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German Pages 432 Year 2008
Kulturmarketing herausgegeben von
Prof. Dr. Hardy Geyer Hochschule Merseburg
Prof. Dr. Uwe Manschwetus Hochschule Harz in Wernigerode arbeitete Auflage
OldenbourgVerlag MünchenWien
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2008 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D -81671 München Telefon: (089) 4 50 51- 0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer“ GmbH, Bad Langensalza ISBN 978-3-486-58502-5
Vorwort Kulturmarketing hat zweifellos stets das Handeln von Künstlern, Musikern, Schriftstellern aber auch von Galerien, Theatern, Konzerthäusern und allen Kulturschaffenden beeinflusst. Nur die Reflexion darüber hat erst sehr spät eingesetzt. Ursache ist vermutlich ein gewisses Unbehagen darüber, Kultur und Kunst in Marktzusammenhänge zu stellen. Doch ein genaues und wertfreies Hinsehen führt zur Erkenntnis, dass es durchaus berechtigt ist, immer dann von Kulturmarketing zu sprechen, wenn künstlerische Angebote und Kulturleben nicht nur für den Eigengebrauch entstehen, sondern ganz bewusst für den Austausch mit anderen Menschen hergestellt werden. Die Kulturwirtschaft basiert seit jeher auf dieser Grundlage, aber auch die Kulturpolitik erkennt zunehmend die Wichtigkeit von Kulturmarketing. Seit wenigen Jahren wird nun verstärkt auch über das Kulturmarketing wissenschaftlich reflektiert. Parallel zur theoretischen Reflexion entwickelt sich zudem eine reichhaltige und erfolgreiche Marketingpraxis, vor allem bedingt durch die knapper werdenden öffentlichen Haushalte. Und mit dieser Praxis entstand auch ein Bedarf zum Erwerb von Kulturmarketingkompetenzen und damit von Angeboten zur spezifischen Ausbildung im Kulturmarketing. Dieses Buch wurde angeregt vom Beirat des berufsbegleitenden Masterstudiengangs Kulturmanagement/Kulturmarketing MBA), der gemeinsam von der Hochschule Harz (FH) und der Hochschule Merseburg (FH) angeboten wird. Die Beiträge stammen von erfahrenen Marketingmanagern, Beratern der Marketingpraxis und Hochschullehrern, die gemeinsam das Anliegen verfolgen, die wertfreie systematische Kulturmarketingpraxis und -lehre zu entwickeln. Ich danke den Herausgebern für ihre engagierte Arbeit. Prof. Dr. Rolf Budde Musikverleger und Vorsitzender des Beirates
Inhaltsverzeichnis I. Standortbestimmung Kulturbezug des Kulturmarketing ................................................................................ 3 Hardy Geyer Der Markt ..................................................................................................................... 13 Matthias Munkwitz Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing ..................................................................... 27 Uwe Manschwetus
II. Blickrichtung Analyse Umfeld- und Wettbewerbsanalysen ............................................................................. 65 Matthias Munkwitz Marktforschung – ein Instrument für Kulturbetriebe ................................................... 77 Brigitte Clemens-Ziegler Nachfragertypologien .................................................................................................. 93 Hardy Geyer
III. Blickrichtung Strategie Strategieentwicklung für Kultureinrichtungen ............................................................. 111 Jens Cordes Aspekte der Markenführung......................................................................................... 125 Uwe Manschwetus Kundenbeziehungen .................................................................................................... 137 Jürgen Preiß
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IV. Blickrichtung Besucher Produktpolitik ...............................................................................................................153 Hardy Geyer Servicequalität ..............................................................................................................175 Axel Dreyer Preisstrategien im Kulturbetrieb....................................................................................191 Peter Vermeulen Distributionspolitik ......................................................................................................205 Bernd Ahrendt Ticketing ......................................................................................................................219 Rudenz Schramm Kommunikationspolitik ................................................................................................229 Hardy Geyer Werbung .......................................................................................................................247 Jürgen Lürssen Um die Wette kommunizieren – Grundsätze der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ........................................................261 André Klein Internetbasierte Kommunikationskonzepte ..................................................................279 Bruno Horst Merchandising und Licensing ......................................................................................293 Dominik Höch / Christian Schertz
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V. Blickrichtung Innen Qualitätsmanagement .................................................................................................. 307 Jens Cordes / Uwe Manschwetus / Katja Schimkus Business Process Reengineering ................................................................................. 323 Georg Westermann Besucherorientierte Kultureinrichtung ......................................................................... 337 Dettloff Schwerdtfeger Marketingcontrolling ................................................................................................... 349 Jürgen Preiß
VI. Blickrichtung Beschaffung Personalbeschaffung .................................................................................................... 363 Thomas Bartscher / Anne Huber Investorengewinnung in der Kunst- und Kulturszene .................................................. 379 Frank Solms Nebelung Fundraising .................................................................................................................. 393 Karl-Heinz Ukena Sponsoring ................................................................................................................... 403 Jens Cordes
Autorenverzeichnis Bernd Ahrendt Als selbständiger Unternehmensberater unterstützt Dr. Bernd Ahrendt vornehmlich kleine und mittlere Betriebe sowie Organisationen aus dem Kulturbereich. Des Weiteren ist er Lehrbeauftragter für Betriebswirtschaftslehre, unter anderem an der Hochschule Merseburg, Fachbereich Soziale Arbeit, Medien, Kultur. Thomas Bartscher Professor Dr. Thomas Bartscher lehrt an der University of Applied Sciences – Fachhochschule Deggendorf Human Resources Management und Organisation und leitet gemeinsam mit Herrn Prof. Dr. Henning Schulze den Studienschwerpunkt Dienstleistungsmanagement, u.a. im Kulturbereich. Er ist Managing Director des Deggendorf Institute of Management & Technology (dimt) und der MBA/Master-Weiterbildungsstudiengänge der University of Applied Sciences – Fachhochschule Deggendorf. Als Trainer und Unternehmensberater ist er seit 15 Jahren für private und öffentliche Unternehmen tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte: Strategisches Personalmanagement, komplexe Changeprozesse, Management-/ Organisationsentwicklung, Prozessbegleitung, Coaching. Rolf Budde Prof. Dr. Rolf Budde ist seit 01.09.1983 Geschäftsführer der Rolf Budde Musikverlage in Berlin und unterrichtet seit 1997 am Institut für Kultur- und Medienmanagement, ursprünglich an der Hochschule für Musik Hans Eisler, Berlin, ab 2002 an der Freien Universität Berlin. Er ist Vorsitzender des Beirates im berufsbegleitenden Masterstudiengang Kulturmanagement/-marketing (MBA). Brigitte Clemens-Ziegler Prof. Dr. Brigitte Clemens-Ziegler ist seit 1992 Professorin für Betriebswirtschaftslehre, Marketing und Unternehmensführung an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (FHTW). Ihre Forschungs-, Lehr- und Beratungsschwerpunkte liegen vor allem in der Marktforschung und im Marketing (auch Social Marketing, Non-Profit-Organisationen, Kultureinrichtungen), sie unterrichtet auch im berufsbegleitenden Fernstudiengang "Kulturmanagement, -marketing (MBA)" der Hochschulen Harz und Merseburg.
XII Jens Cordes Prof. Dr. Jens Cordes ist seit 1998 Professor für Dienstleistungsmanagement und -marketing an der Hochschule Harz in Wernigerode. Seine Forschungs-, Lehr- und Beratungsschwerpunkte liegen neben dem Kulturmarketing in den Bereichen Dienstleistungsmarketing und Internationales Marketing. Prof. Dr. Cordes ist Mitbegründer des berufsbegleitenden Fernstudiengangs "Kulturmanagement, -marketing (MBA)" und Studiengangsleiter der Studiengänge "BWL/Dienstleistungsmanagement" sowie "International Business Studies" der Hochschule Harz. Axel Dreyer Professor Dr. rer. pol. für Tourismuswirtschaft und Marketing an der Hochschule Harz, Wernigerode, (seit 1993) sowie Honorarprofessor für Sportmanagement an der Universität Göttingen (seit 1996). Studium der Betriebswirtschaftslehre sowie der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften in Göttingen (Abschluss als Diplomkaufmann), Promotion im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften zum Themenbereich Sponsoring (1986). Zahlreiche Veröffentlichungen zu Marketingthemen im Tourismus, u.a. zum Kulturtourismus, zu Servicequalität und Kundenzufriedenheit. Derzeitige Forschungsschwerpunkte sind die Auswirkungen des demographischen Wandels auf den Tourismus und tourismusnahe Bereiche (u.a. Kulturbetriebe) sowie Wander- und Radtourismus. Hardy Geyer Prof. Dr. Hardy Geyer lehrt seit 1998 Kultur- und Sozialmanagement an der Hochschule Merseburg. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit verfügt er über umfangreiche Erfahrung in der Beratung kultureller Betriebe Dominik Höch Jahrgang 1974, Studium der Rechtswissenschaften in Bonn, studienbegleitende Tätigkeit als freier Journalist; 2001/02 Volontariat bei einem Berliner Tageszeitungsverlag; Referendarausbildung in Berlin und Köln, seit 2004 Rechtsanwalt in Berlin mit Schwerpunkt im Medienrecht; Dozent an der Electronic Media School, Potsdam, sowie in der Fachanwaltsausbildung.
XIII Bruno Horst Prof. Dr. Bruno Horst ist seit 1994 Professor für Betriebswirtschaftslehre und Marketing an der Hochschule Merseburg. Seine Forschungs-, Lehr- und Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen E-Commerce und Marktforschung. In verschiedenen Marktforschungsprojekten hat er für Kultureinrichtungen Imageuntersuchungen und Kommunikationsanalysen durchgeführt. Anne Huber Anne Huber ist seit 2005 bei der Lindner AG beschäftigt, zunächst als Vorstandsassistentin im Auslandsbereich und anschließend im Kompetenzcenter Personal als Abteilungsleiterin des Servicebereichs Ausland. Zuvor war Frau Huber mehrere Jahre Leiterin des Weiterbildungszentrums der Hochschule Deggendorf. Parallel dazu ist sie als Trainerin, Beraterin und Autorin tätig. Nach ihrem Studium der Betriebswirtschaftslehre hat sie ein berufsbegleitendes Weiterbildungsstudium mit Abschluss als MBA erfolgreich absolviert. André Klein Dr. André Klein – Jahrgang 1971 - studierte in Leipzig zunächst Betriebswirtschaftslehre, später dann Politikwissenschaft, Germanistik und Kulturwissenschaften. Die Promotion erfolgte 2004. Seit 2001 war er als Unternehmensberater mit den Schwerpunkten strategisches Marketing und Unternehmenskommunikation für große deutsche Konzerne, kleine und mittelständische Unternehmen sowie für Kulturinstitutionen, Sozialbetriebe, Kunstfestivals und Künstler tätig. Für die Fächer Marketing und Kommunikation sowie deren Konzeptionslehre erfüllte und erfüllt er Lehraufträge an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Berlin, an der Fachhochschule Merseburg und an der Akademie für Kommunikation und Marketing Leipzig. Seit 2008 ist Dr. Klein Direktor für Marketing und Kommunikation der FOUR GATES AG. Jürgen Lürssen Prof. Dr. Jürgen Lürssen ist seit 1999 Professor für Marketing an der Fachhochschule (heute Universität) Lüneburg tätig. Die Schwerpunkte seiner Lehre sind Kommunikationsmanagement, Marktforschung und Vertriebsmanagement. Als Ergebnis seiner Forschung über Voraussetzungen des beruflichen Erfolgs hat er drei Karriereratgeber im Campus-Verlag veröffentlicht: „Die heimlichen Spielregeln der Karriere“ (2001), „So macht man Karriere“ (2003) und „Knacken Sie die Karrierenuss!“ (2003).
XIV Uwe Manschwetus Prof. Dr. Uwe Manschwetus ist seit 1996 Professor für Marketing-Management an der Hochschule Harz in Wernigerode. Seine Forschungs-, Lehr- und Beratungsschwerpunkte liegen neben dem Kulturmarketing in den Bereichen Dienstleistungs- und B2B-Marketing. Zusammen mit Prof. Dr. Hardy Geyer ist er Gründer und Studiengangsleiter des berufsbegleitenden Fernstudienganges "Kulturmanagement, -marketing (MBA)". Matthias Munkwitz Prof. Dr. oec. Matthias Munkwitz – Master of advanced studies ist – akademisch geprüfter Kulturmanager (Universität Linz, Österreich), Kulturökonom und seit 2001 ord. Professor für Betriebswirtschaftslehre und Non Profit Wirtschaft an der Hochschule Zittau/Görlitz. Seine Forschungs-, Lehr- und Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Kultur und Wirtschaft, Kulturmanagement und Kulturmarketing. Er ist Leiter des Studiengangs Kultur und Management in Görlitz. Jürgen Preiß Jürgen Preiß, Diplom-Kaufmann, seit 1995 selbständiger Berater für Marketing & Kommunikation mit Sitz in Köln(www.jpmk.de). Seit 1996 ist er Herausgeber von TheaterManagement aktuell, dem unabhängigen Informationsdienst für das Management in Bühnen-, Konzert- und Veranstaltungsbetrieben (www.TheaterManagement-aktuell.de). Darüber hinaus ist er als Referent, Berater und Fachautor für Kulturmanagementthemen tätig. Christian Schertz Studium der Rechtswissenschaften in Berlin und München, 1991 bis 1993 in der Rechtsabteilung und in der Intendanz von RIAS Berlin; danach wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht der Humboldt-Universität Berlin; 1996 Promotion zu Fragen der kommerziellen Auswertung von Persönlichkeitsrechten; seit 2000 Lehrbeauftragter für Medienrecht an der Hochschule für Film und Fernsehen PotsdamBabelsberg und seit 2004 an der Freien Universität Berlin, Rechtsanwalt in Berlin. Katja Schimkus Dipl.Kff (FH) Katja Schimkus ist Dozentin im Studiengang BWL/Dienstleistungsmanagement, in dem sie schwerpunktmäßig Lehrveranstaltungen zu den Themen Kultur- und Dienstleistungsmanagement anbietet. Im Rahmen eines Forschungsprojekts verfasste sie 2003 ihre Diplomarbeit mit dem Schwerpunkt qualitätsorientiertes Kulturmanagement. Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden später in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Jens Cordes in Lehrbriefen für den Fernstudiengang „Kulturmanagement; -marketing“ weiterentwickelt.
XV Rudenz Schramm Rudenz Schramm arbeitet leitend seit 1972 im Bereich des Kulturmanagement in verschiedenen Einrichtungen. Seit 1996 ist er ein Geschäftsführer der event-net GmbH, die unter anderem das Steintor-Varieté in Halle (Saale) betreibt. 1990 führte er computergestützte Ticketsysteme in der Region Halle für die Theater u.ä. Einrichtungen ein. Er besitzt den Abschluss Diplom Mathematik und Kulturwissenschaft. Dettloff Schwerdtfeger Dr. Dettloff Schwerdtfeger studierte Musikwissenschaft, Betriebswirtschaftslehre, Italienische Philologie und Phonetik in Freiburg i. Br. und Köln. Er leitete die internationalen Stockhausen-Kurse Kürten und war Berater für Kulturbetriebe, Kulturverwaltung und Kulturpolitik bei ICG culturplan. Seit 2006 ist er als Geschäftsführer der Stiftung Bach-Archiv Leipzig insbesondere für die strategische Entwicklung des Leipziger Bachfestes verantwortlich. Frank Solms Nebelung Biologe (Diplom), Jg. 1964, ist Experte für Kommunikation, Krisenmanagement und Sponsoring. Frank Solms Nebelung ist geschäftsführender Partner der A&B ONE Kommunikationsagentur GmbH und dort u.a. verantwortlich für die Dependance in Hamburg. Beruflich ist er seit zehn Jahren im Umfeld von Fundraising und Kommunikation tätig, u.a. bis 2000 als Geschäftsführer der Sponsorengesellschaft der Schleswig-Holstein Musik Festival mbH, Lübeck. Bürgerschaftlich engagiert sich Frank Solms Nebelung u.a. als Gründer und Vorstand von „Deutschland liest vor e.V.“, als Gründer und Mitglied im „Centrum für Corporate Citizenship in Deutschland“ (CCCD e.V.), als Kommunalpolitiker, in der Parlamentarischen Gesellschaft Schleswig-Holstein sowie in verschiedenen Wirtschaftsvereinigungen wie u.a. dem Übersee-Club Hamburg und dem Kieler Kaufmann. Karl-Heinz Ukena Umfangreiche Kenntnisse in der erfolgreichen Vermarktung und Positionierung von Kultureinrichtungen sammelte Ukena als Vorstand der Oceanis AG sowie als Geschäftsführer der Stiftung Deutsches Marinemuseum und der Jade-Weser-Port-CUP GmbH. Seit dem Jahr 2002 ist Karl-Heinz Ukena Direktor des Zoologischen Gartens in Dresden. Auf Grundlage eines langfristig angelegten Investitionskonzeptes, dass durch Fundraisingmassnahmen erfolgreich gestützt wird, wird der Dresdner Zoo bis zum Jahre 2015 umfassend modernisiert.
XVI Peter Vermeulen Prof. Dipl.-Kfm. Peter Vermeulen ist seit 2005 Honorarprofessor für Strategisches Kulturmanagement an der Hochschule Merseburg (FH). Hauptberuflich ist er seit 2006 Beigeordneter für Jugend, Schule, Kultur der Stadt Mülheim an der Ruhr (Kulturdezernent). Vorher war er Mitgeschäftsführer in einer internationalen Unternehmensberatung und verantwortete fast 20 Jahre lang das Geschäftsfeld "Kulturberatung“. Georg Westermann Prof. Dr. Georg Westermann ist seit 1996 Professor an der Hochschule Harz in Wernigerode. Zunächst konzentrierte sich seine Professur auf den Bereich des Public Management und damit auch auf das Management von Kulturbetrieben. Im Jahr 2005 wechselte er auf eine Professur für Prozessmanagement und Unternehmensberatung. Er ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der Harzer Hochschulgruppe e.V. des ältesten Forschungs-, Weiterbildungsund Beratungsinstituts der Hochschule Harz. Seine Forschungs- und Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Strategieentwicklung, Benchmarking und Prozessoptimierung sowohl im Nonprofit Bereich als auch im Forprofit Bereich.
Einleitung Marketing ist mehr als Werbung! Diese Erkenntnis setzt sich auch im Kulturbereich mehr und mehr durch. Häufig ist auch die Auffassung vorzufinden, dass sich Marketing mit folgenden vier Instrumentarbereichen beschreiben lässt: der Kommunikationspolitik, der Produktpolitik, der Preispolitik und der Distributionspolitik. Würde man akzeptieren, dass dieser sogenannte Marketingmix allein das Wesen des Marketing ausmachen würde, so wäre dieser Ansatz auf eine rein instrumentelle Ebene reduziert. Nach Ansicht der Herausgeber ist Marketing jedoch weit mehr, nämlich ein strategischer Ansatz, der Kulturbetrieben ebenso wie selbständigen Künstlern hilft, die Beziehungen zu den Kulturrezipienten und anderen Adressatengruppen erfolgreich zu gestalten. Vor diesem Hintergrund wird die Gestaltung der Austauschbeziehungen zum Dreh- und Angelpunkt des hier vorliegenden Marketingverständnisses und zieht sich als roter Faden durch die Beiträge der verschiedenen Autoren. Die Positionierung von Marketing als einen strategischen und operativen Ansatz zur Beziehungsgestaltung führt zu einer umfassenden Betrachtung des Themas, denn die Beziehungen zwischen den Kulturanbietern und ihren Zielgruppen wie z.B. Besuchern, Nutzern, Sponsoren oder öffentlichen Geldgebern hängen von einer Vielzahl von Determinanten ab. Daher ist unserer Auffassung nach ein ganzheitliches Marketing gefragt. Die Konturen eines solchen holistischen Ansatzes sollen mit dem vorliegenden Werk gezeichnet werden. Dabei folgt die Konzeption des Buches der Einsicht, dass eine umfassende Bearbeitung der Thematik verschiedene Perspektiven berücksichtigen muss. Zunächst erfolgt eine Standortbestimmung, bei der eine grundsätzliche Klärung des Verhältnisses von Kultur und Markt vorgenommen wird. Weiterhin wird in diesem Kapitel eine grundsätzliche theoretische Fundierung der hier vertretenen Marketinginterpretation geleistet. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Blickrichtung Analyse, denn ohne Kenntnisse der Umfeldbedingungen und der Wünsche sowie Bedürfnisse der Nachfrager lässt sich kein seriöses Marketing formulieren. Die Blickrichtung Strategie beleuchtet den Aspekt, dass Marketing als ein strategischer Managementansatz angesehen werden muss. Es wird dargestellt, wie sich aus der hier vertretenen Sicht eines Beziehungsmarketing, konkrete Strategien entwickeln lassen. Die Erörterung von Kundenbeziehungen und Marken im Kultursektor komplettieren das Kapitel. Mit der Blickrichtung Besucher wird zweifelsohne ein Bereich thematisiert, der eine Kernaufgabe des Kulturmarketing betrifft, nämlich die Gestaltung der Beziehungen zu den Kulturrezipienten. Hierfür sind selbstverständlich die „klassischen“ Marketingthemen wie die Produkt-, Preis-, Distributions- und die Kommunikationspolitik von Bedeutung. Hinsichtlich des zuletzt genannten Instrumentarbereiches werden die Werbung, die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie internetbasierte Kommunikationskonzepte gesondert erörtert, da wir der Auffassung sind, dass diese Aspekte für Kulturbetriebe eine besondere Relevanz haben. Angesprochen werden weiterhin Bereiche wie Servicequalität, Merchandising und Ticketing, die ebenfalls speziell für Kulturbetriebe von Bedeutung sind.
XVIII Mit der Blickrichtung Innen wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Modellierung interner Prozesse Voraussetzung für nach außen gerichtete Maßnahmen sein muss. In diesem Zusammenhang gilt es Themen wie Qualitätsmanagement, Business Process Reengineering und Marketingcontrolling zu erörtern. Weiterhin wird diskutiert, welche Strukturen eine besucherorientierte Kultureinrichtung aufweisen sollte. Abschließend wird unter der Kapitelüberschrift Blickrichtung Beschaffung ein weiterer für Kulturbetriebe wichtiger Bereich angesprochen, denn die für die Etablierung und Aufrechterhaltung der künstlerischen Produktion notwendigen Mittel können häufig nicht aus dem Absatz der kulturellen Leistungen erwirtschaftet werden. Die Beschaffung von Finanzmitteln über Investorengewinnung, Fundraising und Sponsoring sind daher oftmals überlebenswichtig. Schließlich lebt sowohl das Management eines Kulturbetriebes als auch die künstlerische Produktion im besonderen Maße von menschlicher Kreativität und Einsatzbereitschaft, weshalb die Personalbeschaffung ebenfalls zu thematisieren ist. Wir hoffen, dass wir mit dem vorliegenden Band Anregungen für die Diskussion um die Weiterentwicklung des Kulturmarketing liefern können und bedanken uns recht herzlich für die Beiträge der Autoren, die sich trotz ihrer beruflichen Belastung die Zeit für die Erstellung ihrer Artikel genommen haben. Weiterhin gilt unser Dank Silke Grauenhorst für ihre engagierte Mitarbeit an der Erstellung des Manuskriptes. Merseburg und Wernigerode im Januar 2008 Hardy Geyer und Uwe Manschwetus
Teil I Standortbestimmung
Hardy Geyer
Kulturbezug des Kulturmarketing 1
Kulturbegriff
2
Kultur, Markt und Kulturmarketing
3
Kulturmarketing und Kulturpolitik
4
Gestaltungsfelder
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Literatur
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Kulturbezug des Kulturmarketing
Kulturbegriff
Der Begriff Kulturmarketing stellt einen Zusammenhang von Kultur und Marketing her. Während der allgemeine Marketingbegriff in Theorie und Praxis akzeptiert ist und kaum noch Missverständnisse hervorruft, ergeben sich hingegen häufig Schwierigkeiten im Verständnis des Kulturbezugs des Kulturmarketing. Oft ist unklar, wo Kulturmarketing beginnt und dessen Grenzen liegen. Und je vielgestaltiger der vermeintliche Kulturbereich wird und je mehr sich die Grenzen zu Bereichen wie beispielsweise der Gastronomie und des Tourismus oder umfassender der Stadt- und Regionalentwicklung öffnen, desto schwieriger wird es, mit dem Begriff der Kultur zu agieren und den originären Gegenstand des Kulturmarketing zu definieren. Im Folgenden sollen deshalb einige Aspekte theoretisch erfasst und bezüglich der praktischen Konsequenzen diskutiert werden. Soll über den Kulturbezug reflektiert werden, so ist ein Kulturbegriff wichtig. Doch es zeigt sich, dass über den Kulturbegriff auf einer rein theoretischen Ebene reichlich debattiert wurde und wird. Ergebnisse sind enge und weite Auffassungen von Kultur. Im Gegensatz zu normativen Auffassungen, die eher auf das Schöne verengen und zugleich werten, orientiert die Kulturwissenschaft sich primär auf eine weite, das ganze gesellschaftliche Leben erfassende Verwendung des Begriffs (vgl. Klein 2004, S. 82ff.). Danach hat jede menschliche Gesellschaft ihre spezifische Kultur, die Bedingung und Ausdruck jedweder gesellschaftlichen Entwicklung ist. Der weite Ansatz impliziert, dass Kultur ganz wesentlich mit allen menschlichen Tätigkeiten und ihren Ergebnissen verbunden ist, über die Menschen ihr Leben gestalten. Dabei treten sie zueinander in Beziehung und tauschen ihre Tätigkeiten und deren Ergebnisse aus. Gegenseitiges Geben und Nehmen führt dann zu spezifischen individuellen und gesellschaftlichen Formen, die im alltäglichen Leben der Menschen erkennbar sind. So betrachtet sind alle Ergebnisse menschlicher Tätigkeit auch Erscheinungen der Kultur, also die Häuser, Straßen und Autos, die Haushaltsgeräte, Bekleidung, der Umgang miteinander und mit der natürlichen Umwelt und so weiter. Doch diese Erscheinungen werden gewöhnlich nicht dem sogenannten Kulturbereich zugeordnet und können nicht als primärer Gegenstand des Kulturmarketing betrachtet werden, da sie sachlogisch unstrittig zu anderen Branchen wie dem Bauwesen, den verschiedenen Industrien, dem Handwerk, dem Handel und so weiter angehören. Und dennoch macht es Sinn, über diesen weiten Ansatz nachzudenken. Denn die vielfältigen Erscheinungen in ihrer Gesamtheit prägen wiederum eine spezifische Kultur, die Kultur der Gesellschaft. Diese ist üblicherweise an Siedlungen wie Dörfer und Städte gebunden. Sie waren und sind Orte der Produktion und des Warentausches; der Begriff des Marktplatzes steht für die Fläche des unmittelbaren Marktgeschehens. Der Begriff des Marktes ist deshalb auch zu einer Wurzel des Marketingbegriffs geworden. So ist Kultur - weit gesehen - das Ergebnis von Märkten wie sie wiederum diese ermöglichte. Märkte gaben der Kulturentwicklung - im weiten Sinne - wichtige Impulse, wie die jeweilige Kultur auch immer spezifische Märkte entstehen ließ. Im Ergebnis entstanden und entstehen unterschiedliche, besondere Kulturen der Städte und der Dörfer. Diese Wechselseitigkeit wird mit dem weiten Kulturbegriff abgebildet.
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Ein argumentativer Ansatzpunkt für eine weitere und komplexere Sicht auf Kultur und letztendlich auf Kulturmarketing bietet der noch heute in der Kommunalpolitik und der kommunalen Selbstverwaltung aktuelle Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1949. Er fasste kommunale Selbstverwaltung begrifflich und hob sehr deutlich die kulturellen Dimensionen gesellschaftlichen und insbesondere kommunalen Zusammenlebens hervor: „Kommunale Selbstverwaltung ... bedeutet ... Aktivierung der Beteiligten ... zur eigenverantwortlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben der engeren Heimat ... mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren" (Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Juli 1960 - 2 BvR 373/60, 442/60-). Die geschichtliche und heimatliche Eigenart, also die Individualität und Besonderheit einer Stadt oder eines Dorfes mit ihren traditionellen und innovativen Elementen prägt letztendlich ganz wesentlich kommunale und damit gemeindliche oder anders ausgedrückt, die in einem Gebiet allen gemeinsame Kultur. Nur über die Eigenart eines Raumes, in dem die Menschen ihren Alltag in einer Besonderheit leben, wird der Unterschied zu anderen Städten oder Dörfern erkennbar. Die Eigenart, die Spezifik, die Individualität einer Stadt, eines Dorfes oder einer Region prägt die kulturelle lokale oder regionale Identität ihrer Menschen und Bürger. Und es kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass die für viele Menschen attraktiven städtischen Gesellschaften nur deshalb interessant sind, weil diese ihre Eigenheiten und Besonderheiten, die vor allem im öffentlichen Raum wahrgenommen werden können, bewusst pflegen und weiter ausprägen. In Zusammenhang mit dem Erfordernis, dass sich Regionen, Städte und sicher zunehmend auch Dörfer gezwungen sehen, sich im Wettbewerb mit anderen Siedlungen zu positionieren, kommt der kulturellen Dimension im Rahmen des Stadtmarketing beziehungsweise im Kulturmarketing als Dimension von Stadtmarketing eine wichtige Rolle zu. Dies betrifft sowohl das Innenmarketing einer Stadt, dessen Ziel die Gestaltung der Beziehungen der Bürger zueinander und zur Stadt als Ganzes im Zusammenhang mit der Herausbildung kultureller Identitäten ist. Aber es betrifft auch das nach außen gerichtete Fremdenverkehrs- und Tourismusmarketing, das ohne die systematische Entwicklung und Kommunikation der Stadt- und Regionalkultur oft nur wenig Wirkung erzielen würde. Doch in der kulturellen Praxis zeigt sich, dass aus pragmatischen Gesichtspunkten ein engerer Ansatz eher Verwendung findet. Im kulturellen und kulturpolitischen Alltag setzte sich ein praxisorientierter Kulturbegriff durch. Es wird ein additiver Begriff verwendet als Sammelbegriff "für eine Vielfalt von Aufgaben, die durch geistig-schöpferische Betätigung charakterisiert sind. Er umfasst nicht zuletzt Bereiche wie Kunst (z.B. Theater und Museum), Bildung (z.B. Volkshochschule, Musikschule) und Kulturpflege (z.B. Laienförderung, Denkmalpflege, Archive)", die insbesondere auch einer finanzstatistischen Systematik folgen (Scheytt 2005, S. 6). Die Folge ist, dass ein ganzheitlicher und kulturell orientierter Ansatz der Kommunalpolitik vielerorts nicht oder nur wenig zu finden ist. Für ein Nachdenken über Kulturmarketing sind sowohl die weiten wissenschaftlichen Auffassungen wichtig als auch die praxisorientierten Ansätze. Dies ist erforderlich, um sowohl die generalistisch-strategischen Aufgaben, als auch die operativen Aufgaben des Marketingmanagement lösen zu können. Dahinter stehen einerseits Fragen nach der Sinnhaftigkeit von Kultur (im weiten Sinne) in der Gesellschaft und nach ihren Entwicklungsperspektiven,
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Kulturbezug des Kulturmarketing
andererseits auch nach der Sinnhaftigkeit und den Entwicklungsperspektiven der Kulturangebote sowie der ihnen zugrunde liegenden Organisationen (im engeren Sinne). Erstere sind kulturpolitisch dimensioniert, letztere tragen eher kulturwirtschaftlichen Charakter. Doch beide Betrachtungsebenen sind miteinander in der theoretischen Reflexion wie auch in der praktischen Gestaltung, im Denken wie im Handeln, verbunden. Letztendlich kulminieren sie im Prozess des Austausches.
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Kultur, Markt und Kulturmarketing
Weiche Kultur und harte Ökonomie, Kultur (im engeren Sinne) und Markt würden nicht zusammen passen, so eine oft vertretene Meinung im Kultursektor. Doch schaut man in die Geschichte, so zeigt sich, dass Kultur und Markt zusammen gehören, seitdem sich Menschen treffen, um zu tauschen, zu handeln, um einander zu werben, um miteinander zu leben und auch Spaß und Freude am Leben zu haben. Schon der ursprüngliche Markplatz war immer auch ein Platz mit Angeboten, die wir heute mit dem abstrakten Begriff der Kultur kennzeichnen. Musik, Kunst, Theater und allerlei künstlerisches Spektakel, die Pflege des kulturellen Erbes und der Traditionen waren seit je her an Öffentlichkeiten gerichtet. Sie fanden meist im öffentlichen oder halböffentlichen Raum insbesondere von Städten und Stadtgesellschaften statt und haben dort ihre Märkte gefunden. Damit entwickelten sich auch die Verfahren zur nutzbringenden Gestaltung von Kulturmärkten. Mit der Entwicklung der Kultur entwickelte sich also auch ein Kulturmarketing, das darauf abzielte, den Austausch zwischen Menschen zu fördern und das Verhältnis von Angebot und Nachfrage zu gestalten. Unter Kultur- und Kunstschaffenden gibt es sowohl Befürworter als auch Zweifler und auch Gegner des Kulturmarketing. Die einen sehen darin eine Methode, systematisch und zweckorientiert das Verhältnis von Angebot und Nachfrage sowie Austauschprozesse von Kulturbetrieben zu gestalten. Andere indes gehen von einer zweckfreien Kunst aus, für die Vermarktung wesensfremd ist, weil dadurch die künstlerische Qualität in Gefahr geraten würde. Eine oft zu hörende Meinung ist, dass Kunstwerke und kulturelle Produkte einzig und allein auf der Grundlage der Intention von Künstlern entstehen, die sich grundsätzlich nicht von Publikumsbedürfnissen und -wünschen leiten lassen und nicht für den Markt produzieren wollen. Wird Marketing aber akzeptiert, dann führt vor allem die Anwendung klassischer Marketingansätze häufig zu Irritationen. Oft wird die Auffassung vertreten, dass ein Kunstwerk zunächst ohne Marketingziele entsteht und erst nach seiner Produktion in die Vermarktung gegeben wird. Marketing hat in diesem Fall die Aufgabe, das fertige Produkt an den Kunden zu verkaufen, damit insbesondere finanzielle Ziele des Kunst- oder Kulturproduzenten erreicht werden. Ein anderes Extrem ist die Auffassung, dass durch die konsequente Befriedigung von Kundenbedürfnissen primär die eigenen finanzwirtschaftlichen Unternehmensziele verwirklicht werden. Es wird in diesem Fall angenommen, dass insbesondere private Kulturunternehmen an den Besucher angepasste, „stromlinienförmige“ Produkte von meist minderer kultureller Qualität anbieten.
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Diese extremen Auffassungen stellen entweder die Interessen des Unternehmers oder des Kunden in den Vordergrund und können zu Zweifeln an der Sinnhaftigkeit von Kulturmarketing führen. Diese Einseitigkeit hebt ein neuer, weiter gefasster Ansatz auf. Marketing richtet sich danach auf die Gestaltung von Austauschprozessen zum Vorteil von Nachfragern und Anbietern, also von Kulturbetrieb und Besuchern1. Den Besucher interessiert grundsätzlich ein nutzbringendes Kultur- oder Kunstprodukt zu einem akzeptablen Preis und der Kulturanbieter verfolgt leistungspolitische, kulturell-soziale und finanzwirtschaftliche Zwecke. Beide Seiten können gleichermaßen ihre jeweils spezifischen Bedürfnisse befriedigen. Wenn dieses Zusammenspiel sich nicht selbst regulierend über dem Markt entwickelt, weil kulturelle Produkte nicht genügend Nachfrageakzeptanz finden, dann wird Kulturpolitik diesen Austauschprozess über Subventionen in Gang setzen oder halten, vorausgesetzt ein Interesse der Allgemeinheit liegt vor. Und dieses Interesse schließt auch die Gestaltung des unverwechselbaren kulturellen Gesamtgefüges der Gemeinde mit ein.
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Kulturmarketing und Kulturpolitik
Kulturmarketing ist eine Sozialtechnik und gestaltet Austauschprozesse zwischen Kulturanbietern (im engeren Sinne) und Nachfragern. Diese Austauschprozesse beeinflussen das soziale Leben also die Gesellschaft im Allgemeinen wie auch die kulturellen Verhältnisse (im weiteren Sinne) im Besonderen (vgl. Weinberg 1999, S. 51). Kulturpolitik gestaltet soziale und kulturelle Prozesse in der Gesellschaft und damit von Menschen in der jeweiligen Siedlung mit dem Ziel, eine unverwechselbare Kultur gesellschaftlicher Beziehungen, also des Zusammenlebens der Menschen zu erreichen. Und Menschen, darunter auch Künstler und Organisationen wie beispielsweise Kulturbetriebe, suchen meistens den Austausch mit anderen Menschen, um Nutzen und Sinn für sich und andere zu zeugen. In dieser Komplexität entsteht ein unverwechselbares Ganzes, das für die Einwohner und Bürger aber auch für Fremde einen Reiz bietet, weil es einmalig ist, besonders ist, also eine spezielle Kultur hat und zugleich einen unmittelbaren Nutzen anbietet. Diese Gegenüberstellung zeigt die enge Verbindung beider Gestaltungsfelder. Im Vordergrund stehen gewöhnlich ein konkretes Produkt (z.B. ein Konzert) eines Anbieters (Konzertagentur) und das Interesse des Nachfragers (Besucher), einen persönlichen Nutzen aus dem Produkt zu ziehen. So stehen sich zwei Seiten gleichberechtigt gegenüber. Auf der einen Seite der Konzertbesucher mit seinem Interesse an einem nützlichen Produkt zu einem akzeptablen Preis. Und auf der anderen Seite der (Kultur-) Anbieter, der über sein Produkt leistungspolitische, kulturell-soziale und finanzwirtschaftliche Zwecke verfolgt. Kulturanbieter und -nachfrager wollen gleichermaßen am (kulturellen) Erfolg partizipieren und beide Seiten möchten ihre jeweils spezifischen Bedürfnisse befriedigen. Dieser generi1
Siehe hierzu den Beitrag „Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing“ von MANSCHWETUS im vorliegenden Band.
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Kulturbezug des Kulturmarketing
sche Ansatz ist weiter gefasst als das klassische Marketingkonzept. Durch den Austausch beider Seiten entwickeln sich Angebot und Nachfrage gleichermaßen. Anbieter und Nachfrager, also Kulturanbieter und Besucher wirken so in einem einheitlichen Prozess zusammen, wobei beide Seiten aktiv sind. Wenn dieses Zusammenspiel sich nicht selbst regulierend über den Markt entwickelt, weil kulturelle Produkte, insbesondere künstlerische Angebote, beispielsweise nicht genügend Nachfrageakzeptanz finden, dann sollte ggf. die (Kultur-) Politik diesen Austauschprozess in Gang setzen oder halten, vorausgesetzt ein Interesse der Allgemeinheit am Produkt liegt vor. Es entsteht dann ein gebrochener Markt, weil Subventionen Dritter (öffentliche und/oder private Förderer) die Austauschprozesse und das Angebot eines Kulturprodukts aufrechterhalten. (vgl. Vermeulen / Geyer 1995, S. 84f.). Ein großer Teil des kulturellen Erbes konnte auf diese Weise durch das Eingreifen der Politik bewahrt werden. Aber mit dem Eingreifen von Politik in die Kultur unter bestimmten Gestaltungsabsichten werden zwar gewollte kulturelle Anbieter und Produkte finanziell gefördert, ungewollte aber auch ausgegrenzt. Zu erkennen ist aber auch, dass sich mit dem Erstarken gebrochener Märkte das ursprüngliche Kulturmarketing abschwächte. Die Gestaltung von direkten Austauschbeziehungen mit Nachfragern durch die Kulturanbieter wurde immer stärker zugunsten der Gestaltung von Austauschbeziehungen mit den öffentlichen und privaten Förderern vernachlässigt. Wenn Kulturanbieter finanzielle Förderungen der öffentlichen Hand einwerben, besteht die Gefahr, die direkte Beziehung zu Nachfragergruppen aus dem Blick zu verlieren und sie über die öffentliche Hand und die Kulturpolitik vermitteln zu lassen. Der Zweck, öffentliche Förderungen zu akquirieren, stand und steht in diesem Falle oft im Vordergrund kulturunternehmerischer Bemühungen. Der Besucher, und die Austauschbeziehung zu ihm, sind folglich entsprechend nachrangig. Jedoch zeigt sich immer deutlicher, bedingt durch die Leistungsschwäche öffentlicher Haushalte und dem Rückgang öffentlicher Förderungen, eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Gestaltung von Kulturmärkten, wodurch Impulse für Innovationen von Kulturprodukten entstehen. Insbesondere private Kulturbetriebe orientieren sich stärker an ihren Nachfragern und entwickeln neue, unkonventionelle Angebote. Aber auch die Kulturpolitik - in Verantwortung für den öffentlichen Kulturbereich - entdeckt das Publikum. Das gewachsene Interesse an ihm ist einerseits kulturökonomisch begründet, da eine Steigerung von Verkaufserlösen für die Erhöhung der Eigeneinnahmen der Kulturbetriebe bei gleichzeitiger Senkung der Kosten kulturpolitisch wichtig erscheint. Andererseits steht die Kulturpolitik vor der Aufgabe, angesichts der beobachtbaren Veränderungen kultureller Angebote und dem Rückgang der Nachfrage in einzelnen kulturellen Bereichen neue Ansätze zu finden (vgl. Wagner 2005, S. 9ff.). Bisher wurde die Diskussion über den Erhalt und die Entwicklung der Kultur primär vom Standpunkt der Kulturpolitik und kulturpolitischer Ziele debattiert. Künftig werden solche Diskussionen auch vom Standpunkt des Kulturmanagement und des Kulturmarketing und damit aus dem Blickwinkel von Besuchern und Kunden, also Nachfragern sowie den Kulturbetrieben zu führen sein. Die Verantwortung dafür liegt auch bei der Kulturpolitik. Sie muss beide Seiten im Blick haben und den Austausch fördern. MANDEL verweist darauf, dass Kulturmarketing auch als Kulturvermittlung zu betrachten ist.
Hardy Geyer
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"In einer sehr stark erlebnisorientierten Gesellschaft scheinen sich die Herangehensweisen des Marketing besser zu eignen, um breitenwirksame Kulturvermittlungsstrategien zu entwickeln, als nur didaktische Methoden, die in der Ansprache breiter Öffentlichkeiten kaum greifen" (Mandel, 2005, S.10f.). Und: "... so lässt sich heute nur noch schwer ausmachen, wer Kultur definiert, welche Kunst wertvoller ist als andere, wo die Grenzen zwischen Kulturpolitik und Kulturmarkt, wo die Grenzen zwischen Bildungs- und Emanzipationskultur und zwischen Kulturindustrie und Unterhaltung verlaufen. Dementsprechend vielfältig sind auch die Ziele, Zielgruppen, Formen und Konzeptionen von Kulturvermittlung" (ebd., S. 11) und damit auch des Kulturmarketing.
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Gestaltungsfelder
Kulturmarketing aus dem Blickwinkel von Kulturanbietern (in engen Sinne) und als Führungsmethode ist die Gestaltung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage. Daraus leitet sich die Fragestellung ab, wie Austauschbeziehungen bewertet werden können. Nach altem Verständnis zeigt sich der Erfolg von Kulturmarketing - stark vereinfacht - entweder am Erfolg durch verkaufte Kulturprodukte und damit am erzielten Umsatz, gemessen in Geldgrößen oder aber an der Zufriedenheit der Besucher. Nach neuem Verständnis werden beide Indikatoren in ihrer Verbindung betrachtet. Nur so kann Kulturmarketing als Sozialtechnik verstanden werden. Jedoch ist dies primär auf die unmittelbare Gestaltung der Austauschbeziehungen von Kulturanbieter und Nachfrager bezogen, berührt also immer einzelne, konkrete Verhältnisse. Kulturmarketing aus dem Blickwinkel von Kulturpolitik (im weiten Sinne) gestaltet auch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, doch neben Umsatzerfolg und Zufriedenheit der Nachfrager wird ein weiterer Indikator herangezogen werden müssen, der außerhalb des einzelnen Kulturanbieters steht und eine gesellschaftliche Dimension besitzt: Die Lebendigkeit von Siedlungen und die Urbanität von Städten. In deren kultureller und ästhetischer Besonderheit, an der sozialen Durchmischung, der kulturellen und politischen Partizipation, an deren wirtschaftlicher Leistungskraft (einschließlich der Kulturwirtschaft) und letztendlich am öffentlichen Wohl zeigt sich die Austauschqualität. Die kulturelle Attraktivität der Siedlungen und die kulturelle Identität der Bürger und Einwohner werden somit zu zusätzlichen Indikatoren für den Erfolg von Kulturmarketing als Sozialtechnik. Differenzierte urbane Räume mit ihren Infrastrukturen und urbanen Kulturen unterscheiden die Städte und führen zu einer jeweils besonderen Stadtkultur, die sich vor allem im Verhalten der Menschen als Bewohner oder Besucher, Heimische oder Fremde zueinander und zur Stadt als Ganzes vor allem in der Öffentlichkeit darstellen. Die komplexe Gestaltung der Einheit von urbanem Raum, urbaner Wirtschaft und urbaner Kultur ist offenbar eine Gabe, die manche Städte haben oder nicht haben. Langweilige Städte bieten keine Spannungen. Aufregende und interessante Städte scheinen vor Spannungen über den Rand zu laufen. Diese Gestaltung kann nicht allein durch die lokale Politik und kommunale Verwaltung getragen werden, sondern beruht ganz wesentlich auf dem individuellen Gestaltungswillen und Handeln sowie der individuell getragenen Verantwortung der einzelnen Bürger und ihrer kultu-
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Kulturbezug des Kulturmarketing
rellen Unternehmungen. Zudem sind Kulturunternehmen, unabhängig ob öffentliche oder private, in globalisierten, durch Informationalisierung und durch Individualisierung geprägten Umfeldern stärker denn je gezwungen, sich zu positionieren und zugleich lokale und regionale Besonderheiten zu berücksichtigen. Das führt zu einer weiteren Ausdifferenzierung der Kulturlandschaft und damit der Kulturmärkte, was vor allem in größeren Städten und Metropolen besonders gut wahrgenommen werden kann. Und es kann beobachtet werden, dass lebendige und urbane Räume, die sozial stark ausdifferenziert sind, gute Bedingungen für die Entwicklung von kulturellen Angeboten und Unternehmen bieten und diese wiederum auf diese rückwirken. Dies ist ein Prozess, in dem soziale, kulturelle und wirtschaftliche Verhältnisse komplex ineinander greifen und der (kultur-) politische Dimensionen besitzt. Immer stärker wird Kulturförderung auch mit den Instrumenten der Wirtschaftsförderung arbeiten und Wirtschaftsförderung auch Kulturbetriebe erfassen müssen. Das Ergebnis der Gestaltung können letztendlich dauerhafte, nachhaltige Austauschprozesse zwischen den Bewohnern einer Stadt und Austauschpartnern aus dem Umsystem der Stadt sein, wodurch ein kommunales Gemeinwesen zustande kommt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für das Verständnis von Kulturmarketing auch eine weite Auffassung von Kultur relevant ist, denn hier wird ein Bezug zur Kultur der Siedlungen, der Städte und der Regionen als Ganzes sinnfällig. Als Sozialtechnik kann Kulturmarketing auch dazu beitragen, kulturelle Verhältnisse als Austauschprozesse zu gestalten. Im engeren Sinne gestaltet Kulturmarketing die Austauschprozesse zwischen Kulturanbietern und ihren potentiellen oder tatsächlichen Nachfragern.
Hardy Geyer
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Literatur
Klein, A.: Kompendium Kulturmanagement, München 2004 Mandel, B.: Kulturvermittlung, Bielefeld 2005 Scheytt, O.: Kommunales Kulturrecht, München 2005 Vermeulen, P. / Geyer, H.: Operatives Kulturmarketing, in: Benkert, W. / Lenders, B. / Vermeulen, P.: KulturMarketing, Stuttgart et al. 1995 Wagner, B.: Jahrbuch für Kulturpolitik 2005, Essen 2005 Weinberg, P.: Verhaltenswissenschaftliche Aspekte der Kundenbindung, in: Bruhn, M. / Homburg, C.: Handbuch Kundenbindungsmanagement, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Wiesbaden 1999
Matthias Munkwitz
Der Markt 1
Der Markt und seine Bestimmungen
2
Kulturbetriebe als Marktteilnehmer
2.1
Wettbewerb
2.2
Income Gap
2.3
Produkt- vs. Marktorientierung
2.4
Die kulturelle Dienstleistung
3
Bedürfnisse und Nachfrager
4
Literatur
14
1
Der Markt
Der Markt und seine Bestimmungen
Der Markt wird im Allgemeinen als der Ort bezeichnet, auf dem Angebot und Nachfrage aufeinander treffen. Diese Bestimmung unterstellt, dass dieser Ort als solcher tatsächlich existiert und es auch relativ problemlos möglich sei, dass der Anbieter mit seinen Produkten auf den Nachfrager trifft, der genau sowohl dieses entsprechende Produkt, als auch diesen Anbieter gesucht habe und dass es zum Tausch der Leistungen kommt. Das ist eher eine Idealvorstellung – allerdings sind zumindest fast alle Elemente aufgeführt, die nötig wären, damit ein Tausch stattfinden könnte. Wäre allerdings dieses Zusammentreffen so einfach, müsste man sich über den Verkauf von Produkten und damit das Marketing keine Sorgen machen. Eine genauere Analyse führt zu der Überlegung, dass ein Markt mehrere Bestimmungen hat. Es sind einerseits die Nachfrager, die über bestimmte Bedürfnisse verfügen und diese befriedigen wollen. Dabei wird ein Bedürfnis als „bewusst empfundener Mangel“ definiert, den es abzustellen gilt. Dieses geschieht durch Produkte mit entsprechenden Eigenschaften, die dem Interessenten dafür geeignet scheinen. Und Drittens ist der Markt – neben Nachfragern und Produkten – noch durch Anbieter charakterisiert, die Produkte entwickeln und präsentieren, von denen sie denken, dass diese die Bedürfnisse des Kunden befriedigen können. Zur Vereinfachung im Sprachgebrauch soll all das als Produkt bezeichnet werden, was geeignet ist, den Mangel zu beheben – das können also materielle Güter als auch Leistungen sein (vgl. Kotler / Bliemel 1999, S. 9). Bei den Dienstleistungen wiederum müssen Unterscheidungen in sachbezogene – z. B. die Reparatur eines Autos – und in personenbezogene Leistungen unterschieden werden. Zu den letzteren zählen auch die Angebote des Kulturbereichs. Der Markt für diese kulturellen Produkte ist sozusagen Öffentlichkeit (vgl. Bendixen 2003, S. 112) in seiner kommerziellen Form. Damit ist gesagt, dass dieser Ort gesellschaftliche Informations- und Kommunikationsverhältnisse umfasst und sich in ökonomischen Handlungen – z. B. denen des Austauschs von Werten - darstellen kann. Dass dieser Raum eine gesellschaftliche Komponente hat, besagt einmal, dass das, was dort dann tatsächlich getauscht wurde, von der Öffentlichkeit als nützlich unter dem Gesichtspunkt des allgemein in diesem Kulturkreis gültigen Wertekanons befunden wurde. Der Markt ist also ein, dem „Wirtschaftsleben als einer Erscheinungsform der Kultur“ (Sombart 1950, S. 279) entsprechender, kultureller Ort. Falls der Austausch - im Allgemeinen Produkt gegen Geld – tatsächlich stattfindet, ist damit andererseits zum Ausdruck gebracht, was wiederum für diese Person oder Organisation nützlich war. Nützlichkeit ist so gesehen erst einmal etwas sehr Subjektives und es bestimmt derjenige selbst, was nützlich ist, also für ihn einen Gebrauchswert hat. Ökonomisch zeigt sich das darin, dass der geforderte Preis entrichtet wurde. Auf diesem Markt als Ort des Austauschs kommt es zu Reaktionen, damit zu Marktprozessen. Objekte werden ausgetauscht von Subjekten. Der Begriff Prozess bringt zum Ausdruck, dass der Markt einer Dynamik unterliegt, d. h., immer auch die Möglichkeit von Verände-
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rungen in sich trägt. Der Markt ist – um es anders auszudrücken – eine sich verändernde Gruppierung von Kundenwünschen. Um den Mangel abzustellen, äußert der Konsument Wünsche, einen Bedarf nach bestimmten Produkten, der aber erst zur Nachfrage wird, wenn auch entsprechende Kaufkraft vorhanden ist. Dass der Bedarf im Allgemeinen größer ist, als die zahlungsfähige Nachfrage, verweist auf eine Grundannahme der Wirtschaftswissenschaften, nämlich die, dass Mittel begrenzt bzw. knapp sind. Dieser Umstand und ein schwankendes Nachfrageverhalten zeigen sich in veränderten Käufergruppen also in Verschiebungen im Marktpotenzial. Im Prinzip ist damit die maximal absetzbare Menge eines Produkts gemeint, das durch wirtschaftliche Aktivität der Unternehmen hergestellt wird. Auch hier sind die Vorgänge wieder in ihrer Komplexität zu betrachten. So kann einerseits „Wirtschaften ... umschrieben werden als disponieren über knappe Güter...“ (Schierenbeck 1995, S. 2). Das wäre sozusagen die Innenbetrachtung des Unternehmens unter dem Gesichtspunkt des effizienten Einsatzes der Produktionsfaktoren. Andererseits ist das Unternehmen aber von der Öffentlichkeit abhängig, denn erst auf dem Markt entscheidet sich durch den Konsumenten, ob er das Produkt kauft und damit anerkennt. Jedes Unternehmen – auch der Kulturbetrieb – ist also vom Markt abhängig und sein Vorgehen auf diesem ist dabei • wettbewerbsorientiert – d. h. mit dem Blick auf weitere Anbieter, • potentialorientiert – d. h. bezogen auf die eigenen Ressourcen zum Erstellen der Leistung, • marktorientiert – d. h., unter Berücksichtigung veränderter Nachfrage. Hierbei sind nicht nur die allgemeinen Trends sondern, bezogen auf Kulturbetriebe, auch die regionalen Entwicklungen zu beachten. Das Analysieren der Dynamik der Märkte geschieht durch das Betrachten und Erfassen seiner evolutionären Veränderungen. Auf Grund von Moden können Märkte kurzlebig sein, sie unterliegen aber auf alle Fälle Geschmacksveränderungen und die Produkte damit sog. Lebenszyklen. Um diese zu erfassen, bedient sich die Marketingforschung 1. der Entwicklung von Phasenmodellen – also Lebenszyklusbeschreibungen, die den Entwicklungsstand eines Marktes bzw. Produkts festhalten - und 2. der Beschreibung durch die Theorie der Marktstrukturevolution. Da der Markt ein Gebilde von Marktprozessen ist, lassen sich diese nach • Marktstruktur und • Marktregeln ordnen.
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Der Markt
2
Kulturbetriebe als Marktteilnehmer
2.1
Wettbewerb
In einem marktwirtschaftlichen System ist der Begriff des Marktes direkt mit dem Begriff Wettbewerb verbunden. „In der Regel hat er [der einzelne Produzent – der Verfasser] freilich weder die Absicht, das Gemeinwohl zu fördern, noch weiß er, wie sehr er es fördert. Wenn er die heimische Erwerbstätigkeit der ausländischen vorzieht, denkt er nur an seine eigene Sicherheit; und wenn er diese Erwerbstätigkeit so ausrichtet, dass die größte Wertschöpfung erfolgt, denkt er nur an seinen eigenen Vorteil, und dabei wird er, wie in vielen anderen Fällen auch, von einer unsichtbaren Hand geleitet, einem Zweck zu dienen, der nicht in seiner Absicht lag. Für die Gesellschaft ist es gar nicht immer von Schaden, dass dieser nicht in seiner Absicht lag. Indem er sein eigenes Interesse verfolgt, fördert er häufig das der Gesellschaft wirksamer, als wenn er sich tatsächlich vornimmt, es zu fördern“(Smith 1999, S.467). Es ist das Charakteristikum eines marktwirtschaftlichen Systems, dass für einen, in seinen Reaktionen teilweise unbekannten, Markt produziert wird. Somit ist dieser gekennzeichnet durch eine Fülle von Angeboten. „Verschwendung und Vielfalt sind zu wichtige Begriffe, als dass man ihre Definition den alten Köpfen und ihren Büchern überlassen dürfte. Die Entwicklung eines angemessenen Verständnisses dieser beiden Begriffe ist die Voraussetzung dafür, dass wir begreifen, was unseren Wohlstand ausmacht: nicht schwerfällige Selbstgefälligkeit, sondern der Mut zu Neuem, zum Fortschritt. Verschwendung ist nicht Vergeudung. Vergeudung verweist auf das Statische, das Festhalten, das Besitzstandswahren, das Rückwärtsgewandte, das nur verbraucht, ohne Neues zu schaffen. Verschwendung aber heißt freies Spiel der Ideen, Mut zum Risiko und zum Neuen. Sie ist eine Tugend. Vor allem ist sie eine elementare ökonomische Triebkraft. Verschwendung ist Ausdruck des Überflusses, und ohne Überfluss kann kein Markt existieren“ (Lotter 2006, S. 11). Kultur und Kunst waren und sind geradezu der Ausdruck von Überfluss – nämlich, wie BERTOLD BRECHT sagt, etwas Überflüssiges (Brecht 1981, S. 352), weil künstlerische Betätigung Arbeitsteilung, entsprechende Produktivität und einen gewissen Überfluss zur Voraussetzung hat. Den Markt allerdings nur auf die „Gesamtheit der möglichen Käufer eines Produkts“ (Klein 2005, S. 150) zu reduzieren, also nur den Absatzmarkt im Blick zu haben, lässt gerade für Kultur- und Freizeiteinrichtungen den besonders wichtigen Beschaffungsmarkt außer Acht. Unter diesem sind alle Prozesse zu verstehen, die zur Beschaffung von Produktionsfaktoren eminent sind.
Matthias Munkwitz
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Im Allgemeinen sind für die Beschaffung wichtige Entscheidungen darüber zu treffen, welche Produktionsfaktoren man benötigt, um entsprechende Produkte zu erstellen. Dabei sind die Faktoren zu bestimmen, die der Kulturbetrieb zur Leistungserstellung selbst aktivieren kann, um daraus zu schlussfolgern, welche Faktoren gekauft werden sollen.
2.2
Income Gap
Damit sich Kulturbetriebe überhaupt an Marktprozessen beteiligen können, müssen diese über Einnahmen verfügen. Die Mehrzahl der Kultureinrichtungen verfügt über folgende Möglichkeiten, finanziellen Input zu realisieren: 1. Earned Income - Einkommen aus Erwerbstätigkeit – d. h. Realisierung von Erlösen vor allem durch den Verkauf von Rechten (also Tickets) für Veranstaltungen, Aktivitäten und Events oder durch vertragliche Dienste für Dritte – Sponsoring, Fund Raising 2. Contributed Income - Beiträge von Personen und Organisationen, Vereine, Freunde – hier auch unentgeltliche Tätigkeiten für die Kulturinstitution 3. Government Funding - staatliche Unterstützung mit den Quellen Kommune, Land, Bund und Fonds der Europäischen Union. Es sind hier ganz bewusst die Bezeichnungen einer wissenschaftlichen Untersuchung2 der Tucson University, Arizona, USA, verwendet worden. Durch diesen Sprachgebrauch soll vor allem gezeigt werden, dass es auch bei Kulturbetrieben um die Realisierung von Einkommen durch den Verkauf von Produkten am Markt geht. Die Unterscheidung zwischen Einkommen und Unterstützung wurde hier bewusst beibehalten. Die Erzielung von Einkommen bedeutet immer eigenes Tun des Managements und der Mitarbeiter der Kultureinrichtung. Das Erstellen, Anbieten und der Verkauf von Produkten führt zur Selbstfinanzierung des Unternehmens durch Realisierung von Umsatzerlösen bzw., falls möglich, durch die Wiederanlage von Gewinnen. Im deutschen Sprachgebrauch hat das Wort Kulturbetrieb doppelte Bedeutung. Einerseits ist damit jede einzelne Kultur- und Freizeiteinrichtung gemeint – andererseits wird damit all das beschrieben, was an kulturellen Projekten und/oder Kulturunternehmen Leistungen erbringt. Die genauere Analyse der Kulturbetriebe, die als Einrichtung am Markt agieren, führt zu folgender Klassifizierung3:
1. Öffentliche Kulturbetriebe – Regiebetriebe, Eigenbetriebe, Eigengesellschaften, Zweckverbände der öffentlichen Körperschaften, d. h. Theater, Museen – Öffentlich-
2 3
Vgl. z.B. Pavlakovich-Kochi / Charne 2000 In Anlehnung an Heinrichs 1997, S. 6f.
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Der Markt
rechtliche Anstalten (Rundfunk, Fernsehen) – öffentlich-rechtliche Stiftungen, z. B. die Kulturstiftung der Länder, Stiftung Preußischer Kulturbesitz; 2. Privatrechtlich-gemeinnützige Kulturbetriebe – Non Profit Organisationen, wie Vereine und gemeinnützige Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Eine Sonderrolle nehmen die privatrechtlich-gemeinnützigen Einrichtungen ein. Sie sind in einer privaten Rechtsform organisiert, nehmen aber kommunale Aufgaben wahr (Musikschulen, VHS, Theater als GmbH); 3. Privatrechtlich-kommerzielle oder privatwirtschaftliche Kulturbetriebe – also erwerbswirtschaftlich, d. h. gewinnorientiert arbeitende Unternehmen. Es ist charakteristisch, dass sich die Mehrzahl - öffentlich geförderter - Kulturbetriebe allein nicht durch earned income finanzieren kann. So ist es möglich, dass z. B. Stadttheater nur ca. 10% ihres Budgets durch den Verkauf von Tickets erzielen – bei Schlossmuseen kann der Selbstfinanzierungsgrad durchaus auch schon bei 70% liegen. Allerdings besteht immer eine Finanzierungslücke, income gap, die im Wesentlichen nicht durch Verkäufe am Markt, sondern durch Zuschüsse – also z. B. government funding - geschlossen werden muss. Bezüglich der Bestimmung als Ort des Anbietens von Produkten durch kulturelle Einrichtungen der öffentlichen Hand, kann dieser spezielle Markt als öffentlicher Markt charakterisiert werden. Einige Bestimmungen seien aufgeführt, die diese Betriebe und den Markt kennzeichnen (vgl. Pepels 1993, S. 36). • es sollen durch diese Institutionen kollektive Bedürfnisse befriedigt werden • damit dieses realisiert werden kann, werden eine Vielzahl kultureller Einrichtungen entweder durch government funding institutionell oder über Projekte finanziell gefördert • dabei stehen Bedarfsdeckung und Bedarfsweckung im Vordergrund, nicht vorrangig Gewinnrealisierung • trotz einer Monopol- bzw. Teilmonopolstellung der Kultureinrichtung gelten die sonst damit verbundenen Auflagen bzw. auch Vorteile nicht • dieses erklärt sich wiederum aus der Existenz und der Anwendung von Gesetzen und Verordnungen, die durch die öffentliche Hand erlassen wurden • womit auch gesagt ist, dass bei öffentlichen Kulturbetrieben Verträge nach öffentlichem Recht bestehen, d. h., • dass das Personal durch öffentlich Bedienstete als Angestellt bzw. als Beamte gestellt wird, deren Tätigkeit nach entsprechenden Tarifen zu vergüten ist und • dass in diesen Einrichtungen und vor allem in den kulturellen Non Profit Organisationen Entscheidungen auf Grund von multipersonalen Willensbildungen getroffen werden. Woraus erklärt sich, dass sich eine Vielzahl von Kulturbetrieben nicht durch den Verkauf von Rechten – Tickets – für die Kulturprodukte, die sie am Markt anbieten, realisieren können? Oder anders gefragt: weshalb übersteigen die Produktionkosten die Umsatzerlöse? Eigentlich analysiert das bereits ADAM SMITH in seiner 1776 erschienenen Schrift Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, in dem er formuliert:
Matthias Munkwitz
19
„Es gibt eine Art von Arbeit, die dem Wert des Gegenstandes, auf den sie verwendet wird, etwas hinzufügt; es gibt eine andere, die keine solche Wirkung hat. Jene kann, da sie einen Wert produziert, als produktive, diese als unproduktive Arbeit bezeichnet werden. [...] ... Dienstleistungen gehen in der Regel im Augenblick ihrer Einbringung unter und hinterlassen selten eine Spur oder einen Wert, für den später eine gleiche Menge Dienstleistungen erworben werden könnte“ (Smith 1999, S. 363). SMITH spezifiziert diese unproduktiven Arbeiter – gemeint ist, dass diese kein Gut, also kein materielles Produkt, herstellen – noch, in dem er schreibt: „In dieselbe Kategorie gehören einige der würdevollsten und wichtigsten und einige der leichtfertigsten Berufe: Geistliche, Juristen, Ärzte, Gelehrte aller Art, Schauspieler, Komiker, Musiker, Opernsänger, Ballettänzer usw. Die Arbeit der geringsten unter ihnen hat einen bestimmten Wert, der sich nach denselben Grundsätzen richtet wie jede andere Art von Arbeit;...“ (ebd., S. 364). An anderer Stelle seiner Schrift stellt ADAM SMITH fest, was sich entwickelnde Gesellschaften ökonomisch auszeichnet. „Der große Anstieg der Produktionsleistung, die infolge der Arbeitsteilung von derselben Anzahl von Personen erbracht werden kann, ist auf drei verschiedene Umstände zurückzuführen: erstens auf die Steigerung der Fertigkeit jedes einzelnen Arbeiters; zweitens auf die Ersparnis an Zeit, die gewöhnlich beim Wechsel von einer Art Arbeit zur anderen verlorengeht; und letztens auf die Erfindung einer großen Anzahl von Maschinen, die die Arbeit erleichtern und verkürzen und es ermöglichen, daß ein Mann die Arbeit von vielen tut“ (ebd., S. 92). Da für ihn der Wert eines Produkts durch den Aufwand an Arbeit, und damit an Zeit, bestimmt ist, um dieses herzustellen, bedeutet dies, dass es in der Volkswirtschaft Arbeiten gibt, die nur bis zu einem gewissen Grade technisiert werden können, also Technik eingesetzt werden kann, um die Produktivität zu erhöhen, was nichts anderes heißt, als die Zeit zur Herstellung von Gütern zu verkürzen. Doch erst fast 200 Jahre später wird durch die Wissenschaft ein direkter Zusammenhang zwischen steigender Produktivität und der zu verrichtenden Arbeit bei den aufführenden Künsten in einer Gesellschaft hergestellt4. Allerdings – und auch das formuliert Smith schon – gibt es Entwicklungen in künstlerischkulturellen Bereichen selbst, die die Effizienz weiter einschränken.
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Siehe hierzu den Beitrag „Umfeld- und Wettbewerbsanalysen“ zum Konzept „Cultural Economics“ im Kapitel 2 von MUNKWITZ im vorliegenden Band.
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Der Markt
„Die Ausbildung für die bildenden Künste und die freien Berufe ist noch langwieriger und kostspieliger. Der Geldlohn von Malern und Bildhauern, Juristen und Ärzten sollte daher viel reichlicher sein, und dementsprechend ist er das auch“ (Smith 1999, S. 173). Das sind die wesentlichen Ursachen, warum die Produktionskosten die Umsatzerlöse der Kulturbetriebe oftmals übersteigen. Das bedeutet: die Ausgaben für die Produktionsfaktoren und die Produktion sind höher als die Preise, die für die Tickets verlangt werden können. Die Wirtschaftswissenschaften definieren den Begriff Produktionsfaktoren dem speziellen Untersuchungsgegenstand der Disziplinen gemäß unterschiedlich. So versteht die Volkswirtschaftslehre darunter die Faktoren Arbeit, (Sach-)Kapital sowie Grund und Boden, also die Elemente der Natur. In der Betriebswirtschaftslehre zählen zum System von Produktionsfaktoren (vgl. Gutenberg 1979, S. 3) alle Elemente, die für den betrieblichen Leistungserstellungsprozess erforderlich sind. Dazu gehören die Elementarfaktoren – das Arbeitsvermögen, also die menschliche Arbeitsleistung, Betriebsmittel, Werkstoffe, Lizenzen, Rechte, Informationen etc. – und der dispositive Faktor - menschliche Arbeitsleistung in Form von Führung, Planung, Organisation und Kontrolle, also Management. Diese Faktoren zählen zu den sog. knappen Gütern – eine Grundthese, auf die sich das gesamte Theoriegebäude der Betriebswirtschaftslehre stützt. Besonders wichtig bei Kultureinrichtungen dürften dabei die Finanzen und aber auch das spezifisch ausgebildete Arbeitsvermögen sein. Das um so mehr, da sich sowohl private als auch öffentlich geförderte Kulturbetriebe um dieselben knappen Mittel bemühen.
2.3
Produkt- vs. Marktorientierung
Sich am Markt orientieren bedeutet, hauptsächlich den Absatzmarkt und dessen Dynamik im Blick zu haben. Dabei steht der Kulturbetrieb vor einem doppelten Problem: Einerseits soll er einen Bildungsauftrag durch das Anbieten kultureller Leistungen realisieren. Seine Förderung über den kommunalen Haushalt erhält der Kulturbetrieb deshalb, weil er keine, auf den Kosten der Leistungserstellung basierten, Preise für seine Produkte verlangen soll. Gemäß dem Gesetz von Angebot und Nachfrage würde eine kostenorientierte Preisfestsetzung für viele Produkte, die Kulturbetriebe anbieten, dazu führen, dass sich keine Käufer finden würden. Die dann geforderten Preise für die Kulturprodukte, wenn die Kosten der Herstellung gedeckt werden sollten, müssten so hoch sein, dass es zu keiner oder zu einer sehr geringen Nachfrage kommen würde, womit wiederum der öffentliche Auftrag nicht erfüllt werden könnte. Damit ist, betriebswirtschaftlich und unter Marketinggesichtspunkten ausgedrückt, auch gesagt, dass sich dieser öffentlich geförderte Kulturbetrieb mit seinen Produkten, die er anbietet, möglichst nicht vorrangig nach den Wünschen der Masse der Käufer richtet, sondern durch Produkte einer bestimmten Sparte eben den, durch die Öffentlichkeit erteilten, Kultur- und Bildungsauftrag erfüllt.
Matthias Munkwitz
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Es ist eine Besonderheit von Kulturbetrieben, dass diese ein Produkt anbieten, das nicht in erster Linie erstellt wird, um auf eine etwaige Nachfrage am Markt zu reagieren. Das kulturelle Produkt soll im Wesentlichen eine Botschaft transportieren. Somit ist auch durchaus verständlich, wenn sich manche Vertreter von Kulturbetrieben gegen die Anwendung von Marketinginstrumenten im Kulturbereich aussprechen, weil eine Vielzahl dieser Einrichtungen sich tatsächlich nicht am Markt orientieren, genauer, nicht auf Marktsignale i. S. v. Nachfrage reagieren und ihr Produktangebot darauf nicht ein- und umstellen. Denn ihre öffentliche Förderung wird ja gerade damit begründet, dass sie einen Kultur- und Bildungsauftrag haben, deren Realisierung nicht nach ökonomischen Marktgesetzen funktioniert – genauer: funktionieren soll. Doch gerade deshalb ist Marketing unerlässlich. In diesem Sinne darf sich die Kultureinrichtung nicht am Markt und seiner Dynamik orientieren. Der Kulturbetrieb handelt also, betriebswirtschaftlich gesehen, angebotsorientiert. Er kommt sozusagen als Anbieter mit einem fertigen Produkt auf den Markt und sucht dann nach Nachfragern. Das widerspricht – unter den Gesichtspunkten des Marketing, also der gewünschten Herbeiführung von Tauschvorgängen mit gegenseitiger Nutzenstiftung – allen Kriterien einer wettbewerbsorientierten marktwirtschaftlichen Ordnung. Aber genau damit begründet sich Marketing für Kulturbetriebe! Andererseits besteht damit ein weiteres Hauptproblem für den Kulturbetrieb darin, überhaupt als Anbieter von Produkten, und damit als Element des Marktes, wahrgenommen zu werden. Das wird zusätzlich noch dadurch erschwert, weil ein immaterielles Gut – eine Dienstleistung – angeboten wird. Unter Wahrnehmung ist das Senden und Empfangen von Signalen zu verstehen – also Kommunikation. Dazu müssen die Marktteilnehmer dieselbe Sprache sprechen und diese verstehen, um die Marktsignale aufnehmen zu können, damit es perspektivisch zu Transaktionsprozessen, d. h. zum Austausch von Leistungen kommen kann. „Die Tauschbeziehungen sind stets von Kommunikationsvorgängen begleitet“ (Heinen 1992, S. 74). Der Kulturbetrieb – besonders der, der angebotsorientiert am Markt agiert – muss zur lernenden Organisation werden – vom Markt lernen.
2.4
Die kulturelle Dienstleistung
Bezüglich der am Markt agierenden Elemente von Anbietern, Produkten und Nachfragern ist allerdings aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften folgendes richtig zu stellen. Der Rezipient nimmt an einer kulturellen Dienstleistung teil, die die Kultureinrichtung anbietet. Aus Sicht des Kulturbetriebs ist das, was durch das Unternehmen erstellt wird, die Produktion, das Produkt. Da diese personenbezogene Dienstleistung etwas Immaterielles ist, kann der Kunde diese nicht erwerben.
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Der Markt
Er nimmt an der Leistung teil, die sich allerdings in dem Moment, in dem sie erstellt wird, auflöst. Sie kann durch den Rezipienten nicht gespeichert werden. Es ist aus ökonomischer Sicht nur möglich, etwas Materielles zu erwerben, weil nur dann ein Eigentumsübertrag vom Produzenten, dem Anbieter, zum Kunden, dem Nachfrager, stattfinden kann. Etwas Intangibles, Immaterielles muss an ein materielles Gut gebunden werden, wenn es verkauft werden soll. So kann das soeben gehörte und gesehene Konzert nur dann erneut rezipiert werden, wenn dieses auf einem Medium – z. B. auf einer CD oder DVD – gespeichert wurde, das dann als Gut erworben werden kann. Die Teilnahme an dem Konzert erfolgt durch den Interessenten durch den Kauf eines materiellen Guts – der Eintrittskarte. Damit erwirbt der Käufer das Recht, an der Aufführung teilzunehmen. Das Konzert, die live performing arts, die Dienstleistung als solche kann nicht ver- oder gekauft werden. Bezüglich der Vermarktung – genauer: des Auswählens und des Einsatzes der Instrumente des Marketing – ergibt sich hier für das Management der Kultur- und Freizeiteinrichtung das Problem, wie potenziellen Interessenten ein intangibles, immaterielles Produkt erklärt und sichtbar gemacht werden kann, um die Schwelle der Kaufzurückhaltung zu senken.
