-

anlassung, seinen Heimgang dem Herzog anzuzeigen mit der Begrün­ dung, sie wisse dadurch im Sinne des Entschlafenen zu handeln. Der Herzog sandte alsbald Worte der Theilnahme, deren versöhnlicher Ausklang lautete: Mißverständnisse führten un- seinerzeit auseinander, nun (tcut eS mich zu hören, daß es auch im Sinne des Verstorbenen war, sie auszulöschen.

Beilage C.

Liliencron und die Universität Kiel. Meiner Bitte willfahrend, teilte mir Se. Magnifizenz der Rektor der Kieler Hochschule, G.-R. M a r t i u s, im Oktober 1916 gütigst aus den Universitätsakten den Wortlaut ihrer Kundgebungen 1. zum 70. Ge­ burtstag ; 2. zum 50. Gedenktag der Doktorpromotion; 3. zum 90. Ge­ burtstag Liliencrons mit. 1. Mitteilung des zeit. Dekans der theol. Fakultät.) Der Professor der praktischen Theologie, nunmehriger Propst von St. Petri in Berlin, Gustav Kawerau, hat die Ehrenpromotion am 8. November 1890 beantragt mit der Begründung: „Daß er s. Zt. stud. theol. in Kiel gewesen ist, für Hebung der kirchlichen Musik durch zahlreiche literarische Arbeiten und noch jüngst durch sein freudiges Eintreten für Hebung der Liturgie und Kirchenmusik auf dem Fest der deutschen Kirchengesangs­ vereine in Kiel sich verdient gemacht hat. Seine großen literarischen Werke .Historische Volkslieder der Deutschen' und .Allgemeine Deutsche Biographie' kommen der Kirchengeschichte in vielfacher Beziehung zugute. Er ist Vorstandsmitglied des Vereins für Reformationsgeschichte, anderseits Mitglied der schleswig-holsteinischen Landessynode." Außer­ dem bezog sich Kawerau auf die Bedeutung Liliencrons durch seine Tätigkeit bei der Vermählung unserer Kaiserin und darauf, daß er von 1850 bis 1852 prof. extr. in Kiel gewesen ist. gez. Baumgarten, Dekan. 2. Ew. Hochwürden widmet die Christian-Albrechts-Universität zu dem Tage, an dem Sie vor fünfzig Jahren die erste feierliche Anerkennung Ihres wissenschaft­ lichen Strebens erfahren haben, ehrerbietigen Glückwunsch und ver­ bindet damit warmen Dank für die erfolgreiche Tätigkeit auf dem gemein­ samen Felde der wissenschaftlichen Büdung unseres Zeitalters. Mit Stolz empfinden wir es, daß Sie der Unsrige gewesen sind, und daß neue Bande zwischen Ihnen und uns heute sich knüpfen. In den Annalen der neueren Geschichte Schleswig-Holsteins wird

Ihr Gedächtnis dauern, denn Ihr reiches Leben stand zumeist in den Diensten des Landes, aus dessen mütterlichem Boden Sie die Grund­ kräfte Ihres Wirkens empfingen. In diplomatischer Ehrenstellung, nament­ lich aber durch Ihre schriftstellerische Arbeit haben Sie sich auch um Ihr engeres Vaterland verdient gemacht. Sie werden stets genannt werden, wenn man die Gelehrten versammelt, die, aus Schleswig-Holstein hervor­ gegangen, den wissenschaftlichen Fortschritt des 19. Jahrhunderts förder­ ten. Was die deutsche Geschichtswissenschaft den geistesmächtigen SchleswigHolsteinern verdankt, bedarf keiner Worte. Die Herren Waitz und Mommsen, Müllenhoff und Lüiencron bringen die Vielseitigkeit der Bestrebungen zu bezeichnendem Ausdruck. Es würde kein zutreffendes Blld ergeben, wenn man Ihre Tätigkeit vom herkömmlich philologischen Standpunkt aus überschauen wollte. In Ihren reifen Jahren verfolgten Sie die in der historischen Methode be­ gründete Gnheit der Fakultäten, und diese kann uns trotz der Zersplitterung der Fächer nicht mehr verlorengehen. Als Mitglied der Münchner Histo­ rischen Kommission waren Sie in der Lage, Ihre Interessen zur prak­ tischen Geltung zu bringen. In dem großen Archiv der deutschen Bildung-geschichte, in der Allgemeinen Deutschen Biographie, gewann Ihre uni­ versale Geistesrichtung Spielraum, und Sie haben mit der Gründung und Leitung dieses vornehmen Werkes der deutschen Wissenschaft unschätzbare Dienste getan. Aber «uch die Einzelforschung verdankt Ihnen nicht bloß Bereicherung der Erkenntnisse, sondern auch Vertiefung der Ziele. In eleganter Dar­ stellung und sicherer Forschungsmethode haben Sie einem sozialen Lyriker des deutschen Mittelalters seine geschichtliche Stellung angewiesen und mit dieser kritischen Untersuchung eine Bahn beschritten, auf der Ihnen Ludwig Uhland vorausgegangen war, auf der auch Ihnen schöne Erfolge beschieden waren. Um die Geschichte unserer deutschen Lyrik haben Sie sich bleibende Verdienste erworben. Sie haben namentlich erkannt, daß die Geschichte der Lyrik nicht aufgellärt werden könne ohne systematisches Studium der musikalischen Kompositionen, und Sie haben sich auch aus diesem Gebiet deutscher Kunstgeschichte einen gefeierten Namen gemacht. Wir besitzen von Ihnen wertvolle Arbeiten zur Geschichte der Musik, deS deutschen Theaters und des deutschen Gottesdienstes, die sich durch fein­ sinnige Behandlung der künstlerischen Formen ebenso anszeichnen wie durch die Reichhaltigkeit des Stoffes. Für die Erforschung des geschichtlichen Lebens unseres Volkes haben Sie auch als akademischer Lehrer zu Kiel und zu Jena gewirkt; die in der großen Vorzeit liegenden Anfänge deutscher Poesie haben in Ihnen einen geistvollen Darsteller gefunden; dem Mittelalter und der Reformations­ zeit haben Sie mit dem geschichtlichen und geselligen Bollslied neues Leben zugeführt. Was Sie geschaffen, ist uns zur Pflege überwiesen.

Der Glaube an eine lebendige Fortwirkung möge Ihr Alter ver­ schönen und der Mitwelt Ihre rüstige Kraft noch lange erhalten! Kiel, den 16. August 1896.

Rektor und Akademisches Konsistorium der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel,

gez.: (Unterschriften). 3. Telegramm an Exzellenz vo« Liliencron.

Berlin, Kupfergraben 7. (8. Dezember 1910.) Dem hochgefeierten Sohne Schleswig-Holsteins sendet die ihm durch mannigfache Bande eng verbundene Christian-Albrechts-Universität Kiel die aufrichtigsten und ergebensten Glückwünsche zum 90. Geburtstage. Im Auftrage des akademischen Konsistoriums der zeitige Rektor, gez.: Martius.

Beilage D.

