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German Pages 352 Year 2017
Armin Klein, Yvonne Pröbstle, Thomas Schmidt-Ott (Hg.) Kulturtourismus für alle?
Armin Klein, Yvonne Pröbstle, Thomas Schmidt-Ott (Hg.)
Kulturtourismus für alle? Neue Strategien für einen Wachstumsmarkt
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Kulturtourismus für alle? Zur Idee dieses Buchs
Armin Klein/Yvonne Pröbstle/Thomas Schmidt-Ott | 9
DAS KULTURERLEBNIS AUF REISEN Kultur hoch3 – Kulturpanorama in der touristischen Kulisse
Ute Dallmeier | 27 Touristische Kulturbesucher als Chance der Öffnung von Kultureinrichtungen für ein sozial diverses Publikum
Birgit Mandel | 39 Erlebnis reloaded – ein Rehabilitierungsversuch
Melanie Kölling | 59 Edutainment – Verrat an Bildung und Kultur?
Armin Klein | 81 Kulturtouristen: Ein (Zukunfts-)Portrait
Yvonne Pröbstle | 99
KUNST UND KULTUR AUF HOHER SEE Kreuzfahrt-Touristen unter der Lupe der Marktforschung
Jürgen Eisele | 121 »Reisen bildet« – Kreuzfahrten auch? Bildungs-, Kultur- und Programmangebote und ihre Relevanz im Cruise-Business
Thomas Schmidt-Ott | 141 Sich mit dem Publikum verbinden. Theaterkunst für Kreuzfahrtschiffe
Arthur Castro | 165
Megatrend Eventkreuzfahrt. Die Full Metal Cruise – eine Seereise durchs »Metal-Meer«
Lutz Deyhle | 187
G ESCHICHTE (N) ERZÄHLEN – AUCH OHNE MUSEUM Kulturrouten: Neue Formen der Vernetzung, Inszenierung und Vermarktung
Matthias Burzinski/Lara Buschmann | 201 Kulturzeichen Kitzinger Land – Eine Region erzählt ihre Geschichte
Céline Kruska/Yvonne Pröbstle | 221 Filmtourismus – Vom Reisen an den Original-Drehort
Stefan Rösch | 233 Freizeit- und Themenparks als Kulturdestinationen?
Dieter Brinkmann | 255
HOTELS & CO. ALS KULTURDESTINATIONEN Trendorientierte Hotelkonzepte und die Rolle von Kunst und Kultur als Authentizitätsfaktoren
Katharina Phebey | 275 Das Hotel als Wegbereiter des authentischen Städtetourismus. Das grätzlhotel. Mehr als ein Raum in einer fremden Stadt.
Leo Lettmayr für die URBANAUTS Hospitality Group | 301
DIGITALISIERUNG IM KULTURTOURISMUS Blogger, Twitterer, Instagrammer & Co.: Inhalte nutzen und aktiv initiieren
Kristine Honig | 307
Temporäre Reiserouten und metakuratorisches Erzählen
Jan-Paul Laarmann/Jens Nieweg | 331 Autorinnen und Autoren | 345
Kulturtourismus für alle? Zur Idee dieses Buchs A RMIN K LEIN /Y VONNE P RÖBSTLE /T HOMAS S CHMIDT -O TT
Dass möglichst alle Menschen am kulturellen Angebot teilhaben sollen, war das große Versprechen der sogenannten Neuen Kulturpolitik ab Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts unter dem Schlagwort einer Kultur für alle. Dies gipfelte in der seinerzeit viel zitierten Forderung: »Jeder Bürger muss grundsätzlich in die Lage versetzt werden, Angebote in allen Sparten und mit allen Spezialisierungsgraden wahrzunehmen. Und zwar mit zeitlichem Aufwand und einer finanziellen Beteiligung, die so bemessen sein muss, dass keine einkommensspezifischen Schranken aufgerichtet werden. Weder Geld noch ungünstige Arbeitszeitverteilung, weder Familie oder Kinder noch Fehlen eines privaten Fortbewegungsmittels dürfen auf die Dauer Hindernisse bilden, die es unmöglich machen, Angebote wahrzunehmen oder entsprechende Aktivitäten auszuüben.« (Hoffmann 1981: 29)
Entscheidend in dieser Forderung war (und ist), was unter Kultur verstanden wird. Reduziert man Kultur auf Kunst beziehungsweise die hochkulturellen Angebote der klassischen Institutionen Theater, Orchester, Museen und so weiter, so muss angesichts zahlreicher einschlägiger Studien festgestellt werden, dass dieses Ziel nicht annähernd erreicht wurde. Mag auch der Anteil jener Bürger, die aktiv am künstlerischen und kulturellen Geschehen teilnehmen, in den letzten 40 Jahren gestiegen sein, so sind wir allerdings noch sehr weit davon entfernt, dass auch nur annähernd alle sich für diese Angebote interessieren; etwa 50 Prozent der Bevölkerung zeigen wenig bis keinerlei Interesse hierfür (vgl. ausführlich Renz 2015). Ganz anders allerdings dürfte es sein, wenn man einen weiten Kulturbegriff zugrunde legt. Und tatsächlich hatte sich die Neue Kulturpolitik als zweites wichtiges Ziel die Erweiterung des Kulturbegriffs zum Ziel gesetzt. Darunter
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wurde die »Ablösung der Tradition, die den Kulturbegriff ausschließlich an die Institutionen der Kultur bindet, an das Museum, das Theater, das Konzert, die Oper, die Bibliothek« (Hoffmann 1981: 31) verstanden. In erklärtem Gegensatz zur Dominanz der sogenannten Hochkultur sah man nun »Kultur als jenen Prozess, der sich als Entfaltung der Menschen zu ihrem eigenen Wesen darstellt, zu ihresgleichen, zur umgebenden Natur und zur menschlichen Gesellschaft entwickelt werden« (ebd.: 18). Und Hermann Glaser, neben Hoffmann ebenfalls prominenter Vordenker einer Neuen Kulturpolitik, forderte in seinem 1983 erschienenen Buch Bürgerrecht Kultur: »Kultur muss so artikuliert, angeboten und dargeboten werden, dass der Außenstehende nicht von vorneherein in eine ›Weihestunde des Geistes‹ versetzt wird, sondern Kultur […] als alltägliche Angelegenheit begreift. Kunst ist keine Walhalla, der sich der Geist devot zu näheren hätte; Kultur ist etwas, das man wie soziale oder politische Projekte ›ungeniert‹ anpacken kann und soll. Erst wenn diese ›unbekümmerte‹ (und spielerische) Haltung den Gegenständen gegenüber erreicht ist […] kann die emanzipatorische Vision, dass die Beschäftigung mit den kulturellen Werten nicht mehr an bestimmte gesellschaftliche Schichten geknüpft sein darf, verwirklicht werden.« (Glaser/Stahl 1983: 38 f.)
Dieses von Glaser/Stahl so salopp formulierte »›ungenierte‹ Anpacken« beziehungsweise die »spielerische Haltung« dürfte jeder Art von Kulturtourismus zugrunde liegen. Denn hier geht es nicht nur und ausschließlich um Kultur im engeren Sinne, sondern ebenso um das Reisen (was zwangsläufig dazu führt, dass die Reisenden ihren Alltag verlassen und mit anderen, oftmals fremden Orten oder gar Kulturen konfrontiert werden). Und tatsächlich belegen Untersuchungen längst, dass auf Reisen – außerhalb der Zwänge des Alltags, in entspannter Atmosphäre und mit einem wachen Auge für alles Neue, Außergewöhnliche und Fremde – die Bereitschaft höher ist, sich mit Kultur auseinanderzusetzen. Das gilt nicht zuletzt für die Gruppe der Nicht-Besucher, die im Alltag Kulturangeboten fernbleiben (vgl. dazu die Beiträge von Birgit Mandel und Yvonne Pröbstle in diesem Sammelband). Realisiert sich also vielleicht – so wäre eine These dieses Buches – die programmatische Forderung einer Kultur für alle, »den traditionell kleinen Kreis der Kenner zu einem großen Kreis der Kenner zu machen« (Hoffmann 1981: 31) im Kulturtourismus?
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W ACHSTUMSMARKT K ULTURTOURISMUS Die Fakten und Entwicklungen sprechen für sich: Seit rund 30 Jahren ist der sogenannte Wachstumsmarkt Kulturtourismus ständiges Thema, wenn es im Kultur- und Tourismussektor um die strategische Weichenstellung für die Zukunft geht. Mittlerweile füllen die Ergebnisse von Tagungen, Expertenrunden und Workshops ganze Bücherregale. Die Begehrlichkeiten auf beiden Seiten sind groß, denn Zahlen belegen, dass der kleine, elitäre Zirkel, der in der Tradition der Goethe’schen Bildungsreise verreist, längst der Vergangenheit angehört. Es sind die sogenannten »Auch-Kulturtouristen« (Lohmann 1999: 64), für die Kunst und Kultur zwar nicht den Reiseanlass darstellen, die aber durchaus zu ein oder mehreren Kulturaktivitäten zu bewegen sind und für die Tourismusindustrie den Großteil dieser begehrten Zielgruppe ausmachen. Für »Auch-Kulturtouristen« gehören kulturelle Themen gewissermaßen zum »Grundrauschen« ihres Destinationserlebnisses; sie sind Teil desselben, entscheidender Buchungsoder Erlebnisfaktor jedoch sind sie nicht. Fehlen sie, sinkt die Kundenzufriedenheit. Und so stellen sich vielerorts Kulturbetriebe auf touristische Besucher ein, binden in ihre Marketingaktivitäten Reiseveranstalter und andere touristische Leistungsträger ein. Häufig bereits mit großem Erfolg, wie jüngst die sogenannte Kulturtourismusstudie gezeigt hat. Rund 50 Prozent der befragten Kultureinrichtungen konnten in den vergangenen fünf Jahren einen Anstieg der touristischen Besucher verzeichnen; in 30 Prozent der Fälle ist beinahe jeder zweite Besucher ein Tourist (Pröbstle 2016: 6). Parallel zu den Aktivitäten im Kultursektor setzen viele Tourismusorganisationen in den Destinationen in ihren Marketingstrategien auf den Attraktivitätsfaktor Kultur und Unterhaltung, Spezialanbieter profilieren sich mit kulturtouristischen Nischenprodukten, und schließlich macht sich auch die Politik für die Kooperation zwischen Kultur und Tourismus stark: Während es heute kaum mehr ein Bundesland gibt, das sich nicht als »Kulturland« positioniert, fördert der Bund aktuell kulturtouristische Vorhaben im ländlichen Raum.1 »Das Engagement der Akteure, die Entwicklung tragfähiger Strukturen und Netzwerke für die Zusammenarbeit von Kultur und Tourismus und die Förderung und Unterstützung kulturtouristisch orientierter Projekte lohnt sich – für alle!«, so lautet beispielsweise das Fazit des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg. Und es bringt ergänzend einen zentralen weiteren Aspekt ins »Spiel« – den des kulturtouristischen Erlebnisses:
1
Siehe http://culturcamp.de/ (letzter Abruf: 15.12.2016).
12 | A RMIN K LEIN/Y VONNE PRÖBSTLE/THOMAS S CHMIDT -OTT »Erlebnisorientierung ist ein Trend, der den touristischen Markt in hohem Maße prägt. Insbesondere im Urlaub wünschen sich die Menschen emotionale und einzigartige Erlebnisse. Gerade kulturelle Angebote bieten ein herausragendes Potenzial, die Sinne des Menschen auf vielfältige Weise positiv zu stimulieren. Der Erlebnisgehalt kultureller Angebote fördert zudem die Aneignung von Bildungsinhalten. Insofern dient die Erlebnisorientierung nicht nur der touristischen Inwertsetzung kultureller Angebote, sondern ist auch eine wichtige Methode, um neue Erkenntnisse und Bildung zu vermitteln.« (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg/TMB TourismusMarketing Brandenburg GmbH 2013: 23)
In der Gesamtbetrachtung lässt sich somit eine Doppelgesichtigkeit des Wachstumsmarktes Kulturtourismus erkennen: Eine Schar an Touristen, die auf Reisen – in unterschiedlicher Intensität – kulturell aktiv sind, und immer mehr Anbieter, die deren Bedürfnisse befriedigen und gar neue Sehnsüchte wecken. Niemals zuvor war das Angebot im Marktsegment Kulturtourismus differenzierter als in diesen Tagen. Es ist heute wahrlich eine Herausforderung, den Überblick zu bewahren, denn viele neue Angebote entstehen häufig außerhalb des klassischen Kulturbetriebs, lassen sich nicht den typischen Sparten und Institutionen zuordnen oder gar in einen Setzkasten einsortieren, der fein säuberlich die verschiedenen Erscheinungsformen des Kulturtourismus voneinander trennt. So entzieht sich etwa eine Kreuzfahrt, an der tausende von begeisterten Heavy-MetallAnhänger teilnehmen, jedweder Form der Klassifizierung nach scheinbar bewährten Kriterien – und doch werden nur Wenige Zweifel daran lassen, dass es sich um ein – im weiten Kulturbegriffsverständnis – kulturtouristisches Produkt handelt.
V OM »T RÜMMERTOURISMUS « ZU NEUEN E RLEBNISWELTEN IM K ULTURTOURISMUS Dabei war der Kulturtourismus selbst noch vor wenigen Jahrzehnten ein Markt für ein überschaubares Publikum: »Trümmertourismus war gestern«, sagte vor einiger Zeit Peter Mario Kubsch, Geschäftsführer des Münchner Reiseveranstalters Studiosus, in einem Interview über die Wandlung der Studienreise.2 Greift man sich einen beliebigen Reisekatalog eines Studienreiseanbieters aus den sechziger, siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts heraus, so gewinnt das Wort
2
Interview mit Peter Mario Kubsch, in: Publik, Mitgliederzeitschrift von ver.di, Ausgabe 8/9, 2009, S. 8.
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vom »Trümmertourismus« Gestalt. Zielorte waren seinerzeit vor allem Stätten der griechischen und römischen Antike mit ihren Relikten (daher das despektierliche Wort vom »Trümmertourismus«) beziehungsweise die werdende Welt der Neuzeit seit Romanik, Gotik und Renaissance, sei es in Oberitalien, in Frankreich oder Flandern und Burgund. Und schaut man auf das täglich zu absolvierende Programm der solchermaßen Reisenden, dann fällt einem nur noch das Wort »Askese« ein: Nur mit physischer und psychischer Ausdauer ließ sich die enggesteckte Strecke von Sehenswürdigkeiten von Tag zu Tag absolvieren – und am Abend fiel man nach knappem Mahl ins Bett, denn am nächsten Tag wartete die nächste Herausforderung. Für das Kennenlernen der sprichwörtlichen »Land und Leute« fehlten Zeit und Energie, Genuss und Kulinarik waren nicht vorgesehen, ja der notwendigen Askese und Ausdauer nur hinderlich. »Ehrfurchtsvoll standen die Teilnehmer vor dem Parthenon, ernst und schweigend lauschte man den gelehrten Ausführungen des deutschen Wissenschaftlers auf dem Forum Romanum. Aber sehr bald änderte sich der Stil dieser Reisen, denn auch die Bedürfnisse der Menschen begannen sich zu ändern.« (Klingenstein/Mundt 2011: 25)
Seit den achtziger Jahren beobachten wir die Entwicklung hin zu einer – von dem Kultursoziologen Gerhard Schulze – so bezeichneten »Erlebnisgesellschaft«, das heißt hin zu einer Gesellschaft, in der die subjektive, individuelle Glückseligkeit und der Genuss als oberste Lebensziele betrachtet werden, die insbesondere von hedonistischen Werten gekennzeichnet ist und dabei zunehmend auf Tugenden wie Askese, Anstrengung und Geduld verzichtet. Dominant in diesem Gesellschaftstypus ist die »Erlebnisorientierung [...] bei welcher der Sinn des Lebens durch die Qualität subjektiver Prozesse definiert ist. Man will ein schönes, interessantes, angenehmes, faszinierendes Leben«. Kurz gesagt, die Erlebnisgesellschaft ist »eine Gesellschaft, die im (historischen und interkulturellen Vergleich) stark durch innenorientierte Lebensauffassungen geprägt ist« (Schulze 1983: 54). Dies führte – so Schulze – zwangsläufig zu einer »Ästhetisierung des Alltagslebens«. Claus Spahn erläutert diese sich gesamtgesellschaftlich zunehmend durchsetzende Erlebnisorientierung Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts am Beispiel der Münchner Musikszene: »Auch bei den städtischen Institutionen geht der Trend zum kundenorientierten, servicefreundlichen, diversifizierten Dienstleistungsunternehmen: weg vom steifen, hochgestochenen Bildungs- und Erbauungsort, hin zum postbürgerlichen Rekreation-Center für Geist
14 | A RMIN K LEIN/Y VONNE PRÖBSTLE/THOMAS S CHMIDT -OTT und Seele. Das symphonische Konzert mit dem weltberühmten Maestro als anspruchsvolle Alternative zu einem Besuch im Erlebnisbad. […] Wer hinter solchen Driftbewegungen und dem Publikumswandel, mit dem sie einhergehen, sofort fatalen Kulturverfall und den Untergang der hehren Tonkunst wittert, sollte allerdings vorsichtig sein: Gerade der Inbesitznahme der Klassik durch das saturierte Besitzbürgertum alter Prägung haftet nicht selten etwas Gußeisernes, Erstarrtes an.« (Sphan 1999)
Zwischenzeitlich kann die für die Erlebnisgesellschaft charakteristische Innenorientierung jedoch in einer weiteren, geradezu gegensätzlichen Ausprägung konstatiert werden. An der Wende zum 21. Jahrhundert proklamierte die Soziologin Felizitas Romeiß-Stracke den »Abschied von der Spassgesellschaft« (Romeiß-Stracke 2003) und die Entwicklung hin zu einer Sinngesellschaft, die existenzielle Motive erkennen lässt. Es geht um »Mehr Zeit fürs Ich« (Leder 2013: 19), um Eigenerfahrung und Sinnfindung. Der Rückzug in eine introvertierte, intime und intensive Lebenswelt stellt die Reaktion dar auf den Verlust vertrauter Strukturen – bedingt durch einen zunehmend globalisierten Sozialisierungsprozess. Hinzu kommt die Suche nach Entschleunigung, Freiheit und Authentizität, wie sie im Grunde bereits Hans Magnus Enzensberger Ende der 1950er in seinem Entwurf einer »Theorie des Tourismus« (Enzensberger 1958) als typisch für den Tourismus der Industriegesellschaft beschrieb. Immer häufiger wird der Wunsch nach einer bewussten Auszeit laut, die einen temporären Schutz vor der anhaltenden Informationsflut und den ständigen Entscheidungszwängen bietet, die uns im Alltag permanent umgeben. Und tatsächlich, der Markt für Sanften Tourismus, für sogenannten Slow Tourism boomt, zum Beispiel in Form von Klosteraufenthalten, Kreativkursen, Naturoder Wanderreisen. Überall werden uns außerdem authentische, einmalige Erlebnisse versprochen, nah an den sogenannten Locals und abseits der touristischen Trampelpfade, denn Touristen sind eben immer die Anderen. Wer sich auf dem Portal Airbnb tummelt oder als »couch surfer« unterwegs ist, sucht exakt diese Art von Erlebnis. Diese beiden weitreichenden Entwicklungen seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts – die eingangs geschilderte Erweiterung des Kulturbegriffs einerseits, Parallelität von subjektiver Erlebnis- und Sinnorientierung andererseits – haben nicht zuletzt den Kulturbetrieb tiefgreifend umgekrempelt, auch wenn das so mancher Vertreter einer hehren, kontemplativen und bildungsorientierten Kunstrezeption nicht wahrhaben will. Kultur wird zunehmend zu dem, was gefällt, was subjektiv als lohnend empfunden wird. Dem Publikum ist es dabei egal, ob es sich um Angebote der institutionalisierten und öffentlich geförderten
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Hochkultur, um privatwirtschaftlich-kommerzielle oder von Akteuren aus der freien Szene handelt. Und auch die Unterscheidung zwischen E (= ernst) und U (= Unterhaltung) hat nur noch für die GEMA Bedeutung. Gerhard Schulze hat diese Situation plastisch beschrieben: »Am Entscheidungshorizont eines Großstadtbewohners, der gerade dabei ist, sein Wochenende zu planen, tauchen öffentlich geförderte Erlebnisangebote neben vielen anderen Möglichkeiten auf. Das Theater konkurriert mit der Sportschau, die Oper mit der Disco, das Museum mit dem Freizeitpark, die öffentlich subventionierte Kleinkunstbühne mit dem Kino, der türkisch-deutsche Folkloreabend im Kulturzentrum mit dem nächstgelegenen Skigebiet, das kommunale Hallenbad mit dem privaten Fitnessstudio, die Dichterlesung des Kulturpreisträgers mit dem Zeitschriftenkiosk.« (Schulze 1983: 507)
Mag auch jedem puritanischen Kulturanbieter – möglicherweise in (überkommener) Tradition der Kulturtheorie der Frankfurter Schule um Adorno und Horkheimer – diese Entwicklung ein Graus sein, so eröffnet dieses postmoderne Rezeptionsverhalten andererseits viele neue Möglichkeiten. Denn der sogenannten »Adorno-Falle«3 – »Was gefällt, hat schon verloren« – ausweichend, »genießt« das Publikum die künstlerischen und kulturellen Angebote zunehmend, ja, es »unterhält« sich gut und will unterhalten werden – und muss dabei kein notorisch schlechtes Gewissen mehr haben. Die sehr deutsche Unterscheidung zwischen ästhetischer Bildung hier und »bloßer« Unterhaltung dort wird allmählich zugunsten eines »Edutainment« aufgehoben, das heißt einer Form, die lehrreiche Erziehung spielerisch mit guter Unterhaltung verknüpft. Diese Ansicht vertritt auch Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin: »Seit dem griechischen Theater, seit Shakespeares Theater, Molieres Theater und Tschechows Theater hat es die Aufgabe zu unterhalten und zu berauschen in Tragedy, Comedy, Ritual, Entertainment. Man kann tief berühren und tief komplexe Ideen auf die Bühne bringen und immer noch unterhalten, sprich dafür sorgen, dass Menschen ›delighted und intoxicated‹ sind. Zwei Worte, die ich jeden Abend im Theater haben möchte, egal wie schwer die Themen sind.« (Zitiert nach Mandel 2014: 14)
Kosky ist hierzulande einer der wenigen prominenten öffentlich geförderten Kulturschaffenden, der das Verschmelzen verschiedener Erlebnisqualitäten zu einem Gesamterlebnis so offen einfordert. Touristiker zieren sich dagegen weniger, im
3
Vgl. zu diesem Begriff Haselbach et al. (2012): 103 ff.
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Gegenteil, viele von ihnen beherrschen das Spiel mit den Erlebnissen, denn sie wissen: »Der multioptionale Kunde von heute vermischt […] gerne verschiedene Arten von Urlaub nach dem Motto: bloß nicht zu eintönig, aber bitte auch nicht zu anstrengend. Urlaubsarten, die in dieses Schema passen, sind demzufolge auf dem Wachstumspfad.« (FUR 2015: 4) Kreuzfahrten passen in dieses Schema geradezu ideal – und sind vermutlich deshalb auch der Tourismuszweig mit den derzeit höchsten Zuwachsraten. Da sie (siehe die Beiträge von Arthur Castro, Lutz Deyhle, Jürgen Eisele und Thomas Schmidt-Ott in diesem Sammelband) nahezu vollständig inszenierte Urlaubswelten sind – selbst Landgänge zur Besichtigung kultureller Sehenswürdigkeiten sind in der Kreuzfahrt-Rhythmik formatiert und getaktet – ist bei ihnen die Kulturerfahrung kaum noch eine authentische. Kunst und Kultur geben auf Kreuzfahrtschiffen ihre Autonomie preis, sind heteronom, inhaltlich und zeitlich reglementiert, dem »Diktat des Schiffsrhythmus« unterworfen, instrumentalisiert im Dienste und in der Funktion dieser speziellen maritimen Urlaubsform. Auf Kreuzfahrtschiffen, in der typischen »Seetags«-Taktung, und auch bei »shore excursions«, das heißt bei kreuzfahrtbegleitenden Landausflügen, mutiert Kulturtourismus schwerelos zur Tourismuskultur: zu inszenierten Gestaltungen, Darbietungen und Kunst- und Kulturformen, die sich, ganz im Gegensatz zu einem »L’art pour l’art«-Ideal, dem touristischen Zweck anpassen bis unterordnen. An Bord eines Schiffes kommt die Kulinarik zuerst – erst dann folgt die Kultur und diese idealerweise »leicht bekömmlich« gut gelaunt und lebensbejahend in der Aussage und niedrigschwellig im Zugang. Der Kulturtourist an Bord eines Kreuzfahrtschiffes ist – im Lichte dieser Überlegungen – ein »Auch-Kultururlauber« (s.o.), der die Inszenierung Schiff und ihre Tourismuskultur genießt und (mehr oder minder bewusst) als authentisch maritim akzeptiert (bzw. nicht weiter nach Wahrhaftigkeits-Kriterien moralisch hinterfragt); er möchte seinen Urlaub weder eintönig noch anstrengend erleben. Zusammen mit den Strand-/Bade-, Ausruh- und Natururlaubern an Bord ist er Dreh- und Angelpunkt aller Aktivitäten der Kreuzfahrtindustrie. Er ist der Gast und repräsentiert als solcher das Zielpublikum, an das sich die Unterhaltungsprogramme der Reedereien an Bord ihrer Schiffe richten. Seine hohe »Gästezufriedenheit« (auch im kulturellen Erlebnis seines Urlaubs) ist die Maxime des unternehmerischen Handelns dieser Branche. Diese bietet ihm einen schier unübersehbaren Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung seinerzeit an Bord: Aus weit über 100 Veranstaltungen kann der multioptionale Kreuzfahrer an einem normalen Seetag zum Beispiel auf der Oasis of the Seas, ein Kreuzfahrtschiff der Reederei Royal Caribbean International, Typschiff der Oasis-Klasse, der derzeit größten Kreuzfahrtschiffe der Welt,
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auswählen: vom Morgen-Yoga auf dem Helikopter-Landeplatz am Schiffsbug, Flashmob-Tanzen, Singen im Schiffschor, Paraden mit Figuren aus den DreamWorks-Studios (Shrek, Gestiefelter Kater) und Kochseminaren über BackstageFührungen hinter die Showkulissen, Weinverkostungen, Kursen in Spanisch bis hin zu Bollywood-Dance, Bridge, DJ-Scratching und Aromamassagen etc. Deutsche Kreuzfahrtanbieter wie TUI Cruises, ein Joint Venture der TUI AG und Royal Caribbean International, bieten ihren Gästen »[n]eben fantastischen Musicals, Revuen […] und […] Varieté, [...] auch an anderer Stelle abwechslungsreiche Bordunterhaltung auf höchstem Niveau. Inspirierende Koch-, Cocktail- und Foto-Workshops, prickelnde Pooldeck-Partys unter funkelndem Sternenhimmel, köstlich-spannende Krimi-Dinner oder anspruchsvolle Konzerte in unserem Klanghaus [...]4«,
so die hauseigene Werbung. »Unterhaltsam lernen und Wissenswertes erfahren [...]. darum geht es bei unserem vielfältigen Workshop-Angebot mit den Schwerpunkten Entdecken, Gesundheit und Genuss. Von Küstenforschung bis Malkurs, vom Sushi-Workshop bis zum landeskundlichen Vortrag – immer wieder spannend und immer wieder kurzweilig. Allen Neugierigen und Wissensdurstigen bieten wir Edutainment an Bord: ›Kompass – Wissen auf See‹. Das neuartige urlaubs- und seetourismusorientierte Wissensprogramm setzt nach Maßgabe von Edutainment-Didaktiken auf unterhaltsames Lernen an Bord.«5
Und an Land, denn: wie Flusskreuzfahrten werben auch Hochseeanbieter, dass »wo auch immer unsere Schiffe Halt machen, sich neue Welten auftun, die Sie gemeinsam mit unseren ortskundigen Reiseleitern entdecken können«.6 Für Hansjörg Kunze, Pressesprecher AIDA Cruises in Rostock und Vice President Communication and Sustainability für die Costa Gruppe, passen Masse und Individualität gut zusammen.
4
Siehe www.tuicruises.com/kreuzfahrten-mein-schiff/bordunterhaltung (letzter Abruf: 15.12.2016).
5
Siehe www.tuicruises.com/kreuzfahrten-mein-schiff/kursangebote/ (letzter Abruf: 13.
6
Siehe www.lueftner-cruises.com/fileadmin/files/2013_Shore_Excursions.pdf (letzter
03.2017). Abruf: 15.12.2016).
18 | A RMIN K LEIN/Y VONNE PRÖBSTLE/THOMAS S CHMIDT -OTT »›Wir werden immer Tausende Menschen an Bord haben‹, sagt er, ›ermöglichen aber auch zig verschiedene Tagesabläufe.‹ Restaurants, Sport und Wellness – für jeden soll etwas dabei sein. Aus einer Kreuzfahrt könne so ein Aktivurlaub werden – oder eine Erholungs- und Kulturreise. Die typische Schlemmerfraktion finde gedeckte Tafeln, das verliebte Pärchen ein separates Tischchen für das Candle-Light-Dinner. Auch bei den Reiserouten setzt Aida auf Vielfalt: ›Früher ging es im Sommer ins Mittelmeer und im Winter in die Karibik‹, sagt Kunze. Heute hingegen könne man frei wählen – von der Ostseerundreise bis zur Nordamerikafahrt. Womit das klassische Zielgruppenmarketing wie eine Entenjagd mit Schrotgewehr anmutet. Während die Jäger mit einer Ladung möglichst viel Federvieh vom Himmel holen wollen, versucht man bei Aida, möglichst viele Milieus auf das Wasser zu kriegen. ›Derzeit‹, so Kunze ›konzentrieren wir uns auf 20 bis 30 verschiedene Zielgruppen.‹« (Böttcher 2013)
AIDA Cruises setzt damit Standards, die für traditionelle Kulturmarketer und ihre oft eindimensionale Sichtweise auf das Kulturpublikum neue Benchmarks setzen können.
AUFBAU
DIESES
S AMMELBANDS
Die hier vorgestellten Beispiele, allen voran die Kreuzfahrt, stehen stellvertretend für kulturtouristische Produkte, die dem Gast subjektiv lohnenswerte Stunden oder Tage fernab des Alltags und allem bislang Erlebten versprechen. Die Macher hinter den Kulissen sind in den wenigstens Fällen Kultureinrichtungen im klassischen Sinne, auch wenn Kulturmanager das Marktsegment Kulturtourismus gewohnheitsmäßig nach wie vor in kulturbetrieblichen Kategorien denken und über die Potenziale von Museen, Sonderausstellungen oder Festivals sinnen. Nur selten gelingt bisher der Blick über den institutionellen Tellerrand hinaus. Und doch, so lassen es die wenigen Beispiele und ihre Erlebnisqualitäten erahnen, scheint dieser Blick zu lohnen. Dieses Buch macht sich deshalb auf zu neuen Orten, zu neuen Möglichkeiten des Kulturtourismus, die in der bisherigen Diskussion keinen Platz gefunden haben. Jene neuen Orte zu finden und zu verstehen setzt voraus, das Kulturerlebnis auf Reisen zunächst näher zu betrachten. »Wie gestaltet sich das Kulturerlebnis der Zukunft?«, so lautet in Konsequenz auch die Frage, mit der Ute Dallmeier ihren Beitrag eröffnet. Von Christos Floating Piers bis hin zum Pokémon-Hype 2016 beschreibt sie, in welchen Ausprägungen sich der Kulturtourismus gegenwärtig zeigt und welche gesellschaftlichen und touristischen Trends sich darin zeigen.
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Birgit Mandel sieht – ganz im Sinne der einleitenden These dieses Buchs – im Kulturtourismus eine Chance, Menschen zu erreichen, die sich bislang eher wenig oder gar nicht für Kunst und Kultur interessiert haben (also vor allem die sogenannten Noch-Nicht-Nutzer). Interessant in diesem Kontext sind auch die sogenannten »Zufallskulturtouristen«, die nicht gezielt Angebote nachfragen, sondern erst vor Ort auf diese Angebote aufmerksam werden. Aufgabe des Kulturmanagements beziehungsweise der Kulturvermittlung ist es, dieses einmal erreichte Potenzial zu stabilisieren für eher traditionelle Angebote außerhalb der touristischen Situation. Gegenüber der im Alltag vorherrschenden Vermutung, wonach Erlebnisse vorrangig durch externe Faktoren beeinflusst würden (vgl. hierzu Schulzes Begriff der »Erlebnisgesellschaft«), setzt Melanie Kölling auf den Rehabilitierungsversuch des Erlebnisses. Mit dieser Auffassung betont sie die zentrale Stellung des erlebenden Subjekts. Sie definiert dementsprechend das Erlebnis als ein Geschehen, durch das eine Person stark und nachhaltig beeindruckt wird; wichtig sind dabei der Grad der inneren Beteiligung sowie die Erinnerbarkeit dieses Erlebnisses. Vielen Akteuren – vor allem im öffentlich geförderten Kulturbetrieb – ist die Verbindung von Kulturgenuss und Unterhaltung nach wie vor ein Graus, wenn nicht gar ein Verrat an Kunst und Kultur. Armin Klein erläutert das sehr angelsächsisch geprägte Konzept des Edutainment, das längst auch in Deutschland mehr und mehr akzeptiert wird. Es wird dabei jedoch deutlich, dass diese Vorurteile gegen die Verbindung von Kunst und Unterhaltung sehr deutsch sind und bis in die deutsche Kultur- und Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts zurückgehen. Die Reihe der Beiträge zum Kulturerlebnis auf Reisen beschließt Yvonne Pröbstle mit ihrer Kulturtouristen-Typologie und einem thesenhaften Ausblick: Was besichtigen die Kulturtouristen von morgen? Besichtigen sie überhaupt noch oder werden sie zu Rezeptionsverweigerern, die mehr nach »kreativer Expressivität« (Göschel 2015: 52) streben, als sich mit der Rolle des passiven Betrachters zu begnügen, der sich geduldig in die Warteschlangen vor den Musentempeln der angesagten Reiseziele einreiht? Welche typischen Vertreter des Kulturtourismus werden die Urlaubsmacher noch antreffen oder anders gefragt: Welche Art von Kulturdestinationen werden die Kulturtouristen von morgen entscheidend mitprägen? Die darauffolgenden Beiträge zum Thema Kreuzfahrt sind Erscheinungsformen des Kulturtourismus gewidmet, die abseits des institutionalisierten »AnLand-Kultur-Betriebs« – wirtschaftlich boomend – »Auch-Kulturtouristen« ansprechen. Ihnen liegt ein weit gefasstes Kulturverständnis zu Grunde, in dem
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»Kultur« von der kulturellen Bildung und Hochkultur bis zur Unterhaltung und Alltagskultur alle Formen gewissermaßen der »Animation« von Körper, Seele und Geist umfasst. Kunst und Kultur auf hoher See sind weniger Kulturtourismus als vielmehr Tourismuskultur (s.o.). Diese richtet sich an und befriedigt Motive von Touristen, die, wie Jürgen Eisele darstellt, in erster Linie auf »Erholung und Entspannung« zielen. Motive wie »etwas für die Gesundheit/den Körper tun«, »Natur erleben/in der Natur sein« und »an der frischen Luft sein« folgen deutlich weiter hinten im Ranking der Urlaubsbedürfnisse, denn die Deutschen streben im Urlaub in hohem Maße nach Kompensation: sie fühlen sich in ihrer Alltagsrolle als funktionierende Räder im Getriebe und suchen an Bord der Kreuzfahrtschiffe (und auch anderswo im Tourismus) »Spaß und Vergnügen« (Rangplatz 2 der Reisemotive). Dies ist der Grund, weshalb die Kreuzfahrtindustrie künftig noch schneller wachsen könnte als in den vergangenen Jahren. Jedoch: nicht vorhandenen Kapazitäten der Werften stellen den limitierenden Faktor für einen noch steileren Wachstumskurs dar. Wie sehr »Spaß und Vergnügen« die kulturelle Produktion beziehungsweise Performance an Bord der Flotten weltweit dominieren, zeigen eindrücklich die Beiträge von Arthur Castro, der die Inszenierungsästhetik und die inhaltlichen Strategien der täglich spielenden Theater, Konzertsäle, MusicHalls etc. untersucht, und Lutz Deyhle, der Themen- und Eventkreuzfahrten am Beispiel der erfolgreichen TUI Cruises (Ko-)Produktionen Full Metal Cruise und Rockliner analysiert. Wie Arthur Castro und Lutz Deyhle ist auch Thomas Schmidt-Ott Praktiker der Kreuzfahrt-Kultur- und Unterhaltungsproduktion; Letzterer beleuchtet die Tagesprogramme der Schiffe hinsichtlich ihrer Bildungsangebote vor dem Hintergrund des kulturtouristischen Diktums, dass »Reisen bildet«. Die Beiträge im Kapitel Geschichte(n) erzählen – auch ohne Museum gehen der Frage nach, wie sich kulturtouristische Erlebnisse auch dann erfolgreich kreieren lassen, wenn es an einer gewachsenen kulturellen Infrastruktur (mit touristischer Leuchtkraft) fehlt, wie es häufig in ländlichen Destinationen der Fall ist. Die Funktion eines Museums, das die Geschichten oder Geschichten der jeweiligen Destination erzählt, »übernehmen« in diesen Fällen alternative Storyteller: Matthias Burzinski und Lara Buschmann stellen in ihrem Beitrag mit der Kulturroute eine fast schon traditionelle Form der kulturtouristischen Vernetzung vor. Doch mit dem Wandel des Rezeptionsverhaltens und neuen Möglichkeiten des (digitalen) Storytellings wandeln sich auch die Ansprüche an die Dramaturgie, die Inszenierung und letztlich auch das Marketing für eine zeitgemäße Kulturroute, die im Fokus der beiden Autoren steht.
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Céline Kruska und Yvonne Pröbstle erörtern die Frage der Sichtbarmachung von Geschichte und Geschichten in ländlichen Destinationen, abseits von massentauglichen Sehenswürdigkeiten oder Blockbuster-Ausstellungen, am Beispiel des kulturtouristischen Projekts Kulturzeichen Kitzinger Land 2015-2019. Sie zeigen auf, wie aus der »Not eine Tugend« wird: ohne gewachsene Kultureinrichtungen, dafür aber mit einer konsequenten narrativen »Klammer«, dem Mut, Kunst und Kultur an belebte Orte und touristische Plätze zu tragen und Partizipation zu ermöglichen. Mit einer ganz speziellen Spielart »künstlicher« Destinationen setzt sich Stefan Rösch auseinander: den Drehorten von Kinofilmen und TV-Serien als Reisestimulus. Ausgehend von dem besonders in den USA so beliebten und erfolgreichen Film The Sound of Music analysiert er die Attraktivität der Spielrote filmischer Produktion. Wichtig dabei ist vor allem, eine emotionale Brücke zwischen der Filmproduktion und den jeweiligen Drehorten zu schlagen. Unter dem Stichwort Entgrenzung kulturtouristischer Angebote befasst sich Dieter Brinkmann mit Freizeit- und Themenparks, die nach landläufiger Ansicht bislang nicht zum Kulturtourismus zählen. Aufgrund ihres multifunktionalen Charakters und ihrer ausgeprägten Erlebnisorientierung können sie jedoch unter diese Kategorie subsumiert und als unterhaltungsorientierte Lernorte betrachtet werden. Auch das Beherbergungsgewerbe hat Kunst und Kultur als zusätzlichen Attraktivitätsfaktor oder gar als Alleinstellungsmerkmal im Werben um die Gunst des Gastes für sich entdeckt und so tut sich also eine weitere Spielart des Kulturtourismus außerhalb des traditionellen Kulturbetriebs auf – die Übernachtung wird zum Kulturerlebnis. Das Kapitel Hotels & Co. als Kulturdestinationen beinhaltet mit dem Beitrag von Katharina Phebey einen Überblick trendorientierter Entwicklungen in diesem touristischen Marktsegment sowie ausgewählte Beispiele aus der Hotelbranche. Ein Trend verdient dabei besondere Beachtung, weil Kultur hier zum Vehikel par excellence wird: die Suche nach Authentizität fernab der touristischen »Trampelpfade«. Wenn die Wiener Urbanauts unter anderem ehemalige Ateliers zu Hotelzimmer umfunktionieren, versprechen sie ihren Gästen: »Von hier aus Wien erleben, wie es wirklich ist. Mit echten Nachbarn und Hotel-Service aus der ganzen Stadt.«7 Der Kurzbeitrag von Leo Lettmayr im Auftrag der Urbanauts Hospitality Group skizziert exemplarisch die Idee des sogenannten gräzlhotels und benennt den konkreten Gästenutzen.
7
Siehe www.urbanauts.at (letzter Abruf: 15.12.2016).
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Schließlich ist es nicht zuletzt die Digitalisierung im Kulturtourismus, die zur Herausbildung neuer Erscheinungsformen führt. Welche Möglichkeiten und Herausforderungen die Digitalisierung auch für Kultureinrichtungen eröffnet beziehungsweise darstellt und welche spezifischen Kanäle und Adressaten sich im Kulturtourismus auftun, zeigt Kristine Honig in ihrem einführenden Beitrag auf. Dagegen vertiefen Jan-Paul Laarmann und Jens Nieweg mit temporären Reiserouten und metakuratorischem Erzählen zwei innovative strategische Ansätze im Kulturtourismus, die digital erst ermöglicht und bereits in Projekten des Tourismus NRW e.V. angewandt wurden. Es mag weitere Erscheinungsformen des Kulturtourismus geben, die hier nicht berücksichtigt sind, obgleich sie ebenfalls weniger der traditionellen Angebotslogik entsprechen. Die hier versammelten Beiträge und Beispiele aber mögen den Stein ins Rollen bringen, um künftig den Blick weiter zu fassen und zu fragen, was der Kulturbetrieb von den Mitbewerbern im Marktsegment Kulturtourismus lernen kann. Der besondere Dank der Herausgeber gilt an dieser Stelle den engagierten Autoren, die sich bereit erklärt haben, Einblicke in jeweils ihre Sicht auf den Kulturtourismus zu gewähren und damit den Sammelband bereichern. Dank gilt außerdem Bettina Georgiou-Vollmer und Johannes Maria Gerlitz für ihre nimmermüde Unterstützung in allen Aufgaben des Lektorats. Und schließlich richtet sich der Dank an den transcript Verlag, der diesen Sammelband bereitwillig in sein Verlagsprogramm aufgenommen und das Projekt in allen Entstehungsphasen professionell begleitet hat.
L ITERATUR Böttcher, Dirk (2013): »Tourismusbranche. Gefühlt individuell«, in: brand eins, Heft 10. Siehe: www.brandeins.de/archiv/2013/normal/gefuehltindividuell/ (letzter Abruf: 15.12.2016). Enzensberger, Hans Magnus (1958): »Vergebliche Brandung der Ferne. Eine Theorie des Tourismus«, in: Merkur, Jahrgang 12, Heft 8, S. 701-720. FUR, Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (2015): Reiseanalyse 2015. Erste ausgewählte Ergebnisse der 45. Reiseanalyse auf der ITB 2015. Siehe www.fur.de/fileadmin/user_upload/RA_2015/RA2015_Erste_Ergebnisse_D E.pdf (letzter Abruf: 26.12.2016). Glaser, Hermann/Stahl, Karl-Heinz (1983): Bürgerrecht Kultur, Frankfurt a.M./ Berlin/Wien.
K ULTURTOURISMUS FÜR
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Göschel, Albrecht (2015): »Kulturpolitik in der ›Authentizitätsgesellschaft‹«, in: Kulturpolitische Mittelungen, Band 2, Nr. 149, S. 50-53. Haselbach, Dieter et al. (2012): Der Kulturinfarkt. Von allem zu viel und überall das Gleiche, München. Hoffmann, Hilmar (1981): Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt a.M. Klingenstein, Max A./Mundt, Jörn W. (2011): »Studienreisen«, in: Mundt, Jörn W. (Hg.): Reiseveranstaltung. Lehr- und Handbuch, München. Leder, Susanne (2013): »Muße und Selbstfindung im Urlaub«, in: Quack, HeinzDieter/Klemm, Kristiane (Hg.): Kulturtourismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts, München, S. 19-31. Lohmann, Martin (1999): »Kulturtouristen oder die touristische Nachfrage nach Kulturangeboten«, in: Heinze, Thomas (Hg.): Kulturtourismus. Grundlagen, Trends und Fallstudien, München/Wien, S. 52-82. Mandel, Birgit (2014): »Die Kluft zwischen E und U überwinden. Ein Interview von Birgit Mandel mit Barrie Kosky – dem Intendanten der Komischen Oper Berlin – über Interkultur, Entertainment im Theater und die Arbeit seiner Institution«, in: Mandel, Birgit/Renz, Thomas (Hg.): Mind the Gap! Zugangsbarrieren zu kulturellen Angeboten und Konzeptionen niedrigschwelliger Kulturvermittlung, S. 12-15. Siehe www.uni-hildesheim.de/me dia/fb2/kulturpolitik/publikationen/Tagungsdokumentation_Mind_the_Gap_ 2014.pdf (letzter Abruf: 16.12.2016). Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg/TMB Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH (Hg.) (2013): Kulturtourismus in Brandenburg. Leitfaden. Siehe www.mwfk.brandenburg.de/ media_fast/4055/Leitfaden_Kulturtourismus.15995197.pdf (letzter Abruf: 15.12.2016). Pröbstle, Yvonne (2014): Kulturtouristen. Eine Typologie, Wiesbaden. Pröbstle, Yvonne (2016): »Was kann und was braucht der Kulturtourismus? Fragen an und Antworten von Kulturakteuren«, in: KM-Magazin, Kultur und Management im Dialog, Schwerpunkt Kulturtourismus, Nr. 110, 02.2016, S. 6-13. Renz, Thomas (2015): Nicht-Besucherforschung. Die Förderung kultureller Teilhabe durch Audience Development, Bielefeld. Romeiß-Stracke, Felizitas (2003): Abschied von der Spassgesellschaft. Freizeit und Tourismus im 21. Jahrhundert, Amberg. Schulze, Gerhard (1983): Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a.M./New York.
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Sphan, Claus (1999): »In Jimmys Showroom. Was die neue Dirigententrias Levine, Mehta und Maazel in München bewirkt«, in: Die Zeit vom 08.04.1999.
Das Kulturerlebnis auf Reisen
Kultur hoch3 – Kulturpanorama in der touristischen Kulisse U TE D ALLMEIER
Wie gestaltet sich das Kulturerlebnis der Zukunft? Die Beiträge in diesem Buch geben Einblick in einen außerordentlich selbstbewussten und liberalen Umgang mit dem Thema Kultur auf Reisen. War in der Renaissance die Grand Tour den Privilegierten der Gesellschaft vorbehalten, um ihnen den letzten Bildungsschliff zu verpassen, demokratisieren heute touristische Massenphänomene das Kulturerlebnis im Urlaub.
K ULTURELLE E RLEBNISRÄUME
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OF I NTEREST
Der Zukunftsforscher Matthias Horx attestiert dem Kulturtourismus einen ungebrochenen Aufschwung in einem Wachstumsmarkt. Die Europäische Kommission schätzt, dass schon heute rund 40 Prozent des Tourismus in Europa kulturorientiert sind (vgl. Wolf 2014: 2). Das erklärt auch die Investition von Steuergeldern in diverse Kulturprojekte im Rahmen der unterschiedlichsten Förderprogramme. Allein das Programm Kreatives Europa stellt zwischen 2014 bis 2020 ein Budget von 1,46 Milliarden Euro zur Verfügung: »Mit dem Vertrag von Maastricht«, so die Eigendarstellung, »wurde die Grundlage geschaffen, den kulturellen Bereich in die Gemeinschaftspolitiken einzubeziehen. Die Gemeinschaft leistet bei grundsätzlicher Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Kultur – in Deutschland, Ländern und Kommunen – einen ergänzenden Beitrag zur Kulturförderung.
28 | UTE D ALLMEIER Ziele sind die Wahrung und Förderung der kulturellen Vielfalt Europas bei gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes.«1
Das Förderlogo der EU prangt auf Events, Gebäuden und Einrichtungen und macht Megaprojekte wie eine Kulturhauptstadt erst möglich. Dass Kultur in der Fläche touristisch exponiert und demokratisiert werden kann, hat das Projekt Ruhr.2010 erfolgreich unter Beweis dargestellt. Erstmals wurde eine Region zur Europäischen Kulturhauptstadt ernannt. Das Motto »Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel« war ein Jahr lang die Klammer für kulturelle Veranstaltungen in 53 Städten des Ruhrgebietes. Wie man Kultur menschennah gestaltet, wurde im Leitprojekt Still-Leben Ruhrschnellweg ganz unprätentiös realisiert. So zog zum Beispiel die Umdeutung der Bundesautobahn 40 für 31 Stunden zur Festmeile mit gedeckten Tischen über eine Strecke von 60 Kilometern Einheimische, Journalisten und Touristen in Scharen an und wurde national wie international zum medialen Ereignis.2 Im Urlaub funktioniert Kulturgenuss scheinbar entspannter. Egal, ob es der eigentliche Zweck der Reise ist, als Nebensache taugt oder das schlechte Gewissen befriedigt. Mit der richtigen Inszenierung kann Kunst auch Landschaftsräume, die sonst nicht im Scheinwerferlicht stehen, aufladen. Fast 1,5 Millionen Menschen, meist Touristen, wandelten im Sommer 2016 auf den Floating Piers von Christo über den Iseosee in Norditalien und machten aus der Kunst ein Happening. Eine 16-tägige Inszenierung und Kommerzialisierung ohne faden Beigeschmack. Christos Arbeiten sagt man wegen ihrer zeitlichen Begrenztheit und des damit verbundenen schonenden Umgangs mit der Umwelt eine »ökologische Ästhetik« nach. Dass sie zudem »eine touristische Ästhetik« verfolgen, müsse, so Klüver (2016), dabei »kein Nachteil sein. Es ist eine vornehme Aufgabe von Gegenwartskunst, Menschen neugierig auf sich zu machen, die vielleicht noch nie eine Galerie besucht haben. Wenn Kunst dann neben dem kulturellen auch noch ökonomischen Reichtum erzeugt – umso besser. Sicher ist, wer auf Christos Stegen über den See zur Monte Isola gelaufen ist, wird das so schnell nicht vergessen.« (Ebd.)
Kulturtourismus wird auf diese Weise zur kulturellen Bildung.
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Siehe www.kmk.org/themen/internationales/eu-zusammenarbeit/eu-kulturfoerderinstru mente.html (letzter Abruf: 05.09.2016).
2
Siehe www.bezreg-duesseldorf.nrw.de/wirueberuns/Jahresrueckblicke/rueckblick2010 /02abteilung2/07stillleben.html (letzter Abruf:14.02.2017).
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Fast zeitgleich zum Christo-Event beherrschte Pokémon im Jahr 2016 die Medien: Ist sein, ist ein Pokémon Go-Hype auch schon (Sub-)Kultur? Touristischen Charakter kann der Jagd nach digitalen Figuren allemal zugeschrieben werden, konnte man doch spielerisch unbekannte Destinationen erschließen und Gleichgesinnten begegnen. Der Kontext ist laut Bauhuber offensichtlich. Viele Pokéstops waren Sehenswürdigkeiten, man bewegt sich, es entstehen Begegnungen, und die besonderen Pokémons waren in extrem touristischen Gebieten zu finden (vgl. Bauhuber 2016). Die geringe Halbwertszeit dieser länderübergreifenden Massenbewegung zeigt aber auch, dass man nicht jedem Trend hinterherrennen muss. Die Kult-App von Nintendo hat zwar zeitweilig alle Rekorde gebrochen, dann jedoch schnell ihren Sättigungsgrad erreicht. Eins aber bleibt: nämlich die Erkenntnis, dass Digitalisierung aus der Kultur nicht mehr wegzudenken ist. Mobile Endgeräte stellen den informativen und kommunikativen Weg der Menschen auch zur Kultur dar.
N EUE Z IELGRUPPEN
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»The world is a book and those who do not travel read only a page (Saint Augustine)« ist der Aufmacher der Amadeus-Studie Future Traveller Tribes 2030, die Antworten auf Fragen zum zukünftigen Reiseverhalten im globalen Umfeld gibt. Der Untertitel lautet »Building a more rewarding journey« (Lundy 2016: 1 f.): Lohnend für den Reisenden, aber auch lohnend für die Anbieter touristischer Leistungen, die sich in einer immer komplexer werdenden touristischen Industrie für die Zukunft aufstellen müssen, um nicht disqualifiziert zu werden. Aufbauend auf Einflussfaktoren und Trends der Demografie, der Ökonomie, der Verbraucher und der Technologie präsentiert Amadeus eine Verbrauchertypologie mit sechs Profilen. Darunter auch der »Cultural Purist«. Die Menschen dieses Segments sehen Reisen als Gelegenheit, tief in andere Kulturen einzutauchen, möglichst authentisch und abseits vom eigenen Alltag. Die Inspiration holen sie sich über reisefremde Quellen, vorwiegend aus den sozialen Netzen. Gegenüber (Massen-)Empfehlungs-Algorithmen sind sie eher misstrauisch. Sie planen ihre Reisen möglichst flexibel und individuell, keinesfalls vorpaketiert und bevorzugen lokale und kleinere Anbieter off the beaten track. Trotz hoher Technologieaffinität ist ihnen der persönliche Kontakt wichtig (vgl. Lundy 2016: 7, 24). Dagegen ist der »Ethical Traveller« ein Werteüberzeugter, der sich für die Auswirkungen seiner Reise interessiert und CO2-Bilanz oder CSR- (Corporate Social Responsibility) Aspekte in die Entscheidung mit einbezieht. Er ist impro-
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visationsfreudig und kombiniert Urlaub mit Freiwilligenarbeit. Respekt vor fremden Kulturen und Schutz von Naturräumen bestimmen sein Verhalten auf Reisen (vgl. Lundy 2016: 7, 26 f.).
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ALS T RAUMZIEL – AUCH FÜR DIE JÜNGERE Z IELGRUPPE So oder anders ist das Nachfrageverhalten einer Folgegeneration von Kulturkonsumenten, die vor dem Hintergrund der Veraltung des Kulturpublikums für klassische Kultureinrichtungen überlebenswichtig ist? Neben einer digital geprägten Customer Journey sind zielgruppenspezifische Aspekte maßgeblich für den Erfolg. Die Angebote sollten möglichst niedrigschwellig sein und einen sozialen In-Faktor haben. Eine zielgruppengerechte Ansprache über entsprechende Kanäle und Kooperationspartner wie Universitäten, Anbieter von Jugendreisen oder Communities in der Distributionspolitik sind genauso wichtig wie Once-in-aLifetime-Events, die Interesse und Begehrlichkeit schaffen. Die Kür im Markenmanagement ist ein eigenständiges Branding. Gut gemacht, kann es der Weg zu einer zielgruppenorientierten Positionierung sein. So versucht der Gruppenreiseveranstalter Chamäleon mit Yolo Reisen eine Nische im Reisevertrieb zu erschließen, die auf das Lebensgefühl und die Wertewelt junger Leute der Generation Y abzielt. Die etablierte Hauptmarke Chamäleon, die den Teilnehmern die »Reise ihres Lebens« verspricht, dient der neuen Marke lediglich als Steigbügelhalter (vgl. Feyerherd 2016). Der Anspruch an Kultur auf Reisen muss zukünftig einen Spagat über alle gesellschaftlichen Milieus und Ansprüche leisten und sich gleichzeitig so individuell wie möglich präsentieren. Die Anbieter nehmen diese Herausforderung durchwegs sportlich: Kunst trifft auf echtes Leben. Je begehrter die Marke, je renommierter das Format, desto höher die Aufmerksamkeit. Und Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Das belegt der Erfolg der Heavy Metal Cruise von TUI Cruises (vgl. den Beitrag von Lutz Deyhle in diesem Sammelband). Die Trends beweisen, dass die Anbieter gelernt haben, ihre Zielgruppen in den Fokus zu rücken. Wo man früher noch den Eindruck haben konnte, dass Kuratoren ihre wertvollen und sorgfältig ausgewählten Exponate eher vor neugierigen Touristen schützen wollten, gibt es heute vielerorts offene Türen, Events, Interaktion und Kunsterlebnis ohne Hemmschwellen. Kulturhauptstadt-Jahre sind für ein erfolgreiches Miteinander von Straßenkult und Hochkultur das beste Beispiel und schaffen nachhaltig Kulturräume mit einer hohen Attraktion für Besucher und Einheimische.
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Die Wurzeln der klassischen Studienreise liegen im Erleben von kulturellen Höhepunkten. Dabei steht nicht nur das eigentliche Ereignis im Vordergrund, sondern die Begegnung mit den Protagonisten, der Blick hinter die Kulissen. Der Begriff der Kultur beschränkt sich dabei nicht nur auf Hochkultur, sondern umfasst Architektur, Kunst, Archäologie, Kulturgeschichte genauso wie Natur und gelebte Tradition. Neben Angeboten der Hochkultur wollen Kulturtouristen das Lebensgefühl eines Landes oder einer Region erfahren und darin eintauchen, es spüren, schmecken, riechen, fühlen. Zu dieser Form des Kulturerlebnisses gehören auch kulinarische Spezialitäten, wie Streetfood-Märkte, Gespräche mit Architekten, Musikern sowie der Besuch von Einheimischen – oder gar Shopping. Das Festhalten an der Vergangenheit, zum Beispiel an der kolonialen Epoche in Ostafrika oder Asien, bedient zwar die geprägte Vorstellung und deren Bilder, versperrt aber den Blick auf das Heute. Folklore ist nicht authentisch und gibt nur einen winzigen retrospektiven Ausschnitt der Kultur wieder. Kulturreisende von morgen wollen Lebensgefühle, Diskurse und Erfahrungen, die ihnen für ihre gegenwärtige Existenz etwas sagen und sie emotional anrühren.
L UXUSKULTUR MIT I CH -M OMENT Kult ist ein Wortteil von Kultur. Thiem spricht schon 1994 von einem Sonnenkult, Körperkult und Luxuskult als prägende und rituelle Bestandteile der Ferienkultur (vgl. Thiem 1994: 199). Luxusreisen wurden lange Zeit mit Grand Hotels, First Class Flügen, Concierge-Service, Chauffeur und Butler mit weißen Handschuhen verbunden. Ausgeprägt zelebriert wurde dieser Stil unter anderem auf Kreuzflügen in Privatjets rund um die Welt, deren hohe Reisepreise in etwa einem Mittelklassewagen entsprachen. Dieser Stil des Reisens ist zwar sehr kultiviert, aber wenig kulturell motiviert. Lange Flugzeiten und kurze Etappen in den besuchten Ländern erlauben nur eine oberflächliche Berührung mit der Kultur vor Ort. Solch ein elitäres Angebot des Reisens ist heute kaum noch marktgerecht. Fluggesellschaften, allen voran die Golf-Airlines, warten mit dem Erlebnis Flug auf und bieten in der Business- oder First-Class eine luxuriöse und komfortable Art des Reisens mit einer Privatsphäre, wie sie in der Reisegruppe auf einem Kreuzflug nicht erreichbar ist. Das Lemminge-Syndrom wird vom Bedürfnis zur Individualisierung abgelöst. Und hedonistische Züge sind dabei nicht unbedingt verwerflich, sondern die wohlverdiente Belohnung für ein erfolgreiches und leistungsorientiertes Berufsleben. Der in der Amadeus Luxusreisen-Studie als »Reward Hunter« bezeichnete
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Reisende fokussiert sich auf die Befriedigung seiner Bedürfnisse, die oft ein Mix aus Luxus, persönlicher Gesundheit und Weiterbildung sind. Motiviert durch die Suche nach Belohnung für den stressigen Alltag möchte er im Urlaub nach allen Regeln der Kunst verwöhnt werden (vgl. Dykins 2016: 4). Mit der Marktreife der touristischen Angebote und bei ausgeprägter Reiseerfahrung des Einzelnen verliert Materialismus im Luxusmarkt an Bedeutung. Dafür gewinnen der Wunsch nach Zeit und die Bereicherung durch aktives Erleben zunehmend an Einfluss auf die Reiseplanung. Der Trend im Luxusreisemarkt bewegt sich heute eindeutig hin zum »experiential luxury«. Im Kulturtourismus spiegelt sich dieser Trend zur Exklusivität, zum Beispiel in Empfängen oder Backstage-Besuchen für Konzertbesucher wider, bei denen der Dirigent oder Solist persönlich anwesend ist. Windrose Finest Travel hat sich deshalb den Slogan »Ich reise, also bin ICH« gegeben und lässt damit sowohl philosophische als auch hedonistische Interpretationen zu. Statt Sehenswürdigkeiten und Höhenpunkte auf den Rundreisen aufzulisten, wollen die Reisevorschläge des Luxusreiseveranstalters sogenannten »Ich-Momenten« Platz machen. Diese können ganz unterschiedlicher Natur sein: das Innehalten bei einer besonderen Stimmung, das Kribbeln bei einer abenteuerlichen Aktivität, die Begeisterung in einer spektakulären Aufführung. Es ist der Moment, der in Erinnerung bleibt; der Augenblick der ein Gefühl auslöst, das den Reisenden bereichert. Das macht das Reisen so wertvoll. Dabei umspannt die Selbsterfahrung das ganze Portfolio: von ausschweifendem Genuss über authentische kulturelle Begegnungen abseits des Massentourismus bis hin zur digitalen Entgiftung. Der eigentliche Anlass der Reise wird durch ein Arrangement aus Anreise, Hotellerie und Gastronomie und weitere Services aufgewertet. Anna Netrebko ist als Weltstar schon ein Zugpferd; eine Opernaufführung mit der Starsopranistin im Oman macht es zum besonderen Kulturhighlight. Für eine erfolgreiche Vermarktung von Kulturreisen ist Verknappung und ein einmaliger Eventcharakter sehr hilfreich. Die Exklusivität wird noch betont, indem Events ausgerichtet werden, die nicht käuflich sind; zum Beispiel eine private Führung durch den Museumsdirektor und einen Empfang mit anschließendem Dinner in der Berliner Nationalgalerie außerhalb der Öffnungszeiten (vgl. Windrose Finest Travel 2016). Hauptperson des Events ist dennoch nicht der Prominente, sondern der Reisende. Das Momentum auf Reisen ist dabei oft nicht planbar, da das subjektive Erleben von Kultur von vielen Faktoren beeinflusst wird. Sei es das Wetter beim Glyndebourne Festival – das Picknick im Garten in festlicher Garderobe macht
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bei Regen sicher weniger Spaß als bei Sonnenschein auf einem trockenen, englischen Rasen. Aber auch die Maßanfertigung von Reisen muss sich manchmal den Vorwurf des gesteuerten Erlebens und konstruierter Erfahrung gefallen lassen. Die Verantwortung des Veranstalters schützt den Verbraucher vor Gefahren und sein Leistungsversprechen ist Bestandteil eines Reisevertrages. Das kann zugebenerweise puren Kulturgenuss auch einschränken.
Z WISCHEN S UBSTITUTION
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S INNGEBUNG
Künstliche Kulturwelten werden seit den siebziger Jahren kontrovers diskutiert. Ihren Ursprung haben die urbanen Freizeitwelten in den Vereinigten Staaten und schwappten dann nach Europa. Freizeitparks der neuen Generation buhlen mit Superlativen um Aufmerksamkeit und Besucher. Allen voran die Megaanlagen in Asien oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten, zum Beispiel das Mohammed Bin Rashid Al Maktoum City-Projekt in Dubai. Neben Einkaufszentren, Grünanlagen, Sporteinrichtungen und Hotels gehören auch Kunstmeilen zum Plan des ambitionierten Projektes.3 Mittlerweile muten auch einige Kreuzfahrtschiffe wie ausgeklügelte schwimmende Freizeitparks an. Mit Attraktionen von Rafting bis Kräutergewächshaus bieten die Reedereien einem milieuübergreifenden heterogenen Zielpublikum 24 Stunden multioptionale Beschäftigungsmöglichkeit und damit auch ein entsprechendes Preis-Leistungs-Verhältnis (Zehender 2015).Was mit einer AIDA als innovativem und revolutionärem Kreuzfahrtkonzept begann, ist heute ein Markt mit unbegrenztem Wachstum, zielt er doch auf alle touristischen Teilzielgruppen ab. Deshalb ist das Kulturangebot an Bord eine »comprehensive totality« mit dem Ziel, dem Gast das Gefühl zu geben, dass er genau das bekommt, was er sich wünscht (vgl. Schmidt-Ott 2016: 28). Echtes Kulturerlebnis wird in einem Hologramm-Theater suggeriert (vgl.: Mein Schiff 5, TUI Cruises). Hier kann der Zuschauer dem Ensemble ganz nah sein – wenn auch nur eingebildet. Kein Stress ist der Anspruch der Gäste und damit der Anspruch der Gastgeber. Damit das gelingt, wird der Passagier gemonitored. Seine Vorliebe für mobile Devices macht ihn verfolgbar – wo er isst, welchen Drink er an der Bar bestellt, welche Show ihn interessiert, wohin sein Ausflug geht. Smart Cruising erlaubt nicht nur
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Siehe www.meydansobha.com (letzter Abruf: 11.09.2016).
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ein Auslastungsmanagement live und in Farbe, es ist auch ein wertvoller Datenfundus für die Marktforschung (vgl. ebd.: 30). Abschied von der Spaßgesellschaft: Im Jahre 2003 hat uns die Vordenkerin Romeiß-Stracke eine »Ankunft im Sein« prognostiziert. Die »Sinngesellschaft« ist der logische Gegentrend zur Spaßgesellschaft. Assoziiert mit Schlagworten wie Introversion, Intensität, Downshifting und High Touch repräsentiert sie heute ein gar nicht mehr so alternatives Lebensgefühl, welches sich in der Gesellschaft verbreitet und ernsthafte Sinnvermittlung mit lustvoller Erfahrung verbindet (vgl. Romeiß-Stracke 2003: 116-120, 186). Die Trendforscherin Faith Popcorn hat in den Neunzigern schon vom »Cocooning«, den Rückzug in die intime Aufgehobenheit, in einen WohlfühlKokon, gesprochen. Dieser Trend hat die Hotellerie beflügelt, »Kuscheligkeit« herzustellen (vgl. ebd.: 123). Viele Boutique- und Design-Hotels locken heute mit individuellem Interieur und privater Wohlfühlatmosphäre an Stelle von Repräsentation oder Konvention. Der Zuspruch macht Mut für Ideen und Konzepte, die nicht alle bedienen wollen und können, aber den Nerv bestimmter Zielgruppen treffen. Die private Wohnung und das Haus gewinnen in einer Sinngesellschaft an Bedeutung. Sie sind nicht nur Rückzugsort, sondern können auch zum Urlaubsersatz werden. Das zeigt der Erfolg des Interieur-Online-Shops Westwing. Die Ansprache der meist weiblichen Kundinnen spielt mit dem Fernweh nach Traumorten und verspricht »Indian Summer, Miami Style oder Marrakesh Nights«4. Es werden zwar nur Einrichtungsgegenstände verkauft, aber die gekonnte Präsentation der Lifestyle-Looks schafft eine Wohnkultur zwischen Cocooning und Urlaub. Das Bedürfnis nach intimen Orten wird heute in der Touristik fast überstrapaziert. Anbieter wie Secret Escapes oder Escapio bedienen sich des Begriffs der »Flucht« in eine exklusive Hideaway-Welt. In den Großstädten bedienen Wellnessoasen oder exklusive Clubs dieses Phänomen der Auszeit vom Alltag und sammeln damit erfolgreich Gleichgesinnte ein. Auch die GastronomieKultur spiegelt eine Besinnung wider, die Nahrungsmittel nicht als Industrieware deklariert, sondern Zutaten bewusst auswählt und zubereitet. Die Sinngesellschaft braucht eine intakte Basis. Deswegen werden Initiativen, die Kultur- und Naturräume schützen an Einfluss gewinnen. Die Auseinandersetzung mit Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft wird zur mentalen Notwendigkeit, um sich in der Zukunft zurechtzufinden. Kultur als Ressource für die
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Siehe www.westwingnow.de/looks/ (letzter Abruf: 11.09.2016).
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eigene Positionsbestimmung löst die klassische Prägung des Kulturtourismus ab (vgl. ebd.: 186).
S CHÜTZEN STATT (AUS -)N UTZEN Der Tourismus ist ein Massemarkt. Mit den zunehmenden Reiseströmen aus Asien und Arabien sind viele Kulturdenkmäler überfordert und brauchen eine Verschnaufpause. Die berühmten Tempel von Bagan sind das bekannteste Kulturerbe von Burma und Anziehungspunkt für Touristen, die zum Sonnenaufgang und -untergang auf die Tempel klettern und ihre Selfies machen. Seit der Öffnung des Landes hat sich die Zahl der Touristen vervielfacht. Das Ministerium hat ab März 2016 das Besteigen der Pagoden untersagt, um die Zerstörung der Denkmäler durch Massenandrang zu verhindern.5 Gegen die Flut der Kulturtouristen wehren sich anderswo auch Einheimische. Der Segen wird mancherorts zum Fluch. Eine der kulturreichsten Städte Europas, Venedig, verkommt zur Simulation. Den knapp 60.000 Einwohnern der Stadt stehen 2,6 Millionen Besuchern gegenüber, nicht mitgerechnet die Millionen Tagestouristen, die Kreuzfahrtschiffe täglich in die Stadt spülen. Die Einheimischen können sich ihre Stadt nicht mehr leisten und die Touristen wissen das Erbe nicht zu schätzen, so ist zumindest die Einschätzung der neuen Stadtregierung, die Einschränkungen und Limitierung fordert (Armellini/Reuther 2015). Es ist eine Entscheidung mit Für und Wider. Der Andrang auf kulturtouristische Attraktionen und Flächendenkmäler wird mit den zunehmenden Reiseströmen insbesondere des asiatischen Mittelstandes weiter wachsen. Die Vorteile durch Einnahmen, Arbeitsplätze, Investoren und Infrastruktur sind nicht zu leugnen. Auf der anderen Seite stehen Ausverkauf, Abwanderung der einheimischen Bevölkerung, Verfremdung und Verkünstlichung. Die Verwandlung von historischem Kulturkapital in Geldströme fordert ihren Tribut. Um dem entgegenzuwirken, braucht Kulturtourismus den kultivierten Touristen. Als ein Aspekt der Forderung nach Nachhaltigkeit im Tourismus müssen Leistungsträger und Verantwortliche von Kultureinrichtungen die Edukation der eigenen Kunden als Bestandteil der Vermarktung sehen. Wenn Kultur auf Gegenwart trifft und Zukunft sichern soll, dann ist eine Herausforderung der nächsten Jahre, die qualitative und quantitative Regelung von Besucherströmen, ohne die Gunst der Branche zu riskieren.
5
Siehe
www.spiegel.de/reise/aktuell/bagan-myanmar-verbietet-touristen-das-klettern-
auf-tempel-a-1078789.html (letzter Abruf: 11.09.2016).
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D IGITAL C ULTURE D IMENSIONEN
SPRENGT HERKÖMMLICHE
Das Smartphone als outer brain, die Virtual-Reality-Brille als Ersatz für physisches Reisen? Das Thema Digitalisierung ist mehr als ein Buzzword und treibt unter anderem auch die Touristikbranche seit Beginn des Jahrhunderts vor sich her. Sind digitale Kulturräume das Blueprint der Zukunft? Die Prägung des Alltags durch die permanente Nutzung und Anbindung an das Web lässt sich nicht mehr ignorieren. Die Customer Experience wird für Tourismusbetriebe und Kultureinrichtungen zur Marketingdisziplin, wollen sie den Weg des Kunden in Zukunft noch kennen und leiten. Kommunikation hat kein Zeitlimit mehr. Der Information als Vorbereitung folgt die Teilung der Erfahrung vor Ort und die Bewertung dieser in sozialen Netzen und über Messenger-Systeme. Das Potenzial der Informations- und Kommunikationstechnologie liegt in ihrer Dialogfähigkeit, ihrer Inszenierungsmöglichkeit, im Transport von Emotionen. Die Zukunft der Kulturvermarkter hängt davon ab, wie sie es schaffen, die Bewegung der Besucher in der digitalen Sphäre mitzudenken, zu verfolgen und ein Teil davon zu sein. Snap Solutions, Augmented Senses, Immersive Experiences oder Location-based Services sind die Makro-Trends der Outernet.6 Ihnen allen gemeinsam ist der Kundenfokus. Davon können Kultureinrichtungen, die traditionell die Kultur ins rechte Licht rücken wollen, nur profitieren, indem sie die unterschiedlichen Kommunikationswege, Gewohnheiten und Wünsche ihrer Teilzielgruppen berücksichtigen und darauf eingehen. Smartphone-Entwickler konzentrieren sich vermehrt auf die Performance der Kamera. Der Schnappschuss (engl.: snap) ist zum Massenphänomen geworden. Wenn die Architekten von Kreuzfahrtschiffen Räume danach gestalten, dass Passagiere sich dort gerne fotografieren (vgl. Schmidt-Ott 2016: 31), hat der Selfie-Wahn eine neue Dimension erreicht. Die individuelle Wahrnehmung des Raumes, der Sehenswürdigkeit oder des Objektes wird durch die Perspektive des Fotografen, durch die Abbildung und Einbettung seiner Präsenz dargestellt – auch wenn das Fotomotiv beim Selbstportrait zum Hintergrund degradiert wird. Die Projektion des Ich auf die Leinwand des Kulturerlebnisses wird ein Teil dessen. In der Augmented Reality wird die Wirklichkeit angereichert mit Informationen, Düften oder Geräuschen. Das Erleben dieses neuen Erfahrungsspektrums
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Siehe
www.trendone.com/trenduniversum/mega-trends/mega-trend-detail/outernet.
html (letzter Abruf: 11.09.2016).
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durchdringt den Alltag zunehmend. Der touristische Vertrieb hat die Datenbrille als Vermittlermedium von Informationen entdeckt. Mit ihr kann der Benutzer Destinationen, Schiffe, Hotels oder Sehenswürdigkeiten virtuell entdecken. Computerspiele machen sich dieses immersive Eintauchen in künstlich geschaffene Welten schon lange zu Nutze. In der Kulturvermittlung ermöglicht diese Technik auch Menschen, die nicht physisch an einen Ort gelangen können, eine intensive kulturelle Erfahrung. So entführt Expedia krebskranke Kinder via Virtual Reality an Sehnsuchtsorte. Mit einer 360-Grad-Kamera und Livestreaming-Technologie dokumentieren Mitarbeiter von Expedia ihre Reiseerlebnisse unter Wasser, im Dschungel oder mit wilden Pferden und ermöglichen ein fast echtes Erlebnis für die kleinen Patienten. Mit dieser Kampagne will Expedia sein Markenversprechen, die Faszination des Reisens so vielen Menschen wie möglich nahe zu bringen, einlösen (vgl. Morisson: 2016). Auch wenn die Echtheit der Werke existentiell wichtig für Kulturanbieter ist, ermöglichen neue Technologien ein Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten, mit denen auch bisher nicht im Fokus stehende Zielgruppen erreicht werden können. In Zukunft wird neben der physischen Realität ein Raum bereitstehen, in dem Erleben in einer anderen Dimension möglich ist. Der souveräne Umgang mit dieser Entwicklung kann als einer der wesentlichen Fortschritte in der Kulturvermittlung gesehen werden.
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ERSETZBAR : I NTERKULTURELLER
AUSTAUSCH
Bei allen faszinierenden Aspekten, die Kulturtourismus mit seiner vielfältigen Angebotspalette ermöglicht, sollte man eins nicht vergessen: In einer Kultur des Miteinanders geht es um Werte und Wertschätzung. Das besonders Wertvolle am Reisen ist der interkulturelle Austausch. Er baut die Brücken zwischen Menschen und Völkern. Dieses Verständnis scheint heute dringlicher denn je.
L ITERATUR Armellini, Alvise/Reuther, Annette (2015): »Massentourismus. Venedig ist zum Albtraum geworden«, in: Die Welt vom 17.07.2015. Siehe www.welt.de/ reise/staedtereisen/article144137129/Venedig-ist-zum-Albtraum-geworden. html (letzter Abruf: 11.09.2016).
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Touristische Kulturbesucher als Chance der Öffnung von Kultureinrichtungen für ein sozial diverses Publikum B IRGIT M ANDEL
Dass der Tourismus ein Faktor ist, um Auslastungszahlen und Einnahmen zu steigern, ist allen Kultureinrichtungen in touristisch attraktiven Regionen bewusst, so auch das Ergebnis der Kulturtourismusstudie, einer bundesweiten Befragung von Kulturanbietern 2015 (Pröbstle 2016: 8). Weniger im Bewusstsein ist bislang das Potenzial des Tourismus, Menschen für Kunst und Kultur zu interessieren, die im Alltag keinen Zugang dazu finden würden (ebd.). Als Kulturtouristen werden in der Regel solche Touristen bezeichnet, deren Reise vorwiegend kulturell motiviert ist und die sich auf einer Urlaubsreise spezifisch mit kulturellen Phänomenen auseinandersetzen, durchaus auf der Basis eines im touristischen Kontext weiten Kulturbegriffs, der neben der Nutzung von Museen, Theatern, Festspielen etc. auch populäre Events, Traditionen, Bräuche, spezifische Aspekte der regionalen Alltagskultur umfassen (vgl. u.a. Steinecke 2007: 5). Hier soll es hingegen weniger um Kulturtourismus gehen, als vielmehr um die Frage, inwiefern der (Massen-)Tourismus auch für nicht kunstaffine und spezifisch Kulturinteressierte Anlass für kulturelle Aktivitäten ist und inwiefern dabei nachhaltiges Interesse für Kunst und Kultur geweckt werden kann.
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Nicht-Besucher werden in der Rolle des Touristen zu Besuchern kultureller Sehenswürdigkeiten und zum Teil auch klassischer Kulturinstitutionen Kulturelles Sightseeing gehört in Deutschland und auch in den meisten anderen europäischen Ländern zur dritthäufigsten kulturellen Aktivität in der Bevölkerung (63 Prozent) nach Bücherlesen (79 Prozent) und Fernsehen oder Radio hören (74 Prozent) und vor Kinobesuchen (54 Prozent). Der Besuch klassischer Kultureinrichtungen ist hingegen deutlich weniger populär (Eurobarometer 2013). Obwohl nur ca. 5 Prozent aller Touristen zu den spezifisch Kulturinteressierten gehören, besuchen ca. 80 Prozent aller Urlaubsreisenden gelegentlich kulturelle Sehenswürdigkeiten, aber auch Veranstaltungen klassischer Kultureinrichtungen, allen voran die Museen (Isenberg/Müllenmeister/Steinecke/Forschungsgruppe Tourismus 2003: 16,34, Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen 2003). »Virtually all visitors, except extreme sun and nightlife worshippers or sport fanatics, include some cultural activities in their visits.« (World Tourism Organisation 2003: 29) In der Rolle des Touristen werden viele Menschen zu Kulturbesuchern, die in ihrem Alltag keine kulturellen Angebote wahrnehmen (vgl. Drews/Mandel 2015, Mandel 2012, Pröbstle 2014). Während im Alltag der Anteil der regelmäßigen Besucher, der sogenannten Kern-Kulturnutzer von Kultureinrichtungen wie Theater, Museen und Orchester nur ca. 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung ausmacht (Renz 2015), sind Menschen auf einer Urlaubsreise offensichtlich offener für kulturelle Angebote. Touristiker konstatieren sogar ein zunehmendes Interesse an kulturorientierten Aktivitäten im Rahmen touristischer Reisen (vgl. European Travel Commission 2005). Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die körperliche Erholung weniger wichtig geworden ist durch veränderte Anforderungen in der Arbeitswelt und zugleich der Anspruch an lebenslanges Lernen und Selbstbildungsprozesse zugenommen hat. Hinzu kommt, dass es statt einer langen Erholungsreise den Trend zum Kurzurlaub und zum Zweit- und Dritturlaub gibt, der häufig eine Städtereise ist. Städtetrips, die immer auch Kulturreisen sind, erweisen sich als größter Wachstumsmotor im Tourismus auch bedingt durch preiswerte Flüge im easyJet-Zeitalter zwischen europäischen Großstädten.
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Ein großer Teil der Touristen sind Auch- und Zufallskulturtouristen Antz unterscheidet drei Kategorien von Kulturtouristen: • Kulturtouristen im engeren Sinne (hoch gebildete, zumeist älter mit relativ ho-
hem Einkommen und hohen Ansprüchen); • Gelegenheits-Kulturtouristen (breites Spektrum sozialer Gruppen, für Kultur
aufgeschlossen, jedoch nicht Hauptzweck, wird wahrgenommen, weil man bestimmte Sehenswürdigkeiten gesehen haben muss); • Zufalls-Kulturtouristen (beschließen zufällig und spontan, ein kulturelles Angebot wahrzunehmen, z.B. weil es regnet) (Antz 2008: 4). Von Gelegenheits- und Zufalls-Kulturtouristen werden kulturelle Programme und Sehenswürdigkeiten oft erst vor Ort zur Kenntnis genommen. Kulturbesichtigungen sind nicht primäres Motiv der Reise, aber Bestandteil touristischen Rollenverhaltens. Pröbstle (2014: 303 ff.) macht nach einer umfangreichen Befragung von Touristen im Rahmen kultureller Aktivitäten fünf verschiedene Typen von Kulturtouristen aus: • • • • •
»unterhaltungsorientierte Ausflügler«; »pflichtbewusste ›Sightseeker‹«; »aufgeschlossene Entdecker«; »kenntnisreiche Traditionalisten«; »passionierte Spezialisten«.
Nur die letzten beiden Typen können zu den spezifisch Kunst- und Kulturinteressierten gezählt werden, die auch im Alltag regelmäßig kulturelle Veranstaltungen besuchen.
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Der Tourismus stellt einen zentralen Faktor des Audience Development von Kultureinrichtungen in touristisch attraktiven Regionen und Städten dar In touristisch attraktiven Städten und Regionen sind schon jetzt ein Großteil der Besucher Touristen. So beträgt etwa der Anteil der touristischen Besucher in den Berliner Museen gut 80 Prozent (vgl. Kulmon Studie, visitBerlin/Kultursenator Berlin 2010). In 30 Prozent der 323 in der Kulturtourismusstudie befragten Kultureinrichtungen machen touristische Besucher ca. 50 Prozent am gesamten Besuchsaufkommen aus (Pröbstle 2016: 6). Neben architektonischen Sehenswürdigkeiten gehört vor allem der Museumsbesuch zur Urlaubsgestaltung vieler Touristen dazu, sei es nur, um einen Regentag zu überbrücken, sei es, weil dies im Reiseführer als »must-see« genannt wurde, weil man durch Zufall vorbeikam, oder auch weil man sich vom Museumsbesuch einen weiteren Zugang zur besuchten Stadt oder Region erhofft. Museen haben den Vorteil, dass ihr Besuch in der Regel zeitlich flexibel planbar ist (sieht man von den Schlangen vor Blockbuster-Ausstellungen oder Highlight-Museen ab) und weil sie weniger von Sprachkenntnissen abhängen. Befragt danach, was sie unter Kultur im Kontext ihrer Reise verstehen, nannten die befragten Touristen in einer repräsentativen Studie der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen an erster Stelle »Kennenlernen fremder Kulturen« und bereits an zweiter Stelle »Museen/Ausstellungen« vor »Sehenswürdigkeiten/Monumente« an dritter Stelle (Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen 2003). Aber auch Opern, Konzerte, (Musik-)Theater werden von touristischen Besuchern frequentiert, vor allem dann, wenn sie in einem touristisch attraktiven Ambiente, zum Beispiel Open Air oder in einer »sehenswürdigen« Architektur dargeboten werden (zum Beispiel Semperoper, Berliner Philharmonie). Während wir auf der einen Seite bei den einheimischen Besuchern ein tendenziell nachlassendes Interesse an klassischen Kulturangeboten und am darin häufig präsentierten kulturellen Erbe beobachten (vgl. Eurobarometer 2013), werden diese im expandierenden Tourismus stark nachgefragt. Audience Development, also das systematische, strategische Bemühen einer Kultureinrichtung, neue Besucher zu gewinnen und zu binden, ist zu einer zentralen Herausforderung klassischer Kulturinstitutionen geworden. Diese stehen zunehmend unter Legitimationsdruck, nicht nur ausreichend viele Besucher und Eigeneinnahmen zu generieren, sondern auch eine sozial diversere Nutzerschaft
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anzusprechen, entsprechend einer breiten, diversen Bevölkerung. Denn Besucherstudien bestätigen immer neu, dass das Publikum klassischer, öffentlich geförderter Kultureinrichtungen wie Museen, Theater, Konzerthäuser sozial sehr homogen ist, dass vorwiegend eine kleine Gruppe der Hochgebildeten kommt, tendenziell weiblich, deutschstämmig, älter (Renz 2015, Mandel 2016). Die Bevölkerungsmehrheit bevorzugt hingegen unterhaltungsorientierte Veranstaltungen und wird eher von privaten Kulturanbietern (Kino, Popkonzerte) erreicht. Kino und Rock-/Popkonzerte werden in Befragungen als beliebteste kulturelle Veranstaltungen genannt (Zentrum für Kulturforschung/Keuchel 2005, 2009, 2012). Das Publikum (öffentlich geförderter) Kultureinrichtungen in seiner Sozialstruktur zu erweitern erweist sich als schwierige und langfristige Aufgabe, die mit Veränderungen in Kommunikation, Vermittlung und Service alleine nicht zu realisieren ist, sondern auch veränderte Programme und eine Neu-Ausrichtung der Mission in Richtung Teilhabeorientierung beinhaltet (Mandel 2013). Inwiefern können touristischer Kontext und Bedingungen touristischer Besucher Kultureinrichtungen im Prozess der Öffnung für neue, andere Besucher unterstützen? Gibt es Barrieren, die im touristischen Kontext entfallen?
B ARRIEREN DER N UTZUNG KULTURELLER E INRICHTUNGEN ÜBERWINDEN IM T OURISMUS ? Verschiedene Barrieren des Besuchs (hoch-)kultureller Einrichtungen entfallen in touristischen Kontexten Der Alltag erweise sich für viele Menschen als »Kulturverhinderer«, zu diesem Ergebnis kommt Pröbstle in ihren Befragungen touristischer Kulturbesucher (Pröbstle 2014: 299). Warum interessieren sich Menschen zwar im Urlaub für Kultur aber nicht im Alltag? Was sind Barrieren des Besuchs kultureller Angebote im Alltag? Grundsätzlich lassen sich Barrieren unterteilen in solche, die vom Subjekt ausgehen und solche, die von den Institutionen implizit aufgebaut werden. Barrieren, die vom Subjekt ausgehen Befragt man Menschen, warum sie keine kulturellen Veranstaltungen besuchen, so werden vor allem »mangelnde Zeit«, »mangelndes Geld« und »mangelndes Interesse« genannt. Hinzu kommt die zentrale Barriere »mangelnder Teilhabevo-
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raussetzungen«, vor allem Bildung, sozialer Status, kulturelles Kapital (Mandel/Renz 2010, Renz 2015). Bei Bevölkerungsbefragungen in Deutschland wurde deutlich, dass das Kulturverständnis der Mehrheit an der klassischen Hochkultur orientiert ist, während gleichzeitig die Überzeugung vorherrscht, dass man für sich selbst damit nichts anfangen könne (Mandel/Timmerberg 2008). Inwiefern und unter welchen Umständen können diese persönlichen Barrieren im Tourismus entfallen? Hier lässt sich zunächst konstatieren, dass Menschen während ihrer Urlaubsreise nicht nur frei verfügbare Zeit, sondern vermutlich auch eine deutlich höhere Bereitschaft haben, Geld für Kunst und Kultur auszugeben. So erweist sich etwa der Eintrittspreis bei touristischen Besuchern kaum als Besuchshürde (Klein/Wegner 2010: 103). Reisen animiert per se dazu, im Kontrast zur heimischen Umgebung kulturelle Symbole bewusst wahrzunehmen und Vergleiche anzustellen. Ein insgesamt breiterer Kulturbegriff im Tourismus, der immer auch Alltagskultur/Lebenskultur, Essen, Trinken, breitenkulturelle Traditionen etc. umfasst, macht Kultur in touristischen Kontexten auch für Menschen, die sich als nicht kunstaffin definieren anschlussfähiger. Auch klassische Kulturangebote können in diesem Kontext als niedrigschwelliger wahrgenommen werden. Mehr noch: Kulturangebote, die sich auf das klassische kulturelle Erbe beziehen, dessen Relevanz für gegenwärtiges Leben sich vielen nicht erschließt, erhalten im touristischen Kontext eine andere Bedeutung. An alten Monumenten zu erfahren, wie Menschen früher gelebt haben, welche kulturellen Leistungen sie erbracht haben, die noch heute beeindrucken, ist fester Bestandteil touristischer Wahrnehmung und Welterschließung. Im Alltag nicht interessante kulturelle Angebote können im touristischen Kontext relevant werden, weil sie in Bezug zum Reiseziel gesetzt werden – sie gelten etwa als charakteristisch für eine Region/Land oder als symbolisch für die großen Themen und Leistungen der Menschheit: Kulturelle Sehenswürdigkeiten werden als »authentische« Manifestationen menschlicher (Kultur-)Geschichte betrachtet. Indem er sie besichtigt, erhofft sich der Tourist, die großen gesellschaftlichen Zusammenhänge zu begreifen (MacCannell 1976). Kulturnutzung wird im Alltag sehr stark von sozialen Rollenmustern und Milieus definiert. Kulturnutzung kann Medium sozialer Distinktion sein: bestimmte Kulturangebote werden vor allem von gehobenen sozialen Milieus rezipiert (vgl. Bourdieu 1982, Schulze 2000, Sinus-Milieu-Studien1). Der Soziologe Schulze unterscheidet in »Hochkulturschema« (kontemplatives Sich-Versenken in kul1
Siehe www.sinus-institut.de/sinus-loesungen/sinus-milieus-deutschland/ (letzter Abruf: 23.11.2016).
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turhistorisch relevante »wertvolle Werke«), »Trivialschema« (anspruchslose, »gemütliche« Unterhaltung) und »Spannungsschema« (Kombination von Kultur mit Entertainment, Erlebnissen, Nervenkitzel) (Schulze 2000: 145 ff.). Es ist zu vermuten, dass diese Muster, die Kulturinteresse in Anlehnung an soziale Zugehörigkeit im Alltag bestimmen, auf Reisen durch ein übergreifendes touristisches Rollenmuster ansatzweise aufgehoben werden. Dieses beinhaltet kulturelles Sightseeing, unabhängig vom sozialen Milieu. Was also im Alltag als nicht passendes, hochkulturelles Rollenverhalten begriffen werden mag, gehört selbstverständlich zum Rollenrepertoire des Touristen und wird nicht hinterfragt. Verstärkt wird die Auflösung der Barriere der kulturellen Distinktion beziehungsweise Nichtzugehörigkeit zu bestimmten kulturellen Sphären durch den Fakt, dass auch die anderen Touristen unterschiedlicher Milieus die Angebote gleichermaßen wahrnehmen. Aneignungsformen vor allem durch Fotografieren sind universell, Kleidervorschriften sind im Tourismus ohnehin gelockert. Wöhler, Pott und Denzer halten touristische Orte durch ihre Distanz zum Alltag für besonders geeignet, neue Perspektiven und neue Verhaltensweisen auch im Sinne von Veränderung des üblichen Habitus zu ermöglichen. »Im Modus des TouristSeins wird Selbst- und Weltermächtigung möglich […] Tourismusräume fungieren infolge ihrer Distanz zu Alltagsräumen auch als ›Schutzoder Freiräume‹, in denen und durch die andere Selbst- und Weltverhältnisse sowie soziale Beziehungen gebildet und erprobt werden können.« (Wöhler/Pott/Denzer 2010: 12 f.) Barrieren, die von der Institution ausgehen Als zentrale institutionelle Schwellen, die Menschen vom Besuch einer kulturellen Einrichtung abhalten können, wurden identifiziert: unzureichende oder elitäre Kommunikation; unzureichende Distribution; schwere Erreichbarkeit; keine Sichtbarkeit im Alltag vieler Menschen; mangelnder Service; unpassende, von vielen als steif wahrgenommene Atmosphäre; nicht passende Öffnungszeiten; unpassende Formate (wie zu lange Aufführungen); nicht relevant, attraktiv und wenig unterhaltungsorientiert erscheinende Programme (vgl. Mandel/Renz 2010, Renz 2015). Einige dieser Barrieren können von solchen Kultureinrichtungen, die sich spezifisch auf die Zielgruppe touristischer Besucher einstellen, abgebaut werden: Indem sie etwa ihre Angebote in touristischen Medien und an touristischen Orten kommunizieren auf eine Weise, die den Freizeit- und Unterhaltungscharakter der Angebote betont; indem der Bezug zur bereisten Region hergestellt wird und diese als »must-see« positioniert werden; indem der Service eine attraktive, zum Gesamtambiente passende Gastronomie und einen Souvenirshop umfasst; durch
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Gesamtpakete in Kooperation mit anderen touristischen Anbietern; aber auch indem es kürzere Programme gibt, dem Wunsch von Touristen entsprechend, möglichst viel in begrenzter Zeit zu sehen und zu erfahren. Wenn Kulturinstitutionen sich auf diese Weise für Bedürfnisse touristischer Besucher öffnen, wird in der Regel kritisch diskutiert, ob mit einer solchen »Touristifizierung« die Qualität der Wahrnehmung eingeschränkt wird und sich Rezeption auf schnelles Abhaken und oberflächliches Entertainment reduziert, ohne dass es zu Bildungsprozessen kommt (vgl. u.a. Luger 2008).
K ULTURELLE B ILDUNG IM M ASSENTOURISMUS NEUE V ERMITTLUNGSKONZEPTE ?
DURCH
Im Tourismus erweisen sich bestimmte Formen von Kulturvermittlung als besonders erfolgreich, um nicht vorgebildete Besucher nachhaltig für Kunst und Kultur zu interessieren Der »touristische Blick«, so wie er sich in der Romantik mit der »Entdeckung der Landschaft« ab Mitte des 18. Jahrhunderts mit ihrem idealisierten Blick auf Natur herausgebildet hat (Wuthenow 1980: 73), ist immer ein ästhetischer Blick. Er unterscheidet sich vom Alltagsblick dadurch, dass er die Dinge nicht nur funktional wahrnimmt, sondern zweckfrei in ihrem Gestaltet-Sein als schön, besonders, sehenswürdig. Ästhetische Wahrnehmung ist eine wesentliche Voraussetzung für kulturelle Bildungsprozesse. Kulturelle Bildung wird hier verstanden als Selbstbildungsprozess in Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur, bei dem ästhetische Differenzerfahrungen im Sinne einer Erweiterung oder sogar Irritation bisheriger Wahrnehmungsmuster emotional erlebt und bewusst reflektiert werden und zur Erweiterung eigener Perspektiven auf die Welt führen (vgl. Dewey 1988, Zirfass 2005). Kulturelle Bildung geht über Lernen und kognitives Wissen hinaus. Während es beim Lernen eher um spezifische Inhalte und zu erwerbende Kompetenzen geht, wird unter Bildung im Sinne Humboldts die ganzheitliche Weiterentwicklung eines Individuums durch vielfältige neue Erfahrungen und tätige Auseinandersetzung verstanden. Bildung beinhaltet also weniger ein bestimmtes Wissen als viel mehr Strukturen der Weltaneignung. Kulturelle Bildung kann vor allem in der Auseinandersetzung mit ästhetischen und künstlerischen Gegenständen erworben werden, die durch Komplexität und Mehrdeutigkeit gekennzeichnet sind. Kulturelle Bildung beinhaltet die Fähigkeit, kulturelle Phänomene und Symbole bewusst
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ästhetisch wahrzunehmen über ihre bloße Funktion hinaus, sie lesen und entziffern zu können, um ihre verschiedenen Bedeutungen zu wissen und daraus Sinn machen zu können für die (Neu-)Interpretation und Gestaltung des eigenen Lebens (vgl. Reinwand-Weiss 2012/2013, Mandel 2012). Welche Potenziale bieten (touristische) Reisen für kulturelle Bildung? Welche Formen der Kulturvermittlung sind geeignet, diese Prozesse zu unterstützen? Touristische Wahrnehmung tendiert einerseits zur Reduktion von Welt auf das Besondere und die mitgebrachten Wunschbilder, andererseits öffnet Reisen für neue Erfahrungen und sensibilisiert für eine ästhetische, zweckfreie Wahrnehmung und Beschäftigung mit dem Anderen, ebenso wie den Vergleich kultureller Muster. Hier wird die These aufgestellt, dass aus ästhetischen Differenzerfahrungen, die im touristischen Kontext gemacht werden, vor allem wenn diese bewusst als persönliche Horizonterweiterung wahrgenommen und reflektiert werden, kulturelle Bildungsprozesse entstehen können. Professionelle Kulturvermittlung, die den Freizeitkontext touristischer Rezeption berücksichtigt und vielfältige Anknüpfungspunkte für eine diverse, nicht schon vorgebildete Nutzerschaft herstellt, kann wesentlich zu solchen kulturellen Selbstbildungsprozessen beitragen (vgl. Mandel 2012). Was heißt das konkret für die Vermittlung kultureller Sehenswürdigkeiten vor allem im institutionellen Kontext? Eine Befragung der Autorin von insgesamt 60 zufällig ausgewählten, touristischen Besuchern des Schloss Charlottenburg, das laut einer repräsentativen Befragung der Kulmon Studie (visitBerlin/Kultursenator Berlin 2010) bei ausländischen Berlin-Touristen das meist besuchte Museum ist, ergab, dass ca. die Hälfte der befragten Touristen zu den Gelegenheits- und Zufalls-Kulturtouristen gehören, die zu Hause so gut wie nie ein Museum oder eine andere klassische Kultureinrichtung besuchen. Als Grund, das Schloss Charlottenburg im Rahmen ihrer Berlin-Reise zu besuchen wird an erster Stelle die Möglichkeit der Kombination des Museumsbesuchs mit der schönen Parkanlage des Schlosses genannt. Es folgt das Interesse an der Geschichte der preußischen Könige sowie an dritter Stelle der Grund, dass der schriftliche Reiseführer das Schloss Charlottenburg als »kulturelles Highlight« empfohlen habe. Weitere Gründe sind das Interesse an der Gemäldesammlung im Schloss, die Neugierde auf die Innenausstattung, das Interesse an Schlössern allgemein (die besonders auch für Kinder attraktiv seien). Außerdem wird mehrfach der Grund angegeben, dass man durch Zufall vorbeigekommen sei und sich spontan zu einem Besuch entschlossen habe. Die überwiegende Mehrheit der Befragten gibt an, dass sie gar keine oder kaum Vorkenntnisse über die Geschichte des Schlosses Charlottenburg hatten.