3
Bedürfnisse und Nachfrager
Auch hier ist es möglich, sich wiederum der Einteilung in die Elemente Anbieter, Produkte, Nachfrager zu bedienen. Bezüglich der Anbieter – also der Wettbewerber5 – können Leistungen erfasst werden, die ähnliche Bedürfnisse befriedigen. Doch was sind ähnliche Bedürfnisse nach kulturellen Leistungen? Gemäß der Maslowschen Bedürfnispyramide können folgende Ebenen unterschieden werden: 1. Die Ebene der physiologischen Grundbedürfnisse bildet die untere Ebene der Pyramide, die Funktionserfordernisse beinhaltet, die das Überleben garantieren; 2. Die Ebene der Sicherheitsbedürfnisse umfasst Elemente wie Schutz und Vorsorge, die die erste Ebene absichern; 3. Unter Kontaktbedürfnissen sind zwischenmenschliche Beziehungen zu verstehen, die sich im Entwickeln und Ausprägen sozialer Kontakte zeigen; 4. Dem schließt sich die Ebene der Wertschätzungsbedürfnisse an, die Ich-bezogene Charakteristika wie Selbstachtung, Prestige, Status, Selbstvertrauen, aber auch entgegengebrachte Anerkennung durch andere Personen umfasst; 5. Die Wachstumsebene ist charakterisiert durch die Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung – eigene individuelle Lebensgestaltung, die keine Sättigungsgrenzen kennt.
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Siehe hierzu den Beitrag „Umfeld- und Wettbewerbsanalyse“ von MUNKWITZ im vorliegenden Band.
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Der Versuch, das Bedürfnis nach Kultur in dieser Pyramide einer Ebene zuzuordnen, ist kompliziert, wenn Kultur in einer weiten Begriffsbestimmung als Lebensäußerung des Menschen verstanden wird. Damit könnte eine Zuordnung zur Ebene der Ich-Motive, der dritten Stufe der Pyramide, die soziale Bedürfnisse beschreibt, ebenso gehören, wie zu den Ebenen vier und fünf. Damit ist gleichzeitig ausgesagt, dass Kulturbedürfnisse sehr komplex, unspezifisch und durch nur eine gültige Bestimmung nicht zu fassen sind. Für viele Rezipienten wird das Motiv der Unterhaltung eine Rolle spielen, eine zweite Gruppe würde Bildung nennen - was für einige Entspannung ist, könnte für andere höchste geistige Anspannung sein, die sie mit der Inanspruchnahme künstlerischer Leistungen verbinden und suchen. Aktives Erleben ist charakteristisch für die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen. Somit ist es also sinnvoller, eine Abgrenzung bezüglich anderer Kulturbetriebe vor Ort vorzunehmen. Bezogen auf die Produkte, die die Einrichtungen anbieten, mag auf den ersten Blick die Einteilung, also die Bildung von Teilmärkten, einfach erscheinen. Doch da diese Leistungen ja in Anspruch genommen werden, weil sie aus Sicht des Rezipienten einen bewusst empfundenen Mangel beseitigen sollen, sind hier Substitute zu beachten, die ebenfalls kulturelle Bedürfnisse befriedigen können. Und diese zu definieren ist bei der Unbestimmtheit kultureller Bedürfnisse ein komplizierter Vorgang. Gleichzeitig stellt sich bezüglich dieser Produkte auch die Frage, ob die Leistungen nur wegen des – durch den einzelnen Rezipienten subjektiv durch und für ihn selbst bestimmten – Kernnutzens oder auch wegen etwaigem Zusatznutzen nachgefragt werden. Hier kann die entsprechende Kultureinrichtung eine Abgrenzung nur bezüglich ähnlicher Produkte vornehmen. Letztlich geht es dem Kulturbetrieb bei der Bildung von sinnvollen Kriterien zur Einteilung von Teilmärkten eigentlich um die Nachfrager. Das Unternehmen will und muss wissen, wie sich die Interessenten für kulturelle Leistungen verhalten. Damit wird die Betrachtung aber nicht mehr eine Frage des Marketing allein, sondern erfasst die Führung bezüglich der Strategie des Unternehmens insgesamt. Also: damit eine Abgrenzung bezüglich der Zielgruppen erfolgen kann, ist wiederum die Betrachtung des Verhaltens der Rezipienten von besonderer Wichtigkeit und damit die Beantwortung der Frage: welchen Nutzen verbindet der Interessent mit der kulturellen Leistung und welche Eigenschaften soll dann dieses Produkt haben? Auf dem Markt ist es üblich, dass der Nachfrager von einem zum anderen Produkt wechselt. Es ist aber charakteristisch, dass nur eine relativ kleine Anzahl von Produkten zu seinem evoked set – die Menge an Produkten, die dem Konsumenten bei der Kaufentscheidung bekannt sind - zählt. Bei kulturell Interessierten kann hingegen vermutet werden, dass diese ein relativ breites Spektrum kultureller Produkte im Blick haben und in Anspruch nehmen. Damit verändern die Nachfrager, die genug Erfahrung durch die Rezeption gewonnen haben, allmählich ihr Urteil. Es kann dazu kommen, dass diese ihren qualitativen Maßstab verändern und ggf. weitere und/oder andere Produkte nachfragen. Die Vielzahl von Merkmalen spricht gleichzeitig wieder für die Komplexität von Kulturbedürfnissen und verweist auch
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Der Markt
auf die steigende Menge von Konkurrenzprodukten, die geeignet sind, dieselben Bedürfnisse zu befriedigen. Das Wechselverhalten der Nachfrager ist bezüglich der zu definierenden Zielgruppen, die die Kultureinrichtung erreichen will, zu berücksichtigen. Aber: die Rezipienten müssen auch die Möglichkeit haben, sich über die, ggf. neuen, Produkte des Kulturbetriebs zu informieren – was wieder für die Anwendung der Instrumente des Marketing spricht. Der Schwerpunkt bei der theoretischen Bestimmung aus Sicht des Anbieters kultureller Leistungen liegt in der Strukturierung von Produktmärkten. Hiermit ergibt sich der Übergang zur Marktsegmentierung – damit zur nachfrageorientierten Marktabgrenzung. Es ist deshalb von der Spezifik des Produkts auszugehen – also z. B. von der entsprechenden Sparte bei live performing arts. Hier ist eine Segmentierung vorzunehmen, d. h., es sind heterogene Gesamtmärkte in homogene Teilmärkte aufzuspalten. Hierbei kommt also der Käufer in den Blick. Es geht dann darum, mit bestimmten Methoden das entsprechend definierte Marktsegment zu bearbeiten. Es erfolgt also zuerst eine Markterfassung – dann eine Marktbearbeitung. Bei der Marktidentifizierung empfiehlt es sich wiederum, von den Produkten und deren Eigenschaften auszugehen, wie der Käufer die Produkte und deren Eigenschaften beurteilt und welche letztlich durch ihn ausgewählt werden. Man fasst also all die Käufer zusammen, die sich für das entsprechende Produkt entscheiden und bildet damit das Segment. In diesem Zusammenhang ist die Verwendungszeit des Produkts zu bestimmen – also z. B. den Wochentag und die Anfangszeit an diesem Tag – ggf. auch die Entfernung, die der Interessent zurückzulegen hat, um das Bedürfnis, die Leistung in Anspruch zu nehmen, befriedigen zu können. Den Teilmärkten, die jetzt definiert sind, werden Produkte mit ähnlichen Eigenschaften zugeordnet. Es wird gefragt, welche Bedürfnisse diese Produkte befriedigen und ob es dafür Substitute gibt. Es lässt sich so annähernd die Größe des Marktes für das Kulturprodukt in einer Region bestimmen – d. h., die Kaufbereitschaft. Hieraus lassen sich Prognosen für die Marktentwicklung ableiten, denen sich wiederum Schlussfolgerungen für den Einsatz des Marketinginstrumentariums anschließen.
4
Literatur
Brecht, B.: Kleines Organon für das Theater, in: Brecht, B., Schriften, Berlin, Weimar 1981 Baumol, W. J. / Bowen, W. G.: Performing Arts, The Economic Dilemma, New York 1966 Bendixen, P.: Kultur jenseits ökonomischer Kalküle, Das ambivalente Verhältnis zwischen Kultur und Wirtschaft, in: Blum, U. /Müller, S. / Vogt, M. Th. (Hrsg.): Kultur und Wirtschaft in Dresden, Kulturelle Infrastruktur, Band 6., Leipzig 1997 Bendixen, P.: Einführung in die Kultur- und Kunstökonomie, Wiesbaden 1998
Matthias Munkwitz
25
Bendixen, P.: Das verengte Weltbild der Ökonomie, Zeitgemäß wirtschaften durch kulturelle Kompetenz, Darmstadt 2003 Bruhn, M.: Marketing, Grundlagen für Studium und Praxis, 5. Auflage, Wiesbaden 2001 Frey, B. S. / Pommerehne, W. W.: Musen und Märkte, Ansätze einer Ökonomik der Kunst, München 1993 Gutenberg, E.: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Band 1: Die Produktion. 23. Auflage, Berlin et al. 1979 Heinen, E.: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, 9. Auflage, Wiesbaden 1992 Heinrichs, W.: Kulturpolitik und Kulturfinanzierung, Strategien und Modelle für eine politische Neuorientierung der Kulturfinanzierung, München 1997 Hopfenbeck, W: Allgemeine Betriebswirtschafts- und Managementlehre, 11. Auflage, Landsberg / Lech 1997 Keynes, J. M. (1994): Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. Berlin – unveränderter Nachdruck der ersten Auflage von 1936 Klein, A.: Kultur-Marketing, Das Marketingkonzept für Kulturbetriebe, 2. Auflage, München 2005 Kotler, P. / Bliemel, F.: Marketing-Management, Analyse, Planung, Umsetzung und Steuerung, 9. Auflage, Stuttgart 1999 Lotter, W.: Verschwendung – Wirtschaft braucht Überfluss, Die guten Seiten des Verschwendens, Schriftenreihe des Siemsn Arts Program, Bd. 3, München, Wien 2006 Munkwitz, M.: Zum Verhältnis von Kultur und Ökonomie, in: Vogt, M. T. (Hrsg.): Kultur im ländlichen Raum: das Beispiel Mittelsachsen, Kulturelle Infrastruktur Band 8, Leipzig 2000 Munkwitz, M.: Die durch den Tourismus ausgelösten ökonomischen Wirkungen von Kultur in Mittelsachsen, in: Vogt, M. T. (Hrsg.): Kultur im ländlichen Raum: das Beispiel Mittelsachsen, Kulturelle Infrastruktur Band 8, Leipzig 2000 Pavlakovich-Kochi, V. /Charney, A.: Arts in Tucson’s Economy, An Economic and Tax Revenue Impact Study of Major Arts Organizations in Metropolitan Tucson 1999-2000, Tucson, Arizona 2000 Pepels, W.: Handbuch moderne Marketingpraxis, Bd.2: Die Instrumente im Marketing, Wien et al. 1993 Samuelson, P. A. / Nordhaus, W. D.: Volkswirtschaftslehre, Grundlagen der Makro- und Mikroökonomie, Bd. 1 + 2, 8. Auflage, Köln 1987 Samuelson, P. A.; Nordhaus, W. D.: Economics. Volkswirtschaftslehre, Übersetzung der 15 Auflage, Wien 1998
26
Der Markt
Schierenbeck, H.: Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, 12. Auflage, München, Wien 1995 Smith, Adam: Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, in: Stressler, E. (Hrsg.), Düsseldorf 1999 Sombart, W. (1950): Die drei Nationalökonomien. Geschichte und System der Lehre von der Wirtschaft, München und Leipzig – copyright München 1929 Staehle, Wolfgang: Management, Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive, 7. Auflage, München 1994 Winterfeld, K.: Die Besucher der Region, Die Nutzung von Kultureinrichtungen durch Touristen, in Vogt, M. T. (Hrsg.): Kultur im ländlichen Raum: das Beispiel Mittelsachsen, Kulturelle Infrastruktur, Band 8, Leipzig 2000 Winterfeld, K.: Die Nutzung von Kultureinrichtungen durch die Einwohner Mittelsachsens, in Vogt, M. T. (Hrsg.): Kultur im ländlichen Raum: das Beispiel Mittelsachsen, Kulturelle Infrastruktur, Band 8, Leipzig 2000 Wöhe, G.: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 19. Auflage, München 1996
Uwe Manschwetus
Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing 1
Entwicklungsstufen des Marketing
1.1
Entwicklungsstufe 1: Produktverkauf
1.2
Entwicklungsstufe 2: Bedürfnisorientierung
1.3
Entwicklungsstufe 3: Relationship-Marketing
1.4
Entwicklungsstufe 4: Stakeholder-Ansatz
2
Zum Verhältnis von Kultur und Marketing
2.1
Das Kundenwunschdilemma
2.2
Das Dilemma der großen Zahl
2.3
Das Dilemma der McDonaldisierung
2.4
Das Dilemma des störenden Kunden
3
Modellkonturen eines holistischen Kulturmarketing
3.1
Grundsätzliche Überlegungen
3.2
Die Beziehungspartner
3.3
Die Austauschbeziehungen
3.4
Das Beziehungsniveau
3.5
Die Umfeldbedingungen
4
Fazit und Ausblick
5
Glossar
6
Literatur
28
1
Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
Entwicklungsstufen des Marketing
In der vorliegenden Abhandlung soll das Kulturmarketing als Gestaltungsmanagement von Austauschbeziehungen definiert werden. Dies ist eine mögliche Sichtweise des Marketing, denn die Entwicklung dieser Wissenschaftsdisziplin hat zu verschiedenen Deutungen und Begriffsbestimmungen geführt. Marketing hat im Laufe seiner Entwicklung einen ständigen Wandel und eine wachsende Komplexität erfahren. In der derzeitigen Theorie und Praxis ist Marketing eine „Ensemblewissenschaft“, die sich nicht nur verschiedener ökonomischer Theoriebestandteile bedient, sondern Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften (Psychologie, Sozialpsychologie, Soziologie, Anthropologie), der Sprachwissenschaften (Linguistik, Rhetorik), der Staatswissenschaften (Recht, Politologie) und einzelner Formalwissenschaften (Mathematik, Statistik) einbezieht (vgl. Meissner 1995, S. 789). Aufgrund des heutigen mäandernden Theorienpluralismus im Marketing, sollen die bisherigen wesentlichen Denkrichtungen herausgearbeitet werden, um die eigene Marketinginterpretation deutlich positionieren zu können. Dabei werden die Entwicklungslinien auf vier zentrale Evolutionsstufen komprimiert (vgl. Abbildung 1).
Zunehmender Wettbewerbsdruck
Ausgangspunkt
Focus
Ziel
Produkte
absatzpolitische Instrumente „Hard Selling“
Kurzfristige Gewinnmaximierung über Umsatz
Nachfragerwünsche
Marktforschung Marketing-Mix (4 P‘s)
Gewinnerzielung über nachhaltige Befriedigung der Kundenwünsche
Kundenbeziehung
Kundenzufriedenheit Nachkaufmarketing Qualitätssicherung
Gewinnerzielung über dauerhafte Kundenbindung
Beziehung zu Stakeholder
Beziehungsmanagement Networking
Langfristige Sicherung der Unternehmensexistenz
Abb.1 Evolutionsstufen des Marketing
Uwe Manschwetus
1.1
29
Entwicklungsstufe 1: Produktverkauf
Die vier Stufen sind weniger als zeitlich klar definierte historische Epochen zu verstehen, sondern vielmehr als vorherrschende Denkrichtung. Gleichwohl kann eine gewisse zeitliche Einordnung vorgenommen werden. So entstand Marketing als Wissenschaft Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA aus der Beschäftigung mit Distributionsproblemen von Farmern. Dies kann als der Beginn der ersten Evolutionsstufe angesehen werden. Die ersten Lehrstühle, die sich mit Marketingaktivitäten beschäftigten, entstanden 1902 an der University of Michigan und 1906 an der Ohio State University. In der Beschreibung des Kurses „Distributive and Regulative Industries of the United States“ von E. D. JONES an der University of Michigan taucht der Begriff Marketing im Jahre 1902 erstmals auf: „This course will include a description of various methods of marketing goods, of the classification, grade, brands employed, and of wholesale and retail trade. Attention will also be given to those private organizations, not connected with money and banking, which guide and control the industrial process, such as trade associations, boards of trade and chambers of commerce, etc.“ (Bartels 1976, S. 22f.). Im Jahre 1916 erschien ein Buch, das Marketing im Titel führte: „The Marketing of Farm Products“ von L.D.H. WELD und 1917 veröffentlichte BUTLER sein Werk „Marketing Methods“. Damit hatte sich der Begriff in den USA durchgesetzt. In Deutschland mussten noch gut 50 Jahre verstreichen, ehe die Vokabel Anfang der 70er-Jahre Eingang in die Wissenschaft fand. Lange Zeit war man der Meinung, dass im Vergleich zum Begriff „Absatzwirtschaft“ oder „Absatzlehre“ nichts Neues mit der Vokabel „Marketing“ verbunden sei und man daher die deutsche Sprache vor einem weiteren Anglizismus verschonen könne. Das erste häufiger zitierte Buch mit Marketing im Titel wurde 1968 von PÜMPIN vorgelegt („Langfristige Marketingplanung – Konzeption und Formalisierung“). Im Jahre 1971 benannten die Autoren DICHTL, NIESCHLAG und HÖRSCHGEN ihr Lehrbuch „Einführung in die Lehre der Absatzwirtschaft“ in der vierten Auflage in „Marketing“ um. Der erste Lehrstuhl für Marketing in Deutschland wurde 1969 an der Universität Münster gegründet. Die erste wissenschaftliche Zeitschrift, die sich ausschließlich mit Marketingfragen beschäftigte, erschien sogar erst 1979 („Marketing, Zeitschrift für Forschung und Praxis“). Das Charakteristische der Marketingtheorie in der ersten Evolutionsstufe war ihre statische Sichtweise. Das Produkt war der Ausgangspunkt und es wurde ebenso wie die Nachfrage als gegeben angenommen. Die Aufgabe des Marketing bzw. der Absatzwirtschaft war es, die Nachfrage möglichst effizient abzudecken. Die Produkte sollten durch Werbung bekannt gemacht, über geeignete Vertriebswege zur Verfügung gestellt und zu einem Preis angeboten werden, der einen maximalen Gewinn pro Periode erlaubt. Dabei kamen durchaus Methoden des „Hard Selling“ zum Einsatz. Das Wecken von Bedürfnissen oder Marketing als strategische Unternehmensführung waren noch unbekannt.
30
1.2
Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
Entwicklungsstufe 2: Bedürfnisorientierung
Der Beginn der zweiten Entwicklungsstufe kann etwa ab Mitte der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts datiert werden. Die Wandlung des Marketing fand zunächst in den USA statt und war vor allem dadurch charakterisiert, dass Marketing zu einer Konzeption der Unternehmensführung wurde. Diese Entwicklung war ein Reflex auf die Tatsache sich entwickelnder Märkte. Da das Angebot schneller wuchs als die Nachfrage, entstanden so genannte Käufermärkte, die nach neuen situationsgerechten Verhaltensweisen verlangten. Während zuvor die Leistungserstellung im Vordergrund stand, deren Ergebnis es zu verkaufen galt, wurden dann die unternehmerischen Aktivitäten mit der neuen Sichtweise konsequent auf die Markterfordernisse ausgerichtet. Erst in den 1960er-Jahren im Gleichklang mit der Entwicklung zu Käufermärkten setzte sich auch in Deutschland ein theoretischer Paradigmenwechsel durch. Infolge der zunehmenden Bedeutung des „Engpasses Absatz“ in Zeiten eines immensen Warenangebotes wurde die strenge Ausrichtung aller unternehmerischer Aktivitäten auf die Markterfordernisse notwendig. Das „moderne“ Marketing ist, wie BIDLINGMAIER in seinem erstmals 1973 erschienenen Lehrwerk unterstreicht, nicht mehr ein funktionaler Teilbereich des Unternehmens, nicht mehr das Endglied im betrieblichen Leistungsprozess, sondern Marketing steht am Anfang des unternehmerischen Entscheidungsprozesses und verwandelt sich damit zu einer Konzeption der Unternehmensführung, was auch in seiner den Marketingdefinitionen zum Ausdruck kommt: „Marketing ist eine Konzeption der Unternehmensführung, bei der im Interesse der Erreichung der Unternehmensziele alle betrieblichen Aktivitäten konsequent auf die gegenwärtigen und künftigen Erfordernisse der Märkte ausgerichtet werden“ (Bidlingmaier 1983, S. 14). Das Unternehmen ist nach dieser Diktion durch eine möglichst optimale Befriedigung der Kundenwünsche konsequent vom Markt her zu führen. Daher sind die Nachfragerwünsche der Ausgangspunkt aller Überlegungen. Die neue Sichtweise impliziert auch, dass die Planung und Entwicklung neuer Produkte eine originäre Marketingaufgabe wird. Marketing ist somit mehr als Verkaufen und Werbung, es greift in das Produktionsprogramm und damit in das Innere des Unternehmens ein. Man erkannte, dass die Unternehmung sich als Einrichtung zur Befriedigung gegenwärtiger und künftiger Bedürfnisse der jetzigen und potenziellen Käufer verstehen sollte. Dazu muss zunächst ein Informationssystem eingerichtet werden, das die Unternehmensleitung laufend über Kundenwünsche und -verhaltensweisen, über Maßnahmen der Konkurrenz, aber auch über die Wirkung eigener marketingpolitischer Maßnahmen, über technologische, rechtliche und gesellschaftliche Trends unterrichtet. Diese Aufgabe erfolgt über die Marktforschung – sei es die betriebliche oder die institutionelle Marktforschung (Einschaltung eines externen Marktforschungsinstituts). Die Informationen von außen sind durch interne Sachverhalte (Ressourcen, Stärken und Schwächen, finanzielle Ausstattung usw.) zu ergänzen. Auf dieser Basis kann das Management dann seine strategischen Entscheidungen treffen.
Uwe Manschwetus
31
Eine weitere wichtige Entwicklung in dieser Ära ist der instrumentale Ansatz der vier P’s: Price, Product, Place, Promotion (Preis-, Produkt-, Distributions-, Kommunikationspolitik), der bis heute Grundlage vieler Lehrbücher des Marketing geblieben ist. Der Verdienst der Entwicklung dieser Sichtweise wird gemeinhin McCARTHY zugeschrieben, der in seinem Beitrag „Basic Marketing. A Managerial Approach“ (1960) die vier P’s formulierte. Doch bereits 1955 formulierte Erich GUTENBERG, der Begründer der funktionsorientierten Betriebswirtschaftslehre, in seinem Band „Absatz“ vergleichbare Kategorien. Er unterschied die vier absatzpolitischen Instrumente Absatzmethode (distributionspolitische Maßnahmen und Modalitäten der Kreditgewährung), Preispolitik, Werbung und Produktgestaltung.
1.3
Entwicklungsstufe 3: Relationship-Marketing
Die dritte Evolutionsstufe beginnt Anfang der 80er Jahre. Eine wichtige Initialzündung ging von einem Artikel von BERRY (1983) aus. BERRY und andere Verfechter6 des Beziehungsmarketing bezeichnen die bis dahin vorherrschende Denkrichtung als Transaktionsmarketing, welches sich durch die Maximierung einzelner Verkaufsabschlüsse und eine weitgehend undifferenzierte Marktbearbeitung auszeichnet. Dem wird das Beziehungsmarketing entgegengesetzt, das definiert ist als "aufeinander abgestimmte Gesamtheit der Grundsätze, Leitbilder, und Einzelmaßnahmen zur langfristigen zielgerichteten Selektion, Anbahnung, Steuerung und Kontrolle von Geschäftsbeziehungen" (Diller 1995, S. 286). Diese Definition stellt – im Gegensatz zum Paradigma des Transaktionsmarketing – nicht vornehmlich die Neukundengewinnung, sondern vielmehr den Aufbau, den Erhalt und den Ausbau von Kundenbeziehungen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Hinsichtlich der Steigerung der Profitabilität eines Unternehmens liegt die Annahme zu Grunde, dass sich diese nicht nur über die Gewinnung neuer Kunden, sondern insbesondere über die Steigerung der Rentabilität sowie über die Verlängerung der Lebensdauer (sog. Customer Life Time) einer bestehenden Kundenbeziehung erhöhen lässt. Bestätigt wurde diese Annahme durch Untersuchungen, die nachweisen konnten, dass die Kosten für die Pflege bestehender Kundenbeziehungen etwa fünf bis sieben mal niedriger sind, als jene Aufwendungen, die für die Gewinnung neuer Kunden aufgebracht werden müssen (vgl. Reichheld / Sasser, 1990, S. 105ff.). Beim Transaktionsmarketing enden die Marketingbemühungen mit dem Verkauf. Demgegenüber ist das Nachkaufmarketing, im Rahmen des Relationship-Marketing, immens wichtig für die Kundenbindung. Weiterhin ist die Qualität der Produkte und Prozesse des Anbieters von größter Bedeutung für zufriedene Kunden, denn schließlich – so eine bekannte Redewendung – sollen die Kunden und nicht die Produkte zurückkommen. Das Relationship-Marketing hat einen enormen Schub durch das Customer Relationship Marketing (CRM) erfahren. Der Deutsche Direktmarketingverband definiert das Konzept wie folgt:
6
Vgl. Clark / Peck / Christopher / Payne 2003, S. 31 und die dort zitierte Literatur.
32
Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
„CRM ist ein ganzheitlicher Ansatz zur Unternehmensführung. Er integriert und optimiert abteilungsübergreifend alle kundenbezogenen Prozesse in Marketing, Vertrieb, Kundendienst sowie Forschung & Entwicklung. Dies geschieht auf der Grundlage einer Datenbank mit einer entsprechenden Software zur Marktbearbeitung und anhand eines vorher definierten Verkaufsprozesses. Zielsetzung von CRM ist dabei die Schaffung von Mehrwerten auf Kunden- und Lieferantenseite im Rahmen von Geschäftsbeziehungen“ (Deutscher Direktmarketingverband DDV). Vor dem Hintergrund dieser Definition ist CRM zunächst Beziehungsmarketing auf der Basis von Softwarelösungen. Doch CRM ist mehr, denn die Technik ermöglicht einen umfangreichen Wandel des Unternehmens, bei dem sämtliche Unternehmensprozesse und Verantwortlichkeiten auf den Kunden gerichtet erfolgen. Jeder Kunde muss im Rahmen von CRM komplett abgebildet werden können, um damit eine differenzierte Kundenansprache zu ermöglichen. Dazu werden alle auf den Kunden bezogenen Daten zusammengeführt und der Marketing- und Kommunikationsmix darauf abgestellt. Die Individualisierung des einzelnen Kunden bedingt eine Differenzierung des Angebotes, sei es ein Produkt, eine Dienstleistung oder eine Kombination beider Leistungen, sowie eine differenzierte, individuelle, auf den Kunden abgestimmte Kommunikation. Weiterhin sollen alle relevanten Kundendaten jederzeit für diejenigen Mitarbeiter, die Kundenkontakt haben bzw. dem Kunden individuelle Leistungen anbieten, verfügbar sein. Sie müssen umfassend die bisherige UnternehmenKundenbeziehung widerspiegeln. Alle Daten seit Anfang der Beziehung – seien sie aus dem Marketing, Vertrieb, Service und Kundendienst – müssen entsprechend gesammelt, geordnet und ausgewertet in einer integrierten Datenbank vorliegen. Nur wenn diese Informationen abrufbar sind, ist es möglich, einerseits dem Kunden gegenüber ein einheitliches Bild darzustellen und andererseits auf seine individuellen Wünsche einzugehen Generalisierend ist festzuhalten, dass das Beziehungsmarketing (inkl. CRM) den bedeutendsten theoretischen Impuls der letzten Jahre darstellt. Zu diesem Resultat kamen auch ROTH und GMÜR (2004), die bei ihrer Analyse nordamerikanischer Marketingzeitschriften das Geschäftsbeziehungsmanagement als wichtigsten Themenschwerpunkt des letzten Jahrzehnts identifizierten. Ebenso ist in Deutschland seit den 90er Jahren ein Boom von Beiträgen mit einer beziehungsorientierten Sichtweise vorhanden, wie LEISCHNER (2004) in ihrer Inhaltsanalyse der Fachzeitschrift Marketing ZFP feststellt.
1.4
Entwicklungsstufe 4: Stakeholder-Ansatz
Die vierte Evolutionsstufe basiert auf der Erkenntnis, dass Unternehmen in einer komplexen Umwelt existieren und dabei mit zahlreichen Akteuren in Kontakt stehen. Dazu gehören neben den Kunden, die Absatzmittler, die Lieferanten, die Mitarbeiter, die Öffentlichkeit und verschiedene Anspruchsgruppen wie z.B. die Shareholder. Der Erfolg einer Organisation ist mithin auch davon abhängig, wie wirkungsvoll sie ihre Verbindungen und Austauschbeziehungen zu anderen Organisationen und Personen gestaltet und kann nicht nur auf die Kundenbeziehung reduziert werden. Diese Sichtweise soll für das Kulturmarketing ausformuliert
Uwe Manschwetus
33
werden (vgl. Kapitel 3). Zuvor sind jedoch die Besonderheiten des Kulturmarketing heraus zu arbeiten.
2
Zum Verhältnis von Kultur und Marketing
Das Verhältnis von Kultur und Marketing scheint sich derzeit zu wandeln. Zunehmend öffnet sich der Kulturbereich dem Marketing und viele Kulturunternehmen praktizieren erfolgreich Marketing. Doch die Liaison ist noch recht jung (Monografien7 zu diesem Thema existieren erst seit Mitte der 90er Jahre) und zudem nicht frei von Spannungen. Im Kultursektor scheint sogar bei vielen Personen ein tiefes Misstrauen, ja Ablehnung dem Marketing gegenüber zu herrschen. Woher stammen diese Aversionen? Die Gründe liegen zum einen in einer Reihe von fragwürdigen Annahmen, Ängsten und Missverständnissen. Zum anderen liegen aber auch berechtigte Sorgen vor. Eine Reihe von Dilemmas also, die im Folgenden erläutert werden.
2.1
Das Kundenwunschdilemma
Das Kundenwunschdilemma entspringt der Annahme, dass sich im Marketingsystem Produkte aus den Kundenwünschen determinieren. Es wurde bereits im vorherigen Kapitel thematisiert (Abschnitt 1.2), dass im Rahmen des heute vorherrschenden Marketingverständnisses Kundenwünsche mit Hilfe der Marktforschung erfasst, diese Erkenntnisse in Produkte transformiert und die Erzeugnisse wieder an den Markt zurück gegeben werden. Ausgangsund Endpunkt ist somit der Markt. Dies würde für den Kulturbereich bedeuten, dass nicht der künstlerische Selbstanspruch im Vordergrund stehen würde, sondern der jeweilige Publikumsgeschmack die künstlerische Produktion bestimmt. Die Vorstellung, dass Kunstwerke keine autonomen Produkte seien, mit einer unverwechselbaren aus ihrem eigenen Wesen entspringenden Form und Aussage, muss verständlicherweise für alle Kulturschaffenden, Kulturvermittler und Kulturpolitiker eine unangenehme Vorstellung sein: „Wie weit kann Kulturpolitik den Bedürfnissen der Menschen entgegen kommen, ohne sich den Vorwurf auszusetzen, nicht mehr anspruchsvoll und avantgardistisch zu sein und lediglich dem Publikumsgeschmack hinterherzulaufen?“ fragt z.B. SIEVERS (Sievers 2005, S. 48). Bei der Entwicklung des Kulturmarketing haben verschiedene Autoren8 dieses Problemfeld so gelöst, dass sie ein Marketingmodell vorstellen, welches vom Produkt ausgeht. Hierin wird sogar der wesentliche Unterschied zum herkömmlichen Marketing gesehen:
7
Das Kulturmarketing spielte im Rahmen des Non-Profit Marketing schon immer eine große Rolle. So z.B. im „Standardwerk“ des Non-Profit Marketing von Hasitschka / Hruschka 1982. Eines der ersten Bücher speziell zum Thema Kulturmarketing wurde von Benkert / Lenders / Vermeulen 1995 vorgelegt.
8
Vgl. zu diesem Themenkomplex: Colbert 1999, S. 11ff. ; Hirschmann 1983, Melillo 1983, Mokwa et al. 1980
34
Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
„The fundamental concept in traditional marketing – meeting the needs of the consumer – does not apply in high art. This is what distinguishes cultural marketing from traditional marketing (…). The artistic product does not exist to fulfil a market need. Its raison d’être is independent of the market, which is what makes it a particular marketing challenge. Instead of seeking to meet consumers’ needs by offering them a product they desire, the arts manager seeks consumers who are susceptible to the product’s appeal (…). This is a major conceptual difference between traditional marketing and arts marketing“ (Colbert 2002, o.S.). Grundsätzlich soll nicht in Frage gestellt werden, dass Kulturprodukte einen besonderen Stellenwert genießen9 , doch das Problem besteht in einem konzeptionellen Rückschritt des Marketing: Ausgangspunkt des Kundenwunschdilemmas ist die Annahme eines Marketingverständnisses (siehe Abbildung 1) der Ebene 2 (Ausgangspunkt Kundenwünsche), und die Antwort entspricht dem Marketingdenken der Evolutionsstufe 1, bei dem der Ausgangspunkt das Produkt ist, welches mit Hilfe des Marketing an die Adressaten vermittelt werden soll. Ein solches Vorhaben scheitert in der Praxis häufig, denn wenn für das Angebot keine Nachfrage10 oder allgemeiner kein Interesse vorhanden ist, wird es trotz aller kommunikationsoder preispolitischer Maßnahmen keine Beachtung finden. Die Marketinginterpretation wie sie im vorliegenden Text vertreten wird, lässt das Problem in einem anderen Licht erscheinen. Demnach sind die Beziehungen, hier zum Rezipienten des Kulturangebotes, der Ausgangspunkt. Die konkrete Gestaltung der Beziehungen kann aber ganz unterschiedliche Formen annehmen, die sich einzig und allein aus der Intention des Kulturanbieters ableiten. Ziele und Leitbilder sind daher von fundamentaler Bedeutung im Marketing11. Kommerziell orientierte Kultureinrichtungen oder Kultureinrichtungen, die sehr viele Menschen erreichen möchten, werden sich an den Kundenwünschen orientieren müssen, denn dies ist in der Regel der einzige Weg eine große Zahl zu erreichen. Absatzchancen sind gegeben, wenn eine Kongruenz zwischen dem kulturellen Leistungsangebot einerseits und den Kundenwünschen, -anforderungen und -bedürfnissen andererseits gegeben ist. Fehlt diese, so muss sich der Anbieter anpassen und nicht umgekehrt. Die Vorstellung, den Konsumenten mit Hilfe des Marketing verändern zu können, ist naiv und praxisfern. Die Absichten des Kulturanbieters und damit die Gestaltung der Beziehungen können aber auch ganz anderen Vorgaben folgen. So gibt es viele Kunstschaffende, die ihr Publikum mit Neuem konfrontieren wollen, die wachrütteln, aufklären, provozieren oder auch schockieren wollen. Hier kann man sich natürlich nicht in simpler Weise nach den Wünschen („was wollt ihr haben“) des Rezipienten richten. Doch auch hier wird sich das Gewünschte nur realisieren, wenn es auf ein Kulturbedürfnis stößt. Dieses Bedürfnis kann sich beispielsweise in dem Wunsch artikulieren von der Kultur Neues und Fremdes zu erfahren, den eigenen Horizont zu erweitern oder zum Nachdenken angeregt zu werden. Ein solches Kulturbedürfnis kann sich nicht ex ante in der Beschreibung konkreter Leistungsmerkmale eines Kulturangebotes niederschlagen. Was man nicht kennt, kann man auch nicht beschreiben. „Nichts, was das 9
Siehe hierzu den Beitrag „Produktpolitik“ von GEYER im vorliegenden Band.
10 11
Siehe hierzu den Beitrag „Kultur und Markt“ von MUNKWITZ im vorliegenden Band. Siehe hierzu den Beitrag „Strategieentwicklung für Kultureinrichtungen“ von CORDES im vorliegenden Band
Uwe Manschwetus
35
Kunstwerk zu bieten hat, war vorher auf dem Markt; also konnte es auch keine Nachfrage danach geben“ (Muschg 2003, zitiert nach Klein 2005, S. 387). Dies mag richtig sein, doch anders als MUSCHG dies annimmt, ist diese Aussage auch für Bereiche des „normalen“ Wirtschaftslebens gültig. Auch hier kommen ständig neue Produkte auf dem Markt, die der Kunde vorher nicht kannte. Bei diesen Innovationen konnte man nicht die Wünsche erfragen, weil der potentielle Kunde sie für das ihm Unbekannte nicht artikulieren konnten. Marketing hat also sowohl im Kultursektor als auch in anderen Bereichen immer auch ein antizipatives Element und kann nicht nur auf reaktives Vorgehen reduziert werden Zusammenfassend kann das Kundenwunschdilemma so aufgelöst werden, dass nach der hier vertretenen Marketingsicht die Kundenwünsche nicht zwingend der Ausgangspunkt des Marketing sein müssen. Ausgangspunkt ist vielmehr die Beziehung zum Rezipienten. Die Ausgestaltung dieser Beziehung hängt wiederum von den Zielen des Marketinganwenders ab und kann sowohl produkt- als auch besucherorientiert sein.
2.2
Das Dilemma der großen Zahl
Das Dilemma der großen Zahl entspringt einer Missinterpretation des Marketinggedankens. Marketing wird dabei unterstellt, immer im Sinne eines Massenmarketing zu funktionieren. Da dem Massenpublikum ein trivialer Kunstgeschmack unterstellt wird, würde Marketing zur Verflachung der Kultur führen. Diese Sichtweise ist aber gar nicht zwingend durch das Marketing vorgegeben, sondern die Zielgruppen werden im Rahmen der Strategiebildung durch den Marketinganwender definiert. Dabei kann die Zielgruppe nach beliebigen Kriterien (z.B. demografische, soziokulturelle oder geografische Aspekte) gebildet werden12. Für MEFFERT ist dieser Segmentierungsaspekt einer von acht charakteristischen Merkmalen des Marketing (vgl. Meffert 1986, S. 32). Im Rahmen einer solchen Marktsegmentierung werden verschiedene Gruppen gebildet, die dann im Rahmen des differenzierten Marketing angesprochen werden. Es ist natürlich nicht zwingend, dass alle identifizierten Segmente bedient werden. Beispielsweise können sozio-kulturelle Zentren mit einer Fokussierung auf ganz bestimmte Anspruchsgruppen (vgl. Steck 1995) genauso Marketing betreiben, wie ein Boulevard-Theater, das eher versucht den populären Geschmack abzudecken. Im Ergebnis definiert sich Marketing wiederum aus den Zielen und der Positionierung, die sich der Kulturbetrieb selber gibt.
2.3
Das Dilemma der McDonaldisierung
Die dritte Quelle der Skepsis leitet sich aus einer Kritik an der Kulturindustrie ab und wurde bereits von HORKHEIMER und ADORNO beschrieben (vgl. Horkheimer / Adorno 1969).
12
Siehe hierzu den Beitrag „Nachfragetypologien“ von GEYER im vorliegenden Band
36
Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
Ausgangspunkt ist wiederum das Wesen eines an sich autonomen – nur dem künstlerischen Selbstausdruck entspringenden – Kunstwerkes oder kulturellen Leistungsangebotes, welche sich angeblich einer ökonomischen Bewertung entziehen13. „Hier (im Kunst- und Kulturbereich) steht das Produkt, gleichgültig ob es schön, hässlich, und querliegend, phantasievoll, erotisch oder kitschig ist, im Zentrum. Die mit dem Werk verbundenen Werte sind nicht notwendigerweise ökonomisch bestimmt“. Doch die Kulturindustrie macht den Kritikern zufolge aus der Kunst eine Ware und führt sie dem kapitalistischen Verwertungsinteresse zu. In der neueren Variante wird diese Beurteilung mit einer Globalisierungskritik verbunden und als McDonaldisierung der Kultur bezeichnet (vgl. Kirchberg 2000). Demnach werden Produkte, für die eigentlich kein Tauschwert vorhanden ist, suggestiv mit Marketingmethoden an den Konsumenten gebracht. Die Anbieter erzielen dieser Denkweise gemäß ihren Profit nicht mehr aus den Fortschritten in der Produktion, sondern aus den Fortschritten des Marketing (vgl. ebd., S. 121). „McDonaldisierung in der Postmoderne ist ein rationalisierter Massenkonsum von Symbolen, deren Vergegenständlichung (Nützlichkeit als Gebrauchswert) nicht mehr bestimmend für die Kaufentscheidung ist“ (ebd., S. 121). „Werbestrategien ersetzen Produktentwicklungen“ (ebd., S. 122). Das Marketing könnte nun polemisch überspitzt als der finstere Stern aus diesem Reich des Bösen angesehen werden, der die Kultur deformiert, um sie geeignet für den Konsum durch das Massenpublikum zu machen. Und wenn das Produkt nicht passt, wird es passend gemacht. Ein bekanntes (aber eben falsches) Bonmot zur Folge ist Marketing, wenn man Hühnern die Füße platt klopft und sie als Enten verkauft. Mit Blick auf die Kulturkritik von HORKHEIMER / ADORNO bemerkt KLEIN: „Von daher wird jedwede Form von Marketing als dem Kunstwerk nahezu wesensfremd abgelehnt“ (Klein 2005, S. 389). Nicht ohne Grund wurde in den 60er Jahren diskutiert, ob es vor dem Hintergrund eines möglicherweise antagonistischen Verhältnisses von Kunst und Werbung ein Werbeverbot für Theater geben solle (vgl. Delmas 1968). Es ist hier nicht der Ort auf die Kulturkritik und die McDonaldisierung der Gesellschaft einzugehen, dazu ist im Rahmen dieses Textes kein Platz, doch ist eine aus diesen Einwendungen abgeleiteten Verteufelung des Marketing strikt abzulehnen. Selbst wenn die vorgestellte Kritik eine Berechtigung hätte, so wäre nicht das Marketing verantwortlich zu machen, sondern gesellschaftliche Entwicklungsprozesse. Marketing ist weder gut noch böse, sondern ein wertneutrales Instrument, eine Art Sozialtechnik, die für gute aber natürlich auch für schlechte Zwecke eingesetzt werden kann.
13
Natürlich kann man auch Kunst einer ökonomischen Analyse unterziehen und mittlerweile ist die Fachrichtung der Kunstökonomik eine anerkannte wissenschaftliche Disziplin. Ein Rückblick in die Historie zeigt, dass Künstler von jeher auch in ökonomischen Kategorien dachten. So kam Luca della Robbia (ein für seine Terrakotta-Arbeiten berühmter Künstler) zu dem Werkstoff Terrakotta, weil die vorher verwandten Materialien (Bronze und Marmor) zu teuer waren und somit zuwenig Gewinn übrig ließen (vgl. Pommerehene / Frey 1993, S. 13). Künstler haben, so wie Produzenten anderer Güter und Dienstleistungen auch, ihre wirtschaftlichen Interessen vertreten. So ist bekannt, dass viele Impressionisten ihre gesamten Bilder bestimmten Galerien exklusiv zur Verfügung stellten, um möglichst gute Verträge aushandeln zu können. Ein anderes Beispiel ist die Lyriker-Gruppe um Detlev von Liliencron und Hugo von Hoffmannsthal, die eine Art Kartell bildeten, um zu verhindern, dass ihre Arbeiten ohne Zahlung eines Honorars in Anthologien nachgedruckt werden (vgl. ebd., S. 14). Die häufig kolportierte These einer „ökonomiefreien“ Kulturzone hat somit gewisse Züge einer Sozialromantik.
Uwe Manschwetus
2.4
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Das Dilemma des störenden Kunden
Bedingungen in manchen Einrichtungen wie z.B. besucherunfreundliche Öffnungszeiten, schlechter Service und mangelndes Engagement bei der Kulturvermittlung lassen den Verdacht aufkommen, dass man vielerorts gar nicht beabsichtigt ein größeres Publikum zu erreichen. Insbesondere in Museen traditioneller Ausrichtung, die sich eher als wissenschaftliche Einrichtung verstehen, kann man auf diese Einstellung treffen. Hier stört der Kunde. Er wird als eine potentielle Gefahrenquelle angesehen, vor denen die Ausstellungsobjekte geschützt werden müssen und lenkt von der eigentlichen Aufgabe des Museums - dem Sammeln, Bewahren und Forschen - ab. Hinzu kommt, dass höhere Besucherzahlen häufig keinen wirtschaftlichen Vorteil bedeuten. Insbesondere in Kontinentaleuropa gelten viele Kulturangebote als meritorische Güter, bei denen der Staat die entstehenden Defizite finanziert. Würde nun ein effektives Marketing zu vermehrten Einnahmen aus steigenden EintrittskartenVerkäufen oder Mehreinnahmen aus Merchandising führen, so würden im Rahmen der kameralistischen Haushaltsführung die Mittelzuweisungen gekürzt. Da somit der ökonomische Anreiz fehlt, Mittel zu erwirtschaften, ist auch die Neigung Marketing wirklich professionell und zielstrebig anzuwenden, gering. Diese Praxis und Interpretation kultureller Aufgaben scheint aber derzeit auf dem Rückzug zu sein. Es ist im Gegenteil ein steigendes theoretisches Interesse aber auch ein wachsender praktischer Einsatz des Kulturmarketing zu verzeichnen. Ein Grund sind neue Finanzierungsmodelle und der Rückzug der Kameralistik. In wachsendem Maße geben Bund, Länder und Gemeinden die unmittelbare Trägerschaftsverantwortung an Kultureinrichtungen ab. Hierbei werden neue Trägerschaftsmodelle favorisiert. So wird ein Wechsel der Rechtsform vollzogen und die Kultureinrichtungen werden aus der Verwaltung heraus gelöst und als zivilgesellschaftliche Institutionen (in der Regel Stiftungen, Vereine) geführt. Häufig sind hiermit mehr Freiheitsgrade verbunden und die Herauslösung aus dem kameralistischen System, schafft Anreize Einnahmen zu erwirtschaften. In diesem Fahrwasser gewinnt Marketing an Bedeutung. Die Hoffnung der öffentlichen Hand, dass mit diesen Maßnahmen die Mittelszuwendungen sinken, hat sich allerdings nicht bewahrheitet (vgl. Council of Europe 2006). Ein weiterer Grund für die offenere Einstellung dem Marketing gegenüber ist im Generationswandel zu sehen. Die jüngere Generation ist Fragen moderner Marketing- und Managementmethoden gegenüber wesentlich aufgeschlossener als die 68er Generation. Der Wandel des Marketing, wie er auch im vorliegenden Text beschrieben wird, unterstützt diesen Prozess. Es wird zunehmend deutlich, dass diese Methode nicht zu einer Aufgabe künstlerischer Ansprüche führen muss und von jeder Organisation angewandt werden kann. Mehr noch: Marketing ist nicht nur für die einzelne Kultureinrichtung wichtig, sondern kann auch in einem übergeordneten Sinn im Dienste der Kultur wirken: „Das Knowhow des Marketings für populäre Veranstaltungen kann uns vieles lehren für die Aufmerksamkeitsmaschinerie, die wir auch für schwierige Kulturereignisse auswerfen müssen. Mögliche Interessenten zu locken ist eine wichtige Aufgabe, denn ohne Publikum können keine künstlerischen Prozesse aktiviert werden und kann keine öffentliche Debatte entstehen“ (Weiss 1999, S. 75).
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Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
3
Modellkonturen eines holistischen Kulturmarketing
3.1
Grundsätzliche Überlegungen
Der hier vorgestellte Ansatz interpretiert Marketing als Management zur Gestaltung von Austauschbeziehungen. Einige generelle Erläuterungen und Begriffsexplikationen sollen diese Sichtweise konkretisieren. Der Begriff Management weist dem Marketing eine Führungsaufgabe zu. Es geht eben nicht nur um operative Aufgaben wie die Durchführung von Werbemaßnahmen, sondern Marketing hat zwingend eine strategische Perspektive (vgl. Cordes / Manschwetus 2000). Vor diesem Hintergrund ist auch der Begriff der Gestaltung zu sehen, mit dem eine Führungsaufgabe angesprochen wird. Das Objekt der Gestaltung ist die Beziehung zu den Marktpartnern. Eine solche Beziehung entsteht als Folge von Kontakten zwischen dem Kulturanbieter und seinen Zielgruppen. Aufgrund dieser Beziehungsorientierung wird Marketing zum Relationship Marketing, das nach BRUHN definiert ist durch sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle, die der Initiierung, Stabilisierung, Intensivierung und Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen zu den Anspruchsgruppen – insbesondere den Kunden – des Unternehmens dienen, mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens (vgl. Bruhn 2001, S. 9). Im Unterschied zu BRUHN soll hier allerdings nicht der Begriff der „Geschäftsbeziehung“ verwandt werden, da er im Kontext des Kulturmarketing nicht passend erscheint. Stattdessen wird von Austauschbeziehung gesprochen. Damit soll ausgedrückt werden, dass nur Beziehungen, die auf dem Austauschprinzip basieren, betrachtet werden. Ein wesentliches Element des Austausches ist die Freiwilligkeit (vgl. Kotler / Bliemel 1995, S. 11). Es werden also nur Beziehungen berücksichtigt, die unter Marktbedingungen zustande kommen, denn hier vollzieht sich der Austausch. "Ein Markt ist eine klar abgrenzbare Gruppe von Personen und/oder Organisationen mit Ressourcen, die diese gegen bestimmte andere Güter gegenwärtig oder in der Zukunft tauschen wollen" (Kotler 1978, S. 23). Dabei haben die Personen die Wahl, mit wem sie tauschen wollen. Im vorliegenden Kontext können die potentiellen Kulturnutzer aus einem reichhaltigen Angebot zur Freizeitgestaltung auswählen. Ein einzelner Kulturanbieter befindet sich also sowohl in Konkurrenz zu anderen Kulturbetrieben als auch zu Sportveranstaltern oder sonstigen „Zeitverwendungsangeboten“. Aus den obigen Erläuterungen zu Austauschbeziehungen folgt, dass Beziehungen, die in hierarchischen Ordnungssystemen existieren, nicht Bestandteil des Marketingmodells sein können. Ein Beispiel hierfür wäre die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen in einer Armee. Alle anderen Beziehungen14 aber, die ein Marketinganwender - im vorlie14
Das Beziehungsmarketing wird von anderen Autoren wesentlich enger gefasst. So spricht DILLER von Beziehungsmarketing wenn lediglich die Kundenbeziehung gemeint ist, wohingegen das Beziehungsmanagement sich auch auf Beziehungen zu Wettbewerbern, anderen Institutionen oder auf unternehmensinterne Beziehungen erstreckt. Damit stellt das Beziehungsmarketing eine Unterkategorie des Beziehungsmanagements dar (vgl. Diller 1995, S. 442).
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genden Kontext also der Kulturanbieter - zu den verschiedensten Anspruchsgruppen unterhalten kann, werden erfasst. Diese Sichtweise geht auf das von KOTLER entwickelte „Generic Concept of Marketing“ zurück“. Er plädiert für eine sehr weite Begriffsbestimmung, bei der Marketing nicht mehr ausschließlich auf die Kunden von Institutionen fokussiert ist, sondern die Gestaltung sämtlicher sozialer Austauschprozesse zum Gegenstand hat: "Marketing is specifically concerned with how transactions are created, stimulated, facilitated, and valued. This is the generic concept of marketing" (Kotler 1972, S. 49). Die Marketingerweiterung die KOTLER hiermit angeregt hat, bezieht sich auf folgende Bereiche: 1. Es ist nicht mehr ausschließlich von Institutionen die Rede. Marketingträger können im Generic Concept auch Personen sein. Im Kulturmarketing also z.B. der einzelne Künstler. 2. Adressaten des Marketing sind nicht nur die Kunden, sondern verschiedene Personen / Organisationen im Umfeld der Institution wie z.B. Lieferanten, Kapitalgeber, potentielle Mitarbeiter. 3. Die Austauschprozesse müssen nicht nur mit externen Zielgruppen stattfinden, sondern können auch innerhalb der Institution lokalisiert sein (internes Marketing). 4. Die Tauschgegenstände in der Transaktion müssen nicht Wirtschaftsgüter sein. Alles was aus der Sicht des Partners einen Wert hat, kann in den Transaktionsprozess eingehen: z.B. Mitleid, Anerkennung, Solidarität, Zeitwidmung. Aus dem Austausch, der Transaktion oder allgemein dem Kontakt zwischen den Marktpartnern entstehen also Beziehungen, die zu gestalten sind. Der Aufbau und die Pflege von Beziehungen ist kein Selbstzweck, sondern dient der Erreichung der Organisationsziele. Beziehungen können jedoch nur Bestand haben, wenn alle beteiligten Seiten einen Nutzen daraus ziehen (vgl. Rapp 2003, S. 64). Daher ist die Herstellung einer Balance des Nutzens zwischen den Marktpartnern eine implizite Aufgabe des Marketing. Aus wohlverstandenem eigenem Interesse muss der Kulturanbieter also permanent die Frage beantworten, welchen Nutzen der Markpartner aus der Beziehung zieht, um eine Bindung und Loyalität zu erreichen. Im Ergebnis wird es jedoch sehr unterschiedliche Beziehungsniveaus geben, die noch zu beschreiben sind (siehe Gliederungspunkt 3.4). Ein Beziehungsniveau determiniert sich jedoch nicht allein aus den Verhaltensweisen und Strukturen der Marktpartner, sondern wird durch Umfeldbedingungen (vgl. Gliederungspunkt 3.5) beeinflusst. Damit sind alle Modellelemente identifiziert, die in den folgenden Ausführungen vorgestellt werden.
3.2
Die Beziehungspartner
Ausgangspunkt aller Überlegungen sind diejenigen Organisationen und Personen, die Marketing anwenden. Sie sollen hier als Marketingakteure bezeichnet werden. Konkret können dies Kulturbetriebe (z.B. Museen, Theater), freiberufliche Künstler oder auch Organisationen der Kulturvermittlung sein. Organisationen und Personen die als Zielgruppen (z.B. Publi-
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Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
kum, Sponsoren) für das Marketing in Frage kommen, werden hier Marketingadressaten genannt (vgl. Abbildung 2).
Marketingakteur
Marketingadressat
z.B. Kulturproduzent
z.B. Kulturkonsument
Organisationale und personale Merkmale
Organisationale und personale Merkmale
Abb.2 Beziehungspartner
Marketingakteure Die konkrete Ausgestaltung des Marketing hängt von einer Reihe personaler und organisationaler Bedingungen der Marketinganwender ab. Beziehungen werden von Menschen gestaltet. So ist es nahe liegend, die persönlichen Eigenschaften der Marketingtreibenden als entscheidende Einflussvariable auf die Gestaltung der Beziehung anzusehen. Hierzu gehören demografische Aspekte (z.B. Alter, Geschlecht), Einstellungen (z.B. dem Marketing gegenüber), kognitive (z.B. Wissen über Werbetechniken) und emotionale Aspekte (z.B. Empathie). Die Bedeutung dieser persönlichen Merkmale auf die Gestaltung von Geschäftsbeziehungen und damit auch auf wirtschaftlichen Erfolg, wird insbesondere in Bereichen wo der persönliche Vertrieb (z.B. bei Industriegütern) eine große Rolle spielt, besonders betont (vgl. Schulze 2002). Für diese Bereiche sind zahlreiche empirische Studien mit diesem Forschungshintergrund durchgeführt worden. Gleichzeitig erfolgte mit der Ausformulierung der Interaktionstheorien auch eine systematische Analyse und Beschreibung. (vgl. Backhaus 1997, S. 114 und die dort zitierte Literatur). Insbesondere das Modell der IMP-Group (Industrial Marketing and Purchasing Group) integriert die organisationalen und personalen Merkmale in ihrem Ansatz. Derartig große Studien und ausformulierte Modelle liegen für den Kulturbereich nicht vor; doch erste Forschungsansätze sind auch hier zu verzeichnen. So haben CONWAY und WHITELOCK das Beziehungsmarketing von sechs Theatern im Nord-Westen Englands untersucht. Dabei stellten sie fest, dass das Relationship-Marketing stark personalisiert ist und vor allem von der Person des Intendanten (artistic director) getragen wird. Dagegen waren die kaufmännisch Verantwortlichen kaum in die Beziehungsgestaltung einbezogen. Da die Intendanten ganz unterschiedliche Persönlichkeiten waren, gestaltete sich das Beziehungsmarketing auch sehr differenziert (vgl. Conway / Whitelock 2003). Die zweite Einflusskomponente auf Seiten der Marketingakteure sind organisationsbezogene Faktoren. Hierzu gehören u.a. interne Aufbau und Ablaufstrukturen, verfügbare Ressourcen, eingesetzte Technologien und bevorzugte Strategien. All diese Strukturen wirken auf das Marketing ein. Deutlich wird dies z.B. an den so genannten organisationszentrierten versus besucherzentrierten Kultureinrichtungen (vgl. Klein 2001, S. 64ff.). Bei den organisa-
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tionszentrierten Einrichtungen steht das eigene Produktangebot zulasten der Besucherorientierung im Vordergrund. Solche Kulturanbieter sehen ihre Angebote per se als wünschensund erhaltenswert an. Die Kenntnis und Erforschung der Besucherwünsche wird vernachlässigt. Marketing kommt nur in rudimentärer Form vor und ist auf Werbung reduziert. Andere Verhältnisse herrschen bei der besucherorientierten Kultureinrichtung. Hier wird von den Wünschen und Bedürfnissen der Besucher her gedacht. Auf der Basis einer permanenten und systematischen Besucherforschung wird Kulturmarketing als ganzheitliches Organisationsprinzip gelebt. Eine solche Denkhaltung ist für viele Kulturbetriebe Neuland. Eine derartige Philosophie erfordert eine stärkere prozessorientierte Ausrichtung des Marketing. Gefordert ist daher eine konsequente markt- und kundenorientierte Neustrukturierung der Prozesse. Dieser Vorgang wird auch als Reengineering bezeichnet15. Dazu ist eine Einbeziehung aller an den Marktleistungen mitwirkenden Mitarbeiter in ein ganzheitliches Marketingkonzept, eine stärkere Kopplung von strategischen und operativen Planungsprozessen sowie eine Verknüpfung von Produkt- und Kundendenken im Beziehungsmanagement (Organisations- und Implementierungsaspekt) erforderlich. Dieser konsequente Blick nach innen ist eine Dimension, die im klassischen Marketing bisher relativ wenig Aufmerksamkeit erfuhr. Die Veränderungen der Aufbau- und Ablauforganisation müssen mit einer Weiterentwicklung der Unternehmenskultur verbunden werden. Im Rahmen des geplanten Wandels in Organisationen ist daher neben der Vermittlung fachlicher Kompetenz vor allem auf Sensitivität, Kreativität, Kommunikationsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein auf allen Ebenen zu achten. Während es bei früheren Entwicklungsstufen des Marketing (vgl. Gliederungspunkt 1) möglich war, die Verantwortung für die Durchführung des Absatzes an eine Marketingabteilung zu delegieren, ist dies im Relationship-Marketing nicht möglich. Das Beziehungsmarketing tangiert viele Funktionsbereiche und wird daher weniger im Verantwortungsbereich einzelner Abteilungen liegen können. Diese Erkenntnisse spiegeln sich auch in empirischen Untersuchungen wider. So fand in Großbritannien eine umfangreiche Studie im Museumssektor statt, um zu klären, wie es Kultureinrichtungen gelang, ihr Publikum auszuweiten und mehr Besucher zu erreichen. Demnach lag das Erfolgsgeheimnis weniger in nach außen gerichteten Maßnahmen zur Besucheransprache, sondern ist im Inneren der Organisation zu finden. „Successful organisations model internally what they wish to express externally“(Smyth 2004, S. 13). Dabei sind das Verhalten der Führungskräfte, das Organisationssystem und die Unternehmenskultur und –ethik von zentraler Bedeutung (vgl. ebd., S.13) Zu den organisationsbezogenen Faktoren gehören nicht nur Strukturen und Organisationsformen, sondern auch Äußerlichkeiten, wie z.B. das Gebäude oder die Ausstattung der Kultureinrichtung. Sie sind ebenfalls ein Bestimmungsfaktor in der Beziehung zwischen Kultureinrichtung und den Zielgruppen. So ist bei Museen beispielsweise die Architektur ein wichtiger Attraktivitätsfaktor, der maßgeblich (in Einzelfällen sogar mehr als die eigentliche Ausstellung) Besucher anzieht (vgl. Kotler 2003, S. 8). Aus einer beziehungstheoretischen 15
Siehe hierzu den Beitrag „Business Process Reeingineering“ von WESTERMANN im vorliegenden Band
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Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
Sicht, lässt sich die Inanspruchnahme eines Kulturangebotes also nicht monokausal durch das pure Angebot und seinen Preis erklären, sondern es hängt von einem komplexen Nutzenbündel für den Nachfrager ab. Die Nutzenwerte können mit der Conjoint-Analyse identifiziert werden, was vereinzelt im Kulturbereich auch schon geschehen ist (vgl. Bauer / Huber / Keller 1999). Marketingadressaten Die Adressaten des Marketing können überaus vielfältige Organisationen und Personen sein. Jeder, der in irgendeiner Weise in eine Austauschbeziehung mit dem Kulturanbieter tritt oder treten kann, kommt in Frage: Besucher, Sponsoren, Mitarbeiter, Medien, Gewerkschaften, Fördervereine usw. Diese Stakeholder lassen sich nach KLEIN fünf Gruppen zuordnen: 1. Input-Gruppen stellen der Organisation Ressourcen wie Geld, Zeit und Arbeit zur Verfügung (z.B. Lieferanten, Fördervereine). 2. Regulierende Organe legen Verhaltensregeln fest und üben Einfluss auf deren Durchsetzung aus (z.B. Städte und Länder als Träger, Verbände und Organisationen im Kulturbereich wie der Deutsche Bühnenverein). 3. Interne Gruppen sind für die Leistungserstellung zuständig (z.B.: Künstler, Verwaltungsmitarbeiter). 4. Übermittlergruppen helfen bei der Verbreitung des Angebotes (z.B.: Abonnenten und Besucherorganisationen). 5. Abnehmergruppen fragen das Angebot nach oder haben ein Interesse daran (z.B. Besucher, Medien, Sponsoren) (vgl. Klein 2001, S. 16f.). Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis gelangen CONWAY und WHITELOCK bei ihrer Analyse der Beziehungen im Theatersektor: 1. “Supplier Partners: Relationship between the artistic director (who represents the theatre) and those who provide its goods and services/ financial resources. Parties that perform this role are: Central and Local Government (goods and services and funding), Commercial Enterprises ( goods and services and funding through sponsorship and philanthropy), Audiences ( direct funding through the box office) 2. Lateral Partners: Relationship between the artistic director and those who regulate the theatre’s activities (either formally or informally). Parties that perform this function are: Funding Bodies, Commercial Enterprises, Audiences Competitors, The Media Internal Staff. 3. Internal Partners: Relationship between the artistic director and those who are employed by the theatre. Parties that perform this role are: Artists, Managers, Employees 4. Buyer Partners: Relationship between the artistic director and those who purchase/use its services. Parties that perform this role are: Present Audience (Direct Relationship), Internal Staff (Direct Relationship), Commercial Enterprises (Indirect through Corporate Hospitality), Local Community (Indirect), Intermediaries (Indirect)” (Conway / Whitlock 2003, S. 19).
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Einige wichtige Stakeholder-Gruppen wie das Publikum, Sponsoren und Mäzene werden in einzelnen Beiträgen in diesem Buch näher beschrieben16. Grundsätzlich bringen auch die Marketingadressaten ebenso wie die Marketingakteure organisationale und personale Merkmale in die Austauschbeziehungen ein. Damit stellt sich die Frage, wie gut die Austauschpartner zusammen passen. Im Industriegüterbereich ist diese Frage durch zahlreiche Studien beantwortet: Je ähnlicher sich die Partner in Bezug auf ihr Rollenverständnis, ihre Werte, Normen, Ansichten und demografischen Merkmalen sind, umso besser für die Geschäftsbeziehung (vgl. Backhaus 1997, S. 118). Ob diese Matching-Hypothese auch im Kulturbereich gültig ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden und müsste durch entsprechende Forschungen geklärt werden.
3.3
Die Austauschbeziehungen
Zwischen Marketingakteuren und deren Adressaten17 kommt es zu Austauschbeziehungen, die sich durch Güter-, Dienstleistungs-, Geld- und Informationsströme auszeichnen. Aber auch Zeit oder Aufmerksamkeit kann in die Transaktion eingehen. Dabei werden die Informationsströme separat von den übrigen Tauschinhalten (Ressourcen) behandelt. Die Begründung ist in der besonderen Bedeutung der Informationen für die Gestaltung von Beziehungen zu sehen. Weiterhin spielen Informationen im Marketing generell eine herausragende Bedeutung. Man denke etwa an die Informationen, die über die Werbung oder die Öffentlichkeitsarbeit an die Märkte gegeben werden oder die Informationen, die über die Marktforschung von den Marktpartnern gesammelt werden. Je nachdem ob die Tauschvorgänge in dialogartiger Weise interdependent sind oder nicht, werden Beziehung nach Typ 1 oder 2 unterschieden (vgl. Abbildung 3).
16 17
Siehe zu diesem Themenkomplex Kapitel 2 und 5 in diesem Band.
Hinweis: Im weiteren Text werden bei Beispielen oder Erläuterungen häufig die Kunden oder das Publikum angeführt. Dies ist auch gerechtfertigt, da diese Gruppe im Marketingsystem eine dominierende Stellung einnimmt. Grundsätzlich jedoch, können die Ausführungen auf alle Anspruchsgruppen (siehe Abschnitt 3.2.2) übertragen werden.
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Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
Kommunikationstyp 2
Informationen
senden
empfangen Kommunikationstyp 1
Marketingakteur
Marketingadressat
z.B. Kulturproduzent
z.B. Kulturkonsument
Organisationale und personale Merkmale
erhalten
Organisationale und personale Merkmale
Transaktionstyp 2
geben
Ressourcen Transaktionstyp 1
Abb.3 Austausch von Informationen und Ressourcen
Austausch von Informationen Informationen sind der Urstoff auf dem im Marketing und speziell im Beziehungsmarketing alles aufbaut. Informationen haben eine enorme Bedeutung, weil sie die Grundlage für Entscheidungen sind. So können besucherorientierte Kultureinrichtungen aufgrund der Informationen über die Wünsche und Vorlieben des Publikums ihr Leistungsangebot gestalten und die Besucher entscheiden sich aufgrund der ihnen vorliegenden Informationen für oder gegen den Besuch einer Kultureinrichtung. Dabei ist der Begriff der Information sehr schwierig zu definieren. Einige Autoren sind der Auffassung, aufgrund der Komplexität des Informationsbegriffes sei eine allgemeingültige Definition nicht möglich (vgl. Schellmann 1997, S. 7). „Die Versuche Information zu definieren sind Legion“ (Fischer 1999, S. 17). Es soll daher hier kein weiterer Versuch gestartet werden. Es soll der Hinweise genügen, dass sich der Informationsbegriff vom lateinischen: informare ( = bilden, eine Form geben) ableitet und somit als eine Art Muster oder Struktur angesehen werden kann, welche den Zustand eines Betrachters (z.B. sein Wissen) verändern kann. Im Marketing ist über diese kognitive Ebene (Wissen, Wissensverarbeitung) die emotionale Komponente von großer Bedeutung. In den Köpfen der Menschen entstehen konsistente Vorstellungen / Bilder von Produkte und Anbietern, die als Marken bezeichnet werden können. Im Rahmen der Markenführung versuchen die Anbieter diesen Prozess systematisch zu steuern und zu gestalten18.
18
Siehe hierzu den Beitrag „Aspekte der Markenführung“ von MANSCHWETUS im vorliegenden Band.
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Informationen können Zeichen, Bilder, Töne, Gerüche und anderes mehr sein. Da Informationen empfangen werden müssen, sind im Marketing insbesondere diejenigen Informationsarten von Bedeutung, die mit den menschlichen Sinnesorganen wahrnehmbar sind (Sehen, Hören, Riechen, Fühlen, Geschmack). Im modernen Marketing ist die multisensuale Informationsvermittlung ein aktuelles Thema (vgl. Fösken 2006). Dabei gilt es die Frage zu beantworten, welche Informationsarten welche Wirkungen haben und wie sie wirkungsvoll kombiniert werden können. So würde ein Museum, das in einem alten Gebäude residiert, dunkle Ausstellungsräume hat und muffig riecht19, allein auf diesem Wege den Besucher Informationen geben, die zu einer bestimmten Einstellung gegenüber der Einrichtung führen. Aus der Sicht des Marketingakteurs können Informationen gesendet und empfangen werden. Dieser Austausch von Informationen wird Kommunikation genannt (vgl. Vergossen 2004, S. 18). Im vorliegenden Kontext ist die Kultureinrichtung der Sender, der über einen Übertragungskanal (Medien) eine Aussage an einen Empfänger, den Rezipienten (Marketingadressat) sendet. Dieser kann reagieren und ebenfalls eine Botschaft senden, die vom Marketingakteur empfangen wird. Die Botschaften müssen codiert und decodiert20 werden (vgl. ebd. S. 18f.). Der Marketinganwender kann hierzu Texte, Bilder, Musik oder Symbole benutzen. Das Senden von Informationen ist im Marketing ein systematischer und planvoller Prozess, der als Kommunikationspolitik bezeichnet wird und eine Reihe von Instrumenten (z.B. Werbung, Public Relation) umfasst. Grundsätzlich sind mit der Kommunikationspolitik Absichten verbunden (vgl. ebd., S. 20). So möchte man … • die Zielgruppen z.B. über Eintrittspreise, Öffnungszeiten informieren (Informationsfunktion) • Einstellungen, Präferenzen und Markenbewusstsein bilden (Beeinflussungsfunktion) • kognitive Dissonanzen nach dem Kauf des Produktes / der Dienstleistung abbauen (Bestätigungsfunktion) • sich gegenüber den Wettbewerbern profilieren (Wettbewerbsgerichtete Funktion) • die Zielgruppen unterhalten oder Wertesysteme beeinflussen (Sozial- und gesellschaftlich orientierte Funktion) Die klassische Kommunikationspolitik gerät heute immer mehr an ihre Grenzen. Der Grund besteht in einem „Bombardement“ der Zielgruppen mit Informationen in der modernen Mediengesellschaft. Für den einzelnen Absender wird es immer schwieriger, sich Gehör bei den Zielgruppen zu verschaffen, da die Summe aller gesendeten Informationen aller Akteure ein 19
Auch die olfaktorischen Informationen können natürlich beeinflusst und gesteuert werden. Dies ist die Domäne des Duftmarketing (vgl. Knoblich / Schubert 1995). 20
Insbesondere bei der Entzifferung von Botschaften können Störungen auftreten. In der Marketingpraxis sind einige Fälle von Fehlcodierungen bekannt, die besonders häufig bei fremdsprachigen Botschaften vorkommen. So kam in einer Untersuchung über Englisch-sprachige Claims in Deutschland heraus, dass der Slogan der Parfümeriekette Douglas „Come in and find out“ (Komm herein und entdecke) von vielen Kunden mit „Komm herein und finde wieder heraus“ übersetzt wurde. Auch die Botschaft „Lebendiges Fahren“ von Mitsubishi wurde von vielen nicht korrekt decodiert, denn sie interpretierten „Drive Alive“ als „Fahre lebend“ oder „Die Fahrt überleben. (vgl. Endmark 2003, S. 9)
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Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
so genanntes Rauschen erzeugt. Dies ist im Kulturbereich ebenso der Fall wie in anderen Wirtschaftssektoren. Die Diskussion im Kultursektor führt folglich auch zu ähnlichen Konsequenzen wie beispielsweise im klassischen Konsumgütermarketing: Mehr Bilder statt Schrift (Bilder sind schneller zu erfassen und wirken emotionaler), Aufbau von Marken, ungewöhnliche Aktionen um Aufmerksamkeit zu erzielen und anderes mehr (vgl. AMA 2003). In diesem Zusammenhang ist auf einen weiteren Sachverhalt hinzuweisen. Es ist empirisch belegt, dass aufgrund der Reizüberflutung und des unüberschaubaren Leistungsund Warenangebotes die persönliche Empfehlung von Freunden und Bekannten immer wichtiger wird (vgl. Kasriel 2003, S. 13). Bereits Ende der 40er Jahre führte LAZARFELD die Unterscheidung von ein- und mehrstufiger Kommunikation ein (vgl. Lazarfeld 1949). Insbesondere wenn die zwischengeschalteten Kommunikatoren als Meinungsführer angesehen werden, ist diese Kommunikationsform besonders effizient. Für die Kultureinrichtungen bedeutet dies eine Überprüfung der Mittelallokation. Wichtiger als aufwändige Anzeigen, Broschüren, Plakate oder andere Formen der Massenkommunikation ist es, möglichst viel Energie darauf zu verwenden, die Besucher zufrieden zu stellen oder besser noch sie zu begeistern (= Übererfüllung von Erwartungen). Denn nur dadurch kann man erreichen, dass das kulturelle Angebot weiter empfohlen wird und so eine Mund-zu-Mund Propaganda in Gang gesetzt wird. Aus der Sicht des Marketingakteurs ist das Empfangen von Informationen der Marktpartner häufig eine Reaktion auf die gesendeten eigenen Botschaften. Die angesprochenen Personen reagieren und senden ihrerseits Botschaften bzw. nehmen Kontakt auf (z.B. Anruf bei der Theaterkasse). Technologien wie das Internet erleichtern die Kontaktaufnahme und führen häufig dazu, dass der Impuls zur Kontaktaufnahme vom Kunden ausgeht21. Die zielgerichtete Sammlung und Aufbereitung von Informationen ist Aufgabe der Marktforschung. Die erhaltenen Informationen dienen dazu… • Risiken frühzeitig zu erkennen (Frühwarnfunktion) • Chancen aufzudecken und umzusetzen (Innovationsfunktion) • einen willensbildenden Prozess im Management zu unterstützen (Intelligenzverstärkerfunktion) • die Entscheidungsfindung auf eine bessere Basis zu stellen (Unsicherheitsreduktionsfunktion) • Zielvorgaben besser formulieren zu können (Strukturierungsfunktion) • wichtige von unwichtigen Informationen zu trennen (Selektionsfunktion) (vgl. Meffert 1995, S. 93) Das Empfangen und Senden von Informationen kann entweder im Sinne einer One-Way Kommunikation erfolgen oder aber als eine Interaktion, in welcher das Senden und Empfangen von Informationen interdependent ist und so ein Dialog entsteht. Für diese Unterscheidung werden hier die Begriffe Kommunikationstyp 1 und 2 eingeführt.