Ans dem Archiv von Breitkopf 8 Härtel. Als Leiter der „Denkmäler Deutscher Tonkunst" unterhielt Llliencron seit dem Jahr 1900 bis an sein Lebensende regen Briefwechsel mit dem Berlag dieses großen Sammelwerkes, insbesondere mit dem Inhaber der Firma, Herrn Geheimen Hofrat Dr. OscarvonHase. Da Liliencrons Beziehungen zur Famüie von Hase schon in viel früherer Zeit, in den Tagen seiner Jenenser Professur, begonnen hatten, konnte mir auf meine Frage nach Liliencrons Verkehr mit seinem Hause Geh. Rat Dr. von Hase außer seinen eigenen, im Text und in den Anmerkungen dankbar be­ nutzten Aufzeichnungen aus den Beständen des Archives von Breitkopf & Härtel gütigst zwei Briefe an Professor Dr. Karl von Hase, 18 Original­ briefe und 9 Postkarten an Geh. Rat Dr. Oscar von Hase, 104 Briefe und 47 Postkarten aus den Jahren 1886—1911 an Breitkopf & Härtel, endlich 8 Schriftstücke und Drucksachen betreffs der Denkmäler Deutscher Tonkunst I. Folge zu Gebote stellen. Als Beiträge zur Geschichte der A. D. B. mögen zunächst Liliencrons keiner Erläuterung bedürftigen Zuschriften an Karl von Hase folgen: „München, d. 13. Juli 1871. Salvatorstraße 18. Hochverehrtester Herr und Freund! Sie haben mir bei meinem letzten Besuch in Jena die Theilnahme an dem meiner Leitung übergebenen biograph. Unternehmen im Allgemeinen abgeschlagen und ich mußte die dafür aufgeführten Gründe würdigen. Dennoch kann ich mir, mit der Organisirung der Arbeit beschäftigt, nicht versagen, ein paar

einzelne spezielle Bitten an Sie zu richten und ich muß hinzufügen, daß nicht nur mein eigner, sondern auch ein specieller Wunsch Rankes mich dazu treibt. Wir wünschen nicht nur, einigen uns am Herzen liegenden großen Namen Ihre Hand zu gewinnen, sondern auch unserem Werke bei der Nachwelt den Borwurf zu ersparen, daß ihm die Theünahme des ersten Kirchenhistorikers so ganz gefehlt habe. Wenn Sie die massenhaftere Bethelligung jüngeren Kräften überlassen, um Ihren eigenen Arbeiten nichts abzuziehen, so ist das gewiß ganz recht und billig. Aber ein paar schöne Porträtköpfe, die Ihnen nur das Werk einiger Stunden sind, dürfte darum doch die Meisterhand unserem Pantheon gewähren. Es sind Boni­ fatius, Erasmus und Melanchthon, um die ich bitten komme, alle drei in die Iste Classe der Biographien (cf. S. 3 unseres Programmes, welches ich Ihnen unter Kreuzband sende) zu rechnen. Ich füge nichts weiter hinzu. Entschließen Sie sich! Des Bonifaz bedürfte es zu künft. Ostern; mit den beiden andern hats gute Zeit. Mit der Bitte, mich Ihrem ganzen Hause angelegentlichst zu empfehlen, bleibe ich in aufrichtiger Verehrung

Ihr ergebenster

v. Llliencron."

„München, 14. März 1872. Hochverehrtester Herr und Freund! Emp­ fangen Sie den besten Dank für die Bonifacius-Biographie, welche ich mit großer Freude gelesen und einregistrirt habe. Sie lassen es mich durch eine solche Arbeit doppelt empfinden, daß ich Sie von Weiterem ent­ binden soll. Aber was bleibt mir übrig, als Ihren verehrten Namen von meinen Zetteln wieder auszustreichen, wenn Sie es denn wollen." Die Anfänge des Briefwechsels mit Dr. Oscar von Hase galten gleichfalls der A. D. B. „Meine Erinnerungen an Llliencron", so schrieb mir Dr. Oscar von Hase im September 1916, „gehen in meine Knabenzeit zurück, als er Professor in Jena war, dann in meine Meininger Gym­ nasiastenzeit 1863—1866. Als ich 1871 im April aus dem Kriege noch in Kürassieruniform als Kriegsfreiwllliger zurückkehrte, traf ich ihn bei einem Besuche, den er wie ich in Meiningen machte, bei meinem Schwager, Geheimen Rat Domrich, dem Leibarzt des alten Herzogs. Er bat mich damals, sämtliche Beiträge über Buchhandel und Buchdruck für die A. D. B. zu übernehmen; ich hatte, obgleich mich die Geschichte des Buchhandels mächtig lockte, den Verstand, dieses mich erfreuende und ehrende Anerbieten kurzer Hand mit Dank abzulehnen, doch habe ich dann später, nach dem Tode meines Oheims, Dr. H. Härtel, den Aufsatz über Breitkopf & Härtel übernommen. Meine Ablehnung erfolgte, weil ich nach dem Reiterleben mich zunächst geschäftlich einarbeiten und bewähren wollte." Lüiencrons folgende Briefe an Dr. Oscar von Hase zeigen, welches Vertrauen er nach wie vor in die Sachkenntnis und Hllfsbereitschaft des jüngeren Freundes setzte: „München, 14. Dec. 1875. Geehrtester Herr! Es ist mir, da Freund Geibel nicht in Leipzig ist, sehr um einen recht diplomatischen Vermittler in einer etwas heillen Sache zu thun. Darf ich mich, da Ihnen die Sache

nicht ganz unbekannt ist, wohl an Sie wenden, alte Freundschaft und ein neues Interesse an unserer A. D. B., welche ich schon um Geibels willen voraussetzen darf, anrufend? Mühlbrecht hat sich von der Bearbeitung der Drucker und Buchhändler zurückgezogen." „Den Ersatz zu finden, das wird nach meinen Erfahrungen große Schwierigkeiten haben." „Ge­ nau genommen handelt es sich um zwei ganz verschiedene Aufgaben: 1. Die ältesten Drucker und 2. die späteren Buchhändler. Bei den ersteren, die ich bis um das Jahr 1550 in möglichster Vollständigkeit angeführt sehen möchte, handelt es sich nicht um Biographien im eigentlichen Sinn, sondern um die Angaben: wo und innerhalb welcher Zeit der bett. Drucker arbeitete, welcher Art sein Verlag war und welche merkwürdigsten Arbeiten von ihm bekannt sind; dies Alles in die möglichst knappe Form zusammen­ gefaßt. Bei den späteren Buchhändlern wird es natürlich hauptsächlich darauf ankommen — aber wem sage ich dies? — ich kann mich kürzer ausdrücken: es wird darauf ankommen, die großen Firmen in der Art zu behandeln, wie Sie in Ihrem vorzüglichen Artikel »Breitkops & Härtel' dargestellt haben, und die unbedeutenderen in demselben Geist, nur eben nach Maßgabe ihrer geringeren Bedeutung resp, ganz kurz zu behandeln." Beide Aufgaben könnten, wenn sie zusammen einem Mitarbeiter zu viel wären, in zwei verschiedene Hände gelegt werden: Lüiencron dächte dabei an Albert Kirchhoff und Schürmann; er bittet Hase, diesen Herren zu erklären, weshalb er erst jetzt an sie heranträte; „möchten sie im Interesse der Sache jede Empfindlichkeit bei Seite setzen"; „ein großes gemeinsames Interesse macht mich rücksichtslos im Bitten und getrost im Vertrauen auf den uneigennützigen Geist unserer Gelehrten. Der hat mich schon über manches scheinbar unübersteigliche Hinderniß hinweggetragen." „Wie geht es Ihrer verehrten Famllie in Jena? Daß Ihre Firma meinem Sohn die Ehre angethan hat, seine Lieder zu drucken, hat mir große Freude gemacht." Am 18. Januar 1876 dankt Liliencron für Hases überaus freund­ liche Bemühungen in Sachen der A. D. B. und den allerliebst ausgestatteten Abdruck des Artikels Breitkops & Härtel: „eine sehr wertvolle kleine Arbeit und für unser Werk doppelt schätzbar, well sie — ich wiederhole Ihnen nur, was ich schon Freund Geibel schrieb —, geradezu ein Muster dessen, was wir für die großen Firmen wünschen." Daß Hases Verhandlungen mit Kirchhoff und Schürmann erfolglos blieben, bedauert er sehr. Er wül nun Tellung der Arbeit zwischen Kelchner und Wustmann versuchen, einzelne Artikel allerdings speziell berufenen Mitarbeitern vorbehalten und die freundliche Unterstützung des buchhändlerischen Börsenvereins erhoffen. „Eine specielle Buchhändler-Biographie am Schlüsse unseres Werkes würde bei Geibel um so weniger Widerspruch finden, als er schon Mühlbrecht gestattet hat, seine Biographien im Börsenblatt abzudrucken. Bon redactioneller Seite steht kein Bedenken entgegen; im Gegenthell hege ich den Wunsch, daß an das Centrum unseres Werkes sich möglichst reichhaltige Specialbiographien, territoriale wie fachwissenschaftliche,