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Zwei Drittel der Befragten haben ein Vermittlungsangebot wahrgenommen, die Mehrzahl davon eine Audioguide-Führung. Die Besucher zeigten sich am meisten beeindruckt zum einen vom ästhetischen Gesamteindruck des prunkvollen Gesamtkunstwerkes Schloss Charlottenburg und zum anderen von den Lebensgeschichten und dem Alltagsleben der Könige. Starke ästhetische Eindrücke und ein emotional berührendes Storytelling erweisen sich auch hier als wesentlich, um kulturelles Interesse auch bei Zufallskulturtouristen auszulösen. Die Befragung, die im Anschluss an den Besuch erfolgte, machte deutlich, dass die Touristen mehrheitlich zwar mit wenig Vorkenntnissen und eher unspezifischem Interesse kommen, nach der Besichtigung der Dauerausstellung aber bei weit über der Hälfte der Befragten Interesse geweckt ist an einer vertieften Beschäftigung mit dem Thema und zwar vor allem bei denjenigen, die an einer Führung teilgenommen haben, die mehrheitlich als sehr positiv gewertet wurde (Mandel 2012). Fern von alltäglichen Routinen und Zeitdruck sind Menschen offensichtlich deutlich motivierter, Neues zu entdecken, ihren Horizont zu erweitern und sich zu bilden. Dabei stehe jedoch das subjektive Erleben im Vordergrund und weniger die Beschäftigung mit kunst- oder kulturwissenschaftlichen Fakten, die ohnehin kaum in Erinnerung bleiben, so auch die Erkenntnis der Studie von Pröbstle (Pröbstle 2014: 299, 303). In der einzigen repräsentativen Befragung von deutschen Urlaubern danach, welche Erwartungen, Motive und welche Erfahrungen und Erinnerungen sie mit Kulturbesichtigungen verbinden, wurden am häufigsten angegeben: »Abwechslung vom Alltag und dabei Spaß gehabt« (49 Prozent); »Einen schönen Tag mit Partnern und/oder Familie« verbracht (49 Prozent); »Erinnerung an eine schöne, niveauvolle Atmosphäre« (49 Prozent). Es folgten die Motive: »Freunden von den Erlebnissen zu erzählen« (36 Prozent) sowie »Etwas lernen und erfahren, das in Erinnerung geblieben ist« (31 Prozent). »Bei der Besichtigung kultureller Attraktionen rangieren die klassischen Lernerfahrungen deutlich hinter allgemeinen Erinnerungen wie einer Abwechslung vom Alltag und einer schönen, niveauvollen Atmosphäre. Viel wichtiger ist es, einen schönen Tag mit dem Partner beziehungsweise der Familie zu verbringen und Freunden nach der Rückkehr von der Reise etwas erzählen zu können.« (Steinecke 2011: 20)
Einerseits gibt es also offensichtlich das Bedürfnis nach Unterhaltung, herausragenden Erlebnissen, Superlativen, andererseits aber auch den Wunsch nach Horizonterweiterung und bleibenden Erfahrungen.
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Verallgemeinernd lässt sich aufgrund der empirischen Analysen für kulturelle Aktivitäten im Rahmen touristischer Reisen konstatieren: • Gelegenheits- und Zufalls-Kulturtouristen haben zunächst kaum Erwartungen
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und eigene Interessen an Kunst und Kultur, diese können aber vor Ort geweckt werden. Sie sind bevorzugt an kulturellen Angeboten interessiert, die unterschiedliche kulturelle Sphären und verschiedene Bedürfnisse miteinander verbinden. Bildungsprozesse werden ermöglicht, wenn Kulturbesichtigungen im Zusammenhang zur Gesamtwahrnehmung einer Stadt oder Region stehen und helfen, ihren spezifischen Charakter zu vermitteln. Lernen findet unter anderem statt, wenn Kulturbesichtigungen Antworten auf Fragen geben, die sich Touristen während der Reise stellen. Durch Besuche von Kultureinrichtungen wie Museen finden weniger Wissenszuwächse statt, sondern eher emotionale, ästhetische Lernprozesse, die nachhaltig positive Erinnerungen an Kunst und Kultur und Erweiterung eigener Perspektiven auf die Welt auslösen (vgl. Mandel 2012, Pröbstle 2014, John 2010, Steinecke 2011).
Was sind besondere Interessen und Bedürfnisse touristischer Besucher? Neben besonderen Service-Bedürfnissen im touristischen Kontext wie eine passende Gastronomie, übersichtliche Orientierungssysteme, Informationen an touristischen Orten, ein zuverlässiges, planbares Programm lassen sich folgende zentrale Motivationen identifizieren: • Erlebnisorientierung, Unterhaltung und Spaß – schöne, gemeinsame Erlebnis-
se mit Partner, Familie, Freunden (vgl. Wegner 2015, Steinecke 2011); • Authentizität – das vermeintlich Echte der bereisten Region erleben, ebenso
wie die mitgebrachten Wunschbilder realisieren (vgl. Chhabra/Healy/Sills 2003, Mandel 1996); • Sinnhaftigkeit – in den besichtigten kulturellen Sehenswürdigkeiten verstehen, was die Welt zusammenhält (vgl. MacCannell 1976).
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Wie kann Kulturvermittlung auf diese Motive und Bedürfnisse reagieren? Unter Kulturvermittlung in touristischen Kontexten werden sowohl kulturmanageriale Vermittlungsformen verstanden durch Positionierung, Marketing, Aufmerksamkeitsmanagement von Destinationen und Kulturinstitutionen als kulturtouristische Ziele, mediale Vermittlung durch Informationstafeln, Flyer, Filme, Audioguides, Computerspiele, Inszenierungen und Events etc., wie auch personale Vermittlung durch Reiseleitung, Museumsführer, Animateure. Um Erst- und Gelegenheitsbesucher zu erreichen, also diejenigen, die im Sinne der Typologie Pröbstles keine »Spezialisten« und »Traditionalisten« sind, ebenso wenig wie »pflichtbewusste ›Sightseeker‹« (die eher konventionelle, kognitive Vermittlungsformate erwarten), sondern solche, die im Alltag zu den Nicht-Besuchern gehören und die Unterhaltung ebenso wie außergewöhnliche Erlebnisse präferieren und kulturelles Sightseeing als integrativen Bestandteil ihres Gesamt-Reiseerlebnisses begreifen, haben sich nach den Ergebnissen diverser Analysen von Kulturvermittlungsmaßnahmen in touristischen Kontexten (vgl. Mandel 2012, Pröbstle 2014) vor allem folgende Strategien als erfolgreich erwiesen: • Gesamtpakete, die verschiedene Programme und Serviceleistungen verbinden,
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unter anderem in Kooperation mit anderen Kultureinrichtungen und touristischen Einrichtungen; Themenrouten, über die auch Zufalls-Kulturtouristen »stolpern«, Leitsysteme, leicht verständliche Informationen vor Ort, die helfen, einen thematischen Gesamtzusammenhang herzustellen; Kernangebot mit Zusatzleistungen verbinden, vor allem passende kulinarische Angebote; Verbindung von Kultur und Natur; sinnfällige und leicht verständliche Hinweistafeln und Flyer zu den Themen und historischen Hintergründen der zu besichtigenden Objekte jenseits des Fachjargons; Bezug zwischen Einzelobjekt und bereister Region; ästhetische Inszenierung von Erlebnisräumen, »suggestive Merkwelten« (vgl. John 2010: 35), die das Eintauchen in eine besondere Atmosphäre ermöglichen; unkonventionelle Verknüpfung verschiedener hoch- und alltagskultureller Sphären;
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• Relevanz und Anschlussfähigkeit an Themen von allgemeinem menschlichen
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Interesse jenseits einer Fachperspektive; Zusammenhänge zu aktuellen Themen; Erzählen emotional berührender Geschichten, um Kulturgeschichte zugänglich zu machen; Stimulierung subjektiver Sichtweisen; Stimulierung aktiver Aneignung kultureller Artefakte (zum Beispiel durch das zentrale touristische Medium der Fotografie); Angebote für Kommunikation und Interaktion der touristischen Besucher untereinander, die fast immer mit der Familie, Partnern oder Freunden kommen; differenzierte, zielgruppenspezifische Angebote vor allem für Familien; Nutzung digitaler Medien wie Apps, digitale Audioguides, Games um flexibel auf ganz unterschiedliche Wissensbedarfe und Interessen reagieren zu können; kostenlose, inklusive Vermittlungsangebote, einfach nutzbar und deutlich unterschieden von kognitiven Lernformaten; gut aufbereitete Informationen zum Nachlesen zu Hause.
Dabei ist zu bedenken, dass im Zeitalter des Googlens die reine Vermittlung von Fakten ohnehin weniger notwendig ist und es umso mehr darum geht, die großen Zusammenhänge aufzuzeigen, neue Sichtweisen zu stimulieren, eigene Reflexionen anzuregen. An verschiedenen Beispielen von touristisch stark nachgefragten Museen sollen erfolgreiche Vermittlungsformate konkretisiert werden: • Das Jüdische Museum Berlin bietet unter dem Titel »Mit Siebenmeilenstiefeln
durchs Museum« Überblickführungen zum Haus und exemplarischen Objekten für touristische Besucher an (ebenso wie Themenführungen und Audioguides in vielen Sprachen). • Die Autostadt Wolfsburg macht verschiedene Dimensionen des Themas »Mobilität« erfahrbar in emotionalen, künstlerischen Inszenierungen und in interaktiven Installationen und Spielen, die zu gemeinsamer Aktivität von Besuchern auffordern. • Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven schickt seine Besucher auf die Spuren eines Auswanderers auf eine personalisierte Reise, die unter Einsatz vielfältiger ästhetischer Mittel einer genauen Dramaturgie folgt. • Das Buchheim Museum der Phantasie am Starnberger See verbindet in seiner Ausstellung Avantgardekunst mit Volkskultur in einer Architektur, die die umgebende Landschaft als Erlebnisfaktor einbezieht.
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Als kulturtouristische Anbieter können Kultureinrichtungen ihren Bildungsauftrag realisieren, indem sie eine sozial heterogene Nutzerschaft erreichen und für ihre kulturellen Themen und Artefakte interessieren. Dabei sollten sie weder Angst vor zu viel Unterhaltung haben, noch davor, fachwissenschaftlichen Standards nicht mehr zu genügen. Die Auseinandersetzung von Kulturschaffenden mit der Frage, wie sie Erwartungen neuer Besucher an emotionale Erlebnisse, soziale Interaktion, Bezüge zur eigenen Lebenswelt mit inhaltlichen Dimensionen der kulturellen Angebote verbinden können, ermöglicht auch fachwissenschaftlich neue Perspektiven.
T OURISMUS ALS C HANCE FÜR DIE N EUAUSRICHTUNG VON K ULTUREINRICHTUNGEN UND R EGIONEN AN EINER SOZIAL HETEROGENEN B ESUCHERSCHAFT Die Weiterentwicklung von Kultureinrichtungen und kulturellen Angeboten durch Bedürfnisse touristischer Besucher im Prozess touristischer Inwertsetzung kann Motor sein für notwendige Transformationsprozesse von Kultureinrichtungen und regionalen Kulturlandschaften. Der Ansturm auf bestimmte Kultureinrichtungen durch touristische Besucher, die in ihrer Sozialstruktur ein deutlich diverseres Spektrum der Bevölkerung widerspiegeln als die in der Regel hochgebildeten, sozial privilegierten Kernkulturnutzer, kann im besten Fall dazu führen, dass Kultureinrichtungen die Kommunikation, Präsentation und Vermittlung ihrer Programme erweitern. Nach den Erkenntnissen aus der Evaluation von Audience-DevelopmentMaßnahmen kann vermutet werden, dass eine solche Neuorientierung nicht die Qualität der Programme beeinträchtigt, jedoch ihren elitären Charakter abbauen könnte (vgl. Arts Council England 2004, Mandel 2013). Damit können Kultureinrichtungen zu stärker zugänglichen, kommunikativen Orten werden, in denen Menschen über Kunst und Kultur neue, persönlich bereichernde Erfahrungen und Begegnungen machen können. Über den »(Um-)Weg« des Tourismus könnten Kultureinrichtungen angeregt werden, ihr Angebot insgesamt attraktiver, erlebnisreicher, anschlussfähiger zu gestalten. Formate, die speziell für Bedürfnisse touristischer Besucher entwickelt werden, die »niedrigschwelliger« sind, weniger zeitlichen Aufwand erfordern, die verschiedene kulturelle Sphären interdisziplinär zusammenbringen, Kulturrezeption mit Bedürfnissen nach sozialem Austausch und gemeinsamen Essen und Trinken verbinden, die Anschlüsse jenseits einer engen Fachperspektive schaffen, dürften auch geeignet sein, sozial diverse einheimische Besucher anzuspre-
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chen, die ohne spezifische Fachinteressen kulturelle Angebote in ihrer Freizeit nutzen wollen. Einiges deutet darauf hin (wie der Erfolg von Klassik-Open-Air-Veranstaltungen, Yellow Lounge Berlin sowie Interesse an kulturellem Erbe in touristischem Kontext), dass nicht das Interesse an klassischen Kulturformen per se nachlässt, sondern eher das Interesse an traditionellen bildungsbürgerlichen Präsentationsformen: Weniger die Kunstform wird als langweilig, nicht mehr zeitgemäß empfunden, sondern eher die Rezeptionsmuster der Kontemplation (vgl. Tröndle 2009); das Stillsitzen über einen langen Zeitraum, das Vernachlässigen der Bedürfnisse nach sozialem Austausch, die fehlende Neu-Kontextualisierung von alten Kunstformen, um diese anschlussfähig zu machen für gegenwärtige Interessen. Wie kann der Tourismus dazu beitragen, dass der Stellenwert von Kunst und Kultur auch für die einheimische Bevölkerung erhöht wird? »Als touristische Anziehungspunkte sensibilisieren wir auch die Bewohner für den Wert des Kulturangebots« – diese Aussage findet mit fast 60 Prozent bei den befragten Kultureinrichtungen der Kulturtourismusstudie die zweithöchste Zustimmung (Pröbstle 2016: 8), was darauf hinweist, dass sich die Einrichtungen der positiven Rückwirkung touristischer Attraktivität auf einheimische Besucher bewusst sind. Attraktivität bei touristischen Besuchern kann zum Stolz und zur Wertschätzung der vorhandenen kulturellen Angebote auch in der einheimischen Bevölkerung beitragen. Zugleich führt die parallele Präsenz und Nutzung kultureller Angebote durch die einheimischen Besucher dazu, dass Touristen die Kultur der bereisten Region als besonders authentisch wahrnehmen und eben nicht nur für Touristen inszeniert (vgl. Drews/Mandel 2015). Vor allem über solche kulturellen Angebote, bei denen sich Einheimische und Touristen begegnen können wie Festivals, Straßentheater, (Museums-)Feste, werden »dritte Orte« der Begegnung zwischen touristischen und einheimischen Besuchern geschaffen. Beispiele für solche »dritte Orte«, an denen einheimische und touristische Besucher zusammen kommen, sind etwa literarische Lesungen an historischen Orten, wie sie im Rahmen des Literaturfestival in der Uckermark in verschiedenen Dörfern stattfinden, Begegnungen im Rahmen der »offenen Ateliers« im Wendland, Aufführungen des soziokulturellen Heersumer Landschaftstheaters, wo ein ganzes Dorf ein Theaterstück inszeniert, für das (Tages-)Touristen aus vielen anderen Regionen anreisen. Vor allem in strukturschwachen, ländlichen Regionen kann die touristische Nachfrage nach kulturellen Angeboten dazu beitragen, dass diese überhaupt aufrechterhalten werden können. Der Kulturtourismus wird in Kulturentwicklungs-
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planungen zunehmend zu einem Faktor, um nicht nur wirtschaftliche Umwegrentabilität zu erzeugen, sondern auch ein einheimisches kulturelles Leben zu stimulieren (vgl. OECD 2008). Viele Regionen werden erst attraktiv für Touristen über ihr besonderes kulturelles Angebot, das auch in der einheimischen Kultur verankert ist. In einer internationalen Studie der OECD wird der Trend zum Kreativtourismus prognostiziert, der darin bestehe, lokale Kulturinitiativen und Kreativunternehmen einer Region in die Entwicklung partizipativ angelegter, kulturtouristischer Angebote einzubinden, vor allem in Form solcher Angebote, die persönliche Begegnungen zwischen touristischen und einheimischen Besuchern ermöglichen (vgl. OECD 2014). Beispielhaft werden Angebote lokaler Kunstzentren und Künstler in Kooperation mit Gastronomen genannt, in denen zusammen Kultur erlebt, gemeinsam gekocht, und gegessen wird (OECD 2014: 65). Durch »kollaborative Konsumption« von Touristen und Bewohnern sollen die Tourismus- wie die Kreativwirtschaft und das lokale Kulturleben gefördert werden. Darüber hinaus könnte die Inwertsetzung neuer, kultureller Aktivitäten und Sehenswürdigkeiten dazu beitragen, die zunehmenden touristischen Besucherströme auf mehr als die wenigen Superlative zu verteilen, die schon jetzt große Probleme haben, die touristischen Besuchermassen zu bewältigen.
Z USAMMENFASSENDES F AZIT Kulturelles Sightseeing und Kulturbesuche im Kontext touristischen Reisens können nachhaltiges Interesse an Kunst und Kultur anregen, auch bei Menschen, die bislang zu den Nichtbesuchern kultureller Veranstaltungen gehören. Kulturelle und ästhetische Erfahrungen im touristischen Kontext müssten dafür so eindrücklich sein, dass sie zur weiteren Kommunikation und Reflektion darüber anregen, also kulturelle Bildungsprozesse ermöglicht werden. Kulturelle Bildung ist einerseits Resultat einer intensiven Beschäftigung mit Kunst und Kultur und andererseits Voraussetzung dafür, bestimmte Kulturformen überhaupt gewinnbringend rezipieren zu können. Kultureinrichtungen können die Reflexion und die weitere Beschäftigung mit dem Erfahrenen durch attraktive und relevante Vermittlung einschließlich vertiefender Informationsangebote, eventuell auch in Kommunikations-Verbundsystemen mit Institutionen an den Heimatorten der Touristen unterstützen. Voraussetzung dafür ist, dass Kultureinrichtungen touristische Kulturbesucher nicht nur als Konsumenten/Kunden, sondern als Rezipienten begreifen und sich für gelingende kulturelle Bildungsprozesse verantwortlich fühlen.
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Verantwortung übernehmen für kulturelle Bildungsprozesse ist auch eine Form nachhaltigen Handelns, das von touristischen Nachfragern zunehmend als wichtig für die Wahl ihrer touristischen Dienstleister betrachtet wird (vgl. Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen 2014). Nachhaltiges Handeln drückt sich nicht nur in ökologisch und sozial verträglichem Handeln an den Zielorten des Tourismus aus, sondern auch als Investition in kulturelle Bildung als gesellschaftlichem Wert. Die Anregung kultureller Bildungsprozesse könnte nicht nur Leitmaxime für den Umgang von Kultureinrichtungen mit ihren touristischen Besuchern sein, sondern auch handlungsleitend für (massen-)touristische Anbieter.
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Erlebnis reloaded – ein Rehabilitierungsversuch M ELANIE K ÖLLING
Sie hatten einen grandiosen Abend in der Oper. Zu Hause angekommen berichten Sie ihrer Familie von der überwältigenden Architektur des Opernhauses, vom märchenhaften Bühnenbild, den erstklassigen Sängern, den schmackhaften Snacks in der Pause. Die Beschreibung Ihres Opernerlebnisses konzentriert sich auf die äußeren Faktoren, die Sie vor Ort vorgefunden haben. Wovon Sie nicht berichten, ist von sich selbst. Wozu? Das zeigt ein Blick auf andere Besucher: Zu Tode gelangweilt schläft ein Besucher in der dritten Reihe ein. Einige Besucher verlassen aufgrund der modernen Inszenierung bereits nach einer halben Stunde die Oper. Der von Ihnen so geschätzte Opernabend wird von anderen Personen ganz anders wahrgenommen. Entgegen der im Alltag vorherrschenden Eindruckstheorie, wonach Erlebnisse primär durch externe Faktoren beeinflusst würden, ist es das Ziel des hier veröffentlichten Beitrags, die zentrale Stellung der erlebenden Person im Erlebniskonzept transparent zu machen. Dazu erfolgt zunächst eine Einführung in die Begriffsgeschichte. Aufbauend auf einer ausgewählten Erlebnisdefinition werden im Anschluss drei wichtige – das subjektive Erleben bestimmende – Merkmale ausführlich beschrieben: Individualität, Emotionalität und Erinnerbarkeit. Durch die Überführung dieser Merkmale in ein Erlebnis-Design, werden anschließend Einflussmöglichkeiten auf das subjektive Erleben aufgezeigt. Welche Konsequenzen sich aus diesem rehabilitierten Erlebnisbegriff für eine qualitätsvolle und zukunftsorientierte kulturtouristische Arbeit ableiten lassen, wird im Ausblick zusammenfassend dargestellt.
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B EGRIFFSGESCHICHTE Der Erlebnisbegriff ist, wie Sauerland (1972) in der Untersuchung Zur Wortund Entstehungsgeschichte des Begriffes Erlebnis feststellt, im Vergleich zu anderen Begriffen der deutschen Sprache noch sehr jung. Erstmals in der Ästhetik Hegels von 1838 belegt, erfährt der Erlebnisbegriff seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine kontinuierliche Bedeutungssteigerung. Sind für den plötzlichen Aufstieg des Erlebnisbegriffes viele Ursachen denkbar, so ist davon auszugehen, dass es insbesondere gewandelte gesellschaftliche Verhältnisse waren, die zu einer Popularisierung beitrugen. »Die Zunahme des Plötzlichen, Schockartigen, Diskontinuierlichen in der Industriegesellschaft ist, wie wir wissen, mit der Zunahme einerseits des Gleichförmigen im Alltag und anderseits der Vereinzelung des Individuums aufs engste verbunden.« (Ebd.: 97) Als ein aus dem Alltag herausragendes Geschehen steht das Erlebnis sinnbildlich für eine Zeit, in der plötzliche und schockartige Ereignisse stetig zunehmen. Gleichzeitig steht das Erlebnis für den Wunsch, aus dem durch Gleichförmigkeit geprägten Arbeitsalltag auszubrechen. So macht sich in der Industriegesellschaft ein »wahrer Erlebnishunger« (ebd.: 97) breit. Dieser Trend reißt im nachindustriellen Zeitalter jedoch nicht ab. Ganz im Gegenteil, der bereits der Industriegesellschaft attestierte Erlebnishunger setzt sich fort und mündet in einer Gesellschaft, die sich heute in großen Teilen als »Erlebnisgesellschaft« (Schulze 2005) charakterisieren lässt. So hat ein auf Zeit, Bildung und Geld bezogener Wohlstand zu einem Wandel der Lebensauffassungen geführt. Mit materiellen Gütern weitgehend versorgt, stellt sich für einen Großteil der Menschen heute die Frage nach neuen Lebenszielen (Opaschowski 1992: 81). Gemäß dem Motto »Erlebe dein Leben« (Schulze 2005: 58), wird unser Alltag von dem Wunsch nach vielen Glück versprechenden Erlebnissen dominiert. Im 19. Jahrhundert als Begriff etabliert, erleben wir in der Folge eines weiteren gesellschaftlichen Wandels im 21. Jahrhundert eine zweite Modewelle des Erlebnisbegriffes. Offenbar wird dies unter anderem in der inflationären Verwendung des Begriffes sowohl im alltäglichen Sprachgebrauch wie den Medien als auch als Forschungsgegenstand verschiedener Wissenschaftsdisziplinen. Der Bedeutung des Erlebnisses Rechnung tragend, gehen einige sogar noch weiter und versuchen die »Erlebniswissenschaft« (Frank 2011) als eigenständige Disziplin zu etablieren. Aus Sicht einiger Zukunftswissenschaftler wurde der Zenit der Erlebnisorientierung jedoch bereits überschritten. Unter dem Druck der Selbstverwirklichung wachse die Optionsvielfalt den Menschen zunehmend über den Kopf und man wende sich zunehmend der Sinnfrage des Lebens zu (Schuck-Wersig/Wer-
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sig 1996: 156). Die Rede ist von einem Übergang der Erlebnis- in eine Sinngesellschaft (Romeiß-Stracke 2005: 130). Ein Blick beispielsweise in den Veranstaltungsteil der Tageszeitung lässt jedoch vermuten, dass das Bedürfnis der Menschen nach Erlebnissen weiterhin ungebrochen ist. Vielmehr besteht heute ein Wunsch nach neuen Formen von sinnstiftenden Erlebnissen. Dies bedeutet jedoch keine Absage an die Erlebnisgesellschaft, sondern steht allein für deren Weiterentwicklung. Sich mit Erlebnissen zu beschäftigen ist damit nicht »Schnee von gestern«, sondern Gebot der Stunde, zumal die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Erlebnis noch in den Kinderschuhen steckt.
E RLEBNISDEFINITION Die Ausführungen Sauerlands (1972) zeigen, dass sich die Bedeutung des Erlebnisbegriffes innerhalb der Geschichte fortwährend weiterentwickelt hat. Wirft man einen Blick in aktuelle Lexika der deutschen Sprache, der Philosophie und Psychologie, fällt jedoch eine weitgehend übereinstimmende Definition des Begriffes auf. Folgende Erlebnisdefinition steht damit repräsentativ für eine Vielzahl ähnlicher Definitionen. »Erlebnis neutr., -ses, -se: Geschehnis, das jmd. erlebt hat und durch das er stark und bleibend beeindruckt wurde; ein schönes, großes, eindrucksvolles, beglückendes, phantastisches, nachhaltiges, nettes, außergewöhnliches Erlebnis.«1
Dieser Definition sind bereits wichtige Aussagen über Erlebnismerkmale zu entnehmen. Das Erlebnis als ein Geschehnis, das jemand erlebt hat, verweist sowohl auf eine erlebte Situation als auch auf ein erlebendes Subjekt. Es ist somit sowohl situations- als auch subjektbestimmt. Diese Aufspaltung zwischen erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt liefert auch den Grund, warum eine vollständige rationale Vermittlung des Phänomens im Sinne einer allgemeingültigen Erlebnistheorie nicht möglich ist und bisher in keiner der Wissenschaften geleistet wurde (Knecht 2011: 150). Die hier gewählte Erlebnisdefinition hat damit allein Vorschlagscharakter und erhebt nicht den Anspruch allumfassend und allgemeingültig zu sein. Definiert als ein Geschehen, durch das eine Person stark und bleibend beeindruckt wurde, grenzt sich das Erlebnis durch seine Bedeutsamkeit von alltäglichen Erfahrungen ab. Wichtig ist hierfür der Grad der inneren Beteiligung der
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Siehe www.dwds.de/?qu=erlebnis (letzter Abruf: 26.06.2016).
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erlebenden Person (stark beeindruckt) sowie die Erinnerbarkeit (bleibend beeindruckt) des Geschehnisses. Ersteres verweist auf die Emotion als wichtiges Merkmal von Erlebnissen, das sich ebenfalls in den zur Umschreibung des Erlebnisbegriffes verwendeten Adjektiven wie beglückend, fantastisch, nett und außergewöhnlich widerspiegelt. Ein Vergleich mit anderen Definitionen zeigt, dass mit dem Erlebnis sowohl positive als auch negative Emotionen verknüpft sein können.
D AS E RLEBNIS
ALS SUBJEKTBESTIMMTER
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Wie die vorangestellte Definition gezeigt hat, wird das Erlebnis sowohl durch eine Situation als auch durch ein Subjekt, die erlebende Person, beeinflusst. Diese Erkenntnis ist für das Verständnis von Erlebnissen zentral. Die Opernarchitektur, das Bühnenbild, die Kostüme – das einleitend beschriebene Opernbeispiel hat gezeigt, dass wenn wir im Alltag von Erlebnissen sprechen, wir uns in der Regel auf die Situation beziehen. Schulze (2005: 42 f.) spricht hier von der »Eindruckstheorie«. Sie begreift das Erlebnis als eine Erfahrung, die überwiegend durch äußere Faktoren beeinflusst wird. Dieser Theorie folgend, müsste die Situation als eine Art »Prägestempel« (ebd.: 42) für Erlebnisse fungieren. Die Besucher derselben Opernvorstellung müssten somit gleichermaßen beeindruckt oder enttäuscht aus dem Opernsaal gehen. Die Realität zeigt jedoch, dass trotz weitestgehend gleicher Rahmenbedingungen – Bühnenbild, Saal, Sitze etc. – ein Opernbesuch von den Besuchern in ganz unterschiedlicher Weise erlebt wird. Das Bild des Prägestempels ist zur Charakterisierung der Situation im Erlebniskonzept somit nicht geeignet. Besser geeignet ist das Bild eines »Katalysators« (ebd.), dessen Wirkung von der Substanz abhängt, die damit in Berührung kommt. Die Situation bietet einen Erlebnisanlass, der erst durch die Bewertung durch die erlebende Person das Potenzial hat zum Erlebnis zu werden. Mehr als in der Situation ist das Erlebnis somit im Subjekt selbst verankert. Die Situation, verstanden als Erlebnisanlass, hat also bestenfalls Vorschlagsrecht, während das Subjekt die ausführende Gewalt im Erlebnisprozess darstellt. Entgegen der im Alltag vorherrschenden Eindruckstheorie ist für das Verständnis von Erlebnissen somit insbesondere der subjektive Erlebnisprozess von Interesse. Dies berücksichtigt Schulze (ebd.: 43 ff.) in seiner »Erlebnistheorie der Verarbeitung«, in der Erlebnisse nicht vom Menschen empfangen, sondern von ihm gemacht werden. Abgeleitet aus der vorangestellten Erlebnisdefinition werden im Folgenden drei den subjektiven Erlebnisprozess charakterisierende Merkmale beschrieben. Welche Konsequen-
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zen sich hieraus für Anbieter von Erlebnisanlässen ableiten lassen, wird im Anschluss erläutert. Individualität als Erlebnismerkmal Betrachten wir das Erlebnis als subjektbestimmten Prozess, lässt sich zunächst feststellen, dass dieser durch zwei Systeme, das Bewusstsein und den Körper eines Menschen beeinflusst wird. Schulze spricht in diesem Zusammenhang auch vom Erlebnis als einen »psychophysischen Prozess« (Schulze 2005: 559). In der Beziehung von Körper und Bewusstsein hat der Körper die grundlegende Aufgabe, das Gehirn mit den Stoffen zu versorgen, die es braucht, um zu funktionieren. Als Brücke zur Welt liefert der Körper außerdem die von den Sinnesorganen wahrgenommenen Basisinformationen des Erlebnisses. Darüber hinaus hilft er, die im erlebenden Subjekt ablaufenden Prozesse als gefühlt zu begreifen. Ob jemandem etwas gefällt oder nicht, weiß der Mensch demnach umso genauer, je stärker die körperliche Reaktion auf eine Situation ist (ebd.: 105 ff.). Trotz unserer weitestgehend übereinstimmenden »Grundausstattung körperlicher Erlebnisfähigkeit« (ebd.: 106) bauen Menschen im Laufe der Zeit jedoch ganz unterschiedliche Reaktionsmuster auf. Wollen wir verstehen, warum Menschen auf Situationen – wie den Opernbesuch – ganz unterschiedlich reagieren, hilft uns die Betrachtung der körperlichen Komponente im Erlebnisprozess nur bedingt weiter. Wichtiger in Hinblick auf die unterschiedlichen Reaktionsmuster ist die individuelle Bewertung von Situationen durch das Bewusstsein. Ein Prozess, bei dem, wie folgende Ausführungen zeigen, insbesondere die Vorerfahrungen beziehungsweise das Vorwissen der erlebenden Person eine Rolle spielen. Geht es im Folgenden primär um die kognitive Komponente im Erlebnisprozess, gilt es zu berücksichtigen, dass immer beide Komponenten – Bewusstsein und Körper – eine Rolle spielen. So werden körperliche Reaktionen und kognitive Repräsentationen beim Erlebnis zu einer Einheit, aufgrund derer eine klare Trennung zwischen den beiden Systemen nicht möglich ist. Je nach Situation kann der Akzent mehr auf der körperlichen oder der kognitiven Komponente liegen (ebd.: 105 ff.). Wollen wir Erlebnisse besser verstehen, gilt es an dieser Stelle mit einem weiteren, weit verbreiteten Vorurteil aufzuräumen: »Menschen sind rationale Wesen. Sie können vernunftgesteuert handeln. Legt man nur alle relevanten Fakten auf den Tisch, können sie diese objektiv gegeneinander abwägen und entscheiden, was zu tun ist.« (Wehling 2016: 17) Mit dieser Vorstellung hinken wir, wie Wehling (ebd.) feststellt, den Erkenntnissen der Neuro- und Kognitionsforschung nicht nur hinterher, sie führt auch in die Irre, da sie in Bezug auf das
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menschliche Erleben nur eine Seite der Medaille beleuchtet. Demnach lässt sich der Prozess des Erlebens durch zwei einander entgegengesetzte Wirkrichtungen der Verarbeitung, der Buttom-up-Verarbeitung und Top-down-Verarbeitung, beschreiben. Bei der Buttom-up-Verarbeitung werden die von den Sinnesorgangen gelieferten Informationen auf Basis von Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten aufgrund ihrer Reizmerkmale verarbeitet. Anschließend – und das ist entscheidend – gleicht das Gehirn die eingehenden Sinnesreize in der Top-downVerarbeitung mit früheren Erfahrungen der erlebenden Person ab und erzeugt eine innere Repräsentation des Erlebten (Kandel 2012: 273). Diese Erkenntnisse der Kognitionspsychologie zur Top-down-Verarbeitung widerlegen die bisherige Vorstellung, dass das Gehirn alle notwendigen Informationen durch die Sinnesorgane erhält. Durch den Vergleich der von den Sinnesorganen gelieferten Informationen mit aus der Vergangenheit bekannten Erfahrungen entstehen bei der Top-down-Verarbeitung wichtige Zusatzinformationen. Die Bilder, die wir uns von unserer Welt machen, sind damit keine wirklichkeitsgetreuen Abbilder, sondern vielmehr kreative Schöpfungen unseres Gehirns (ebd.: 278). Dass die Interpretation ein wichtiger Bestandteil unseres Erlebens ist, lässt sich unter anderem an mehrdeutigen Figuren, wie der hier dargestellten Enten-KaninchenZeichnung, nachvollziehen (Abb. 1). Die visuelle Information der Abbildung ändert sich nicht, während sich unsere Interpretation derselben verändert. »Diese Auswahlmöglichkeiten beweisen, dass das, was in unser Bewusstsein kommt, offenbar nicht allein von der Reizsituation abhängt.« (Pöppel 1997: 75) Das hier an einem Beispiel der visuellen Wahrnehmung dargestellte Phänomen der kognitiven Bewertung von Informationen trifft in gleicher Weise auf alle anderen Sinneswahrnehmungen und die Emotionsentstehung zu. Abbildung 1: Enten-Kaninchen-Zeichnung von Psychologe Joseph Jastrow
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Mehr als die von den Sinnesorganen gelieferten Fakten sind es also Vorwissen und Vorerfahrungen, die unser Erleben prägen. Anders als die Verwendung des Begriffes im Alltag nahelegt, handelt es sich beim Erlebnis somit nicht um einen passiven, sondern einen aktiven und vor allem kreativen Prozess. Während die Buttom-up-Verarbeitung weitgehend von angeborenen Strukturen abhängt und bei den Menschen sehr ähnlich ist, ist die Top-downVerarbeitung durch unterschiedlich gespeichertes Wissen individuell verschieden. Abhängig von den Erfahrungen, die ein Mensch während eines Lebens macht »entwickelt sich ein individueller semantischer Kosmos, in dem die Erlebnisqualität der Dinge in singulärer Weise definiert ist« (Schulze 2005: 107). So wie kein Lebenslauf dem anderen gleicht, sind in der Folge auch die Erlebnisse von Menschen individuell ganz verschieden. Es bleibt festzuhalten, dass im unterschiedlichen Erfahrungsschatz der Menschen die Individualität als wichtiges Merkmal von Erlebnissen begründet liegt. Emotionalität als Erlebnismerkmal Die Beschreibung des Erlebnisses als psychophysischer Prozess führt zu einer synonymen Verwendung der Begriffe Erlebnis und Erleben. Obwohl eine kategoriale Unterscheidung dieser beiden Begriffe nicht sinnvoll ist, lässt sich dennoch ein Merkmal bestimmen, das nur für den Erlebnisbegriff gilt. So zeichnet sich das Erlebnis durch eine »Herausgehobenheit [...] aus der Kontinuität des dahinfließenden Lebens« (Hasse 2005: 160 f.) aus. Wäre dies nicht der Fall, könnte man nicht von einem bestimmten Erlebnis mit einem Anfang und Ende sprechen. Im Gegensatz zu alltäglichen Erfahrungen werden Erlebnisse von uns also als besonders eindrücklich erlebt. Indikatoren dieser Eindrücklichkeit sind, neben der im folgenden Kapitel beschriebenen Erinnerbarkeit, die mit dem Erleben einhergehende Emotion. Im Erlebnis drückt sich »ein starkes Moment emotionaler Teilhabe am Geschehen des Lebens aus« (ebd.: 151). Dabei muss es sich nicht zwingend um positive, es kann sich auch um negative Emotionen handeln. Was uns wie berührt kann abhängig von unseren Vorerfahrungen ganz unterschiedlich sein. Ein bellender Hund kann bei der einen Person beispielsweise Angst und bei einer anderen Person Mitgefühl auslösen. Im Laufe der Zeit entwickelte emotionale Schemata sorgen dafür, dass auftretende Gefühle von uns häufig als spontan und unwillkürlich wahrgenommen werden (Reisenzein/Meyer/Schützwohl 2003: 167 f.). Charakteristisch für den subjektiven Erlebnisprozess ist jedoch nicht die Art der Emotion, sondern die überdurchschnittliche Intensität der Emotionen, die wir wahrnehmen. Sie kennzeichnen das Erlebnis als etwas Besonderes und können
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sich uns sowohl verbal, durch Lachen oder Schreien, als auch nonverbal, durch Gänsehaut, erhöhten Herzschlag oder beispielsweise der Körperhaltung, mitteilen (ebd.: 109). Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der informationalen Funktion von Emotionen. Indem sich Gefühle verbal wie nonverbal äußern, beeinflussen Sie auch das Erleben Dritter. Von anderen Personen wahrgenommen, sind sie aufgrund der Fähigkeit der Menschen zur Empathie in der Lage, einen dem erlebenden Subjekt vergleichbaren psychischen Zustand hervorzubringen (Kandel 2012: 457). Weiterhin wird davon ausgegangen, dass sich Emotionen auf unser Handeln auswirken. »Ein emotionaler Reiz kann positiv und belohnend, negativ und bestrafend oder etwas dazwischen sein. Positive emotionale Reize erzeugen Gefühle des Glücks und des Wohlbefindens; sie wecken in uns das Bedürfnis, ihnen näherzukommen, damit sie uns noch mehr stimulieren.« (Reisenzein/Meyer/Schützwohl 2003: 109) Durch ihre motivationale Funktion haben Emotionen damit einen direkten Einfluss auf unser Verhalten. Ob wir uns einem Geschehen, das das Potenzial hat zum Erlebnis zu werden, aussetzen, hängt damit ganz entscheidend von den Emotionen ab, die es bei uns auslöst. So können wir uns zwar einreden, dass es zum guten Ton gehört, drei Mal im Jahr eine Opernvorstellung zu besuchen. Wenn uns diese nicht emotional anspricht, wird dieser Besuch sicher nicht zum Erlebnis. Im Vordergrund steht auch hier der Grad der inneren Beteiligung und nicht die Art der ausgelösten Emotion. So können die emotionalen Reize beispielsweise vom Kinobesucher eines Dramas im angestrebten Sinne als positiv erlebt werden, auch wenn der Film bei ihm Trauer auslöst. Indem Emotionen unsere Handlungen steuern, haben sie eine selektive Wirkung auf den Erlebnisprozess und werden in der Folge zum übergeordneten Leitprinzip von Erlebnissen (Frank 2011: 23). Erinnerbarkeit als Erlebnismerkmal Erlebnisse sind im Vergleich zu alltäglichen Geschehnissen besonders emotional besetzt. Dies hat Einfluss auf die Erinnerbarkeit von Informationen. So ist nachgewiesen, dass Informationen, abhängig von der Intensität der Aufnahme, unterschiedlich lang anhaltend gespeichert werden. Grundsätzlich gilt, je emotionaler der Bestandteil einer Erinnerung ist, desto besser bleibt dieser im Gedächtnis erhalten. Verantwortlich dafür ist die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin, das Erfahrungen und Emotionen verknüpft (Heinzel 2011: 89 ff.). Darüber hinaus wird eine dauerhafte Speicherung von Informationen durch Reflexion, also eine gedankliche oder verbale Wiederholung des Erlebten, begünstigt. Obwohl Erwachsene im Gegensatz zu Kindern zur Selbstreflexion fä-
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hig sind, gelingt auch ihnen die Aneignung von Informationen besser in der Kommunikation mit Anderen (Schulze 2005: 45). Dies zeigt sich auch in dem Wunsch vieler nach einem gemeinschaftlichen Kulturbesuch – auch dort, wo jeder für sich bleibt. So geht es beim gemeinsamen Opernbesuch weniger darum, nicht allein im Saal Platz zu nehmen, sondern um die Möglichkeit, sich in der Pause oder nach Ende der Veranstaltung über das Gesehene auszutauschen. Der Wunsch, sich Dritten mitzuteilen ist, wie eigene Erfahrungen zeigen, umso dringender, umso mehr man von einem Geschehen berührt wurde. Man könnte denken, dass es bei einem solchen Gespräch im Anschluss einer Veranstaltung primär um den Austausch von Meinungen ginge. Oft handelt es sich hierbei jedoch um die Gleichzeitigkeit verschiedener Reflexionsvorgänge (ebd.: 46). Starke emotionale Erregung und anschließende Reflexion, führen also dazu, dass Erlebnisse, im Gegensatz zu alltäglichen Erfahrungen, längere Zeit erinnerbar sind.
G ESTALTUNG VON E RLEBNISANLÄSSEN Erlebnisse sind individuell, emotional und erinnerbar. Dabei wurde das Erlebnis bisher als ein Prozess interpretiert, der primär durch die erlebende Person beeinflusst wird. Infolge der Subjektbestimmtheit bleibt das Erlebnis einem Zugriff von außen verschlossen, wodurch Erlebnisse immer durch eine gewisse Unwillkürlichkeit charakterisiert sind. Dass Erlebnisanbieter in ihrem Versuch, Erlebnisse zu gestalten, dennoch nicht machtlos sind, zeigen folgende Überlegungen zu einem Erlebnis-Design. Ideen für ein Erlebnis-Design Bemühen wir an dieser Stelle ein Beispiel aus dem Freizeitbereich und stellen wir uns den Spa-Bereich eines beliebigen Hotels vor, in der Mitte ein Pool. Der Badegast steht am Rand eines Schwimmbeckens. Ob der Badegast den Pool besteigt und wie er den Weg zwischen Ein- und Ausstieg im Swimmingpool zurücklegt, bestimmt allein er selbst: ob Brust oder Kraul, schnell oder langsam, zickzack oder geradeaus. Schaut man sich das Geschehen jedoch genauer an, lassen sich anhand der vom Badegast vorgefundenen Bedingungen schlüssige Vorhersagen zum Verhalten des Badegastes formulieren. Stellen wir uns beispielsweise vor, die Wassertemperatur des Pools wurde von den Betreibern auf 10° Celsius eingestellt. Dies wird die Entscheidung der Badegäste, ob sie in den Pool springen, wie viel Zeit sie in ihm verbringen und wie schnell sie sich darin bewegen, maßgeblich beeinflussen. Neben den offen ausgesprochenen Regeln in den Spa-Räumlichkeiten,
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wie beispielsweise zum Nacktschwimmen und Randspringen, haben solche häufig nur unterbewusst wahrgenommenen technischen und gestalterischen Entscheidungen einen enormen Einfluss auf das Erlebnis der Badegäste (Hanak-Lettner 2011: 132 ff.). Dieses Beispiel zeigt, dass es kein Gewinn ist in Bezug auf das Erlebnis von einer situationslastigen zu einer subjektlastigen Theorie zu wechseln und die Situation in ihrer Bedeutung für das Erlebnis zu negieren. Trotz der prägenden Rolle des Subjektes ist es letztlich nicht allein die erlebende Person, sondern auch die Situation, die für das Erlebnis eine wichtige Rolle spielt. Dennoch gilt: Wer den Versuch unternimmt, Erlebnisse Dritter zu gestalten, gestaltet genau genommen nie die Erlebnisse, sondern immer nur »die Wirklichkeiten, in denen die Erlebnisse stattfinden« (Frank 2011: 69). Um Erlebnisse zu beeinflussen, bleibt allein der Versuch, die Situation, verstanden als Erlebnisanlass, bestmöglich zu planen. Da hierfür jedoch allein Mittel zur Verfügung stehen, die zwangsläufig außerhalb des erlebenden Subjektes bleiben, ist die Gestaltung von Erlebnissen immer von einem gewissen »Enttäuschungsrisiko« (Schulze 2005: 46) bedroht. Eine Garantie für Erlebnisse oder ein allgemeingültiges Erlebnisrezept kann es aufgrund der Subjektbestimmtheit nicht geben. Anders als häufig suggeriert, handelt es sich beim Versuch, Erlebnisse zu gestalten damit um eine hochkomplexe Aufgabe. Der Rückgriff auf vermeintliche Patentrezepte oder die Adaption von Erfolg versprechenden Konzepten wie beispielsweise von Freizeitparks sind hier wenig hilfreich. So setzt die Gestaltung von Erlebnisanlässen »ein geeignetes Bild voraus, das uns den Zusammenhang zwischen dem Ort unseres Eingriffs, also der Wirklichkeit und unserem [...] Zielbereich, dem menschlichen Erleben, möglichst klar darlegt« (Frank 2011: 70). Für die Anbieter von Erlebnisanlässen bedeutet dies, sich die Erlebnisqualitäten des eignen Produktes bewusst zu machen und gezielt einzusetzen. Voraussetzung hierfür ist die Kenntnis und Übertragung des beschriebenen subjektiven Erlebnisprozesses auf den spezifischen Erlebnisanlass. Mit dem im Folgenden beschriebenen Erlebnis-Design wird von der Autorin ein erster Ansatz für die Analyse von Erlebnisqualitäten entwickelt. Beim Erlebnis-Design handelt es sich um einen ersten Versuch, die den subjektiven Erlebnisprozess charakterisierenden Merkmale – Individualität, Emotionalität und Erinnerbarkeit – auf die Situation zu übertragen und dadurch für die Praxis nutzbar zu machen. Der Design-Begriff bezieht sich dabei auf alle Komponenten einer zu gestaltenden Situation und darf nicht als Aspekt, der sich allein auf die optischen Merkmale einer Situation bezieht, missverstanden werden. Das Erlebnis-Design ist gegliedert in drei Komponenten: das Bedürfnis-, Emotions- und Reflexions-Design. Zu beachten ist, dass die beschriebenen Design-Komponenten vom Besucher als Einheit wahrgenommen werden. Aufgrund dessen ist es
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wichtig, die hier einzeln beschriebenen Komponenten in der Praxis in ein ganzheitliches Erlebnis-Design zu überführen und die einzelnen Aspekte aufeinander abzustimmen. Dies gilt unter anderem auch deswegen, da die drei DesignKomponenten, wie folgende Ausführungen zeigen, stark miteinander vernetzt sind und in ihrem Wirkungszusammenhang interagieren. Eine getrennte Betrachtung ist daher nur in der Theorie, nicht jedoch in der Praxis, möglich. Bedürfnis-Design In Anlehnung an die Definition Schulzes (2005) wurde das Erlebnis als ein vorwissensbasierter, psychophysischer Prozess beschrieben. Zusammenfassend wurde hieraus die Individualität als wichtiges Merkmal von Erlebnissen abgeleitet. Die Individualität zeigt sich in der Situation darin, dass verschiedene Personen unterschiedliche Bedürfnisse an eine Situation stellen. Ein Bedürfnis »kann als Zustand oder Erleben eines Mangels, verbunden mit dem Wunsch ihn zu beheben, definiert werden« (Wirtz 2013: 246). Aus den beiden das Subjekt konstituierenden Systemen lassen sich sowohl körperliche als auch geistige Bedürfnisse an eine Situation ableiten. In Anlehnung an die Maslowsche Bedürfnispyramide können körperliche und geistige Bedürfnisse in ein Hierarchieverhältnis gestellt werden. Die physiologischen Bedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlafen und Atmen stehen als Grundbedürfnisse am Fuß der Pyramide. Als sogenannte Mangelbedürfnisse sind sie überlebensnotwendig und drängen auf eine schnelle Bedürfnisbefriedigung. Erst wenn die körperlichen Bedürfnisse befriedigt wurden, können weitere Bedürfnisse nach Sicherheit, Bindung, Selbstachtung und Selbstverwirklichung in den Vordergrund treten. Die mit dem Erlebnis verbundenen geistigen Bedürfnisse lassen sich der höchsten Ebene der Bedürfnisse, den Selbstverwirklichungs- bzw. Wachstumsbedürfnissen, zuordnen. Anders als die Mangelbedürfnisse werden bei den Wachstumsbedürfnissen durch die Befriedigung nicht Spannungen abgebaut, sondern Spannungen aufgebaut. Ist der Besucher beispielsweise auf der Suche nach Bildungserlebnissen, kann der Erlebnisanlass Gelegenheiten für einen Wissenserwerb liefern. Es werden also Spannungen aufgebaut, die jedoch, ähnlich wie die Spannungsreduktion bei den Mangelbedürfnissen, positiv erlebt werden (Galliker 2009: 196). Eine Situation, die auf Erlebnisse abzielt, muss also sowohl körperliche als auch geistige Bedürfnisse berücksichtigen. Körperliche Bedürfnisse sind durch eine Reduktion des Mangels zu befriedigen. Geistige Bedürfnisse werden durch einen Spannungsaufbau erfüllt. Die Bedürfnisbefriedigung schafft die Grundlage für ein individuelles Erlebnis. Damit wird die Bedürfnisbefriedi-
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gung im Wettlauf konkurrierender Erlebnisanbieter zu einem wichtigen Erfolgsfaktor (Frank 2011: 251). Für die Praxis der Erlebnisanbieter bedeutet dies den Erlebnisanlass hinsichtlich körperlicher und geistiger Bedürfnisse zu hinterfragen. Sieht man von den spezifischen körperlichen Bedürfnissen vereinzelter Besuchergruppen wie von Kindern oder körperlich beeinträchtigten Personen ab, sind die körperlichen Bedürfnisse aufgrund ähnlicher Voraussetzungen weitestgehend identisch. So gilt es beispielsweise den Besuchern ausreichend Erholungsmöglichkeiten zu bieten, Speisen- und Getränkeangebote zur Verfügung zu stellen und für ein angenehmes Raumklima zu sorgen. Wie die Ausführungen zur Bedürfnispyramide gezeigt haben, ist die Befriedigung dieser körperlichen Grundbedürfnisse Voraussetzung für die Befriedigung der geistigen Bedürfnisse. Dadurch erhalten Serviceangebote eine zentrale Stellung bei der Konzeption von Erlebnisanlässen und sollten von Anbietern in ihrer Wirkung nicht unterschätzt werden. Schwieriger wird es bei der Befriedigung der geistigen Bedürfnisse. Diese sind, wie die Besucherforschung gezeigt hat, sehr heterogen. Erschwerend kommt hinzu, dass die von den Besuchern präferierten Erlebnisdimensionen einer ständigen Veränderung unterliegen (Falk/Dierking 2013: 63). »[Visitors, Anm. der Verf.] can welcome excitement, amusement, and diversion at one point and in another moment be reflective or relish the aesthetic pleasure of viewing a rare work of art.« (Kotler/Kotler 1998: 34) Um gezielt auf die Wünsche verschiedener Besuchergruppen eingehen zu können, hat sich in den letzten Jahrzehnten das Schaffen von zielgruppenorientierten Angeboten durchgesetzt. Durch eine Differenzierung von Zielbestimmungen, Inhaltsauswahl und Methodengestaltungen können Angebote auf die Bedürfnisse einzelner Zielgruppen zugeschnitten werden (Kaiser 2006: 54 ff.). Diese Methode der Differenzierung von Angeboten ist jedoch nicht unumstritten. So geben Medienwissenschaftler zu bedenken, dass nutzerspezifische Angebote ein eindimensionales Denken fördern, indem sie auf bestehenden Kenntnissen und Erfahrungen aufbauen und bestehende Präferenzen bestätigen und verstärken (Paal/Hennemann 2016). Insbesondere Kulturangebote sollten hier einen anderen Ansatz verfolgen und den Blick über den Tellerrand ermöglichen. Den verschiedenen geistigen Bedürfnissen bei der Gestaltung von Erlebnisanlässen Rechnungen zu tragen bleibt also auch in Zukunft eine komplexe Aufgabe, die abhängig vom eigenen Produkt, der Zielgruppe und dem Vermittlungsziel immer wieder neu zu diskutieren ist. Das Bedürfnis-Design stellt durch die Berücksichtigung der körperlichen und geistigen Bedürfnisse Individualität in der Situation her.
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Emotions-Design Emotionen sind nicht alles, aber ohne Emotionen ist alles nichts – gilt dies möglicherweise für unser Leben generell, so gilt es auf jeden Fall für das Erlebnis. Als Motivator treiben Emotionen das Erlebnis der erlebenden Person sowie anderer am Geschehen beteiligter Personen voran und sind für eine langfristige Speicherung des Erlebten verantwortlich. Für die praktische Arbeit von Erlebnisanbietern resultiert daraus eine klare Aufgabenstellung: »Wer Erlebnisse gestaltet, adressiert primär an die Emotionen der Erlebenden.« (Frank 2011: 162) Definiert als »Reaktionen auf externe [...] Stimuli« (Viehöver 2006: 43) lassen sich Emotionen durch die Gestaltung von Erlebnisanlässen beeinflussen. Angelehnt an die Emotionstheorie von Ortony und anderen (Reisenzein/Meyer/Schützwohl 2003: 136 ff.) können Emotionen durch Objekte, Handlungen und Ereignisse ausgelöst werden. Abhängig vom spezifischen Erlebnisanlass lassen sich hieraus verschiedene emotionsauslösende Reize ableiten, die das Erleben positiv beeinflussen. Die Analyse von den Besucher beeinflussenden Objekten, Handlungen und Ereignissen ist damit ein wichtiger Schritt der Erlebnisanbieter, um sich die emotionalen Qualitäten des eigenen Angebots bewusst zu machen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass Ortony (Reisenzein/Meyer/Schützwohl 2003: 137) zu den Objekten neben nichtbelebten Dingen, wie Raum und Inneneinrichtung, auch Personen zählt. So sind die Macher von Erlebnisanlässen häufig selbst nur als Urheber in Form ihrer Ideen, nicht jedoch physisch anwesend – in einer Ausstellung ist beispielsweise nicht der Kurator oder Ausstellungsgestalter, sondern das Servicepersonal und die Aufsicht anzutreffen. Durch ihre Ausstrahlung – gut oder schlechtgelaunt, aktiv oder gelangweilt – und die von ihnen wahrgenommenen Aufgaben – bewachen oder informieren – haben die physisch anwesenden Mitarbeiter einen erheblichen Einfluss auf die Emotionen der Besucher und spielen bei der Konzeption von Erlebnisanlässen eine wichtige Rolle. Der bereits an vielen Stellen geforderte Wunsch, die Mitarbeiter mit Kundenkontakt ausreichend zu schulen und zu motivieren, kann in Hinblick auf die Gestaltung von Erlebnisanlässen damit nur bekräftigt werden. Wird bei der Gestaltung von Erlebnisanlässen häufig auf die physischen Komponenten abgehoben, ist zu berücksichtigen, dass für ein emotionales Setting auch andere Faktoren von Belang sind. So spielen, neben den Objekten für Erlebnisse, auch Handlungen und Ereignisse eine wichtige Rolle. Durch Handlungen erhält der Besucher die Möglichkeit der aktiven Mitgestaltung – er wird vom stillschweigenden Beobachter zum aktiven Beteiligten. Während der Mensch nur 20 Prozent von dem behält was er hört, ist die Erinnerungsleistung
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bei Dingen, die er selbst ausführt, mit 90 Prozent deutlich höher (Witzenbacher in Mayer 1995: 121). Damit tragen Handlungen zu einer Intensivierung von Erlebnissen bei und sollten bei der Konzeption von Erlebnisanlässen Berücksichtigung finden. Dabei ist darauf zu achten, dass sich partizipative Angebote nicht im Hands-on erschöpfen, sondern zu tatsächlichen Handlungen anregen. Ereignisse wie Überraschungen, Imaginationen und Erinnerungen können das emotionale Erleben zusätzlich bereichern und bieten außerdem eine Alternative um einen Erlebnisanlass zu gliedern beziehungsweise zu konzipieren. Anstatt zu fragen, welche Geschichte den Besuchern erzählt werden soll, könnte am Beginn einer Erlebniskonzeption auch die Frage stehen, welche Ereignisse den Besuchern ermöglicht werden sollen. Das Emotions-Design trägt durch Objekte, Handlungen und Ereignisse zur Emotionalität von Situationen bei. Reflexions-Design Erlebnisse sind individuell und emotional. Darüber hinaus sind sie im Gegensatz zu alltäglichen Informationen länger erinnerbar. Erinnerbar ist ein Geschehen, in dem es längerfristig im Gedächtnis der erlebenden Person abgespeichert wird. Für eine langfristige Abspeicherung ist vor allem die mit der Information verknüpfte Emotion entscheidend. Möglichkeiten der Einflussnahme auf das emotionale Erleben wurden im vorigen Abschnitt dargestellt. Wie gezeigt werden konnte, spielt für die Erinnerbarkeit neben der emotionalen Erregung auch die Reflexion eine wichtige Rolle. Die Reflexion gibt die Möglichkeit, das Geschehen zu verarbeiten. Es ist der Versuch der erlebenden Person, seiner selbst habhaft zu werden (Schulze 2005: 45). Dies ist ganz unabhängig von der Form – so können Geschehnisse verarbeitet werden, indem wir uns an diese erinnern, von ihnen erzählen, sie interpretieren oder bewerten. Dabei wurde bereits darauf hingewiesen, dass, obwohl Erwachsene im Gegensatz zu Kindern zur Selbstreflexion fähig sind, auch ihnen die Aneignung von Informationen besser in der Kommunikation mit Anderen gelingt. »Der Wunsch nach Gemeinsamkeit auch bei Erlebnisprojekten, wo jeder für sich bleibt, etwa im Kino, zielt meist nicht auf die Herstellung von Intersubjektivität, sondern auf eine Erleichterung der Aneignung durch die Anwesenheit von anderen.« (Ebd.) Damit kommt der Erzählung eine besondere Bedeutung bei der Reflexion von Geschehnissen zu. Die gedankliche oder verbale Wiederholung des Erlebten begünstigt eine dauerhafte Speicherung von Informationen im
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Gedächtnis. Indem das Reflexion-Design Anlässe zur gedanklichen und verbalen Wiederholung des Erlebten schafft, leistet das Erlebnis-Design einen weiteren Beitrag zum Erlebnis. Insbesondere die Erzählung wurde als eine geeignete Form der Reflexion beschrieben. Das Stiften von Gemeinschaft, als Voraussetzung für einen kommunikativen Austausch, ist damit für das Gestalten von Erlebnisanlässen besonders wichtig. Der Vorstellung sind hier in der Praxis keine Grenzen gesetzt. So hat beispielsweise die Stadt Ulm eine Mitgehbörse ins Leben gerufen. Kulturinteressierte haben hier die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu finden und Kultur gemeinsam zu erleben.2 »Dialog mit der Zeit« ist eine Ausstellung zum Thema Altern, bei der ein Besuch nur zusammen mit sogenannten Senioren-Guides möglich ist. Diese berichten von ihren eigenen Erfahrungen im Altern und tauschen sich im Dialograum mit den Besuchern aus.3 Der gemeinschaftliche Austausch wird hier nicht im Sinne eines Add-on verstanden, sondern liegt der Ausstellung als Konzept zugrunde. Die Erzählung ist jedoch nur eine mögliche Form der Reflexion. So können auch Bewertungsmöglichkeiten und weiterführende Materialien von Erlebnisanbietern angeboten werden. Auch diese bieten die Möglichkeit, das Erlebte zu wiederholen und zu vertiefen. Für viele Besucher ist es außerdem wichtig, als Erinnerung an das Erlebte ein Andenken mitzunehmen. Zu Hause aufbewahrt, können solche Souvenirs als Objektivierung des Erlebten zur Reflexion anregen. Damit die Andenken nicht nach wenigen Tagen entsorgt werden, ist eine hohe Qualität und eine inhaltliche Anbindung wichtig (Weaver 2007: 128). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass persönliche Andenken länger aufbewahrt und als Gegenstand von Reflexion damit besonders gut geeignet sind. So können neben kostenpflichtigen Merchandise-Artikeln im ReflexionsDesign auch kostenlose Andenken wie beispielsweise Fotos eine wichtige Rolle spielen. Mit gemeinschaftsstiftenden Angeboten, Bewertungsmöglichkeiten, weiterführenden Materialien und Souvenirs wurden vier Möglichkeiten beschrieben, die Reflexion im Rahmen von Erlebnisanlässen zu beeinflussen. Diese werden von Erlebnisanbietern häufig als Zusatzangebote angesehen. Indem die Angebote zur Erinnerbarkeit von Erlebnissen beitragen, spielen sie im Konzept des Besuchererlebnisses jedoch eine wichtige Rolle und sollten als integraler Bestandteil der Planung von Erlebnisanlässen begriffen werden. Vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen Erlebnisanlässe gilt es kreativ zu sein und eigene Ideen für ein Reflexions-Design zu entwickeln.
2
Siehe www.mitgehboerse-ulm.de (letzter Abruf: 26.06.2016).
3
Siehe www.dialog-mit-der-zeit.de (letzter Abruf: 13.08.2015).
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Das Reflexions-Design trägt, indem es Anlässe zur gedanklichen und verbalen Wiederholung des Erlebten schafft, zur Erinnerbarkeit von Situationen bei.
F AZIT Der Beitrag hat aufgeräumt mit dem Missverständnis, dass Erlebnisse • maßgeblich durch äußere Faktoren bestimmt würden, • oberflächlich und flüchtig seien und • es für sie das eine Patentrezept gäbe. Diesem Verständnis hat der vorliegende Beitrag ein differenzierteres Bild entgegengesetzt, wonach Erlebnisse sowohl vom erlebenden Subjekt als auch der Situation beeinflusst werden. Die Situation bietet einen Erlebnisanlass, der jedoch erst durch die Verarbeitung im Subjekt sein Potenzial entfalten kann. Aufgrund des dominierenden Einflusses des Subjektes ist das Erlebnis immer durch eine gewisse Unwillkürlichkeit geprägt. Ein allgemeingültiges Erlebnisrezept kann es deswegen nicht geben. Für den subjektbestimmten Erlebnisprozess sind die drei Merkmale – Individualität, Emotionalität und Erinnerbarkeit – charakteristisch. Das im vierten Kapitel beschriebene Erlebnis-Design ist ein erster Versuch, diese Merkmale auf die Situation zu übertragen und dadurch für die Praxis nutzbar zu machen. Das Erlebnis-Design besteht aus drei Komponenten, dem Bedürfnis-, Emotions- und Reflexions-Design. Diese Komponenten bedingen sich gegenseitig und bauen aufeinander auf. Ein durch Ganzheitlichkeit charakterisiertes Erlebnis-Design berücksichtigt deswegen alle drei Komponenten. Das Erlebnis-Design liefert die Grundlage für eine Analyse beliebiger Erlebnisanlässe. So können auf diesem aufbauend die auf den Besucher wirkenden Reize transparent gemacht werden. Hieraus lassen sich wiederum schlüssige Annahmen für die Gestaltung von Erlebnisanlässen ableiten.
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Abbildung 2: Grafische Darstellung des Erlebnis-Designs einer musealen Ausstellung
Kölling 2015: 63
Exemplarisch sind hier die Ergebnisse einer auf Grundlage des Erlebnis-Designs durchgeführten Analyse musealer Ausstellungen dargestellt (Abb. 2). Durch eine Beschreibung der drei Design-Komponenten konnten die verschiedenen Aspekte, die das Besuchererlebnis in der Ausstellung beeinflussen, transparent gemacht werden. Die stichwortartige Zusammenfassung ergibt eine Palette vielfältiger Aspekte, die bei der Gestaltung dieses Erlebnisanlasses berücksichtigt werden sollten. Durch die Übertragung dieser Aspekte in einen Fragenkatalog konnte darüber hinaus ein für den Erlebnisanlass spezifisches Instrument zur Planung und Qualitätskontrolle abgeleitet werden. Ausgehend von dem in diesem Beitrag beschriebenen Erlebnis-Design ergeben sich für Anbieter von Erlebnisanlässen damit eine Vielzahl von Möglichkeiten das eigene Produkt zu analysieren, zu überprüfen und zu verbessern.
AUSBLICK Welche Konsequenzen lassen sich aus dem rehabilitierten Erlebnisbegriff nun für eine qualitätsvolle und zukunftsorientierte kulturtouristische Arbeit ableiten? Zunächst ergeben sich aus dem Gesagten drei Leitprinzipien, die auch für die kulturtouristische Praxis maßgebend sein sollten:
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• Konsequente Besucherorientierung: Im Sinne einer besucherorientierten Denkweise gilt es, sich von der Vorstellung eines allgemeingültigen Erlebnisrezeptes zu verabschieden und die heterogenen Bedürfnisse der Besucher anzuerkennen. Als grundsätzliche Haltung sollte der Arbeitsalltag aller Mitarbeiter und Führungskräfte von einer besucherorientierten Denkweise bestimmt sein. • Ganzheitliche Denkweise: Die vielen das Erlebnis beeinflussenden Aspekte zu einem Gesamterlebnis zusammenzuführen erfordert eine ganzheitliche Denkweise. Neben dem Blick für das Detail braucht es für das Gestalten von Erlebnisanlässen vor allem auch einen Blick für das Ganze. • Strategische Denkweise: Erfolg hat nicht der Erlebnisanbieter, der – einmal die Einflussfaktoren analysiert – versucht diese vollumfänglich einzusetzen. In Hinblick auf den spezifischen Anlass ist der Erlebnisanbieter erfolgreich, der am besten versteht, eine geeignete Auswahl an Optionen zu treffen und die damit verbundenen Aspekte strategisch aufeinander abzustimmen. Neben diesen Leitprinzipien lassen sich aus den Überlegungen zum Erlebnis auch einige Leitthemen ableiten, die es im Sinne einer zukunftsorientierten kulturtouristischen Arbeit zu diskutieren und zu fördern gilt: • Servicequalität: Die Ausführungen haben gezeigt, dass für das Erlebnis Ser-
viceangebote und Servicepersonal eine große Rolle spielen. Hier besteht nach wie vor Nachholbedarf, und es sollte ein Anliegen von Anbietern kulturtouristischer Angebote sein sich hier kontinuierlich weiterzuentwickeln. Inwieweit Zertifizierungsverfahren wie Service Q als Hilfestellung zur Analyse und Verbesserung von Serviceketten auch für kulturtouristische Angebote geeignet sind, ließe sich diskutieren. • Bedürfnisorientierung: Erlebnisse sind individuell ganz verschieden. Für viele nach wie vor eine unbekannte Blackbox, sollten Anbieter darum bemüht sein, sich zukünftig verstärkt mit den körperlichen und geistigen Bedürfnissen ihrer Besucher auseinanderzusetzen. Wie sich nutzerspezifische Angebote schaffen lassen, die diese zwar berücksichtigen, sich aber nicht auf sie beschränken, sollte Gegenstand zukünftiger Diskussionen sein. • Emotional turn: Die Emotionen wurden als der Dreh- und Angelpunkt im Erlebniskonzept beschrieben. Ist hier und da bereits vom »emotional turn« in der Kultur die Rede, gilt es diesem Thema zukünftig noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Um hier nicht dem Freizeitpark-Effekt aufzusetzen, sollte bei der Gestaltung von kulturtouristischen Angeboten von einem ganzheitlichen Bild von Emotionen ausgegangen werden. Eine Übertragung von emoti-
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onspsychologischen Erkenntnissen auf kulturtouristische Fragestellungen steht dabei noch aus. • Nachhaltigkeit: Erlebnisse zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu alltäglichen Erfahrungen erinnerbar und damit nachhaltig sind. Dies gilt es seitens kulturtouristischer Akteure zu verinnerlichen und sich verstärkt mit der Nachhaltigkeit ihrer Angebote zu beschäftigen. Dies ist unter anderem auch deswegen unumgänglich, da sich, wie die Ausführungen zur Begriffsgeschichte gezeigt hat, nach und nach ein verändertes Verständnis von sinnstiftenden Erlebnissen durchsetzt. Die skizzierten Leitprinzipien und -themen geben einen Ausblick für eine qualitätsvolle und zukunftsorientierte kulturtouristische Arbeit. Mit der Aussicht auf glückliche und wiederkehrende Besucher sollte es ein Anliegen der Anbieter von kulturtouristischen Angeboten sein, diese Prinzipien und Themen in ihrer Arbeit zu berücksichtigen.
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Edutainment – Verrat an Bildung und Kultur? A RMIN K LEIN
Der langjährige Intendant der Bayerischen Staatsoper, Sir Peter Jonas, erklärte vor ein paar Jahren in einem Interview die unterschiedlichen Sichtweisen auf Kunst und Kultur in verschiedenen Ländern: »In einem Land wie England muss Kunst Entertainment sein, sie muss ein gesellschaftliches Ereignis sein. In Frankreich muss sie eine gewisse Kulinarik haben, eine Pompösität und ein bisschen Grandezza. In Deutschland muss die Kunst ernst sein, ein Konzept haben, muss intellektuell logisch sein und sie sollte interpretieren.« (Jonas, zitiert nach Lammert 2012, Herv. des Verf.)
Im gleichen Sinne klagte der in Australien geborene Intendant der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, vor kurzem in einem Interview: Es »nervt mich die Unterscheidung zwischen ernster und unterhaltsamer Kunst. Unterhaltung ist kein ›dirty word‹ für mich. ›Entertaining‹ heißt auf Englisch, dass man etwas teilt, etwas erfährt. Shakespeare hat ebenfalls nach Unterhaltung gesucht.« (Kosky 2016: 22) Es ist sicherlich kein Zufall, dass Künstler aus dem englischsprachigen Raum diese Position einnehmen. Denn wer, wenn nicht Shakespeare wusste, was er seinem Publikum schuldig war: Die höheren Stände wollte er durch seine Dramen bilden, ja und auch belehren über die menschlichen Tragödien – für die »groundlings«, die die teuren Rangplätze im Globe Theater nicht bezahlen konnten und deshalb unterhalb der Bühne auf ebener Erde ihren Platz fanden, musste Unterhaltung geboten werden: Erinnert sei etwa an die berühmte TotengräberSzene in Hamlet oder die vielfachen Auftritte des ungebärdigen Falstaff. Und Shakespeare verstand es meisterhaft, auch in diesen scheinbaren Rüpel-Szenen ironisch gebrochen seine Lebensweisheit aufblitzen zu lassen.
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Dass England nie ein Problem hatte, Bildung und Unterhaltung miteinander zu verbinden, wusste schon Johann Wolfgang von Goethe. Im Gespräch mit Johann Peter Eckermann vom 01.05.1825 sagte er: »Shakespeare und Moliere [...] wollten auch vor allen Dingen mit ihren Theatern Geld verdienen. Damit sie aber diesen ihren Hauptzweck (! Verf.) erreichten, mussten sie dahin trachten, dass fortwährend alles im besten Stande und neben dem alten Guten immer von Zeit zu Zeit etwas Neues da sei, das reize und anlocke.« (Goethe 1976: 581)
Und völlig problemlos definiert die BBC, die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt des Vereinigten Königreiches, ihre offizielle Mission ausdrücklich: »To enrich people’s lives with programmes and services that inform, educate and entertain«1 (Herv. des Verf.) – Bildung und Unterhaltung werden hier in einem Atemzug als öffentlich-rechtlicher Auftrag genannt! Wie aber kommt es, so ist zu fragen, dass sich die Deutschen so schwer tun mit der Verbindung von Kultur und Unterhaltung, von Bildung und Entertainment, eben mit der »schweren Kunst der leichten Unterhaltung« (vgl. Hackel 2003/2004)? Warum wird Edutainment in deutschen Publikationen geradezu reflexhaft in den Kontext des »Sich-zu-Tode-Vergnügens der Postmoderne« (Meder 1998: 29) gerückt? Wie kommt es zu der – zumindest behaupteten – »unverträglichen Kombination zweier Motive? Das eine Motiv ist Lernen, das in unserer Tradition in einer Assoziation mit Unterweisung, abhängiger Arbeit, Mühsal und Unterwerfung steht. Das andere Motiv ist Spiel und Unterhaltung, das in einer Assoziation mit Selbstbestimmung, freier Wahl, Vergnügen Freizeit und Gewinnchancen steht.« (Meder 1998: 29, Herv. des Verf.)
Und warum sollte es nicht möglich sein, mit Unterhaltung und Vergnügen auch hierzulande spielerisch Bildungsinhalte transportieren zu können?
»W HAT ’ S
EDUTAINMENT ?«
Erstmals taucht der Begriff Edutainment in der Mitte des 20. Jahrhunderts im angelsächsischen Sprachraum auf, wobei nicht mehr genau festzustellen ist, wann und wo genau er tatsächlich zuerst verwendet wurde. Vermutlich wurde er
1
Siehe www.bbc.co.uk/aboutthebbc/insidethebbc/whoweare/mission_and_values (letzter Abruf: 23.11.2016).
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1948 von der Walt Disney Company in Zusammenhang mit deren True Life Adventures-Serie (z.B. Filme wie Die Wüste lebt, The Vanishing Prairie, White Wilderness usw.) gebraucht. 1973 greift ihn dann Robert Heyman im Zusammenhang mit seinen Produktionen für die National Geographic Society auf, 1975 schließlich Chris Daniels für sein sog. Millennium Project: »I believe in ›Education through Entertainment‹ and striving to improve the world and Human condition through creative innovation in Advanced Arts, Entertainment, Science & Technology.«2 1983 wurde der Begriff dann erstmals im Zusammenhang mit Software beziehungsweise im Kontext von Computergames gebraucht; seinerzeit wurde er verwendet, um ein Spielepaket in Großbritannien für den Oric 1 und Spectrum Microcomputer näher zu beschreiben. Der Begriff Edutainment ist ein Neologismus, also eine sprachliche Neuschöpfung. Der neugeschaffene Begriff setzt sich zusammen aus den Hauptwörtern »education« (Erziehung, Bildung) und »entertainment« (Unterhaltung). Gablers Wirtschaftslexikon definiert Edutainment knapp und bündig als »spielerische Vermittlung von Wissen bei gleichzeitigem großen Unterhaltungswert. Anwendung in der Aus-, Fort- und Weiterbildung […]«3. In Langenscheidts Handwörterbuch finden wir als Übersetzung von Edutainment: »bildende Unterhaltung« und in Klammer den Verweis auf »pädagogisch wertvolle Spiele etc.«. Der DUDEN seinerseits definiert »Entertainment« – bezeichnenderweise! – als »berufsmäßig gebotene leichte Unterhaltung«4 (Herv. des Verf.) und grenzt diesen Begriff ab gegen »Infotainment« (i.e. »durch Showeffekte, unterhaltsame Elemente aufgelockerte Präsentation von Fakten, Nachrichten o.Ä., z.B. bei Informationsveranstaltungen, im Fernsehen, in Nachschlagewerken«) und »Docutainment« (i.e. »der Unterhaltung dienende dokumentarische Filme und Fernsehprogramme«) (ebd.). Diese DUDEN-Definition ist symptomatisch: Wieso bekommt im Deutschen »Unterhaltung« (quasi automatisch-reflexhaft) das Beiwort »leicht«? Woher kommt der (zumindest im Deutschen) immer mitschwingende pejorative Unterton: denn von jenem »leicht« in der zitierten Definition zu »seicht« ist es nur ein Konsonantenwechsel! Kübler (1975: 254) spricht bezüglich des Begriffs Entertainment von einem »[…] zwar selbstverständlichen, aber weithin ungeklärten Phänomen« und Prager (1971: 5) konstatiert ironisch: »Unterhaltung ist nicht immer lustig. Nichts 2
Siehe
www.elysianworld.com/Elysian_World/The_Creator.html
(letzter
Abruf:
23.11.2016). 3
Siehe http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/edutainment.html (letzter Abruf:
4
Siehe
25.01.2017). 2017).
www.duden.de/suchen/dudenonline/Entertainment
(letzter
Abruf:
25.01.
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jedoch ist weniger lustig, als der Versuch, sie zu definieren.« Für Dehm (1984: 642) ist Unterhaltung »wenn etwas Spaß macht, eine Abwechslung bedeutet und auch Genuss und neue Informationen bringt«. Auch wenn bislang kaum eine verbindliche Definition von Unterhaltung zu finden ist, so lässt sich doch eine gewisse Klarheit (vgl. hierzu Reinhardt 2007: 40 ff.) hinsichtlich der Funktion von Unterhaltung finden: • Unterhaltung ist zunächst und vor allem entspannend, sie lenkt ab von Ver-
pflichtungen und dem Alltag, sie zerstreut, sie kann faszinieren und amüsieren. • Unterhaltung fördert die Interaktion mit anderen, hat somit gemeinschaftsbil-
dende Funktion, indem sie kommunikative Inhalte anbietet, die die Mitglieder von Gemeinschaften teilen. Diese Interaktion kann sogar nach universellen Prinzipien funktionieren, wie etwa der internationale Austausch von Mainstream-Fernsehserien zeigt: »Wie funktioniert, was allen gefällt?« (Martel 2010) • Unterhaltung kann die Bildung einer persönlichen Identität fördern, da sie direkt bestimmte Grundbedürfnisse des Menschen (nach Liebe, nach Erleben, nach Sicherheit und Erholung, Gefühle und Erfahrungen) anspricht. Das Individuum kann sich mit bestimmten Angeboten identifizieren und eigene Werthaltungen (wieder-)erkennen und bestätigt sehen (eine Kritische Theorie würde dies allerdings als »Verblendungszusammenhang« innerhalb der sog. »Kulturindustrie« geißeln, doch dazu später!). • Und schließlich kann Unterhaltung eine wichtige Informations- und Bildungsfunktion übernehmen – womit wir direkt beim Thema wären. Die Kommunikationswissenschaftlerin Noelle-Neumann (1993: 394) schließlich stellt dazu fest: »Die Aufnahme von Information, das heißt Lernen, wird nachweisbar begünstigt, wenn der Stoff auch ›fesselt‹ (und) unterhaltend ist.« Und Reinhardt (2007: 45) konstatiert, »dass Unterhaltung die Reaktion auf nachfolgende oder gleichzeitige Reize intensiviert. Unterhaltung verbessert die Aufnahme von Informationen und Wissen, da das Individuum durch die Wirkung der Unterhaltung bereits stärker stimuliert bzw. aktiviert und damit empfänglicher für die Aufnahme von Informationen ist. Weiterhin lässt sich festhalten, dass Unterhaltung sogar als Voraussetzung bzw. Schlüssel zur Aufnahme von Informationen und Bildung angesehen werden kann.« Wie lernt der Mensch, wie bildet er sich, wie erfährt er Sinn? Dass das Spielerische eine zentrale Funktion nicht nur beim Lernen, sondern auch bei der Selbstbildung des Menschen einnimmt, hat bereits Friedrich Schiller in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen hervorgehoben. Explizit
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spricht er sich gegen die Spezialisierung und Mechanisierung der Lebensabläufe aus. Vielmehr ist für Schiller gerade das Spiel eine menschliche Leistung, die allein in der Lage ist, die Ganzheitlichkeit der menschlichen Fähigkeiten hervorzubringen, die er dann im 15. Brief Über die ästhetische Erziehung des Menschen in den berühmten Satz fasst: »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« (Schiller 1967: 134) Diesen anthropologischen Grundgedanken des spielenden Menschen, des Homo ludens (der Mensch als Spielender im Gegensatz zum Homo faber, d.h. der Mensch als Macher, der Lernen stets als zweckrationales, zielgerichtetes Denken und Handeln begreift) vertiefte Ende der 1930er Jahre des 20. Jahrhunderts Johan Huizinga. Für Huizinga ist das Spiel das Fundament aller kultureller Aktivitäten; er betont die Funktion des Spiels als eines zentralen kulturbildenden Faktors und zeigt auf, wie sich differenzierte kulturelle Systeme wie Politik, Wissenschaft, Religion, Recht und so weiter ursprünglich aus spielerischen Verhaltensweisen entwickelten (vgl. Huizinga 2004). 1975 prägte der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi (vgl. 2008) den Begriff des Flow für das beglückende Gefühl eines mentalen Zustands völliger Vertiefung und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit, die quasi wie von selbst geht. Während dieser seine Beobachtungen vor allem bei Chirurgen und Extremsportlern machte, ist für Siegbert Warwitz das Urbild des Flow – ähnlich wie bei Schiller – »das spielende Kind, das sich im glückseligen Zustand des Bei-sichSeins befindet« (Warwitz 2001: 206). Das Flow-Erlebnis steht dabei stets im Spannungsfeld von Überforderung einerseits (was zur Frustration führt) und Unterforderung andererseits, was Langeweile mit sich bringt. Spielerisch lernen – lernend Spielen – das ist das Ziel!
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DEUTSCHES
Wenn man all dies weiß über die wichtige Rolle der Unterhaltung in Kulturerwerb und Bildung: Woher kommt dann die allenthalben zu beobachtende »Schwere, die trächtige Fülle, das seelenhafte Pathos« (Plessner 1974: 73), die sich im Deutschen mit den Begriffen Kultur und Bildung verbinden? Und woher rührt die (quasi-)»religiöse Funktion der deutschen Kultur« beziehungsweise die »Übernahme der religiösen Funktion durch eine innerweltliche Kultur« (ebd.: 73 bzw. 75)? Der Entwicklungsbogen dieses (sehr) deutschen Deutungsmusters spannt sich vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Dialektik der Aufklärung von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die zuerst 1947 bei Queri-
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do in Amsterdam erschien, ihre volle und folgenreiche Wirkung insbesondere hinsichtlich der Kritik an der Kulturindustrie aber erst mit der Neuausgabe von 1969 entfaltete. In seiner umfangreichen Studie Bildung und Kultur analysiert Georg Bollenbeck detailliert die beiden Begriffe Bildung und Kultur unter den Aspekten Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters (Bollenbeck 1996): »Mit ›Bildung‹ und ›Kultur‹ lässt sich deutsche Geschichte interpretieren.« (Ebd.: 13) In seiner sehr detaillierten Untersuchung verdeutlicht Bollenbeck, dass noch in der Aufklärung die beiden Begriffe semantisch noch im gemeinsamen europäischen Kontext und nahezu bedeutungsgleich mit Zivilisation verwendet wurden. Der deutsche Sonderweg – im Vergleich etwa zu den politisch und ökonomisch sehr viel fortgeschritteneren Ländern Frankreich und England – zeichnete sich (worauf Norbert Elias bereits 1939 hingewiesen hat) dann Ende des 18. Jahrhunderts mit dem deutschen Idealismus und dem Neuhumanismus ab. Statt durch eine industrielle Revolution (wie in England in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts) beziehungsweise eine politische Revolution (wie in Frankreich 1789) erlebte die deutsche Gesellschaft (und hier vornehmlich in Preußen) im ausgehenden 18. Jahrhundert vor allem durch eine »›Revolution von oben‹ einen entscheidenden Modernisierungsschub« (ebd.: 96). Die politische und ökonomische Machtlosigkeit des Bürgertums in Deutschland hatte unmittelbare Folgen auch für die Begrifflichkeiten Bildung und Kultur. »Innerhalb weniger Jahre wertet die deutsche Intelligenz mit dem Ideal einer zweckfreien geistigen ›Bildung‹ die Ökonomie und Nützlichkeit, die Berufserziehung und die Technik ab« (ebd.: 99); es bildet sich ein »Bildungsbürgertum, dessen ›Kulturbegriff‹ seit Jahrhundertbeginn im Namen der ›Bildung‹ idealistisch imprägniert wird« (ebd.: 98). Exemplarisch begründet Goethes Wilhelm Meister in seinem berühmten Brief im dritten Kapitel des fünften Buches an seinen Schwager Werner den Verzicht auf ökonomisches Engagement und politische Partizipation des Bürgertums in Deutschland. Nachdem er ausführlich dargestellt hat, wie unmöglich es einem jungen Deutschen – im Gegensatz zu einem Engländer (»gentleman«) oder Franzosen (»honette homme«) – ist, sich als »öffentliche Person« zu verhalten, kommt er zu dem Schluss: »Nun leugne ich dir nicht, daß mein Trieb täglich unüberwindlicher wird, eine öffentliche Person zu sein, und in einem weitern Kreise zu gefallen und zu wirken. […]. Du siehst wohl, daß das alles für mich nur auf dem Theater zu finden ist, und daß ich mich in diesem einzigen Elemente nach Wunsch rühren und ausbilden kann. Auf den Brettern er-
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scheint der gebildete Mensch so gut persönlich in seinem Glanz, als in den obern Klassen […].« (Goethe 1977: 314)
Das hat Konsequenzen: »Gerade in dem Zeitabschnitt, wo nach der Französischen Revolution und den Siegen Napoleons Preußen und einige andere Staaten sich zur Aufholjagd gegenüber den westeuropäischen Ländern anschicken, indem sie die Verwaltung reformieren, ständische Rechte abbauen und die soziale wie ökonomische Emanzipation rechtsgleicher Individuen vorantreiben, wenden sich die Intelligenz und die ›gebildeten Stände‹ im Namen der ›Bildung‹ vom politisch-ökonomischen Bewährungsfeld stärker ab.« (Bollenbeck 1996: 101)
In der Folge wird es immer schwieriger, die Begriffe Kultur und Bildung »zu übersetzen. Denn sie weisen ein seelenhaftes Pathos auf, das sich mit dem protestantischen Bildungsbürgertum ausbildet und eine weltliche Frömmigkeit anzeigt. Als Inbegriff von geistiger Tätigkeit und geistiger Vergegenständlichung decken sie sich nicht mit Erziehung und Ausbildung, mit Zivilisation und Kultiviertheit.« (Ebd.: 26)
Ja, sie erhalten die eingangs zitierte, von Plessner konstatierte »Schwere, die trächtige Fülle, das seelenhafte Pathos«. Expliziten Ausdruck erhält diese Position Anfang des 20. Jahrhunderts in Thomas Manns (1960: 217) berühmten Bekenntnissen eines Unpolitischen (die im Kern natürlich höchst politisch sind!), wenn er schreibt: »Der Unterschied von Geist und Politik enthält den von Kultur und Zivilisation, von Seele und Gesellschaft, von Freiheit und Stimmrecht, von Kunst und Literatur; und Deutschtum, das ist Kultur, Seele, Freiheit, Kunst und nicht Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur.« Diese Position ist nicht nur kontradiktorisch zu der seines Bruders Heinrich, sondern gegen die westliche europäische Zivilisation insgesamt gerichtet. Diese angesprochene Schwere, Fülle und das Pathos erreichen Mitte des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt in der (bis heute so folgenreichen!) Kritik an der (behaupteten) Verkehrung, ja Pervertierung von Kultur in der von Horkheimer und Adorno sogenannten Kulturindustrie, die sie vor allem in den vierziger Jahren im amerikanischen Exil studieren konnten. Geradezu berserkerhaft wettern sie gegen alle Erscheinungsformen moderner Kultur: Vom Schlager bis zum Jazz, vom Tonfilm zum Radio, Zeitschriftenmagazine und Comics – alles fällt unten den großen Verdammnis-Hammer. Für die beiden deutschen Exilanten ist »die Kulturindustrie der Amüsierbetrieb« schlechthin (Horkheimer/Adorno
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1969: 144). An anderer Stelle schreiben sie: »Nicht also daß die Kulturindustrie Amusement aufwertet, macht den Betrug aus, sondern daß sie durch geschäftstüchtige Befangenheit in den ideologischen Clichés der sich selbst liquidierenden Kultur den Spaß verdirbt.« (Ebd.: 151) Von dieser Position aus ist es per se unvorstellbar, dass Kultur und Unterhaltung sinnvoll zusammenkommen können; mit unverhohlenem Spott formulieren die beiden Autoren: »Die Fusion von Kultur und Unterhaltung heute vollzieht sich nicht nur als Depravation der Kultur, sondern ebenso sehr als zwangsläufige Vergeistigung des Amüsements. Sie liegt schon darin, daß man ihr nur noch im Abbild, als Kinophotographie oder Radioaufnahme beiwohnt.« (Ebd.: 152) Aber liegt nicht eine große Ironie der (Kultur-)Geschichte darin, dass die erste Generation, die sich nicht nur ohne Skrupel, sondern vielmehr mit großem Spaß und mit beiden Händen aus dem Füllhorn der Kulturindustrie bediente, von Pop bis Punk, von Comics bis Italowestern, ausgerechnet diesen Text als ihr geistiges Rüstzeug auswählte? In den 1960er Jahren nur als Raubdruck kursierend, sahen sich Horkheimer und Adorno 1969 – übrigens sehr gegen ihren Willen – genötigt, diesen Text aus den 1940er Jahren erneut offiziell zu publizieren und so zu autorisieren. Und angesichts solcher Widersprüchlichkeit kann es auch kaum verwundern, dass eine (kultur-)revolutionäre Rezipientenschaft, von denen sich Viele seit Mitte der 1970er Jahre unter dem Banner einer Kultur für alle versammelten, geflissentlich die höchst undemokratischen und unverhohlen elitären Passagen in diesem Text übersah (und übersieht!) wie etwa die folgende: »Schon heute werden von der Kulturindustrie die Kunstwerke, wie politische Losungen, entsprechend aufgemacht, zu reduzierten Preisen einem widerstrebenden Publikum eingeflößt, ihr Genuss wird dem Volke zugänglich wie Parks. […] Kunst hat den Bürger solange noch in einigen Schranken gehalten, wie sie teuer war. Damit ist es aus. […] Den Konsumenten ist nichts mehr teuer.« (Ebd.: 169)
Geblieben aber ist – für unseren Kontext folgenreich – das Ressentiment gegen Unterhaltung! Kunst und Kultur müssen ganz offensichtlich wehtun, denn: was gefällt, hat schon verloren!
N EUSTART : B ELEHREN UND BEGEISTERN ! Nur mit einem – wenn hier auch nur sehr verkürzten (vgl. hierzu neben Bollenbeck und Plessner auch ausführlich mit vielen weiteren Beispielen Lepenies
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2006) – Blick in die deutsche Kultur- und Geistesgeschichte, lässt sich die vorgebliche Feindschaft zwischen Kultur und Bildung einerseits und Unterhaltung andererseits erklären. Und es ist sicherlich sehr bezeichnend, dass eine ganz andere als die kulturkritische, keineswegs so pathosschwere (und oft so furchtbar schlecht gelaunte) Argumentation ausgerechnet aus dem Bereich der Naturwissenschaft und Technik kommt! Am 1. Mai 1903 schreibt der Bauingenieur und frischgebackene Ehrendoktor der Technischen Universität München, Dr. h.c. Oskar von Miller, einen folgenschweren Brief an einen erlauchten Kreis von Wissenschaftlern, Technikern, hohen bayerischen Beamten und anderen einflussreichen Persönlichkeiten, »um eine Idee in Anregung zu bringen«, nämlich zu erwägen, »ob nicht wie für die Meisterwerke der Kunst und des Gewerbes, auch für die Meisterwerke der Wissenschaft und Technik eine Sammlung in Deutschland angelegt werden sollte«. Geprägt von seiner Liebe zur »Kunst des Ausstellens und der musealen Darbietung« (so einer seiner Biografen) führt er den Zweck dieser Unternehmung weiter aus: »Eine systematisch geordnete Sammlung würde nicht allein ein interessantes und belehrendes Bild von der Entwicklung der Technik und den technischen Wissenschaften geben, sondern sie würde auch dazu beitragen, die kommenden Geschlechter zu begeistern […]« (von Miller, zitiert nach Pörtner 1987: 63 f., Herv. des Verf.). Damit war nicht nur der Anstoß gegeben für die Gründung des größten Technik-Museums der Welt, sondern mit den beiden Begriffen belehren und begeistern waren und sind – rund 50 Jahre vor Beginn der internationalen Karriere des Begriffs Edutainment – dessen zentralen Prinzipien »education« (Bildung) und Entertainment (Unterhaltung) benannt. Heute bewirbt die Stadt München auf ihrem offiziellen Stadtportal ihr Haus so: »Das Deutsche Museum ist nicht nur eine Ausstellung, sondern auch eine Spielwiese. Besucher dürfen an Knöpfen drehen, Hebel und Schalter umlegen und viele Exponate anfassen. Der Lern- und Aha-Effekt ist inklusive. Es gibt etwa 50 Themenbereiche, von Agrarund Lebensmitteltechnik über Astronomie, Chemie, Foto und Film, Luft- und Raumfahrt, Mathematik, Musikinstrumente, Physik und einem Planetarium, bis zu Schifffahrt, Telekommunikation, Brücken-, Tunnel- und Wasserbau sowie Zeitmessung. Dass hier jemand keinen Bereich findet, der ihn interessiert, ist äußerst unwahrscheinlich. Dass jemand das ganze Museum an einem Tag besichtigen kann, ebenso.«5
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Siehe
www.muenchen.de/sehenswuerdigkeiten/orte/119223.html
17.10.2016).
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In sicherlich vorbildlicher Weise erfüllt dieses Museum seinen Bildungsauftrag – durch und mit Unterhaltung. Dadurch ist es zum Vorbild vieler sogenannter Sciencecenter geworden.
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Doch gehen wir noch einmal zurück in die oben erwähnten, ausgehenden 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Was geschah in Kunst und Kultur? Die Beatles und die Rolling Stones gaben musikalisch den Ton an, dank der Maler Roy Lichtenstein oder Robert Rauschenberg hielten Comic- und Cartoon-Motive, wie Micky Maus, Popeye oder Superman Einzug ins Kunstmuseum und Andy Warhol ersetzte 1962 mit seinen Campbell’s Soup Cans und den Brillo Boxen (Siebdrucke eines Putzmittels auf Holzkisten) die klassische Skulptur. Die Motive der Popkultur waren häufig der Alltagskultur, der Welt des Konsums, den Massenmedien und der Werbung entnommen, wobei die Darstellung meist in fotorealistischer und überdimensionierter Präsentation erfolgte, wie beispielsweise oben aufgeführte Comic-Motive oder Claes Oldenburgs riesige Tortenstücke, Hamburger, Taschenmesser oder die legendäre Spitzhacke auf der documenta 7 in Kassel. Stets geht es darum, Alltag und Kunst/Kultur zusammenzubringen, nicht selten spielerisch-verschmitzt. Sowohl die Produktion wie auch die Rezeption von Kunst verändern sich grundlegend. In diametralem Gegensatz zu dem von Adorno und Horkheimer favorisierten (typisch deutschen!) Deutungsmuster entwickelte sich international ein neues Paradigma: die Erzeugnisse nicht nur der Kulturindustrie, sondern der Industrie überhaupt wurden nicht länger kritisiert, sondern eroberten zunehmend die heiligen Hallen der Kunst. Bereits 1968 veröffentlichte der amerikanische Literaturwissenschaftler Leslie A. Fiedler seinen berühmten Aufsatz Cross the Border – Close the Gap, der dann im Dezember 1969 unter dem Titel Überquert die Grenze – schließt den Graben erstmals (und ausgerechnet im Playboy, sicherlich selbst eine publizistische Pop-Strategie war) auf Deutsch erschien. Fiedler konstatierte, dass sich die Grenze zwischen hoher Literatur/Kunst und Popkultur immer weiter öffnete und sich der tiefe Graben zwischen E (=Ernst) und U (=Unterhaltung) immer mehr schloss. Wuchtig seine Ausgangsthese: »Fast alle heutigen Leser und Schriftsteller sind sich der Tatsache bewußt, daß wir den Todeskampf der literarischen Moderne und die Geburtswehen der Post-Moderne durchleben. Die Spezies Literatur, die die Bezeichnung ›modern‹ für sich beansprucht hat […] und deren Siegeszug kurz vor dem ersten Weltkrieg begann und kurz nach dem zweiten
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endete, ist tot, das heißt, sie gehört der Geschichte an, nicht der Wirklichkeit.« (Fiedler 1988: 57)
Dagegen setzt Fiedler, dass die »Überbrückung der Kluft zwischen Elite- und Massenkultur die exakte Funktion des Romans heute ist« – und dazu bedienen die Künstler »sich offen der Formen des Pop. […] Sie fürchten nicht den Kompromiß des Marktplatzes, ganz im Gegenteil, sie wählen dasjenige Genre, das sich der Exploitation durch die Massenmedien am ehesten anbietet, den Western, Science Fiction und Pornographie.« (Ebd.: 62) Und Fiedler kommt zu der Schlussfolgerung: »Die Vorstellung von einer Kunst für die ›Gebildeten‹ und einer Subkunst für die ›Ungebildeten‹ bezeugt den letzten Überrest einer ärgerlichen Unterscheidung innerhalb der industrialisierten Massengesellschaft, die nur einer Klassengesellschaft zustünde. Weil PopArt weiterhin wie seit Mitte des 18. Jahrhunderts gegen jene anachronistischen Überbleibsel Krieg führt, ist sie subversiv, ungeachtet ihrer erklärten Absichten, und eine Bedrohung für alle Hierarchien, weil sie wider die Ordnung ist.« (Ebd.: 68)
Die auch im Amerikanischen nicht unbekannte, sich aber zunehmend auflösende Unterscheidung zwischen »highbrow« (Hochkultur) und »lowbrow-culture« (Subkultur) brachte der amerikanische Journalist John Seabrooks (Seabrook’s 2000) auf den ironischen Begriff der »nobrow-culture«. Fiedlers Feststellungen leiteten nicht nur weitgehend die philosophischen und ästhetischen Überlegungen um das Phänomen Postmoderne ein (vgl. hierzu ausführlich Welsch 1988), sondern fanden schnell auch ihren Niederschlag in der sogenannten Neuen Kulturpolitik, die seit Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre formuliert wurde. Kernstück dieser Kulturpolitik, die sich explizit gegen die Kulturpolitik der 50er und 60er Jahre wandte, die unter dem Konzept der Kulturpflege stand, war ein neuer, ein erweiterter Kulturbegriff (in Abgrenzung zum sog. affirmativen Kulturbegriff, wie ihn Herbert Marcuse schon 1939 beschrieben und kritisiert hatte, vgl. Marcuse 1980, vgl. hierzu ausführlich auch Klein 2009). Hilmar Hoffmann, langjähriger Frankfurter Kulturdezernent und Autor des die kulturpolitische Epoche prägenden Bestsellers Kultur für alle (1981: 31) beispielsweise verstand diesen erweiterten Kulturbegriff als: »Ablösung der Tradition, die den Kulturbegriff ausschließlich an die Institutionen der Kultur bindet, an das Museum, das Theater, das Konzert, die Oper, die Bibliothek. Dem
92 | A RMIN K LEIN erweiterten Kulturbegriff liegt darüber hinaus die Absicht zugrunde, den traditionell kleinen Kreis der Kenner zu einem großen Kreis der Kenner zu machen […].«
Und Hermann Glaser, ebenfalls Vordenker einer Neuen Kulturpolitik, forderte in seinem 1983 erschienenen Bürgerrecht Kultur: »Kultur muss so artikuliert, angeboten und dargeboten werden, dass der Außenstehende nicht von vorneherein in eine ›Weihestunde des Geistes‹ versetzt wird, sondern Kultur […] als alltägliche Angelegenheit begreift. Kunst ist keine Walhalla, der sich der Geist devot zu näheren hätte; Kultur ist etwas, das man wie soziale oder politische Projekte ›ungeniert‹ anpacken kann und soll. Erst wenn diese ›unbekümmerte‹ (und spielerische) Haltung den Gegenständen gegenüber erreicht ist […] kann die emanzipatorische Vision, dass die Beschäftigung mit den kulturellen Werten nicht mehr an bestimmte gesellschaftliche Schichten geknüpft sein darf, verwirklicht werden.« (Glaser/Stahl 1983: 38 f., Herv. des Verf.)