21
Siehe hierzu den Beitrag „Internetbasierte Kommunikationskonzepte“ von HORST im vorliegenden Band
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Der Kommunikationstyp 1 hat vor allem im klassischen Massenmarketing traditioneller Prägung eine hohe Bedeutung. Die Märkte mit anonymen Kunden werden über Massenmedien angesprochen. Man kommuniziert in den Markt hinein und erwartet vom einzelnen Rezipienten nicht unbedingt eine Antwort auf die gesendete Botschaft. Die herkömmliche Fernsehwerbung, Anzeigen in Printmedien oder Plakate an Litfasssäulen gehören zu dieser Gattung. Auch im hier diskutierten Beziehungsmarketing wird man auf diese Art der Kommunikation nicht verzichten können, denn die Marketingadressaten müssen beispielsweise über neue Angebote informiert werden. Ebenso für die Erzeugung von Wiedererkennung und die Erhöhung der Bekanntheit im Rahmen des Brandingprozesses wird diese Art der Kommunikation von Nöten sein. Der Kommunikationstyp 2 spielt im Beziehungsmarketing eine unverzichtbare Rolle, denn Beziehungen bedürfen des Dialoges. Nur im direkten Kontakt, indem Informationen in einem unmittelbaren Sinne ausgetauscht werden, können Beziehungen gedeihen und wachsen. Der Dialog kann verschiedenen Formen wie Face-to-Face (Gespräch, Diskussionsrunden) oder Voice-to-Voice (Telefon) zugeordnet werden. Die technischen Fortschritte, insbesondere das Internet, ermöglichen auch einen schriftlichen Dialog in Echtzeit (Chatten). Die Möglichkeiten und Chancen, die mit dem Kommunikationstyp 2 verbunden sind, werden zunehmend erkannt und unter dem Schlagwort „Dialogmarketing“ diskutiert (vgl. Thunig 2006). Für große Unternehmen bietet es sich an, diesen Dialog mit Hilfe spezieller dafür entwickelter Software und Datenbanken zu bewerkstelligen. Die meisten Kultureinrichtungen werden auch ohne diese technischen Hilfsmittel in der Lage sein, diesen Prozess systematisch zu betreiben. Alle Formen in denen ein Dialog möglich ist, kommen dazu in Betracht: Tag der offenen Tür, Diskussionsrunden, Messebeteiligung, Chat im Internet, Telefonate, Schriftverkehr usw.. Einzelne Kultureinrichtungen führen diesen Prozess bereits mit hoher Professionalität und Effizienz durch. Als Vorbild kann das Seattle Art Museum dienen (vgl. SAM 2005). Austausch von Ressourcen Eine Ressource ist ein Hilfsmittel oder eine Hilfsquelle (lat. resurgere, „hervorquellen“) zur Lösung einer bestimmten Aufgabe. Darunter kann Geld, Rohstoffe, Energie, Arbeit, Boden u.a.m. subsumiert werden. Alle Organisationen und Personen, die etwas produzieren wollen, brauchen Ressourcen. So benötigt ein Theater u.a. Schauspieler und Requisiten und ein Bildhauer Werkzeuge und Material, um durch die schöpferische Verwendung der Ressourcen Kunstwerke zu schaffen. In diesem Sinne sind Kulturproduzenten ebenso wie Betriebe aus anderen Bereichen „Umwandlungsanlagen für Ressourcen“ (vgl. Kotler 1978, S. 5). Organisationen beschaffen sich Ressourcen, wandeln diese in nützliche Produkte um und geben sie in Form von Gegenständen, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder Ideen an die Marktpartner ab. Grundsätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten der Ressourcenbeschaffung. Eine Möglichkeit ist die Eigenproduktion. Angenommen ein Theater benötigt ein Bühnenbild, so kann es dieses selbst herstellen (Eigenproduktion). Eine weitere Möglichkeit der Ressourcenbeschaffung ist der Zwang, d.h. die Ausübung von legitimer oder illegitimer Macht (vgl. Kotler / Bliemel 1995, S. 11). Auch diese Form kommt im Kultursektor zum Tragen. Öffentlich finanzierte oder subventionierte Kultureinrichtungen erhalten vom Staat Mittelzuweisungen, die dieser über zwangsweise erhobene Steuern finanziert (legitime Macht). Auch Schulklas-
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Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
sen, die im Rahmen des Unterrichts (Schulpflicht) Museen besuchen, sind ein Beispiel in diesem Kontext. Kriminelle Organisationen wie die Mafia, decken ihren Ressourcenbedarf teilweise durch die Ausübung von illegitimer Macht, wie z.B. Schutzgelderpressung. Eigenproduktion und Zwang als Weg zur Ressourcenbeschaffung sind nicht Gegenstand des Marketing, weil innerhalb dieses Theoriegebäudes nur Austauschbeziehung auf freiwilliger Basis betrachtet werden (Souveränitätsprinzip, siehe unten). Die Ressourcenbeschaffung auf Basis des Austausches kann auch Transaktion genannt werden. Die klassische Form des Tausches, d.h. das Geben von Ressourcen, um im Gegenzug andere Ressourcen zu erhalten, soll hier als Transaktionstyp 1 bezeichnet werden. In den modernen Gesellschaften vollzieht sich diese Transaktionsform über Geld. Ein Beispiel wäre der Verkauf eines Gemäldes durch den Künstler. Damit eine Transaktion zustande kommen kann, sind verschiedene Voraussetzungen notwendig. Zunächst einmal muss es tauschbereite Akteure geben. Der Initiator der Tauschaktion ist dabei auf eine bestimmte Verhaltensreaktion aus. In der Regel besteht die Absicht in der Gewinnung eines allgemein gültigen Tauschgutes (Geld). Damit eine Transaktion erfolgen kann, muss das Tauschobjekt von Wert für beide Partner sein. Außerdem sind die Freiwilligkeit des Tausches sowie die Fähigkeit zur Kommunikation und zur Übertragung des Tauschobjektes zu nennen. Insgesamt ist ein Austauschprozess durch drei Prinzipien determiniert (vgl. Schneider1993, S. 41 und die dort zitierte Literatur): 1. • • •
Gratifikationsprinzip Es wird die Zielbezogenheit menschlichen Handelns vorausgesetzt. Die Steuerung erfolgt durch Präferenzen und Verhaltensfolge-Erwartungen. Es liegen Tauschobjekte von wechselseitigem Interesse vor.
2. Interaktionsprinzip • Es herrscht eine Aufgeschlossenheit und kommunikative Kompetenz für den Austausch vor. • Es gibt mindestens zwei Parteien. 3. Souveränitätsprinzip • Der Austausch basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit autonomer Parteien. Das Bestehen und der Erfolg einer Organisation hängt von ihrer Fähigkeit ab, sich die entsprechend benötigten Ressourcen von den Ressourceneignern zu beschaffen. Sie ist damit von Organisation und Gruppen abhängig, die über die gewünschten Ressourcen verfügen. Eine Ressourcen suchende Organisation wird sich bemühen aktiv auf vorhandene Abhängigkeiten zu reagieren, um ihre eigene Überlebensfähigkeit zu sichern. Aus diesem Grund ist sie gut beraten, eine enge Zusammenarbeit mit den Ressourceneignern aufzubauen. Dies tun viele Kulturbetriebe auch sehr professionell z.B. den Sponsoren gegenüber. Sponsoring ist ein typisches Geschäft auf Gegenseitigkeit. Der Sponsor ist hier der Ressourceneigner (Geld), dessen Ressource sich der Kulturbetrieb aneignen möchte, in dem im Gegenzug der Sponsor genannt wird.
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Je nachdem mit wem die Transaktion stattfindet, können ganz verschieden Ressourcen getauscht werden. Von originärem Interesse ist im Marketing die Transaktion Leistungsangebot (Produkt) gegen Geld. Doch wie lässt sich das Zustandekommen einer solchen Transaktion konkret erklären? Im Marketing ist gewöhnlich das Bedürfnis der Menschen der Ausgangspunkt. Bedürfnisse sind in der menschlichen Natur verankert und können fünf Kategorien zugeordnet werden: Existenz, Sicherheit, Soziale Bedürfnisse, Anerkennung, Selbstverwirklichung (vgl. Maslow 1970). Im Kulturbereich sind vor allem soziale Bedürfnisse, Anerkennung und Selbstverwirklichung als Triebfeder für das Zustandekommen von Transaktionen von Bedeutung. Der empfundene Mangel an Zufriedenstellung ist Auslöser für das Eingehen einer Transaktion. Die Produkte und Leistungsangebote können als Problemlösungsangebot interpretiert werden. Da die materiellen oder immateriellen Produkte (Dienstleistungen) Wünsche oder Bedürfnisse befriedigen, haben sie für den Verwender einen Nutzen. Nutzen ist die Einschätzung des Leistungsverwenders bezüglich der Fähigkeit des Produktes zur Bedürfnisbefriedigung. Wünsche können in diesem Kontext, als das Verlangen einer nach einer konkreten Bedürfnisbefriedigung interpretiert werden. Die Nachfrage ist der Wunsch nach spezifischen Produkten begleitet von der Fähigkeit und der Bereitschaft zum Kauf (vgl. Kotler / Bliemel 1995, S. 10). So könnte beispielsweise bei einer Person der Besuch der Bayreuther Wagnerfestspiele durch das Bedürfnis nach Anerkennung motiviert sein. „Sehen und gesehen werden“ lautet in diesem Fall das Motto. Der Kulturbesuch wird zum Statussymbol. Bei einer anderen Person kann der Besuch derselben Veranstaltung aber aufgrund ganz anderer Motive erfolgen oder die Person kann sich die Eintrittskarte nicht leisten (Nachfrage realisiert sich nicht). Daher sind die Determinanten Bedürfnisse, Wünsche und Nachfrage nicht generell zu bestimmen, sondern realisieren sich in der konkreten Transaktion zwischen Marketingakteur und Marketingadressat in Abhängigkeit von den beiderseitigen personalen und organisationalen Merkmalen. Letzteres ist naturgemäß nur von Bedeutung, wenn es sich beim Marketingadressaten um eine Organisation (z.B. Bank als Sponsor) handelt (siehe Abbildung 3). Im Kultursektor gibt es einige empirische Untersuchungen, die spezifizieren, welche persönlichen Merkmale Kulturbesuche fördern. So belegen Studien, dass Bildungsniveau und Kulturkonsum – und zwar sowohl mit Hochkultur als auch mit populärer Kultur - positiv korrelieren (vgl. Keuchel 2005, S. 121). Eine weitere Erkenntnis ist die soziale Dimension von Kulturbesuchen. Kultur wird in der Gruppe – im Freundeskreis oder mit der Familie – konsumiert (vgl. Schäfer 2005, S. 397f.). Idealerweise sollten also die organisationalen Merkmale der Kultureinrichtung (Marketingakteur) mit diesen personalen Merkmalen der Besucher (Marketingadressat) übereinstimmen. Große Londoner Museen wie das Natural History Museum oder das Science Museum realisieren dies in der Museumsgestaltung perfekt bis hin zu der Möglichkeit, mitgebrachte Speisen und Getränke in dafür vorgesehenen Picknick Bereichen zu verzerren. So haben auch nicht so finanzkräftige Familien gute Rahmenbedingungen für einen Museumsbesuch. Neben dem zuvor diskutieren Austauschprinzip können die Ressourcen aber auch in einem einseitigen Akt des Gebens oder Nehmens übertragen werden. Diese Form soll als Transaktionstyp 2 bezeichnet werden. Die Transaktion hat den Charakter des Schenkens. In gewisser Weise liegt weiterhin ein Tausch vor, denn der Beschenkte erhält auch eine „Gegenleistung“ wie z.B. Dankbarkeit (vgl. Kotler / Bliemel 1995, S. 11). Jedoch werden keine Res-
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Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
sourcen getauscht, so dass hier im strengen Sinne keine „Geschäfte auf Gegenseitigkeit“ vorliegen. Aus der Sicht der Kulturbetriebe als Marketingakteure kann das Geben (Schenken) von Ressourcen ohne Gegenleistung z.B. in Form von kostenlosen Musikstücken zum Download im Internet oder in Form von Kulturangeboten ohne Eintritt bestehen. So verlangen die oben erwähnten Londoner Museen keinen Eintritt. Das kostenlose Abgeben von Leistung erfolgt meistens nicht absichtslos, sondern kann eine wichtige Maßnahme in der Marketingstrategie sein. Im Falle der Londoner Museen steckt die Absicht dahinter, möglichst viele Menschen zum Kulturkonsum zu bewegen. Der britische Staat handelt nach der Maxime „ Was von allen bezahlt wird über Steuergelder, soll auch von allen genutzt werden22“ (vgl. Mandel 2005). Das kostenlose Downloadangebot von Musikstücken könnte in der Absicht geschehen, die Kundenbindung zu vertiefen oder den eigenen Bekanntheitsgrad zu steigern. Ein prominentes Beispiel für das Erhalten von Ressourcen im Kulturbereich ist das Mäzenatentum. Im Gegensatz zum Sponsoring liegt hier keine Transaktion auf Gegenseitigkeit vor. Mäzene unterstützen Kultur ohne eine Gegenleistung zu erwarten. In diesem Abschnitt wurden die Modellelemente der Ressourcen- und Informationsübertragung beschrieben. In dem nächsten Schritt wird berücksichtigt, dass dieser Austausch auf Basis einer Historie zwischen den Marktpartnern stattfindet, die sich aus der Abfolge von Kontakten ergibt. Es entsteht eine Beziehung, deren Quantität und Qualität Gegenstand der folgenden Überlegungen ist.
3.4
Das Beziehungsniveau
Auf Basis der Austauschbeziehungen zwischen Marketingakteur und –adressat entsteht ein Beziehungsniveau zwischen den Marktpartnern, das seinerseits die Kommunikation und den Ressourcenaustausch beeinflusst (vgl. Abbildung 4). Der Kulturanbieter wird in der Regel daran interessiert sein, eine stabile und langfristige Beziehung beispielsweise zu seinem Publikum oder den Sponsoren aufzubauen. Jedoch werden nicht alle Beziehungen das gleiche Niveau haben. Ein Theater könnte beispielsweise ein treues Stammpublikum haben und gleichzeitig Besucher, die nur gelegentlich oder vielleicht sogar nur einmalig eine Vorstellung besuchen. Um ein wirkungsvolles Marketing betreiben zu können, ist eine differenzierte Betrachtung des Beziehungsniveaus von großer Wichtigkeit, denn hierdurch wird die Mög-
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Im Vergleich zu Deutschland wird das Ziel einer möglichst umfassenden gesellschaftlichen Teilhabe in Großbritannien wesentlich stringenter, engagierter und professioneller betrieben. Das Arts of Council ist für die Umsetzung zuständig und hat eine Reihe von Maßnahmen im Rahmen des Audience Development Programmes entwickelt, bei denen z.B auch die ethnischen Hintergründe oder demografische Variablen wie das Alter mit berücksichtigt wird (vgl. Arts Council England 2004). Generell spielt in diesen Programmen das Marketing eine herausragende Rolle. Einen Überblick über das Programm vermittelt die Broschüre New audiences for the arts. The New Audiences Programme 1998-2003 (vgl. Johnson 2004).
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lichkeit einer „Kundenqualifizierung“ geschaffen, d.h. die Einteilung der Kunden in Gruppen nach ihrer Bedeutung (Kundensegmentierung). In den folgenden Darlegungen wird ausgeführt, dass sich das Beziehungsniveau aus einer quantitativen und einer qualitativen Komponente zusammensetzt. Beziehungsniveau Kommunikationstyp 2 senden
Informationen
empfangen Kommunikationstyp 1
Marketingakteur
Marketingadressat
z.B. Kulturproduzent
z.B. Kulturkonsument
Organisationale und personale Merkmale
erhalten
Organisationale und personale Merkmale
Transaktionstyp 2
geben
Ressourcen Transaktionstyp 1
Abb.4 Beziehungsniveau
Beziehungsquantität Eine Beziehung kann nur aufgebaut werden, wenn die Beziehungspartner wiederholt mit einander in Kontakt treten und miteinander kommunizieren oder Ressourcen austauschen. Jede Kontaktepisode wird von der Erfahrung aus der vorausgegangenen und den Erwartungen an die künftige Kontaktepisode bestimmt. Eine Beziehung hat also notwendigerweise immer eine quantitative Dimension, die auch gemessen werden kann. Eine Galerie könnte beispielsweise den Umsatz, die Häufigkeit des Galeriebesuches, die Dauer der Beziehung oder die Anzahl der Homepagebesuche für einzelne Kunden ermitteln. Insbesondere der Umsatz wird in der Praxis häufig verwandt, um so genannte A-, B- oder C-Kunden zu identifizieren. Ein derartiges Vorgehen dient dazu, den Kundenwert (Customer Value) zu ermitteln. Damit wird der vom Anbieter wahrgenommene und bewertete Beitrag eines Kunden zur Erreichung der monetären und nicht monetären Ziele des Anbieters verstanden (Gelbrich 2001, S. 5). So wichtig der quantitative Aspekt auch sein mag, er kann jedoch nicht alleine für ein Beziehungsniveau verantwortlich gemacht werden. Hinzu kommen emotionale bzw. psychologische Komponenten wie Loyalität, Vertrauen, Verbundenheit, Zufriedenheit, Sym-
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Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
pathie und anderes mehr, die die Beziehung in erheblichem Maße beeinflussen und die Beziehungsqualität bestimmen. Beziehungsqualität Die Beziehungsqualität kann als ein Meta-Konstrukt begriffen werden, welches sich aus drei Elementen zusammensetzt (vgl. Henning- Thurau / Bornemann 2003, S. 113): • Zufriedenheit • Vertrauen • Commitment Diese drei Dimensionen sind nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig und korrelieren positiv miteinander. Eine hohe Zufriedenheit geht also mit einem hohen Vertrauen und Commitment einher. Die Zufriedenheit der Kunden oder anderer Anspruchsgruppen ergibt sich aus einem SollIst-Vergleich von tatsächlicher Erfahrung bei der Inanspruchnahme einer Leistung (IstLeistung) mit einem Vergleichsstandard des Kunden. Damit ist das so genannte C/DParadigma (Confirmation/Disconfirmation-Paradigm) angesprochen (vgl. Homburg 2003, S. 19). Entspricht die wahrgenommene Leistung dem Vergleichsstandard spricht man von Konfirmation (Bestätigung). Die exakte Übereinstimmung von Soll und Ist wird als Konfirmationsniveau der Zufriedenheit bezeichnet. Im Falle einer positiven Diskonfirmation übertrifft die Ist-Leistung die Erwartungen und das Zufriedenheitsniveau liegt über dem Konfirmationsniveau. Der Kunde wäre dann mehr als zufrieden, er wäre begeistert. Im Gegensatz dazu resultiert eine negative Diskonfirmation aus einer zur geringen Ist-Leistung im Vergleich zu der Soll-Leistung, was zu einer Unzufriedenheit des Kunden führt (vgl. ebd., S. 20). Ebenso wie die Zufriedenheit ist das Vertrauen eine wertende Haltung gegenüber dem Kulturanbieter bzw. seinem Leistungsangebot und resultiert aus der Erwartung des Marktpartners in Gegenwart und Zukunft vorteilhaft behandelt zu werden. Werden die vertrauensbezogenen Erwartungen erfüllt, so stabilisiert oder erhöht sich das Vertrauen in die Beziehung. Vertrauen äußert sich auch in der Bereitschaft ohne Prüfung die Leistungsangebote anzunehmen (vgl. Bruhn 2001, S. 69). Mit Commitment in einer Marktbeziehung wird die Bereitschaft der Partner verstanden, trotz kurzfristig attraktiv erscheinender Alternativen „zur Beziehung zu stehen“, weil für sie nicht die einmalige Transaktion, sondern das Ergebnis aus einer Vielzahl vergangener und zukünftiger Austauschvorgänge als Wertmaßstab gilt. Diese Verpflichtung schränkt die Wahlfreiheit und die Anzahl der Handlungsmöglichkeiten des Marketingadressaten ein. Er wird dies in Kauf nehmen, solange der Beziehungspartner seinerseits Commitment zeigt. Damit entsteht eine belastbare Form der Kundentreue (Stahl 2000, S. 51). Commitment kann somit als tragfähige Kundenloyalität verstanden werden, die aus einer inneren Verpflichtung oder Verbundenheit mit einem Leistungsangebot, einer Person oder einer Organisation entsteht. Um Commitment zu erzeugen bedarf es Vertrauen und Zufriedenheit.
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Beziehungsmatrix Kombiniert man die Beziehungsqualität und –quantität in einer Matrix und teilt beide Dimensionen in „hoch“ und „niedrig„ ein, so ergeben sich vier unterschiedliche Beziehungslevels (vgl. Abbildung 5). Wie in einer guten Ehe ist beim Typ A sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht ein hohes Niveau vorhanden. Dies wäre als der Idealzustand zwischen einem Kulturanbieter und seinen Marktpartnern zu verstehen. Das folgende Beispiel illustriert, wie verbunden eine Person mit einer Kultureinrichtung sein kann:
hoch niedrig
Beziehungsqualität
„A story I heard illustrated this. Several years ago on a visit to the Minneapolis Institute of Arts, I met an older woman who expressed her love of the museum. She visited the museum actively as a young and older adult, then was asked to become a member, and then was asked to be a docent and conduct tours. This woman said to me: “This is my home away from home…when I die, I will leave my estate to the museum.” This is a wonderful story because the museum helped make this individual active and happy and, in return, the individual will give the museum her estate” (Kotler 2003, S. 10).
TYP B
TYP A
„intensive Liebschaft“
„gute Ehe“
TYP D
TYP C
„gescheiterte Beziehung“
„schlechte Ehe“
niedrig
hoch
Beziehungsquantität Abb.5 Beziehungsmatrix
Eine derartige Verbundenheit einer Person mit einem Dienstleistungsanbieter aus dem rein kommerziellen Bereich (z.B. eine Bank oder eine Versicherungsgesellschaft) gegenüber, wäre kaum vorstellbar. Abgesehen vom Sport gibt es wohl kaum einen anderen sozio-
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ökonomischen Bereich, in dem die Möglichkeit hoch emotionale und von ausgeprägter Loyalität geprägte Beziehungen aufzubauen, so gut sind, wie im Kulturbereich. Der Kulturanbieter kann durch ein entsprechendes Verhalten den Aufbau solcher hochwertiger Beziehungen fördern. Dazu gehört die Einhaltung folgender Prinzipien: eine langfristige Orientierung, Gegenseitigkeit, Zuverlässigkeit, offene Kommunikation, Flexibilität, Solidarität, gütliche Konfliktlösung und Verzicht auf Druckmittel (vgl. Ivens 2002, S. 16) Im Rahmen des Typs B ist ebenfalls hohes Vertrauen, Zufriedenheit und Commitment vorhanden, doch die Beziehungsquantität ist nicht sehr hoch. Dies kann verschiedene Gründe haben. Da Kulturangebote häufig Dienstleistungen sind und selbige nicht transportiert werden können, muss der Kulturkonsument zum Kulturanbieter kommen und dies kann aufgrund räumlicher Entfernung vielleicht nicht immer realisiert werden. Ein weiterer Grund der niedrigen Beziehungsquantität könnte in einem begrenzten Zeitfenster zu sehen sein. Die Beziehung zwischen Kulturanbieter und den Zielgruppen hätte somit einen projektartigen Charakter. Die Arbeit des Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, Sir Simon Rattle, und des Choreographen R. Maldoom, mit Jugendlichen verschiedener Nationalität wäre ein Beispiel für eine solche „intensive Liebschaft“. Das vorbildhafte Projekt ist in dem Kinofilm „Rhythm is it“ dokumentiert. Beide Seiten arbeiteten während des Projektes intensiv zusammen, so dass eine enge Beziehung entstehen konnte. Wie in einer schlechten Ehe bei der man sich zwar täglich sieht, aber die emotionalen Komponenten verkümmert sind, ist Typ C durch eine hohe Quantität bei gleichzeitigem Fehlen der Qualitätskomponente gekennzeichnet. Ein regelmäßiger Theaterbesucher in einer Kleinstadt, der die Einrichtung nur aufgrund fehlender Alternativen aufsucht, wäre ein solcher Fall. Aufgrund des kaum vorhandenen Commitments sind solche Beziehungen permanent von einer Beendigung bedroht. Die Beziehung vom Typ D ist schließlich die schlechteste aller Varianten. Hier hat der Kulturanbieter unzufriedene Kunden, die nur gelegentlich das Leistungsangebot in Anspruch nehmen.
3.5
Die Umfeldbedingungen
Die bisherigen Modellelemente resultieren allein aus dem Zusammenwirken zwischen Marketingakteur und Marketingadressat. Für die daraus abgeleiteten Beziehungen müssen aber die Umfeldbedingungen als weiterer Einflussfaktor mit berücksichtigt werden (vgl. Abbildung 6). Hierzu zählen alle natürlichen, kulturellen, ökonomischen, sozialen, politischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Insbesondere die gesellschaftlichen Bedingungen determinieren die Kulturproduktion und damit natürlich auch die Beziehungen zwischen Kulturschaffenden und seinen Zielgruppen. Beispielsweise unterliegen in diktatorischen Regimen die Inhalte einer Zensur. Ein anderes Beispiel sind wechselnde kulturelle Strömungen oder bedeutende Künstler, die einen Einfluss auf andere Kulturschaffende oder den Publikumsgeschmack haben. In dem vorliegenden Marketingmodell wurde außerdem auf die Bedeutung der personalen Merkmale der Akteure für die Ausgestaltung der Beziehungen hingewiesen. Diese personalen Merkmale resultieren teilweise aus der Sozialisation der einzelnen Person. Der Sozialisationsprozess wird wiederum von den Umfeldbedingungen beeinflusst. Insge-
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samt muss den Umfeldbedingungen somit ein großer Einfluss auf die Beziehungen und das Beziehungsniveau bescheinigt werden (vgl. Rapp 2003, S. 66).
Umfeldbedingungen
Beziehungsniveau Kommunikationstyp 2 senden
Informationen
empfangen Kommunikationstyp 1
Marketingakteur
Marketingadressat
z.B. Kulturproduzent
z.B. Kulturkonsument
Organisationale und personale Merkmale
erhalten
Organisationale und personale Merkmale
Transaktionstyp 2
geben
Ressourcen Transaktionstyp 1
Abb.6 Komplettes Modell mit Umfeldbedingungen
Aus der Sicht der Marketingakteure im Kulturbereich ist ihr Verhältnis zu den Umfeldbedingungen interdependent. Wie dargestellt beeinflussen zwar die Umfeldbedingungen die Kulturproduktion, doch das Wirken der Künstler beeinflusst und gestaltet auch die gesellschaftlichen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die ökonomische Relevanz der Kultur wird auch von der Europäischen Kommission gewürdigt: „So ist die Europäische Kommission der Auffassung, dass Kultur nicht nur eine zusätzliche Kosten verursachende öffentliche Ausgabe ist, sondern auch einen immer größeren Anteil an der privaten Wirtschaft ausmacht, wo sie über ein großes Wachstumspotential verfügt und Elemente wie Kreativität, Innovation und Produktion einbringt, was wiederum vorteilhaft für die Wirtschaft auf regionaler und lokaler Ebene ist.” (Europäische Kommission, 1999., S. 1). Über den ökonomischen Aspekt hinaus wirkt die Kultur in mannigfacher Weise in die Gesellschaft hinein. So ist sie mit verantwortlich für ein „geistiges Klima“ in einer Gesellschaft, sie ist wichtiger Bestandteil der Lebensqualität der Bürger und bietet durch die Pflege des
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Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing
kulturellen Erbes Identifikationsmöglichkeiten für die Mitglieder einer Kulturgemeinschaft. All dies erklärt den besonderen gesellschaftlichen Stellenwert der Kultur.
4
Fazit und Ausblick
Im vorliegenden Text wurde ein Modell für Kulturmarketing vorgestellt, das einen holistischen und nachhaltigen Ansatz verfolgt. Die Kernaufgabe des Marketing wird in der Gestaltung von Beziehungen gesehen. Innerhalb von Beziehungen finden Austauschvorgänge statt. Die Gestaltungsaufgabe bestimmt sich durch die Ziele des Marketinganwenders. Erfolg kann als das Erreichen der Ziele definiert werden. Hierfür sind aber nicht nur die Beziehungen zu den Abnehmern des Leistungsangebotes (Kunden, Publikum), sondern zu vielen anderen Bezugsgruppen zu gestalten. Damit ist Marketing nicht nur ein operativer Ansatz, sondern eine umfassende Managementfunktion. Daher erscheint auch das Attribut „holistisch“ gerechtfertigt. Beziehungen entwickeln sich und können ein bestimmtes Beziehungsniveau erreichen. Schließlich wurde auf die Bedeutung der Umfeldbedingungen und ihren interdependenten Charakter hingewiesen. Das Modell wurde im Hinblick auf die Kultur entwickelt, könnte aber auch auf andere Bereiche, speziell den Dienstleistungsbereich angewendet werden. Es stellt einen Rahmen dar, der zu weiteren und vertiefenden Analysen herausfordert. Beispiel: Welche Faktoren sind im konkreten Einzelfall (z.B. ein Theater) dafür verantwortlich, dass Vertrauen, Zufriedenheit und Commitment entstehen kann? Welche Rolle spielt dabei die Kulturerfahrung im Kindesalter und die Sozialisation? Abschließend seien einige generelle Implikationen genannt, die sich aus dem Ansatz ergeben: 1. Stärkere Betonung einer ganzheitlichen Denkweise statt eines bereichs- oder funktionalen Marketing 2. Langfristige Orientierung statt kurzfristiger Maximierungsabsichten 3. Gewichtsverlagerung von ausschließlich absatzbezogenen Aktivitäten hin zu Maßnahmen der Beziehungspflege 4. Hervorhebung des Dialogmarketing statt Einwegkommunikation 5. Betonung der Bedeutung verschiedener Bezugsgruppen (Mitarbeiter, Geldgeber usw.) und nicht nur der Leistungsabnehmer (Kunden) 6. Hervorhebung der Ziele der Marketinganwender statt des Kulturproduktes als konzeptionellen Ausgangspunkt 7. Marketinganwender müssen nicht nur Unternehmen sein, sondern auch Einzelpersonen (hier Künstler) kommen als Akteure in Betracht. 8. Da Marketing eine Managementaufgabe darstellt, muss Kulturmanagement stark durch Marketing geprägt werden.
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Glossar
Beziehung Abfolge von Kontaktepisoden Beziehungsniveau Resultiert aus Beziehungsquantität und Beziehungsqualität Beziehungsqualität Resultiert aus Zufriedenheit, Vertrauen und Commitment Beziehungsquantität Summe der Kontakte und Kontaktepisoden Commitment Belastbare Loyalität Information Muster oder Struktur, das den Zustand eines Betrachters (z.B. sein Wissen) verändern kann Kommunikation Austausch von Informationen Kommunikationstyp 1 (Interaktion) Die gesendeten und empfangenen Informationen sind interdependent (Dialog) Beispiele: Diskussion zwischen Künstler und Kulturrezipienten auf einem Workshop, Telefonbefragung, Gespräche am Tag der offenen Tür Kommunikationstyp 2 (One-Way Kommunikation) Einseitige Sendung oder Empfang von Informationen Beispiele Sendung: Werbeanzeige, Flyer, Fernsehspot / Beispiele Empfang: Beschwerdebrief, Theaterkritik Kontaktepisode Zeitraum eines konkreten Kontaktes zwischen Marketingakteur und Marketingadressat. Innerhalb der Kontaktepisode kommt es zum Austausch von Ressourcen und /oder Informationen Beispiele: Konzertbesuch, Besuch Tag der offenen Tür im Theater, Lesen der Internetseite eines Museums… Marketing Gestaltung der Beziehungen zu Marktadressaten Marketingakteur Person oder Organisation, die Marketing betreibt. Marketing ist abhängig von organisationalen und personalen Merkmalen
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Marketingadressat Zielpersonen oder –organisationen des Marketing. Beispiele: Theaterabonnenten, potentielle Theaterbesucher, Sponsoren, Öffentlichkeit Markt Gruppe von Personen und/oder Organisationen mit Ressourcen, die diese gegen bestimmte andere Güter gegenwärtig oder in der Zukunft tauschen wollen Nutzen Einschätzung des Leistungsverwenders bezüglich der Fähigkeit eines Produktes zur Bedürfnisbefriedigung. Organisationale Merkmale des Marketingakteurs Die Organisation betreffende marketingrelevante Merkmale. Beispiele: Größe, Finanzkraft, Gesellschaftsform, Unternehmenskultur, Kultursektor … Organisationale Merkmale des Marketingadressaten Die Organisation betreffende marketingrelevante Merkmale Personale Merkmale des Marketingakteurs Die Person betreffende marketingrelevante Merkmale. Beispiele: Marketing Know-how, Kreativität, Selbstmanagement… Personale Merkmale des Marketingadressaten Die Person betreffende marketingrelevante Merkmale Beispiele: Demographische Merkmale, sozio-kulturelle Merkmale, Einstellungen, Bedürfnisse Produkte Problemlösungsangebote, die Bedürfnisse befriedigen Ressource Hilfsmittel oder Hilfsquelle zur Lösung einer bestimmten Aufgabe Beispiele: Geld, Energie, Arbeit, Boden Transaktionstyp 1 (Austausch) Austausch von Ressourcen, wobei Aktion und Reaktion interdependent sind Beispiele: Kauf eines Bildes, Kinobesuch, Sponsoring Transaktionstyp 2 (Schenken) Überlassung von Ressourcen ohne Gegenleistung Beispiel erhalten: Mäzenatentum Beispiele geben: Open air free concert, Musikstück zum kostenlosen Download Umfelddingungen Kulturelle und sozio-ökonomische Rahmenbedingungen Beispiele: Juristische Bedingungen, gesellschaftliches Klima, ökonomische Lage
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Vertrauen Erwartung in Gegenwart und Zukunft vorteilhaft behandelt zu werden. Bereitschaft ohne Prüfung die Leistungsangebote anzunehmen. Zufriedenheit Resultiert aus einem Soll-Ist-Vergleich von tatsächlicher Erfahrung bei der Inanspruchnahme einer Leistung (Ist-Leistung) mit einem Vergleichsstandard (Soll-Leistung)
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Teil II Blickrichtung Analyse
Matthias Munkwitz
Umfeld- und Wettbewerbsanalysen 1
Vom Allgemeinen zum Besonderen
1.1
Vom Globalen zum Regionalen
1.2
Konkurrenz und Konkurrenten
2
STEPS – das Makroumfeld
2.1
Science
2.2
Technology
2.3
Economy
2.4
Politics
2.5
Social
3
Analyse der Kultur-Produkt Konkurrenten
4
Literatur
66
Umfeld- und Wettbewerbsanalysen
1
Vom Allgemeinen zum Besonderen
1.1
Vom Globalen zum Regionalen
Der Begriff der Globalisierung ist allgegenwärtig und prägt einerseits wissenschaftliche Debatten, andererseits die Diskussionen auf den Treffen von Politikern auf internationaler Ebene bei Gipfeltreffen. Die mit dem Prozess der Globalisierung einher gehenden Entwicklungen zeigen sich im Alltag jedes Einzelnen. „Die Gesellschaft der Zukunft bringt dem Einzelnen mehr Wandlungsdruck, weil Globalisierung und neue Technologien die Risiken und das Tempo zwangsläufig erhöhen. Ob wir morgen noch denselben Job haben, können wir nicht wissen. ‚Arbeitsplätze’sind, da sie ein Konstrukt der Industriegesellschaft sind, in Zukunft nicht mehr zu erwarten (Jobs, Arbeit, ‚Tätigkeit’ sehr wohl). Aber die raschen Wandlungsprozesse bringen uns auch ständig Chancen, unseren Job und unser Einkommen drastisch zu verbessern... Die Wissensökonomie ist auch eine Chancengesellschaft, weil sie eine ungleich höhere Vielzahl von Realisierungschancen in Sachen Jobs, Liebes- und Lebensglück bietet. Je höher die Komplexität eines sozioökonomischen Systems, desto rascher steigt die Anzahl der individuellen Optionen“ (Horx 2006, S. 235f.). Parallel zur Globalisierung – das mag paradox erscheinen – ergeben sich genau entgegengesetzte Tendenzen, nämlich die der Regionalisierung. Denn in einer globalen Welt unterscheiden sich Regionen nur von anderen, wenn diese etwas Besonderes zu bieten haben – Natur und Kultur in ihrer Einzigartigkeit. Bei der Analyse der Wettbewerbsverhältnisse von Kulturbetrieben sind beide Entwicklungen zu beachten. Somit gilt selbstverständlich auch für die kulturellen Angebote von Kulturbetrieben in der Region, internationale Entwicklungen – Trends und ggf. Moden – zur Kenntnis zu nehmen. Da man als Kulturbetrieb, nicht für den Markt, sondern produkt- also angebotsorientiert arbeitet, ist es um so wichtiger, die Marktteilnehmer – in diesem Fall die Wettbewerber - zu kennen. Auf Grund der Angebotsorientierung gilt, dass der Markt für Kulturprodukte ein sehr wettbewerbsintensiver Markt ist. Das bedeutet auf Trends entsprechend zu reagieren, da diese relativ stabil sind und Beachtung bei der Strategieentwicklung für die Kultur- und Freizeiteinrichtung verdienen. „Ein Trend ist die Richtung und Abfolge von Ereignissen, die einiges an Dauerhaftigkeit und Umgestaltungskraft beinhalten“ (Kotler / Bliemel 1999, S. 264). Bezüglich des Wettbewerbs muss unterschieden werden in: • die Unternehmensumwelt im Allgemeinen – also die gesellschaftlichen Verhältnisse und Entwicklungen national und international, als auch in
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67
• die Wettbewerber vor Ort im Einzelnen. Beides zu untersuchen führt zu einem Teil einer strategischen Diagnose, die das Management der Kultur- und Freizeiteinrichtung zu entwickeln hat: also die Analyse des Hier und Jetzt im Bezug zur Zukunft. Der Unterschied bezüglich dieser zwei Umweltbetrachtungen ist aus Sicht der Analyse des Wettbewerbs die Unterscheidung in Konkurrenz und Konkurrenten.
1.2
Konkurrenz und Konkurrenten
Die Analyse der auf dem Markt agierenden Wettbewerber ist für ein Unternehmen von besonderer Wichtigkeit, letztlich entscheidet der Kunde, ob er das von diesem oder jenen Anbieter erstellte Produkt bevorzugt. Was geschieht bei einer Wettbewerber- oder Konkurrentenanalyse? Zuerst erfolgt eine Identifizierung dessen, was überhaupt als Konkurrenz zu bezeichnen ist. Weiterhin ist dann eine Datenerhebung zur Konkurrenz nötig. Allerdings erfordert gerade die Untersuchung von Kulturbetrieben, die ja Leistungen anbieten, die in einem gesellschaftlichen Kontext stehen, diesen reflektieren und wiederum einer subjektiven Interpretation des Einzelnen unterliegen, die Beachtung größerer Zusammenhänge, als nur die Erfassung der regionalen Kultur- und Freizeitunternehmen. Auf Grund der Komplexität und auch Unbestimmtheit kultureller Bedürfnisse und der sich daraus ergebenden Vielzahl an kulturellen Produkten und damit Anbietern, ist deshalb folgendes zu unterscheiden: Es hat einmal eine Konkurrenzanalyse, hierbei also die Analyse des Wettbewerbs, aber auch der technologischen Entwicklungen, der Möglichkeiten der Abnehmer, der Situation der Lieferanten und weiterer Umweltfaktoren zu erfolgen. Die Konkurrenzanalyse betrachtet also im Wesentlichen das Makroumfeld. Unter Konkurrentenanalyse ist dagegen eine Datenerhebung von Unternehmen zu verstehen, die als jetzige oder künftige Konkurrenten betrachtet werden können. Dabei werden die Konkurrenten in Bezug zur eigenen Unternehmung betrachtet, d. h. zum eigenen Stand auf dem Markt.
68
Umfeld- und Wettbewerbsanalysen
2
STEPS – das Makroumfeld
Die Betrachtung der Entwicklungen im Makroumfeld ist unter folgenden Gesichtspunkten von Interesse und sollte demzufolge Bestandteil einer Wettbewerbsanalyse sein. Das betrifft einmal die Kulturbetriebe, die kulturelle Güter und Leistungen in anderen Ländern anbieten. Hier sind die entsprechenden kulturellen Gegebenheiten zu beachten. Das betrifft sowohl Unternehmen der Kulturwirtschaft, also erwerbswirtschaftlich, d. h. gewinnorientiert arbeitende Betriebe z. B. der Musik- oder Filmindustrie, als auch beispielsweise Orchester, die Auslandstourneen unternehmen und auf das Repertoire zu achten haben. Andererseits können Kulturbetriebe – die Mehrzahl hat einen regionalen Wirkungskreis – nationale und internationale Entwicklungen nicht ignorieren. Diese Veränderungen könnten ggf. relativ schnell vor sich gehen. Bezogen auf eine Zeiteinheit zeigen sich diese in Geschwindigkeit und Ausmaß. Ob die Änderungen einem Trend folgen, d. h. perspektivisch als relativ stabil zu betrachten sind oder nur einer Mode, einer kurzfristigen Erscheinung, unterliegen, also eher geschmacksbezogen sind, muss dann entsprechend untersucht werden. Von der Dynamik der Veränderungen können die Bereiche • • • • •
Science Technology Economy Politics Social
betroffen sein. Zur besseren Einprägsamkeit seien diese Stufen gebaut, weil damit gleichzeitig die Hauptbereiche angesprochen sind. Trends sind in den politischen und ökonomischen Bereichen zweifellos die Tendenzen der Globalisierung, damit verbunden aber auch Prozesse der Regionalisierung und, bezogen auf das Soziale, in Deutschland vor allem die sich verändernde demographische Situation. Dieses zu konstatieren ist bezüglich der Analyse im Kulturmarketing und damit dem Entwickeln und Anbieten kultureller Produkte von besonderer Wichtigkeit, da sich Bedürfnisse und damit das Nachfrageverhalten verändern können.
2.1
Science
Schon FRANCIS BACON forderte, dass neben dem Staat die Wissenschaft zur zweiten großen Institution, hin zu gesellschaftlicher Nützlichkeit zu entwickeln sei. Dieses Programm wurde realisiert, wenn auch gesagt werden muss, dass es natürlich immer Möglichkeiten und
Matthias Munkwitz
69
Notwendigkeiten zur verbesserten Unterstützung von institutioneller und/oder projektbezogener Lehre und Forschung gibt. Die Entwicklung zur Wissensgesellschaft umfasst alle Wissensformen. Dazu muss es jedem möglich sein, Zugang, beispielsweise zu Texten, in denen Informationen abgelegt sind, zu haben. Wissen bedeutet für den Einzelnen am kulturellen Kapital, d. h. an der Gesamtheit der Symbole und Regeln23, zu partizipieren und mit diesen Informationen umzugehen, ggf. darüber Aussagen machen zu können. Durch neue Informationstechnologien verfügt jeder theoretisch über immer mehr Informationen. Allerdings ist es möglich, dass die Komplexität der Informationen bei denen, die Entscheidungen, z. B. über den Einsatz der Instrumente des Marketing, zu treffen haben, zu Unentschlossenheit führt. Kultur und Kunst können mit ihren Angeboten nicht die Entscheidungen erleichtern – aber vielleicht dazu beitragen, die Akteure in den Szenen zu verstehen und es damit ermöglichen, Innovationen zu entwickeln und Marken zu kreieren.
2.2
Technology
Besonders durch die Entwicklung von Speichermedien und Kommunikationstechnik ist es zu einem enormen Wandel, zu Revolutionen in der technischen Entwicklung gekommen. Das hat zu allgemeiner Produktivitätssteigerung geführt, vor allem durch den Einsatz von Technik. Arbeitsproduktivität wird oft mit dem Begriff Technizität gleich gesetzt. Im Ergebnis verkürzt sich die Zeit zur Herstellung eines materiellen Gutes wesentlich. Diese Feststellung hat gerade für das Erstellen der Leistungen des Kulturbereichs tiefgreifende Konsequenzen. Die im Jahr 1965 ausgelöste internationale Diskussion zum Konzept „Cultural Economics“ wurde durch einen Beitrag von WILLIAM BAUMOL und WILLIAM BOWEN angestoßen (vgl. Baumol / Bowen 1996). Durch sie wurde ein direkter Zusammenhang zwischen steigender Produktivität und der zu verrichtenden Arbeit bei den aufführenden Künsten in einer Gesellschaft hergestellt. Als Fazit ergab sich: viele künstlerische Tätigkeiten, also z. B. die der live performing arts, enthalten einen großen Teil körperlicher und geistiger menschlicher Arbeit. Diese Arbeit kann nur in eingeschränkter Form rationalisiert, also durch Technik ersetzt werden. Damit führt stetig steigende Produktivität in der Gesellschaft zwangsläufig dazu, dass sich kulturelle Leistungen verteuern müssen. Es ergibt sich ein ökonomisches Dilemma – eine rein ökonomische Analyse zur Betrachtung der Wirtschaftlichkeit der Darstellenden Künste muss dann zwangsläufig zu dem Schluss führen, dass diese Bereiche im betriebswirtschaftlichen Sinn ineffizient sind.
23
Siehe auch Bourdieu 1991
70
Umfeld- und Wettbewerbsanalysen
Somit erklärt sich aus einer gesellschaftlichen Entwicklung – also wachsender Produktivität der Volkswirtschaft – ein inneres betriebswirtschaftliches Problem des Kulturbereichs. Die technologischen Entwicklungen verändern allerdings Lebenswelten und Wahrnehmungen des Menschen insgesamt. Es wird möglich, beispielsweise durch das Schaffen künstlicher Welten, alle sechs Sinne – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und den Gleichgewichtssinn – gleichermaßen herauszufordern.
2.3
Economy
Bezogen auf das Makroumfeld sind hier die volkswirtschaftliche und die weltwirtschaftliche Ebene zu betrachten. Hierbei führen die mit dem Begriff Globalisierung bezeichneten Entwicklungen zu Verflechtungen von Volkswirtschaften und damit unterschiedlicher Kulturen. Es kommt zum Zusammenrücken von Raum und Zeit. „Unter Weltwirtschaft versteht man heute in wesentlicher Erweiterung bzw. „Erfüllung“ der früheren Terminologie generell alle Beziehungen und Verflechtungen, die durch internationale Transaktionen (Handel, Bewegung von Faktoren, wie z. B. (Human-)Kapital, Arbeit, Wissen) zwischen den Märkten entstehen. Zu den Akteuren gehören Staaten, Organisationen (IWF, Weltbank, WTO, OECD, WIPO), multinationale Internehmen (MNCs) und NichtRegierungsorganisationen (NGOs). Diese Akteure sind in komplexer Weise untereinander vernetzt. Wesentliche Komponenten der Weltwirtschaft sind die internationale Arbeitsteilung und gegenseitige Beziehungen (Interdependenzen) unterschiedlicher Intensität. Der Trend zu erhöhter Arbeitsteilung und zur Professionalisierung ist irreversibel und universell“ (Walter 2006, S. 6). Mit diesen Prozessen verbunden ist die sprunghafte Entwicklung der Dienstleistungsbereiche. Im Prinzip deutet das einerseits darauf hin, dass die Gesellschaften so reich sind, dass sie sich den Ausbau unproduktiver Arbeit leisten können. Andererseits ist damit auch gesagt, dass damit die Flexibilität des Einzelnen beispielsweise bei der Bestimmung seiner individuellen Arbeitszeiten zunimmt. Gleichzeitig verändern sich damit die Anforderungen an die Arbeit – der geistige Anteil an den Tätigkeiten nimmt zu, was wiederum Schlussfolgerungen an die Ausbildung der Personen nach sich zieht. Insgesamt ist der Anteil der Arbeiten, die un- oder angelernte Arbeitskräfte ausüben können, rückläufig. Diese Feststellungen sind auch ein Signal an den Kulturbereich. Des Weiteren ist bezüglich ökonomischer Daten für den Kulturbetrieb auch von Bedeutung, wie sich die Kaufkraft im entsprechenden Land entwickelt. Dabei wird diese bestimmt von der Höhe der Einkommen, des allgemeinen Preisniveaus, damit zusammenhängend der Entwicklung der Inflationsrate, der Möglichkeit zur Kreditaufnahme, der Sparneigung etc. Diese Analysen sind z. B. von Interesse, sollen hochwertige und damit hochpreisige Kulturgüter und Leistungen abgesetzt werden.
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2.4
71
Politics
Mit der Entwicklung globaler Märkte, also spätestens mit dem Ende des Kalten Krieges, verändert sich nachhaltig die Rolle des Staates. „Anders als im größten Teil des 20. Jahrhunderts, in dem die Staatsform der Demokratie immer noch ... eine Ausnahmeerscheinung darstellte, leben heute drei Fünftel der Weltbevölkerung in demokratischen Rechtsordnungen... All diese Demokratien konkurrieren nun auch gegeneinander um die besten Konzepte zur Erzeugung von effektiven Infrastrukturen und Humankapital“ (Horx 2006, S. 240). Für Auslandskontakte von Kulturbetrieben kann es, besonders im Zusammenhang mit den Prozessen, die sich aus der Globalisierung ergeben, von Interesse sein, wie sich die politischen Eliten der Aufgaben annehmen, die der Staat heute zu bewältigen hat. Dazu gehören im Wesentlichen: • die Abfederung der u. U. negativen Auswirkungen der mit der Globalisierung verbundenen Entwicklungen auf die eigene Bevölkerung durch entsprechende Maßnahmen, wie z. B. dem Zugang zum Bildungssystem, um lebenslanges Lernen zu ermöglichen, • die Sicherung der Renten-, Gesundheits- und Sozialsysteme, • das Ergreifen von Maßnahmen und das Schaffen von Anreizen zum weiteren Ausbau der Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen, • Möglichkeiten zu bieten, dass es gelingt, das Volumen der Arbeit auszuweiten. Derartiges sollte sich in entsprechenden Gesetzgebungen wieder finden, denn durch diese hat der Staat die Möglichkeit, die Wirtschaftsordnung zu gestalten. Für den Kulturbereich von Interesse, weil die Kulturbetriebe davon direkt betroffen sind, sind z. B. solche Gesetze wie das Urheberrechtsgesetz, Gesetze zur Besteuerung kulturell- künstlerischer Tätigkeiten etc.
2.5
Social
Von Interesse für Kulturbetriebe unter dem Gesichtspunkt des Marketing für kulturellkünstlerische Leistungen ist auch das sozio-kulturelle Umfeld. Da das Marketing besonders mit Sprache und Symbolen arbeitet, um die Botschaften, die Werbung vermitteln soll, zu transportieren, sind bezüglich des Erstellens einer Strategie-Konzeption KulturDimensionen24 und Typologien25 genauer zu bestimmen. Bezüglich des Anbietens kultureller Leistungen regional agierender Kulturbetriebe in Deutschland, sind u. a. folgende soziale Tendenzen zu berücksichtigen: 24 25
Siehe hierzu Hofstede 1992 Siehe hierzu: Meffert / Bolz 1995
72
Umfeld- und Wettbewerbsanalysen
Das ist einmal die sich veränderte demographische Situation, die sich in einer Zunahme des Anteils älterer Menschen mit entsprechenden Bedürfnissen zeigt. Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass sich bezüglich der nachfolgenden Generationen sogenannte PatchworkBiografien auf Grund befristeter Verträge bzw. verstärkter Beschäftigung über Projekte, nicht Institutionen, ergeben. Das geht einher mit Individualisierung und Erlebnisorientierung. (vgl. Oposchowski 1995 und Schulze 1997) Zu den wichtigsten sozialen Aufgaben gehören aber die Möglichkeiten zur Absicherung des Schaffens von Arbeit. „Das ist die Kernqualifikation der neuen Arbeitswelt: Nein sagen, Scheitern lernen. Neu anfangen. Das eigene Maß finden“ (Horx 2006, S. 150). Nachfolgend soll die Mikroumfeld-Analyse der Konkurrenten im Gebiet der Kultur- und Freizeiteinrichtung betrachtet werden.
3
Analyse der Kultur-Produkt Konkurrenten
Im Zusammenhang mit dem Aktionsfeld des Kulturbetriebes ist der Begriff der Region darzulegen. Dabei kann dieser als fachwissenschaftlicher sowie als umgangssprachlicher Terminus verwendet werden. Gemeint ist im Sinne der Raumordnung und Landesplanung ein Sektor als Teil eines Bundeslandes. Andererseits ist dieses Gebiet immer auch gekennzeichnet von den speziellen Verläufen der Geschichte und damit von den Kulturbereichen und deren Merkmale wie Gesellschaft, Wirtschaft, Religion etc. Bei der jetzt auf der Mikroebene zu untersuchenden Konkurrentenforschung stellt sich die Frage, was damit erreicht werden soll? Es geht zuerst einmal um die Beantwortung der Frage, welche Unternehmen in der Region mit welchen Mitteln - jetzt und zukünftig - um gleiche Marktpotentiale konkurrieren. Durch das Sammeln von Daten erhält die Geschäftsführung des Kulturbetriebs Informationen, mit deren Hilfe dann eine Strategie für das weitere Agieren auf dem Markt entwickelt werden kann. Die Erforschung des Verhaltens der Konkurrenten erfolgt unter zwei Gesichtspunkten. Einmal stehen die Wettbewerber (Untersuchung der Konkurrenz zwischen Unternehmen), zum anderen deren Produkte (Untersuchung der Konkurrenz zwischen Gütern) im Mittelpunkt der Betrachtungen. 1. Untersuchung der Konkurrenz zwischen Unternehmen Hierbei stehen im Vordergrund der Analyse der Konkurrenten a. die Struktur der Branche und b. das Verhalten der Wettbewerber.
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73
Unter einer Branche ist ein Wirtschafts- oder Geschäftszweig zu verstehen, deren Unternehmen Produkte herstellen, die sich ersetzen können. Im Kulturbereich gehören zur Schallplattenbranche beispielsweise die vier großen Gesellschaften SONY/BMG, Universal, EMI und Warner oder die Vielzahl der Verlage der Buchbranche. Auf der Ebene regionaler Kulturbetriebe ist der Ausdruck eher unüblich. Es ist zu fragen, worin bei einem speziellen Kulturprodukt wie einer CD oder DVD eines entsprechenden Interpreten der Substitutionseffekt besteht, da der Konsument ja nur deshalb das Gut CD erwirbt, weil auf diesem Medium die Musik des Interpreten gespeichert ist, die er hören will. Dazu will er das Gut erwerben. Das Substitut könnte hier ein anderes Medium sein, das dieselben Informationen – also z. B. Musikstücke – enthält. So kann die CD mit der Musik des Künstlers durch eine Langspielplatte oder DVD mit demselben Material desselben Interpreten ersetzt werden. Von Interesse für den Kulturbetrieb in der Region ist das Verhalten anderer Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Dabei werden Unternehmen als Wettbewerber bezeichnet, die auf dem gemeinsamen Markt möglichst mit vielen Kunden in Austausch treten wollen. Bei der Konkurrentenanalyse wird folgende Vorgehensweise gewählt: • Es erfolgt die Bestimmung des Informationsbedarfs, wobei nicht alle Daten, sondern nur die marketingrelevanten, d. h. solche bezüglich der Produkte und bezüglich der Beschaffungskosten, zu erheben sind. • Des Weiteren wird festgelegt, welche Konkurrenten untersucht werden sollen. Hierbei geht es vor allem um diejenigen, die dieselben Nachfrager im Blick haben. Diese könnten mit dem Begriff Sparte umschrieben werden. Es bedeutet, dass der relevante Markt zu definieren ist. Dabei muss beachtet werden, dass vor allem auch Daten der potenziellen Konkurrenten, nicht nur der aktuellen, erfasst werden. Das sind also Wettbewerber, die durch ihre Ressourcen prinzipiell in der Lage wären, in die Branche einzudringen. • Aus der Analyse des Verhaltens der Konkurrenten – hierzu wird ermittelt, wie der Konkurrent z. Zt. den Wettbewerb führt, welche Ziele ihn für die Zukunft motivieren und über welche Fähigkeiten, also Stärken und Schwächen, er verfügt - wird • ein Reaktionsprofil der Konkurrenten erstellt. Hier wird notiert, welche Maßnahmen die Konkurrenten wahrscheinlich künftig ergreifen werden.(vgl. Porter 1999, S. 88) Bezüglich der Konkurrenten sollten folgende Basisdaten erfasst werden: • • • • • • • • •
der Name des Kulturbetriebs die Rechtsform die Geschäftsführung mit ihrer Struktur Betriebsgrößenmerkmale, z. B. die Zahl der Beschäftigten unterteilt in Festangestellte, Freiwillige, Aushilfskräfte die Größe des Kulturbetriebs, also dessen Standort, die Größe der Fläche die Geschäftsfelder das Verhalten am Markt die Leistungsfähigkeit der Kultureinrichtung, also ökonomische Kennzahlen wie Marktanteil
74 • • • •
Umfeld- und Wettbewerbsanalysen Kosten- Erlös-Verhältnisse Cash-flow Rentabilität Kapazitätsauslastung.
Nach der Betrachtung der Konkurrenten wird als 2. die Konkurrenz zwischen Gütern analysiert. Dabei wird der Versuch unternommen, einen globalen Markt mit geeigneten Methoden abzugrenzen. Das kann einmal vertikal geschehen, in dem konkurrierende Güter unter dem Gesichtspunkt physischer und funktionaler Ungleichartigkeit zusammengefasst werden. Es besteht dann eine Konkurrenz zwischen verschiedenen Wirtschaftsstufen. Bezogen auf den Kulturbereich wären dabei verschiedene Genres und Angebote bei live performing arts denkbar – z. B. Rockkonzerte, Theateraufführungen, Oper etc. Eine horizontale Einstufung umfasst Güter mit gleichen Eigenschaften. Hierunter würden annähernd gleiche Produkte fallen, die vor Ort angeboten werden – z. B. alternative Filme, gezeigt durch verschiedene Kulturbetriebe. Die Marktstruktur bezeichnet dabei die Größe, d. h. die Zahl der Anbieter bzw. Nachfrager, die auf Marktprozesse Einfluss haben. Hierbei kann folgende Unterteilung vorgenommen werden: Der potentielle Markt bezeichnet dabei die Gesamtheit der Verbraucher, die ein durch die Messmethode spezifiziertes Interesse an einem konkreten Marktangebot zum Ausdruck bringen. Ein zugänglicher Markt ist charakterisiert durch die Gesamtheit der Verbraucher, die Interesse an, Kaufkraft für und Zugang zu einem konkreten Marktangebot haben. Der Teil des qualifizierten zugänglichen Marktes, den das Unternehmen ansprechen will, wird als bearbeiteter Markt oder Zielmarkt bezeichnet. Kennzeichnend für einen penetrierten Markt ist die Gesamtheit der möglichen Verbraucher, die das Produkt bereits gekauft haben. Es lassen sich aus der Größe die Marktformen ableiten, d. h., ob beispielsweise Monopole, d. h. alleinige Anbieter eines Produkts, existieren. Im Allgemeinen zeigen sich diese Strukturen. u. a. in den Preisgestaltungen für die angebotenen Produkte. Auch im Kulturbereich existiert durchaus die Marktform des Monopols. Stadttheater sind oft alleinige Anbieter der Darstellenden Künste. Allerdings verbietet die Realisierung des Bildungs- und Kulturauftrags, dass sich Derartiges beispielsweise in der Preisgestaltung für die Produkte auf dem Markt niederschlägt. „Die Gesamtnachfrage nach einem Produkt ist das Gesamtvolumen, das von einer spezifischen Kundengruppe in einem spezifischen geographischen Gebiet innerhalb eines spezifischen Zeitraums in einem spezifischen Marketingumfeld und unter Einsatz eines spezifischen Marketingprogramms gekauft würde“ (Kotler / Bliemel 1999, S. 220ff.).
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Diese Gesamtnachfrage unterliegt aber, wie bereits dargelegt, einer Wettbewerbsdynamik, die für Märkte charakteristisch ist. Bestimmungsgrößen dafür sind: • das Konsumentenverhalten, das sich ändern kann und sich aus dem Wertewandel erklärt, • das Auftreten neuer Wettbewerber, das sich aus der Marktevolution ergibt, • vor allem durch Erkenntnisse von Wissenschaft und Technik ausgelöste und beförderte Innovationen und deren Dynamik, • die Kostenentwicklung für die nötigen Produktionsfaktoren, besonders zur Erstellung der kulturellen Leistungen bis hin zu • staatlichen Maßnahmen, deren Auswirkungen auf den Märkten zu spüren sind. Das bedeutet, dass auf dem Markt Anbieter, Nachfrager und Produkte ständigen Veränderungen unterliegen. Der Markt – das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage – muss einerseits spezifiziert werden nach Zeit, Raum, Personen und der Leistung, d. h. dem Produkt. Andererseits muss eine Marktabgrenzung vorgenommen werden, d. h., es müssen Teilmärkte gebildet und zweckmäßige Methoden der Marktbearbeitung gefunden werden. Ziel der Abgrenzung ist es, Wettbewerbsbeziehungen zu analysieren. Damit soll es auch gelingen, Substitutsbeziehungen zu den eigenen vom Kulturbetrieb angebotenen Produkten zu erfassen. Die Beobachtung des Verhaltens anderer Kulturbetriebe auf dem Markt, der Vergleich eigener Güter und Leistungen mit denen der Konkurrenz, das Erforschen der Managementprozesse und Methoden, die Untersuchungen zu Kern- und Zusatznutzen der Produkte sollte vor allem dazu führen, die Leistungslücke zum besten Anbieter kultureller Produkte auf dem Markt zu schließen. Diese Methode des Benchmarking als Instrument der Wettbewerbsanalyse trägt auch dazu bei, dass die Geschäftsführung mehr über Methoden und Prozesse des eigenen Unternehmens erfährt. Damit lassen sich erste Schlussfolgerungen ziehen, welche Chancen und Risiken sich bezüglich der Konkurrenten ergeben. Das ist ein wichtiger Baustein, um eine Strategie für die eigene Einrichtung zu entwickeln.
76
4
Umfeld- und Wettbewerbsanalysen
Literatur
Albaum, G. / Strandskov, I. / Duerr, E.: Internationales Marketing und Exportmarketing, München 2001 Baumol, W. J. / Bowen, W. G.: Performing Arts. The Economic Dilemma, New York 1966 Becker, J.: Marketing-Konzeption, 6. Auflage, München 1998 Bourdieu, P.: Die feinen Unterschiede, Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt/M. 1991 Berekoven, L. / Eckert, W. / Ellenrieder, P.: Marktforschung. 6. Auflage, Wiesbaden 1992 Bruns, J.: Internationales Marketing, Ludwigshafen 2003 Colbert, F.: Kultur- und Kunstmarketing, Ein Arbeitsbuch. Wien / New York 1999 Hannemann, G. / Munkwitz, M.: Grundlagen der Umfeld- und Wettbewerbsanalyse im Kulturmarketing, Studienbrief 2-080-0211, Service-Agentur des HDL, 1. Auflage, Brandenburg 2004 Hofstede, G.: Interkulturelle Zusammenarbeit: Kulturen – Organisation – Management, Wiesbaden 1992 Horx, M.: Wie wir leben werden, Unsere Zukunft beginnt jetzt, 3. Auflage, Frankfurt / New York 2006 Klein, A.: Kultur-Marketing, Das Marketingkonzept für Kulturbetriebe, 2. Auflage, München 2005 Kotler, P. / Bliemel, F.: Marketing-Management. 9. Auflage, Stuttgart 1999 Kotler, P. et al.: Grundlagen des Marketing, München 2003 Meffert, H.: Marketing. 8. Auflage, Wiesbaden 1998 Meffert, H. / Bolz, J.: Internationales Marketing-Management. 2. Auflage, Stuttgart 1994 Munkwitz, M.: Kultur und Markt, Studienbrief 2-080-0134, Service-Agentur des HDL, 1. Auflage, Brandenburg 2004 Opaschowski, H. W.: Freizeitökonomie, Marketing von Erlebniswelten, Opladen 1995 Porter, M. E.: Wettbewerbsstrategie. 7. Auflage, Frankfurt 1992 Schulze, G.: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, 7. Auflage, Frankfurt a. M. / New York 1997 Walter, R.: Geschichte der Weltwirtschaft, Eine Einführung. Köln, Weimar, Wien 2006
Brigitte Clemens-Ziegler
Marktforschung – ein Instrument für Kulturbetriebe 1
Einleitung
2
Begriff und Aufgaben der Marktforschung
2.1
Ablauf einer Marktforschungsuntersuchung
2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6
Befragung Persönlich-mündliche Befragung Schriftliche Befragung Telefonische Befragung Computerunterstützte Befragung Online-Umfrage Entscheidungskriterien
2.3
Fallbeispiel
3
Literatur
78
1
Marktforschung – ein Instrument für Kulturbetriebe
Einleitung
Kulturbetriebe stehen zunehmend im Wettbewerb untereinander, sei es im Wettbewerb um Besucher oder im Wettbewerb um finanzielle Ressourcen. Aus diesem Grund ist es erforderlich, nicht nur gute kulturelle Angebote zu machen, sondern auch die Wünsche und Erwartungen der aktuellen und potenziellen Besucher und die Angebote anderer Kulturbetriebe zu kennen. Hierbei leistet die Marktforschung einen wichtigen Beitrag. Dieser Artikel zeigt, welche Möglichkeiten Kulturbetriebe haben, eine Befragung durchzuführen und wie sie diese nutzbringend einsetzen können.
2
Begriff und Aufgaben der Marktforschung
Ziel der Marktforschung ist die systematische Suche, Sammlung, Aufbereitung und Interpretation von Informationen, die der Organisation helfen, sachgerechte Entscheidungen im Zusammenhang mit der Gestaltung ihres Angebots an Gütern und Dienstleitungen zu treffen (Weis/Steinmetz, 2005, S. 15ff.). Diese Informationen liegen an der Schnittstelle der Organisation zu seinen Besuchern oder Abonnenten einerseits (hier spricht man im Marketing vom "Absatzmarkt" und von den "Kunden") und andererseits zu den anderen Anbietern, mit denen die Organisation im Wettbewerb um diese Besucher, aber auch um knappe Ressourcen wie Spenden oder finanzielle Unterstützung steht ("Wettbewerber"). Hier lassen sich vier Schwerpunkte in den Aufgaben der Marktforschung festmachen (Bruhn 2007, S. 88ff.): 1.
Zustand und Entwicklung des Marktes
Marktforschung hilft der Organisation ihre Chancen in ihrem Absatzmarkt realistisch einzuschätzen. Voraussetzung dafür ist, das Marktpotential insgesamt und das eigene Marktvolumen zu ermitteln. Es müssen auch Umfeldtendenzen und Rahmenbedingungen im Hinblick auf die eigenen Möglichkeiten ermittelt und bewertet werden. Solche relevanten Faktoren sind z.B. die Bevölkerungs- und Einkommensentwicklung, Veränderungen der soziodemographischen Struktur, Entwicklung der Werte, Normen und Trends, internationale Tendenzen oder Veränderungen in Rechtsprechung, Rechtsordnung und den öffentlichen Haushalten sowie der Mittelvergabe. 2.
Verhalten der Marktteilnehmer
Das derzeitige sowie das erwartete künftige Verhalten der Marktteilnehmer beeinflussen den Erfolg einer Organisation und damit die zu treffenden Marketingentscheidungen in hohem Maße. Deshalb ist es wichtig, sich in der Marktforschung mit dem Verhalten der einzelnen Marktteilnehmer, insbesondere auch mit Faktoren und Bestimmungsgrößen, die das Verhalten beeinflussen, zu beschäftigen. Für Kulturbetriebe von besonderer Relevanz sind insbesondere die Besucher (und auch die Nicht-Besucher; beide stellen die „Kunden“ dar) und die Wettbewerber, also diejenigen Organisationen, die sich mit ihren Angeboten ebenfalls an „unsere“ Kunden wenden, und mit denen unsere Organisation in Konkurrenz steht. Beispiele für zu untersuchende Themen sind:
Brigitte Clemens-Ziegler
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• Kundenforschung: Änderungen im Bedarf, in den Verbrauchsgewohnheiten, Erwartungen, Trends, Präferenzen, Motive, Kundenzufriedenheit und Verhaltensabsichten. • Konkurrenzforschung: Stärken und Schwächen der Konkurrenz, Erfolge einzelner Konkurrenzmaßnahmen, absehbare künftige Maßnahmen der Konkurrenz, Kooperationsmöglichkeiten. 3.
Wirkungen der Marketinginstrumente
Gerne will man bei der Durchführung von Maßnahmen eine Rückmeldung über deren Erfolg haben. Da eine effiziente Verwendung des Budgets angestrebt wird, soll die Wirkung des Instrumenteneinsatzes im Voraus abgeschätzt, aber auch rückwirkend ermittelt werden. Dementsprechend sind Marktforschungsmaßnahmen erforderlich, die sich auf die Vorhersage des Erfolgs der eingesetzten Maßnahmen beziehen, den Einsatz der Instrumente bewertet und so ggf. eine Verbesserung des Mitteleinsatzes ermöglichen. Damit sind folgende Fragestellungen denkbar: • Angebotsforschung: z.B. Akzeptanz der vorhanden, von neuen oder veränderten Angeboten, Beurteilung von (neuen) Serviceleistungen. • Preisforschung: z.B. Beurteilung der Preiswürdigkeit eigener Angebote, Reaktionen von Besuchern und Konkurrenten auf Preisänderungen, Ermittlung der optimalen Preislage und -struktur. • Kommunikationsforschung: z.B. Erfolgskontrolle der eingesetzten Medien, Akzeptanz neuer Werbemittel, Reaktionen auf Verkaufsförderungs- und PR-Maßnahmen, Überprüfung der Wirksamkeit von Public-Relations-Aktivitäten. • Vertriebsforschung: z.B. Akzeptanz der Öffnungszeiten, des Vertriebswegs Internet (z.B. für den Vorverkauf oder den Verkauf von Merchandisingartikeln). 4.
Beobachtung unternehmensspezifischer Marketingfaktoren
Die Dynamik in den Marktveränderungen, den Wünschen der Nachfrager und dem Verhalten der Konkurrenz erfordert, dass marktrelevante Unternehmenskennzahlen permanent beobachtet werden und eine Ursachenanalyse bei Abweichungen vorgenommen wird. Deshalb zählt die Kenntnis des finanziellen Aufwandes und des Ertrags von ergriffenen Maßnahmen zu den wichtigen Informationen, die bei weiteren Entscheidungen berücksichtigt werden müssen. Da solche Kennzahlen relevante Informationen für Marketingentscheidungen liefern, werden sie der Marktforschung zugerechnet, wenn gleich dies auch Fragestellungen des Rechnungswesens und des Controllings sind und in der Regel durch deren Mitarbeiter ermittelt werden. Während die Informationen für den eben genannten Bereich 1 auch aus sekundärstatistischen Daten und des Bereichs 4 auch organisationsinternen Quellen recherchiert werden können, ist für die Informationsermittlung der Bereiche 2 und 3 die aktiv betriebene Beschaffung originärer Informationen – z.B. durch Interviewer – erforderlich, wie sie im Folgenden beschreiben wird. Es wird aufgezeigt, welche einzelnen Schritte bei der Entscheidung über die Durchführung einer Fragung zu ergreifen sind.