schließen. Auf diesem Wege und nur auf diesem können wir zu einem so großartigen biograph. Material gelangen, wie es noch keine Nation aufzuweisen hat. Ich würde dann raten, den Rahmen dieser Special­ biographien für Buchhändler und Drucker noch zu erweitern, um dort den Stoff nach Möglichkeit zu erschöpfen, während wir uns an die be­ deutendsten Erscheinungen halten müssen und nur etwa in Betreff der Jncunabelnzeit einige Vollständigkeit erstreben können." „Wie freue ich mich darauf, wenn ich wieder einmal nach Leipzig komme, Ihr großes Etablissement, dem ich so oft mit neugierigen Augen vorübergegangen bin, unter Ihrer Führung zu betreten und mein Auge i. sp. an dem An­ blick der alten Rotensammlung zu erfreuen." Ein Verlangen, das im Lauf der Jahre in ungeahntem Umfang Erfüttung finden sollte. Für seine Haydn-, wie zuvor für seinen CramerArtikel in der A. D. B. suchte und fand Lüiencron vielfach Aufschluß in den Beständen der alten Breitkopf-L-Härtelschen Ausgaben und Verlags­ kataloge. 1891 erholt er sich Rats über ein Terzette scherzando di Mozart, ^Bei diesem Anlaß noch eine andere Frage. Ich besitze durch ein Geschenk des Kaisers ein Exemplar der musikalischen Werke Friedrichs des Großen. Ich hätte sehr gern eine Flötenstimme dazu. Ist eine solche bei Br. & H. erschienen?" 1895 dankt Lüiencron aus Wildungen für die Sendung eines Privatdruckes. „Die Kürassierbriefe gereichten mir in der Muse des Brunnenlebens in doppeltem Maße zur erfreulichen Unterhaltung. Welch merkwürdiges Schicksal: Sie eüen so rasch zu den Waffen, daß Sie, wenn's nicht die unberechenbaren Umstände anders gefügt hätten, ebenso­ wohl in die Lage hätten kommen können, am 8. Tage Ihrer Kriegslaufbahn völlig unausgebüdet die Attaken von Wörth zu reiten. Sie wählen grad' eines der schneidigsten Reiterregimenter und kommen dann in die Lage, bis in den November bei allen Schlachten vorüberzureiten, nur vom 14. August an wenig im Feuer manövrirt. Trotzdem liest man aber, was Sie aus dem Ritt durch Frankreich zu erzählen haben, mit vielem Ver­ gnügen. Bon den Schlachten, chrem Ruhm und ihren Greueln hat man durch Andre so viel erfahren, daß man gerne auch das, was Sie fried­ licheren Charakters erlebten, hört. Das gebüdete Hausmädchen, das Ihnen bei den Mysttres de Paris beisteht, verdiente in Yorricks Sentimental joumey zu stehen. Nur von den Erlebnissen in Rordfrankreich, die Ihnen doch das Eiserne Kreuz noch eintrugen, hätte man gern etwas genaueres gehört. Ich wollte, Sie hätten damals etwas weniger Sorge gehabt, durch eingehende briefliche Schüderungen der Attaken usw. als nriles gloriosus zu erscheinen." 1898 dankt er für eine „Hauschronik": „Ich zögerte mit dem Ausspruche meines Dankes nur, weil ich mich erst etwas in dem lieben und verehrten Hause, dessen Thüren das Buch öffnet, um­ schauen wollte. Die Jenaer Zeit steht ja mir selbst in lichter und dank­ barer Erinnerung und mein eigener Name im Buch erinnert mich an die schönen römischen Tage, während derer ich zum letzten Mal mit Ihrem

lieben Bater verkehrte, an dem interessanten Tage, an dem Frz. Lav. Kraus uns beide durch die Katakomben führte." 1900 übernahm Liliencron die Leitung der Denkmäler Deutscher Tonkunst, und es war seiner Tatkraft, seinem Ansehen und seiner Er­ fahrung befchieden, nicht allein (wie im Text VIII berichtet würde) daS Unternehmen dauernd zu sichern, sondern in dem chm noch vergönnten Dutzend Lebensjahren mitzuhelfen, daß mehr als vierzig Monumental­ bände, Instrumental- und Gesangswerke vom 15. bis 18. Jahrhundert mustergültig herausgegeben wurden. Seine Geschäftsbriefe an die Firma zeigen den Ernst und Eifer, mit dem er Großes und Kleines, Fragen der Ausstattung, der Rechtschreibung, der Arbeitsteilung zwischen Oberleitung, Gruppenleitung und Herausgebern der einzelnen Bände gründlich und fachmännisch überlegt, gelassen und sicher entscheidet. Und seine Freundes­ briefe an Hase sind ein Gegenstück zu seiner Korrespondenz mit dem Ber­ leger der A. D. B., Geibel: sie offenbaren die ganze Ritterlichkeit und Herzensgüte seiner Natur. „Meinen herzlichsten Dank für Ihren so liebens­ würdigen Glückwunsch zum 9. Jahrzehnt", schreibt er am 22. Dez. 1900, „zwar spät unter arg gehäufter Arbeit, aber darum nicht weniger warm. Seien die neuen Sonnen unserer gemeinsamen Arbeit hold." Der Umsicht und Ausdauer, der Rastlosigkeit, mit der Liliencron seines Amtes waltet, Säumige anspornt, seine Gewährsmänner schirmt und ermutigt, merkt man nicht an, daß ein Achtziger am Werk ist, der nur gelegentlich (9. Mai 1906) „Nachsicht mit längerem Schweigen" erbittet, indem er es erklärt. „Ich hatte mich wohl im Winter etwas überarbeitet, ohne zu berechnen, wie viel ich den alten Kräften noch ungestraft bieten dürfe. Es kamen Sorgen um die schwankende Gesundheit meiner Frau hinzu, und der schwere Schlag, den uns der Beginn des Jahres 1905 durch den Tod der geliebten Tochter gegeben hatte, wirkte wohl auch noch nach. Meine Nerven ließen plötzlich nach, froher Mut und die gewohnte Arbeitslust schienen mich völlig im Stich zu lassen. Ich mochte nichts mehr anrühren." Eine auf ärztlichen Rat unternommene Erholungsreise nach Gries-Bozen half. „Wir blieben fast sechs Wochen dort. Die herrliche leichte Luft, das Wandern durch Tal und Berg tat denn auch Gottlob in vollem Maße seine Schuldigkeit. Ich bin frisch und froh wieder heimgekehrt, nachdem ich, die lange Ferie damit schließend, in Berlin meine Arbeiten wieder ausgenommen hatte." Am Christtag des Folgejahres 1906 schreibt er: „Als ich jüngst von Br. & H. das Mufsatheft der Meisterwerke erhielt, über­ legte ich mir eben Leben und Welt an meinem 86. Geburtstag und sah dabei aus, wie umstehend zu schauen ist:" die Ansichtskarte zeigt Liliencron an seinem Stehpult an den Bücherschrank — mit der bis dahin gedruckten Reihe von 53 Bänden der A. D. B. — gelehnt. Ein Jahr hernach, am 20. Nov. 1907, richtet er folgenden Brief an Hase: „Berehrtester Herr! Die Schreiben der Firma habe ich richtig erhalten samt dem Notenpaket; ich werde sie beantworten, sobald ich mich darüber mit Berlin verständigt habe.