Man vergleiche diese Aussagen mit jenem oben zitierten resignativen Diktum von Adorno und Horkheimer: »Kunst hat den Bürger solange noch in einigen Schranken gehalten, wie sie teuer war. Damit ist es aus.« Nimmt man die beiden Postulate einer Kultur für alle beziehungsweise eines erweiterten Kulturbegriffs (verbunden mit einer Kultur von allen) tatsächlich ernst, dann macht es wenig Sinn, an den pessimistischen Analysen von Horkheimer und Adornos länger krampfhaft festhalten zu wollen. Mögen sie ihre Bedeutung für das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert gehabt haben, so sind sie schlichtweg von der Wirklichkeit überholt. Steinert (1998: 9) schreibt dazu mit beißender Ironie: »Tatsächlich ist ein neuer Kanon entstanden, nach dem gebildete Menschen heute über die populären Unterhaltungen ebenso Bescheid wissen müssen wie über die bildungs-elitären. Bei etwas älteren Gebildeten hat man oft den Eindruck, in der Auseinandersetzung mit Kulturindustrie wird tatsächlich verhandelt, ob auch Intellektuelle fernsehen (und sich dazu bekennen) dürfen. […] Norm ist heute: Es gibt keine Kultur außerhalb der Kulturindustrie.«
Die entscheidende Rolle in der »Erlebnisgesellschaft« (Gerhard Schulze) spielt das Publikum; es griff die Impulse der neuen Kulturpolitik schnell auf. Es entschied und entscheidet durch seine Auswahl selbst darüber, was es interessant fand und findet. Anfang der 90er Jahre schrieb der Musikkritiker Konrad Heitkamp unter dem bezeichnenden Titel Weder E noch U:
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»Es scheint noch nicht ins Bewusstsein vorgedrungen zu sein: Die Demontage der Schlagbäume an der Grenze zwischen E- und U-Land war nicht die Idee von Gremien, Kritikern, Institutionen, Kulturverwaltern, meint auch nicht musikalisches Tutti-Frutti oder kulturellen Ausverkauf, nein, sie beruht vielmehr auf einem Faktor, der stillschweigend übergangen wird: Das Publikum […] Das Publikum, soviel ist sicher, kümmert sich wenig darum: Kultur ist was gefällt, eine universelle Mixtur, und die Diskussion über eine neue Grenze bleibt Feuilleton-Puzzle. Es ist das Publikum, das sich frei bewegt, herumschnüffelt und ausprobiert.« (Heitkamp 1993)
Und warum sollte diese Neugier, diese Probierlust nicht auch für Bildungsinhalte genutzt werden?
F RAG
DIE
M AUS
Die 60er und 70er Jahre bedeuteten aber nicht nur den Siegeszug des Pop in Kunst und Kultur, sondern sie markierten auch den Beginn des Siegeszuges einer kleinen Maus – bestes Fernseh-Edutainment. Um 1970 entwickelten Gert Kaspar Müntefering, Siegfried Mohrhof, Monika Paetow und Armin Maiwald ihre Lach- und Sachgeschichten für Fernsehanfänger; die Erstausstrahlung der Sendung mit der Maus fand am 07.03.1971 in der ARD statt. Die Lachgeschichten hatten dabei von Anfang an einen Star: die knallorange Maus, die seither die Sendungen prägt. Der Redakteur Dieter Saldecki öffnete die Sendereihe für neue gesellschaftliche und wissenschaftliche Themen, die bis dahin als zu schwierig für ein Kinderpublikum galten. Die Themen der Sachgeschichten waren und sind dabei sehr vielfältig: Das Alte Rom, Brennnesseln, das Archimedische Prinzip, die Bundestagswahl, Tschernobyl, Kettenreaktion, Internet, Nachkriegszeit, die Raumstation Mir, die Herstellung unzähliger Produkte (von der Milch und den Brötchen über Bleistift und Tennisball bis hin zum Flugzeug) und vieles mehr wurden und werden dem Zuschauer auf sehr anschauliche Weise nähergebracht. Dazu gehören auch Fragen wie »Wer malt die Streifen in die Zahnpasta?«, »Wie macht man Kaugummi – und wie ihn später auf dem Bürgersteig wieder weg?« und »Wie kommen die Löcher in den Käse?« Zuweilen gibt es auch Sondersendungen, die sich nur mit einem einzigen Thema befasst, wie z.B. anlässlich der Katastrophe von Tschernobyl oder der Nachkriegszeit; auch der Bau eines Passivhauses oder Geschichten über die Kartoffel waren schon Anlass für eine solche Sondersendung. Seit Mitte des Jahres 2015 begleitet die Maus eine aus Syrien stämmige Familie mit der Tochter Tiba,
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die im Zuge der Flüchtlingseinwanderung nach Deutschland gekommen ist und sich Folge für Folge weiter in Deutschland integriert. Obgleich das Zielpublikum Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter sind, liegt das Durchschnittsalter der Zuschauer bei knapp 40 Jahren. Die Eltern sitzen häufig zusammen mit ihren Kindern vor dem Fernseher – und nicht wenige auch ohne Kinder.6 Doch nicht nur der Rundfunk, auch die Wirtschaft hat die Einsatzmöglichkeiten von Entertainment beziehungsweise Edutainment längst erkannt. Reines Entertainment – nach dem Motto Gaudi im Erlebnispark (Tripsdrill), das heißt weitgehend ohne Anspruch auf Education – prägen beispielsweise die typischen Freizeitparks wie den Europapark Rust, Tripsdrill oder den Heidepark. Interessant dabei ist aber, dass in diesen weitgehend auf Entertainment fokussierten Erlebnisparks zunehmend auch Bildungsinhalte Eingang finden: So gibt es in Tripsdrill beispielsweise das Wildparadies Tripsdrill, einen naturnahen Wildpark7, oder im Europapark Rust Themenbereiche zu einzelnen europäischen Staaten8. Fließend sind die Übergänge zwischen marketingorientiertem Entertainment und marketingorientiertem Edutainment: in den entsprechenden Einrichtungen präsentieren sich Marken zum Zweck der Selbstdarstellung beziehungsweise der Image-optimierung. Zu nennen wären hier die Spielehersteller (z.B. Ravensburger Spieleland oder Legoland) und die Automobilindustrie (Mercedes, Porsche, Volkswagen mit ihren jeweiligen Präsentationen). Interessant in diesem Kontext ist sicherlich die FC Bayern Erlebniswelt, zum Beispiel weil diese Einrichtung im Museumsportal der Stadt München gelistet ist. Vor ein paar Jahren machte sich ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung auf die Suche nach einem spannenden Museumskonzept in der Landeshauptstadt. Als seine Recherchen immer frustrierender wurden, wandte er sich an die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern mit der Bitte, ihm doch ein Beispiel für ein gelungenes Museumskonzept zu nennen. Der dortige Berater empfahl ihm – die Erlebniswelt des FC Bayern! Edutainment im engeren Sinne, das heißt einer mehr oder weniger Gleichgewichtung von Education und Entertainment finden sich zunehmend in den sogenannten Sciencecentern (z.B. die Phänomenata in Flensburg, Bremerhaven, Lüdenscheid, Peenemünde), die Phäno (in Wolfsburg), das Mathematicum (in 6
Siehe hierzu den Wikipedia-Beitrag https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Sendung_ mit_der_Maus (letzter Abruf: 17.10.2016).
7
Siehe https://tripsdrill.de/de/wildparadies/?gclid=Cj0KEQjwvIO_BRDt27qG3YX0w4 wBEiQAsGu3eaKmZU8EcBPewnen7PuXyJlKlyfwc9QStilAMOS8tSQaAtZ88P8H AQ) (letzter Abruf: 17.10.2016).
8
Siehe www.europapark.de/de/park/themenbereiche (letzter Abruf: 17.10.2016).
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Gießen), die Experimenta (in Heilbronn) und so weiter. Auch zoologische und botanische Gärten, Planetarien und Großschutzgebiete (z.B. Niedersächsisches Wattenmeer, Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Sächsische Schweiz usw.) denken zunehmend über Edutainment-Konzepte nach, um ihre jeweiligen Botschaften besser zu vermitteln (vgl. hierzu Wohlers 2002). In Museen wird die Idee des Edutainment jedoch eher zögerlich angegangen. »Auch wenn dem Begriff der Unterhaltung in Museen ein gewisser Stellenwert zugemessen wird, so wird deutlich, dass der Begriff der Bildung von zentraler Bedeutung ist. Demnach wird der Bildung Unterhaltung als Additiv beigegeben.« (Ott 2014: 80)
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Legt man den – typisch deutschen – pathosschweren, quasi-religiösen Bildungsbeziehungsweise Kulturbegriff zugrunde, so scheint tatsächlich ein diametraler Widerspruch zwischen Bildung und Kultur einerseits und Unterhaltung andererseits zu liegen. Doch sowohl die historisch-politische wie auch kulturellkünstlerische Entwicklung des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts lässt den deutschen Sonderweg in dieser Hinsicht immer fragwürdiger erscheinen. Längst hat die (kulturelle) Globalisierung auch hier ihre Spuren hinterlassen: Und sowohl die Bildungs- wie auch die Kulturbetriebe wären, um ihrer eigenen Zukunftsfähigkeit willen, gut beraten, sich kreativ und produktiv, ohne ihren Bildungsanspruchs zu begraben, hierauf einzulassen.
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Kulturtouristen: Ein (Zukunfts-)Portrait Y VONNE P RÖBSTLE
»Rein in den Neoprenanzug, die Taucherbrille auf, noch einmal tief Luft holen und dann ab ins Museum.«1 Museumsbesuche zählen zu den beliebtesten Kulturaktivitäten auf Reisen.2 Dass sie allerdings auch unter Wasser stattfinden und Kulturtouristen Taucherqualitäten beweisen, ist neu. Zu beobachten ist dieses Phänomen vor der Küste Lanzarotes, wo der britische Künstler Jason deCaires Taylor 300 Skulpturen versenken ließ und mit Unterstützung der öffentlichen Hand 2016 das Museo Atlántico eröffnete. Seitdem ist die Kanareninsel um eine Attraktion reicher und die Reisepresse, wie hier stellvertretend das GEOMagazin, überschlägt sich mit Superlativen, um dieses Museumserlebnis in seiner Besonderheit zu beschreiben. Diese Art von kulturtouristischem Angebot hätte womöglich noch vor wenigen Jahrzehnten das Vorstellungsvermögen von Kulturschaffenden, Touristikern und Touristen überstiegen. Nun aber ist es ein weiterer Beleg dafür, dass sich der Kulturtourismus heute kaum mehr systematisieren lässt und längst den klassischen Kultursparten und -institutionen entwachsen ist (vgl. dazu die Einleitung der Herausgeber in diesem Sammelband). Es lenkt den Blick aber auch auf die kulturtouristische Nachfrage und die damit verbundenen Fragen: Was treibt den reiseerfahrenen und anspruchsvollen Kulturtouristen von heute an? Was will er überhaupt noch finden in einer Zeit, in der sich die Welt scheinbar mit wenigen Klicks auch digital erkunden lässt? Und was besichtigt er morgen, wenn das Unterwasser-Museum – zugespitzt formuliert – längst zum touristischen Standard geworden ist?
1
Siehe www.geo.de/reisen/reise-inspiration/15616-bstr-spektakulaeres-unterwasser-mu
2
Siehe
seum-europa-eroeffnet/216598-img-das-museo-atlantico (letzter Abruf: 08.02.2017). www.fur.de/fileadmin/user_upload/Newsletter/Newsletter_2012Okt/RA_NL_
Okt_2012_Kultur.pdf (letzter Abruf: 08.02.2017).
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K ULTURTOURISTEN – K ULTURBEFLISSENE G ÄSTE ODER »ABHAKTOURISTEN «? Bleiben wir zunächst in der Gegenwart und fragen nach den Kulturtouristen von heute: In Diskussionen über Chancen und Herausforderungen des Kulturtourismus begegnen uns hartnäckig immer wieder stereotype Vorstellungen von Kulturtouristen, die gegensätzlicher kaum sein könnten: Auf der einen Seite der kulturbeflissene Gast, der als Bildungsreisender verstanden werden will und es Goethes Wilhelm Meister gleichtut, denn »die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch [schließlich, Anm. der Verf.] auf Reisen«. Er dürfte bei Kultureinrichtungen, die sich ganz in der bildungsbürgerlichen Tradition sehen, ein gern gesehener Besucher sein. Ganz anders vermutlich auf der anderen Seite der »Abhaktourist«, der Kultureinrichtungen vor allem deshalb besucht, um sie auf seiner Liste von »must sees« in der Kürze der Reisezeit abhaken zu können. Wer dafür wenig übrig hat, wird sich an die Worte des österreichischen Schriftstellers, Kabarettisten und Schauspielers Helmut Qualtinger umso eher erinnern: »Die meisten sogenannten Sehenswürdigkeiten sind vom vielen Hinschauen schon ganz abgenutzt.« Die Wirklichkeit stellt sich indes weniger schwarz-weiß dar. Der Kulturtourismus ist weder ausschließlich ein Phänomen eines kleinen elitären Zirkels, noch tritt er allerorts als massenhafte Plage auf. Über lange Zeit hinweg trug die Marktforschung beziehungsweise Publikumsforschung jedoch wenig dazu bei, diese Stereotypen zu überwinden (vgl. Pröbstle 2014: 53 ff.). Die Erkenntnislage erschöpfte sich in der Feststellung, dass es neben Kulturtouristen, für die Kunst und Kultur den primären Reiseanlass darstellen, eine zweite, weitaus größere Gruppe gibt, die sogenannten »Auch-Kulturtouristen«, bei denen kulturelle Reiseaktivitäten nicht vordergründig auf dem Reiseprogramm stehen, sondern gleich- oder auch nachrangig neben vielen anderen stattfinden (Lohmann 1999: 64, vgl. dazu auch die Einleitung der Herausgeber in diesem Sammelband). Ein Versuch, die kulturtouristische Nachfrage empirisch zu fassen und nach qualitativen Merkmalen zu typisieren, findet sich erstmalig bei Pröbstle (2014). Auf der Grundlage von qualitativen Interviews mit rund 90 deutschsprachigen Übernachtungs- und Tagestouristen, die während ihres Aufenthalts eine Kultureinrichtung beziehungsweise Kulturveranstaltung3 besuchten, konnten im Rah-
3
Die Befragung fand in folgenden Destinationen und Kulturbetrieben statt: C/O Berlin, Holocaust Mahnmal (Ort der Information), Neues Museum; Kloster Maulbronn; Ruhr.2010: Museum Folkwang, Ruhrtriennale, Zeche Zollverein (Besucherzentrum); Salzburg: Festung Hohensalzburg, Museum der Moderne am Mönchsberg, Salzburger
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men dieser Untersuchung fünf unterschiedliche Typen von Kulturtouristen identifiziert werden: Abbildung 1: Kulturtouristen-Typologie
Pröbstle 2014: 304
• Die passionierten Spezialisten sind im Alltag Viel-Besucher, im Extremfall
besuchen sie mehrmals wöchentlich Kultureinrichtungen. Die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur gilt dementsprechend als Grundbedürfnis. Dieser Typus, der gebildet und tendenziell älter ist, hat sich ausgewählten Sparten, Formaten, Künstlern oder Themen verschrieben. Diesen Interessen wird heute in leidenschaftlicher Manier nachgegangen, kein Weg ist dafür wortwörtlich Festspiele; Schwäbisch Hall: Freilichtspiele Schwäbisch Hall, Kunsthalle Würth, Hohenloher Freilandmuseum; Schleswig-Holstein: Schleswig-Holstein Musik Festival (JazzBaltica), Schloss Gottorf (Barockgarten und Globushaus), Wikinger Museum Haithabu (Wikinger Häuser). Zusätzlich wurden Interviews mit Teilnehmern von organisierten Bustagesfahrten geführt. Ziel dieser Fahrten war eine Aufführung des Musicals Tanz der Vampire bzw. die Stadt Luzern mit ihren Museen und Ausstellungen (vgl. ausführlich Pröbstle 2014: 128 ff., 379 ff.).
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zu weit, kein Aufwand zu groß. Und so stellt es für Vertreter dieses Typus auch eine Selbstverständlichkeit dar, ausgewählte Kulturangebote zum Reiseanlass zu nehmen. Dabei interessiert sich der passionierte Spezialist auch auf Reisen für Musik, Oper, Schauspiel und Tanz, während das Gros der Sightseeing-Kulturtouristen in erster Linie historische Monumente und Ausstellungen besichtigt. Reiseziele sind zum Beispiel die Salzburger Festspiele, die Ruhrtriennale oder auch die JazzBaltica im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Besonders häufig übte der passionierte Spezialist im Gespräch über den Besuch dieser oder ähnlicher Festspiele und Festivals Kritik an vermeintlichen Starbesetzungen, die seiner Meinung nach Inbegriff einer zunehmenden Eventisierung von Kunst und Kultur sind. Anstelle der immer gleichen Künstler geht es ihm darum, seine Interessen durch Neues zu vertiefen, die dafür erforderliche Experimentierfreude und Offenheit bringt der passionierte Spezialist mit. Als Spezialist bereitet er den Kulturbesuch außerdem eigenständig und sehr umfassend vor beziehungsweise nach (z.B. durch das Lesen von Feuilletons, Fachzeitschriften). Im Moment der Rezeption setzt er auf ein unmittelbares Erleben; das heißt klassische Vermittlungsangebote (z.B. Führungen oder Einführungsveranstaltungen) werden selten genutzt. • Die kenntnisreichen Traditionalisten sind den passionierten Spezialisten auf den ersten Blick recht ähnlich: Es handelt sich um ein tendenziell älteres und reiserfahrenes Publikum, das häufig auch als Viel-Nutzer zu den Abonnenten oder Mitgliedern in Freundeskreisen von Kultureinrichtungen zählt. Allerdings manifestiert sich bei diesem Typus besonders stark, was der Soziologe Gerhard Schulze (2005: 142 ff.) als »Hochkulturschema« beschreibt: Das vorherrschende Rezeptionsmuster ist das der Kontemplation. Vertreter dieses Typus treten dem Kunstwerk beinahe andächtig gegenüber. Man hört betontermaßen klassische Musik oder liest gute Bücher. In der Darbietung wird Perfektion zum Ideal erhoben. Der kenntnisreiche Traditionalist begeistert sich dabei wie kein anderer Typus am Erlebnis des Schönen – das allerdings zeitgenössischen Kunstschaffen ausschließt. Wissen, das bereits vorhanden ist, soll bestätigt oder vertieft werden, zu diesem Zweck bereiten die kenntnisreichen Traditionalisten ihre Kulturbesuche ausführlich vor und nach. Sie legen außerdem großen Wert auf die Vermittlung durch einen Fachmann (z.B. promovierter Kunsthistoriker oder Historiker), nehmen deshalb auch an Studienreisen teil. Neben Museen und Ausstellungen zählen auch Besuche in Konzert-, Opern- und Schauspielhäusern zu den typischen Reiseaktivitäten der kenntnisrechen Traditionalisten. • Unter den aufgeschlossenen Entdecker finden wir die ersten Nicht-Besucher von Kultureinrichtungen im Alltag. Genauer formuliert handelt es sich um
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Nicht-Mehr-Besucher, die den Übergang in die Familienphase vollzogen haben oder deren Interesse am lokalen Kulturangebot erschöpft ist. Auf Reisen gelten Kunst und Kultur dagegen nach wie vor als Selbstverständlichkeit. Der aufgeschlossene Entdecker möchte sein Reiseziel dabei möglichst eigenständig und ohne strikten Plan erkunden, um die Atmosphäre einer Destination einzufangen und Raum für spontane Entdeckungen zu lassen. Vermittlungsangebote werden deshalb weniger nachgefragt, weil eben auch der Moment der Rezeption unmittelbar sein soll und es dem aufgeschlossenen Entdecker nicht um Wissen und Kennerschaft geht. Was ihm dagegen in Erinnerung bleibt und worauf er Wert legt, sind Kulturformate, die mit herkömmlichen Sehgewohnheiten brechen (z.B. ehemals das Ausstellungskonzept der Fotogalerie C/O Berlin im vorherigen Postfuhramt) oder einzelne Kunstobjekte, die berühren, weil sie zum Beispiel mit einer persönlichen Lebenssituation in Verbindung gebracht werden oder eine persönliche Anschauung widerspiegeln. Im Mittelpunkt steht dabei stets die eigene Selbsterfahrung. Künstler, Werktitel oder andere Hintergrundinformationen sind dagegen zweitrangig. Dieses Streben nach Selbsterfahrung und -ausdruck dürfte auch dafür verantwortlich sein, dass ein Großteil der aufgeschlossenen Entdecker selbst künstlerisch aktiv ist oder war (z.B. Musizieren oder Theaterspielen). • Der pflichtbewusste »Sightseeker« (engl. »to seek« = »etw. suchen«, »etw. anstreben«, »etw. begehren«) sucht auf Reisen, vornehmlich Städtereisen, gezielt Sehenswürdigkeiten auf. »Das muss man mal gesehen haben« steht als Besuchsmotiv in erster Linie von baukulturellen Sehenswürdigkeiten und bekannten Museen im Vordergrund. So konnten Vertreter dieses Typus beispielsweise auf der Festung Hohensalzburg, im Neuen Museum in Berlin oder in der ehemaligen Zeche Zollverein in Essen angetroffen werden – allesamt touristische Hotspots, die in Reiseführern mit Asterisken ausgezeichnet sind und als »must-sees« gelten. Auch wenn der pflichtbewusste »Sightseeker« keinesfalls überinformiert werden möchte, so legt er doch Wert darauf, das Gesehene stilgeschichtlich verorten zu können, die historische Entwicklung oder zumindest Versatzstücke aus der Geschichte seines Reiseziels in Erfahrung zu bringen. Deshalb nimmt er auch Vermittlungsangebote in Anspruch. Positiv bewertet werden dabei kurze Überblicksführungen sowie szenische Vermittlungsangebote. Im Alltag setzten sich die pflichtbewussten »Sightseeker«, die durch alle Altersstufen hindurch vertreten sind, etwa zur Hälfte aus Nicht-Besuchern zusammen, die kein tiefergehendes Interesse für Kunst und Kultur hegen. Wer im Alltag dagegen Kulturangebote nutzt, tut dies der Allgemeinbildung wegen. Besucht werden dann beispielsweise Aufführungen von Bühnenklassikern in möglichst »originaler« Inszenierung. Oder es werden
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unterhaltungsorientierte Formate favorisiert, die Spaß machen, Abstand und Erholung vom Alltag garantieren und ein geselliges Erlebnis versprechen (z.B. Kinovorstellungen, Kleinkunst- und Laienbühnen, Popkonzerte). Dieser Wunsch nach Unterhaltung kann auch Anlass für kulturell motivierte Reisen sein, zum Beispiel Musicalreisen oder Ausflüge zu Freilichtbühnen. • Die unterhaltungsorientierten Ausflügler treten im Alltag allesamt als NichtBesucher in Erscheinung. In den seltenen Fällen, in denen sie bisher eine Kultureinrichtung besucht haben, handelte es sich um unterhaltungsorientierte Formate, zum Beispiel Kino, Operetten, Pop- oder Schlagerkonzerte. Entspannung, Freude und Spaß sind in diesen Fällen charakteristisch für das Erleben, das bei diesem Typus grundsätzlich stärker emotional als kognitiv angelegt ist. Auf Reisen nehmen Kunst und Kultur dagegen durchaus den Stellenwert einer Reiseaktivität ein – ein Ausflug, um die Erholungsreise abwechslungsreicher zu gestalten beziehungsweise um zu besuchen, »was man unbedingt gesehen haben sollte«. Dazu gehören baukulturelle Sehenswürdigkeiten wie Klöster und Kirchen, Burgen und Schlösser, historische Stadtkerne und Gedenkstätten bekannter Persönlichkeiten. Die bleibende Erinnerung besteht im eigentlichen Besuch, in der Tatsache, selbst an einem betontermaßen sehenswerten Ort gewesen zu sein. Gelegentlich werden auch Tagesausflüge zu kulturellen Zielen vom Wohnort aus unternommen, dann beispielsweise, wenn Kinder im Haushalt leben und es sich explizit um Angebote für Familien und Kinder handelt, zum Beispiel ein Familientag im Freilichtmuseum. Die vorgestellte Typologie liefert ein empirisch-fundiertes, differenziertes Bild der kulturtouristischen Nachfrage. Die einzelnen Typen unterscheiden sich unter anderem in ihren kulturellen Interessen und Motiven, in ihrer Nutzungshäufigkeit, der Art und Weise, wie sie Kulturaktivitäten vor- und nachbereiten, in ihren Vorlieben für Vermittlungsangebote und das sowohl auf Reisen wie auch im Alltag. Dass ein Teil der befragten Kulturtouristen einen Rollenwechsel vollzieht – vom Nicht-Besucher im täglichen Leben zum temporären Besucher in der Außeralltäglichkeit des Reisens – schärft den Blick für das Potenzial des Kulturtourismus. Es lassen sich ganz offensichtlich nicht nur mehr Besucher, sondern vor allem auch neue Besucher erreichen (zu den Gründen für diesen Rollenwechsel vgl. ausführlich den Beitrag von Birgit Mandel in diesem Sammelband). Und dieses Potenzial dürfte noch sehr viel größer sein als bisher gedacht, denkt man den Kulturtourismus dergestalt weiter, wie es in den verschiedenen Beiträgen in diesem Sammelband der Fall ist. Gleichzeitig ist diese Typologie aber nicht »in Stein gemeißelt«; die Ergebnisse sind zeitlich nicht unbegrenzt gültig. Zu fragen ist also, wie sich die kultur-
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touristische Nachfrage künftig verändern wird – vor dem Hintergrund gesellschaftlicher beziehungsweise touristischer Trends.
»G OING LOCAL «
WIRD ZUM
» MUST - SEE «
Der aufgeschlossene Entdecker besticht als »Trendtreiber«. In seinen Motiven und in seinem Verhalten spiegelt sich bereits heute wider, was Trend- und Tourismusforscher unlängst für die touristische Nachfrage prophezeit haben: Er erkundet sein Reiseziel und entscheidet spontan, langfristig geplante Aktivitäten, die mit entsprechenden Buchungen einhergehen sind ihm fremd. Dieses spontane Reise- und Buchungsverhalten wird sich künftig ausweiten, so der Tourismusreport 2015: »Viel mehr als je zuvor wird situativ im Ist-Zeit-Zustand über etwas entschieden. Das verändert das Buchungs- und Bewertungsverhalten der Reisenden. Diese Vorgänge finden zunehmend spontan und nicht mehr in der klassischen Reihenfolge statt. Der Reisende entscheidet nicht mehr lange im Voraus, sondern möchte sich alle Möglichkeiten offen halten. So ist es in Zukunft wichtig, Tools anzubieten – insbesondere über mobile Endgeräte –, die immer eine Echtzeit-Interaktion zwischen Travellern und Touristikern ermöglichen, so dass die Reisepläne jederzeit geändert werden können.« (Kirig/Eckes 2014: 109)
Schon jetzt erweist sich der aufgeschlossene Entdecker als besonders affin, wenn es um die Nutzung mobiler Endgeräte auf Reisen geht. Die Destinationen ziehen nach, zum Beispiel mit Apps, die klassische Reiseführer ergänzen oder gar ersetzen, häufig mit dem Versprechen, den jeweiligen Ort »so zu erleben, wie er wirklich ist«. Mit der Going Local Berlin-App »können Sie Berlin ab sofort wie ein echter Berliner entdecken«4, so das Versprechen von visitBerlin. Überhaupt fällt auf, dass Destinationen und ihre touristischen Leistungsträger Besuchern immer häufiger »besondere«, »echte«, »authentische« Erlebnisse abseits der ausgetretenen touristischen »Trampelpfade« versprechen. »Small-scale, less visited places that offer a taste of ›local‹ or ›authentic‹ culture. Tourists increasingly say that they want to experience local culture, to live like locals and to find out about the real identity of the places they visit.« (Richards 2013: 299). Wohl auch deshalb sind Reiseblogs gefragt, weil die Blogger unverstellt von ihren Erlebnissen berichten, dabei scheint es die Follower weniger zu interessieren, dass es sich häufig um Blogger-Kampagnen handelt, die gezielt von den verantwortli-
4
Siehe www.visitberlin.de/de/artikel/going-local-berlin (letzter Abruf: 14.02.2017).
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chen Destinationsmanagern lanciert werden. Stadtführungen werden angeboten, die an entlegene Orte einer Destination führen. Die Vienna Ugly-Tour ist deshalb anders, weil sie einen Blick auf die hässlichen Seiten der Donaumetropole verspricht. »Beauty can be boring – but ugly never is.«5 Auf der Plattform Spotted by Locals verraten sogenannte »Spotters« ihre Lieblingsplätze in rund 70 Städten in Europa und Nordamerika.6 Und auch in der Wahl der Unterkünfte wird die Suche nach Authentizität manifest, nicht anders erklärt sich der Erfolg von Plattformen für private Unterkünfte, allen voran Airbnb (vgl. zum Angebot alternativer Unterkünfte auch die Beiträge von Leo Lettmayr und Katharina Phebey in diesem Sammelband). Angebote, wie sie hier beispielhaft genannt werden, sind keinesfalls neu, doch sie haben spürbar zugenommen und sind vermutlich auf dem besten Wege zum touristischen Mainstream zu werden, so lehrt es uns die Dialektik des Tourismus (vgl. dazu ausführlich Enzensberger 1958). Aus dem kleinen Kreis der Entdecker wird ein großer Kreis von »Normtrottern« (Kirig/Eckes 2014: 65), die auch entdecken wollen, ebenso nach einzigartigen und individuellen Erlebnissen gieren, aber für die sich der Aufwand in Grenzen halten soll: »Echte Individualität war gestern – zumindest die anstrengende Version. Die Sehnsucht nach dem Besonderen soll vereinbar sein mit Komfort und Sicherheit. Die Maxime der neuen Durchschnittstouristen lautet: einzigartige Erfahrungen im gesicherten Modus.« (Ebd: 69) Übertragen auf die kulturtouristische Nachfrage und die hier vorgestellte Typologie bedeutet diese Entwicklung: Die aufgeschlossenen Entdecker haben die Tourismusbranche für Bedürfnisse sensibilisiert, die heute von touristischen Leistungsträgern zuhauf in Form von massentauglichen Angeboten befriedigt werden. Erinnert sei nochmals an die oben zitierte Going Local Berlin-App, die zwar Begegnungen mit Locals verspricht, aber keineswegs von Einheimischen, sondern von der örtlichen Destinationsmanagement-Organisation ins Leben gerufen wurde und über die Kanäle von visitBerlin wohl vor allem klassische Städtetouristen ansprechen dürfte. Die pflichtbewussten »Sightseeker« besichtigen somit nicht mehr nur den spektakulären Museumsneubau, die restaurierte Schlossanlage, die Gedenkstätte oder das barocke Altstadtensemble. Sie buchen nicht mehr nur die klassische Stadtrundfahrt oder entscheiden sich für einen Rundgang zu Sammlungstücken, die man unbedingt gesehen haben muss. Sie werden künftig immer häufiger auch das Kreativquartier der Stadt, die Galerie im Außenbezirk oder das vermeintliche Szenelokal »besichtigen« – »going local« wird zum »must-see«. 5
Siehe www.spaceandplace.at/vienna-ugly (letzter Abruf: 14.02.2017).
6
Siehe www.spottedbylocals.com/ (letzter Abruf: 14.02.2017).
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Und die aufgeschlossenen Entdecker? »Erschlossene Berge sind wie ein kaputt gegangenes Spielzeug.« Gilt für jene Gruppe von Kulturtouristen im übertragenen Sinne auch, was Reinhold Messner frei nach dem Alpinisten Paul Preuß in seinem Messner Mountain Museum auf dem Kronplatz für die Zunft der Bergsteiger dokumentiert? Kehren wir noch einmal zur Dialektik des Tourismus und zur Sehnsucht nach authentischen Erlebnissen zurück, so ist diese Frage wohl mit einem »Ja« zu beantworten, denn »Touristen sind für andere Touristen untrügliche Marker für die Inszeniertheit des jeweiligen Settings, in das sie geraten sind und ›ent-authentifzieren‹ sich gegenseitig ihre Destinationen durch ihre bloße Präsenz« (Schäfer 2015: 12). Die aufgeschlossenen Entdecker werden sich deshalb vermutlich aufmachen und nach alternativen Erlebnissen suchen, sie werden neue Orte entdecken, Destinationen mitformen – und damit auch den Kulturtourismus in seinen Erscheinungsformen weiter mitprägen.
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CULTURE TO CREATIVITY «
Erste Tendenzen, wo die Reise wortwörtlich hingehen kann, lassen sich bereits erkennen. Der internationale Kulturtourismus-Experte Greg Richards beobachtet einen Wandel in den Bedürfnissen von Kulturtouristen »[f]rom culture to creativity« (Richards 2013: 297), das heißt »[…] cultural tourism is being transformed into creative tourism« (ebd.). Als ursächlich erweist sich seiner Meinung nach paradoxerweise der Markterfolg des Kulturtourismus, denn »cultural tourism is now becoming a victim of its own success. […] Just as cultural tourists are becoming more experienced, more sophisticated and better able to structure their own experiences, so the cultural tourism product being offered is becoming more standardised, more rigid and less engaging. […] Clearly, new types of cultural tourism products are needed.« (Ebd.: 299)
Aber auch einschlägige Veränderungen im Konsumentenverhalten macht Richards dafür verantwortlich: »from basic needs to creative needs« und »from goods to experiences« (ebd.: 298). Was den Konsumenten von heute antreibt, ist nicht mehr die Befriedigung existentieller Grundbedürfnisse, die das Überleben sichert. Mehr denn je treibt ihn dagegen die Suche nach dem eigenen Ich an. Im Mittelpunkt stehen Erlebnisse und Erfahrungen, das Streben danach die persönlichen Begabungen, Interessen und Fähigkeiten auszuleben und weiterzuentwickeln. Der Soziologe Albrecht Göschel stellt besonders für die Jugendlichen von heute fest:
108 | Y VONNE P RÖBSTLE »Zentraler Gegenstand von Jungend [sic!] ist […] Selbstsuche und Selbstfindung, die in eine individuelle Persönlichkeit, in eine sog. authentische Identität münden soll. Es muss das spezifisch Eigene gefunden werden. Also nicht Spaß, Unterhaltung, Spannung und Abenteuer sind die zentralen Gegenstände, um die es geht, sondern eben diese Persönlichkeitsfindung, der die genannten Erlebnisqualitäten gleichsam nur als Instrumente der Suche und Realisierung von Identität dienen.« (Göschel 2015: 50)
Wie aber Identität »authentisch« realisieren? Nach Göschel wird die sogenannte »kreative Expressivität« (ebd.: 52) zum Gebot einer ganzen Generation. Dafür spricht für ihn, dass Jugendliche in Scharen trotz schlechter Arbeitsmarktaussichten in alle Sparten der Kunstausbildung drängen und gleichzeitig das rezipierende Publikum im Kulturbetrieb beträchtlich schwindet (vgl. ebd.: 52). Und der Kultursoziologe Andreas Reckwitz unterstreicht mit seiner These einer »widersprüchliche[n] Doppelung von Kreativitätswunsch und Kreativitätsimperativ« (Reckwitz 2013: 23, vgl. ausführlich Reckwitz 2012) geradezu das Pflichtige, das Kreativität heute anhaftet: »Man will kreativ sein und soll es sein.« (Ebd.) Wie sehr dabei die »Figur des Künstlers« (ebd.) zum Ankerpunkt wird, zeigt Reckwitz auf, wenn er sich dem Begriff der Kreativität nähert: »Kreativität enthält in einem ersten Zugriff eine doppelte Bedeutung: Zum einen verweist sie auf die Fähigkeit und die Realität, dynamisch Neues hervorzubringen. Kreativität bevorzugt das Neue gegenüber dem Alten, das Abweichende gegenüber dem Standard, das Andere gegenüber dem Gleichen. Zum anderen impliziert Kreativität ein Modell des ›Schöpferischen‹, welches diese Tätigkeit des Neuen an die moderne Figur des Künstlers, an das Künstlerische und Ästhetische zurückbindet. Es geht um mehr als um eine rein technische Produktion von Neuartigem, viel mehr um die sinnliche und affektive Erregung durch dieses Neue in Permanenz. Es geht um eine entsprechende Modellierung des Individuums als schöpferisches Subjekt, die dem Künstler analog ist.« (Ebd.)
Die individuell und gesellschaftlich auferlegte Pflicht zur Kreativität schlägt sich im Alltag – und auf Reisen – folglich auch in künstlerischen Aktivitäten nieder: »People want to paint, draw, design, photograph, sing, do yoga – a whole range of activities that will build their own skills and develop their potential.« (Richards 2013: 298). Exakt diese Art von Bedürfnissen und Aktivitäten begründen eine neue Erscheinungsform des Kulturtourismus, die Richards als »creative tourism« bezeichnet: »Tourism which offers visitors the opportunity to develop their creative potential through active participation in courses and learning experiences which are characteristic of the holiday destination where they are undertaken.« (Ebd.: 300) Und es gibt bereits Destinationen, die diesen Trend erkannt
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haben. Zu den Vorreitern gehören Creative Tourism New Zealand, Barcelona Creative Tourism und Creative Tourism Austria.7 In diesen Destinationen ist der Kulturtourist nicht länger nur mehr Rezipient, sondern er schlüpft in die Produzentenrolle, im Idealfall kommt er mit der »creative class« vor Ort in Berührung und findet am ehesten etwas, was sich »echt«, »authentisch«, eben »nichttouristisch« anfühlt. »Die Partizipation an der kreativen Klasse wird zum Qualitätsmerkmal einer gelungenen Reise« (Kirig/Eckes 2014: 101). Die Tourismusbranche entdeckt deshalb auch hierzulande, wenn auch zaghaft, das Thema »Kreativität« als touristischen Attraktivitätsfaktor. So fördert beispielsweise Tourismus NRW e.V. aktuell mit Mitteln aus dem Europäischen Fond für regionale Entwicklung (EFRE) das Projekt »NRW als Destination für Urban Lifestyle und Szene« zu positionieren und Kreativität für den Gast erlebbar zu machen.8
L AND
NEU ENTDECKEN
Während die kreative Klasse überwiegend in den urbanen Zentren siedelt, und somit die städtischen Destinationen mit ihren Kreativquartieren und Szenevierteln weiterhin auch für die aufgeschlossenen Entdecker interessant sein dürften, tut sich in ländlichen Räumen ein weiteres Refugium für die tourismusgeplagten Entdecker auf. »Sheer numerical logic dictates that as tourism grows and people attain more travel experience, the frontier of discovery will shift from remote regions to those areas closer to home that have previously been ignored by tourists.« (Richards/Russo 2014: 5) Tourismusforscher prognostizieren vor allem der Provinz eine vielversprechende Zukunft. »Denn ländliche Räume werden neu entdeckt, neu belebt, neu kultiviert.« (Kirig 2013: 64) Schon jetzt bestätigt die sogenannte Kulturtourismusstudie9 für die bestehende kulturelle Infrastruktur im ländlichen Raum Zuwächse an touristischen Besucher in den letzten fünf Jahren (vgl. Pröbstle 2016: 7). Zum Vorteil wird dem »Stiefkind des Tourismus« (Steinecke 2003: 2) aber ausgerechnet das, was ländlichen Räumen lange Zeit als Manko ausgelegt wurde: »Die Provinz muss nicht dieselben Dinge besitzen wie eine Großstadt« (Kirig 2013: 64). Das häufige Fehlen von kulturellen »Leuchttürmen« beziehungsweise der Dichte solcher Attraktionen – erstklassige
7
Siehe www.creativetourism.co.nz, www.barcelonacreativa.info und www.kreativrei
8
Siehe www.touristiker-nrw.de/foerderprojekte/urbanana (letzter Abruf: 23.03.2017).
9
Siehe zur Kulturtourismusstudie ausführlich www.kulturtourismusstudie.de (letzter
sen.at (letzter Abruf: 15.02.2017).
Abruf: 07.03.2017).
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Sammlungen, Blockbuster-Ausstellungen, hochkarätig besetzte Festivals, denkmalgeschützte Altstadtensembles und Wirkungsorte berühmter Persönlichkeiten – ist nicht länger ein Makel, sondern wird als Chance begriffen. Als Chance, um Künstlern Freiräume zu ermöglichen, Formate zu erproben, die es im etablierten Kulturbetrieb schwer haben, für die Orte zum Experimentieren fehlen oder die als besonders geeignet erachtet werden, um Transformationsprozesse anzustoßen und aktuellen gesellschaftlichen wie kulturbetrieblichen Herausforderungen (z.B. Demografischer Wandel, Digitalisierung oder kulturelle Teilhabe und Bildung) zu begegnen (vgl. dazu auch den Beitrag von Céline Kruska und Yvonne Pröbstle in diesem Sammelband). Gepaart mit dem Umstand, dass ländliche Räume häufig als strukturschwach eingestuft werden, begründen die genannten Chancen mittlerweile eine ganze Reihe von Förderprogrammen. Mehr noch, das Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft vermeldete 2015 in der Bestandsaufnahme Förderpotenziale für die kulturelle Infrastruktur sowie für kulturelle Aktivitäten in ländlichen Räumen: »›So viel Förderung war nie!‹«, und zwar auf Länder-, Bundes- und EU-Ebene (Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft 2015: 81). Die Kulturstiftung des Bundes fördert beispielsweise aktuell mit dem Programm »TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel« gezielt ländlich geprägte Regionen und Gemeinden. »Gefördert werden Projekte und künstlerische Ansätze mit Pionierfunktion, die neue Wege kultureller Produktion aufzeigen.«10 Ebenso schreibt die Robert Bosch Stiftung Förderprogramme für Akteure abseits der urbanen Zentren aus, zum Beispiel das Programm »Neulandgewinner. Zukunft erfinden vor Ort«, das bürgerschaftliches Engagement aktivieren und unter anderem für künstlerisch-kulturelle Projekte fruchtbar machen soll.11 Auch auf ein »wanderndes« Kunst und Kulturprojekt mit dem Titel »Matchbox« der Metropolregion Rhein-Neckar entfallen seit 2015 öffentliche und private Fördermittel, um »gezielt den ländlichen Raum abseits der urbanen Zentren zu bespielen«.12 Dabei muss Kultur nicht immer der explizite oder alleinige Fördergegenstand sein. Häufig werden unter anderen Schlagwörtern – darunter auch »Tourismus« – kulturelle Anliegen gefördert. Die Struktur- und Investitionsfonds der EU geben dafür ein gutes Beispiel ab (vgl. Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft 2015: 82, Pröbstle 2015: 117 ff., Wingert 2015). Aktuell fördert aber auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie das Quer-
10 Siehe
www.kulturstiftung-des-bundes.de/cms/de/projekte/nachhaltigkeit_und_zu
kunft/trafo/index.html (letzter Abruf: 23.02.2017). 11 Siehe www.neulandgewinner.de (letzter Abruf: 23.02.2017). 12 Siehe www.matchbox-rhein-neckar.de (letzter Abruf: 27.02.2017).
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schnittsthema Kultur und Tourismus in ausgewählten Modellregionen im ländlichen Raum mit dem Projekt »Die Destination als Bühne«.13 Die Zeichen stehen also günstig für ländliche Destinationen – die aufgeschlossenen Entdecker sehnen sich nach Rückzugsorten, sie suchen nach Alternativen, die es abseits der Metropolen und Großstädte zu erkunden lohnt und gleichzeitig tun sich vielseitige Förderperspektiven für den Kulturtourismus in ländlichen Räumen auf. Hinzu kommt nachfrageseitig ein weiterer Vorteil: Die Begegnung mit »echten« Locals, mit Einheimischen, wie sie vielfach in diesem Beitrag bereits als Begehr beschrieben wurde, lässt sich in der Wahrnehmung von Reisenden in ländlichen Destinationen ganz offensichtlich (noch) realisieren, wie ein aktuelles Forschungsprojekt am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim zeigt: »Ein […] Ergebnis ist, dass für viele Touristen die Begegnung mit Einheimischen in einem Kontext, der als lokal authentisch wahrgenommen wird, ein zentrales Motiv ihrer touristischen Erkundungen fern der Großstädte darstellt. Die Touristen sprechen explizit davon, sich als Teilhabende in der kulturellen und sozialen Welt der einheimischen Bevölkerung wahrzunehmen. So beschrieben etwa die touristischen Besucher der ›Kulturellen Landpartie‹ im Wendland, die im Rahmen einer Erkundungstour durch die Landschaft Künstler und Kunsthandwerker in ihren Ateliers besuchten, vor allem die gemeinsamen Ausstellungsbesuche und Gespräche dort mit den einheimischen Besuchern als besonderen Höhepunkt.« (Drews/Mandel 2015: 63)
So dürften also ländliche Regionen mehr und mehr zu »›creative outposts‹« (Richards/Russo 2014: 4) werden und, so lehrt es uns die Geschichte des Tourismus, als »Geheimtipps« nach und nach mehr Touristen anziehen. Vorerst aber wird sich der aufgeschlossene Entdecker dorthin zurückziehen, das Land neu entdecken und dadurch allmählich den Weg für die Touristenscharen von morgen ebnen.
ATTRAKTIVE ALTERNATIVEN FÜR
DEN
N ICHT -B ESUCHER
Wenn die aufgeschlossenen Entdecker die Pioniere des Kulturtourismus von morgen sind was wird dann aus dem Gros der verbleibenden Kulturtouristen? Die pflichtbewussten »Sightseeker« werden wohl immer häufiger auf den einsti-
13 Siehe www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Tourismus/tourismuspolitik-schwerpunk te-kulturtourismus.html und www.culturcamp.de (letzter Abruf: 27.02.2017).
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gen Spuren der aufgeschlossenen Entdecker in den Städten wandeln und das vermeintlich Authentische »besichtigen« (vgl. Kapitel »›going local‹ wird zum ›must-see‹«). Und wo werden wir künftig die kenntnisreichen Traditionalisten antreffen? Treffen wir sie überhaupt noch an? Die Publikumsforschung lehrt uns immer wieder, dass kulturelle Einstellungen und damit auch das Nutzungsverhalten generationenbedingt sein können (vgl. dazu die wegweisende Untersuchung von Göschel 1991 und die Beiträge in Glogner-Pilz/Föhl 2016). Anders als beispielsweise die pflichtbewussten »Sightseeker«, die durch alle Altersstufen hindurch vertreten sind, erweisen sich gerade die kenntnisreichen Traditionalisten als altersmäßig besonders homogene Gruppe von Kulturtouristen. Und es ist die Gruppe mit den ältesten Kulturtouristen. Auch die passionierten Spezialisten könnten möglicherweise zukünftig weniger häufig angetroffen werden. Zum einen ist auch dieser Typus des Kulturtouristen tendenziell älter, zum anderen zeigt die Publikumsforschung im Zeitvergleich deutliche Tendenzen auf, die für einen sogenannten »Kulturflaneur« sprechen. Dieser Typus des Kulturnutzers bindet sich nicht an eine Sparte, ein Genre oder ausgewählte Künstler, er lässt sich nicht festschreiben. Ihn kennzeichnet ein wechselhaftes Kulturnutzungsverhalten (vgl. Keuchel 2005: 119 f., Keuchel 2011: 12), ganz anders also als der passionierte Spezialist. Und die unterhaltungsorientierten Ausflügler? Zur Erinnerung: Sie vollziehen auf Reisen einen Rollenwechsel vom Nicht-Besucher im Alltag zum temporären Besucher von Kultureinrichtungen. Ihnen dürfte vor allem ein Großteil jener Erscheinungsformen des Kulturtourismus entgegen kommen, die in diesem Sammelband diskutiert werden. Erscheinungsformen, die nicht zwangsläufig an Einrichtungen der Hochkultur gebunden sind, die keine institutionellen Berührungsängste aufbauen, die kein Vorwissen voraussetzen oder eine hohe Konzentration fordern, die stattdessen mehr Alltagsinteressen widerspiegeln, die auf Edutainment (vgl. dazu den Beitrag von Armin Klein in diesem Sammelband) oder ganz und gar auf Entertainment setzen und die sich problemlos mit anderen Reisemotiven und Bedürfnissen kombinieren lassen und häufig auch in ein attraktives Gesamtsetting eingebettet sind. Eine Kulturroute, die durch eine ansprechende Landschaft führt und zu Fuß oder mit dem Rad bereist werden kann, befriedigt den Naturliebhaber ebenso wie den Wanderer beziehungsweise Radfahrer und den Kulturinteressierten im Touristen (vgl. dazu den Beitrag von Matthias Burzinski und Lara Buschmann in diesem Sammelband). Auch der Kreuzfahrttourist kann aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Aktivitäten wählen und selbst die Kulturangebote sind derart vielfältig, dass der Gast die Qual der Wahl hat, wie die Beiträge von Arthur Castro, Lutz Deyhle und Thomas Schmidt-Ott in diesem Sammelband zeigen. Wer dagegen an Land bleibt, aber
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nicht das Museum besuchen oder an einer Stadtführung teilnehmen, dafür jedoch an den Original-Drehort eines Blockbusters oder seiner Lieblingsserie reisen möchte, der findet mittlerweile als Filmtourist ebenfalls zahlreiche Angebote (vgl. dazu den Beitrag von Stefan Rösch in diesem Sammelband). Auch diese Form des Kulturtourismus lässt sich verhältnismäßig einfach mit anderen Reisemotiven kombinieren. Man denke etwa nur an die Vermarktung der erfolgreichen TV-Serie Der Bergdoktor, die in der Destination Wilder Kaiser in Tirol spielt. Fans können auf den Spuren der Serie wandern, eine E-Bike-Tour oder eine Traktorfahrt zum Bergdoktor-Hof mit kulinarischem Angebot unternehmen.14 Den Freizeit- und Themenpark-Besuchern hierzulande bietet sich dagegen die Möglichkeit, temporär in fremde Kulturen, Epochen oder Traditionen einzutauchen. Dort darf man Spaß haben, sich unterhalten lassen und etwas lernen – auch hier ohne einen musealen oder ähnlichen Raum betreten zu müssen (vgl. dazu den Beitrag von Dieter Brinkmann in diesem Sammelband). Und wer möchte kann mittlerweile selbst in ausgewählten Hotels etwas über die Vergangenheit und Identität einer Destination erfahren – Stadtgeschichte(n) wird beziehungsweise werden immer häufiger auch in Hotels inszeniert und zum Erlebnis für den Gast (vgl. dazu den Beitrag von Katharina Phebey in diesem Sammelband) – zusammengefasst also ein wahrliches Angebotsparadies für die unterhaltungsorientierten Ausflügler.
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UND
AUSBLICK
Kulturangebote für Touristen scheinen also mittlerweile überall verfügbar zu sein – nicht nur in Museen, im Opern- oder Schauspielhaus, bei Festspielen und Festivals oder in anderen Häusern der institutionalisierten Hochkultur. Und auch wenn sämtliche der hier vorgestellten Typen von Kulturtouristen als Besucher solcher Einrichtungen angetroffen wurden und sicherlich ein Teil davon auch künftig dort angetroffen werden kann, lässt sich nicht leugnen, dass der Kulturbetrieb deutlich an Konkurrenz gewonnen hat. Ausgerechnet diesen Konkurrenzangeboten scheint es zudem besonders erfolgreich zu gelingen, die NichtBesucher zu gewinnen. Verhält es sich am Ende gar so, dass sich »Kultur für alle« am ehesten außerhalb des öffentlich geförderten Kulturbetriebs realisieren lässt? Der Berliner Kulturstaatsekretär Tim Renner hat auf diese Frage in der
14 Siehe www.wilderkaiser.info/de/sommer-tirol/bergdoktor-drehorte.html (letzter Abruf: 27.02.2017).
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jüngsten Vergangenheit, wohlgemerkt vollkommen losgelöst vom Thema Kulturtourismus, eine eindeutige Antwort gegeben: »Unserem kulturpolitischen Oberziel, der ›Kultur für alle‹, sind wir so bei ehrlicher Betrachtung noch nicht sehr nahe gekommen. Etwa 50 Prozent der Bevölkerung nehmen nie öffentlich geförderte Kulturangebote wahr. Die gute Nachricht: ›Kultur für alle‹ ist trotzdem irgendwie Realität, nur ist das eben nicht in erster Linie das Verdienst öffentlicher Kulturpolitik, sondern nicht unmaßgeblich auch das von Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Es reicht, die eigenen Kinder zu beobachten, die sich mit fast nichts anderem beschäftigen als mit Kultur. Sie hören Musik, fotografieren, lesen, spielen und bewegen sich in den sozialen Netzwerken. YouTube ist heute die größte Bildungs- und Kulturplattform der Welt. Dort kann man (ja, neben den ganzen Katzenvideos) Spielfilme sehen, Konzerte hören, Vorlesungen verfolgen, Instrumente lernen und unendlich viel mehr. Doch ich rede nicht nur vom Netz. Kinos, kommerzielle Konzertveranstalter, sogar privat finanzierte Ausstellungshäuser wie das C/O Berlin für Fotografie – sie alle versorgen die Menschen mit kulturellen Angeboten, wenngleich man über deren Qualität natürlich manchmal streiten kann.« (Renner 2016: 370 f.)
Es ist selbstverständlich ein Stück weit wie mit dem sprichwörtlichen Vergleich von Äpfeln und Birnen. Einrichtungen, die einem kulturpolitischem (Bildungs-) Auftrag folgen, werden sich beispielsweise schwer tun sich mit touristischen Angeboten auseinanderzusetzen, die auf Entertainment setzen, auch wenn es dadurch gelingen mag, Menschen überhaupt mit Kulturangeboten in Berührung zu bringen. Dass es aber auch anders geht, zeigen Beispiele von sogenannten lateralen Kooperationen in Praxis, also Zusammenschlüssen von Akteuren und Angeboten, die auf den ersten Blick keinen direkten Bezug zueinander aufweisen (vgl. Föhl/Pröbstle 2011: 127). Wieder einmal ist es hier die Kreuzfahrtindustrie tonangebend. »[…] das weltweit erste maritime Museum auf hoher See« befindet sich auf der Mein Schiff 3 und »ist eine Kooperation von TUI Cruises und dem Internationalen Maritimen Museum Hamburg, Peter Tamm Sen. Stiftung. […] Die interaktive Dauerausstellung Meerleben auf der Mein Schiff 3 gibt Einblicke in die Geschichte der Seefahrt von den Anfängen bis heute und zeigt, wie Meeresforscher heute die Meere erkunden.«15
Auch musikalisch hat TUI Cruises mit der »weltweilt ersten[n] kammermusikalischen Philharmonie auf See« nachgezogen, Kooperationspartner ist unter ande15 Siehe www.tuicruises.com/mein-schiff-3/innenbereiche/meerleben (letzter Abruf: 02. 03.2017).
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rem das Deutsche Symphonie Orchester Berlin, die Staatsoper Hamburg, das Schleswig-Holstein Musik Festival und die Wiener Philharmoniker.16 Aber auch andere Tourismusdienstleister und Kulturakteure ziehen in Sachen Kooperation nach. Was lange Zeit Grand Hotels und exklusiven Resorts17 vorbehalten war, findet nun auch in der Breite erste Beispiele: Das Best Western Hotel Via Regia in Görlitz, das 2014 eröffnete und sich über zwei Baudenkmäler aus der Gründerzeit erstreckt, beherbergt eine Leihgabe des Kulturhistorischen Museums Görlitz sowie ein interaktives Museumsterminal des Staatlichen Kunstmuseums Dresden.18 An diesen letzten Beispielen in diesem Beitrag zeigt sich einmal mehr die Immanenz von Kooperationen im Kulturtourismus (vgl. dazu ausführlich Föhl/Pröbstle 2011). Und mehr noch, die Bedeutung solcher Kooperationen wird zunehmen, je mehr sich die Erscheinungsformen angebotsseitig ausweiten und der Kulturtourist von morgen solche Angebote einfordert. Für Kulturmanager heißt das wie so oft den Blick über den Tellerrand zu wagen und zum Mittler zwischen Kultur und Tourismus zu werden.
L ITERATUR Drews, Katja/Mandel, Birgit (2015): »Potenziale des Kulturtourismus in ländlichen Regionen. Gemeinsame Kulturerfahrungen und Begegnung von Touristen und Einheimischen«, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 151, 04.2015, S. 62-63. Enzensberger, Hans Magnus (1958): »Vergebliche Brandung in der Ferne. Eine Theorie des Tourismus«, in: Merkur, Jahrgang 12, Heft 8, S. 701-720. Föhl, Patrick S./Pröbstle, Yvonne (2011): »Kooperationen als Wesenselement des Kulturtourismus«, in: Hausmann, Andrea/Murzik, Laura (Hg.) (2011): Neue Impulse im Kulturtourismus, Wiesbaden, S. 111-138.
16 Siehe www.tuicruises.com/mein-schiff-3/innenbereiche/klanghaus (letzter Abruf: 02. 03.2017). 17 Vgl. exemplarisch die Kooperationen zwischen dem Kunstmuseum Bern und dem Grandhotel Griessbach (siehe http://blog.kunstmuseumbern.ch/gemalde-leihgabenim-grandhotel-giessbach-seit-25-jahren/, letzter Abruf 02.03.2017) sowie dem Resort und Spa-Schloss Fuschl und diversen Galerien (siehe www.schlossfuschlsalzburg. com/kunst, letzter Abruf 02.03.2017). 18 Siehe www.goerlitzer-anzeiger.de/goerlitz/wirtschaft/10933_goerlitz-neues-best-west ern-boutique-hotel.html (letzter Abruf: 02.03.2017).
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Glogner-Pilz, Patrick/Föhl, Patrick S. (Hg.) (2016): Handbuch Kulturpublikum. Forschungsfragen und -befunde, Wiesbaden. Göschel, Albrecht (1991): Die Ungleichzeitigkeit der Kultur. Wandel des Kulturbegriffs in vier Generationen, Stuttgart/Berlin/Köln. Göschel, Albrecht (2015): »Kulturpolitik in der ›Authentizitätsgesellschaft‹«, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Band 2, Nr. 149, S. 50-53. Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hg.) (2015): Förderpotenziale für die kulturelle Infrastruktur sowie für kulturelle Aktivitäten in ländlichen Räumen. Eine Bestandsaufnahme, Bonn. Siehe www.kupoge. de/download/Studie_laendliche-kulturarbeit.pdf (letzter Abruf: 23.02.2017). Keuchel, Susanne (2005): »Das Kulturpublikum zwischen Kontinuität und Wandel – Empirische Perspektiven«, in: Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2005. Kulturpublikum, S. 111-125. Keuchel, Susanne (2011): 9. KulturBarometer. Ist die Krise überwunden? Siehe http://kulturvermittlung-online.de/pdf/9._kulturbarometer.pdf (letzter Abruf: 20.02.2017). Kirig, Anja (2013): Tourismusreport 2014, Frankfurt a.M. Kirig, Anja/Eckes, Susanne (2014): Tourismusreport 2015, Frankfurt a.M. Lohmann, Martin (1999): »Kulturtouristen oder die touristische Nachfrage nach Kulturangeboten«, in: Heinze, Thomas (Hg.): Kulturtourismus. Grundlagen, Trends und Fallstudien, München/Wien, S. 52-82. Pröbstle, Yvonne (2014): Kulturtouristen. Eine Typologie, Wiesbaden. Pröbstle, Yvonne (2015): »Förderkriterium Kulturtourismus. Chancen, Risiken und aktuelle Beispiele aus der Förderlandschaft«, in: Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2014. Neue Kulturförderung, S. 115-125. Pröbstle, Yvonne (2016): »Was kann und was braucht der Kulturtourismus? Fragen an und Antworten von Kulturakteuren«, in: KM-Magazin, Kultur und Management im Dialog, Schwerpunkt Kulturtourismus, Nr. 110, 02.2016, S. 6-13. Siehe www.kulturmanagement.net/frontend/media/Magazin/km1602. pdf (letzter Abruf: 23.02.2017). Reckwitz, Andreas (2012): Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin. Reckwitz, Andreas (2013): »Die Erfindung der Kreativität«, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 141, 02.2013, S. 23-34. Renner, Tim (2016): »Wie wichtig wir sind, bestimmen wir selbst. Notizen zur aktuellen Kulturpolitik«, in: Sievers, Norbert/Föhl, Patrick S./Knoblich,
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Tobias J. (Hg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2015/16. Thema: Transformatorische Kulturpolitik, Essen, S. 369-373. Richards, Greg (2013): »Tourism development trajectories. From culture to creativity?«, in: Smith, Melanie/Richards, Greg (Hg.): The Routledge Handbook of Cultural Tourism, London/New York, S. 297-303. Richards, Greg/Russo, Antonio Paolo (2014): »Alternative and creative tourism: Developments and prospects«, in: Ders. (Hg.): Alternative and Creative Tourism, Arnhem, S. 4-9. Schäfer, Robert (2015): Tourismus und Authentizität. Zur gesellschaftlichen Organisation von Außeralltäglichkeit, Bielefeld. Schulze, Gerhard (2005): Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, München/Frankfurt a.M. Steinecke, Albrecht (2003): »Erlebnis- und Konsumwelten – eine Strategie auch für den ländlichen Raum?«, in: Popp, Herbert (Hg.): Auf der Suche nach kreativen Formen eines ländlichen Tourismus, Bamberg, S. 2-11. Wingert, Christine (2015). »Förderung für Kultur in ländlichen Räumen. Programme, Akteure und mögliche Synergien«, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 151, 04.2015, S. 35-38.
Kunst und Kultur auf hoher See
Kreuzfahrt-Touristen unter der Lupe der Marktforschung J ÜRGEN E ISELE
M EGATREND H OCHSEEKREUZFAHRT Der Markt für Hochseekreuzfahrten in Deutschland ist in den letzten Jahren regelrecht explodiert: Im Jahr 1997 reisten gerade einmal 233.000 Deutsche auf einem Hochseeschiff. 2015 lag diese Zahl bei über 1.800.000 und damit rund achtmal höher als noch vor 18 Jahren. Ein Ende dieses Wachstumsbooms ist noch lange nicht in Sicht.1 So können sich derzeit rund 30 Prozent der Deutschen vorstellen, in den nächsten drei Jahren eine Hochseekreuzfahrt zu unternehmen. Dafür würden sie im Schnitt knapp 1.400 Euro pro Person/Woche ohne An-/Abreise investieren. Allein bei Betrachtung der Gruppe der Deutschen, die mindestens 750 Euro pro Person/Woche ausgeben würden, ergibt sich ein hypothetisches Marktpotenzial von knapp 13,6 Millionen Gästen. Bei einer durchschnittlichen Ausgabebereitschaft von 1.800 Euro pro Person/Woche in dieser Zielgruppe beträgt das Marktvolumen rund 24 Milliarden Euro Reiseumsatz, von dem die Kreuzfahrtunternehmen 2015 gerade einmal 2,9 Milliarden Euro (vgl. CLIA/DRV 2016) realisiert haben! Folglich könnte die Branche künftig noch schneller wachsen, als in den vergangenen 18 Jahren geschehen. Den einzig limitierenden Faktor für einen noch steileren Wachstumskurs stellen die derzeit nicht vorhandenen Kapazitäten dar. Ein Beispiel: In den Jahren 2014/2015 betrug das Marktwachstum im deutschen Hochseekreuzfahrtmarkt lediglich 2,3 Prozent, während die Wachstumsraten in
1
Die folgenden Zahlen entstammen diversen repräsentativen Studien von management consult Dr. Eisele & Dr. Noll GmbH im Kreuzfahrtsegment, die im Kundenauftrag durchgeführt wurden.
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den Vorjahren deutlich höher ausfielen. Worin lag der Grund für dieses geringe Wachstum? Schlicht darin, dass AIDAprima, der neueste Bau von AIDA Cruises, knapp ein Jahr später als geplant ausgeliefert wurde. Hätten die Kapazitäten, wie geplant, bereits ab April 2015 zur Verfügung gestanden, wäre der Markt um weitere ca. 130.000 Gästewochen gewachsen. Die Wachstumsrate hätte anstatt der kümmerlichen 2,3 Prozent bei satten 9,7 Prozent gelegen. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit den Hintergründen des Kreuzfahrtbooms. Dazu werden zunächst die Motive von Touristen in Deutschland analysiert. Neben den allgemeinen Reisemotiven interessiert insbesondere die Motivationslage der Kreuzfahrttouristen. Im nächsten Schritt soll auf zentrale Auswahlkriterien für die Kreuzfahrtbuchung eingegangen werden. Da die Gästeloyalität einen wesentlichen Treiber des Kreuzfahrtbooms darstellt, soll diese im Anschluss daran skizziert und mit anderen touristischen Leistungsträgern verglichen werden. Der Beitrag endet mit einem Blick in die Zukunft der Branche.
M OTIVE
ALS
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FÜR
U RLAUBSREISEN
Generelle Bedeutung von Motiven Aus psychologischer Sicht sind Motive die Antriebskräfte des Menschen, die einen erheblichen Einfluss auf sein Verhalten haben. Will man die Entscheidung für eine Hochseekreuzfahrt erklären, kommt man um eine Analyse der Motivationslage der Zielgruppen nicht herum. Dabei tauchen sofort zwei Fragen auf: Wie viele und welche Reisemotive gibt es? Gibt es Motive, die wichtiger sind als andere? Mit diesen Fragen ist ein ganzes Bündel schwieriger theoretischer und methodischer Fragestellungen verbunden, auf die im Folgenden nicht vertieft eingegangen wird. Dennoch seien die folgenden Anmerkungen gestattet: • Es gibt seitens der Tourismuswissenschaft keine vollständige und validierte
Liste an Reisemotiven, auf die für eine Analyse zurückgegriffen werden kann. • Fragt man direkt und offen nach Beweggründen, einen bestimmten Urlaub zu
unternehmen, erhält man häufig nicht die wahren Motive. Ein Grund dafür könnte in sozial erwünschten Antworten liegen. Ein weiterer Grund besteht darin, dass sich die Zielgruppen aufgrund von Motiven verhalten, die ihnen selbst oft gar nicht bewusst sind (vgl. Frey-Rohn 2011). • Motive sind erlernt und hängen von der sozialen Prägung eines Menschen ab; sie können sich im Zeitverlauf (z.B. spezifische Lebenssituation) verändern.
K REUZFAHRT -T OURISTEN
UNTER DER
L UPE DER M ARKTFORSCHUNG
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Vor diesem Hintergrund haben wir uns im Rahmen einer zweistufigen empirischen Studie unter anderem mit der Frage beschäftigt, welche Motive für eine Hochseekreuzfahrt existieren. Im Rahmen der ersten Projektstufe erfolgte dabei mittels Literaturrecherchen und Expertengesprächen eine möglichst vollständige Auflistung relevanter Motive. Als theoretischer Bezugsrahmen diente dazu die von Opaschowski entwickelte Theorie grundlegender Freizeitbedürfnisse (vgl. Opaschowski 1987: 90 f.) aus der er selbst eine Typologie von zehn Urlaubsmotiven2 ableitet (vgl. Opaschowski 2002: 91 ff.). Abbildung 1: Grundlegende Freizeitbedürfnisse nach Opaschowski
Eigene Darstellung
Konsolidiert brachte die erste Projektstufe eine Liste von 86 Reisemotiven hervor. Diese Liste wurde im Rahmen eines Expertenworkshops evaluiert und auf 34 zentrale Motive reduziert.
2
Gemäß Opaschowski sind dies die Motive Ruhe, Sonne, Kontrast, Natur, Freiheit, Kontakt, Spaß, Komfort, Kultur und Aktivität.
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Im Rahmen der zweiten Projektstufe erfolgte im Frühjahr 2016 eine Analyse des deutschen Reisemarktes3. Zu diesem Zweck wurden 1.000 vollständig repräsentativ ausgewählte Personen über 18 Jahren befragt, die im letzten Jahr mindestens eine Urlaubsreise unternommen haben. Darüber hinaus wurden weitere 1.000 Personen gefragt, die in den letzten 24 Monaten eine Kreuzfahrt gebucht haben und/oder sich vorstellen konnten, in den nächsten zwölf Monaten eine Hochseekreuzfahrt zu buchen (Kreuzfahrtinteressierte). Die Befragung erfolgte online; die Rekrutierung erfolgte über ein Online Access Panel. Zur Analyse der Relevanz der Reisemotive wurde das Maximum Difference Scaling-Verfahren (MaxDiff) eingesetzt (vgl. Ten Berge 1988: 488 ff.). Den Befragten wurden 36 verschiedene Sets von jeweils vier Motiven aus der vollständigen Liste von 34 Motiven gezeigt. Die Zusammenstellung der Sets erfolgt nach einem experimentellen Design. Aus jedem Auswahlset mussten die Befragten jeweils das wichtigste und das am wenigsten wichtige Motiv auswählen. Abbildung 2: MaxDiff Interviewsituation
Eigene Darstellung
Aus den Antworten der Befragten konnten mittels eines speziellen statistischen Schätzverfahrens4 die individuellen Wichtigkeiten für alle Urlaubsmotive berechnet werden.
3
Die Untersuchung wurde im April 2016 im Rahmen einer repräsentativen Eigenstudie
4
Im vorliegenden Fall wurden die Parameterschätzungen mittels hierarchischer Bayes-
durchgeführt. Die Ergebnisse werden voraussichtlich Anfang 2017 veröffentlicht. Verfahren vorgenommen.
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Die Ergebnisse sind einfach und eindeutig interpretierbar. Alle Reisemotive erhalten einen Wert zwischen 0 und 100. Die Werte summieren sich auf 100. Bei 34 getesteten Reisemotiven sind MaxDiff-Werte von über 2,9 überdurchschnittlich wichtig. Unterscheiden sich Reisemotive von Kreuzfahrern von anderen Touristen? Betrachtet man die Top 10 Reisemotive in Deutschland vor dem Hintergrund von Opaschowkis Typologie der Freizeitbedürfnisse, so lassen sich 7 der 10 Bedürfnisse unter den am häufigsten genannten Motiven wiederfinden: Tabelle 1: Reisemotive für deutsche Urlauber Rangplatz (x von 34)
Reisemotive – Top 10
MaxDiff Wert Bedürfnisgruppe
1
Entspannung/Erholung
6,7
Rekreation
2
Spaß/Vergnügen
6,1
Kompensation
3
Einfach genießen/ sich etwas gönnen
6,0
Kompensation
4
Zeit mit Familie/Freunden
6,0
Kommunikation
5
An der frischen Luft sein
5,9
Rekreation
6
Die Natur erleben/ in der Natur sein
5,9
Rekreation
7
Aus dem Alltag ausbrechen
5,6
Kompensation
8
Fremde Länder und Kulturen kennenlernen
4,2
Edukation
9
Etwas für die Gesundheit/ den Körper tun
4,1
Rekreation
10
Dem Geist/der Seele Gutes tun
4,0
Kontemplation
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Wir alle kennen Aussagen wie »ich bin urlaubsreif«, »ich muss mal ausspannen« oder »ich brauche dringend mal Urlaub«. Sie deuten auf einen Wunsch nach Rekreation (vgl. Opaschowski 1987: 90 f.) hin. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass das mit Abstand wichtigste Reisemotiv der Deutschen das Thema »Erholung und Entspannung« ist. Eng damit verbunden sind die Reisemotive »etwas für die Gesundheit/den Körper tun«, »die Natur erleben/in der Natur sein« und »an der frischen Luft sein« (Rangplätze 9, 6 und 5 von 34 analysierten Reisemotiven). Die Deutschen streben im Urlaub in hohem Maße nach »Kompensation«; sie fühlen sich in ihrer Alltagsrolle als funktionierende Räder im Getriebe und streben daher im Urlaub nach »Spaß und Vergnügen« (Rangplatz 2 der Reisemotive). Eng mit dem Kompensationsmotiv verbunden sind auch die Reisemotive »einfach genießen/sich etwas gönnen« und »aus dem Alltag ausbrechen« (Rangplätze 3 und 7). »Kontemplation« (vgl. ebd.) drückt den Wunsch des Menschen nach Ruhe, Muße und Selbstbestimmung aus. Auf Platz 10 von 34 Reisemotiven findet sich der Wert »dem Geist/der Seele Gutes tun«, der genau diesem Kontemplationsbedürfnis entspricht. Gemäß Opaschowski strebt der Mensch stetig nach »Edukation« – also nach Lernanregungen und Weiterlernen (vgl. ebd.). Die Deutschen scheinen es in diesem Bereich immer noch mit Johann Wolfgang von Goethe zu halten, der in seinem Werk Wilhelm Meisters Lehrjahre einst folgendes konstatierte: »Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen«; so steht das Motiv »fremde Länder und Kulturen kennenlernen« immerhin auf Rangplatz 8 von 34 Urlaubsmotiven. Eine weitere zentrale Bedürfnisgruppe für Urlaubsreisende ist der Themenkomplex Kommunikation; er entspricht dem Bedürfnis nach Mitteilung, Kontakt und Geselligkeit (vgl. Opaschowski 1987: 90 f.). Ein Reisemotiv aus dieser Kategorie ist das Thema »Zeit mit Familie/Freunden«, das immerhin das viertwichtigste Reisemotiv der Deutschen darstellt. Motive aus den Bereichen Integration (z.B. »Neue Menschen kennenlernen«, »Menschen im richtigen Alter treffen«), Partizipation (z.B. »Beteiligung«, »Engagement«) und »Enkulturation« (z.B. »kulturelle Highlights erleben«) finden sich nicht unter den Top 10 der deutschen Urlauber. Wie ist es nun um die wichtigsten Reisemotive der Kreuzfahrer bestellt? Vergleichen wir hierzu die MaxDiff-Ergebnisse der Personen, die gerade eine Kreuzfahrt gebucht haben beziehungsweise die Buchung einer solchen planen.
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Tabelle 2: Reisemotive von Kreuzfahrtreisenden Rangplatz (x von 34)
Reisemotive – Top 10
MaxDiff Wert
1
Fremde Länder und Kulturen kennenlernen
6,6
2
Am Wasser sein
6,3
3
Die Natur erleben/in der Natur sein
6,1
4
Entspannung/Erholung
5,9
5
Einfach genießen/sich etwas gönnen
5,8
6
An der frischen Luft sein
5,7
7
Spaß/Vergnügen
5,5
8
Sich verwöhnen lassen/gutes Essen & Trinken
5,1
9
Kulturelle Highlights erleben
4,6
10
Dem Geist/der Seele Gutes tun
4,5
Interessanterweise finden sich in beiden Zielgruppen sieben identische Reisemotive unter den Top 10, wenn auch mit unterschiedlicher Relevanz. Diese relative Homogenität in der Motivstruktur erklärt, weshalb sich so viele Deutsche vorstellen können, eine Kreuzfahrt zu buchen, zielt eine solche doch genau auf die Befriedigung der generellen Urlaubsmotive ab. Für beide Gruppen, Urlauber sowie Kreuzfahrer, ist das Motiv »Fremde Länder und Kulturen kennenlernen« wichtig. Während dieses Motiv jedoch bei den Urlaubern mit einem MaxDiff-Wert von 4,2 auf dem achten Platz steht, ist es für die Kreuzfahrer zentral (MaxDiff-Wert von 6,6 / Rangplatz 1). Offensichtlich bedient die Kreuzfahrt dieses klassische kulturtouristische Motiv in perfekter Weise. Etwas wichtiger als beim klassischen Urlauber ist im Kreuzfahrtsegment auch das Motiv »Die Natur erleben/in der Natur sein« (Rangplatz 3 bei Kreuzfahrern versus 6 bei Urlaubern; MaxDiff-Wert 6,1 versus 5,9). In beiden Gruppen spielt das Entspannungs-/Erholungsmotiv eine zentrale Rolle bei der Wahl der Urlaubsalternative (Rangplatz 4 im Kreuzfahrtsegment versus 1 bei Urlaubern); MaxDiff-Wert 5,9 versus 6,7). Während dieses Motiv
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bei den Urlaubern dominant ist, tritt es im Kreuzfahrtsegment signifikant hinter dem Wunsch, fremde Länder/Kulturen zu entdecken, zurück. Gerade hier muss eine wesentliche Stärke des Konzepts Kreuzfahrt betont werden: die Symbiose des Entdecker- mit dem Entspannungs-/Erholungsmotiv. Kreuzfahrtschiffe sind schwimmende Ferienresorts, die den Gast jeden Tag zu einer neuen Destination bringen – und zwar ohne sich dem Stress des täglichen Kofferpackens und des sinnlosen Zeitverplemperns an Flughäfen oder auf Autobahnen auszusetzen. Die Reisemotive »einfach genießen/sich etwas gönnen«, »an der frischen Luft sein« sowie »dem Geist/der Seele Gutes tun« sind sowohl für Urlauber als auch für Kreuzfahrer von ähnlich hoher Relevanz. Das Spaßmotiv ist im Urlaubssegment dagegen etwas ausgeprägter als im Kreuzfahrtsegment (MaxDiffWert Urlauber = 6,1 / Kreuzfahrer = 5,5). Ein zentrales Kreuzfahrtmotiv, das im Bereich der Urlauber mit einem MaxDiff-Wert von 2,3 erst auf Rangplatz 18 auftaucht ist das Motiv »am Wasser sein« (MaxDiff-Wert 6,3 / Rangplatz 2). Offenbar haben die Kreuzfahrer eine tief verankerte Sehnsucht nach dem Meer. Ebenfalls unter den Top 10 der Kreuzfahrtmotive finden sich die Themen »sich verwöhnen lassen/gutes Essen & Trinken« (Kreuzfahrer Rangplatz 8, MaxDiff-Wert 5,1/Urlauber Rangplatz 15, MaxDiff-Wert 3,2) und »Kulturelle Highlights erleben« (Kreuzfahrer Rangplatz 9, MaxDiff-Wert 4,6/Urlauber Rangplatz 22, MaxDiff-Wert 1,5). Gerade das letztgenannte kulturtouristische Merkmal stellt einen wichtigen Differenzierungsfaktor in der Motivstruktur der Kreuzfahrer dar, der aber keinesfalls nur auf den Themenkomplex »Steine und Scherben« bzw. »Trümmertourismus« fokussiert ist. Vielmehr wissen wir aus qualitativen Studien, dass die Kreuzfahrer mit dem Themenkomplex kulturelle Highlights durchaus auch ein landestypisches Essen, eine Weinprobe in einer stimmungsvollen Umgebung oder etwa den Besuch eines lokalen Events (vom Straßenfest bis hin zum Opernfestival) assoziieren. Zusammenfassend lässt sich folgendes festhalten: • Die Motivstruktur der Kreuzfahrer ist der Motivstruktur eines herkömmlichen
Urlaubsreisenden sehr ähnlich. Diese Tatsache dürfte ein zentraler Erklärungsansatz für den derzeitigen Erfolg von Kreuzfahrten in Deutschland sein; Kreuzfahrten sprechen die Mainstream-Motive an und zielen keineswegs nur auf die Reisemotive von Nischenzielgruppen. • Kreuzfahrer unterscheiden sich vor allem dadurch von herkömmlichen Urlaubsreisenden, dass das Motiv »Fremde Länder und Kulturen kennenlernen« wesentlich deutlicher ausgeprägt ist. Kulturtouristische Motive wie Neugierde, Bildungs- aber gerade auch Erlebnishunger (vgl. Klein/Pröbstle/Schmidt-Ott
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2016: 35 f.) werden durch das Konzept Hochseekreuzfahrt in geradezu idealtypischer Weise angesprochen. • Bei Kreuzfahrern ist der Wunsch, am Wasser beziehungsweise am Meer zu sein, wesentlich tiefer verankert als in anderen Zielgruppen. Qualitative Studien mit Kreuzfahrtgästen zeigen, dass dieser Wunsch einerseits aus einem Bedürfnis nach Harmonie und Ruhe und andererseits aus einer Sehnsucht nach Freiheit, Unabhängigkeit und Weite gespeist wird.
E NTSCHEIDUNGSTREIBER FÜR DIE W AHL EINER SPEZIFISCHEN H OCHSEEKREUZFAHRT Hat sich der potenzielle Gast für die Reiseform Kreuzfahrt entschieden, beginnt die Selektion des »richtigen« Urlaubsschiffs. Die Parameter, anhand derer die Entscheidung für ein bestimmtes Schiff gefällt wird, sind mannigfaltig – von der Marke über die Sterneklassifikation und die Kabinenkategorie bis hin zum Wellness-/Spa-Angebot kommen hier Dutzende von Merkmalen in Frage. Im Folgenden soll auf sechs ausgewählte Entscheidungsparameter eingegangen werden, die aus unserer Sicht wichtig für die Intra-Kreuzfahrtselektion sind: • • • • • •
Gästekreis beziehungsweise Bordsprache; Schiffskonzept; Sternekategorie und Reisepreis; Schiffsgröße; Destination; Food- and Beverage-Konzept.
Gästekreis beziehungsweise Bordsprache Segmentiert man den Markt für Hochseekreuzfahrten, lässt sich im einfachsten Fall zwischen deutschsprachigen Produkten (z.B. Mein Schiff/TUI Cruises, Hapag-Lloyd Cruises, AIDA Cruises) und internationalen beziehungsweise mehrsprachigen Produkten (z.B. Mediterranean Shipping Company, Norwegian Cruise Line, Costa Crociere, Celebrity Cruises) unterscheiden. Obwohl ein immer größerer Kreis an Deutschen sich hervorragend auf internationalem Parkett verständigen kann und sich in Umfragen gerne weltoffen und multilingual gibt, stellt man nach einem Blick auf die realen Marktentwicklungen fest, dass das aktuelle Wachstum insbesondere durch deutschsprachige Pro-
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dukte von deutschen Veranstaltermarken (insb. TUI Cruises und AIDA Cruises) getrieben wird. Will man diesem Phänomen auf den Grund gehen, darf man als Marktforscher nicht den Fehler machen, die Menschen direkt nach ihren Präferenzen zu fragen – die Gefahr sozial erwünschter Antworten ist groß. Vielmehr ist der Einsatz impliziter Techniken, die beispielsweise auf das Prinzip der Reaktionszeitmessung im Millisekundenbereich setzen, wesentlich zielführender. So haben wir mittels impliziter Tests in einer repräsentativen Umfrage unter 1.000 kreuzfahrtinteressierten Deutschen herausgefunden, dass sich knapp 90 Prozent für ein deutschsprachiges Urlaubsschiff entscheiden würden. Im Vordergrund stehen dabei nicht etwa nationalistische Motive. Vielmehr geht es den Gästen darum, leichter Kontakt zu Mitreisenden zu knüpfen und adäquat mit Servicekräften zu kommunizieren. Darüber hinaus fällt es den meisten leichter, sich in ihrer Muttersprache an fremde Länder und Kulturen heranzutasten. Schiffskonzept Auf dem deutschen Markt werden derzeit vier unterschiedliche Kreuzfahrtkonzepte angeboten: • Klassische Kreuzfahrten (Tradition und Stil werden hier großgeschrieben; z.B.
Galaabende, Captains Dinner, feste Tischordnung, Servicerestaurants, hoher Servicelevel). Typische Vertreter der Classic Gattung sind beispielsweise Cunard mit der Queen Mary 2, Queen Elizabeth und Queen Victoria, Hapag Lloyd Cruises mit der MS Europa oder Plantours mit der MS Hamburg. • Club-Kreuzfahrten (sportlich-legere und kommunikative Atmosphäre; z.B. umfangreiche Fitness- und Sportangebote, keine Kleiderordnung, Buffetrestaurants mit freier Tischwahl, vielfältige Animations- und Unterhaltungsprogramme). In diesem Party- und Funsegment finden sich beispielsweise Carnival Cruise Lines sowie deren deutscher Ableger AIDA Cruises mit inzwischen elf Schiffen. • Contemporary Cruises (Schwerpunkte in den Bereichen Genuss und Wohlbefinden; z.B. großzügiger Spa an Bord, Fitness- und Sportangebote, hoher Servicelevel, Mischung aus Service- und Buffetrestaurants mit freier Tischwahl, vielfältige Entertainmentprogramme). Reedereien mit diesem Konzept sind beispielsweise TUI Cruises mit seiner Mein Schiff-Flotte, Hapag Lloyd Cruises mit der MS Europa 2, Mediterranean Shipping Company-Kreuzfahrten oder auch Royal Caribbean Cruises.
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• Expeditionskreuzfahrten (konzeptuelle Nähe zur klassischen Kreuzfahrt; i.d.R.
kleinere Schiffe, die in exotischen Fahrgebieten jenseits des Mainstream unterwegs sind, z.B. Arktis, Antarktis, Nordwestpassage, Franz-Josef-Land). Hapag Lloyd Cruises lässt sich beispielsweise mit der MS Hanseatic und der MS Bremen im Discovery Segment verorten. Auf internationaler Ebene fahren beispielsweise Hurtigruten mit der MS Fram oder etwa Silversea Cruises mit der Silver Explorer, der Silver Galapagos oder der Silver Discoverer dieses Konzept. Die zentralen Wachstumsmärkte sind Club-Kreuzfahrten und Contemporary Cruises. Beide Segmente zusammen haben ein hypothetisches Marktpotenzial von rund 11,5 Millionen Passagieren und decken damit rund 85 Prozent des gesamten Potenzials von 13,6 Millionen deutschen Kreuzfahrtgästen mit einer Preisbereitschaft von mindestens 750 Euro pro Person/Woche ab. Die Zielgruppen für die dargestellten Konzepte unterscheiden sich erheblich hinsichtlich ihrer Urlaubsmotive, ihrer soziodemografischen Struktur sowie ihrer Preisbereitschaften. Tabelle 3: Ausgewählte Zielgruppenmerkmale in Abhängigkeit der Konzeptpräferenz Classic
Club
Contemporary
Discovery
52
49
47
54
Anteil hoher formaler Bildungsgrad (Abitur +)
47 %
46 %
48 %
56 %
Anteil Haushaltsnettoeinkommen ˃4.000 €
32 %
25 %
27 %
36 %
Ø-Alter in Jahren
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Top 3 Reisemotive
Anteil Preisbereitschaft ˃1.500 € p.P./Woche Cruise Only
• Am Wasser • Spaß/
sein • Die Natur erleben • Fremde Länder und Kulturen kennenlernen
Vergnügen • Fremde Länder und Kulturen kennenlernen • Entspannung/ Erholung
57 %
53 %
• Fremde
• Die Natur Länder erleben und Kultu- • Am Wasser ren sein kennenler- • Dem Geist/ nen der Seele • EntspanGutes tun nung/ Erholung • Am Wasser sein
55 %
62 %
So stellt die Gruppe der Expeditionskreuzfahrer eine kleine, eher ältere dafür aber wirtschaftlich interessante Zielgruppe mit einer hohen Preisbereitschaft dar. Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Zielgruppe der klassischen Kreuzfahrer. Unterschiede zwischen dem Club- und dem Contemporary-Segment zeigen sich vor allem hinsichtlich der Motivstruktur. Während in der Zielgruppe für Club-Kreuzfahrten vor allem das Spaßmotiv im Vordergrund steht, ist bei der Contemporary-Zielgruppe das Motiv »fremde Länder und Kulturen kennenlernen« dominant. Darüber hinaus ist das Segment der Contemporary Cruises tendenziell jünger und preisbereiter als das Segment der Club Cruiser. Mit Blick auf die Marktgröße zeigen sich ebenfalls leichte Größenvorteile für den Contemporary Markt (rund 5 Prozent größeres Potenzial). Vor den oben genannten Hintergründen verwundert es nicht, dass sich AIDA in 2013 dazu entschlossen hat, »Das Clubschiff« sowohl aus dem Logo als auch aus dem Markenclaim zu streichen, um sich näher am Contemporary-Markt zu positionieren (vgl. Neumeier 2013). Sternekategorie und Reisepreis Eine wesentliche Determinante der Intra-Kreuzfahrtselektion stellt der Reisepreis dar, der wiederum stark mit der Sterneklassifikation des Schiffes korreliert ist. Konkret gehört das Preis-Leistungs-Verhältnis gemäß unserer Umfrage unter
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1.000 Kreuzfahrtinteressierten zu den Top 3 Entscheidungstreibern für die Wahl eines speziellen Schiffes. Stellt man die Deutschen vor die Wahl, ob sie lieber ein Schiff ohne SterneKlassifikation für 750 Euro pro Person/Woche, ein Drei-Sterne-Schiff für 1.000 Euro pro Person/Woche, ein Vier-Sterne-Schiff für ca. 1.400 Euro pro Person/Woche, ein Vier-Sterne-Deluxe-Schiff für ca. 2.100 Euro pro Person/Woche oder ein exklusives Fünf-Sterne-Schiff für ca. 3.200 Euro pro Person/Woche buchen würden, entscheiden sich 42 Prozent für das Vier-Sterne-Produkt. Die zweithäufigste Nennung fällt mit 34 Prozent auf das Drei-Sterne-Schiff. Der Budget-Markt für Schiffe ohne Sterneklassifikation ist lediglich für 7 Prozent der Kreuzfahrtinteressierten relevant. Insgesamt 17 Prozent würden sich für ein Schiff im Luxury-Segment entscheiden; das Gros davon für ein Vier-SterneDeluxe-Schiff. Die Präferenzen der Deutschen spiegeln sich auch im aktuellen Angebot der Kreuzfahrtreedereien wider. So erleben wir derzeit eine enorme Ballung an Angeboten im Drei-Sterne Plus (z.B. AIDA) sowie im Vier-Sterne-Segment (z.B. TUI Cruises, Costa, MSC). Das kleine aber feine Fünf-Sterne-Luxury-Segment wird insbesondere von Hapag Lloyd bedient (MS Europa, MS Europa 2). Einzig das wirtschaftlich interessante Vier-Sterne-Deluxe-Segment ist im deutschen Markt noch nicht sonderlich stark besetzt, wenngleich die Schweizer Reederei Viking Ocean Cruises mit ihrem Einstieg in das Hochseegeschäft gerade versucht, sich in diesem Segment zu etablieren (Viking Star). Schiffsgröße Allein aus wirtschaftlichen Gründen wurden die Kreuzfahrtschiffe in den letzten Jahren immer größer. War noch im Jahr 1996 die Carnival Sunshine mit maximal 3.400 Passagieren das größte Kreuzfahrtschiff der Welt, liegt die maximale Passagierzahl bei der Harmony of the Seas, die 2016 an die Reederei Royal Caribbean International ausgeliefert wurde, bei 6.780. Ein Trend, der sich nicht nur international, sondern auch in Deutschland beobachten lässt. So fasst die 1996 in Dienst gestellte AIDAcara 1.186 Passagiere; die 2016 getaufte AIDAprima liegt dagegen schon bei rund 3.300 Gästen. Es verwundert nicht, dass die Schiffsgröße zu den fünf wichtigsten Entscheidungsfaktoren für die Auswahl einer spezifischen Kreuzfahrt gehört. Konkret zeigt das Ergebnis einer Conjoint Measurement-Analyse (vgl. Gustafsson/Herrmann/Huber 2007) unter 1.000 Kreuzfahrtinteressierten das in Abbildung 3 wiedergegebene Bild.
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Abbildung 3: Indexierte Nutzenwerte für alternative Schiffstypen
management consult research 2015. Unveröffentlichte Studie
Schiffe mit einer Passagierzahl von bis zu 1.200 Passagieren sind in fast allen Segmenten akzeptiert. Geht es in Richtung 2.000 Passagiere, fällt die Akzeptanzkurve um rund 25 Punkte. Wird die Zahl von 3.500 Passagieren erreicht, geht die Akzeptanzkurve um weitere 45 Punkte zurück. Megaliner mit 5.000 Passagieren finden im deutschen Markt derzeit nur einen verhältnismäßig kleinen Freundeskreis. Vergleicht man die mittels eines Reservation Price-Verfahrens (vgl. Wuebker/Mahajan 1999) ermittelten Preisbereitschaften von Kreuzfahrtgästen, muss bei einem Megaliner von 3.500 Passagieren im Vergleich zu einem Schiff mit 1.200 Passagieren mit einem Preisabschlag von rund 300 Euro pro Person/Woche gearbeitet werden, um den gleichen Nutzen für den Gast zu erzielen. Destination Am 28.05.2016 startete die englische Reederei Saga Cruises eine Kreuzfahrt auf der Saga Pearl II. Ziel der siebentägigen und voll ausgebuchten Reise: einmal rund um Großbritannien. Häfen und Landgänge: Keine! In den USA lässt sich ebenfalls ein nachlassendes Destinationsinteresse beobachten. Vielmehr werden gerade in diesem Markt die immer ausgefalleneren Megaliner mit ihren zehnstöckigen Wasserrutschen, Sky Rides, Surf- und Fallschirmsprungsimulatoren, Roboter-Bars, Lifestyle-Arealen etc. selbst zu Destination. Dieses Konzept funktioniert zumindest in Deutschland noch nicht – wollen die Deutschen Kreuzfahrtinteressenten im Urlaub doch vor allem fremde Länder
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und Kulturen kennenlernen. Hierzulande ist die Destination immer noch einer der Top 5 Entscheidungstreiber für eine Kreuzfahrt. Von welchen Destinationen träumen die Deutschen? Welche Länder und Kulturen würden sie gerne kennenlernen? Entscheidend dafür ist der Reisezeitraum. So ergab eine Umfrage unter 1.000 Kreuzfahrtinteressierten, dass im Frühjahr und im Herbst insbesondere das westliche (z.B. Palma, Cannes, Barcelona, Ibiza und Lissabon) und das zentrale Mittelmeer (z.B. Dubrovnik, Korfu, Venedig, Sardinien und Neapel) von großem Interesse sind; jeweils über 60 Prozent würden diese Destinationen gerne bereisen. Die zentralen Gründe hierfür: kulturelle Erlebnisse (z.B. Besichtigungen), neue Eindrücke in den bereisten Ländern gewinnen (z.B. landestypisches Essen) sowie das Wasser und die Sonne genießen. Im Sommer erreichen neben den oben genannten Mittelmeerdestinationen auch Nordland-/Spitzbergen-Reisen (z.B. Trondheim, Geirangerfjord, Oslo, Lofoten, Nordkap, Bergen) sowie Ostsee-/Nordland-Routen (z.B. Kopenhagen, Stockholm, Helsinki, Sankt Petersburg, Tallinn) Akzeptanzquoten von weit über 50 Prozent. Die Gründe hierfür liegen wiederum im Bereich kultureller Erlebnisse (z.B. Stadtbesichtigungen), vor allem aber im Bereich der Naturerlebnisse (z.B. einzigartige Naturlandschaften erleben, Nordlicht sehen). Das Traumziel der Deutschen im Winter ist und bleibt die Karibik; rund 75 Prozent der Kreuzfahrtinteressierten können sich vorstellen, im Winter eine Kreuzfahrt in dieser Destination zu unternehmen. Der zentrale Grund hierfür liegt im Bereich der Naturerlebnisse (z.B. einzigartige Naturlandschaften erleben, Traumstrände sehen). Außerdem sehnen sich die Menschen nach Sonne, Sand und warmem Meer. Der gesamte östliche Mittelmeerraum sowie die Arabische Halbinsel leiden derzeit unter negativen Schlagzeilen. Terroranschläge haben besonders die Türkei hart getroffen. So verwundert es nicht, dass sich derzeit maximal 30 Prozent der Kreuzfahrtinteressierten vorstellen können, in diesen Raum zu reisen. Food- and Beverage-Konzept Kulinarische Themen spielen auf Kreuzfahrtschiffen eine zentrale Rolle für das Produkterlebnis. Während die Speisen in den Basisrestaurants auf fast allen Schiffen im Reisepreis inkludiert sind, verhält es sich mit Getränken anders. Im Kern existieren drei Konzepte: (1) alle Getränke sind vom Gast zu bezahlen, (2) eine Auswahl an Tischgetränken ist zu den Mahlzeiten im Reisepreis inkludiert und (3) eine mehr oder weniger große Getränkeauswahl ist im Reisepreis inkludiert (Alles-inklusive).
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Im Jahr 2006 haben wir potenzielle Kreuzfahrtgäste offen um ihre Meinung zum Thema »Alles-inklusive« gebeten. Der Begriff war zu dieser Zeit eher negativ belegt; typische Synonyme waren Worte wie »Sauf-« oder »Billig-Tourismus«. Zum selben Schluss kommt auch eine Conjoint Measurement-Analyse5, die im Jahr 2006 unter Kreuzfahrtinteressierten durchgeführt wurde. Das damals überlegene Konzept war die Inklusion der Tischgetränke; durch Alles-inklusive konnte kein Mehrwert für den Gast erzielt werden (vgl. Abbildung 4). Stellt man dieselbe Frage heute, zeigt sich, dass ein Alles-inklusive-Konzept unter Kreuzfahrtinteressierten einen ganz erheblichen Mehrwert stiftet, der sich in einer durchschnittlichen Aufpreisbereitschaft von rund 175 Euro pro Person/Woche gegenüber einem Konzept mit inkludierten Tischgetränken widerspiegelt (Abbildung 4). Abbildung 4: Indexierte Nutzenwerte für F&B Konzepte in 2006 und 2016
management consult research 2006 und 2016. Unveröffentlichte Studien
Vor dem Hintergrund dieser Zahlen erklärt sich der große Erfolg von TUI Cruises, die mit der Einführung ihres Premium Alles-inklusive-Konzeptes in 2011 Pionierleistungen erbracht haben – und mittlerweile von anderen Kreuzfahrtgesellschaften kopiert werden.
5
management consult research 2006. Unveröffentlichte Studie.
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G ÄSTELOYALITÄT
Kontinuierliche Zuwachsraten können nicht nur mittels günstiger Reisepreise, mit denen stetig neue Gäste geködert werden, realisiert werden. Nachhaltig erfolgreich kann die Branche erst durch loyale Kunden sein, die zufrieden von Bord gehen, ihren Freunden und Bekannten begeistert von dem Erlebten erzählen und die auch gerne wieder eine Kreuzfahrt buchen. Gerade im Bereich der Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität leistet die gesamte Kreuzfahrtbranche Außergewöhnliches. Wir haben im Rahmen der eingangs erwähnten Studie unter Urlaubern und Kreuzfahrtinteressierten die Personen selektiert, die ihren letzten Urlaub in einem Vier- und Fünf-SterneFerienhotel/-resort verbracht haben und mit den Personen verglichen, die im letzten Urlaub eine Kreuzfahrt unternommen haben. In der folgenden Tabelle findet sich eine Gegenüberstellung der zentralen Leistungswerte. Tabelle 4: Zufriedenheits- und Loyalitätswerte von Hotel- und Kreuzfahrtgästen auf einer Skala von 0-100 4-/5-SterneHotelgäste
Kreuzfahrtgäste Signifikanter Unterschied?