80
2.1
Marktforschung – ein Instrument für Kulturbetriebe
Ablauf einer Marktforschungsuntersuchung
Am Anfang jeder Marktforschungsuntersuchung steht das Gewahrwerden eines Entscheidungsproblems in einer Organisation. Um diese Entscheidung sachgerecht treffen zu können, sind relevante Informationen heranzuziehen, so dass eine informationsunterstützte Entscheidung getroffen werden kann. Welche Arbeitsschritte nun erforderlich sind und wie dieser Prozess beispielhaft in einem Kulturbetrieb aussehen könnte, wird im Folgenden dargestellt (vgl. Weis / Steinmetz 2005, S. 28ff.): Entscheidungsproblem Ausgehend von einer anstehenden organisationsinternen Entscheidung steht zu Beginn die Problemdurchdringung. Ziel dabei ist, das Wissen über die Problemstellung zu vertiefen und zu konkretisieren. So wird in einem ersten Schritt geprüft, welche bisherigen Erkenntnisse bereits vorliegen und welche Erklärungsansätze herangezogen werden können. Ein derartiges Entscheidungsproblem könnte z.B. sein: Wie sollten wir unser Angebot verändern, um unsere Besucher besser anzusprechen oder zufriedener zu machen? Oder: Was sollten wir tun, um verlorene Besucher wieder zurück zu gewinnen? Erkennen und Definition des Informationsbedarfs Diese zunächst nur grob formulierten Probleme werden dann in allgemeinen Sätzen – die zu untersuchenden Hypothesen oder Forschungsfragen – konkretisiert. Die Formulierung von Untersuchungshypothesen erfordert die Definition und messbare Formulierung der relevanten Begriffe, damit alle am Forschungsprozess Beteiligten das gleiche Verständnis von den zu untersuchenden Zusammenhängen haben. Daraus leitet sich dann der konkrete Informationsbedarf ab: z.B. Was finden unsere Besucher an Angeboten anderer Kulturbetriebe besser? Wie viel sind unsere Besucher bereit zu bezahlen? Bestimmung der Informationsquelle Hier sind zwei Fragen zu beantworten: 1. Wer stellt Informationen bereit: make or buy Während für die eben genannten ersten beiden Schritte die Verantwortlichen der Kulturbetriebe selbst zuständig sind, ist für die nun folgenden Aktivitäten Marktforschungskompetenz erforderlich, so dass als erstes entscheiden werden muss, wo diese Kompetenz herkommen soll. Verfügen eigene Mitarbeiter über Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten und sind sie in der Lage, die anstehende Untersuchung selbst durchführen, spricht man von „Betrieblicher Marktforschung“ („make“). Sollte dies nicht der Fall sein, muss die Marktforschungskompetenz außerhalb der eigenen Organisation eingekauft werden („buy“). Dies kann beispielsweise bei Marktforschungsunternehmen („Institutsmarktforschung“) der Fall sein oder bei freien Marktforschern, die ihre Leistungen als „free lancer“ anbieten. Denkbar ist aber auch eine Kooperation mit Hochschulen, die solche Studien als Projekte oder in Lehrveranstaltungen durchführen oder Studentengruppen bei-
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spielsweise in ihren Abschlussarbeiten bei der Durchführung betreuen. Dies ist in der Regel eine qualitativ hoch stehende und zugleich kostengünstige Variante. 2. Wo kommen die Informationen her: Sekundärforschung und Primärforschung Als zweites muss entschieden werden, wo die Informationen herkommen. Hier sollten zunächst Informationen, die bereits früher und zu einem anderen Zweck erhoben wurden, gesichtet und auf ihre Brauchbarkeit hin untersucht werden.26 Ein Vorteil von Sekundärforschung ist darin zu sehen, dass Informationen schneller und kostengünstiger zur Verfügung stehen, als dies bei der Primärforschung der Fall ist. Dem gegenüber stehen die Nachteile, dass die Daten oft veraltet sind, nicht genau auf die gesuchte Problemstellung passen sowie die Qualität von Daten und Datenquellen nicht immer nachvollzogen und beurteilt werden kann. Je nachdem wo die Daten entstanden sind, unterscheidet man interne Datenquellen (z.B. Daten aus dem Rechnungswesen und der internen Statistik) und externe (z.B. Amtliche Statistiken des Statistischen Bundesamts bzw. der Landesämter, Veröffentlichung von Verbänden, Fachliteratur, Datenbanken). Reicht es nicht aus, mit Hilfe vorhandener Daten das ursprüngliche Informationsproblem zu lösen, müssen neue, originär in dieser Form noch nicht vorhandenen Daten erhoben werden, spricht man von „Primärforschung“ in Form von Befragung oder Beobachtung.27 Bestimmung des Marktforschungsdesigns (Methodisches Vorgehen) Als nächster Schritt muss das methodische Vorgehen für diese Primärerhebung festgelegt werden. Bei der Durchführung einer Befragung muss geklärt werden, ob der Weg einer persönlich-mündlichen, einer telefonischen oder einer schriftlichen Umfrage gegangen werden soll und in welchem Umfang diese computerunterstützt – was auch in Form einer OnlineUmfrage erfolgen kann – durchgeführt werden soll. Welche Vor- und Nachteile diese unterschiedlichen Vorgehensweisen bieten, wird im nächsten Kapitel erörtert. Anschließend ist die Frage zu klären, ob es sich um eine Einzeluntersuchung („Ad hoc-Studie“) handelt oder ob eine besondere methodische Form gewählt werden soll, wie z.B. ein Panel, ein Experiment oder eine qualitative Studie (vgl. Bruhn 2007, S. 104ff.). Weiterhin ist festzulegen, über wen Aussagen getroffen werden sollen (Grundgesamtheit) und wer überhaupt befragt werden soll (Stichprobe). Dies können z.B. die eigenen Besucher sein, aber auch die Besucher anderer Kultureinrichtungen oder aber Bürger, unabhängig ihrer kulturellen Vorlieben und Aktivitäten. Wenn diese Grundgesamtheit zahlenmäßig sehr groß ist, ist eine Stichprobe zu ziehen, die dann befragt wird.28
26 27 28
„Sekundärforschung“, „Desk Research“; Weis / Steinmetz 2005, S.56 ff. und Fantapié Altobelli 2007, S. 28ff. Anwendungsmöglichkeiten der Beobachtung werden hier nicht weiter betrachtet, vgl. z.B. Bruhn 2007, S. 102
zu den Möglichkeiten der Stichprobenziehung siehe. z.B. Bruhn 2007, S. 94ff.; Berekoven et al. 2006, S. 49ff., Fantapié Altobelli 2007, S. 182ff.
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Marktforschung – ein Instrument für Kulturbetriebe
Gestaltung des Erhebungsrahmens (Fragebogen) Als nächstes ist der Fragebogen zu entwickeln, der präzise auf die Ausgangsfragestellung zugespitzt sein muss und anhand eines Pretests, der Schwachstellen aufzeigen kann, zu überprüfen. Erhebung der Informationen („Feldarbeit“) Die Feldarbeit (oder Feldphase) bezeichnet den Zeitraum, in dem die Befragung durchgeführt wird. Diese endet – bildlich gesprochen – mit einem Stapel ausgefüllter Fragebögen; bei einer computerunterstützten oder Online-Erhebung sind die Daten im Computer bereit zur Auswertung. Aufbereitung, Auswertung Nach der Dateneingabe und -prüfung folgt die statistische Auswertung. Diese erfolgt zunächst als Beschreibung der erhobenen Daten; z.B. in Häufigkeitsverteilungen für alle Befragten oder für einzelne Teilgruppen, und dann mit dem Versuch, Erklärungen, Ursachen, Zusammenhänge oder Typologien zu finden. Präsentation der Ergebnisse, Marktforschungsbericht Den Abschluss der Untersuchung bildet die Präsentation der Ergebnisse und ggf. die Vorlage eines Berichtes, so dass diejenigen, die eingangs die Problemstellung aufgeworfen und den Informationsbedarf festgelegt haben, mit den gefundenen Informationen und Erkenntnissen vertraut gemacht werden und in die Lage versetzt werden, den definierten Informationsbedarf zu decken und die anstehende Entscheidung informationsunterstützt zu treffen. Von den hier dargestellten Arbeitsschritten soll im Folgenden der Schwerpunkt auf die Überlegungen, die bei der Auswahl einer Befragungsmethode angestellt werden müssen, gelegt werden, um dann abschließend eine konkrete Ausführung an einem Fallbeispiel zu zeigen.
2.2
Befragung
Die Befragung („Umfrage“) ist die am häufigsten angewandte und vielleicht wichtigste Erhebungsart im Rahmen der Primärforschung für die Gewinnung von Informationen über die Nachfrager, die Besucher, aber auch über diejenigen, die unser Angebot nicht nutzen sowie über Nutzer konkurrierender Angebote. Ziel einer Befragung ist es, von Personen durch Antworten Informationen über einen vorgegebenen Befragungsgegenstand zu erhalten. Diese Informationen können sich auf beobachtbares Verhalten (z.B. Anzahl der Museumsbesuche, abonnierte Zeitschriften) und auf Sachverhalten, die nicht beobachtbar sind (z.B. Einstellung zu moderner Kunst, Bekanntheit von Kultureinrichtungen, Motive für einen Theaterbesuch und Befindlichkeiten, wie z.B. Zufriedenheit mit einer Opernaufführung) und die sich in der Vergangenheit (z.B. wie oft wurde bisher dieses Theater besucht) oder der Zukunft befinden (z.B. beabsichtigt man dieses Verhalten auch künftig) beziehen.
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Ein wesentliches Kriterium der Unterscheidung von Interviews ist die Art des Kommunikationsweges zwischen Interviewer und Befragtem.
2.2.1
Persönlich-mündliche Befragung
Bei der persönlich-mündlichen Befragung stellt der Interviewer in unmittelbarem Gesprächskontakt mit einer Person („Befragter“) Fragen und hält die Antworten des Interviewten im Fragebogen fest. Das standardisierte Interview gilt als eines der bedeutendsten Instrumente der Umfrageforschung. In seiner häufigsten Ausprägung als repräsentative, einmalige persönliche Befragung (Ad-hoc-Befragung) dient es überwiegend der Gewinnung zeitpunktbezogener (Querschnitts-)Informationen. Das standardisierte Interview ist dadurch gekennzeichnet, dass die Fragen vor dem Interview schriftlich festgelegt werden und allen Befragten im gleichen Wortlaut und in gleicher Reihenfolge gestellt werden. Die Fragen werden also nicht immer wieder neu formuliert, auch wird die Fragenabfolge nicht verändert. Allenfalls darf der Interviewer die Fragen zum besseren Verständnis wiederholen oder erklären. Dadurch wird eine hohe Vergleichbarkeit der einzelnen Interviewergebnisse erzielt. Somit lassen sich die jeweiligen Antworten der unterschiedlichen Befragten zusammenfassen. Damit kann gewährleistet werden, dass Unterschiede in den Antworten auf einzelne Fragen auf unterschiedliche Ansichten der Befragten und nicht auf unterschiedliches Verhalten der Interviewer (z.B. auf Änderungen in der Fragenreihenfolge oder der Frageformulierung) zurückzuführen sind. Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, bedient man sich des Interviewerfragebogens (strukturierter Fragebogen). Dieser enthält den gesamten Fragewortlaut, die Fragenfolge, die technischen Anweisungen an die Interviewer, die Markierungen für die spätere Weiterverarbeitung (Codierung) und Freiräume, die der Interviewer zur Niederschrift bzw. Kennzeichnung der erhaltenen Antworten benötigt (Antwortvorgaben bei geschlossenen Fragen oder Leerzeilen bei offenen Fragen). Eine Aufzeichnung der Antworten nach der Befragung aus dem Gedächtnis oder eine mechanische Aufzeichnung der Antworten (z. B. mit einem Tonband) sind beim standardisierten Interview unüblich und nicht zielführend. Beim persönlich-mündlichen Interview steht der Interviewer in unmittelbarem Kontakt mit einer Befragungsperson, stellt Fragen und hält die Antworten im Fragebogen fest. Typisch ist der persönliche physische Kontakt („face-to-face-interview“) zwischen Interviewer und Befragtem. Beide stehen sich am gleichen Ort zur gleichen Zeit gegenüber. Es können auch komplexe Fragestellungen bearbeitet werden, die möglicherweise Nachfragen hervorrufen oder weitere Erklärungen seitens des Interviewers erfordern. Die Interviewsituation ist bekannt und kann kontrolliert werden (z.B. Wer antwortet? Wie ist das Interviewumfeld?). Der Interviewte kann den Fragebogen i.d.R. nicht einsehen, es können jedoch gezielt Fragebogen-Auszüge oder ergänzende Hilfsmittel (z.B. Skalen, Listen, Anzeigen, Fotos) vorgelegt werden. Ein großer Vorteil des persönlich-mündlichen Interviews ist darin zu sehen, dass in der Interviewsituation erkennbar ist, ob die gestellten Fragen verstanden werden, und gewährleistet werden kann, dass alle Fragen gestellt und beantwortet werden. Es wird allgemein als Vorteil
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Marktforschung – ein Instrument für Kulturbetriebe
gesehen, dass in der Regel die Antwortquote höher und die Verweigerungsquote niedriger ausfallen als bei der schriftlichen Erhebung. Wichtige Voraussetzung für das Gelingen mündlicher Interviews ist, dass qualifizierte Interviewer eingesetzt werden, die sorgfältig ausgewählt, umfassend geschult und auch in ihrer Arbeit kontrolliert werden, wie dies beispielsweise in Marktforschungsinstituten üblich ist. Die Delegation der Intervieweraufgaben an eigene Mitarbeiter (z.B. die Sekretärin oder Mitarbeiter an der Kasse) gewährleistet - auch nach erfolgter Interviewereinweisung oder schulung - den erforderlichen Qualitätsstandard in der Regel nicht. Trotz aller Schulung und Sorgfalt im Interviewereinsatz besteht eine Gefahr darin, dass durch den Interviewer Verzerrungen entstehen können („Interviewer-Bias“). Diese durch den Interviewer hervorgerufenen systematischen Fehler können entweder durch eine Missachtung des Auswahlplans (z.B. Quotenfälschung, Selbstausfüllung, nur Bekannte fragen) oder durch Verzerrungen der Antworten (z.B. Beeinflussung des Befragten durch äußeres Erscheinungsbild und Auftreten, suggestives Vortragen der Fragen, selektive und/oder nachlässige Registrierung der Antworten) hervorgerufen werden und müssen durch Sorgfalt, Schulung und Kontrolle zu verhindern versucht werden. Lange Zeitdauer der Feldarbeit und hohe Kosten lassen sich noch als weitere Nachteile des mündlichen Interviews nennen.
2.2.2
Schriftliche Befragung
Bei dieser Befragungsart erfolgt die Kommunikation zwischen Fragesteller und Befragtem ausschließlich schriftlich. Dabei kann der Fragebogen auf verschiedenen Wegen übermittelt werden, z.B. per Post („Mailing“) mit Adresse (z.B. an die eigenen Abonnenten) oder als Wurfsendung, er kann in Zeitungen/Zeitschriften (als Anzeige oder Beilage) zur Kenntnis gebracht werden, er kann für den Befragten zugänglich ausgelegt werden (z.B. an der Garderobe, auf dem Tresen des Kartenverkaufs), persönlich zugestellt bzw. übergeben (z.B. am Eingang) und wieder abgeholt bzw. eingesammelt werden, den Produkten (z.B. Katalogen, Programmheften oder Merchandisingartikeln) beigelegt werden oder per Fax oder über das Internet29 dem Befragten zugänglich gemacht werden. Beim schriftlichen Interview werden an Inhalt und Form des Fragebogens besonders hohe Anforderungen gestellt, da er – zusammen mit einem Begleitschreiben – die einzige Kommunikation mit dem Befragten übernimmt. Die Inhalte und der Befragungsverlauf müssen so gestaltet sein, dass der gesamte Text „für sich spricht“, denn ergänzende Erläuterungen durch einen Interviewer sind nicht möglich. Vorlagen, Skalen und sonstige Anlagen müssen zweifelsfrei den jeweiligen Fragen zugeordnet werden können. Die Motivation der Befragten zur Mitwirkung an der Umfrage wird besonders durch das Befragungsthema, Fragebogenumfang und -gestaltung und die begleitenden Informationen beeinflusst. Dadurch ergeben sich Restriktionen bezüglich Fragethematik, Fragebogenlänge und Frageart, will man eine unvollständige und unkorrekte Beantwortung vermeiden. Wichtig ist auch, dem Befragten Anony-
29
Siehe hierzu das Kapitel 2.3.5. des vorliegenden Beitrags.
Brigitte Clemens-Ziegler
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mität zuzusichern und die Datenschutzregelungen nicht nur zu erwähnen, sondern verständlich zu erklären und auch tatsächlich genauestens einzuhalten. Von Vorteil sind beim schriftlichen Interview die niedrigen Kosten. Dieses basiert vor allem darauf, dass kein Interviewerstab beschäftigt, geschult und eingesetzt werden muss. Die Kommunikationskosten – in der Regel Druck-, Versand- und Portokosten – sind vergleichsweise niedrig. Aufgrund dieser Vorteile – keine Interviewer erforderlich und vergleichsweise geringe Kosten – ist die schriftliche Umfrage sehr gut auch für "Marktforschungsanfänger" und die eigenständige Durchführung im eigenen Hause geeignet. Diesem Kostenvorteil stehen jedoch die lange Zeitdauer für schriftliche Befragungen sowie weitere Nachteile gegenüber. Die Kontrolle der Interviewsituation ist nicht möglich. Es lässt sich nicht feststellen, wann der Fragebogen beantwortet wurde, wer geantwortet hat, wie das Umfeld während der Befragungssituation gestaltet ist (so kann z.B. nicht ausgeschlossen werden, dass die Beantwortung die „Gemeinschaftsleistung“ eines ganzen Haushalts ist, obwohl eine ganz bestimmte Person zur Teilnahme aufgefordert wurde). Man kann auch nicht ersehen, ob die Fragen richtig verstanden wurden und die Antworten der Realität entsprechen. Fehler bei der Notierung der Antworten können ebenfalls Probleme verursachen. Der gesamte Fragebogen ist für den Befragten von Anfang an einsehbar und bekannt. Somit können z. B. Antworten auf anfangs gestellte Fragen durch die Kenntnis erst später im Fragebogen gegebener Informationen beeinflusst werden und damit wertlos sein. Der Einsatz visueller Vorlagen (z.B. Anzeigen, Fotos) ist im Vergleich zur mündlichen Befragung begrenzt. Die größten Nachteile des schriftlichen Interviews sind jedoch in der langen Zeitdauer und einer häufig geringen Rücklaufquote zu sehen. Nur etwa 5 bis 25 % der versandten Fragebögen kommen i.d.R. auch bei mehreren Erinnerungsschreiben zurück. Ein eher hoher Rücklauf ist bei einer „beliebten“ Themenstellung und bei einer gewissen „Nähe“ von Auftraggeber und Befragten (z.B. bei Zufriedenheitsuntersuchungen bei den eigenen Besuchern oder Abonnenten, die sich selber als Nutznießer möglicher Verbesserungen aufgrund der Umfrageergebnisse sehen) zu erwarten, während anonym ausgesendete Fragebogen zu allgemeinen Themen eher zu geringem Response führen. Deshalb dürfen Kulturbetriebe, die „ihre“ Kunden befragen, z.B. Abonnenten oder Besucher, eher mit einer höheren Rücklaufquote rechnen. Die Koppelung mit einem Gewinnspiel oder das Ausloben von Preisen für (schnelle) Rücksender lösen dieses Problem nicht, verleiten sie doch je nach Preis ganz bestimmte Personengruppen zur Teilnahme und können das Mitwirken von Personen, die man nicht als Zielpersonen haben will („Spaßteilnehmer“), nicht verhindern.
2.2.3
Telefonische Befragung
Bei telefonischen Befragungen wird das Telefon als Kommunikationsmedium eingesetzt („voice-to-voice-interview“). Sie eignen sich besonders dann, wenn schnell über einen begrenzten Kreis von Telefonbesitzern nicht zu umfangreiche und nicht zu komplexe Informationen beschafft werden sollen. Bei Bevölkerungsumfragen ist die unterschiedliche Telefondichte bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen, z. B. in den neuen Bundesländern, noch ein Nachteil. Die Tatsache, dass nicht alle Telefonbesitzer in den Telefonbüchern verzeichnet sind, ist kein Hindernis für repräsentative Umfragen durch Marktforschungsinstitute. Diese
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Marktforschung – ein Instrument für Kulturbetriebe
haben Methoden entwickelt, auch nicht registrierte Telefonnummern per Computer zu erstellen. Sollen Telefoninterviews von den Kulturbetrieben selbst durchgeführt werden, ist eine aktuelle und vollständige Liste mit Telefonnummern (z.B. aus der Abonnentendatei) unerlässlich. Im Telefoninterview wird der Kontakt zu einer Befragungsperson über das Telefon hergestellt. Das Kommunikationsinstrument ist die Stimme. Der Telefonkontakt findet zur gleichen Zeit, aber an unterschiedlichen Orten statt, so dass das Fehlen von eigenen Interviewern vor Ort kein Problem darstellt. Die Interviewsituation ist bekannt (z.B. Wer antwortet?), kann aber nur begrenzt kontrolliert werden (z.B. Umfeldinformationen und/oder nonverbale Reaktionen können nicht erfasst werden). Der Interviewte kann den Fragebogen nicht einsehen. Im Gegensatz zum persönlich-mündlichen Interview können keine Fragebogen-Auszüge oder ergänzende Hilfsmittel vorgelegt werden. Dadurch sind der Komplexität der Untersuchungsthematik und der Fragestellungen enge Grenzen gesetzt. Das Telefoninterview eignet sich deshalb vor allem für überschaubare und wenig komplexe Fragestellungen. Ein großer Vorteil von Telefoninterviews ist darin zu sehen, dass Informationen schnell und kostengünstig erhoben werden können. Neben der Schnelligkeit ist auch die Möglichkeit der zeitpunktgenauen Befragung positiv hervorzuheben, was z. B. bei der Ermittlung der Reaktion auf Werbemaßnahmen oder auf besondere Angebote von Bedeutung sein kann. Auch kann beim Telefoninterview von einer hohen Antwortquote und einer geringen Verweigerungsrate ausgegangen werden. Selbstverständlich sind an die Auswahl und Schulung der Interviewer hohe Anforderungen zu stellen, wenngleich diese und ein möglicher Interviewereinfluss im Vergleich zum persönlichen Interview geringer sind. Fehler bei der Übermittlung der Kommunikationsinhalte sind jedoch auch hier möglich und zu vermeiden. Der größte Nachteil von Telefoninterviews ist, dass sich komplexe Themen dafür nicht eignen (Telefoninterviews müssen relativ kurz gehalten werden) und visuelle Befragungstechniken nicht anwendbar sind; Bildvorlagen oder aufwändige Antwortvorgaben können nicht einbezogen werden.
2.2.4
Computerunterstützte Befragung
Sowohl persönlich-mündliche als auch telefonische Interviews lassen sich bei entsprechender Ausstattung (wie sie in Marktforschungsinstituten Standard ist) auch computergestützt durchführen als CAPI „Computer assisted personal interview“ oder als CATI „Computer assisted telephone interview“. Die Interviewer arbeiten interaktiv an Bildschirm und Telefon bzw. im Interview. Dies bringt sowohl in der Befragungs- als auch in der Auswertungsphase Zeit-, Kosten- und Qualitätsvorteile: • • • •
sofortige Weiterverarbeitung der Daten möglich, keine konventionelle Codierung erforderlich, eingebaute Fehler- bzw. Plausibilitätskontrollen ermöglichen höhere Datenqualität, Zeit- und Kostenersparnis dank vorzeitigem Erhebungsabbruch bei Stabilisierung der Ergebnisse, • Teil- und Endergebnisse sind jederzeit und sofort nach Feldende abrufbar,
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• Ausschaltung bzw. Reduzierung des Interviewereinflusses und von Interviewerfehlern (z.B. durch automatische Filterführung), eine Beeinflussung des Befragten ist weitgehend ausgeschlossen, • Interviewerschulung und -kontrolle sind umfassend und individuell möglich, • Fragen oder Verständnisprobleme mit dem Fragebogen können sofort geklärt und Veränderungen – falls erforderlich – schnell umgesetzt werden. Auf der anderen Seite müssen die Kosten für die Systemeinrichtung, für die Programmierung und die spezifische Interviewerschulung berücksichtigt werden, was für den professionellen Einsatz in Marktforschungsinstituten und nicht für die Eignung in der betrieblichen Marktforschung aufgrund der fehlenden technischen Ausstattung spricht.
2.2.5
Online-Umfrage
Großer Beliebtheit in der Marktforschung erfreut sich zunehmend die Online-Befragung, die man als eine computerunterstützte Variante der schriftlichen Umfrage ansehen kann. Auch hier ist der Befragte beim Beantworten des Fragebogens auf sich alleine gestellt, ein Interviewer als „Begleiter“ durch den Fragebogen fehlt auch hier (sog. „Self administered surveys“, „Selbstauszufüllender Fragebogen“). Bei der Versendung des Fragebogens tritt das Internet an die Stelle konventioneller Versendungsarten wie Mailing oder Faxversand. Zu klären bleibt, wie der Fragebogen zugestellt wird (WWW, E-Mail) und wie der Befragte „gefunden“ bzw. angesprochen wird. Daneben gibt es auch Formen moderierter OnlineForschung (z.B. Chat). Die Online-Befragung profitiert von den Vorteilen der Computerunterstützung – schnelle und medienbruchfreie Datenbeschaffung und -verarbeitung. So kann gegenwärtig abgesehen werden, dass die Online-Marktforschung einen herausragenden Platz innerhalb der Marktforschung einnehmen wird („nicht immer, aber immer öfter"). So werden sie zulasten persönlich mündlicher Interviews (zu teuer) und zulasten schriftlicher Umfragen (zu langsam) zu einem unverzichtbaren Bestandteil im Methodenspektrum jedes zeitgemäßen Marktforschers werden. Eine Alleinstellung wird sie jedoch voraussichtlich nicht einnehmen: Hohe Forschungsqualität setzt voraus, die jeweiligen methodenspezifischen Stärken und Schwächen in Sampling (Gewinnung der Befragten), Repräsentativität, Erhebungsprozess und Antwortverhalten zu erkennen und in kombinierten Methodenkonzepten sinnvoll zu berücksichtigen.30
2.2.6
Entscheidungskriterien
Als Orientierungshilfe bei der Auswahl des geeigneten Erhebungsinstruments kann folgendes berücksichtigt werden: Von einem Kulturbetrieb selber sind relativ einfach und kostengünstig schriftliche Umfragen bei den eigenen Besuchern durchzuführen. Die enge Verbindung von Sender und Befragten lässt eine akzeptable Rücklaufquote erwarten.
30
Weitere Informationen zur Online Marktforschung, z.B. bei: Theobald et al. 2003
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Marktforschung – ein Instrument für Kulturbetriebe
Sollen persönliche oder telefonische Interviews durchgeführt werden, ist es für qualitativ brauchbare Interviews unerlässlich, geschulte und erfahrene Interviewer einzusetzen; möglicherweise sollten – wenigstens für die Feldarbeit – externe Fachleute eingesetzt werden. Soll eine computerunterstützte Befragung durchgeführt werden, sind Partner mit Erfahrung und der erforderlichen Technik einzubinden. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die wichtigsten Kriterien, die bei der Entscheidung über die Durchführung einer Befragungsart bedacht werden sollen.
Abb.1 Kriterien bei der Entscheidung zwischen persönlich- mündlicher, schriftlicher und telefonischer Befragung (eigene Darstellung)
2.3
Fallbeispiel
Wie Marktforschung konkret in einem Kulturbetrieb genutzt werden kann, soll nun an einer von der Autorin dieses Beitrages durchgeführten Befragung im Auftrag eines Opernhauses in einer deutschen Großstadt, in der es eine Vielzahl von Kulturanbietern und auch von direkten Konkurrenten gibt, gezeigt werden.
Brigitte Clemens-Ziegler
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Dieses Opernhaus sah sich vor der Aufgabe, mittelfristig einen umfassenden Relaunch seines Angebots und ihrer Außendarstellung durchzuführen, um die Besucherbindung zu verbessern und weitere Zuschauer zu gewinnen. Um die dafür erforderlichen Informationen zu beschaffen, wurde eine Befragung durchgeführt, deren Verlauf und Ergebnis nun dargestellt werden soll. Ausgangspunkt war - nachdem sich das Operhaus intern über die Problemstellung klar geworden ist - ein Briefinggespräch, in dem folgender Informationsbedarf für die Untersuchung festgelegt wurde: • Struktur der gegenwärtigen Zuschauer und möglicherweise künftigen Zuschauer des Opernhauses (Spezifikation der gegenwärtigen und der potenziellen Zielgruppe), • Verhalten und Verhaltensdeterminanten kulturell interessierter Menschen dieser Stadt („Operninteressierte“) die Nutzung kultureller Angebote (Informationsverhalten, Planung und Realisierung eines Opernbesuchs) betreffend • Zufriedenheit kulturell interessierter Menschen - nicht nur der eigenen Besucher - mit und Erwartungen an das diesbezügliche kulturelle Angebot in dieser Stadt • Bekanntheit des Hauses und der eigenen Stärken im Vergleich zu den unmittelbaren Konkurrenten. Mit der Durchführung wurde eine Gruppe von Studierenden der Betriebswirtschaftslehre an der FHTW Berlin unter der Leitung der Autorin beauftragt; gemeinsam mit dem Auftraggeber legten wir zunächst das methodische Vorgehen fest. Es wurden zwei persönlich-mündliche Befragungen durchgeführt; die eine bei aktuellen Besuchern des Opernhauses, die anlässlich mehrerer Aufführungen befragt wurden und Auskunft über das aktuelle Erleben dieser Aufführungen geben konnten; die andere bei zufällig ausgewählte Personen an verschiedenen stark frequentierten Plätzen der Stadt, die - unabhängig von der eigenen Erfahrung mit Opernaufführungen - Informationen über die Bekanntheit und das Image der verschiedenen Kultureinrichtungen geben konnten. In beiden Umfragen kamen unterschiedliche Fragebogen zum Einsatz. Diese wurden u.a. unter Verwendung der Anregungen bei BUTZER-STROTHMANN et al. (2001) entwickelt.31 Der Fragebogen wurde in einem Pretest überprüft und optimiert. Die als Interviewer eingesetzten Studierenden wurden geschult und auf die Befragungen vorbereitet. So konnte erreicht werden, dass die Interviews ohne Probleme korrekt durchgeführt werden konnten. Nach der Dateneingabe und -prüfung wurde die Auswertung32 mit Hilfe des Statistik-Programmpakets SPSS durchgeführt.33 Die erhaltenen Ergebnisse lieferten beispielsweise eine genaue soziodemographische Beschreibung der Opernbesucher und derjenigen, die dieses Opernhaus
31
Weitere Informationen zur Fragebogengestaltung z.B. bei Bühner 2004 und Fantapié Altobelli 2007, S. 162ff.
32
Unterstützende Informationen zur Statistik bei Eckstein 2006; Backhaus et al. 2006; Berekoven 2006, S. 195ff.; Fantapié Altobelli 2007, S. 209ff. 33
Siehe. dazu: Eckstein 2006; Rodeghier 1997; Toutenburg et al. 1998; Voß 2000
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Marktforschung – ein Instrument für Kulturbetriebe
kennen, aber noch nicht besucht haben und derjenigen, die dieses Opernhaus nicht kennen, dafür aber andere und diese besuchen. Ergänzend wurden Erkenntnisse gewonnen zum Nutzungsverhalten der Besucher, z.B. wie oft sie welche Aufführungen besuchen und in welcher Begleitung sie dahin unterwegs sind und zu ihrer Zufriedenheit mit den Aufführungen und dem Opernangebot. Zur Wunsch-Gestaltung des Angebots durch ihre Besucher, aber auch durch solche Operninteressierte, die das untersuchte Opernhaus bisher eher gemieden haben, konnten ebenfalls wichtige Erkenntnisse ermittelt werden, die bei dem geplanten Relaunch Berücksichtigung finden müssen. Diese beziehen sich nicht nur auf das Programmangebot, sondern auch um weitere Aspekte, wie z.B. die Nutzung der unterschiedlichen Kommunikationskanäle - v.a. des Internets - der Reservierungs- und Zahlungsmöglichkeiten bei der Kartenbestellung oder von Service und Organisation. Außerdem wurden Bedingungen ermittelt, die bisherige Nichtbesucher zum Besuch einer Aufführung bewegen könnten, ebenso Bedingungen, die eine Erhöhung der bisherigen Besucherfrequenz bei Opernbesuchern bzw. die direkte Ansprache von „Nicht“-Besuchern über verkaufsfördernde Maßnahmen, wie Schnupperangebote, reduzierte Eintrittspreise oder Vorabinformationen (Newsletter). Die mit dieser Befragung gewonnenen Erkenntnisse konnten vom Opernhaus bei dem anschließenden Relaunch berücksichtigt werden und haben damit den Nachweis erbracht, dass Marktforschungsaktivitäten auch für einen Kulturbetrieb von großem Nutzen sein können.
3
Literatur
Backhaus, K. et al.: Multivariate Analysemethoden, Eine anwendungsorientierte Einführung, 11. überarbeitete Auflage, Berlin 2006 Berekoven, L. / Eckert, W. / Ellenrieder, P.: Marktforschung, Methodische Grundlagen und praktische Anwendung, 11. Auflage, Wiesbaden 2006 Bühner, M.: Einführung in die Test- und Fragebogenkonstruktion, München 2004 Butzer-Strothmann, K. / Günter, B. / Degen, H.: Leitfaden für Besucherbefragungen durch Theater und Orchester; hrsg. v. Deutschen Bühnenverein. Baden-Baden 2001 Fantapié Altobelli, C.: Marktforschung. Methoden - Anwendungen – Praxisbeispiele, Stuttgart 2007 Eckstein, P. P.: Repetitorium Statistik, 6. Auflage Wiesbaden 2006 Eckstein, P. P.: Angewandte Statistik mit SPSS, 5. Auflage, Wiesbaden 2006 Rodeghier, M.: Marktforschung mit SPSS, Analyse, Datenerhebung und Auswertung, Bonn 1997 Theobald, A. / Dreyer, M. / Starsetzki, T.: Online-Marktforschung, Theoretische Grundlagen und praktische Erfahrungen, 2. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden 2003
Brigitte Clemens-Ziegler
91
Toutenburg, H. / Fieger, A. / Kastner, C.: Deskriptive Statistik, Mit Übungsaufgaben und Beispielen mit SPSS für Windowsm, München 1998 Voß, W.: Praktische Statistik mit SPSS, 2. aktualisierte Auflage, München / Wien 2000 Weis, H.-C. / Steinmetz, P.: Marktforschung, in: Weis, H.-C. (Hrsg.): Modernes Marketing für Studium und Praxis, 6. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Ludwigshafen 2005
Hardy Geyer
Nachfragertypologien 1
Einleitung
2
Praxis der Beschreibung von Nachfragern
3
Nachfragertypologien
3.1
Begriffsbestimmung
3.2
Anforderungen
3.3
Ansätze
3.4
Anwendung
3.5
Lebensstiltypologien
3.6
Milieutypologien
4
Folgerungen
5
Literatur
94
1
Nachfragertypologien
Einleitung
Kulturbetriebe unterbreiten ihre Angebote gewöhnlich an lebendige Menschen, die in ihrem Leben mehr oder weniger regelmäßig Produkte wie z.B. Filmaufführungen, Gemälde oder konzertante Musikaufführungen nachfragen. Als Nutzer, Besucher und Kunden kultureller Einrichtungen entscheiden sie für sich selbst und vielleicht auch für ihre Familien darüber, was, wann, warum konsumiert oder aktiv genutzt werden soll. So vielfältig wie das Leben der einzelnen Menschen ist, so vielfältig ist auch ihr Umgang mit den kulturellen Angeboten. Es gibt Menschen, die mit großer Begeisterung regelmäßig ins Theater gehen; andere hingegen verweigern sich dem Schauspiel und tummeln sich lieber auf quirligen Straßenfesten oder folgen dem Treiben von Straßenmusikanten. Die Einen nutzen herausragende museale Angebote und verpassen keine Sonderausstellung, während andere nur an Urlaubstagen das noch so kleinste und scheinbar uninteressanteste Museum aufsuchen. Solche Beispiele lassen sich noch viele aufzählen. Für einen Anbieter kultureller Produkte, der vom Verhalten seiner Besucher, Zuschauer, Zuhörer, Teilnehmer, Nutzer und Kunden abhängig ist, stellt sich grundsätzlich die Frage, mit welchem Nachfrager er es zu tun hat und vor allem, wem er Angebote unterbreiten sollte. Und so wächst das Bedürfnis, zunächst gedanklich-abstrakt abzubilden, wer die Nachfrager sind, um mit diesem Bild strategische und operative Marketingentscheidungen vorzubereiten. Mit diesem Wissen können Austauschprozesse zwischen Nachfrager und Anbieter zielsicherer gestaltet werden. Andererseits wächst aus kulturpolitischer Sicht das Interesse an Informationen über das Publikum, da gesellschaftliche Veränderungen auch Veränderungen in der Publikumsstruktur hervorrufen und umgekehrt, was wiederum verändertes (kultur-) politisches Handeln zur Folge haben sollte.
2
Praxis der Beschreibung von Nachfragern
Untersuchungen zeigen jedoch, dass das Management von Kulturbetrieben zwar oft der Meinung ist, relativ genau zu wissen, wer die Zielgruppe sein sollte und wer die tatsächlichen Nachfrager sind. Ein Hinterfragen der eingesetzten Methoden offenbart jedoch Unsicherheiten. Theoretisch-methodologische Ansätze fehlen meistens und die am häufigsten eingesetzte Methode ist die unsystematische Beobachtung des Besucherverhaltens, gefolgt von gelegentlichen schriftlichen Befragungen. Impulse für solche Bemühungen sind insbesondere beim Wechsel des Kulturbetriebsmanagement oder auf Anforderung der Kulturpolitik im Hinblick auf den Legitimationszwang erkennbar. Sie finden nur selten regelmäßig statt. Die Besucherforschung wird eher als untergeordnete Aufgabe angesehen, die insbesondere dann zu leisten ist, wenn die gewünschten Besucher oder Erfolge ausbleiben. Wenn es überhaupt systematische analytische Versuche gibt, dann sind sie meist sehr simpel. Gewünschte Zielgruppen oder erreichte Nachfrager werden häufig anhand weniger Merkmale erfasst, zum Beispiel alle Einwohner der Stadt oder eines Stadtteils, alle Kinder bis 14 Jahre, alle interessierten Jugendlichen von 14 bis 18 Jahren, Erwachsene, alle älteren Be-
Hardy Geyer
95
wohner, alle Kinokunstinteressierten, alle Theaterfreunde oder alle Opernliebhaber und so weiter und so fort. Diese Unterscheidungen von Personenzielgruppen sind sehr grob und erfassen vor allem einzelne ausgewählte Eigenschaften von Personen. Das in der Praxis am häufigsten eingesetzte Merkmal ist das Einzugsgebiet. Dieses räumliche Kriterium wird oft ergänzt durch das Merkmal des Alters. Bei der Selektion von Besuchern nach dem Kriterium der kulturellen Präferenzen fehlen allerdings oft diese beiden Merkmale. Diese Ansätze bilden weder typische Muster des Umgangs mit kulturellen Angeboten ausreichend ab noch werden diese erklärt. Sie sind zu global und zu undifferenziert, so dass damit Entscheidungsfindungen für das strategische wie auch für das operative Marketing nur schwer möglich sein dürften. Damit impliziert sich aber nicht automatisch ein Misserfolg kultureller Betriebe. Oftmals hat sich auf der Grundlage intuitiver Entscheidungen eine erfolgreiche Praxis entwickelt. Doch wenn Kulturmärkte enger werden, dann wird eine systematische Analyse und eine exakte Zielgruppenbestimmung wichtig.
3
Nachfragertypologien
3.1
Begriffsbestimmung
Ganz allgemein können über Typologisierungen unterschiedliche Typen gebildet werden, die sich jeweils auf der Grundlage von bestimmten Merkmalen durch ein bestimmtes Gepräge, ein bestimmtes Muster oder eine bestimmte Grundform auszeichnen. Eine Nachfragertypologie ist ein Versuch, eine Menge von unterschiedlichen Konsumenten, Besuchern, Nutzern und Käufern als Nachfrager kultureller Angebote in unterschiedliche Typen einzuteilen. Ein Nachfragertypus repräsentiert eine Gruppe von Menschen, die bestimmte Merkmale ihres Nachfrageverhaltens gemeinsam haben. Mit Typologisierungen ist es möglich, die Mannigfaltigkeit von Erscheinungen zu ordnen und überschaubar zu machen. Der Einsatz von Nachfragertypologien im Kulturmarketing macht Sinn, wenn damit ein Nutzen für Entscheidungsprozesse verbunden ist. Dieser ist gegeben, wenn mit ihrem Einsatz Marketingentscheidungen zielsicherer getroffen werden können. Der Hauptnutzen liegt zweifelsfrei in der Informationsgewinnung begründet. Wenn mit dem Bilden eigener oder dem Einsatz bereits vorhandener Nachfragertypologien im Rahmen der Marketinganalyse verwertbare Informationen über den Nachfrager gewonnen werden können, die im Rahmen der strategischen und operativen Marketingplanung anwendbar sind, dann ist ein Nutzen gegeben. Der spezielle Nutzen verbindet sich vor allem mit der Möglichkeit, mit diesem Instrument systematisch Nachfragerzielgruppen zu segmentieren und zu
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Nachfragertypologien
definieren. Mit einer solchen Segmentierung der Nachfrager ist es möglich ein Bild darüber zu gewinnen, mit welchen Typen von Verbrauchern, Kunden, Besuchern und Käufern ein Anbieter von Kulturprodukten es zu tun oder nicht zu tun hat. Dieses gewonnene Bild kann helfen, • die strategische Zielgruppe zu definieren, • auf die Nachfragertypen zugeschnittene Angebote zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu unterbreiten, • mit den jeweiligen Zielgruppen wirkungsvoll und wirtschaftlich zu kommunizieren. Die Nachfragertypologien sind also ein modellhaftes Bild von Nachfragertypen (-gruppen), mit dem die Vorstellungskraft bei Marketingentscheidungen gesteigert wird.
3.2
Anforderungen
Zur Bildung von Nachfragertypologien für die Marketingplanung von Kulturbetrieben sind bestimmte Anforderungen nötig (vgl. Bruhn 1999, S. 212 und Koch 2002, S. 136ff.). Zunächst stellen sich Anforderungen an die Trennschärfe. Die Nachfrager der kulturellen Angebote sind aus der Gesamtheit der möglichen Marktteilnehmer auf der Grundlage bestimmter Merkmale zu isolieren und trennscharf abzugrenzen. Mit Hilfe dieser Merkmale sollte es möglich sein, eine relativ homogene Gruppe zu identifizieren, die sich von anderen Gruppen weitgehend unterscheidet. Das ist eine entscheidende Voraussetzung, damit Segmente gebildet werden können. Eine absolute Trennschärfe dürfte in der Praxis jedoch ausgeschlossen sein, so dass jede Nachfragertypologie eher idealtypisch trennt. Unschärfen entstehen durch ungenaue Bezeichnungen, ungenügend differenzierte soziodemografische Daten, über einen längeren Zeitraum ungültige Eigenschaften oder methodologische und methodische Schwierigkeiten beim Erfassen von Merkmalen. Eine zweite Anforderung betrifft die Wiedererkennbarkeit. Erforderlich sind überprüfbare Merkmale, die einerseits einen möglichst engen Bezug zum Kaufentscheidungsprozess aufweisen, andererseits semantisch von allen verstanden werden, die im Marketingprozess die Typologien anwenden. Da Nachfragertypologien für den Kulturbereich kaum entwickelt wurden und deshalb auf bekannte allgemeine Typologien zurück gegriffen werden muss, ist besonderes Augenmerk auf die Begrifflichkeiten zu legen. Um Missverständnissen vorzubeugen, sind eindeutige Sprachregelungen nötig, damit die Wiedererkennbarkeit möglich ist. In diesem Zusammenhang ist auch die Auffindbarkeit eine wesentliche Anforderung. Es muss sichergestellt sein, dass mit den Merkmalen die beschriebenen Zielgruppen über verschiedene Medien wiedergefunden werden und erreichbar sind. Es zeigt sich, dass gelegentlich Produktentwickler von Zielgruppen und Nachfragertypen ausgehen, die nicht den allgemeinen Mediazielgruppen entsprechen und umgekehrt. Einheitliche Nachfragertypologien können die Auffindbarkeit verbessern.
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Eine vierte Anforderung ist der Zielbezug. Damit produktpolitische und kommunikationspolitische Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden können, müssen einerseits die Merkmale und die Nachfragertypen tatsächlich existieren. Andererseits sollten sie eine ausreichende Aussagekraft und einen schlüssigen Informationsgehalt für konkrete Marketingentscheidungen besitzen. Mögliche Wunschbilder sind nicht ausgeschlossen. Deshalb sind Nachfragertypologien regelmäßig zu überprüfen und ggf. neu zu definieren. Diese vier grundlegenden Anforderungen sind zu berücksichtigen, wenn der Einsatz von bestehenden oder die Neuentwicklung von Nachfragertypologien erwogen wird.
3.3
Ansätze
Seit den 1980er Jahren hat sich ausgehend vom Bedürfnis der Marketingpraxis nach mehr Informationen über die Zielgruppen, eine breite Praxis des Umgangs mit Konsumenten- bzw. Nachfragertypologien entwickelt. Solche Typologien wurden entweder in Zusammenarbeit oder aber impulsgebend durch die Sozialstrukturforschung oder die Kultursoziologie entwickelt. Hauptabnehmer waren und sind vor allem Unternehmen der Konsumgüterindustrie oder der Massenmedien, die sie oftmals erfolgreich einsetzen. Nachfragertypologien entstanden aber auch im Rahmen der Besucherforschung und der Zielgruppenbestimmung von kulturellen Betrieben. Inzwischen gibt es viele Modelle, von denen hier nur eine Auswahl präsentiert werden kann. Die Darstellung der Typologien erfolgt in Ausschnitten und ist zudem stark verkürzt; sie kann lediglich einen Überblick in das Wesen, den Nutzen, die verschiedenen Ausgangspunkte und die Ergebnisse der Forschung geben (Ausführliche Darstellung in: Geyer 2004). Die bislang in der Marketingpraxis im Allgemeinen und in der Kulturmarketingpraxis im Besonderen praktizierten Methoden sind sehr unterschiedlich. Ein Überblick über die vielfältigen Versuche zeigt zwei grundlegende Linien zur Typologisierung von Käufern und Nutzern: Der eine Ansatz ist eher quantitativ ausgerichtet, der andere Ansatz ist eher qualitativ orientiert, wobei diese sich wiederum durch einfache, eindimensionale oder komplexe, mehrdimensionale Herangehensweisen unterscheiden. Die quantitativen Modelle abstrahieren weitestgehend von der Qualität und betrachten vor allem soziodemografische Fakten, wie z.B. Alter, Anzahl der Kinder, Einkommen, Mediennutzung. Qualitative Ansätze hingegen versuchen das Leben der Menschen so zu fassen, wie es ist, indem der Mensch als biopsychosoziales Wesen in seiner sozialen Umwelt, mit seinem Verhalten und seinen Persönlichkeitsmerkmalen gefasst wird. Für Konsumgütermärkte werden üblicherweise demografische, psychographische und Verhaltensmerkmale herangezogen (vgl. Kotler et al. 2001, S. 346ff.).
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Nachfragertypologien
Am einfachsten zu erkennen sind die demografischen Kriterien, die primär quantitativ erfasst werden. Dazu gehören die Analyse des Lebensalters, die Position im Lebenszyklus, das Haushaltseinkommen, die berufliche Tätigkeit, der Schulabschluss, die Religion, die ethnische Zugehörigkeit, und die Staatszugehörigkeit. Sie bilden die Basis für eine Unterscheidung und Typologisierung der Nachfrager und eine Segmentierung des Marktes. Mit der psychographischen Segmentierung werden die Käufer entsprechend der sozialen Lage und dem Lebensstil in Gruppen eingeteilt. Mit psychografischen Kriterien werden darüber hinaus subjektiv erlebbare Eigenschaften des Produkts und Persönlichkeitsmerkmale erfasst. Da Motive des Kaufs methodisch nur schwer zu fassen sind, werden primär qualitative Merkmale wie beispielsweise Einstellungen, Interessen, Meinungen herangezogen. Die verhaltensorientierte Segmentierung unterteilt die Nachfrager nach dem Kaufanlass, dem gesuchten Nutzen, dem beobachtbaren Kaufverhalten, der Nutzungsintensität, dem Treueverhalten, den Stadien der Kaufbereitschaft, und den Einstellungen gegenüber dem Produkt. Im Rahmen der (Kultur-) Besucherforschung gibt es in Deutschland seit den 1980er Jahren mehrere Bemühungen, Merkmale zu bestimmen, die geeignet sind, die Besucher kultureller Einrichtungen zu unterscheiden. Ein erstes, groß angelegtes, systematisches Forschungsprojekt wurde 1984 für den kulturellen Bereich begonnen und machte erstmals konkrete Aussagen über Interessen, Präferenzen und soziodemographische Strukturen eines Museumspublikums möglich. Aufgrund der Auswahl von Museen in Westfalen-Lippe und Berlin galt es als repräsentativ für die (damalige) Bundesrepublik Deutschland (vgl. Klein 1990). Diese Untersuchung bildet Besucherstrukturen nach verschiedenen Merkmalen ab. Zunächst wurden die Besucher nach Alter und Geschlecht differenziert und zusätzlich „soziale“ oder „sozialschichtbezogene“ Merkmale herangezogen, wie die Berufstätigkeit, die Berufsstellung, die Bildungsstruktur. Eine nächste Analyseebene war der Einzugsbereich. Unterschieden wurde in Nah- und Fernbesucher. Daneben wurden die „Besuchsumstände“ wie personale museumsbezogene Entscheidungen, Verhaltensweisen oder Einstellungen analysiert. Daraus sind Erstbesucher und Folgebesucher, wie beispielsweise Stammbesucher selektierbar, die wiederum nach ihrer Sozialität in Einzel- oder Gruppenbesucher differenziert werden können. Als relevant werden die Besuchsveranlassung und die Entscheidungsfindung angesehen. KOCHs Analysen weisen nach, dass kunstspezifisch gebildete Segmente nach Typen im deutschsprachigen Raum kaum zu finden sind. Auch Verfahren der Zielgruppenbildung, die individuell für eine Einrichtung die Besuchergruppen mit einem Bündel an Merkmalen charakterisieren, existieren nicht. Statt einer Besuchertypologie werden durch einzeln genannte Kriterien Zielgruppen vorab segmentiert. Aus der Kritik heraus erstellte daraufhin KOCH für die Hamburger Kunsthalle folgende elf Zielgruppen im Rahmen einer Besuchertypologie: Junge Erwachsene, Familien mit Kindern, Kunstliebhaber, Sonderausstellungsbesucher, Allgemein Interessierte, Alleinstehende Frauen, Mitglieder des Freundeskreises, Tagesrei-
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sende, Auswärtige mit Übernachtung, Organisierte Reisegruppen. Diese Typologie ist nicht oder nur bedingt auf andere Museen übertragbar. (vgl. 2002, S. 128)
3.4
Anwendung
Die einfachste Methode, Käufer- bzw. Nachfragerverhalten zu segmentieren, ist die Unterscheidung der Käufer nach soziodemografischen Merkmalen, wie Geschlecht, Alter, Haushaltsführung, Einkommen, Familienstand, Ausbildung, Tätigkeit, Haushaltsgröße usw., die dann einzeln oder gemeinsam herangezogen werden. Werden allerdings nur demografische Kriterien herangezogen, können Differenzen im Konsumverhalten nicht beschrieben werden. Sie sind nur bedingt kaufrelevant und lassen gegebenenfalls nur wenige Hinweise auf Kauf- oder Nichtkauf zu, so dass kaum begründbare Folgerungen bspw. für die Entwicklung segmentspezifischer Produkte getroffen werden können. Aber sie sind dennoch wichtig. Auch wenn andere Kriterien herangezogen werden, so sind sie als passive Variablen mit diesen in Verbindung zu bringen. Dass das Verhalten nicht unbedingt in einem Zusammenhang mit dem Alter oder dem Familienstand stehen muss, lässt sich anhand der Kinobesucher nachvollziehen. Schon eine oberflächige Beobachtung von Kinobesuchen lässt den Schluss zu, dass nicht nur unverheiratete Frauen im Alter von 18 bis vielleicht 24 Jahren unterhaltsame Filme im Kino mit Vergnügen betrachten. Auch Männer um die Vierzig gehen in Begleitung ihrer Frauen und manchmal auch mit Kindern in die Lichtspieltheater und finden sich dort in guter Gesellschaft mit Arbeitslosen, Handwerkern, mittellosen Studenten, einkommensstarken Managern, Verliebten, Geschiedenen, Langweilern, Individualisten usw. Die Unterschiede können oftmals nicht größter sein; sie sind mit geübtem Blick und wenig Sachverstand leicht erkennbar. Was aber Kinobesucher einer Filmveranstaltung vereint, ist das gemeinsame Interesse am Filmgenuss in guter Gesellschaft, im gut gefüllten Kinosaal, um sich zu vergnügen, zu bilden oder vom Alltag abzulenken. Und genau dieser Aspekt wird in demografischen Beschreibungsversuchen vernachlässigt. Um ein komplexes Bild vom Kinobesucher gewinnen zu können, ist deshalb die Einbeziehung soziologischer und psychologischer Merkmale erforderlich. Soziologische Merkmale sind beispielsweise (berufliche) Tätigkeiten, Kultur, Gruppenzugehörigkeit (Familie, Rollen), Meinungsführerschaft usw., psychologische Elemente sind u.a. Motive, Motivationen, Emotionen, Einstellungen, Involvement, Wünsche. Unter Einbeziehung dieser Merkmale können genauere Bilder, eben Typologien, von Käufer-, Nutzer- oder Besuchergruppen gewonnen werden. Wie bei allen wissenschaftlichen Studien besteht jedoch die Gefahr, dass mit abstrakten und wenig anschaulichen Darstellungen von Untersuchungsergebnissen, bspw. mit undurchschaubaren, verwirrenden Tabellen und mit von scheinbar unerklärlichen wissenschaftlichen Termini durchsetzten Erläuterungen, die Anwendung der Erkenntnisse be- oder gar auch verhindert wird. Die Anwendung von wissenschaftlichen Erkenntnissen wird nach aller Er-
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Nachfragertypologien
fahrung gefördert, wenn komplexe und komplizierte Sachverhalte plausibel und anschaulich dargestellt werden. Eine solch komplexe Herangehensweise wird mit Lebensstiltypologien und Milieutypologien verwirklicht.
3.5
Lebensstiltypologien
Lebensstil- oder Milieutypologisierungen helfen, hochkomplexes menschliches Verhalten anschaulich und nachvollziehbar, oftmals mit groben und bildhaften Beschreibungen eher qualitativ darzustellen. Die deutsche Übersetzung von Bourdieus „Die feinen Unterschiede“ zu Beginn der 1980er Jahre befruchtete die Lebensstildiskussion in Deutschland (vgl. Bourdieu 1994). Im Gegensatz zum deutschen Begriff Lebensstil im Sinne von Lebensgewohnheiten (stilvoll) sind im englischen Begriff des Life-Style Merkmale wie Charakter, Naturell, Gemütsart, Denkart, Weltbild, Grundeinstellung, Lebenshaltung, Lebensstandard, Lebensstil, Persönlichkeitsrahmen, Lebensraum, Umgebung, Milieu abgebildet. Das Individuum teilt einen bestimmten Lebensstil mit anderen Mitgliedern der Gesellschaft oder einer gesellschaftlichen Gruppe, die sich ähnlich verhalten (vgl. Kramer 1991). Der Lebensstil kann mit soziodemografischen, sozioökonomischen und psychischen Variablen erhoben werden. Über die Beschreibung der Merkmale werden überdurchschnittlich ähnliche Personen zu Typen verdichtet. Vereinfachte Verdichtungen klassifizieren nach wenigen Merkmalen. Beispiele dafür sind die Lebensstil-Gruppen der Yuppies (Young Urban Professionals), der Dinkies (Double Income, No Kids) oder der Taps (Technically Advanced Persons). Typologien dagegen sind mehrdimensional, denn es werden demografische, sozioökonomische und psychische Merkmale herangezogen. Sie werden durch statistische Verfahren gebildet. Im Ergebnis liegen dann entweder allgemeine oder produktbezogene Typologien vor. Allgemeine Typologien beschreiben den Lebensstil unspezifisch, während produktbezogene Lifestylebeschreibungen im Zusammenhang mit der Nutzung von konkreten Produkten, also Gütern und Leistungen stehen. Einen Überblick zur bisherigen empirischen Erforschung von Lebensstilen geben GEORG (1998) und SCHWENK (1996). Die Life Style- oder Lebensstilforschung ermöglicht eine Beschreibung des Verbrauchers, die entgegen den in der Praxis üblicheren soziodemografisch orientierten Versuchen auf der Basis umfangreicher psychologisch-qualitativer Merkmale durchgeführt wird. Damit soll der Mensch in seiner Individualität als Persönlichkeit ganzheitlich erfasst werden. Es entwickelten sich drei Ansätze, die Acitvity & Attitude Research, der AIO-Ansatz und das Modell der Values und Life-Styles, kurz VALS-Modell genannt. Beispielhaft soll hier
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der des AIO-Ansatzes beschrieben werden, sein Kern ist die Erfassung der folgenden Variablen: • Activities (beobachtbare Aktivitäten, die sich auf verschiedenste Lebensbereiche wie Politik, Gesellschaft und Kultur beziehen können) • Interests (emotional bedingte Verhalten, Interessen) • Opinions (kognitive Orientierungen, Meinungen, Einstellungen). Mit Hilfe dieser Variablen können Lebensstile gebildet werden, die wiederum mit dem Kauf-, Gebrauchs-, Verbrauchs- und Mediaverhalten und demografischen wie sozioökonomischen Merkmalen in Verbindung gebracht werden können und von einer entsprechenden gesellschaftlichen Kultur beeinflusst sind. Von der Werbeagentur Michael Conrad & Leo Burnett (1973, 1990) wurden zur Verbesserung der Zielgruppenforschung plastisch-darstellbare Typen unterschieden (vgl. Trommsdorf 1998, S. 211ff.). Um die Prägnanz zu erhöhen, wurden die Typen mit Namen und Fotos versehen. Die Life Style Typologie von Conrad & Burnett verdeutlicht sehr anschaulich unterschiedliche Lebensstile. Vor allem durch den Einsatz von Fotografien können auch Entscheider mit wenig Sinn für sozialwissenschaftliche Analysen zu einem einprägsamen und praktikablen Bild vom Verbraucher kommen. Insgesamt ist diese Typologie als eine allgemeine Typologie zu werten. Für die Marketingpraxis kultureller Betriebe werden keine konkreten Aussagen getroffen. Ableitungen für kulturelle Bereiche können nur bedingt und unter Umständen nur mit großer Assoziationsgabe getroffen werden, was allerdings mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sein dürfte. Mitte der 1980er Jahre untersuchte GLUCHOWSKI (1988) Einstellungen, Vorlieben und Verhaltensweisen von Menschen in verschiedenen Lebensbereichen. Neben politischen Einstellungen wurden auch Vorlieben in der Mediennutzung und Konsumgewohnheiten in Bezug auf Freizeitangebote erfasst. Seine Untersuchung führte zu sieben Lebens- und Freizeitstilen (vgl. ebd., S. 25ff.): Der etablierte beruflich Erfolgreiche; der junge freizeitorientierte Konsument; der häusliche, familienzentrierte Mensch; der motivierte, engagierte Jüngere; der passive, anpassungsfähige Arbeitnehmer; der normorientierte Durchschnittsbürger; der zurückgezogene ältere Mensch. Diese Lebens- und Freizeitstile orientieren neben dem allgemeinen Lebensstil vor allem auf den Freizeitstil. Da Kultur und Freizeit eng miteinander verbunden sind, werden die Typologien grundsätzlich für das Kulturmarketing interessant. Doch sie tragen insgesamt einen eher allgemeinen Charakter. Aussagen für spezielle Kulturmärkte sind schwer oder nur mit großen Unsicherheiten abzuleiten. Zudem dürften gesellschaftliche Wandlungsprozesse eine Überprüfung dieser Stile erforderlich machen. Die Euro Socio Styles wurden durch die GfK Lebensstilforschung durch zwei Erhebungen in 15 europäischen Ländern in den Jahren 1989 und 1995 entwickelt. Im Ergebnis liegen 15 Typen vor: Free Thinkers, Reformers, Stabilizers, Pilots, Censors, Eldest, Unapproachables, Safety-Oriented, Easy-Going, Gamblers, Bonvivants, Go-Ahead-Fellows, Preservers, Guardians, Isolated (vgl. Trommsdorf 1998, S. 34).
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Nachfragertypologien
Die Euro Socio Styles sind ein Versuch, Lebensstile im europäischen Vergleich zu fassen. Im Ergebnis liegen sehr differenzierte allgemeine Lebensstile vor, die allerdings nur wenig Aussagekraft für Entscheidungsprozesse im Kulturmarketing besitzen. Doch für die Gewinnung eines Bildes von Lebensstilen in der europäischen Dimension bringen sie Erkenntnisse über die Annäherung in Europa, die für Argumente zur Entwicklung internationaler Kulturvorhaben wertvoll sein können. Ebenfalls auf der Grundlage des Lebensstilansatzes wurde 1996 von SPELLERBERG und BERGER-SCHMITT im Rahmen des Projekts „Lebensstile, Wohnbedürfnisse und Mobilitätsbereitschaft“ eine Originaltypologie für die erwachsene Bevölkerung in West- und Ostdeutschland entwickelt. Ein Ziel der Untersuchung war, die Typologie von 1996 mit den Daten einer früheren Erhebung von 1993 zu vergleichen, um quantitative und qualitative Veränderungen in den Lebensstilen von West- und Ostdeutschland nachzeichnen zu können (Spellerberg / Berger-Schmitt 1998, S. 34ff.). Es wurden für die beiden Landesteile jeweils neun Lebensstilgruppen ermittelt. Die Untersuchungen zeigen, „dass die kulturellen Segmente einer sozialen Rangfolge insofern entsprechen, als die Produkte der Hochkultur von den höheren Schichten Interesse finden. Des weiteren sind in der Regel die jeweils Bessergestellten in den verschiedenen Kultursegmenten die außerhäuslich Aktiveren.“ (ebd., S. 35) Abgesehen davon, dass die Trennung in Typologien für Ost- und Westdeutschland inzwischen wegen der fortschreitenden Angleichung der Lebensstile vermutlich nicht mehr aufrecht zu erhalten sein wird, offenbaren sie für die Marketingpraxis verwertbare Erkenntnisse. Die Zuordnung der Lebensstile einerseits zur etablierten Kultur, der modernen Kultur und zu populär-volkstümlichen (kulturellen) Vorlieben und andererseits zu häuslichen und außerhäuslichen Aktionsradien lässt Schlussfolgerungen für strategische und operative Marketingentscheidungen zu. Insgesamt ist der Typologieansatz von SPELLERBERG und BERGERSCHMITT jedoch als allgemeine Typologie zu werten. Die deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ARD und ZDF entwickelten ab 1997 eine eigene Nutzer- bzw. Publikumstypologie auf Basis des Lebensstilansatzes, weil Universaltypologien auf die besonderen Segmentierungsbedürfnisse des Hörfunk- und Fernsehmarktes nicht eingehen (vgl. Hartmann 1999, S. 531ff.). Das Ziel der entwickelten MedienNutzerTypologie (MNT) war die Unterscheidung von Personengruppen mit unterschiedlichem Hör- und Sehverhalten. Dazu wurde das gesamte Publikum in verschiedene Untergruppen gegliedert. Ansatzpunkt war die Annahme, dass die wesentlichen Determinanten für die differentielle Nutzung von Hörfunk- und Fernsehangeboten im Bereich des individuellen Geschmacks und thematischen Interesses (Themeninteresse, Musikgeschmack) liegen. Diese Determinanten wurden mit einer Vielzahl von bekannten Variablen der Lebensstilforschung verknüpft, wobei alltagsästhetischen Präferenzen und Handlungsorientierungen eine besondere Rolle zu kam, wie die Nutzung von Tageszeitungen, Freizeitaktivitäten, Arbeitsmotivation, musikalische Präferenzen, thematische Interessen, allgemeines und lokales Interesse, allgemeine Werte und Lebensziele, Geschlechtsrollen, Aspekte der Kleidermode, der Ernährung sowie Persönlichkeitseigenschaften wie Risikobereitschaft, Einsamkeit und Kontrollüberzeugungen.
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Im Ergebnis der Befragung konnten neun MNT-Typen gebildet werden, die Eigenschaftsbündel beschreiben und zentrale Elemente des jeweiligen Typus vereinigen: Typ A: Junge Wilde, Typ B: Erlebnisorientierte, Typ C: Leistungsorientierte, Typ D: Neue Kulturorientierte, Typ F: Aufgeschlossene, Typ G: Häusliche, Typ H: Klassisch Kulturorientierte, Typ I: Zurückgezogene. Diese MedienNutzerTypologie ist methodisch nachvollziehbar und wirft eine ganzheitliche Sicht auf das Mediennutzerverhalten. Gegenüber einer rein demografischen Beschreibung von Medien- und Programmnutzern werden bei der angewendeten Lebensstilperspektive die Person und deren Gewohnheiten analysiert. Dadurch lassen sich Schlüsse für die Programmentwicklung von ARD und ZDF ziehen. Für die Entwicklung von kulturellen Angebotsprogrammen sind diese Untersuchungen deshalb interessant, weil Rückschlüsse auf kulturelle und insbesondere musikalische Interessen gezogen werden können. Die gebildeten Typen sind aufgrund der sachlogischen Nähe von Medien- und Kulturverhalten für Kulturmarketingentscheidungen nutzbar. LÜDTKE fasst die Ergebnisse verschiedener empirischer Klassifikationen zusammen und kristallisiert sieben Grundtypen von Freizeitstilen in der Bundesrepublik Deutschland: S1 Erlebnisorientierte Konsumfreudige, Action und High Life, S2 Unkonventionelle Selbstverwirklicher, S3 Etablierte Bildungsbürger mit hochkultureller Orientierung, S4 Legere Häusliche, S5 Nostalgisch Zurückgezogene, S6 Konventionell-bodenständige Familienzentrierte mit trivialkultureller Orientierung, S7 Resignierte, Deprivierte (vgl. Lüdke 2001, S. 199ff.). Die sieben Grundtypen sind aus Sicht des Kulturmarketing durchaus geeignet, um ein Bild vom Kulturnachfrager zu gewinnen. Allerdings erlauben sie nur eine grobe Zuordnung von Kulturaktivitäten zu Freizeitstilen. Für die Marketingpraxis von kulturellen Betrieben werden zusätzliche Untersuchungen zu speziellen, produktbezogenen Freizeitstilen erforderlich sein, um gesicherte Entscheidungen treffen zu können. Für den Kulturbereich erfasst TERLUTTER den Lebensstil potentieller Besucher von Kulturinstitutionen durch einen voneinander getrennten Freizeit- und einen Kulturstil. Seine Annahme ist, dass zwar ein enger Zusammenhang zwischen Freizeit- und Kulturstil besteht, dennoch könne es auch Unterschiede geben, weil es bspw. denkbar ist, dass sich Individuen in ihrer Freizeit hedonistisch verhalten, aber den Kulturbereich als nicht geeignet ansehen, ihren hedonistischen Neigungen nachzukommen. Auch ist es möglich, dass sie sich in ihrer Freizeit aktiv verhalten, aber im Kulturbereich keine entsprechenden Angebote finden und sich deshalb durch passives Kaufverhalten äußern (vgl. Terlutter 1998, S. 65). Nach einer Befragung von Besuchern kultureller Einrichtungen wurden über die Clusteranalyse folgende Besuchergruppen gebildet. Cluster 1: Gesellige Erlebnisorientierte, Cluster 2: Bildungs- und Prestigeorientierte, Cluster 3: Kulturmuffel (vgl. ebd., S. 77ff.). Dieser Ansatz ist plausibel; es ist durchaus berechtigt, Freizeit- und Kulturstile zu unterscheiden. Drei allgemeine übersichtliche Cluster belegen die Unterschiede zwischen Freizeitund Kulturstil. Unter theoretisch-methodologischen Aspekten ist dieser Ansatz sehr interessant, doch für die praktische Verwertung sind die drei Typen zu grob gefasst.
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Nachfragertypologien
Auf der Grundlage einer Befragung der Besucher von 15 Aufführungen der Semperoper Dresden wurde von MARTIN das (Musik-) Theaterpublikum typologisiert. Segmentierungskriterien waren Variablen des beobachtbaren Verhaltens als auch soziodemografische und psychografische Merkmale. Er unterscheidet folgende Theaterpublikumstypen: Der kulturelle Engagierte, der Erlebnissuchende, der Emotionale, der Verhinderte, der Unmotivierte (Martin 1998, S. 173ff.). Diese für das Musiktheater verwertbare Typologie ist als Basis auch für andere vergleichbare Genres interessant. Die fünf Grundtypen erfüllen die Anforderungen an eine Typologie. Sie können eine praktikable Basis für Marketingentscheidungen im Theaterbetrieb sein.
3.6
Milieutypologien
Milieubeschreibungen rekonstruieren einen lebensweltlichen Zusammenhang von Lebenslage und Lebensentwurf und gelangen über diesen Ansatz zu einem Abbild der sozialen Gliederung und der Struktur der Gesellschaft. SCHULZE geht zunächst von drei alltagsästhetischen Schemata aus(vgl. 1996, S. 142ff.). Das sind grundlegende Orientierungen, die eine Vielzahl von Produkten, Erlebnissen, Einstellungen, Vorlieben usw. umfassen und so alltagsästhetischen Episoden zugrunde liegen. Diese Schemata sind: das Trivialschema, das Spannungsschema und das Hochkulturschema. Aus verschiedenen Kombinationen der Nähe und Distanz zu diesen Schematas entstehen Milieus. Soziale Ungleichheit ist nach seiner Auffassung die Verschiedenheit von Erlebnismilieus, die aus der individuellen Wahl von alltagskulturellen Mustern der Wahrnehmung und des Erlebens hervor gehen. Die Rationalität von Mustern der Lebensführung sei im Kern „Erlebnisqualität“, also von der Suche nach einem dem Subjekt gemäßen „Projekt des schönen Lebens“ bestimmt. Soziale Milieus sind „Personengruppen, die sich durch gruppenspezifische Existenzformen und erhöhte Binnenkommunikation voneinander abheben ... In sozialen Großgruppen ... manifestiert sich Binnenkommunikation dadurch, dass in persönlichen Kontakten Angehörige derselben Gruppe mit erhöhter Wahrscheinlichkeit aufeinandertreffen, insbesondere in Partner- und Freundschaftsbeziehungen, im Bekanntenkreis, in Vereinen, in Szenen“ (ebd., S. 174). SCHULZE bildet fünf Milieus, das Niveaumilieu, das Harmoniemilieu, das Integrationsmilieu, das Selbstverwirklichungsmilieu und das Unterhaltungsmilieu. Er geht davon aus, dass sich die Menschen „durch Beziehungswahl, wie Öffnung oder Abgrenzung in der Alltagsinteraktion, Angleichung oder Distanzierung von Persönlichkeiten und subjektiven Standpunkten, Gefühle von Vertrautheit und Nähe, Akklamation des Passenden und Missbilligung von Stilbrüchen“ (ebd., S. 277ff.) einordnen. SCHULZEs Differenzierung in fünf Milieus ist sehr anschaulich und bietet praktikable Ansätze für strategische und operative Marketingentscheidungen. Insbesondere der Szenenan-
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satz ist für das Kulturmarketing interessant, wenngleich regionale Besonderheiten (Nürnberger Kulturladenszene) berücksichtigt werden müssen. Das Heidelberger Institut SINUS Sociovision entwickelte eine Typologie, die mit dem Begriff Sinus-Milieus gekennzeichnet wird (SevenOne Media GmbH, SINUS Sociovision, ohne Jahresangabe). Die Heidelberger Forscher gehen davon aus, dass Unterschiede in der Alltagswirklichkeit den Menschen stärker kennzeichnen als die Unterschiedlichkeit sozioökonomischer Lebensbedingungen. Seine lebensweltliche Zugehörigkeit wird immer weniger von schichtspezifischen und demografischen Merkmalen gesteuert als von seinen Vorstellungen vom Leben, seinen alltagsästhetischen Leitbildern und Konsumstilen. So werden soziale Milieus erkannt, in denen Menschen mit verwandter Alltagswirklichkeit gruppiert sind, die sich einander in Lebensauffassung, Lebensweise, Wertprioritäten, sozialer Lage und Lebensstil ähneln. Analysiert werden grundlegende Wertorientierungen, Alltagseinstellungen zur Arbeit, zur Familie, zur Freizeit, zu Geld und Konsum usw., womit der Mensch ganzheitlich mit dem vollständigen Bezugssystem seiner Lebenswelt erfasst wird. Die Menschen werden nicht als Merkmalsträger, nicht als Typen, nicht primär bezogen auf Produkte, sondern als Menschen gesehen, die sich in ihrer Lebensauffassung und Lebensweise ähneln. Entsprechend dem Wertewandel in der Gesellschaft wird das Milieu regelmäßig überarbeitet. Eine Grafik (http://www.sinus-milieus.de/) ordnet die Milieus nach der sozialen Lage in Schichten, auf der Grundlage von Alter, Bildung, Beruf und Einkommen und nach der Grundorientierung, in einem Spannungsbogen von traditionell bis postmodern. Oben sind die gesellschaftlichen Leitmilieus angesiedelt, am linken Rand die traditionellen Milieus, in der Mitte die Mainstream Milieus und rechts die hedonistischen Milieus. Im Einzelnen werden folgende Milieus wie folgt benannt: Etablierte, Postmaterielle, Moderne Performer, Konservative, Traditionsverwurzelte, DDR-Nostalgische, Bürgerliche Mitte, Konsum-Materialisten, Hedonisten und Experimentalisten (vgl. SevenOne Media ohne Jahresangabe, S. 4 und http://www.sinus-milieus.de/). Das Sinus-Milieumodell definiert keine Nachfragertypen wie die Lifestyle-Typen. Dafür werden aber die Strukturen sozialer Differenzierung sehr anschaulich dargestellt. So werden Schlussfolgerungen zum Nachfragerverhalten möglich. Für das Kulturmarketing bietet sich mit den Sinus-Milieus eine fundierte Analysebasis, die durch ständige Anpassungen an Veränderungen, die durch den gesellschaftlichen Wandel bedingt werden, relativ aktuell ist.