Es liegt mir aber daran, Ihnen persönlich und vertraulich einmal über meine Erlebnisse in diesem Sommer und Herbst zu schreiben, damit Sie sich nicht allzusehr über mein langes Verstummen wundern. Ich habe vieles durch­ lebt, daL Herz und Gemüt schwer bedrückt. Daß ich mich im Sommer be­ wogen sah, mit dem Schluß des 53. Bandes der A. D. B. die Leitung des Unternehmens niederzulegen, haben Sie wohl gehört oder gelesen. Ich fühlte mich mit meinem einen sehr schwachsichtigen Auge nicht mehr im Stande, das Maß von Controls über die eingehenden Manuskripte aus­ zuüben, waS der Arbeit nötig ist, und damit stand mir auch der Entschluß des Rücktritts fest. Die Histor. Comm. gewann in Bettelheim (Wien) den geeignetsten Ersatz. Er kam auf meine Einladung her, um direkt aus meiner Hand alle Papiere und sonst nötigen Aufklärungen zu empfangen. Das war Ende Juli. Daß die Sache nicht ohne Gemütsbewegung für mich abging, brauche ich nicht zu sagen, wenn ich es auch alsbald als eine wohltuende Erleichterung empfand. Eine mein ganzes Fortleben in der Tiefe berührende Umwandlung blieb es doch aber immerhin. Es half mir in die neue Lebensgestaltung hinüber, daß eben meine Kinder, auch die Florentiner (früher Dresdener) bei uns waren. Da aber traf uns Alle ein böser Schlag": die Krankheit der Frau, scheinbare Besserung, neuer Rückfall. »Letzt schien die letzte Hoffnung geschwunden: die Kranke nahm Abschied zum zweiten Male von uns Men. Und dennoch blieb sie uns! Rach 8 Wochen saß sie wieder froh und geistig frisch in chrem Lehnstuhl am Wohnstubentisch. Ihren 81. Geburtstag feierte sie im Oktober wenn auch nur im engsten Freundeskreise mit uns, und ich konnte danach getrost zu den musikalischen Geschäften nach Berlin reisen. Ich selbst kann mich freilich noch immer nicht von den An« und Abspannungen dieser bösen Zeit erholen, fühle mich recht alt geworden." Und doch nicht (und eigentlich niemals) alt genug geworden, um anderen nicht weit über das Herkommen als Schutzgeist beizustehen. Kaum zwei Wochen, nachdem er seinen Sorgen Luft gemacht, am 2. Dezember 1907, schreibt er Hase: „Wir haben ein kleines Musikgenie entdeckt, das unser Interesse erregt hat. Es ist der z. Z. siebenjährige Sohn eines ländlichen Handwerkers, einige Meilen von hier. Unser Landrat war auf ihn auf­ merksam geworden und brachte ihn mir. Der Kleine, namens Rißmann, ist ein dicker, gesunder und pausbäckiger Bube, der sein Harmonium mit dem tiefsten Ernst behandelt, ohne bisher eine Rote zu kennen oder irgendwelche musikalische Anleitung erhalten zu haben." „Drei reiche Musikfreunde in Berlin haben uns die Summe von 1000 Mark jährlich zur Verfügung gestellt, wenn wir, d. h. unser Landrat Herr von Alten und ich die Sache in die Hand nehmen wollen, wozu wir gern bereit sind." Hase soU bei der Wahl einer geeigneten Leipziger Familie, die den kleinen Schützling beherberegn könnte, seinen Rat geben. Liliencron hat bis an sein Lebensende den Kleinen liebreich im Auge behalten. Seinen steten Anteil an den Denkmälern Deutscher Tonkunst be-

kündet seine Antwort auf Hases Anregung, die Herausgabe auf 4 oder 3 Bände im Jahr herabzusetzen. ^Zch selbst werde Ihrem Wunsch" in den Berliner Beratungen „nicht entgegentreten, obgleich ich einen ge­ wissen Stolz darein gesetzt habe, die Denkmäler so rasch zu fördern und auf möglichst viel Bände zurückschauen möchte, wenn mir der All­ herrscher Tod die Feder aus der Hand nimmt. Daran, bei meinen 87 Jahren zu denken, werde ich in diesem Winter stark gemahnt und fühle auf recht bedenkliche Weise die Abnahme nicht nur der Augen, sondern meiner Kräfte überhaupt. Ich kann mir aber wohl denken, daß wir unseren Abonnenten mit den 6 Jahresbänden eine etwas drückende Last auferlegen." Llliencrons letzter Brief an Hase lautet: „Berlin, 18. Februar 11. Hoch­ verehrtester Herr, ich habe Ihnen längst schreiben wollen, aber es ist mir nach meinem 90. Geburtstag nicht so gut gegangen, wie an diesem selbst, an dem ich mich einer so freudigen Frische erfreuen durfte. Einige Tage später aber versagten mir, doch wohl infolge zu großer Anstrengung die Nerven, so daß ich, um mich zu erholen, gänzlich ausspannen mußte. Meine gute Natur ist ja auch, Gott sei Dank, der Sache Herr geworden; es hat mich aber doch auf unangenehme Weise von Kräften gebracht, und ich erhole mich nur langsam. Weßhalb ich Ihnen zunächst schreiben wollte, war der Wunsch, Ihnen noch einmal zu danken für die mir am 8. Dec. erwiesene Ehre und Freundschaft. Sie sind mir am Tage selbst so unter der Hand verschwunden, daß ich Ihnen, wie mir scheint, gar nicht so recht gesagt habe, wie sehr Sie mich erfreut haben durch Ihr Erscheinen mit Ihrem Herrn Sohn. Und erst nachdem ich die Breitkopfsche Denk­ schrift gelesen habe, kann ich hinzufügen, mit wie vielfachem Interesse ich das Buch mit seiner schönen Ausstattung gelesen habe. Es macht mich stolz, mein eigenes Büdnis davor und in so lllustrer Gesellschaft zu finden. Lassen Sie sich also noch einmal die Hand dafür drücken; auch den DenkmAerband an dem Tag erhalten zu haben, war mir eine Freude." Den eigenllichen Anlaß zu diesem Brief gab dem Neunzigjährigen die Für­ sorge für den Heinen Rißmann: „Leisten Sie mir den großen Dienst, der zu unternehmenden Prüfung des Kleinen beizuwohnen." „Landrat Hagedorn in Schleswig kann leider nicht nach Leipzig kommen, und ich kann es schon mit Rücksicht auf meine Gesundheit nicht, zumal da mir um die Mitte des März die Übersiedelung nach Eoblenz bevorsteht. Mit den besten Empfehlungen und Grüßen an Sie und Ihr ganzes Haus und in alter Freundschaft der Ihrige R. v. Lllieneron." An die Firma richtete Lllieneron aus Eoblenz 22. November 1911 noch den folgenden (einen Abschieds») Brief. „Herren Breitkopf & Härtel. Ew. Hochwohlgeboren danke ich verbindlichst für die verschiedenen Sendungen und Schreiben der letzten Wochen. Zu meinem tiefsten Bedauern muß ich dabei die Mitteilung verbinden, daß mein Gesundheitszustand mir nicht mehr erlaubt, die Revisionen der mir übersandten Noten usw. zu besorgen. Den Statuten unserer DenkmSler^Lommission entsprecht nd hat deshalb Vettelheim, R. v. Ltttencron.