Preis-LeistungsVerhältnis
73
79
p ≤ .05
F&B-Qualität
83
92
p ≤ .01
85
87
Nicht signifikant
Sportangebote
88
85
p ≤ .05
Freizeitangebote
79
89
p ≤ .01
Entertainmentangebote
62
88
p ≤ .01
86
89
Nicht signifikant
Freundlichkeit der Mitarbeiter
89
93
p ≤ .05
Urlaubszufriedenheit
85
92
p ≤ .01
Wellness/Spa
Zimmer/Kabine
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Weiterempfehlungsbereitschaft
86
94
p ≤ .01
Wiederbuchungswahrscheinlichkeit
78
88
p ≤ .01
Gästeloyalitätswert
83
91
p ≤ .01
Ungeachtet der Unterschiede, die zwischen einzelnen Hotel- und Kreuzfahrtprodukten bestehen, fällt auf, dass die Kreuzfahrtgäste hinsichtlich zahlreicher Leistungsdimensionen signifikant zufriedener (Signifikanzniveau ≤ 1 Prozent) sind als die Hotelgäste: So wird beispielsweise die Qualität der Speisen und Getränke auf Schiffen wesentlich besser beurteilt als an Land. Dasselbe gilt auch für die Freizeitangebote, wobei in den Antworten die Landausflugsmöglichkeiten mit berücksichtigt sind. Besonders augenfällig sind die Unterschiede im Bereich des Entertainments. In diesem Bereich bieten Kreuzfahrtschiffe eine unschlagbare Vielfalt in einer überraschenden Qualität und Quantität: von der Showband in den Bars über Liveprogramme aller Kulturgenres bis hin zu Las-Vegas-Style-Revue-, Musicalund Theateraufführungen. »Das Schiff ist die Bühne. Ganzheitliche, inszenierte Unterhaltung und Kultur sind für unsere Gäste ein wesentlicher Wohlfühlfaktor«, so Thomas Schmidt-Ott, Entertainment-Verantwortlicher bei TUI Cruises (vgl. den Beitrag von Thomas Schmidt-Ott in diesem Sammelband). Signifikante Unterschiede (≤ 5 Prozent) bestehen auch bezüglich der Freundlichkeit der Mitarbeiter und des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Gerade mit Blick auf den letztgenannten Faktor zeigt sich außerdem, dass Schiffe mit Allesinklusive-Konzepten besonders hohe Zufriedenheitswerte erzielen. Neben den Zufriedenheitswerten ist vor allem die Gästeloyalität ein entscheidender Erfolgsfaktor für ein nachhaltiges Wachstum. Ein loyaler Gast zeichnet sich durch drei Einstellungskomponenten aus: (1) er ist kognitiv überzeugt von seinem Urlaubsanbieter, (2) er fühlt sich auf einer affektiven Ebene mit seinem Urlaubsanbieter verbunden und er hat (3) eine Konation gegenüber seinem Urlaubsanbieter (vgl. Eisele 2004: 221). Operationalisiert wurden diese Einstellungen durch die Urlaubszufriedenheit (kognitiv), die Weiterempfehlungsbereitschaft (affektiv) und die Wiederbuchungswahrscheinlichkeit (konativ). In allen drei Dimensionen schlägt die Kreuzfahrt den klassischen Hotelurlaub deutlich und auf signifikantem Niveau! Fasst man die oben genannten Einzeldimensionen zu einem Gästeloyalitätswert zusammen, ist dieser unter Kreuzfahrtreisenden um acht Punkte und damit
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signifikant höher als unter Hotelgästen. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass einzelne Kreuzfahrtreedereien dazu in der Lage sind, Repeaterquoten von 50 Prozent und mehr zu erzielen.
B LICK IN
DIE
Z UKUNFT
Das Kreuzfahrtschiff der Zukunft gibt es schon – als Entwurf der schwedischen Design-Agentur Tillberg, die schon die Queen Mary 2 und Teile der Mein Schiff 2 gestaltet hat (vgl. Warnholtz 2009). Es ist über 500 Meter lang, hat Platz für über 5.000 Passagiere und ähnelt eher einer Insel als einem Schiff. Ob es genau dazu kommen wird, ist fraglich. Schon heute steht aber fest, dass sich die Schiffe der Zukunft stark verändern werden und neue Technologien zum Einsatz kommen (z.B. Riesen-Katamarane, Schiffe mit Böden aus Spezialglas, Schiffe mit riesigen Glaskuppeln, die bei Bedarf geöffnet werden können etc.). Fast sicher kann davon ausgegangen werden, dass die Schiffe der Zukunft immer größer werden. Die Gründe liegen vor allem in der verbesserten Wirtschaftlichkeit, die wiederum zu günstigeren Ticketpreisen führen dürften, mit denen weitere Marktsegmente erschlossen werden können. Weiterhin kann prognostiziert werden, dass es zu einer stärkeren Segmentierung der Nachfrage kommen wird. Dabei wird es nicht nur um Preisbereitschaften, Servicelevels und Capacity-Space-Ratios gehen; vielmehr werden auch Bedürfnisse und Lebensstile in den Mittelpunkt der Segmentierungsbemühungen rücken. So gibt es bereits heute Kreuzfahrten für Star-Trek-Fans, FKKAnhänger, Swinger oder Homosexuelle. Außerdem existieren ThemenreisenAngebote, die ein breites Interessenspektrum abdecken: von der Full Metal Cruise über Opern- bis hin zur Volksmusik- oder Schlagerkreuzfahrten (vgl. den Beitrag von Lutz Deyhle in diesem Sammelband). Aber auch Yoga-, Golf- oder Running-Kreuzfahrten liegen voll im Trend. Seitens des Marktes muss sich die Branche jedenfalls keine Sorgen machen – man denke nur an das eingangs erwähnte Potenzial von 13,6 Millionen Deutschen, die sich vorstellen können, in den nächsten drei Jahren eine Kreuzfahrt zu unternehmen. Galten Kreuzfahrten vor 20 Jahren noch als exotisch, sind sie heute schon eine gebräuchliche Urlaubsform. Es steht zu erwarten, dass sie in Zukunft zur Selbstverständlichkeit werden.
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L ITERATUR CLIA/DRV (2016): »Deutsche Kreuzfahrtbranche wächst auf mehr als 1,8 Mio. Passagiere. Nachfrage übersteigt Kapazitäten«. Pressemeldung von CLIA Deutschland und Deutscher ReiseVerband (DRV) vom 10.03.2016. Eisele, Jürgen (2004): Ethik – Schönwetterthema oder Erfolgsfaktor?, in: Wiedmann, Klaus-Peter/Fritz, Wolfgang/Abel, Bodo (Hg.): Management mit Vision und Verantwortung. Eine Herausforderung an Wissenschaft und Praxis, Berlin/Heidelberg, S. 211-230. Frey-Rohn, Liliane (2011): Von Freud zu Jung. Eine vergleichende Studie zur Psychologie des Unbewussten, Einsiedeln. Gustafsson, Anders/Herrmann, Andreas/Huber, Frank (2007): »Conjoint Analysis as an instrument of Market Research Practice«, in: Gustafsson, Anders/ Herrmann, Andreas/Huber, Frank (Hg.): Conjoint Measurement. Methods and Applications, Berlin/Heidelberg, S. 3-30. Klein, Armin/Pröbstle, Yvonne/Schmidt-Ott, Thomas (2016): »Kulturtourismus heute. Welche Kultur eigentlich? Und welches Publikum?« in: KM-Magazin, Kultur und Management im Dialog, Schwerpunkt Kulturtourismus, Nr. 110, 02.2016, S. 35-38. Neumeier, Franz (2013): »AIDA streicht »Das Clubschiff« aus dem MarkenClaim, in: Cruisetricks. Der Kreuzfahrtratgeber. Siehe www.cruisetricks.de/ aida-streicht-das-clubschiff-aus-dem-marken-claim/ (letzter Abruf: 30.08. 2013). Opaschowski, Horst W. (1987): »Theorie von Arbeit und Freizeit«, in: Ders.: Pädagogik und Didaktik der Freizeit, Opladen, S. 74-99. Opaschowski, Horst W. (2002): Tourismus. Eine systematische Einführung, Analysen und Prognosen, Opladen. Ten Berge, Jos M.F. (1988): »Generalized approaches to the Maxbet problem and the Maxdiff problem, with applications to canonical correlations«, in: Psychometrika, Band 53, Nr. 4, S. 487-494. Warnholtz, Anna (2009): »Irre Pläne. So verrückt wird der Urlaub der Zukunft«, in: Die Welt vom 28.03.2009. Wuebker, Georg/Mahajan, Vijay (1999): A Conjoint Analysis-Based Procedure to Measure Reservation Price and to Optimally Price Product Bundles, in: Fuerderer, Ralph/Herrmann, Andreas/Wuebker, Georg (Hg.): Optimal Bundling. Marketing Strategies for Improving Economic Performance, Berlin/Heidelberg, S. 157-174.
»Reisen bildet« – Kreuzfahrten auch? Bildungs-, Kultur- und Programmangebote und ihre Relevanz im Cruise-Business T HOMAS S CHMIDT -O TT
»Das Reisen bildet sehr; es entwöhnt von allen Vorurteilen des Volkes, des Glaubens, der Familie, der Erziehung. Es gibt den Humanen duldsamen Sinn, den Allgemeinen Charakter. Wer dagegen nichts sah, was ihn in der Sphäre, worin er lebt, umgibt, hält leicht alles für notwendig und einzig in der Welt, weil es in seiner Heimat dafür gilt.« (Immanuel Kant, 1724-1804) »Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen.« (Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832) »Man muss reisen, um zu lernen.« (Mark Twain, 1835-1910) »Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Drum nähme ich den Stock und Hut und tät das Reisen wählen.« (Matthias Claudius, 1740-1815)
Vorliegender Beitrag bezweckt nicht, affirmativ an das Motto »Reisen bildet« anzuknüpfen, sondern am Beispiel der touristischen Boombranche Kreuzfahrt zu fragen: »Bildet Reisen (auch) auf Kreuzfahrtschiffen? Und wenn ja: Wie?«. Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung werden im Folgenden aktuelle Angebote der Cruise-Industrie hinsichtlich ihres Potenzials transformatorischer Bildungsprozesse1 betrachtet, und es werden, je nach Veranstalter, unterschiedliche Kul-
1
»Transformatorische Bildungsprozesse« begreifen Bildung als die Veränderungen von Grundfiguren des Welt- und Selbstverhältnisses, die sich in Auseinandersetzung mit der Erfahrung des Fremden vollziehen. Laut Koller dient die »transformatorische Bil-
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tur-, Informations-, und Wissensdienstleistungen an Bord und an Land bezüglich eventuell »beobachtbarer Effekte bildenden Reisehandelns« (Haase/Krämer 2013: 29) kommentiert. Lässt sich dadurch der Blick auf das Produkt Kreuzfahrt um Perspektiven informeller Bildungs- und Lernformen erweitern? Hat das Goethe’sche Zitat aus dem Bildungs- und Entwicklungsroman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96), nämlich: »Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen« im Kontext des Volumenmarkts2 Kreuzfahrt Relevanz? Welche Rolle spielt dabei das (bereits vor Reiseantritt) »Gescheite«, also die Vorbildung des Touristen, um den »Reisen-bildet-« in Abgrenzung zum »Reisen-unterhältEffekt« (bzw. weitere Effekte wie »Reisen-entspannt«, »Reisen-erholt«, »Reisen-besinnt«, »Reisen-fördert-Gesundheit«, »Reisen-lässt-Natur/Wetter/Meererleben« etc.) zu erzielen? Kann überhaupt eine Reise zum Beispiel an Bord des US-Fun-Ships Harmony of the Seas, dem derzeit größten Kreuzfahrtschiff der Welt (mit »FlowRider® Surf Simulatoren«, Pools mit Solarien, Whirlpools, einem Basketball Platz, drei extra langen, mehrstöckigen Wasserrutschen, dem Central Park, dem Casino Royale, der Eis Show auf der bordinternen Eisbahn oder der Aqua Show im Aqua Theater), als »Bildungsraum« (ebd.) betrachtet werden? Oder ist dies nur möglich für spezielle Reisen zum Beispiel auf einem Schiff von Hapag-Lloyd-Cruises, die ihr Programm betont bildungsorientiert als intellektuelle Horizonterweiterung ausrichten? »Ganz gleich, ob Sie auf unseren Symposien auf See Ihren intellektuellen Horizont erweitern wollen. Nach frischen Impulsen und neuer Inspiration für Ihr Leben suchen. Oder mit namhaften Persönlichkeiten über spannende Themen unserer Zeit diskutieren: Als unser Gast dürfen Sie sich auf facettenreiche Erfahrungen freuen, die Sie bereichern werden.«3
»Welcher Art sind Erfahrungen, die eine Reise zu einer Gelegenheit für Bildung machen?« fragt Schäfer (2013: 25) – und gibt sogleich die Antwort: »Es sind nach landläufiger Auffassung Konfrontationen mit dem Anderen, dem Fremdungstheorie« der »Reformulierung des Bildungsbegriffs«, die durch Kritik am klassischen Bildungsgedanken von 1800 (vgl. Humboldt) hervorgerufen wurde (Koller 2011: 109). Kollers Neubestimmung des Begriffs berücksichtigt – auf Basis empirischer Untersuchungen – explizit heutige Lebenswelten und gegenwärtige Gesellschaftsformen. Bildungsprozesse werden dabei von Lernprozessen abgegrenzt, Bildung geht weiter als Lernen und führt nicht nur zu einem Kompetenzerwerb, sondern vielmehr zu einer grundlegenden Veränderung der gesamten Person (ebd.). 2
Vom englischen »volume market« (Massen-/Mengenmarkt).
3
Siehe www.hl-cruises.de/reisen-mit-uns/themenreisen/edutainment (letzter Abruf: 07. 09.2016).
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den.« Kreuzfahrten bieten diese Konfrontationen – zum einen landseits, als »shore excursion« (Landausflug) konfektioniert und zum anderen an Bord, in einem Umfeld mit »kompromisslosem Service« (Wallace 2002: 15) inszeniert. Wie nachhaltig die auf Kreuzfahrten gewonnene Erfahrungen als Bildung wirken, müsste Gegenstand qualitativ empirischer Bildungsforschung sein (und würde den hier vorgegebenen Rahmen sprengen). Ein Vorher-NachherVergleich wäre ein spannender und aufschlussreicher Forschungsauftrag – auch und insbesondere – im Bezug zu anderen Veranstalterreise-Formen. Möge der vorliegende Beitrag subjektiver Betrachtungen eines Praktikers für die Tourismuswissenschaft Anstoß sein, in diese Richtung vertiefend zu forschen und der Kreuzfahrtindustrie dadurch möglicherweise neue Impulse und Handlungsempfehlungen für innovative, verkaufsträchtige Angebote zu geben.
R EISEN SIND O RTSVERÄNDERUNGEN Etymologische Wurzeln des Begriffs Reisen führen zurück zum althochdeutschen »reisa«, dem »Sich-auf-den-Weg-Machen«. Früh schon reisten Menschen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Wichtige Beweggründe waren dabei immer (auch) merkantile Interessen: Tausch und/oder Handel. Heutige Geschäftsreisen stehen in dieser Tradition. Dass Reisen zum Zweck der Erholung (Erholungsreisen) angetreten werden, ist ein relativ junges Phänomen. Auch Reisen zum Zweck der Bildung (Bildungsreisen) sind erst 250 Jahre alt. Sie gehen zurück auf die Handwerker und Kaufleute des 17. Jahrhunderts, die ihre Gesellen auf Wanderjahre (auf die »Walz«) schickten, aus der Überzeugung heraus, dass es nicht ausreiche, nur »im eigenen Stall« ausgebildet zu sein. Für Bildungsreisen im engeren Sinne ist die Grand Tour die Grundlage – in ihr wurde Reisen zur Kunst (vgl. Brilli 1997). Junge Adlige schlossen mit ihr ihre Ausbildung und Erziehung ab. Bereist wurden zumeist Städte und Zentren der europäischen Kultur in den Mittelmeerländern. »Im Zuge der Aufklärung wurde die Grand Tour zur Pflichtreise des gehobenen Bürgertums – nicht zuletzt im Bemühen um Distinktion. Goethe wurde mit seiner Italienreise zur ›Leitfigur eines Bildungsreisenden‹, […] zu [dessen] Kennzeichen […] gehörte […], über das Erlebte – Landschaft und Sehenswürdigkeiten wie auch Sitten und Gebräuche der bereisten Länder – Rechenschaft abzulegen.« (Brandt 2013: 20)
Dass aus der Reise eine (Tourismus-)Industrie erwuchs, ist Folge vieler oft beschriebener Faktoren: der ökonomische Status, der Wohlstand immer weiterer
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Bevölkerungskreise, die Entstehung von Freizeit, damit verbunden die Herausbildung bestimmter Bedürfnisse und Motive des Zeitverbringens, Innovationen verkehrstechnischer Art etc. Kreuzfahrten sind eine tourismus-industrielle Konsequenz dieser Entwicklung. Dürfen sie wie in ihren Anfängen um 1850 in ihrer heutigen Ausprägung (überhaupt) in der Tradition der Grand Tour gesehen werden? Im Vergleich zum 18. Jahrhundert, der Blütezeit derselben, muss man heute nicht mehr reisen, um fremde Länder und Kulturen kennenzulernen. Spielkonsolen, 3D-Fernsehen, elektronische Medien etc. bringen uns die Welt mehr oder minder künstlich, digital »[…] ins heimische Wohnzimmer und dies oft so, wie wir es selbst kaum erleben könnten. Wir schwimmen mit Haien, gehen mit ehemaligen Kopfjägern auf die Jagd und leben in einem Gepardenrudel. Alles bequem vom Fernsehsessel aus und ohne uns in Gefahr zu begeben; die Chipstüte griffbereit.« (Smolek 2011)4
Welche Erfahrungen, welche reisespezifischen Bildungsfunktionen, wenn überhaupt, können Kreuzfahrten vor dem Hintergrund der Informations- und Erlebnismöglichkeiten des medialen/virtuellen Tourismus’, des Verreisens in VR5 überhaupt noch bieten? Um diese Frage zu beantworten, macht ein Blick in die Geschichte der Kreuzfahrt im Vergleich der historischen mit heutigen Angeboten Sinn; Aufgabe ist, zu erforschen, wie sich Kreuzfahrt-Reisemotive der Kunden und Programme der Anbieter im Laufe von 150 Jahren Kreuzfahrtgeschichte – parallel zur Bildungsgeschichte – änderten und weiter ändern.
AM ANFANG
WAR A SKESE – EINE KLEINE G ESCHICHTE DER
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Als erste verbriefte Cruise gilt eine Seereise der Iberia der Peninsular and Oriental Steam Navigation Company (P&O), die im Jahre 1844 von England aus rund um die Iberische Halbinsel bis Athen und Alexandria führte.6 Der Schrift-
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Siehe http://unterwegsmitbeate.de/wundertüte/reisen-bildet/ (letzter Abruf: 22.09.
5
Aus dem Englischen »virtual reality«.
6
Den Anfang der Kreuzfahrt als touristisches Angebot markiert die Gründung der Pe-
2016).
ninsular & Oriental Steam Navigation Company in 1822. Die Firma startete mit einem regelmäßigen Schiffsbetrieb zwischen England und dem Iberischen Peninsula, dessen Namen sie übernahm.
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steller William Thackeray war einer von 40 Passagieren – und hielt die an Homers Odyssee orientierte Route sowie das Bordleben in Notes on a Journey from Cornhill to Grand Cairo fest: »The Peninsular and Oriental Company had arranged an excursion in the Mediterranean, by which, in the space of a couple of months, as many men and cities were to be seen as Ulysses surveyed and noted in ten years. Malta, Athens, Smyrna, Constantinople, Jerusalem, Cairo were to be visited, and everybody was to be back in London by Lord Mayor’s Day.« (Thackeray 1844)7
Thackeray betont in seinem Bericht den edukativen, theoretisches Wissen durch reales Erleben erweiternden Bildungs- und Lern-Effekt und empfiehlt Kreuzfahrten als krönenden Abschluss einer schulisch/universitären Laufbahn vor dem Eintritt ins richtige Leben: »I can’t but recommend all persons who have time and means to make a similar journeyvacation idlers to extend their travels and pursue it: above all, young well-educated men entering life, to take this course, we will say, after that at college; and, having their booklearning fresh in their minds, see the living people and their cities, and the actual aspect of Nature, along the famous shores of the Mediterranean.« (Ebd.)
Mundt/Baumann verweisen auf die für die Gäste asketische Aspekte der ersten Kreuzfahrten. Reisen bei P&O ab Mitte des 19. Jahrhunderts fanden auf wenig komfortablen Fracht- oder Postschiffen statt, wie auch die 1866 von Thomas Cook organisierte, erste Pauschalschiffsreise (nach Nordamerika), bei der das Schiff »[…] noch bloß Verkehrsmittel war, um die eigentliche Destination zu erreichen«. Schon wenige Jahre später jedoch, 1872, entwickelte Cook Konzepte, die das Schiff zum »hauptsächlichen Aufenthaltsort der Passagiere« gestalteten (vgl. Mundt/Baumann 2007: 370): Die Idee, das Schiff zum Ziel des Reisenden zu machen – und nicht (allein) die Destination – war geboren und sollte in den Folgejahren bis heute immer weiter verfolgt werden.8 1869 schildert der Schrift7
Siehe www.online-literature.com/thackeray/cornhill-to-cairo/0/ (letzter Abruf: 01.09.
8
»Das Schiff ist das Ziel« ist immer wieder Titel (oder Thema) von Artikeln in deut-
2016). schen Fachzeitschriften und Tageszeitungen, zumeist zur Einführung neuer Schiffe beziehungsweise Schiffsklassen. »Keine Frage, das Schiff selbst ist der Star der Reise«, so Elisabeth Binder (2016) über die Mein Schiff 5, den 2016er Neubau der TUI Cruises GmbH. »Die […] Ortschaften, in denen die Mein Schiff 5 mit ihren 15 Decks temporär leicht zum größten Haus am Platze wird, haben es schon, was die Auswahl
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steller Mark Twain – er hatte vor seiner Autorenkarriere als Lotse auf einem Mississippi-Dampfer gearbeitet – in seinem Reisetagebuch The innocents abroad mit ähnlich bissigem Humor wie 130 Jahre später D. F. Wallace (s.u.) eine Kreuzfahrt auf der vom Kriegs- zum Passagierschiff umfunktionierten USS Quaker City. Seine Fahrt führte in den Nahen Osten und nach Europa und wurde häufig unterbrochen durch von Vorträgen begleitete Landausflüge an die Küstenstädte des Mittelmeeres und durch eine Eisenbahnfahrt von Marseille nach Paris zur Weltausstellung 1867. Hinzu kamen für die damalige Zeit exotisch anmutende Exkursionen ans Schwarze Meer, nach Odessa, ein Abstecher zu den ägyptischen Pyramiden gegen Ende der Reise, und die Erkenntnis, dass Seereisen bilden, bzw. pointiert formuliert: »Der geneigte Leser wird niemals, niemals wissen, was für ein ausgemachter Esel er geworden, bevor er nicht ins Ausland gereist ist.« (Twain 1869)9 Als Geburtsstunde der Kreuzfahrt in ihrer eigentlichen, heutigen Vergleichsmaßstäben standhaltenden Form gilt die »Große Orient-Exkursion«, die der Hamburger Reeder Albert Ballin, ein Freund des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II., ins Mittelmeer organisierte. Am 22. Januar 1891 legte der Luxusdampfer Auguste Victoria, benannt nach der Gemahlin des Kaisers Wilhelm II., in Cuxhaven ab. Seine Fahrt über portugiesische, italienische und griechische Häfen führte bis Konstantinopel, Jaffa und Beirut, dauerte 57 Tage, beinhaltete 13 Landausflüge – und war im Unternehmen Hapag im Vorfeld höchst umstritten: Dass Kunden eine so lange Seereise nur zum Vergnügen antreten könnten, erschien den Mitgliedern des Direktoriums als undenkbar. Die See galt als gean attraktiven Lokalen betrifft, etwas schwer, da mitzuhalten. Viele Gäste kehren nach den gebuchten Landausflügen gern ganz schnell wieder zurück [...].« Siehe www. tagesspiegel.de/weltspiegel/reise/kreuzfahrt/kreuzfahrt-nach-suednorwegen-das-schiffselbst-ist-der-star-der-reise/14471248-2.html (letzter Abruf: 21.09.2016). 9
Siehe https://buchmerkur.wordpress.com/2015/06/08/mark-twain-die-arglosen-im-aus land/comment-page-1/ (letzter Abruf: 01.09.2016). Den Bildungsgewinn seiner Kreuzfahrt formuliert Twain u.a. in einem idealisierendem Vergleich der Lebensformen seines Herkunftslandes mit denen der besuchten Destination: »Gerade in diesem Punkt liegt der hauptsächliche Reiz des Lebens in Europa – in der Geruhsamkeit. In Amerika geht alles Tempo – das ist in Ordnung; aber wenn die Tagesarbeit getan ist, denken wir weiter an Verlust und Gewinn, planen für den nächsten Tag, nehmen unsere Geschäftssorgen sogar mit zu Bett und werfen uns hin und her und grübeln über sie nach, während sich unser geplagter Kopf und Körper lieber im Schlaf erholen sollte. Wir verpulvern mit diesen Aufregungen unsere Kräfte und sterben entweder zeitig oder verfallen der Kraftlosigkeit und Armseligkeit des Alters schon zu einem Zeitpunkt unseres Lebens, den man in Europa das beste Mannesalter nennt.« (Ebd.)
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fährlich und unberechenbar, man setzte sich ihr nicht aus ohne dringende Notwendigkeit. » Es fehlte selbst in meiner allernächsten Umgebung «, notiert Ballin später, »nicht an Leuten, die glaubten, es sei in meinem Oberstübchen nicht ganz richtig.«10 Gleichwohl, als die Auguste Victoria am 21.03.1891 wieder in Cuxhaven festmachte, war klar, dass hier eine neue Form der Veranstalterreise aus der Taufe gehoben worden war. Ballins Konzept – noch für die heutige Kreuzfahrtindustrie Bestand habend – ging auf: »Für zwei Monate bilden die Passagiere ein Gemeinwesen unter sich, abgelöst von den gewohnten Beziehungen, befreit von Sorgen und Lasten des Amts und der Geschäfte und nur auf sich selbst angewiesen. Jedem steht es in weiten Grenzen frei, zu leben, wie es ihm gefällt, teilzunehmen an der Geselligkeit oder sich abzusondern, wenn es seine Stimmung mit sich bringt. Nicht nur für das leibliche Wohl ist auf das umfassendste gesorgt, sondern auch Musik und Spiele werden die Sinne beflügeln, während der schwimmende Palast immer neuen Zielen entgegen fliegt.« (Ballin zitiert nach Ebert 2016: 20)
Mit der »Großen Orient-Exkursion« war die Epoche der großen Luxuskreuzfahrten eingeläutet.11 In den USA unternahm die Plant Line ein Jahr später die erste Winterkreuzfahrt in die Karibik; an Bord der Halifax waren 89 Reisende – und im ausklingenden 19. Jahrhundert schon wurden Schiffe mit der Kapazität für bis zu 1.000 Gästen gebaut und betrieben. Zielgruppen der frühen Anbieter waren »[…] reiche und ältere« Bürger, die der »häuslichen Langeweile zu entfliehen suchten. Wenn es irgendwie ging ohne […] Ehegatten. Denn sowohl P&O Cruises als auch andere Veranstalter, die alsbald wie Pilze aus dem Boden schossen, hatten eines verstanden: Die Reisenden wollten sowohl den Thrill einer mit der Aura des Gefahrvollen ausgestatteten Passage erleben, als auch unterhalten werden« (Reitz 2016).
1900 erfolgte der erste Bau eines »purpose-built cruise ship«, designt von Albert Ballin, benannt nach der Tochter Wilhelms II. Erst mit Beginn des Ersten Welt10 Ballin zitiert nach Hapag-Lloyd. Siehe www.ndr.de/kultur/geschichte/Hapag-Lloyd125-Jahre-Vergnuegungsreisen,hapaglloyd380.html (letzter Abruf: 20.09.2016). 11 Dabei war Ballins Idee nur eine aus der Not geborene. Ende des 19. Jahrhunderts überquerten Passagierdampfer den Atlantik meist nur, um Auswanderer nach Amerika zu bringen. Im Winter waren viele Schiffe in den Häfen vertäut. Diese wirtschaftlich »leere« Zeit wollte Ballin nutzen, mit gleichwohl einem Angebot, das vorerst nur der finanziellen Elite einer internationalen Gesellschaft vorbehalten blieb (vgl. Mundt 2007: 370 f.).
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kriegs 1914 endete der Boom jäh. Passagierschiffe wurden zu Truppentransportern umgebaut.12
»APOTHEOSE
DES
M ASSENTOURISMUS «?
Der Amerikaner Ted Arison machte ca. 50 Jahre später Kreuzfahrten zu einem Massenphänomen. Was Schulze 1992 mit seinem Konzept der »Erlebnisgesellschaft« konstatierte, produzierte Arison mit Norwegian und später Carnival Cruise Lines und ihrer touristischen Alltagsästhetik in Reinkultur. Die mit den 1970er Jahren einsetzende Demokratisierung des Reisens trug »[…] zur Verbreitung und sozialen Anerkennung dessen bei, was für den gleichen Zeitraum als Wandel von den Habens- zu den Seinswerten beschrieben wurde. Fortan galten […] nahezu alle vom Alltag, insbesondere von der Berufswelt, abgewandten Räume [und damit auch Schiffe und ihre Destinationen, Anm. des Verf.] als Möglichkeiten der Markierung von Individualität, Selbstbestimmung oder ästhetischer Stilisierung, als Möglichkeiten des Etwas-für-und-aus-sich-Machens und damit auch des bloßen Nicht-Machens sowie des Ausprobierens und/oder des Erlebens des Neuen und Anderen« (Wöhler/Pott/Denzer 2010: 13).
Ab Ende der 1960er veranstaltete Arison Schiffsreisen preislich deutlich günstiger als der Markt zuvor. Zudem brach er mit traditionellen Bordgepflogenheiten der Luxusreise: »Der Garderobenzwang fiel weg, Gäste wurden mit lockerem Ambiente und Unterhaltungsangeboten an Bord gelockt. Das Geschäftsmodell der Klubkreuzfahrten war geboren. Beliebte TV-Serien wie Love Boat und Traumschiff trugen seit den 1980ern dazu bei, die Popularität der Seereisen zu erhöhen […]« (Huber 2012) und bewirkten zunächst in den USA und in den letz-
12 In der Zeit zwischen den Weltkriegen bildete die Branche Programmfeatures aus, die in Vielem, so Zimmermann (2016: 21) »[…] bis heute erkennbar sind. Erstmals gab es Pauschalreisen auf Kreuzern, die Schiffe erreichten eine Größe, die günstigere Tarife zuließ und ›Lustfahrten‹ popularisierte, wobei man in Massenschlägen schlief (einzig Ehepaare hatten das Recht auf ein Zweibettzimmer). Das Klischee, die Ferienschiffe seien Tummelplätze von alten Millionärinnen und halbseidenen Gigolos, hielt sich dennoch. Und nicht zu Unrecht: An Bord von luxuriöseren Kreuzern floss der Champagner, Hummer wurde (wie noch heute auf vielen Schiffen) in rauen Massen verzehrt.«
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ten Jahren auch in Deutschland, dass der Tourismuszweig der »schwimmenden Ferienparks« so »rasant« (Happel 2014) wuchs und wächst wie kein anderer. Auch Bildungsreisen wandelten sich in Programm und Gestaltung: Nicht zuletzt dank der sich fortsetzenden Professionalisierungs- und Institutionalisierungsentwicklungen im Tourismus wurden sie von elitären, exklusiven Angeboten zu einem verkäuflichen und pädagogisch weniger begleiteten Konsumangebot, mit dem neben bildenden auch gesellige, rekreative, distinktive, ludische, sportive und andere Urlaubszwecke verfolgt werden können (vgl. ebd.). Was bleibt auf Kreuzfahrtschiffen vom historischen, bildenden Ansatz angesichts der Konsumdominanz dieser geselligen, rekreativen, distinktiven, ludischen, sportiven etc. Angebote übrig? D. F. Wallace zufolge, der vom 11. bis zum 18.03.1995 in der Karibik an Bord des Celebrity Cruise-Schiffes Zenith reiste und seine Erfahrungen in einer soziologisch-pointierten Bestandsaufnahme Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich (so der Titel der deutschen Übersetzung) zusammenfasste, nur sehr wenig: »Ich habe sacharinweiße Strände gesehen, Wasser von hellstem Azur. Ich habe einen knallroten Jogginganzug gesehen, mit extra breiten Revers. Ich habe erfahren, wie Sonnenmilch riecht, wenn sie auf 21.000 Pfund heißes Menschenfleisch verteilt wird. Ich bin in drei Ländern mit ›Mään‹ angeredet worden. Ich habe 500 amerikanischen Leistungsträgern beim Ententanz zugeschaut. Ich habe Sonnenuntergänge erlebt, die aussahen wie nach einer digitalen Bildbearbeitung, und einen tropischen Mond, der am Himmel hing wie eine fette Zitrone – statt des spröden Gesteinsbrocken es unter den gewohnten USSternenzelt. Ich habe mich sogar (wenn auch nur kurz) in eine Conga-Polonaise eingereiht. […] Ich habe jede Menge weißer Ozeanriesen gesehen. Ich habe die Nordküste von Jamaika gesehen. Ich habe die 145 Katzen im Haus von Ernest Hemingway in Key West, Florida, gesehen (gerochen übrigens auch). Ich kenne inzwischen den Unterschied zwischen einfachem Bingo und Prize-O und weiß, was ein Bingo-Multi-Bonus ist. Ich habe Camcorder gesehen, für die man eigentlich ein Kamerawagen gebraucht hätte; ich habe Gepäckstücke, Sonnenbrillen und Kneifer in schreienden Neonfarben gesehen, und ich habe festgestellt, dass es über 20 verschiedene Marken von Badelatschen gibt. Ich hab Steeldrums gehört und Meeresschneckenbeignets gegessen und war Zeuge, wie eine Frau in Silberlammee einen gläsernen Aufzug von innen flächendeckend vollgekotzt hat. Ich habe ihm Zweiviertel Takt von Siebzigerjahre-Disco-Musik den Arm gen Saaldecke gereckt, was ich seinerzeit (1977) ums Verrecken nicht getan hätte. Ich habe erfahren, dass jenseits von Ultra-ultra-Ultramarinblau eine Steigerung möglich ist. Ich habe während dieser einen Woche mehr und vor allem besser gegessen als jemals zuvor in meinem Leben und während ich dies tat, habe ich am eigenen Leib den Unterschied zwischen Rollen und Stampfen eines Schiffes bei schwerer See erlebt. Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie
150 | THOMAS S CHMIDT -OTT ein Alleinunterhalter vor Publikum allen Ernstes sagte: ›Okay, jetzt aber Scherz beiseite…‹ Ich habe erwachsene US-Bürger aus dem gehobenen Mittelstand gehört, erfolgreiche Geschäftsleute, die am Info Counter wissen wollten, ob man beim Schnorcheln nass wird, ob Tontaubenschießen im Freien stattfindet, ob die Crew ebenfalls an Bord schläft oder um welche Uhrzeit das Midnight-Buffet eröffnet wird.« (Wallace 2002: 5 f.)
Wallace’ Reportage – im Amerikanischen 1996 unter dem Titel Shipping Out. On the (nearly lethal) comforts of a luxury cruise erschienen – stammt aus einer Zeit, in der die Kreuzfahrtindustrie Europas im Gegensatz zu der Amerikas noch in ihren Anfängen steckte: überteuert und überaltert war ihr Image, entsprechend überschaubar waren unter anderem in Deutschland die Gästezahlen und Kapazitäten (vgl. den Beitrag von Jürgen Eisele in diesem Sammelband). Seine Analyse beschränkt sich daher auf den »way of life« an Bord eines amerikanischen Megaliners, beschreibt jedoch gleichwohl Zustände, Programmangebote und Verhaltensformen von Gästen und Bediensteten, humorvoll, sarkastisch, kritisch – und streitbar, die sich mit dem wachsenden Erfolg dieser Urlaubsform in den letzten Jahren in unterschiedlichen Ausprägungen auch international etablierten. Wallace’ Verdienst ist eine »Soziologie eines Kreuzfahrtschiffs [im USamerikanischen Massensegment, Anm. des Verf.] mit journalistischer Verve und quasiethnologischem Blick«. Er nimmt »die Kreuzfahrt, diese Apotheose des Massentourismus, mit zivilisationskritischem Impetus unter die Lupe«13, motiviert von der Idee am Beispiel einer Kreuzfahrt die »perfekt durchinszenierte und überdrehte Vergnügungsmaschinerie der amerikanischen Gesellschaft« zu entlarven und zu analysieren.14 Was seinem Reisebericht zudem gelingt, ist, aus dem unmittelbaren Kreuzfahrterlebnis heraus, in teilnehmender Beobachtung, eine, mal mehr, mal weniger ironisch abstrahierte Auflistung der Reisemotive von Urlaubern und US-Kreuzfahrern der 1990er und frühen 2000er Jahre. Diese hat, was im Folgenden zu zeigen sein wird, seit Anbeginn dieser Urlaubsform bis heute – angepasst an jeweils zeitaktuelle Strömungen und von Quellmarkt zu Quellmarkt unterschiedlich ausgestaltet – weltweit Bestand (vgl. hierzu Freyer 2015: 76 ff., und spezialisiert auf den Kreuzfahrtbetrieb Mundt 2007: 369 ff., sowie der Beitrag von Jürgen Eisele in diesem Sammelband).
13 Siehe www.perlentaucher.de/buch/david-foster-wallace/schrecklich-amuesant-aber-inzukunft-ohne-mich.html (letzter Abruf: 01.09.2016). 14 Siehe www.perlentaucher.de/buch/david-foster-wallace/schrecklich-amuesant-aber-inzukunft-ohne-mich.html (letzter Abruf: 01.09.2016).
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ALS I NSZENIERUNG
»Kreuzfahrten bedeuten Urlaub, wie ihn die Deutschen lieben«, so Benjamin Krumpen vom Deutschen Reiseverband DRV15 – und Happel (2014) begründet dies wie folgt: »Ich kann in sieben Tagen sieben Städte sehen, muss dafür aber nicht einmal englisch können. Und ich kann jeden Abend in mein bekanntes Zimmer zurück.« Die Konsequenz dieser varianten- und abwechslungsreichen und zugleich bequemen Angebotseigenschaften sind steigende Passagierzahlen – seit Jahren ungebrochen (vgl. hierzu www.cruising.org, www.cliadeutschland.de (letzter Abruf: 08.02.2017), vgl. den Beitrag von Jürgen Eisele in diesem Sammelband). Neugebaute Schiffe wachsen quasi »im Gleichschritt«, »und gleichen umgestürzten Wolkenkratzern« (Zimmermann 2016). Klassische HochseeKreuzfahrten sind kein Abenteuer, die Schiffe sind schwimmende Urlaubsresorts: Autarke Kapseln, in denen die Wirklichkeit der Destinationen oft fern ist. Ihre Welt ist Inszenierung. MacCannell (1973) zufolge sind Touristen von der Suche nach Authentizität getrieben, Pilgerreisenden vergleichbar, die nach Erlösung verlangen, gleichwohl mit dem Unterschied, dass die Suche nach Authentizität aussichtslos ist,16 denn im selben Maße, wie Tourismus industrialisiert, dienstleistungsorientiert und kommerzialisiert ist, bewegt sich der Tourist in (für ihn) künstlich erstellten Szenerien. Dies auch dort, wo ihm suggeriert wird, das Typische und Charakteristische der Destinationen und ihrer Menschen unverfälscht zu erleben. Es ist die »Tragik des Touristen« (Schäfer 2016): Urlaub ist Inszenierung, selbst Authentisches wird zur »staged authenticity«. Kreuzfahrten bieten all dies in Perfektion, in inszenierter Reinkultur. »Inszenierung bis ins Detail«, so bewirbt AIDA Cruises auf ihrer Homepage ihre Themenreisen. Wie dies im Einzelnen aussehen kann, beschreibt Richard Vogel, heute CEO und Präsident der Pullmantur Group: »[Ein] Seetag ist Seh-Tag […] oder ›Mehr vom Meer‹. So oder ähnlich wird in den Katalogen der Tag beschrieben, an dem die Gäste tatsächlich an Bord sind und nicht an Land – bei einem Ausflug oder einem Stadtbummel […] an Seetagen, schönes Wetter vorausgesetzt, geht’s rund […] findet man in der Bordzeitung so viele Termine, dass schon das Durchlesen stresst. Die Vielfalt macht den Unterschied und die Qual der Wahl, sich entscheiden zu müssen. […] Da gibt es Eislaufbahnen, Indoor-Soccer, Autoscooter, Wasser-
15 Siehe www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/kreuzfahrtbranche-luxus-und-schwim mende-ferienparks/10024026-2.html (letzter Abruf: 01.09.2016). 16 ... und die nach Erlösung eine Glaubensfrage ...
152 | THOMAS S CHMIDT -OTT rutschen, Hochseilgärten, Bowlingbahnen und unzählige Bars. Zudem werden Kurse angeboten: Sushi-Making und Whisky-Tasting, Gitarrenworkshop und Art Auction, FotoSchule und Entschleunigungsseminar […] Sonnenbrand oder Barbeque, Yoga oder Fat Burner, Fine Dining oder Buffet, lesen oder vorlesen lassen. Viel mehr als nur Meer. Waren es nun also wirklich bessere Zeiten, als das Meer und die Sehnsucht nach Weite und Ferne der Grund waren für den Urlaub auf einem Schiff?« (Vogel 2016a)
Vogels Schilderung beschreibt realitätsnah die Programmierung und Animation eines idealtypisch inszenierten Tages an Bord eines deutschen Kreuzfahrtschiffes im Volumensegment (im deutschen Markt Schiffe von AIDA und TUI Cruises). Per Definition sind »Inszenierungen« im Tourismus die »marktgerechte Umsetzung eines tourismusrelevanten Themas mit unterschiedlichen Einrichtungen, Akteuren und Partnern« (Steinecke 2001: 70). Ansatz dabei ist – so Kagelmann/Scherle/Schlaffke (2003: 165) »[…] dass nichts dem Zufall überlassen bleibt und alle denkbaren Mittel genutzt werden, ein Thema und eine Geschichte zu einer Attraktion zu machen«. Inszenierung basiert auf der Erfahrung und Überzeugung von Touristikern, dass die Bereitstellung von Destinationen, Orten, Bauwerken, Natur und Kultur per se nicht allein, nicht immer ausreicht, beziehungsweise dass sie durch zusätzliche, künstlich geschaffene Features aufgewertet werden muss, indem das Besondere, das einzigartige Erlebnis für den Gast strategisch/programmatisch kreiert »und dadurch in weiterer Folge ein USP, ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Anbietern […]« geschaffen wird (Zehrer 2010: 265). Inszenierung ermöglicht »die Planbarkeit […] umfassender Maßnahmen, das vorhandene Potenzial an Attraktionen […] gezielt, möglichst fehlerlos, so aufzubereiten, dass die Chancen vergrößert werden, Kunden […] für diese Angebote zu bekommen, die von diesen Angeboten so nachdrücklich – emotional – beeindruckt werden, dass sie von Erlebnissen berichten« (Kagelmann/Scherle/Schlaffke 2003: 170). Kreuzfahrten in all ihren Aspekten, von der Kabine und ihrem Design über die Kulinarik, Event- und Live-performance-Kultur bis hin zu konkreten Informationsveranstaltungen etc., sind inszeniert. Im Fokus der Programmmacher aller Schiffsdepartments wie Food and Beverage, Shore-Excursions, Entertainment, Housekeeping etc., bewegt sich der Gast guestflow-gemanagt an Bord in einer »künstlichen Scheinwelt« (Schäfer 2016), hedonistisch lustvoll konsumierend und »nach allen Regeln der schwimmenden Hotellerie verwöhnt« (Wallace 2002: 9). Er spielt, lebt, genießt, wie es Zygmunt Baumann in Anlehnung an die Theorien Johan Huizingas mit dem Begriff des »Flaneurs« umschreibt, in dieser (Urlaubs-)Welt die Rolle eines »Spielers« beziehungsweise »Homo ludens« des 21. Jahrhunderts (vgl. den Beitrag von Armin Klein in diesem Sammelband).
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1997 konstatiert Baumann: Die Menschen der Postmoderne seien »[…] vor allem solche, die Erfahrungen machen, die nach neuen Erfahrungen suchen – wobei Erfahren auch durchaus im Sinne von Erleben gemeint ist – und die gegen den Sättigungseffekt immun bleiben, das heißt, sie sind imstande, einen stetigen Strom an Reizen zu absorbieren und darauf zu reagieren.« (Baumann 1997, zitiert nach Reitz 2016) Das Flanieren, so Baumann, die Auswahl des Dargebotenen, wird zu einer Grundhaltung, die umherspazierende Kontemplation zu einem Mechanismus der Selbstoptimierung: »Das Hauptmodell liegt deshalb eher in der Fitness als in der Gesundheit. Fitness steht für das körperliche und geistige Vermögen des Individuums, einen wachsenden Umfang neuer Erfahrungen aufzunehmen und schöpferisch darauf zu reagieren, für die Fähigkeit, einem schnellen Rhythmus der Veränderungen standzuhalten und ebenso, durch Selbstüberwachung und Korrektur all seiner Abweichungen auf Kurs zu bleiben. Die Betonung hat sich vom wie man es macht zum wie man es erfährt verlagert.« (Ebd.)
Der schnelle Rhythmus der Veränderungen, den Baumann hier beschreibt, markiert die Multioptionalität eines heute noch gültigen, wohl eher verstärkten, hybriden Konsumentenverhaltens, in der der Mensch – beziehungsweise auf Kreuzfahrtschiffen der Gast – immer pluraler, mobiler und flexibler agiert. Als multipler Freizeitkonsument springt er ohne erkennbares Verhaltensmuster spontan von Angebot zu Angebot, unablässig auf der Suche nach mehr und immer noch mehr Lust am Leben (vgl.: Opaschowski 1990). Urlaub eignet sich dabei für ihn ganz besonders als Plattform, da er geradezu theatralische Möglichkeiten bietet, in der Inszenierung (s.o.) mitzuwirken – sich dabei quasi im Urlaub von der alltäglichen Rolle befindend (vgl. Opaschowski 1991: 29). Der Freizeitkonsum wird »[…] als Perpetuum mobile ohne Anfang und Ende erlebt: Es muss immer mehr, immer wieder und immer etwas Neues konsumiert werden« (Opaschowski 1995: 36). Baumann beschrieb zwar keine Schiffsreisen, als er seine Theorie, vor denen Opaschowskis, formulierte, doch eine Anlehnung an ihn erscheint vor dem Hintergrund der Themenstellung des vorliegenden Beitrags legitim. Auch Reitz (2016) verfährt so in Beantwortung seiner Frage: »Auf welchem Kurs befinden sich Zeitgenossen, wenn sie auf schwimmenden Wohnsilos organisierte Kreuzfahrten unternehmen?« Da, so seine These, der Sättigungsgrad bei der Überversorgung an Waren und Events des postmodernen Menschen erreicht sei und sich eine existenzielle Langeweile einstelle, würden
154 | THOMAS S CHMIDT -OTT »[…] Kreuzfahrten zur Auswegstrategie postmoderner Lebensformen und ihrer Akteure. Postmodern insofern, als Dinge nebeneinander stehen können, die so gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen. […] Zum Beispiel […] in der neoklassizistischen Innenarchitektur der Bordbibliothek sitzen, während ein paar Meter weiter eine quietschgelbe Bar zum Drink animiert.« (Ebd.)
Welche »unglaublichen Weiterungsmöglichkeiten der Existenz!« kommentiert Wallace (2002: 22) süffisant. Und Reitz (2016) sekundiert: »Alles, was nachhaltige und verpflichtende Folgen haben könnte, muss ausgeschlossen werden – deshalb geht man an Bord. Zufälligkeit, Beliebigkeit, möglicher Beziehungsabbruch, keine Verpflichtungen, die über die Dauer der Reise hinausgehen – auf zeitgenössischen Vergnügungsreisen mit dem Schiff ist jeder des anderen Gentleman Host, Eintänzer und Gigolo.«
Das klingt nicht wirklich nach Bildungsurlaub …
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Gleichwohl: Bildungs(vermittlungs)angebote, Lectures/Vorträge, Workshops, Führungen, sind in diesen Inszenierungen je nach Anbieter in unterschiedlichen Ausprägungen, Arten, Vermittlungs- und Darstellungsformen, zum Teil in Reedereieigener oder eingekaufter Fremdproduktion oder in Kooperation mit etablierten Bildungseinrichtungen (siehe z.B. TUI Cruises Kooperation mit dem Zentrum für Material und Küstenforschung des Helmholtz-Zentrums Geestacht) gang und gäbe. Ein Desk/Internet Research der weltweiten Angebote macht deutlich: reisebegleitende und persönlichkeitsfördernde Bildungs- und Kulturangebote (vom Info- und Edutainment über Workshops bis hin zu wissenschaftlichen Vorträgen und Symposien) gehören zum guten Ton, gewissermaßen zum Bildungskanon von Kreuzfahrtprogrammen nahezu aller Anbieter – gleichwohl variierend in Gestaltung/Ausprägung, Intensität, Häufigkeit und thematischer Schwerpunktsetzung, und zielgruppenspezifisch unterschiedlich aufbereitet und präsentiert. Fun und Mega Ships unterscheiden sich von Expeditionsschiffen hinsichtlich Umfang, Tiefe, Anspruch und Qualität sowie Vielfalt des Angebots. Volumenmarktschiffe verfolgen eher niedrigschwellige, unterhaltende Vermittlungsformen, exklusive kleine Schiffe sind hingegen oft universitär/forschungsbetont unterwegs. Zwei große Trends gebe es, so Borris Brandt, Director von AIDA Entertainment »›Entertainment wird deutlich destinationsbezogener‹, lau-
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tet die erste These. Deutsche Kreuzfahrer erwarteten auf Reisen auch Informationen über das jeweilige Fahrtgebiet. Das muss nicht immer der klassische Lektor sein. ›Man kann das auch spielerisch machen‹, erklärt Brandt. ›Fun facts oder moderne Kultur sind genauso spannende Inhalte wie Geschichte‹«17. AIDA wirbt dabei wie folgt: »Was macht Urlaub für Sie einzigartig? Wollen Sie tief eintauchen in die Kultur Ihrer Reiseziele? Sind Sie auf der Suche nach sich selbst? Möchten Sie Ihren Urlaub nutzen, um langgehegte Wünsche und Träume in die Tat umzusetzen? Genießen Sie gern intensiv? Und welche Themen beschäftigen Sie? Sind Sie auf der Suche nach mehr Leichtigkeit oder Balance? Wünschen Sie sich mitreißende Unterhaltung oder hätten Sie gern mehr Glück oder Motivation?«18
und bietet all dies Angebotene »auf ausgewählten Reisen«. Demgegenüber betont Hapag-Lloyd die ständige Zusammenarbeit mit »[…] handverlesenen Fachleuten, welterfahren, hoch qualifiziert, mitreißend und mit ihrem Spezialgebiet leidenschaftlich verbunden«. Welche Experten mitreisen, richte »sich nach dem Schwerpunkt der Reise – das können Biologen, Ethnologen, Glaziologen, Geologen, Biophysiker, Vulkanologen und Historiker sein. Sie vermitteln Ihnen neues Wissen ganz anschaulich. In spannenden Vorträgen an Bord, bei Fahrten und Anlandungen mit den Zodiacs und im Gespräch erfahren Sie viele Details, die in keinem Buch stehen. Bei Vor- und Nachbereitungen der Landgänge stimmen sie Sie auf bevorstehende Erlebnisse ein und vertiefen die Eindrücke.«19
Die ausgewählten Beispiele stehen hier stellvertretend polar für die Branche. Sie zeigen einerseits: Destinationsspezifische und andere Bildungsangebote gehören zum Produkt deutscher Kreuzfahrturlaub dazu (sind sie doch, gerade an Seetagen unerlässlich, um, so Wallace (2002: 12) mittels »eiserner Ertüchtigung« der Eintönigkeit und möglicherweise Langweile des endlosen Meeres entgegenzuwirken). Andererseits variieren inhaltliche Schwerpunkte von Schiff zu Schiff, von Reederei zu Reederei, Quellmarkt zu Quellmarkt, inhaltlich von Unterhaltung bis zu Wissenschaft, von »fun facts« und lebens- wie berufsratgebenden Semina17 Siehe
www.rp-online.de/leben/reisen/kreuzfahrten/wie-das-entertainment-auf-kreuz
fahrten-funktioniert-aid-1.4834129 (letzter Abruf: 21.09.2016). 18 Siehe
www.aida.de/kreuzfahrt/reisen-mit-aida/aidaplus/themenreisen.28701.html
(letzter Abruf: 07.03.2017). 19 Siehe www.hl-cruises.de/schiffe/ms-hanseatic-ms-bremen/expertise (letzter Abruf: 07. 03.2017).
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ren bis zu kultur- und naturwissenschaftlicher Wissensvermittlung als Permanentangebot oder als thematische Akzentuierung ausgewählter Reisen (sog. »Themenkreuzfahrten« (vgl. den Beitrag von Lutz Deyhle in diesem Sammelband)). Unter Einbeziehung diverser nationaler Studien ermittelte die CLIA, die deutsche Vertretung der Cruise Lines International Association, dem Weltverband der Kreuzfahrtindustrie in Europa, Nord- und Südamerika, Asien und Australasien, 2015 diverse Trends, die zeigen, wie sich die Kreuzfahrtbranche in den letzten Jahren gewandelt hat, um aktuellen Reisegewohnheiten und -präferenzen der Passagiere zu entsprechen und Schiffsneubauten (noch) nachfrageorientierter zu gestalten. Diese zeigen, wie stark – insbesondere auch zur Produktprofilierung und Verkaufsförderung – Destination, Kultur und Natur (als, s.o. »Bildungsraum« für die Reisenden) neben dem Schiff als Ziel wirken, wie relevant zugleich auch das kulturtouristische On-Board- und Shoreside-Programm zur Kundenzufriedenheit beiträgt. Fünf – hier ausgewählte – Trends der CLIA sind: • Aufschwung der Flusskreuzfahrten – Flusskreuzfahrten mit deutlich regionale-
rem Destinationsmanagement als Hochseekreuzfahrten und im Programm mit zumeist städtetouristischem Anstrich gewinnen an Popularität. Ihr Ansatz ist, so die Produktwerbung, »[…] Ihnen die bereiste Region näherzubringen und Sie mit wissenswerten Fakten zu Land und Leuten zu versorgen. Bei unseren Landprogrammen werden Sie von professionellen Guides und erfahrenen einheimischen Reiseleitern begleitet, die Sie mitnehmen auf eine inspirierende Entdeckungsreise zu den schönsten Plätzen Europas.« – Die CLIA-Mitgliedsreedereien betrieben im Jahr 2015 170 Flusskreuzfahrtschiffe. 2016 waren 18 neue Flusskreuzfahrtschiffe im Bau – ein Wachstum der Kapazitäten von mehr als 10 Prozent. Eine der beliebtesten Strecken ist die Passage PassauBudapest-Passau. Die Drei-Flüsse-Stadt Passau wird – laut Handelsblatt – »[…] an manchen Tagen von Kreuzfahrtgästen geradezu überschwemmt. 320.000 Passagiere kamen im vergangenen Jahr auf 153 Kreuzfahrtschiffen in die Stadt. Inzwischen ist jeder Zweite der vom Tourismusverein vermittelten Teilnehmer von Gruppenführungen ein Kreuzfahrtgast.«20 • Mehr Schiffe, mehr Wahlmöglichkeiten – 2015 waren weltweit 471 Hochseekreuzfahrtschiffe in Betrieb. In 2016 kamen 27 neue Hochsee-, Fluss- und Spezialkreuzfahrtschiffe hinzu. Das Angebot wächst, und mit ihm die thematische Vielfalt von Schiffen unterschiedlichster Größe: Klassische Kreuzfahrtschiffe, Club- oder Luxusschiffe, Segelkreuzfahrtschiffe, Expeditionskreuzfahrtschiffe, europäische Familienschiffe, US-Fun- beziehungsweise Mega20 Siehe
www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/boom-der-fluss
kreuzfahrten-investitionsbedarf-ist-hoch/11930578-2.html (letzter Abruf: 22.09.2016).
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Ships, etc. »Die zeitgemäße Kreuzfahrt mit ihrem erhöhten Angebot an Unterhaltung und mehr Einrichtungen für Sport und Freizeit beruht auf den USamerikanischen ›fun ships‹ der Carnival Cruise Lines aus den 1970er Jahren. Der Charakter dieser Kreuzfahrtschiffe und die dafür baulichen Notwendigkeiten erforderte den Einsatz immer größerer Schiffe, die sich schließlich immer mehr zu schwimmenden Ressorts bzw. einer ›schwimmenden Ferieninsel‹ entwickelten.«21 Die Idee von Expeditionskreuzfahrtschiffen hingegen, wie Hapag-Lloyd mit seinen vorhanden Schiffen und den geplanten Neubauten in 2016 ff. verfolgt22, kann man hingegen mit der des bequem/luxuriösen Abenteuers treffend beschreiben. • Ferner Osten – Vor fünf Jahren war das Thema Kreuzfahrten für Touristen in Asien weitgehend unbekannt. 2015 befuhren 52 Kreuzfahrtschiffe den asiatischen Markt. Dies entspricht einer durchschnittlichen Wachstumsrate von zehn Prozent pro Jahr seit 2013. Mit zunehmenden Kapazitäten stiegen auch die Passagierzahlen. Im Jahr 2014 machten 1,4 Millionen Asiaten Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff, so viele wie niemals zuvor. Die deutsche AIDAReederei begann jüngst die Vermarktung eines ihrer Schiffe auf dem chinesischen Markt. Ab April 2017 wird die AIDAbella ganzjährig ab Shanghai mit Touristen aus China fahren. Globale Strategien deutscher Anbieter wie diese werden im deutschen Markt auch programmatisch nicht folgenlos bleiben. Asien gewinnt zudem im Bereich Destination international an Bedeutung. Alle Reedereien sind hier unterwegs und werben mit Bildungsrelevanten Angeboten: »Die Welt mit anderen Augen sehen«23 so zum Beispiel Hapag-Lloyd Kreuzfahrten. »Wie sah die Welt vor Millionen von Jahren aus? Welche enormen Kräfte formten unsere Gebirge? Wie entstand das Leben? Mit einer Expedition nach Kamtschatka und zu den Kurilen können Sie die Wunder unserer Natur entschlüsseln. Im Fernen Osten Russlands, entlang des Pazifischen Feuerrings, begeben Sie sich auf eine faszinierende Expedition in die Geschichte unserer Erde. Urgewaltige vulkanische Formationen und brodelnde Quellen legen davon noch heute Zeugnis ab – und Sie sind mitten drin in einer Region, die vom Ursprung der Welt erzählt. Steile Felsklippen, qualmende Vulkane und Geysire, eine einzigartige Tier- und Pflanzenvielfalt – auch ohne geologische oder biologische Vorkenntnisse raubt der Pazifische Feuergürtel jedem Besucher den Atem. Und doch: Je mehr man weiß, desto klarer werden 21 Siehe
www.schiffe-und-kreuzfahrten.de/ratgeber/alle-kreuzfahrtschiff-neubauten/89
70/ (letzter Abruf: 22.09.2016). 22 Siehe:
www.hl-cruises.de/presse/pressemeldungen/detail/news/detail/News/hapag-
lloyd-cruises-zwei-neue-expeditionsschiffe (letzter Abruf: 22.09.2016). 23 Siehe www.hl-cruises.de (letzter Abruf: 21.09.2016).
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die Zusammenhänge und desto faszinierender die Details. Ihr Team aus Experten verschiedener Fachrichtungen begleitet Sie während der gesamten Expedition: Ob mit Vorträgen an Bord, bei Wanderungen und Zodiacfahrten – lassen Sie Ihren Blick lenken, Ihre Sinne schärfen und entdecken Sie einzigartige Geheimnisse einer rätselhaften Welt.« (Ebd.) • Themen auf hoher See – Kreuzfahrtunternehmen nutzen Brandsharing und/oder prominente Partner – auch im Unterhaltungs- und Bildungsbereich – um Themen für ganze Reisen zu setzen, Schiffe und/oder Flotten zu profilieren und Zielgruppen(-segmente) gezielt anzusprechen und an Bord zu bringen: »Nun sind Themenkreuzfahrten«, so Richard Vogel (2016b), »nicht wirklich neu […]. In den USA, so Experten der Branche, sind sie bereits ein alter Hut […]. Doch bei näherer Betrachtung weisen sie nicht unerhebliche Unterschiede auf. Man muss nämlich differenzieren, ob eine Reederei durch GastKünstler ihr Programm aufpeppt, oder ob die ganze Kreuzfahrt unter einem Motto steht […]. Themenkreuzfahrten […] sorgen für eine entsprechende Awareness, unterstützen die Positionierung der Marke, modernisieren das Produkt ›Kreuzfahrt‹, sind wirtschaftlich erfolgreich, und generieren neue Zielgruppen. Von denen im Übrigen zwischen 15 und 30 Prozent als normale Kreuzfahrer wieder an Bord kommen. Davon profitiert die ganze Branche.« • Zielgruppengerecht maßgeschneiderte Neubauten – Kreuzfahrtreedereien orientieren sich bei der Gestaltung der Kreuzfahrtschiffe an den Kulturen-, Lebens- und Herkunftswelten ihrer Gäste. Schiffe werden nach Einkaufs-, Restaurant- und Unterhaltungsvorlieben ausgestattet, die nicht nur Gästen, sondern auch angefahrenen Destinationen Tribut zollen. Zudem designen Architekten und Werften die Schiffe gemäß der Markenanmutung des Reiseveranstalters beziehungsweise seiner programmatischen Schwerpunkte: Mit seinen (erst seit 2013 nicht mehr als solchen beworbenen) »Clubschiffen« revolutionierte AIDA den deutschen Kreuzfahrtmarkt und stieß das Wachstum der Urlaubsform »Kreuzfahrt« in Deutschland maßgeblich an. Das Clubambiente macht sich nicht nur im Raumprogramm der Flotte, sondern auch im innenarchitektonischen Design bemerkbar, so wurde zum Beispiel AIDAdiva »[…] wie der Name schon sagt, schrill und bunt im Interieur konzipiert«24. HapagLloyd Cruises richten sich demgegenüber »[…] an Gutbetuchte. Sowohl für die Luxuskreuzfahrten als auch die Expeditionskreuzfahrten werden schnell deutlich vierstellige Beträge fällig. Dafür wird an Bord der Schiffe auch entsprechend Luxus geboten«, der sich in Architektur und Schiffsausstattung edel und gediegen widerspiegelt. Ralf Claussen, einer der Innenarchitekten der Mein Schiff Flotte von TUI Cruises, hingegen motiviert eine »Schlichtheit im 24 Siehe www.bella-seereisen.de (letzter Abruf: 22.09.2016).
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Design. Wir haben versucht, vieles von dem, was man sonst auf den Schiffen findet, wegzulassen. Die vielen Farben und Muster, blauer Teppich hier, rötliches Holz da, dazu gelbe Gardinen und grüne Polsterkissen. Wir haben geschaut, dass wir in der Farbgebung neutral bleiben und dann ein oder zwei Akzente mehr setzen.«25
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Kreuzfahrtschiffe der US-amerikanischen Fun-Klasse gleichen in vielen ihrer Produktprogrammfeatures Opaschowskis säkularisierten Wallfahrtsorten inszenierter Authentizität. Ausgehend vom US-Markt schufen – ähnlich seiner oft zitierten »Kathedralen der Konsumwelt« – Reedereien, Schiffsarchitekten und Werften in den letzten Jahrzehnten maritime Erlebnisräume, die auf Unterhaltung, Konsum, Genuss und Freizeitleben, auf immer neue »Wows!«, immer spektakulärere »Showtime!« bauen. Früher waren Religionen und Kirche für Heilsversprechungen und Paradiesvorstellungen zuständig. Heute und in Zukunft sorgt eine mächtige Freizeitindustrie für Glücksversprechungen, Traumwelten und künstliche Paradiese (vgl. Opaschowski 1998). Da es Kunden beziehungsweise Gäste gibt, die (auch) Kultur und Bildung als ein solches Glück begreifen beziehungsweise das entsprechende Programmangebot eines Veranstalters positiv wahrnehmen, gehören kultur- und bildungsvermittelnde Angebote neben aller Kulinarik, Unterhaltung und Animation zum, wie beschrieben, mehr oder minder festen Bestandteil auch der marktführenden (zumindest deutschen) MassenKreuzfahrtanbieter. Diese versprechen in ihren Katalogen, mit ihrer – pointiert formuliert – »Mischung aus Entspannung und Stimulation, stressfreiem Relaxen in Kombination mit einem touristischen Rahmenprogramm, das es in sich hat, kompromisslosem Service und Bevormundung, die unter dem Titel ›verwöhnen‹ läuft« (Wallace 2002: 15), ihren (potenziellen) Kunden unisono, dass sie durch Erlebnisse in fremder Natur und Kultur Erfahrungen machen können, die ihre Horizonte, Kenntnisse und Wissen erweitern, sie glücklich machen, sich wohlfühlen lassen, verändern etc. Kritiker verweisen in der Analyse dieser Angebote, wie oben dargestellt, darauf, dass all dies gewissermaßen Betrug ist, dass touristische Routen weitgehend planiert seien, Authentizität inszeniert, also unecht/unwahr sei, und gerade im Kreuzfahrtbusiness sich der Gast in einem industriell fabrizierten Dienstleistungsgelände bewege. Alles sei künstlich, alles
25 Siehe www.zeit.de/2014/30/innenarchitekt-ralf-claussen-kreuzfahrten (letzter Abruf: 22.09.2016).
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sei organisiert, jede Sehenswürdigkeit an Land, jeder Ausflug, jede Begegnung mit Einheimischen, jedes Naturerlebnis – und sei es noch so abgelegen – jeder interkulturelle Austausch. Kritiker der Kritiker verweisen demgegenüber darauf, dass aus Künstlichem, unecht Scheinendem, eine neue, eigene Authentizität entstehen könne, dass demnach zum Beispiel die Erlebniswelt der »fun cruise« als authentischer Ausdruck amerikanischer Kulturtradition gewürdigt werden könne. Authentizität sei immer auch eine Frage der »[…] subjektiven Wahrnehmung. Manche Konsumenten und Besucher geben sich mit nichtauthentischen Erfahrungen durchaus zufrieden. Und wieder andere lassen sich ganz bewusst auf das Spiel mit der Simulation oder Hyperrealität ein.« (Opaschowski 2013: 352) Die oft als manipuliert kritisierte, scheinbar nichtauthentische Infrastruktur der Kreuzfahrt bietet somit gleichwohl Räume für »experimentelle Orientierung«, »spielerische Selbsterprobung« und »unvorhersehbare Widerfahrnisse« (vgl. Schäfer 2013: 25) – und manifestiert darin das Bildungsangebot der CruiseIndustrie. Vielleicht kann man angesichts der sozialen Komponente des Kreuzfahrtpublikums sogar »[…] sagen, dass sich neben der Figur einer ›authentischen Erfahrung‹ auch jene einer ›Selbstfindung am Anderen‹ als eine mögliche Inszenierung von Erfahrungen verstehen lässt, denen man eine ›bildende Qualität‹ zuschreiben könnte« (ebd.). Kreuzfahrten – in von Veranstalter zu Veranstalter unterschiedlichen Ausprägungen, programmatischer und inhaltlicher Tiefe – bieten vielfältig »[…] Möglichkeiten für das Erkennen und Erleben des ›Wirklichen‹ oder ›Eigenen‹ im Anderen bzw. Fremden […] Im Modus des Touristenseins bzw. des Reisens wird [für den Gast an Bord von Kreuzfahrtschiffen – je nach individueller Disponiertheit, Anm. des Verf.] Selbst- und Welterfahrung sowie Selbst- und Weltermächtigung möglich. […] Reiseerfahrungen [auch auf Kreuzfahrtschiffen, Anm. des Verf.] kennzeichnet seit jeher eine komparative Mentalität: Das bei der Abreise Zurückgelassene wird mit dem in der Ferne Erlebten und Wahrgenommenen verglichen. So wird dann bestimmt, ob beides zusammenpasst und in welche Ordnung beide Sphären zu setzen sind.« (Wöhler/Pott/Denzer 2010: 12)
Unabhängig der Größe heutiger Schiffe und ihrer programmatischen Ausrichtung bieten Seereisen dieser Sichtweise zufolge Erfahrungen, die den einzelnen Gast in unterschiedlicher Intensität an Grenzen seines Selbst- und Weltverständnisses führen können. Damit realisiert sich (auch im heutigen Volumenmarkt) unter anderem ein altes, bildungstheoretisches Versprechen: Wenn Hegel 1807 in der Phänomenologie des Geistes davon spricht, dass man nur im Anderen zu sich selbst kommen könne, dann meint dieses Andere ein Fremdes – etwas, wo-
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ran die Selbstverständlichkeit angeeigneter Interpretationsmuster und die Gewissheit des eigenen Selbst gefordert sind. Natur und Kultur vieler Kreuzfahrtdestinationen bieten dieses Wechselspiel von fremd, eigen und anders. Die Schiffscrew, das Servicepersonal, Lektoren, Animateure, Ausflugs-/Reiseführer und/oder Reiseliteratur geben darüber Auskunft. Der Gast kann, je nach Reederei unterschiedlich aufbereitet und präsentiert, Wissen darüber erlangen und lernen, worin die Andersheit der angefahrenen Destinationen und des Schiffslebens besteht: »[…] in der Religion, der Familien- und Sozialstruktur, bestimmten Bräuchen, Riten usw. […] Im Kontakt mit [dieser Andersheit, Anm. und Herv. des Verf.] kann es [für ihn] einen Punkt geben, an dem die eigenen Einordnungsschemata ebenso wenig weiterhelfen wie das objektivierte Wissen, auf das man zurückgreifen kann.« (Schäfer 2013: 15). Dies sind die Momente »bildender Erfahrungen« einer Cruise. Gleichwohl: sie sind beileibe keine Selbstläufer. Die »Kathedralen der Konsumwelt«, »geniale und wirkmächtige Mittel der Verführung« (Wallace 2002: 22), wirken an Bord der Megaliner machtvoll, omnipräsent, und sie geben, in Schiffsangebot und Gästenachfrage, dem spaßigen Entertainment gerne den Vorrang vor einem anspruchsvollen Lektorat, Vortrag, Seminar. Für den bildungswilligen oder womöglich sogar -hungrig Reisenden ist es an Bord dann wie überall – treffend von Goethe in seinem Sonett Natur und Kunst formuliert: »So ist’s mit aller Bildung auch beschaffen […]. Wer großes will, muss sich zusammenraffen«26. Wer seine Cruise allein am Pool verbringt und das Schiff in keinem Hafen zur Landerkundung verlässt, der wird kaum um bedeutende Erfahrungen reicher wieder von Bord gehen.
L ITERATUR Brandt, Peter (2013): »Stichwort: ›Reise und Bildung‹«, in: DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, Heft 3, S. 20-21. Siehe www.die-bonn.de/zeitschrift/ 32013/bildungsreise-01.pdf (letzter Abruf: 02.09.2016). Brilli, Attilio (1997): Als Reisen eine Kunst war. Vom Beginn des modernen Tourismus: die »Grand Tour«, Berlin. Ebert, Horst-Dieter (2016): »Von der Erfindung der Kreuzfahrt. Hapag-Lloyd feiert die Anfänge seiner Geschichte. Ein Rück- und Ausblick von HorstDieter Ebert«, in: Gour-Med – Das Magazin für Ärzte, Heft 1/2, S. 20-21. Freyer, Walter (2015): Tourismus. Einführung in die Fremdenverkehrsökonomie, Berlin.
26 Siehe http://gutenberg.spiegel.de/buch/sonette-3649/1 (letzter Abruf: 22.09.2016).
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Haase, Marcus/Krä mer, Franziska (2013): »Orientierungsveränderungen bei Work&Travel-Reisenden. Die Reise als Bildungsraum im Licht strukturaler Bildung«, in: DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, Heft 3, S. 29-32. Siehe www.die-bonn.de/zeitschrift/32013/studienreise-02.pdf (letzter Abruf: 05. 03.2017). Happel, Stephan (2014): »Kreuzfahrtbranche. Der harte Kampf der schwimmenden Ferienparks«, in: WirtschaftsWoche Online vom 12.06.2014. Siehe www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/kreuzfahrtbranche-der-hartekampf-der-schwimmenden-ferienparks/10024026.html (letzter Abruf: 02.09. 2016). Huber, Peter (2012): »Eine ›Lustreise auf See‹. Die ›Große Orient-Exkursion‹ 1891 war die Geburtsstunde der Kreuzfahrt. Geschichte eines Massenphänomens«, in: Die Presse vom 21.01.2012. Siehe http://diepresse.com/ home/leben/reise/725738/Eine-Lustreise-auf-See (letzter Abruf: 01.09.2016). Kagelmann, H. Jürgen/Scherle, Nico/Schlaffke, Marlen (2003): »Stä dtetourismus und populä re Kultur«, in: Bachleitner, Reinhard/ Kagelmann, H. Jürgen (Hg.): Kultur/Stä dte/Tourismus, Mü nchen/Wien, S. 165-176. Koller, Hans-Christoph (2011): »Anders werden. Zur Erforschung transformatorischer Bildungsprozesse«, in: Breinbauer, Ines Maria/Weiß, Gabriele (Hg.): Orte des Empirischen in der Bildungstheorie. Einsätze theoretischer Erziehungswissenschaft II, Würzburg, S. 108-123. MacCannell, David (1973): »Staged Authenticity. Arrangements of Social Space in Tourist Settings«, in: The American Journal of Sociology, Band 79, Nr. 3, S. 589-603. Mundt, Jörn W. (Hg.) (2007): Reiseveranstaltung. Lehr und Handbuch, München. Mundt, Jörn W./Baumann, Ewald (2007): »Kreuzfahrten«, in: Mundt, Jörn W. (Hg.): Reiseveranstaltung. Lehr- und Handbuch, München, S. 369-402. Opaschowski, Horst W. (1990): »Freizeit, Konsum und Lebensstil«, in: Szallies, Rüdiger/Wiswede, Günter (Hg.): Wertewandel und Konsum. Fakten, Perspektiven und Szenarien für Markt und Marketing, Landsberg, S. 109-133. Opaschowski, Horst W. (1991): Mythos Urlaub. Die unerfüllbare Sehnsucht nach dem Paradies? Eine motivationspsychologische Studie vom B-A-T Freizeit Forschungsinstitut, Projektstudie zur Tourismusforschung, Hamburg. Opaschowski, Horst W. (1995): Freizeitökonomie. Marketing von Erlebniswelten, Opladen.
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Sich mit dem Publikum verbinden Theaterkunst für Kreuzfahrtschiffe A RTHUR C ASTRO »I never called my work an ›art‹. It’s part of show business, the business of building entertainment.« WALT DISNEY »Some people say less is more. No. More is more and too much is never enough.« JAMES CAMERON/HEARD 1997: 1
Litt die Kreuzfahrtbranche in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts unter einem »angestaubten« Image – einem, das »Spießertum, Rentner und Langeweile« konnotierte1 – wird der heutige Gast an Bord eines Kreuzfahrtschiffs eines Besseren belehrt; ihn empfängt ein modernes Angebot aus Animation, Kulinarik und Unterhaltung, darunter zeitgemäße Shows im Theater und eine Vielzahl von Gastkünstler-Events, das, nach strategischer Maßgabe der Anbieter nur eines zum Ziel hat: ihn als begeisterten Stammkunden zu gewinnen und zu binden. Die gelungene Marketingkommunikation dieses Angebots an Land gibt der Reederei vor der Buchung des Kunden die Möglichkeit, sich vor Mitbewerbern zu positionieren und auch mit den Themen Kultur und Unterhaltung eine neue, nicht ausschließlich kulturell gebildete Gästeklientel für das Produkt anzuwerben. Durch die inhaltliche Gestaltung der Entertainment- und Kulturprogramme und deren Kommunikation wird stetig sowohl die öffentliche Wahrnehmung der Kreuz-
1
Siehe
www.kreuzfahrt.de/logbuch/bord-leben/nachricht/die-5-groessten-kreuzfahrt-
mythen.html (letzter Abruf: 16.12.2016).
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fahrtbranche im Allgemeinen als auch die des Unterhaltungsangebots an Bord im Besonderen korrigiert. Eine besondere Rolle kommt hierbei den Showproduktionen im Theater eines Kreuzfahrtschiffs zu. Theater bilden, nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, dass sie täglich spielen – und zudem bei Kapazitäten von über 1.000 Plätzen fast ständig bis auf den letzten Platz belegt sind – den Kern der Unterhaltung an Bord der Kreuzfahrtschiffe. Stellt die Entscheidung, ein Theater an Bord eines neuen Schiffs zu implementieren, eine grundsätzliche Entscheidung in der Positionierung des Entertainments dar, ist die inhaltliche Gestaltung desselben eine Herausforderung für die kreativen Köpfe hinter den Kulissen des Theaterbetriebs auf hoher See. Denn anders als in den »Tempeln der Hochkultur«, den öffentlich-subventionierten Theatern und Musicalhäusern, an Land sitzt nicht ausschließlich der informierte und hochkulturell konditionierte Zuschauer(»-Profi«) allabendlich im Zuschauerraum, sondern ein zumeist eher unterhaltungssuchender Passagier(»-Amateur«). Dieser hat, sofern er am Abend seinen Weg ins Theater findet, bereits einen ereignisreichen Tag hinter sich, denn viele Landausflüge beginnen bereits am frühen Morgen. Über den Tag hinweg gilt es, das Schiff zu erkunden, im Einkaufsbereich zu shoppen, diverse Mahlzeiten einzunehmen, sich sportlich zu betätigen, Wellness zu betreiben, Lesungen und Vorträge zu besuchen, in den Pool zu springen und auf das Meer zu schauen. Gemäß der eigenen Vorlieben – und jenen der Mitreisenden – steht es jedem Passagier frei, seinen eigenen Tagesablauf bestmöglich zu gestalten. Dabei, so lässt sich in Anlehnung an Schulze (1999: 45 f.) ideal für ein Kreuzfahrtschiff konstatieren, »[...] kommt es zu einer immer größeren Kumulation von Möglichkeiten des schönen Lebens. Halb amüsiert, halb gelangweilt stehen wir um den ständig wachsenden Haufen der angenehmen Dinge herum, greifen das eine oder andere Objekt heraus, spielen ein wenig damit und werfen es wieder auf den Haufen zurück. […] Und was ist das hier? Schon wenden wir unsere Aufmerksamkeit dem nächsten Objekt des Wünschens zu.«
Passagiere an Bord der Kreuzfahrtschiffe befinden sich in einer für sie entworfenen »Glückskulisse« (ebd.), die ihre Bedürfnisse idealerweise nicht nur erkennt, sondern antizipiert, um sie zu befriedigen. Das Theaterprogramm an Bord eines Kreuzfahrtschiffs ist nur ein Aspekt dieser Glückskulisse und konkurriert mit einer Vielzahl von alternativen, parallel stattfindenden Vergnügungsangeboten. Raum – im Sinne von Zeit – für die Entfaltung theatralischer Wirkung steht der Bühne und ihren Protagonisten dabei nur begrenzt zur Verfügung: der Gast ist »schnell« – schnell auf dem Sprung zum nächsten Unterhaltungs-, Kulinarikoder Animationsangebot an Bord. Als Theatermacher in diesem Umfeld muss
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man zügig, effektiv und bildgewaltig-bindend auf den »Punkt« kommen, denn das Publikum verlässt den Saal sofort, wenn Langeweile aufkommt.
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VERBINDEN « »Du sitzt hier, locker-bequem, hier auf deinem Stuhl, hast drei Weizenbier getrunken und bist schön locker.« RUDI VÖLLER2 »Everybody’s a critic.« KRISTEN ANDERSON-LOPEZ3
Das reguläre Unterhaltungsprogramm an Bord eines Kreuzfahrtschiffes ist ein in Deutschland weniger stark ausgeprägter Entscheidungsfaktor bei der Reisebuchung als in den USA (vgl. den Beitrag von Jürgen Eisele in diesem Sammelband). Gleichwohl gehören Animation, Unterhaltung, Kultur und Bildung zum »Wohlfühlen« an Bord dazu (siehe z.B. die Konzepte von Hapag Lloyd, Aida, TUI Cruises). Michael Eisner (1999: 491), ehemaliger Chairman of the Board und CEO der Disney Company, erkannte dies in den 1990er Jahren – »Seereisen sind auf dem Reisemarkt in der ganzen Welt der wachstumsstärkste Sektor, und junge Familien gehören dabei zu der Gruppe, die am wenigsten bedient wird.« – und gründete im Jahre 1995 eine eigene Kreuzfahrtschiff-Flotte, die der Abteilung Walt Disney Parks and Resorts zugeordnet ist und mittlerweile aus vier Schiffen besteht. Im Mittelpunkt der Vermarktungsstrategie steht die Familie, die mit den Inhalten der Disney’schen Welt bereits seit Kindertagen vertraut sein dürfte. Die Charaktere aus den Filmen werden in den »theme parks« lebendig. Sie fanden und finden durch eine ausgeklügelte Bandbreite von MerchandisingProdukten ihren Weg in viele Kinderzimmer dieser Welt. An Bord der Disney Cruise Liners erobern sie die Weltmeere:
2
Rudi Völler im Interview mit Waldemar Hartmann, ARD-Sportschau. Siehe www.
3
Siehe
youtube.com/watch?v=BHZJfFeMLkk (letzter Abruf: 16.12.2016). www.nytimes.com/2016/11/06/realestate/kristen-anderson-lopez-frozen-song
wirter-at-home.html (letzter Abruf: 16.12.2016).
168 | A RTHUR CASTRO »The Disney entertainment empire knows how to treat people right, and a Disney cruise certainly meets the high expectations developed over many decades of theme parks and media entertainment. […] In true Disney fashion, everything is orchestrated to produce a specific sense of fantasy and wonder. Where Disney’s parks are centered around a fairytale castle, Disney cruises are centered around its ships – Disney Magic, Disney Wonder, Disney Dream and Disney Fantasy – which were designed to evoke the fairy-tale world of early 20th-century ocean liners, with their sharp bows, art deco and art nouveau interiors, and even multiple funnels, even though one of those funnels on every Disney ship is fake – but they sure do make a cool place to hide the teenagers’ clubs.«4
Bemerkenswert an Disneys Konzept ist, dass das Publikum beziehungsweise der Passagier an Bord lediglich das vorfindet, was er bereits kennt. Neue Inhalte müssen nicht erlernt werden. Der Gast befindet sich auf einem Disney-Schiff in der vertrauten und emotional bereits aufgeladenen Welt »seiner« Filme und all der geliebten Figuren des »Magischen Königreichs von Disney«. Dieses Konzept erläutert Thomas Schumacher, Geschäftsführer von Disney Theatrical, im Rahmen der Broadway-Premiere der Show König der Löwen: »When it came to translating the film to the stage, the challenge was to find an approach that would make people connect better with the characters and the story than they had already in the movie. Because theatre is about connections, it’s about the audience connecting with what is happening on stage. If you can’t close that link in that chain, you don’t have a piece of theatre.« (Lassell 2002: 64)
Die Absicht, sich mit dem Publikum zu verbinden, direkt mit den Zuschauern kommunizieren zu können, ist nicht allein ein Merkmal kommerzieller Theaterund Showproduktionen á la Disney. Gültigkeit besitzt dieser Satz, wann immer sich vor den Augen des Publikums der Vorhang hebt, um einer Vorstellung beizuwohnen – egal, ob auf einem Kreuzfahrtschiff oder einer Kulturinstitution. Walter Felsenstein, Begründer der Ästhetik des realistischen Musiktheaters, Regisseur und Intendant der Komischen Oper Berlin im Zeitraum von 1947 bis 1975 schreibt in seinem Buch Musiktheater: »Ich nannte als drittes Hauptproblem das Verhältnis zum Publikum. Damit wird unweigerlich eine soziologische Frage aufgeworfen, nämlich, wieweit dem Regisseur bewusst ist, für wen er produziert. […] Ich kann auch hier nur meine persönliche Meinung beisteuern,
4
Siehe www.avidcruiser.com/cruise-reviews/family-cruises/disney-cruise-line/ (letzter Abruf: 16.12.2016).
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und die geht dahin, dass ich unter den vielerorts neu geschaffenen gesellschaftlichen Verhältnissen einem möglichst breiten und differenzierten Personenkreis das musizierende Theatererlebnis vermitteln möchte. Ich verlange daher vom Regisseur die Fähigkeit, sich jederzeit in die Lage des mit dem Werk und der Aufführung unbekannten Zuschauers zu versetzen und mit allen der musizierenden Bühne verfügbaren Mitteln die Verständlichkeit des Werkes, die Verständlichkeit der Konzeption zu sichern, zugleich aber – wie schon vorher gesagt – anstelle betrachtender Passivität die aktive Teilnahme des Auditoriums zu erzielen.« (Felsenstein/Herz 1976: 107 f.)
Felsensteins Postulat besitzt Gültigkeit über die Grenzen des klassischen Musiktheaters hinaus. Im sogenannten »Volumenmarkt Kreuzfahrttourismus« (Krummheuer: 2010) mit seinem Spannungsverhältnis vielgestaltiger Zuschauermilieus und deren unterschiedliche Kulturschemata sind der Showproduzent und -Regisseur auch – oder vielleicht sogar ganz besonders – in der Pflicht, den unbedarften und nicht vorgebildeten Zuschauer bei Konzeption und Produktion neuer Theaterformate zu berücksichtigen und aktiv mit einzubinden.
Z WISCHEN K UNST
UND
K OMMERZ »When you come into the theatre, you have to be willing to say, ›We’re all here to undergo a communion, to find out what the hell is going on in this world.‹ If you’re not willing to say that, what you get is entertainment instead of art, and poor entertainment at that.« DAVID MAMET/MAMET 2013
Götz Friedrich, langjähriger Intendant der Deutschen Oper Berlin, formuliert sein Verständnis der künstlerischen Freiheit des Künstlers wie folgt: »Zunächst und vor allem – und darüber sollte nicht der geringste Zweifel bestehen – gilt die Garantie, dass Kunst frei ist, dem Schaffen der Künstler, den Künstlern selbst. Die geistige, schöpferische Unabhängigkeit kann nicht reglementiert werden. Der Künstler hat in seinen Entwürfen und Werken Bilder, Vorgänge, Klänge zu schaffen, wie sie zunächst nur ihn interessieren, wie nur er selbst sie braucht – unabhängig davon, ob andere sie gleich brauchen oder ob sie sofort für andere interessant sind. […] Diese Schutzgarantie gilt dem künstlerischen Werk ebenso wie der Phantasie, der Erfahrungs- und Erlebnisbe-
170 | A RTHUR CASTRO reitschaft unserer Mitmenschen. […] Viele Künstler wehren sich gegen den vorschnellen und reglementierten Konsens, weil sie damit ja ihrer Verantwortung verlustig gingen, Entwürfe zu bilden, die das Gegenwärtige analysieren, vielleicht auch attackieren – eigentlich immer der Zukunft wegen, darum, dass der Mensch, dieses Leben, die Gesellschaft eine Zukunft habe. Unverständnis, Irritation, Provokation sind insofern fest vorprogrammiert. Ich wiederhole – und sage das als einer, der tief von der gesellschaftlichen Verpflichtung von Kunst und gegenüber der Kunst überzeugt ist: Verständlichkeit ad hoc ist kein Gradmesser für den Wert freier Kunst.« (Friedrich 1986: 50)
Kunst und Kultur an Bord eines Kreuzfahrtschiffes – siehe oben – sind nicht frei und stehen nicht für sich selbst, sondern unterliegen einer Funktion, nämlich der, die Gäste zu ihrer Zufriedenheit zu unterhalten. Die Passagiere haben sich nicht durch den Erwerb einer Eintrittskarte und womöglich vorbereitende Lektüre für den Besuch einer Vorstellung im Theater »qualifiziert«, sondern sind zumeist aus ganz anderen Gründen an Bord. Entertainment ist für sie lediglich ein Aspekt einer großen Bandbreite von Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben. In Abgrenzung zum kommerziellen Theater im Sinne einer Musicalproduktion oder eines Zirkus’ ist dieser Umstand als »hyperkommerziell« zu bezeichnen, denn der Gast sieht sich nicht gezwungen, dem Geschehen auf der Bühne weiterhin zuzuschauen, wenn es ihm nicht gefällt oder in keine Verbindung zu ihm tritt. Die stille Übereinkunft zwischen den Künstlern auf der Bühne und dem Publikum, bis zum Ende einer Vorstellung zu bleiben und Wohlgefallen oder Ablehnung durch den gespendeten Applaus zu äußern, ist auf Hoher See hinfällig. Denn der Gast hat nicht direkt für das, durch verheißungsvolle Marketingbotschaften geprägte, Erleben dieses Abends gezahlt. Sofern das Bedürfnis beim Gast, einer besonderen Erfahrung im Theater unbedingt beizuwohnen nicht geweckt wird, erwartet der Zuschauer mitnichten die Befriedigung derselben. Er wartet nicht ab, lässt dem Stück keine Chance. Er steht auf und verlässt das Theater. Hat er sich damit für den schöpferischen Künstler als Zuschauer disqualifiziert? Der Theater- und Opernregisseur Jean-Pierre Ponelle (Fabian 1983: 31) beschreibt sein ideales Publikum wie folgt: »Es ist unbelastet von Tradition und offen gegenüber Experimenten. Auf der einen Seite die große Aufnahmebereitschaft, auf der anderen Seite die echte, intime Kenntnis der Werke […]« Unbelastet von Traditionen im hochkulturellen Sinne sind auch viele Kulturkonsumenten an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Gleichwohl haben sie – in Abwesenheit der Kulturkritik – die vollständige Bewertungsmacht über das Geschehen auf der Bühne: Gut ist, was gefällt.
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»Aber was wäre, wenn das Publikum kein Gegner wäre, der überlistet werden muss, sondern ein notwendiger Gehilfe im schöpferischen Prozess, ein Partner, dessen (bewussten und unbewussten) Bedürfnisse die Filmemacher sich bemühen sollten zu verstehen?« Die Frage David Mamets (2008: 145) kann als verbindliche Handlungsanweisung und Schlüssel zum Verständnis des Publikums interpretiert werden. Ist es im schöpferischen Prozess möglich, den Zuschauer zum Verbündeten, gar zum Komplizen zu machen? Der Zuschauer zertifiziert die szenische Darbietung als »gelungen« oder »nicht gelungen« ausschließlich auf der Basis seiner eigenen Wahrnehmung. Die Intentionen der kreativen Urheber oder die Konzeption des Regisseurs sind nachrangig beziehungsweise irrelevant in den Augen eines konsumierenden Publikums, welches sich nicht den Wünschen der kreativen Urheber unterwirft, sondern das Geschehen auf der Bühne lediglich nach seiner Wirkung beurteilt. Denn auch die kritische Bewertung oder die Korrektur der eigenen Rezeption durch ein reflektierendes Feuilleton findet nicht statt. Somit bemisst sich die Qualität einer Show nicht an ihrer künstlerischen Vielfalt und Tiefe, nicht an ihrer Botschaft oder künstlerischen Aussage, sondern am Grad der Zustimmung durch das Publikum. Unterhaltungskunst ist im Kontext der Kreuzfahrt heteronom, ein Mittel zum Zweck der größtmöglichen Befriedigung der individuellen Bedürfnisse eines jeden Zuschauers, welcher das Geschehen auf der Bühne unbewusst für seine emotionale Befriedigung instrumentalisiert. Entsprechend formuliert Michel Crête: »I am not sure how important the concepts we organized our shows around are to the spectator. They were important to us creators, because they allowed us to build the shows around them. But it really doesn’t matter if the audience has any access to our thoughts and ideas. […] The audience shouldn’t be forced to look for our motivations. Audience members should show up with their own personal backgrounds and get what they want out of the show.« (Babinski 2004: 110)
Betrifft das auch die Institution Kulturkritik, welche an Land die künstlerische Bewertungs- und Deutungshoheit für sich reklamiert? Franco Dragone (vgl. ebd.: 209)5 versucht darauf eine Antwort zu finden:
5
Zahlreiche Werke des Cirque du Soleil tragen den Stempel von Franco Dragone und seiner Vision, die »poetisch und gesellschaftlich geprägt ist«. Zwischen 1985 und 1998 war Franco Dragone für die Leitung von zehn Inszenierungen des Cirque du Soleil zuständig: Cirque du Soleil (1985), La Magie Continue (1986), We Reinvent the Circus (1987), Nouvelle Expérience (1990), Saltimbanco (1992), Mystère (1993), Alegría (1994), Quidam (1996), La Nouba und »O« (1998). Er übernahm auch die Lei-
172 | A RTHUR CASTRO »While we were creating ›O‹, at one of the first meetings we had in Las Vegas I said that we absolutely had to create a classic, we couldn’t get away from it. It was that or nothing, because of the enormous cost in energy that people would be putting into it. I wanted ›O‹ to be above criticism. I wanted ›O‹ to be bigger than we were.«
Die Produktion »O« ist heute, 18 Jahre nach ihrer Premiere, ein unerreichter Entertainment-Klassiker, der das Publikum immer wieder begeistert. Doch vor dem überwältigenden Erfolg der Produktion lag das Risiko, künstlerisch und kommerziell zu scheitern. Der kommerzielle Theatermacher – also auch der auf Hoher See – ist zum Erfolg verdammt, möchte er am Box Office nicht untergehen. Ist der Erfolg einer Show demnach planbar? Wie entwickelt man eine erfolgreiche Show für ein Kreuzfahrtschiff?
D IE K ONZEPTION
EINER
S HOW »The job of mass entertainment is to cajole, seduce and flatter consumers to let them know that what they thought was right is right, and that their tastes and their immediate gratification are of the utmost concern of the purveyor.« DAVID MAMET/COVINGTON 1997 »Of all of our inventions for mass communication, pictures still speak the most universally understood language.« WALT DISNEY
Die Mechanismen der Konzeption und Realisation von Kreuzfahrtshows sind mit jenen des Fernsehens und des Films zu vergleichen. Das liegt unter anderem an der Rezeption von Unterhaltung an Bord durch den Gast: Dieser zappt sich
tung der Vollversion von Alegría, die im Frühjahr 1999 uraufgeführt wurde. »Franco Dragone leistete einen wichtigen Beitrag zur Verschmelzung von Kulturen und künstlerischen Disziplinen, die für diese Inszenierungen so typisch ist. Vor seinem Einstieg beim Cirque du Soleil im Jahr 1985 war er an einigen europäischen Theatern tätig.« Siehe www.cirquedusoleil.com/de/press/kits/corporate/cirque-du-soleil/creators/drago ne-franco.aspx (letzter Abruf: 16.12.2016).
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sozusagen durch die Fülle des Unterhaltungsangebots. Ähnlich einer TV-Quote, welche den durchschnittlichen Zuschaueranteil eines Fernsehprogramms ermittelt und damit die Sehgewohnheiten und die Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer offenbart, haben die Gäste an Bord am Ende einer Reise die Möglichkeit, eine Fülle von Fragen zu sämtlichen Aspekten ihres Urlaubs zu beantworten. Der dominante Gradmesser erfolgreicher Showproduktionen ist der begeisterte Zuschauer, welcher seiner Zustimmung im Zuschauerraum (Standing Ovations) und der im Tourismus üblichen Marktforschung Ausdruck verleiht. Dem Produktionsteam kommerzieller Unterhaltungsformate stellt sich daher die Aufgabe, diese Begeisterung durch dramaturgische, ästhetische und performative Wirkungsstrategien nachhaltig herzustellen, die Wirkung kalkulierbar zu machen und die Begeisterung des Publikums zu gewährleisten. Betrachten wir Kreuzfahrtunterhaltung als Massenunterhaltung, dann sind die Parallelen zur Welt des Films und des Fernsehens nicht zu übersehen. Steven Spielberg verweist auf die Notwendigkeit und die Möglichkeit, die Zuschauer durch die Kraft der Erzählung und der behutsamen Manipulation auf eine gemeinsame, synchronisierte Rezeption zu konditionieren: »The most amazing thing for me is that every single person who sees a movie, not necessarily one of my movies, brings a whole set of unique experiences. Now, through careful manipulation and good storytelling, you can get everybody to clap at the same time, to hopefully laugh at the same time, and to be afraid at the same time.« (Zitiert nach Breznican 2011).
Wie bewegt sich das Kreuzfahrtpublikum? Nach einem langen Tag an Bord, einem Landausflug, interessanter Lektüre, einem ausgiebigen Abendessen mit Freunden und Familie, ist der Besuch einer Show im Theater, nebst anschließender Tour durch die Bars an Bord und einem Besuch der Schiffsdiskothek, der letzte Höhepunkt des Tages und rückt damit an die durch den Alltag geprägte Konditionierung und Sozialisierung des Zuschauers durch Fernseh- und Filmformate in den heimischen vier Wänden. Ziel und Verheißung einer »Exkursion« ins Theater ist daher mehrheitlich immer die leicht verständliche und kurzweilige Unterhaltung, die in ihrer thematischen »Niedrigschwelligkeit« möglichst viele Gäste anspricht und durch das gemeinsame Erleben des Livegeschehens auf der Bühne als Gruppe vereint. Neil Postman (1988: 180) formuliert in seinem Buch Wir amüsieren uns zu Tode drei Regeln gelungener Unterhaltungsformate, welche auf das Genre der Kreuzfahrt-Unterhaltung anwendbar sind:
174 | A RTHUR CASTRO • Du sollst nichts voraussetzen. • Du sollst nicht irritieren. • Du sollst die Erörterung meiden wie die zehn Plagen, die Ägypten heimsuch-
ten. Diese Mechanismen zu beherzigen, sich als Theaterschaffender dem Publikum mehr oder minder bedingungslos auszuliefern und dabei dennoch künstlerisch zu bleiben, ist die Herausforderung, nicht nur an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, sondern im gesamten Spektrum des kommerziellen Theaters. Die Walt Disney Company stellt sich dieser »challenge« mit einer eigenen Abteilung, die sich ausschließlich mit der Erforschung und Entwicklung einer »Glückskulisse« beschäftigt – Walt Disney Imagineering. »Walt Disney Imagineering is the unique, creative force behind Walt Disney Parks and Resorts that dreams up, designs and builds all Disney theme parks, resorts, attractions, cruise ships, real estate developments, and regional entertainment venues worldwide. Imagineering’s unique strength comes from the dynamic global team of creative and technical professionals building on the Disney legacy of storytelling to pioneer new forms of entertainment through technical innovation and creativity. The name ›Imagineering‹ combines imagination with engineering. Building upon the legacy of Walt Disney, Imagineers bring art and science together to turn fantasy into reality and dreams into magic.«6
In einem Workshop hat Marty Sklar, der nach verschiedenen Positionen im Unternehmen zuletzt die Rolle des internationalen Botschafters für Walt Disney Imagineering innehatte, die Gesetze der Inszenierung einer Disney’schen »Glückskulisse« einmal als »Mickey’s Ten Commandments« formuliert: »1. Know your audience – Don’t bore people, talk down to them or lose them by assuming that they know what you know. 2. Wear your guest’s shoes – Insist that designers, staff and your board members experience your facility as visitors as often as possible. 3. Organize the flow of people and ideas – Use good story telling techniques, tell good stories not lectures, lay out your exhibit with a clear logic. 4. Create a weenie – Lead visitors from one area to another by creating visual magnets and giving visitors rewards for making the journey.