4
Folgerungen
In der kulturellen Praxis werden häufig Nachfrager nur mit wenigen und meist nur mit soziodemografischen Merkmalen beschrieben, was nur bedingt gesicherte Schlussfolgerungen für Marketingentscheidungen zulässt. Auch in Kombination mit verhaltensbezogenen Krite-
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Nachfragertypologien
rien, also dem Besucherverhalten, können die Nachfrager kultureller Angebote nicht hinreichend selektiert werden. Praktikabler sind Lebensstiltypologien, die allerdings nur mit aufwändigen eigenen Forschungsleistungen erstellt werden können oder aber über Analogieschlüsse für Kultureinrichtungen nutzbar werden. Die Schwierigkeit besteht darin, dass meist nur allgemeine Lebensstile für die Erklärung von Konsumentenverhalten herangezogen werden können, die wenig aussagekräftig sind und kulturproduktspezifische Lebensstiltypologien rar sind. Zudem sind auch sie nur ein Versuch, Nachfrager zu beschreiben. Dabei wird die Lebensführung meist auf Stilfragmente, die aus Warenwelt und Kulturindustrie aufgenommen werden und für die Artikulation des sozialen Selbstverständnisses benutzt werden, reduziert. Diese oberflächige Stilisierung kann Veränderungen unterliegen, ist also grundsätzlich nicht sicher. Milieutypologien gehen weiter als Lebensstiltypologien, denn sie erfassen die Lebenswelt der Menschen und bringen diese mit ihren Einstellungen in Verbindung. Mit ihnen können qualitativ Medien-, Kultur- und Kunstpräferenzen begründet abgeleitet werden, die für Marketingentscheidungen relevant sind. Doch auch diese Beschreibungsversuche werden als unzureichend angesehen, weil sie wie die Lebensstilbeschreibungen in der Regel den Nachteil haben, dass sie nicht die Ursachen erfassen. Doch im Hinblick auf die raschen Veränderungen in der Gesellschaft scheinen die Milieutypologien gegenwärtig methodologisch den größten Nutzen zu bringen. Der Nachteil ist allerdings, dass für Kultureinrichtungen spezifische Untersuchungen nicht finanzierbar sein dürften und so über Veröffentlichungen zum Medienverhalten oder Kaufverhalten anderer Produkte lediglich Analogieschlüsse gezogen werden können. Es ist davon auszugehen, dass das Bedürfnis der Marketingpraxis nach gesicherten Informationen über den Nachfrager zur weiteren Entwicklung der vorgestellten theoretischen, methodologischen und methodischen Ansätze drängt oder aber neue Modelle entstehen. Eine Methode, die aus der Kritik an Typologien heraus entstand, ist die Semiometrie (vgl. SevenOne Media, ohne Jahresangabe). Dieser Ansatz misst die Grundhaltungen und Wertesysteme über die Beurteilung ausgewählter Wörter. Zugrunde liegt die Hypothese, dass unsere (natürliche wie soziale) Umwelt in der Sprache repräsentiert ist. Gleichzeitig strukturiert Sprache unser Denken. Dafür werden Wörter und Begriffe analysiert, die unterschiedliche Wertehintergründe von Nachfragern äußern. Nachfragertypologien können ein gutes Instrument für die Marketingplanung sein. Doch mit der Anwendung verbinden sich einige Problemlagen: Angesichts für den Kulturbereich fehlender spezieller Typologien steht das Marketingmanagement vor der Entscheidung, entweder allgemeine Typologisierungen für die eigene Praxis trotz einer offensichtlichen Unvollkommenheit nachzunutzen oder davon ausgehend hypothetisch auf die speziellen Kulturangebote zu schließen. Eine weitere Möglichkeit ist die Entwicklung einer auf das Leistungspotential des eigenen Unternehmens zugeschnittenen Typologie. Werden für die Unternehmenspositionierung oder die Produktpositionierung spezielle, auf das Kulturunternehmen bezogene, Nachfragertypen ermittelt und als Zielgruppe definiert, können diese im Gegensatz zu anderen Modellen ste-
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hen. Besonders in der Kommunikationspolitik werden meist die von der Werbewirtschaft ermittelten Typologien und definierten Zielgruppen eingesetzt. Das unterstreicht die Schwierigkeit des praktischen Umgangs mit Nachfragertypologien und erfordert oft das Zusammendenken unterschiedlicher Sichtweisen durch das Marketingmanagement. Und schließlich ist es möglich, den Einsatz von systematisch entwickelten Typologisierungen zu unterlassen und sich auf das Bauchgefühl zu verlassen. Diese intuitive Praxis der Entscheidungsfindung kann zwar erfolgreich sein, doch setzt der Erfolg eine Menge Erfahrung voraus.
5
Literatur
Bruhn, M.: Marketing: Grundlagen für Studium und Praxis. 4. Auflage, Wiesbaden 1999 Bourdieu, P.: Die feinen Unterschiede, Frankfurt am Main 1994 Georg, W.: Soziale Lage und Lebensstil, Opladen 1998 Geyer, H.: Nachfragertypologien. Studienbrief 2-080-0213, Brandenburg 2004 Gluchowski, P.: Freizeit und Lebensstile, Erkrath 1988 Hartmann, P. H. / Neuwöhner, U.: Lebensstilforschung und Publikumssegmentierung. in: Media Perspektiven 10/99 Klein, H.-J.: Der gläserne Besucher: Publikumsstrukturen einer Museumslandschaft. Berliner Schriften zur Museumskunde, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1990 Koch, A.: Museumsmarketing: Ziele-Strategien-Maßnahmen, Bielefeld 2002 Kotler, P. / Armstrong, G. / Saunders, J. / Wong, V.: Grundlagen des Marketing, 2. Auflage, München 2001 Kramer, S.: Europäische Life-Style-Analysen zur Verhaltensprognose von Konsumenten, Hamburg 1991 Lüdke, H.: Freizeitsoziologie: Arbeiten über temporale Muster, Sport, Musik, Bildung und soziale Probleme, Münster 2001 Martin, U.: Typologisierung des Theaterpublikums: Das Erkenntnispotential der verhaltensorientierten Marktsegmentierung für das Marketing öffentlich-rechtlicher Theater, Dissertation, Dresden 1998 Schulze, G.: Die Erlebnis-Gesellschaft: Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a. Main / New York 1996 Schwenk, O. G.: Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft, Opladen 1996
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Nachfragertypologien
SevenOne Media GmbH, Unterföhring, in Zusammenarbeit mit SINUS Sociovision, Heidelberg: Die Sinus-Milieus® 2001. Das neue gesamtdeutsche Modell. Broschüre, ohne Ortsund Jahresangabe SevenOne Media: Semiometrie. Der Zielgruppe auf der Spur, Unterföhring, Broschüre, ohne Orts- und Jahresangabe Spellerberg, A. / Berger-Schmitt, R.: Lebensstile im Zeitvergleich: Typologien für West- und Ostdeutschland 1993 und 1996, Berlin 1998 Terlutter, R.: Besucherforschung und Angebotsgestaltung in Kulturinstitutionen, in: Konsum und Verhalten, Arbeitspapier Nr. 21, Saarbrücken 1998 Trommsdorf, V.: Konsumentenverhalten, Stuttgart et al. 1998 http://www.sinus-milieus.de/ vom 25.07.2007
Teil III Blickrichtung Strategie
Jens Cordes
Strategieentwicklung für Kultureinrichtungen 1
Einleitung
2
Zur Relevanz der Kommunikation im Dienstleistungserstellungsprozess
3
Beziehungstypspezifizierung
4
Die Beziehungstriade des strategischen Kulturmanagements
4.1
Elemente der Beziehungsstruktur
4.2
Beziehungsstrukturen als Segmentierungsinstrument
4.3
Die Beziehungstriade als strategischer Entscheidungsraum
5
Fazit und Ausblick
6
Literatur
112
1
Strategieentwicklung für Kultureinrichtungen
Einleitung
Der nachfolgende Beitrag behandelt das Thema "Strategieentwicklung für Kultureinrichtungen". Strategien geben den operativen Aktivitäten den Weg vor, den ein Unternehmen in allen Teilbereichen einschlagen soll, um die definierten Ziele so direkt wie möglich zu erreichen (vgl. Becker 1998, S. 139ff.). Damit stehen Strategien als Bindeglied zwischen den Unternehmenszielen einerseits und den operativen Aktivitäten andererseits. Versteht man Marketing als marktorientierte Unternehmensführung, dann lässt sich mit BECKER (ebd., S. 144) schlussfolgern, dass "...die Grundlegenden Unternehmensstrategien ("Leitstrategien") in erster Linie Marketingstrategien sind". Auf den Kulturbereich bezogen, wurde von verschiedenen Autoren gezeigt, wie weit und wie sich das auf Güter produzierende Unternehmen bezogene Marketingmanagement auf Kultureinrichtungen übertragen lässt (vgl. z.B. Klein 2001; Cordes / Manschwetus 2000; Cordes / Schimkus 2005). Da Kultureinrichtungen jedoch Dienstleistungen anbieten, liegt es nahe, die Strategieentwicklung für Kultureinrichtungen anhand der Erkenntnisse des Dienstleistungsmarketing zu betrachten. Ein Kernelement der Dienstleistungserstellung ist die Integration des sog. "externen Faktors" (des Nachfragers) in die Leistungserstellung. Hieraus resultiert, dass zwischen Dienstleistungsanbieter und -nachfrager bei der Leistungserstellung Interaktionen stattfinden, wodurch eine Beziehung zwischen den beiden Marktseiten entsteht, die je nach Dienstleistungsart und vor allem auch je nach Nachfragertyp (Interaktionsverhalten) unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Genau dieses Wesensmerkmal der Dienstleistungserstellung wird im vorliegenden Beitrag aufgegriffen. Dabei wird zunächst die Beziehung zwischen Dienstleistungsanbieter und -nachfrager hinsichtlich ihrer Kernelemente disaggregiert. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Beziehungsstrukturen werden sodann zur Steuergröße der Anbieteraktivitäten, woraus sich schließlich beziehungsorientierte Strategien ableiten lassen, die geeignet sind, die ökonomischen und außerökonomischen Ziele des Dienstleistungsanbieters zu realisieren. Schließlich wird dieser Ansatz auf den Kultursektor übertragen und die entsprechenden Strategiealternativen einer Kultureinrichtung abgeleitet.
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Zur Relevanz der Kommunikation im Dienstleistungserstellungsprozess
Sowohl die Marketingzielsetzung als auch zielführende Handlungsalternativen, Handlungsarten und potenzielle Handlungsergebnisse werden maßgeblich von den Charakteristika des zu vermarktenden Objektes beeinflusst. Dieses Objekt kann materieller (Produkt) oder immaterieller Natur (z.B. eine Dienstleistung wie die Organisation einer Kunstausstellung) sein. MEFFERT / BRUHN (2003, S. 30) definieren Dienstleistungen wie folgt: "Dienstleistungen sind selbständige, marktfähige Leistungen, die mit der Bereitstellung [...] und/oder dem Einsatz von Leistungsfähigkeiten [...] verbunden sind (Potenzialorientierung). Interne [...] und externe Faktoren (also solche, die nicht im Einflussbereich des Dienstleisters liegen) werden im Rahmen des Erstellungsprozesses kombiniert (Prozessorientierung).
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Die Faktorenkombination des Dienstleistungsanbieters wird mit dem Ziel eingesetzt, an den externen Faktoren, an Menschen [...] und deren Objekten [...] nutzenstiftende Wirkungen [...] zu erzielen (Ergebnisorientierung)." Betrachtet man die Dienstleistungsbestandteile Leistungspotenzial, -prozess und -ergebnis gemäß ihrer zeitlichen Abfolge, dann lässt sich der Dienstleistungserstellungsprozesses phasenorientiert charakterisieren, der somit die Potential-, Prozess- und Ergebnisphase umfasst (vgl. Hilke 1989, S. 10f.). Sofern Dienstleistungen von Subjekten erbracht werden, geht mit der Dienstleistung insbesondere eine Beziehungsherstellung zwischen Subjekten einher (vgl. Corsten 2001, S. 49), d.h. es finden Interaktionen zwischen den beiden Marktseiten statt. In diesem Beitrag wird die Auffassung vertreten, dass zwischen Dienstleistungsnachfrager und -anbieter bereits in der Potenzialphase Interaktionen stattfinden (können). So weist SEIDENBERG (2003, S. 6), darauf hin, dass integrative Prozesse zwischen Anbieter und Nachfrager denkbar sind, die dem Potenzialaufbau vorangehen, um z.B. die jeweilige Rolle der Marktseiten bei der nachfolgenden Leistungserstellung zu vereinbaren. HILKE (1989, S. 15) visualisiert diesen phasenbezogenen Dienstleistungsprozess und charakterisiert die Dienstleistung in der Potenzialphase als "Fähigkeit und Bereitschaft zur Leistungserbringung" (ebd.). Die kundenorientierte Ausfüllung der Marketingaufgabe setzt notwendigerweise das "Denken vom Markt her" voraus. Dies impliziert, dass sowohl die Fähigkeit als auch die Bereitschaft zur Leistungserstellung maßgeblich von der Kenntnis der Nachfragerpräferenzen bestimmt werden. Diese zu kennen und in Leistungspotenziale zu transformieren, setzt wiederum bereits in der Potenzialphase Interaktionen mit (potenziellen) Nachfragern voraus. So ist beispielsweise die anbieterseitige Informationsbeschaffung durch Befragungen (potenzieller) Kunden als erste Interaktion zwischen dem Dienstleistungsanbieter und seinem späteren Nachfrager interpretierbar, die dann die Art und Menge der vorzuhaltenden Leistungspotenziale determiniert. KLEINALTENKAMP (1999, S. 261) weist auf den notwendigen Informationstransfer vom (potenziellen) Kunden zum Dienstleistungsanbieter hin, der erst eine kundenindividuelle Dienstleistung ermöglicht und als "Vorkommunikation" (ebd., S. 262) in der Potenzialphase bezeichnet werden kann. Somit wird hier unterstellt, dass über alle drei Phasen der Dienstleistungserstellung Interaktionen mit Kunden stattfinden (Integration des externen Faktors), die sich je nach Phase hinsichtlich ihrer Art und ihres Ausmaßes unterscheiden können. Unabhängig von ihrer spezifischen Art oder ihrem Ausmaß, erfordern Kundenkontakte grundsätzlich interaktive Kommunikationsprozesse unterschiedlichster Ausprägung (vgl. Fließ et al. 2003, S. 16). FLIEß et al. unterscheiden fünf verschiedene Spezifika des Dienstleistungskontaktes (die teilweise miteinander korrelieren und somit empirische Messprobleme mit sich bringen) (vgl. ebd., S. 41ff.): • Integrationsgrad, als Maß für die Tiefe der Kundenbeteiligung im Leistungserstellungsprozess. • Grad der Interaktionsintensität, der die Breite (Häufigkeit und Dauer) der Kundenkontakte bei der Leistungserstellung. • Reziprozität, die die Wechselseitigkeit des Kontaktes angibt und je nach Ausprägung die Beziehungsintensität beider Marktseitensubjekte determiniert. • Varietät, die die Veränderlichkeit des Kontaktes aufgrund unterschiedlicher, verfügbarer Leistungsvarianten misst.
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• Variabilität, zur Bestimmung der nachfrageseitig bedingten Kontaktveränderung, die in variablen Kundenintegrationsalternativen begründet ist. Ordnet man diesen Spezifika des Dienstleistungskontaktes der Einfachheit halber nur die alternativen Extremausprägungen "hoch" und "niedrig" zu, so lassen sich Dienstleistungen typologisieren und Implikationen für die seitens der Anbieter einzusetzende Kommunikationsstrategie ableiten (vgl. ebd. S. 43ff.). Beispielsweise führt eine gleichermaßen hohe Ausprägung der Spezifika zum Dienstleistungstyp "customer designed", der eine individualisierte Kundenkommunikation nahe legt (vgl. ebd.). Die verschiedenen Ausprägungen dieser Kontaktspezifika prägen jeweils unterschiedlich strukturierte (insbesondere kommunikative) Beziehungen zwischen den Individuen beider Markseiten. Aus den Charakteristika einer Dienstleistung und deren Zuordnung im Rahmen der Dienstleistungstypologisierung lassen sich FLIEß et al. (vgl. ebd.) zufolge also unterschiedliche Arten der und Anforderungen an die Kommunikation mit den Marketingadressaten ermitteln. Auch zwischen Kulturanbietern und Besuchern, Künstlern, Unternehmen (z.B. Sponsoren) und anderen Marketingadressaten finden durch Kommunikation geprägte Interaktionsprozesse statt. Auch diese Interaktionsprozesse und die mit Ihnen verbundenen Austauschaktivitäten charakterisieren Kulturangebote als Dienstleistung.34
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Beziehungstypspezifizierung
Die Integrationsaktivitäten, die ein Dienstleistungsnachfrager entfaltet, basieren auf freiwilligen, nachfragerindividuellen Entscheidungen. So kann beispielsweise kein Student gezwungen werden, sich im Sinne eines maximalen Lernergebnisses optimal in eine Lehrveranstaltung einzubringen. Wohl lassen sich aber Instrumente einsetzen, die die optimale Integration und Interaktion eines Studierenden fördern (oder im Gegenteil auch behindern). WEINBERG (1999, S. 51) stellt allgemein heraus, dass sich durch Einsatz professioneller Sozialtechniken Geschäftsbeziehungen langfristig stabilisieren lassen, wobei Sozialtechnik defniert wird als "...die Anwendung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse zur Gestaltung (Beeinflussung) des sozialen Lebens" (ebd., S. 50). Dabei steht auf der kommunikativen Ebene insbesondere die emotionale Beeinflussung der Nachfrager im Mittelpunkt (vgl. ebd. S. 51). Zeichnet sich der Nachfrager durch ein "...hohes (integrationsinduziertes) Dienstleistungsinvolvement…" (Bruhn 1998, S. 587) aus, so resultiert hieraus "...eine hohe informative Aufgeschlossenheit sowie ein starker Antrieb, aktiv integrationsbezogene Informationen zu suchen..." (ebd.). BRUHN unterstellt also eine positive Korrelation zwischen dem Integrationsgrad der Dienstleistungsnachfrager bei der Leistungsinanspruchnahme und der Intensität seines "Involvements" und daraus folgend dem Niveau der Informationsinteraktivität (vgl. ebd.). Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass nicht alle Dienstleistungsnachfrager hinsichtlich ihres Integrationsverhaltens homogen sind, sondern sich aus verschiedensten Gründen heterogen bzgl. der Integration in den Leistungserstellungsprozess verhalten. Das 34
Siehe zur Zuordnung von Kulturangeboten zu den Dienstleistungen auch Cordes / Manschwetus 2000.
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jeweilige Integrationsverhalten der Nachfrager prägt somit die (Austausch-)Beziehung zwischen dem Dienstleistungsanbieter und -nachfragern und generiert unterschiedliche Beziehungstypen. Auf den Kulturbereich übertragen, wird es Kulturnachfrager geben, deren Interaktionsaktivitäten bei der Inanspruchnahme des Kulturangebots c.p. höher ist als bei anderen. Die Interaktionsaktivitäten können direkter Art sein (z.B. Diskussion eines Kunstwerkes mit dem Künstler während einer Ausstellung; aktive Beteiligung im Rahmen eines Workshops gegenüber der bloßen nachfrageseitigen Informationsaufnahme), oder auch indirekter und subtiler stattfinden (z.B. in Form der Reflexionsintensität eines Rezipienten, der mit einem Kunstwerk konfrontiert wird). Die Heterogenität des Integrationsverhaltens kann vor allem sozioökonomische (z.B. Ausbildungsniveau, Alter...) und/oder psychografische Ursachen haben (z.B. Meinungen, Einstellungen u.a. personenbezogene Merkmale) (vgl. z.B. Scharf / Schubert 2001, S. 43) und bringt im hier interessierenden Kontext je nach Merkmalsausprägungskonstellation unterschiedliche Beziehungstypen hervor. Greift man nun noch einmal die oben erläuterten Kontaktspezifika von Dienstleistungen im Sinne von FLIEß (2003) auf und bezieht diese rein auf die Nachfragerseite, so lassen sich die Kontakspezifika von Dienstleistungen auch interpretieren als nachfragerindividuelle Prädispositionen des kommunikativen - im Sinne eines die Interaktion determinierenden - Kundenverhaltens im Dienstleistungserstellungsprozess. Die o.g. Spezifika des Dienstleistungskontaktes können jeweils unterschiedliche Merkmalsausprägungen annehmen und spannen somit ein Spektrum verschiedener Ausprägungskonstellationen auf. Auf dieser Basis wird nun der Begriff "Beziehungstyp" definiert als: • nachfragerindividuelle Ausgangskonstellation von Merkmalsausprägungen der Kontaktspezifika von Dienstleistungen, die das Interaktionsverhalten beim Dienstleistungserstellungsprozess determiniert. Wenngleich nicht explizit formuliert, nehmen die Ausprägungen der Kontaktspezifika bei FLIEß et al. (2003) den Charakter externer Rahmendaten an, die die Autoren dann als Basis zur Ableitung kommunikativer strategischer Stoßrichtungen dienen. ENGELHARDT / SCHNITTKA (1998, S. 925) weisen darauf hin, dass die Interaktivität zwischen Dienstleistungsnachfrager und -anbieter davon abhängt, inwieweit der Nachfrager zur Integration in den Leistungserstellungsprozess sowohl willens als auch fähig ist. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass sich individuelle Beziehungstypausprägungen seitens der Dienstleistungsanbieter beeinflussen lassen35. Wenngleich es vielfältige Kombinationen der jeweiligen Merkmalsausprägungen gibt und infolge dessen ein Kontinuum unterschiedlicher Beziehungstypen resultiert, werden im Folgenden lediglich zwei Extremkonstellationen betrachtet (Beziehungstyp H und Beziehungstyp N). Beziehungstyp H (N) ist dadurch gekennzeichnet, dass bzgl. aller o.g. fünf Kontaktspezifika ein hohes (niedriges) Niveau existiert. KLEIN (2004, S. 386) postuliert für Kultureinrichtungen, dass diese durch ein entsprechendes Beziehungsmarketing mit den "Stakeholdern" versuchen werden, die gewünschten Austauschbeziehungen zur Zielerreichung der Kultureinrichtung zu erreichen. Auch MAN35
Zu den Instrumenten der Beeinflussung von Leistungsbereitschaft und –fähigkeit von Dienstleistungsnachfragern siehe v.a. Gouthier 2003 sowie zusammenfassend Fließ 2006, S. 78ff. sowie dort zitierte Literatur.
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SCHWETUS interpretiert "...das Marketing als Management von Austauschbeziehungen" und rückt damit die Beziehung zu den Austauschpartnern als Objekt der Gestaltung ins Zentrum, wodurch das Marketing zum Relationship Marketing wird.36 Unter diesen Kernprämissen leitet MANSCHWETUS im Rahmen seines "holistischen" Ansatzes u.a. folgende Erkenntnisse ab: • Die Kernaufgabe des Marketing ist die Gestaltung der Austauschbeziehungen zwischen Marketinganwendern und Marketingadressaten. • Diese Gestaltungsaufgabe ist durch die Ziele des Marketinganwenders determiniert. • Die Hinwendung zu Maßnahmen der Beziehungspflege (anstelle des "traditionellen" Fokusses auf den Absatz) rückt das Dialogmarketing ins Zentrum der Marketingaktingaktivitäten. • Marketing als Managementaufgabe verstanden, impliziert, dass das Kulturmanagement durch das Marketing geprägt wird. Diese Marketinginterpretation sowie die zitierten Implikationen des holistischen Ansatzes von MANSCHWETUS werden wird im Folgenden aufgegriffen. Sie bilden die Basis zur Ableitung von Marketingstrategien, in deren Zentrum die Beziehungen zwischen den Austauschpartnern im Sinne des holistischen Ansatzes als Ziel und Steuerungsgröße der Marketingaktivitäten stehen. Marketingstrategien fungieren als Bindeglied zwischen den Marketingzielen einerseits und dem zur Zielerreichung einzusetzenden Marketing-Mix andererseits. Die Strategieentwicklung ist notwendigerweise eingebettet in die analytische Behandlung der Marketingzielsetzung und liefert die Basis zur Identifikation geeigneter Instrumente zur Zielerreichung. Da die Beziehungen zwischen den Austauschpartnern im Zentrum der Marketingaktivitäten stehen, ist das allgemeine Schema eines Marketingkonzeptes (vgl. z.B. Becker 1994, S. 4), unter dem Beziehungsaspekt zu modifizieren, indem Marketingstrategien zu Beziehungsstrategien transformiert werden. Letztere zeigen dann den Weg auf, auf dem die angestrebten Ziele durch die Realisierung von Soll-Beziehungsstrukturen erreicht werden können.
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Siehe hierzu den Beitrag „Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing“ von MANSCHWETUS im vorliegenden Band.
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Die Beziehungstriade des strategischen Kulturmanagements
4.1
Elemente der Beziehungsstruktur
MANSCHWETUS identifiziert das Beziehungsniveau bei der Analyse der Austauschbeziehungen zwischen Dienstleistungsanbieter und den Marketingadressaten als eine zentrale Größe des Beziehungsmarketing im Rahmen seines holistischen Marketingansatzes. Dabei differenziert er zwischen den Dimensionen "Beziehungsquantität" und "Beziehungsqualität". Erstere bezeichnet die Häufigkeit mit der Kontakte zwischen Kulturanbieter und Marketingadressaten stattfindet. Letztere setzt sich aus den drei Elementen Zufriedenheit, Vertrauen und Commitment zusammen. Während Zufriedenheit das Ergebnis eines auf Erfahrung beruhenden Soll-Ist-Vergleichs seitens des Nachfragers darstellt, bezeichnet Vertrauen eine wertende Haltung durch den Nachfrager, das abhängt von der Relation zwischen den Kundenerwartungen einerseits und seinen tatsächlichen Erfahrungen andererseits. Schließlich kennzeichnet das Commitment eine gegenüber dem Dienstleistungsanbieter treue und nachhaltige Kundenhaltung, die auf einer Vielzahl vergangener Interaktionen zwischen Anbieter und Nachfrager der Dienstleistung beruht. Zu den Konstellationen dieser zweidimensionalen Betrachtung (Beziehungsqualität und Beziehungsquantität) sei auf den Beitrag von MANSCHWETUS verwiesen.37 Natürlich lassen sich je Stufe der Beziehungsqualität weitere graduelle Abstufungen vornehmen. So kann die Zufriedenheit beispielsweise von unzufrieden (keine Soll-Ist-Übereinstimmung) bis hin zu höchster Zufriedenheit (maximale Soll-IstÜbereinstimmung) reichen. Ebenso kann das Vertrauensniveau sehr hoch, oder auch niedrig ausgeprägt sein. Schließlich kann auch das Commitment hochgradig stabil, oder eher labil und leicht störanfällig sein. Für die weitere Analyse wird um der argumentativen Klarheit willen von einem niedrigen Beziehungsqualitätsniveau gesprochen, wenn sich der Nachfrager (z.B. Kulturrezipient) am unteren Ende der Vertrauensskala befindet. Diese Annahme schränkt nicht die instrumentelle und analytische Aussagekraft dieses Ansatzes ein, da selbstverständlich weitere Qualitätsausprägungen einbezogen werden könnten, was jedoch lediglich den Komplexitätsgrad des hier vorgestellten Modells erhöhen würde, ohne dessen generelle Implikationen zu verändern. Als hohe Beziehungsqualität wird ein stabiles Commitment des potenziellen Dienstleistungsnachfragers bezeichnet. Die beiden Dimensionen des Beziehungsniveaus (Beziehungsqualität und -quantität) werden im Folgenden ergänzt um die dritte oben abgeleitete und definierte dienstleistungsmarketingrelevante Dimension, den Beziehungstyp (vgl. zur Definition S. 5). Damit spannen diese Beziehungsdeterminanten eine Triade auf die insgesamt 8 unterschiedliche Konstellationen (Beziehungsstrukturen) aufweist und sich grafisch als Würfel darstellen lassen. (vgl. Abb. 1).
37
Siehe hierzu den Beitrag „Ein Rahmenmodell für Kulturmarketing“ von MANSCHWETUS im vorliegenden Band.
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Abb.1 Beziehungsstrukturwürfel (eigene Darstellung)
4.2
Beziehungsstrukturen als Segmentierungsinstrument
Kombiniert man die drei die Gesamtbeziehungsstruktur definierenden Elemente (vgl. Abb. 1) miteinander, so lässt sich dieses Konstrukt zunächst einmal als Instrument zur Marktsegmentierung benutzen. Versucht man nun die acht Beziehungskonstellationen am Beispiel einer Kultureinrichtung zu typisieren, lassen sich folgende in Abb.2 dargestellte Kulturnachfragersegmente identifizieren. Es sei hier explizit darauf hingewiesen, dass die tatsächlich vorhandenen Segmentspezifikation letztlich empirisch zu ermitteln ist und hier nur theoretisch plausible Typspezifizierungen dargestellt werden können. So ist es beispielsweise eine empirisch zu beantwortende Frage, warum ein Kulturrezipient zwar ein hohes Commitment gegenüber einer Kultureinrichtung haben könnte, aber dennoch eine geringe Besuchshäufigkeit aufweist. Theoretisch denkbar wäre hier z.B. dass es sich um Personen handelt, die durch starke Zeitrestriktionen gekennzeichnet sind und daher ihrem latenten Wunsch häufigerer Besuche c.p. nicht nachkommen können. Wie sich zeigen wird, ist die Kenntnis der IstBeziehungsstruktur eine Entscheidungsdeterminante bei der Strategiewahl.
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Abb.2 Beziehungsstrukturdeterminierte Marktsegmente (eigene Darstellung)
Strategieentscheidungen setzen grundsätzlich voraus, dass die angestrebten Ziele vorab definiert wurden. Auch im hier vorliegenden Modellrahmen werden natürlich die ökonomischen und außerökonomischen Ziele eines Dienstleistungsanbieters nicht obsolet. Jedoch bringt der Fokus auf das Beziehungsmanagement neue strategische Alternativen hervor. Typische (Ober-) Ziele Kultureinrichtung sind beispielsweise: Leistungsziele bzgl. der angestrebten Dienstleistungsstruktur (z.B. bestimmte Ausstellungsbereiche in Museen), Besucherzahlziele, Besucherstrukturziele, Bekanntheitsgradsteigerung, Besucherzufriedenheitssteigerung, Imagesteigerung... (vgl. Klein 2001, S. 244ff.). Die Zielsetzungen sollen zwar anspruchsvoll,
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Strategieentwicklung für Kultureinrichtungen
aber auch realisierbar sein. Ist das Ziel (-bündel) des Dienstleistungsanbieters definiert, müssen die strategischen Alternativen (die möglichen Wege zur Zielerreichung) identifiziert werden.
4.3
Die Beziehungstriade als strategischer Entscheidungsraum
Der strategische Entscheidungsraum zur Zielerreichung wird durch die weiter oben definierte Beziehungstriade aufgespannt. Weiterhin gilt die Annahme, dass die Beziehungstypkategorie, der eine spezifische Nachfragergruppe zugeordnet ist, beeinflussbar ist. Das heißt konkret, dass sich durch Einsatz geeigneter Instrumente diese Nachfragertypen in Beziehungsstrukturtypen einer anderen Kategorie überführen lassen. Allerdings werden die anzustrebenden Zielbeziehungsstrukturen beispielsweise schon aus ökonomischen Gründen nicht für alle Dienstleistungsanbieter homogen sein. So können gleiche potenzielle Soll-(Ziel)Beziehungsstrukturen zweier Dienstleistungsanbieter bei unterschiedlichen Rahmenbedingungen bzgl. der empirischen Beziehungsstruktursegmente in der Ausgangssituation, gegebener Standortfaktoren u.ä. eine unterschiedliche Attraktivität je Dienstleister aufweisen (z.B. differierende Erreichbarkeitsgrade). Man denke beispielsweise an eine Kultureinrichtung, die standortbedingt v.a. wenig integrative, durchreisende Kulturtouristen mit einer konsumorientiert geprägten Erwartungshaltung als Hauptbesucher hat. In diesem Fall könnte die Strategie "Erhöhung des Anteils interaktionsaktiver Kunden mit einer hohen Besuchshäufigkeit und hoher Beziehungsquantität" - wenn überhaupt realisierbar - mit prohibitiv hohen Kosten verbunden sein. Demgegenüber bietet es sich hier eventuell an, die Strategie einer "Erhöhung der Besuchshäufigkeit und des Interaktionsgrades sowie der Interaktionsflexibilität durchreisender Kulturtouristen" zu verfolgen. Die Sollbeziehungsstruktur resultiert allgemein formuliert also aus der Zielsetzung und den individuellen situativen Bedingungen des Dienstleistungsanbieters. Letztere lassen sich mittels einer SWOT-Analyse identifizieren, die speziell darauf ausgerichtet ist, Stärken und Schwächen bzgl. des Beziehungsmanagements zu identifizieren. Die zugehörige Umweltanalyse sollte hierbei in die Ermittlung der spezifischen Umweltdaten (empirische Beziehungsstrukturrahmenbedingungen bzw. empirische Verteilung der o.g. Marktsegmente) und der allgemeinen beziehungsmanagementrelevanten Umweltbedingungen unterteilt werden. Auf Basis der aktuellen Ist-Beziehungsstrukturverteilung der Dienstleistungsnachfrager sind nun die Soll-Beziehungsstrukturen zu identifizieren und auszuwählen, die der Zielerreichung dienen. Folgende Abbildung verdeutlicht die strategische Entscheidungssituation für den Dienstleistungsanbieter.
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Abb.3 Der strategische Entscheidungsraum des Dienstleistungsanbieters (eigene Darstellung)
Anhand des folgenden konkreten Beispiels wird der Zusammenhang zwischen der Zieldefinition und den strategischen Beziehungsstrukturen verdeutlicht, Angenommen werde, eine Kultureinrichtung definiere das Ziel "Erhöhung der Besucherzahl". Die potenziellen Besucher bestehen aus allen tatsächlichen und potenziellen Mitgliedern der weiter oben ermittelten, durch die jeweilige Beziehungsstruktur determinierten, Marktsegmente. Ein strategischer Ansatzpunkt ist es, sich auf diejenigen Nachfrager zu konzentrieren, die bereits als Stammbesucher identifiziert wurden. Damit ergeben sich grundsätzlich vier Ist-Beziehungsstrukturen (Marktsegmente, vgl. zu den Marktsegmenten Abb. 2), die via Herbeiführung der Soll-Beziehungsstruktur das Oberziel realisieren: S2: Passive, überzeugte Stammbesucher S4: Passive, zufrieden gestellte Stammbesucher S6: Aktive, überzeugte Stammbesucher S7: Aktive, zufrieden gestellte Stammbesucher
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Nachfolgende Abbildung zeigt die strategische Stoßrichtung auf Basis der IstBeziehungsstruktur. Ist-Beziehungsstruktur
Soll-Beziehungsstruktur
Angestrebte / potenzielle Zielwirkung
S2: Passive, überzeugte Stammbesucher
S6: Aktive, überzeugte Stammbesucher
Via Aktivität erhöhtes Erfahrungswissen / Prozesserfahrung => Unsicherheitsreduktion / Selbstvertrauenszunahme => höhere Nutzung
S4: Passive, zufrieden S1: Passive, überzeugte gestellte Stammbesucher Stammbesucher
Höherer Zufriedenheitsgrad (BQual steigt) / höhere Identifikation mit Kulturanbieter => höhere Nutzung
S6: Aktive, überzeugte Stammbesucher
Stabilisierung der Beziehungsstruktur => Wirkung als Multiplikator => höhere Nutzung von NichtStammbesuchern
S6 => kein Beziehungsstrukturtransfer
S7: Aktive, zufrieden S6: Aktive, überzeugte gestellte Stammbesucher Stammbesucher
Unsicherheitsreduktion / Loyalitätszunahme / Identifikationszunahme => Wirkung als Multiplikator => höhere Nutzung von NichtStammbesuchern + eigene Nutzungszunahme
Abb.4 Strategischer Beziehungsstrukturtransfer (eigene Darstellung)
Zunächst einmal ist anzumerken, dass der Kulturanbieter natürlich selektiv agieren und sich auf eines der Marktsegmente konzentrieren kann, ebenso wie eine vollständige Bearbeitung aller strategischen Ist-Beziehungsstrukturen denkbar ist. Welche der Strategien gewählt werden, wird u.a. vom Ergebnis der SWOT-Analyse beeinflusst, die beispielsweise unter Stärken-Schwächen-Aspekten einschränkend auf die Strategieauswahl wirken kann (z.B. bzgl. des Ausmaßes an vorhandenem sozialtechnischem Know-How). Des Weiteren ist hervorzuheben, dass es sich hier nur um eine das Modell explizierende Auswahl an IstBeziehungsstrukturen handelt, die als strategische "Transferoption" zur Zielerreichung gewählt werden könnten. Bei entsprechender Auswahl der operativen die Beziehungsstruktur beeinflussenden Instrumente lassen sich hier weitere Strategien als potenziell zielorientiert wählen. Zudem ist kritisch zu betonen, dass die hier dargestellten angestrebten bzw. potenziellen Zielwirkungsketten letztlich empirisch bestätigt werden müssen. Dennoch ist es beispielsweise durchaus plausibel, dass ein ehemals passiver Kulturnachfrager beispielsweise mit zunehmender Prozesserfahrung, zunehmendem Wissen und u.U. steigendem Selbstvertrauen eine höhere Interaktionsbereitschaft entwickelt, die seine Gesamtnachfrage nach gleichartigen oder auch neuen Leistungsangeboten des Kulturanbieters erhöhen lassen kann. In wie weit diese Kausalität generell zutrifft und in welchem Ausmaß dies gegebenenfalls auf-
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tritt, kann jedoch an dieser Stelle nicht näher spezifiziert werden. Unstrittig dürfte jedoch sein, dass es eine Vielzahl operativer Instrumente gibt, die die Kultureinrichtung einsetzen kann, um das Nachfragerverhalten beim Kulturkonsum zu beeinflussen und somit im Endeffekt die Beziehungsstruktur verändern können (vgl. Gouthier 2003).
5
Fazit und Ausblick
Der vorliegende Beitrag behandelte die Strategienentwicklung für Kultureinrichtungen. Dienstleistungen, zu denen auch Kulturangebote zählen, sind maßgeblich von der Interaktivität zwischen Leistungsanbieter und -nachfrager geprägt. Damit entstehen notwendigerweise Beziehungen zwischen den beiden Marktseiten. Marketing wird demzufolge als Management von Austauschbeziehungen verstanden. Aufbauend auf diesem Grundverständnis wurde ein Modell entwickelt, das die Beziehungsgestaltung als Kernsteuergröße des Leistungsanbieters in den Mittepunkt des strategischen Entscheidungsraums stellt. Die Beziehungen wurden hinsichtlich ihrer Qualität und Quantität, sowie dem individuell geprägten jeweiligen Beziehungstyp, der die Leistungsnachfrager charakterisiert, differenziert. Auf diese Weise wurden zunächst unterschiedliche Marktsegmente identifiziert, die sich hinsichtlich der jeweiligen Konstellation aus Beziehungsqualität, -quantität und Beziehungstyp (Interaktionsverhalten) abgrenzen ließen. Ausgehend von derartigen Ausgangskonstellationen (Beziehungsstrukturen) und unter der Annahme, dass das Interaktionsverhalten der Nachfrager bei der Dienstleistungserstellung beeinflussbar ist, wurde gezeigt, dass verschiedene (Beziehungs-) Strategien zur Realisierung der Ziele des Leistungsanbieters zur Verfügung stehen. Kern dieser (Beziehungs-) Strategien ist die Transformation einer vorab gegebenen Ist-Beziehungsstruktur in eine zielführende Soll-Beziehungsstruktur. Schließlich wurde der Modellrahmen auf den Kulturbereich übertragen und entsprechende Strategiealternativen abgeleitet. Für weitere Untersuchungen bieten sich z.B. nachfolgende Ansatzpunkte. Themenbedingt wurde die Strategieimplementierung ebenso ausgeklammert, wie die Diskussion und Ableitung geeigneter operativer Handlungsalternativen zugunsten der angestrebten Beziehungsstrukturtransformation. Hinsichtlich der Strategieimplementierung bietet es sich z.B. an, die Balanced Score Card zu nutzen. Hierbei wäre es nicht einmal nötig, eine zusätzliche modellkonforme Perspektive zu definieren, da mit der Prozess-, Kunden- und Potenzialperspektive der notwendige Gestaltungsrahmen bereits vorhanden ist. Interessant dürfte dabei die Kennzahlenermittlung und -operationalisierung, sowie die Identifikation des kausalen Wirkungsgefüges sein, da eine Vielzahl der Handlungsalternativen wie oben erwähnt v.a. aus dem Bereich der Sozialtechnik stammen werden. Eine weitere offene Thematik betrifft die empirische Untersuchung der oben theoretisch ermittelten Marktsegmente, die sich aus den jeweiligen Beziehungsstrukturkonstellationen ergeben.
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Literatur
Becker, J.: Marketingkonzeption, 6. Auflage, München 1998 Bruhn. M.: Kommunikationspolitik von Dienstleistungsunternehmen, in: Bruhn, M. / Meffert, H. (Hrsg.), Handbuch Dienstleistungsmanagement, S. 581-612, Wiesbaden 1998 Cordes, J. / Schimkus, K.: Strategieentwicklung in Kultureinrichtungen, Studienbrief 2-0800311, Berlin 2005 Cordes, J. / Manschwetus, U.: Kulturmarketing am Beispiel von Museen, in: Poth, L.G. / Poth, G.S. (2000), Marketing, Loseblattsammlung, 36. Akt.-Lfg., Dez. 2000 (Art.Nr. 10831). Corsten, H.: Dienstleistungsmanagement. 4. Auflage, München 2001 Engelhardt, W.H. / Schnittka, M.: Entwicklungstendenzen des Dienstleistungsmanagements aus Sicht der Wissenschaft, in: Bruhn, M. / Meffert, H. (Hrsg.), Handbuch Dienstleistungsmanagement, S. 915-932, Wiesbaden 1998 Fließ, S.: Prozessorganisation in Dienstleistungsunternehmen, Stuttgart 2006 Fließ, S. / Möller, S. / Momma, S.: Sprachregelungen für Mitarbeiter im Kundenkontakt, Diskussionsbeitrag Nr. 334, Febr. 2003, Fernuniversität Hagen Gouthier, M. H. J.: Kundenentwicklung im Dienstleistungsbereich, Leverkusen 2003 Hilke, W.: Grundprobleme und Entwicklungstendenzen des Dienstleistungsmarketing, in: Hilke, W. (Hrsg.)(1989), Dienstleistungsmarketing, Wiesbaden 1989 Klein, A.: Kulturmarketing, in: Klein, A. (Hrsg.), Kompendium Kulturmanagement, München 2004, S. 385-400 Klein, A.: Kulturmarketing, München 2001 Kleinaltenkamp, M.: Kundenbindung durch Kundenintegration, in: Bruhn, M. / Homburg (Hrsg.), Handbuch Kundenbindungsmanagement, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Wiesbaden 1999, S.254-272 Meffert, H. / Bruhn, M.: Dienstleistungsmarketing, 4. Auflage, Wiesbaden 2003 Scharf, A. / Schubert, B.: Marketing, 3. Auflage, Stuttgart 2001 Seidenberg, U.: Ein erweitertes Modell der Kundenintegration, Arbeitspapier, Siegen 2003 Weinberg, P.: Verhaltenswissenschaftliche Aspekte der Kundenbindung, in: Handbuch Kundenbindungsmanagement, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Wiesbaden 1999, S. 39-54
Uwe Manschwetus
Aspekte der Markenführung 1
Marken im Kultursektor
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Markendefinition
3
Markenfunktionen
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Markenpersönlichkeit
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Markenarchitektur
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Markenauftritt
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Literatur
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1
Aspekte der Markenführung
Marken im Kultursektor
Persil, Coca Cola, Nutella oder Uhu – Marken sind und waren schon immer Bestandteil des täglichen Lebens. Manche dieser Marken, wie z.B. Tempos für Papiertaschentücher, sind sogar zum Synonym für eine ganze Produktgattung geworden. In diesem Sinne sind die Marken selber wichtiger Teil der Alltagskultur. Ihre emotionale Ausstrahlungskraft und ihre ästhetische Wirkung sind oft stilprägend. Sie werden damit zum Objekt kulturwissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Bücher. Die viel beachteten Bände von Florian Langenscheidt über deutsche und internationale Marken mögen hierfür ein Indiz sein (vgl. Langenscheidt 2003 und 2004). In diesem Beitrag geht es jedoch um die Frage, wie Kulturanbieter sich oder ihr Leistungsprogramm als Marke etablieren können. Zwar gibt es auch Kritiker, die die Frage stellen, ob „ehrwürdige Institutionen“ wie Kultureinrichtungen überhaupt als Marken „ausgelobt“ werden sollten (vgl. Hellmann 2006, S. 39), doch die Praxis hat das Markenkonzept längst akzeptiert. Gut besuchte Kongresse, Tagungen und wissenschaftliche Symposien zu diesem Thema belegen das Interesse aus dem Kulturbereich an Fragen zur Markenbildung und –führung. Längst gibt es im Internet auch ein Portal38, das sich ausschließlich mit Marken im Kulturbereich beschäftigt. Hier wird auch die Kulturmarke des Monats und des Jahres gekürt. Grundsätzlich ist zu betonen, dass der Kultursektor über hervorragende Ausgangsbedingungen zur Markenbildung verfügt. Außer dem Sportsektor gibt es wohl keinen anderen Wirtschaftsbereich, in dem die Nachfrager eine solche emotionale Verbundenheit mit dem Leistungsangebot der Anbieter entwickeln wie im Kulturbereich und hier speziell in Bereichen wie der Musik oder der darstellenden Künste: Die Kunden werden zu Fans oder Verehrern. Im Folgenden werden die wesentlichen Komponenten des Markenkonzeptes vorgestellt.
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Markendefinition
Die Wortverwandtschaften des mittelhochdeutschen Marc (Grenze, Grenzlinie), des französischen „marquer“ (markieren, kenntlich machen) und des englischen Substantivs „mark" (Marke, Merkmal, Zeichen. Markierung) weisen darauf hin, was unter Marke verstanden werden kann: Im Kern geht es darum, dass ein Objekt markiert und damit kenntlich und unterscheidbar gemacht wird. Das deutsche Markengesetz führt dazu in § 3 Abs. 1 aus: „Als Marke können alle Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstige Aufmachungen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen geschützt werden, die geeignet sind, Waren oder
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Der Internetauftritt ist unter der URL: http://www.kulturmarken.de zu finden und wird von Causales, Agentur für Marketing & Kommunikation, betrieben.
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Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.“ Im wissenschaftlichen Diskurs ist eine große Anzahl von Definitionsversuchen im Zusammenhang mit Marken festzustellen, die sich einer formalen und einer wirkungsbezogenen Betrachtungsweise zuordnen lassen (vgl. Homburg / Krohmer 2006, S. 628). Die oben genannte juristische Begriffsbestimmung ist ein Beispiel für eine formale Perspektive, die auf die Identifizierbarkeit von Produkten durch bestimmte Merkmalseigenschaften abstellt. Die Grundidee der wirkungsbezogenen Perspektive besteht darin, dass eine Marke in den Köpfen der Kunden entsteht und somit nicht ausschließlich über formale Aspekte definiert werden kann. Die wirkungsbezogene Perspektive ist für das Marketing wesentlich zielführender, da die Vorstellungen der Konsumenten ihr Kaufverhalten prägen. Daher wird diese Sichtweise dem vorliegenden Beitrag zugrunde gelegt. Der Begriff Marke lässt sich vor diesem Hintergrund wie folgt definieren: Eine Marke ist ein in der Psyche des Konsumenten und sonstiger Bezugsgruppen der Marke fest verankertes, unverwechselbares Vorstellungsbild von einem Produkt, einer Dienstleistung, eines Unternehmens oder einer Person (vgl. Meffert / Burmann / Koers 2002, S. 6). Um den spezifischen Bedingungen des Kulturbereiches gerecht zu werden, wird hier die ursprüngliche Definition um die zu markierenden Objekte „Unternehmen“ und „Personen“ erweitert. Die Semperoper in Dresden, das Tate Modern in London oder der Louvre in Paris sind Beispiele, bei denen das kulturanbietende Unternehmen selber die Marke ist. Bei Konsumgütern ist dagegen die Marke häufiger das Produkt (z.B. Persil) und nicht der Anbieter bzw. Produzent (z.B. Henkel). Vergleichbares gilt für Personen: Die Künstler und Kulturschaffenden stehen oft im Vordergrund, so dass sie und nicht ihre Produkte als Marke bezeichnet werden müssen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die wirkungsbezogene Interpretation einer Marke allein auf das Vorstellungsbild in den Köpfen der Bezugsgruppen abstellt. Weder ist es erforderlich, dass die Marke beim Patentamt registriert wird, noch muss eine bewusste Markenbildung der Akteure stattfinden, um den wirkungsbezogenen Markenbegriff anzuwenden. In diesem Sinne sind Günter Grass, Martin Walser und Frederick Forsyth Marken, während Joachim Massanek kaum als solcher bezeichnet werden kann. Beim letztgenannten Autor ist das Produkt die Marke, denn er ist der Autor der bekannten Kinderbuchreihe „Die wilden Fußballkerle39“. Im Rahmen einer systematischen Marktbearbeitung müssen die Akteure klar definieren, was oder wer als Marke positioniert werden soll. Dazu ist die Kenntnis über die Markenfunktionen notwendig, die im Folgenden thematisiert werden.
39
Die „Wilden Kerle“ sind ein Paradebeispiel für eine professionelle Markenführung, bei der ein gezielter Markenaufbau erfolgte und durch eine so genannte Line Extension die Marke auf verschiedene Produkte übertragen wurde.
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3
Aspekte der Markenführung
Markenfunktionen
Die Bedeutung und Akzeptanz einer Marke ergibt sich aus den sogenannten drei großen K: „… der Kompetenz, dem Verbraucher eine spezifische Problemlösung zu bieten; der Kontinuität, mit der über lange Zeit ein gleichbleibend hohes Qualitätsniveau (primäres Markenversprechen) gehalten wird, und der unternehmerischen Konsequenz, dies im Bewusstsein der Verbraucher zu manifestieren und einen psychologischen Mehrwert zu garantieren (sekundäres Markenversprechen.“ (Meschnig 2002, S. 13, Hervorhebungen vom Verfasser) Eine starke Marke weckt beim Konsumenten und in der Öffentlichkeit Vertrauen und Loyalität, da sie das subjektive Risiko von Fehlentscheidungen und enttäuschten Erwartungen minimiert. Neben diesem Qualitätsversprechen sind folgende Markenfunktionen von Bedeutung: •
Vertrauensfunktion: Im engen Zusammenhang mit dem Qualitätsversprechen ist die Vertrauensfunktion zu sehen. Durch das Leistungsversprechen der Marke, ihre Kompetenz und Identität kompensiert sie im Kopf des Konsumenten subjektiv die Informationsdefizite. Kulturangebote können häufig vor dem Kauf nicht beurteilt werden. Ob beispielsweise das Konzert den eigenen Erwartungen entspricht, merkt man erst, wenn man im Konzertsaal sitzt. Durch die Garantie einer Marke (z.B. ein berühmtes Orchester) wird dieses Risikogefühl vermindert, da sie ein Qualitätsversprechen abgibt, auf das der Kunde vertrauen kann.
•
Orientierungs- und Informationsfunktion: Im Kulturmarkt ebenso wie in vielen anderen Märkten können die Konsumenten aus einer unüberschaubaren Vielzahl von (häufig recht ähnlichen) Angeboten wählen, was zu einer informatorischen Überforderung führen kann. Marken fungieren hier als Orientierungshilfe, die Bewertung und Vergleich von Produkten erleichtert. Durch die Speicherung von Markenerfahrungen wird es dem Kunden möglich, seine Kaufentscheidung beim nächsten Bedarf schneller und unkomplizierter zu fällen.
•
Symbolische Funktion: Unter der symbolischen Funktion wird die Macht der Marke verstanden, auf den Verbraucher eine identitätsvermittelnde oder gar identitätsstiftende Wirkung auszuüben. Durch die Wahl bestimmter Marken kommuniziert der Konsument seine persönlichen Vorlieben und Einstellungen, seine Wertvorstellungen, seinen Lebensstil und seine Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen. Nicht selten können Marken auch verhaltensbeeinflussend wirken, wenn der Verbraucher die der Marke innewohnenden Persönlichkeitsmerkmale auf sich selbst überträgt. Die Marke wird also zum Instrument für Profilierung, Zugehörigkeit, Selbstverwirklichung, Prestige und Darstellung.
Die Funktionen der Marke für die Bezugsgruppen können auch als „Nutzen der Marke aus Nachfrageperspektive“ bezeichnet werden (vgl. Meffert / Burmann / Koers 2002, S. 10). Doch nicht nur die Nachfrager, auch der Anbieter zieht Nutzen aus der Markenbildung, wie etwa die Wertsteigerung des Unternehmens, der preispolitische Spielraum oder die Kundenbindung (vgl. ebd. S. 11). Somit kann davon ausgegangen werden, dass die Marke ein Nut-
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zenbündel darstellt. Diese Markeninterpretation spielt auch bei der folgenden Erörterung der Markenpersönlichkeit eine Rolle (vgl. Abb.1).
4
Markenpersönlichkeit
Aus der Sicht der Marke ergibt sich die Markenpersönlichkeit aus der Frage „Wie bin ich?“. Die Markenpersönlichkeit lässt sich mit entsprechenden Adjektiven wie z.B. innovativ, modern, vielseitig, authentisch, provokativ etc. beschreiben. Wird der Blickwinkel auf die internen Gruppen fokussiert, spricht man von Markenidentität während das Fremdbild als Markenimage bezeichnet werden kann (vgl. Abb.1). Daraus folgt, dass ein ganzheitliches Markenmanagement über die Orientierung auf den Absatzmarkt hinaus auch die interne Identifikation mit der Marke und ihren Werten steuern muss. Als integrierter, funktionsübergreifender Bestandteil der Unternehmensführung sollte das Markenmanagement in der hierarchisch höchsten Führungsebene angesiedelt werden, da hier am ehesten mit allen relevanten Schnittstellen kommuniziert werden kann (vgl. vgl. Meffert / Burmann / Koers 2002., S. 8). Dies bedeutet, dass die Organisationsleitung die Markenführung nicht vollständig an eine untergeordnete Stelle (z.B. Marketingabteilung) delegieren sollte, sondern als zentrale Managementaufgabe implementiert. Das Markenimage, also das Bild, das externe Zielgruppen von der Marke haben, steht mit der Markenidentität wiederum in einem Austauschprozess, der bei beiden Perspektiven Änderungen und Angleichungen bewirken kann. Obwohl sich die Identität von Marken, analog zu Individuen, aus zahlreichen Komponenten zusammensetzt, wird sie doch als Einheit wahrgenommen. Die Ausprägung und Kombination der einzelnen Identitätskomponenten einer Marke muss daher eine in sich widerspruchsfreie, schlüssige „Gestalt“ ergeben, die sich von anderen Leistungsangeboten unterscheiden sollte.
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Aspekte der Markenführung
Abb.1 Beziehung zwischen Marke, Markenidentität und Markenimage, in Anlehnung an Keller 2003
Das Zusammenspiel von interner und externer Dimension zur Entwicklung von Markenpersönlichkeit wird auch im holistischen Markenmodell von Schmidt / Ludlow betont. Dieser Ansatz beschreibt sechs Ebenen, die für die Markenpositionierung relevant sind (vgl. Schmidt / Ludlow 2002): • • • • • •
Unternehmenskultur (interne und externe Einflüsse) Nachhaltiges Verhalten gegenüber Kunden, Mitarbeitern, Umwelt etc. Produkte & Services Märkte & Kunden Design Kommunikation (intern/extern).
Insbesondere die „Unternehmenskultur“ sowie das „Verhalten“ sind Positionierungselemente einer Marke, für die das „Markencommitment“ der internen Gruppen ausschlaggebend ist. Die Festigkeit der Markenpersönlichkeit und die Glaubwürdigkeit, mit der sie sich nach außen präsentiert, werden hiervon maßgeblich beeinflusst. Wenn die Mitarbeiter nicht an die Stärke der Marke glauben, die sie nach außen vertreten, und ihr Verhalten gegenüber den Persönlichkeitsmerkmalen der Marke Diskrepanzen aufweist, dann wird es der Marke an Überzeugungskraft mangeln. (vgl. Meschnig 2002, S. 14) Die nach außen wirksame Positio-
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nierung sollte daher u.a. auf das formulierte und gelebte Leitbild (Vision, Mission, Values) basieren (vgl. Schmidt / Ludlow 2002, S. 21f.).
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Markenarchitektur
Als Markenarchitektur wird die Anordnung aller Marken eines Unternehmens bezeichnet, durch die die Rollen der Marken und ihre Beziehungen untereinander festgelegt werden (vgl. Homburg / Krohmer 2006, S. 638). Es geht somit um Strukturentscheidungen im Hinblick auf das auf das gesamte Markenspektrum eines Unternehmens. Grundsätzlich stehen drei strategische Markenoptionen zur Auswahl: • Einzelmarkenstrategie: Für jedes Produkt eine eigene Marke • Familienmarke: Alle Produkte einer Produktlinie unter einer Marke • Dachmarke: Sämtliche Produkte eines Unternehmens unter einer Marke Der Vorteil der Einzelmarkenstrategie liegt darin, dass für jede Marke des Portfolios eine unverwechselbare Markenidentität aufgebaut und direkt mit den Bedürfnissen der Nachfrager abgestimmt werden kann. Der Koordinationsbedarf zwischen den einzelnen Marken eines Unternehmens ist gering und negative Abstrahlungseffekte der Marken untereinander können weitestgehend verhindert werden. Daraus ergibt sich jedoch gleichzeitig der Nachteil, dass positive Synergieeffekte ebenfalls unterbunden werden, d.h. neu eingeführte Marken können nicht vom positiven Image bereits etablierter Produkte profitieren. Damit verbunden ist der Nachteil der hohen Produkteinführungs-, Markenführungs- und Kommunikationskosten, die eine Einzelmarke während ihres gesamten Produktlebenszyklus allein zu tragen hat. Im Gegensatz zur Einzelmarkenstrategie werden bei einer Dachmarkenstrategie alle Produkte eines des Unternehmens unter einer Marke angeboten. Vorteilhaft ist hierbei, dass die Kosten reduziert werden können, da sich die Anstrengungen der Markenbildung allein auf eine Unternehmensmarke konzentrieren. Kannibalisierungseffekte zwischen Marken sind ebenfalls nicht vorhanden. Als Nachteil ist zu erwähnen, dass die Vielzahl und eventuell die Heterogenität der unter die Marke subsumierten Produkte eine klare Markenpositionierung erschweren könnte. Bei der Familienmarkenstrategie wird für eine bestimmte Produktgruppe eine einheitliche Marke kreiert. Diese Strategievariante stellt also einen Mittelweg zwischen Einzelmarken- und Dachmarkenstrategie dar (Meffert 2002, S. 138ff.). Die Unterscheidung zwischen den Markenhierarchien ist nicht nur terminologisch, sondern hat für die Führung des Markenportfolios erhebliche Auswirkungen. So sind mit einer Marke, je nach Stellung im Unternehmen, verschiedene Assoziationen verknüpft: Während die Unternehmensmarke die Kultur und Werte der Organisation als Ganzes darstellt und gegenüber allen Anspruchsgruppen zu vertreten hat, verkörpert eine Produktmarke die vornehmlich leistungsbezogenen Spezifika eines einzelnen Produktes für eine bestimmte Zielgruppe. Generell gilt: Je größer und komplexer das Unternehmen und seine Produktvielfalt sind, umso wichtiger wird das Thema der Markenarchitektur. Nicht nur für große Weltkonzerne
132
Aspekte der Markenführung
auch für typische Kultureinrichtungen wie städtische Theater kann sich die Frage nach der Markenarchitektur stellen, wie SCHWERDTFEGER in seiner Arbeit verdeutlicht (2004, S. 234). Dabei weist er auf die Möglichkeit hin, dass Abonnements zur Bildung von Familienmarken benutzt werden können, wenn sie im Sinne eines Veranstaltungsreihenkonzeptes angeboten werden. Das Abonnement würde sich dann vom reinen Distributionsinstrument zu einem Instrument der Markenführung weiter entwickeln.
6
Markenauftritt
Beim Markenauftritt geht es um die Frage, wie die Marke konkret am Markt erscheinen soll. Neben dem Aspekt der Gestaltung der Marketinginstrumente, also der Produkt-, der Preis-, der Kommunikations- und der Distributionspolitik40, steht hierbei vor allem die Wahl des Markennamens und Markenzeichens im Vordergrund. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Frage, wer oder was markiert werden soll. Es wurde eingangs bereits darauf hingewiesen, dass im Kulturbereich häufig die kulturanbietende Organisation markiert wird. Ein zentrales Element der Markierung ist der Markenname. Dieser kann entweder einen direkt ersichtlichen Bedeutungsinhalt zum aktuellen Leistungsangebot haben (z.B. Jüdisches Museum Berlin) oder aber auf einen solchen Bezug verzichten. Dies ist beispielsweise beim Kulturzentrum „Kampnagel“ in Hamburg der Fall, das 1982 auf dem Gelände der ehemaligen Kranfabrik Kampnagel entstand. Neben solchen Bezügen zur lokalen Historie der Räumlichkeiten leiten sich Markennamen häufig von den Namen der Gründer ab oder sind einfach Phantasiebezeichnungen. Ein wirkungsvoller Markenname sollte fünf Kriterien erfüllen (vgl. Kircher 2001, S. 477): •
Eigenständigkeit: Der Markenname sollte die im vorherigen Kapitel diskutierte Markenpersönlichkeit widerspiegeln. Zu diesem Zweck kann es sinnvoll sein, sich von der gängigen Namensstruktur im jeweiligen Kultursektor abzuheben.
•
Seriosität: Ein Marke ist ein Qualitätsversprechen. Daher sollte auch der Name durch Seriosität den Qualitätsanspruch widerspiegeln. Bei Kindertheatern oder Volksbühnen mag ein gewisser Grad an Lockerheit in der Namensfindung statthaft sein, doch auch hier sollte bedacht werden, dass sich ein „Gag“ in der Namensfindung schnell abnutzt und daher eher eine seriösere Variante gewählt wird.
•
Innovationskraft: Die zuvor gefordert Seriosität darf nicht mit „Langweiligkeit“ verwechselt werden. Markennamen sollten Aufmerksamkeit erzielen und sich daher durch eine innovative Note auszeichnen.
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Im vorliegenden Band sind gesonderte Beiträge zu den Marketinginstrumenten zu finden. Zur Vermeidung von Überschneidungen werden diese Themen hier ausgeklammert.
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•
Merkfähigkeit: Ein sehr wichtiges Kriterium von Markennamen ist ihre Merkfähigkeit. Daher sollten statt langer und komplizierter Wortgebilde, lieber kurze, prägnante und leicht erinnerbare Namen gewählt werden.
•
Juristische Schutzfähigkeit: Schließlich kann auch im Kulturbereich die Schutzfähigkeit des Markennamens eine Rolle spielen. Nach dem Deutschen Markengesetz muss ein Name Unterscheidungskraft besitzen. Somit wären Begriffe wie „Kunstmuseum“ oder „Theatergruppe“ nicht schutzfähig.
Diese fünf von Kircher vorgeschlagenen Kriterien können um ein weiteres Merkmal ergänzt werden: •
Positionierungsrelevante Assoziationen: Vorteilhaft ist es, wenn mit dem Namen eine Assoziation zur Positionierung der Marke stattfindet. Dies ist z.B. beim Namen des Wissenschaftsmuseums Phaeno in Wolfsburg der Fall, das Beziehungen zu „Phänomene“ oder „Phänomenal“ herstellt. Dies wird noch durch den Slogan „Da staunst du“ unterstützt.
Neben dem Namen ist das Logo das wichtigste Erkennungszeichen einer Marke. Das Logo stellt einen visuellen Reiz dar, der leichter als reiner Text im Gedächtnis gespeichert und wieder abgerufen werden kann. Daher wird das Logo auch als Schlüssel zum Markenimage bezeichnet (Esch / Langner 2001, S. 497). Logos können in Schrift- versus Bildlogos oder einer Kombination aus beiden Elementen differenziert werden. In seiner Gesamtwirkung sollte ein gutes Logo folgende Kriterien erfüllen (ebd. S. 513): • • •
•
Kontakt herstellen: Ein Logo sollte beachtet und wahrgenommen werden. Die Gestaltung des Logos muss daher Aufmerksamkeit erzeugen. Positionierungsrelevante Assoziationen vermitteln: Beim Betrachten des Logos sollten Assoziationen entstehen, die die anvisierte Markenpersönlichkeit reflektieren. Gefallen erzeugen: Die optische Wirkung des Logos, seine Anmutung, sollte von der Mehrheit der Betrachter als positiv empfunden werden. Da der „gesellschaftliche Durchschnittsgeschmack“ aber keine Konstante ist, empfiehlt es sich ein Logo in bestimmten Zeitabständen zu „modernisieren“, d.h. dem aktuellen Geschmacksempfinden anzupassen. Gedächtniswirkung erzielen: Schließlich ist ein gutes Logo in der Lage, Erinnerungswirkung zu erzielen. Es ist merkfähig und bleibt im Gedächtnis.
Neben den zentralen Markierungselementen Namen und Logo gibt es noch eine Reihe weiterer Möglichkeiten, kulturelle Leistungsangebote zu markieren: Farben, Formen, Klänge41 und sogar Düfte („Corporate smell“) wären in diesem Zusammenhang zu nennen. Die Herausforderung besteht darin, dass alle Gestaltungselemente optimal zusammen wirken soll-
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Beispielsweise setzt die Kölner Philharmonie die Fanfare aus Robert Schumanns „Rheinischer Symphonie“ als Anfangs und Pausenzeichen ein.
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Aspekte der Markenführung
ten42, um das Ziel der Markenbildung zu verwirklichen: In den Köpfen der Zielgruppen ein unverwechselbares Vorstellungsbild der Markenpersönlichkeit zu verankern.
7
Literatur
Esch, F-R. / Langner, T.: Gestaltung von Markenlogos, in: Esch, F-R. (Hrsg.): Moderne Markenführung, 2. Auflage, Wiesbaden 2001, S. 495 - 520 Hellmann, K.-U.: Kultur als Marke. Perspektiven und Probleme, in: Höhne, St. / Ziegler, R.P. (Hrsg.): Kulturbranding? Konzepte und Perspektiven der Markenbildung im Kulturbereich. Leipzig, S. 21-45 Homburg, Ch. / Krohmer, H.: Marketingmanagement, 2. Auflage, Wiesbaden 2006 Keller, K.L.: Strategic brand management: building, measuring, and managing brand equity, 2. Auflage, Upper Saddle River 2003. Kircher, S.: Gestaltung von Markennamen, in Esch, F-R. (Hrsg.), Moderne Markenführung, 2. Auflage, Wiesbaden 2001, S. 475 - 493 Langenscheidt, F.: Deutsche Standards. Marken des Jahrhunderts - Produkte und Objekte in Deutschland, die als prominenter Teil für das Ganze stehen, von Aspirin bis Zeiss, Wiesbaden 2003 Langenscheidt, F.: Deutsche Standards – Weltmarktführer, Wiesbaden 2003 Lindstrom, M.: BRAND sense: Build Powerful Brands through Touch, Taste, Smell, Sight, and Sound, New York 2005 Masannek, J.: Die wilden Fußballkerle, Band 1 – 13, Frankfurt am Main, 2003 -2005 Meffert, H. / Burmann, Ch. / Koers, M.: Stellenwert und Gegenstand des Markenmanagemens, in: Meffert, H. / Burmann, Ch. / Koers, M. (Hrsg.): Markenmanagement, Wiesbaden 2002, S. 3 - 15 Meffert, H.: Strategische Optionen der Markenführung, in: Meffert, H. / Burmann, Ch. / Koers, M. (Hrsg.): Markenmanagement, Wiesbaden 2002, S.135 - 165 Meschnig, A.: Markenmacht, Hamburg 2002 Schmidt, K., Ludlow, C.: Inclusive Branding: The Why and How of a Holistic Approach to Brands, Houndmills / Basingstoke / Hampshire 2002
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Hiermit ist die Forschungsdisziplin der Multisensorik angesprochen. Da es sich um eine recht junge Forschungsrichtung handelt, ist die Literaturlage entsprechend dünn. Im Rahmen des vorliegenden Kontexts ist das Buch von Martin Lindstrom empfehlenswert (Lindstrom 2005).
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Schwerdtfeger, D.: Markenpolitik für Theater- ein produktpolitisches Marketingkonzept, in: Koppelmann, U. (Hrsg.): Beiträge zur Produktpolitik Band 37, Universität zu Köln 2004
Sonstiges Quellen: Bundesministerium der Justiz: Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz), im Internet unter URL: http://bundesrecht.juris.de/markeng/ index.html, 29.10.2007 Kulturmarken: http//:www.kulturmarken.de, 29.10.2007
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Kundenbeziehungen 1
Einleitung
2
Grundlagen und Definition von Kundenbindung
3
Bedeutung von Kundenbindung in Wirtschaft und Kultur
4
Instrumente der Kundenbindung
4.1
Produktpolitische Instrumente der Kundenbindung
4.2
Preispolitische Instrumente der Kundenbindung
4.3
Distributionspolitische Instrumente der Kundenbindung
4.4
Kommunikationspolitische Instrumente der Kundenbindung
4.5
Personalpolitische Instrumente der Kundenbindung
5
Literatur
138
1
Kundenbeziehungen
Einleitung
Kundenbeziehungen sind das tägliche Brot wirtschaftlichen Handelns. Dies gilt auch für Kultureinrichtungen, die ihre Existenz gerade in der heutigen Zeit aber vor allem auch auf lange Sicht nur mit einem großen Kundenstamm legitimieren können. Um dies sicherzustellen, gilt es ein aktives Beziehungsmarketing zu praktizieren. Eine grundlegende Voraussetzung für Planung und Gestaltung von Kundenbeziehungen ist zunächst die Identifikation der aktuellen und der potenziellen Kunden sowie die anschließende Ausrichtung an deren Bedürfnissen. Der Blick des Produzenten muss einer kundenorientierten Sicht weichen. Nicht mehr die Transaktion steht im Vordergrund, sondern das Beziehungsmanagement, eben Relationship- oder Beziehungsmarketing. Dabei geht es nicht um den Ausverkauf von Kultur oder den Verrat am künstlerischen Werk und Kniefall vor dem Markt. Marketing für Kultur ist vielmehr ein systematischer Ansatz für die effektive und effiziente Vermittlungsarbeit im Sinne der Kunst. Um der Kunst quasi den Rücken freizuhalten, ist es erforderlich, dass der Vermittler versteht mit welcher (An-)Sprache er Besucher und Zuschauer erreicht. Zunächst muss er die Kunden dort abholen wo sie stehen, damit sich diese vertrauensvoll für die vielfach vagen und interpretationsbedürftigen Botschaften des Künstlers auf der Bühne oder in der Ausstellung öffnen. Im folgenden Beitrag werden daher der Ansatz des Beziehungsmarketing und der Kundenorientierung sowie die damit verbundenen Implikationen für den Einsatz des Marketinginstrumentariums vorgestellt. Denn erfolgreiches Beziehungsmarketing erfordert konkrete Handlungen.
2
Grundlagen und Definition von Kundenbindung
Den „Kunden“ gibt es nicht. Der Begriff bezeichnet letztlich nur die flüchtige Rolle eines von zwei Partnern innerhalb einer Anbieter-Nachfrager-Beziehung. In bestimmten „Kundenbeziehungen“ sind sogar drei oder auch mehr Partner an der Transaktion beteiligt. So zum Beispiel wenn die Mutter für den Sohn einen Kurs in einer Musikschule bucht. Wer oder was ist also der Kunde oder die Kundin, zumal im Kulturbetrieb. Und was sind seine Wünsche und Bedürfnisse? Wie definiert der Kunde „Zufriedenheit“? Die Orientierung am Kunden ist für ein Unternehmen von herausragender Bedeutung, denn für den Umsatz eines Unternehmens lassen sich zwei Quellen identifizieren: Neukunden und Stammkunden (vgl. Kotler / Bliemel 1999, S. 28). Somit ist es wichtig, dass ein Unternehmen neue Kunden gewinnt und seine Kunden erhält sowie an sich bindet. Wer sich mit dem Thema „Kundenbindung“ auseinandersetzen will oder muss, für den ist es zunächst erforderlich, sich mit dem Begriff des „Kunden“ auseinanderzusetzen. Denn vor der Bindung steht zunächst einmal die Orientierung am Kunden im Gegensatz beispielsweise zur Orientierung an der Produktion oder am Shareholder Value. Zur Definition von Kundenorientierung fol-
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139
gen wir hier MANFRED BRUHN, der Kundenorientierung bezeichnet als die „umfassende, kontinuierliche Ermittlung und Analyse der Kundenerwartungen sowie deren interne und externe Umsetzung in unternehmerische Leistungen sowie Interaktionen mit dem Ziel, langfristig stabile und ökonomisch vorteilhafte Kundenbeziehungen zu organisieren“ (Bruhn 1999, S. 10). Entscheidend ist zudem, unter welchen Rahmenbedingungen eine Kundenbeziehung eingegangen wird. Hierzu sollen zwei Arten von Märkten unterschieden werden. Einerseits der Anbietermarkt, in dem der Anbieter die größere Macht ausübt, z.B. im Falle eines Monopols und andererseits den Nachfragermarkt, in dem der Nachfrager, also Kunde, in der besseren Position ist. Heute leben wir in einer Zeit, in der in allen Bereichen der Wettbewerb zunimmt. Das gilt auch für den Kultursektor. Jeder Anbieter kultureller Leistungen muss sich über den Wettbewerb im eigenen Genre hinaus noch gegen die Anbieter anderer Genres sowie gegenüber dem gesamten Freizeitmarkt behaupten. Auch in der Kultur, bewegen sich die Anbieter daher in der Regel in Nachfragemärkten. Während in Anbietermärkten der Kunde (im folgenden wird der Einfachheit wegen, der männliche Begriff verwendet) nur eine geringe Bedeutung für die Gestaltung der jeweiligen Transaktion hat, sieht die Situation in den heutigen, vom Wettbewerb geprägten Märkten, anders aus. Hier kann die Bindung des Kunden zum Schlüsselfaktor für Erfolg und Misserfolg werden. Nach MEFFERT und BRUHN stellt „die Kundenbindung … die zentrale Zielgröße von Dienstleistungsunternehmen dar“ (2003, S. 202). „Der Begriff Kundenbindung umfasst sämtliche Maßnahmen eines Dienstleistungsunternehmens, die darauf abzielen, sowohl die tatsächlichen Verhaltensweisen als auch die zukünftigen Verhaltensabsichten eines Kunden gegenüber dem Anbieter positiv zu gestalten, um die Beziehung zu diesem Kunden in Zukunft zu stabilisieren beziehungsweise auszuweiten“ (Homburg / Bruhn 2000, S. 8). Dieser umfassende Ansatz lässt erkennen, dass sämtliche Marketing-Mix-Bereiche im Rahmen von Kundenbindungsmaßnahmen involviert sein können bzw. sind. Für die Bindung eines Kunden an einen kulturellen Dienstleister wird damit die Gestaltung des gesamten Marketing-Mix aus Produktpolitik, Preispolitik, Distributionspolitik und Kommunikationspolitik relevant. Darüber hinaus ist, für den in der Regel personalintensiven, kulturellen Sektor, wo die Leistungserbringung stets in physischer Gegenwart des Kunden erfolgt, der Bereich der Personalpolitik ein wichtiges Aktionsfeld des Kundenbindungsmanagements.