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Geheimrat Stumpf in Berlin einstweilen statt meiner den Vorsitz und die damit verbundenen geschäftlichen Angelegenheiten und Schreiben über­ nommen." „Daß ich persönlich die Hand von der Feder der Denkmäler mit tiefem Schmerz zurückziehe, brauche ich nicht zu sagen, und ich bitte, daß Breitkopf und Härtel mir die freundschaftliche Hand lassen, der ich in langem Leben so viel des Guten zu danken habe. In herzlicher Dank­ barkeit R. v. Liliencron.* (Diktiert, nur die Unterschrift in ziemlich verwischten Zügen eigenhändig.) Den krönenden Abschluß der Beziehungen des Hause- und Liliencrons bringt das Prachtwerk „Breitkopf & Härtel. Gedenkschrift und Arbeitsbericht von Dr. Oscar von Hase. Erster Band 1642 bis 1827. Druck und Verlag von Breitkopf & Härtel in Leipzig 1917*. Die Keimzelle dieser für die Geschichte der altberühmten Familie und Firma, des deutschen Notendruckes und MusikverlageS gleich belangreichen Monographie war Dr. Oscar von Hases für die A. D. B. 1875 geschrie­ bener und nach Liliencrons Urteil (in dem oben mitgeteüten Brief vom 14. Dez. 1875) vorzüglich geratener Artikel Breitkopf & Härtel. „Die für den Zweck kurzgefaßte und in eins zusammengeschlossene Lebens­ beschreibung der drei Generationen Breitkopf, sowie des Großvaters G. E. Härtel und deS Oheims Hermann Härtel, denn nur den Heimgegange­ nen war die deutsche Ehrenhalle der A. D. B. gewidmet, wurde nach Auf­ nahme in dieses Sammelwerk mit ein paar vorhandenen Holzstöcken als ein Weihnacht-gruß an die Eltern selbständig gedruckt. Dann hat sich diese Leine Biographie der fünf Generationen Breitkopf & Härtel in gelegentlichen Ergänzungen aus freundlichen Veranlassungen zwanglos weitergeblldet durch da- von der sechsten Generation gewonnene Neu­ land.* Den ersten Teil, Vorgeschichte und Breitkopf-Darstellung, hat Dr. von Hase dem „ehrwürdigen Rochus von Liliencron zum 90. Ge­ burtstag am 8. Dez. 1910 überreichen können*. Die vorliegende vierte Auflage der Schrift ist nun „dem von Jugend auf innig verehrten Manne gewidmet, der sie zuerst angeregt hat*. Die Votivtafel deS monumentalen Werke- zeigt in wohlgelungenem Lichtdruck daS Bildnis Liliencron-; der Arm ist auf das Stehpult gestützt, mit dem Rücken lehnt der alte Herr an seiner Bücherstelle, auf der alle Bände der A. D. B. stehen. Die Inschrift dieses Widmung-blattes lautet:

IN TREUEM GEDENKEN AN ROCHUS FREIHERRN VON LILIENCRON.

Namenverzeichnis Ackermann 105. 145. Adler, Guido 255. 282. Adolf von Nassau 167. Alarich 167. Albert, Prinz 112. AlbertinuS AegidiuS 183. 202. 267. Albrecht I. 167. Albrecht H. 167. Albrechtsberger 231. Alten 304. Altenburg, Herzog v. 210. Althoff 232. 233. Andersen 52. 242. Anemüller 168. Anna Amalia, Herzogin 168. Anna v. Bretagne 162. Aristarchi Bey 209. AristophaneS 35. ArminiuS 157. Arndt, E. M. 55. 169. 173. 199. Arndt, Wilh. 167. Arneth 167. 173. 196. 262. Arninr, Bettina v. 40. 41. Arnim, Gisela v. (verh. Grimm) 40. Artaria 234. Attila 157. 286. Auber 243. Auerbach, B. 57. August, Prinz v. Preußen 208. Augusta Viktoria, Kaiserin 186. 203. 205. 223. 252. 254. 256. Augustenburg, Herzog v. 129. 131. AuwerS 255.

Basedow 170. Baudissin, Adalbert Graf 27.35.41.61.86. Baudissin, Freya Gräfin 42. Bauernfeind 173. 200. Baur (Archivar) 168. Baur, F. (Theolog) 169. Bayer-Bürck 39. Bechstein, Ludwig 108. 114. Bechstein, Reinh. 123. 170. Beck (Archivrat) 168. Beckmann, Fritz 39. Beer, «. 167. 262. Beethoven 30. 57. 177. 208. 234. Behr-Pinnow 254. Bellermann 234. Bellini 52. Benary 35. Bennigsen, R. v. 128. Bernhard Erich Freund, Herzog v. Sachsen-

Meiningen 89. 91. 101. 102. 103. 104. 105. 106. 107. 108. 114. 116. 119. 122. 123. 124 ff. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 136. 137. 138. 145. 264. BernayS, M. 171. 187. 199. 145. 263. Bernhard!, Th. 264. Bernstorff, E. v., Priörin 224. 265. 266. Beseler, Georg 28. 33. 54. 78. 263. Beseler, Wilhelm 61. 76. 79. 80. 213. Bethmann-Hollweg, Kurator der Universi­

tät Bonn 55. 58. Bettelheim, Anton 247. 248. 265. 270. 304.

Bettelheim, Helene 241. Beust 116. Biegeleben 130.

Vach, I. S. 171. 177. 179. 186. 217. 235. Biese 221. 270. 236. 256. Billroth 215. BiSmarck 65. 127. 129. 132.137. 156. 204. Bach. PH. E. 213. Bacon 229. 210. 212. 217. 218. Baechtold 199. 262. Bitter 186. Baeumter 219. 262. 267. Blome 86. Bamberg, F. 197. Blücher 17. Barack 168. Bluhme 75. Bluntschli 118. Bargum 61.

Badenstedt 140. vöckh 38. vöcking 20». Bötticher 206. 211. 216. 223. eontfedu» 167. 800. Banta 64. 67. 69. 71. 76. 7». Brahm« 176. 177. 17». 186. 217. 251. Brandenburg, Graf 82. Braun, Otto 210. BrechUng, Marg. 13. 262. Breittops 4 HSrtel 232. 262. 269. 299—

306. Bremer 61. Brock 263. Brockdorf, Gräfin Claudia, gesch. Lllien» cron, Landgräfin v. Heffen 16. 18. BrockhauS 165. 190. Brückner 168. Brühl, Gräfin 217. Bruhn« 170. 198. Buch, Oberst 132. Buchner, L. 8L, Pharmakolog 169. Buchwaldt 21. Bülow, Bernhard v. 64. Bülow, Graf 69. 72. 73. Bülow, Han« v. 208. Bülow, Heinrich 77. Bunsen 188.

vurckhardt 168. vursiaa 170. 174. 197. vusont 219. Byron 229.

Chrystmder 139. 200. 234. 236. 265.

Elasten 28. Claudius 28. Clausewitz 77. Cornelius, Karl, Historik« 149.167. 198.

216. Cornelius, Peter v., Mater 264. Carnet 22. 26. 242. Erdinger 39. 42. 69. 242. Crennevtlte, Gras 124. Cromwell 229. CurtiuS (C. u. G.) 28. 87. Curttu», Bibliothekar 262. Dahlmann 23. 40. 54. 55. 56. 5». 60. Dahn 167. 174. 262. Dante 100. 175. 215. 267. Didot 196. Diez, F. 54. 55. 268. Dtlthey 16». 170. Dtrksen 35. Dölltng« 148. 149. 151. 158. 164. 169. 192. 265. Dönntge« 87. 92. Dommer 171. Domrtch 105. 145. 300. Donizettt 52. Dörner 32. Dove, Alfred 157. 167. 169. 195. 19».

200. 246. 262. Dove, Heinrich 199. Dove, 8L 168.

Droste 210. Center 170. 198. Droysen 34. 37. 47. 64. 80. 86. 95. 100. CardanuS 167. 105. 107. 115. 117. 143. 146. 184. 268. Carolin« Amalta, Königin v. Dänemark 50. Druffel 183. 168. 210. Caroline, Prinzessin zu SchteSwig«Hol- Dümmler 167. 173. 282. stetn 205. Dürer 255. Seru« 169. Duncker 4 Humblot 165. 166. 261. Charle« LL 22». Chemnitz 267. Eberstetn 13. Christian VIII., König v. Dänemark 84. Eduard II. 229. 36. 50. 59. 60. 64. Eduard Hl. 229. Christian, Prinz v. Schleswig »Holstein Ehmcke 168.