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Siehe https://disneyimaginations.com/about-imaginations/about-imagineering (letzter Abruf: 16.12.2016).
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5. Communicate with visual literacy – Make good use of all the non-verbal ways of communication – colour, shape, form, texture. 6. Avoid overload – Resist the temptation to tell too much, to have too many objects, don’t force people to swallow more than they can digest, try to stimulate and provide guidance to those who want more. 7. Tell one story at a time – If you have a lot of information divide it into distinct, logical, organized stories, people can absorb and retain information more clearly if the path to the next concept is clear and logical. 8. Avoid contradiction – Clear institutional identity helps give you the competitive edge. Public needs to know who you are and what differentiates you from other institutions they may have seen. 9. For every ounce of treatment, provide a ton of fun – How do you woo people from all other temptations? Give people plenty of opportunity to enjoy themselves by emphasizing ways that let people participate in the experience and by making your environment rich and appealing to all senses. 10. Keep it up – Never underestimate the importance of cleanliness and routine maintenance, people expect to get a good show every time, people will comment more on broken and dirty stuff.« (Sklar 1987)
Den »Spaß«, den Disneys Entertainmentformate vermitteln, erzielen sie letztendlich aus einer perfekten 360-Grad-Planung, die vom Bühnengeschehen in die Erlebniswelten als Ganze abstrahlen und umgekehrt. Disney-Kunden wird »das Denken abgenommen«, es wird alles für sie vorbereitet: Wer heute das Walt Disney World Resort besucht, kann darin wochenlang »Urlaub« machen, ohne das großflächige Gebiet jemals zu verlassen. Disney kontrolliert dabei nicht mehr nur die einzelnen Themenparks, die Müllentsorgung oder das »öffentliche«/Disney-eigene Verkehrsmittelsystem, sondern auch Shoppingmalls, architektonische Designs (von den eigenen Hotels bis zur Park- und künstlichen Seeanlage) und jeden medialen Sinneseindruck (von synthetisch erzeugten Gerüchen bis hin zur eigenen dramaturgisch abgestimmten Musikkomposition für einzelne Bäume). »Die Kontrolle, die diese Erlebniswelten und ihr Management ausüben ist«, so Grünwald (2007: 59) »ethisch betrachtet ein ›heißes Eisen‹«; die exakte operative Planung jedoch ist nicht nur die Voraussetzung für das wirtschaftliche Überleben der Parks, sondern auch für das Rundum-WohlfühlErlebnis der Besucher, die sich »um nichts« kümmern brauchen (vgl. ebd.). Auf einem Kreuzfahrtschiff ist das nicht anders – weder in der Operation aus Food and Beverage, Shore Excursion und Ship Management, noch in der Unterhaltungsproduktion. Der zahlende Gast ist zwar im »guestflow« gemanagt, zugleich aber auch stets König; er regiert souverän – und trotzdem auch fremdbe-
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stimmt – die Gesetze des Genres. Seine Aufmerksamkeitsspanne, unter Berücksichtigung der Essenszeiten und des Revenue-Potenzials zeitlich konkurrierender Veranstaltungen, definiert dabei die Länge einer Show. Die Inhalte sind eher nebensächlich, sofern es gelingt, den Gast durch eine einfache Geschichte, eingängige Musik, eine opulente Ausstattung, gut platzierte Pointen und eine dichte Schlagzahl visueller Effekte zu begeistern. Dabei ist nicht nur erlaubt, was gefällt, sondern es ist gewünscht, was bereits bekannt ist. Die »recycling show«, als handwerklich profunde, inhaltlich jedoch nicht zwingende, immer wieder neue best-off-Verknüpfung bekannter Inhalte, Persönlichkeiten und Marken garantiert den Erfolg beim Publikum. Beispiele gibt es an Bord aller Redereien: • • • • • •
»Star Wars Day at Sea«, »Frozen Day of Fun«/Disney Cruise Lines7; »Broadway at Sea« (Grease, We will rock you, Mamma Mia!, Cats)/RCCL8; »Burn the floor« und »Rock of Ages«/NCL9; »The Voice of the Ocean« und »Wer wird Millionär?«/AIDA10; »Satisfaction« und »Can you feel it: Die Jackson 5 Show«/AIDA11; »Ich mach’ mein Ding« und »Comedian Harmonists«/TUI Cruises12.
Auf Basis ihres Handwerks produzieren die Kreativen hinter den »Glückskulissen« Genreübergreifende Unterhaltungsformate zur Befriedigung eines Publikums, das fortwährend unterhalten werden möchte, ohne (all-)zu weit aus der eigenen Komfortzone geführt zu werden. »Eine Show ist [dabei, Anm. des Verf.] nicht etwa unprofessionell, wenn das Gespräch schlicht ist«, so Schulze, »die Pointe einfältig, das Ambiente nahezu identisch mit dem Interieur, in dem man als Zuschauer selbst sitzt. Sie ist im Gegenteil professionell, weil bei vielen Menschen an-
7
Siehe
https://disneycruise.disney.go.com/onboard-activities/list/live-shows-entertain
ment/ (letzter Abruf: 25.01.2017). 8
Siehe www.royalcaribbean.co.uk/discover-cruise-holidays/entertainment/ (letzter Abruf: 25.01.2017).
9
Siehe www.ncl.com/de/de/reisen-mit-norwegian/37jgk/kreuzfahrt-entertainment (letzter Abruf: 25.01.2017).
10 Siehe www.aida.de/kreuzfahrt/reisen-mit-aida/unterhaltung/shows.19649.html (letzter Abruf: 25.01.2017). 11 Siehe www.aida.de/kreuzfahrt/reisen-mit-aida/unterhaltung/shows.19649.html (letzter Abruf: 25.01.2017). 12 Siehe www.tuicruises.com/mein-schiff-4/innenbereiche/bordunterhaltung (letzter Abruf: 25.01.2017).
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schlussfähig. Es darf keine Längen geben – die gesamte Medienlandschaft gehorchte dieser Losung. Musikalische Muster drängten sich in immer kleineren Zeiträumen zusammen. Manchmal bestehen sie jetzt nur noch aus einem einzigen Intervall, einem immer wiederkehrenden Ton, einer ständig wiederholten rhythmisierten Redewendung. Im Fernsehen wurden die Handlungsfolgen schneller, die Perspektivenwechsel häufiger, die Szenen kürzer. Reizintensivierung, Vereinfachung und Zeitverkürzung sind nur einige Beispiele für einen umfassenden Steigerungsverlauf. Wie lange aber lässt sich die Steigerung fortsetzen?« (Schulze 1999: 63 f.)
Übertragen wir die Gesetze des Fernsehens und des Kinos auf die Inszenierung einer Theatershow im Rahmen der Kreuzfahrtbranche gilt James Camerons Postulat einer erfolgreichen Blockbuster-Inszenierung: »Some people say less is more. No. More is more and too much is never enough.« (Heard 1997: 1) Die Konzeption einer Kreuzfahrt-Show folgt nicht ausschließlich den Gesetzen des Recyclings erprobter Sujets oder den Mechanismen eines durch Marketingabteilungen lancierten Hollywood-Blockbuster-Franchise. Indes sie kann, sofern die Kreativen dies möchten: Die Theater an Bord eines Kreuzfahrtschiffes sind heute mit sämtlichen technologischen Innovationen ausgestattet: Flugwerke, fahrbare LED-Wände, diverse Hubpodien, variable Punktzüge und ganze Batterien automatisierter Scheinwerfer (»moving lights«) stehen den Kreativen zur Verfügung und ermöglicht es, den Zuschauer in eine imposante Welt der Bilder, mehr Fernsehen, mehr Kino als Theater, zu entführen: »There are really two different kinds of cruises: those you to take to see exciting destinations and those where the ship is the destination. […] And entertainment, especially on the newest cruise ships, has reached a level where some ships are now alternatives to Las Vegas and New York. […] Disney ships feature state-of-the-art theatres for live shows and 3D movies. […]« (Motter 2011)
Doch Technik allein hinterlässt keinen nachhaltigen Eindruck beim Zuschauer, betont Steven Spielberg: »Audience members are only concerned about the story, the concept, the bells and whistles and the noise that a popular film starts to make even before it’s popular. So audiences will not be drawn to the technology; they’ll be drawn to the story. And I hope it always remains that way.«13
13 Siehe http://content.time.com/time/arts/article/0,8599,1173367,00.html (letzter Abruf: 31.12.2016).
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E XPERIMENTE »I never believe in asking the audience what they want.« MICHAEL EISNER (EISNER 2016) »Our biggest goal is to continue to force ourselves to always start our creative work on a white page and not take advantage of past successes and challenging ourselves.« GUY LALIBERTÉ »We are not trying to entertain the critics. I’ll take my chances with the public.« WALT DISNEY
Manchmal führt das künstlerische Experiment das kommerzielle Theater, das in der Abwesenheit öffentlicher Subvention von der Gunst des zahlenden Publikums abhängig ist, zu wirtschaftlichen Höhenflügen. Kunst und Kommerz stehen in diesem Fall in keinem Widerspruch zueinander. Michael Eisner schreibt in seiner Autobiografie über die Entstehung und den Erfolg der Broadwayproduktion König der Löwen, Disneys zweiten Box-Office-Erfolg nach der Liveversion von Die Schöne und das Biest: »Die künstlerischen Entscheidungen [...] verdeutlichen auch etwas Bemerkenswertes; die Bereitschaft der Disney Company, ein bekanntes und unglaublich erfolgreiches Produkt nicht durch Trivialisierung neu zu erschaffen, sondern dadurch, [....] die Darstellung und die Bühnenmöglichkeiten bis zu den Grenzen auszuloten.« (Eisner 1999: 506 f.)
Und an anderer Stelle konstatiert er sarkastisch: »Zu einer Zeit, wo nur eine Handvoll von Musicals überlebte – Stephen Sondheims Passion wurde ein paar Monate später unter dem bewundernden Beifall der Kritik uraufgeführt, räumte die Tony Awards ab und wurde dann nach vier Monaten abgesetzt – verkauften wir Nacht für Nacht 1.800 Eintrittskarten.« (Ebd.: 313)
Diese Episode legt die Vermutung nahe, dass die Kulturkritik im kommerziellen Showkontext irrelevant ist, obschon Kritiker der New York Times durchaus die
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Macht hatten, die Spielzeit einer guten Show durch einen Verriss frühzeitig zu beenden. Betrachtet man eine Show als kommerzielles Produkt, ist es legitim, bei der Vielzahl von Showproduktionen am Broadway und anderen (kommerziell-)kulturellen Zentren des Theaterlebens von einem Markt zu sprechen. Eine kommerziell erfolgreiche Show, so wie sie sich ein Produzent und Regisseur wünschen, hat ab einem zu definierendem Niveau verkaufter Tickets demzufolge einen relativen Marktanteil. Jedoch – so fragt Schulze (1999: 58) –: »Was sagt die Kultur zum Marktanteil?« und antwortet sogleich: »Im besten Fall ignoriert, im schlechtesten Fall bekämpft sie ihn. Es gibt einen feuilletonistischen Reflex, die Verachtung des Marktanteils mit elaborierten Stilmitteln öffentlich zu inszenieren. Von der Käuflichkeit ist die Rede, von Verrat an Prinzipien, von der Substitution des Wahren und Schönen durch das Eingängige. Der Angriff ist mit der Suggestion gepaart, dass man wisse, was das absolut Gute sei, und das man dafür eintrete, eine Suggestion, in die man die Rezipienten der Kritik zwischen den Zeilen mit einbezieht, sodass eine selbstverliebte Geheimbruderschaft der Guten gegen die Schlechten entsteht.«
Tatsächlich finden Showproduktionen für die Kreuzfahrtbranche innerhalb der Kulturkritik keine Beachtung; der Zuschauer allein entscheidet über den Erfolg einer Produktion und gibt damit Empfehlungen an die Kreativen für zukünftige Showproduktionen. Die Gratwanderung zwischen künstlerischem Anspruch und dem Ziel, eine, in der Wahrnehmung des Publikums erfolgreiche Show zu produzieren, ist kennzeichnend für das kommerzielle Theater – auch an Bord eines Kreuzfahrtschiffs. Im Rahmen der Indienststellung der Mein Schiff 3 wagte TUI Cruises im Jahr 2014 das Experiment einer szenischen Adaption des Romans 20.000 Meilen unter den Meeren nach Jules Verne im neuen Klanghaus, einer als »OzeanPhilharmonie« konzipierten Saalattraktion, deren elektroakustisch modifizierter Raumklang, isoliert von den üblichen Geräuschen eines Kreuzfahrtschiffs, neu definiert werden kann. In der Interaktion mit dem Schauspielensemble auf der Bühne, agierte der Komponist und Organist Cameron Carpenter, als musikalisches Alter Ego Kapitän Nemos von der Leinwand herab, wobei das Publikum mit Hilfe des Raumklangs akustisch in das Innere des Unterseeboots Nautilus versetzt wurde. Obschon es sich bei Vernes Roman um einen beliebten Klassiker handelt, polarisierten die Regieidee einer dunklen Ästhetik der Stummfilm-Ära, die dramatische Inszenierung und die dunklen Klänge der Carpenter’schen Orgel das Publikum, das sich (vermutlich) mehrheitlich eine familienfreundlichere Adaption des Sujets gewünscht hätte, sich jedoch ob der, im Kreuzfahrtkontext
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unerwarteten künstlerischen Ambition, immer wieder abweisend (allerdings auch ganz im Gegenteil: begeistert) zeigte. Die neue TUI Cruises-Produktion »Die Zeitreisenden«, die das Theater der Mein Schiff 5 im Juli 2016 eröffnete, begeisterte hingegen das Publikum mehrheitlich und wurde, durch die Verwendung bekannter und beliebter erzählerischer Motive (James Bond meets Indiana Jones meets Der englische Patient), populärer Musiktitel und einer besonderen visuellen Opulenz des Kostüm- und Bühnenbilds zu einem großen Erfolg, einem Showspektakel und EntertainmentEvent an Bord der Mein Schiff 5. Das Recycling bekannter Sujets und Motive zugunsten des Publikums ist weder zukunftsweisend noch genreprägend im Genre Kreuzfahrt-Unterhaltung, sofern sich dieses Genre als Ort der Innovation empfiehlt. Doch Harold Prince (Ilson 2004: 427) ermutigt die Theaterschaffenden vor dem Hintergrund einer kreativen Krise, in ihren Angeboten an das Publikum innovativ und kreativ zu sein, sofern sie langfristig erfolgreich sein möchten. »I am concerned, as clearly as you are, about the paucity of creativity in the commercial theatre. It worries me, because it is reaching epidemic proportions. It’s just not our epidemic, but an epidemic of all forms of art, significantly influenced by corporate dictatorship. […] I note that in introducing me someone referring to audiences said, ›What it is THEY want.‹ I would propose that THEY do not always know what they want. The shows that established my reputation are those that nobody knew they wanted until they wanted them. […] I am impatient with those who refer to some of my shows as ›events‹. They’re theatre and they tell a story, hopefully in a dynamic and engaging way. I am not a snob – well, I am a snob – but I’m not that kind of snob. […] I have no problem calling ours the Theatre Industry. [...] In the name commerce, worshipping the great God mammon, venality, we’re losing on all fronts. […] How many shows are paying off, showing a healthy profit and returning as part of the history of this art form?«
Für Harold Prince bildet das künstlerische Experiment die Basis kommerziellen Erfolgs und sichert dessen Fortbestand – Kunst und Kommerz stehen in einem symbiotischen Verhältnis zueinander. Diese Erkenntnis findet bei der Gestaltung eines ausgewogenen Show-Spielplans für Kreuzfahrtschiffe Berücksichtigung. Anstatt Altbekanntes fortwährend »aufzuwärmen« und zu variieren, bietet sich, Produzenten, Regisseuren, Komponisten, Choreografen und Kostüm- und Bühnendesignern sowie den Bühnendarstellern die einmalige Gelegenheit, beim Gast ein neues Bedürfnis zu wecken, welches er vorab nicht hatte, den Gast zu begeistern und zu binden und darüber hinaus durch die erfolgreiche Etablierung eigener Showformate auf die Gesamtmarke eines Kreuzfahrtunternehmens einzuzah-
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len – eine Art »Umwegrentabilität«, die, wenn sie auch nicht direkt auf das Box Office einzahlt, sich jedoch in der Gesamtzufriedenheit des Gastes, in seiner Wiederbuchungswahrscheinlichkeit und allgemein in der Kunden/MarkenLoyalität niederschlägt. Der Disney-Konzern besitzt dafür ein erfolgreiches Konzept: »While cruise ships always had entertainment, entertainment had never been considered a money maker because they don’t charge for shows. But Disney was able to command much higher cruise fares than other cruise lines, proving that great on board entertainment can make a difference. Of course, Disney had something other cruise lines did not have – the rights to popular characters and shows.«
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S UBVENTIONSTHEATER ? »Kinder! macht Neues! Neues! Und abermals Neues! – hängt ihr Euch ans Alte, so hat Euch der Teufel der Inproduktivität, und Ihr seid die traurigsten Künstler!« RICHARD WAGNER/WAGNER 1852 »Ein großes Problem in der deutschen Kultur ist diese Trennung zwischen E und U. Das ist eine Sackgasse […]« BARRIE KOSKY/MANDEL 2014: 14
Der Regisseur Hans Neuenfels tobte im Jahr 2000 durch die Presse: »Das ganze Opernsystem ist krank, die Opernhäuser als Institution vollkommen absurd. […] Das ist unverzeihlich, absolut unverzeihlich. Man müsste erbarmungslos sein, sonst hat die Schlamperei nie ein Ende. Bei dem Potenzial! Bei diesen Geldern! Es gibt keine Öffentlichkeit, die Künstler zur Verantwortung zu ziehen. Das fängt bei den Gagen an. Es geht doch nicht, dass Leute, die dirigieren oder singen, so unverhältnismäßig viel Geld bekommen. Wofür frage ich mich, wenn ich die Ergebnisse sehe und höre.« (Reissinger 2000: 11)
Der Zorn über die Verschwendung öffentlicher Mittel aus dem Munde eines Kulturschaffenden, der von dieser Förderung profitiert, verwundert. Neuenfels’
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umstrittener Klartext lautet: Kultursubventionen sind zwar an institutionelle Aufträge gebunden, ihre konkrete Verwendung indes obliegt den jeweiligen künstlerischen Leitungen der Häuser, die sich durch Schlamperei und unverhältnismäßiger Gagenpolitik »auszeichnen«. Oder kritisiert Neuenfels das System als Ganzes – nämlich die angebliche Verschwendung öffentlicher Mittel vor dem Hintergrund der Auffassung vieler Kulturschaffender, dass staatliche Förderung nicht verhandelbar ist und die Vertreter der Hochkultur niemandem Rechenschaft schuldig sind? In Zeiten knapper Kassen – viele Kommunen verfügen nicht mehr über die Mittel, Kultur angemessen zu finanzieren und ihrem öffentlichen Auftrag gerecht zu werden – sind Kulturschaffende mehr denn je aufgerufen, die Verwendung ihrer Gelder immer wieder aufs Neue zu überprüfen, zu legitimieren und wo irgend möglich synergetische Wege zu beschreiten. Über das Regietheater und die Grenzen des üblichen Repertoires hinaus ist Raum für dieses Neue: neue Ästhetiken, neue Formate, Experimente, Kooperationen etc. Erfahrungen der Hochseetheater, die wie in einem Reagenzglas Abend für Abend volle Häuser erleben, können dabei hilfreich sein. Stadt- und Staatstheatern schadet der Blick auf diese Theaterform und auf ihre Prozesse gewiss nicht. Vorurteile von Vertretern der Hochkultur werden – so die Erfahrung des Autors – beim Besuch an Bord schnell relativiert. »Show business is and has always been a depraved carnival«, so beschreibt David Mamet (1997: 50) das Geschäft in seinem Buch True and False und bringt damit das Dilemma aller Kulturschaffenden auf den Punkt. Der Künstler ringt um Aufmerksamkeit und Gunst des Publikums. Die schlachterprobten Vertreter des kommerziellen Theaters haben diese Erkenntnis verinnerlicht; der Künstler lebt nicht vom Applaus allein, sondern ist auf jeden Gast, der eine Karte kauft, angewiesen. Beide können voneinander lernen: Der »wahrhaftige« Künstler vom strategisch/kommerziellen »Publikums-Zufriedensteller« und umgekehrt. Mamets Empfehlungen an junge Theatermacher klingen wie eine Ermahnung auch in Richtung der hier besprochenen Branchen: »Keep your wits about you. It is not necessary to barter your talent, your self-esteem, and your youth for the chance of pleasing your inferiors. It is more frightening but it is not less productive to go your own way, to form your own theatre company, to write and stage your own plays, to make your own films. You have an enormously greater chance of eventually presenting yourself to, and eventually appealing to, an audience by striking out on your own, by making your own plays and films, than by submitting to the industrial model of the school and studio.« (Ebd.)
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Barrie Kosky, seit der Spielzeit 2012/13 an der Komischen Oper Berlin, scheint dies – bewusst oder unbewusst – so zu beherzigen, spielt Kunst und Kommerz nicht gegeneinander aus, sondern programmiert sein Repertoire so, dass sie einander sogar bedingen: »Und da genießt er selbstredend, dass seine Strategie (die angeblich gar keine war), nur eben seine bunte Wundertüte aus Ernst und Spaß, Reflexion und Showtreppe so gut angekommen ist, die Besucherzahlen von 64 auf 82 Prozent Auslastung gestiegen sind.« (Brug 2014) Vor dem Hintergrund solcher Erfolge empfiehlt es sich, neue – vorbehaltlose – Bündnisse zwischen den Vertretern der verschiedenen Kulturdisziplinen, U und E, zu etablieren. In den Kreis dieser Kulturdisziplinen empfiehlt sich auch die gerne belächelte und unterschätzte Kreuzfahrtunterhaltung als eigenes Genre. Die in Deutschland so starr zementiere Differenzierung zwischen U- und E-Kultur ist an Bord eines Kreuzfahrtschiffs längst nicht mehr existent: Von der Schlagershow bis zum Opern-Recital, von der Themenreise der Wiener Philharmoniker bis zur Full Metal Cruise, vom Musical zur Stand-up-Comedy, vom BoulevardTheaterstück zum Show-Spektakel, von Cameron Carpenter zu Helene Fischer – all dieses findet der interessierte Passagier heute an Bord eines Kreuzfahrtschiffs. Auf die Frage, ob denn das Paradigma der ernsthaften, wertvollen und deshalb öffentlich geförderten Kunst auf der einen Seite und der populären, kommerziellen Unterhaltungskultur auf der anderen weniger mit den tatsächlichen künstlerischen Programmen zu tun habe als mit dem Image und der Tradition bestimmter Institutionen antwortet Kosky: »... und mit dem Feuilleton. Ich muss sagen, manchmal ist das Feuilleton in Deutschland ganz hinter den Argumenten und der Diskussion zurück. Dort wird der Begriff Musical oder der Begriff Entertainment als etwas Schlechtes bezeichnet. Da ist dann über das was ich mache zu lesen: Fast wie ein Musical! Fast in die Richtung Unterhaltungstheater. Das Wort Entertainment ist im Deutschen negativ besetzt. Entertainment, ›to delight‹ im Sinne von jemanden vergnügen und entzücken und ›to intoxicate‹, zu berauschen ist ein großer Teil der Geschichte des Theaters, der DNA des Theaters seit Tag Nummer 1. Seit dem griechischen Theater, seit Shakespeares Theater, Molieres Theater und Tschechows Theater hat es die Aufgabe zu unterhalten und zu berauschen in Tragedy, Comedy, Ritual, Entertainment. Man kann tief berühren und tief komplexe Ideen auf die Bühne bringen und immer noch unterhalten, sprich dafür sorgen, dass Menschen ›delighted and intoxicated‹ sind. […]« (Mandel 2014: 14)
Kosky steht mit dieser Sichtweise in linearer Tradition zu seinem Vorgänger Walter Felsenstein, der vom Regisseur die Fähigkeit erwartet: »[…] alle hand-
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werklichen und methodischen Probleme unseres Berufes stets unter dem Gesichtspunkt der Partnerschaft zu betrachten, zu der wir verpflichtet sind und aus der wirkliches Theater überhaupt erst entsteht, nämlich unserer Partnerschaft mit dem Publikum.« (Felsenstein 1976: 52) Dieser Forderung ist nichts hinzuzufügen – Neugier und Mut zur Symbiose, gerade zwischen den Künstlern und dem Publikum; und sei dieses auch nur im Theater anwesend, weil der Whirlpool gerade gereinigt wird.
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Megatrend Eventkreuzfahrt Die Full Metal Cruise – eine Seereise durchs »Metal-Meer« L UTZ D EYHLE
Immer mehr Deutsche entscheiden sich bei der Urlaubswahl für eine Kreuzfahrt – ein Wachstumsmarkt, wie es ihn aktuell in keiner anderen touristischen Branche gibt. In den kommenden Jahren wird sich dieser Trend fortsetzen: Laut Opaschowski (2013: 380) werden im Jahr 2020 rund 2,4 Millionen Deutsche eine Kreuzfahrt unternehmen; bis 2030 wird – so die Marktforschung1 – die Zahl der Kreuzfahrgäste auf mindestens 3,5 Millionen steigen. Trotz dieser optimistischen Prognosen und ungeachtet der vermeintlich einfachen Marktsituation wird der Wettbewerb im Kreuzfahrttourismus allmählich schärfer. Neben den deutschen Seereiseanbietern kämpfen auch internationale Reedereien um Marktanteile und die Gunst deutscher Touristen. Besonders die großen US-Reedereien Royal Caribbean International und Norwegian Cruise Lines (NCL) sowie die international agierenden italienischen Reedereien Costa Crociere und MSC intensivieren ihre Vermarktungsaktivitäten in Deutschland seit einigen Jahren deutlich (vgl. Schulz 2014: 53). Im zunehmend angespannten Kreuzfahrtmarkt wird es für die Reedereien immer wichtiger, ihre Markenbekanntheit auf breiter Front zu verstärken, neue Zielgruppen zu erschließen und sich durch besondere Angebote im Markt durchzusetzen (vgl. ebd.: 53, 65). Für Kreuzfahrtneulinge präsentiert sich das Angebot der Seereiseanbieter oft unübersichtlich: Routen sind weitgehend austauschbar, und den Produkten und Programmen der diversen Reedereien fehlen oft trennscharfe Unterscheidungsmerkmale. Event- und Themenreisen sind zu einem wirksamen strategischen Instrument der Reedereien geworden, Gäste mittels spezieller Themen und Angebote an Bord zu locken. Dabei scheint zu gelten: Je außergewöhnlicher und exklusiver das Event, desto wahrscheinlicher der (Verkaufs-)Erfolg. Von Heavy 1
Siehe zusammenfassend www.cliadeutschland.de (letzter Abruf: 08.03.2017).
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Metal bis Schlager, von Golf- bis Gay-Cruises ist heute nahezu alles auf Schiffen weltweit zu finden: »Von schrill bis gediegen, von klassischer Musik oder Golf bis Heavy Metal und Poker«, so der Kreuzfahrtratgeber cruisetricks.de, »Themenkreuzfahrten gibt es inzwischen für fast jeden Geschmack. Findige Reedereien und Veranstalter lassen sich immer neue Themenreisen einfallen. Ein komplettes Schiff voller Nudisten? Vampire in Alaska? Drag Queens auf hoher See? Gibt es alles! Doch auch wenn Themenkreuzfahrten schon lange in den Katalogen der Veranstalter stehen, entwickeln sie sich erst jetzt zu einem richtig großen Trend in der Kreuzfahrt. Für erfahrene Kreuzfahrer, die schon alles gesehen haben, sind sie eine willkommene Abwechslung. Für Neulinge sind Themenreisen oft der erste Einstieg in die Kreuzfahrt.« (Neumeier 2015)
T HEMENKREUZFAHRT
ODER
E VENTREISE ?
Die Begriffe Themen- und Eventkreuzfahrt sind in der Literatur nicht eindeutig definiert und werden oft synonym verwendet. Insbesondere die Bezeichnung Themenkreuzfahrt wird von vielen Anbietern seit Jahren, teils inflationär, für unterschiedlichste Reisen mit mehr oder weniger ausgeprägten Zusatzangeboten verwendet. Oftmals werden zum Beispiel Klassikkreuzfahrten beworben, obwohl nur ein oder zwei klassische Sänger als Gastkünstler an Bord sind. Auch ein einzelner Yogalehrer macht üblicherweise noch keine Yoga-Themenreise aus… Bei einer Themenkreuzfahrt ist die komplette Reise durch ein spezielles Motto geprägt (vgl. Elze 2010: 6). Das Thema wird dabei in mehreren Bereichen des Schiffes erkennbar (vgl. ebd.), gleichwohl muss es aber keineswegs für alle Passagiere an Bord relevant sein. Bei einer Golf- oder Yoga-Themenreise beispielsweise ist es für die jeweiligen Gäste der angesprochenen Zielgruppe wichtig, dass ihr Zielgruppeninteresse in ausgeprägter Form an Bord beziehungsweise im Rahmen der Reise bedient wird. Andere Gäste an Bord verleben derweil eine normale Kreuzfahrt, ohne (möglicherweise) das Themenreiseangebot überhaupt zu bemerken. Themenreisen sind somit reguläre Kreuzfahrten, die für eine homogene Zielgruppe um ein speziell abgestimmtes Angebot bereichert werden (vgl. Böhme 2005: 8 ff.). Gängige Themenreiseangebote sind zum Beispiel Gourmetreisen, unterschiedlichste Sportarten, Poker- und Bridgereisen, Literatur, Kunst sowie massenkompatible Unterhaltungsangebote wie Varieté oder Comedy (vgl. Schulz 2014: 78). International ist das Angebot an Themenreisen sehr breit, und es wird so gut wie jedes Interesse von ausgewählten Kreuzfahrt-
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angeboten bedient. Auch im Europäischen beziehungsweise Deutschen Kreuzfahrtenmarkt nimmt die Zahl stetig zu. Je spezieller und außergewöhnlicher die Angebote beziehungsweise die Anforderungen der Zielgruppe sind, desto schwieriger ist es, die Gästegruppen zu mischen. Spätestens bei Heavy-Metal-, FKK- oder Swinger-Kreuzfahrten sollte die Zielgruppe an Bord unter sich sein. In diesen Fällen dominiert das Thema das komplette Schiff und die gesamte Reise. Die Kreuzfahrt wird zum Event – beziehungsweise zur »Eventreise«. Das Schiff wird dann vom Beförderungsmittel und schwimmenden Hotel zur Eventlocation. Eine Themenkreuzfahrt ist somit eine reguläre Kreuzfahrt, die um ein zielgruppenorientiertes Programm erweitert wird. Der ursprüngliche Charakter der Kreuzfahrt bleibt dabei weitgehend erhalten. Bei der Eventkreuzfahrt bestimmt das Eventthema die komplette Reise, das bestehende Kreuzfahrtprodukt wird teilweise massiv an die Bedürfnisse der Zielgruppe angepasst und entsprechend der Eventthematik verändert. Beide Formen dieser speziell inszenierten Kreuzfahrten können sich kulturtouristischen Schwerpunkten widmen (und tun dies in vielen Fällen auch).
Z IELE Mit Event- und Themenkreuzfahrten folgen die Anbieter einem allgemeinen Reisetrend. Die heutige Generation der Reisenden sucht im Urlaub nicht nur Erholung, Kultur und Komfort, sondern im zunehmenden Maß auch Erlebnisse. Das gilt auch für Reisen auf dem Wasser (vgl. Opaschowski 2013: 379). »Der klassische Badeurlaub wandelt sich immer mehr zur Erlebnisreise auf dem Wasser.« (Ebd.) Die Veranstaltung von Eventreisen ist jedoch weit mehr als eine Anpassung an einen Trend. Vielmehr sind Event- und Themenreisen gleichsam ein Vertriebs-, Marketing-, Kundenbindungs- und Kommunikationstool, das unterschiedliche Ziele verfolgt. Die wesentlichen Ziele, die üblicherweise mit Eventreisen verfolgt werden, sind die Steigerung der Markenbekanntheit des Veranstalters, die Ansprache spezieller Zielgruppen und die Generierung zusätzlicher Einnahmen sowie die emotionale Bindung von Kunden an Marke und Produkt. Im Folgenden werden diese Ziele genauer erläutert. Ziel: Markenbekanntheit und Image Spektakuläre Eventkreuzfahrten oder Themenreisen mit prominenten Gästen sind ein effektives kommunikationspolitisches Mittel, um mediale Aufmerksam-
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keit zu erzeugen. Je außergewöhnlicher das Thema und je weiter das Event inhaltlich von der vermeintlich normalen Kreuzfahrt entfernt ist, desto größer ist das mediale Interesse. Dieser Effekt lässt sich geradezu idealtypisch am Beispiel der Full Metal Cruise erläutern. Erstmals in der europäischen Kreuzfahrtgeschichte gingen 2013 rund 2.000 Heavy-Metal-Fans an Bord eines Kreuzfahrtschiffes – auf die Mein Schiff 1 von TUI Cruises. Insgesamt 20 Bands und über 120 Künstler, darunter Doro Pesch, Gamma Ray und Metal-Highlights wie Heaven Shall Burn, Kreator und In Extremo ließen bei der größten HeavyMetal-Kreuzfahrt Europas, dem einwöchigen schwimmenden Musikfestival, die Metal-Herzen höher schlagen. Heavy Metal und Kreuzfahrt passen auf den ersten Blick nicht zusammen. Langhaarige schwarz gekleidete Rocker auf einem gediegenen Vier-Sterne-Kreuzfahrtschiff – das sind Geschichten und Bilder, die gleichsam bei Medien und Lesern beziehungsweise Zuschauern gut ankommen. Entsprechend umfangreich war die Berichterstattung. Auch bei den späteren Auflagen dieser Eventreihe brach das Medieninteresse nicht ab. In den Jahren 2012 bis 2015 generierte die Berichterstattung in den klassischen Medien rund um die Full Metal Cruise eine kumulierte Reichweite von mehr als 200 Millionen Kontakten und einen Mediaequivalenzwert von deutlich über 5 Millionen Euro2: Storytelling über die Marke par excellence. Mit jeder Berichterstattung wird die Marke der Reederei und deren Bekanntheit weiter gesteigert. Zudem wird die bestehende Marke durch neue und bisher im Kreuzfahrt-Kontext unbekannte Attribute bereichert und aufgeladen. Diese positiven Effekte auf Markenbekanntheit und Image lassen sich in unterschiedlicher Ausprägung mit nahezu jedem Thema erzielen. Schlagerevents, Gay-Cruises oder FKK-Kreuzfahrten sind medial nicht minder interessant, erzeugen aber andere Attribute, Assoziationen und Markeneinflüsse. Sie sind Chance und Gefahr zugleich: Je bunter und breiter das Eventangebot einer Reederei, desto vielfältiger und bunter ist auch das Markenbild. Ziel: Kundenbindung Kaum ein Marketing-Tool ist emotionaler als ein Liveevent. Persönliche Erlebnisse erzeugen Gefühle, die sich üblicherweise nachhaltiger und länger beim Gast einprägen als Fakten, die via Werbung vermittelt werden. Urlaub im Allgemeinen und eine Seereise im Speziellen sind schon per se ein emotionales Thema. Erfolgreiche Eventreisen schaffen es im Rahmen der Kreuzfahrt, eine perfekte Themenwelt zu erschaffen, also künstlich geschaffene Welten in Frei-
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Siehe https://tuicruises.com/fullmetalcruise (letzter Abruf: 08.03.2017).
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zeit- und Tourismuseinrichtungen, die eine Welt abseits des Alltages darstellen sollen. Seit den 1990er Jahren nimmt die Bedeutung solcher Themenwelten in der Gesellschaft ständig zu (vgl. Steinecke 2009: 27). Das Kreieren von ProduktStorys, Erlebnisqualitäten und die unmittelbare Einbindung des Gastes selbst in die Themenwelt sind der Schlüssel zum Erfolg. Der Konsument wird Bestandteil und Ideengeber der Inszenierung und somit zum Prosumenten (vgl. Dams 2008: 18 ff.). Wenn es also gelingt, mit einer Eventreise Emotionen beim Gast zu erzeugen, die in ihrer Intensität noch weit über die üblichen Urlaubserinnerungen hinausgehen, entsteht eine hohe Kundenbindung. Im Idealfall kommt es zu einer tief verwurzelten, emotionalen Verbundenheit anstelle einer sachlich begründeten Gebundenheit. Eine nützliche Voraussetzung hierfür ist eine hohe Grundzufriedenheit der Gäste mit dem jeweils angebotenen Tourismusprodukt. Das alleine reicht jedoch nicht aus. »Zufriedene Kunden sind nicht immer treu und treue Kunden nicht immer zufrieden.« (Dahlhoff/Pohl 1998: 37) Erst das hochemotionale Erlebnis führt zu einer echten Verbundenheit und Loyalität des Gastes (vgl. Deyhle 2003: 14 f.). Gemeinschaftliches Erleben steigert den Effekt erheblich. Auch hier lässt sich gut die Full Metal Cruise als Beispiel anführen. Binnen kürzester Zeit hat sich bereits auf der ersten Reise eine ausgeprägte freundschaftliche Atmosphäre zwischen Gästen, Künstlern und Schiffsbesatzung entwickelt. Die klassische Abtrennung zwischen den Gruppen wurde im Sinne des Festivalgedankens über weite Strecken aufgehoben Wie eine Community wurde die Reise gemeinsam verlebt und gefeiert. Kurz nach der Reise bildeten sich Full Metal Cruise-Fanclubs, Foren und Facebook-Gruppen; es wurden landseitige Folgetreffen organisiert und das Reiseerlebnis so dauerhaft verlängert. Im bordeigenen Tattoo-Studio der Full Metal Cruise haben sich einzelne Fans das Logo der Reise tätowieren lassen. Eine größere Bindung und Identifikation mit einem touristischen Produkt ist kaum denkbar. Ziel: Zielgruppenansprache Obwohl Kreuzfahrten zu den boomenden Reiseformen in Deutschland zählen, sind die Vorurteile und Ablehnungen immer noch weit verbreitet. Steif – alt – langweilig und zu teuer (S-A-L-Z) sind die meistverbreiteten Vorurteile zur Kreuzfahrt, die sich überwiegend aus den Bildern und Erzählungen früherer Generationen und TV-Serien wie dem Traumschiff ergeben. Die Erkenntnis, dass Kreuzfahrten heute keineswegs altbacken, unbezahlbar und spießig sein müssen, setzt sich erst langsam in der Gesellschaft durch. Hier suchen Reedereien ständig neue Argumente, um Erstkreuzfahrer zu generieren. Wie schon eingangs erwähnt sind Event- und Themenreisen das ideale Mittel um homogene Zielgruppen an-
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zusprechen und mittels eines speziellen Inhaltes an Bord eines Schiffes zu locken. Besonders Zielgruppen mit ausgefallenen Interessen, die sich nicht an jedem Ort einfach umsetzen lassen und für die sich nicht leicht passende Freizeitund Reiseangebote finden lassen, sind für Kreuzfahrtevents ideale Gäste. Kreuzfahrtschiffe bieten heute zumeist den Komfort eines hochklassigen Hotels, erstklassige Veranstaltungsräumlichkeiten, die gegebenenfalls notwendige Abgeschiedenheit und zudem einen ungewöhnlichen und damit spannenden Rahmen. Hochspezialisierte Eventreisen sind prädestiniert, Erstkreuzfahrer an Bord zu locken und mit dem Schiffsvirus zu infizieren. Eventreisen der letzten Jahre belegen diese These. Bei der ersten Full Metal Cruise im Jahre 2013 – so die internen Recherchen des Autors – waren rund 96 Prozent der Gäste Erstkreuzfahrer, knapp 94 Prozent der Gäste gaben an, dass sie die Reise ausschließlich auf Grund des Events gebucht hätten. In den folgenden Jahren haben über 20 Prozent dieser Gäste eine Kreuzfahrt ohne Eventbezug bei der gleichen Reederei gebucht. Noch höher ist der Wiederholeranteil mit 30 bis 35 Prozent bei eher breiter aufgestellten Eventreisen wie zum Beispiel den TUI Cruises-Angeboten einer Schlagerreise mit Helene Fischer oder dem Rockliner mit Udo Lindenberg. Hier ist jedoch zu beachten, dass die Zahl der Erstkreuzfahrer niedriger war und ein höherer Anteil an Gästen bereits Kreuzfahrterfahrung hatte. Das Event hat zudem manche Gäste von anderen Reedereien zu TUI Cruises wechseln lassen. Ein positiver Effekt, der spätestens dann relevant wird, wenn sich der deutsche Kreuzfahrtmarkt vom Erschließungs- zum Verdrängungsmarkt wandelt. Am Beispiel Full Metal Cruise zeigt sich erneut, wie es gelingen kann, Menschen mittels des Themas Heavy Metal in ein bis dato unbekanntes Terrain zu locken und von dieser Reiseform zu begeistern. Dabei ist der Erfolg in diesem Falle wenig verwunderlich. Heavy Metal und der damit verbundene Lifestyle ist keineswegs eine neue Erscheinung. Bereits in den 1970er Jahren entstand dieser Musikstil und viele der damaligen Bands sind noch heute aktiv. Fans der ersten Stunde sind im großen Maße ihren Bands und ihrer bevorzugten Musik treu geblieben und mitgealtert. Große Metal-Festivals wie beispielsweise das Wacken Open Air bieten für die mittlerweile im gesetzten Alter angekommenen Metaller nicht mehr den gewünschten Komfort. Ein Festival auf einem Kreuzfahrtschiff bringt hingegen die perfekte Symbiose von Metal-Musik, Festival-Stimmung, Community-Gefühl und dem Rundum-Komfort eines Premium-Resorts mit. Kurz: Der perfekte Ort für den etwas älteren Metal-Fan mit Komfortbedürfnis. Mittlerweile ist aus dem Geheimtipp ein Kult geworden. Die Full Metal Cruise Reisen sind ein heißbegehrtes Gut. Die Reisen 2 bis 5 waren jeweils innerhalb von 20 bis 40 Minuten ausverkauft.
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Ziel: Zusätzliche Einnahmen Sind neue und aufsehenerregende Eventreisen anfangs überwiegend ein Imageund Kommunikationstool beziehungsweise zur Erschließung neuer Zielgruppen bestimmt, dienen etablierte Eventreiseformate auch zur Generierung zusätzlicher Einnahmen. Besonders in sonst eher ertragsschwachen Saisonzeiten wie der Vorund Nachsaison, können attraktive Events dazu verhelfen, bessere Durchschnittsreisepreise und höhere Auslastungen zu erzielen. Trotz hoher zusätzlicher Produktionskosten für Künstler, Technik und Logistik, ist es möglich, hierbei kostendeckend zu arbeiten beziehungsweise nach Abzug aller Kosten höhere Erlöse zu erzielen als bei einer gewöhnlichen Kreuzfahrt zur gleichen Zeit, im gleichen Fahrtgebiet. Allein durch ein begehrtes Hochsee-Event ist es möglich, Tagesraten umzusetzen, die zum Teil bis zu 100 Prozent über dem sonst üblichen Preisen liegen. Einzelne Zielgruppen, wie zum Beispiel die Edelfans bestimmter Künstler geben zudem noch hohe Beträge in den Shops und Restaurants aus und bescheren den Reedereien weitere Einnahmen.
D IE P RAXIS
DES
E VENTCRUISE -M ANAGEMENTS
In Anbetracht der vielfältigen Ziele, die sich mit Eventreisen erreichen lassen, stellt sich die Frage, warum nicht viel mehr Seereiseanbieter viel häufiger zum Mittel Eventreise greifen. Obwohl die Vorteile auf der Hand liegen, sind nur ca. 1 Prozent aller weltweit angebotenen Kreuzfahrten echte Event- oder Themenkreuzfahrten (vgl. Elze 2010: 1). Der Grund hierfür sind zweifellos die notwendigen Investitionen und die damit einhergehenden Risiken – denn eine Eventreise ist keineswegs immer ein Selbstläufer. Allein die zusätzlichen Produktionskosten für Künstlergagen, Showtechnik, Bühnenbau, Branding, Marketing, Logistik und Reisekosten können schnell bei einer halben Million Euro oder auch weit darüber liegen. Diese Summen müssen zusätzlich zum normalen Kreuzfahrtpreis erwirtschaftet werden. Bei der Risikoabwägung stellt sich also stets die Frage, ob es in der potenziellen Zielgruppe genügend Kunden gibt, die gewillt und solvent genug sind, für eine vier- bis fünftägige Reise einen durchschnittlichen Reisepreis von etwa 1.300 Euro pro Person zu zahlen. Meist gibt es keine ähnlichen Ereignisse oder Veranstaltungen, die zum Vergleich herangezogen werden können. Bei einem Erstversuch bleibt für die Reederei trotz intensiver Marktforschung und Vorbereitung immer ein hohes Restrisiko. Hinzu kommt der nicht unerhebliche Arbeitsaufwand, der mit der Planung einer Eventreise verbunden ist. Bei einer großen Eventkreuzfahrt wie der Full
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Metal Cruise oder dem Rockliner liegt die Vorlaufzeit bei etwa 18 Monaten. Dieser Zeitraum wird benötigt, um ein solches Großevent von der ersten Idee bis zur Durchführung an Bord erfolgreich umzusetzen. Üblicherweise vergehen ca. vier bis sechs Monate, um das Grobkonzept der Eventreise zu kreieren. Umfangreiche Zielgruppenstudien und Gespräche mit Experten haben meist schon vor Projektbeginn stattgefunden. Bei der Full Metal Cruise wurde den Machern im Hause TUI Cruises schnell klar, dass sich ein Heavy-Metal-Festival nicht ohne Fachleute und Insider umsetzen ließe. Mit der Firma ICS Festival Service, den Veranstaltern des weltgrößten Heavy-Metal-Festivals, dem Wacken Open Air, wurde ein Produktionspartner gefunden, der die notwendige Expertise und die Künstlerkontakte in die Partnerschaft einbrachte. Gemeinsam wurde neben einem seetauglichen Festivalprogramm auch ein zielgruppenaffines Kommunikations- und Vermarktungskonzept entwickelt. Erst nach ausführlicher Vorarbeit wurde die Reise öffentlich kommuniziert und zum Verkauf freigegeben. Die jeweiligen Konzepte und Strategien werden fortlaufend für jede weitere Reise erweitert und optimiert. Für jedes Zielgruppenthema gibt es eigene Regeln, die es zu beachten gilt. Die richtige Ansprache, Tonalität, Insiderwissen und Szene-Wordings sind für ein erfolgreiches 360°-Konzept unerlässlich. So ist es etwa in der Metal-Szene üblich, die Gäste zu duzen, während die LGBT-Community auf bestimmte Codeworte reagiert und die Rockliner-Fans von Udo Lindenberg größten Wert auf typischen »Lindenberg-Sprech« legen. Neben solch konzeptionellen und inhaltlichen Herausforderungen stellen das Kreuzfahrtschiff selbst und die damit verbundenen Besonderheiten die Eventmacher vor sonst unbekannte Aufgaben. Kreuzfahrtschiffe per se werden üblicherweise nicht als Veranstaltungslocation designed, sondern haben andere priorisierte Nutzungsformen. Im Gegensatz zu klassischen Eventlocations muss das Schiff für die Eventreise zunächst eingerichtet werden, was zum Beispiel auf einem Pooldeck mit Aufbauten, unterschiedlichen Ebenen und Pools deutlich schwieriger ist als in einer leeren Stadt- beziehungsweise Konzerthalle. Große LKW-Zufahrten und Laderampen sucht man auf einem Kreuzfahrtschiff vergeblich. Bei musikalischen Eventkreuzfahrten müssen aber trotzdem oftmals über 100 Tonnen an Showtechnik und Bühnenmaterial mit Kränen und über zusätzliche Ladegangways an Bord gebracht werden. Sämtliches Material muss dann binnen kürzester Zeit auf die unterschiedlichen Spielorte verteilt, installiert und seefest verbaut werden. Die Liegezeit im Hafen und somit die Lade- und Aufbauzeit sind selten länger als zwölf Stunden. Ein solches Vorhaben bedarf einer höchst akkuraten, detailgenauen Logistik- und Ablaufplanung. Dazu gehören auch umfangreiche Sicherheitsüberprüfungen, Zollanmeldungen sowie die Re-
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gistrierung jedes Lieferfahrzeugs, Aufbauhelfers und Materialteils bei den Hafenbehörden nach dem International Ship and Port Facility Security Code (ISPS). Fachleute im Bereich Projektmanagement, Logistik, Hafenwirtschaft, Zoll, Bühnenbau und Veranstaltungstechnik sind mindestens genauso wichtig wie die auftretenden Künstler. Bereits im Vorfeld gilt es, die Stromversorgung zu prüfen und die Produktion darauf anzupassen. Schiffe produzieren zwar in großen Mengen ihren eigenen Strom, jedoch fehlen auf den meisten Schiffen frei zugängliche und abgesicherte Stromanschlüsse mit hoher Leistung. Kreuzfahrtschiffe verfügen heute über nahezu jede denkbare Freizeiteinrichtung. Die schwimmenden Hotels werden von Architekten unter dem Aspekt der maximalen Platzausnutzung geplant. Jeder Raum wird möglichst optimal genutzt, was zur Folge hat, dass es nahezu keine freien Lagerflächen gibt – eine Herausforderung, die bei Showproduktionen nicht zu unterschätzen ist. Schlussendlich gilt es, das ganze Projekt operativ mit einer möglichst kleinen Produktionscrew umzusetzen, denn jede zusätzliche Person muss nicht nur entlohnt sondern auch an Bord untergebracht werden. Ein zusätzlicher Kostenfaktor, da von Mitarbeitern belegte Kabinen nicht an zahlende Gäste verkauft werden können. Rechnerisch können höchstens 8 bis 10 Prozent der verfügbaren Passagierkabinen an nicht zahlende Künstler, Techniker oder sonstige Produktionsmitarbeiter vergeben werden, denn auch diese entgangenen Einnahmen müssen letztlich durch die zahlenden Passagiere abgedeckt werden. Zum Schluss sei der Aufwand erwähnt, der durch die Abänderung des normalen Kreuzfahrtbetriebes entsteht. Ein Schiff ist ein hochkomplexes autarkes System, das nach speziellen Regeln und Prozessen funktioniert. Üblicherweise ist ein gut organisiertes Schiff darauf ausgelegt, an 365 Tagen im Jahr ein immer gleichbleibendes Serviceprodukt in stets gleich guter Qualität zu liefern. Bei Eventreisen werden diese immer wieder geübten Prozesse zum Teil aufgebrochen und erheblich verändert. Arbeitszeiten und Aufgabenprofile werden von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt. Die neue Gästeklientel an Bord verhält sich gänzlich anders als die üblichen Passagiere. Ein so plötzlicher Wandel setzt eine gute Vorbereitung und viel Flexibilität voraus. Nur wenn all diese Herausforderungen rechtzeitig erkannt, sorgfältig vorbereitet und perfekt umgesetzt werden, können erfolgreiche Eventkreuzfahrten entstehen.
E VENTKREUZFAHRTEN
ALS
G ESCHÄFTSMODELL
Größer angelegte Eventkreuzfahrten sind heute im europäischen Markt noch eher eine Seltenheit. Mit TUI Cruises und Cunard Line gibt es derzeit nur zwei Ree-
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dereien, die eigene Eventreisen im großen Stil veranstalten. Hinzu kommen einige Reiseveranstalter, die sich an diesem Kreuzfahrtsegment versuchen und Kreuzfahrtschiffe im eigenen Risiko chartern. Häufig handelt es sich hierbei aber um Teilcharter. Der jeweilige Veranstalter mietet dabei nicht das gesamte Schiff, sondern nur ein größeres Kabinenkontingent und erhält das Recht, ausgewählte Locations an Bord für seine Veranstaltungen exklusiv zu nutzen. Jenseits des Atlantiks hat sich in den letzten Jahren ein deutlich größeres Angebot an Eventkreuzfahrten etabliert. Bemerkenswert ist hier, dass es sich fast ausschließlich um Angebote von spezialisierten Eventreise-Anbietern handelt und nicht von den Reedereien selbst. Eventkreuzfahrten als Marketingtool scheinen für die US-Reeder offensichtlich keine Rolle zu spielen. Vielmehr werden die Schiffe verchartert, was für die Reeder ein deutlich geringeres Risiko bedeutet; jedoch verzichten sie damit auch zu weiten Teilen auf die oben aufgeführten Marketingeffekte. Im Vergleich zum deutschen oder europäischen Kreuzfahrtmarkt ist der US-Markt deutlich stärker umkämpft und nahezu gesättigt. Neue Kunden lassen sich auch über ausgefallene Themen kaum noch generieren. Es geht vorwiegend um die Gewinnung von Marktanteilen, also das Abwerben von Kunden anderer Anbieter. Insofern ist das risikolosere und ertragssicherere Chartergeschäft aus Perspektive der Reedereien nachvollziehbar. Andererseits bieten sich in einem umkämpften Markt gute Charterkonditionen für Drittanbieter, die die Schiffe für ihre eigenen Veranstaltungen nutzen können. In Europa ist dieses Geschäft auf Grund der deutlich höheren Charterraten derzeit noch nicht lukrativ beziehungsweise mit einem hohen Risiko bei relativ niedriger Marge verbunden. Während die Kreuzfahrt in den USA eine etablierte und »gelernte« Reiseform ist, steckt der Urlaub auf dem Meer in Europa noch in der Entwicklungsphase. Zudem bietet der US-Markt allein schon auf Grund seiner Größe ein deutlich besseres Vermarktungspotenzial als dieses im vielsprachigen Europa der Fall ist. Im US-amerikanischen Markt sind diverse Anbieter auf zielgruppenorientierte Eventkreuzfahrten spezialisiert. Neben Atlantis Events und RSVP Vacations, die Gay-Cruises im großen Stil anbieten und Bare Necessities3 (FKKKreuzfahrten) sind besonders die Anbieter Sixthman und Whet Travel mit unterschiedlichsten musikalischen Eventkreuzfahrten im Markt aktiv. Besonders das Unternehmen Sixthman ist mit seinen unterschiedlichen Formaten (z.B. »The KISS Kruise«, »The Rock Boat«, »Cayamo« u.a.) erfolgreich. Seit 2012 gehört das Unternehmen mehrheitlich der US-Reederei Norwegian Cruise Lines, die über ihre Eventfirma nun zusätzliche Erträge generiert und die Eventkreuzfahr-
3
Siehe https://cruisebare.com (letzter Abruf: 28.07.2016).
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ten auch gezielt zur Auslastungssteuerung einsetzt. Whet Travel agiert neben den eigenveranstalteten Reisen auch als Dienstleister und Berater für Charterkunden, die selbst auf interessante Themen und Zielgruppen zugreifen können, jedoch nicht über das nötige Fachwissen zur Umsetzung eines Hochseeevents verfügen. In diesem Stil operiert auch die deutsche Cruise Company, die derzeit noch ausschließlich für Kunden Events auf Schiffen umsetzt. Wenn alle Beteiligten in diesem Konzert aus Management, Logistik, Schiffsbetrieb, Künstlern und – vor allem – Gästen optimal zusammenwirken und -arbeiten, stellt sich ein Effekt ein, der, wie es Stars del Mar für ihre Eventcruise 2016 beschreiben, Glücksgefühle hinterlässt: »Ausgelassene Partystimmung auf der restlos ausgebuchten Mein Schiff 1! Bei bestem Wetter stachen die knapp 2.000 gespannten Passagiere vom Kieler Hafen in See. Im Gepäck war Vorfreude auf ein grandioses Wochenende, Begeisterung für die Künstler und jede Menge gute Laune. Die hohen Erwartungen an die Kreuzfahrt wurden ›seemeilenweit‹ übertroffen, denn es war für jeden Geschmack etwas dabei. Von früh morgens bis spät in die Nacht wurde gelacht, gefeiert, getrunken und genossen, dass man dieses großartige Event auf dieser besonderen Location miterleben durfte.«4
L ITERATUR Böhme, Franka (2005): Kreuzfahrten für Golfer. Ein Nischenprodukt mit Erfolgsaussichten, Saarbrücken. Dahlhoff, Denise/Pohl, Alexander (1998): »Auch zufriedene Kunden werden untreu: Kundenzufriedenheit bedeutet nicht Kundenbindung«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.09.1998, S. 37. Dams, Vok/Dams, Colja M. (2008): Code Rouge. Gesetze des Erfolgs für Events und Live-Marketing, Frankfurt a.M. Deyhle, Lutz (2003): »Expedientenbindungsprogramme im Tourismus«, Magisterarbeit an der Universität Lüneburg, Lehrstuhl für strategisches Management und Tourismusmanagement, Lüneburg. Elze, Christiane (2010): »Themenkreuzfahrten – Eine angebotsseitige Betrachtung«, in: Dreyer, Walter/Jans Bernhard/Röder, Philipp (Hg.): KreuzfahrtTourismus – Die Online-Publikationen von www.kreuzfahrt-forschung.de, Grafschaft/Dresden. Siehe www.kreuzfahrt-forschung.de/resources/Elze++Themenkreuzfahrt-i.pdf (letzter Abruf: 30.07.2016).
4
Siehe www.stars-del-mar.de (letzter Abruf: 10.02.2017).
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Neumeier, Franz Joseph (2015): »Themenkreuzfahrten: Klassik, Gold, Vampire, Drag Queens & Co«, in: cruisetricks.de, der Kreuzfahrtratgeber. Siehe www.cruisetricks.de/themenkreuzfahrten-klassik-golf-vampire-drag-queensco/ (letzter Abruf: 10.02.2017). Opaschowski, Horst W. (2013): Deutschland 2030. Wie wir in Zukunft leben, Gütersloh. Schulz, Axel (2014): Grundlagen Verkehr im Tourismus. Fluggesellschaften, Kreuzfahrten, Bahnen, Busse und Mietwagen, München. Steinecke, Albrecht (2009): Themenwelten im Tourismus. Marktstrukturen. Marketing-Management. Trends, München.
Geschichte(n) erzählen – auch ohne Museum
Kulturrouten: Neue Formen der Vernetzung, Inszenierung und Vermarktung M ATTHIAS B URZINSKI /L ARA B USCHMANN
Schon seit Beginn der Diskussionen um den Kulturtourismus in den 1980erJahren gehört die Vernetzung (Steinecke 2007: 31-35) zu den probaten Mitteln, um das eigene Kulturangebot einem breiteren Zielgruppenspektrum zugänglich zu machen und Ressourcen effizienter zu nutzen. Die – wie wir sie hier nennen möchten – klassische Kulturroute galt lange als Ideal der kulturtouristischen Vernetzung. Angesichts der teilweise dramatischen Veränderungen des Informations- und Kommunikationsverhaltens sowie auch der Kulturrezeption offenbaren sich jedoch zunehmend ihre Schwächen. Denn: Die Idee der Kulturroute folgt weitgehend einem veralteten Leitbild der thematischen Bündelung von Angeboten, die neuen Zielgruppen beziehungsweise einem erweiterten Kulturbegriff nur selten gerecht werden kann. Kulturtourismus als komplementäres, als spontanes, impulsgesteuertes Erlebnis, wie es von neuen Zielgruppen gewünscht wird, ist mit dem klassischen Verständnis einer Kulturroute oft inkompatibel. Vergleichsweise starre Strategien, Organisationsstrukturen und Abläufe erschweren oder verhindern Anpassungsprozesse und letztlich auch die Erschließung neuer Zielgruppen. Träger und Akteure von Kulturrouten haben sich demnach die drängende Frage zu stellen, wie und womit die klassische Kulturroute vielleicht nicht alle, aber doch deutlich mehr und vor allem neue Zielgruppen im Kulturtourismus erreichen kann, um ihren Mehrwert in Zukunft nicht einzubüßen.
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K LASSISCHE K ULTURROUTEN UND N ETZWERKE Ziele und Funktionen klassischer Kulturrouten Die klassischen Kulturrouten der letzten Jahrzehnte, beispielhaft seien hier die Romantische Straße Deutschland1, die EuRoB – Europäische Route der Backsteingotik2, die Route der Industriekultur des Regionalverbandes Ruhr, CROSSART Route-Moderne-Kunst (Niederrhein/Niederlande)3, aber auch Netzwerke wie KLOSTERLAND e.V. (Deutschland/Polen)4 oder die LÜBECKER MUSEEN5 (Kulturstiftung Hansestadt Lübeck) genannt, sind meist Ergebnisse einer strategischen Vernetzung von Kultureinrichtungen und -destinationen, die sich zur Bündelung knapper Ressourcen und unterschiedlicher Kompetenzen wie Budget, Personal und Wissen vernetzen und ihre Aktivitäten koordinieren. Der intensive Wissensaustausch und der Zugang zu fremden Kernkompetenzen ist dabei die »Grundlage für eine optimale Ressourcenallokation« (Föhl/Pröbstle 2011: 120). So können Spezialisierungsvorteile und Synergieeffekte erzielt und Mehrfacharbeit vermieden werden. Diese Vorteile und Synergien erstrecken sich über den Betrieb und das Management, die lokalwirtschaftlichen Effekte, die Profilierung nach außen, die Identitätsstiftung nach innen sowie den Erhalt und den Schutz kultureller Angebote und Einrichtungen. Nach erfolgter Zusammenlegung und Harmonisierung sollen die Ressourceneinsparungen zur Umsetzung von Aufgaben genutzt werden, die für die einzelnen Einrichtungen nicht zu leisten sind, so zum Beispiel neue Vermittlungs-, Kommunikations- oder Serviceangebote. Die Kooperation mit (über-)regionalen und internationalen Partnern kann darüber hinaus Zugang zu anderen Finanzierungsmöglichkeiten eröffnen, wie zum Beispiel Förderprogramme oder privates Sponsoring, die auf die Strahlkraft einer überregionalen Dachmarke setzen. Zusammengefasst ergeben sich aus Destinationssicht folgende Ziele, Funktionen und Ansprüche an Kulturrouten: • Betrieb und Management: Wissensaustausch, Innovationen, Kosten- und Fi-
nanzierungssynergien, Arbeitsteilung;
1
Siehe www.romantischestrasse.de (letzter Abruf: 22.12.2016).
2
Siehe www.eurob.org (letzter Abruf: 22.12.2016).
3
Siehe www.crossart-route-moderne-kunst.de (letzter Abruf: 22.12.2016).
4
Siehe www.klosterland.de (letzter Abruf: 22.12.2016).
5
Siehe www.die-luebecker-museen.de (letzter Abruf: 22.12.2016).
K ULTURROUTEN : NEUE FORMEN DER V ERNETZUNG , I NSZENIERUNG & V ERMARKTUNG
| 203
• Lokalwirtschaftliche Effekte: mehr Besucher, höhere Ausgaben, Umwegrenta-
bilität, Wertschöpfung; • Profilierung (außen): mehr Produkte, besseres Image, größere Reichweite,
Branding; • Identitätsstiftung (innen): Identifikation, Wertschätzung, Engagement; • Erhalt und Schutz: Aufmerksamkeit, Fördermittel, Pflege, Besucherlenkung.
Der von den Partnern wahrgenommene Nutzen basiert bei dieser traditionellen Form in großem Maße auf vertrauensvollen Beziehungen zwischen den teilnehmenden Personen und Organisationseinheiten sowie der wechselseitigen Unterstützung. So ermöglicht die Zusammenarbeit unterschiedlicher Partner und Branchen eine Optimierung der Strukturen, indem eingeübte Muster auf den Prüfstand gestellt, verglichen und durch die bestmögliche Lösung ersetzt werden. Der regelmäßige fachliche Austausch fördert so durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Ansichten die Innovationsfähigkeit der Partner (vgl. ebd.: 119). Eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit findet jedoch nicht nur aufgrund dieser Vorteile statt. Noch wichtiger war und ist es, den Gästenutzen im Visier zu haben und die Potenziale einer Zusammenarbeit hinsichtlich des Gästeservices auszuschöpfen. Denn grundsätzlich müssen sich professionelle Netzwerke und Kulturrouten durch Qualität und Professionalität der Angebote, durch Erfüllung individueller Zielgruppenwünsche, gebündelte Angebote aus einer Hand und zentrale sowie zeit- und zielgruppengemäße Vermarktungs- und Kommunikationsinstrumente auszeichnen (vgl. Drda-Kühn/Wiegand 2011: 146, Aderhold/Meyer/Ziegenhorn 2001: 8, 25, Nuissl 2010: 78 ff.). Wie entstehen Netzattraktionen? Bis zur Realisierung einer funktionierenden Kulturroute sind mitunter jedoch aufwändige Strukturprozesse zu bewältigen. Kulturrouten sind Netzattraktionen, die je nach Größe komplexe strukturelle, politische, administrative, budgetäre und personelle Vorgänge regeln müssen. Vom angestrebten Nutzen profitieren die Akteure daher oft erst nach mühevollen Vorarbeiten. Wie komplex derartige Vorgänge sind, ist maßgeblich davon abhängig, wie viele Partner und unterschiedliche Organisationsstrukturen beteiligt sind. Eine Kooperation kann auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Räumen stattfinden. Konkurrierende Kultureinrichtungen oder Standorte, die sich zu einer Route zusammentun, stehen auf der gleichen Stufe der Wertschöpfungskette, gehen also eine horizontale Kooperation ein. Ungemein wichtig hinsichtlich des Besu-
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cherservices, aber meist rudimentärer in klassischen Kulturnetzwerken, sind vertikale Kooperationen zwischen Kulturbetrieben und zum Beispiel Akteuren der touristischen Infrastruktur wie Gastronomie und Verkehrsbetriebe, also Akteuren, die auf einer vor- und/oder nachgelagerten Wertschöpfungskette liegen. Schließlich können noch laterale Beziehungen mit Partnern eingerichtet werden, deren Bezug zueinander erst durch die Zusammenarbeit entsteht, wie zum Beispiel zum Personennahverkehr oder Designern, mit denen Produktentwicklung betrieben wird (vgl. Buschmann 2013: 10, Fö hl/Prö bstle 2011: 127, Freyer 2007: 513). Bestenfalls haben kulturtouristische Routen Partner auf allen Ebenen. Räumlich lassen sich Kulturrouten in transnationale (grenzüberschreitende) und interkommunale (nationale), regionale und innerkommunale (lokale) Routen im Stadtraum unterscheiden. Auch diese Formen können miteinander kombiniert werden. Die Komplexität der Umsetzung steigt mit der Anzahl der beteiligten Partner. Während man sich auf lokaler Ebene in der Regel mit Vertretern unterschiedlicher Kultursparten und -einrichtungen, touristischen Akteuren, politischen Vertretern, privaten Sponsoren sowie diversen Verwaltungseinheiten zu arrangieren hat, kommen auf interkommunaler oder transnationaler Ebene oft tiefer gehende administrative, kommunikative, gar sprachliche und interkulturelle Herausforderungen hinzu. Der Zeit-, Ressourcen- und Geldaufwand steigt und ist – gerade in der Aufbau- und Entwicklungsphase – ohne Förderung meist nicht zu stemmen. Politik, Behörden, inhaltlich betroffene Interessengruppen in Stadt, Region und Land, Konzeptentwickler, Planer, Projektmanager, Agenturen, Architekten, Kuratoren, Sponsoren, Anwohner, Grundstückseigentümer, Kommunikations- und Vertriebspartner, Schilderbauer, Programmierer, Druckereien, Lichtdesigner, Künstler, Fotografen und andere Umsetzungspartner: Sie alle können, wollen oder müssen in den Entstehungsprozess und die weitere strategische Entwicklung integriert werden. Praktische Erfahrungen zeigen: Je konkreter und ereignis- beziehungsweise ergebnisorientierter die Zusammenarbeit von Beginn an ist, sei es in Form einer gemeinsamen Veranstaltung oder Ausstellung oder gemeinsamer Serviceangebote, um so pragmatischer gestaltet sich eine anschließende, tiefergehende Kooperation (Burzinski 2013: 50). Die Partner lernen sich so gegenseitig sowie den Arbeitsaufwand und den Output gemeinsamer Aktivitäten kennen und können pragmatische Kooperationsformen für die weitere Zusammenarbeit einüben. Leider verhindern Förderstrukturen meist derartige Einstiege. Für die ersten Aktivitäten wird externes Personal finanziert, und so entwickeln die Partner kein Gefühl für die Arbeit, die nach Auslaufen der Förderung auf sie zukommt. Daher versiegt die Aktivität eines Netzwerks oftmals nach einer geförderten, vielver-
K ULTURROUTEN : NEUE FORMEN DER V ERNETZUNG , I NSZENIERUNG & V ERMARKTUNG
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sprechenden Einstiegsphase, und der erneute Erfolg hängt vom Einsatz Einzelner ab, die bereit sind, ehrenamtlich oder mit eigenen Ressourcen an die Arbeit anzuknüpfen. Aufgabenfelder und Organisationsformen Aus diesem Grund empfiehlt es sich, in komplexen Netzwerken Schlüsselaufgaben von Beginn an klar zu definieren und zu organisieren. Je mehr dieser Aufgaben in der Aufbau- sowie später in der Umsetzungs- und Betriebsphase in einer Hand gebündelt werden können, umso effizienter arbeitet die Kulturroute. Die zentralen Aufgaben kulturtouristischer Routen sind: Abbildung 1: Aufgabenfelder in Kulturnetzwerken und -routen
Eigene Darstellung
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In der Praxis hat sich gezeigt, dass Vernetzungsprozesse oft in hohem Maße vom Engagement einzelner Kümmerer und Initiatoren abhängig sind und Klarheit über die Aufgabenfelder erst mit dem Wachstum des Netzwerks und den Herausforderungen entsteht. Die Kümmerer – Einzelpersonen, einzelne Einrichtungen (z.B. ein Museum) oder auch Tourismusorganisationen – treiben die Entwicklung dann stark voran und leisten Vor- und Grundlagenarbeit. Doch gerade wenn eine langfristige, dauerhafte Kulturroute geplant ist, darf die Überlebensfähigkeit nicht von einzelnen Partnern oder Personen abhängig sein, sondern muss durch eine entsprechende Organisationsform gesichert werden (Burzinski 2016: 43). »Erfolgreiche Netzwerkarbeit ist nicht im Ehrenamt zu leisten, dazu bedarf es vielmehr strategischen Denkens, hoher Kommunikationsfähigkeit und eines professionellen Projektmanagements – all das hat seinen Preis.« (Drda-Kühn 2013: 44) Der meistpraktizierte Weg einer organisierten Vernetzung zur Etablierung einer Kulturroute ist die Gründung einer Betreiberorganisation, zum Beispiel in Form eines gemeinnützigen Vereines. Eine solche Betreiberorganisation finanziert sich, indem die Mitgliederinstitutionen und Träger einen zum Beispiel jährlichen Beitrag entrichten, der zwischen unter 100 Euro und bis zu mehreren Tausend Euro im Jahr liegt. Mit den Mitgliedsbeiträgen wird eine dauerhaft agierende, operative Einheit finanziert, die dann einen Großteil der oben genannten Aufgaben übernimmt. Durch gemeinschaftlich beantragte Fördergelder können neben dieser Arbeit punktuell Sonderprojekte finanziert werden, seien es eine gemeinsame Infrastruktur, Beschilderungen, Wanderausstellungen, neue Werbemedien oder andere Aktivitäten. Kümmern und Bekümmerung Eine Bündelung der nötigen Aktivitäten an einer zentralen Stelle sollte aber nicht bedeuten, dass den einzelnen Partnern keine Aufgaben mehr zugedacht werden, denn dies führt wiederum, wie oben bereits angedeutet, zum Rückzug der Partner. Das bedeutet: Die Mitglieder, das heißt die Bekümmerten werden entlastet, nehmen ihr eigenes Engagement zurück und entwickeln eine überhöhte Erwartungshaltung. Viele der Aufgaben im Netzwerk bleiben entgegen dieser Erwartungen jedoch erhalten, das heißt es fallen weiterhin finanzielle und personelle Bedarfe für die Umsetzung der Arbeit an, welche nicht durch die Betreiberorganisation abgedeckt werden können. Die Betreiberorganisation bleibt auf den inhaltlichen und produktiven Input in Form von Kulturangeboten, Veranstaltungen, Ideen, belebenden Geschichten und Initiativen angewiesen. Da zum Beispiel Kultureinrichtungen häufig überschaubar ausgestattet sind beziehungsweise
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andere Aufgaben prioritär erledigt werden müssen, kann es dazu kommen, dass die Umsetzung von Aufgaben sehr lange dauert oder die Zusammenarbeit auf rudimentäre Teilaufgaben, zum Beispiel ein gemeinsames, informierendes Marketing, reduziert wird. Nicht selten fällt dieser Rückzugseffekt mit dem Auslaufen der Fördermittel zusammen. Sobald die Träger gefordert sind, die Betreiberorganisation vollständig zu übernehmen beziehungsweise zu finanzieren, steigert sich die Erwartungshaltung zusätzlich und wird unerfüllbar. In der Folge reduzieren Träger und Mitglieder ihr Engagement, was der Kulturroute die Existenzgrundlage nimmt. In einer internen, informellen Erhebung der projekt2508 GmbH aus dem Jahr 2013 konnten rund 40 Prozent von 132 betrachteten Kulturrouten keinen eindeutig identifizierbaren Ansprechpartner mehr vorweisen.
E NTWICKLUNG
UND
W ANDLUNGSPROZESSE
Der skizzierte, klassische Ansatz zur Bildung einer Kulturroute atmet den Geist traditioneller, linearer Entwicklungs- und Marktbearbeitungsprozesse. Die meist jährliche Budget- und Maßnahmenplanung ist dem klassischen touristischen Vermarktungsmodell geschuldet. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass Reiseentscheidungen destinationsorientiert und themenorientiert fallen und Kulturrouten wie eine eigene Destination funktionieren. Dieser Ansatz ist nach wie vor geeignet, Reisende und Gäste zu gewinnen und zu überzeugen, die einen konkreten und bewussten Besuchsanlass für eine Kulturroute beziehungsweise einzelne Angebote der Route haben, beispielsweise internationale Studienreisegruppen oder Kenner eines bestimmten Themas (sog. passionierte Spezialisten oder kenntnisreiche Traditionalisten vgl. Pröbstle 2014: 315 ff.). Dieses wenig anpassungsfähige Modell scheitert jedoch oft an den Anforderungen neuer kulturtouristischer Zielgruppen – die Kenntnisse über kulturtouristische Zielgruppen sind gemeinhin veraltet (Burzinski/Buschmann/Pröbstle 2016: 3) – wie zum Beispiel die aufgeschlossenen Entdecker, die ihre Reiseentscheidung erlebnis- oder selbsterfahrungsorientiert, spontan und situationsgebunden fällen. Dies gilt ebenso für die Angebotsgestaltung als auch für die Vermittlung und das Marketing (ebd.: 4). Und der Kulturtourismus ist nicht nur massiven Veränderungen auf Ebene des touristischen Vermarktungsprozesses ausgesetzt. Auch soziodemografische, werteorientierte sowie technologiegetriebene Anpassungen auf gesellschaftlicher Ebene wirken auf die Bedeutung und Rezeption von Kultur im weitesten Sinne ein.
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Tourismus im Wandel Die Digitalisierung des touristischen Kommunikations- und Buchungsprozesses steht beispielhaft für den grundlegenden Wandel des Tourismus. Schon früher galt die Zielgruppenorientierung und die konkrete Zielgruppenansprache selbstverständlich als Schlüssel zum touristischen Erfolg. Mit der weiter fortschreitenden Individualisierung der Zielgruppen bei gleichzeitiger Zunahme an digitalen Kommunikations- und Buchungskanälen entsteht mittlerweile jedoch ein schwer durchschaubares Geflecht an möglichen Gästekontakten. Studien von Google auf dem amerikanischen Reisemarkt zeigten, dass Touristen bis zur Buchung einer Reise teilweise bis zu 7.000 Kontakte mit reiserelevanten Kanälen aufweisen (think with Google 2016: 9). Umso mehr gilt es, dieser neuen Unübersichtlichkeit eine noch konsequentere Konzentration auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gäste gegenüberzustellen. Diese lässt sich, auf der Grundlage aktueller Zielgruppenkenntnisse, praxisorientiert entlang der Customer Journey des Gastes strukturieren, also dem Weg des Gastes von der ersten Inspiration zur Reise über die Recherche, die Buchung, die Anreise und Ankunft, das Erlebnis vor Ort bis zur Abreise und dem anschließenden Dialog zum Zwecke der Kundenbindung. An allen Kontaktpunkten mit dem Gast vollziehen sich derzeit gravierende Veränderungen: Das Reise-, Mobilitäts-, Informations-, Kommunikations- und Buchungsverhalten wandelt sich. Zielsituationen werden bedeutender (vgl. ebd.): Wann träumt der Tourist von einer Reise und sucht nach Inspirationen? Wann beginnt er mit der konkreten Recherche und Reiseplanung? Wann bucht er? Wie reist er an? Wie orientiert er sich, recherchiert und kommuniziert er vor Ort? Wie kommuniziert er nach der Reise? Ein zeitgemäßes und zukünftiges Marketing muss auf diese Erkenntnisse eingehen.
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Abbildung 2: Customer Journey – Die Reise des Kunden von seiner ersten Inspiration bis an den Urlaubsort und zurück
Eigene Darstellung
Neue Formen der Kulturrezeption und Vermittlung Auf der gesellschaftlichen Seite sehen wir nicht nur die bekannten Wandlungsprozesse auf der Zielgruppenebene – am deutlichsten manifestiert im permanenten Schrumpfen des traditionellen Bildungsbürgertums und dem Aufkommen neuer, selbsterfahrungsorientierter Zielgruppen (vgl. Pröbstle 2014: 303 ff.). Wir erleben auch einen teils dramatischen Wandel in der Aneignung von Räumen, Orten und Kulturangeboten durch Smartphones und Formate wie Apps, Virtual und Augmented Reality sowie durch andere Medien. Das Smartphone als permanenter Filter zwischen den eigenen Sinnen und den realen Objekten und Orten verändert die Wahrnehmung. Unmittelbares Erleben und Erfahren wird teilweise
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ersetzt, mit einem Verarbeitungsprozess verknüpft und als individualisierte Botschaft sogleich über private und soziale Medien wieder in die Welt versendet. Dabei verbinden sich verschiedene Perspektiven des sogenannten Storytelling, also der emotionalen Verführung der Gäste durch das Erzählen von Geschichten. Idealiter nehmen die Nutzer das Erzählte und den Genius Loci als Rezipient auf, lassen sich auf den Ort und/oder ein Kulturangebot ein und finden einen emotionalen Zugang zu ihm. Durch die Verarbeitung entsteht parallel zum Rezipierten ihre eigene Geschichte, ihr eigenes Erlebnis, das es auf persönliche Art und Weise weiter zu erzählen gilt. Dieses neue Rezeptionsverhalten steht in direktem Zusammenhang mit neuen Rahmenbedingungen für die Vermittlung: Eine Kulturroute kann heute ohne Beteiligung der für das Angebot verantwortlichen Institutionen und Akteure umgesetzt werden – zum Beispiel in Form einer App. Jeder Institution oder Privatperson steht es frei, eine App zu entwickeln und zu vermarkten. Sie kann sich jedem beliebigen Thema widmen und auf jeden gewünschten Raum beziehen. Die App Timetraveler ist ein bekanntes Beispiel hierfür. Anhand von Augmented Reality werden die dramatischen Ereignisse rund um den Bau der Berliner Mauer an authentischen Orten visuell vermittelt. Betreiber der App sind die AugmentedReality-Unternehmen Metaio GmbH und Timetraveler Augmented Ltd. Die Stadt Berlin und ihre touristischen Partner sind nicht beteiligt. Entscheidend für einen privaten App-Anbieter ist lediglich die Kommerzialisierbarkeit, im Falle gemeinnütziger Anbieter die Finanzierbarkeit des Angebots und damit verbunden eine vielversprechende Zielgruppengröße. Reisende und Besucher wechseln heute spielerisch und selbstverständlich zwischen Virtualität und Authentizität. Die Nutzung einer App zum Folgen einer Kulturroute ist neben der intuitiven Orientierung die vermeintlich beste und einfachste Art, sich eine Route zu erschließen, denn Orientierung, Information, Erlebnis, Verarbeitung und Weitergabe konzentrieren sich in einem Gerät – dem eigenen Smartphone. Das bedeutet aber auch: Destinationen oder Kultureinrichtung können nicht verhindern, dass ein privater Anbieter eine App oder andere (digitale) Angebote zu einer selbsterdachten Route programmiert und vermarktet, die nicht dem eigenen Selbstverständnis und Profil entspricht. Dies kann neben der kostenfreien Bewerbung des eigenen Angebots den negativen Aspekt haben, dass falsche oder veraltete Informationen verbreitet werden oder Angebote über einen Schwerpunkt vermarktet werden, der nicht dem Konzept des Kulturanbieters entspricht. Diesem Wandel und Anpassungsdruck auf allen Ebenen können sich auch die Kulturrouten als klassisches kulturtouristisches Vernetzungsmodell nicht entziehen. Viele Kulturrouten und ihre Betreiberorganisationen können jedoch im laufenden Betrieb kaum zusätzliche Ressourcen aktivieren, um sich den Herausfor-
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derungen zu stellen und sind daher nur eingeschränkt handlungsfähig. Neben der Frage nach möglichen Lösungen stellt sich demnach auch die Frage, ob klassische Kulturrouten vor dem Hintergrund der digitalen Möglichkeiten überhaupt noch sinnvolle und zeitgemäße Konstruktionen darstellen. Für Kulturrouten spricht, dass • gerade angesichts der Unübersichtlichkeit der möglichen Gästekontakte, ge-
bündelte kulturelle Angebote, die themen- und markenorientiert geführt und entwickelt werden, dem Gast eine gute Orientierung geben. • sie vermeintliche Nischenangebote zu einem wahrnehmbaren Angebot für Kulturtouristen machen – vorausgesetzt, sie passen sich den veränderten Gegebenheiten und Ansprüchen der Gäste an. Historische Epochen, Persönlichkeiten, lokale und regionale Besonderheiten aus Kulturerbe, Kunst und Kreativwirtschaft – Bekanntes und Unbekanntes – lässt sich zu einer Route zusammenfassen die Identifikationsflächen bietet. • Kulturrouten die derzeitige Sehnsucht nach spannenden, emotional ansprechenden Geschichten (Storytelling) mit inhaltlich-kognitiver Vermittlung an authentischen Orten verbinden können. So kann ihr Besuch auch dem sozialen Motiv eines Kulturbesuchs gerecht werden. Grundsätzlich bestehen damit die Vorteile, die eine Kulturroute als Netzwerk bietet, weiterhin fort. Es bedarf daher vielmehr eines (Weiter-)Entwicklungsmodells, das einen Wandlungsprozess in Gang setzt, begleitet und Lösungen für die Probleme klassischer Kulturrouten – Ressourcenmangel, Aktivierung der Mitglieder, zeit- und zielgruppengemäße Angebote und ihre Vermarktung und Vermittlung – beinhaltet.
Z EITGEMÄSSE M ODELLE
UND
M ÖGLICHKEITEN
Zu Beginn eines Wandlungsprozesses steht in der Regel die Evaluation der bisherigen Aktivitäten: Welche Ziele wurden erreicht? Welche nicht? Gemessen an den oben formulierten Ansprüchen, können unter Rückgriff auf sogenannte Key Performance Indicators (Leistungsindikatoren) die Ressourceneinsparungen meist besser belegt werden als die Mehrung des Gästenutzens – entweder weil diese nicht gemessen wird oder nur bedingt messbar ist. Nehmen die Betreiberorganisationen die neue Herausforderung ernst, künftig gäste- und zielgruppenorientierter zu agieren, müssen Schwerpunkte verschoben werden, denn: Die klassischen Kulturrouten hatten, wenngleich die Zielgruppen durchaus definiert
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wurden, einen eher themen- und ortsbezogenen, also angebotsorientierten Strategieansatz. Dies ist für die Vermarktung des Kulturerbes nicht grundsätzlich als falsch anzusehen, da in diesem Segment per definitionem das Lokale, das Regionale, das Authentische und der Genius Loci im Vordergrund stehen. Nicht immer wurde jedoch überprüft, ob das Thema überhaupt auf Nachfrage bei den (Kultur-)Touristen stößt, und ob die ausgewählten Orte tatsächlich die Qualität aufweisen, die für eine touristische Vermarktung erforderlich sind. Die zahlreichen dahinsiechenden Kulturrouten zeugen davon. So finden sich in zahlreichen Entwicklungskonzepten heute bestehender Kulturrouten oft recht allgemeine Zielgruppenmodelle. »Die simple Differenzierung zwischen Specific Cultural Tourists (Kulturtouristen) und General Cultural Tourists (Auch-Kulturtouristen) oder eine Unterscheidung nach Lebensphasen, die obligatorisch und meist ausschließlich die sogenannten Best Ager als kulturaffine Zielgruppe ausweist« (vgl. Buschmann/Pröbstle 2016: 240, Herv. der Verf.) oder auch die simple Differenzierung von Individual- und Gruppenreisenden, Tagesausflüglern oder Übernachtungsgästen greift längst nicht mehr. Sie kennzeichnen eher funktionale Unterschiede, die für das Marketing relevant sein können, jedoch nicht den Kern der Zielgruppendifferenzierung treffen, nämlich das Informationsverhalten und die Art der Rezeption von Kultur und ihre Bedeutung für die Persönlichkeit. Einige Beispiele skizzieren dies: • Für den passionierten Spezialisten und kenntnisreichen Traditionalisten (alle
Typen in Anlehnung an die Typologie von Pröbstle 2014) sind Routen und Touren mit Informationstiefe spannend, auch für Nischenthemen wie etwa Literatur. Beispiel: Walking Ulysses6 in Dublin für Liebhaber des Romans Ulysses von James Joyce. • Für den kenntnisreichen Traditionalisten und Bildungsbürger sind Themenrouten mit Informationstiefe und hochkulturellem Anspruch interessant, zum Beispiel die Oberschwäbische Barockstraße. • Für aufgeschlossene Entdecker können besonders Routen und Touren hinter die Kulissen einer Stadt und Region spannend sein, z.B. zu nicht zugänglichen Orten. Im Kulturhauptstadtjahr 2010 entstand im Ruhrgebiet zum Beispiel eine Route der Wohnkultur, die auch den Blick in Privatwohnungen ermöglichte. • Pflichtbewusste »Sightseeker« wollen auf einer Route Top-Sehenswürdigkeiten sammeln, zum Beispiel auf der Straße der Kaiser und Könige entlang der Donau.
6
Siehe http://ulysses.bc.edu/ (letzter Abruf: 28.02.2017).
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• Unterhaltungsorientierte Ausflügler suchen vor allem Routen und Touren mit
sozialen Austauschmöglichkeiten und unterhaltenden Elementen, zum Beispiel die Erlebnismuseen an Rhein und Ruhr oder die innerstädtische Comic-Route in Brüssel. Und selbst diese Differenzierung muss jeweils im Detail beziehungsweise von Fall zu Fall tiefergehend betrachtet werden. So wechseln Kulturtouristen häufig von einem Typ in einen anderen, nehmen beispielsweise im Familienverbund die Rolle der unterhaltungsorientierten Ausflügler, im Freundeskreis die der aufgeschlossenen Entdecker und auf Fernreisen die der pflichtbewussten »Sightseeker« ein. Hinzu kommt, dass meist die Ansprache mehrerer Typen beziehungsweise Zielgruppen sinnvoll ist, da sich die Interessen durchaus überschneiden, nur Ansprache und Rezeptionsverhalten unterschiedlich sind. So mag der kenntnisreiche Traditionalist ebenso wie der aufgeschlossene Entdecker an Walking Ulysses interessiert sein und der aufgeschlossene Entdecker wird gerne auch mal zum unterhaltungsorientierten Ausflügler auf der Comic-Route, findet jedoch einen anderen Zugang zum Angebot als der unterhaltungsorientierte Ausflügler. Daher wird häufig unterschätzt, dass zu einer thematischen Kooperation auch die komplementären Angebote gehören. Das bedeutet: Nicht nur die thematisch passenden Kulturerbestätten und Kultureinrichtungen sind als Teil der Route und des Angebots zu verstehen, sondern gleichermaßen ergänzende Angebote wie Gastronomie, Hotels oder ergänzende kulturelle Angebote und Infrastruktur aus anderen Segmenten. In dieser komplementären Bündelung steckt das Potenzial, den differenzierten Wünschen und Interessen der Zielgruppen gerecht zu werden. Denn der aufgeschlossene Entdecker wird die besuchte Top-Sehenswürdigkeit eher mit einem Besuch in einer benachbarten Galerie, einem trendigen Popup-Store und dem Streetfood-Event verbinden als mit einem klassischen Restaurantbesuch. Zukunftsfähige Kulturrouten • führen ihr Thema mit den individuellen Bedürfnissen der Besucher zusammen; • ergänzen es durch motivgerechte, komplementäre Angebote; • inspirieren den Besucher durch die richtige Angebotskombination zur richti-
gen Zeit, sind demnach auch zielsituativ; • und nutzen individuelle Kommunikations- und Vertriebskanäle;
Personas als Zielgruppen Mehr Zielgruppenfokussierung erfordert eine wesentlich intensivere Auseinandersetzung mit den Besuchern und Gästen der Kulturroute. Spätestens seit dem
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Aufkommen des Service Designs als zielgruppenbezogene und zielsituative Kombination verschiedener, interdisziplinärerer Methoden und Lösungen zur Entwicklung von Dienstleistungen und Angeboten, stehen dazu aus der prozessualen Sichtweise mehr als nur Datenanalysen zur Verfügung (Stickdorn/Schneider 2011). Eines von mehreren geeigneten Hilfsmitteln sind sogenannte Personas (Stickdorn/Schneider 2011: 178 ff.). Personas sind sprechende, lebendige und mit Namen versehene Prototypen bereits vorhandener sowie künftiger Zielgruppen. Durch eine konkrete Charakterisierung erleichtern sie die Planung und Entwicklung von Angeboten und auch Marketingmaßnahmen. Im Idealfall können sogar real existierende als typisch empfundene Gäste als Personas herangezogen werden. Zur Definition von Personas gehören beispielsweise: • Name, Alter und Geschlecht, Familienverhältnisse; • die grundsätzlichen Werte und Lebenseinstellungen, möglicherweise ein Le-
benslauf mit beruflichem und privatem Werdegang; • das Reiseverhalten (Motive? Wohin? Wann? Wie lange? Mit wem? Welche
• • • •
Interessen und Aktivitäten? Wie gebucht? Welche Unterkunft?) sowie die reiseentscheidenden Kriterien; die Mediennutzung (mit möglichst konkreter Benennung der Medien, zum Beispiel Zeitschriften, Websites, TV-Sendungen usw.); das Mobilitätsverhalten (bei Anreise und vor Ort); die spezielle Customer Journey und die besonderen Kontaktpunkte in jeder Reisephase; spezielle Merkmale, zum Beispiel Einstellungen zu Kultur, Interesse am Kontakt mit Einheimischen und so weiter.
Personas lassen sich regelmäßig an sich verändernde Rahmenbedingungen anpassen – sie entwickeln sich weiter, können wieder verschwinden oder durch weitere Personas ergänzt werden. Auf einer derartig konkreten Basis lassen sich im Verbund der Kulturroute und unter Einbeziehung der Akteure mit direktem Besucher- und Gästekontakt zielgenaue und unkonventionelle Erlebnisse, Angebote, Services und Produkte für die Personas entwickeln und mit speziellen Qualitätskriterien für die Angebotsentwicklung versehen. Flexibilität und zielsituative Angebote Kulturrouten sind aufgrund ihrer oben beschriebenen komplexen Strukturen und ihres langsamen Wachstums vergleichsweise starre Gebilde. Schnelle Reaktio-
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nen auf Veränderungen der Nachfrage und das Aufgreifen neuer Trends fallen in einem solchen Verbund schwer. Bestenfalls kann die Betreiberorganisation durch flexibel verfügbare Budgets kommunikativ auf aktuelle Entwicklungen reagieren. Angebote zielsituativer zu platzieren heißt jedoch, auf spontane Wünsche der Gäste, auf deren individuelle Customer Journey sowie deren Perspektiven auf das kulturelle Angebot flexibel einzugehen. Die durch Anker- und Ergänzungspunkte definierte Kulturroute sollte die unveränderlichen Basisangebote flexibel durch komplementäre Offerten ergänzen können – tagesaktuell. Denn die von Google mitinitiierte Studie hat unter anderem gezeigt, dass 85 Prozent der Gäste bei der Ankunft vor Ort noch nicht im Detail wissen, was sie konkret unternehmen möchten (think with Google 2016: 31). Auch wenn diese Zahl nicht einfach auf den Kulturtourismus übertragen werden kann, so zeigt sie doch: Ein Teil der Gäste lässt sich spontan auf (kultur-)touristische Angebote ein, inspiriert durch Stimmungen, Reize und Wünsche, die sich stets verändern können – eine der größten Herausforderungen für strategisches Marketing. Wenn es beim Erstellen des alljährlichen Kommunikationsmaterials den Pop-up-Store, der für die aufgeschlossenen Entdecker ein interessantes Komplementärangebot darstellt, noch nicht gab, so ist er nicht Bestandteil des Angebotsportfolios. Der Schlüssel zur Flexibilisierung des Angebots ist daher zweifelsfrei die Digitalisierung des Contents und eine Ausdifferenzierung der Kommunikationskanäle. Angesichts der verflochtenen Strukturen und Prozesse klassischer Kulturrouten erscheint dies wie eine weitere Steigerung der Komplexität. Doch der Schein trügt: Neue Netzwerk- und Schnittstellentechnologien ermöglichen eine vergleichsweise einfache Zusammenführung vorhandener digitaler Inhalte in zentralen Datenbanken, die wiederum flexibel ausgelesen werden und damit Inhalte über eine Vielzahl von Kanälen vermitteln können. Voraussetzung hierfür ist jedoch selbstredend eine konsistente, stets aktualisierte Datenhaltung in den beteiligten Institutionen und Destinationen. So können beispielsweise die für eine spezifische Kulturroute relevanten Informationen – die Kern- und Komplementärangebote, vom Museum über das Hotel bis zur Veranstaltung – fortlaufend und ständig aus bestehenden Webseiten ausgelesen und über Schnittstellen zusammengeführt werden. Aus dieser zentralen Datenbank lassen sich dann verschiedenste Kanäle bedienen: • die Webseite der Kulturroute, eine dazugehörige App und Social-Media-
Accounts; • individualisierte Reiseführer, die sich der Gast auf der Webseite der Route
selbst zusammenstellen kann;
216 | M ATTHIAS BURZINSKI/LARA B USCHMANN • eigene Broschüren und Flyer zur Route in Printform (durch Web-to-Print-
Lösungen u.Ä.); • interaktive Terminals und Erlebnisstationen an den authentischen Orten der • • • •
Route (unveränderliches Basisangebot); Infoscreens und digitale Plakate in Tourist-Informationen; Startseiten freier WLAN-Hotspots im öffentlichen Raum; digitale Gästemappen in Hotels entlang der Route; Tablets von Gästeführern auf der Kulturroute und vieles mehr.
Eine entsprechende Struktur des Contents vorausgesetzt, lassen sich die Inhalte zudem zielsituativ und ortsgebunden steuern. So können dem Gast bei schlechtem Wetter auf der Webseite oder an Terminals die witterungsunabhängigen Angebote aufgezeigt werden, bei gutem Wetter komplementäre Aktivitäten im Freien. Befindet sich der kulturinteressierte Gast im Stadtzentrum vor einem Museum, das er soeben verlassen hat, können ihm beispielsweise Restaurants in der Umgebung empfohlen werden. Diese Lösungen sind in vielen Destinationen bereits Standard und keineswegs mehr Zukunftsszenario. Die einst klassische Kulturrote wird so zu einem flexiblen Angebotsnetzwerk, das sein thematisches Profil nicht aufgibt, jedoch den aktuellen Gästewünschen und Interessen wesentlich mehr entspricht. Die Überlegungen haben gezeigt, wie bedeutend das Wissen um die Customer Journey der Personas ist, denn nur so können zielsituative Angebote aus der zentralen Datenhaltung generiert werden. Daraus lässt sich auch folgern: Suchmaschinenoptimierung, die Aufbereitung der Daten für die intermediären Kanäle, seien es Google, TripAdvisor oder digitale Gästemappen des Hotels vor Ort, werden teilweise bedeutsamer als die eigenen Kommunikationsinstrumente. Spricht man mit den Kulturakteuren über diese neuen Ansätze, stößt man mitunter auf Widerstände. Vor allem die Modularisierung der zu vermittelnden Inhalte und Daten widerspricht dem kulturell begründeten Bedürfnis und Wunsch nach linearer, kontrollierter und umfangreicher Informationsvermittlung durch die Anbieter. Daher soll an dieser Stelle betont werden, dass diese neuen Instrumente nicht die bisherigen Formen der Vermittlung ersetzen sollten. Nach wie vor bedarf es einer Beschilderung, spezieller Inszenierungen, interaktiver und analoger Vermittlungsstationen sowie der persönlichen Vermittlung – vielleicht sogar mehr denn je, um den Gästen die Last der eigenen Recherche im Augenblick des Erlebnisses abzunehmen. Doch sobald die digitale, zielsituative Vermittlung und Kommunikation in der oben beschriebenen Form dem Gast einen spürbaren Nutzen, Komfort, Zeit- und Erkenntnisgewinn verspricht, gilt es, dieses erhebliche Potenzial zur Erfüllung von Besucherwünschen zu heben.
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AUSBLICK Die Mitglieder und Betreiberorganisationen von Kulturrouten werden nicht umhinkommen, sich zukünftig flexibler auf die Wünsche der Gäste einzustellen und auf diese mit Angeboten und Informationen zu reagieren. Der einer Kulturroute innewohnende Impuls, sich vor allem angebots- und themenorientiert zu präsentieren, muss durch eine viel stärkere Besucherorientierung und zielsituative Ausrichtung entlang der Customer Journey der Gäste ergänzt werden. Diese Umstellung ist mit Transformationskosten verbunden, was die meisten klassischen Kulturrouten angesichts der begrenzten Ressourcen vor große Herausforderungen stellt, sie aber nicht abhalten sollte. Sonderfinanzierungen in Form von Fördermitteln oder Jahresumlagen der Mitglieder sind gangbare Wege und unabdingbar. Der Gewinn ist offensichtlich: Nicht nur die lokale und regionale Wirtschaft profitiert, die digitale, flexible Kulturroute wird auch viele Abstimmungsprozesse im Netzwerkmanagement, in der Datenhaltung, -verwaltung und -gewichtung, in der Produktentwicklung und nicht zuletzt in der zeit- und zielgruppenadäquaten Kommunikation langfristig vereinfachen und teilweise sogar überflüssig machen. Somit ist die Digitalisierung der Kulturroute letztlich auch dem ursprünglichen Gedanken verpflichtet, Ressourcen freizusetzen und effizienter zu nutzen – dabei jedoch gleichzeitig den Gästenutzen im Fokus zu haben.