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3
Kundenbeziehungen
Bedeutung von Kundenbindung in Wirtschaft und Kultur
Die zunehmende Bedeutung des Themas Kundenbindung in der Wirtschaft ist unter anderem auf folgende Faktoren zurückzuführen: • • • • • • •
Wachsender Wettbewerb Zunehmende Informationsflut Abnahme der wahrgenommenen Produktunterschiede bei Produkten gleicher Kategorien Geringe Unterschiede in Werbung und Werbeaussagen Wachsende Ablehnung von Werbung durch den Verbraucher Sinkende Produkt- und Markentreue Zunehmend kurzfristigere Kaufentscheidungen
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen hat die Wirtschaft erkannt, dass ein Kunde einen nicht zu unterschätzenden Wert darstellt. Dieser Wert ist quantifizierbar und fließt unter anderem bei der Unternehmensbewertung im Rahmen von Firmenverkäufen in den Unternehmenswert mit ein. Insbesondere in gesättigten Märkten wird daher die Bindung bestehender Kunden immer entscheidender und gelangt damit in den Rang der Wertsicherung. Allerdings darf dabei die Neukundengewinnung nicht leiden, denn gerade in unserer heutigen überalterten Gesellschaft, ist es besonders wichtig junge Käufergruppen an ein Unternehmen zu binden, im Idealfall für ein ganzes Leben. Neben das bis dato dominierende transaktionsorientierte Marketing tritt damit der beziehungsorientierte Ansatz des Relationship Marketing. Die Unterschiede zwischen beiden Ansätzen veranschaulicht die folgende Übersicht:
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Abb.1 Unterschiede zwischen Transaktions- und Relationship-Marketing (vgl. Peter 1997, S. 59)
Um den Wert eines Kunden zu beziffern, kann der durchschnittliche Jahresumsatz pro Kunde ermittelt werden. Am Beispiel eines Mobilfunkanbieters wird angenommen, dass der durchschnittliche Kunde monatlich etwa für 50,- Euro telefoniert. Der durchschnittliche Jahresumsatz pro Kunde beträgt somit 50,- Euro x 12 Monate = 600,- €. Nehmen wir darüber hinaus an, dass es gelingt den Kunden lebenslang, oder zur Vereinfachung etwa 20 Jahre (Kundenverweildauer) an das Unternehmen zu binden und unterstellen einen konstanten Umsatz in dieser Zeit, dann hat dieser Kunde einen direkt zurechenbaren Wert von 20 x 600,- € = 12.000,- €. Der Wert des durchschnittlichen Kunden beträgt somit 12.000 Euro. Wird dieser Kunde indes verloren, so fehlen seine Umsätze in der Kasse des Unternehmens und es erfolgt keine Amortisation der im Rahmen der Kundengewinnung getätigten Investitionen. REICHHELD und SASSER haben dazu aufgezeigt, das Unternehmen ihren Jahresgewinn zwischen
142
Kundenbeziehungen
25 Prozent und 85 Prozent steigern können, wenn sie die Kundenabwanderung um fünf Prozent reduzieren. (vgl. Reichheld / Sasser 1999, S. 73) Gerade aber im Rahmen der Bestandssicherung spielt die Kundenbindung auch im nichtprofitorientierten Kulturbetrieb eine zunehmende Rolle. Im Mittelpunkt steht dabei weniger die Steigerung der Einnahmen als vielmehr die Sicherung einer neuen Legitimation. Denn auf lange Sicht wird es keinem Theater, keinem Museum und keiner Musikschule möglich sein, ohne eine stabile Stammkundschaft den eigenen Bestand zu rechtfertigen. Kundenbindung im Kulturbetrieb muss sich heute dabei stärker als früher um personen- und mitarbeiterbezogene Bereiche kümmern. Dies wird auch in der Wirtschaft bereits praktiziert, was sich in einem Paradigmenwechsel vom Transaktions- zum Relationship-Marketing widerspiegelt (vgl. Meffert 1998, S. 24f.). 43 Gefordert wird ein „Beziehungsmarketing“ an Stelle der traditionellen, eher instrumentell, auf kurzfristige Erfolge ausgerichteten Einwegbetrachtung im Rahmen eines „Beinflussungsmarketings“. Dieser Ansatz fokussiert die Erklärung und Gestaltung der Kundenbeziehungen. Besonders wichtig erscheint dabei, dass die Verantwortung für die Kundenbeziehungen auf die gesamte Unternehmensorganisation übertragen wird. Eine Forderung, die gerade im personenbezogenen künstlerischen Umfeld von höchster Bedeutung ist. „Der Aufbau von Vertrauen als Grundvoraussetzung jeder dauerhaften Beziehung kann nur dann erreicht werden, wenn sich alle Mitarbeiter des Unternehmens in gleicher Weise der Kundenorientierung verpflichtet fühlen. Dies setzt wiederum eine starke Corporate Identity voraus und trägt zur marktorientierten Vernetzung der betrieblichen Funktionsbereiche bei“ (Meffert 1998, S. 25). Dabei werden zwei grundlegende Ursachen für den Zustand der Kundenbindung unterschieden. Demnach kann Kundenbindung auf Gebundenheit sowie auf Verbundenheit beruhen (vgl. Meffert / Bruhn 2003, S. 246ff.). Ein Kunde ist dann an ein Unternehmen gebunden, wenn seine Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die Inanspruchnahme der Leistungen des jeweiligen Unternehmens eingeschränkt ist. Hier werden drei Formen unterschieden: • Vertragliche Gebundenheit • Technisch-funktionale Gebundenheit • Ökonomische Gebundenheit Es überrascht nicht, dass Verbundenheit einen stärkeren Einfluss auf eine nachhaltige Kundenbindung hat, als die Gebundenheit. Wenngleich häufig Mischformen anzutreffen sind. Beispiel: Ein Konzertabonnent erhält seine Zutrittsrechte für zuvor ausgewählte Termine und Plätze ohne dass er sich für jedes Konzert erneut um Karten bemühen müsste. Dem Abonnent entsteht somit ein Nutzen im Sinne einer Zeitersparnis bzw. Bequemlichkeit. Wie in diesem Fall sind oftmals mit der positiven Gebundenheit auch ökonomische Vorteile verbunden. Hier etwa der reduzierte Eintrittspreis der Abo-Veranstaltungen gegenüber den normalen Eintrittspreis.
43
Siehe dazu auch Helmke / Uebel / Dangelmaier 2002, S. 133ff.
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Verbundenheit führt auch dann zu Kundenbindung, wenn keine Gebundenheitskriterien vorliegen (Fan-Position). Der Kunde besucht in diesem Fall nicht aus ökonomischen Motiven wiederholt dieselbe Musikschule, sondern allein aufgrund eines „positiven Zustandes der Anerkennung und Wertschätzung“. Das Ziel eines jeden Kulturbetriebes muss es daher sein, bei einem möglichst großen Kundenkreis eine „Fan-Position“ oder die Position der positiven Gebundenheit anzustreben. Wichtigste Voraussetzung um diese Bindung gestaltend zu beeinflussen, ist die Kenntnis der Bedürfnisse und Wünsche der potenziellen Kunden. Hier ist die Marktforschung gefragt Planungsdaten zu liefern. Auf die zahlreichen Methoden der Marktforschung44 kann hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden.
4
Instrumente der Kundenbindung
Alle Instrumente und Programme zur Kundenbindung sind Bestandteil des allgemeinen Marketings der jeweiligen Kultureinrichtung. Somit ist die gesamte Palette des Marketinginstrumentariums im Rahmen der Kundenbindungsstrategie relevant. Die folgende Systematisierung gibt einen Überblick über die Zuordnung möglicher Maßnahmen zu den einzelnen Instrumentalbereichen (vgl. Meffert / Bruhn 2003, S. 262).
44
Siehe hierzu den Beitrag „Marktforschung – ein Instrument für Kulturbetriebe“ von CLEMENS- ZIEGLER im vorliegenden Band.
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Kundenbeziehungen
Abb.2 Instrumente der Kundenbindung (vgl. Klein 2003, S.42)
In den nachfolgenden Kapiteln werden die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Instrumente näher betrachtet.
4.1
Produktpolitische Instrumente der Kundenbindung
Eingangs haben wir bereits festgestellt, dass insbesondere im Bereich der öffentlich geförderten Kultur, Marketingmaßnahmen und somit auch Kundenbindungsmaßnahmen mit allen Parametern operieren dürfen - außer mit dem Produkt selbst. An dieser Stelle soll diese Forderung weiter spezifiziert werden. Auch die Produkt- oder besser Leistungsbereiche sollten in Betracht gezogen werden, die die künstlerische Sphäre nicht berühren. Über Sonderöffnungen oder –vorstellungen kann somit auch die Kernleistung zum Gegenstand der produktpolitischen Maßnahmen im Rahmen der Kundenbindungsstrategie werden.
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Im Bereich der Zusatzleistungen sind sämtliche Leistungen Gegenstand der Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der Produktpolitik, die geeignet sind um die Zufriedenheit und damit die Bindung des Kunden an die Institution zu erhöhen, wie etwa • Führungen • Sonderevents • VIP-Services, etc. Darüber hinaus ist die Gestaltung der Services im engeren Sinn in diesem Bereich anzusiedeln. Das heißt sämtliche Maßnahmen die beispielsweise die Qualität der Leistungen im Bereich der Einlasskontrolle, der Publikumsräume, des gastronomischen Services vor und nach der Veranstaltung oder in der Pause, die Gestaltung des Foyers im Theater oder der Aufenthaltsräume in einer Musikschule sowie der Sanitäranlagen erhöhen, sind als produktpolitische Instrumente zur Kundenbindung heranzuziehen mit dem Ziel die Gesamtzufriedenheit mit dem Angebot oder besser dem Gesamterlebnis des kulturellen Ereignisses zu verbessern.
4.2
Preispolitische Instrumente der Kundenbindung
Dieser Bereich wird in der Fachliteratur in der Regel als Preispolitik bezeichnet und erhält dadurch häufig weniger Aufmerksamkeit als ihm gebührt. Zu den preispolitischen Instrumenten gehören tatsächlich neben der Preisgestaltung, die selbst über Preisdiffenzierungen (Pricing, Yieldmanagement), Rabatte, Abosysteme, etc. eine große Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, die Gestaltung der Lieferbedingungen sowie die Gestaltung der Zahlungsbedingungen. In der Regel werden sich die Aktivitäten dieses Instrumentalbereiches auf die Gestaltung der Konditionen des Ticketkaufs beziehen. Dazu gehören unter anderem die Bedingungen für Bestellung und Versand oder die Arten der akzeptierten Zahlungsmittel (Bar, Lastschrift, Kreditkarte, Kundenkarte etc.). Unter dem Aspekt der Kundenbindung wären beispielsweise Maßnahmen wie die vorzeitige Bestellmöglichkeit oder günstigere Konditionen für den Versand und die Gewährung von exklusiven Zahlungsmöglichkeiten etwa per Lastschriftverfahren o. ä. denkbar. Im Bereich der Preispolitik ist auch die Gestaltung von Angebotspaketen also etwa der Kombination aus kulturellem Angebot und Übernachtung und Reise anzusiedeln.
4.3
Distributionspolitische Instrumente der Kundenbindung
Im Kultursektor wo Leistungen nur bedingt mobil sind, erscheinen die Gestaltungsalternativen im Bereich der Distributionspolitik eher eingeschränkt zu sein. Grundsätzlich fällt die erste distributionspolitische Entscheidung, die zudem eine große Bedeutung für die Kunden-
146
Kundenbeziehungen
bindung hat, mit der Wahl des Standortes einer Kultureinrichtung. Verfolgt man diesen Gedanken weiter, wird rasch deutlich, dass alle Aspekte die mit der Anreise der Besucher zusammenhängen in diesen Bereich fallen. Was für das Industrieunternehmen der Just-inTime-Service ist, ist im Kulturbereich der Shuttle-Service, der die Kunden beispielsweise pünktlich und bequem vom Bahnhof zum Konzerthaus oder zur Festspielstätte bringt oder ganz allgemein die Verkehrsanbindung. Im weitesten Sinne könnte hier auch das Thema Parkplatzangebot integriert werden. Die Abgrenzung zum Bereich der Zusatzleistungen und Services im Rahmen der Produktpolitik scheint hier nicht ganz trennscharf und ist eher fließend. Auch die Tourplanung im Zusammenhang mit einer Tournee oder Wanderausstellung ist ein distributionspolitisches Aktionsfeld. Unter Kundenbindungsaspekten könnten sich diesbezügliche Planungen auf die Auswahl von Veranstaltungsorten mit dem treuesten Publikum konzentrieren. In der Regel dürfte aber die Wahl des Vertriebsweges für die Eintrittskarten der wohl wichtigste distributionspolitische Aktionsparameter sein. Gerade durch die neuen Medien erwachsen zusätzliche Möglichkeiten für die Kundenbindung durch die online- (Internet) und mobile-Technologien (Mobiltelefon, Handhelds). Der Vertrieb von Eintrittskarten über das Internet reicht heute bis zur Möglichkeit, Eintrittskarten direkt am heimischen PC auszuwählen, zu bezahlen und auszudrucken. Inzwischen gibt es auch Lösungen die das Mobiltelefon zur Eintrittskarte werden lassen. Beispiele für den Einsatz beider Technologien finden sich im Museums-, Club- und Musicalsektor sowie in Kinos. Der Vorteil im Rahmen der Kundenbindung resultiert aus der Tatsache, dass der Kunde seine „persönlichen“ Daten nennen muss, um an diesen Services teilzunehmen. Der Kunde, der sonst anonym an der Museumskasse eine Karte kauft und bisher für die Maßnahmen der Kundenbindungsprogramme nur schwer erreichbar oder sogar verloren war, ist nun bekannt und kann gezielt, gegebenenfalls sogar entsprechend zuvor von ihm benannter Interessensgebiete angesprochen werden. Die Chancen, die sich dadurch ergeben sind vielfältig. Bedeutsam ist dabei vor allem in Deutschland der Schutz der Daten vor Missbrauch.
4.4
Kommunikationspolitische Instrumente der Kundenbindung
Der Bereich der Kommunikationspolitik ist der umfassendste Bereich. Denn alle anderen Marketinginstrumente weisen auch kommunikationspolitische Aspekte auf. So entfaltet der gesetzte Preis ebenso eine kommunikative Wirkung wie beispielsweise die Wahl der Veranstaltungsstätte oder die angebotenen Zusatzleistungen. Im engeren Sinne umfasst das kommunikationspolitische Instrumentarium die Aktionsfelder • Werbung • Verkaufsförderung • Public Relations
Jürgen Preiß
147
• Mailings • Call Center (Hotline) • Corporate Publishing Dabei sind alle Maßnahmen in diesem Bereich heute offline, d.h. im eher klassischen Sinne als Print- (Zeitungswerbung, Plakat, Programmhefte, etc.) oder Audio-Visuelle-Lösung (Hörfunkwerbung, TV-Spot, etc.) als auch online durchführbar. Der Kontakt zum Kunden kann dabei auch mobil erfolgen, also über SMS (Short-Message-Service) oder MMS (Multimedia Message Service) der auch den Versand von emotionalisierenden, impulsstarken Bildern und Tönen ermöglicht. Auf die Gestaltungsmöglichkeiten des kommunikationspolitischen Instrumentariums soll hier nicht weiter eingegangen werden, da diese in der Fachliteratur ausführlich behandelt werden.
4.5
Personalpolitische Instrumente der Kundenbindung
Eine besondere und nicht zu unterschätzende Rolle kommt der Personalpolitik im Bereich der Kundenbindung zu. Kundenbindungsmarketing ist heute Beziehungsmarketing. Die Verantwortung für die Kundenbeziehungen ist dementsprechend auf die gesamte Unternehmensorganisation zu übertragen. Alle Mitarbeiter einer Kulturinstitution müssen sich in gleicher Weise der Kundenorientierung verpflichtet fühlen. Eine wichtige Voraussetzung, um dies zu erreichen, ist eine starke Corporate Identity. Dies betrifft die Mitarbeiter aller Abteilungen gleichermaßen und ist nicht nur ein Thema für Abendkasse oder Einlasspersonal. An erster Stelle stehen dabei die Führungskräfte, die eine wertschätzende und respektvolle Haltung gegenüber dem Kunden vorleben müssen. Denn es ist der Kunde, der der Institution ihre Existenz ermöglicht und absichert, sei es durch Einnahmen in privatwirtschaftlichen Kulturbetrieben oder durch die legitimierende Wirkung eines begeisterten Publikums im öffentlich geförderten Kulturbetrieb. Somit gilt es mit allen zur Verfügung stehenden personalpolitischen Instrumentarien das Ziel der Kundenbindung zu unterstützen und einen Rahmen zu schaffen, der es den Mitarbeitern ermöglicht diese Aufgabe optimal zu erfüllen.
An erster Stelle steht in diesem Zusammenhang die Personalauswahl. „Wer nicht lächeln kann, sollte kein Geschäft aufmachen“, heißt ein chinesisches Sprichwort. Dies sollte auch für alle Mitarbeiter mit Kundenkontakt gelten, ganz gleich ob am Telefon oder in den Sanitäranlagen. Ein optimales Beziehungsmarketing in der hier beschriebenen wertschätzenden Vorgehensweise gegenüber dem Kunden führt nachhaltig zu einer stabilen Kundenbasis und hilft damit zur Absicherung der Zukunft eines jeden Kulturbetriebes.
148
5
Kundenbeziehungen
Literatur
Butscher, S.: Handbuch Kundenbindungsprogramme & Kundenclubs, Ettlingen 1998 Butzer- Strothmann K. / Günther B. /Degen H.: Leitfaden für Besucherbefragungen durch Theater und Orchester, 2001 Bruhn, M. : Kundenorientierung. Bausteine eines exzellenten Unternehmens, München 1999 Colbert, F.: Kultur- und Kunstmarketing – ein Arbeitsbuch, Wien 1999 Diggle, K.: Marketing the Arts – An Introduction and Practical Guide, London 1976 Eggert, A.: Kundencenter als Instrument der Kundenbindung, in: Helmke, S. / Uebel, M. / Dangelmaier W. (Hrsg.): Effektives Customer Relationship Management, S. 135 – 156, Wiesbaden 2002 Geffroy, E. K.: Das Einzige, was stört, ist der Kunde, Frankfurt a. M. 2003 Haefs, S. / Schmidt, K.: Wirkungsvolle Strukturen im Kulturbereich, Gütersloh 1999 Helmke, S. / Uebel, M. / Dangelmaier W. (Hrsg.) : Effektives Customer Relationship Management, Wiesbaden 2002 Homburg, Ch. / Giering, A. / Hentschel, F.: Der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung, in: Die Betriebswirtschaft, 59. Jg., Nr. 2, S. 174-195, 1999 Homburg, Ch. / Bruhn, M.: Handbuch Kundenbindungsmanagement. Grundlagen, Konzepte, Erfahrungen, 3. Auflage, Wiesbaden 2000 Klein, A.: Kulturmarketing. Das Marketingkonzept für Kulturbetriebe, München 2001 Klein, A.: Besucherbindung im Kulturbetrieb, Wiesbaden 2003 Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGST), Die Museen Gutachten zur Besucherorientierung und Wirtschaftlichkeit, 1998 Kotler, P. / Scheff, J.: Standing Room Only – Strategies for Marketing the Performing Arts, Boston 1997 Kotler, P. / Bliemel, F.: Marketing-Management, 9. Auflage, Stuttgart 1999 Meffert, H.: Marketing – Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung, 8. Auflage, Wiesbaden 1998 Meffert, H. / Bruhn, M.: Dienstleistungsmarketing, 4. Auflage, Wiesbaden 2003 Peter, S.I.: Kundenbindung als Marketingziel: Identifikation und Analyse zentraler Determinanten, Wiesbaden 1997 Preiß, J.: Kundenbindung und Direktmarketing in Kulturbetrieben, Hrsg.: HDL Hochschulverbund Distance Learning, 2005
Jürgen Preiß
149
Reichheld, F. F. / Sasser, W. Earl, Jr.: Zero-Migration: Dienstleister im Sog der Qualitätsrevolution, in: Harvard Manager, Nr. 4, S. 108-116, 1991 Schlemm, V.: Database Marketing im Kulturbetrieb – Wege zu einer individualisierten Besucherbindung im Theater, Bielefeld 2003 Trommsdorff, V.: Konsumentenverhalten, 4. Auflage, Stuttgart 2002
Teil IV Blickrichtung Besucher
Hardy Geyer
Produktpolitik 1
Einleitung
2
Produkte
3
Produkte im Kulturmarketing
4
Gegenstand der Produktpolitik
5
Produktgestaltung
5.1
Nutzwert
5.2
Einzigartigkeit
5.3
Produktkern
5.4
Ergänzungen
5.5
Produktdesign
5.6
Produktverpackung
5.7
Image und Markierung
6
Literatur
154
1
Produktpolitik
Einleitung
Im Kulturleben ist das Produkt zweifellos eine wichtige Angelegenheit. Und es scheint so, als stünde das Produkt des kulturellen Lebens eher im Vordergrund aller unternehmerischen Bemühungen als in anderen Wirtschaftsbereichen. Insbesondere für Künstler, aber auch für Kulturveranstalter, steht das eigene schöpferische Werk so stark im Mittelpunkt des Handelns, dass oftmals die Zielgruppe, der Preis oder die Kommunikation nebensächlich werden. Alles dreht sich um das Ergebnis der eigenen Ideen und Arbeiten, die eigene Intentionen verwirklichen und zur Selbstverwirklichung beitragen; alles dreht sich um das Produkt, für das alles gegeben wurde, vermeintlich ungeachtet der Resonanz anderer Menschen. Aber: Produktgestaltungen sind nicht nur rein ästhetische, artifizielle, künstlerische Aufgaben, Tätigkeiten oder Entscheidungen, sondern sie sind letztendlich immer auch marktbezogen dimensioniert. Und so spielen andere Menschen eine Rolle. Wird ein Künstler zufrieden sein, wenn sein Werk nicht rezipiert wird? Macht denn ein Kinofilm Sinn, wenn ihn keiner sehen möchte? Hat Bach nur aus Freude an der Musik und zum Selbstzweck komponiert? Vermutlich ist es nicht so. Sofern die Werke für andere Menschen produziert wurden und werden, stehen sich der Künstler oder Kulturveranstalter als Anbieter und andere Menschen als Nachfrager gegenüber und streben einen Austausch an, der beide Seiten befriedigt. Mit dieser weiten Auffassung werden letztendlich alle kulturellen und künstlerischen Prozesse unter dem Aspekt von Märkten, insbesondere von Kulturmärkten fassbar. Vom Produkt hängt wesentlich ab, ob die Marketingziele des Künstlers oder des Kulturbetriebs erreicht werden. Dessen Gestaltung und darüber hinaus die abgestimmte Gestaltung von Preisen, die Festlegung der Zielgruppe, des Ortes, der Zeit und der Kommunikation usw. sind Gestaltungsinstrumente, die zum Erfolg des Kulturunternehmens beitragen. Mit der sich wandelnden Gesellschaft und gegenwärtig vor allem im Zusammenhang mit den Wirkungen von Globalisierung, Informationalisierung und Individualisierung, wandeln sich einerseits die Bedürfnisse der Menschen andererseits auch die Wettbewerbssituation permanent. Damit Kulturanbieter und -nachfrager unter wechselnden Bedingungen nachhaltig in Austauschbeziehungen treten können, sind für den Kunden nutzbringende Produkte, deren kontinuierliche Verbesserung und die permanente Entwicklung neuer Produkte zur absoluten Notwendigkeit für das Überleben von Kulturunternehmen geworden.
2
Produkte
Der allgemeine Begriff Produkt bezeichnet üblicherweise ein Ergebnis oder das Erzeugnis irgendeiner materiellen oder geistigen Tätigkeit von Menschen, das offenbar für das Leben der Menschen in irgendeiner Weise wichtig ist. Weil aber das Leben der Menschen so vielfältig ist, gibt es auch viele Erzeugnisse, die sich bisweilen voneinander sehr stark unterscheiden und zudem für die Menschen unterschiedlich wichtig sind. Diese Vielfältigkeit und Komplexität kann begrifflich gefasst werden: Objekte, die nützlich sind, werden Güter genannt, wenn ihre Eigenschaften sie nützlich werden lassen, sie also von Menschen zu ge-
Hardy Geyer
155
brauchen sind. Ökonomische Güter bzw. wirtschaftliche Güter sind allgemein alle Mittel oder Leistungen, die direkt oder indirekt Bedürfnisse befriedigen. Um Ansätze für das Kulturmarketing finden zu können, soll dieser Sachverhalt näher beleuchtet werden. Zunächst sind die unterschiedlichen Sichtweisen von Anbieter und Nachfrager interessant: Aus der Sicht eines Anbieters ist ein Produkt zunächst „jedes Objekt, das auf einem Markt zur Beachtung oder Wahl, zum Kauf, zur Benutzung oder zum Verbrauch oder Verzehr angeboten wird und geeignet ist, damit Wünsche oder Bedürfnisse zu befriedigen“ (Kotler et al. 1999, S. 526). Aus der Perspektive des Nachfragers ist im Umkehrschluss ein Produkt ein Mittel zur Befriedigung von Bedürfnissen und Wünschen. Der Nutzen von Produkten ist die Befriedigung von Bedürfnissen und Wünschen des Nachfragers. Produkte sind somit Mittel, um Nutzen zu erzeugen. Verspricht das Produkt keinen Nutzen, dann dürfte es nicht zu einer Nachfrage führen. Ein Produkt im Sinne des Marketing ist folglich alles, was von Anbietern auf dem Markt den Nachfragern angeboten wird und so zum Angebot wird. Angebote können alle ökonomischen Güter sein, die auf dem Markt abgesetzt oder erbracht werden sollen. Kulturprodukte sind demzufolge alle materiellen und immateriellen Güter, die von Kulturunternehmen (Kulturbetriebe, Künstler etc.) auf dem (Kultur-) Markt angeboten werden und in der Lage sind, spezifische Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen. Materielle Güter oder Kulturgüter im engeren Sinne sind Gegenstände. Oft wird dafür auch der Begriff der Sachgüter verwendet. Immaterielle Güter als Kulturgüter im weiteren Sinne sind Dienstleistungen und Rechte. Allerdings können immaterielle Dienstleistungen oft mit materiellen Leistungen verknüpft sein, so dass es oft nicht eindeutig ist, ob es sich um eine Dienstleistung oder um ein materielles Gut handelt. Ein Computerprogramm (Software) wird auf einem Speichermedium (Hardware) angeboten. In Restaurants werden Sachgüter (Speisen und Getränke) konsumiert, wobei Kellner als Dienstleister bedienen. Zentrale, kollektive Dienstleistungen wie die Beförderung per Bahn oder Flugzeug oder ein Theaterstück sind immateriell, erfordern aber einen hohen infrastrukturellen materiellen Aufwand (Kotler / Bliemel 1995, S. 708f.). Zu den immateriellen Gütern gehören auch Rechte. Sie richten sich auf den Erwerb oder die Ermöglichung des Zugangs zu kulturellen Angeboten. Es ist meist nicht eindeutig, zu welcher Güterkategorie das eine oder andere Kulturgut zuzuordnen ist. Doch die konsequente Anwendung der Merkmale einzelner Güterarten verschafft eine plausible Struktur. Eine Besonderheit von Kulturgütern ist, dass ein und dasselbe Objekt in unterschiedlichen Zusammenhängen der Nutzung oder des Umgangs entweder - aus theoretischer Sicht - primär ein materielles oder primär ein immaterielles Gut als Dienstleistung oder Recht ist (vgl. Geyer 2005, S. 14ff.).
156
Produktpolitik
Die folgende Tabelle zeigt einige Beispiele: Objekt
Immaterielle Güter
Materielles Gut
Dienstleistung Buch
Recht
Ein Buch ist im Buch-
Eine Bibliothekarin sucht ein
Ein Bibliotheknutzer hat
laden ausgestellt und
bestimmtes Buch nach Vorga-
Zugang zu einer Bibliothek,
wird vom Käufer
ben des Buchbestellers aus
um sich im Handapparat und
gekauft.
dem Bestand der Bibliothek.
im Katalog selbständig einen Überblick über ein Wissensgebiet zu verschaffen.
Gemälde
Ein Gemälde eines
Ein Künstler porträtiert auf
Ein Gemälde hängt in einer
Künstlers wird in einer
Bestellung und nach den
musealen Galerie und wird
Verkaufsgalerie ausge-
Vorstellungen des Kunden
von Besuchern betrachtet, die
stellt und von einem
über Größe, Stil und Technik
bezahlt oder unbezahlt befris-
Kunstliebhaber gekauft. einen Menschen.
teten Zugang zur Präsentation erhalten.
Musikstück
Ein spezielles Musik-
Ein spezielles Musikstück
Ein spezielles Musikstück
stück befindet sich auf
wird für einen Festakt von
wird von einem Orchester in
einer CD, die von
einem Veranstalter gebucht,
einer Konzerthalle aufgeführt
einem Musikfachge-
zu einem bestimmten Zeit-
und ein daran interessierter
schäft vertrieben wird.
punkt und an einem vorbe-
Musikliebhaber erwirbt mit
stimmten Ort und von einem
dem Kauf einer Eintrittskarte
Orchester aufgeführt.
das Recht, dieses Stück, von einem bestimmten Platz, zu einer genau definierten Zeit, verfolgen zu dürfen.
Instrumentalunterricht
Museale Ausstellung
Eltern bestellen für ihr Kind
Ein Kind erhält nach Ver-
bei einem vertrauenswürdigen
tragsunterzeichnung und
Instrumentallehrer eine Aus-
Bezahlung der Gebühren an
bildung an einem Instrument,
die Musikschule den Zugang
die auf die individuellen
zu einer kommunalen Musik-
Voraussetzungen und Bedürf-
schule und die Teilnahmebe-
nisse von Kind und Eltern
rechtigung am (weitgehend)
sowie auf individuelle Zeit-
standardisierten Instrumental-
und Ortswünsche eingeht.
unterricht.
Sammlung von mate-
Eine Gruppe von Kindern
Bürger, Einwohner und Besu-
riellen Kulturgütern
wird durch eine bestellte
cher der Stadt erhalten das
eines Stadtmuseums im
Museumspädagogin mit einem Recht, die städtischen Kultur-
Eigentum der Gemein-
kindgerechten Sonderpro-
de.
gramm geführt.
Abb.1 Güterarten in kulturellen Nutzungszusammenhängen (eigene Darstellung)
güter zu besichtigen.
Hardy Geyer
157
Auf den ersten Blick scheint diese Unterscheidung eine rein theoretische Gedankenspielerei zu sein. Doch für die Marketingpraxis ergeben sich aus dieser begrifflichen Systematik wichtige Konsequenzen. Erstens wird aus der Übersicht deutlich, dass kulturelle Betriebe oft ein und dasselbe Objekt in unterschiedliche Nutzenszusammenhänge bringen und damit - aus theoretischer Sicht unterschiedliche ökonomische Güter im Vordergrund stehen und eine Unterscheidung deshalb schwierig ist (vgl. Rothärmel 2007, S. 16). Zweitens ergeben sich für unterschiedliche Güterkategorien differenzierte Wahrnehmungszusammenhänge durch den Nachfrager. Diese müssen notwendigerweise zu jeweils besonderen Gestaltungsansätzen in der operativen Marketingpraxis führen, denn materielle Güter sind vom Kunden anders wahrnehmbar und prüfbar als immaterielle Güter. Materielle Gegenstände können vom Anbieter ausgestellt und vom Nachfrager gesehen, gefühlt, gehört und ausprobiert werden. Wer sich in einer Galerie in ein Gemälde verliebt hat, kann es in aller Ruhe von allen Seiten und möglicherweise unter verschiedenen Lichtverhältnissen betrachten und sich über den Maler informieren, bevor er es kauft. Durch die Möglichkeit der vorherigen Prüfung ergibt sich für den Käufer ein relativ geringes Risiko für einen Fehleinkauf. Bei immateriellen Gütern gibt es dagegen keine Möglichkeit der vorherigen Prüfung, was zu einem relativ hohen Risiko für den Käufer führt. Eine angebotene Dienstleistung ist zunächst nur ein Versprechen, dass eine Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort nach den Vorstellungen des Bestellers erbracht wird. Sie existiert gewöhnlich zuallererst im Kopf des Bestellers. Er hat gewisse Vorstellungen über das, was er begehrt oder das, was ihm angeboten wird. Aber die Ungewissheit, ob er die Leistung in einer von ihm gewünschten Qualität erhält, ist sehr groß. Deshalb wird er nach Indizien für die Qualität der Dienstleistung suchen. Wenn Eltern einen Instrumentallehrer für ihr Kind suchen, dann informieren sie sich meist bei anderen Eltern über dessen persönliche Eigenschaften als Mensch, Pädagoge und Musiker. Sie prüfen seine äußere Erscheinung und seine Umgangsformen, den Zustand der Instrumente, seines Autos, ggf. auch seiner Wohnung. Erst, wenn all diese Merkmale überzeugen, dann wird ein Auftrag erteilt. Ähnlich verhält es sich mit den Rechten. Ein Recht ermöglicht den Zugang oder die Teilnahme an einer Veranstaltung, deren Qualität im Vorfeld nicht wahrnehmbar oder prüfbar ist. Die Möglichkeit, ein Konzert eines großen Künstlers verfolgen zu dürfen, führt zu einer Unsicherheit. Im Vorfeld des Zugangs kann nicht geprüft werden, wie die Veranstaltung konkret ablaufen wird. Unklar bleibt, ob der Künstler in Form sein wird. Unklar ist auch, wie der Zustand des Raumes ist und ob man sich in guter Gesellschaft befindet. Folglich muss sich der Besucher an Kriterien orientieren, die Auskunft über die Qualität geben. Medienberichte, Berichte von Menschen, welche die Veranstaltung besucht haben und Informationsbroschüren können helfen, eine Entscheidung zu treffen. Fast alle Kulturprodukte bündeln verschiedene materielle und immaterielle Eigenschaften, die in ihrer Gesamtheit dem Nachfrager, Besucher oder Kunden einen Nutzen versprechen. Sie sind jeweils spezifisch zusammengesetzte Bündel von Sachgütern, Dienstleistungen und
158
Produktpolitik
Rechten, die als Kernprodukte und Ergänzungen angeboten werden und einen Grund- und Zusatznutzen haben. KOTLER prägte dafür den substantiellen, erweiterten und generischen Produktbegriff (vgl. Kotler et al. 1999, S. 526). Der substantielle Produktbegriff kennzeichnet ein abgrenzbares, physisches Kaufobjekt. Der erweiterte Produktbegriff umfasst zusätzlich alle mit dem Produkt zusammenhängenden Kundendienstleistungen. Und der generische Produktbegriff geht davon aus, dass der Abnehmer den wahrgenommenen Nutzen eines Produkts als Folge einer gebündelten Menge von verschiedenen Eigenschaften wahrnimmt, durch die sich die angebotene Leistung auszeichnet. Danach kann sich der Produktbegriff sowohl auf materielle Sachleistungen als auch auf immaterielle Dienstleistungen beziehen (vgl. Meffert 2001, S. 332f.). Eine Nutzenstiftung ist folglich nach diesem Ansatz nicht ausschließlich an ein physisches Produkt gebunden. Der generische Produktbegriff entmaterialisiert den Gutbegriff und bezieht sich auch auf nichtkörperliche Leistungen – wie sie in der Kultur häufig vorkommen. Der Vermarktungsgegenstand eines Unternehmens stellt sich so als ein vom physischen Zustand unabhängiges Eigenschaftsbündel dar und kann auch aus einer Kombination von beiden Elementen bestehen (vgl. Nieschlag 2002, S. 579f.). So kann ein Kulturprodukt eine Dienstleistung oder ein Recht allein sein oder in Kombination mit anderen Gütern auftreten. Kulturprodukte sind also jeweils spezifisch zusammengesetzte Bündel von Sachgütern, Dienstleistungen und Rechten, die als Kernprodukte und Ergänzungen angeboten werden und einen Grund- und Zusatznutzen haben.
3
Produkte im Kulturmarketing
Ein Produkt im Sinne von Kulturmarketing ist alles, was von Anbietern (Kulturbetriebe, Künstler usw.) auf dem Markt den Nachfragern (Besucher, Nutzer usw.) angeboten wird und so zum Angebot wird. Relevant für Kulturmarketingentscheidungen ist, ob das Ergebnis und Erzeugnis der kulturellen oder künstlerischen Tätigkeit, das entstanden ist, entsteht oder entstehen soll, auf dem Markt angeboten werden soll oder nicht. Liegt nicht die Absicht vor, das Produkt anderen Menschen zu präsentieren, zu verkaufen oder sonst wie anzubieten, dann spielen Marketingentscheidungen keine Rolle. Sobald aber beabsichtigt wird, in den Austausch mit anderen Menschen zu treten, wird das Produkt zum Angebot und es sind Entscheidungen zum Produkt zu treffen. Ein Künstler, der hochproduktiv aus eigener Energie und Intention ungeachtet einer tatsächlichen Nachfrage viele Skizzen, Zeichnungen und Gemälde herstellt um sich mit einem Thema oder einer Technik vertraut zu machen, zu experimentieren oder sich selbst zu erfreuen, bewegt sich nicht auf einem Markt und produziert auch nicht unmittelbar für einen Markt. Insofern ist er auch kein Anbieter und Marketingentscheidungen im Allgemeinen und Produktentscheidungen im Besonderen sind von ihm nicht zu treffen. Sobald er aber darüber nachzudenken beginnt, ob das Werk Jemanden gefallen könnte und wem er es zeigen sollte, beginnt das Werk sich zu einem Angebot zu formen.
Hardy Geyer
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Die Entscheidungen zum Produkt tangieren eine Reihe anderer Marketingentscheidungen. Es ist zunächst festzulegen, welchen Nutzen das Produkt haben soll, wie das Produkt beschaffen sein soll, wer es wann und wo gebrauchen kann, welcher Gegenwert erwartet wird, und wie der Abnehmer zu gewinnen sei. Jedes marktorientierte Denken und Handeln ist komplex und erfordert für die praktische Realisierung und Umsetzung der Marketingstrategien den Einsatz von operativen Instrumenten, die als Marketinginstrumente oder „Werkzeuge“ Möglichkeiten eröffnen, auf Märkte gestaltend einzuwirken (vgl. Bruhn 2001, S. 29). Marketinginstrumente werden dann benötigt, wenn nach strategischer Analyse, Zielplanung und Strategieplanung die Ziele und Strategien operativ verwirklicht werden sollen. Die operativen (Gestaltungs-) Instrumente sind die Produktpolitik, die Preispolitik, die Distributionspolitik und die Kommunikationspolitik. Sie bilden eine untrennbare Einheit. Das gilt für Automobilbetriebe ebenso wie für Kinos, Theater oder einzelne Künstler. Im Gefüge der einzelnen Politiken kann der Produktpolitik eine gewisse Sonderstellung eingeräumt werden, denn sie bildet den Ausgangspunkt für das operative Marketing. Ohne Produkte machen Preis-, Distributions- und Kommunikationsgestaltungen keinen Sinn. Diese instrumentellen Bereiche sind zwar theoretisch isolierbar, doch praktisch nicht voneinander zu trennen. Sie bilden einen festen Verbund, dessen Qualität über Kauf oder Nichtkauf, Besuch- oder Nichtbesuch, Nutzung oder Nichtnutzung entscheidet. Das Produkt bzw. die Produktpolitik ist jedoch das, was vom Kunden, Besucher oder Nutzer zuerst wahrgenommen und nachgefragt wird. Nicht ein Preis wird nachgefragt oder eine Werbung, sondern ein Objekt, das in der Lage ist, ein Bedürfnis bzw. seine konkretisierte Form, einen Wunsch, zu befriedigen oder zu erfüllen. Das Produkt steht zunächst im Zentrum des Interesses des Kunden, insbesondere wegen all jener Eigenschaften, die mit bestimmten Nutzenerwartungen verknüpft sind. Verspricht ein Auto, ein Theaterbesuch oder der Kauf eines Gemäldes keinen Nutzen für den Erwerber, den Besucher oder den Kunstsammler, so wird ein Kauf oder ein Besuch normalerweise ausbleiben.
4
Gegenstand der Produktpolitik
Die mit der marktgerechten Gestaltung verbundenen Entscheidungen sind der originäre Gegenstand der Produktpolitik eines Unternehmens. Für Kulturbetriebe gilt dies analog. Die Produktpolitik eines Kulturunternehmens umfasst alle Entscheidungen, die sich auf die marktgerechte Gestaltung des Produkts bzw. der Produkte beziehen. Der Zweck der Produktpolitik ist, dass der Unternehmenszweck und die Unternehmensziele langfristig und nachhaltig erreicht werden. Sie ist funktional für: • das Erreichen sozialer und kultureller Ziele. Für Kulturunternehmen gilt insbesondere, dass gesellschaftliche und individuelle Wirkungen in kulturellen, künstlerischen, sozialen und kulturpolitischen Dimensionen erreicht werden.
160 • • • •
Produktpolitik
die Sicherung und Verbesserung der Wettbewerbsposition des Unternehmens das Erreichen der Leistungsziele (Qualität, Kunden-, Besucher-, Nutzerzufriedenheit etc.) das Erreichen der finanzwirtschaftlichen Ziele (Absatz und Umsatz etc.) die ständige Weiterentwicklung des Unternehmens.
Unter dem Aspekt der Produktpolitik führt der klassische Marketingansatz häufig zu Irritationen (vgl. Bendixen 2003, S. 178ff.). Es wird häufig davon ausgegangen, dass Marketing ausschließlich durch die dauerhafte Befriedigung von Kundenbedürfnissen die eigenen Unternehmensziele verwirklicht und Kulturbetriebe, insbesondere private Kulturbetriebe, grundsätzlich nach dem klassischen Ansatz Marketing betreiben, indem sie zunächst die Bedürfnisse der Besucher analysieren und danach angepasste, „stromlinienförmige“ Produkte anbieten. Das Grundmuster dieser Auffassung ist simpel: Wenn die Menschen nur einfache Unterhaltung mögen, dann wird eben einfache Unterhaltung angeboten, solange es wirtschaftlich interessant ist und die Verwertungsbedürfnisse des Kulturunternehmens befriedigt werden können. Sicher gibt es solche Anbieter und sicher ist auch, dass sie gelegentlich wirtschaftlich erfolgreich sind. Zum Selbstverständnis vieler privater und öffentlicher Kulturbetriebe gehört aber in der Regel, dass sie aktiv gestaltend gesellschaftliche und kulturelle Zwecke verfolgen. Dabei können gewinnwirtschaftliche Bestrebungen nachrangig aber auch vorrangig sein. Dem Kunden ist es aber in der Regel gleichgültig, ob eine Leistung zu Überschüssen beim Anbieter führt oder nicht. Ihm ist es in der Regel auch egal, ob er gemeinnützige Zwecke verfolgt und sich im Selbstverständnis als Non-Profit-Organisation oder aber als auf Profit orientiertes Unternehmen definiert. Auch der finanzwirtschaftliche Erfolg des Kulturanbieters hat aus Sicht des Nachfragers keine Bedeutung. Im Vordergrund stehen gewöhnlich das konkrete Produkt des Anbieters und das Interesse des Nachfragers, einen Nutzen aus dem Produkt zu ziehen. So stehen sich zwei Seiten gleichberechtigt gegenüber. Auf der einen Seite der Besucher oder Kunde mit dem Interesse an einem qualitativ hochwertigen Produkt zu einem akzeptablem Preis. Und auf der anderen Seite der Kulturanbieter, der über sein Produkt leistungspolitische, kulturell-soziale und finanzwirtschaftliche Zwecke verfolgt. So betrachtet, richten sich Marketingziele auf die Gestaltung von Austauschprozessen zum Vorteil des Nachfragers und des Anbieters. Kulturbetrieb und Kunde oder Besucher sollen gleichermaßen am (kulturellen) Erfolg partizipieren und beide Seiten ihre jeweils spezifischen Bedürfnisse befriedigen. So kann Marketing als unternehmensinterner wie unternehmensexterner Prozess verstanden werden. Dieser generische Ansatz versteht Marketing als Sozialtechnik und ist weiter gefasst als das klassische Marketingkonzept. Durch den Austausch beider Seiten entwickeln sich Angebot und Nachfrage gleichermaßen. Anbieter und Nachfrager, Kulturbetrieb und Besucher wirken in einem einheitlichen Prozess zusammen, wobei beide Seiten aktiv sind. Wenn dieses Zusammenspiel sich nicht selbst regulierend über den Markt entwickelt, also „Marktversagen“ vorliegt, weil kulturelle Produkte, insbesondere künstlerische Angebote, bspw. nicht genügend Nachfrageakzeptanz finden, dann wird ggf. die Politik diesen Austauschprozess in Gang setzen oder halten, vorausgesetzt ein Interesse der Allgemeinheit am
Hardy Geyer
161
Produkt liegt vor45. Es entsteht dann ein gebrochener Markt (Geyer / Vermeulen 1995, S. 84), weil Subventionen Dritter (öffentliche und/oder private Förderer) die Austauschprozesse und das Angebot eines Kulturprodukts als meritorisches Gut aufrechterhalten. Das Zusammenspiel von Anbietern und Nachfragern, ggf. mit Unterstützung Dritter ist aus der Sicht des Kulturbetriebs sowohl strategisch als auch operativ orientiert. Die strategische Produktpolitik umfasst alle Entscheidungen, die grundsätzlicher Art sind und das Erreichen der Zwecke und Ziele des Unternehmens (ggf. bei Förderung auch kultureller und kulturpolitischer Ziele der Allgemeinheit oder privater Förderer) langfristig sichern sollen. Die operative Produktpolitik umfasst die konkrete marktgerechte Gestaltung des Produkts bzw. der Produkte im Rahmen des operativen Marketing. Die Entscheidungen der operativen Produktpolitik richten sich zunächst auf die Gestaltung einzelner Produkte und ihrer Eigenschaften in der Kombination von Primär- und Sekundärleistung, bzw. im Grund- und Zusatznutzen für den Kunden. Beispiel: Ein Opernhaus bietet in einer Spielzeit verschiedene Opernaufführungen an. Eine einzige Opernaufführung besteht aus Sicht des Besuchers zunächst aus der öffentlichen Vorinformation über das Programm, der Möglichkeit der privaten Direktinformation, der Möglichkeit, Karten unproblematisch im Vorverkauf zu erwerben oder zu bestellen und an der Abendkasse entgegen zu nehmen. Dazu gehört auch eine Möglichkeit, das Auto sicher in der Nähe zu parken und trocken durch möglichen Regen zu kommen. Die Garderobenverwahrung und eine komfortable Toilette mit großen Spiegeln und vorteilhaftem Licht zum „Zurechtmachen“ von Frisur, Stola oder Schleife sind ein Muss. Nachvollziehbare Wegweiser, die direkt zum richtigen Platz führen, die Möglichkeit, die Stimmung mit einem Glas Sekt zu steigern, nette Platzeinweiserinnen, die am Ort des Erlebnisses unaufdringlich empfangen und bei Bedarf zum richtigen Platz begleiten und dazu übersichtlich gestaltete Programminformationen ausreichen, komplettieren die Einstimmungsphase. Wenn dann der Gast ausreichend prüfen konnte, mit wem er sich in guter Gesellschaft befindet, kann die Vorstellung statt finden. Musik, Bühnenbild, Darsteller und die Dramaturgie ergeben ein künstlerisches Gesamtwerk, das ästhetischen Genuss hervorrufen sollte. Wird die Aufführung unterbrochen, dann sollten Pausen zum Sehen und Gesehen werden, zum Smalltalk, zur Information oder zu einem Imbiss einladen. Nach der Vorstellung kann das Theaterrestaurant zu einer Verlängerung des Erlebnisses beitragen, so wie auch die folgende Berichterstattung über das Ereignis in den Medien Erinnerungen weckt oder den Gesamteindruck verstärken kann. Aus diesem Beispiel dürfte deutlich werden, dass nicht nur das Geschehen auf der Bühne, also die Inszenierung eines Stückes das Produkt ist, sondern die Gestaltung des Besuches, etwa vergleichbar mit der Gestaltung einer Reise durch einen Tourismusanbieter, die meist vor der Anfahrt beginnt und die Nachbetreuung des Touristen mit einschließt. Wenn ein Unternehmen mehrere Produkte anbietet, dann sind darüber hinaus Entscheidungen zu Produktlinien und -programmen zu treffen. Produktlinien (auch Produktkategorien, 45
Siehe hierzu den Beitrag „Kultur und Markt“ von MUNKWITZ im vorliegenden Band.
162
Produktpolitik
Produktgruppen, Sparten) sind Zusammenstellungen einzelner Produkte gleicher Art. Etwa wenn ein Opernhaus Opern, Musicals sowie Operetten und außerdem Ballette aufführt. Das Produktprogramm besteht aus allen zu einem bestimmten Zeitpunkt angebotenen Produkten und Produktlinien eines Kulturunternehmens. Das Programm hat eine bestimmte Breite, Länge, Tiefe und Geschlossenheit. Die Breite ergibt sich aus der Anzahl der angebotenen unterschiedlichen Produktlinien. Die Länge charakterisiert die Anzahl der einzelnen Produkttypen in einer Produktlinie. Die Tiefe erfasst die einzelnen Produktvarianten, die für einen Produkttyp angeboten werden. Die Geschlossenheit von Produktprogramm und Produktlinien bezieht sich auf den Zusammenhang der einzelnen Produkte unter dem Aspekt der Verwendung, der Herstellung oder der Verteilung (vgl. Kotler / Bliemel 1995, S. 668ff.), was der Gestaltungsauffassung eines Intendanten obliegt, der dem Opernhaus ein besonderes Profil geben möchte. Eng damit verbunden sind Entscheidungen über die Markenpolitik, mit denen ein unverwechselbares Vorstellungsbild von einem Produkt, Produktlinien und einem gesamten Produktprogramm hergestellt und unter dem Gesichtspunkt der Produkteigenschaften ein zusätzlicher Image- oder Prestigenutzen angeboten wird (vgl. Meffert 2001, S. 847f.). Zum Gegenstand der Produktpolitik gehört auch, das Angebot eines Kulturunternehmens an die sich im Zeitablauf ändernden Bedürfnisse der Nachfrager anzupassen. Die Produktpolitik hat wesentlich die Aufgabe, Produkte und einzelne Produktlinien zu einem attraktiven, zum Kauf, zum Besuch oder zur Nutzung anregenden Produktprogramms auszugestalten und zu differenzieren. Um das Produkt an die sich im Zeitablauf ändernden Bedürfnisse der Nachfrager anpassen zu können, sind verschieden Entscheidungsalternativen möglich (vgl. Meffert 2001, S. 338). Entscheidungsalternativen sind die Produktinnovation, die Produktvariation, die Produktdifferenzierung und die Produkteliminierung. Produkte sind dann neu zu entwickeln, zu variieren, zu differenzieren oder zu eliminieren, wenn ein Kulturunternehmen in den Markt einoder austritt, Märkte sich verändern oder der Produktlebenszyklus es erfordert. Die Produktinnovation ist die Entwicklung von Produkten, die für den Markt oder das Unternehmen neu sind. Dabei wird der Produktkern neu entwickelt, so dass ein vollkommen neuartiges Produkt entsteht (vgl. ebd., S. 373ff.). Die Neuproduktentwicklung kann und sollte auf der Basis eines analytischen und kreativen Prozesses des eigenen Unternehmens erfolgen. Fast alle Gemälde von bildenden Künstlern sind Neuentwicklungen. Aus einer Idee, einer Inspiration, der Energie und dem artifiziellen Geschick des Malers entsteht ein einmaliges Unikat, das es vor seiner Herstellung noch nicht gegeben hat. In der Einheit von Inhalt und Form, Gehalt und Gestalt entstehen so regelmäßig neue Produkte, die auf dem Kunstmarkt angeboten werden. Das ist der einzige Weg, um Marktneuheiten zu entwickeln. Mit Methoden der Ideengewinnung kann die Produktentwicklung systematisch initiiert werden. Wenn eigene Innovationen nicht möglich sind, können Innovationen anderer Unternehmen über Lizenznahmen geschützter Produkte (Patent- oder Gebrauchsmusterschutz) genutzt werden. TV-Produkte wie Big Brother oder Wer wird Millionär? sind weltweit erfolgreiche
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Formate. Die Übernahme von solchen Casting-, Quiz- und Reality-Shows führt regelmäßig zu einem Erfolg, der durch selbst entwickelte Produkte kaum zu erreichen wäre. Die Produktionsfirmen vergeben dazu Senderechte und Lizenzen an TV-Sender in der ganzen Welt. Ein weiterer Weg zur Innovation von Produkten ist die Imitation nicht geschützter Produkte. In der Kulturpraxis kommt es häufig vor, dass Konzepte kultureller Veranstaltungen, die an anderen Städten erfolgreich waren, in der eigenen Stadt übernommen werden. Die Langen Nächte der Museen scheinen sich flächendeckend über ganz Deutschland auszubreiten. Auch Reproduktionen von Werken der großen Alten Meister der Malerei entstehen seit jeher. Diese imitierten Ölgemälde sind meist kaum vom Original zu unterscheiden. Akademisch ausgebildete Künstler benutzen dieselbe Technik, die von den Meistern benutzt wurde. Ihnen gelingt es oft, die Originalkünstler perfekt zu imitieren. Sofern sie als Kopie auf dem Kunstmarkt verkauft werden, erscheinen sie als eigene Produktkategorie. Aber sofern es Fälschungen sind, die entstanden sind, um als vermeintliche Originale horrende Preise zu erzielen, steckt in ihnen kriminelle Absicht. Werden geschützte Produkte imitiert, dann fällt dies unter Produktpiraterie. Dabei wird vom Fälscher das Wissen und Können, das sich ein Unternehmen langjährig mit finanziellem Aufwand erworben hat, übernommen, um es für seine Produkte zu nutzen. Dies ist eine kriminelle Handlung. Bereits eingeführte Produkte können modifiziert werden. Wird ein am Markt befindliches Produkt so verändert, dass es dem Nachfrager als neues Produkt erscheint, dann spricht man von Produktvariation (vgl. ebd., S. 437f.). Mit der Produktvariation werden die Eigenschaften des Produktes den veränderten Bedürfnissen des Nachfragers angepasst. Die Produktfunktion bleibt bei dieser Methode wesentlich erhalten. Modifiziert werden lediglich bestimmte Eigenschaften und vor allem die Zusatzleistungen. Zum einen kann das Produkt über kleine Veränderungen innerhalb der Produktpflege permanent verbessert und aktualisiert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten oder zu steigern. Verlage publizieren ihre Titel oft in verschiedenen Reihen, die sich durch die Aufmachung in Größe, Einband und Gestaltung unterscheiden. Eine Produktmodifikation umfasst zum anderen größere Veränderungen einer oder mehrerer Produkteigenschaften. So werden museale Ausstellungen oft nach längerer „Laufzeit“ konzeptionell umgebaut. Dabei werden die Ausstellungsobjekte auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in einen neuen dramaturgischen Zusammenhang gestellt, die Präsentation modernisiert und der Erlebniswert erhöht. Eine dritte Entscheidungsalternative ist die Produktdifferenzierung (vgl. ebd., S. 439ff.). Mit der Produktdifferenzierung wird ein Produkt durch das zeitlich parallele Angebot mehrerer Varianten dieses Produkts zusätzlich zum bestehenden Programm gezielt auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Zielgruppen abgestimmt. Das Kernprodukt mit seinen Funktionen bleibt allerdings wesentlich erhalten. Lediglich Eigenschaften zur Erhöhung des Nutzwertes werden verändert. Gestaltungsspielraum ergibt sich damit vor allem durch die Zusatzleistungen. Beispiel: Eine Malschule bietet Aquarellkurse für Kinder, Jugendliche, erwachsene Einsteiger und erwachsene Fortgeschrittene an.
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Produktpolitik
Eine letzte Alternative ist die Produkteliminierung. Bei einer Produkteliminierung wird ein Produkt aus dem Produktprogramm herausgenommen. Beispiel: Drei Wochen nach dem Start eines Kinofilms im kommunalen Kino wird ein Film abgesetzt, weil kaum noch Karten verkauft werden. Im Rahmen der Programmpolitik sind auch Entscheidungen zur Produktdiversifikation zu treffen. Eine Produktdiversifikation liegt vor, wenn ein Unternehmen neue Produkte oder neue Produktlinien einführt. Beispiel: Eine Volkshochschule entscheidet sich, zusätzlich zum üblichen Standardprogramm, hochwertige Theaterreisen in andere Städte in das Programm aufzunehmen.
5
Produktgestaltung
Kern und Ausgangspunkt der Produktpolitik eines Kulturbetriebs ist die Gestaltung eines Produkts und damit alle Entscheidungen, die sich auf die Gestaltung seiner Produkteigenschaften beziehen. Sollen mehrere Produkte angeboten werden, dann sind darüber hinaus Entscheidungen zu Produktlinien und zum Produktprogramm zu treffen. Wie bereits festgestellt, sind Kulturprodukte Bündel verschiedener materieller und immaterieller Eigenschaften, die in ihrer Gesamtheit dem Nachfrager, Besucher oder Kunden einen Nutzen versprechen. Sie sind jeweils spezifisch zusammengesetzte Kombinationen von Sachgütern, Dienstleistungen und Rechten, die als Kernprodukt und Ergänzungen angeboten werden und einen Grund- und Zusatznutzen haben. Im Mittelpunkt steht die Gestaltung des Kernprodukts, das durch weitere Leistungen ergänzt wird, wodurch es dem Kunden oder Besucher möglich wird, das Gesamtprodukt zu nutzen. Unter der Gestaltung eines Produkts ist die Nutzen bringende spezifische Gruppierung von Sachen und/oder Dienstleistungen und/oder Rechten zu einem als Ganzheit zu erfassendem Angebot zu verstehen. Für das Kulturmarketing ist der Ansatz, ein Kernprodukt durch Zusatzleistungen zu ergänzen, vor allem dann interessant, wenn qualitativ relativ gleichartige Produkte von unterschiedlichen Anbietern auf dem Markt angeboten werden. Andererseits führt dieser Ansatz zu vielen unterschiedlichen Produktvarianten, die letztendlich auch die kulturelle Vielfalt einer Stadt oder Gesellschaft ausmachen. Die Entwicklung von Kulturprodukten beginnt zunächst mit der Definition des Nutzwerts, danach der Einzigartigkeit sowie der Qualität des Produkts und schließlich wird auf dieser Basis das Kernprodukt konkret gestaltet und anschließend mit Ergänzungen komplettiert. So entsteht ein Gesamtprodukt mit einem Grund- und einem Zusatznutzen für den Kunden.
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5.1
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Nutzwert
Der Nutzwert eines Produkts besteht - wie bereits festgestellt - aus einem Grundnutzen und einem Zusatznutzen. Bezugspunkt bei der Bewertung der Nutzen ist der Nachfrager und nicht der Anbieter. Entscheidend ist immer, was der Nachfrager wahrnimmt und wie er es bewertet. Der Nutzwert eines Kulturprodukts ergibt sich durch die Wahrnehmung und Bewertung der Eigenschaften durch den Nachfrager, Kunden, Besucher oder Nutzer. Er ist nicht objektiv messbar, sondern stellt sich stattdessen als relative Größe dar, die im Hinblick auf die individuelle Bedürfnisbefriedigung bewertet wird. Bei materiellen Gegenständen ergibt sich der Grundnutzen aus den physikalischfunktionellen Eigenschaften eines Produkts. Eine Vase soll zuallererst ein praktikables und sicheres Behältnis für Blumen sein. Diese Merkmale treffen meistens für Vasen aller Hersteller zu und so dürfte es egal sein, welches Produkt gekauft wird. Doch es zeigt sich, dass Einheitsvasen vom Kunden nicht gewollt sind. Die eigene Individualität soll sich für viele Menschen auch in einer individuellen äußeren Erscheinung des Gegenstands niederschlagen. So gewinnen zum einen ästhetische Eigenschaften des Produkts eine Bedeutung. Menschen haben ein unterschiedliches Schönheitsempfinden bei der Betrachtung von Form, Farbe und Styling, weshalb sie sich auch für unterschiedliche Vasen begeistern. Diese Aspekte werden als Erbauungsnutzen bezeichnet. Zum zweiten gibt es gewisse Vasen, die sich von anderen hervorheben, auch wenn Form, Farbe, Styling und technische Parameter durchaus vergleichbar sind. Bestimmte Objekte strahlen sehr gekonnt Luxus und Prestige aus, der für manch einen Besitzer sozialen Nutzen bringen kann, vor allen wenn sie von bekannten Kunsthandwerkern gestaltet wurden. Dieser Aspekt wird Geltungsnutzen genannt. Diese ästhetischen und sozialen Dimensionen sind der Zusatznutzen, den der Käufer mit dem Kauf einer außergewöhnlichen Vase erwirbt. Der Nutzwert besteht also aus verschiedenen Komponenten, wobei einige im Vordergrund stehen und andere ergänzend komplettieren. Dabei kann sich das Verhältnis von Hauptnutzen und Zusatznutzen auch umdrehen. Wenn eine Kunstvase kaum verwendet wird und im Hause gut sichtbar platziert wird, dann dürfte der soziale Wert im Vordergrund stehen und der übliche Verwendungszweck für den Besitzer eher gering sein. Dieser Sachverhalt ist durchaus auch auf die Kunst übertragbar. Wenn ein Käufer ein Gemälde eines berühmten Malers erwirbt, dann ist es zunächst einmal eine bemalte Leinwand. Der Eigentümer wird sich vielleicht am Werk und seinen ästhetischen Potenzialen erfreuen oder aber er schmückt seine prächtige Villa mit dem edlen Gemälde (Erbauungsnutzen). Möglich ist auch, dass er sich daran erfreut, ein knappes Gut zur Vermehrung seines Vermögens erworben zu haben (Vermögensnutzen) oder daran, dass ihn die Öffentlichkeit oder ein Freundeskreis beneidet (Geltungsnutzen). Dies ist freilich eine eher wertfreie Betrachtung eines Kulturprodukts. In der kulturellen und künstlerischen Praxis ist diese oft nicht üblich.
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Produktpolitik
Hervorgehoben wird von vielen Kulturanbietern und -nachfragern gleichermaßen, dass immer das Kunstwerk mit seinem ästhetischen Angebot und der ästhetische Genuss sowie das ästhetische Wohlgefallen an Inhalt und Form kultureller Produkte der eigentliche Kernnutzen sei, was sicherlich für viele Besucher von Konzerten oder Kunstmuseen auch zutrifft. Dieser Nutzen kann sich an verschiedenen Kriterien nicht nur theoretisch sondern auch empirisch erfassen lassen. Es wäre aber falsch, diesen rein ästhetischen Kernnutzen (ob Erbauungsnutzen oder nicht) generalisierend für alle Produkte und für alle Nachfrager von vornherein anzunehmen. Mit dieser eher „befangenen“ Sichtweise werden nur sehr schwer objektive Marketingentscheidungen getroffen werden können, weil sie einen vermeintlichen Kernnutzen von vornherein annehmen, der vom Nachfrager vielleicht gar nicht so gesehen wird. Auch historisch lässt sich dieses Wunschdenken, der Kunde sei nur an der künstlerischästhetischen Leistung interessiert, nicht halten. KLEIN weist aus historischer Sicht zu Recht darauf hin, dass „die Konzentration auf das Kunstwerk an sich, das autonome Kunstwerk eine noch recht junge Konvention ist – jahrhundertelang standen Musik, Malerei, Tanz, Literatur usw. stets im Dienste eines anderen Zweckes, erfüllten einen anderen, außerhalb des Kunstwerks liegenden Nutzen – von der Begleitung bei festlichen Essen, vom Lob Gottes bis zu dem des jeweiligen Landesfürsten!“ (Klein 2001, S. 309). Warum sollte es in heutiger Zeit grundsätzlich anders sein? Auch wenn sich manche Erscheinung über die Zeit verändert hat, bleibt das Wesen kultureller Äußerungen oftmals erhalten. Im Marketingmanagement von Kulturbetrieben sollte deshalb eher wertfrei der gesamte Nutzen kultureller Produkte betrachtet werden. Produkte kultureller Betriebe haben nicht nur einen einzigen Nutzen, sondern bestehen aus einem Ensemble von Nutzen, die für den Nachfrager unterschiedlich bedeutsam sind. Der kulturelle Nutzen von Kulturprodukten kann verallgemeinernd als Gesamtheit der kreativen und rekreativen Potenziale erfasst werden, die eng mit einem (möglichen) sozialen und wirtschaftlichen Nutzen für Nachfrager verbunden sein können. Auch der Besuch eines Theaters ist eben nicht nur ein Ereignis, das rein durch die Aufführung des Theaterstücks einen ästhetischen Genuss hervorruft und ein Bildungsbedürfnis befriedigt. Es kann auch ein sozialer Nutzen entstehen, wenn vor, während und nach der Aufführung Begegnungen und Kommunikation mit Menschen gleicher Interessen, Lebensstile oder gleicher Milieus möglich sind. So ruft das Theater als Ort zum Sehen und Gesehen werden einen zusätzlichen symbolischen/affektiven Nutzen hervor (vgl. ebd.). Wie auch immer es sich konkret darstellt, eine der möglichen Nutzendimension wird beim Nachfrager im Vordergrund stehen, also stärker im Interesse des Kunden und damit als Kernnutzen bestimmbar sein. Diese Wahrnehmungen und Bewertungen sind von Kunde zu Kunde unterschiedlich. Daraus kann nur folgen, dass in der Marketingmanagementpraxis entweder dieses jeweils spezifische Set von Nutzensdimensionen auf bestimmte Ziel- und Nachfragergruppen auszurichten ist. Oder es sollte die Tatsache, dass ein und dasselbe Produkt für unterschiedliche Menschen von verschiedenem Wert ist, bei der Entwicklung der Kommunikationsstrategie, insbesonde-
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167
re im Rahmen der Produktwerbung aufgegriffen werden. Dann gilt es, die verschiedenen Nutzensdimensionen bei der jeweiligen Zielgruppe stärker hervorzuheben.
5.2
Einzigartigkeit
Für Käufer ist es in unübersichtlichen Märkten schwer, sich zu orientieren und das Produkt zu finden, das den größten Nutzen verspricht. Deshalb ist es wichtig, einzigartige Produkteigenschaften hervorzuheben. Diese Einzigartigkeit stellt sich als eine Einzigartigkeit des Kundennutzens dar, durch den sich das Produkt auszeichnen und damit von konkurrierenden Produkten abheben soll. Dieser Sachverhalt wird mit dem Begriff Unique Selling Proposition (USP) gekennzeichnet. Oft wird er auch als einzigartiges Verkaufsargument oder einzigartiges Verkaufsversprechen definiert. Wenn der Markt noch lückenhaft ist und deshalb ein Produkt mit seinem Produktkern aufgrund fehlender konkurrierender Angebote eine Alleinstellung einnimmt, dann ist ein USP von vornherein natürlich gegeben. Er leitet sich dann aus dem Kernnutzen ab. Das Produkt findet also eine alleinstellende Position aus sich selbst heraus. Gibt es in einer Stadt nur einen Klavierlehrer und der nächste ist nur mit großem Aufwand erreichbar, dann ist er relativ konkurrenzlos. Aber je dichter ein Markt ist, desto bedeutsamer wird die Definition der Einzigartigkeit, die dann konstruiert und kommuniziert werden muss. Der einzigartige Nutzen ist für den Kunden möglicherweise sehr unterschiedlich. Er kann materiell oder immateriell, physisch, psychisch, rational, emotional, sozial, kulturell, räumlich, zeitlich, finanziell usw. sein. Der Kunde muss ihn aber wahrnehmen und wertschätzen können und er muss sich von der Konkurrenz abgrenzen. Die Einzigartigkeit eines Kulturprodukts wird im Rahmen der Produktpolitik in folgenden grundlegenden Gestaltungsebenen hervorgehoben: • der Inhalt des Kernprodukts (Genre, Sujet usw.) • die Form der Präsentation (traditionell-konservativ, avantgardistisch in Darstellung, Bühnenbild usw.) • die produzierenden Personen (einzelne Künstlerpersönlichkeiten, berühmte Orchester und Dirigenten, Regisseure, Autoren usw.) • die Zusatzleistungen (Informationsmaterialien, Garderobe, Gastronomie, Merchandising usw.). Insbesondere werden die Zusatzleistungen und Ergänzungen wichtig, die dem Gesamtprodukt ein besonderes Gepräge geben. Gibt es mehrere konkurrierende Klavierlehrer, dann werden die Erfahrungen des Einzelnen, dessen zeitliche Verfügbarkeit und räumliche Erreichbarkeit, seine Charaktereigenschaften, die Honorarhöhe, seine Kontakte zu weiterführenden Schulen usw. wichtig.
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Produktpolitik
Hier wird die enge Verflechtung der Produktpolitik mit den anderen Gestaltungsinstrumenten deutlich, insbesondere mit der Preispolitik, mehr aber noch mit der Kommunikationspolitik. Im extremsten Fall kann aber auch durch eine Werbebotschaft ein einzigartiges Verkaufsversprechen (USP) entwickelt werden, welches real nicht vorhanden ist, was nachhaltig nicht zum Erfolg des Unternehmens beitragen dürfte.
5.3
Produktkern
Der Produktkern muss die für die jeweilige Produktgattung charakteristischen Leistungsmerkmale tragen. Der Kunde wird einen Nutzen vom Produkt haben, wenn die Eigenschaften eines Produkts alle Wünsche und damit die Bedürfnisse des Nachfragers befriedigen. Bei Sachgütern werden bestimmte Materialien mittels spezieller Konstruktionen und Verfahren zu einem Produkt zusammen gefügt. Bei Dienstleistungen stehen Prozesse im Vordergrund, die letztendlich ein Produkt ergeben. Eng damit verbunden ist die Sicherung einer bestimmten Qualität des Produkts. Produktqualität ist die Fähigkeit des Produkts, eine Funktion zu erfüllen und einen Nutzwert hervorzurufen. Für den Kunden ist die Qualität des Produkts ein wesentliches Merkmal, das zu seiner Zufriedenheit beiträgt. Überzeugen positive Eigenschaften (die Qualität) den Kunden, dann wird er möglicherweise ein langfristiger Kunde werden. War ein Theaterbesuch ein großes und unvergessliches Erlebnis, dann wird die Chance, dass der Besucher künftig regelmäßig das Theaterhaus besucht, sehr hoch sein. Diese Langfristigkeit ist zweifellos im Interesse von Anbieter und Nachfrager. Deshalb spricht man auch von strategischer Qualität, die ein wesentlicher Gegenstand des Qualitätsmanagement ist (vgl. Kotler et al. 1999, S. 537). Die Qualität hat eine objektive und eine subjektive Dimension. Vor allem technische Produkte können in ihrer Qualität objektiv vom Produzenten und Anbieter gemessen werden. Der Abnehmer wird hingegen das gleiche Produkt von einer anderen, subjektiven Perspektive aus wahrnehmen und bewerten. Seine Perspektive wird bestimmt durch die individuelle Nutzenserfüllung. So stellt sich die wichtige Frage, welcher Maßstab anzuwenden ist. Ist höchstmögliche Qualität sinnvoll, wenn der Kunde möglicherweise niedrigere Maßstäbe hat? In Marketinglehre und -praxis wird dazu die Auffassung vertreten, dass Qualität der Erfüllungsgrad eines individuellen Abnehmerbedürfnisses ist (vgl. Meffert 2001, S. 273). In der Kulturbranche dürfte diese Fragestellung zu unterschiedlichen Antworten führen. Bei Kulturprodukten ist die Qualitätsbestimmung meist schwieriger als bei materiellen Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Alltags. Für materielle, industrielle Produkte sind Qualitätsdimensionen wie der Gebrauchsnutzen, die Haltbarkeit, die Zuverlässigkeit allgemein anerkannt. Dagegen sind Qualitätsdimensionen kultureller Produkte theoretisch nicht definiert und in der Marketingpraxis nicht etabliert. Oftmals ist schon von Anbieterseite nicht objektiv bewertbar, worin die Qualitätskriterien bspw. für eine Theaterproduktion liegen. Und wenn Produzenten die Qualität nicht objektiv erfassen können, wie soll dann der Thea-
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terbesucher die Qualität objektiv einschätzen können? So bleibt viel Subjektivität auf beiden Seiten. Offenbar ist dies eine Besonderheit kultureller Produkte. Die Frage bleibt aber, wie einerseits Gebrauchsnutzen, bzw. Nutzwert und andererseits die Qualität einzelner Produkte im Besonderen von Seiten der Anbieter und der Nachfrager bewertet werden können. Im Bereich der Kultur und Kunst ist es für Anbieter aber auch für Besucher oder Zuschauer zunächst einmal wichtig, sich an bestimmten Genres oder, wie im Hörfunk oder TV üblich, an Formaten, zu orientieren. Das Produzieren in Genres erleichtert einerseits den Zuschauern und Besuchern die Entscheidung, die Veranstaltung, das Kunstereignis, das Buch, die Musik-CD usw. besuchen, anzuschauen oder kaufen zu wollen oder eben nicht. Andererseits werden damit Kriterien für die Bewertung des Nutzwertes und der Qualität möglich. In der Praxis werden von Seiten der Kulturanbieter oft qualitative Maßstäbe vor allem über finanzielle Ausstattungen der Produktionen und den allgemeinen Produktionsaufwand definiert. Mehr finanzieller Spielraum und damit mehr Produktionsaufwand führen zu mehr Qualität und umgekehrt. Ob dieser Automatismus immer gilt, ist sehr fraglich. Kulturnachfrager werden höchst unterschiedlich die einzelnen Produkte bewerten, abhängig von ihrem Lebens-, Kultur- und Kunstwissen und -können sowie ihren Erfahrungen. Hilfestellungen geben gelegentlich auch Fachleute, die als Kritiker über Medien mit ihrem Sachverstand gewisse Orientierungen geben.
5.4
Ergänzungen
Ergänzungen werden zusätzlich zum Kernprodukt angeboten. Durch die Kombination von Kernprodukt und Ergänzungen vermittelt sich dem Nachfrager ein höherer einzigartiger Nutzwert. Materielle Kernprodukte können durch Dienstleistungen und Rechte ergänzt werden, wie gleichermaßen Dienstleistungen und Rechte durch materielle Zusatzleistungen komplettiert werden können, die entgeltlich oder unentgeltlich angeboten werden. Wenn ein unsicherer Kunde ein Gemälde erwerben möchte, dann wird er die Beratungsleistung des Galeristen gern beanspruchen. Darüber hinaus kann die Galerie die Leistung eines Rahmentischlers vermitteln und die Organisation und finanzielle Abwicklung der individuellen Einrahmung anbieten und schließlich das Bild zur Wohnung des Käufers transportieren, bei der Hängung beraten und die erfolgreiche Anschaffung und Einrichtung mit einem Glas Prosecco einweihen. Aus der Sicht des Kulturanbieters können Ergänzungen das Angebot differenzieren, wenn es vergleichbare Angebote von anderen Anbietern gibt. Sie können ferner die Attraktivität bei bestimmten Zielgruppen steigern. Darüber hinaus ist es möglich, zusätzliche Erlöse zu erzielen. Aus der Sicht des Nachfragers erhöhen die Ergänzungen den Nutzwert des Produktes. Eine Besonderheit einiger kultureller Produkte ist es, dass sie oft unterschiedliche Nachfrager ansprechen sollen, es aber nicht immer möglich ist, ein und dasselbe Produkt auf spezifische
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Produktpolitik
Zielgruppen zu formatieren. In diesem Problem bieten sich Ergänzungen als Kompromissangebot an. Ein Museumsbesuch einer Familie kann für alle zum Stress werden, wenn sich Mutter und Vater für Objekte der Vergangenheit interessieren, die Kinder aber noch im Zappelalter sind und den langen schriftlichen Erklärungen nichts abgewinnen können. Dann werden die Eltern die Spielangebote des Museums für Kinder wertschätzen. Es gibt aber inzwischen auch Museen, in denen Spiel- und experimentelle Entdeckerangebote für Kinder im Mittelpunkt stehen und „richtiger“ Geschichtsstoff für die Eltern erscheint eher als Ergänzung dazu.