203. 204. 214. «hristu« 56.

Ehrenfeuchter 170. Elisabeth, Kaiserin von Österreich 125.

Elisabeth, Königin von England 229.

Friedrich HL, Kaiser von Deutschland (f. Friedrich Wilhelm). Ennen 167. Friedrich der Grobe 196.213.267.279.808. Ernst, L. SB. 201. 229. Ernst Günther, Herzog zu Schleswig. Friedrich VL, König v. Dänemark 34.36. Friedrich VII., König v. Dänemark W. Holstein 204. Ernst, H. W., Seiger 37. 38. 112. 61. 75. 129. Ettmüller 122. Friedrich Wilhelm IV. 72. 74. 196. 199. Eugen, Prinz 196. 205. 267. Eulenburg, Fritz 69. Friedrich Wilhelm, Kronprinz, nachmaW Kaiser 153. 204. 209. 210. Eulenburg, Graf 74. Ewald, Johann v., Beneral 17. 18. 263. Freytag, G. 6.22.96. 109. 141 162. 169. Eyken 245. 173. 174. 199. 262. -alb 207. Falck 268. Fein 96. Felling, Oberstleutrumt 171. Ferdinand n. 167. Ferdinand 1IL 13. 167. Ferdinand, Prinz zu Schleswig-Holstein

205. Fernkorn 126. Feuillet 107. Fischart 199. Fischer, Kuno 99. 170. Fischern 126. Flathe 168. Fletschhcuker, Oberst 124. Fletscht, Otto v. 215. Förtnger 154. Förster, August 197.

Fonton 118. Forkel 231. 232. Forster 199. Frank (Theolog) 169. Francke, Karl Phll., 61. 64. 66. 79. 80. 82. 86. 88. 109. Franz L, Kaiser v. Österreich 167.

Frölich 241. Frommann 123. Fugger, Graf 175.

«abillon 241. Sagern, Heinrich v. 67. Gardthausen 33. 39. Saß 169. Gebhardt, E. (Maler) 243. Seibel, Carl 7. 165. 166. 184. 187. 188. 189. 192. 206. 210. 217. 221. 230.

257. 172. 173. 183. 195. 201. SOI. 238. 239. 240.

248. 245. 246. 253. 261. 266. Seibel, Emanuel 28. Getbel, Stephan 210. Geiger, L. 170. Benelli 98. 94. 109. 110. 117. Georg, Herzog v. Sachsen-Wehüngen 105. 108. 110. 114. 133. 184. 138. 139. 140. 144. 145. 182. 296. 297. Gerhardt 87. Gerltch, F. 195. Germann 130. 284. «erahnt* 47. 48. 56. 107. Btesebrecht, SB. v. 188.140.142.150. 151.

152. 158. 158. 159. 167. 173. 188. 189. Franz Joseph, Kaiser 124. 125. 127. 128. 190. 191. 192. 193. 196. 198. 199. 205. Frantz, Bibl.-Direktor 264. 208. 261. 265. Frensdorff 199. 262. Sildemeister 215. 267. Frenssen 22. Sittason 50. Friedjung 251. Sluck 29. 80. 197. 264. Friedländer, Max 244. 262. Glücksburg, Herzogin v. 211. 214. Friedländer, Frau 251. Soelt 55. 264. Friedrich I. Kaiser (Barbarossa) 167. G»eschen 35.

Goethe 89. 49. 170. 200. 210. 259. 270. GSttling 97. 99. Gotzler 219. Gottschall 165. Graap 194. 195. 228. 230. 246. 252. 261. 262. Graedener 34. 38. 47. 98. Granoella 157. Graupner 235. Greff 213. GregorovtuS 151. 191. 199. 215. 262. Grillparzer 179.

Hatzfeldt 214. Haupt, Moritz 44. 45. 46. 54. 87. 97.115.

121. 146. 160. 263. Haupt, R. 263. Haydn 231. Haym, R. 193. 199. 262. Hebbel 51. 197. Hecker 169. Heeren 147. Hegel, Karl 167. Hegewisch 241. Heiberg, Bürgermeister v. Schleswig 222.

Grimm, Hermann 40. Heiberg, H. 241. Grimm, Jakob 40. 44. 45. 53. 54. 69. 87. Heigel, K. 9. 154. 167. 168. 173. 259. 114. 151. 159. 160. 161. Grimm, Wilhelm 40. Grotefend 168. Grün, Anastasius 26.

262. 268. Heinebuch 211. 213. 227. Heinrich I., Heinrich EL, Heinrich HL, Heinrich IV., Heinrich V„ Heinrich VI.

(Brünne, Graf 126. Gümbel 169.

167. Heinrich, Prinz v. Preußen 221. Heintze, Baron 74. Henke 169. Hentschel 235.

Haberl 142. 143. 233. Häckermann 167. Hälfchner 54. Händel 30. 200. Hänfelmann 168. 275. Haeuffer 115. 117. 120. 128. Hagedorn, Landrat 305. Hagenah 264. Hahn, Graf 30. Halbsuter 163. Halm, Carl 154. 170. 174. 197. 262.

Heppe 169. Herzog 169. Herzogenberg 183. Hettner 171. Heydemann 35. Heyse, P. 109.118.140.141.154. 174. 211. Hildebrand, A. 217. Hildebrand, R. 161. Hirzel 199. Hoffmann v. Fallersleben 161. Handelmann 168. Harbou 68. 70. 72. 73. 76. 79. 81. 89. 90. Hofmann, Konrad 94. 109. 110. 117. 142. Hirsch 169. 91. 100 ff. 116. 122. 123. 127. 129. Hohenlohe, Fürst (F.ML) 109. Harbou (Sohn), Leutnant 129. Hohenzollern, Fürst v. 135. Hardenberg 196. Holberg 50/1. HarmS, Claus 23. 28. Holland, H. 175. HarmS, F. 43. Holland, W. 121. Hartmann, General 196. Holnstein, Graf 175. Hartwig, O. 168. Holstein (Musiker) 183. Hase, Karl v. 103. 299. 300. Hase O. v., 103.167.169. 261. 299. 300 ff. Holstein-Beck, Herzog 38. Holtei 22, 306.

Haffe 213. Haßler 251.

Holtzendorff 171. Holtzmann 97.

I Köstlin 169. Homeyer 35. 1 Kollmann 169. HoppL, Clara (Sttch^öiedtke) 69. 126. 127. Kolster 29. HuLer 167. Konrad II. 167. Hübner 215. KoScielSky 171. Humboldt, W. v. 138. Koser 199. 246. 262. Husemann 169. Kotzebue 211. Hvidt 60. KrauS, F. X. 167. 303. Kretzfchmar 5. 9. 233. 234. 235 ff. 255. Jacob 28. JähnS 171. Jänicke 167. Jahn, Otto 34. 87. 199. 234. Janko 171. Jensen 79. Jerüme, König 157. Jhering 281. Joachim 38. 186. 212. 217. 244. 249. Joinville 112. Jolly 118. Joseph n. 167. Jüchert 15. Jungmann 149.

Aastan 223. Kainz 216. Karl August 114. 168. Karl der Große 157. 158. 276. 285. Karl der Kühne 161. Karl V. 167. 276. Karl VII. 167. Karmarsch 170. 173. Kauferstein 188. 189. 245. 261. Kaufmann, G. 167. 269. Kauffmann 220. 255. Kaulbach 174. 184. 210. Kaunitz 196. Kelchner 170. Keller, Ad. 121. Keller, Gottfried 203. Kern 170. 197. Kleist 72. Kliefoth 234. 235. Kluckhohn 167. 168. Knoodt 170. -kobell 154. Köpke 196.