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Kulturzeichen Kitzinger Land – Eine Region erzählt ihre Geschichte C ÉLINE K RUSKA /Y VONNE P RÖBSTLE
Für das Jahr 2015 vermeldete das Institut für Museumsforschung mit 114,4 Millionen Besuchen die höchste Besuchszahl für die Museen in der Bundesrepublik seit Beginn der Zählung (vgl. Institut für Museumsforschung 2016: 7). »Das große öffentliche Interesse an Museen und Ausstellungen ist weiter ungebrochen« (ebd.), so die Erfolgsmeldung. Aus der Museumsstatistik geht auch hervor, dass der anhaltende Wachstumsmarkt Kulturtourismus einen wesentlichen Beitrag zu dieser positiven Entwicklung geleistet hat und besonders die Museen in den Metropolen davon profitierten (vgl. ebd.). Nicht umsonst wird der Kulturtourismus seit Jahren gerne in einem Atemzug mit dem Städtetourismus genannt.1 Gleichzeitig gibt es aber auch Anzeichen dafür, dass ländliche Destinationen in Sachen Kulturtourismus auf dem Vormarsch sind. Die Kulturtourismusstudie hat zum Vorschein gebracht, dass etwa jede zweite Kultureinrichtung, die an der Befragung teilnahm, nach Selbsteinschätzung in den vergangenen fünf Jahren einen Anstieg der touristischen Besucher verzeichnen konnte. Und im Falle von Kultureinrichtungen in ländlichen Räumen lag der Wert sogar über der 50 Prozent Marke. Der Kulturtourismus ist demnach längst kein exklusives Spielfeld mehr für die (groß-)städtischen Destinationen (vgl. Pröbstle 2016: 6). Gleichzeitig lehrt uns die Praxis aber auch, dass sich die Touristiker und Kulturschaffenden in ländlichen Regionen oftmals schwerer tun und mehr Aufwand betreiben müssen, um Kulturtouristen zu erreichen, da schlichtweg die kulturelle Infrastruktur in der Dichte und Attraktivität eine andere ist als in (Groß-)Städten und auch die Zugänglichkeit im Sinne von regelmäßigen Öffnungszeiten, Ver1
So beispielsweise auch in der letzten einschlägigen Grundlagenuntersuchung des Deutschen Tourismusverbands zum Städte- und Kulturtourismus in Deutschland aus dem Jahr 2006 (vgl. DTV 2006).
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mittlungsangeboten und einer guten Erreichbarkeit eine Herausforderung darstellt. Gerade deshalb aber drängt sich die Frage auf, wie es gelingen kann, kulturtouristische Potenziale in ländlichen Räumen zu erschließen – abseits von massentauglichen Sehenswürdigkeiten, Blockbuster-Ausstellungen und Kultureinrichtungen, die von den Reiseführern zu »must-sees« erklärt werden. Welche Strategien erweisen sich als besonders erfolgreich, um mit zeitgenössischen Mitteln von Kunst und Kultur ländliche Räume so zu inszenieren, dass sie für die Besucher sichtbar und erfahrbar werden und in der Außenwahrnehmung Strahlkraft entwickeln? Und können die erklärten Potenziale darüber hinaus sogar nach innen wirken, eine identitätsstiftende Funktion entfalten und die kulturelle Teilhabe der Bewohner fördern? Der vorliegende Beitrag nimmt sich dieser Fragen an und zeigt modellhaft am Beispiel des Projekts Kulturzeichen Kitzinger Land 2015-2019 des unterfränkischen Landkreises Kitzingen Erfolgsfaktoren und mögliche Transferstrategien auf.
AUF DER S UCHE NACH EINEM » KULTURELLEN F INGERABDRUCK « DER R EGION K ITZINGER L AND Ansichten aus dem Kitzinger Land zeigen ein malerisches Stückchen Erde, das eine reiche Natur- und Kulturlandschaft besitzt. Diese Qualität teilt die Region jedoch mit anderen, teils sogar benachbarten Destinationen. »Natur und Landschaft sind [folgerichtig, Anm. der Verf.] auch woanders schön« (DTV 2005: 14). Deshalb entschieden sich die Akteure aus Kultur, Politik und Tourismus 2013, das Profil des Kitzinger Lands als Kulturdestination und -region zu schärfen und die kulturtouristischen Potenziale der Region in Wert zu setzen. Diese Zielsetzung stellte rückblickend durchaus eine mutige Entscheidung dar, da der Landkreis Kitzingen, wie viele ländliche Regionen vergleichbarer Größe, nur bedingt über eine kulturelle Infrastruktur im Sinne gewachsener Kultureinrichtungen mit überregionaler Strahlkraft sowie Ansprechpartner und »Kümmerer« verfügt (zum Beispiel in Form einer öffentlichen Kulturverwaltung).2 Vor diesem Hintergrund lässt sich die Entscheidung plausibel nachvollziehen, auf eine zunächst temporäre kulturtouristische Veranstaltung(-sreihe) zu setzen, die mit überschaubaren und verfügbaren Ressourcen gestemmt werden kann. Davon un-
2
Zu den Bedingungen und Herausforderungen von Kulturarbeit im ländlichen Raum vgl. Moser (2016): 37 f.
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benommen war von Beginn an die Zielsetzung, überregionale Sichtbarkeit zu erzeugen und gleichzeitig nach innen einen Beitrag zur regionalen Identität zu leisten.3 Zu diesem Zweck wurde 2013/14 ein offener Kreativwettbewerb ausgeschrieben, der die Teilnehmer dazu aufforderte, dem kulturellen Alleinstellungsmerkmal der Region nachzuspüren: »Was macht den Landkreis Kitzingen aus? Worin unterscheidet sich die Region von anderen? Sind es ›nur der Wein und der Main, oder ist das noch mehr? Welches Projekt könnte zum kulturellen Fingerabdruck der Region werden? Wo liegen die verborgenen Schätze des Kitzinger Landes?« (Landkreis Kitzingen 2013)
Erfolgreich aus dem Wettbewerb ging ein Konzept hervor, das unter dem Titel Kulturzeichen Kitzinger Land 2015-2019 einen zunächst auf fünf Jahre angelegten Veranstaltungszyklus vorsah, der das kulturelle Erbe der Region durch zeitgenössische künstlerische Interventionen in seiner Bedeutung für die Gegenwart erlebbar machen und sichtbare Zeichen – »Kulturzeichen« – setzen sollte. Seit 2015 wird dieses Konzept gemeinsam mit der externen Kulturagentur umgesetzt, die auch das prämierte Konzept entwickelt hat.4 Bemerkenswert ist rückblickend und vor allem im überregionalen Vergleich die Herangehensweise, einen offenen Kreativwettbewerb auszuschreiben, um vorhandene Potenziale mit »frischem Wind von außen« zu beleben, wie es in der Ausschreibung formuliert wurde. Noch allzu oft beschränken sich Vorhaben der kulturtouristischen Profilbildung auf den Einsatz klassischer Marketingstrategien und die Vergabe eines entsprechenden Beratungsauftrags. Und gerade von mittleren und kleineren Regionen werden kulturtouristische Potenziale, aufgrund der eingangs skizzierten fehlenden kulturellen Infrastruktur, bisher eher selten als regionale Alleinstellungsmerkmale strategisch genutzt. So haben nach mündlicher Auskunft des Regionalmanagements Kitzinger Land von 180 Projekten, die derzeit im Rahmen von Regionalmanagementstellen in Bayern durchgeführt werden, nur fünf Projekte einen dezidiert kulturellen Schwerpunkt.5 Zu ihnen 3
Bis 2011 führte der Landkreis Kitzingen bereits die Veranstaltungsreihe Kulturstationen durch, deren Schwerpunkt auf der Ausstellung Bildender Künstler aus der Region lag. Die Veranstaltung wurde mit vergleichsweise geringen Mitteln und großem ehrenamtlichen Engagement realisiert.
4
Siehe auch www.kitzinger-land.de/erleben/kunst-kultur/kulturzeichen (letzter Abruf: 26.03.2017). Alle Teilprojekte, die im Folgenden aufgegriffen und kurz beschrieben werden, sind auf dieser Website ausführlich dokumentiert.
5
Dabei wird gerade in jüngerer Zeit in zahlreichen Veröffentlichungen auf die positiven Effekte von Kultur für die Regionalentwicklung insgesamt hingewiesen. Der Rat
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zählen die Kulturzeichen Kitzinger Land, die als Leuchtturmprojekt beim Regionalmanagement Kitzinger Land angesiedelt sind. Seit 2015 profitiert das Projekt zudem von einer 60-prozentigen Förderung aus dem Bayerischen Programm zur Umsetzung von Projekten durch Regionalmanagement des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat, das insbesondere Projekte unterstützt, die »Zukunftsthemen der Landesentwicklung« wie die Entwicklung regionaler Kultur und Identität zum Ziel haben.6
D ER REGIONALE G RÜNDUNGSMYTHOS NARRATIVE K LAMMER
ALS
Den erzählerischen roten Faden der Kulturzeichen Kitzinger Land bildet die poetische Gründungssage um Hadeloga, einer Tochter Karl Martells. Als erste überlieferte Fürsprecherin legte Hadeloga 745 den Grundstein für das Werden der Region. Der Sage nach stand sie auf dem Schwanberg unweit der heutigen Stadt Kitzingen und war vom Anblick des Maintals derart verzaubert, dass sie die Gründung eines Klosters beschloss. Sie überließ ihren Schleier dem Wind, der ihn an das westliche Mainufer trug, wo er an einem Weinstock hängend vom Schäfer Kitz gefunden wurde. An dieser Stelle ließ Hadeloga das Kloster errichten, das den Ursprung der heutigen Stadt Kitzingen bildet. Unter dem Dach der Veranstaltungsreihe Kulturzeichen Kitzinger Land wird nun exakt diese ureigene Geschichte erzählt, wie sie eben für das Kitzinger Land und keine andere Region und Destination prägend ist. Die bis dahin – teilweise auch in der Bevölkerung – wenig bekannte Gründungssage wird wach gerufen und als Bestandteil der regionalen Identität in der Gegenwart interpretiert, sie zieht sich als verbindendes Narrativ durch den gesamten Veranstaltungszyklus und trägt nicht zuletzt damit zur Profilbildung der Region bei. Wie einst Hadelogas Schleier, markieren die Kulturzeichen (z.B. in Form von künstlerischen Installationen und Ausstellungen, Konzerten oder Tanzperformances) in den Veranstaltungsjahren das kulturelle Erbe der Region und machen ihre verborgenen naturräumlichen und historischen Potenziale sichtbar. Erst der Brückenschlag in die Gegenwart, die Verknüpfung mit aktuellen Fragestel-
der EU-Kulturminister fordert daher künftig eine durchgängigere Berücksichtigung der Kultur in der Regionalpolitik (vgl. dazu ausführlich Kopf 2016). 6
Siehe hierzu die 2014 aktualisierte Förderrichtlinie Regionalmanagement – FöRReg für das Bundesland Bayern www.regierung.unterfranken.bayern.de/aufgaben/3/6/ 00273/index.html (letzter Abruf: 17.03.2017).
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lungen, lässt jedoch die notwendige Relevanz für die Besucher entstehen. Mit den Mitteln der zeitgenössischen Kunst und durch die Verknüpfung historischer mit aktuellen Lebenswelten wird mit gewohnten Sichtweisen und Lesarten gebrochen und das kulturelle Erbe der Region Gästen und Bewohnern auf neue Art zugänglich gemacht. So startete der Veranstaltungszyklus 2015 mit einem Prologjahr unter dem Titel Schleierzeichen, das die Außensicht auf das Kitzinger Land thematisierte und der Frage auf den Grund ging, an welcher Stelle der Region Hadelogas Schleier wohl heute zu finden wäre. Künstler, die nicht aus der Region stammten, wurden eingeladen, wie einst Hadeloga die Stadt Kitzingen mit fremden Augen zu erkunden. Sie begaben sich auf die Suche nach dem jeweils aus ihrer Sicht besonderen Ort und hinterließen dort ihre Kulturzeichen. Mit Hadelogas Erben, so der Titel, entstand ein szenografischer Parcours, der den Stadtraum zur Bühne machte.7 Er führte Gäste und Bewohner durch die Stadt und bespielte historische Gebäude, aber auch verlassene Ladenlokale und markante Orte der Innenstadt (z.B. die Alte Mainbrücke), erlaubte einen neuen Blick auf scheinbar längst Gewohntes und setzte sich mit der Hadeloga-Sage im Hier und Heute auseinander: »Warum bin ich hier?«, »Welche Rolle spielen Schicksal und Zufall?« oder »Was ist Fremde und was Heimat?« Ganz bewusst wurde für das Prologjahr mit der Szenografie auf eine noch junge künstlerische Disziplin gesetzt.8 Als Gestaltungsdisziplin, deren Anliegen das räumliches Erzählen und die sinnliche Vermittlung von Geschichten und Inhalten ist, sollten durch ihren Einsatz unmittelbare und emotionale Zugänge für die Besucher geschaffen und klassische Barrieren der Kulturrezeption verringert werden.9 So bestand beispielsweise eine der erarbeiteten Installationen aus einer mehrere hundert Meter langen weißen Stoffbahn – in Anlehnung an den Schleier Hadelogas –, der scheinbar zufällig von der Alten Mainbrücke aus über den Bleichwasen wehte. Dort konnten Spaziergänger, Radfahrer, Wanderer oder Passanten den Schleier berühren, sich darin winden oder gar verstecken. Zusätzlich 7
Der Parcours wurde von Studierenden des Studiengangs Bühnenbild_Szenischer Raum der TU Berlin entwickelt. Im Mittelpunkt ihrer Arbeiten stehen insbesondere neue Formen der Raumgestaltung, die – so auch in Kitzingen – experimentell entwickelt und erprobt werden.
8
Zur Theorie und Praxis der Szenografie vgl. exemplarisch Bohn/Wilharm (2009) so-
9
Die Szenografie findet deshalb nicht zuletzt auch in Museen bei der Vermittlung von
wie Divjak (2012). (kulturhistorischen) Sammlungen zunehmend Einsatz. Zudem erfreut sie sich als unterstützendes Instrument zur Markenbildung und -positionierung zunehmender Beliebtheit bei großen Unternehmen und wird als solches auch von Regionalplanern und Tourismusakteuren allmählich entdeckt.
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erlaubte der Schleier im Zusammenspiel mit dem Wind immer wieder neue Perspektiven auf das gegenüberliegende Stadtpanorama.10 Nach dem Auftaktjahr, das die Hadeloga-Sage wach rufen sollte, fiel 2016 der Startschuss für weitere Themenjahre mit Schwerpunkt auf die kultur- und naturräumlichen Besonderheiten, die das Kitzinger Land prägen. Das Rahmenkonzept sieht dabei vor, die regionalen Themen Wein, Wasser und Gärten nacheinander künstlerisch in Szene zu setzen: Die Winzerorte und Weinberge, die ursprüngliche und reizvolle Flusslandschaft des Mains, der das Kitzinger Land quert, die herrschaftliche Parkanlagen und alten Bauerngärten wurden beziehungsweise werden nacheinander zur Inspirationsquelle und Bühne für zeitgenössische künstlerische Interventionen. So standen Orte und Themen der regionalen Weintradition im Mittelpunkt des Themenjahrs 2016 Weinzeichen: Ein Kunst-, Wort- und Tanzrausch für die Sinne: Poetry-Slammer und Improvisationskünstler berauschten sich an der Sprache (Wortrausch) und machten Winzerhöfe und Weinstuben zu ihrer Bühne. Eine eigens für die Weinzeichen adaptierte zeitgenössische Tanzperformance kam in der Gewölbearchitektur eines alten Weinkellers (Tanzrausch) zur Aufführung und erinnerte an die antiken Wurzeln von Spiel und Theater dessen Wurzeln im Kult um den Gott des Weines Dionysos liegen. Bildende Künstler wurden eingeladen, Arbeiten einzureichen, die sich mit der Tradition des Weines in der Region befassen oder allgemein Assoziationen zum Thema Wein aufgreifen (Kunstrausch) und sie mittels künstlerischer Techniken wie Malerei, Skulptur, Plastik, Grafik, Fotografie oder Neue Medien zugänglich zu machen. In den Jahren 2017 und 2018 folgen die Themenjahre Wasserzeichen11 und Gartenzeichen12, die den Main, seine zahlreichen Brücken, Anlegestellen und Schleusen sowie die herrschaftlichen Parks und romantischen Gärten der Region bespielen. Der Zyklus schließt im Epilogjahr 2019 mit einer Innensicht der Bewohner auf ihr Kitzinger Land. »Was ist Dein Kitzinger Land?« Geplant ist eine partizipative Ausstellung, die von der Bevölkerung aus allen Gemeinden im Kit-
10 Der szenografische Parcours ist in Text und Bild unter anderem auf der Website des Magazins PLOT dokumentiert. Siehe www.plotmag.com/blog/2015/08/kitzinger_ land/ (letzter Abruf: 26.03.2017). 11 Im Rahmen der Wasserzeichen werden über mehrere Wochenenden hinweg Kulturschiffe den Main befahren, auf welchen sich Beatboxer, Schauspieler, Dichter und Musiker kreativ mit dem Element Wasser auseinandersetzen werden. Eine Klangkünstlerin wird zudem die Wasser- und Flusslandschaft des Kitzinger Lands akustisch nachzeichnen und für die Besucher in mobile Hörstationen erlebbar machen. 12 Die Detailplanung für das Themenjahr Gartenzeichen beginnt im Herbst 2017.
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zinger Land gemeinsam kuratiert wird. So wird die Geschichte der Region zum Abschluss aus einer Binnenperspektive neu und zeitgenössisch erzählt.
E RFOLGSFAKTOREN DER K ULTURZEICHEN K ITZINGER L AND Mit den Kulturzeichen Kitzinger Land wurde eine kulturelle Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, die nicht nur zur kulturtouristischen Profilierung beiträgt, sondern ihrem Selbstverständnis nach auch identitätsstiftend und gemeinschaftsbildend nach innen wirkt und die politisch vielfach eingeforderte zivilgesellschaftliche Teilhabe befördert. Dabei waren der konkrete Bezug zu den topografischen und (kultur-)historischen Besonderheiten der Region sowie ein partizipativer Ansatz in der künstlerisch-kulturellen Ausgestaltung grundlegende Parameter, die nachhaltig zu einer erfolgreichen Einführung der Veranstaltung beigetragen haben. Gleichwohl erforderte die praktische Umsetzung des Konzepts an vielen Punkten gewohnte Pfade zu verlassen und mit traditionellen Formaten der Kulturpräsentation und -rezeption zu brechen. »Kreativität ist gefragt, Mut zu neuen Ideen und keine Angst vor dem Querdenken.« Diese im Ausschreibungstext formulierte Aufforderung wurde daher in mehrfacher Hinsicht richtungsweisend für das Konzept der Kulturzeichen Kitzinger Land: Partizipation und Unterhaltung sind erlaubt Der Herausforderung, Gäste und Einwohner der Region gleichermaßen anzusprechen, begegnet das Konzept, indem es konsequent auf zeitgenössische Kulturformate setzt, bei welchen nicht allein der ernste Kulturgenuss im Vordergrund der Veranstaltungen steht (vgl. dazu auch den Beitrag von Armin Klein in diesem Sammelband). Vielmehr sollen die Kulturerlebnisse anregen, Freude bereiten, zur Geselligkeit einladen, unterhalten und gleichzeitig neue Blickwinkel eröffnen. Ein Poetry-Slam, bei welchem das Publikum bei einem Glas Wein seinen Dichterfürsten kürt, eine Matinee mit Improvisationstheater, bei der das Publikum den Regisseur gibt: Die Veranstaltungsformate brechen mit klassischen Rezeptionsmustern, indem die Besucher von reinen Rezipienten zu Akteuren werden, die das Geschehen aktiv mitgestalten. Teilprojekte der Kulturzeichen Kitzinger Land ermutigen die Bewohner der Region ferner bereits im Vorfeld zur Teilhabe, die Bewohner sollen die Gelegenheit bekommen, ihre Region
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kulturell aktiv mitzugestalten.13 So entsteht ein Austausch auf Augenhöhe, der Identifikation schafft und im Ergebnis auch für die Besucher zu einem nachhaltigeren Kulturerlebnis führt. Alltagsorte und Ausflugsziele werden zur Bühne Ganz bewusst setzt das Konzept zudem auf Spielorte außerhalb der ohnehin nur in begrenzter Anzahl vorhandenen institutionellen Kulturräume und macht am Ende so aus der Not eine Tugend. Ein alter Weinkeller, die Alte Mainbrücke in der Kitzinger Innenstadt, ein Ausflugsdampfer – die Kulturzeichen finden an vertrauten Alltagsorten statt, welche die Lebenswirklichkeit der regionalen Bevölkerung prägen und somit etwaigen Schwellenängsten vorbeugen. Gleichzeitig gelingt die Sichtbarmachung und Nutzung naturräumlicher und kultureller Besonderheiten in situ besonders gut.14 Unterschiedliche Motivlagen rund um den Natur- und Kulturgenuss lassen sich so ideal miteinander kombinieren. Die niederschwellig angelegten Programformate sowie ein hoher Anspruch an die künstlerische Qualität stehen dabei in keinem Widerspruch zueinander. Vielmehr gelingt es innerhalb dieser offenen Formate auch traditionell eher kulturfernes Publikum an anspruchsvolle Kunstformen wie den zeitgenössischen Tanz heranzuführen.15
13 Im Prologjahr wurden die Bewohner der Region im Vorfeld der Schleierzeichen dazu aufgefordert, Wörter einzusenden, die für sie das Kitzinger Land charakterisieren. Die Lichtinszenierung ZeitSchichten verband diese aktuellen Innenansichten mit historischem Filmmaterial aus dem Kitzinger Land, das einst mit der Kamera eingefangen wurde. Die Installation wurde anschließend während der Schleierzeichen über mehrere Abende als Projektion auf dem historischen Marktturm der Stadt Kitzingen gezeigt. 14 Der Kunsthistoriker und Kurator Günther Moschig hat wiederholt auf die besondere Bedeutung des Verhältnisses von Kultur und ihrem Ort für die Qualität regionaler Kulturarbeit hingewiesen (vgl. Moschig 2008: 104 f.). 15 Eine im Rahmen der Weinzeichen aufgeführte zeitgenössische Tanzperformance war bei jeder Vorstellung bis auf den letzten Platz belegt und löste beim Publikum, das vielfach erstmalig mit zeitgenössischem Tanz in Berührung kam, große Begeisterung aus (vgl. hierzu auch die Rezension in der Mainpost vom 25.04.2016, siehe www.mainpost.de/regional/kitzingen/Kulturzeichen-haben-bdquo-Alle-Zeit-der-Weltldquo;art773,9203882 (letzter Abruf 26.03.2017)).
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Kulturakteure »im Huckepackverfahren« aktivieren Neben den eigens entwickelten Formaten umfasste beziehungsweise umfasst das Programm der einzelnen Veranstaltungsjahre schließlich Angebote verschiedener Kooperationspartner, die inhaltlich an das Rahmenthema anknüpfen. Der Aufbau eines entsprechenden Netzwerks regionaler (Kultur-)Akteure trägt nachhaltig zur Akzeptanz der neuen Veranstaltungsreihe in der Region bei.16 Als Schlüsselfaktor erwies sich hierbei nicht allein auf die (wenigen) vorhandenen klassischen Kultureinrichtungen (z.B. Museen und Galerien, Bibliotheken und Musikschulen) zu setzen, sondern auch Vereine, engagierten Einzelakteure und nicht zuletzt die regionale Gastronomie frühzeitig in den Planungsprozess mit einzubeziehen. Kommunikation jenseits der herkömmlichen Instrumente denken Jenseits der inhaltlichen Ausgestaltung des Konzepts sind kreative Lösungen zum Beispiel auch mit Blick auf strukturelle Herausforderungen gefragt, die wiederum typisch für ländliche Räume sind (z.B. eingeschränkte Anbindung an den ÖPNV, begrenzte Kommunikationsmöglichkeiten neben der Lokalpresse, etwa in Form von Litfaßsäulen und anderen Plakatierungsmöglichkeiten, FlyerAuslagen etc.). Deshalb entschied man sich bisher beispielsweise für eine Kommunikationsstrategie, die sich nicht auf die klassischen (und kostenintensiven) Werbemedien und Marketinginstrumente beschränkte, sondern zusätzliche Aufmerksamkeit über ungewöhnliche Aktionen im Vorfeld schaffte. So erzeugten etwa die Aufbauarbeiten für den szenografischen Parcours im Stadtraum bereits im Vorfeld des eigentlichen Beginns der Schleierzeichen Aufmerksamkeit und Interaktion. Konstant wird zudem jahresübergreifend das Schaufenster eines Leerstands in unmittelbarer Nachbarschaft zum Landratsamt Kitzingen künstlerisch bespielt und gleichzeitig mit Veranstaltungsinformationen zu den Kulturzeichen Kitzinger Land bestückt.
16 Musste im Prologojahr zunächst noch Basisarbeit geleistet werden, haben sich für das anstehende Wasserzeichen-Jahr über 20 Partner mit Beiträgen rund um das Thema Wasser angemeldet.
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Veranstaltungen zeitlich und räumlich bündeln Als hilfreich erwies sich schließlich auch die räumliche und zeitliche Konzentration der Veranstaltungen, sowohl mit Blick auf die Veranstaltungskommunikation als auch um zusätzliche logistische Herausforderungen möglichst zu umgehen. Der Veranstaltungszeitraum begrenzt sich auf jeweils einige Wochenenden im Frühsommer. Dabei konzentrieren sich die Veranstaltungen eines Wochenendes räumlich jeweils auf eine Ortschaft innerhalb des Landkreises. So können die Besucher die verschiedenen Programmpunkte fußläufig erreichen und die Planung zusätzlicher Infrastrukturmaßnahmen, wie zum Beispiel eines ShuttleServices, entfällt. Nicht zuletzt schafft die zeitliche und räumliche Konzentration des Programms auch für überregionale Gäste attraktive Reiseanlässe in die verschiedenen Ortschaften der Region – insbesondere wenn ein Zusatznutzen durch Angebote zum Beispiel aus der Gastronomie entsteht.
K ULTUR (- TOURISMUS )
FÜR ALLE ?
Eine erste Zwischenbilanz der Kulturzeichen Kitzinger Land auf Grundlage von Auslastungszahlen sowie der allgemeinen Resonanz von Gästen, Touristikern sowie der lokalen Presse ermutigt den eingeschlagenen Weg weiterzugehen17. So konnte für die Veranstaltungen der Weinzeichen: Ein Kunst-, Wort- und Tanzrausch für die Sinne im vergangenen Jahr eine ideale Auslastung erzielt werden. Auch die Rückmeldung der bislang involvierten Kommunen war insbesondere im Weinzeichen-Jahr vielversprechend. Es zeichnet sich demnach nicht nur ein Zuspruch seitens der Bevölkerung ab, sondern auch aus den überregionalen Einzugsgebieten sind Zuwächse zu vernehmen. Eine systematische Evaluierung der Veranstaltungsreihe steht betontermaßen noch aus. Berücksichtigt man jedoch insbesondere die obigen Ausführungen zur konzeptionellen Ausrichtung der einzelnen Veranstaltungen in den Themenjahren, so stehen die Chancen nicht schlecht, dass es mittels der kulturtouristischen Veranstaltungsreihe Kulturzeichen Kitzinger Land mittelfristig gelingen kann, Besucher zu binden, die regulär
17 Zur Rezeption der Kulturzeichen Kitzinger Land in der Lokalpresse sowie auf regionalen Hörfunk- und TV-Sendern siehe exemplarisch: www.mainpost.de/regional/ kitzingen/Vinotheken;art773,9186271 (letzter Abruf: 23.03.2017), www.tvtouring.de/ mediathek/video/kulturzeichen-2016-wein-und-wortrausch-in-iphofen (letzter Abruf: 23.03.2017), www.infranken.de/regional/kitzingen/Kunst-und-Wort-bis-zum-Rausch; art218,1778139 (letzter Abruf: 23.03.2017).
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nicht zum traditionellen Publikum von Kultureinrichtungen zählen. Damit könnte auch in einer ländlich geprägten Destination »Kultur(-tourismus) für alle« Realität werden.
L ITERATUR Bohn, Ralf/Wilharm, Heiner (2009): Inszenierung und Ereignis. Beiträge zur Theorie und Praxis der Szenografie, Bielefeld. Deutscher Tourismusverband e.V. (DTV) (2005): Natur – Erlebnis – Angebote. Entwicklung und Vermarktung. Leitfaden, Bonn. Siehe www.dtvkundencenter.de/shop.php?ses=91b82187ba7ff9e84e57039c84def645&prog =90000000&spgid=5.11.0 (letzter Abruf: 24.03.2017). Deutscher Tourismusverband e.V. (DTV) (2006): Städte- und Kulturtourismus in Deutschland, Langfassung, Bonn. Siehe www.deutschertourismusverband. de/fileadmin/Mediendatenbank/PDFs/Staedtestudie_Langfassung.pdf (letzter Abruf: 07.03.2017). Divjak, Paul (2012): Integrative Inszenierungen. Zur Szenografie von partizipativen Räumen, Bielefeld. Institut für Museumsforschung (2016): Statistische Gesamterhebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2015, Berlin. Siehe www.smb.museum/fileadmin/website/Institute/Institut_fuer_Museumsforsch ung/Publikationen/Materialien/mat70.pdf (letzter Abruf 07.03.2017). Kopf, Xenia (2016): »Hemmschuh oder Motor? Kunst und Kultur in der EURegionalförderung«, in: Lang, Siglinde (Hg.): Ab in die Provinz! Rurale Kunst- und Kulturinitiativen als Stätten kultureller Mitbestimmung, Wien, S. 25-33. Landkreis Kitzingen (2013): Kitzinger Land kreativ. Offener Konzeptwettbewerb für eine kulturtouristische Veranstaltung im Kitzinger Land 2013/14, Ausschreibung vom 15.11.2013, Kitzingen. Moschig, Günther (2008): »Lokale Kulturarbeit an der Peripherie«, in: Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Kultur (Hg.): Freie Tiroler Kunstszene, Innsbruck, S. 104-105. Moser, Anita (2016): »Zeitgenössische Kulturarbeit in ländlichen Räumen Österreichs. Bedingungen, Potenziale, kulturpolitische Forderungen«, in: Lang, Siglinde (Hg.): Ab in die Provinz! Rurale Kunst- und Kulturinitiativen als Stätten kultureller Mitbestimmung, Wien, S. 35-47. Pröbstle, Yvonne (2016): »Was kann und was braucht der Kulturtourismus? Fragen an und Antworten von Kulturakteuren«, in: KM-Magazin, Kultur und
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Management im Dialog, Schwerpunkt Kulturtourismus, Nr. 110, 02.2016, S. 6-13. Siehe www.kulturmanagement.net/frontend/media/Magazin/km1602. pdf (letzter Abruf: 23.02.2017).
Filmtourismus – Vom Reisen an den Original-Drehort S TEFAN R ÖSCH
K INOFILME
UND
TV-S ERIEN
ALS
R EISESTIMULUS
Der Einfluss fiktionaler Filmproduktionen auf das Reiseverhalten Filmtourismus ist kein neues Phänomen. Schon in den 1930er Jahren zog die Ausstrahlung des Films Meuterei auf der Bounty (1935) einen unerwarteten Besucherstrom auf die kleine Südpazifikinsel Tahiti nach sich. Der Grundstein des filminduzierten Reisens wurde jedoch erst in den 1950er und 1960er Jahren durch Produktionen wie Niagara (1953), Über den Dächern von Nizza (1955), Die Brücke am Kwai (1958) und Lawrence von Arabien (1962) gelegt (Bee 1999). Der erste filmtouristische Blockbuster war jedoch zweifelsfrei der USamerikanische Musical-Film The Sound of Music aus dem Jahr 1965: Heutzutage besuchen noch immer rund 300.000 Gäste jährlich die Stadt Salzburg und deren Umland, um die Schauplätze des Films zu erleben (König 2014). Die Tatsache, dass fiktionale Filmproduktionen1 einen Zuwachs an Besuchern zu den porträtierten Drehorten nach sich ziehen können, wurde erstmals im Jahr 1992 wissenschaftlich näher analysiert (Riley/Van Doren 1992). Die Autoren beschränkten sich in ihrer Untersuchung allerdings auf Örtlichkeiten, für die gesicherte Besucherdaten aufgrund eines kontrollierten Besucherzugangs vorlagen. Die Erhebung solcher Daten auf nationaler Ebene ist ungleich schwieriger, jedoch nicht unmöglich. Eine Umfrage von VisitBritain im Jahr 2010 unter internationalen Touristen ergab, dass für rund 40 Prozent der Befragten fiktiona-
1
Die Begrifflichkeit »fiktionale Filmproduktionen« umfasst in diesem Beitrag sowohl Kinofilme als auch TV-Serien.
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le Filmproduktionen einen bedeutenden Faktor für die finale Reiseentscheidung darstellen (VisitBritain 2010). In Irland lag dieser Anteil im gleichen Jahr immerhin bei 20 Prozent (Millward Brown Lansdowne 2010). Eine Langzeitstudie aus den Jahren 2011 bis 2014 hat ergeben, dass 5 Prozent aller Touristen weltweit durch Filme und TV-Serien zu ihrer Reise inspiriert wurden (HenryBiabaud 2015). Für das Destinationsmarketing bieten fiktionale Filmproduktionen eine Reihe an Vorteilen gegenüber herkömmlichen Werbeträgern. Kinofilme und TV-Serien werden als autonome Imageagenten bezeichnet und weisen somit eine hohe Glaubwürdigkeit auf. Zudem garantieren sie zumeist eine hohe Marktdurchdringung. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass Filmproduktionen nicht als direktes Verkaufsinstrument wahrgenommen werden, sondern die Botschaft vielmehr auf indirekte Art übermittelt wird2 (Gartner 1993). Die Platzierung von Schauplätzen in Film und Fernsehen, auch als Location-Placement bezeichnet, ist daher ein ideales Mittel, Werbebotschaften emotional zu verpacken und sich zugleich von Konkurrenten abzuheben. Das Goldene Zeitalter des Fernsehens Seit Mitte der 2000er Jahre kann ein deutlicher Anstieg bei der Produktion qualitativ hochwertiger und mit üppigem Budget ausgestatteter TV-Serien verzeichnet werden. Die Filmbranche bezeichnet diese neue Ära daher auch als »Das Goldene Zeitalter des Fernsehens« (Renner 2016). Der Grund für diese Zunahme liegt im wachsenden Konkurrenzkampf auf dem US-amerikanischen Markt zwischen den etablierten Kabel- beziehungsweise Pay-TV-Sendern und den vergleichsweise neuen Streaming- und Downloaddiensten, wie beispielsweise Netflix und Amazon.3 Unter diesen Rahmenbedingungen hat sich auch der globale TV-Tourismus in den letzten zehn Jahren überaus positiv entwickelt. Populäre Serien wie Lost (2004-2010), Breaking Bad (2008-2013), Downton Abbey (2010-2015), Game of Thrones (seit 2011) und Outlander (seit 2014) haben einen ungeahnten Besucherboom zu so manchem Drehort ausgelöst. Der filmtouristische Erfolg solcher Serien liegt in erster Linie an der periodischen Ausstrahlung einer Serie, was demzufolge auch dem Location-Placement dient. Zudem lassen TV-Serien der Entwicklung der Charaktere viel mehr Raum, was diese stärker an das Publikum bindet. Für die Tourismusindustrie ergibt sich ein weiterer Vorteil, indem TV-
2
= Below-the-line-Werbung.
3
Siehe http://drama-blog.de/das-goldene-Zeitalter (letzter Abruf: 19.03.2016).
FILMTOURISMUS – V OM R EISEN AN DEN O RIGINAL -DREHORT
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basiertes Destinationsmarketing mit dem wachsenden Erfolg der Serie kontinuierlich ausgebaut werden kann. Hinzu kommt, dass jede neue Staffel in der Regel auch neue Drehorte beinhaltet, was das Produktportfolio einer Filmdestination nochmals erweitert (Rösch 2014). Wie sehr TV-Serien dem klassischen Kino filmtouristisch mittlerweile den Rang ablaufen, zeigt eine internationale Umfrage aus dem Jahr 2015, für die 2.000 Teilnehmer zu deren Lieblingsdrehorten befragt wurden. Unter den zehn ersten Plätzen befinden sich mit New York (Sex and the City, 1998-2004), County Antrim in Nordirland (Game of Thrones), West Bay in Dorset, England (Broadchurch, seit 2013), Island (Game of Thrones) und Malta (Game of Thrones) gleich fünf Schauplätze populärer Serien (Western Daily Press 2015).
F ILMTOURISTISCHES D ESTINATIONSMARKETING Kinofilme und TV-Serien als Werbeträger Der Erfolg filmtouristischen Destinationsmarketings hängt im Wesentlichen von drei entscheidenden Faktoren ab: einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit den Filmproduzenten, den tourismus-induzierenden Eigenschaften des Films beziehungsweise der TV-Serie und dem zur Verfügung stehenden Marketingbudget. Darüber hinaus ist die Kreativität der involvierten Akteure gefragt, eine Botschaft zu übermitteln, die eine möglichst emotionale Brücke zwischen der Filmproduktion und den zugehörigen Drehorten schlägt. In manchen Fällen wird es den Tourismusmanagern relativ einfach gemacht, eine solche Verbindung zu etablieren: So findet zu Beginn des Kinofilms Paddington (2014) eine Begegnung zwischen einem britischen Naturforscher und einer Familie intelligenter Bären im Dschungel von Peru statt. Kurzerhand lädt der verdutzte Zoologe die Bären in seine Heimatstadt mit folgenden Worten ein: »If any of you ever make it to London, you can be sure of a very warm welcome.« (STUDIOCANAL 2014) Noch idealer ist es, wenn der Titel der Filmproduktion bereits eine konkrete Verortung eines oder mehrerer Handlungsschauplätze enthält. Zu nennen wären hier Filme wie Notting Hill (1999), Vicky Cristina Barcelona (2008) oder Midnight in Paris (2011). Auch der Film Brügge sehen…und sterben? (2008) reiht sich zweifelsohne in diese Aufzählung mit ein, wäre da nicht das vermeintliche Problem, dass dessen Inhalt ein negatives Bild auf die belgische Stadt werfen könnte. Immerhin handelt es sich bei dem Protagonisten um einen Killer, der nach einem Mord an einem Priester Zuflucht in Brügge sucht, wo seine Probleme jedoch erst so rich-
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tig beginnen. Die Touristiker der Stadt haderten jedoch keineswegs mit der brutalen Handlung, sondern erkannten vielmehr die Chance, Brügge einem weltweiten Publikum bekannt zu machen. Drehorttouren wurden konzipiert, zudem wurde eigens ein neuer Plan der Innenstadt illustriert, der sämtliche Schauplätze aus dem Film verortet (Broadbent 2015). An dieser Stelle sei angemerkt, dass Brügge sehen…und sterben? nur eines von zahlreichen weiteren Beispielen dafür ist, dass fiktionale Filmproduktionen mit für eine Destination vermeintlich negativen Inhalten durchaus tourismusfördernde Wirkungen haben können. Dies war unter anderem der Fall im Zusammenhang mit den Produktionen The Blair Witch Project (1999), Wolf Creek (2005) oder Breaking Bad, die allesamt positive Auswirkungen auf den Tourismus vor Ort hatten (Fiore 2010, Kelly 2013, Wilson 2014). Die zuletzt angeführten Beispiele zeigen jedoch auch die Problematik auf, die mit der touristischen Verwertung von fiktionalen Filmproduktionen einhergeht. In der Regel hat die Tourismusbranche keinerlei Kontrolle über den Inhalt der Werbebotschaft, da die Produktionsfirmen in den allermeisten Fällen alle Versuche der externen Einflussnahme auf Drehbuch, Handlung, Darstellerbesetzung oder Auswahl der Drehorte rigoros ablehnen. Aus der Perspektive der Filmindustrie ist dies nur zu verständlich, da es sich bei Filmen und TV-Serien trotz des hohen Geschäftsrisikos nach dem allgemeinen Verständnis um eigenständige künstlerische Werke handelt. Umso größer war der öffentliche Aufschrei, als bekannt wurde, dass der mexikanische Staat den beiden Filmstudios Sony Pictures Entertainment und Metro-Goldwyn-Mayer einen Betrag in Höhe von 20 Millionen US-Dollar offerierte, damit diese im Gegenzug gewisse Änderungen an der Rollenbesetzung und der Ausgestaltung zweier Filmcharaktere im James-Bond-Film Spectre (2015) vornehmen würden (Allen 2015). Die konkreten Forderungen lauteten, die Nationalität des mexikanischen Bösewichts in der vierminütigen Eröffnungssequenz des Films, welche in Mexiko-Stadt gedreht wurde, zu ändern. Ferner wurde darum gebeten, zu Beginn eine mexikanische Schauspielerin als Bond Girl auftreten zu lassen sowie die moderne Skyline der Millionenmetropole in einigen der Szenen prominent hervorzuheben (ebd.). Letztlich erhofften sich die Offiziellen, mit Hilfe dieser Anpassungen MexikoStadt in einem positiveren Licht darstellen zu können. Der vielbeachtete Vorgang macht deutlich, in welche monetäre Dimensionen mittlerweile manche Länder und Regionen vorstoßen, um Filmproduktionen mit Hilfe von Förderprogrammen, Steuernachlässen und direkten Zuschüssen anzuziehen. Das Kalkül hinter dieser Strategie lautet, dass durch Dreharbeiten vor Ort sowohl unmittelbare oder primäre Effekte als auch mittelbare beziehungsweise sekundäre Effekte zum Tragen kommen, von denen die betreffende Region je-
FILMTOURISMUS – V OM R EISEN AN DEN O RIGINAL -DREHORT
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weils profitieren kann. Die primären Effekte umfassen sämtliche direkten Ausgaben der Produktionsfirma im Rahmen der Dreharbeiten, während sich die sekundären Effekte auf die filmtouristischen und medialen Nachwirkungen beziehen. Die direkte Filmförderung schreibt in der Regel einen Regionaleffekt in Höhe von mehreren hundert Prozent vor. Dies bedeutet, dass auf jeden Euro öffentliches Fördergeld eine Ausgabe von mehreren Euro innerhalb der Förderregion durch die Produktionsfirma entfällt. In Österreich beispielsweise beträgt dieser Hebel eins zu acht (Bohrer 2016). Gesteuert wird der Förderprozess in der Regel von der jeweils zuständigen Filmkommission. Die Aufgabe der nachhaltigen Nutzung der sekundären Effekte obliegt jedoch den verantwortlichen Tourismusorganisationen. Der Einsatz von eigenen Budgets lohnt sich hier besonders, da der PR-Gegenwert im Vergleich zum Mitteleinsatz den Faktor 15 bis 20 erreichen kann (VisitBritain 2009). Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass immer mehr Tourismusorganisationen massiv in filmtouristische Kampagnen investieren, wie die drei folgenden Fallbeispiele verdeutlichen. »Bond is Great Britain« Im Jahr 2011 wurde seitens der britischen Regierung eine neue nationale Marketingstrategie ins Leben gerufen. Die Kampagne erhielt den Claim »Britain is Great« und sollte bereits ein Jahr vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in London das Land als internationalen Standort in den Bereichen Wirtschaft, Tourismus und universitäre Ausbildung bewerben. Der nationalen Tourismusorganisation VisitBritain wurde ein Budget in Höhe von 100 Millionen britischen Pfund zugeteilt, um entsprechende touristische Werbemaßnahmen in ausgewählten Märkten durchführen zu können (VisitBritain 2016). Die drei Hauptziele der touristischen Kampagne lauteten, die Attraktivität Großbritanniens als Reiseziel für potenzielle Erstbesucher zu steigern, die Wiederbesuchsrate zu erhöhen und in Kollaboration mit Unternehmen konkrete Anlässe für eine Reiseentscheidung zu schaffen. Aufgrund des großen Erfolges der Maßnahmen entschied die Regierung im Dezember 2013, die Kampagne bis ins Jahr 2016 zu verlängern (ebd.). VisitBritain hatte schon in den 90er Jahren die Wirkung von Film und Fernsehen als Impulsgeber auf die Reiseentscheidung erkannt. In einer Umfrage im Jahr 1995 wurde dieser Sachverhalt durch jeden fünften internationalen Besucher bestätigt (Grihault 2003). Der erste vorsichtige Schritt im filmtouristischen Destinationsmarketing von VisitBritain war die Publikation einer Drehortkarte, die derart reißenden Absatz fand, dass mehrere Nachdrucke folgten (Beeton 2005). In späteren Jahren wurden weitere Drehortkarten aufgelegt, deren Inhalt
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zum Teil auf einzelne Filme und TV-Serien fokussiert war, darunter zur Filmreihe Harry Potter (2001-2011) und zu Elizabeth – Das goldene Königreich (2007). Selbst eine spezielle Karte zu ausgewählten Bollywood-Drehorten wurde seinerzeit aufgelegt. Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung der touristischen Werbung wurden die Drehortkarten auch vermehrt online zur Verfügung gestellt. Aktuell werden sämtliche für den Tourismus interessante Filmproduktionen auf VisitBritains digitaler Plattform LoveWall vorgestellt.4 Im Zuge der zunehmenden Konzentration auf das Thema Filmtourismus begann VisitBritain nach der Jahrtausendwende umfassende internationale Destinationskampagnen zu ausgewählten Filmproduktionen zu konzipieren. Der Film The Da Vinci Code – Sakrileg (2006) machte den Anfang, danach folgten Kampagnen im Rahmen der Publikumserfolge Sherlock Holmes (2009), Robin Hood von Ridley Scott (2010), Paddington (2014) und Minions (2015) (Mihova 2016). Selbstverständlich darf in dieser Aufzählung Großbritanniens Filmheld und Topagent 007 nicht fehlen. Ein Quantum Trost aus dem Jahr 2008 war der erste James-Bond-Film, für den VisitBritain mit dem Verleiher Sony Pictures eine Vereinbarung zur gemeinsamen Vermarktung einging. Während Sony Pictures eine Reihe an Verwertungsrechten zusicherte, darunter die Verwendung der Wortbildmarke James Bond und des konkreten Films, den Einsatz des Trailers und die Nutzung 20 ausgewählter Standbilder aus dem Film auf sämtlichen Werbematerialien, sicherte VisitBritain dem Filmstudio zu, den Film auf diversen organisationseigenen Distributionskanälen zu platzieren (VisitBritain 2009). Die Kampagne erreichte 35 internationale Märkte und generierte Werbeäquivalenzwerte in Höhe von 6,75 Millionen britischen Pfund. Deren globaler PR-Wert betrug gar 11,7 Millionen britische Pfund (ebd.). Angestachelt von diesem Erfolg ging VisitBritain im Rahmen der Produktion von Skyfall (2012) erneut eine strategische Partnerschaft mit Sony Pictures ein. Die Werbeäquivalenzwerte der implementierten Kampagne »Bond is Great Britain« beliefen sich auf 3,2 Millionen britische Pfund, der des globalen PR-Werts für Großbritannien summierte sich auf 36 Millionen britische Pfund. Insgesamt wurden dadurch 653 Millionen Durchschnittskontakte erreicht (VisitBritain 2015). Die Nachbereitung ergab zudem, dass 16 Prozent derjenigen, die sich an die Kampagne erinnerten, im Nachgang tatsächlich eine Reise nach Großbritannien gebucht hatten. Weitere 33 Prozent gaben an, dass sie ernsthaft mit dem Gedanken spielen würden, innerhalb der nächsten drei Jahre nach Großbritannien zu reisen, und das Tal von Glen Coe in Schottland, einer der Hauptdrehorte,
4
Siehe http://lovewall.visitbritain.com/de/14/film-und-tv (letzter Abruf: 19.10.2016).
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verzeichnete im Folgejahr der Filmpremiere ein Besucherplus von 41,7 Prozent (ebd.). In Zusammenarbeit mit Sony Pictures Entertainment und Metro-GoldwynMayer Studios startete VisitBritain im Oktober 2015 die jüngste FilmtourismusKampagne zum neuen James Bond-Film Spectre (2015) mit dem Ziel, Fans in über 70 Ländern für einen Trip in die Heimat von Bond zu begeistern. Die Maßnahmen umfassten einen Mix aus klassischer Außenwerbung, sowie Print-, Digital- und Social-Media-Werbung. Zudem wurde ein globales Gewinnspiel durchgeführt, deren Gewinner zu einem exklusiven Drehorterlebnis nach London eingeladen wurden. Die genauen Evaluierungsergebnisse zur Kampagne lagen zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags noch nicht vor, es kann jedoch laut VisitBritain davon ausgegangen werden, dass die Werbeäquivalenz- und PR-Werte diejenigen der vorherigen Bond-Kampagnen noch übertreffen werden (Wilkinson 2016). Die Heimat von Mittelerde Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten der Herr der Ringe-Trilogie (2001-2003), die im Zeitraum Oktober 1999 bis Ende Dezember 2000 stattfanden, ahnte man in der neuseeländischen Öffentlichkeit noch nicht, welche Dimension die globale Aufmerksamkeit auf das kleine Land im Pazifik annehmen würde. Die neuseeländische Regierung beschloss trotz mangelnder Erfahrungswerte, insgesamt 9 Millionen Neuseeland-Dollar zur Verfügung zu stellen, um eine umfassende Tourismus-Kampagne ins Leben zu rufen (Clark 2001). Mit der Produktionsfirma New Line Cinema wurde verhandelt, für bestimmte Maßnahmen offizielles Film- und Marketingmaterial einsetzen zu dürfen, darunter auch die Verwendung des Claims »New Zealand – Home of Middle-Earth«, welcher sich inzwischen nachhaltig etabliert hat. Die Kampagne, die mit Unterbrechungen von 2001 bis 2004 durchgeführt wurde, umfasste eine große Bandbreite an Einzelmaßnahmen, darunter die Schaltung eines interaktiven Mittelerde-Moduls auf der Website von Tourism New Zealand, die Dekoration von vier Air New Zealand-Flugzeugen mit Filmmotiven und Porträts der Hauptdarsteller, sowie die Organisation der Weltpremiere von Die Rückkehr des Königs in Wellington im Dezember 2003 (Investment New Zealand 2004). Der PR-Wert der beiden ersten Filme allein wurde mit 41 Millionen US-Dollar beziffert (Yeabsley/Duncan 2002). Im Rahmen der Produktion und Veröffentlichung der Hobbit-Trilogie (20122014) ging Tourism New Zealand wiederum eine Allianz mit dem verantwortlichen Filmstudio Warner Bros. Entertainment ein, um das touristische Erbe des
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Herrn der Ringe langfristig zu erhalten. Die Eckpunkte der implementierten Vermarktungsstrategie bildeten ein aufwändig produzierter Imagefilm, die Entwicklung eines interaktiven Mittelerde-Tools auf www.tourismnewzealand.com, eine breit angelegte PR-Offensive und die Dekoration von zwei Air New Zealand-Jets mit Filmmotiven. Die Stadt Wellington durfte zudem erneut eine Weltpremiere ausrichten und feierte die Erstveröffentlichung des ersten HobbitTeils Eine unerwartete Reise (2012) mit dem passenden Slogan Middle of Middle-Earth. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Filmproduktion zuvor massive Steuererleichterungen in Höhe von 25 Millionen NeuseelandDollar erhalten hatte, damit diese nicht ins Ausland abwandern würde (Brooks 2010). Die nachhaltigen touristischen Effekte der beiden Mittelerde-Trilogien sind nicht minder beeindruckend als die wirtschaftlichen Erfolge der Filme selbst. In einer Umfrage potenzieller Neuseeland-Urlauber aus dem Jahr 2003 erklärten 57 Prozent der Befragten, dass die Herr der Ringe-Filme ihre Reisebereitschaft nach Neuseeland grundsätzlich erhöht hätte. Acht Prozent der im gleichen Zeitraum vor Ort befragten internationalen Touristen gaben an, dass die Filme ein entscheidender Impuls für die Reiseentscheidung gewesen waren (Tourism New Zealand 2003). Im Jahr 2013 waren die Hobbit-Filme bereits für 14 Prozent der internationalen Touristen ein Hauptgrund, um Neuseeland zu bereisen (Tourism New Zealand 2014). Der Drehorttourismus im Land stieg mit den Jahren entsprechend massiv an. Inzwischen nehmen 22 Prozent aller internationalen Touristen ein Drehortprodukt wahr (Blackstock 2015). Die Besucherzahlen des Filmsets Hobbingen, das seit Beendigung der Dreharbeiten für die HobbitTrilogie im Rahmen einer geführten Tour zugänglich ist, vervielfachten sich von 11.500 im Eröffnungsjahr 2003 auf 360.000 im Jahr 2015 (Tenbrock 2005, Fletcher 2015). Mittlerweile hat sich das Filmset zu einer der wichtigsten Touristenattraktionen des Landes entwickelt. Zusätzlich zum Besuch von Hobbingen können Filmfans aus rund einem Dutzend geführter Tages- und Halbtagestouren auswählen oder die Ausstellung der Weta Cave in Wellington besuchen, die Original-Requisiten zeigt und filmspezifische Souvenirs anbietet. In einem benachbarten Gebäude bietet die Spezialeffekte-Schmiede Weta Workshop zudem eine Tour durch einen kleinen Teil des Unternehmens an, um einen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen. Seit einigen Jahren wird auch mit dem Gedanken gespielt, in Neuseelands Hauptstadt eine weitläufige Mittelerde-Themenwelt zu errichten, was bisher jedoch an wirtschaftlichen Überlegungen gescheitert ist (Taylor 2012).
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Nordirland und Game of Thrones Was das Fan-Engagement angeht, ist Game of Thrones (seit 2011) eine der populärsten TV-Serien aller Zeiten: Jede Folge wird im Schnitt von über 18 Millionen Zuschauern verfolgt (Lightbody/Webb 2015). Trotz der Tatsache, dass alle Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige filmtouristische Entwicklung gegeben sind, hat der dortige öffentliche Tourismussektor erst seit kurzem erkannt, welche Chance die TV-Serie für die weitere Entwicklung der Destination bedeutet. Hierzu muss angemerkt werden, dass Belfast das Hauptquartier des Produktionsstudios HBO ist, und demzufolge Nordirland auch über eine große Anzahl von bereits genutzten Drehorten verfügt. Der Ansturm der Fans auf die Drehorte setzte jedoch schon im Folgejahr der Erstausstrahlung ein. Die Privatindustrie reagierte entsprechend schnell: Zwischen 2013 und 2015 wurden 20 neue Unternehmen ins Leben gerufen, die Game of Thrones-bezogene Produkte anbieten, von geführten Drehorttouren über abendliche Bankette bis hin zu körperlichen Aktivitäten wie Langbogenschießen und Reiten (ebd.). Die Arbeitsteilung unter den zuständigen öffentlichen Akteuren ist jedoch zum Teil nicht klar voneinander abgegrenzt, was eine gemeinsame Stoßrichtung aller involvierten Partner erschwert. Tourism Ireland ist zunächst zuständig für die internationale Vermarktung der gesamten Insel, bestehend aus der eigenständigen Republik Irland und Nordirland als Teil des Vereinten Königreichs. Tourism Northern Ireland hat im Grunde genommen die gleiche Aufgabe mit der Einschränkung, nur für Nordirland zuständig zu sein, wobei hier noch die Aufgabenbereiche der Produktentwicklung und der Qualitätssicherung hinzukommen. Zusätzlich engagiert sich auch noch Northern Ireland Screen, die nordirische Filmkommission, in der filmtouristischen Vermarktung Nordirlands (Locke/Twomey 2016). Erst im Jahr 2014, drei Jahre nach Erscheinen der ersten Folge, gestaltete Tourism Ireland mit dem Einverständnis von HBO eine internationale Destinationskampagne rund um die TV-Serie. Diese fußte auf mehreren Maßnahmen. Zunächst wurden Fotos ausgewählter Drehorte mit Schlagworten beworben, die an Game of Thrones angelehnt waren, wie beispielsweise »A Holiday that won’t cost you an arm and a leg« (Drehort: Knockdhu, Co. Antrim) oder »Views do die horribly for« (Drehort: Ballintoy, Moyle, Co. Antrim) (Tourism Ireland 2015). Das so entstandene Bildmaterial wurde in eine umfangreiche SocialMedia-Kampagne integriert. Diese erste Vermarktungsphase resultierte in einem Besucherzuwachs von zusätzlich 20.000 Gästen (ebd.). Ein Jahr später folgte die zweite Vermarktungsphase. Fotos von ausgewählten Drehorten wurden mit digitalen Westeros-Wegweisern versehen (s. Abb. 2)
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und über Social-Media-Kanäle verbreitet. Über einen Zeitraum von 14 Wochen wurden zudem gezielt Aktionen durchgeführt, um die Fantasiewelt von Westeros mit der realen Destination Nordirland zu vereinen. Auf einem Marktstand in Belfast wurden Dracheneier angeboten, die per Fernsteuerung kontrolliert wurden und bei Kundenkontakt anfingen sich zu bewegen. Vor dem Rathaus von Belfast tauchten zudem mehrere dreiäugige Raben5 auf, deren Fütterung »ausdrücklich verboten« war. An einem Strand wurden Fußspuren eines Riesen entdeckt und im Belfast Zoo konnte die neueste Anschaffung bestaunt werden – ein junger Drache, der soeben aus Westeros eingetroffen war. Die entsprechenden Videoclips erhielten über 4,5 Millionen Klicks auf Facebook, der PR-Wert der Kampagne betrug über 13 Millionen Euro (ebd.). Abbildung 1: Key Visuals der Game of Thrones-Kampagne von Tourism Ireland aus dem Jahr 2015
Mark Wesley
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Hierbei handelte es sich um »animatronics« in Original-Größe, die den Raben in der TV-Serie detailgetreu nachempfunden waren.
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Im gleichen Zeitraum schnürte Tourism Northern Ireland ein weiteres Maßnahmenbündel, darunter die Einrichtung einer filmspezifischen Website, die Gestaltung einer digitalen Drehortkarte und die zweimalige Durchführung einer Ausstellung mit Original-Requisiten in Zusammenarbeit mit HBO und Northern Ireland Screen (Lightbody/Webb 2015). Die aktuellste Maßnahme war die Programmierung einer App zu 21 ausgewählten Game of Thrones-Drehorten, die durch Northern Ireland Screen finanziert wurde.6 Eine Befragung nordirischer Tourismusunternehmer aus dem Jahr 2015 ergab, dass sich die TV-Serie deutlich (14 Prozent) beziehungsweise leicht umsatzsteigernd (23 Prozent) auf die eigenen Geschäfte auswirkte. 86 Prozent der befragten Unternehmer bescheinigten der Serie zudem, einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil gegenüber konkurrierenden Destinationen zu erzeugen (Millward Brown 2015). Inzwischen gibt es neue, weitreichende Pläne seitens Tourism Northern Ireland für zukünftige filmtouristische Werbemaßnahmen und Produkte. Mit der richtigen Strategie dürfte es jedenfalls durchaus realistisch sein, dank Game of Thrones innerhalb der nächsten fünf Jahre eine Besuchersteigerung von durchschnittlich 2 bis 3 Prozent pro Jahr zu erzielen.
V OM R EISEN
AN DEN
D REHORT
Die Zielgruppe »No two films can be as alike as two hamburgers sold by a large corporation.« (Cameron 2003: 114) Vor diesem Hintergrund ist auch die Tatsache zu sehen, dass filmtouristische Zielgruppen sehr heterogen sind, da jede Filmproduktion ihre eigene Anhängerschaft hat. Generell kann konstatiert werden, dass Filmtouristen ein großes Interesse an der Kultur der bereisten Destination signalisieren und an möglichst authentischen Erlebnissen teilhaben möchten. Filmtouristen sind zum überwiegenden Teil Individualreisende, die sich über das Internet intensiv auf ihre Reisen vorbereiten (Rösch 2009). Drehorte werden von Menschen fast jeglichen Alters besucht, allerdings ist die Mehrheit zwischen 20 und 50 Jahre alt (ebd.). Wie individuell ausgeprägt diese Form des Tourismus ist, zeigt sich auch in einer Studie aus dem Jahr 2005, für die Filmtouristen in mehreren Ländern und an Schauplätzen aus verschiedenen Filmen befragt wurden (Rösch 2007). 90
6
Siehe www.northernirelandscreen.co.uk/news/7123/northern-ireland-screenlaunchesgame-of-thrones-filming-locations-app.aspx (letzter Abruf: 22.03.2016).
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Prozent der Befragten gaben an, vor dem aktuellen Drehortbesuch noch nie einen Filmschauplatz besucht zu haben und dies in Zukunft vermutlich auch nicht vorhätten, mit der Ausnahme des Besuchs weiterer Drehorte zum gleichen Film (ebd.). Abgesehen davon gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen zunehmender Aufenthaltsdauer und erhöhter Wahrscheinlichkeit eines Drehortbesuchs, zudem sind die Ausgaben von Filmtouristen in der Destination meist höher als diejenigen anderer Besuchergruppen (VisitBritain 2006, Blackstock 2015). Eines ist jedoch allen Filmtouristen gemeinsam: der Wunsch, eine emotionale Verbindung zwischen der Fantasiewelt des Films und der realen Welt des Drehorts herzustellen. Erlebnis Drehort Der Besuch eines Drehorts ist sowohl eine stoffliche als auch eine innere Reise. Der Körper befindet sich an dem realen Ort, an dem bestimmte Szenen gedreht wurden, aber in der Vorstellung begibt man sich in die fiktionale Welt des Films (Rösch 2007). Diese Erkenntnis deckt sich mit der Aussage, dass touristische Örtlichkeiten durchaus auch in Form von metaphorischen beziehungsweise imaginären Räumen bestehen können (Crouch 1999). Je stärker die intrinsischen Motive der Filmtouristen ausgeprägt sind, desto intensiver sind die Versuche, eine Verbindung zur imaginären Filmwelt herzustellen. Dies erfolgt unter anderem durch mentale Visionen, das heißt das Abspielen der relevanten Szenen vor dem inneren Auge, sowie durch mentale Simulationen, also dem emotionalen Nachempfinden der Gefühlswelt ausgewählter Filmcharaktere. Mentale »reenactments« sind die extremste Ausprägung der inneren Reise, indem nicht nur die Emotionen der Filmcharaktere, sondern auch deren körperliche Aktionen nachempfunden werden (Rösch 2007). So hat der Autor beispielsweise selbst beobachten können, wie Fans der Sciene Fiction-Saga Star Wars an einem Drehort in Tunesien nicht nur die Empfindungen der Filmcharaktere Luke Skywalker und Obi Wan Kenobi mental simulierten, sondern auch körperlich nachstellten. In der folgenden Abbildung (Abb. 2) ist einer dieser Fans zu sehen, der dem Autor gegenüber folgende Aussage traf: »I did experience Luke Skywalker at the igloo with the sunset. I was living that moment.« (Ebd.: 238)
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Abbildung 2: Mentale Simulation und Reenactment eines Star-Wars-Fans an einem Drehort in Tunesien
Stefan Rösch
Während die innere Reise fast ausschließlich von Fans angetreten wird, sind die rein körperlichen Rituale einer Drehortbesichtigung bei fast allen Touristen zu beobachten. Die populärsten Aktionen sind hierbei das exakte Kopieren von Filmausschnitten mit der eigenen Fotokamera und das Nachstellen von Szenen, was entsprechend fotografisch dokumentiert wird. Besonders beliebt ist in diesem Zusammenhang auch das Posieren mit filmrelevanten Kostümen und Requisiten. Ein weiblicher Herr der Ringe-Fan bestätigte dem Autor nach der Teilnahme an einer geführten Drehorttour durch Central Otago in Neuseeland im Rahmen eines Interviews: »The most fascinating moment was probably when I put on the cloak.« (Rösch 2007: 253) Hierbei spricht die Interviewpartnerin die Tatsache an, dass sie im Rahmen der Tour einen Original-Elfenumhang aus dem Film tragen durfte. Die Attraktivität des besuchten Drehorts spielt grundsätzlich eine entscheidende Rolle für die Intensität des Vor-Ort-Erlebnisses. Bestimmt wird diese durch eine ganze Reihe von Faktoren. Hierzu zählen das Vorhandensein von Resten des Original-Sets, der Wiedererkennungswert des Drehortes, etwaige Verbindungen des Drehorts zu den Hauptcharakteren, die Bedeutung des Drehorts für die filmische Geschichte sowie die Existenz sogenannter »sacred sights« (ebd.). Der letztere Begriff bezieht sich auf die Möglichkeit, Filmszenen
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nachzustellen und zu erleben, die aufgrund ihrer emotionalen Bedeutung für die Handlung oder aber aufgrund ihrer Verbindung zu besonders attraktiven Drehorten quasireligiösen Status innehaben. Eingeführt wurde das Konstrukt der »sacred sight« erstmalig von Jacobsen (1997), um einen Ausdruck für das existentielle Erlebnis zu finden, das sich Besuchern bietet, die das Schauspiel der wandelnden Mitternachtssonne vom nach Norden ausgerichteten Felsplateau des norwegischen Nordkaps mit allen Sinnen erfahren. Der Autor hat auf seinen Forschungsreisen mehrmals die überwältigende Wirkung derartiger Momente auf Filmtouristen beobachtet. Ein Star-Wars-Fan erwiderte im Rahmen einer mehrtätigen Drehorttour durch Tunesien auf die Frage nach einem solchen Moment: »Luke’s home. It’s a simple little igloo. And it’s wide as far as the eye can see. And when the sun sets, it’s incredibly beautiful. Very humble. It’s a religious experience. It’s the home of the saviour of the universe in Star Wars. […] It has a sense of Jesus Christ born there.« (Rösch 2007: 287-288) Im Grunde genommen findet an Drehorten jedoch der gleiche Prozess statt, wie er an vielen anderen Sehenswürdigkeiten zu beobachten ist: Der touristische Blick transformiert die materielle Realität in ein kulturelles Image, das immer wieder reproduziert wird, ein Vorgang, für den John Urry den weithin akzeptierten Begriff des »tourist gaze« prägte (Urry 1990). Ein essenzieller Bestandteil des »tourist gaze« ist die Reproduktion von Örtlichkeiten durch Bilder, die sowohl von der touristischen Werbung gezielt gestreut werden, aber auch durch die Touristen selbst vor Ort aufgenommen und reproduziert werden. Insbesondere für Filmtouristen ist diese Art der Reproduktion wichtig, da die aufgenommenen Fotos nach der Rückkehr in der Regel mit den Szenenausschnitten der zugrundeliegenden Filmproduktion verglichen werden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Besuch eines Drehorts für viele Filmtouristen ein bedeutendes Erlebnis darstellt, welches auch nach der Rückkehr in den Alltag noch lange nachwirkt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn es vor Ort gelungen ist, eine Brücke zwischen Realität und Imagination zu schlagen, wie das folgende Zitat eines Star-Wars-Fans verdeutlicht: »It’s Tatooine. Tatooine. When I see the movie again, it’s not like: ›Oh, and that was shot in Touzeur and that was there.‹ No. It’s actually: ›I stood there on Tatooine. I stood there.‹ And I mean in Tatooine. In that fictional world. And I realize in the back of my mind it was Tunisia and it was shot there. But in your mind, you want to feel, you want to experience: ›I was there on Tatooine.‹« (Rösch 2007: 291)
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Inszenierung von Drehorten Die einfachste Möglichkeit, Drehorte zu inszenieren, sind Beschilderungen aller Art. Diese können die Form von Wegweisern, Hinweisschildern, Informationstafeln oder Fotowänden annehmen. Wichtig ist hier, dass das Aufstellen oder Anbringen derartiger Beschilderungen stets unter der Prämisse geschieht, den gewünschten Informations- und Emotionsgehalt vor der Aufstellung genauestens festzulegen. Soll der Drehorttourist in der Lage sein, bestimmte Szenenausschnitte zu identifizieren, genügen nicht einfach nur (exakte) Wegweiser; vielmehr müssen diese mit entsprechenden Szenenausschnitten bebildert werden. Ein Schild mit einem Namenszug, das den jeweiligen Drehort verortet und sichtbar repräsentiert, wird unter Umständen ein eigenes beliebtes Fotoporträt, wie der Autor vor Kurzem in Nordirland an einem Game of Thrones-Drehort wieder beobachten konnte (Rösch 2015). Filmkulissen sind selbstredend eine ideale Form der Inszenierung, allerdings werden diese in der Regel nach Beendigung der Dreharbeiten wieder abgebaut. Dies geschieht meist aus mehreren Gründen: zum einen verhindert die Filmproduktionsgesellschaft dadurch, dass Einzelheiten der Filmproduktion bereits vor der Ausstrahlung bekannt werden; zum anderen werden Filmkulissen oft in Schutzgebieten errichtet und müssen nach Beendigung der Dreharbeiten auf Druck der zuständigen Behörde entfernt werden. Hinzu kommt, dass Filmkulissen oftmals aus einfachen Materialien erstellt werden, die den vorherrschenden Witterungsverhältnissen nur kurze Zeit standhalten können. Werden Filmkulissen und -sets nach deren Entfernung zum Zweck der touristischen Verwertung rekonstruiert, stellen diese, auch wenn sie noch so originalgetreu wiedererrichtet werden, nur ein schizoides Abbild der ursprünglichen Filmkulisse dar. Dieser Aspekt muss dem jeweiligen Anbieter stets bewusst sein, damit er dennoch ein möglichst authentisches drehorttouristisches Produkt kreieren kann. Im Fall des Kinofilms Der letzte Samurai (2003) rekonstruierte der Landbesitzer eine der Samurai-Hütten, von denen für die umfangreichen Dreharbeiten im Samurai-Dorf knapp ein Dutzend auf einer neuseeländischen Schaffarm errichtet wurden. Um die Authentizität des Drehorts zu gewährleisten, verhandelte der Landbesitzer mit der Filmproduktionsgesellschaft um den Kauf einiger Filmrequisiten, die er dann in und um die rekonstruierte Hütte ausstellte (Rösch 2007). Ein weiteres Beispiel einer rekonstruierten Kulisse ist das Anbringen des Schilds Platform 9 ¾ sowie eines halb in der Wand verschwundenen Gepäckwagens in Londons Bahnhof King’s Cross Station, wo Harry Potter und seine Freunde mittels Magie auf den Bahnsteig des Hogwarts Express gezaubert
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werden. Schild und Wagen sind bis heute ein Touristenmagnet und in direkter Nachbarschaft findet sich ein Harry Potter-Shop.7 Drehorttouren sind ein ideales Mittel, um sowohl filminteressierte Touristen als auch die treuesten Fans einer Filmproduktion anzusprechen. Nachforschungen des Autors haben ergeben, dass beiden Gruppierungen auf ihre Weise Rechnung getragen werden muss, damit keine Konfliktsituationen während einer Tour entstehen (Rösch 2007). Dies kann dadurch erzielt werden, indem die Tourguides sowohl die emotionale Komponente des Drehorterlebnisses bedienen, als auch die technische Seite des Filmemachens vor Ort erläutern. Zudem sollte jede professionelle Drehorttour auch generelle Informationen über die besuchte Region bereitstellen und filmfremde Aktivitäten und Örtlichkeiten in den Tagesablauf integrieren. Filmspezifische Ausstellungen stellen zwar in der Regel Original-Requisiten aus, allerdings ist es dabei entscheidend, diese in einen geeigneten Kontext sowohl baulich als auch inhaltlich zu stellen. Eine der erfolgreichsten Filmausstellungen der Vergangenheit war die The Lord of the Rings Motion Picture Trilogy, in der Kostüme und Requisiten aus der gleichnamigen Filmtrilogie zu bestaunen waren. Ihren Anfang nahm diese im Museum Te Papa Tongarewa in Wellington, Neuseeland, bevor sie mehrmals um die Welt tourte und unter anderem in den Großstädten London, Singapur, Boston, Melbourne, Sydney und Berlin zu sehen war. Die Evaluierung ergab, dass 34 Prozent der Besucher einzig und allein wegen der Sonderausstellung das Museum besuchten. Über die Hälfte der Besucher (58 Prozent) waren zwischen 20 und 34 Jahre alt und 64 Prozent waren Frauen (Harvey 2006). Aktuellere Beispiele für derartige Ausstellungen sind die Sonderschauen zu Game of Thrones und insbesondere die permanente Erlebniswelt der Harry Potter Studio Tour in London. Memorabilien mit Filmbezug nehmen einen äußerst wichtigen Stellenwert bei Drehortbesuchen ein. An erster Stelle sind natürlich Fotoaufnahmen zu nennen, die den Besuch des Drehorts festhalten und diesen für die Daheimgebliebenen beweisbar machen. Je stärker das Foto dabei mit dem Szenenausschnitt korrespondiert, desto höher ist der subjektive Wert desselben. Weitere wichtige Memorabilien sind physisch greifbare Gegenstände, die der Tourist am Drehort selbst aufnehmen und mit nach Hause nehmen kann. So hat der Autor beispielsweise beobachtet, wie Star-Wars-Touristen an den jeweiligen Drehorten Sand aufgenommen haben, um diesen zu Hause als Trophäe auszustellen oder gar an andere Fans zu verkaufen (Rösch 2007).
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Siehe www.kingscross.co.uk/harry-potters-platform-9-34 (letzter Abruf: 24.03.2016).
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F ILMKULISSE D EUTSCHLAND In Deutschland sind filmtouristisch insbesondere zwei Örtlichkeiten hervorzuheben, die in der jüngeren Vergangenheit wiederholt mediale Aufmerksamkeit erfahren haben. Dies ist zum einen die Stadt Berlin, die nicht zuletzt dank des nahen Filmparks Babelsberg immer wieder Schauplatz großer, potenziell tourismus-induzierender Produktionen ist, wie in jüngster Vergangenheit für die fünfte Staffel der TV-Serie Homeland (seit 2011) oder des Kinofilms Bridge of Spies – Der Unterhändler (2015). Dementsprechend gibt es einige kommerzielle Anbieter von Drehorttouren, die sich auch an das internationale Publikum richten. Neben Berlin hat sich insbesondere die kleine Kreisstadt Görlitz in der Oberlausitz als Filmkulisse für große Produktionen etabliert. Aufgrund der gut erhaltenen Bausubstanz vieler Gebäude, die zudem verschiedene Zeitepochen abdecken, ist die Innenstadt zu einem beliebten Drehort geworden. Auch für internationale Produktionen wie Der Vorleser (2008), Inglourious Basterds (2009), Die Bücherdiebin (2013) oder Grand Budapest Hotel (2014) wurden in Görlitz schon Szenen gedreht. Filminteressierte können sich mit Hilfe einer Drehortkarte auf die Spuren ihrer Helden begeben, oder alternativ an einer organisierten Drehortführung durch die Innenstadt teilnehmen. Die Filmkulisse Bayern, eine Online-Informationsplattform der Bayern Tourismus Marketing GmbH8, listet unter der Rubrik Bayerische Drehorte erleben eine Reihe an filmtouristischen Angeboten auf, darunter geführte Drehorttouren zu den TV-Serien Der Bulle von Tölz (1995-2009) und Rosenheim-Cops (seit 2002) oder Informationen zum Besuch des Filmsets zu den Kinofilmen Wickie und die starken Männer (2009) und Wickie auf großer Fahrt (2011). Quer durch die Bundesrepublik gibt es noch zahlreiche weitere, größere und kleinere filmtouristische Initiativen und Produkte; eine übergeordnete Koordination und Bündelung zu diesem Thema fehlt jedoch. Insbesondere in der nationalen Außenwerbung der Deutschen Zentrale für Tourismus scheint Filmtourismus jedoch keine Bedeutung beigemessen zu werden. Jedenfalls kam der Autor nach Durchführung einer internetbasierten Recherche zu diesem Schluss. Zu einem Statement war die Deutsche Zentrale für Tourismus trotz mehrmaligen Nachfragens leider nicht bereit. Ein goldenes Zeitalter ist nicht nur für das Fernsehen angebrochen, sondern auch für den Filmtourismus. Es bleibt daher zu hoffen, dass sich die deutsche Tourismusbranche in ihrer Gesamtheit die Verwertungsmöglichkeiten der Film-
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Siehe www.bayern.by/filmkulisse-bayern (letzter Abruf: 19.10.2016).
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kulisse Deutschland noch stärker zu Nutze macht. Die Voraussetzungen hierfür wären sicherlich gegeben.
L ITERATUR Allen, Nick (2015): »James Bond’s $20 million reason to love Mexico«, in: The Telegraph vom 13.03.2015. Siehe www.telegraph.co.uk/culture/film/james bond/11471324/James-Bonds-20-million-reason-to-love-Mexico.html (letzter Abruf: 19.03.2016). Bee, Sacramento (1999): »Movie destinations«, in: Deseret News vom 25.07. 1999. Siehe www.deseretnews.com/article/709086/Movie-destinations.html (letzter Abruf: 18.03.2016). Beeton, Sue (2005): Film-induced tourism, Clevedon, Buffalo und Toronto. Blackstock, Russell (2015): »The Middle Earth legacy«, in: New Zealand Herald vom 22.02.2015. Bohrer, Arie (2016): »Das bleibt von Bond: Kinoproduktionen als nachhaltige Impulsgeber der Markenkommunikation und Tourismuswerbung«, Diskussionsbeitrag im Rahmen einer Fachtagung des Public Relations-Verband Austria in Innsbruck am 20.01.2016. Broadbent, Graham (2015): »Producer as Partner«, Präsentation im Rahmen der Veranstaltung Cineposium 2015, organisiert von der Association of Film Commissioners International (AFCI), September 2015 Barcelona. Brooks, Xan (2010): »Hobbit deal costs New Zealand changes in labour laws and $25m tax break«, in: The Guardian vom 27.10.2010. Siehe www.theguar dian.com/film/2010/oct/27/the-hobbit-deal-new-zealand (letzter Abruf: 22.03.2016). Cameron, Samuel (2003): »Cinema«, in: Towse, Ruth (Hg.), A Handbook of Cultural Economics, Cheltenham, UK, S. 114-118. Clark, Helen (2001): »Maximising spin-offs from The Lord of the Rings. Questions and answers«. Siehe www.executive.govt.nz/minister/clark/lor/qa (letzter Abruf: 18.03.2004). Crouch, David (1999): »Introduction: Encounters in leisure/tourism«, in: Ders. (Hg.): Leisure/Tourism Geographies: Practices and Geographical Knowledge, London, S. 1-16. Fiore, Faye (2010): »A town’s ›Blair Witch‹ curse« in: Los Angeles Times vom 31.05.2010. Siehe http://articles.latimes.com/2010/may/31/nation/la-na-blairwitch-20100601 (letzter Abruf: 19.11.2015).
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Freizeit- und Themenparks als Kulturdestinationen? D IETER B RINKMANN
Freizeit- und Themenparks sind schon lange beim Publikum beliebt. Sie unter dem Gesichtspunkt Kulturtourismus zu betrachten, erscheint jedoch ungewöhnlich. Dies hat mit zwei Phänomenen zu tun. Zum einen fällt es schwer, die Einrichtungen so ohne Weiteres dem Tourismus zuzuordnen. Schließlich handelt es sich traditionell um Aufenthaltszeiten von wenigen Stunden, eingebettet in alltagsnahe Freizeitmuster. Zum anderen werden in Freizeitparks eher Unterhaltungsangebote unterschiedlicher Art – von Achterbahnen bis Shows – und in thematisierten Wasserwelten eher Sport-, Spiel- und Wellnessangebote vermutet. Diskutiert werden sollen in diesem Beitrag mit Bezügen zur Freizeitpraxis daher die Entwicklung im Bereich der Freizeitparks zum thematisierten Resort und die Veränderung durch eine hochwertige Thematisierung und Inszenierung von Erlebniswelten.
E NTGRENZUNG
KULTURTOURISTISCHER
ANGEBOTE
Hinweise auf die touristische Relevanz von Freizeit- und Themenparks liefert neben den Besucherzahlen die Wahl des größten deutschen Themenparks zum beliebtesten Reiseziel in Deutschland. Die Teilnehmer einer OnlineAbstimmung der Deutschen Zentrale für Tourismus für das Jahr 2015 brachten den Europa-Park in Rust mit ca. 5,5 Millionen Besuchern pro Jahr an die erste Stelle der Destinationen (DZT 2016). Viele UNESCO-Welterbestätten und andere kulturtouristische Ziele konnten hier nicht mithalten. Weitere Themenparks finden sich nach der Bewertung der Deutschlandtouristen ebenfalls unter den 100 attraktivsten Reisezielen. Der Themenpark Phantasialand bei Brühl liegt auf Platz 36, Legoland Deutschland im bayerischen Günzburg auf Rang 49, der Hei-
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de-Park auf Platz 70, die Autostadt Wolfsburg auf Platz 88. Insgesamt haben Freizeit- und Themenparks offenbar einen guten Stand zwischen klassischen kulturtouristischen Destinationen wie dem Schloss Neuschwanstein, dem Kölner Dom oder dem Brandenburger Tor in Berlin. Sind sie damit zugleich auch kulturtouristische Destinationen? Und welche Art von Kulturtourismus lässt sich in diesem Zusammenhang erwarten? Die Bedeutung der Freizeitparkbranche wird üblicherweise mit Besucherdaten zum Ausdruck gebracht. Die 20 größten Einrichtungen in Europa, angeführt von Disneyland Paris, verzeichneten im Jahr 2015, nach Angaben der Themed Entertainment Assoziation zusammen ca. 61 Millionen Besucher und konnten damit eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 2,8 Prozent erreichen (vgl. TEA 2016). Die großen Einrichtungen in Deutschland mit mehr als 100.000 Besuchern pro Jahr kommen nach Angaben des Verbandes der Freizeitparks und Freizeitunternehmen e.V. (VDFU) zusammen auf 36 Millionen Besucher (2015) und lassen gegenüber den Vorjahren ebenfalls eine positive Entwicklung erkennen. Freizeit- und Themenparks sind als ein relativ stabiler Faktor der Freizeitwirtschaft anzusehen (vgl. Opaschowski/Pries/Reinhardt 2006). Sie gelten als Prototypen kommerzieller Erlebnisräume und multimediale Zufluchtsorte einer erlebnishungrigen Gesellschaft (vgl. Herrmann 2013) und haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg ausgehend von Disneyland (1955) zu einem weltweiten Massenphänomen gewandelt. Gleichwohl haben Freizeit- und Themenparks eine dynamische Entwicklung hinter sich, die durch hohen Innovationsdruck, technische und mediale Entwicklungen geprägt wird. Der Europa-Park in Rust feierte beispielsweise im Jahr 2015 sein 40-jähriges Bestehen. Er entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einer komplexen Themenwelt mit Fahrgeschäften, Gastronomie, Shows, Hotels, Tagungsmöglichkeiten und vielem mehr. Eine mögliche Klammer für eine Einordnung in touristische Strukturen liefert Albrecht Steinecke in seinem Buch Themenwelten im Tourismus (2009). Typisch erscheinen ein multifunktionaler Charakter und eine Erlebnisorientierung der neuen Freizeitanlagen. Sie arbeiten an der Schnittstelle von Konsum, Unterhaltung und Kultur. Sie sind aus verschiedenen Bausteinen zusammengesetzt und zeichnen sich durch eine besondere emotional aufgeladene Atmosphäre aus. Die Kategorie Themenwelten ist eine Klammer für verschiedene Ansätze: Themenparks, Themenhotels, Urban Entertainment Center, Markenerlebniswelten oder zoologische Gärten mit Erlebnisthematisierung. Unterhaltung als Zusatznutzen scheint überall dabei zu sein (Steinecke 2009: 7). Freizeitparks erscheinen in diesem Kontext als ein spezieller Typ von Themenwelten: eben als stationäre, kommerzielle Vergnügungseinrichtung mit einer abgeschlossenen, großflächigen Anlage, vielfältigen Attraktionen wie Fahrge-
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schäften, Spielgeräten, Shows, Shops und Restaurants sowie einem pauschalen Eintrittspreis. Bei Themenparks gibt es, im Gegensatz zu einfachen Freizeitparks mit einem jahrmarktähnlichen Mix von Angeboten, darüber hinaus eine Einbindung in ein Dachthema beziehungsweise eine konsequente thematische Gestaltung einzelner Parkteile. So entstehen Mikrowelten mit integrierten Fahrgeschäften, abgestimmten Gastronomie- und Shopangeboten sowie weiteren Inszenierungselementen (Mitarbeiterverhalten, Musik, Bepflanzung). Ein typisches Beispiel dafür sind die inzwischen 14 Länderthementeile im Europa-Park (ebd.: 64). Im Kontext einer Betrachtung der »Zukunft des Kulturtourismus« werden Themenparks als »Substitutionsprodukte« diskutiert (vgl. Steinecke 2007: 337 f.). Thematisierte Erlebnis- und Konsumeinrichtungen stellen nach dieser Analyse eine wachsende Konkurrenz zu traditionellen öffentlichen Kulturanbietern dar. Sie sind nicht im Kernbereich musealer Kulturaufgaben angesiedelt (Sammeln, Bewahren, Forschen und Bilden) und dennoch ermöglichen sie so etwas wie einen Besichtigungstourismus (insbesondere Markenerlebniswelten). Vorgestellt werden in diesem Sinne das Schokoladenmuseum Köln und die Swarovski-Kristallwelten bei Innsbruck. Die Mischung aus Kultur, Bildung, Erlebnis und Vergnügen kommt dem Publikum entgegen und könnte auch für Kulturtouristen, die Kultur nebenbei wahrnehmen, interessant sein. Themenwelten in unterschiedlichen Varianten sind ein Faktor eines dynamischen kulturtouristischen Marktes. Sie können mit attraktiven Angeboten kulturell Interessierte Touristen gewinnen und stellen eine der Herausforderungen für den klassischen Kulturtourismus dar (vgl. Steinecke 2011: 22 f.). Während der Begriff »Substitutionsprodukte« von Steinecke eher einen ökonomischen Verdrängungsprozess thematisiert, verweist die Analyse von Nahrstedt unter anderem auf die Möglichkeiten neuer »erlebnisorientierter Lernorte« in der sich entwickelnden Wissensgesellschaft (vgl. Nahrstedt et al. 2002). Auch dieser Begriff ist eine Klammer über verschiedene Einrichtungstypen hinweg, einschließlich Themenparks, Sciencecenter, Zoos und Brandlands (Markenerlebniswelten). Sie erscheinen als Teil einer Experience-Economy (Pine/Gilmore 1999) und bieten Mischungen aus Erlebnis, Lernen und Konsum mit aktiver und passiver Beteiligung, zwischen Aufnehmen und Eintauchen. Das Spektrum der Lernorte außerhalb der Schule hat sich damit in den letzten Jahren erweitert, so die pädagogisch motivierte Analyse. Es wird ein mehrdimensionaler Erlebnisraum angeboten mit einer Balance von kognitiven, emotionalen und aktionalen Aspekten. Emotionen und erinnerbare Gefühlszustände spielen eine zentrale Rolle für den Erfolg dieser Lern-Erlebniswelten. Zentral ist ein lernförderliches Arrangement, das zum selbstgesteuerten Lernen einlädt. Weitere An-
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gebote einer personalen Vermittlung und interaktive Programme ergänzen und fördern die Bildungsmöglichkeiten in thematisierten Freizeit-Erlebniswelten. Auch im Rahmen der Freizeitpark-Typologie von Rossmann haben Themenparks mit ihrer »psychischen Aktivierung« eine Nähe zu Kultur und der Vermittlung von Wissen, Kultur, Kunst und Informationen (Rossmann 2015). Der Stellenwert für einen Kulturtourismus wird in der Studie von Nahrstedt nur implizit angesprochen. Dennoch sind informelle Bildungsprozesse, die hier in den Blick genommen werden, auch bedeutsam für kulturtouristische Aktivitäten. Lernen auf Reisen ist auch ein Moment für kulturtouristische Aktivitäten, und die Bedeutung eines emotionalen Zugangs kann ebenfalls unterstrichen werden. Denkbar erscheint, durch pädagogische Interventionen (vgl. Freericks et al. 2005 und Freericks 2015) die angebotenen Szenarien zu qualifizieren und Besucher im Sinne einer stärkeren Auseinandersetzung mit den Inhalten zu aktivieren. Freizeit- und Themenparks bieten Möglichkeitsräume mit besonderem Bildungspotenzial. Interesse wecken für Menschen, Gegenstände und Zusammenhänge und weitere Bildungswege anzuregen, erscheint als eine Stärke komplexer thematischer Erlebniswelten. Beiden Analysen gemeinsam ist die Vorstellung, dass sich das Spektrum relevanter Institutionen für einen Kulturtourismus entgrenzt. Freizeit- und Themenparks kommen mit in den Blick, wenn es um neue Erfahrungen, die unterhaltsame Begegnung mit spannenden Themen oder die Interessenentwicklung geht.
K ULTURPHÄNOMEN F REIZEITPARK Nachvollziehbar ist eine ganzheitliche Würdigung von Freizeit- und Themenparks als herausragende, nicht alltägliche Orte einer Kultur des Vergnügens (vgl. Szabo 2009), mit Traditionslinien hin zu Jahrmarkt und Kirmes, aber auch frühen stationären Anlagen, ihren Fahrattraktionen, Schaubuden und Kuriositäten. Der Themenpark erscheint als der moderne Verwandte des Jahrmarkts, der Momente des Glücks ermöglichen soll. Insbesondere bei den älteren Einrichtungen mit langer Geschichte könnte man eine eigene Aura vermuten, die mit kulturtouristischen Motiven korrespondiert. Insofern steckt in einem Besuch des Praters in Wien, des Tivoli in Kopenhagen oder anderer traditioneller Vergnügungs- und Themenparks auch immer ein Stück konventioneller Kulturtourismus, der durch Themenführungen und Programme bedient werden könnte. Er wäre schichtenübergreifend und integrativ und gar nicht neu. Für viele deutsche Freizeitparks gilt inzwischen auch, dass sie als Familienbetriebe über mehrere Generationen betrieben werden und mit der Region und ihrer Entwicklung eng verbunden sind.
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Eine technische Faszination für das »Gesamtkunstwerk Freizeitpark« mit seinen herausfordernden Bahnen könnte außerdem hinzukommen, wie Lanfer und Kagelmann herausarbeiten. »Achterbahnen sind außergewöhnliche Kunstwerke der Architektur und wichtige Zeugnisse der baugeschichtlichen Entwicklung. Die Betonung der Vertikalen, der klar an der Konstruktion ablesbare Kräfteverlauf, die scheinbare Aufhebung der Schwerkraft – das sind gotische Architekturmerkmale in ihrer Vollendung. Achterbahnen sind Inbild der Symbiose von Vergnügen und Ästhetik in der Baukunst: für manche ein moralischer Affront, für andere aufgrund ihrer virtuosen Simulation von Risiko ein Stück Lebensphilosophie.« (Lanfer/Kagelmann 2004: 84)
Steinecke zieht in seinen historischen Betrachtungen den Bogen zu den Gärten und Parks des Adels, ihren Gestaltungselementen und Prinzipien, die sich auch heute noch in den Freizeitparks finden lassen (Sichtachsen, Bauweise der Häuser, Bespielung der Anlagen, vgl. Steinecke 2009: 65). Insofern können bei entsprechender Vorbildung viele Bezüge und Verweise auf historische Vorbilder erkannt werden. Moderne Anlagen wie Disneyland sind außerdem verknüpft mit der breit entwickelten gegenwärtigen Medienwelt und ihren Produkten. Sie sind quasi begehbare, dreidimensionale Filme mit den typischen Themen, Figuren und Geschichten, stimulieren Konsum und Identifikation gleichermaßen. Nach Aldo Legnaro erlebt man einen »Rausch des Als-Ob« und taucht ein in eine traumhafte, simulierte Wirklichkeit (Legnaro 2009). Beim Besuch auf dem »Disney-Kontinent« entwickelt sich ein »disneytypisches Gefühl aus Amüsiertheit, Kindheitsnostalgie und Alltagsenthobenheit«. Dabei werden vom Parkmanagement sorgsam alle Brüche in der Inszenierung vermieden. Es ist sauber und sicher, und alle Anstrengungen des Parks sind auf eine situative Authentizität gerichtet. Gefühlt ist es schöner als die Wirklichkeit, sagt man, und es sind idealisierte, optimierte Orte. Bedeutsam ist die Atmosphäre einer Anlage, »in der alle auf geradezu kindliche Weise ihren Vergnügungen nachgehen können, dem Publikum außer diese Arbeit am Vergnügen Verantwortung weitgehend abgenommen wird und sich zwanglos eine Empfindung anstrengender, aber anregender und belustigender Freizeit einstellt« (ebd.: 40). Während sich der Kulturtourismus tendenziell von einer Fokussierung auf Kunst, Kultur und historische Artefakte lösen möchte und der alltäglichen Lebensweise zuwendet, finden sich in den Erlebniswelten, abgesehen von den technischen Leistungen, kunstvolle Zuspitzungen von Themen unter Einsatz von Architektur, Szenografie, Medien, Shows und sinnlich-emotionalen Erlebnismöglichkeiten. Es ist ein kulturell aufgeladenes Unterhaltungsangebot mit wach-
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sender Komplexität. Zur postmodernen Kultur des Vergnügens gehört damit möglicherweise auch ein reflexiver Erlebniskonsum: Sicher durchschaut man die Konstruktion von Erlebnisräumen zu einem Teil, sieht die enge Vernetzung mit vorgedachtem Konsum und die Simulation von authentischer Welterfahrung. Trotzdem gefällt es, und man kann sich der Faszination schön gestalteter Erlebnisräume kaum entziehen. Freizeit- und Themenparks sind typischerweise familienfreundliche Angebote und bieten ein vielfältiges Programm für Groß und Klein. Das Arrangement mit herausfordernden Fahrgeschäften zielt eher auf ein junges Publikum. Die Daten des Freizeitmonitors der Stiftung für Zukunftsfragen (2015) zeigen: 62 Prozent der Jugendlichen (14 bis 17 Jahre) besuchen mindestens einmal pro Jahr einen Freizeit-/Vergnügungspark. Bei den Familien sind es 50 Prozent und bei den jungen Erwachsenen (18 bis 24 Jahre) 46 Prozent. Der Anteil der Ruheständler (ab 65 Jahre) ist gering (8 Prozent). Die als Jungsenioren bezeichnete Altersgruppe (50 bis 64 Jahre) ist jedoch noch stärker auf Freizeit- und Erlebnisparks orientiert. Hier liegt die Besuchsquote bei 22 Prozent. Die Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind klein, und die Nutzung in Westdeutschland liegt etwas höher als in Ostdeutschland. Dies könnte mit dem größeren Verbreitungsgrad zusammenhängen (vgl. Stiftung für Zukunftsfragen 2015). Abbildung 1: Attraktivität von Freizeitparks bei verschiedenen Zielgruppen
Freizeitmonitor 2015 der Stiftung für Zukunftsfragen
Auffällig ist weiterhin, dass die Nutzungsquoten bei den »Besserverdienenden« mit einem Haushaltsnettoeinkommen über 3.500 Euro deutlich höher liegen als bei den Geringverdienern (unter 1.500 Euro). Ebenfalls höher ist die Beteiligung
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bei den Befragten mit formal höherer Bildung (Abitur, Studium). Beide Aspekte könnten mit den Kosten für einen Besuch in Freizeit- und Themenparks zusammenhängen. Insbesondere die Variante Kurzurlaub ist mit erheblichen Ausgaben verbunden. Auf der anderen Seite erscheinen die milieuspezifischen Barrieren nicht so hoch zu sein, wie vielleicht landläufig vermutet. Dies hängt mit den qualitativ hochwertig entwickelten Szenarien zusammen. Zu vermuten ist: Freizeitund Themenparks sprechen ein breites Besucherspektrum an. Sie bieten potenziell einen Zugang für eine Beschäftigung mit Kunst und Kultur für viele an. Im Kontext des demografischen Wandels werden für Freizeit- und Themenparks auch ältere Zielgruppen interessant. Erholungsmöglichkeiten, kulturelle Elemente und Angebote für Genuss und Wellness könnten gerade für diese Zielgruppen interessant sein. Zu beobachten ist, dass einzelne Parks ihr Programm differenzieren und gezielt ältere Gäste ansprechen wollen. Der Europa-Park hat eine spezielle Broschüre für diese Zielgruppe herausgebracht. Auch in der Imagebroschüre tauchen ältere Besucher in den arrangierten Bildern auf. »Entdecken Sie bei uns Kultur und Gastronomie verschiedener europäischer Länder, genießen Sie die zauberhafte Natur unserer Parkanlagen, lassen Sie sich von unserem vielfältigen Showprogramm begeistern oder gönnen Sie Ihrem Körper und Geist eine wohltuende Wellness-Behandlung.« (Europa-Park 2016a, Informationen für Gäste 60+)
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In einem weiten, alltagsorientierten Kulturbegriff würde der Freizeit- und Themenpark als Phänomen der Freizeitkultur seinen Platz finden. Demgegenüber ließe sich auch in einem engeren Sinne thematisieren, welche Künste und Kulturangebote einem bei einem Besuch begegnen. Dabei spielen insbesondere die thematischen Szenarien und Showprogramme eine Rolle. Hierbei soll auf die Selbstdarstellungen einzelner Einrichtungen eingegangen werden. Länderthemen mit alltagsästhetischen Stimmungen Der Themenpark arbeitet mit alltagsästhetischen Stimmungen, vermittelt durch ein emotional ansprechendes Arrangement. Es ist eine verdichtete Szenografie mit typischen Baustilen, Symbolen, gastronomischen Besonderheiten, Anspielungen auf historische Ereignisse und Persönlichkeiten. Viele Details bestimmen die Atmosphäre und fördern eine gefühlte Authentizität. Typisch in diesem Sin-
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ne sind die Länderthementeile im Europa-Park. Inzwischen können die Besucher 14 verschiedene Länderthemenbereiche erkunden. »England: Very britisch! Erleben Sie Old Englands beste Seiten. Direkt am ›Victoria Square‹ steht das ›Globe Theater‹, detailgetreu dem Original aus Shakespeares Zeiten nachempfunden. Lassen Sie sich in diesem historischen Ambiente von einem faszinierenden Showspektakel begeistern. Ob schlichter Tudorstil oder viktorianischer Glanz – an jeder Ecke begegnet Ihnen englische Kultur.« (Europa-Park Imagebroschüre 2015: 40)
Es ist eher ein passives Szenario: Man kann die Szenerien durchwandern, die Gestaltung und die Stimmungen wahrnehmen, die Parkanlagen und das Arrangement bestaunen. In den Fahrgeschäften ist je nach Art eine gelenkte Aktivität möglich. Aktivere Angebote gibt es insbesondere für Schulklassen. Durch »Wissensrallyes« können die verschiedenen Thementeile des Parks erkundet werden. »Griechenland: Es sind das Altertum, die Göttersagen und Heldenepen, der Reichtum an Tempeln… All das erleben Sie bei uns: Der ›Tempel des Poseidon‹ und der ›Palast der Kassandra‹ sind nach byzantinischem Vorbild erbaut. Für das heutige Griechenland sind die strahlend weißen Fassaden der Häuser mit den blauen Fensterläden und Dächern ›typisch‹. Genau das finden Sie im ›Dorf Mykonos‹, auf dem Hügel im Sonnenlicht. Genießen Sie mediterranes Lebensgefühl in der malerischen Taverna bei griechischen Köstlichkeiten. Von der Sonnenterrasse schauen Sie direkt auf die spektakuläre Wasserachterbahn ›Poseidon‹.« (Ebd.: 37)
Es geht um »Lebensgefühle« in einem künstlerisch und in einer bestimmten Alltagsästhetik gestalteten Ambiente. Die antiken Bauten sind Spielelemente in einem komplexen Szenario aus thematisierten Fahrgeschäften, Gastronomie und landestypischer Architektur. Es werden Geschichten erzählt, Erinnerungen wachgerufen. In diesem Sinne ist es ein Anspielen auf Kultur: Götter, Sagen, Schätze und Geschichte. Die Elemente werden als Story aufbereitet und in die Grundstruktur des Freizeitparks integriert. Grundlegend ist ein unterhaltungsorientierter Kulturbegriff: kulturelle Elemente dienen der Anregung, Rahmung und Intensivierung von Besuchserlebnissen. Ziel ist, einen »schönen Tag« zu verbringen. Vielleicht korrespondiert es mit einem touristischen Blick, der auf das Pittoreske, das Besondere einer landestypischen Szenerie reagiert. Der Themenpark bietet ein kulturell aufgeladenes Ambiente, das sauber, sicher und ohne Konflikte und Brüche erscheint. Insofern befriedigt er Sehnsüchte nach einem perfekten Freizeiterlebnis mit vielen unterhaltsamen Anregungen, Geselligkeit und Freude.