5.5
Produktdesign
Der nun entstehende Produktkern, der ganz wesentlich inhaltlich-funktional geprägt ist, muss in eine Form gebracht werden, damit er vom Kunden wahrgenommen werden kann. Das Produktdesign ist das Element des Gesamtprodukts, das zuerst und meist visuell wahrnehmbar ist; es ist die äußere Form eines Produktes. Es sollte sowohl ästhetische als auch funktionale und wirtschaftliche Wirkungen hervorrufen. Die äußere Erscheinung eines Produkts vermag emotionale Wirkungen zu erzeugen und beim Kunden eine entsprechende Produktfaszination auszulösen, insbesondere dann, wenn Form und Farbe des Produkts zum Stilmittel auf Seiten der Kunden wird (vgl. Diller 2002, S. 93). Bei eher materiellen Kulturprodukten ist dieser Zusammenhang leicht nachvollziehbar. Verlage legen Klassiker der Weltliteratur neu auf und verpacken sie gekonnt in sehr unterschiedlich aufwändig gestaltete Buchcover. Es wird mit Layout, Typografie, Format und Materialien für den Einband und die Buchumschläge variiert. Bei eher immateriellen Kulturprodukten (Dienstleistungen, Rechte) ist das Produktdesign schwieriger fassbar. Es ist nicht direkt gestaltbar. Vielmehr sind es die in dem Produktzusammenhang gestaltbaren Zusatzleistungen, die materiellen Infrastrukturen, persönliche Erscheinungen und Kommunikationsmittel, welche das wahrnehmbare Produktdesign letztendlich prägen. Ein Violinenlehrer, der trotz fachlicher Kompetenz mit seiner Kleidung und seinem Auftreten einen schlampigen, ungepflegten und provokativen Auftritt zelebriert, wird vermutlich konservative Eltern nicht überzeugen können, ein guter Lehrer zu sein. Ein komplexes Gestaltungsfeld ist der Einsatz erlebnisbetonter Design-Komponenten im Zusammenhang mit einer emotionalen Produktdifferenzierung, die dem Nachfrager einen zusätzlichen Erlebniswert vermitteln können (vgl. Meffert 2001, S. 442). Solche Erlebniswerte können Freiheit, Naturverbundenheit, Frische, Natürlichkeit, Exklusivität und Prestige, Urlaubsstimmung, Eleganz, Erotik usw. sein. Es können aber zusätzlich zu den ästhetischen Wirkungen auch funktionale und wirtschaftliche Wirkungen entstehen. Eine Theaterveranstaltung muss in ein entsprechendes Ambiente passen. Normalerweise wird es ein Theaterhaus sein. Wenn es technisch verschlissen ist, der Putz von der Decke fällt und die Sitze abgesessen sind, dann wird auch die beste künstlerische Darbietung unter diesen Bedingungen nicht zum Toperlebnis führen. Dann ist es viel-
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leicht besser, eine marode Werkhalle einer alten Fabrik als Bühne und Zuschauerraum zu verwenden. Das hat manchmal mehr Stil (Ästhetik), kann zu wirtschaftlichen Effekten führen, weil der Ort neugierig (Produktfaszination) macht und dadurch Besucherzahlen (und Erlöse) steigert und ein Bühnenbild vielleicht überflüssig wird (Kostensenkung) und möglicherweise neue dramaturgische Effekte (Funktion) erzielt werden können. Wird Produktdesign nur als Verschönerung oder „Verpackung“ gesehen, damit der Besucher angelockt wird, kann das zwar kurzfristig zu Erfolg führen, doch wird der Kunde sich nicht oft täuschen lassen. Eine noch so schöne Fassade taugt nichts, wenn sich dahinter eine Ruine versteckt.
5.6
Produktverpackung
Neben dem Design des Produkts ist auch dessen Verpackung ein wichtiges Gestaltungselement. Dieses gilt für alle Produkte, die ohne Verpackung (Verkaufsverpackung) nicht verkauft werden können. Produktverpackungen sollen das materielle Kulturprodukt schützen, den Transport ermöglichen und die Produkt- oder Unternehmenskommunikation unterstützen. Die meisten kulturellen Produkte dürften normalerweise ohne Verpackung auskommen, es sei denn, die Verpackung schafft zusätzlichen Schutz, bietet zusätzlichen Platz für Information oder unterstützt den Transport. Das gilt nur für materielle Produkte oder materielle Zusatzleistungen zu primär nichtmateriellen Produkten. Eine erworbene großformatige Grafik sollte vom Galeristen dem Käufer nicht lose in die Hand gegeben werden. Die Gefahr der Beschädigung wäre zu groß. Eine gut gestaltete Mappe, der zusätzliche werbliche Informationen zur Galerie aufgedruckt sind, schützt das Kunstwerk, hilft beim Transport und ist zugleich Werbemedium und Imageträger. Ein Museumsshop wertet die kleinen Mitbringsel auf, wenn sie durch eine künstlerisch gestaltete Tüte „vergrößert“ werden. Der Besuch im Museum wird dadurch für andere unübersehbar materialisiert. So kann sich ein imagebildender Effekt einstellen.
5.7
Image und Markierung
Ziel ist die Einflussnahme auf die Wahrnehmung der angebotenen Produkte beim Kunden. Eine wichtige Größe ist das Bild, das der Nachfrager vom Angebot hat. Ein Produktimage ist die Gesamtheit aller subjektiven Ansichten und Vorstellungen des Nachfragers vom Produkt, von Produktlinien und Produktprogrammen, die das Denken und Handeln beeinflussen. Das gewünschte Image vom Produkt muss aufgebaut und gepflegt werden. Das Image ist nicht nur mittels kommunikationspolitischer Maßnahmen (Werbung, Öffentlichkeitsarbeit) sondern auch über produktpolitische Gestaltungen zu formen. Die
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Produktpolitik
Qualität des Produkts, das Produktdesign und die Zusatzleistungen sind wichtige Faktoren der Imagebildung. Gibt es mehrere konkurrierende Angebote, dann wächst seine Unsicherheit bei der Entscheidungsfindung. Daraus erwächst aus dem Bedürfnis, die beste Qualität zu erzielen auch das Bedürfnis nach Orientierung. Eine wirkungsvolle Orientierung kann eine Markierung geben (vgl. Meffert 2001, S. 96). Markierung ist die Kennzeichnung eines Produktes durch einen Namen (Marke).46 Produktangebote können als Markenartikel aufgebaut und gepflegt werden. Ein Markenartikel ist das Versprechen, auf Kundennutzen ausgerichtete Leistungen standardisiert in gleich bleibender Qualität zu offerieren (vgl. Bruhn 2001, S. 149). Dies gilt zumindest für standardisierbare Produkte. Ein Markenartikel gibt dem Nachfrager eine gewisse Sicherheit, eine erwartete Qualität auch tatsächlich zu erhalten, sofern er der Marke vertraut. Zur Markierung können neben dem Namen des Herstellers oder des Produkts auch die Gestaltung der Produktverpackung, Logos, Farbgestaltungen usw. eingesetzt werden, sofern sie dazu beitragen, das Produkt wieder zu erkennen. Das gilt insbesondere für Massenmärkte. Von Kulturanbietern werden in den meisten Fällen nicht standardisierte Leistungen sondern eher individuelle, einzelne und außergewöhnliche Leistungen erwartet. Produktmarken sollten sich dann auf genau diese Eigenschaften beziehen.
46
Siehe hierzu den Beitrag „Kulturmarken“ von MANSCHWETUS im vorliegenden Band.
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6
173
Literatur
Bendixen, P.: Einführung in das Kultur- und Kunstmanagement, Wiesbaden, 2002 Benkert, W./ Lenders, B./ Vermeulen, P.: Kulturmarketing, Stuttgart et al. 1995 Bruhn, M.: Marketing, Wiesbaden 2001 Diller, H.: Grundprinzipien des Marketing, GIM Gesellschaft für Innovatives Marketing e.v., Nürnberg 2002 Geyer, H. / Vermeulen, P.: Operatives Kulturmarketing in: Benkert, W. / Lenders, B. / Vermeulen, P. (Hrsg.): Kulturmarketing, Stuttgart et al. 1995 Geyer, H.: Grundlagen der Produktpolitik kultureller Betriebe. Studienbrief 2-080-0411, 2005 Klein, A.: Kulturmarketing, Das Marketingkonzept für Kulturbetriebe, München 2001 Klein, A.: Innovatives Kulturmarketing, Baden-Baden 2002 Kotler, P. et al.: Grundlagen des Marketing, München et al. 1999 Kotler, P. / Bliemel, F.: Marketingmanagement, Stuttgart 1995 Meffert, H.: Marketing, Wiesbaden 2001 Nieschlag, R.: Marketing, Berlin 2002 Rothärmel, B.: Leistungserstellung im Kulturmanagement, Wiesbaden 2007
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Servicequalität 1
Einführung
2
Erfolgsfaktor Kundendenken und Kundenservice
3
Stellschrauben der Servicequalität
4
Qualitätsaspekte in der Servicekette von Kulturbetrieben
5
Ideen- und Beschwerdemanagement
5.1
Beschwerden aus Sicht von Unternehmenskultur und Kundenwert
5.2
Zum Prozess der Beschwerdeabwicklung
6
Fazit und Ausblick
7
Literatur
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1
Servicequalität
Einführung
Kundenorientierung gilt seit Ende der 1990er Jahre im Wirtschaftsleben als eine der wichtigsten „Zauberformeln“ für den betrieblichen Erfolg. Deshalb widmet sich dieser Artikel dem „König Kunde“. Allerdings wird nicht vergessen, dass der Kultursektor eine besondere Struktur von Unternehmen, Betrieben und Organisationen aufweist. Eine wichtige Besonderheit des Kulturmarketing liegt z.B. in qualitativen Zielsetzungen der Betriebsführung, vor allem in den so genannten Non-Profit-Organisationen. Daher ist es nicht nur wichtig, wie viele Besucher kommen oder wie viele Menschen das Produkt in Anspruch nehmen, sondern es ist auch wichtig, mit welchen Erfahrungen sie wieder gehen. Die Art und Weise wie das kulturelle „Produkt“ vermittelt wird und was den Besuchern inhaltlich mitgeteilt wird, stellt demnach einen wesentlichen Faktor dar. Viele Kultureinrichtungen sind auf Grund ihres Auftrages nicht in der Lage oder schlichtweg nicht gewillt, ihr Produkt an den jeweiligen Kundengeschmack (bedingungslos) anzupassen. Sie würden dadurch z.B. ihre Legitimation als öffentlich geförderte Organisation verlieren. Dies hat zur Folge, dass die möglichst optimale Realisierung ihrer jeweiligen künstlerischen, kulturellen, ästhetischen, bildungspolitischen usw. Zielsetzung im Vordergrund steht (vgl. Klein 2007). Diese Tatsache entbindet öffentliche Kultureinrichtungen aber nicht von ihrer Pflicht durch bestimmte Maßnahmen zu versuchen, den anvisierten Interessentenkreis zu erreichen und eine marktorientierte Denkweise anzustreben. Kunden-Denken bzw. ServiceDenken und daraus resultierende gute Servicequalität sind hierfür ein entscheidender Faktor. Ganz gleich um welche Art von Kulturbetrieb es sich handelt: dieses Prinzip können alle umsetzen.
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Erfolgsfaktor Kundendenken und Kundenservice
Kundenorientierung ist seit einigen Jahren ein viel diskutiertes Thema. Dennoch lohnt es sich auch weiterhin darüber zu schreiben. Warum? Wer kennt sie nicht, die kleinen Begebenheiten im Alltag, die man als Kunde oft erlebt. So reiht man sich in die Schlange vor dem Fahrkartenschalter der Bahn ein, um ein Ticket zu erwerben, hängt endlos in der Warteschleife der Tourismus-Informationsstelle, um eine kurze Auskunft zu erhalten, oder sucht den Weg ins Zentrum einer fremden Stadt mit dem Auto vergeblich. Schon diese Alltagssituationen zeigen, wo für den Gast die Erfüllung einer Dienstleistung nicht reibungslos verläuft. Um erstens das Bewusstsein für diese und viele andere Unzulänglichkeiten stetig zu schärfen und um zweitens die Verbesserungen einzuleiten, muss Kundenorientierung weiterhin Gegenstand der Diskussion sein. Denn in der Realität ist - gerade auch in Kulturbetrieben - die Umsetzung leider nicht so selbstverständlich wie gewünscht. Die (Über-)Erfüllung der Kundenerwartungen ist ein wesentliches Ziel des Qualitätsmanagements und stellt den Beginn einer möglicherweise längerfristigen Kundenbeziehung bzw.
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einer Kundenempfehlung dar, die zum Beispiel für Museen, die eher selten in kürzerer Zeit mehrmals besucht werden, von besonderer Bedeutung ist. Sind die Gäste zufrieden, befindet sich das Unternehmen auf dem richtigen Weg. Aber das langfristige Ziel der Kundenbindung ist damit noch nicht erreicht. Faktoren wie • • • • •
intensiver Wettbewerb, austauschbare Produkte, Langeweile durch Gewöhnungseffekte, Variety seeking und das Sozialprestige immer neuer Reiseziele
stellen einige Gründe dar, die verhindern, dass Kunden sich einem Unternehmen oder - für den Fall, dass es Touristen als Kunden sind - einer Destination gegenüber loyal verhalten. Dennoch sind Kundenorientierung und darauf aufbauend Kundenzufriedenheit eine notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung (quasi die „Eintrittskarte“) zu einer längerfristigen Kundenbeziehung, denn umgekehrt betrachtet kommen unzufriedene Besucher ganz bestimmt nicht wieder und teilen ihre Bedenken darüber hinaus noch vielen anderen mit (negativer Multiplikatoreffekt bei mindestens zehn anderen Personen). An guten Leistungen führt also kein Weg vorbei, wenn zumindest eine Weiterempfehlung erreicht werden soll. Die Tragweite guten Auftretens dem Gast gegenüber wird deutlich, wenn der Wert seiner Kundenbeziehungen über viele Jahre hinweg betrachtet wird (lifetime value), denn die Erinnerungen an einen Besuch können immense Auswirkungen auf spätere Konsumentscheidungen oder Weiterempfehlungen haben. König Kunde Jede Dienstleistung lebt von der konsequenten Hinwendung zum Kunden. Er bringt das Geld und seine Erwartungen müssen erfüllt werden, ganz gleich ob er ein einheimischer Museums- oder Kirchenbesucher etc. oder ein ortsfremder Betrachter (ein Tourist) ist. Grundvoraussetzung dafür ist eine Einstellung, die auf einem hohen Maß an Einfühlungsvermögen basiert, „einem Denken, wie der Kunde denkt“. Von der Inanspruchnahme einer Dienstleistung verspricht sich der Gast einen Nutzen, der zur Zufriedenstellung seiner Bedürfnisse, wie z.B. Erholung, Spaß oder „eine neue Kirchen kennen lernen“, beiträgt. Dies mag wie eine Binsenweisheit klingen, aber es gibt genügend Anbieter, die es nötig haben, sich diese Tatsache glasklar zu vergegenwärtigen. (vgl. Dreyer et al. 2003, S. 3f.) Von besonderer Bedeutung ist die Einbindung eines Kulturbetriebes in die Region. Einheimische sollen stolz auf ihr Kulturangebot sein können, ihnen sollen attraktive Möglichkeiten der Freizeitgestaltung geboten werden. Touristen sollen wiederum die Verlockung verspüren, ihren Aufenthalt in der Region möglichst lange auszudehnen. Kurzum: Kultur ist ein wichtiger Standortfaktor (vgl. DTV 2006, S. 10ff.). Je länger Reisende verweilen, umso eher geben sie Geld aus und sorgen für Wertschöpfung in der Region. Jedes gute Angebot kann hier seinen Beitrag leisten, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen stimmen. Zum Beispiel müssen Mitarbeiter in der Lage sein, Tipps für den weiteren Aufenthalt vor Ort abzugeben. Außerdem müssen an den Kulturobjekten alle Möglichkeiten genutzt werden, das Fremdenverkehrsgebiet in einem attraktiven Licht erscheinen zu lassen. Es muss geschehen,
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Servicequalität
was der Fachmann neudeutsch „Cross-Marketing“ (Wieczorek/ Lachmann 2005) nennt, z.B. durch • Auslage von Broschüren zu Ausflugszielen in der Nähe • Aufstellung einer Tafel mit Stadtplan bzw. Landkarte und Auflistung der umliegenden Attraktionen • Hinweise auf Cafés und Restaurants im Umfeld In verschiedenen Untersuchungen wurde (leider) festgestellt, dass Mitarbeiter der Leistungsträger (Kulturbetriebe, Hotels etc.) in Destinationen nicht genügend Kenntnisse der Sehenswürdigkeiten und aktuellen Veranstaltungen in ihrer Region besitzen. Wenn diese Grundvoraussetzung nicht gegeben ist, ist es schwer, Gäste für längere Zeit am Ort zu halten. (vgl. Born / Dreyer 2003, S. 115 und Derdulla 2002) Gesamteindruck Sowohl für den Aufenthalt des Touristen in einer Destination (siehe Beispiel), als auch für den Besuch eines einzelnen Kulturbetriebes gilt: Der gesamte Eindruck muss stimmen, wir sprechen gerne auch von einem positiven Gesamterlebnis! Dieses fängt bei der Anfahrt zu einem Kulturbetrieb an, geht über die Begrüßung und die Inanspruchnahme der eigentlichen Hauptleistung bis hin zur Verabschiedung. Beispiel: „Die Misere beginnt schon beim Großparkplatz am Rande der Stadt: Pfeile weisen zwar noch beflissen den Weg zum einkaufsträchtigen Zentrum, aber an das städtische Museum hat niemand gedacht. Nach mehreren Frageaktionen steht man vor einem schmucklosen historischen Bau, an dessen geschlossener Tür etwas verstohlen ein Schild kundtut, dass man es mit dem „Städtischen Museum“ zu tun hat. Die Öffnungszeiten habe ich dem MuseumsHandbuch entnommen und tatsächlich sitzt ein älterer Herr in einer Art Pförtnerloge, vertieft in seine Regionalzeitung. Immerhin betätigt er einige Kippschalter, nachdem ich mein Begehr vorgetragen habe – offenbar die Beleuchtung in den Ausstellungsräumen. Die wenigen Flure und Korridore verraten noch nicht, wo es lang geht. Jedenfalls lassen die abgestellten Großobjekte und leeren Vitrinen erahnen, dass man sich den Ausstellungsräumen nähert. Endlich drinnen, schweift der Blick umher und sucht nach Orientierungshilfen. Weil ich immer noch gut gelaunt bin, streife ich meine Erwartung einer gewissen Hinführung oder Anleitung ab und versetze mich in die Rolle eines Pfadfinders. Das Thema dieses ersten Raumes kann ich nach einem Rundumblick nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Geologische Proben, vermischt mit prähistorischen Funden – kommt einem bekannt vor! Aber was sollen die schwere Kirchturmuhr daneben, eine alte Tischvitrine mit allerhand Münzen und die beiden Bürgermeisterportraits an der Wand? Das Schmunzeln weicht einem Kopfschütteln; aber bevor dieses ob der dürftigen Objektbeschriftung und der abgenutzten Stellwände in Ärger umschlägt, breche ich ab und verlasse … dieses Szenario“ (Gribl 2000, S. 30).
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Aus Unternehmenssicht muss der Besuch eines Gastes als Servicekette47 verstanden werden. Besonders erfolgreich sind Betriebe, die es schaffen, ihr Angebot mit einem Spannungsbogen zu inszenieren. Nun darf Inszenierung nicht als ein vordergründiges Showelement verstanden werden, sondern als Teil einer qualitätsorientierten Produktgestaltung unter Mitwirkung von Maßnahmen, die möglichst viele Sinne der Kunden ansprechen (Multisensensualisierung). Dies scheint bei einem Musical leichter realisierbar zu sein, als in einer Kirche. Was soll in einem Gotteshaus inszeniert werden? Und wer will Inszenierung dort überhaupt? Das folgende Beispiel soll klarmachen, dass es hier nicht um eine Disneysierung von Kirchen geht, sondern darum, das vorhandene Kulturgut in angemessener Weise zu präsentieren. In den Kirchen an der Straße der Romanik gibt es vielfach Mitarbeiter(-innen), die Gästen (Touristen) Informationen für ihre Besichtigung geben. Mit einer freundlichen Begrüßung wird schon der erste Schritt für ein positives Gesamterlebnis getan. Der Vorstellung von „Inszenierung“ entspricht es u.a., wenn die herausragenden Kulturgüter der Kirche ansprechend beleuchtet werden und damit im Inneren eine besondere Atmosphäre erzeugt wird. Eine nette Verabschiedung, vielleicht mit einem Hinweis auf das hübsche Café um die Ecke, rundet den Besuch ab. Qualität Entscheidend für die Zufriedenheit eines Gastes ist die Qualität der Dienstleistungen, die das Gesamterlebnis ausmachen. Qualität entsteht durch die Fähigkeit eines Anbieters, seine Leistungen aufgrund von Kundenerwartungen auf einem bestimmten Anforderungsniveau (auf dem erwartungsgemäßen, nicht unbedingt auf dem höchsten) zu erstellen. Vorstehende Definition bezieht sich auf die kundenorientierte Sichtweise. Es gibt aber auch andere Aspekte der Qualität, zum Beispiel die erstellungsorientierte Qualität, die sich auf die Einhaltung interner Prozesse bezieht. Qualität ist verbunden mit dem Willen zu kontinuierlichen Verbesserungen und zum lebenslangen Lernen. Vier Gründe stehen guter Servicequalität ganz besonders im Weg (vgl. Born / Dreyer 2003, S. 106): 1) Betriebe kennen die Wünsche Ihrer Kunden nicht gut genug. Und sie wissen nicht, was potenzielle Kunden daran hindert, sich für eine bestimmte Dienstleistung zu entscheiden. Systematische Marktforschung und Untersuchungen lösen das Problem. 2) Die Führungspersonen leben Kundenorientierung nicht konsequent vor. Keine Fördermaßnahme zur Qualitätsverbesserung kann Unternehmertum und den unbedingten Willen zur Erzeugung ausgezeichneter Dienstleistungen ersetzen. Dieses „Anpacken“ wird vielfach vermisst. Andererseits zeigen die erfolgreichen Unternehmen überdeutlich, dass Engagement zum Erfolg führt. Zur Steigerung der Dienstleistungsqualität sollen Qualitätsoffensiven beitragen, die von mehreren Bundesländern angeboten werden und die an alle tourismusrelevanten Dienstleister (incl. Taxifahrer, Museumsmitarbeiter, Bademeister etc.) gerichtet sind.
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Siehe hierzu Kapitel 4 im vorliegenden Beitrag.
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Servicequalität
3) Mitarbeiter werden nicht genügend motiviert und erbringen daher nur durchschnittliche Dienstleistungen. Mitarbeiter, die in Entscheidungen einbezogen, denen Gestaltungsfreiräume gewährt und die gelobt werden, finden Spaß an ihrer Aufgabe und geben ihr Bestes im Sinne des Unternehmens (auch ein Aspekt der Qualitätsoffensiven). 4) Mangelhafte Kommunikation weckt unerfüllbare Erwartungen. Etwas weniger versprechen und umso mehr leisten. Nur so lassen sich Kunden begeistern, weil ihre Erwartungen überdurchschnittlich erfüllt werden. Werbung und Öffentlichkeitsarbeit müssen als Investition in die Zukunft angesehen werden. Oft mangelt es aber an einer einheitlichen, auf Dauer angelegten Marketingstrategie. Der Standpunkt des Kunden Im Folgenden wollen wir vermitteln, welche Qualitätsaspekte für Besucher bzw. Kunden von Kulturbetrieben wichtig sind. Zu diesem Zweck nehmen wir konsequent den Standpunkt der Gäste, nicht den der Anbieter, ein. Es ist zu überlegen: • • • • • •
Was erwartet der Kunde von seinem Besuch? Was empfindet er bei der Ankunft an der Sehenswürdigkeit bzw. dem Kulturbetrieb? Wie erlebt der Gast eine besuchte Kultureinrichtung? Welchen Nutzen zieht er aus dem Besuch? Wie empfindet er das Umfeld der besuchten Stätte? Werden auch andere mögliche Bedürfnisse (z.B. Essen gehen oder Souvenir kaufen) erfüllt?
Hinter der Beantwortung dieser Fragen stecken viele weitere Details, die alle zusammen das Qualitätsurteil eines Gastes ausmachen. Führt gute Qualität zu mehr Zufriedenheit bei den Gästen? Ja. Aus Sicht des Gastes bedeutet gute Qualität die Erfüllung seiner Erwartungen. Schafft man es mit seinen Dienstleistungen den Vorstellungen zu entsprechen (und vielleicht noch ein bisschen mehr), dann schafft man es auch, den Kunden zufrieden zu stellen.
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Stellschrauben der Servicequalität
Ein Betrieb kann Qualität insbesondere erzeugen durch den Einsatz der typischen Dienstleistungs-Instrumente im Marketing-Mix: 1. die Gestaltung der Kundenprozesse (Abläufe als „Servicekette“); der Anbieter muss die Dienstleistungsabläufe, so wie der Kunde sie erlebt, richtig im Griff haben. 2. die an der Leistungserstellung beteiligten Mitarbeiter/innen; hier geht es um die Frage, wie die Erstellung der Dienstleistung erfolgt („weiche Faktoren“). Gegenüber dem Personal im Kundenkontakt stellen die Gäste Anforderungen an Freundlichkeit, Kompetenz (grundsätzliche Fähigkeiten), Verlässlichkeit (Einhalten von Zusagen), Flexibilität und Einfühlungsvermögen („Denken, wie der Kunde denkt“).
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3. die Gestaltung des Dienstleistungsumfeldes („Hardware“); das Umfeld muss nicht nur grundsätzlichen Qualitätsmerkmalen genügen (z.B. saubere Kundentoiletten), sondern eine gute Atmosphäre und angenehme Stimmungen erzeugen. 4. Natürlich darf auch die Gestaltung der Hintergrundprozesse nicht unerwähnt bleiben. Denn die vorstehenden, für den Gast spürbaren Aspekte können nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn auch die für den Gast unsichtbaren Abläufe funktionieren, so dass im Rahmen der Qualitätsverbesserung gerade diese einer genauen Prüfung zu unterziehen sind, allerdings in jedem Betrieb anders aussehen. 1) Gestaltung der Kundenprozesse (Serviceketten) In Abhandlungen zum Dienstleistungsmanagement haben prozessbezogene Betrachtungen zum Kundenverhalten zugenommen. Die nacheinander von einem Gast in Anspruch genommenen Dienstleistungen werden als sein Gäste“pfad“ bezeichnet. Auch die Begriffe Kundenpfad (Stauss) oder Besucherpfad sind eingeführt. Betrachtet man den Kundenpfad aus dem Blickwinkel der für den Gast zu erbringenden Dienstleistungen, so wird auch von „Serviceketten“ gesprochen. Inhaltlich geht es um dieselben Abläufe, die Bezeichnung Kundenpfad wird aus dem Blickwinkel des Kunden gewählt, der Begriff Servicekette von Seiten des Betriebs, das den Service zu leisten hat.48 Die Reihenfolge der Abläufe weist oft bestimmte Ähnlichkeiten auf. Das Denken in Serviceketten ist nicht ganz neu. Z.B. ROMEISS-STRACKE (ansatzweise 1989, ausführlich 1995) und DREYER / FLENTGE (1998) haben sich mit Serviceketten in der Destination auseinandergesetzt. Andere Autoren (z.B. Beritelli 1999) legen den Focus mit der Betrachtung von so genannten Wertschöpfungsketten stärker auf betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte im Kundenpfad und weniger auf Servicequalität. Abhandlungen zur Kundenorientierung zeigen, dass Serviceketten zur Identifikation und Abbildung der (typischen) Kundenprozesse dienen. 2) Mitarbeiterpolitik In allen relevanten Konzepten zum Qualitätsmanagement (z.B. EFQM) spielen die Mitarbeiter einer Organisation als Befähigungsfaktor zur Erstellung einer am Kundennutzen ausgerichteten Leistung eine besonders wichtige Rolle. Mitarbeiterzufriedenheit führt über den Umweg besserer Dienstleistungen und besserer Einstellung zum Service zu mehr Kundenzufriedenheit. Folglich gehören Fragen der Mitarbeiterorientierung zu den wichtigsten Führungsaufgaben. Es ist zu überlegen, wie Mitarbeiter/-innen • • • •
48
durch Verbesserung ihrer Qualifikationen, durch Flexibilisierung des Einsatzes, durch Übertragung von Kompetenzen („Empowerment“), und durch Motivation (z.B. Belobigung, Incentives)
Wir verwenden die Begriffe Kundenpfad und Servicekette synonym.
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Servicequalität
zu erhöhter Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft gebracht werden können. Das Beispiel von einem Hotelaufenthalt lässt sich in ähnlicher Weise auf Kulturbetriebe übertragen. Schriftlich niedergelegt ist dieser Gedanke bisher noch nicht. Bei einem Hotelaufenthalt kommt es zu bis zu 100 Interaktionen zwischen dem Gast und dem Hotelpersonal. Deshalb muss beim Streben nach Kundenzufriedenheit bei den Mitarbeitern angesetzt werden. Einige Beispiele aus dem Maßnahmenkatalog: • Bei der Einstellung von Mitarbeitern wird besonders auf soziale Kompetenz (Fähigkeit zur Arbeit im Team, positiver Umgang mit Kunden und Mitarbeitern) Flexibilität, Belastbarkeit und Kundenorientierung geachtet. • Vermittlung der Qualitätsziele und Unternehmensleitsätze an die Mitarbeiter im Rahmen von Seminaren. • Den Mitarbeitern werden anhand von Fehlerkostenanalysen aufgezeigt, welche Vorfälle welche finanziellen Auswirkungen haben. • Es ist die Aufgabe jedes Mitarbeiters, Fehler im Hotel aufzudecken, die wesentliche Gründe für Qualitätsmängel sein können. • Jeder Mitarbeiter ist berechtigt, Anweisungen an Kollegen anderer Abteilungen zu erteilen, wenn deren Einsatz zur Zufriedenstellung des Gastes notwendig erscheint. • Jeder Mitarbeiter kann über einen bestimmten Betrag (bis zu 2.000 US$ pro Beschwerdefall) verfügen, wenn es darum geht, einen Beschwerdegrund zu kompensieren. • Mitarbeiter können auf in Arbeitsräumen installierten „Good Idea Boards“ Verbesserungsvorschläge einbringen. (vgl. Beckett 1996, S. 175ff.) 3) Gestaltung des Dienstleistungsumfeldes Wir sprechen oft von der Schaffung einer besonderen Atmosphäre, die durch das Zusammenwirken von emotional ansprechenden Umweltreizen (Sinneswahrnehmungen) in einem abgegrenzten Raum entsteht. Neben dem Verhalten der Mitarbeiter spielt das physische Erscheinungsbild („Hardware“) eine besondere Rolle. Von der Architektur eines Gebäudes bis zu seiner Innengestaltung in allen Einzelheiten reicht die Palette der Einflüsse, es geht zum Beispiel um Dekorationen, den Einsatz von Farben und Formen, musikalische Untermalung und auch das Klima und gegebenenfalls die Beduftung von Räumen. Beispiel: das Staatstheater Braunschweig hat seinen Kassenbereich umgebaut. Die einzelnen Schalter sind jetzt offen, so dass Kunde und Verkäufer nicht mehr durch eine Scheibe (psychologische Barriere) voneinander getrennt sind.
4
Qualitätsaspekte in der Servicekette von Kulturbetrieben
Zu analytischen Zwecken wird das Gesamterlebnis des Kunden in einzelne Stationen (Phasen) der Inanspruchnahme einer Dienstleistung unterteilt. In den einzelnen Phasen wird gefragt „was macht der Kunde?“ und es wird festgelegt, welche Serviceleistungen ihm angebo-
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ten werden. Es ist sinnvoll, die einzelnen Phasen jeweils unter den im vorherigen Kapitel genannten Gesichtspunkten zu betrachten: Wie müssen die Kundenabläufe aussehen? Welche Mitarbeiter sind beteiligt? Wie muss das Umfeld für einen positiven Gesamteindruck gestaltet werden? Die nachstehende Abbildung zeigt beispielhaft den Kundenpfad eines Museums.
Abb.1 Kundenpfad für ein Museum mit Aspekten der Servicequalität (Köhnke 2005, S. 47)
Die Servicequalität für jede einzelne Phase detailliert zu beschreiben, würde den Umfang dieses Beitrags bei weitem sprengen. Im Folgenden wird nur auf einige, gerade für Kulturbetriebe wesentliche Aspekte eingegangen.
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Servicequalität
Öffnungszeiten Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang sind auch die Öffnungszeiten, insbesondere bei kleineren Kultureinrichtungen, Kirchen etc. Denn mit den Öffnungszeiten wird eine Regelung über die Besichtigungsmöglichkeiten getroffen. Somit sind besucherfreundliche Öffnungszeiten ein Kernthema für den Tourismus. Stark eingeschränkte Öffnungszeiten sorgen leicht für Verärgerung bei den Reisenden. Schließlich haben sie sich doch extra die Mühe gemacht zum Besichtigungsobjekt zu gelangen. Eine nicht zu unterschätzende „Leistung“, der in diesem Falle die Belohnung versagt bleibt. Deshalb sind über das Jahr hinweg gleich bleibende „garantierte“ Kern-Öffnungszeiten für die Verlässlichkeit und die Kommunikation bei potenziellen Besuchern ein wichtiger Aspekt. Darüber hinaus sollten Öffnungszeiten an saisonale Nachfrageschwankungen angepasst werden. Ein besonderes Thema in diesem Zusammenhang ist die Schließung von Museen am Montag, was aus touristischer Sicht unglücklich ist: Ein Appell an die Museen in Deutschland Es ist ein guter Brauch in Deutschland, Museen am Montag zu schließen. Als Ausgleich für die Arbeit am Wochenende. Gewiss eine gute Idee, denn so kann sich jeder potenzielle Museumsbesucher darauf einstellen. Was aber ist mit den Touristen? Wir wissen genau, dass die Zahl der Kurzreisen übers Wochenende zunimmt. Eine Stärke des ansonsten leicht schwächelnden Deutschlandurlaubs. Wir wissen auch, dass ein Kurzurlaubsziel Attraktionen braucht, um die Gäste zu binden. Museen, zum Beispiel. Denn die haben sich in den letzten Jahren prächtig entwickelt. Die angestaubten Vitrinen sind selten geworden. Jetzt aber die Crux. Wenn die Touristen ins Museum wollen, am Montag, dem letzten Tag ihres Kurzurlaubs, sind die Museen geschlossen, ist das Urlaubsziel einer Attraktion beraubt. Daher wäre zu überlegen, ob die Museen nicht mittwochs statt montags geschlossen werden können. Davon hätten alle etwas: Die Museumsmitarbeiter einen freien Tag, die Allgemeinheit kann sich darauf einstellen und die Touristen haben im Kurzurlaub eine Attraktion mehr. Also ein win-winwin-Prinzip. Wirklich eine Überlegung wert! Informationen über geänderte Öffnungszeiten müssen so verbreitet werden, dass sie ohne Schwierigkeiten zu den potenziellen Kunden, den Einheimischen (durch PR in der Tageszeitung etc.) und den Reisegästen (u. a. umfassende Information der Beherbergungsbetriebe) gelangen. Beispielsweise müssen neue Öffnungszeiten an der Hotelrezeption vorliegen, denn nur dann können sie dem Gast zur Kenntnis gebracht werden. Möglicherweise stellt sich im Zusammenwirken von Museum, Tourismus - Informationsstelle und Hotel die Frage, für wen diese Information eine Holschuld bzw. eine Bringschuld ist. Wir sind eindeutig der Ansicht, dass dies eine Bringschuld des Leistungsträgers ist. Er will etwas „verkaufen“, seine Dienste anbieten. Also muss zunächst das Museum aktiv die touristischen Leistungsträger informieren, die ihrerseits auf den Gast zugehen müssen. Ein Beispiel für zwingend notwendige Kooperation! Eines muss dabei unmissverständlich klar sein: Dem Gast ist vollkommen gleich, wie der Kommunikationsprozess in der Destination organisiert wird. Er will nur richtig informiert sein!
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Innerhalb der Serviceketten stellen der Umgang mit Wartezeiten sowie Begrüßungs- und Verabschiedungskonzepte wichtige, wiederkehrende Aufgaben dar. Wartezeit In kundenorientierten Zeitkonzepten (Stauss 1995) wird unterschieden zwischen Transferzeiten (Weg zum Ort der Dienstleistung), Abwicklungszeiten (für die spätere Erstellung der Dienstleistung notwendige Abläufe, z.B. Kassiervorgang im Theater) und Transaktionszeiten (Zeit der eigentlichen Erbringung der Dienstleistung, z.B. Theatervorführung oder auch Öffnungszeit eines Museums für self guided tours). Sind Abwicklungszeiten beendet und wird die Dienstleistung (noch) nicht erstellt, liegt für den Kunden Wartezeit vor. Da Wartezeiten keinen Nutzen bringen, werden sie vom Kunden nicht gewünscht und sind unbedingt zu vermeiden. Aber natürlich darf nicht verhehlt werden, dass das Wartezeitproblem fundierte betriebswirtschaftliche (kostenbezogene) Hintergründe besitzt. Die Festlegung von Kapazitäten hat zwar aus Kundensicht möglicherweise unangenehme Wartezeiten zur Folge, umgekehrt steigt aber die Wahrscheinlichkeit einer Nicht-Auslastung bei überdimensionierten Kapazitäten. Begrüßungs- und Verabschiedung Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Gelingt dem Dienstleister ein ansprechender Empfang seiner Kunden, so hat er schon einen großen Schritt zu dauerhafter Wertschätzung getan. Untersuchungen zeigen, dass eine angenehme Begrüßungssituation dazu beiträgt, dass der Gast spätere Unstimmigkeiten in der Dienstleistungsqualität eher verzeiht (vgl. Roth 1999). Eine nette Verabschiedung trägt dagegen dazu bei, die Chance auf Kundenbindung zusätzlich zu erhöhen. Zum Beispiel können Schauspieler die Besucher in ihren Kostümen an den Ausgängen persönlich verabschieden.
5
Ideen- und Beschwerdemanagement
5.1
Beschwerden aus Sicht von Unternehmenskultur und Kundenwert
Beide Dienstleistungen existiert eine Synchronität von Leistungserstellung und Inanspruchnahme der Leistung. Die Leistungen gehen direkt an den Kunden. Daher können fehlerhafte Produkte nicht im Rahmen einer Qualitätskontrolle, wie im produzierenden Gewerbe, ausgemustert werden. Im Dienstleistungsbereich werden die Produkte überwiegend von Menschen erbracht, deshalb werden sie oft nicht vollkommen fehlerfrei sein. Ab und zu einen Fehler machen ist menschlich. Ziel des Beschwerdemanagements muss es sein, unerfüllte Qualitätsversprechen durch reibungslose Beschwerdeabwicklung zum Positiven zu wenden und dadurch zufriedene Kunden hervorzubringen. Denn bei näherer Betrachtung handelt es sich bei einer Beschwerde sozusagen um einen verspätet geäußerten Wunsch im Falle einer zuvor ungenügenden Leistungserbringung. Und dieser muss dem Kunden nachträglich erfüllt
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werden. Daher bezeichnen wir das Beschwerdemanagement auch gerne als „Reparaturwerkstatt“. Beschwerdemanagement ist die Speerspitze des Qualitätsmanagements. Denn durch die Äußerungen unzufriedener Kunden kann man unmittelbar Fehler in der Erstellung der Dienstleistung erkennen. Deshalb ist ein systematisches Beschwerdemanagement für jeden (Kultur-)Betrieb sinnvoll und unerlässlich. Innere Einstellung Eine Beschwerde hat einen negativen Beigeschmack. Die ablehnende Haltung sollten die Mitarbeiter jedes Unternehmens ablegen und die Beschwerde aus einem zunehmend positiven Blickwinkel betrachten. Denn man könnte sie vielleicht auch als Idee oder Anregung bezeichnen, da sie Fehler aufdeckt und Verbesserungsvorschläge liefert (Ideen- und Beschwerdemanagement). Es muss weiterhin für die Einsicht gesorgt werden, • dass geringe Beschwerdezahlen kein aussagefähiger Indikator für Kundenzufriedenheit sind, weil viele Beschwerden nicht geäußert werden; • dass Kunden, die sich beschweren, als Partner anzusehen sind, weil sie auf Schwachstellen im Unternehmen aufmerksam machen; • dass die weit überwiegende Zahl der Kunden nicht aus Nörglern und Querulanten besteht; • dass Beschwerden nicht nur mit Kosten verbunden sind, sondern auch Chancen für Erlöse und Gewinne bieten, wenn Kunden gehalten und vielleicht sogar zu Stammkunden gemacht werden können; • dass die Zahl der Beschwerden unzufriedener Kunden zu maximieren ist, allerdings bei gleichzeitiger Minimierung des Anteils der Unzufriedenen (vgl. Stauss / Seidel 1996, S. 31ff.). Null-Fehler-Prinzip Das Null-Fehler-Prinzip bezieht sich zunächst auf die Erbringung der Dienstleistung selbst. Denn nichts ist wichtiger als der Erstkontakt mit dem Kunden. Dienstleistungen erbringen Menschen und Menschen machen manchmal Fehler. Grundsätzlich ist das kein Problem, solange diese im Rahmen bleiben. Und genau hier beginnt die Arbeit des Beschwerdemanagements. Ist dem Unternehmen ein Fehler unterlaufen und der Kunde hat Grund zur Beschwerde, muss das Unternehmen unverzüglich mit einem Null-FehlerBeschwerdemanagement reagieren. Denn obwohl es für den ersten Eindruck keine zweite Chance gibt, bietet das Beschwerdemanagement eine erstklassige Chance für den zweiten Eindruck, mit dem ein fehlerhafter Erstkontakt wieder gut gemacht werden kann, wenn nun alles klappt. Kontinuierliche Verbesserung Lebenslanges Lernen bedeutet im Betrieb jeden Augenblick über Verbesserungen nachzudenken. Um Kundenprozesse kontinuierlich anpassen zu können, muss ein Anbieter regelmäßig über den aktuellen Stand der Kundenzufriedenheit informiert sein. Mittels einer sys-
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tematischen Zufriedenheitsforschung, bestehend aus verschiedenen Messmethoden, gelangt es an die gewünschten Informationen. Beschwerdeanalysen gehören dazu.
5.2
Zum Prozess der Beschwerdeabwicklung
Bei den Prozessen im Beschwerdemanagement wird zwischen den Abläufen, die den Besuchern direkt betreffen, und den unternehmensinternen Prozessen unterschieden. Da ein erheblicher Teil unzufriedener Besucher sich aus unterschiedlichsten Gründen gar nicht erst beschwert, aber trotzdem als negativer Multiplikator auftritt, steht kundenseitig die Ermunterung zu Beschwerden im Mittelpunkt der Bemühungen. Eine Beschwerdeanimation kann mit Hilfe verschiedener Maßnahmen unterstützt werden, wobei ein Hauptaugenmerk auf die Möglichkeiten während der Leistungserstellung gelegt werden sollte. Hier bieten sich vor allem eine Einrichtung von Servicepoints mit entsprechend geschultem Personal und die Ausgabe von Comment Cards an. Natürlich ist auch der Einsatz aller anderer in der einschlägigen Dienstleistungs- bzw. Tourismusliteratur genannter Maßnahmen sinnvoll. (vgl. Dreyer / Born 2004, S. 251ff.).
6
Fazit und Ausblick
Das Thema Servicequalität steht schon lange auf der Agenda von Dienstleistungsbetrieben. Dennoch ist der Umgang mit den Besuchern bzw. Kunden noch lange nicht ausgereift. Weder das Denken noch das Handeln von Unternehmern, Geschäftsführern und ihren Mitarbeitern deuten darauf hin, dass Berater und Trainer vor der Arbeitslosigkeit stehen. Obwohl die dem Autor gut bekannte Tourismuswirtschaft in ihrer Entwicklung schon weiter ist als der Kultursektor, ist der Weg zu kundenorientierter Servicequalität bei allen noch weit. Insbesondere der Aufbau komplexer Qualitätsmanagementsysteme in den Betrieben, wie es z.B. die European Foundation of Quality Management (EFQM) bietet, gehört zu denen Zukunftsaufgaben. Das Gedankengut dieses, einen ganzen Betrieb betreffenden Qualitätsmanagements (Total Quality Management) entstammt der seinerzeit danieder liegenden asiatischen Automobilindustrie und erweist sich mit entsprechenden Anpassungen auch als sinnvoll für Dienstleistungsbetriebe. Im Mittelpunkt steht der Gedanke, dass die internen Abläufe optimal auf die Betriebsziele ausgerichtet werden. Schlanke und kostengünstige Prozesse sollen zu hervorragenden Leistungen für den Kunden führen.
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7
Servicequalität
Literatur
Ayen, H.: Marketing für Theaterbetriebe, Praxishandbuch für Kulturmanager, Neuwied / Kriftel 2002 Beckett, N.P.: Qualitätsbewußtsein und Kundenorientierung der Mitarbeiter als Schlüssel zum Erfolg, Qualitätsmanagement bei der Ritz-Carlton Hotel Company, in: Töpfer, A. (Hrsg.): Kundenzufriedenheit messen und steigern, Neuwied /Kriftel / Berlin, 1996, S.175192 Beritelli, P.: Qualität im Destinationsmanagement, in: Mussner / Pechlaner / Schönhuber (Hrsg.), Destinationsmanagement, Chur 1999, S. 31-44. Born, K. / Dreyer, A.: Die Beschwerde ist ein Geschenk – aber für wen? in: Bausch, T. / Bieger, T. / Pechlaner, H. (Hrsg.): Erfolgskonzepte im Tourismus II, Management und Unternehmenskultur, Schriftenreihe der Europäischen Akademie Bozen, Bd. 7, Wien 2003, S. 105-132. Bruhn, M. / Stauss, B.: Dienstleistungsqualität, 2. Auflage, Wiesbaden 1995 DEHOGA - Deutscher Hotel- und Gaststättenverband (Hrsg.) 2004: Die Deutsche Hotelklassifizierung, unter: www.hotelsterne.de Derdulla, T.: Dienstleistungsqualität bei 4- und 5-Sterne-Hotels bei Anfragen – eine empirische Untersuchung in Sachsen-Anhalt, unveröff. Diplomarbeit an der Hochschule Harz, Betreuer Prof. Dreyer, Wernigerode 2002 Dreyer, A.: Vermarktung von Destinationen mit Events, in: Freyer / Meyer / Scherhag (Hrsg.), Events-Wachstumsmarkt im Tourismus, Dresden 1998, S. 51-74. Dreyer, A. (Hrsg.): Kulturtourismus, 2. Auflage, München / Wien 2000 Dreyer, A.: Der Markt für Kulturtourismus, in: Dreyer, A. (Hrsg.): Kulturtourismus, München / Wien 2000a, S. 25-48 Dreyer, A./ Antz, C.: Handbuch Straße der Romanik in Sachsen-Anhalt, Hrsg. vom Ministerium für Wirtschaft und Arbeit des Landes Sachsen-Anhalt, in Zusammenarbeit mit der Hochschule Harz, Magdeburg / Wernigerode 2002 Dreyer, A./ Born, K.: Ansätze für ein touristisches Beschwerdemanagement in Destinationen, in: Hinterhuber, H.H. et.al. (Hrsg.): Kundenmanagement als Erfolgsfaktor, Berlin 2004, S. 239-264 Dreyer, A. / Dehner, C.: Kundenzufriedenheit im Tourismus, Entstehung, Messung und Sicherung mit Beispielen aus der Hotelbranche, 2. Auflage, München / Wien 2003 Dreyer, A. / Linne, M.: Der Einsatz von Mystery Guests in touristischen Destinationen – Ein Beitrag zu Qualitätsentwicklung, in: Hinterhuber, H. H. et. al. (Hrsg.): Kundenmanagement als Erfolgsfaktor, Berlin 2004a, S. 363-384
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189
Dreyer, A. / Linne, M.: Servicequalität in Destinationen und Tourismus-Informationsstellen, 3. Auflage, Hamburg 2004b Dreyer, A. / Schreiber, M.T. / Born, K.: König Kunde - Ratgeber für Dienstleister, Magdeburg 2003 DTV Deutscher Tourismusverband: Städte- und Kulturtourismus in Deutschland (Kurzfassung), Bonn 2006 DWIF: Gestaltung von touristischen Produkten „Romanikerlebnissen“ und „Kulturevents“ in und mit Romanikobjekten, Endbericht, München 2002 Freyer, W.: Tourismus-Marketing, 4. Auflage, München / Wien 2004 Freyer W. /Dreyer, A.: Qualitätszeichen im Tourismus – Begriffe und Typen, in: Weiermair K. / Pikkemaat, B.: Qualitätszeichen im Tourismus, Berlin 2004, S. 63-92. Gribl, A.: Der Besucher in der Ausstellung – ratlos?, Zur Sprache heutiger Konzeption, in: Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.): Geöffnet! Das Museum für den Besucher: 10. Bayerischer Museumstag Landshut 7.-9. Juli 1999: Tagungsbericht, München 2000, S. 30 - 37. Homburg, C. / Rudolph, B.: Wie zufrieden sind ihre Kunden tatsächlich?, in: Harvard Business manager, Heft 1 (I. Quartal), 17. Jg., Hamburg 1995, S.43-52. Klein, A.: Der exzellente Kulturbetrieb. Wiesbaden 2007 Köhnke, S.: Museen in Schleswig-Holstein als Dienstleistungsbetriebe im Kulturtourismus – eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung einer Checkliste zur Überprüfung und Sicherung kundenorientierter Dienstleistungsqualität, unveröff. Diplomarbeit an der Hochschule Harz, Betreuer Prof. Dreyer, Wernigerode 2005 OSGV: Ostdeutscher Sparkassen- und Giroverband e.V. (Hrsg.), Tourismusbarometer, Jahresbericht 2003, Berlin 2003 Pompl, W.: Beschwerdemanagement, in: Pompl / Lieb (Hrsg.): Qualitätsmanagement im Tourismus, München 1997, S. 184-206. Romeiß-Stracke, F.: Service-Qualität im Tourismus, München 1995 Roth, S.: Marketing von Reiseveranstaltern, Die Stimmung als Erfolgsfaktor, Diss., Wiesbaden 1999 Rothlauf, J.: Interkulturelles Management, München 1999 Scharf, A. / Schubert, B.: Marketing, 3. Auflage Stuttgart 2003 Stauss, B.: „Augenblicke der Wahrheit“ in der Dienstleistungserstellung: Ihre Relevanz und ihre Messung mit Hilfe der Kontaktpunkt-Analyse, in: Bruhn, M. / Stauss, B. (Hrsg.): Dienstleistungsqualität: Konzepte-Methoden-Erfahrungen, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden 1995, S.379-399.
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Servicequalität
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Peter Vermeulen
Preisstrategien im Kulturbetrieb 1
Einleitung
2
Planungsprozess der Preisgestaltung
3
Preispolitik und Konditionenpolitik
4
Besonderheiten der Preisfindung im Kulturbetrieb
4.1
Beobachtbare Preissysteme in Kulturbetrieben
4.2
Mögliche Preisstrategien in Kulturbetrieben
5
Literatur
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1
Preisstrategien in Kulturbetrieben
Einleitung
Wie werden Preise im subventionierten Kulturbetrieb festgesetzt? Fließen Kostenüberlegungen ein? Will man das Haus füllen? Möchte man für alle erschwinglich bleiben? Das alles spielt eine Rolle und deswegen unterscheidet sich eine Preisfindung im Kulturbetrieb von solchen in gewinnorientierten, privatwirtschaftlichen Branchen. Doch es lohnt sich, Preisfindungsprozesse nicht allein auf politische Akzeptierbarkeit auszurichten, sondern Strategien aus der Wirtschaft zu adaptieren. Hier soll im Folgenden nicht auf die verschiedenen kostentheoretischen Grundlagen eingegangen werden, die zu unterschiedlichen preispolitischen Modellen führen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr preispolitische Strategien in Kulturbetrieben, nicht die konkrete Preisfindung (vgl. Hilger 1985).49 Die Preisstrategie entscheidet nicht über den tatsächlichen Preis, sondern über ein angestrebtes Preisniveau (aus der Sicht des Marketing). Preise ergeben sich in Volkswirtschaften, weil mit dem Einsatz einer Geldwährung der Aufwand eines Gütertauschs reduziert wird. Über eine Hilfsgröße (Währung) werden grundsätzlich nicht vergleichbare Güter ("Tausche Sporthose gegen Konzertkarte") vergleichbar gemacht. Jedes wirtschaftliche Gut kann auf diese Weise in Geldeinheiten pro Mengeneinheit dargestellt werden. Je seltener ein Gut, desto höher der Preis. Je höher der Preis, desto weniger wird verkauft. Umgekehrt wird angenommen, ein niedriger Preis führe zu einer steigenden Nachfrage. Diese wechselseitige Beziehung von Preis und Nachfrage nennt der Wirtschaftswissenschaftler die Preiselastizität der Nachfrage. Doch keine Regel ohne Ausnahmen: • Beim Preis von Null entsteht aber keine unendliche Absatzmenge. Vorher tritt eine Marktsättigung ein, oder ein zu hoher Absatz führt zu einer Verknappung und damit wieder zu steigenden Preisen. • Es gibt Güter, bei denen mit steigendem Preis die Nachfrage immer weiter steigt. Solche Güter werden „Club“- oder „Snob“-Güter genannt: als Beispiel für solche Güter kann die Mitgliedschaft in einem Golf-Club genannt werden: mit steigender Nachfrage steigt das Ansehen des Clubs, so dass die Mitgliedschaft teurer werden kann.
49
Hilger kann als der erste Autor bezeichnet werden, der die Instrumente des Profit-Marketing systematisch auf einen konkret kulturellen Zusammenhang angewandt hat. Auch den preispolitischen Aspekten des Marketing räumt er dabei Raum ein. Auch über den Abschnitt zu preispolitischen Überlegungen stellt das Buch eine wichtige Grundlage für modernes Marketing-Denken in kulturschaffenden Betrieben dar.
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2
193
Planungsprozess der Preisgestaltung
Bezogen auf den Preis werden vier verschiedene Zielsetzungen unterschieden:50 • • • •
die Gewinnmaximierung die Kostenbeteiligung die Nachfragebelebung und die Nachfrageabschreckung.
Die ersten beiden Zielsetzungen knüpfen an innerbetriebliche Bedingungen an. Die beiden letzten Zielsetzungen untersuchen wie sich eine Preiserhöhung bzw. – senkung auf das Nachfrageverhalten auswirken, d.h. es wird untersucht ob eine Preiserhöhung die Konsumenten tatsächlich abschrecken bzw. ob im Umkehrschluss eine Preiserhöhung die Nachfrage ansteigen lässt. Der verantwortliche Manager eines Kulturbetriebes muss ein Gefühl dafür bekommen, wie stark die Nachfrage auf unterschiedliche Preise reagiert (Preis-Elastizität 51). Zentrale Kennzahlen der Preispolitik und eine Preisabsatzfunktion werden mit Methoden der Marktforschung ermittelt. Zur Erhebung der Preisabsatzfunktion bzw. der Preiselastizität kommen prinzipiell Befragungen, Marktbeobachtungen oder Experimente in Frage. In der Regel bilden Gebührenordnungen die Grundlage für die Preise öffentlicher Kulturinstitute. Betrachtet man die Gebührenordnungen, so lässt sich eine Grundannahme bei der Formulierung erkennen. Es wird von einer linearen Preiselastizität der Nachfrage ausgegangen: je höher der Preis, so die Annahme, desto geringer die Nachfrage. Da der Preis sozial nicht ausgrenzen soll, sind niedrige Preisfestlegungen ein häufiges Ergebnis am Ende aller Überlegungen. Nur selten werden dabei Sozialrabatte (Schüler-, Studenten-, Erwerbsgeminderten- oder Erwerbslosenermäßigungen) über den Sozialetat erstattet. Die Preiselastizität ist aber auch in der Kultur nicht linear. Doch wie das Nachfrageverhalten in Abhängigkeit vom Preis bei der Kultur ist, darüber finden sich keine systematischen Betrachtungen oder Forschungen, möglicherweise, weil die Einflussfaktoren zu zahlreich sind. Das Preisverhalten auf manchen Kulturmärkten, z. B. auf Märkten für Werke der bildenden Kunst, lässt sich sowohl im Hinblick auf die Angebots- als auch auf die Nachfrageseite nur schwer erklären. Kulturanbieter tun sich i. d. R. schwer, der Preisakzeptanz nachzugehen und dabei möglichst aktuelle Methoden einzusetzen. Die Preisgestaltung ist an gesellschaftspolitischen Vorgaben orientiert. Wenn die Träger jedoch nicht zu einem Ausgleich der entstehenden Kosten bereit oder in der Lage sind, entstehen ökonomische Probleme. Die unentgeltliche oder stark preisreduzierte Verfügbarkeit von Kulturangeboten kann abgesehen von den damit verbundenen betriebswirtschaftlichen Nachteilen auch den Beurtei50 51
Die nachfolgende Differenzierung ist angelehnt an: Pepels 1998. Die letzte dem Verfasser bekannte Studie zur Preiselastizität im Kulturbereich ist von Felton 1992.
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Preisstrategien in Kulturbetrieben
lungs- und Bewertungsmechanismus bei den Nachfragern verzerren („was nichts kostet, ist auch nichts“). Kundensegmente, die vorwiegend aus Prestigegründen Kulturveranstaltungen besuchen, können durch Veranstaltungen zum Nulltarif abgeschreckt werden und diese durch andere Freizeitaktivitäten substituieren. Dieser Besucherrückgang müsste kompensiert werden durch eine Steigerung der Besucherzahl aus unteren Einkommensklassen. Unter der Berücksichtigung einer relativ starken Korrelation von Einkommen bzw. Ausbildung/Erziehung und der Nachfrage nach kulturellen Freizeitaktivitäten ist dies nicht selbstverständlich. Aufgrund der oben beschriebenen Schwierigkeiten, denen die Preisgestaltung von kulturellen Leistungen unterliegt, ist für die Entgeltpolitik von Kulturinstitutionen zu empfehlen, unter Berücksichtigung von sozial- und kulturpolitischen Überlegungen die nicht-monetären Nebenleistungen ihrer Kunden zu beachten. Welche Kosten entstehen für die Erreichbarkeit des Kulturinstituts (gute Anbindung an den ÖPNV, kostenlose Bus-Shuttle-Services? Wie wird der Parkraum bewirtschaftet? Gibt es ausreichende und vielleicht gar kostenlose Parkplätze)? Welche Entlastungen werden Familien angeboten (kostenlose Kinderbetreuung, preiswerte Babysitter)? Diese preispolitischen Anstrengungen sind bspw. in einem Theater ebenso wichtig, wie der Abdruck eines Sitzplans mit Angabe unterschiedlicher Preiskategorien. (vgl. Benkert / Lenders / Vermeulen 1995)
3
Preispolitik und Konditionenpolitik
Der Preis, den ein Kunde letztlich bezahlt, setzt sich zusammen aus dem Entgelt (Preis im engeren Sinne) und den mit dem Kaufprozess verbundenen Konditionen. Während die Preispolitik den „Preis im engeren Sinne“ bestimmt, bestimmt die Konditionenpolitik die Rabatte, die Kreditbedingungen und die allgemeinen Liefer- und Zahlungsbedingungen.52 Rabatte sind Preisnachlässe, die für bestimmte Leistungen gewährt werden. Voraussetzung für Rabatte ist das Vorhandensein eines eingeführten Preises. Durch Rabattpolitik kann versucht werden, • • • •
den Absatz zu erhöhen, die Kundentreue zu erhöhen, die zeitliche Verteilung der Inanspruchnahme von Leistungen zu steuern, das Image hochpreisiger Produkte und Leistungen zu sichern und dennoch preiswert anzubieten.
Aufgrund der Bezugsgröße lassen sich verschiedene Rabattarten unterscheiden:
52
Allgemein zu Preisdifferenzierungen: vgl. Wöhe 1990, S. 679ff.
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• Funktionsrabatte werden Funktionsträgern vom Anbieter/Veranstalter für die Übernahme bestimmter Aufgaben gewährt (z. B. Beratung, Lieferung, Werbung etc.). Als Beispiele können hier Freikarten für Politiker oder die "Steuerkarten" für Angehörige anderer Theater genannt werden. • Mengenrabatte sind Preisreduzierungen, die Käufern bei Abnahme großer Mengen eingeräumt werden. Ein Mengenrabatt kann entweder auf „nicht-kumulativer“ Basis (d.h. auf jede Einzelbestellung) oder auf „kumulativer“ Basis (d.h. auf eine innerhalb eines bestimmten Zeitraums bestellte Menge) gewährt werden. Diese Rabattart ist die im Theater, Musik- und Veranstaltungsbereich wohl mit bekannteste und üblichste Maßnahme (vgl. Nieschlag / Dichtl / Hörschgen 1994, S. 80f.). Als Beispiel sei der verbilligte Eintritt für Gruppen/Schulklassen genannt. Aber auch das Abonnement-System zählt zu den Mengenrabatten. Hier gibt es noch eine Aufspaltung in Preisunterschiede für verschiedene Kundensegmente. Mengenrabatte können zu leeren Plätzen führen. Beispiel: Es wird ein Mengenrabatt gewährt, wonach eine Gruppe von 10 Personen den Preis für 7 Karten zahlt. Eine Gruppe von 8 Personen erwirbt nun ein solches Gruppenticket mit 10 Karten und lässt 2 Plätze unbesetzt. Diesem Problem kann mit einer progressiven Rabattierung begegnet werden, die abrupte Preissprünge verhindert. Oder z.B. beim Abonnement, wenn viele als ABO bereits verkaufte Plätze bei der Vorstellung leer bleiben. Hätten die Abonnenten nur eine Option auf ihren Sitzplatz, die sie eine bestimmte Zeit vor der Veranstaltung einzulösen hätten, so könnte der Veranstalter "nicht eingelöste" Karten noch einmal verkaufen, und damit leeren Rängen entgegenwirken. • Zeitrabatte können im Kulturbereich angewandt werden, um eine Umverteilung der unterschiedlichen Besucherströme während der Woche und am Wochenende zu erreichen. Vorstellbar ist die Einführung eines „Theatertages“ vor dem Hintergrund, dass der vergleichbare „Kino-Tag“ ("jeden Dienstag alle Plätze 5 Euro") auf großen Zuspruch trifft. Auch Saisonrabatte für Kunden, die Waren oder Dienstleistungen außerhalb der jeweiligen Saison erwerben, fallen unter diese Rabattart. Saisonrabatte sind beispielsweise sinnvoll anzuwenden bei Theater-, Kabarett- oder Kleinkunst-Veranstaltungen, um in besucherschwachen Zeiten wie Ferien oder der Sommerzeit Anreize für den Veranstaltungsbesuch zu schaffen. Für den Theater- und Musikbereich können Überlegungen angestellt werden in Richtung eines preisreduzierten „Last-Minute-Tickets“ Minuten vor Vorstellungsbeginn an der Abendkasse (so praktiziert im Schauspielhaus Bochum) bis hin zu einem völligen Erlass von Eintrittskosten nach Ablauf einer bestimmten Zeit, wie in Fußballstadien oder Discotheken. Mögliche Effekte solcher Maßnahmen sind ein "volles" Haus, Werbung in eigener Sache, die Schaffung von "Schnuppermöglichkeiten" für potenzielle Besucher und die Möglichkeit zur Selbstdarstellung, um Interessenten zu gewinnen. • Treuerabatte werden gewährt für lang andauernde Geschäftsbeziehungen. Ein Anwendungsbeispiel aus dem Kinobetrieb, das auf die verschiedensten kulturellen Bereiche übertragbar ist, besteht in der Aushändigung eines Gutschein-Heftes, in dem die Zahl der
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Preisstrategien in Kulturbetrieben
Besuche eingetragen wird; nach einer bestimmten Anzahl von Besuchen, Kursteilnahmen oder der Inanspruchnahme sonstiger Leistungen gibt es die jeweilige Leistung einmal gratis. Ein Treuerabatt wird auch gewährt, wenn im Theater Abonnementpreise unverändert bleiben, während die Einzelkartenpreise angehoben werden. Analog zu den Rabatten gibt es Zuschläge für bestimmte Ausprägungen von Leistungen, so z. B. im Theaterbereich in Form von deutlichen Eintrittspreiserhöhungen bei Premierenveranstaltungen. Bei der Gewährung von Nachlässen muss ein höherer Absatz erreicht werden, um einen konstanten Deckungsbeitrag zu erhalten. Daher sollte jeder (spontane) Preisnachlass zuvor auf die Schädlichkeit für den Deckungsbeitrag überprüft werden. Bei Dienstleistungen ist es in diesem Zusammenhang wichtig, die variablen Kosten als Grundlage für die Berechnung von Deckungsbeiträgen zu ermitteln (vgl. Schäfer / Vermeulen 1996).Während sich bei materiellen Produkten die kostenträgerabhängigen Einsatzkosten in aller Regel einfach bestimmen lassen, ist dies bei Dienstleistungen nicht immer der Fall. Hier muss das Marketing-Controlling die erforderlichen Informationen zusammentragen und Rechengrößen ermitteln, die den Einsatz von Instrumenten der Deckungsbeitragsrechnung und damit eine solide Rabattpolitik ermöglichen. Über die Beeinflussung von Kreditbedingungen wird üblicherweise gezielt die Kaufkraft der Kunden gestärkt, um diese früher oder überhaupt erst zum Kauf zu bewegen. Entsprechende Instrumente in der Wirtschaft sind bspw. Lieferanten- und Konsumentenkredite, Leasing oder Factoring. Die Absatzkreditpolitik kommt im Kulturbereich nur bei größeren Preispaketen zum Tragen, bei Abonnements oder bei Studienreisen, sie sind derzeit häufig bei Studiengängen beobachtbar. Hier werden zinsgünstige Finanzierungsangebote, bei denen nur geringe oder gar keine Zinsen gezahlt werden, angeboten. Oder es wird eine Ratenzahlung eingeräumt. Bei der Gestaltung der Zahlungsbedingungen sollten die Besonderheiten, die Kulturbetriebe als „Dienstleistungsanbieter“ auszeichnen, Berücksichtigung finden. So führt zum Beispiel die Nichtinanspruchnahme einer bestellten oder bereits bezahlten Dienstleistung wie etwa einer Theateraufführung zum „Verfall“ dieser Leistung, da aufgrund der Nichtlagerfähigkeit von Diensten keine Möglichkeit besteht, sie für eine spätere Nutzung „aufzubewahren“. Somit sind auch im Interesse des Kunden Vereinbarungen über Rücktrittsmöglichkeiten, etwa mit Abstandszahlungen, und Ähnliches zu treffen. Insgesamt ist bei der Gestaltung der Zahlungsmodalitäten zu beachten, dass aufwändige oder langwierige Vorgänge die Wahrnehmung der Gegenleistung des Kunden beeinflussen. Deshalb sollten sie so weit wie möglich vereinfacht werden, z. B. indem dem Kunden vielfältige Zahlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (Kreditkarten, Internetbanking). Neben dem Einsatz von Kontaktpersonen zur direkten Vermittlung von Veranstaltungstickets z. B. in Schulen und Betrieben kann in erster Linie ein modernes Kassenwesen von Kulturbetrieben dazu beitragen, die dem Besucher durch den Kartenkauf entstehenden zeitlichen, physischen und psychischen Kosten zu minimieren.
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4
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Besonderheiten der Preisfindung im Kulturbetrieb
Der öffentlich subventionierte Kulturmarkt stellt in der Regel einen Markt dar, in dem kostendeckende Preise hoch sind. Da der Staat, die Länder und Gemeinden sich jedoch verpflichten, Kunst und Kultur zu fördern, werden die Kultureinrichtungen durch öffentliche Zuwendungen und Förderungen subventioniert. Damit die Bürger, die das kommunale Kulturangebot in stärkerem Maße als andere beanspruchen, an den Kosten der Kultur beteiligt werden können, erheben die Kommunen Eintrittspreise für die Kulturleistungen. Die Höhe dieser Eintrittspreise wird aus wirtschafts- und finanzpolitischen Erwägungen einerseits und kulturpolitischen Überlegungen andererseits ermittelt. In der Regel müssen die Preise und Preissysteme der kommunalen Kultureinrichtungen vom jeweils betroffenen Stadtrat verabschiedet werden (Gebührensatzung). Bei der Verabschiedung werden dabei die Vorschläge der Kultur schaffenden Institutionen und des kommunalen Kulturausschusses berücksichtigt. Diese Praxis ist unabhängig von der rechtlichen Verfasstheit eines Kulturbetriebes gegeben. Auch rechtlich verselbständigte Kulturbetriebe mit eigener Rechtspersönlichkeit unterliegen in der Regel über einen politisch besetzten Regelkreis in den Gremien (Gesellschafterversammlung, Vorstand, Aufsichtsrat, etc.) einer (preis-)politischen Aufsicht. Diese Prozesskette schränkt den Aktionsradius für preispolitische Maßnahmen im Kulturbetrieb radikal ein, weil die Abhängigkeit politischer Beschlüsse keine kurzfristigen Preisanpassungen ermöglicht. Für die Kulturbetriebe bzw. ihre Geschäftsführungen bedeutet dies, dass im Rahmen der preispolitischen Strategieplanung andere Aspekte mitgedacht werden müssen, damit eine größtmögliche Preisflexibilität auf marktseitige Entwicklungen im alltäglichen Kulturbetrieb auch angesichts der politischen und institutionellen Rahmenbedingungen möglich bleibt. Die Lösung des Problems sind zumeist Gebührenordnungen, in denen die Variabilität der Preisspannen bis kurz vor der Sinnfrage ausgereizt wird, also bis die Politik sich fragt, was die Gebührensatzung eigentlich soll.
4.1
Beobachtbare Preissysteme in Kulturbetrieben
Im Folgenden werden globale Modelle von Preissystemen in Kultureinrichtungen dargestellt. Diese zeigen, dass es durchaus Ansatzpunkte für preisstrategische Überlegungen im Sinne der Preisvariation oder der Preisdifferenzierung gibt. In allen Kultureinrichtungen werden ermäßigte Preise für Schüler, Studenten, Wehr- und Zivildienstleistende oder Auszubildende, Senioren oder körperlich beschädigte Personen gewährt. Diese Form der Preisdifferenzierung wird daher nicht jedes Mal eigens erwähnt. Theaterpreissysteme Theaterpreise sind derzeitig typischerweise in verschiedenen Dimensionen gestaffelt.
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Preisstrategien in Kulturbetrieben
Mögliche Dimensionen der Staffelung sind die Platzgattung, die Werkgattung, die Spielstätten oder die Abnahmemenge. Die Platzgattung bezieht sich auf die infrastrukturell gegebenen Merkmale der Spielstätte. Typische Unterscheidungen sind Parkett vorne, Parkett Mitte, Parkett hinten, Rang Seite, Rang Mitte oder Rang 1, Rang 2, usw. Hohe Preise werden üblicherweise im Parkett und im 1. Rang Mitte erhoben. Die höheren Preise rechtfertigen sich über bessere akustische oder visuelle Merkmale der Plätze. Meistens werden über die Werkgattung nach Kategorien (A, B, C, usw.) noch innerhalb der Häuser Preise unterschieden. Die Bildung der Kategorien ist dabei häufig nicht ganz transparent. Grundsätzlich werden größere bzw. neuere Produktionen, z.B. Premieren, höher eingestuft als kleinere oder ältere, z.B. Wiederaufnahmen. De facto ergibt sich daraus eine Unterscheidung nach Sparten, denn Musiktheaterproduktionen sind in der Regel „größer“ als Schauspielproduktionen, weil durch die Beteiligung der großen Kollektive Orchester und Chor ein erheblich höherer Personalaufwand betrieben wird. Die Staffelung der Preise über Spielstätten kann ebenfalls im Rahmen Kategoriebildung erfolgen. Manchmal werden auch eigene Preise für separate Spielstätten ausgegeben. Schließlich ist eine Staffelung über die Absatzmenge möglich. Dahinter verbergen sich die Theater-Abonnements. Die Abonnement-Systeme der Theater sind dabei teilweise extrem komplex geworden. Ein Angebot von 15 bis 20 unterschiedlichen Abonnement-Reihen im Theater ist keine Seltenheit. Die Abonnements schwanken in der Regel zwischen vier und zehn Theaterkarten. Damit wird ein Rabatt von etwa 20% bis 30% gewährt. Museumspreissysteme In Museen sind die Dimensionen der Differenzierung ähnlich breit angelegt. Es kann differenziert werden nach Besuchshäufigkeit, Aufenthaltsdauer, Leistungsumfang oder Besuchergruppen. Die Besuchshäufigkeit richtet sich auf die Möglichkeit, ein Einzelticket oder eine Dauerkarte zu erwerben. Einzeltickets gelten normalerweise für den Tag, an dem sie gelöst wurden. Eine Dauerkarte kann monats-, quartals- oder jahresweise befristet werden. Sie bedeutet einen Festpreis, zu dem ein Zutritt zum Museum innerhalb der Öffnungszeiten immer möglich ist. Ein Zutritt zu einem Museum kann zeitlich befristet werden. Moderne Ticketing-Systeme mit Magnetstreifen erlauben den Zutritt zu einem Museum erst ab einem bestimmten Zeitpunkt. Auf diese Weise kann der Besucherstrom reguliert werden. Eine weitere Strategie ist die Untergliederung der Gesamtausstellung eines Museums in abgeschlossene Teilbereiche. Damit kann der Leistungsumfang mit Hilfe der Tickets variiert werden kann. Normalerweise werden Dauer- und Sonderausstellungen getrennt. Große Museen wie beispielsweise das Deutsche Museum in München könnten beispielsweise verschiedene Bereiche als separate Ausstellungen konzipieren, so dass individuelle Eintrittspreise erhoben werden könnten. Dauerkarten können dann entweder nur die Dauerausstellung umfassen oder den gesamten Leistungsumfang.