257. 258. 262. 269. Kreutzer 235. Krogh 263. Krosigk 123. 129. Kürschner 197. 262. 267. Kuh 197. Kullak 38.’ Kurz, Heinrich 122. Kupke 262. «achmann 44. 45. 54 69. 97. 121. Lackmann 13. LandSberg 261. 262. Langforst 252. Lassalle 199. Laßberg 114. Lassen 55. Latin! 183. Laube 39. 42. 118. Lee, Sidney 229. 268. Legouvö 110. Lehmann, Max 266. 269. Lehmann (Otto) 60. Lehndorff 141. Lemcke 170. Lenbach 217. LennS 109. Lenz, Max 199. 200. 255. 262. Lenz-Imhof 145. Leonard 52. Leonrodt 93. Leopold I., Leopold II., Kaiser 167.

LepsiuS 69. 87. Lerchenfeld 175. 205. 206. 207. LeSkien 170. Lessing 170. 276. Lettow 252.

ßrudtart 169. Levetzau, Oberhofmarschall 50. Levetzau, Werner 22. 25. Levetzau, wolfgang 22. 25. Levi 176. 217. Lichtenstein 69. Liebig 174. Liedtke 126/127. vttiencron, Andreas Freiherr v. 16. 263. Liliencron, Andreas Pauli Freiherr v. 13. 14. 15. 262. Liliencron, Cäcilie Freiin v. (geb. Thorn-

ton-Wodehoufe) 258. Liliencron, Christian Friedrich Frei­ herr v. 15. Liliencron, Christoph (Vater von RochuS) Freiherr v. 16. 17. 18. 21. 33. 35. 43. 47. 263. Liliencron, Detlev v. 16. 209. 268. Liliencron, Elsa Freiin v. (verh. Lerchen­ feld) 105. 205. 207. 215. 221. 223. 240. 245. 250. 251. Liliencron, Ferdinand (Bruder von RochuS) Freiherr v. 43. Liliencron, Ferdinand (Sohn von RochuS) Freiherr v. 89. 90. 205. 215. 221. 223. 250. 251. 256. 258. 262. Liliencron, Fernanda Freiin v. 105. 113. 215. 221. 224. 258. 262. Liliencron, Freia Freiin v. 241. Liliencron, Fritz (Bruder von RochuS) Freiherr v. 34. 49. 52. 76. 210. 216. 268. Liliencron, Hedwig Freiin v. (verh. Rhein­ baben) 105. 178. 205 ff. 207. 240. 243. 251. 258. 262. Liliencron, Julie Freiin v. (geb. Gräfin Luckner), Mutter von RochuS Frh. v. 16. 18 ff. 23. 43. 49. 85. 86. Liliencron, Louise Freiin v. (geb. Tutetn), Gemahlin von RochuS Freiherrn v. 52. 56. 58-61. 68. 65. 67. 75. 83. 84 ff. 89. 96. 106. 113. 116. 131. 137. 188. 144. 182-184. 203. 222-225. 240. 245. 247-250. 252. 803. 304. Liliencron, Luiz Freiherr v. 105. 208. 209. 221. 257. 258. 262.

Liliencron, Marianne Freiin v. (geb. v. Zastrow) 258. Lind, Jenny 52. Lindau, R. 210. Lippe, Graf 171. Liszt 37. 38. 39. 98. LiviuS 215. Locher 105. 217. Lochner 168. Los 209. Loeper 204. Lohmeyer 167. Lommel 169. Lorentzen 35. Lorenz, Ottokar 161. 167. 170. 197. LouiS Ferdinand, Prinz 251. LouiS Philipp 60. Louise v. Schleswig - Holstein, Prinzessin 214. Luckner, Gräfin Adamine 17. Luckner, Graf (Marschall) 16. 178. 263. Luckner. Colla, Graf 16. Ludwig L, König v. Bayern 146. Ludwig II., König v. Bayern 150.153.196. Ludwig, Otto 197. Luther 147. 169. 213. 267. Lyser 161. Maria Paulowna, Großherzogin 98. Maria Theresia, Kaiserin 196. Madai 47. 64. Magnuffen 50. Manteuffel 83. MarckS, E. 199. 200. Markgraf 167. Mariens, Paul 13. 262. MartiuS 261. 297 ff. Mathias, Kaiser 167. Mathy 47. Mauke 96. Maurenbrecher 167. Maximilian I., Kaiser 161.162. 167. 254. 265. Maximilian II., Kaiser 167. Maximilian II., König von Bayern 87.88. 92. 93. 94. 115.146.147.149. 150. 265.

Mayer, Karl 121. Meerheimb, v. 171. Meiborg 19. 263. Melanchthon 56. 169. Mendelssohn, Felix 30. 34. 37. 38. 47. 58. 86. 142. 234, 242. 252. 263. Mendelssohn, Paul 37. Menter, Sophie 142. Mertzdorff 168. Meyer, Julius 171. Meyer v. Knonau 168.173. 196. 246. 262.

Noer, Prinz v. 61. 63. Normann 153.

vchS 251. Oefele 168. Oehlenschläger 51. 52. Oldenburg, Professor 220. OlferS 143. Olshausen, I. 33. Opel 265. Oppenheimer 169. Otto I. 167. 276. Otto II., Otto III. 167.

Meusel 190. Michaelis, Adolf 199. Michaelis, Julia 34. Michaud 149. 155. Pacher 182. Michels 261. Palestrina 217. 234. MilteiS 231. Palmer 169. Mittermaier 54. Parseval 154. Mockel 55. Patti 125. Paul, Hermann 98. 211. 268. Mörikofer 169. Paul, Jean 26. 32. Mohl, R. v. 264. Moldenhauer 56. Pech! 94. Moltke, Adam v. 71. 73. 74. Pelt 33. Moltke, Hellmuth (Graf) 55. 73. 112. 134. Perponcher 141. Moltke, Otto v. 223. Pertz 115. 146. Peschel 170. Mommsen 232. 269. 298. Peter, Herzog v. Oldenburg 20. 27. Mozart 179.

Petermann 35. Mühlbrecht 170. Peterich 213. 219. 220. 252. Mülinen 122. Müllenhoff 29. 43. 44. 45. 50. 54. 59. 85. PeterS, C. F. 245. 262. Peters, Wilhelm 69. 87. 86. 121. 143. 144. 263. Müller (Meiningen, Maler) 108. Müller, Max 170. 214. Muffat 251. Muther, Theodor (Jurist) 168.

Petersen 203. Pfordten, v. d. 54. 88. HO. Philipp v. Schwaben 167.

Planck 86. 174. Platzmann 84. 85. Plener, E- o. 199. Napoleon I. 157. 284. Napoleon in. 111. 112. 118. Plutarch 199. Neidhart von Reuenthal 42. 45.46.55.263. Pocci 140. Preller 123. Nestroy 43. Prittwitz 70. 71. 73. Newton 229. Pritzel 169. Niebuhr 138.

Nielsen 25. 39. Nitzsch 168. Nodier 155. Nölting 29. 30. 85.

Prutz 51. Rasn 50. Ranke, L. 35. 36. 37. 71. 115. 146. 147.