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Kulturhistorische Thematisierungen Eine kulturtouristisch interessante Variante der Thematisierung zeigt sich beim Hansa-Park an der Küste der Ostsee bei Sierksdorf und einigen kleineren Freizeit- und Themenparks in Deutschland. Eine kulturhistorische Thematisierung regionaler Besonderheiten bringt einen solchen Thementeil in die Nähe von Freilichtmuseen und ermöglicht einem breiten Publikum die unterhaltsame Beschäftigung mit historischen Themen. »Wenn die Gäste in der Saison 2010 das Holstentor durchschreiten, befinden sie sich in einer völlig anderen Welt – romantisch und spannend, faszinierend und phantasievoll, eine Welt, die den Mythos der HANSE in EUROPA wieder aufleben läßt.« (Hansa-Park 2010) Erkunden können die Besucher ein Szenario mit Bezug zu verschiedenen Städten im mittelalterlichen Handelsnetz, angefangen mit Rostock, Visby, Hamburg und Brügge. Aufgebaut wurde es unter Einsatz »traditionsreicher Handwerkskunst« mit »Originalmaterialien« und »Liebe zum Detail«. Im Erlebnispark Tripsdrill sind es volkskundliche und kulturhistorische Elemente wie das »Vinarium« oder das »Waschhaus« oder Inszenierungen zum bäuerlichen Leben um 1800, die einen Bezug zur Region und typischen Lebensweisen herstellen. »Vinarium: Tauchen Sie ein in die Welt des Weines. Von der Rebe bis ins Glas: Wie mühselig früher die Weinproduktion war, erfahren Sie hier. Im Gewölbekeller können Sie die besten Tropfen der Region probieren – das Vinarium-Glas gibt es für jeden Besucher als Souvenir gratis dazu!« (Erlebnispark Tripsdrill 2016)
Solche musealen Elemente finden sich in vielen, auch kleineren Freizeitparks. Hier soll die Alltagskultur vergangener Jahrhunderte wieder lebendig werden. Oder es werden traditionelle Handwerks- und Kulturtechniken einbezogen. Der Kontext Unterhaltung bleibt auch hier bestimmend. Man kann etwas Besonderes erleben, wird suggeriert. Im Erlebnispark Tripsdrill wird allerdings ausdrücklich mit dem Label »für Wissensdurstige« geworben. Eine unterhaltsame Variante ist die fiktive kulturhistorische Thematisierung, wie sie im Freizeitpark Kulturinsel Einsiedel in der Nähe von Görlitz an der Grenze nach Polen zu finden ist. Als Rahmengeschichte für den liebevoll gestalteten Park mit Kletterlandschaften und Baumhäusern für eine ganz individuelle Übernachtung dient die fiktive Geschichte über das Volk der Turiseder. In einem inszenierten Heimatmuseum werden Fundstücke und Legenden präsentiert. Und in weiteren Details werden die Eigenheiten dieser fremden »Kultur« ausgebreitet. Ein kulturtouristischer Blick stößt hier auf einen ironischen, satirischen Um-
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gang mit den Aneignungsformen, Sichtweisen und Institutionen einer historisierenden Annäherung an frühgeschichtliche Lebensweisen. Vielleicht werden durch die Inszenierung dieser Welt nicht nur unterhaltsame Tage ermöglicht, sondern auch Reflexionen zu einem Umgang mit untergegangenen Kulturen ausgelöst. Ein Kulturtourismus der anderen Art (vgl. Kulturinsel Einsiedel 2016). Eine besondere kulturelle Sparte erschließt der Filmpark. Hierzu gehört auch ein Blick hinter die Kulissen von Film- und Fernsehproduktionen, die Beschäftigung mit Filmtechnik und Filmgeschichte. Thematische Inszenierungen, Shows und Lernangebote sind darauf bezogen. Der Filmpark ist eher ein monothematisches Angebot. Die Nähe zum Filmmuseum ist unverkennbar. Gleichwohl eröffnet der Park mit seinen Formaten andere, eher emotionale und aktive Zugänge (vgl. Filmpark Babelsberg 2016). Kulturelle Showprogramme Große Freizeit- und Themenparks bieten in der Regel ein vielfältiges unterhaltungsorientiertes Programm mit Tanz, Musik, Theater, Artistik und Spektakel. Es ist ein niedrigschwelliges, kurzzeitiges Angebot, das dem Aufenthalt im Park bestimmte Höhepunkte gibt und ihn dadurch auch zeitlich strukturiert. Betont wird in den Selbstdarstellungen die Qualität der Showprogramme. »Zauberer und Tänzer, Künstler und Akrobaten, Schauspieler und Stuntmen geben im Europa-Park jeden Tag ihr Bestes, um Sie grandios zu unterhalten. Rund 20 verschiedene Shows finden täglich auf dem Parkgelände statt: erstklassige Artistik im Teatro dell’Arte, mitreißendes Musical im Globe Theater, faszinierende Eisshow, erfrischendes Kindertheater, gigantisches Fontänenspektakel auf dem See vor dem Hotel ›Bell Rock‹ und, und, und…« (Europa-Park Imagebroschüre 2015: 119)
Kultur wird hier zur mitreißenden Show, unterhaltsam, sinnlich, eventhaft und mit ausgefeilter Inszenierung. Auf der Internetseite des Europa-Parks werden 20 verschiedene Showprogramme für den Sommer 2016 angekündigt (vgl. EuropaPark 2016b). Hierzu gehören unter anderem: • • • •
Cinema italiano: Artistik, Tanz und Comedy; Das Geheimnis der magischen Rose: ein unterhaltsames Musical; Die Rückkehr des schwarzen Ritters: Stuntshow mit Pferden; Eine ungewöhnliche Reise: Marionettentheater;
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• Fanzone de l’Europe: Sportspektakel mit Tanz und Akrobatik rund um die • • • • •
Fußball-Europameisterschaft 2016; Rode Island Waterfire: Musikalische Fontänen-Wassershow; Surpr’Ice with the Gods of Greece: Eisshow mit mythischen Elementen; Shanghai nights: Asiatische Artistikshow; Ed’s Party Parade: Umzug mit Kostümen und Choreografien durch den Park; Nacieron para volar: spanische Flamenco-Tanzshow.
Ähnlich sieht es aus im Freizeitpark Phantasialand. Hier werden sieben unterschiedliche Showprogramme beworben (vgl. Phantasialand 2016a). Als typisch erscheinen in die jeweiligen Länderthemen bzw. Parkthemen eingebundene, thematisierte Shows mit unterschiedlichen Formaten (Tanz, Artistik, Comedy, Stunt, Musik, Gesang). Sie bieten ein breites Spektrum kultureller Darbietungen der unterhaltsamen Art. Sie verstärken Stimmungen und beziehen sich zum einem Teil auf Märchen, Fantasiegeschichten und Mythen. Klassische Paraden runden das Bild ab. Der Modus der Show ist eher positiv gestimmt. Sie sind nicht so emotional fordernd wie die großen Fahrgeschäfte und bieten auch Humor. Die artistischen Darbietungen und Stunts sollen das Publikum zum Staunen bringen und könnten sich auch in modernen Varieté-Programmen finden lassen. Bei anderen Kulturbeiträgen wird das Exotische herausgehoben: Begegnung mit Künstlern und kulturellen Elementen aus anderen Kontinenten und entfernten Ländern. Vermutet werden kann insbesondere eine Begegnung mit verschiedenen Varianten von Tanz und Akrobatik. Hinzu kommen mediatisierte Shows mit unterschiedlichen Techniken (Licht, Wasser). Freizeit- und Themenparks als Eventbühne Neben kurzzeitigen Showprogrammen finden sich in Freizeit- und Themenparks auch vielfältige Veranstaltungen, die den Park als Bühne in größerem Stil nutzen. Ein regelmäßiges Festivalprogramm kennzeichnet die kulturellen Aktivitäten der Autostadt Wolfsburg. Mit einem breit angelegten Veranstaltungsprogramm auf mehreren Bühnen wird der Themenpark zu einem Kulturschwerpunkt für die Region und darüber hinaus. Es gibt ein Festivalthema, das einen verbindenden roten Faden stiften soll (»Cirque-Nouveau«), und weitere Elemente reichern das Programm zu einem vielfältigen Sommerfestival mit Akrobatik, Schauspiel, Musik und Trapezkunst an. »Sechs Wochen lang – vom 23. Juni bis 31. Juli – verwandeln Zirkus-Künstler aus aller Welt den Themenpark in eine riesige Open-Air-Bühne, zeigen atemberaubende Shows
266 | DIETER BRINKMANN und waghalsige Luftartistik. Kinder und Jugendliche können in Zirkus-Workshops den Profi-Akrobaten nacheifern oder sich auf Slacklines und Trampolinen im Park ausprobieren. An Food-Mobilen gibt es Kulinarisches für zwischendurch und die schwimmende Insel ›Cool Summer Island‹ lädt zu einem entspannten Cocktail und kostenlosen Tretbootfahrten ein.« (Autostadt 2016)
Ist der Freizeitpark mit seinen Rahmenbedingungen ein besonders geeigneter Ort für ein Kulturfestival? Und welche kulturtouristischen Impulse gehen von einem solchen Festivalprogramm aus? Darüber ist wenig bekannt. Auch die großen Wasserwelten zeichnen sich durch vielseitige und thematisierte Eventprogramme aus. Hier werden Bade- und Wellnessanwendungen zusammen mit kulturellen Erlebnisangeboten zu komplexen Themennächten (z.B. Antike, Asien, Südamerika) zusammengeführt. Ein vielseitiges Showprogramm mit Elementen aus Musik, Akrobatik, Tanz und thematischen Vorführungen, eingebettet in das Bade- und Wellnessangebot, wird für die Besucher in der Therme Erding bereitgehalten. Kulturelle Elemente werden zum Bindeglied zwischen verschiedenen Anwendungen, Aktionen, kulinarischen Besonderheiten und Vorführungen in der Thermenwelt, geben den Rahmen für eine fantasievolle Bespielung der Anlage. Möglicherweise bedienen diese Themennächte ein eigenes Publikum, das an besonderen kulturell aufgeladenen Eventprogrammen interessiert ist. Mehrfachbesucher werden sicher gewonnen, und das Ambiente der Therme dient einmal im Monat als Bühne und Kulisse für farbenfrohes Unterhaltungsprogramm (Therme Erding 2016).
K URZURLAUB IM T HEMENPARK Deutlich erkennbar ist in den letzten Jahren das Bestreben von Freizeit- und Themenparks, die Aufenthaltsdauer im Park zu verlängern und Übernachtungsmöglichkeiten anzubieten. Im Zusammenspiel mit erweiterten Aufenthaltszeiten in Freizeit- und Themenparks erhalten die kulturellen Elemente ein stärkeres Gewicht, so ist zu vermuten. Der Aufenthalt wird zum kulturell aufgeladenen Kurzurlaub. Im Jahr 1995 eröffnete der Europa-Park sein erstes Themenhotel, das El Andaluz im spanischen Thementeil. Ihm folgten in den letzten Jahren vier weitere, liebevoll bis ins Detail thematisierte Anlagen. Insgesamt hat der Park so eine für Deutschland einmalige zusammenhängende Hotellandschaft mit ca. 5.000 Betten geschaffen. Die Auslastung wird als sehr hoch bezeichnet. Die folgenden Kurzbeschreibungen sind der Imagebroschüre 2015 entnommen und zeigen den Ansatz der Thematisierung. (Europa-Park 2015: 95 ff.)
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El Andaluz: »Im 4-Sterne Erlebnishotel El Andaluz genießen Sie den Charme einer landestypischen Sommerfinca! Schon wenn Sie die lichtdurchflutete Lobby mit dem imposanten Glasdach betreten, fühlen Sie sich der Sonne Spaniens ganz nah. 192 mediterran gestaltete Zimmer und komfortable Themensuiten entfalten die Lebensart des Südens.« Castillo Alcazar: »Zu Gast im Mittelalter: Hinter den starken Mauern des 4-Sterne Burghotel Castillo Alcazar scheint die Zeit still zu stehen. Insgesamt 120 Zimmer beeindrucken mit liebevollen historischen Details wie urigen Holzbetten oder wappenbestickten Decken.« Santa Isabel: »Im 4-Sterne Superior Erlebnishotel Santa Isabel – im Stil eines portugiesischen Klosters erbaut – finden Sie Glücksmomente für die Ewigkeit. Liebevoll und stilvoll eingerichtet, präsentieren sich die 66 ›Klosterzellen‹ teilweise mit offen gestalteten Badbereich.« Colosseo: »Hereinspaziert ins Dolce vita des römisch-italienischen 4-Sterne Superior Erlebnishotel Colosseo. Die rund 350 Zimmer – davon 22 exklusive Themensuiten – gruppieren sich samt Restaurants und Bars um die Piazza, an deren Ende sich der Kolosseumbogen erhebt.« Bell Rock: »Machen Sie die Leinen los und segeln Sie auf den Spuren der Pilgerväter direkt ins 4-Sterne Superior New England Hotel Bell Rock. Kleine und große ›Seeleute‹ gehen am liebsten gemeinsam an Bord – anheuern können Sie als Familien-Mannschaft in den 225 maritimen Seefahrer-Zimmern, davon 29 großzügige Suiten und 6 traumhafte Leuchtturm-Suiten.«
Neben kurzen Hinweisen zu den integrierten Restaurants gibt es in der Imagebroschüre und im Internet Verweise auf die Ausstattung mit Wellnessbereichen, Pools und Saunen. Die Innenräume sind konsequent thematisiert, je nach Einrichtung mal rustikal (Castillo Alcazar) oder edel (Bell Rock). Angespielt wird auf Stimmungen und mögliche Assoziationen, die durch die Thematisierung ausgelöst werden sollen. Es wird ein hochwertiger, mit kulturellen Elementen angereicherter Erlebnisrahmen suggeriert. Familienfreundlichkeit und Entspannungsmöglichkeiten werden hervorgehoben. Viele weitere Freizeit- und Themenparks bieten heute thematisierte Hotels oder originelle Übernachtungsmöglichkeiten für Familien und Gruppen (Baumhäuser, Hütten, Zelte) an. Im Freizeitpark Phantasialand finden sich das asiatische Themenhotel Ling Bao und das Familienhotel Matamba mit einer afrikanischen Thematisierung (Phantasialand 2016b). Der Heidepark in Soltau lockt mit
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seinem »Abenteuerhotel«, ausgestattet mit Piraten-, Dämonen- und Westernzimmern. Daneben gibt es die Möglichkeit, in einem Hüttendorf oder in einem »Bulli Camp« in originalen VW-Kleinbussen zu übernachten (vgl. Heidepark 2016). Erkennbar ist neben der Entwicklung einer qualitativ hochwertigen Thematisierung mit authentischen Materialien die Tendenz, einfache aber originelle Unterkünfte für Gruppen und Familien anzubieten. Angepasst an unterschiedlichen Ansprüchen an einen Erlebnis-Kurzurlaub eröffnen Freizeit- und Themenparks heute auch ein differenziertes Spektrum an touristischen Angeboten mit überregionaler Attraktivität. Thematisierte Wasserwelten wie die Therme Erding bei München oder das Tropical Islands in Brandenburg gehen ebenfalls diesen Weg und entwickeln sich zu einem thematisierten Resort mit einem breiten touristischen Service. Die Therme Erding betreibt seit kurzem ein maritim thematisiertes Hotel Victory, und die Wasserwelt Tropical Islands plant zusätzlich zu den Zelten und thematisierten Lodges im Innenbereich der Halle eine Ausweitung der Übernachtungsangebote im Umfeld der Anlage (Ferienhäuser und »mobile homes«) (vgl. Laßmann 2016). Mit diesen Kurzurlaubsangeboten erfolgt eine Ausdehnung der Erlebniszeit in die Nacht, und es ist zugleich ein informelles Kulturprogramm in thematisierten Szenarien. Freizeitparks bedienen damit zunehmend einen weiteren Sektor von Themenwelten im Tourismus (vgl. Steinecke 2009) und gewinnen ein an erlebnisorientierten Kurzreisen interessiertes Publikum.
F AZIT Es gibt kein einheitliches Programm »Kulturtourismus« in Freizeit- und Themenparks. Dennoch erscheint eine Begegnung mit Kunst und Kultur möglich. Zu erkennen sind dabei interessante Grenzüberschreitungen und hybride Angebotsformen. Zwischen Bildung und Unterhaltung öffnet sich ein Raum für neue Erfahrungen. Dies macht die Einrichtungen prinzipiell zu »erlebnisorientierten Lernorten«. Kultur ist ein inhärentes Element der Themenwelt-Szenarien. Themenparks verweisen durch ihre Gestaltung auf landestypische, alltagskulturelle Elemente (Europa-Park), sie beziehen sich auf Filme und Literatur oder gehen in ihren Szenarien auf die Regionalgeschichte ein. Sie haben zum Teil explizit museale Arrangements oder temporäre Ausstellungen. Rekonstruktionen, Anspielungen und Symbole machen eine Decodierung spannend und öffnen für (Lern-)Erlebnisnisse. Eine Auseinandersetzung mit den Inhalten bleibt dabei informell und selbstgesteuert.
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Freizeit- und Themenparks sind zugleich eine Bühne für Shows und größere Events, bieten Kulturprogramme unterschiedlicher Art mit Artistik, Musik, Tanzvorführungen, Animation und vielem mehr. Die Angebote sind niedrigschwellig und ermöglichen einen Kulturkonsum nebenbei. Neben einer lebendigen Bespielung von Szenarien zeigt sich auch eine Verschmelzung von Kulturen zu neuen, transkulturellen Formen mit sinnlichen Zugängen. Der Kontext Unterhaltung bleibt dabei bestimmend, Anregungen für einen weiteren Kulturgenuss im Alltag sind jedoch nicht ausgeschlossen. Die kulturtouristische Bedeutung von Freizeit- und Themenparks wächst in dem Maße, wie neue thematisierte und integrierte Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen werden. Ein kulturtouristischer Kurzurlaub im Themenwelten ist denkbar und wird durch eine Intensivierung der Erlebnismöglichkeiten gefördert. Ein reflexives Erleben, das die Wirklichkeitskonstruktionen von Freizeitund Themenparks erkennt und trotzdem ein sinnlich-emotionales Eintauchen mit Spaß und Vergnügen zulässt, scheint gefordert. Ausgehend von den Szenarien ließe sich fragen, ob diese nicht neue Strategien im Kulturtourismus begründen: Eintauchen in künstlerisch gestaltete Welten, die emotional berühren und für ein Thema aufschließen.
L ITERATUR Autostadt (2016): Sommerfestival. Siehe www.autostadt.de/de/veranstaltungsprogramm/cnm/ (letzter Abruf: 30.06.2016). Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) (2016): Top 100. Siehe www.germany. travel/de/staedte-kultur/top-100/germany-travel-attractions.html (letzter Abruf: 30.06.2016). Erlebnispark Tripsdrill (2016): Attraktionen für Wissensdurstige. Siehe https:// tripsdrill.de/de/erlebnispark/attraktionen/fuer-wissensdurstige/ (letzter Abruf: 30.06.2016). Europa-Park (2015): Freizeitpark & Erlebnis-Resort. Imagebroschüre 2015. Europa-Park (2016a): Gäste ab 60 Jahren. Siehe www.europapark.de/de/gaesteab-60-jahren (letzter Abruf: 30.06.2016). Europa-Park (2016b): Attraktionen und Shows. Siehe www.europapark.de/de/ park/attraktionen-shows?attraction-category[]=96&age=120&body-height=2 20&adventure-level=All (letzter Abruf: 30.06.2016). Filmpark Babelsberg (2016): Der Themenpark. Siehe www.filmpark-babelsberg. de/de/der-themenpark.html (letzter Abruf: 30.06.2016).
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Freericks, Renate/Brinkmann, Dieter/Theile, Heike/Krämer, Stefan/Fromme, Johannes (Mitwirkender)/Russler, Steffen (Mitwirkender) (2005): Projekt Aquilo. Aktivierung und Qualifizierung erlebnisorientierter Lernorte, Bremen. Freericks, Renate (2015): »Erlebniswelten als inszenierte erlebnisorientierte Lernorte der Wissensgesellschaft«, in: Freericks, Renate/Brinkmann, Dieter (Hg.): Handbuch Freizeitsoziologie, Wiesbaden, S. 671-698. Hansa-Park (2010): Die Hanse. Siehe www.hanse-in-europa.de/de/ (letzter Abruf: 30.06.2016). Heidepark (2016): Kurzurlaub. Siehe www.heide-park.de/kurzurlaub.html (letzter Abruf: 13.07.2016). Herrmann, Peter (2013): »Freizeit- und Themenparks – Multimediale Zufluchtsorte einer erlebnishungrigen Gesellschaft«, in: Quack, Heinz-Dieter/Klemm, Kristiane (Hg.): Kulturtourismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts, München, S. 193-200. Kagelmann, Jürgen H./Bachleitner, Reinhard/Rieder, Manfred Maximilian (Hg.) (2004): Erlebniswelten. Zum Erlebnisboom in der Postmoderne, München. Kulturinsel Einsiedel (2016): Abenteuer Freizeitpark. Siehe www.kulturinsel. com/freizeitpark.html (letzter Abruf: 12.07.2016). Lanfer, Frank/Kagelmann, Jürgen H. (2004): »Achterbahnen als Erlebniswelten«, in: Kagelmann, Jürgen H./Bachleitner, Reinhard/Rieder, Manfred Maximilian (Hg.): Erlebniswelten. Zum Erlebnisboom in der Postmoderne, München, S. 76-87. Laßmann, Magdalena (2016): »Wagemut in der Mark Brandenburg« in: FVW Touristik & Business Travel vom 24.06.2016. Legnaro, Aldo (2009): »Nüchterner Rausch und rauschhafte Märchen – der Disney-Kontinent«, in: Szabo, Sacha (Hg.): Kultur des Vergnügens. Kirmes und Freizeitparks. Schausteller und Fahrgeschäfte. Facetten nicht-alltäglicher Orte, Bielefeld, S. 31-43. Nahrstedt, Wolfgang/Brinkmann, Dieter/Theile, Heike/Röcken, Guido (Hg.) (2002): Lernort Erlebniswelt. Neue Formen informeller Bildung in der Wissensgesellschaft, Bielefeld. Opaschowski, Horst W./Pries, Michael/Reinhardt, Ulrich (Hg.) (2006): Freizeitwirtschaft. Die Leitökonomie der Zukunft, Münster. Phantasialand (2016a): Shows. Siehe www.phantasialand.de/de/park/phan tastische-shows/ (letzter Abruf: 30.06.2016). Phantasialand (2016b): Hotels. Siehe www.phantasialand.de/de/#hotels (letzter Abruf: 13.07.2016). Pine, B. Joseph/Gilmore, James H. (1999): The Experience Economy. Work Is Theatre & Every Business a Stage, Boston, Massachusetts.
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Rossmann, Dominik (2015): »Freizeitparks – Entwicklung, Klassifizierung, Typisierung«, in: Freericks, Renate/Brinkmann, Dieter (Hg.): Handbuch Freizeitsoziologie, Wiesbaden, S. 639-669. Steinecke, Albrecht (2007): Kulturtourismus. Marktstrukturen, Fallstudien, Perspektiven, München. Steinecke, Albrecht (2009): Themenwelten im Tourismus. Marktstrukturen. Marketing-Management. Trends, München. Steinecke, Albrecht (2011): »›Was besichtigen wir morgen?‹ – Trends und Herausforderungen im Kulturtourismus«, in: Hausmann, Andrea/Murzik, Laura (Hg.): Neue Impulse im Kulturtourismus, Wiesbaden, S. 11-34. Stiftung für Zukunftsfragen (2015): Freizeitmonitor, in: www.freizeitmonitor.de (letzter Abruf: 12.07.2016). Szabo, Sacha (Hg.) (2009): Kultur des Vergnügens. Kirmes und Freizeitparks. Schausteller und Fahrgeschäfte. Facetten nicht-alltäglicher Orte, Bielefeld. Themed Entertainment Association (TEA) (2016): The Global Attractions Attendance Report. Theme Index 2015. Siehe www.teaconnect.org/images/ files/TEA_160_611852_160525.pdf (letzter Abruf: 12.12.2016). Therme Erding (2015): Prospekt Hotel Victory. Therme Erding (2016): Rückblick Events 2016. Siehe www.therme-erding.de/ programm/events/events-rueckblick-2016/details/event/lange-thermenweltnacht-11/ (letzter Abruf: 05.07.2016). VDFU (2015): Besucher- und Mitgliedszahlen 2015, mündliche Information der Geschäftsstelle, erhalten im Juni 2016.
Hotels & Co. als Kulturdestinationen
Trendorientierte Hotelkonzepte und die Rolle von Kunst und Kultur als Authentizitätsfaktoren K ATHARINA P HEBEY
Die Erfahrung von Kunst und Kultur rückt während der Urlaubszeit immer mehr in den Fokus vieler Touristen, denn Kulturtourismus liegt im Trend. Gerade Deutschland ist reich an kulturellem und architektonischem Erbe. Touristen besuchen hier in erster Linie Denkmäler, historische Bauten oder Plätze und runden ihren Aufenthalt mit dem Besuch von Ausstellungen und Museen, Festivals oder Theatern ab. Doch neben den klassischen Kultureinrichtungen haben es sich vor allem in den letzten Jahren auch Hoteliers zunehmend zur Aufgabe gemacht, die Kultur, den Flair und den Lebensstil einer Stadt bereits innerhalb der Herberge erlebbar zu gestalten. Ziel ist es, ein ganzheitliches, authentisches und vor allem möglichst einzigartiges Erlebnis für ihre Gäste zu schaffen, denn die Reisemärkte sind gesättigt und der deutschsprachige Hotelmarkt ist von einem starken Verdrängungswettbewerb gekennzeichnet. Einzigartig und unverwechselbar sollten Konzepte sein, um sich von der Konkurrenz zu differenzieren und sich am Markt stärker strategisch zu profilieren. Eine klare Differenzierung und eine starke Positionierung sind demnach zwei notwendige Aspekte, um sich langfristig auf dem Markt zu behaupten (vgl. Alberti 2012: 1). Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich dieser Beitrag mit den wandelnden Gäste- und Reisebedürfnissen und den daraus resultierenden Trends und Konzepten in der Hotellerie. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Erlebnisinszenierung als Erfolgsfaktor und der Frage, wie mittels Kunst und Kultur ein möglichst authentisches Gästeerlebnis innerhalb der Unterkünfte inszeniert werden kann. Dies soll abschließend an zwei ausgewählten Beispielen aus der Praxis verdeutlicht werden.
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G ÄSTEBEDÜRFNISSE
VON HEUTE UND MORGEN
Konsum und Bedarfsdeckung verhalten sich nicht länger proportional zueinander. Der Gast von heute kauft Produkte und Dienstleistungen nicht mehr ausschließlich ihres Kernnutzens wegen. Er sucht vielmehr einen emotionalen Mehrwert, ein einzigartiges Erlebnis, das Eintauchen in fremde Kulturen oder den extravaganten Lifestyle einer Stadt. Vor allem Hotels nehmen eine zentrale Rolle in unserer schnelllebigen und äußerst mobilen Gesellschaft ein. Schneller als in anderen Branchen können in der Hotellerie gesellschaftliche Veränderungen und neue Bedürfnisse beobachtet werden (vgl. Gatterer/Reiter/Rützler 2014: 11). Bei der nachhaltigen Positionierung von Hotelkonzepten am Markt spielt heutzutage die grundlegende Sozialforschung eine größere Rolle. Es ist unbedingt notwendig für Hoteliers, ihre Gäste zu kennen, ihr Verhalten vorherzusagen und ihre Wünsche zu antizipieren. Hoteliers müssen sich intensiv mit der Zukunft beschäftigen um nachhaltig erfolgreich zu sein. Nur so können sie bei der Konzeptionierung neuer Projekte aktuelle Trends und Megatrends in Betracht ziehen und diese für sich nutzen (vgl. Probst 2000: 114). Das Zukunftsinstitut Österreich hat sich mit aktuellen Trends der Reisenden beschäftigt und in Bezug auf die Hotellerie die folgenden Megatrends zusammengefasst: Neue Zielgruppen: Female Shift & Silver Society In den vergangenen Jahren hat zunehmend eine Verschiebung der klassischen Geschlechterrollen begonnen. Frauen streben nach beruflichem Erfolg und die Elternzeit für den Mann erlangt stetig mehr Zuspruch. Die Tendenz der Frau alleine oder mit Freundinnen zu verreisen steigt ebenso, wie das Verständnis, dass die Frau über Reisedestination und -budget entscheidet. Eine stärkere Konzentration auf die Bedürfnisse der weiblichen Reisenden, der sogenannte Female Shift, wird in den kommenden Jahren Erfolg garantieren (vgl. Gatterer/Reiter/Rützler 2014: 17). Eine weitere, nicht zu vernachlässigende Zielgruppe, sind die Best Ager und Silver Surfer. Nicht nur die Lebenserwartung in Deutschland ist gestiegen, sondern auch die Bedürfnisse im Alter. Nach dem Berufsleben ist der Lebensabend noch lange nicht erreicht. Durch den medizinischen Fortschritt rückt vor allem die Reisebereitschaft in den Fokus der Silver Society und stellt damit auch die Hotellerie vor neue Herausforderungen (vgl. ebd.).
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New Work & Konnektivität Ein Leben ohne die digitale Welt ist inzwischen unvorstellbar. Soziale Netzwerke haben in den vergangenen zehn Jahren einen Aufschwung erlebt, der seinesgleichen sucht. Gäste fordern gleichzeitig Transparenz und Anonymität im Netz. Sie sehnen sich nach modernen Arbeitsatmosphären, die Begegnungen, Interaktion und Inspiration schaffen. Working Stations und kostenloses WLAN auf den Zimmern ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Geschäftsreisende, aber auch junge Gäste wünschen sich individuelle und lifestylige Konzepte mit einem rund um die Uhr besetzten Business Center – denn gearbeitet werden kann heute schließlich überall dort, wo sich ein Notebook aufklappen lässt. Gesucht wird eine 24/7-Konnektivität, um auch große Teile der Freizeit online verbringen zu können (vgl. Gatterer/Braun/Kirig 2009: 13, Gatterer/Reiter/Rützler 2014: 18). Die Lifestyle-Konzepte von 25hours hotels sind ein perfektes Beispiel für den modernen und urbanen Geschäftsreisetourismus. Multioptionalität Nicht zuletzt Kulturtouristen entwickelten in den vergangenen Jahren den Wunsch nach einer breitgefächerten Angebotspalette in der bereisten Destination. Der Trend geht immer mehr in Richtung eines Erlebnis-Angebotscocktails, aus dem selbstbestimmt und spontan vor Ort gewählt wird. Viele Angebote interessieren den Gast dabei nicht zwingend primär, dennoch legt er großen Wert auf seine freie Entscheidungsmöglichkeit. Ob bei der Reisebuchung, der Infrastruktur innerhalb der Destination oder dem Aufenthalt: Gäste fordern höchstmögliche Convenience1, bei größtmöglicher Multioptionalität (vgl. Steinecke 2000: 22, Quack 2000: 196, Brunner-Sperdin 2008: 21). Markenbewusstsein Die Qualität einer Reise ist immer eng verwoben mit dem Sicherheitsgefühl des Gastes. Weiterhin korreliert das Bedürfnis nach Sicherheit mit der Markenaffinität der postmodernen Gesellschaft. Erfahrung, Marketing und Medien haben sich in den Köpfen der Menschen verankert: Eine Marke bedeutet Sicherheit – Sicherheit an Qualität und Sicherheit an Standards. Eine gut positionierte und verständliche Marke suggeriert dem Gast das Gefühl, dass er genau das bekommt,
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Englisch für Bequemlichkeit.
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was er erwartet. Dieses Gefühl wirkt sich positiv auf seine Kaufentscheidung aus (vgl. Steinecke 2000: 22). Eine Marke hat für den Käufer vielerlei Bedeutungen. Sie wird als Zugehörigkeitsgefühl für eine bestimmte Lebensstilgruppe gesehen. Die gemeinsame Affinität zu einer Marke schafft eine emotionale Bindung, die nachhaltig im Gedächtnis gespeichert wird und die Individualität des Konsumenten unterstreicht. Marken erfüllen eine erwartete Qualität und wirken daher verlässlich. Diese Verlässlichkeit hilft bei der Orientierung auf dem Markt, der von Überangeboten gezeichnet ist (vgl. ebd.: 12 f., 24). Mobilität & Globalisierung Eine wichtige Veränderung im Reiseverhalten liegt in der verbesserten Mobilität der Gesellschaft. Mobilität ist heute eine Grundvoraussetzung für unser Leben und Wirtschaften geworden. Die technische Entwicklung größerer und schnellerer Transportmittel förderte ein häufigeres, einfacheres und weltweites Reisen der Gesellschaft – vor allem in der freien Zeit. Der Low-Cost-Boom einiger Fluggesellschaften hat das Reiseverhalten revolutioniert: Für wenig Geld von A nach B reisen, hat gerade dem Städtetourismus und dem Trend zur Kurzreise einen Auftrieb gegeben (vgl. Freyer 2006: 26 ff.). Weiterhin nehmen Verkehrsbarrieren weltweit ab. Die Weltbevölkerung rückt im Zuge der Globalisierung näher zusammen. Horx spricht von einer zunehmend glokalen Welt (vgl. Horx 2011: 94). Eine Welt, in der jeder, zu jeder Zeit, in jegliche Destination reisen kann, und dabei die Wahlmöglichkeit zwischen zahlreichen Transportmitteln, Geschwindigkeiten und Preisstrukturen hat (vgl. Steinhage 2012: 60 ff.). Nicht zu vernachlässigen ist heute die neue Auffassung von Nachhaltigkeit und deren Einfluss auf das Mobilitätsverhalten der Reisenden (vgl. Gatterer/Reiter/Rützler 2014: 19). Urbanisierung & Kurztrip Die Flexibilisierung der Arbeitszeit und die Entwicklung der Mobilität ebneten den Weg für den Kurzreisetrend. Über das Wochenende spontan zum Sightseeing nach Dresden, einen Brückentag nutzen, um die Bundesgartenschau in Hamburg zu besichtigen oder zum Junggesellenabschied für eine Nacht nach Mallorca – Kurzreisen liegen im Trend. Reiseentscheidungen werden spontaner getroffen, das Buchungsverhalten wird immer kurzfristiger und flexibler – eine wochenlange Planung rückt in den Hintergrund (vgl. Brunner-Sperdin 2008: 24).
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Ob Doppelverdiener, die sogenannten DINKS2, Best Ager (50+) oder Familien: Kurzreisen sind in allen Segmenten beliebt. Die freie Zeit wird seltener geballt dazu genutzt, um zum Beispiel zwei Wochen in die Türkei zu fliegen. Vielmehr geht es inzwischen darum, häufiger und vielfältiger aus dem Alltag auszubrechen und einen Ausgleich zum Arbeitsleben zu schaffen (vgl. Pikkemaat/Peters 2006: 84). Vor allem die Städtereise erfreut sich aufgrund des Kurzreisetrends großer Beliebtheit. Derzeit leben mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Städte und Metropolen gelten als Zentren für Wirtschaft, Urbanität und Kultur. Sie eigenen sich perfekt, um den gewohnten Alltag hinter sich zu lassen und in das Leben der Einheimischen einzutauchen (vgl. Gatterer/Reiter/Rützler 2014: 19). Neo-Ökologie Mittlerweile ist allen Reisenden bewusst, dass sie nicht nur zu Hause, sondern vor allem auch im Urlaub einen Klima-Fußabdruck hinterlassen. In ihrer gewohnten Umgebung achten sie heute darauf, nachhaltig und energieeffizient zu leben und zu handeln. Das Thema »Bio« wird in allen Lebensbereichen zum Standard. Dieses Bewusstsein beeinflusst Reisende zunehmend bei der Buchung einer Unterkunft (vgl. ebd.: 18). Längst geht es nicht mehr nur darum, sich selbst etwas Gutes zu tun, sondern auch seiner Umgebung. Beispielsweise geht der Trend heute stärker zur Städteerkundung mit dem Fahrrad anstatt mit dem Bus. Der Tourist verhält sich so nicht nur grüner, sondern erlebt gleichzeitig intensiver die einheimische Kultur der bereisten Destination (vgl. Rosen 2016: 1). Gesundheit & Wellness Ein weiterer Megatrend ist das Thema Gesundheit und Wellness. Gäste sehnen sich nach Erholungsräumen fernab von Arbeit und Büro, als bewussten Kontrast zum Alltag, um sich auf die innere Balance der Lebensenergien zu konzentrieren. Hotels werden zu Ruheoasen, die den Gast einladen, Energie zu tanken und sich auf sein Inneres zu besinnen (vgl. Gatterer/Braun/Kirig 2009: 13, Gatterer/Reiter/Rützler 2014: 18). Gesunde Ernährung, aktive Bewegung, innovative Körperpflege und ganzheitliche Entspannung – aber auch die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte und geistiger Aktivität rücken hierbei verstärkt in den Vordergrund (vgl. Gruner 2012: 79).
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Abkürzung für »double income no kids«.
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Im zweiten Schritt streben Touristen heute nach einer aktiven Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit, die zwar kritisch, aber auch regenerierend und positiv sein soll. Das sogenannte Selfness beschäftigt sich hierbei mit Selbstreflexion, Selbstfindung und dem Ausgleich der inneren Harmonie und Balance (vgl. Gatterer/Braun/Kirig 2009: 21, 79). Qualität Eine wichtige Entwicklung der Gesellschaft ist die Verschiebung der persönlichen Bedürfnisse weg von einer »Geiz-ist-Geil«-Mentalität, hin zu einem deutlichen Wunsch nach mehr Qualität. Vor Antritt der Reise werden Erfahrungsberichte auf verschiedensten Internetportalen analysiert, Gäste tauschen sich in Foren aus und nicht zuletzt die persönliche Reiseerfahrung und die des engeren Umfeldes tragen zu einem erhöhten Qualitätsbewusstsein bei. Die Erfahrung, das Erlebnis und die Qualität der beiden treten in den Vordergrund der Reisemotivation (vgl. Böttcher 2012: 122 f.). Qualität ist die Differenz zwischen dem, was der Gast erwartet und der Leistung, die er bekommt. Qualität kann demnach von jedem Gast anders empfunden werden. Die Erwartung ist abhängig von Erfahrung, Geschmack und Herkunft des Gastes. Der Nutzen eines Produktes oder einer Dienstleistung ist nicht länger das entscheidende Kaufkriterium. Vielmehr wird der Konsument vom Zusatznutzen der Leistung angesprochen, die über die funktionale und sachliche Qualität hinausreicht. Der Gast fragt einen emotionalen Zusatznutzen nach, der seine Lebensqualität nachhaltig steigern soll (vgl. Hennings 2000: 58). Jeder Gast hat also eine unterbewusste Erwartungshaltung an ein Produkt, eine Dienstleistung oder ein Konzept. Stimmen Erwartungshaltung und erfahrene Leistung miteinander überein, sprich der Gast bekommt genau die Leistung, die er auch erwartet hat, so ist die Leistungsbilanz ausgeglichen. Die Folge dieser Balance ist Gästezufriedenheit, aus der möglicherweise ein Wiederkaufverhalten resultieren kann (vgl. Gruner 2012: 33). Individualisierung und Authentizität Der wohl wichtigste gesellschaftliche Megatrend ist die Individualisierung und damit der Wunsch nach Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung (vgl. Hennings 2000: 56). Die Lebensbiografien entwickeln sich individueller und werden zu Multigrafien. Die Gesellschaft schafft immer mehr Freiheiten und setzt sich gleichzeitig immer mehr unter Entscheidungsdruck (vgl. Gatterer/Reiter/Rützler 2014: 17). Arbeitswelt und Arbeitszeit gestalten sich flexibler, Wohnsituation
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und Partnerschaften verändern sich, das Konsumverhalten differenziert sich nicht mehr nur durch Qualität oder Preis. Der hybride Gast von heute springt nicht länger auf standardisierte Dienstleistungen an. Er sucht nach Authentizität und wünscht sich Persönlichkeit, Ehrlichkeit und ein wahres Erlebnis. Hoteliers sollen ein detailliertes Verständnis für die Erwartungshaltung ihrer Gäste entwickeln und deren Wünsche antizipieren. Gäste sehnen sich nach einem Hauch von Persönlichkeit während ihres Aufenthalts (vgl. Rosen 2016: 1). Für einen langfristigen Erfolg müssen Gastgeber Alleinstellungsmerkmale kreieren, die ihre Gäste persönlich berühren und individuell ansprechen (vgl. Baumbach 2007: 62, Petermann/Wennrich 1999: 5 ff.). Der Hotelier von morgen wird sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie er authentisch auf die Bedürfnisse seiner Gäste eingehen kann.
N EUE T RENDS
IN DER
H OTELLERIE
Seit Jahren legen Experten einen gezielten Fokus auf die Erkennung von gesellschaftlichen Entwicklungen bei der Schaffung und Konzeptionierung von neuartigen Hotelkonzepten. Zahlreiche Hoteliers halten nach den neuesten Trends Ausschau, um auf dem hart umkämpften Markt zu den »Gästechampions« zu gehören. Für die kommenden Jahre haben sich einige Trends herauskristallisiert, die zu großen Teilen auf die eben beschriebenen Gästebedürfnisse reagieren. Das Hotelrestaurant erlangt einen besonderen Stellenwert Für die meisten Reisenden ist das kulinarische Angebot ein wichtiges Kriterium bei der Reisebuchung. Doch lange herrschte das Vorurteil, dass ein Hotelrestaurant lediglich den Gästen des Hotels vorbehalten sei. Bereits in den letzten Jahren gab es hier eine Trendwende in den Köpfen der Branche und so wurden Hotelbars, -restaurants und Tagescafés zu regelrechten Szene-Treffpunkten für Hotelgäste und Einheimische.3 Sie werden Orte, die gleichermaßen zum Relaxen, Netzwerken oder zum Feiern einladen: Social Dining liegt im Trend (vgl. Chipkin 2015: 1). So vermischen sich Gäste mit Einheimischen und bieten einen internationalen und kulturellen Austausch der besonderen Art. 2015 wurde deswegen die Monkey Bar, die berühmte Hotelbar des 25hours Bikini Berlin, mit dem Euro-
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Siehe www.weltderwunder.de/photo_stories/die-hotel-trends-des-jahres-luxus-mal-an ders (letzter Abruf: 08.03.2017).
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pean Hospitality Award für die beste Hotelbar Europas ausgezeichnet. Einige Hoteliers setzen inzwischen verstärkt darauf, ihre Hotelgastronomie als Aushängeschild und Alleinstellungsmerkmal zu positionieren. Sie buhlen um Locals und Auszeichnungen und versuchen so die Marke innerhalb der Destination zu etablieren und zu festigen (vgl. Haaf 2016: 1 ff., Conroy 2016: 1 ff.). Auch der Gästewunsch nach regionalen Produkten wird in der Hotelgastronomie aufgegriffen. Gäste möchten die Region, in der sie sich befinden, auch kulinarisch genießen. In einer Studie der CHD Expert wurden 250 Unternehmen aus Hotellerie und Gastronomie befragt; bereits 80 Prozent der Gastbetriebe verwenden Biolebensmittel in ihren Küchen. Vor rund zehn Jahren lag dieser Wert gerade mal bei 50 Prozent – der Trend ist also deutlich zu erkennen. Die Hartman Group, ein angesehenes Research- und Consulting-Unternehmen konstatiert den Trend »Going green when dining out« für die Zukunft (zitiert nach Gatterer/Reiter/Rützler 2014: 73). Neue Technologien rücken in den Fokus Das digitale Zeitalter mit all seinen Facetten hat den Alltag der Menschen radikal verändert. Das Internet hat die Reisebranche stark beeinflusst, Reise- und Buchungsverhalten haben den Markt verändert. Social Media und mobile Computer (Tablets, Smartphones, Laptops) erlauben den Gästen einen regen und vor allem offenen Austausch, ebenso wie einen tieferen Einblick in alle touristischen Angebote. Zimmerbuchung, Bewertung und Weiterempfehlung sind heute von überall möglich – das konfrontiert Hoteliers mit neuen Herausforderungen. Heute gilt es, diese Herausforderungen als Chance zu nutzen, um den Touristen einen größtmöglichen Service zu liefern. Kostenloses Highspeed WLAN wird als normal angesehen, Gäste fordern schlüssellose Zimmer, den Late Check-out, genauso wie Bezahlvorgänge via Mobiltelefon (vgl. ebd.: 47, Haaf 2016: 1 ff.). Neuer Luxus wird zur wichtigen Nische Der moderne Urlauber ist anspruchsvoller denn je. Er verreist kurzfristiger, möchte flexibler buchen und das am besten über Internet oder Handy. Durch vermehrte Reiseerfahrungen ist er preissensibler, anspruchsvoller und unabhängiger. Er sucht immer weniger nach der Pauschalreise mit fixen Aktivitäten. Eher strebt er nach kurzlebigen und extremen Erfahrungen, ist aktiv und sucht den Abstand zum Alltag (vgl. Brunner-Sperdin 2008: 1 f.). Touristen werden zunehmend hybrider: Nach Opaschowski sind Sparzeitalter und Erlebniszeitalter keine Gegensätze mehr (vgl. Opaschowski 2008: 153 ff.).
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Gestiegener Wohlstand und wachsendes Realeinkommen schlagen sich in einem erhöhten Konsum von Luxusgütern nieder. Die Grundbedürfnisse der Gesellschaft sind gesättigt und daher kann das übrige Einkommen für Konsum- und Freizeitgüter verwendet werden (vgl. Theiner/Steinhauser 2006: 24). In Bezug auf den Kulturtourismus rücken vor allem Senioren in den Fokus der Betrachtung, da sie sowohl Zeit als auch pekuniäre Möglichkeiten besitzen (vgl. Böttcher 2012: 124). Reisende buchen nicht länger nach ihrem sozialen Status, sondern entscheiden sich je nach Reiseanlass für die passende Dienstleistung. Auf der einen Seite verzichten Konsumenten dabei auf Luxus und Komfort, um ihr Urlaubsbudget nicht zu überlasten. Dieser Trend ist deutlich erkennbar im Transportsektor, durch den Aufschwung der Billigairlines. Auf der anderen Seite gönnen sich Touristen ein luxuriöseres Ambiente bei der Freizeitgestaltung innerhalb der Destination. Der Tourist fliegt also mit der Billigairline in den Wellness-Urlaub und übernachtet dann in einem Fünf-Sterne-Baumhaushotel. Die Tourismusbranche spricht in diesem Zusammenhang vom hybriden Kunden oder, die Freizeitkultur betreffend, vom hybriden Touristen (vgl. Nierhaus 2012: 39, BrunnerSperdin 2008: 23). Der hybride Konsument ist pragmatisch: Er kauft bei Aldi und bei Armani ein, übernachtet heute in einer Fünf-Sterne-Luxus-Suite und schläft morgen in einem Budget-Bett von Motel One (vgl. Markgraf 2011: 37 ff.). Die steigende Nachfrage nach andersartigen Hotelkonzepten beruht nicht zuletzt auf dem Wunsch der Gesellschaft, einen Kontrast zum Alltag zu erleben. Reisende möchten die streng reglementierten Normen der Gesellschaft abschütteln, Alltagssorgen und -stress hinter sich lassen und stattdessen während ihres Hotelaufenthalts traumhafte Stunden der Freude und Entspannung genießen. Dieses Phänomen bezeichnet man als Eskapismus oder Realitätsflucht (vgl. Opaschowski 2000: 47, Probst 2000: 107). Dieser Eskapismus wird zum neuen Luxus. Gäste sehnen sich nach Nischenkonzepten, die maßgeschneidert sind. Ob Baumhaushotel in Finnland, LuxusLodges in Südamerika oder ein Zeltcamp in der Wüste – gesucht wird die besondere und extreme Erfahrung, ohne dabei auf den gewohnten Luxus zu verzichten4 (vgl. Haaf 2016: 1).
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Siehe
www.weltderwunder.de/photo_stories/die-hotel-trends-des-jahres-luxus-mal-
anders (letzter Abruf: 08.03.2017).
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Millenials, die neue alte Zielgruppe Alternative Beherbergungsformen sind auf dem Vormarsch. Couchsurfing und Airbnb führen den Trend erfolgreich an und verkörpern den Zeitgeist einer neuen Generation. Die Hotellerie hat lange auf eine Reaktion warten lassen. Jetzt will sie sich verstärkt bemühen, dieser wichtigen Zielgruppe gerecht zu werden. Lifestyle wird großgeschrieben und eine authentische Vernetzung zur Stadt und den Locals angestrebt. Preise werden flexibler und günstiger, frische Marken und Konzepte sowie neuartige Standorte sollen die wichtige Zielgruppe der Millenials5 ansprechen, um sie vor allem im Geschäftsreise- und MICE6-Segment zurückzugewinnen (vgl. Haaf 2016: 1 ff.). Hotelgruppen formieren sich neu Auf einem stark konkurrierenden Markt versuchen sich Hotelgruppen neu zu formieren, um allen Zielgruppen gerecht zu werden und sich perfekt aufzustellen. Marriott und Starwood haben es vorgemacht: Der Zusammenschluss der beiden Hotelgruppen bietet Reisenden ein ganzheitliches Portfolio, das ansprechender nicht sein könnte: Vom Budgethotel bis zum Luxusressort sollen alle Gästewünsche abgedeckt werden. Die Accor-Gruppe startete einen ähnlichen Versuch, indem sie 2015 mit FRHI Hotels & Resorts, mit seinen führenden Marken Fairmont, Raffles und Swissôtel, fusionierte. Anschließend erwarb die Accor-Gruppe Ende 2016 30 Prozent der 25hours Hotel Company, um einen internationalen Ausbau der Lifestyle-Kette zu unterstützen (vgl. ebd.: 1, Marti 2016: 1). Wellness erschließt und bindet neue Zielgruppen Gäste konzentrieren sich bei der Auswahl der Hotels verstärkt auf das Thema Gesundheit und Wellness. Dieser gesellschaftliche Trend ist bei den Hoteliers angekommen und sie reagieren mit ganzheitlichen Angeboten auf die erhöhte Nachfrage. Yoga-Kurse, Ernährungsberatung, Massagen und Lichttherapien gehören mittlerweile schon zur standardisierten Leistungspalette. Vordergründig werden Spa-Bereiche und Fitnessräume renoviert und ausgebaut, hintergründig beschäftigt sich der F&B-Bereich7 mit alternativen Ernährungsformen und
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Reisende zwischen 18 und 35 Jahren.
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Abkürzung für »meetings«, »incentives«, »conventions«, »events«.
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Abkürzung für »food and beverage«.
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nimmt Rücksicht auf Diäten und Allergiker (vgl. Haaf 2016: 1). Wer die Nachfrage nach ganzheitlichem Wellness und Selfness-Angeboten bedient, wird künftig zu den »Gästechampions« gehören. Nachhaltigkeit wird zum Buchungskriterium Seit Jahren legen Gäste bei der Suche, Wahl und Buchung ihrer Unterkunft ein besonderes Augenmerk auf das Thema Nachhaltigkeit. Doch reicht es längst nicht mehr aus, wenn Handtücher zweimal benutzt werden oder Bewegungsmelder in den Gängen das Licht steuern. Der Tourist von morgen fordert ein ganzheitliches, nachhaltiges Engagement: Ökologisch, ökonomisch, ethisch korrekt und sozial soll es sein. Eine größere Nachfrage erleben Hotels, die Landschaft, Kultur und Umgebung der Destination in ihre Konzepte einbetten. Eine erfolgreiche Umsetzung erreichen sie durch die Verwendung von Materialien aus der Region, Unterstützung der lokalen Märkte durch das Einkaufen regionaler Produkte und den bewussten und energieeffizienten Einsatz von Ressourcen. Auch das Personal soll regelmäßig auf Nachhaltigkeit sensibilisiert und geschult werden (vgl. ebd., Gatterer/Reiter/Rützler 2014: 72). Ein Erfolgsbeispiel für nachhaltige Hotellerie sind die Passivhäuser der Explorer Hotels Entwicklungs GmbH. Sie sind zu 100 Prozent klimaneutral. Die Unterkünfte sind Nullemissionsgebäude, die echten Ökostrom beziehen. Hoteliers setzen auf Individualität Für Reisende soll es vor allem einzigartig sein. Touristen ist es immer wichtiger, sich aus ihrem gewohnten Alltag zu befreien und sich von der Masse abzuheben, um ein einzigartiges Erlebnis zu erfahren. Bei der Reisebuchung werden immer mehr Nischen nachgefragt, die versprechen, persönlich und individuell auf den Reisenden einzugehen. Außergewöhnliche und dennoch authentische Hotelkonzepte sind mittlerweile auf dem Vormarsch. Dabei muss das Konzept durchgehend konsequent sein. Vom Ambiente und Design der Zimmer bis hin zur Dienstkleidung der Mitarbeiter darf kein Bruch entstehen, damit die Inszenierung perfekt und authentisch wirkt (vgl. Haaf 2016: 1 ff.). Spezialisierungen rücken in den Fokus, denn Innovationen sind der Erfolgsfaktor Nummer eins in gesättigten Märkten und Regionen (vgl. Pilz 2014: 1). Als Reaktion auf die Individualisierung der Gesellschaft entstehen eine Vielzahl an außergewöhnlichen Hotelkonzepten, wie zum Beispiel Seniorenhotels, Carehotels, Singlehotels oder Hundehotels – die Investition und Konzentration auf Alleinstellungsmerkmale ist zukünftig stärker notwendig denn je.
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Profis im Segment des sogenannten immersiven Tourismus, der Individualismus mit dem lokalen Flair des Standorts verknüpft, sind die Gründer von Airbnb. Touristen sollen sich in der bereisten Destination wie Einheimische fühlen. Touristen möchten Städte nicht länger nur besuchen, sie möchten sie erleben. Regionale Gerichte, authentische Architektur und Materialien kreieren eine Wohnzimmeratmosphäre in den öffentlichen Bereichen der Hotels.8 Vorreiter sind das Ruby Sofie Hotel und das 25hours Spektakel in Wien, aber auch das nhow Berlin, mit seinem eigenen Tonstudio und einer Kunstgalerie, in der Berliner Künstler ihre Werke ausstellen können. Megatrend Erlebnisinszenierung Megatrends in der Hotelbranche lassen sich aufgrund der hohen Dynamik der Märkte nur schwer prognostizieren. Die Betrachtung der veränderten Gästebedürfnisse und Trends zeigt aber deutlich, dass es für die Hotellerie immer wichtiger wird, individuelle, einzigartige und authentische Erlebnisse zu inszenieren. Die Entwicklung der Gesellschaft, sowie sie in den vergangenen 20 Jahren stattgefunden hat, und die positiven betriebswirtschaftlichen Ergebnisse der ErlebnisHotels verdeutlichen nicht nur, dass Gäste bereit sind, für einen ErlebnisZusatznutzen mehr Geld auszugeben, sondern beschreiben eine eindeutige Tendenz dafür, dass die Erlebnisinszenierung bei der Freizeitgestaltung im Vordergrund steht. Wer heute auf dem Markt erfolgreich sein möchte, kommt um das Thema Erlebnisinszenierung nicht herum (vgl. Dogterom 2000: 145, Burkhart 2015: 1). Touristen streben verstärkt nach Neuem, nach ständiger Abwechslung. Sie suchen Faszination, Begeisterung und Freunde. Sie möchten ihre Lebensqualität steigern und aus dem Alltag ausbrechen – das individuelle Reiseerlebnis steht im Vordergrund. Diese Erlebnisorientierung verändert das Konsumverhalten der Gesellschaft nachhaltig und kann als längerfristiger, durchgängiger Trend prognostiziert werden (vgl. Brunner-Sperdin 2008: 24, Hennings 2000: 60). Erlebnisse können in kleinem und größerem Umfang produziert werden. Es gilt für Hoteliers, Erlebnis-Situationen zu schaffen, die durchgängig, authentisch und unkompliziert den Gast berühren und langfristig binden (vgl. Nierhaus 2012: 39). Definitorisch betrachtet ist ein Erlebnis ein Ereignis, das vom Gewohnten oder von dem vom Individuum als alltäglich erachteten, abweicht und sich nachhaltig im Gedächtnis verankert (vgl. Koller 2005: 368). Erlebnisse sind Empfin-
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Siehe www.weltderwunder.de/photo_stories/die-hotel-trends-des-jahres-luxus-mal-an ders (letzter Abruf: 08.03.2017).
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dungen und Reaktionen auf äußere Reize. Ein Erlebnis kann unterschiedlichster Natur sein: es kann positiv oder negativ wirken, es kann befriedigen, aufregen, faszinieren, erschrecken oder gar traumatisieren. In jedem Fall wird das Erlebnis im emotionalen Gedächtnis abgespeichert und ist in der Erinnerung langfristig abrufbar (vgl. Grötsch 2006: 50, Hennings 2000: 60). Erlebnisse sind subjektiv und liegen damit immer im Auge des Betrachters beziehungsweise des Erlebenden. Sie sind stark abhängig von den Erfahrungsund Sozialisationshintergründen des Einzelnen (vgl. Stampfli-Marzaroli 2003: 21). Positive Erlebnisse sind schwer reproduzierbar, dadurch entsteht nicht selten Enttäuschung beim Konsumenten. In Folge dessen wird das Angebot nicht mehr nachgefragt und bleibt dem Gast zusätzlich negativ in Erinnerung. Die Eigenschaften von Erlebnissen und die starke Verknüpfung zu Emotionen zeigt deutlich, worin die Schwierigkeit für die Freizeitindustrie besteht: systematisch künstliche Erlebnisse zu produzieren, die bei einer breiten Masse Anklang finden. Der Nachfrager bekommt auf dem Erlebnismarkt lediglich die Zutaten für ein Erlebnis serviert, jeder Gast bestimmt die Intensität individuell (vgl. Hennings 2000: 60). Von Vorteil für die Freizeitindustrie ist der gemeinschaftliche Charakter des Erlebens. Ereignisse, die gemeinschaftlich erlebt werden, wirken intensiver und nachhaltiger auf den Menschen ein (vgl. Stampfli-Marzaroli 2003: 20). Unabhängig davon aber ist die Inszenierung ein unabdingbares Instrument für die Schaffung möglichst authentischer und damit nachhaltiger Erlebnisse. Der DUDEN definiert »Inszenierung« beziehungsweise »inszenieren« als die technische und künstlerische Vorbereitung, Gestaltung und Leitung eines Stückes (beim Theater, Film oder Fernsehen) und deutet weiterhin auf die abwertende Bedeutung des Wortes in Zusammenhang mit den Sätzen »geschickt ins Werk setzen« sowie »einfädeln [einer Situation, Anm. der Verf.]«.9 Bis vor einigen Jahren war die Inszenierung von touristischen Angeboten und Leistungen mit negativen Assoziationen behaftet. Kritiker sprachen von Tourismus-Fallen und beklagten den Wegfall von Authentizität zugunsten der Anbieter und auf Kosten der Besucher. Inszenierung verkörperte das Falsche, Künstliche und Unechte (vgl. Romeiß-Stracke 2006: 35). Heutzutage ist Inszenierung ein kaum wegzudenkendes Instrument, das von Touristen gefordert beziehungsweise vorausgesetzt wird. Inzwischen haben die meisten Erlebniskonzepte eine thematische Grundausrichtung: Die Erlebnishotellerie orientiert sich beispielsweise zunehmend an übergeordneten Leitmotiven, einem sogenannten Storyline-Prinzip (vgl. Ro-
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Siehe www.duden.de/rechtschreibung/inszenieren (letzter Abruf: 25.02.2017).
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meiß-Stracke 2006: 38 f.). Die gesamte Servicekette des Hotels muss diesem Thema folgen und alle Bereiche einschließen, um eine authentische Inszenierung zu erschaffen. Die Umsetzung muss durchgängig und detailreich sein, damit der Gast die thematisierte Leistung als stimmig und einprägsam empfindet. Die Thematisierung von Konzepten erhöht die emotionale Bindung des Gastes und steigert vor allem den Wiedererkennungswert (vgl. Koller 2005: 370, Kahls 2009: 25). Klassische Beispiele für die Thematisierung von Erlebnishotels sind länderspezifische Themen, mystische oder kulturhistorische Themen. Das Alleinstellungsmerkmal Erlebnis und der Trend zur Inszenierung haben sich in der Hotellerie heute längst verselbstständigt: Gäste können in Baumhäusern10 oder auf Flößen11 übernachten, metertief unter der Meeresoberfläche nächtigen12 oder in einem Iglu aus Eis13 schlafen. Wenig überraschend ist daher der Rückgang der Nachfrage nach konventionellen Mainstreamkonzepten und die gleichzeitige Fokussierung der Gäste auf individuelle Konzepte mit emotional ansprechendem Design und persönlichem Mehrwert. Gäste suchen zunehmend besondere Inszenierungen bei der Ablenkung vom Alltag. Sie fordern Hotels, die eine Geschichte erzählen oder unter einem zeitlosen Thema stehen, wie zum Beispiel das 25hours Hafencity in Hamburg. Meist sprechen Erlebnis-Hotels keine klar definierte Zielgruppe an, sie festigen ihren Wettbewerbsvorteil, indem sie einen Erlebnis-Aufenthalt anbieten, der für eine breitere, altersunabhängige Stilgruppe interessant ist (vgl. Hotelverband Deutschland 2016: 89 f.). Gäste der Erlebnishotels finden sich in allen Zielgruppen-Segmenten: Ob junge Paare, Geschäftsreisende oder moderne Senioren – der Trend der Erlebnishotellerie erreicht eine breite Gästeklientel, die Spaß und Unterhaltung sucht und bereit ist, für diesen Erlebnis-Mehrwert zu bezahlen (vgl. Steinecke 2009: 98 f.).
10 Siehe www.wipfelglück.de (letzter Abruf: 25.02.2017). 11 Siehe www.kolbatzer-muehle.de (letzter Abruf: 25.02.2017). 12 Siehe www.fem.com/liebe-lust/artikel/flitterwochen-aussergewoehnliche-ziele-honey moon-fuer-exoten (letzter Abruf: 27.03.2017). 13 Siehe www.iglu-village.at (letzter Abruf: 25.02.2017).
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E RFOLGSFAKTOREN FÜR ERFOLGREICHE E RLEBNISINSZENIERUNG Wie in den zwei vorangegangenen Kapiteln eingehend beschrieben, wuchs das Bedürfnis der Gesellschaft nach Individualisierung und Authentizität in den vergangenen Jahren immer stärker und zwang damit die Hotellerie zu einer Reaktion. Eine erlebnisaufgeladene Inszenierung von Hotelleistungen hat sich hierbei besonders bewährt. Um eine perfekte Inszenierung zu kreieren gilt es, einige Erfolgsfaktoren zu berücksichtigen, um langfristig eine Positionierung zu sichern. Authentisch muss es sein! »Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.« ANTOINE DE SAINT EXUPÉRY/DER KLEINE PRINZ
Qualität und Authentizität der Hotelkonzepte sind heutzutage die wichtigsten Erfolgsfaktoren für eine langfristige Profilierung im Wettbewerb. Das Hotelkonzept muss authentisch wirken, sonst läuft das Erlebnis Gefahr, entsprechend gegenläufige Reaktionen zu wecken. Diese Authentizität muss sich durch den gesamten Betrieb ziehen und von der Leitung entsprechend vorgelebt werden. Gerade Kulturtouristen suchen ein erlebnisreiches Umfeld, das eine Verbindung zwischen Kultur, Konzept und Standort herstellt. Viele Erlebniskonzepte leben von der Originalität und der Authentizität des Standorts, der natürlichen Umgebung oder der Historie des Gebäudes. Dieser rote Faden darf durch aufgesetzte Inszenierungen keinen Bruch erleiden. Die Qualität spielt bei der Umsetzung eine tragende Rolle – vor allem in der Hotellerie gehen Authentizität und Qualität Hand in Hand. Gäste legen Wert auf regionale Zutaten bei den Speisen, sowie auf die Verwendung regionaler Baumaterialien im Gebäude. Für ein außergewöhnliches Qualitätserlebnis sind Gäste bereit, mehr Geld in ihren Aufenthalt zu investieren. Wenn die Qualität stimmt, wird das Freizeitbudget eher sekundär. Gäste sind bereit bis zu 40 Prozent mehr Geld für ein erlebnisreiches Angebot zu bezahlen, wenn die Gastgeber ihre Sehnsüchte und Bedürfnisse antizipieren und erfüllen (vgl. Völcker 2013: 21). Oberstes Ziel ist hierbei die Schaffung positiver Emotionen und Gefühle beim Gast. Emotionen schaffen die Basis für Gästebindung und Gästeloyalisierung. Gerade in Bezug auf höherpreisige Produkte sind Gäste bereit zu investieren, wenn die richtigen Emotionen geweckt werden (vgl. Steinecke 2000: 23).
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Es sollte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Qualität und Authentizität entstehen. Beispielweise liegt das Almdorf Seinerzeit in authentischer Umgebung in den österreichischen Bergen. Es ist daher entsprechend rustikal und urig inszeniert und bietet dennoch hochwertigen Komfort und Qualität, ohne die Authentizität zu beeinträchtigen. Nicht alle Gäste sind bereit, auf Komfort zu verzichten, damit das Konzept authentischer wirkt (beispielsweise ein Gefängnishotel). Im Almdorf Seinerzeit können die Gäste ihr Erlebnis aktiv mitgestalten und bestimmen so ihren persönlichen Erinnerungswert.14 Das Stue eröffnete im historischen Bauwerk der ehemaligen Botschaft in Berlin. Es ist das erste Fünf-Sterne-Boutique-Hotel, das Qualität, Herkunft und zeitgenössisches Design gezielt miteinander verbindet und damit einen Ort schafft, der ein intimes Gefühl erzeugt.15 Die Gäste vergleichen das Hotel mit einem luxuriösen Salon von Freunden. Das Wort »Stue« kommt aus dem Dänischen und bedeutet »Wohnzimmer« (vgl. Hoffmann 2013: 34 ff.). Emotionen sollen geweckt werden! Im Dienstleistungssektor, speziell im Tourismus, spielen Emotionen und die systematische Lenkung von Gefühlen eine bedeutsame Rolle. In seiner freien Zeit möchte der Reisende außergewöhnliche Erlebnisse erfahren und sich emotional stabilisieren, um erholt in sein Alltagsleben zurückzukehren. Seit Jahren spezialisiert sich die Freizeitindustrie auf die systematische Produktion von Emotionen und nutzt diesen Kunstgriff, um inszenierte Erlebnisse mit einem emotionalen Zusatznutzen zu versehen (vgl. Weiermair/Brunner-Sperdin 2006: 7). Nur was den Gast berührt, kann ihn begeistern. Emotionen sind subjektiv. Sie sind in erster Linie innere Empfindungen, die angenehm oder unangenehm empfunden werden können, jedoch nicht zwingend bewusst erlebt werden müssen.16 Sie entstehen aus einer Folge äußerer Einflüsse, die der Körper entweder durch die Aufnahme von Informationen oder sensorisch über die fünf Sinnesorgane aufnimmt (vgl. Grötsch 2006: 56). Werden Emotionen strukturiert, so entstehen Gefühle, die sich schließlich in dem körperlichen Ausdrucksverhalten, der Mimik und Gestik bemerkbar machen. Halten die Gefühle an und entwickeln sie sich zu einem andauernden Gefühlszustand, so spricht man von Stimmungen (vgl. Brunner-Sperdin 2008: 24
14 Siehe www.almdorf.com (letzter Abruf: 21.03.2017). 15 Siehe www.das-stue.com (letzter Abruf: 25.02.2017). 16 Siehe www.wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/emotion.html (letzter Abruf: 21. 03.2017).
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f.). Durch das Zusammenspiel einer geringen Intensität der Gefühle und der zeitlichen Dauer einer Stimmung, entstehen sogenannte Grundstimmungen, die nachhaltig im Gedächtnis verankert bleiben. Beispielsweise wird ein Gast sich noch Jahre später an seine Grundstimmung bei einem Aufenthalt in einem Hotel erinnern, als an die einzelnen Einrichtungsstücke in seinem Zimmer. Diese punktuellen Beobachtungen verschwinden im Zeitverlauf aus dem Gedächtnis. Die Grundstimmung bleibt langfristig abrufbar und kann Gäste nachhaltig prägen und sie sozusagen emotional branden (vgl. ebd.: 23, Grötsch 2006: 57). Unterhalten soll es! Der homo eventus beschreibt den erlebnisorientierten Menschen, der nach multisensualer Ansprache auf allen Ebenen strebt. Er möchte auf visuelle, auditive, taktile, olfaktorische, gustatorische und thermale Art und Weise von den Medien angesprochen werden, um so seine hedonistischen Bedürfnisse zu befriedigen (vgl. Schischkoff 1991: 661, Weinberg 1992: 54 ff.). Der homo eventus sucht die Kombination von Kern- und Zusatznutzen, er will Entertainment auf jede erdenkliche Art erfahren (vgl. Probst 2000: 106). Ähnlich wie das Wort »Erlebnis« als Präfix für zahlreiche moderne Wortneuschöpfungen fungiert, vermischen Erlebnismacher in der Definition ihrer Konzepte, die Bezeichnung mit dem Wort »Entertainment«. Heute wird zwischen einer Reihe von »tainments« unterschieden, die einen Primärnutzen mit dem Sekundärnutzen »Entertainment« verknüpfen (vgl. Probst 2000: 110). • Entertainment: Unterhaltung und Kunstgenuss
Beispielsweise Shows, Musicals, Theater; • Edutainment17: Vermittlung von Bildungsinhalten
Beispielsweise Museen, Zoos, Sciencecenter; • Infotainment18: unterhaltsame Berichterstattung
Beispielsweise interaktive Ausstellungen, Nachrichten-Shows; • Shoppotainment19: Einkaufen mit Erlebnischarakter
Beispielsweise Shoppingmalls, Brandlands; • Eatertainment20: gastronomischer Genuss mit Erlebnisinszenierung
Beispielsweise Erlebnisgastronomie und -hotellerie.
17 Wortzusammensetzung: »education« und »entertainment«. 18 Wortzusammensetzung: »information« und »entertainment«. 19 Wortzusammensetzung: »shopping« und »entertainment«. 20 Wortzusammensetzung: »eat« und »entertainment«.
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Persönlichkeit großschreiben! Die Persönlichkeit des Gastgebers beziehungsweise des Hoteliers eines Lifestyle-Hotels, kann eine tragende Rolle in Bezug auf das authentische Erlebnis des Gastes spielen. Er repräsentiert förmlich die Inszenierung, ist sozusagen der Direktor des Theaters. Die Hotelgäste möchten ihn sehen, sich mit ihm unterhalten und Teil seiner Welt werden. Häufig handelt es sich hierbei um anerkannte Persönlichkeiten, die sich mit den Jahren innerhalb der Destination etabliert und gut vernetzt haben. Auf Kreuzfahrtschiffen, den schwimmenden Hotels unserer Zeit, ist dieses Thema geradezu perfektioniert: der Kapitän des Schiffes schlendert zum Abendessen und alle Gäste möchten ihn sehen und von ihm gesehen werden. Er leistet einen maßgeblichen Beitrag zum Erfolg seines Betriebes. Gäste merken unmittelbar, wenn Betreiber und Konzept nicht harmonieren. Der Betreiber muss up to date sein, den antizipierten Lifestyle leben und trendbewusst handeln (vgl. Gatterer 2012: 32 ff., Völcker 2013: 15). Service ist das A&O Doch nicht nur der Hoteldirektor ist entscheidend für den Erfolg: Authentische Erlebnisse werden nicht zuletzt durch den entsprechenden Service erzeugt. Die Mitarbeiter spielen eine große Rolle bei der Zufriedenheit der Gäste und folglich bei der Positionierung im Wettbewerb. »Emotional labour«, die sogenannte »Emotionsarbeit« der Angestellten, wird damit zu einem erfolgskritischen Faktor (vgl. Lobin/Maindok 2007: 946). Beteiligt am sogenannten Moment of Truth sind immer mindestens zwei: der Gast und der Mitarbeiter. Je nach persönlicher Empfindung des Gastes, kann der Moment of Truth entweder erlebnisverstärkend oder erlebnisvernichtend auf den Gast wirken (vgl. Grötsch 2006: 54). Je nach Konzept und Position innerhalb des Hotels, wird von Mitarbeitern eine unterschiedliche Ausprägung von emotionaler Arbeit erwartet (vgl. Lobin/Maindok 2007: 946). So spielt es für den Gast eine essenzielle Rolle, dass der Gastgeber seine Rolle auslebt und die Gäste mit authentischer Herzlichkeit empfängt. Im Gegensatz dazu nimmt die Persönlichkeit und das emotionale Involvement des Roomservice eine sekundäre Rolle ein. Dennoch ist es für den Gast ein positives Erlebnis, wenn auch der Roomservice die Gäste mit Namen begrüßt. Dies zeugt von hoher Qualität und Aufmerksamkeit. Der Service darf aber nie aufgesetzt wirken: Bedeutungslose Have-a-NiceDay-Floskeln wirken erlebnisvernichtend, wenn sie nicht von Herzen kommen.
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In allen Bereichen muss Authentizität großgeschrieben werden, um die Gästezufriedenheit zu steigern (vgl. ebd.). Auch die DEHOGA teilt diese Meinung: »Im Zeitalter der Globalisierung und der sich ständig wechselnden Trends, haben Tradition, Heimat, Bodenständigkeit und ehrliche Gastfreundschaft wieder Konjunktur.« (DEHOGA 2012: 19) Intelligent Design rundet ab! In der Hotellerie haben laut Harry Gatterer, Geschäftsführer des Zukunftsinstitutes Österreich, einige Stilrichtungen Erfolg, die auf Individualität und Authentizität verschiedener Gästesegmente abzielen (vgl. Gatterer 2012: 32 ff.): • • • • •
Urig: ursprünglich, echt, ehrlich, entspannt, schlicht und regional; Supercool: kraftvoll, mächtig, modern, global, kurzlebig; Opulent: königlich, luxuriös, edel, groß; Ökosign: natürlich, echt, frisch, reduziert, harmonisch, begreifbar; Moodig: reduziert, variabel, wechselhaft, leicht, urban.
E RLEBNISINSZENIERUNG IN DER P RAXIS : W IE MIT K UNST UND K ULTUR IN DER H OTELLERIE AUTHENTIZITÄT ERZEUGT WIRD Es gibt heute eine Vielzahl an erfolgreichen Beispielen für perfekt umgesetzte und vor allem stringent durchgezogene Erlebnisinszenierungen in der Hotellerie, die gerade in Bezug auf Authentizität bei ihren Gästen punkten und so im Gedächtnis bleiben. Die folgenden zwei Hotelkonzepte sind unumstrittene Vorreiter auf diesem Gebiet und zeigen vor allem deutlich, dass Kunst und Kultur, insbesondere die jeweilige Stadtkultur, dabei zum Erfolgsfaktor werden. 25hours HafenCity Hamburg Zahlreiche wegweisende Beispiele für gelungene Erlebnisinszenierung in der Hotellerie, mit besonderer Einbindung der Kultur innerhalb der Destination, schafft die urbane Lifestyle-Marke 25hours. Mit ihrem Credo »real place, real people«21 treffen sie den Nagel auf den Kopf. Die Hotels der Marke sind in ihre jeweiligen Destinationen eingebettet und greifen die Seele und den Puls der
21 Siehe www.25hours-hotels.com (letzter Abruf: 25.02.2017).
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Stadt auf. Mittlerweile acht Hotels der Marke verteilen sich in deutschsprachigen Metropolen und erfreuen sich großer Beliebtheit. Das Konzept des 25hours HafenCity in Hamburg basiert auf der Grundidee eines Seemannsheims, das mit lokalen Elementen im Hafen der Speicherstadt verknüpft wurde. Es verbindet ein hohes Maß an Individualität mit einem außergewöhnlichen Design. Ein Identitätsmerkmal steht direkt in der Lobby: ein riesiger Überseecontainer von Hapag Lloyd, der zu einem Tagungsraum umfunktioniert wurde. Die Vinylothek des Hotels, ein eigens kreierter Schallplattenraum, der anstatt der klassischen Bibliothek eingebaut wurde, lädt die Gäste zum Relaxen und zum musikalischen Austausch ein. Die Sauna auf dem Dach des Hotels wurde ebenfalls aus ausrangierten Schiffscontainern gestaltet und bietet einen spektakulären Ausblick auf den Hamburger Hafen. Das Hotel ist stark verwurzelt mit dem Hafen und dem Flair der Speicherstadt. Wie alle 25hours Hotels fügt sich das 25hours HafenCity in das lokale Umfeld ein und verleiht dem Konzept so zusätzlich Authentizität. Bei der Auswahl der Materialien und Produkte haben sich die Designer auf Regionalität verständigt. Die Hotelbar wurde zum Beispiel ausschließlich aus Schrott und Produkten designt, die die Konzeptzionisten selbst am Hafen gefunden haben. Christoph Hoffmann, Geschäftsführer der 25hours Hotelgruppe, erklärt: »Wenn Konzepte einem starken Thema folgen, ist die Gefahr groß, künstlich zu wirken. Deswegen haben wir entschieden, bei allem was wir tun authentisch zu sein: Im 25hours HafenCity ist nirgendwo ein Schiff zu finden. Das würde unserer Meinung nach nicht mehr authentisch wirken, sondern einen gewissen Folklore Charakter bekommen.« (Gruner/von Freyberg/Phebey 2014: 141)
Auch die Mitarbeiter im Hotel HafenCity betten sich in das Gesamtkonzept ein und begrüßen ihre Gäste mit einem nonchalanten Service, der locker, lässig, professionell und vor allem authentisch ist. Laut Christoph Hoffmann sind die Kernzielgruppe urbane Nomaden. Das sind moderne, markenbewusste Individualisten, die Wert auf Design und Qualität legen (vgl. ebd.: 139). Die Gäste setzen auf Erlebnisse und Authentizität innerhalb der Unterkunft. Das ansprechende regionale Design, gepaart mit moderner und urbaner Kunst schafft ein Ambiente, das Gäste in die Destination eintauchen lässt, Bräuche und Eigentümlichkeiten der Stadt verdeutlicht und so ein Gefühl von Heimeligkeit und Zugehörigkeit vermittelt. Das Konzept ist durchgängig und konsequent – selbst an das Meeresrauschen in der Telefonwarteschleife wurde gedacht.
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Ein neues Projekt der kreativen Hotelgesellschaft ist die für den Sommer 2017 geplante Eröffnung des 25hours The Royal Bavarian in München. In Anlehnung an die königliche Vergangenheit Bayerns werden insgesamt 165 spärliche Kammern und herrschaftliche Zimmer im traditionsreichen Alten Postamt, direkt am Münchner Hauptbahnhof ausgestattet. Auch außerhalb der deutschsprachigen Grenzen soll die Marke zukünftig ausgeweitet werden: 2018 wird in Paris das erste internationale 25hours Hotel eröffnen (vgl. Broese 2016: 1 f.). nhow Berlin Das nhow Berlin der spanischen Hotelkette NH Hotels eröffnete 2010 mit 304 Zimmern am Spreeufer als erstes Musikhotel in Deutschland und liegt nicht ohne Grund am Berliner Osthafen, genau zwischen den Universal Studios und dem Sitz der MTV22. Das Hotel steht für Kreativität pur: Im Fokus liegen Musik, Design, Kunst und Mode – natürlich direkt aus Berlin. Der berühmte Innenarchitekt Karim Rashid designte das Berliner nhow in knalligem Pink und Blau, ganz nach dem Motto »Wir sind bunt und laut und intelligent« (Reinbold 2010). NH Hotels haben mit der Eröffnung den Zeitgeist und die Bedürfnisse der urbanen Touristen getroffen. Wer auf dem von Konkurrenz geprägten Hotelmarkt Berlin erfolgreich sein möchte, der muss auf Alleinstellungsmerkmale setzen. Berlin ist das deutsche Mekka der Musik mit über 600 Musiklabels und 70 Tonstudios (vgl. ebd.: 1). Einmal im Monat kann jeder den »Berlin vibe« bei der »nhow music night« erleben. Hier bietet das Hotel Musikern aus aller Welt die Möglichkeit, sich vor gleichgesinntem Publikum zu präsentieren. Musik verbindet und das nhow Berlin schafft einen Raum für eben diesen künstlerischen und kulturellen Austausch. Doch trotz knalliger Popkultur nimmt auch Nachhaltigkeit einen wichtigen Stellenwert ein. NH Hotels implementierten in Berlin ein innovatives Heiz- und Klimasystem, großflächige LED-Beleuchtung und verwendeten beim Bau Laminat aus recyceltem Holz. Die envy Bar und das fabrics Restaurant setzen primär auf lokale und regionale Zulieferer für ihre Speisen und Getränke. Das nhow Berlin ist heute ein angesagter Ort für Konzerte, Kunstausstellungen und Fashion Shows. Selbst der Hoteldirektor ist authentisch, denn er kommt aus der Szene: Dirk Dreyer war früher DJ, Musikproduzent und -manager und ist in der Stadt und der Musikszene gut vernetzt. Seit 2015 leitet er das Berliner Hotel.
22 Abkürzung für Music Television.
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Einzigartig ist der nhow Music Sound Floor, der zwei exklusive Tonstudios über den Dächern Berlins bietet, die nicht nur professionelle Musikmacher anlocken (vgl. Hotelverband Deutschland 2016: 92 ff.). Absolutes Alleinstellungsmerkmal ist aber der 24-Stunden Musik-Roomservice: E-Gitarren, Keyboards oder ganze DJ-Sets werden rund um die Uhr kostenfrei auf die Zimmer gebracht.
F AZIT
UND
AUSBLICK
Der starke Verdrängungswettbewerb bestimmt nach wie vor den Markt. Hotels und Destinationen werden zunehmend austauschbarer, solange sie sich nicht konkret auf die Bedürfnisse der Gäste einstellen und ausrichten. Die Trendanalyse verdeutlicht, dass Individualität und Authentizität bei der Buchungsentscheidung im Mittelpunkt stehen und unumgänglich für eine klare Positionierung am Markt werden. Alleinstellungsmerkmale bestimmen also den Erfolg der Konzepte. Hotels spezialisieren sich zunehmend auf besondere Themen und Zielgruppen, wie zum Beispiel Themenhotels, Gesundheitshotels, Seniorenhotels oder Singlehotels. Immer häufiger legen Hoteliers dabei aber den zentralen Fokus auf die Stadt oder die Destination. Kultur und deren Vernetzung in der Umgebung ist ein hochgradig beliebtes Thema, das vor allem in Bezug auf Authentizität gewinnt, wenn die Inszenierung stringent vollzogen wird. Konzepte, die ein Auge auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und Trends haben, genau wissen, wer ihre Zielgruppen sind und diese gezielt ansprechen, ihr Konzept authentisch umsetzen und dabei nie die Qualität der Dienstleistung vernachlässigen, können langfristig ihre Existenz auf dem dynamischen Markt sichern. Nachhaltige Erlebnisse können mit Kreativität und Authentizität geschaffen werden – zwei Erfolgsfaktoren, die nicht immer nur mit Geld zu erwerben sind. Ein spannendes Segment wird zukünftig die erlebnisinszenierte Umsetzung der touristischen Infrastruktur sein. Nach den Kreuzfahrtunternehmen, die gezielt ihre Reisen mit den Instrumenten der Erlebnisinszenierung aufbereiten und thematisch untermalen, orientieren sich nach und nach auch Fluglinien, Stadtrundfahrten, Bahnen und Busreiseveranstalter an der neuen Möglichkeit der Positionierung und der damit verbundenen Gästegewinnung. Das sogenannte Transportainment verbindet Komfort mit Erlebnissteigernden Mitteln, die sich auf die Zeitintervalle vor, während und nach der Reise fokussieren (vgl. Schuckert/Müller 2006: 153 ff.). Interessant wird sein, ob auch hier Kunst und Kultur
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in Szene gesetzt werden können, um das perfekte Erlebnis zu schaffen und das Reisen von A nach B emotional aufzuladen.
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Das Hotel als Wegbereiter des authentischen Städtetourismus Das grätzlhotel. Mehr als ein Raum in einer fremden Stadt L EO L ETTMAYR FÜR DIE URBANAUTS H OSPITALITY G ROUP
Angefangen hat es mit Leerstand. Davon gibt es in Wien genug. Klassische Handwerksbetriebe siedeln in die Peripherie. Kleine Läden, die nicht mit den großen Geschäften mithalten können, schließen. Erfolgreiche Geschäfte siedeln sich nur in Top-Lagen an. Seitenstraßen tun sich schwer. Leerstände prägen das Bild. Selbst in den Vierteln, wo reges Treiben herrscht, finden sich keine Zwischen- und Nachnutzer für viele der ehemaligen Geschäftslokale. Erdgeschosslage und durchschnittlich für Dienstleistungsbetriebe zu geringe Raumgrößen sind oft ein Problem. Insbesondere ehemalige Geschäftslokale in Seitenstraßen sind häufig eine Herausforderung für die Stadtentwicklung. Diese Orte, abseits der touristischen Trampelpfade und der großen Verkehrsadern der Stadt, sind für viele sich neu ansiedelnde Geschäfte nicht besonders attraktiv. Und doch sind es Orte, wo sich das Leben einer Stadt entfaltet; Orte, wo sich städtisches Leben authentisch zeigt. Das für die Hotelzimmer Räume auf Straßenebenen gewählt wurden, ist kein Zufall, denn was für Geschäftslokale kleine Flächen sind, sind für ein Hotelzimmer großzügige Dimensionen. Mehr noch, sind sie auch näher am städtischen Leben als jeder andere Wohnraum. Hier kann man die Stadt sehen. Die Stadt hören. Die Stadt spüren.
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Während diese Lage in den Köpfen vieler Menschen mit vielen Nachteilen verbunden ist, hat das grätzlhotel1 die Vorteile erkannt. Durch systematische Planung konnten diese Räume so umgestaltet werden, dass der gesamte Komfort eines typischen Hotelzimmers gegeben ist. Die Zimmer zeugen dabei von Respekt vor der Geschichte und dem Ort. Die Identität der ehemaligen Geschäftslokale wird im Rahmen der Transformation übersetzt; der authentische Charakter des Raums in die Neuerfindung eingefügt. So werden die Räume in ihrer Bedeutung für die Nachbarschaft greifbar gemacht. Die Nachbarschaft erlebbar; und letztlich auch die Stadt. Ein Grätzl ist im Sprachgebrauch der Wiener ein kleiner Teil der Stadt, der gefühlt zusammengehört. Im deutschsprachigen Raum spricht man von einem Kiez. Das grätzlhotel mag fragmentiert und über die Stadt verteilt sein. Mit den Grätzln jedoch, ist es eng verflochten. Das grätzlhotel ist kein Fremdkörper in den Vierteln, in denen es die Zimmer anlegt. Es ist kein eigenständiger Komplex. Von Anfang an war das Ziel in eine Symbiose mit der Nachbarschaft zu treten, diese zu revitalisieren und mit dieser zu wachsen. Die Zimmer des grätzlhotel heben sich nicht nur durch Größe, Design und Ausstattung hervor; sie sind auch nicht nur leise, sicher und gemütlich. Sie sind Orte, die eingewoben sind in die Stadt und von denen aus die Erkundung dieser ohne Schwierigkeiten gelingen wird. Es sind diskrete Rückzugsorte, mitten im Geschehen. Die zentrale Strategie, um das Hotel und seine Gäste in die Nachbarschaft einzubinden, ist das einzigartige Servicekonzept des grätzlhotel. Von der Köchin, über das Restaurant, bis hin zum Spa-Bereich. Im grätzlhotel ist das alles ausgelagert. So können leicht alle klassischen Angebote eines Vier-Sterne-Hotels erfüllt werden und einiges mehr. Statt Service anzubieten, gibt es Lokalexpertise. Das grätzlhotel bietet Raum und Wissen. Die Gäste machen den Rest. Das Kaffeehaus nebenan wird zum Frühstücksraum, das Hamam gegenüber zum Wellnessbereich und die Nachbarschaft zum Wohnzimmer. Schnell wurde erkannt, dass auf diese Weise nicht nur die dezentrale Versorgung der Gäste mit verschiedenen Serviceleistungen gewährleistet wird, sondern auch Begegnung mit den Bewohnern und der Kultur der Grätzl. Anstatt die Wünsche der Gäste zu erfüllen, gibt das Hotel seinen Gästen so alles was sie brauchen, um ihre Bedürfnisse selbst zu erfüllen. Das mag anders
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Betrieben von der URBANAUTS Hospitality Group ist das grätzlhotel aktuell an drei Standorten in Wien zu finden: am Karmelitermarkt, im Quartier Belvedere und am Meidlinger Markt. Siehe www.graetzlhotel.com (letzter Abruf: 06.03.2017).
DAS HOTEL
ALS
W EGBEREITER DES AUTHENTISCHEN S TÄDTETOURISMUS
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sein als einfach den Rezeptionisten zu fragen, ist aber um ein vielfaches erfüllender und fördert das Kennenlernen des städtischen Alltags. Für manche, wie reisende Familien, ist es eben diese Nähe zum Alltag, die das Erkunden der neuen Umgebung so leicht macht. Für andere, wie BusinessReisende, ist es der Bruch mit dem gewohnten Alltag, der das Ausbrechen aus diesem fördert. Für alle aber ist es ein Aufenthalt in einer fremden Stadt, der näher am städtischen Leben und dessen Alltagskultur ist, als sonst gewohnt. Die Interaktionen im Grätzl sind der Anfang. Ins Angebot inkludierte Fahrräder, die zum Erkunden der Stadt einladen und strategische Platzierung nahe der touristischen Zentren und den Märkten der Grätzl – pulsierenden Orten städtischen Lebens – erledigen den Rest. Das grätzlhotel ist mehr als nur Schlafstätte. Die Zimmer sind mehr als Räume in einer fremden Stadt. Die Zimmer und Grätzl sind vor allem auch Anknüpfungspunkte. Orte, von denen aus die Stadt entdeckt werden kann. Eingebettet in das örtliche Leben sind es Orte, wo soziale Vernetzung ermöglicht, gefördert und gepflegt wird. Was genau die Gäste zum grätzlhotel treibt, ist schwer zu sagen. Oft kann man ein Bedürfnis der Gäste nach einem anderen Urlaubserlebnis beobachten. Manche wissen das Design zu schätzen und genießen die Räumlichkeiten. Wieder andere suchen die absolute Ruhe und Anonymität, die die Zimmer garantieren, wollen aber dabei nicht auf den Kontakt zur Stadt verzichten. Viele schätzen insbesondere die Nähe zur Stadt und zum urbanen Leben; schätzen es – wenn auch nur kurzfristig – Teil eines Viertels zu sein und die Stadt zu sehen, wie sie wirklich ist. Auch die Besonderheit des Erlebnisses findet Anklang, denn egal wie der individuelle Aufenthalt am Ende aussieht, typisch ist er nie. Die Gäste mögen die Authentizität der Orte und die Nähe zur Nachbarschaft und merken schnell, dass sie von hier aus Wien erleben können, wie es ist. Dass sie hier, abseits der touristischen Trampelpfade, näher am echten Wien sind als in den meisten anderen Unterkünften. Sie spüren, dass Nachbarschaft im grätzlhotel mitgedacht wird und nicht nur von dieser lebt, sondern vor allem auch mit ihr. Dass sie hier den städtischen Alltag erleben, wie er wirklich ist. Sie spüren, dass die Betreiber Mitgestalter einer lebendigen Stadt sind. Das grätzlhotel ist eine persönliche Angelegenheit. Die Authentizität der Unternehmung stützt die Authentizität des Erlebnisses. Es sind nicht nur Touristen, die schnell merken, dass es sich hier um kein typisches Hotel handelt. Insbesondere Anwohner erkennen die Zimmer als Teil der Nachbarschaft an und quartieren ihre Freunde, Bekannte und Familien im grätzlhotel ein. Dabei spielt nicht nur die Nähe eine Rolle. Insbesondere das Gefühl,
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dass diese hier ihre Lebensumgebung wirklich erleben können, scheint die Unterbringung dieser im grätzlhotel wesentlich zu motivieren. Für alle Gäste gilt: Dadurch, dass das Kleinere – die Nachbarschaft – sichtbar gemacht wird, wird auch das Größere – die Stadt – schneller erkannt und begriffen. Diese mögen es, inmitten des Stadtlebens zu sein, mit diesem in Kontakt zu treten. Sie mögen es, das urbane Leben unmittelbar zu erfahren und in diesem eigenständige Akteure zu sein. Mögen es, etwas zu erleben und neue Perspektiven zu entwickeln, die sich ihnen im Zuge der Erfahrung eröffnen und den Weg für weitere Erfahrungen ebnen. Sie mögen es, Teil der Stadt zu sein. Mehr zu sein als Besucher. Mögen es, Einwohner auf Zeit zu sein. So gibt das grätzlhotel seinen Gästen die Stadt in die Hand. Ob diese das Produkt kaufen, bleibt ihnen überlassen. Die meisten aber nehmen das Angebot dankend an. In einer Welt voller beliebig austauschbarer Angebote ist das grätzlhotel mit seinen Partnern einzigartig. Die Gäste wissen das zu schätzen.
Digitalisierung im Kulturtourismus
Blogger, Twitterer, Instagrammer & Co.: Inhalte nutzen und aktiv initiieren K RISTINE H ONIG
S OCIAL M EDIA & K ULTURINSTITUTIONEN Die Kommunikation ändert sich Vor nicht allzu langer Zeit verfügten die Kulturinstitutionen über die komplette Informations- und Deutungshoheit ihrer Angebote. Kommunikation fand vor allem von Seiten der Unternehmen selbst statt. Sie bestimmten selbst, wie über sie und ihre Angebote berichtet wurde. Mit dem Internet und den diversen SocialMedia-Kanälen ist heutzutage jeder ein »publisher«. Jeder kann seine Meinung und Erfahrungen öffentlich kundtun. Ob textlich, fotografisch oder als Video. Nicht jede Kommunikation ist dabei jedoch tatsächlich öffentlich einsehbar. Ein großer Teil verschiebt sich stattdessen wieder in private Räume: • Accounts im Social Network Facebook oder auf der Foto-Plattform Instagram werden genutzt, jedoch teilweise »auf privat gestellt«, sodass nur zugelassene Freunde die Inhalte auch tatsächlich zu sehen bekommen. • Messenger-Dienste wie WhatsApp oder der Facebook-Messenger zielen generell auf die direkte und nicht öffentliche Kommunikation zwischen zwei oder mehreren ausgewählten Personen. • Hinzu kommen spezielle Apps wie Snapchat, deren veröffentlichte Inhalte direkt nach dem ersten Ansehen beziehungsweise nach 24 Stunden (sog. »stories«) nicht mehr abrufbar sind. Im Gegensatz hierzu sind andere Nutzer in den verschiedenen Social-MediaKanälen sehr öffentlich mit all ihren Aktivitäten:
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• Sie checken digital über die App Swarm ein, um Freunden zu zeigen, wo sie sich gerade befinden. • Sie veröffentlichen Fotos und Videos in den eigenen Social-Media-Accounts, sowohl direkt während ihres Besuchs, als auch im Nachhinein. • Sie schreiben Blogbeiträge oder Bewertungen auf den diversen Plattformen. Wichtig sind für Kulturinstitutionen beide Nutzergruppen – sowohl die privat, als auch die öffentlich agierenden. Mag die Reichweite der öffentlich Agierenden auch deutlich größer sein, ist das Netzwerk der rein privat Kommunizierenden sehr viel feiner und damit auch enger. Die Kooperation mit Bloggern stellt dabei einen Sonderfall dar. Im Gegensatz zu den rein privat im Internet agierenden Nutzern, können mit Bloggern konkrete gemeinsame Aktionen mit einer vorab definierten Zielstellung initiiert werden. Im Tourismussektor ist die Kooperation mit Bloggern bereits etabliert. Über diese werden neue Zielgruppen erschlossen. Die Blogger sorgen für Content in den verschiedenen Social-Media-Kanälen. Aufgrund ihrer umfangreichen Erfahrungen wissen sie dabei genau, wie welche Netzwerke funktionieren. Mit ihren Aktivitäten steigern sie so letztlich die Namensbekanntheit der Region oder des Unternehmens. Wie können Kulturinstitutionen diese Kommunikation für sich selbst nutzen? Wie können sie die Besucher dazu animieren, ihre Meinungen und Beiträge online zu stellen? Und wie können sie aktiv mit Bloggern kooperieren? Darauf gibt der folgende Beitrag Antworten. Relevante Social-Media-Kanäle für Kulturinstitutionen in Kurzform Relevant sind generell alle Social-Media-Kanäle, auf denen sich die (potenziellen) Besucher bewegen. Das kann – abhängig von der Kulturinstitution und ihrer Ausrichtung – sehr unterschiedlich aussehen. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei jedoch um die nachfolgenden Sparten. Soziale Netzwerke An erster Stelle ist hier natürlich Facebook zu nennen. Facebook ist quasi das soziale Netzwerk, wo nahezu alle Zielgruppen präsent sind. Genutzt wird es in Deutschland von ca. 26 Millionen Menschen (Buggisch 2016). Hier können Texte, Fotos, Videos und sogar – über die sogenannten Notes – Blogbeiträge veröffentlicht werden.
B LOGGER , TWITTERER , I NSTAGRAMMER & CO. : I NHALTE NUTZEN UND AKTIV INITIIEREN
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Doch auch der Kurznachrichtendienst Twitter hat eine gewisse Relevanz, wenn auch deutlich weniger Nutzer in Deutschland (je nach Rechenart: 500 Tausend bis 4 Millionen) (ebd.). Twitter ist weniger ein Netzwerk der großen Masse, sondern eignet sich stärker zur Vernetzung mit Multiplikatoren wie Journalisten oder Bloggern. Fotonetzwerke Über die Foto-App Instagram (Nutzer: ca. 9 Millionen in Deutschland) (ebd.) können schnell und unkompliziert Fotos per Smartphone aufgenommen und direkt online gestellt werden. Die Fotos sind dabei bestimmten Themenfeldern oder Institutionen zuordenbar, da der Nutzer entsprechende Informationen mit diesen verknüpfen kann. Hierzu zählen die sogenannten Hashtags (Schlagworte wie beispielsweise #bundeskunsthalle, #schirn, aber auch #museumlover) sowie eine Verknüpfung mit dem Ort, an welchem das Motiv aufgenommen wurde. Eher dem nachträglichen Bündeln von Fotos in verschiedenen Alben dient die Fotoplattform Flickr. Durch eine entsprechende Verschlagwortung sind hier öffentlich eingestellte Fotos auch über Suchmaschinen auffindbar und erhalten somit eine größere Reichweite. Ebenso können die eingestellten Bilder mit konkreten Rechtefreigaben (Creative Commons) versehen und damit zur kommerziellen Nutzung durch Unternehmen freigegeben werden. Videonetzwerke YouTube ist nicht nur ein Videonetzwerk, sondern für viele Nutzer ebenso eine Suchmaschine. Eigene Videos stellen hier ca. 6 Millionen Deutsche ein (ebd.). Der Konkurrent Vimeo hat einen stärker künstlerischen Anspruch und eine generell höhere Qualität, da hier mehr Beschränkungen für den hochgeladenen Content bestehen. Doch nicht nur die reinen Videokanäle sind für das Thema Video relevant. Auch das soziale Netzwerk Facebook, der Kurznachrichtendienst Twitter sowie das Fotonetzwerk Instagram geben diesen eine immer höhere Priorität. Wichtig ist dabei zu beachten, dass die verschiedenen Netzwerke und Kanäle auch unterschiedliche Videoformate benötigen. Livekommunikation Ähnlich wie bei dem Thema Video wird ebenso der Bereich der Livekommunikation immer stärker in bestehende Netzwerke integriert. Facebook Live ist hierfür ein Paradebeispiel. Darüber hinaus gibt es jedoch auch ergänzende Apps und Tools, welche die Livekommunikation generell erst einmal ermöglicht und ins kollektive Bewusst-
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sein gebracht haben. Periscope mit seiner direkten Anbindung an Twitter hat hier gerade im journalistischen Sektor eine Bedeutung erlangt. Ortsbasierte Dienste Sogenannte ortsbasierte Dienste (Location-based Services) wie Swarm bieten ihren Nutzern die Möglichkeit, in einer bestimmten Location digital einzuchecken. Einerseits können hierdurch Freunde darüber informiert werden, wo man sich gerade befindet. Andererseits fügen die Nutzer diesem Check-in oft noch zusätzliche Notizen oder Fotos hinzu. Die Reichweite der Dienste selbst ist meist recht übersichtlich. Foursquare, eine an Swarm gekoppelte Empfehlungsapp, zählt zum Beispiel ca. 600.000 Nutzer in Deutschland (ebd.). Allerdings werden die Check-ins oftmals automatisiert auf dem eigenen Facebook- oder TwitterAccount weiter geteilt, sodass entsprechend deutlich mehr Personen hierüber erreicht werden als rein über die App selbst. Messenger-Dienste Messenger sind Kommunikationskanäle, welche die direkte Kommunikation zwischen ausgewählten Personen unterstützen. Hierzu zählen originäre Messenger-Apps wie beispielsweise WhatsApp. Doch auch die »klassischen« SocialMedia-Netzwerke bieten über Direktnachrichten Messenger-Funktionen an. Messenger-Dienste werden auch von Personen genutzt, die in Social Media normalerweise nicht aktiv sind, so zählt WhatsApp insgesamt ca. 35 Millionen Nutzer in Deutschland (ebd.), immerhin 9 Millionen mehr als Facebook. Bei jedem der genannten Kanäle stellt sich für eine Institution jeweils die Frage, wie sie diese nutzen möchte: • • • •
Nur von außen beobachten; Eine eigene passive Präsenz aufbauen, ohne aktuelle Inhalte; Eine eigene Präsenz aufbauen, worüber eigene Inhalte kommuniziert werden; Eine eigene Präsenz aufbauen, worüber eigene Inhalte kommuniziert werden und welche aktiv in die Kommunikation mit anderen Nutzern einsteigt.
Die Entscheidung hierüber sollte sich an der eigenen strategischen Ausrichtung sowie den definierten Zielgruppen orientieren. Ebenso spielen personelle und finanzielle Rahmenbedingungen hierbei natürlich eine Rolle.
B LOGGER , TWITTERER , I NSTAGRAMMER & CO. : I NHALTE NUTZEN UND AKTIV INITIIEREN
W ER KOMMUNIZIERT ÜBERHAUPT ÜBER DIE I NSTITUTION ?
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DIGITAL
Wie im Einstieg zu diesem Beitrag bereits erwähnt, gibt es generell sowohl die privat als auch die öffentlich Agierenden im Social Web. Deren unterschiedliches Nutzungsverhalten und unterschiedliche Ansprüche werden nachfolgend – sehr grob! – wie folgt unterteilt: der Durchschnittskonsument (privat agierend) sowie der Blogger (Kulturblogger und Blogger anderer Sparten). Der Durchschnittskonsument Der Durchschnittskonsument, also quasi »Otto Normalverbraucher«, ist nur auf sehr ausgewählten Kanälen unterwegs. Mittlerweile nahezu Standard sind für ihn Messenger-Dienste wie WhatsApp geworden. Ein sehr großer Anteil ist ebenso auf Facebook. Wie aktiv, ist dabei jedoch noch eine andere Frage. Viele werden hier nur auf die Veröffentlichungen anderer Nutzer reagieren. Und für den Fall, dass sie selbst etwas veröffentlichen, passiert dies oft nicht öffentlich, also nur für die eigenen Freunde sichtbar. Bereits deutlich reduzierter werden von diesen Konsumenten eigene Accounts bei Bilderplattformen wie Instagram angelegt. Was macht der Durchschnittskonsument im Social Web? Er teilt gerne verschiedene Inhalte, die ihm gut gefallen. Das können ausgewählte Ausstellungsobjekte sein, aber auch das Haus selbst, der Kuchen in der Cafeteria oder ähnliches. Viel von dieser Kommunikation läuft dabei direkt an Freunde (z.B. via Messenger-Dienste) beziehungsweise nicht öffentlich (z.B. auf Facebook oder Instagram). Die Institution hat somit bei einem Großteil der Inhalte gar nicht die Möglichkeit zu sehen, was hier passiert. Was ist das Ziel der Institution für den Durchschnittskonsumenten? • Es geht bei dieser Zielgruppe darum, diese überhaupt zum Veröffentlichen von Inhalten zu animieren. Wie schon geschrieben: Dieser Nutzer ist kein Hardcorenutzer, der ständig sein Smartphone in der Hand hat. Er muss hierfür extra angestupst werden. • Diese Zielgruppe soll außerdem dazu animiert werden, Inhalte idealerweise auch öffentlich, nicht nur privat zu teilen. Zum einen können hierdurch generell mehr Nutzer diese Inhalte sehen. Zum anderen hat auch die Institution
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damit die Chance, die Posts von diesem Nutzer zu sehen und über die eigenen Kanäle weiter zu teilen. • Dieser Konsument soll dazu animiert werden, in direkten Kontakt mit der Institution zu treten. Wie kann die Institution dies erreichen? Ein wesentlicher Punkt ist hier, den Konsumenten überhaupt erst einmal daran zu erinnern, dass Inhalte aus dem Museum oder der Kulturinstitution veröffentlicht werden dürfen. Dazu zählt, bereits im Eingangsbereich, aber auch innerhalb der Räumlichkeiten aktiv darauf hinzuweisen, dass fotografieren erlaubt ist (bzw. auch darauf hinzuweisen, wenn bestimmte Stücke eventuell nicht fotografiert werden dürfen). Idealerweise werden Fotos von den Nutzern direkt geteilt. Ein einfach nutzbares WLAN unterstützt dies. Deutliche Hinweise auf das WLAN – im Eingangsbereich sowie in den Räumlichkeiten – sind dabei hilfreich. Wichtig ist an dieser Stelle, dass die Nutzung des WLANs ohne allzu große Hürden möglich ist. Damit die Institution auf veröffentlichte Fotos aufmerksam wird, sollte zusätzlich aktiv ein Hashtag kommuniziert werden, idealerweise sowohl zur Institution selbst als auch zu den verschiedenen Angeboten. Mit Hilfe des Hashtags können Fotos auf Plattformen wie Instagram oder Pinterest einfach gefunden und den eigenen Angeboten zugeordnet werden. Wichtig ist dabei: Der Durchschnittskonsument ist nicht allzu firm mit dem Prinzip der Hashtags. Eine nähere Erklärung hierzu ist deshalb sinnvoll. Wie können Konsumenten dazu angehalten werden, ihre Fotos nicht nur privat, sondern öffentlich zu teilen? Ein Gewinnspiel kann dies unterstützen. Ebenso das Versprechen, ausgewählte Fotos im eigenen Institutskanal weiter zu teilen, beispielsweise auf Instagram Fotos mit einem bestimmten Hashtag. Hierbei gilt es zu beachten: Der Durchschnittskonsument wird sicherlich nicht extra für die Aktion der Institution die Privatsphäre-Einstellungen seiner verschiedenen Netzwerke anpassen. Viel zu kompliziert für ihn. Am einfachsten deshalb als Gewinnspielidee: Die Konsumenten dazu auffordern, ein Foto oder einen kurzen Text zu einem bestimmten Thema der Institution auf der FacebookSeite der Organisation zu posten. Dabei kann das Versprechen helfen, ausgewählte Fotos auf der eigenen Facebook-Seite weiter zu teilen – dem Konsumenten sozusagen öffentliche Anerkennung für sein Fototalent zu geben. Es sollte aktiv auf die eigenen Social-Media-Kanäle hingewiesen werden, um den Konsumenten so die Möglichkeit zu geben, über diese mit der Institution in Kontakt zu kommen. Ebenso lohnt hier ein Blick in Richtung der genutzten
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Tools. Gerade WhatsApp ist ein stark genutzter Messenger-Dienst. Kulturinstitutionen können über diesen Kanal direkte Antworten auf Fragen der Konsumenten geben. Das können einerseits – vor dem Besuch der Institution – Fragen zu Öffnungszeiten oder Preisen sein, andererseits – während des Besuchs – Fragen zu konkreten Ausstellungsstücken. Entsprechend notwendig ist es, den WhatsApp-Kanal durch eine Fachkraft zu betreuen, die auch tatsächlich Antworten auf die unterschiedlichsten Fragen geben kann. Beispiele aus dem Kultursektor • Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen kommuniziert sowohl vor Ort als auch auf ihren verschiedenen Kanälen aktiv die Hashtags #K20, #K21 sowie #F3 für ihre verschiedenen Häuser.1 • Das Neanderthal Museum in Mettmann kommuniziert WhatsApp neben Telefon und E-Mail als möglichen Kommunikationskanal.2 Der Kulturblogger Der Kulturblogger ist im Gegensatz zum Durchschnittskonsumenten wesentlich öffentlicher im Internet unterwegs. Mehrere Social-Media-Kanäle werden mit unterschiedlichen Inhalten bedient. Dabei spielen auch Netzwerke außerdem der üblichen Verdächtigen wie Facebook oder Instagram eine Rolle. So nutzt der Kulturblogger auch den Check-in-Dienst Swarm, den Fotokanal Pinterest und/oder ein eigenes Blog. Was macht der Kulturblogger im Social Web? Der Kulturblogger ist auf diversen Social-Media-Kanälen unterwegs und nutzt diese aktiv. Dabei werden zumeist auch eigenständig die Social-Media-Accounts der Institution erwähnt und hierdurch auf die Veröffentlichung hingewiesen. Der Kulturblogger veröffentlicht wesentlich mehr Inhalte als der Durchschnittskonsument. Dabei ist es ihm wichtig, sich mit den Inhalten stärker auseinanderzusetzen, Dinge zu hinterfragen, Aktionen zu bewerten. Hierfür sind teilweise zusätzliche Einblicke hinter die Kulissen notwendig sowie Gespräche mit Vertretern der Institutionen gewünscht.
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Siehe www.kunstsammlung.de (letzter Abruf: 18.09.2016).
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Siehe www.neanderthal.de (letzter Abruf: 18.09.2016).
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Diese Inhalte landen dann nicht nur kurz und schnell auf den verschiedenen Social-Media-Plattformen, sondern ebenso im Nachhinein stärker aufbereitet auf dem eigenen Blog oder im eigenen Videokanal. Der Blogger nimmt sich somit zusätzliche Zeit zur Reflektion des Gesehenen. Neben den reinen Inhalten beispielsweise einer Ausstellung wird dabei oft auch die Kommunikationsebene betrachtet: Wie geht die Institution mit mir als Blogger um? Wie reagiert sie in den verschiedenen Social-Media-Kanälen auf mich? Welche Aktionen führt die Institution generell durch? Was ist das Ziel der Institution für den Kulturblogger? • Die Kulturblogger sollen sich willkommen in der Institution fühlen. • Das Kommunizieren über die verschiedenen Kanäle soll den Kulturbloggern vereinfacht werden. • Des Weiteren gilt hier, dass der direkte Kontakt zwischen Institution und Blogger über die diversen Social-Media-Kanäle hinweg eine noch größere Rolle spielt. Wie kann die Institution dies erreichen? Noch wichtiger als für den Durchschnittskonsumenten ist für den Kulturblogger eine Fotoerlaubnis innerhalb der Institution. Auch hier gilt, dass aktiv hierauf hingewiesen wird. Außerdem sollte bereits auf der Website ein separater Punkt mit Informationen für Blogger verfügbar sein. Dieser kann im Pressebereich angesiedelt sein und sowohl Ansprechpartner nennen als auch Möglichkeiten zur Unterstützung. Es bietet sich an, Bloggern einen gratis Eintritt beziehungsweise Unterstützung in Form von Interviewpartnern, Museumsführern oder ähnlichem zu gewähren. Blogger informieren sich normalerweise eigenständig über die Social-MediaAccounts der besuchten Institution. Dennoch schadet es sicher nicht, auch für diese im Gebäude auf die Kanäle deutlich hinzuweisen. Einen sehr starken positiven Eindruck hinterlässt eine Institution, wenn sie direkt auf veröffentlichte Fotos und Kommentare des Bloggers auf den diversen Kanälen – beispielsweise auf Twitter oder Instagram – reagiert und diese auch an ihre eigenen Follower weiter teilt. Hierzu ist ein Monitoring notwendig, welches die Institution sowohl über Erwähnungen (Mentions) als auch die Nutzung der eigenen Hashtags informiert. Blogger posten nicht nur Fotos, sie berichten auch gerne direkt live von ihren Aktivitäten, egal ob via Facebook-Live, Periscope oder Snapchat. Entsprechend ist es wichtig, dass das WLAN stark genug und hierauf ausgerichtet ist. Funktio-
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niert dies nicht, ist eine Chance zur direkten Kommunikation vertan, die so nicht mehr nachholbar ist. Blogger sind die Nutzung von Hashtags wesentlich gewohnter als der durchschnittliche Konsument. Doch auch für diese gilt: einfach überall mitkommunizieren. Auf der Website, auf der Eintrittskarte, im Ausstellungsflyer, in der Ausstellung selbst. Für die Zusammenarbeit mit Bloggern ist nicht nur das Reagieren auf bestehende Inhalte wichtig. Ebenso geht es hier um das Aufbauen von langfristigen Beziehungen zu diesen, den direkten Kontakt mit diesen. Dabei helfen bereits Kleinigkeiten. So kann eine eigene Twitter-Liste aufgebaut werden, um relevante Blogger aus dem Kultursektor oder der eigenen Stadt beziehungsweise Region im Blick zu behalten. Blogger können zur Presse-Preview neuer Angebote eingeladen werden beziehungsweise ebenso separate Aktionen für Blogger wie Tweetups (Twitter-Treffen) oder Instawalks (Rundgänge mit Instagrammern) durchgeführt werden. Hierzu benötigt es ein klares Konzept, um keine einzeln nur für sich selbst stehenden Aktionen zu planen, sondern tatsächlich Aktivitäten, die sich gegenseitig unterstützen und aufeinander aufbauen. Überblick Kulturblogger • Einen schönen Überblick über Blogger aus dem Kultursektor gibt es bei der Kooperation der Herbergsmütter.3 • Ebenso lohnt sich ein Blick auf die Blogger-Liste von Teads Labs (Teads Labs 2015a). Das Ranking setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen. Es heißt nicht, dass die ersten fünf Blogger die perfekte Wahl für eine spezifische Kulturinstitution sind. Außerdem gilt hier zu beachten, dass diese Liste seit September 2015 nicht mehr aktualisiert wird und der Begriff »Kultur« generell sehr breit gefasst ist. Blogger anderer Sparten Selbstverständlich spielen im Kultursegment die Kulturblogger eine wichtige Rolle. Doch ebenso sind passend zu den jeweiligen Ausstellungen beziehungsweise Kulturangeboten auch andere Themenblogger relevant. Je nach Inhalt können dies Fashion-, Architektur- oder auch Gartenblogger sein – nahezu alle Bereiche sind möglich. Gerade die Kombination aus verschiedenen Themen-
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Siehe http://herbergsmuetter.de/kulturblogger/ (letzter Abruf: 18.09.2016).
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bloggern sorgt letztlich für eine größere Aufmerksamkeit und Reichweite, da hierüber sehr unterschiedliche Personen angesprochen werden. Was macht der Nicht-Kulturblogger? Generell ist der Nicht-Kulturblogger ähnlich online unterwegs wie der Kulturblogger. Er ist auf diversen Social-Media-Kanälen unterwegs und nutzt diese aktiv. Inhalte landen sowohl ad hoc auf den verschiedenen Social-MediaPlattformen, sowie ebenso im Nachhinein auf dem eigenen Blog oder im eigenen Videokanal. Im Unterschied zum Kulturblogger spielt hier jedoch der kunsthistorische sowie der pädagogische Ansatz eine weniger große Rolle. Es geht diesem Blogger mehr um die Inhalte selbst, als um das Bewerten von Aktionen. Für den Nicht-Kulturblogger geht es jedoch nicht nur um die einzelne Aktion der Kulturinstitution. Diese muss noch deutlich stärker in einen gewissen Rahmen eingebunden werden. So sind für Reiseblogger passende Unterkünfte oder Gastronomieangebote relevant, für Fashionblogger Shoppingmöglichkeiten und für den Gartenblogger die botanischen Angebote in der Umgebung. Was ist das Ziel der Institution für den Nicht-Kulturblogger? Die Nicht-Kulturblogger sind meist für konkrete, zeitlich begrenzte Aktionen der Kulturinstitution relevant. • Die Nicht-Kulturblogger sollen sich willkommen in der Institution fühlen. • Die Nicht-Kulturblogger brauchen ein Rahmenprogramm beziehungsweise Rahmeninhalte. Wie kann die Institution dies erreichen? Sehr viele Punkte sind hier adäquat zum Kultur-Blogger: Die Fotoerlaubnis innerhalb der Institution. Der Hinweis auf die eigenen Social-Media-Accounts und Hashtags. Das vorhandene starke WLAN. Das Reagieren auf Veröffentlichungen von Seiten der Blogger im Social Web. Generell ist es für den Nicht-Kulturblogger jedoch wichtig, passende ergänzende Inhalte und Informationen zu erhalten, die über die Institution selbst hinausgehen. Die Kulturinstitution kann hierfür beispielsweise verschiedene Tagestipps zusammenstellen. Zu einer Ausstellung rund um das Thema Garten passen in diesem Fall Tipps für ein Gartencafé, Informationen zum botanischen Garten im Ort, das lokale Urban-Gardening-Projekt oder auch eine Pension, bei welcher das Thema Blumen mit eigenem Blumenbeet und Blumenkästen eine große Rolle spielt. Eine Aktion zum Thema Mode? Dann dürfen entsprechende Shop-
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pingtipps nicht fehlen. Und bei einer Ausstellung zu einer bestimmten Epoche können Hinweise auf architektonische Höhepunkte aus der Zeit nicht schaden. Ja, das ist extra Arbeit. Generell sind diese Tipps jedoch nicht nur für Blogger von Interesse. Auch andere Besucher der Ausstellung sind an dem jeweiligen Thema interessiert. Mit einem extra Angebot rund um die Ausstellung wird somit auch der Besuch in der Kulturinstitution selbst interessanter. Solche extra Informationen funktionieren jedoch nur, wenn eine enge Kooperation auf lokaler Ebene besteht. Es ist deshalb absolut erforderlich, dass die Kulturinstitution in Kontakt mit der Tourist-Information vor Ort, dem Standortmarketing sowie den verschiedenen Vereinen und Verbänden ist. Die perfekten Rahmenbedingungen für die verschiedenen Zielgruppen sind in der Institution also vorhanden. Die Besucher veröffentlichen auch tatsächlich auf ihren verschiedenen Kanälen Texte, Fotos oder sogar Videos. Wie können diese von der Organisation genutzt werden? Das folgende Kapitel gibt hierauf Antworten. Überblick Blogger • Auch hier lohnt sich ein Blick auf die Blogger-Liste von Teads Labs (Teads Labs 2015b), welche Blogs thematisch sortiert. Erneut ist zu beachten, dass diese Liste seit September 2015 nicht mehr aktualisiert wird. • Blogger sind ebenfalls oft auf diversen Plattformen wie Bloglovin’4 angemeldet. Ein Blick dort lohnt sich deshalb ebenfalls. • Und natürlich helfen Suchmaschinen, Blogrolls (= Empfehlungen anderer Blogs), diverse Rankings oder auch externe Blogger-Spezialisten bei der Suche.
W IE KANN DIE K ULTURINSTITUTION BESTEHENDE I NHALTE IM S OCIAL W EB FÜR SICH NUTZEN ? Bestehende Inhalte über die eigene Institution finden Besucher der Kulturinstitution fotografieren und schreiben – mal mehr, mal weniger – über ihren Besuch. Sie veröffentlichen Einblicke in die Angebote und ihre Meinung hierzu. Wesentlich ist für die Institution dabei, diesen Content auch
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Siehe www.bloglovin.com/blogs (letzter Abruf: 18.09.2016).
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tatsächlich zu finden. Am einfachsten ist dies bei einer aktiv eingegangenen Kooperation mit einem Blogger. Hier weiß die Institution, wer sie wann besucht und auf welchen Kanälen dieser seine Inhalte veröffentlich. Was aber ist mit den Inhalten, die ohne Zutun der Institution entstehen? Veröffentlichungen mit direktem Bezug finden Einige Nutzer werden die Institution auf den Social-Media-Kanälen direkt erwähnen, mittels einer Mention (@Institutionsaccount) beziehungsweise indem sie beispielsweise auf Facebook oder Instagram den Ort für ihr Foto mit angeben. Die Kulturinstitution erhält dann – falls sie diese Funktion auf den SocialMedia-Kanälen nicht abgestellt hat – einen entsprechenden Hinweis hierauf. Doch nicht alle Nutzer verknüpfen ihre Inhalte tatsächlich direkt mit den Kanälen der verschiedenen Organisationen oder Unternehmen. Ein generelles Monitoring nach dem Namen der Institution ist empfehlenswert. Wobei hier auf verschiedene Schreibweisen geachtet werden muss. Die Besucher nutzen schließlich nicht unbedingt den offiziellen Namen der Institution. Neben dem Namen ist es ebenso empfehlenswert, den offiziellen Hashtag sowie den aktuellen Veranstaltungs- beziehungsweise Ausstellungsnamen zu monitoren. Auch hier gilt es, verschiedene Schreibweisen und mögliche Benennungen zu berücksichtigen. Relevante Personen finden Neben Veröffentlichungen mit direktem Bezug zum eigenen Haus oder eigenen Veranstaltungen bietet es sich ebenso an, auf den verschiedenen Kanälen nach zur Institution passenden Personen zu suchen. Das können zum einen Nutzer aus dem eigenen Ort oder der eigenen Region sein, die regelmäßig aus diesem/dieser berichten. Das können zum anderen thematisch relevante Nutzer sein, beispielsweise aus dem Kultursektor. Wie diese gefunden werden? Durch Recherche. Wer veröffentlicht viel im Social Web zu bestimmten Themen oder Orten? Wer ist öfter als Besucher im eigenen Haus vor Ort? Hierbei hilft auch, dass andere Internetnutzer einem oft einen Großteil der Arbeit bereits abnehmen. Diverse Listen auf Twitter bündeln beispielsweise Nutzer zu bestimmten Themen (z.B. Kulturblogger). In Facebook-Gruppen wie »Du bist aus dem Ort XY, wenn du...« tauschen sich die Einwohner eines Ortes sowie nicht hier wohnende Fans des Ortes miteinander aus.
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Individuelles Monitoring aufsetzen Ein eigenes Monitoring kann über Suchanfragen in den Social-Media-Kanälen selbst laufen. So können für Twitter in dem Tool TweetDeck5 mehrere Suchen nach unterschiedlichen Stichwörtern integriert werden. Auch in dem Fotonetzwerk Instagram kann nach Schlagworten (Hashtags) sowie dem Ort der Institution gesucht werden. Wer es professioneller angehen möchte, dem sind ergänzende, externe Monitoring-Tools zu empfehlen. Für die Auswahl sollten hier vorab die Rahmenbedingungen klar definiert werden: • Was genau soll das Tool können? Welche Kanäle, welche Inhalte sind relevant? • Wie sollen die Ergebnisse aufbereitet werden? • Wie viele Nutzer der Institution werden das Tool nutzen – aktuell und voraussichtlich zukünftig? • Wie wichtig ist die Verfügbarkeit entsprechender Apps für das Smartphone? • Wie viel ist die Institution bereit, kostenmäßig in das Monitoring zu investieren? Unterschiedliche Monitoring-Tools können unterschiedliche Anforderungen abdecken. Ein genauer Abgleich der eigenen Wünsche mit den Eigenschaften der verschiedenen Tools ist notwendig, um das passende Tool für sich zu finden. Bestehende Inhalte über die eigene Institution nutzen Veröffentlichungen von verschiedenen Nutzern in Social Media zu finden, ist das eine. Diese Inhalte dann auch für sich als Institution zu nutzen, ist das andere. Es gibt dabei mehrere Ebenen, wie bestehender Content von Institutionen weiter genutzt werden kann. Zum einen gilt es dabei, dem Nutzer zu danken, welcher durch sein »Online-Stellen« quasi gratis Werbung für die Institution macht. Zum zweiten geht es darum, die Inhalte weiteren Nutzern zugänglich zu machen. Blogbeiträge integrieren und weiterteilen Beiträge von Bloggern können auf allen eigenen Kanälen geteilt werden. Das heißt:
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Siehe https://tweetdeck.twitter.com (letzter Abruf: 13.12.2016).
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• Integration auf der eigenen Website mittels eines Links auf den entsprechenden Blogbeitrag; • Blogbeitrag auf den verschiedenen eigenen Social-Media-Accounts wie Facebook, Twitter oder ähnliches weiterteilen. Empfehlenswert beim Teilen in den verschiedenen sozialen Netzwerken: den jeweiligen Blogger mittels einer sogenannten Mention (@BloggerAccount) zu erwähnen. Der Blogger sieht hierdurch direkt, dass ein Beitrag von ihm geteilt wurde. Außerdem werden die eigenen Fans und Follower der Institution auf den Account des Bloggers aufmerksam gemacht, was letztlich für beide Seiten einen Mehrwert darstellt. Den gesamten Blogbeitrag inklusive Text und/oder Fotos auf der eigenen Website, im eigenen Blog oder in den eigenen Social-Media-Accounts zu platzieren, ist hingegen nicht erlaubt. Gleiches gilt natürlich auch für Offlinemedien wie ein eigenes Magazin der Kulturinstitution. Auf Social-Media-Beiträge reagieren und diese weiterteilen Neben Blogbeiträgen können ebenso die Inhalte aus Social-Media-Kanälen genutzt werden. • Den Beitrag liken/»faven«/mit einem Plus versehen. Damit weiß der Blogger kurz und einfach: »Danke, habe ich gesehen. Gefällt mir.« • Besser ist es, einen Kommentar auf der jeweiligen Plattform zu hinterlassen. Dieser kann noch einmal deutlicher signalisieren, was genau an dem Beitrag gefällt. • Noch besser: Der Beitrag wird nicht nur kommentiert, sondern tatsächlich über die eigenen Kanäle weitergeteilt. Die eigenen Fans und Follower bekommen diesen Beitrag damit ebenso zu sehen (Mehrwert für diese) und die Reichweite der Veröffentlichung des Bloggers wird erhöht (Mehrwert für diesen). Jeder profitiert also hiervon. Texte und Fotos nutzen Wie sieht es mit den veröffentlichten Texten und Fotos aus? Wie können diese von der Kulturinstitution genutzt werden? • Nicht erlaubt ist es, Texte, Fotos und Videos aus dem Blogbeitrag herunterzuladen und in eigene Medien zu integrieren. Beispiele: Ein Foto aus einem Blogbeitrag auf der eigenen Website integrieren. Den Blogtext in ein neues Magazin integrieren.
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• Ebenso wenig dürften Texte oder Fotos anderer Nutzer neu in eigene SocialMedia-Kanäle hochgeladen werden. Beispiel: Ein Foto aus dem Blogbeitrag auf den eigenen Facebook- oder Instagram-Account neu hochladen. Das gilt nicht nur für Texte, Fotos und Videos in dem Blogbeitrag, sondern ebenso für Veröffentlichungen auf anderen Plattformen. Beispiel: Ein YouTube-Video des Bloggers herunterladen und im eigenen YouTube-Kanal neu hochladen. Und dabei ist es völlig egal, ob die Institution den Blogbeitrag zusätzlich verlinkt oder den Blogger als Fotograf nennt. Herunterladen und neu hochladen ist nicht erlaubt. Auf keinem Kanal. Dennoch können veröffentlichte Texte und Fotos in einem gewissen Rahmen von der Kulturinstitution genutzt werden. Folgende Möglichkeiten stehen hier zur Verfügung: • Den Blogbeitrag zitieren, also einen ausgewählten, vom Umfang deutlich beschränkten Text in einen Blogbeitrag integrieren und mit eigenen Inhalten ergänzen. Es muss dabei klar ersichtlich sein, dass es sich um ein Zitat handelt. Ein Quellennachweis muss somit unbedingt integriert sein. • Fotos (beispielsweise von Instagram) oder Videos (beispielsweise von YouTube oder Vine) können in einen Blogbeitrag oder auf der eigenen Website eingebettet werden. Beim Einbetten liegen die Inhalte weiterhin in den Kanälen des Bloggers. Diese werden nur über eine Art »Schaufenster« auf der eigenen Plattform eingestellt. Am besten wird der Blogger entsprechend darüber informiert, falls Inhalte von ihm auf den eigenen Kanälen eingebettet werden. Bei konkreten Kooperationen mit Bloggern sollte mit diesen am besten bereits vorab abgestimmt werden, wie die Inhalte während sowie nach der Aktion weiter genutzt werden. So gibt es hier auch die Möglichkeit, Fotos und Texte zum Eigengebrauch von dem Blogger abzukaufen. Link-Tipp aus dem Kultursektor • Auf dem Blog von Tanja Praske (Praske 2016) findet sich ein Überblick aller Museen mit einem eigenen Blog.
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KÖNNEN I NHALTE IM S OCIAL W EB AKTIV GEMEINSAM MIT ANDEREN N UTZERN ERSTELLT WERDEN ? Das vorige Kapitel bezog sich in erster Linie darauf, dass Internetnutzer sowie speziell Blogger Inhalte über die Institution online stellen – ohne dass diese von der Institution selbst aktiv initiiert sind. Die Organisation hat somit wenig Einfluss auf die tatsächlichen Inhalte. Sie kann diese jedoch durch die Erlaubnis zum Fotografieren, durch das Bereitstellen von WLAN sowie das aktive Kommunizieren von Hashtags und Kanälen unterstützen. Manchmal geht es jedoch auch darum, ganz bewusst eine bestimmte Botschaft zu lancieren. In diesem Fall sollte das Ganze nicht dem Zufall überlassen werden. Es geht hingegen darum, Content gemeinsam mit dem Social-MediaNutzer zu erstellen. In diesem Fall sollten konkrete Social-Media-Aktionen geplant und durchgeführt werden, passende Nutzer (Blogger) hierfür recherchiert und in die Aktion integriert werden. Verschiedene Möglichkeiten für solche Aktionen finden sich in dem folgenden Abschnitt. Die Grundlage: Den Rahmen für Social-Media-Aktionen definieren Generell gilt bei jeder Kooperation mit Bloggern, dass vorab die Zielstellung klar definiert sein muss. Erst danach kann eine Aktion konzipiert werden, welche die eigene Strategie unterstützt und auch tatsächlich auf die gewünschten Ziele einzahlt. Hierauf basierend erfolgt dann die entsprechende Auswahl passender Blogger. Es geht also nicht darum, dass man sich nur sympathisch findet. Stattdessen muss der gewählte Blogger tatsächlich zur eigenen Institution und zur geplanten Aktion passen. Eigene Social-Media-Kanäle »verleihen« Meist ist eine Kulturinstitution bereits mit eigenen Social-Media-Kanälen präsent. Das kann eine Facebook-Seite sein oder auch ein Twitter- oder InstagramAccount. Diese Accounts können – übergangsweise – an unterschiedliche Nutzer übergeben werden.
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Möglichkeiten zum »Verleihen« eines Social-Media-Accounts Die folgenden Möglichkeiten bestehen für eine solche Aktion: • Die einfachste Variante ist sicherlich, wenn unterschiedliche Mitarbeiter der Institution den entsprechenden Account befüllen. Das kann entweder bunt gemischt passieren (dabei ist es jedoch besonders wichtig, den jeweiligen Absender deutlich zu machen) oder über einen festen Zeitraum von beispielsweise einer oder zwei Wochen wechselnd. • Ebenso können externe Personen wie Blogger beziehungsweise Instagrammer für einen Instagram-Account etc. engagiert werden, das Befüllen zeitweise zu übernehmen. Wer auch immer die Accounts übernimmt: Es sollte vorher in jedem Fall deutlich sein, was der jeweilige Nutzer darf und wo die Grenzen liegen. Vorteile beim »Verleihen« eines Social-Media-Accounts Den eigenen Account über mehrere Personen pflegen zu lassen, bringt folgende Vorteile mit sich: • Es werden verschiedene Sichtweisen auf die eigene Institution, das eigene Produkt vorgestellt. Hierdurch können unterschiedliche Schwerpunkte gelegt werden, wodurch sich den Kunden ein ganzheitliches Bild bietet. • Die Institution präsentiert sich aufgrund der unterschiedlichen Sichtweisen generell als sehr offen. • Nicht zu verachten ist hier auch die Verteilung des Arbeitsaufwandes auf verschiedene Personen, ohne dass es zu einem Bruch in der Kommunikation kommt. • Wenn ein Blogger die Kanäle einer Institution übernimmt, bewirbt dieser die Aktion selbstverständlich ebenso auf seinen eigenen Kanälen. Für die Institution ergibt sich hierdurch die Möglichkeit, neue potenzielle Fans und Follower auf die eigenen Social-Media-Accounts aufmerksam zu machen. An dieser Stelle zeigt sich auch sehr gut, dass die Auswahl eines passenden Bloggers für eine Zusammenarbeit essenziell ist: Sind dessen Follower überhaupt an den Angeboten der Institution interessiert?
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Nötige Grundlagen beim »Verleihen« eines Social-Media-Accounts Welche Grundlagen sind notwendig, um eigene Social-Media-Kanäle mit mehreren Personen zu teilen? • Generell braucht es ein grundsätzliches Vertrauen. Nicht jeder einzelne Post soll schließlich vorab freigegeben werden müssen. Am besten funktionieren solche Aktionen mit Spontanität. Das heißt, die Rahmenbedingungen sind klar definiert, in diesen kann sich der Blogger jedoch komplett frei bewegen. • Klare Regeln und Absprachen helfen. Wie viele Posts werden im Verlaufe des Tages erwartet? Gibt es feste Hashtags, welche genutzt werden sollen? Gibt es einen festgelegten Farbfilter bei Instagram für die Institution oder bestimmte Farbwelten, welche immer wieder zurückkommen? Diese Informationen benötigt der entsprechende Mitarbeiter oder Blogger selbstverständlich vorab. Beispiel aus dem Kultursektor • Der Instagram-Account @52museums wird wöchentlich von einem anderen Museum gefüllt. Tweetups Weg von den eigenen Kanälen der Kulturinstitution, hin zu den eigenen Kanälen der Blogger, Instagrammer, Twitterer... Es bietet sich an, verstärkt auf diese zu setzen. Hierdurch werden neue Kontakte mit den eigenen Produkten erschlossen und neue Zielgruppen auf die Angebote der Institution aufmerksam gemacht. Eine Möglichkeit dabei: ein Tweetup. Tweetup – dieses Wort ist eine Kombination aus »tweet« und »meet up«. Dahinter verbirgt sich ein persönliches Treffen mehrerer Twitterer, normalerweise zu einem konkreten Anlass oder einem bestimmten Thema, wie beispielsweise die Eröffnung einer Ausstellung. Wer kann an einem Tweetup teilnehmen? Prinzipiell natürlich Twitterer. Doch auch Blogger oder Journalisten sollten gerne gesehen sein – veröffentlichen doch auch diese (wenn auch auf anderen Kanälen als Twitter) Inhalte zu dem Treffen oder der Ausstellungseröffnung. Tweetups können einmalig zu einem bestimmten Ereignis stattfinden oder standardisiert, beispielsweise immer an einem bestimmten Wochentag im Monat.
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Dabei kann ein Tweetup sehr offen sein: Wer kommt, kommt; ohne Registrierung, ohne festgelegte Kriterien, wer teilnehmen darf. Gerade in Städten/Regionen, wo es nicht so viele Twitterer gibt, kann diese Form einiges vereinfachen. Ist die Auswahl an möglichen Teilnehmern jedoch größer, ist ebenso eine geschlossene Aktion mit vorheriger Anmeldung und Vorselektion denkbar. Welche Variante auch immer gewählt wird: Auf jeden Fall sollte auf allen Kanälen der Kulturinstitution für die Aktion geworben werden. Und alle Kanäle bedeutet dann nicht nur Twitter, sondern ebenso die eigene Website oder der eigene Blog. Auch andere Social-Media-Kanäle wie Facebook und Instagram können und sollten zur Bewerbung eingesetzt werden. Neben der öffentlichen Kommunikation zur Bewerbung läuft dabei zeitgleich eine direkte, oftmals nicht öffentliche Kommunikation: die individuelle Ansprache passender Teilnehmer. Wie läuft ein Tweetup ab? Damit die Tweetup-Einladung für die potenziellen Teilnehmer interessant wird, sollten die Informationen passend für diese aufbereitet sein. Was erwartet die Blogger vor Ort? Gibt es exklusive Einblicke? Ist es möglich, ein Interview mit dem Kurator zu führen? Gibt es eine Fotoerlaubnis vor Ort? Ohne Fotoerlaubnis wird eine Teilnahme für viele uninteressant. Leben doch auch Tweets und Blogbeiträge von visuellen Eindrücken. Das Tweetup selbst kann mit einer Führung stattfinden. Dabei ist es wichtig, den Guide entsprechend zu briefen. Kurze Sätze. Geschichten statt Geschichte. Pausen machen. Schließlich sollen die Inhalte von den Teilnehmern direkt verarbeitet und öffentlich geteilt werden. Durch einen Guide können gewünschte inhaltliche Schwerpunkte während des Tweetups gesetzt werden. Wer individuellere Eindrücke wünscht, setzt eher auf ein Tweetup ohne Führung. Die hier geteilten Eindrücke erscheinen auf den ersten Blick oberflächlicher, geben allerdings auch einen unverfälschteren Eindruck wider, wie die Ausstellung oder die Veranstaltung ohne tiefergehende Hintergrundinformationen wirkt. Auch eine Kooperation mit verschiedenen Kulturinstitutionen ist möglich. Das kann zum einen in der gleichen Stadt sein, wobei die Institutionen dann nicht allzu weit voneinander entfernt liegen dürfen. Das kann aber ebenso eine Kooperation über verschiedene Städte hinweg sein – dann quasi rein virtuell miteinander verbunden. Ein gemeinsames Oberthema sorgt bei einer solchen Aktion dafür, dass sich die Inhalte gegenseitig unterstützen.
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Wie können die Inhalte des Tweetups weiter genutzt werden? Damit von dem Tweetup nicht nur die Twitterer etwas mitbekommen, sondern auch Personen außerhalb von Twitter, bietet sich der Einsatz einer »social wall« an. Auf dieser können – basierend auf einem gemeinsamen übergreifenden Hashtag – alle aktuellen Tweets und Instagram-Fotos automatisiert angezeigt werden. Ein Einbetten in die eigene Website ist dabei möglich. Verschiedene Anbieter mit unterschiedlichen Preismodellen stehen hierfür zur Auswahl.6 Außerdem können die verschiedenen Veröffentlichungen im Nachhinein gebündelt und sinnvoll kombiniert werden, was eine entsprechende weitere Nutzung der Inhalte unterstützt. Ein geeignetes Tool hierfür ist Storify.7 Beispiele aus dem Kultursektor • Tweetup #Iamhere in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 2016); • Tweetup #Ausgegraben des Archäologischen Museum Hamburg (Archäologisches Museum Hamburg 2016). Instawalks Instawalks laufen ähnlich ab wie Tweetups, nur dass hier entsprechend die Fotoplattform Instagram im Mittelpunkt der Aktivitäten steht und nicht der Kurznachrichtendienst Twitter. Bei Instawalks kann man sich gut an die weltweiten InstaMeets hängen, welche von der Instagram-Community organisiert werden.8 Dies sorgt für extra Aufmerksamkeit und Reichweite. Im Unterschied zu Tweetups sind Instawalks generell weniger geführt. Es geht hier in erster Linie um die visuellen Inhalte, weniger um die Vermittlung von Informationen. Durch das lockere Herumlaufen entdecken die Teilnehmer unterschiedliche Einblicke und Blickwinkel, die letztlich über den gemeinsamen Hashtag ein Gesamtbild abgeben.
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Beispiele: siehe https://walls.io, www.juicer.io, www.seejay.cloud/ (letzter Abruf:
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Siehe https://storify.com (letzter Abruf: 13.12.2016).
8
Siehe https://community.instagram.com (letzter Abruf: 13.08.2016).
13.12.2016).
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Beispiele aus dem Kultursektor • Jüdisches Museum Berlin: Instawalk Between the Lines (Westphal 2016); • Pinakotheken München: Instawalk #Canaletto (Gries 2014). Livestreaming Tweetups und Instawalks laufen bereits live ab. Aber da geht noch mehr. Über Livestreaming werden Videoinhalte zeitgleich mit den Fans und Followern geteilt, sodass hier eine direkte Interaktion mit diesen möglich ist. Einfach umsetzbar wurde Livestreaming für Unternehmen über die App Periscope, die eine direkte Anbindung zu Twitter bietet. Mittlerweile hat Facebook mit Facebook Live nachgezogen. Perfekt, um die dortigen vorhandenen Fans mittels Livestreaming zu erreichen. Wie kann Livestreaming für Kulturinstitutionen genutzt werden? Einerseits können über Livestreaming direkte Einblicke gewährt werden. Die Zuschauer können währenddessen mit Fragen oder Ergänzungen in den Kommentaren direkt mit der Institution interagieren. Das Van Gogh Museum in Amsterdam führte beispielsweise live eine 25-minütige geführte Tour durch das Museum durch (Rehn 2016). Auch eine Art »Q&A« – »questions and answers« – ist möglich, bei welchem die Nutzer aktiv dazu aufgefordert werden, ihre Fragen zu stellen, und diese direkt live beantwortet werden. Beispiele aus dem Kultursektor • Einsatz von Periscope im Rahmen eines Tweetups im Städel Museum in Frankfurt (Möller 2016); • Einsatz von Facebook Live vom Van Gogh Museum (Rehn 2016). Bloggerreise Eine Aktion, welche einige der vorab genannten Social-Media-Aktionen in sich vereinen kann, ist eine Bloggerreise. Dabei geht es nicht nur um eine singuläre Veranstaltung wie ein Tweetup oder eine Livetour. Stattdessen erhält der Blog-
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ger deutlich umfangreichere und tiefergehende Informationen übermittelt, da hierfür auch wesentlich mehr Zeit zur Verfügung steht. Wie ist eine Bloggerreise grundsätzlich strukturiert? Bloggerreisen können als individuelle Reise konzipiert sein. Bei dieser Form reist der Blogger allein. Die Reise kann sich somit komplett an seinen Wünschen und Interessen ausrichten. Im Gegensatz dazu kombiniert die GruppenBloggerreise mehrere Blogger miteinander. Der deutlich größte Teil des Programmes wird hier gemeinsam absolviert, wobei die Blogger auch aus unterschiedlichen Sparten kommen können. Eine Bloggerreise kann einen einzigen Tag oder mehrere Tage dauern. Für die Auswahl der Teilnehmer gibt es folgende Varianten: • Die Institution wählt vorab selbst aus und kontaktiert passende Blogger von sich aus und direkt. • Alternativ macht die Institution einen Aufruf über ihre Website, entsprechende Facebook-Gruppen oder ähnliches, worauf sich Blogger bewerben können. Die Auswahl erfolgt dann im Nachgang aus den verschiedenen Bewerbern. • Selbstverständlich fragen auch Blogger direkt bei Organisationen und Unternehmen nach Kooperationen. Worauf ist bei einer Bloggerreise zu achten? Alle Programmbausteine der Reise sollten idealerweise zu dem Grundthema von dieser passen. Erst dann wird auch die zur Verfügung gestellte Unterkunft oder das Restaurant für den Blogger interessant. Dabei kommt es ganz klar darauf an, dem Blogger echte Erlebnisse zu bieten. Das heißt: • Blicke hinter die Kulissen; • Persönliche Gespräche mit Leuten, die auch tatsächlich etwas zu erzählen haben; • Aktivitäten selbst ausprobieren können. Dabei ist jedoch darauf zu achten, das Programm nicht zu voll zu packen. Genügend Freiraum ist für den Blogger wichtig. Zum einen, um individuelle Entdeckungen machen zu können, zum anderen, um genügend Zeit zum Befüllen seiner Social-Media-Kanäle zu haben.
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Beispiele für Bloggerreisen im Kultursektor • Städte- und länderübergreifende Kultur-Bloggerreise der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, der Karlsruher Tourismus GmbH und der Art & Design Museums Basel (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 2015); • Kultur-Bloggerreise von Flandern Tourismus und dem Niederländischen Büro für Tourismus & Convention (Nederlands Bureau voor Toerisme & Congressen) in Hinblick auf die Frankfurter Buchmesse 20169.
R ESÜMEE Kulturinstitutionen können von Veröffentlichungen in Social Media stark profitieren. Durch diese werden potenzielle neue Besucher erreicht sowie die eigenen Veröffentlichungen zum eigenen Angebot durch die Meinung von Besuchern unterstützt. Wichtig sind für die Institution in diesem Rahmen vor allem die folgenden Punkte: • Passende Rahmenbedingungen schaffen: Ein frei nutzbares WLAN, die offen kommunizierte Erlaubnis zum Fotografieren sowie der Hinweis auf eigene Social-Media-Kanäle und Hashtags fördert generell die Veröffentlichung von Inhalten zur eigenen Institution. • Veröffentlichungen überwachen: Über ein aufgesetztes Monitoring bleibt die Institution auf dem Laufenden, welche Inhalte über sie und ihre Angebote veröffentlicht werden. • Auf Veröffentlichungen reagieren: Es wird von den Nutzern positiv honoriert, wenn die Institution ihre Veröffentlichungen bemerkt und auch auf diese reagiert. • Bestehende Veröffentlichungen nutzen: Um für die Kulturinstitution einen weiteren Mehrwert aus den Veröffentlichungen in Social Media zu ziehen, sollten diese – soweit möglich und zur eigenen Strategie passend – in die eigene Kommunikation integriert werden. • Veröffentlichungen aktiv initiieren: Strategisch geplante und aktiv umgesetzte Social-Media-Aktionen sorgen dafür, dass aktiv Veröffentlichungen passender und relevanter Blogger initiiert werden.
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Siehe kulturfritzen.wordpress.com/2016/08/31/grenzverkehr-schlaglichter (letzter Abruf: 18.09.2016).
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L ITERATUR Archäologisches Museum Hamburg (2016): Storify #Ausgegraben mit Podcast und Blogbeiträgen. Siehe http://blog.amh.de/2016/02/storify-ausgegraben/ (letzter Abruf: 18.09.2016). Buggisch, Christian (2016): Social Media – Nutzerzahlen in Deutschland 2016. Siehe buggisch.wordpress.com/2016/01/04/social-media-nutzerzahlen-indeutschland-2016 (letzter Abruf: 13.08.2016). Gries, Christian (2014): Instawalk mit Canaletto. Siehe http://blog.ilioumelathron.de/index.php/2014/12/instawalk-mit-canaletto/ (letzter Abruf: 18. 09.2016). Möller, Jannikhe (2016): »Hinter den Kulissen. Periscope: Ein Erfahrungsbericht«, in: Städel Blogg. Siehe http://blog.staedelmuseum.de/periscope-einerfahrungsbericht/ (letzter Abruf: 18.09.2016). Praske, Tanja (2016): Museumsblogroll. Siehe www.tanjapraske.de/museumsblo groll/ (letzter Abruf: 18.09.2016). Rehn, Daniel (2016): Geführte Tour via Facebook Live: Das Van Gogh Museum zeigt, wie es geht. Siehe https://danielrehn.wordpress.com/2016/03/16/gefueh rte-tour-via-facebook-live-das-van-gogh-museum-zeigt-wie-es-geht/ (letzter Abruf: 13.08.2016). Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (2015): 2. Kultur-Bloggerreise Karlsruhe-Basel Rückblick. Siehe www.kunsthalle-karlsruhe.de/de/ausstellungen/rueckblick/ ausstellungsrueckblick-2015/die-meister-sammlerin/2-kultur-bloggerreisekarlsruhe-baselrueckblick.html (letzter Abruf 18.09.2016). Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (2016): Tweetup #Iamhere. Exklusivführung in der Ausstellung »Ich bin hier! Von Rembrandt zum Selfie« am 13.11.2015. Siehe www.kunsthalle-karlsruhe.de/de/ausstellungen/rueckblick/ausstellungs rueckblick-2016/ich-bin-hier/tweetup.html (letzter Abruf: 18.09.2016). Teads Labs (2015a): Top Blogs – Kunst und Kultur – September 2015. Siehe de. labs.teads.tv/top-blogs/kunst_und_kultur (letzter Abruf: 18.09.2016). Teads Labs (2015b): Top Blogs – Gesamtranking – September 2015. Siehe de. labs.teads.tv/top-blogs (letzter Abruf: 18.09.2016). Tweetdeck (2016): Tweetdeck, Tweet like a pro. Siehe https://tweetdeck.twitter. com (letzter Abruf: 13.08.2016). Westphal, Judith (2016): »›Betweet the Lines‹ – Ein Architektur-Instawalk durch das Jüdische Museum Berlin«, in: BLOGERIM. Aus dem Alltag des Jüdischen Museums Berlin. Siehe www.jmberlin.de/blog/2016/06/instawalk/ (letzter Abruf: 18.09.2016).
Temporäre Reiserouten und metakuratorisches Erzählen J AN -P AUL L AARMANN /J ENS N IEWEG
Ausgehend von konkreten Anlässen des Tourismus NRW e.V. entwerfen die Autoren ein Modell für eine überspannende thematische Kommunikation kulturtouristischer Destinationen. Als Alternative zu langfristig geplanten Verbundprojekten setzen sie auf »Fahren auf Sicht« und Serendipität mit Blick auf die komplexe kulturelle Angebotsstruktur des Landes. In Projekten wie #Kunstpilgern, bei dem sie, anlässlich der Ausstellung »The Problem of God« der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, die Verbindungslinien von zeitgenössischer Kunst zur Religion und Spiritualität in Nordrhein-Westfalen in vier temporäre Reiserouten umsetzten, versuchen sie übergeordnete, von den Kulturakteuren zunächst nicht intendierte Sinnzusammenhänge und Verknüpfungen zu konstruieren. Die Intention des metakuratorischen Erzählens ist es, zusätzliche Öffentlichkeit zu schaffen, Reiseanlässe zu generieren und die kulturtouristische Wahrnehmung der Destination zu stärken. Die Autoren blicken auf Planungen und Erfahrungen in der Praxis und loten Potenziale der ungewöhnlichen Herangehensweise aus.
»W ANTED «: D ER
NEUE
F LANEUR
Ein Steckbrief: In seinem Selbstbild entwirft sich der Typ des neuen Flaneurs im Gegensatz zum Touristen. Konsequent meidet er die »tourist bubble« und ist, immer auf seine Unabhängigkeit und individuelle Sicht bedacht, quasi unerreichbar für klassisches, touristisches Marketing. Ob »always on« mit dem Smartphone oder auf »digital detox«, ob auf Fahrradtour über Land oder beim Stadtspaziergang: Er hält sich für neugieriger, experimentierfreudiger, wissensdurstiger und sieht die Welt mit reisefreudiger Unvoreingenommenheit. Sein zur Schau gestelltes Leitbild ist die Authentizität, sein heimlicher Wunsch Distinkti-
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on, sein bewusst gewählter Verbündeter ist der Zufall und sein Kapital ein breites Dreiviertelwissen. Er sieht sich selbstverwirklichend auf der Spitze der Maslowschen Bedürfnispyramide – und ist doch als Multiplikator seiner Erfahrung, als Trendsetter und Vorläufer ein Agent des Tourismus. Denn auch er braucht die Bühne, um sein Distinktionskapital zu realisieren: Er postet StreetArt auf Instagram, seine Geheimtipps auf medium.com und träumt davon, seine Reiseerinnerungen irgendwann auch einmal außerhalb seines Blogs aufzuschreiben. Und natürlich: Er würde je nach Stimmungslage scharf zurückweisen, auf diesen Steckbrief zu passen – oder sich schmunzelnd ertappt fühlen.
D IE B EDEUTUNG DES E XPEDITIVEN M ILIEUS FÜR DEN K ULTURTOURISMUS Bewusst hat diese eingangs beschriebene Persona kein Alter, kein Geschlecht, keinen definierbaren höchsten Bildungsabschluss und keinen zugewiesenen Familienstand. Stattdessen geht dieser Ansatz von einer zentralen Eigenschaft des Kulturtouristen aus, die nicht zu vereinbaren ist mit demografischen Klassifizierungen gängiger Modelle, sondern sich am ehesten in der Marktforschungsgruppe des Sinus-Milieus der Expeditiven wiederfindet. Sie spiegelt dabei die Gestalter und Inszenierenden dieser Art des Tourismus mit der Zielgruppe durch das verbindende Element der Neugier. Während Airbnb ein Ausdruck von konkretem Peer-to-Peer-Tourismus ist, kann man metakuratorisches Erzählen auch als Ausdruck eines abstrakten Peer-to-Peer-Tourismus lesen. Es geht bei den folgenden Überlegungen um die Darstellung einer experimentellen Projektentwicklung aus der Praxis, in die Diskurse des Kulturmarketings zwar mit eingeflossen sind, die aber vor allem tastendes Ausloten von Potenzialen ist. Statt auf eine Breitenwirkung wird auf eine Tiefenwirkung gesetzt, die mittels Multiplikatoren in einem wenig steuerbaren Prozess weitergetragen wird. Die besondere Attraktivität eines solchen Ansatzes ergibt sich in diesem Fall auch aus der besonderen Eigenschaft der Kulturdestination NordrheinWestfalen, die nicht auf ein Fundament traditioneller Touristenströme setzt, sondern das Neuartige der jungen Destination hervorheben will. Sie ist erst denkbar durch die Möglichkeiten des digitalen Raums auch im »long tail«, in der Nische, ein begeistertes Publikum zu finden, das im besten Fall als Evangelist des gemeinsam gestalteten Produktes dient.
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S PEZIELLE R AHMENBEDINGUNGEN ODER : H ERAUSFORDERUNG »Z UVIELFALT « Eine wesentliche Strategie der öffentlich geförderten kulturtouristischen Kommunikation ist in der Regel die Verklärung und Überhöhung der kulturhistorischen Bedeutung der eigenen Destination, deren touristische Erzählung anhand von zu besichtigender Architektur, Artefakte und immaterieller Traditionen geleistet wird. Die Destinationsgrenzen sind dabei, unabhängig von inhaltlichen Erwägungen, der zwingende Bezugsraum dieser Bedeutungsproduktion, dessen Ziele sich letztlich wirtschaftlich motiviert an der regionalen Entwicklung und Wertschöpfung ausrichten. Auch für Tourismus NRW e.V. ist laut Satzung »der schrittweise Aufbau einer Identität für die Tourismus-Destination Nordrhein-Westfalen«1 eine herausfordernde Aufgabe. Unabhängig von der Diskussion um die Anwendbarkeit des Begriffs Destination auf ein ausgedehntes Flächenland stellt sich die Frage, wie man ein Bundesland wahrnehmbar kulturtouristisch vermitteln kann, dessen emotionale Bindungsfähigkeit und Identifikationspotenzial schon nach innen begrenzt scheint und dessen konkurrierende regionale Identitätsebenen und Strukturen durch das Rheinland und Westfalen-Lippe, das überlappende Ruhrgebiet und zahlreiche lokale Bezugsgrößen geprägt wird. Das notwendige, touristisch attraktive Inventar ist zwar auch in Nordrhein-Westfalen vom Aachener Dom über das Schloss Benrath bis zum Rathaus des Westfälischen Friedens in Münster vorhanden, aber es bezieht sich auf jeweils andere, verschwundene geografische Bezugsgrößen und stiftet, außer dem letztlich beliebigen Narrativ der Vielfalt, keine intuitiv nachvollziehbare, gemeinsame Geschichte. Die Aufgabe, Nordrhein-Westfalen kulturtouristisch im ersten Schritt auf die mentalen Reisekarten und im zweiten Schritt auf die »bucket lists« potenzieller Besucher zu setzen, ähnelt daher oftmals einer reizvollen Donquichotterie. Es mangelt, anders als auf der untergeordneten, regionalen Ebene an klaren Alleinstellungsmerkmalen und kollektiven Bildern, die dezidiert mit Nordrhein-Westfalen verbunden werden. Das Ruhrgebiet steht kulturtouristisch für Industriekultur, das Münsterland positioniert sich mit der 100-Schlösser-Route, Düsseldorf als Stadt für zeitgenössische Kunst: Der Versuch, zwischen diesen klaren Profilen einen inhaltlichen gemeinsamen Nenner für die kulturtouristische Vermarktung zu finden, der sich aus einer kohärenten Geschichte speist, ist daher nicht zielführend.
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Siehe www.touristiker-nrw.de/wir-ueber-uns/der-verein/ (letzter Abruf: 05.11.2016).
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Z EITGESCHICHTE
UND
N EUGIER
ALS
H ALTUNG
Profilierungspotenziale bietet für den Kulturtourismus auf Landesebene vor allem die gemeinsame Zeitgeschichte, definiert als Nordrhein-Westfalen nach 1945 bis heute. Die im Verband entwickelten Förderprojekte KulturReiseLand NRW, mit einem Schwerpunkt unter anderem auf Kunst nach 1945, und #urbanana, der kreativ geprägte Städtetourismus entlang der bananenförmigen Verdichtung vom Ruhrgebiet über Düsseldorf bis Köln, sind Ausdruck dieser Orientierung. Die inhaltlichen Potenzialfelder für eine siebzigjährige, gesamtnordrhein-westfälische Kulturgeschichte reichen dabei von Skulptur und Public-Art, Urban-Art über die Architektur der Nachkriegsmoderne bis hin zu Interkultur oder auch kleineren, speziellen Themenfeldern, wie dem Entstehen der Neuen Deutschen Welle, der Ära der Bonner Republik oder der Blüte der rheinischen Kunstszene, die alle auf eine (auch touristische) Wiederentdeckung warten. Diese inhaltliche Ebene trifft dabei auf eine methodische Ebene, deren projektorientierter Ansatz folgend als metakuratorisches Erzählen beschrieben wird. Die weitgehende inhaltliche Unbesetztheit Nordrhein-Westfalens als Kulturreiseziel ermöglicht gerade einen experimentelleren Angang und die Bildung neuer Sinnzusammenhänge gegenüber der Fortschreibung von Klischees. Der Kulturtourismus emanzipiert sich in diesem Fall teilweise von seinem üblichen Platz als Dienstleister der kulturellen Produktion und imitiert inhaltlich kuratorische Strategien. Anstatt wie üblich konfektionierte Pakete zu vermarkten und letztlich nur Vermittler der Arbeit anderer zu sein, wird der Kulturtourismus zum Produzenten eigener Inhalte und schafft somit in der Verknüpfung einzelner kulturtouristischer Anziehungspunkte als temporäre Reiserouten neue Reiseanlässe. Dabei setzt man sich nicht nur bei potenziellen Gästen in Szene, sondern erreicht auch eine neue Wahrnehmung als Partner bei zahlreichen Leistungsträgern von Hotels bis zu Museen. Die Bildung von Netzwerken und Anbahnung von Partnerschaften sind für die Querschnittsbranche Tourismus unabdingbar, jede Aufmerksamkeit bei den Kulturbetrieben ist für die Wertschöpfungspotenziale des Kulturtourismus wertvoll. Die Chimäre einer inhaltlich begründeten Identität, einer Marke oder eines Profils einer Kulturdestination, die sich immer auch durch Vereinfachungen, Vereinnahmungen und Weglassungen bildet, steht im inneren Widerspruch zur Kunst, deren höchster Wert ihre eigene Freiheit gegenüber jeglicher In-DienstStellung ist. Dieses Spannungsfeld zwischen nutzenorientierter Tourismusförderung und dem kulturellen Produkt ist nicht auflösbar und wird umso stärker, je zeitlich näher die kulturelle Produktion an der Gegenwart liegt. Sie findet ihre
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extremste Entsprechung in der Sprachlosigkeit zwischen Künstler und Marketing. Am Ziel unserer Bemühungen steht im Idealfall eine kulturtouristische Arbeit, die sich nicht aus einem abschließend definierten Tableau an Themenfeldern speist, sondern geprägt ist durch eine dem jeweiligen Gegenstand angemessene anspruchsvolle Kommunikation, einer Haltung, die auf einladende Neugier und Partizipation sowie Kommunikation durch Multiplikatoren setzt und die sich durch womöglich auch eine selbstironische Note auszeichnet. Die exemplarische inhaltliche Tiefe einer Themenreise in Nordrein-Westfalen tritt an die Stelle der oft praktizierten »Von-bis-alles-ist-möglich-Superlativ«-Kommunikation.
D IGITALER W ANDEL IST W ANDEL DER K OMMUNIKATIONSKULTUR Diese Neuorientierung der kulturtouristischen Arbeit ist angetrieben und herausgefordert von den großen Kommunikationsveränderungen, die die Digitalisierung und insbesondere das mobile Internet und seine soziale Nutzung auslösen. Bezogen auf die Aufgabenfelder einer regionalen touristischen Marketingorganisation sind veränderte Distributionswege und ein erhöhter Wettbewerb der Informationsanbieter in der Reisebranche die stärksten Impulsgeber des Wandels. Da die digitalen Kommunikationskanäle jedem offen stehen und in zunehmendem Maße professionell für Marketingzwecke genutzt werden, ist ein subsidiäres Einsatzprinzip wünschenswert – jeder vermittelt auf seiner Ebene die Informationstiefe, deren Vollständigkeit und Aktualität er aufgrund seiner Nähe jederzeit sicherstellen kann. Auf der überlokalen bzw. überregionalen Ebene konzentrieren sich die Destinationsmarketingorganisationen (DMOs) folgerichtig auf ihre Kernaufgabe: der Vermittlung eines Gesamtüberblicks auf die Destination und somit auf die Aufgaben Inspiration und Motivation für eine Reise in die Region. Die Allzeit- und Überallverfügbarkeit von Informationen und die erhöhte Spontanität und Autonomie des Reisenden vor Ort führen dazu, dass er sich in den weiteren Schritten bis zur Buchung und dem Besuch vor Ort selbst und ohne Unterstützungsbedarf zurechtfindet. Dies betrifft sowohl das kulturelle Inventar, etwa die großen Sammlungen, Welterbestätten, Bühnen und Baudenkmäler, als auch die schwierigere Aufgabe, temporäre Anziehungspunkte wie Ausstellungen und Festivals in übergeordnete Beziehungen und idealerweise in einen attraktiven Erzählzusammenhang zu setzen. Eine entsprechende Agilität und Resonanzfähigkeit vorausgesetzt, können in diesem Bereich Marketingorganisationen neue Inhalte generieren, die wie
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temporäre Reiserouten das Land auf vielfältige Weise erschließen. Die Dynamik der digitalisierten Vermittlung touristischer Information ermöglicht nicht zu allererst neue technische Dimensionen, sondern zeigt sich in ganz einfachen Veränderungen in der Art der Aufbereitung, die fluider und in alle Richtungen reaktiver und dialogorientierter wird.
T EMPORÄRE R EISEROUTEN Touristische Routen vom romantischen Rhein bis zur transsibirischen Eisenbahn sind eines der ältesten Reisethemen überhaupt, die anlassbezogene Entwicklung temporärer Reiserouten dagegen ist seltenere Praxis. Für Tourismus NRW e.V. und andere DMOs haben sie den Vorteil, dass sie mehreren Kriterien und Anspruchsgruppen gerecht werden können. Einerseits bilden sie aufgrund der Aktualität Nachrichtenwert und eröffnen somit ein nicht zu unterschätzendes Potenzial für PR-Arbeit. Andererseits lassen sich innerhalb eines überschaubaren Zeitaufwands gleich mehrere der – in Nordrhein-Westfalen etwa sind es zwölf – Partnerregionen berücksichtigen. Dabei sind die entstehenden temporären Reiserouten nicht als Hinweisschilder am Straßenrand präsent, sondern bestehen aus einer inhaltlich sinnvollen Verknüpfung von Einzelstationen. Sie manifestieren sich digital in Points of Interest (POI), die der Reisende via Smartphone neu verbinden kann. Sie sind zudem eher als Inspiration für die individuelle Reiseplanung, als interessante Vorbildgeschichte, denn als strenge Folge von Stationen gedacht. Bei einer großen Destination wie Nordrhein-Westfalen sind es zufällige Gleichzeitigkeiten, die bestimmte Perspektiven auf das Land ermöglichen und die, angereichert mit dem thematisch passenden Inventar, zu Reiseinspirationen für Kurzreisen mit mehreren Stationen kombiniert werden. Diesen Prozess darf man als metakuratorischen Ansatz der touristischen Kulturkommunikation bezeichnen, weil er in gewissem Maße der musealen Arbeit ähnelt. Ohne die Konzepte der Einzelinstitutionen zu tangieren, erlauben wir uns, mit Blick auf das gesamte Land, auch neue, übergeordnete Zusammenhänge für das kulturtouristische Marketing zu entwickeln. Heimat der Meister Als das Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud in Köln 2012 mit der Ausstellung »1912 – Mission Moderne« die damals Aufsehen erregende »Sonderbund-Ausstellung« expressionistischer Meisterwerke rekonstruierte und zu-
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fällig fast zeitgleich auch das Essener Museum Folkwang mit »Im Farbenrausch« eine hochkarätige Expressionisten-Ausstellung realisierte, war dies der Ausgangspunkt für die metakuratorische Erzählung »Heimat der Meister«. Sie machte den Reichtum der NRW-Sammlungen im Bereich der klassischen Moderne sichtbar und mehrte die Argumente für eine Reise nach NordrheinWestfalen durch das Aufzeigen der – zufällig – gleichzeitigen Ausstellungen ihrer Vertreter von Paul Klee (Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen) über Otto Mueller (Lehmbruck Museum in Duisburg) bis zu Franz Marc (Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr) sowie der Überblicksausstellung »Der Folkwang Impuls« (Osthaus Museum Hagen). Die weiße Null Thematisch anders gelagert, aber formell in ähnlicher Weise, gelang es 2014, die beiden Landesteile Rheinland und Westfalen-Lippe in einer Geschichte über die Gruppe ZERO zu verknüpfen: Große Retrospektiven zur Kunst Otto Pienes im neueröffneten LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster und zum Werk von Günther Uecker in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen boten hier den Anlass, eine auch für das Bundesland identitätsbildende Kunstgeschichte bis hin zum »Kapitalistischen Realismus« Sigmar Polkes, der im Kölner Museum Ludwig gezeigt wurde, nachzuerzählen. #Kunstpilgern Den anspruchsvollsten Versuch metakuratorischen Erzählens unternahm Tourismus NRW e.V. im Herbst 2015 mit dem Projekt #Kunstpilgern. Ausgehend von der Ausstellung »The Problem of God« in der Kunstsammlung NordrheinWestfalen wurden gemeinsam mit dem Landeskulturportal KulturKenner.de und der Kunstsammlung vier mehrtägige Reisevorschläge zu Themen der Beziehung von Kunst und Religion entwickelt. Schwerpunktthemen der touristischen Kommunikation wie Architektur, Gärten und Parks und zeitgenössische Kunst wurden nachvollziehbar mit der Ausstellung als Anlass und Endpunkt der Touren verwoben und als bildstarkes Webformat in deutscher und englischer Sprache aufbereitet. Gegenüber den bisherigen Beispielen war das Projekt #Kunstpilgern hauptsächlich digital angelegt. Außerdem öffnete es den Prozess für Co-Creation mit den Touristen. Gemeinsam wurde ein Wettbewerb für digitale Multiplikatoren ausgeschrieben und daraus acht »Kunstpilger« mit Begleitung für die vier Routen »Licht«, »Eine feste Burg«, »Paradies« und »Diesseits« ausgewählt. Die
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Sternfahrt zu den einzelnen Kunstorten der jeweiligen Route endete bei der Eröffnungsfeier der Ausstellung »The Problem of God« im K21 in Düsseldorf. Von unterwegs und aus ihren Hotels und Herbergen berichteten die Kunstpilger live im Social Web. Ihre Erfahrungen in den 39 beteiligten Institutionen und die produzierten Inhalte flossen als Paid Media in die fortlaufende kulturtouristische Kampagne #Kunstpilgern ein und fanden sich auch in der Weiterentwicklung des Webformats wieder. Ziel von #Kunstpilgern war aus Sicht von Tourismus NRW e.V. die Positionierung von Nordrhein-Westfalen als überraschende kulturtouristische Destination. Das Projekt wurde gleichermaßen zum Vehikel für Pressearbeit, Multiplikatoren- und Endkundenkommunikation. Erstaunlich war dabei vor allem die große Aufnahme des digitalen Projekts durch die klassischen Medien. Insgesamt erreichte die Berichterstattung eine nominelle Reichweite von über 4 Millionen Kontakten. Im digitalen Bereich erreichte der Hashtag #Kunstpilgern über 208.000 Twitter-Nutzer. Über 25 Blogbeiträge und über 1.000 Fotos und Videos sind langfristiges Ergebnis der Multiplikatorenreise. Die Livekomponente von #Kunstpilgern verstand sich dabei nicht als Bloggerreise oder als Tweetup, sondern als Angebot für alle möglichen Typen digitaler Multiplikatoren von der Vine-Filmerin bis zur Wissenschaftsbloggerin, vom Fotografen mit Mittelformatkamera bis zum YouTuber und von der Fashion-Bloggerin bis zur InstagramNutzerin. Mit dabei waren Teilnehmer vom Kindergartenalter bis Mitte 60 sowie mit unterschiedlichen Hintergründen und Zugängen zur Kunst, die ein großes vielstimmiges Feedback erzeugten.
D AS M ODELL
DES METAKURATORISCHEN
E RZÄHLENS
Voraussetzungen und Prämissen Metakuratorisches Erzählen wird folgend als Handlungsmodell für touristische Gebietskörperschaften beschrieben. Die definierten Schritte können aber auch für Kulturreiseveranstalter und Reisemedien als Anregung dienen. Voraussetzung für seine Umsetzbarkeit sind eine ausreichend große Anzahl an Museen, Sehenswürdigkeiten oder anderen POIs sowie ein zeitlicher und inhaltlicher Freiraum. Der institutionelle Rückhalt auch ein »erfolgreiches Scheitern« als Lerneffekt zu begrüßen, kann ebenso für den Prozess sehr hilfreich sein. Während die notwendigen finanziellen Ressourcen für eine metakuratorische Erzählung überschaubar sind, bindet dieser Ansatz überproportional viel
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Zeit und Kreativität und erfordert insbesondere in der Durchführung ein großes Maß an Mikromanagement und Beziehungspflege zu zahlreichen Akteuren. Metakuratorisches Erzählen geht davon aus, dass die inhaltliche Steuerbarkeit von größeren kulturtouristischen Destinationen im Sinne einer kohärenten Programmstrategie weder realistisch noch erstrebenswert ist. Stattdessen setzt der Ansatz auf Serendipität und die Konstruktion neuer, von einzelnen Akteuren und Institutionen nicht intendierter Sinnzusammenhänge, die von der DMO aufgegriffen, entwickelt und schließlich über Multiplikatoren einer digitalen Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt werden. Dieser Ansatz lässt sich prinzipiell sowohl online als auch in gedruckten Medien realisieren, seine Vorteile einer auch dezentrale Akteure integrierenden Erzählstruktur spielt der Ansatz aber insbesondere online aus. Phase I: Vorbereitung Identifikation eines Anlasses Metakuratorisches Erzählen ist eine Ausprägung anlassbezogener Kommunikation. Dieser Anlass kann ein Jubiläum, eine Ausstellung oder auch eine zufällige Reihe thematisch verwandter Veranstaltungen sein. Im Idealfall ist der Absender des Anlasses ein ressourcen- und reichweitenstarker Kulturpartner, an dessen Seite die DMO das Projekt partnerschaftlich durchführt. Die Zahl der ausgewählten Partner sollte aufgrund aufwendiger Abstimmungsprozesse auf wenige begrenzt werden. Der Kooperationspartner im Fall von #Kunstpilgern, die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, erwies sich in seiner Reichweitenstärke und Experimentierfreude auf neuen Kommunikationsfeldern und Besuchergruppen als Idealfall. Überprüfung des Reisewerts und der Originalität Für den kommunikativen Erfolg ist es notwendig, dass der identifizierte Anlass selbst eine Originalität und einen Nachrichtenwert aufweist und bei der zu erreichenden Zielgruppe als attraktiv wahrgenommen wird. Neben der subjektiven Einschätzung ist es hier ratsam, die Idee auch mit fachfremden Personen zu diskutieren, die der anvisierten Personengruppe zuzurechnen sind. Zentrale Frage: Ist der Anlass als Anziehungspunkt stark genug, um als Auslöser einer Reise zu fungieren?
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Überprüfung der Anschlussfähigkeit für die Destination/Angebotsseite Die erste Überprüfung ist auf die kulturtouristische Angebotsseite gerichtet: Gibt es genügend Stationen, die gemeinsam das Inventar für eine metakuratorische Erzählung bilden können? Die die Spannung in der Erzählung halten ohne eine zu starke Verflachung oder zu vieler Redundanzen? Können alle geografischen Untergliederungen der Destination einbezogen werden und alle relevanten Anspruchsgruppen bedient werden? Können andere Einrichtungen in der touristischen Wertschöpfungskette als Erfolgsfaktoren mit eingebunden werden? Sind die Orte realistisch verknüpfbar und erreichbar? Mit welchen Verkehrsmitteln kann die temporäre Reiseroute erfahrbar sein? Überprüfung der touristischen Passung/Nachfrageseite Eine große Stärke des metakuratorischen Erzählens ist die Inspirations- und Imageleistung. Dennoch ist eine Analyse möglicher Gästepotenziale nicht zuletzt für die interne Rechtfertigung des Aufwandes notwendig: Gibt es ein realistisches Gästepotenzial für die Reise? Welche Zielgruppensegmente beziehungsweise welche Personas könnte die Reise besonders interessieren? Soll die metakuratorische Erzählung deutschsprachige Gäste ansprechen oder auch in anderen Quellmärkten funktionieren? Kollaborative Ideenfindung Am Ende der ersten Phase steht ein mit dem Partner durchgeführtes, offenes Konzeptionstreffen, in dem ausgehend von den bisherigen Überlegungen die Stationen in einen ersten Erzählzusammenhang gebracht werden. Verstanden als experimentelle Projektentwicklung ist es ratsam, alle Ideen zunächst zu berücksichtigen, um den späteren Reisevorschlag mit der nötigen Originalität und Aufmerksamkeit aufladen zu können. Phase II: Offene Recherche und Kampagnensetup Vertiefende Recherche zum Themenfeld Abstrahierend von der eigenen Destination wird in diesem Schritt das Thema der metakuratorischen Erzählung vertieft, um es in einer angemessenen Weise darstellen zu können und auch von den Akteuren im Kultursektor ernstgenommen zu werden.
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Sammlung möglicher Stationen in der Gesamtdestination In einem offenen Prozess sollten alle potenziell in den thematischen Zusammenhang zu bringenden Orte in der Destination gesammelt und geordnet werden. Hilfreich ist in jedem Fall eine geografische Darstellung der Verortung. Erst nach der vorbehaltlosen Sammlung ist eine Routenbildung Erfolg versprechend. Konzeption des Kampagnenangangs In der Konzeption der eigentlichen Kampagne spielt die Komposition des Verhältnisses von Earned, Owned und Paid Media eine große Rolle. Wer soll Sender der Information sein? Es bietet sich an, als Owned Media die Reiseroute und ihre Beschreibung zugänglich zu machen, sie im zweiten Schritt von Multiplikatoren im Sinne von Paid Media bekannt zu machen und darauf zu hoffen, dass im dritten Schritt inspirative Inhalte von Reisenden als Earned Media die Kampagne in die Zielgruppen weitertragen. Auch Fragen der technischen Konzeption sind zu klären: Wie wird die Erzählung realisiert? Wie werden Social-Media-Kanäle und Fremdinhalte eingebunden? Wie kann die offene Struktur der metakuratorischen Erzählung mit technisch begrenzten Mitteln umgesetzt werden? In welcher bestenfalls kohärenten medialen Form wird die Erzählung präsentiert: im Bewegtbild, in Fotos, in Skizzen? Phase III: Themengliederung Binnengliederung Die Schwerpunkte einer Geschichte sind nicht immer gleichmäßig über die Gesamtdestination verteilt. In vielen Fällen lassen sich in Teilregionen Binnenthemen herausarbeiten, die für die kulturtouristische Region identitätsbildend sein können (bei #Kunstpilgern beispielsweise Gärten und Parks am Niederrhein). Es gilt zu klären, ob diese Themen in den Erzählzusammenhang passen, ob diese Stärken der Destination hervorzuheben sind und mit welchen lokalen Partnern dies umgesetzt werden soll. Daraus ergibt sich die Entscheidung für die Bildung einer separaten Route oder den Einbezug in den Gesamtzusammenhang. Konzeption der Erzählung Je nach thematischem Fokus bieten sich unterschiedliche Erzählstrategien an. Hier muss aus den Modellen wie etwa der chronologischen, der kontrastiven oder der personalisierten Erzählung das geeignete Format ausgewählt werden. Wichtig ist die Einschätzung, ob die Geschichte über den gesamten Projektzeitraum und in der ganzen Themenbreite der ausgewählten Stationen trägt. Optima-
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lerweise wird erst nach dieser Entscheidung der Kontakt zu weiteren Institutionen gesucht und um Mitwirkung und Unterstützung auf verschiedenen Ebenen geworben. Phase IV: Kampagnenentwicklung Formulieren als partizipativer Prozess Der finale Baustein zum Aufbau einer metakuratorischen Erzählung ist die Vorbereitung des Kampagnenstarts. Hierzu ist die Erzählung in eine kohärente Form zu bringen, die in der nötigen und stichhaltigen Thementiefe für den späteren Nutzer vorbereitungsfrei nachzuvollziehen ist. Dabei gilt es, vom Know-how der Projektpartner zu profitieren und sie als Teil des partizipativen Ansatzes mit an der Ausformulierung arbeiten zu lassen. Jenseits der inhaltlichen Verlässlichkeit erhöht dies während der Bewerbungsphase des Projekts die Chance für ein höheres Momentum zugunsten der Kampagne. Themensetzung über Hashtags Aus der Formulierung ergeben sich Möglichkeiten zur horizontalen Verknüpfung der Inhalte über Hashtags. Diese müssen sichtbar gemacht und die Projektinhalte darüber, spätestens zum Kampagnenstart, in den relevanten Kanälen bei den anvisierten Multiplikatoren und den Projektpartnern in Position gebracht werden. Engagement von Pionieren Auch eine neuartige touristische Route braucht »Pioniere«, die vorangehen und einer breiteren kulturellen Öffentlichkeit über soziale Medien den Weg weisen. Diese Multiplikatoren lassen sich in der explorativen Zielgruppe relativ leicht finden. Wichtig bei der Auswahl ist aber, dass sie die Ziele des Projektes unterstützen und damit einverstanden sind, dass ihre Inhaltsproduktion im Sinne der Kampagne verwendet wird. Hürden wie Bildrechte und Verwendungsbeschränkungen von Texten und Bildern müssen hier von Anfang an mit einer beidseitigen, verbindlichen Vereinbarung aus dem Weg geräumt werden. Weiterentwicklung im Kampagnenzeitraum Um den Reiz der Partizipation zu erhöhen und Spannung im Thema zu halten, ist es ratsam, die Erzählung im Kampagnenzeitraum offen für Weiterentwicklungen zu lassen. Hierbei verselbstständigt sich das Projekt zu einem gewissen Maße. Die partielle Aufgabe der Kommunikationshoheit setzt Vertrauen in die Multiplikatoren voraus, das sich in den allermeisten Fällen auszahlt. Am Ende des
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Zyklus werden die außerhalb des engeren Projektpartnerzirkels entstandenen Inhalte als Earned Media in den eigenen Beitrag (Owned Media) überführt. Langfristige Dokumentation Am Schluss des Projekts steht die langfristige Dokumentation. Denn, auch wenn der Reiseanlass und damit die Reiseroute temporär sind, bleibt die Erzählung und das durch die Multiplikatoren generierte Material sowohl für die DMO als auch die Institution letztlich – wie das anhaltende Interesse an kunstpilgern.de unterstreicht – für potenzielle Gäste weiter attraktiv.
F AZIT Der beschriebene Angang des metakuratorischen Erzählens spiegelt im Kleinen einige Tendenzen, die auch im Großen die kulturtouristische Diskussion bestimmen und setzt auf die Förderung eines zahlreichen Individualtourismus. Die Teilhabe an den gestalteten Kampagnen setzt einen selbstverständlichen Umgang mit mobiler Technologie und eine große Neugier voraus, ist davon abgesehen aber im Sinne eines Kulturtourismus für alle voraussetzungsarm. Bezogen auf die Charakteristika der Zielgruppen sind es vor allem die Abkehr von ausschließlicher Rezeption des kulturellen Angebots hin zu einer CoCreation und kreativer Selbstaneignung, die Orientierung an der eigenen Inszenierung anstatt an einem pflichtschuldig abgearbeiteten Kanon sowie die Konstruktion neuer Verbindungslinien zwischen unterschiedlichen POIs anhand subjektiver Interessen, die sich als Trends wiederfinden. Bezogen auf den medialen Umbruch ist das metakuratorische Erzählen in seinem PR-Kalkül und die Einbindung von Influencern auch Ausdruck der Reaktion auf die veränderte Medienlandschaft. Sie versucht, durch die zurückhaltende Absenderkommunikation und die Einbindung von Multiplikatoren auch Zielgruppen zu erreichen, die sich gemeinhin für unempfänglich für touristische Werbung halten. Metakuratorisches Erzählen ist sowohl Ausdruck einer behaupteten Agilität und Inhaltskompetenz als auch einer tastenden Rollenerweiterung der Akteure des Kulturtourismus. Es kontrastiert die Tendenz der scharfen, aber notwendigerweise zur Verflachung neigenden Kulturdestinationsprofilbildung mit dem Propagieren einer ernsthaften und ungeschönten Auseinandersetzung mit dem durch eine Route verbundenen Reiseziel. Der Forderung nach Storytelling letztlich setzt es versuchsweise erzählte Reisevorschläge und tatsächlich individuell erzählte Einzelerzählungen entgegen.
Autorinnen und Autoren
Brinkmann, Dieter, Lektor im Internationalen Studiengang Angewandte Freizeitwissenschaft an der Hochschule Bremen. Lehre und Forschung im Bereich Informelle Bildung, Wissenswelten und Erlebnisorientierte Lernorte. Projektleiter zahlreicher Studien der praxisbezogenen Freizeit- und Tourismusforschung: Besucher- und Gästebefragungen, Trendstudien zu Erlebnisbädern, zu Kompetenzen im Eventmanagement und zur Digitalisierung von Museen. Burzinski, Matthias, studierte Geografie und Germanistik in Bochum sowie Tourismusmanagement. Er ist Leiter der Beratung und der kulturtouristischen Akademie bei der projekt2508 GmbH (Bonn, Berlin) und betreut kulturtouristische Strategie-, Kooperations- und Markenentwicklungsprozesse. Zudem ist er Geschäftsführer von destinet.de, dem führenden Branchendienst für Destinationsmanagement, Tourismusberatung und Attraktionsmanagement. Buschmann, Lara, studierte Kulturwissenschaften sowie berufsbegleitend Kulturmanagement und Kulturtourismus an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Neben dem Studium war sie dort als Projektkoordinatorin und Dozentin tätig. Seit 2010 ist sie freie Projektleiterin, Beraterin und Dozentin. 2015 folgte eine Ausbildung bei der artop GmbH zur Moderatorin. Derzeit leitet sie die Berliner Geschäftsstelle der Agentur projekt2508 GmbH. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der strategischen Projekt- und Organisationsentwicklung, in der Begleitung von Transformationsprozessen in Kulturregionen und -einrichtungen sowie im Kulturtourismus und in der Entwicklung zeit- und zielgruppenadäquater Produkte und Angebotsformate. Castro, Arthur, studierte Musiktheater-Regie bei Prof. Götz Friedrich an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und beendete mit Auszeichnung. Regieassistenzen unter anderem bei Regisseuren wie Roman Polański, David Shiner, John Neumeier und Peter Mussbach. Meisterklassen absolvierte er bei
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Harold Prince und Harry Kupfer. Arthur Castro ist Künstlerischer Leiter des Varietés Pomp Duck and Circumstance und realisiert regelmäßig Musiktheaterproduktionen, Filmportraits sowie Stadionevents und Produktinszenierungen. Er ist Leiter der Regieabteilung bei TUI Cruises. Dallmeier, Ute, ist Geschäftsführerin der WINDROSE Finest Travel. Sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin und hat nach ihrer Promotion an der RWTH Aachen als Professorin beziehungsweise Prodekanin an mehreren Hochschulen Tourismusmanagement gelehrt. Ihren touristischen Fokus in der Praxis hat Ute Dallmeier sowohl als Inhaberin eines Reisebüros, später als Geschäftsführerin des Deutschen Touristik Institut, aber auch im Destinationsmanagement als Geschäftsführerin von Tourismus NRW verfolgt. Sie ist erfahrene Expertin im Bereich Organisations- und Change Management und hat beratend diverse Innovationsprojekte im Bereich Vertrieb, Destination und Veranstalter begleitet. Deyhle, Lutz, erlangte an der Leuphana Universität Lüneburg den Magistertitel in den Angewandten Kulturwissenschaften mit den Schwerpunkten Betriebswirtschaftslehre, Sprache und Kommunikation sowie Tourismusmanagement. Nach beruflichen Stationen bei Reisebüroketten, Reiseveranstaltern und im Travelmanagement wechselte er 2004 in die Eventgastronomie. Von 2008 bis 2017 baute er bei TUI Cruises die Abteilung »Events« auf, leitete diese und zeichnete verantwortlich für zahlreiche Eventkonzepte an Land und auf Hochseeschiffen wie zum Beispiel die Full Metal Cruise, den Rockliner mit Udo Lindenberg, die Helene-Fischer-Kreuzfahrt und fünf Schiffstaufen. Deyhle ist Eventmanager, Kreuzfahrtexperte und Tourismusfachmann und in diesen Bereichen auch als Berater tätig. Eisele, Jürgen, studierte Betriebswirtschaftslehre an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der Universität Mannheim, arbeitete an der Universität Mannheim am Lehrstuhl für Marketing bei Prof. Dr. Hans Raffée und promovierte 1995. Seine Arbeit zum Thema »Erfolgsfaktoren internationaler Joint Ventures« wurde 1996 mit dem Wissenschaftspreis der Deutschen Marketingvereinigung ausgezeichnet. Jürgen Eisele gilt als ausgewiesener Experte in den Bereichen Marktforschung, Kundenbindung, Markenmanagement, Unternehmensstrategie, Preismanagement und Kommunikation. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit den Bereichen Tourismus, Energie und Automotive. Er ist Geschäftsführer der management consult Dr. Eisele & Dr. Noll GmbH.
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Honig, Kristine, studierte Tourismuswirtschaft und arbeitete mehr als 13 Jahre im Destinationsmarketing. Sie ist Beraterin und Netzwerkpartnerin des Experten-Netzwerks Tourismuszukunft. Auf KristineHonig.de bloggt sie über den Einsatz von Social Media im Tourismus. Seit 2014 berät und unterstützt sie touristische Unternehmen in den Bereichen Social Media, Bloggen und bei der Organisation von Barcamps. Klein, Armin, studierte Germanistik, Politikwissenschaft und Philosophie. Er war leitender Dramaturg am Theater am Turm (Frankfurt a.M.) sowie Kulturreferent der Universitätsstadt Marburg. Seit 1994 ist er Professor für Kulturmanagement und Kulturwissenschaften am Institut für Kulturmanagement Ludwigsburg. Als Dozent lehrte er an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, der Universität Basel, der Universität Bern, an der Fachhochschule Zürich und an der Internationalen Sommerakademie für Kulturmanagement Mozarteum Salzburg. Er ist Autor zahlreicher Monografien zu den Themen Kulturmarketing, Kulturpolitik, Projektmanagement, zuletzt: Kompendium Kulturmanagement (2017, 4. Auflage Wiesbaden) sowie unter anderem Herausgeber des Deutschen Jahrbuch für Kulturmanagement (1995-2002) und der Reihe Kulturwissenschaft und Kulturmanagement (Springer-Verlag). Kölling, Melanie, studierte Kulturwissenschaft und Kulturmanagement am Institut für Kulturmanagement Ludwigsburg (M.A.) sowie Konservierung und Restaurierung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (B.A.). Neben Museumspraktika unter anderem am Otago Museum in Dunedin, Neuseeland, der Pinakothek der Moderne in München und dem Landesmuseum Württemberg in Stuttgart, arbeitete sie bei verschiedenen Ausstellungsfirmen und in der Denkmalpflege. Derzeit ist sie als wissenschaftliche Volontärin beim Deutschen Museumsbund e.V. tätig. Hier ist sie unter anderem in ein Modellprojekt zur Besucherorientierung von Museen involviert. Kruska, Céline, studierte Kunstgeschichte (M.A.) und Kulturmanagement (M.A.) in Berlin, Paris und Ludwigsburg und war als Kulturmanagerin unter anderem für das Goethe-Institut Max Mueller Bhavan New Dehli, sowie das Büro für Ausstellungsgestaltung Atelier Brückner tätig. Hier zeichnete sie neben inhaltlichen Konzepten unter anderem als Projektleitung für das europäische Forschungsprojekt »EMEE – Eurovision, Museums Exhibiting Europe« verantwortlich. 2012 wurde sie stellvertretende künstlerische Leiterin des International Scenographers’ Meeting in Stuttgart und co-kuratierte 2013 die Internationale Szenografie Biennale. Im selben Jahr folgte die Gründung der Agentur Kultur-
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gold mit Sitz in Stuttgart. Hier zählen, neben dem Arbeitsfeld der Kulturentwicklungsplanung, künstlerische Konzepte unter anderem zur Erschließung von Kulturdestinationen zu ihren Arbeitsschwerpunkten. Laarmann, Jan-Paul, studierte Germanistik und Sozialwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen und war anschließend unter anderen bei der Ruhrtriennale und der Berliner Digitalagentur Creative Construction tätig. Derzeit arbeitet er für Tourismus NRW e.V. in den Bereichen Städte- und Kulturtourismus und als Leiter des Projekts #urbanana. In seiner Freizeit gibt er die Literaturzeitschrift Richtungsding heraus. Lettmayr, Leo, ist freischaffender Journalist und lebt in Wien. Er wurde für den Beitrag in diesen Sammelband von der URBANAUTS Hospitality Group beauftragt. Es handelt sich dabei um einen Zusammenschluss von Experten aus unterschiedlichen Disziplinen (Architektur, Tourismus, Kultur- und Kommunikationsmanagement), darunter namentlich Theresia Kohlmayr, Fanny HolzerLuschnig, Clemens Kopetzky, Markus Kaplan, Christian Knapp, Jonathan Lutter und Stephan Gerhard. Mandel, Birgit, langjährige Praxis-Erfahrung im Kulturmanagement. Seit 2007 ist sie Leiterin des Bereichs Kulturmanagement und Kulturvermittlung im Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim. Lehre und Forschung in den Bereichen Audience Development, Kulturnutzerforschung, Kultur-PR und Kulturmarketing, Veränderungsprozesse von Kulturinstitutionen, Theorie des Kulturmanagements, Kulturtourismus, Kulturvermittlung. Sie ist Herausgeberin der Forschungsplattform wwwkulturvermittlung-online.de sowie zahlreicher Veröffentlichungen zum Kulturmanagement. Die Professorin ist Mitglied einiger Verbände und Stiftungen, unter anderem Vizepräsidentin der Kulturpolitischen Gesellschaft. Nieweg, Jens, studierte Europäische Kultur und Wirtschaft (ECUE) in Bochum und war anschließend mehrjährig als freier Journalist und PR-Berater tätig. Seit 2009 arbeitet er für Tourismus NRW e.V. Zunächst war er dort Kulturredakteur und ist seit 2010 zusätzlich Produktmanager für Kulturtourismus. Derzeit leitet er auch das Innovationsprogramm KulturReiseLand NRW. Phebey, Katharina, studierte International Tourism Management (B.A.) an der Hochschule Bremen und an der Universidad Técnica Federico Santa María in Valparaíso, Chile. Nach einem Auslandspraktikum bei der internationalen Even-
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tagentur Staff Eventos in Madrid, studierte sie Hospitality Management (M.A.) an der Hochschule für angewandte Wissenschaften München und beschäftigte sich als studentische Mitarbeiterin von Prof. Dr. Axel Gruner wissenschaftlich mit dem Thema Erlebnisinszenierung. Seit 2012 arbeitet sie als Betriebsleiterin im Gloria Palast – Münchens erstem Premium Filmtheater mit á la Carte Service am Sitzplatz. Sie ist Autorin des Fachbuches Erlebnisse schaffen in Hotellerie & Gastronomie, das 2014 im Matthaes Verlag (Stuttgart) erschein. Pröbstle, Yvonne, entschied sich nach dem Studium der Europäischen Kulturgeschichte in Augsburg und Wien für ein Aufbaustudium Kulturmanagement am gleichnamigen Institut in Ludwigsburg, wo sie anschließend als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war und mit einer empirischen Arbeit zur kulturtouristischen Nachfrage promovierte. 2013 folgte die Gründung der Agentur Kulturgold mit Sitz in Stuttgart. Auch dort ist das Handlungsfeld Kulturtourismus, insbesondere mit der Erschließung und Sichtbarmachung von kulturtouristischen Potenzialen ein zentrales Thema. Weitere Arbeitsfelder liegen in der Besucherforschung und in der Kulturentwicklungsplanung. Lehraufträge führen die Kulturmanagerin darüber hinaus regelmäßig an Hochschulen und in Weiterbildungseinrichtungen. Rösch, Stefan, studierte Geografie mit Schwerpunkt Freizeit und Tourismus an der Universität Eichstätt-Ingolstadt und war anschließend in verschiedenen Geschäftsfeldern und Führungspositionen tätig, davon über sieben Jahre in den Bereichen Marktforschung und Marketing-Consulting. Zudem ist er Gründungsmitglied der International Place Branding Association, eines Zusammenschlusses internationaler Experten in den Bereichen Branding und Place Marketing. Seit 2006 berät er zudem Tourismusorganisationen und Filmkommissionen rund um den Globus bei der touristischen Verwertung fiktionaler Filmproduktionen. Im Jahr 2010 veröffentlichte er das Fachbuch The Experiences of Film Location Tourists (Channel View Publications, London), welches auf den Ergebnissen seiner Doktorarbeit basiert, die er zwischen 2003 und 2007 an der University of Otago in Dunedin, Neuseeland verfasste. Schmidt-Ott, Thomas, studierte Musik- und Theaterwissenschaften und promovierte an der Freien Universität Berlin über US-Orchester-Marketing. Nach seiner Tätigkeit als Leitungsreferent Kultur im Berliner Senat wurde er Orchesterdirektor des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, später war er Chefmanager im Bayerischen Rundfunk. Heute verantwortet er das Kultur- und Unterhaltungsprogramm der TUI Cruises Flotte. Er ist Gründer der Kammerphilhar-
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monie Berlin und Autor/Moderator der Sendereihe »Cello on tour«, die erstmals in der Musikgeschichte ein klassisches Ensemble an den Südpol schickte. Schmidt-Ott ist Musiker, Bankkaufmann und Kulturmanager.
Kulturmanagement Patrick S. Föhl, Patrick Glogner-Pilz
Kulturmanagement als Wissenschaft Grundlagen — Entwicklungen — Perspektiven. Einführung für Studium und Praxis März 2017, 174 S., kart. 19,99 E (DE), 978-3-8376-1164-9 E-Book PDF: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-1164-3
Birgit Mandel (Hg.)
Teilhabeorientierte Kulturvermittlung Diskurse und Konzepte für eine Neuausrichtung des öffentlich geförderten Kulturlebens 2016, 288 S., kart. 27,99 E (DE), 978-3-8376-3561-4 E-Book PDF: 24,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3561-8
Oliver Scheytt, Simone Raskob, Gabriele Willems (Hg.)
Die Kulturimmobilie Planen — Bauen — Betreiben. Beispiele und Erfolgskonzepte 2016, 384 S., kart., zahlr. farb. Abb. 29,99 E (DE), 978-3-8376-2981-1 E-Book PDF: 29,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2981-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kulturmanagement Maren Ziese, Caroline Gritschke (Hg.)
Geflüchtete und Kulturelle Bildung Formate und Konzepte für ein neues Praxisfeld 2016, 440 S., kart. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3453-2 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3453-6
Björn Lampe, Kathleen Ziemann, Angela Ullrich (Hg.)
Praxishandbuch Online-Fundraising Wie man im Internet und mit Social Media erfolgreich Spenden sammelt 2015, 188 S., kart., farb. Abb. 9,99 E (DE), 978-3-8376-3310-8 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-3310-2 EPUB: ISBN 978-3-7328-3310-8
Steffen Höhne, Martin Tröndle (Hg.)
Zeitschrift für Kulturmanagement: Kunst, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Jg. 2, Heft 2 2016, 190 S., kart. 34,99 E (DE), 978-3-8376-3568-3 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3568-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de