149. 151. 152. 154. 155. 156. 157. 158. 166. 167. 173. 183. 189. 192. 195. 196. 199. 262. 265. 266. 267. Rantzau 86. Raphael 20. 215. Rapp 121. Ratjen 47. Ratzel 173. 199. 227. 262. Raumer, Rud. v. 170. Raupach 145. Rechberg, Graf 125. 126. Reimer, G. 247. ReinkenS 169. Reißner, Marie 261. Rendtorff 269. Reumont 196. Reuter, F. 140/1. Reventlow-Althoff, Graf 69. 74. Reventlow-Preetz, F. Graf 61. 62. 64. 65 67. 68. 79. 80. 213. Reventlow-Preetz, Graf jun. 218. Reyher 78. Reyfcher 55. Rheinbaben, Georg Freiherr v. 206. 207. 216. 217. 219. 223. 233. 250. 252/3. 255. 258. Rheinbaben, Hedwig (f. Liliencron) 176. Rheinbaben, Rochus Freiherr v. 8. 217. 223. 225. 261. Richter, H. 216. Riehl, W. H. 154. 162. 171. 174. 179. 186. 232. 262. Riehl, Frau 185. Riehl, E., Tochter 262. Riezler, S. v. 9. 168. 173. 175. 199. 246. 261. 262. Ringelmann 88. 91/2. Ristori 110. Rißmann 304. 305. Ritter 167. 168. Rodenberg 9. 179. 211. 262. Röber 250. Roethe 5. 255. 270. Rohr 78. Ronge 47. Roscher 169.

Rosegger 215. Roß 88. 93. 109. 110. Roßmann 145. Roth v. Schreckenstein 149. Rothe, Johann 97. Rothmund 169. Rückert, Heinrich 54. Rudlof 295. Rudolph von Habsburg 167. Rudolph H. 167. 199. Rudorfs 255. Rübsam 200. Rümelin 231. Rumohr, v. (Oberst) 18. Rumohr, K. F. v. 29. 38.

Sachau 170. Salieri 231. Sammer, Karl (Staatsm.) 6. 66. 79. 80. 81. 97. 153. 199. 203. 204. 261. Samwer, Karl (Geheimrat) 9. 65. 199. 261. 262. Sandberger 255. Sarasate 219. Savigny, F. v. 35. Savigny, Karl v. 132. 137. Scheffer-Boichorst 167. Scherer, Marie 262. Scherer, Wilhelm 44. 97. 143. 170. 173. 197. 198. 262. 263. Schleicher 57. Schleiden 59. 61. 64. 66. 68. 71. 73. 76. 79. 204. 264. Schleiermacher 23. 169. Schleinitz 73. 74. 79. 204. Schliephake 168. Schlözer, K. v. 65. 69. 87. 215. Schneller 87. 88. 117. 118. Schmidt (Konservator) 197. Schmidt, Erich 5. 6. 40. 199. 214. 242. 251. 255. 262. 270. Schmidt (Min.-Dir.) 9. 233. 254. 270. Schmoller 231. 262. Schneider, L. 39. Schneider, Max 267. Schöberlein 234.

Stieve 199. Schöll, A. 122. 171. Stintzing 168. 197. 262. Schöll, R. 210. Stobbe 168. Schröder, Eduard 188. Schröder, Edward 5. 161. 170. 258. 270. Stockmar 199. Schröder, Sophie 22. 242. Stoltenberg 223. Schubert, F. 58. Storm 203. Schulte 168/9. Stoy 99. Schultz, A. 162. Strauß, D. F. 164. 200. 264. Schulze 99. Strauß, Johann 200. Schumacher 168. Strauß, Richard 217. j Strobl 162. Schumann, Clara 112. Schumann, Rob. 140. 179. I Strotha 78. i Stüve 62. 66. Schwind 108. | Stumpf 255. 306. Scott, Walter 155. 229. Seckendorfs 209. 241. I Sturm, Jae. 199. Seebeck 91. 99. 105. 144. 182. 289 ff. ■ Sullivan 214. Seiffert 233. 255. ! Swift 229. ! Sybel 8. 115. 116. 117. 118. 123. Seydelmann 39. 242. I 149. 167. 172. 173. 196. 198. 200. Sgambati 215. Shakespeare 26. 40. 181. | 262. 265. Sickel 167. 208. 215. 246. | Tann, v. d. 93. 154. Siebold 174. Simrock 54. 58. 88. 93. 1 Thalberg 52. Sina 125. Thamm 230. 262. 268. Sohm 239. Thierry, G. 155. Soltau 100. 160. 161. Tholuck 169. Sommerstorff 243. Thorarensen 50. Sonnleithner 231. 232. Thornton -Wodehouse (f. Liliencron) Specht 168. Thurn-Taxis 201. Speßhart 92. Tieck 20. 118. Spitta 232. 234. 236. Tiedemann 79. Springer, A. 167. Tillisch 74. Spruner 154. Tobler 170. Stade 98. Toeche 167. Stätin 120. 167. 168. Trede 20. 21. 26. 27. Stahl 169. Treitschte 8. 198. 208. 230. 268. Stange, ,Mam" (Frau) 27. 29. Treitzsauerwein 162. Stange, Musikdirektor 212. Trott zu Solz 254. Stauffenberg 217. Tücher 154. 175. 234. Strichele 168. 171. Türschmann 209. Stein 117. Tutein (Konsul) 52. 75. 83. 84. 183. Stephen, Leslie 229. Tutein, Frau (geb. Siboni) 52. Sterne 229. Tutein, Louise (s. Liliencron). Stich, Clara (Hoppä-Liedtke) 39.42.69.126. Stichling 168. 171. 182. 288 ff. Uhland 120. 121. 163. 265. Stieda 217. UlfilaS 157.

147. 216.

258.

184.

Unger 36. 263. Usedom 74. 80. 174. Utenhof 222. Uttenhoven 129.

Wessenberg 196. Weyse 52. 263. Wiele, LuiS v. 14. Wieland 170. Wilbrandt 174. Barrentrapp 167. Wildenbruch 213. Mctoria, Kaiserin von Deutschland 153. Wilhelm L, Kaiser 116. 118. 119. 127. 209. 211. 129. 132. 133. 134. 135. 136. 141. 204. Mctoria, Prinzessin 252. 209. Dincent v. Beauvais 183. Wilhelm H., Kaiser 5. 24. 186. 202. 208. Völk 210. 241. 211. 214. 217. 220. 223. 225. 233. 237. Böller 134. 136. 244. 252. 254. 260. 269. Bogl (Sänger), Heinrich 176. Willerding 211. Vogl (Musithist.) 233. Willisen 76. 78. 79. 264. Voigt 167. WilmanS 170. VoS 197. Wimmer, Ludwig 268. Voß, I. H. 211. Windeck, Eberhard 115. Wackernagel, Philipp 159. Windscheid 118. Wackernagel, Wilhelm 44. 121. 164. 192. Winkelmann 167. 199. Waechter 54. Winkler 171. Wagenmann 169. 196. Winterfeldt 234. Wagner, I. M. 124. Witt 149. Wagner, Richard 110. Witzleben (Kammerherr) 16. Waitz44.59.61.167.168.172.191.196.262. Witzleben (General) 171. Weizsäcker 208. Woldemar, Prinz v. Holstein 69. 75. 76. Wallenstein 262. 141. 264. Walpole 229. Wolf, Adam 167. Walter, F. (Jurist) 59. Wolf, Joh. 255. 269. Wardenburg-Bibra 145. Wolff, O. L. B. 160. Warnstedt, Albertine v. 23. 29. Wrangel 67. 141. Wattenbach 28. 87. 170. 197. 208. Wüllner, Franz 183. 212. 233. Watterich 149. Würdinger 171. Weber, Carl Maria v. 21. 22.111.211.213. Wurzbach 155. Weber, Major v. 213. Wycliff 229. Weber, Beit 163. Wyß 122. 168. 173. 196. Wedell-JarlSberg 20. Weech 149. 167. 168. Zacher 107. Wegele 120.130. 149. 151. 167. 168. 170. Zanardelli 211. 192. 194. 200. 210. 212. 214. 215. 216. Zarncke 269. 221. 222. 230. 267. Zastrow (f. Liliencron) 258. Weiß 149. Zeller 169. 200. Weltrich 199. Zetter 39. 252. Wentorp 21. 23. 29. 49. 53. 61. 85. Zwehl 92. Wentorp (Sohn) 241. Zwingli 141. Werner, Karl 169. 196.