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Auch Museen differenzieren ihre Preise in Abhängigkeit von Absatzzahlen. So sind Familien- und Gruppenrabatte ein gängiges Instrument für die Gewährung von absatzmengenbezogenen Rabatten. Preissysteme von Konzert- und Veranstaltungshallen Die Möglichkeiten der Preissystemgestaltung in Konzert- und Veranstaltungshallen unterscheiden sich kaum von denen eines Theaters. Die Dimensionen der Staffelung sind ebenso die Platzgattung, die Werkgattung, die Spielstätten oder die Abnahmemenge. Werkgattungen sind dabei in Konzert- und Veranstaltungshallen nicht spartenweise, sondern innerhalb der Sparte „Konzerte und Veranstaltungen“ nach Sinfonie-, Kammer-, Chorkonzerte, Kammermusik, Galas, Shows, usw. differenzierbar. Auch innerhalb dieser Teilsparten sind spielstättenbezogene Preise oder Abonnement-Zirkel möglich. Preissysteme sonstiger Kulturanbieter Andere Kulturanbieter haben weniger geschlossene Preissysteme. Sie berechnen Preise vorwiegend situativ und in Abhängigkeit des jeweiligen Veranstaltungserfolges. Veranstaltungen sind dabei freie Theaterveranstaltungen, Kabarett- und Comedyprogramme, Seminare und Kurse, Ausstellungen, gastronomische Angebote und Diskotheken.
4.2
Mögliche Preisstrategien in Kulturbetrieben
Der Preis hat im Kulturbetrieb eine andere Funktion als im kommerziellen Wirtschaftsleben. Der Eintrittspreis einer Kultureinrichtung bildet weder einen makroökonomischen Marktpreis noch einen mikroökonomischen Produktionspreis ab, sondern stellt einen – eher willkürlichen – Deckungsbeitrag zu den Gesamtkosten des Betriebes dar. Vor dem Hintergrund der tatsächlichen Kostenstruktur eines Theaterbetriebes müsste man daher feststellen, dass die Subvention eine dauerhafte Diskontpreisstrategie in Kultureinrichtungen ermöglicht. Die kontinuierliche Subventionierung von Theatern hat jedoch im Bewusstsein der tatsächlichen und potenziellen Theaterbesucher dazu geführt, dass die Theaterpreise gesamtheitlich als Marktpreise wahrgenommen werden und eine drastische Preiserhöhung somit sofort den Anschein einer Premium- oder Abschöpfungspreispolitik bekommt. Aus Marketingsicht sind signifikante Preiserhöhungen nur möglich, wenn mit ihnen eine Leistungsanpassung erfolgt. Da das Theater in seiner möglichen Vielfalt als die komplexeste Kultureinrichtung betrachtet wird, werden die preispolitischen Optionen im Folgenden anhand eines (großen) Theaterbetriebes systematisch vorgestellt. Theater bespielen in der Regel verschiedene Spielstätten mit verschiedenen Sparten. Außerdem gibt es die Möglichkeit, das Leistungsniveau einer Veranstaltung durch zusätzliche Leistungen wie gastronomische Angebote, Bildungsveranstaltungen, etc. zu überformen.
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Preisstrategien in Kulturbetrieben
Möglichkeiten der Preisvariation im Theater • Diskontpreise Diskontpreise ("Sonderangebote", "Billigpreissegmente") sind angesichts der sowieso subventionierten Preise innerhalb der Kulturlandschaft selten. Für solche Preise bieten sich Produktionen an, die in früheren Spielzeiten bereits erfolgreich gelaufen sind und ohne großen Aufwand wieder aufgenommen werden können. Es muss allerdings absehbar sein, dass eine hohe Auslastung dieser Produktionen den niedrigen Diskontpreis rechtfertigt. • Premiumpreise Im Theater ist das Besondere mit dem Neuen oder dem gesellschaftlich Hochstehenden verbunden. Premiumpreise ("Exklusivpreise", "Topzuschläge") bieten sich für Einzelproduktionen an, Premieren, Ur- oder Erstaufführungen oder besondere Besetzungen (Startenöre, Starschauspieler etc.). Darüber hinaus sind bestimmte saisonal-spezifische Theaterprodukte (z.B. Fledermaus zu Sylvester, die Zauberflöte zu Weihnachten, Parsival an Karfreitag) gesellschaftlich hoch stehende Anlässe, um ein Angebot im Premiumbereich zu platzieren. Im Bereich der Abonnements muss der höhere Preis auch dauerhaft durch eine hochwertigere Leistung gerechtfertigt werden. Für Premieren-Abonnements ist diese Preisakzeptanz erfahrungsgemäß gegeben. Das Theatermarketing ist darüber hinaus gefragt, solche Produktvarianten zu entwickeln, für die auch aus Sicht anderer Publikumssegmente ein höheres Leistungsniveau dauerhaft etabliert wäre (z.B. über Star-Theater). Die Premiumpreis-Strategie ist die Strategieform, die im Kulturbereich intensiver verfolgt werden könnte. Langfristig steht dahinter, dass sich das Preis-Leistungsbewusstsein in den Köpfen des öffentlichen Publikums verändert. • Penetrationspreise Penetrationspreise zielen auf Marktdurchdringung. Neue Besuchergruppen sollen erschlossen, breitere Kreise angesprochen werden. Penetrationspreise können im Theater und anderen Kultureinrichtungen vornehmlich über so genannte „Schnupper-Angebote“ realisiert werden. Die Idee dabei ist, dass dem Publikum eine Phase der Gewöhnung eingeräumt wird. Niedrige Einstiegspreise sollen den Besucher ins Theater ziehen, damit er dort auf den Geschmack kommt. Dabei muss für komplexe Kulturgüter ein verhältnismäßig langer Gewöhnungszeitraum eingeplant werden. In diesem Sinne können bestehende Ermäßigungen für Schüler und Stundenten zumindest im Nebeneffekt als Ausdruck einer Penetrationspreisstrategie interpretiert werden. Aus preispolitischen Erwägungen heraus ist jedoch zu prüfen, inwiefern die Inanspruchnahme reduzierter Preise sich auf das Besucherverhalten der Berechtigten auswirkt, sobald sie die Vergünstigung nicht mehr in Anspruch nehmen dürfen. Auch wenn es kulturpolitisch richtig ist, Vergünstigungen für Schüler und Studenten auszusprechen, so kann es sich erweisen, dass es preispolitisch besser wäre, Familien stärker zu fördern, weil auf diese Weise die Eltern durch ihre Funktion als Erziehende in stärkerem Maße auf das Theater aufmerksam gemacht würden.
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• Abschöpfungspreise Die Abschöpfungspreisstrategie ist die gewöhnliche Strategie der Theater. Sie wird offensichtlich durch die Tatsache, dass vielfach im letzten Moment Karten zu Stehplatzpreisen abgegeben werden. Die Gefahr der Abschöpfungspreisstrategie besteht darin, dass eine hohe Grundauslastung die Voraussetzung dafür darstellt, dass das System nicht ausgenutzt werden kann. Ist nämlich bekannt, dass die gesamte Restnachfrage noch kurz vor Beginn der Vorstellung bedient werden kann, so entfällt die Notwendigkeit, den hohen Abschöpfungspreis zur Sicherung eines Zutritts in Kauf zu nehmen. Das Problem kann in Kombination mit der räumlichen Differenzierung der Preise innerhalb einer Aufführung in Preiskategorien teilweise entschärft werden, weil eben die „guten Karten“ schneller knapp werden und deshalb ein zusätzlicher Anreiz besteht, den Abschöpfungspreis zu zahlen. Eine Übertragung der genannten Preisvariationen auf andere Kultureinrichtungen ist leicht möglich. Möglichkeiten der Preisdifferenzierung im Theater Preisdifferenzierung kann im Rahmen horizontaler Differenzierung zwischen Käuferschichten in je anderem Verwendungszusammenhang und vertikaler Differenzierung zwischen klar abgrenzbaren Teilmärkten erfolgen. So werden räumliche, zeitliche, materielle und absatzmengenbezogene Arten der Preisdifferenzierung unterschieden. Um die Preisdifferenzierung systematisch auf einen Theaterbetrieb anwenden zu können, ist es notwendig, die horizontalen und vertikalen Dimensionen einer Marktsegmentierung zu identifizieren. Verschiedene Käuferschichten (horizontale Preisdifferenzierung) können im Theater wie folgt ausgemacht werden: Das private Publikum aller Einzelbesucher kann noch einmal unterschieden werden nach sporadischen Theaterbesuchern und Theaterabonnenten. Neben den Einzelbesuchern gründen sich in vielen Städten und auch in ländlichen Regionen Besucherorganisationen, die als Zwischenhändler im größeren Stil Theaterkarten erwerben und dann weiterverkaufen. Die Theatergemeinden in Köln und Bonn kaufen beispielsweise erhebliche Kontingente aller Theaterveranstalter auf und stellen ihr eigenes Portfolio zusammen. Einigen Theatern gelingt erfolgreich, größere Theaterkartenkontingente bzw. ganze Theaterveranstaltungen komplett an Unternehmen oder andere Veranstalter zu verkaufen. Die vertikale Ebene ist im Kulturbetrieb nur schwer zu differenzieren, weil die Kulturdienstleistungen erfordert, dass das Publikum zum Produzenten kommt. Unterschiedliche Distributions-, Transport- oder Lieferkosten, die beispielsweise den Spielraum für regionale Preisdifferenzierungen auf unterschiedlichen Teilmärkten bieten, tragen die Kunden. Anders verhält es sich, wenn ein Theater oder Ensemble mit einer Produktion auf Wanderschaft geht und es als Gastspiel an unterschiedlichen Häusern anbietet. Dabei wäre eine Differenzierung der Preise möglich.
202
Preisstrategien in Kulturbetrieben
Innerhalb eines Marktes ist es vorstellbar, dass eine vertikale Teilung des Marktes durch die Spielstätten, die Sparten oder durch unterschiedliche Leistungsniveaus möglich ist. Dies setzt allerdings voraus, dass die Produktpolitik des Theaters konsequent so ausgerichtet wird, dass eine vertikale Teilung des Marktes, d.h. eine weitgehend differenzierte Produktauffassung besteht: Es werden nicht Theateraufführungen angeboten, sondern Spielstätten-, Sparten- oder leistungsniveaubezogene Produktkategorien vertrieben. Die Produktdifferenzierung wird damit zur Voraussetzung einer Preisdifferenzierung. • Räumliche Preisdifferenzierung Die räumliche Preisdifferenzierung ist im Theater über die verschiedenen Spielstätten möglich. Produktionen, die flexibel genug disponiert werden, können auf verschiedenen Bühnen – z.B. im großen und im kleinen Haus – aufgeführt werden. Ähnlich wie in Kinobetrieben kann eine Produktion dann von einem großen Saal bei im Zeitablauf nachlassender Nachfrage in einen kleineren Saal verschoben werden. Die Auswirkungen auf die Produktion sind dabei eklatant, denn es ist sicherzustellen, dass das Bühnenbild so geplant wird, dass es auch in Höhe, Breite und Tiefe sowie eventuell abweichender technischer Bühnenausstattung (Dreh-, Schiebe-, Hubelemente; Schnürboden, Züge, etc.) unterschiedlich dimensionierten und ausgestatten Bühnen eingerichtet werden kann. Auf der horizontalen Ebene ist innerhalb der einzelnen Käuferschichten eine Differenzierung nach visuellen und akustischen Bedingungen der einzelnen Sitzplätze möglich. Diese Form der Preisdifferenzierung hat sich auf breiter Basis in allen Spielstätten durchgesetzt. Gastspiele des eigenen Ensembles an fremden Spielstätten fügen sich möglicherweise in ein gegebenes Preissystem des gastgebenden Hauses ein, so dass die Preisgestaltung nicht in den Händen des auftretenden Ensembles bzw. seines Managements liegt. Es hängt dabei von der Marktmacht des reisenden Ensembles ab, ob es gegenüber dem Gastgeber eine hohe Gage durchsetzen kann, die dann sicherlich auch vom Veranstalter partiell an das Publikum weitergegeben wird. Die Möglichkeiten der Preisdifferenzierung erscheinen angesichts der aktuellen Spielpraxis in diesem Bereich allerdings beschränkt. • Zeitliche Preisdifferenzierung Die zeitliche Preisdifferenzierung am Theater kann über Tageszeiten oder Wochentage erfolgen. Schwächer ausgelastete Wochentage können mit niedrigen Preisen belegt werden. Ebenso ist es denkbar, Nachmittagsveranstaltungen oder sogar Matineen zu anderen Preisen anzubieten. Ob dabei ein tendenziell höherer oder ein niedrigerer Preis zu erheben ist, muss von der Nachfrage abhängig gemacht werden. Im Rahmen der flexiblen Preisvariationen können Preise über die Zeit differenziert werden. Bekannt ist ein Frühbucherrabatt, wer sich früh zum Kauf entscheidet zahlt weniger. Es gibt aber auch die Preisstrategie, bei der den ersten Käufern höhere Preise abverlangt werden. Diese Strategie setzt voraus, dass ein Ausverkauf der angebotenen Kapazitäten wahrscheinlich ist. Andernfalls wird jeder Besucher erst „last-minute“ kaufen, weil er weiß, dass immer Restkarten zum niedrigen Preis übrig bleiben. Auf der horizontalen Differenzierungsebene können zeitlich differenzierte Preise in allen Segmenten angeboten werden. Für Großkunden, die das Theater für eigene Veranstaltungen
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mieten wollen, ist dabei insbesondere auf die Spielzeitpause zu verweisen. Es ist dann möglich, das Haus auch außerhalb der Spielzeit mindestens teilweise auszulasten. • Materielle Preisdifferenzierung Die materielle Preisdifferenzierung kann am deutlichsten über das Leistungsniveau einer Theateraufführung zur Anwendung gebracht werden. Die Premiere stellt dabei ein prinzipiell gleiches Produkt gemessen an den weiteren Aufführungen einer Inszenierung dar. Dennoch umfasst die Aura des Neuen auch eine höhere Zahlungsbereitschaft. Weitere Leistungsniveau-Variationen können über die akzidentiellen Angebote eines Theaters (Service, Zusatzveranstaltungen, Shop, Gastronomie, usw.) erbracht werden. Opernbälle, Theatergalas, Sonderproduktionen, Star-Auftritte, usw. sind Anlässe und Möglichkeiten, über die akzidentiellen Ausstattungsmerkmale eines Theaterabends das Leistungsniveau anzuheben und einen höheren Eintrittspreis zu erheben. • Preisdifferenzierung über die Absatzmenge Die Preisdifferenzierung über die Absatzmenge ist die verbreiteste Form der Preisdifferenzierung im Theater. Bei Abonnements und Gruppentarifen sowie für Großabnehmer von Kartenkontingenten werden Rabatte gewährt.
5
Literatur
Benkert, W. / Lenders, B. / Vermeulen, P. (Hrsg.): KulturMarketing - den Dialog zwischen Kultur und Öffentlichkeit gestalten, Stuttgart et al. 1995 Felton, M. V.: On the assumed inelasticity of demand for the performing arts, in: Journal of Cultural Economics, 16. Jg., H. 1, June 1992 Hilger, H.: Marketing für öffentliche Theaterbetriebe, Frankfurt am Main 1985 Hoegl, C.: Ökonomie der Oper, Grundlagen für das Musiktheater-Management, Bonn 1995 Nieschlag, R. / Dichtl, E. / Hörschgen, H.: Marketing, 17. Auflage, Berlin 1994 Pepels, W.: Einführung in das Preismanagement, München et al. 1998 Schäfer, K. / Vermeulen, P.: Das Theater als Betrieb - Controllingmodell am Beispiel des Nationaltheaters Mannheim“, Stadt Mannheim (Hrsg.), Unna 1996 Wöhe, G.: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 17. Auflage, München 1990
Bernd Ahrendt
Distributionspolitik 1
Einleitung
2
Die Distributionspolitik im Rahmen des Marketing
2.1
Gegenstand und Ziel der Distributionspolitik
2.2
Die Fragepronomen der Distributionspolitik
3
Absatzwege im kulturellen Bereich
3.1
Die Partner in einem Distributionssystem
3.2
Die direkten Absatzwege
3.3
Die indirekten Absatzwege
4
Zusammenfassung
5
Literatur
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Distributionspolitik
1
Einleitung
In den letzten Jahren hat das Marketing im Kulturbereich mit seinen spezifischen Rahmenbedingungen eine größere Aufmerksamkeit in der Forschung gewonnen. Während dabei der Fokus sowohl auf strategischen Fragestellungen als auch innerhalb des Marketing-Mix auf der Kommunikation-, Produkt- und Servicepolitik sowie Preispolitik lag, fehlt bisher eine intensivere Analyse der Distributionspolitik. Das erstaunt umso mehr, als dass auch dieser Bereich gerade mit Blick auf die hohe Bedeutung des Kundenbindungsmanagements einen wichtigen Beitrag zu einem erfolgreichen Kulturmarketing leisten kann. Der folgende Beitrag hat es sich daher zum Ziel gesetzt, eine grundlegende Systematisierung der Distributionspolitik einzuführen, die die Besonderheiten des Kulturbereiches berücksichtigt. Hierzu werden zwei Schwerpunkt gebildet, die aufeinander aufbauen: Zunächst werden die Grundlagen der Distributionspolitik erläutert, um auf dieser Basis potentielle Absatzwege vorzustellen. Um diesen grundlegenden Überlegungen ausreichenden Raum zu gewähren, wird auf eine Darstellung der Bedeutung der Distributionspolitik im Rahmen eines Kundenbindungsmanagement verzichtet; auf die hierzu relevante Literatur wird verwiesen.
2
Die Distributionspolitik im Rahmen des Marketing
2.1
Gegenstand und Ziel der Distributionspolitik
Gegenstand der Distributionspolitik ist die Gestaltung und Steuerung der Überführung einer Leistung vom Leistungsersteller zum Nachfragenden (Käufer; Abnehmer; Kunde); Aufgabe des Leistungserstellers ist es demnach, die geeignetsten Wege ausfindig zu machen, auf denen seine kulturelle oder künstlerische Leistung zum Kunden kommt (Absatzwege) (vgl. Klein 2005, S. 385). Hierbei treten Lücken auf – insbesondere bezüglich der Zeit, des Ortes und der Besitzverhältnisse –, die der Leistungsersteller füllen muss. Sein Ziel ist es, eine Verbindung zwischen sich und dem Käufer herzustellen, die lückenlos ist und (dauerhaft) funktioniert. Auf diese Weise entscheidet er sich für bestimmte Absatzwege. Die hierbei zu treffenden Entscheidungen können auf folgende Frage konzentriert werden: • • • • • •
Wer (Leistungsersteller) will wem (Abnehmer) was (Art der Leistung) wann (zu welchem Zeitpunkt und innerhalb welcher Zeitspanne) wo (an welchem Ort) wie (in ausreichender Menge und Qualität) zum Kauf anbieten?
Bernd Ahrendt
207
Die Distributionspolitik konzentriert sich also auf diese Fragepronomen, die – im Rahmen des Marketing-Mix – eingehend und individuell zu analysieren sind, da sonst die Gefahr besteht, dass die Leistung unter Umständen keinen oder zu wenige Käufer findet.53 Dabei gilt es stets, die Effizienzbedingung zu beachten: Die Kosten, die mit der Bedienung des Abnehmers verbunden sind, sind so gering wie möglich zu halten.
2.2
Die Fragepronomen der Distributionspolitik
Wer? Beim Leistungsersteller handelt es sich um jene natürliche oder juristische Person, die die Leistung erzeugt (Hersteller; Produzent) oder anbietet (Leistungsanbieter). Seine Finanzkraft bilden die Rahmenbedingungen hinsichtlich der Auswahl von Absatzwegen. Ferner spielen auch andere demographischen Merkmale (etwa Standort, Größe, aktuelle Absatzwege) und psychographische Eigenschaften (z.B. Risikoneigung, Präferenzen, Marketingerfahrungen, Distributions-Know-How, Image) des Leistungserzeugers oder -anbieters eine Rolle. Im kulturellen Bereich sind die Leistungsersteller und -anbieter äußerst heterogen und schwanken zwischen einer einzelnen natürlichen Person und mehreren juristischen Personen. Im Folgenden wird aus Praktikabilitätsgründen die Unterscheidung zwischen Leistungsersteller und -anbieter aufgehoben und nur dann herausgestellt, wenn es zweckdienlich erscheint. Wem? Unter dem Käufer versteht man jene Person, die eine Leistung nachfragt, wobei zu beachten ist, dass ein Käufer mit dem Benutzer des Produktes nicht identisch sein muss. Da es „den“ Abnehmer nicht gibt, muss sich ein Leistungsanbieter mit den verschiedenen Kundenwünschen auseinandersetzen, die aus den jeweiligen Lebenssituationen, Denk- und Verhaltensweisen der potentiellen Abnehmer resultieren können. Aufgrund der in der Regel stark differenzierten Kundenwünsche ist es dabei für einen Anbieter unvorteilhaft, ein einheitliches Leistungsangebot auf den Markt zu bringen. Vielmehr sollte er versuchen, die tatsächlichen und potentiellen Abnehmer in Zielgruppen zu segmentieren, um diesen dann maßgeschneiderte Leistungen anzubieten. Zielgruppen werden häufig durch soziodemographische Merkmale (etwa Art, Anzahl, Kaufkraft, geographische Verteilung), psychographische Eigenschaften (z.B. Einkaufsgewohnheiten, Informationsverhalten) sowie Besitz- und Verbrauchmerkmale beschrieben (vgl. Schmalen 2002, S. 369ff.).
53
Daneben existieren weitere Einflussfaktoren (etwa die allgemeine wirtschaftliche Lage, soziale oder kulturelle Veränderungen sowie ein besonders leistungsfähiges Distributionssystems), auf die im Folgenden aus Platzgründen nicht eingegangen wird; auf die einschlägige Literatur wird verwiesen.
208
Distributionspolitik
Was? Eine Leistung umfasst alles, was einem potentiellen Käufer angeboten werden kann, um seine Bedürfnisse zu befriedigen (vgl. Kotler / Bliemel 2001, S. 716). Kulturelle Leistungen können grundsätzlich in Güter und Dienstleistungen unterschieden werden (für eine Gegenüberstellung vgl. etwa Meffert / Bruhn 2003, S. 28ff.). Obwohl eine Dienstleistung generell nicht stofflich ist, also weder gesehen noch gehört noch berührt werden kann, können Dienstleistungen durchaus materielle Elemente umfassen. Als Beispiel kann das Erstellen eines Werbeplakates dienen, das als Dienstleistung das (materielle) Gut „Plakat“ enthält. Gegenüber den Gütern können Dienstleistungen nicht direkt kommuniziert werden. Insofern gewinnen bei den Dienstleistungen die Glaubwürdigkeit des Leistungsversprechens und das kommunizierte Leistungspotential des Anbieters bei der Kaufentscheidung an Bedeutung. Weiterhin hängt die Qualität der Leistung im kulturellen Bereich von den Fähigkeiten und der Motivation des Herstellers ab. Das wird gerade bei den Dienstleistungen deutlich, bei denen die Qualität im Zeitablauf schwankt. Einerseits kann genau diese Schwankung der Erwartungshaltung eines Käufers entsprechen (etwa bei dem mehrmaligen Besuch eines Theaterstückes), andererseits kann es aber auch dazu führen, dass der Käufer mit der erbrachten Leistung unzufrieden wird, sofern nicht bestimmte Mindestanforderungen eingehalten werden. Grundsätzlich gilt daher, dass die Qualität der Leistung gerade im kulturellen Bereich ein wichtiger Erfolgsfaktor ist, der sich auf den Distributionserfolg auswirkt. Zu beachten ist hierbei, dass die Qualität durch den Käufer definiert wird, was folgende Überlegung deutlich macht: Eine Leistung besteht immer aus einem bestimmten Bündel von Eigenschaften. Diese Eigenschaften sind zunächst objektiver, d.h. technisch-konstruktiver Natur. Häufig weicht jedoch die Eigenschaftswahrnehmung der Abnehmer von den objektiven Eigenschaften der Leistung ab. Insofern müssen diese subjektiven Eigenschaften nicht mit den objektiven Eigenschaften übereinstimmen – sie werden es in der Regel auch nicht tun (vgl. Klein 1999, S. 7). Als Beispiel kann hier das Bühnenbild einer Oper dienen, das eine technisch-konstruktive Eigenschaft der Leistung „Opernaufführung“ ist. Inwiefern sie den Zuschauern gefällt, ist eine subjektive Eigenschaft. Für den Distributionserfolg einer Leistung sind ausschließlich die von den potentiellen Abnehmern subjektiv wahrgenommenen Eigenschaften einer Leistung entscheidend. Die Distributionspolitik muss sich daher auf diese Eigenschaften fokussieren (vgl. Kotler et al. 2007, S. 633ff.). Wann? Mit dem Zeitpunkt und der Zeitspanne der Leistungserstellung werden vor allem die Fragen aufgeworfen, wann es aus absatzorientierter Betrachtung am günstigsten ist, die Leistung zu erbringen, und wie lange sie dauern soll. Auf dem ersten Blick scheinen diese Fragen Selbstverständlichkeiten aufzugreifen, bei der es keiner weiteren Erklärung bedarf. Es haben sich in der Praxis bestimmte Gewohnheiten herausgebildet, die allgemein anerkannt sind und von allen Beteiligten (Leistungsersteller, Leis-
Bernd Ahrendt
209
tungsanbieter und Abnehmer) akzeptiert werden. Allerdings können sich Gewohnheiten ändern, und aus ökonomischen Gründen sollte sich ein Leistungsersteller bzw. -anbieter in regelmäßigen Abständen prüfen, ob er mit der getroffenen Wahl seines Zeitpunktes und der Zeitdauer die Absatzwege effizient nutzt. Im Fall einer Dienstleistung hängt der Zeitpunkt zunächst vom Produzenten selbst ab. Nur in dem Fall, dass er den Willen und die Fähigkeit besitzt, die Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erbringen, kann die Leistung überhaupt realisiert werden. Aber auch hier müssen die Interessen der Abnehmer berücksichtigt werden, wann diese eine Leistung erwerben können respektive wollen. Auch hierbei spielen wieder die Bereitschaft und die Fähigkeit eine Rolle. Ebenso spielt bei Dienstleistungen auch die Zeitspanne (Dauer der Leistung; Zeitraum) eine Rolle. Dieses betrifft aus Sicht des Abnehmers zum einen die Länge der Dienstleistungserstellung, zum anderen die Öffnungszeiten (vgl. Klein 2005, S. 388 und Klein 1995, S. 17). Die Frage der Öffnungszeiten betrifft den zeitlichen Zugang zu der Leistung. Diese sind aus absatzorientierter Sicht so zu gestalten, dass möglichst viele Abnehmer erreicht werden. Dabei betrifft diese Frage sowohl die Dauer als auch die Zeitpunkte der Öffnungen. Ein Abnehmer wird nur dann das Angebot annehmen, wenn er dazu zeitlich willens und in der Lage ist. Weitere zeitliche Aspekte beziehen sich auf den Betrachtungszeitraum (unterschiedliche Perioden, in der Regel ein Tag, ein Monat oder ein Jahr) und auf die Länge der Leistungserstellung. Letzteres besitzt für den Hersteller dann eine Bedeutung, wenn ihm der Markt nur für eine bestimmte Periode zur Verfügung gestellt wird. Der Abnehmer wiederum muss die Dienstleistungserstellung mit seinen anderen zeitlichen Verpflichtungen in Einklang bringen. Ferner können andere Gründe (etwa Gesundheit, Erziehung) dafür sprechen, dass für ihn dieser Zeitraum zu groß ist. Auch die Häufigkeit der Leistungserstellung besitzt für eine Dienstleistung eine hohe Bedeutung, da sie nur im Moment ihrer Entstehung zur Verfügung steht und somit auch nur in diesem Zeitpunkt zu nutzen ist. Insofern ist der Leistungsersteller maßgeblich davon abhängig, dass er diese Dienstleistung immer wieder erbringen kann, da er genau hierfür bezahlt wird. Wo? Unter dem Ort der Leistungsverwertung versteht man den Markt, auf dem die Anbieter mit ihren Leistungen auf die tatsächlichen oder potentiellen Abnehmer treffen (vgl. Klein 1999, S. 7). Das Marktpotential hängt im Wesentlichen vom Interesse an der Leistung bei potentiellen Abnehmern, vom Einkommen des potentiellen Abnehmers sowie vom Zugang zum Markt des potentiellen Abnehmers (bei Berücksichtigung eventuell vorhandener, weiter einschränkender Merkmale) ab (vgl. Kotler et al. 2002, S. 251f.). Der Markt ist kein abstraktes Gebilde, sondern besteht aus den Menschen, die durch ihr Verhalten den Markt konstituieren. Dabei wird seine Größe maßgeblich durch die Abnehmer
210
Distributionspolitik
bestimmt, d.h. also dadurch, wie viele von ihnen bereit und in der Lage sind, die Leistung zu erwerben. Schließlich spielt der Zugang zum Markt eine wichtige Rolle. Eine Leistung wird nur dann seinen Abnehmer finden, wenn sie für diesen in einem vertretbaren Maße erreichbar ist. Weiterhin kann es sein, dass der Leistungsanbieter den Absatz auf bestimmte Personengruppen beschränkt (etwa Kinofilme, bei denen es eine Altersempfehlung gibt). Der Leistungsanbieter kann sich nun entscheiden, ob er diesen gesamten erreichbaren Markt bedienen oder sich auf bestimmte Marktsegmente konzentrieren will. Jener Markt, für den sich ein Anbieter letztlich entscheidend, wird auch als der vom Anbieter „bediente Markt“ bezeichnet. Im kulturellen Bereich kann der bediente Markt sowohl durch seine Art aus Sicht des Herstellers (Betreibungsart) als auch durch die Art des jeweiligen Trägers unterschieden werden. Bei der Betreibungsart stellt sich die Frage, inwiefern der Leistungsersteller den Ort der Leistungsverwertung (Rezeption) selbst unterhält oder er dazu fremde Räumlichkeiten nutzt. Bei der Art des Trägers des Marktes kann zwischen privaten oder öffentlichen unterschieden werden. Insofern ergibt sich folgende Matrix (vgl. Abb.1):
z.B. Buchhandlung
z.B. Ausstellung eines Künstlers in einem städtischen Museum
Markt 2
Markt 3
z.B. Atelier des Malers
z.B. Gewandhausorchester spielt in den eigenen Räumlichkeiten
Markt 1
Markt 4
privat
öffentlich
fremd Art der Betreibung
eigen
Art des Trägers Abb.1 Marktarten im kulturellen Bereich (eigene Darstellung)
Aus Sicht des Leistungserstellers oder -anbieters gilt: Es ist jener Markt zu wählen, der die günstigste Kosten/Nutzen-Relation aufweist. Insofern kann – aufgrund vorhandener Synergieeffekte – auch eine Kombination mehrerer Märkte in Frage kommen.
Bernd Ahrendt
3
Absatzwege im kulturellen Bereich
3.1
Die Partner in einem Distributionssystem
211
Der Markt muss nicht unbedingt mit dem Ort der Leistungserstellung übereinstimmen. Es kommt häufig vor, dass Partner eingeschaltet werden, die den Absatz übernehmen. In diesem Fall unterscheidet sich der Leistungsersteller vom Leistungsanbieter (Anbieter). Partner werden in der Regel dann eingeschaltet, wenn der eigene Vertrieb des Leistungserstellers die Leistung nicht direkt dem Abnehmer anbieten kann oder will. Die Wahl eines Absatzweges stellt eine grundlegende Entscheidung dar, soll sie doch gewährleisten, dass die Leistung nachhaltig und optimal auf die Abnehmer trifft (vgl. Kotler et al. 2007, S. 1044). Hierbei müssen die jeweiligen Absatzwege aufgebaut, gepflegt und regelmäßig auf ihre Effizienz hin geprüft werden (vgl. Klein 2005, S. 402), wobei der Wechsel von einem zum anderen Absatzweg in der Regel kurzfristig nicht möglich ist. Unter Absatzwegen versteht man das Netzwerk aller Absatzmittler und Absatzhelfern, die bei der Distribution einer Leistung zusammenwirken (vgl. Müller-Hagedorn / Schuckel 2003, S. 189f.). Absatzmittler sind rechtlich und wirtschaftlich selbständige Personen, die bei der Distribution das Eigentum an der Leistung erwerben (z.B. Groß- und Einzelhandel). Absatzhelfer sind rechtlich und wirtschaftlich selbständige Personen, die Dienstleistungen zur Weiterleitung der Leistung erbringen, hierbei aber kein Eigentum an der Leistung erwerben (z.B. Spedition). Mit der Auswahl der Anzahl der eingeschalteten Absatzmittler (Absatzstufen) ist auch die Entscheidung verbunden, inwiefern die Leistung direkt oder indirekt vertrieben werden soll. Ein direkter Vertrieb liegt vor, wenn ein direkter Kontakt zwischen den Absatzorganen des Produzenten und dem Abnehmer besteht. Bei einem indirekten Vertrieb wird mindestens ein Absatzmittler in den Absatzweg eingeschaltet. Absatzmittler sind im kulturellen Bereich weit verbreitet. Dabei ist das Spektrum aufgrund der Vielfältigkeit des kulturellen Bereiches entsprechend groß. Der Vorteil des direkten Absatzes liegt darin, dass der Leistungsanbieter in diesem Fall die gesamte Kontrolle über das Absatzgeschehen besitzt. Dadurch kann er relativ schnell auf Veränderungen reagieren. Ferner kann er mit dem Abnehmer direkt kommunizieren, wodurch er Informationen für sein Marketing erhält, die er im Falle indirekter Absatzwege unter Umständen nicht erhalten hätte. Ein weiterer Vorteil ist die Ersparnis der Handelsspanne, die der Leistungsersteller ansonsten an die Absatzmittler zu zahlen hätte. Schließlich ist auch zu beachten, dass bei dem indirekten Absatz mit steigender Stufenanzahl der Einfluss des Leistungserstellers vermindert wird und sich die Komplexität des Distributionssystems erhöht. Andererseits ist der absatzorganisatorische Aufwand beim direkten Absatz deutlich höher. Dabei besteht der Vorteil des indirekten Absatzes darin, dass die Absatzmittler bestimmte Dienste für den Hersteller übernehmen können, die ihm sonst versagt blieben: So kann das Preisrisiko auf den Absatzmittler übertragen werden. Ferner kann der Absatzmittler einen Teil der Lagerhaltung übernehmen. Der Absatzmittler könnte des weiteren die Aufträge
212
Distributionspolitik
sammeln und sie gebündelt an den Leistungsersteller weitergeben, was zu geringeren Kosten in der Leistungsabgabe führen würde. Schließlich kann der Absatzmittler bestimmte Serviceleistungen gegenüber dem Abnehmer übernehmen und entlastet auf dieses Weise den Leistungsersteller. Es wird deutlich, dass die Vorteile des einen die Nachteile des anderen sind. Für den Leistungsersteller ist es somit für den Erfolg seines Absatzes von entscheidender Bedeutung, sich zu überlegen, ob und welche Absatzmittler er einschalten möchte. Hierbei sollte er sich folgende Fragen stellen: • • •
Welche Distributionspartner kommen in Frage? Wie viele Distributionspartner kommen pro Absatzweg in Frage? Wie sollen die Konditionen und sonstigen Verpflichtungen gestaltet werden?
Zu beachten ist schließlich wiederum die Leistungsart. Aufgrund der Besonderheiten von Dienstleistungen sind ihre Absatzwege in der Regel kürzer, ein direkter Absatz kommt bei ihnen viel häufiger vor. Partner haben bei ihnen im Allgemeinen die Funktion von Maklern oder Agenten. Insgesamt ist daher bei Dienstleistungen die Zahl der möglichen Optionen bei der Wahl von Absatzwegen geringer als bei einem Gut, obgleich Gestaltungsspielraum vorhanden ist (vgl. Hill / Rieser 1993, S. 267f.). Im Folgenden werden wichtige direkte und indirekte Absatzwege kurz vorgestellt.
3.2
Die direkten Absatzwege
Verkaufsraum Der Verkaufsraum (Point of Sale) ist eine geographische Einrichtung des Leistungserstellers, an dem er seine Leistungen präsentiert, damit sie vom Abnehmer direkt erworben werden können. Dabei wird der Käufer über die Eindrücke, die er aufgrund der Ausgestaltung des Verkaufsraumes erhält, stark beeinflusst. In diesem Sinn kommuniziert der Leistungsersteller über die Gestaltung des Verkaufsraumes mit seinen Kunden. Dabei lassen sich drei Gestaltungsbereiche unterscheiden: die Einkaufsatmosphäre, die Bildung und Anordnung von Platzierungseinheiten und die Zuteilung von Flächen- und Regalkapazitäten (vgl. MüllerHagedorn 2005, S. 398). Ziel der Gestaltung der Einkaufsatmosphäre ist die Auslösung spezifischer emotionaler Reaktionen beim Abnehmer, die zu einer größeren Kaufwahrscheinlichkeit führen soll. Dabei kann zwischen der gegenständlichen und der nicht gegenständlichen Gestaltung unterschieden werden. Die gegenständliche Gestaltung bezieht sich auf die Anordnung der materiellen Faktoren im Verkaufsraum, etwa der Anordnung der Warenträger und Dekorationsmittel. Unter der nicht gegenständlichen Gestaltung versteht man die Art und Weise, wie immate-
Bernd Ahrendt
213
rielle Faktoren den Seh-, Hör-, Riech- und Tastsinn ansprechen. Hierzu zählen die verwendeten Farben, die Beleuchtung, Düfte sowie die Hintergrundmusik. Ticketing54 Eintrittskarten (Tickets) verbriefen das Recht zur Teilnahme an einer Dienstleistung. Da das Ticket ein materielles, handelbares Gut ist, kann es bereits vor Erbringung der Dienstleistung gehandelt und leicht transportiert werden [zu den Funktionen des Tickets (vgl. Trippe 2003, S. 4ff.). Ziel des Ticketing ist es, bei Berücksichtigung der vorgenannten Funktionen eine bestmögliche und effiziente Abwicklung mit einer bestmöglichen Auslastung der Dienstleistung bei einem maximalen Preisniveau zu gewährleisten. Dies hat zur Folge, dass auch das Ticketing als aktive Verkaufsmöglichkeit in die Distribution mit einzubeziehen ist. Beim Ticketing lassen sich unterschiedliche Systemarchitekturen (In-House-System, regionales und überregionales Ticketnetz sowie Mischformen) unterscheiden, die dazu führen, dass das Ticketing sowohl als direkter als auch als indirekter Absatzweg genutzt werden kann (vgl. Trippe 2003, S. 13f.). Internet Wird das Internet als Absatzweg genutzt wird, ist es Bestandteil des Electronic Commerce (E-Commerce). Hierunter versteht man Transaktionen, die einen Austausch von Leistungen gegen Entgelt darstellen und bei denen sowohl das Angebot als auch die Bestellung bzw. die Inanspruchnahme elektronisch unter Verwendung eines computergestützten Netzwerkes, insbesondere des Internets, erfolgt (vgl. Mack 2002, S. 5ff. und Jürgens 1998, S. 7). Die bedeutendsten Formen des elektronischen Handels sind der Handel zwischen Unternehmen (Business-to-Business) und der elektronische Verkauf von Unternehmen an Konsumenten (Business-to-Consumer). Der Internetkauf kann in der Praxis auch als Mischform zwischen Verkaufsraum und Internet auftreten. Das ist dann der Fall, wenn der Abnehmer online einkauft und die Ware in dem Verkaufsraum abholt. Ferner ist es denkbar, dass der Leistungsanbieter über das Internet über seine Leistungen informiert, der Abnehmer sie dann aber über den Verkaufsraum bezieht. Direktmarketing Unter Direktmarketing versteht man die direkte Ansprache von Abnehmern, die durch einen gezielten Kontakt und durch die Individualität der Beziehung gekennzeichnet ist – mit der Absicht, die Angesprochenen zu einer sofortigen Reaktion zu veranlassen. Das Direktmarketing kann von Person zu Person (Face-to-Face) oder über ein geeignetes Medium erfolgen (vgl. Homburg / Krohmer 2006, S. 822f. und Elsner 2003, S. 17).
54
Siehe hierzu den Beitrag „Ticketing“ von SCHRAMM im vorliegenden Band.
214
Distributionspolitik
Direktmarketing hat sich heute in der Wirtschaft etabliert und wird auch im kulturellen Bereich immer wichtiger. Dabei bedient es sich der direkten Kommunikation (Direktwerbung), geht aber darüber hinaus, indem sie diese um die Distribution auf dem direkten Weg ergänzt. Wichtige Ziele des Direktmarketing sind dabei zum einen die Gewinnung bzw. Rückgewinnung von (potentiellen) Abnehmern, Absatzmittlern und Spendern, der Direktverkauf, die Flankierung der anderen Absatzwege, der Kundenbetreuung und Kundenbindung, der Unterstützung der Absatzwege sowie der Gewinnung von Marktinformationen.
3.3
Die indirekten Absatzwege
Touristik und Wirtschaftsunternehmen Eine Möglichkeit, die Leistung über Partner anzubieten, besteht im Touristikbereich. Hierbei gewinnt der Leistungsanbieter insbesondere Reiseveranstalter, Busunternehmen und Hotels als Partner für den Verkauf seiner Leistungen (vgl. Hansen 2003, S. 9ff.). Ein weiterer Absatzweg, der in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, ist die Kooperation mit privaten Wirtschaftsunternehmen. Die inhaltlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten der Kooperationen sind vielfältig und können von Autogrammstunden eines Künstlers beim Wirtschaftsunternehmen bis zu Management-Seminaren reichen (als ein Beispiel sei hier die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen genannt, die ein TrainingsProgramm anbietet, bei dem die Manager die Musiker bei ihrer Arbeit beobachten und selbst mitspielen sowie dirigieren können). Galerien, Kunsthandlung, Kunstauktionshaus und Kunstmesse Galerien, Kunsthandlung, Kunstauktionshaus sowie Kunstmesse bilden die wichtigsten Distributionspartner insbesondere der bildenden Kunst (vgl. Lindenbauer 1996, S. 78ff.). Galerien sind Einzelhandelsbetriebe, häufig inhabergeführt, deren Sortimente aus der Produktion von (lebenden) Künstlern. Ihr Ziel ist es, Künstler und ihre Objekte den interessierten Abnehmern sowie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen und den Absatz zu fördern. Die Zielgruppe einer Galerie ist in der Regel sehr beschränkt, so dass ihr Erfolg vom Aufbau einer Stammkundschaft abhängt. Den Galerien kommt eine wichtige Funktion bei der langfristigen Durchsetzung unbekannter Künstler am Markt zu. Die Kunsthandlung grenzt sich von Galerien insbesondere dadurch ab, dass sie über ein breiteres Sortiment verfügen, das im Wesentlichen aus Objekten bereits bekannter Künstler besteht. Der Tätigkeitsschwerpunkt ist vom jeweiligen Preissegment, in der eine Kunsthandlung agiert, abhängig. Im Spitzensegment liegt er in der Zusammenstellung von geeigneten Objekten für eigene Ausstellung sowie in der gezielten Beschaffung von Objekten für Abnehmer. Da das mittlere Preissegment durch eine höhere Substituierbarkeit der Objekte und einem stärkeren Einfluss modischer Trends geprägt ist, gewinnt hier die zeitliche Dimension,
Bernd Ahrendt
215
d.h. das schnelle Reagieren auch Änderungen im Kaufverhalten der Abnehmer, an Bedeutung. Das Kunstauktionshaus tritt als Vermittler von Objekten im Auftrag Dritter (z.B. Privatpersonen, Händler) auf. Dabei können potentielle Abnehmer die Leistung vorab besichtigen, die dann in einer öffentlichen Veranstaltung – in der Regel einzeln – gegen Höchstgebot verkauft werden. Dabei kann das Gebot von einem direkt anwesenden Bieter kommen, telefonisch oder schriftlich abgegeben werden. Die Ergebnisse einer Auktion werden nachträglich durch das Auktionshaus veröffentlicht, so dass die Ergebnisse bekannt und (im Zeitablauf) vergleichbar sind. Unter Kunstmessen versteht man regelmäßig stattfindende, zeitlich begrenzte Veranstaltungen, bei denen insbesondere Galerien und Kunsthandlungen ihr Sortiment zu Informationsund Verkaufszwecken präsentieren. Dabei konzentrieren sich die Kunstmessen in der Regel auf bestimmte Kunstrichtungen, wodurch dem potentiellen Abnehmer jeweils ein großes Angebot unterbreitet wird. Die Möglichkeit des guten, direkten Vergleiches für die Käufer führt zu einer höheren Preistransparenz.
4
Zusammenfassung
Für den Absatz von kulturellen Leistungen kommt der Distributionspolitik gleichberechtigt zu den anderen Teilen des Marketing-Mix eine wichtige Rolle zu. Ausgangspunkt aller Überlegungen müssen dabei stets die Einflussgrößen der Distributionspolitik sein, die den Rahmen für die Auswahl möglicher Absatzwege vorgeben. Durch eine intensive Auseinandersetzung mit den vielfältigen Möglichkeiten kann die Distributionspolitik für den Absatzerfolg zu einem entscheidenden Faktor werden.
216
5
Distributionspolitik
Literatur
Elsner, R.: Optimiertes Direkt- und Database-Marketing unter Einsatz mehrstufiger dynamischer Modelle, Wiesbaden 2003 Hansen, M.: Distributionswege für Theaterbetriebe. Zielsetzung und Vermarktungsrichtung bestimmen; in: Bendixen, P. et al.: Handbuch Kultur-Management: die Kunst, Kultur zu ermöglichen, Kapitel D 1.5., Stuttgart 2003 Hill, W. / Rieser, I.: Marketing-Management, 2. Auflage, Bern et al. 1993 Homburg, C. / Krohmer, H. 2006: Marketingmanagement: Strategie – Instrumente – Umsetzung – Unternehmensführung, 2. Auflage, Wiesbaden 2006 Jürgens, E.: Kulturbetrieb im Internet. Wie organisiert man eine Homepage? in: Bendixen, P. et al.: Handbuch Kultur-Management: die Kunst, Kultur zu ermöglichen, Kapitel K 8.9., Stuttgart 1998 Klein, A.: Kultur-Marketing: Das Marketingkonzept für Kulturbetriebe, 2. Auflage, München 2005 Klein, A.: Besucherbindung im Kulturbetrieb: Ein Handbuch, Wiesbaden 2003 Klein, A.: Besucherorientierung und Besucherbindung im Kulturbetrieb in: Klein, A. (Hrsg.): Innovatives Kulturmarketing, Baden-Baden 2002, S. 23-39 Klein, A.: Besucherbindung im öffentlichen Kulturbetrieb. Traditionelle und innovative Formen; in: Bendixen, P. et al.: Handbuch Kultur-Management: die Kunst, Kultur zu ermöglichen, Kapitel D 1.12., Stuttgart 2001 Klein, A.: Marketing öffentlicher Kulturbetriebe; in: Bendixen, P. et al.: Handbuch KulturManagement: die Kunst, Kultur zu ermöglichen, Kapitel D 1.3., Stuttgart 1999 Klein, A.: Marketinginstrumente – Planung und Einsatz; in: Bendixen, P. et al.: Handbuch Kultur-Management: die Kunst, Kultur zu ermöglichen, Kapitel D 5.2., Stuttgart 1995 Kotler, P. / Armstrong, G. / Saunders, J. / Wong, V.: Grundlagen des Marketing, 4. Auflage, München 2007 Kotler, P. / Armstrong, G. / Saunders, J. / Wong, V.: Grundlagen des Marketing, 2. Auflage, München 2002 Kotler, P. / Bliemel, F.: Marketing-Management: Analyse, Planung, Umsetzung und Steuerung, 10. Auflage, Stuttgart 2001
Bernd Ahrendt
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Lindenbauer, T.: Kunstmarketing – Theoretische Grundlagen und Hauptaufgabefelder eines Marketing für Bildkunstwerke unter besonderer Berücksichtigung der Beziehung zwischen Kunsthandel und Nachfragern, Velten 1996 Mack, D.: Das Internet als Kreativmotor im Vertriebsprozess von Kulturprodukten; in: Bendixen, P. et al.: Handbuch Kultur-Management: die Kunst, Kultur zu ermöglichen, Kapitel K 8.18., Stuttgart 2002 Meffert, H. / Bruhn, M.: Dienstleistungsmarketing: Grundlagen – Konzepte – Methoden, 4. Auflage, Wiesbaden 2003 Müller-Hagedorn, L.: Handelsmarketing. 4. Auflage, Stuttgart 2005 Müller-Hagedorn, L. / Schuckel, M.: Einführung in das Marketing. 3. Auflage, Stuttgart 2003 Schmalen, H.: Grundlagen und Probleme der Betriebswirtschaft. 12. Auflage, Stuttgart 2002 Trippe, H.-W.: Ticketmanagement – mehr als nur Eintrittskarten verkaufen! in: Bendixen, P. et al.: Handbuch Kultur-Management: die Kunst, Kultur zu ermöglichen, Kapitel K 8.8., Stuttgart 2003
Rudenz Schramm
Ticketing 1
Einleitung
2
Definition Ticketing
3
Ticketing von Kulturbetrieben
4
Entwicklung des Ticketing
4.1
Manueller Kartenverkauf
4.2
Inhousesysteme
4.3
Lokale und regionale Ticketvertriebsnetze
4.4
Grafische Systeme und überregionale Netze
5
Internetbasierende Ticketsysteme
6
Auswirkungen des Ticketing
6.1
Anforderungsprofile an das Ticketing
6.2
Konsequenzen für das Kulturmarketing
7
Künftige Entwicklungen
8
Literatur
220
1
Ticketing
Einleitung
Kulturbetriebe leben wie Anbieter anderer Branchen vom Nachfrager – dem Kunden, dem Besucher und Nutzer der kulturellen Angebote. Der Besucher erwirbt Eintrittskarten und damit die Berechtigung, kulturelle Angebote zu nutzen. Insofern ist das Vertriebsmanagement von Eintrittskarten bzw. das Ticketing ein wichtiger Bereich eines kulturellen Betriebes, den es zu beherrschen gilt. In einer Situation, in der der Tonträgermarkt große Umsatzrückgänge zu verzeichnen hat, entwickelt sich die Veranstaltungswirtschaft, also die Bereiche, die mit der Durchführung von Konzerten und anderen Veranstaltungen befasst sind, immer mehr zu einem der bedeutendsten und stabilsten Faktoren der Musikwirtschaft. In diesem Prozess hat das Segment Ticketing eine Schlüsselstellung. „Einem Gesamtumsatz von 2,7 Milliarden Euro lagen 142 Millionen verkaufte Eintrittskarten zu Grunde. Damit erlebt die Branche in einer allgemein stagnierenden Wirtschaftssituation einen Umsatzzuwachs von immerhin zwei Prozent. Die Steigerung erscheint gering, ist jedoch angesichts der durchweg erheblichen Umsatzeinbußen anderer Märkte als sehr erfolgreich zu bezeichnen“ (Michow 2004).
2
Definition Ticketing
Ticketing umfasst alle Prozesse, Handlungen, die darauf gerichtet sind einem potentiellen Besucher (B2C) oder einem weiteren Distributor (B2B) Zugangsberechtigungen in Form von Eintrittskarten (Tickets) für ein- oder und mehrmalige Nutzung von Veranstaltungen jeglicher Art (kulturell-künstlerischer, sportlicher, touristischer) anzubieten, zu reservieren, zu kaufen oder zu stornieren. Sämtliche Vertriebswege, Verkaufsstellen, Call-Center, Internet, mobile Commerce-, und andere Einlassberechtigungs- und Paymentsysteme zählen ebenso wie entsprechende Auswertungsmodule dazu. Mit dieser Definition werden alle wesentlichen Momente des Ticketing abgebildet. Es soll auf den Begriff Zugangsberechtigung hingewiesen werden, der nur abbildet, dass man eine Berechtigung für den Zugang zu einer bestimmten Veranstaltung erwerben kann. Die tatsächliche Wahrnehmung des z.B. kulturellen Erlebnis dieser Veranstaltung wird durch diese Beziehung nicht berührt. Eintrittskarten (Tickets) verbriefen ein Recht zur Teilnahme an einer Dienstleistung. Da das Ticket im Allgemeinen ein materielles Gut ist, wird es bereits vor der Erbringung der Dienstleistung gehandelt und ist leicht transportierbar.
Rudenz Schramm
3
221
Ticketing von Kulturbetrieben
Ziel des Ticketing von Kulturbetrieben ist, durch die Gestaltung und Erhebung eines bestimmten Eintrittspreises ein ökonomisches Ergebnis bei der Durchführung von kulturellen Veranstaltungen zu erreichen. Das Ticketing erfüllt zusätzlich die Funktion, den Zugang zu der Veranstaltung zu regeln und zu kontrollieren. Das erworbene Ticket beinhaltet weiterhin wesentliche Informationen zu der gewählten Veranstaltung: Titel, Künstler, Ort und Beginn der Veranstaltung. Ebenso trägt das Ticketing nicht unwesentlich zur Bewerbung einer Veranstaltung bei. Tickets sind Waren, die nach Ablauf eines bestimmten Termins wertlos werden. Sie sind im Gegensatz zu anderen Waren nicht beliebig nutzbar, sondern nur für eine ganz bestimmte Zeitdauer und für einen genau definierten Ort. Mit dem Erwerb eines Tickets erwirbt man die Berechtigung an der Teilnahme eines individuell subjektiv wahrnehmbaren Kulturerlebnisses. Das Ticket ist nicht das subjektiv wahrnehmbare Kulturerlebnis. Insofern erwirbt man mit dem Kauf eines Tickets die Voraussetzung ein kulturelles Erlebnis wahrzunehmen, deren Wertigkeit und Wirkung individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen werden kann. Im Einzelnen werden dem gegenwärtigen Ticketing folgende Aufgaben zugeordnet: • • • • •
Wandel vom passiven zum aktiven Verkauf, Adressieren der richtigen Kunden, Großkundengeschäft intensivieren, Kunden binden, Informationssammlung für das Marketing (CRM).
Die Verfügbarkeit des Angebots von kulturellen Veranstaltungen ist nicht mehr zeitlich und räumlich begrenzt. Alle kulturellen Angebote stehen in der Konkurrenz mit anderen Angeboten in einer bestimmten Region. Über die im Internet nutzbaren Ticketportale lassen sich Anspruchswünsche für eine bestimmte Region, für einen bestimmten Zeitraum, für ein bestimmtes Genre selektieren. Die Anbieter von kulturellen Veranstaltungen stehen hier in einer völlig neuen Konkurrenzsituation eines offenen Marktes. Das Nutzungsverhalten der Besucher verändert sich in den letzten Jahren dahingehend, dass neben den lokalen Veranstaltungen zunehmend regionale und überregionale Veranstaltungen Akzeptanz finden. Die vorhandenen Spielstätten, Theater-, Kultureinrichtungen, Mehrzweckhallen, Open-Air Plätze, die darauf bzw. darin platzierten Veranstaltungen und das damit verbundene Kontingent an verwertbaren Tickets erfordert deshalb im öffentlichrechtlichen, wie auch im privat-kommerziellen Bereich einen effizienten Vertrieb von Tickets. Neben der besseren und zielgenaueren Bewerbung/Promotion von Veranstaltungen liegt in der Optimierung des Ticketing-Managements, dem Ticketvertrieb auf der Basis vernetzter
222
Ticketing
Computersysteme, letztendlich im elektronischen Markt die Möglichkeit, die Besucherzahlen, die Auslastung und die Einnahmen positiver zu gestalten.
4
Entwicklung des Ticketing
4.1
Manueller Kartenverkauf
In der Entwicklung des Ticketing können wir bis zum Jahr 2006 fünf Entwicklungsstufen nachweisen. Diese stehen in einem kausalen Zusammenhang mit der Entwicklung und Verfügbarkeit der Hard- und Softwaregenerationen im Computerbereich. Die bis heute teilweise noch in kleineren Kultureinrichtungen gebräuchliche Vertriebsform des manuellen Ticketverkaufs war geprägt durch die Prämisse, dass der Kunde zum Ticket kommen muss. Der Kunde musste, wenn er denn für eine kulturelle Veranstaltung Karten erwerben wollte, an eine bestimmte, der jeweiligen Einrichtung zugeordnete Vorverkaufsstellen gehen. Dies bedeutete für größere Theater, dass langfristig pro Vorstellung komplette Kartensätze, mit Datum und Platzbezeichnung bedruckt, erstellt wurden. Oder es wurden Vordrucke je nach Bedarf mit den aktuellen Daten gestempelt. Die Organisation dieser Vertriebsform war sehr aufwändig. Die Abrechnung der tatsächlichen Einnahmen war schwer nachvollziehbar. Rabatte und andere Preisermäßigungen konnten nur aufwändig dargestellt werden; Schnipsel einer bestimmten Ecke wurde abgeschnitten und als Beleg für den Rabatt gewertet. Bei einem Theater mit 1000 Plätzen bei 250 Vorstellungen im Jahr entsteht ein Kartenvolumen von 250.000 Eintrittskarten, die verwaltet, gezählt, verkauft und abgerechnet werden müssen. Hier sind verschiedene Anrechtsformen und Preisermäßigungen nicht eingerechnet. Zwangsläufig ergab sich hieraus die Notwendigkeit, Karten für maximal vier bis sechs Wochen aktuell vorzuhalten. Diese Einschränkung haben für die Gestaltung der Struktur des Spielplanangebotes erhebliche Konsequenzen.
4.2
Inhousesysteme
Die Ära der rechnergestützten Kartenverkaufssysteme begann Anfang der 80er Jahre. Die ersten Systeme legten die Daten noch auf Magnetkarten ab. Das 1982 eingeführte Softwareprogramm „Muethos“ gilt heute noch als Klassiker für diese Revolution im Kartenvertrieb. Diese Systeme waren ausgesprochene Inhousesysteme. Es gab einen zentralen Rechner mit Speichermedien, über direkt mit dem zentralen Rechner verbundenen Terminals wurden die Daten eingegeben und über Ticketdrucker wurden die Karten ausgedruckt. Historisch hat sich diese Entwicklung aus zwei sehr unterschiedlichen Anforderungsbereichen entwickelt, deren Genesis sich auch heute noch in den Softwarelösungen nachweisen lassen.
Rudenz Schramm
223
Aus der Anforderung, Karten für große Open-Airs, Rockkonzerte mit mehreren tausend Karten und nur Stehplätze zu verkaufen, entwickelten sich computergestützte Ticketsysteme. Sie enthalten die Funktionsmerkmale des Verkaufs nach Platzkategorien mit Platznummerierungen nur rudimentär. Hier war die Zielstellung, ein überregionales Angebot zu vertreiben, bestimmend. Zum anderen entwickelten sich aus der Spezifik des Kartenverkaufs für ein Stadttheater Softwarelösungen, die in erster Linie ein lokales Angebot mit den typischen Funktionsmerkmalen eines Inhouse-Ticket-Systemes wie nummerierte Platzbuchung, Abonnements, Rabatte etc. unterstützten.
4.3
Lokale und regionale Ticketvertriebsnetze
Mit der Verbindung zu anderen Standorten durch lokale Netzwerke konnte in der dritten Periode die räumliche Beschränkung der Inhouselösung schrittweise aufgehoben werden. Die ersten Schritte zur Zielsetzung, dass das Ticket zum Kunden kommen muss, waren getan. Die ersten Systeme dieser Art wurden von der Firma Dr. Richtmann + Eder 1984 unter dem Namen „RECOS 1“ auf den Markt gebracht. Es folgte „KIBÜH“ von Messerknecht Datensysteme (Kienzle 6000 Rechnergeneration, Betriebssystem M-TOS). Die Handhabung war durch die Verwendung des ASCII Bildschirmdarstellung auf 80 * 16 Zeilen beschränkt, der Bildschirminhalt war noch nicht scrollbar, eine grafische Maussteuerung gab es ebenfalls noch nicht. Damit konnten beispielsweise Saalpläne nur schematisch und in großer Abstraktion mit alphanumerischen Zeichen und nicht grafisch und oft bei größeren Häusern auf mehrere Bildschirmfenster aufgeteilt, dargestellt werden.
4.4
Grafische Systeme und überregionale Netze
Mit der Durchsetzung des grafischen Betriebssystem Windows von Microsoft ab 1995 (Windows 95, Windows 98, Windows 2000 usw.) konnten zum ersten Mal die Beschränkungen der alphanumerischen Darstellung aufgehoben werden. Grafische Darstellung, Ansteuerung von Bildschirminhalten mit der Mouse, Scrollen in der Bildschirmdarstellung wurden Standard. Gleichzeitig entstanden große Netzwerke mit zentralen Rechnern, wo die gesamten auf dem PC gespeicherten Daten gespeichert und verwaltet werden konnten. Hier wäre zu nennen RECOS 2 von Richtmann + Eder bei CTS. Die festen Telefonstandleitungen wurden schrittweise durch ISDN Wählleitungen ersetzt. Die nächsten Softwaregenerationen in Deutschland entstanden dann bei CTS eventim mit Euroticket und bei TicketOnline mit der Software TO10. In diesen Systemen wurden in den letzten Jahren schrittweise Elemente des Online-Ticketings implementiert, d.h. Verkauf von Tickets über Internet.
224
5
Ticketing
Internetbasierende Ticketsysteme
Die heutige Entwicklung im Online-Ticketing wird durch komplett internetbasierte Systeme vorangetrieben. Diese werden von so genannten Application-Service-Providern (ASP) angeboten. Die Anforderungen für die Hardware sinken in Größenordnungen bzw. werden Standard über den jeder User verfügt. Es werden keine speziellen Computer nur für das Ticketing benötigt, da das eigentliche Ticketsystem eine Internet-Applikation ist. Man benötigt nur einen PC mit Internetanschluss. Hier wäre unter anderem die Kartenhaus Ticketservice GmbH von Ticketmaster zu nennen.
6
Auswirkungen des Ticketing
Wird von der typischen Ausgangssituation eines Theaters oder eines Kulturhauses ohne Nutzung eines computergestützten Ticketsystems ausgegangen, dann erfolgt der manuelle Verkauf von Tickets für eine kulturelle Veranstaltung relativ zeitnah zur Veranstaltung selbst. Der Ort des Verkaufs bezieht sich im allgemeinem auf den Ort der Veranstaltung. Dies korreliert mit den ausgelösten Werbeaktivitäten, wie der Schaltung von Annoncen, Plakaten, Flyer etc. und führt zu einem hohen Aufwand: Für jeden Platz muss eine Karte gedruckt, gelagert, gezählt, vorgehalten werden. Computergestütztes Ticketing ist die vernetzte Nutzung von entsprechender Hard- und Software. Mit der Nutzung dieser Form des Ticketing ergeben sich eine Reihe von strukturellen Besonderheiten. Computergestütztes Ticketing erlaubt den Verkauf mit unterschiedlichen Rabatt- und Abonnementsgruppen von Tickets für praktisch beliebig viele kulturelle Veranstaltungen. Der Zeitpunkt der Veranstaltung, bzw. der Vorverkaufsstart ist von dem computergestützten Ticketing genauso unabhängig wie der Ort der Veranstaltung bzw. des Vorverkaufs. Durch die Tatsache, dass mit dem computergestützten Ticketing erst dann eine Karte physisch ausgedruckt wird, wenn sie verkauft wird, fallen wesentliche aufwändige Arbeitsgänge der Verwaltung und Abrechnung von Kartensätzen weg. Mit der zeitlichen Streckung des Vorverkaufsbeginns bzw. des Datums der eigentlichen Veranstaltungen, bei bestimmten Veranstaltungen sind dies schon 18 Monate und mehr, hat sich der Anteil der Eintrittskarten, die im Vorverkauf abgesetzt werden, wesentlich erhöht. Der Kartenabsatz an Abendkassen spielt für solche Veranstaltungen nicht mehr die beherrschende Rolle. Diese Effekte haben erhebliche positive Auswirkung auf die Kostenstruktur, da geringere Kapazitäten (Personal, Raumkosten etc.) für die Absicherung der Abendkassen nötig sind. Der Veranstalter verfügt zudem über einen längeren Zeitraum über die Einnahmen aus dem Verkauf. Dies ist ein nicht zu unterschätzender wirtschaftlicher Vorteil (Zinsen, Liquidität). Außerdem wird der Aufwand der Verwaltung der einzelnen Veranstaltungen durch die vielfältigen übersichtlichen und transparenten Berichts- und Rapportfunktionen der Ticketsoftware erheblich verringert.
Rudenz Schramm
6.1
225
Anforderungsprofile an das Ticketing
Erfolgreiche Ticket-Systeme richten sich auf die individuelle Konsumgewohnheiten der Verbraucher ein. Merkmale sind: • Convenience: Bequemer Ticketkauf, nach persönlichen Konsumvorlieben • Local Content: Der Verbraucher ist weitestgehend an lokalen Veranstaltungen interessiert. • Breites Angebot: Veranstaltungen aller Genres müssen aktuell und übersichtlich präsentiert werden, breite Präsenz in der Zielgruppe und deren Konsumumfeld • Individuelle Infos: Für selbstbewusste Konsumenten maßgeschneiderte Infos und Services bereit halten. • Starke Marke (B2C): Emotionale Bindung, Vertrauen in Produktqualität, Zahlungssicherheit und Datenschutz. Aus der Sicht des Veranstalters sollten folgende Merkmale im Vordergrund stehen: • Effektiver Vertrieb: Vertriebskanäle die sich am Informations- und Konsumverhalten der Verbraucher orientieren, Multi-Channel-Strategie. • Zielgruppenansprache: Aktive Kommunikation mit der Zielgruppe entsprechend der Kundenbedürfnisse und –gewohnheiten. • Starke Marke (B2B): Seriosität, Kompetenz, Technologieführerschaft, Innovation • Vermarktung: Vertrieb von Veranstaltungen – Präsentation von Contents über alle Kanäle • Reporting: Abverkaufsstatistiken aus einer Hand über alle Vertriebswege
6.2
Konsequenzen für das Kulturmarketing
Mit der Praxis des manuellen Kartenverkaufs war es notwendig und unabdingbar, dass jede kulturelle Einrichtung eine eigene Ticketkasse unterhielt und oft war dies auch die einzige Möglichkeit, Eintrittskarten für Veranstaltungen dieser Einrichtung zu erwerben. Mit dem Wegfall der Notwendigkeit der Verwaltung, Lagerung von ausgedruckten Eintrittskarten, sie wurden ja immer alle komplett zum Verkaufsstart ausgedruckt, ergibt sich die Möglichkeit, ohne größeren Aufwand, Eintrittskarten an mehreren (theoretisch an beliebig vielen) Stellen gleichzeitig anzubieten. Das bis dahin existierende System der hausbezogenen Theaterkasse ist aus diesem Grunde so nicht mehr zwingend erforderlich. Die Entwicklung von eigenständigen, von den Theatern, Kultureinrichtungen zunehmend unabhängigen Ticketkassen, die eine Vielzahl von Veranstaltungen - auch miteinander konkurrierender Veranstalter - der Region bzw. überregional anbieten, ist eine Konsequenz. Die Existenz von unabhängigen Vorverkaufskassen hat aber auch entscheidende Konsequenzen für das Angebot kultureller Veranstaltungen. Das computergestützte Ticketing ab der Entwicklungsstufe überregionaler Netze führt zu einer konsequenten Standardisierung und Universalisierung des Ticketver-
226
Ticketing
kaufs. Die erwarteten Nachteile, dass die in den Ticketsystem standardisierten und zentralisiert verwalteten Veranstaltungen sich zu einem undifferenziert wahrnehmbaren Massenangebot degenerieren, haben sich nicht eingestellt. Die angebotenen Veranstaltungen können im Verkauf über die Vorverkaufskassen, über die Call-Center oder über die Internet-Portale zielgruppengenauer positioniert werden. Voraussetzung dafür sind qualifizierte, sach- und ortsbezogene Informationen, die den Nutzer auch erreichen. Weiterhin hat diese Entwicklung weitere erheblich kulturökonomische Auswirkungen. Die konsequente, strukturelle Trennung des Leistungsanteils Ticketvertrieb von der eigentlichen Veranstaltungsdurchführung und -abrechnung trägt im erheblichen Maße zu einer Spezialisierung dieser unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche und damit zu einer höheren Produktivität und Effizienz bei. Aus der Auswertung des Verkaufstrends von Veranstaltungen, also dem wöchentlichen Zuwachs an verkauften Tickets für eine Veranstaltung, lassen sich wertvolle Ansätze zur Gestaltung einer effizienten Durchführung, Bewerbung von Veranstaltungen ableiten. Die Erfahrung zeigt, dass die Analyse der wöchentlichen Zuwächse sehr genaue Voraussagen auf den zu erwartenden Auslastungsgrad zulässt. Der Vorverkaufstrend ist unter der Annahme einer gewissen Toleranz linear darstellbar. Damit lässt sich auch linear auf das Veranstaltungsdatum der voraussichtliche Verkauf an Tickets interpolieren. Es gibt einen weiteren grundsätzlichen Aspekt, den es im Management zu berücksichtigen gilt: Die Auswahl und Terminierung von Veranstaltungen erfolgte in der Vergangenheit wesentlich kurzfristiger und lokal bezogener. Eine langfristige Planung von Veranstaltungen war so nicht zwingend möglich und damit auch nicht relevant. Die Verfügbarkeit von Karten für Veranstaltungen im Kartenverkauf war auf einen kurzfristigen Zeitraum und lokal beschränkt. Damit musste bei der Auswahl und Präsentation von Veranstaltung die Konkurrenzsituation des eigenen Kulturbetriebes im Verhältnis zu den anderen, regionalen, nicht auf einen längeren Zeithorizont bezogen, betrachtet werden. Aus der Tatsache heraus, dass jetzt die Veranstaltungsangebote für die nächsten zwölf Monate und länger in einem Ticketsystem, im Internetportal oder in einer Verkaufsstelle erworben werden können, ist ein wertender Vergleich der konkurrierenden Veranstaltungen in diesem Zeitraum und der Region möglich. Der Veranstalter ist gehalten, dies bei der Auswahl, Platzierung und dem Marketing seiner Veranstaltungsangebote zu berücksichtigen. Zum anderen hat der Veranstalter damit die Chance, dass Veranstaltungsangebote, die nur ein kleines Zielpublikum definieren, in einem größeren Einzugsgebiet wahrgenommen werden bzw. überhaupt stattfinden können. Das Vorhandensein von unabhängigen Ticketkassen, die sich nur auf der Basis des computergestützten Ticketverkaufs so entfalten konnten, schafft eine klare Trennung der Durchführung einer Veranstaltung von dem Vertrieb“ des Tickets für die kulturelle Veranstaltung. Dies führt dazu, dass sich ein Markt entwickelt, in dem sich der Vertrieb und die Vermittlung kultureller Veranstaltungen nach eigenen Verwertungsbedingungen regulieren. Die Erhebung einer Vorverkaufsgebühr, die Platzierung von Vorverkaufskassen an attraktiven Standorten wie Kaufhäuser etc., Ticketportale im Internet u.v.m. sind Ergebnisse dieser Prozesse.
Rudenz Schramm
227
Die mit dem computergestützten Ticketing erstmals mögliche, exakte, effiziente und detaillierte Ausweisung der Besucherzahlen, der damit verbundenen Einnahmen, schafft eine kalkulatorische Transparenz, die bis dahin nur mit großem Aufwand realisiert wurde. Damit lassen sich Effizienzbetrachtungen mit großer Aussagekraft für jede Veranstaltung, bzw. für jeden Künstler erheben. Zudem kann festgestellt werden, dass unabhängige Vorverkaufskassen ihre Geschäftsfelder auf die Durchführung von kulturellen Veranstaltungen ausdehnen, bei klarer Trennung der einzelnen Geschäftsbereiche. Diese Tendenz resultiert wohl aus der erworbenen Kompetenz der „Ticketverkäufer“, Veranstaltungsangebote wirkungsvoll zu platzieren. Die genaue Kenntnis der Konkurrenzsituation ist ein weiterer, nicht zu unterschätzender Kompetenzvorteil, die diese Vorverkaufskassen durch ihre Tätigkeit erfuhren.
7
Künftige Entwicklungen
Die Entwicklung des Ticketing wird wesentlich von den Innovationen im Bereich des Internet, Web2.0 und insbesondere des mobile internet bestimmt werden. Weitere Entwicklungen sind unter dem Stichwort "social commerce" vorstellbar, die sicherlich den Bereich des unmittelbaren Ticketings verlassen. SVEN GABOR JANSKY (2007): "Neu am Social Commerce ist, dass durch die Web2.0Applikationen erstmals Kundenwünsche nicht nur in Marktforschungen analysiert werden, sondern direkt in die Produktions- und den Vertriebsprozesse integriert werden". Der Besucher wird mit seiner Community seinen Künstler, seine Aufführung/Konzert "selbst" veranstalten!
8
Literatur
Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft e.V. (idkv) in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift "DER MUSIKMARKT" (GfK-Studie) (Hrsg.): Branchenanalyse zum Verhalten der Konzert- und Veranstaltungsbesucher in Deutschland, Hamburg 2004 Rede von Sven Gabor Jansky, 19.3.2007, forward2business, http://www.forward2business.com
Hardy Geyer
Kommunikationspolitik 1
Einleitung
2
Gegenstand
2.1
Einordnung
2.2
Entscheidungen
2.3
Botschaft
2.4
Zielgruppen
3
Kommunikationsinstrumente
3.1
Öffentlichkeitsarbeit
3.2
Werbung
3.3
Verkaufsförderung
3.4.
Kommunikationsmix
4
Kommunikationsmanagement
4.1
Planung
4.2
Organisation
4.3
Führung
4.4
Kontrolle
5
Literatur
230
1
Kommunikationspolitik
Einleitung
Marketingaktivitäten beziehen sich auf die Gestaltung von Austauschprozessen zum Vorteil des Nachfragers und des Anbieters. Sie sind Gegenstand verschiedener Aktivitäten und Politiken des Kulturunternehmens. Die Besonderheit der Kommunikationspolitik ist die Gestaltung der Kommunikation innerhalb des Marketingmanagement von Kulturunternehmen, um über sie Austauschbeziehungen einzuleiten. Der Begriff Kommunikation (lateinisch: communis = gemeinsam) kennzeichnet ganz allgemein das Herstellen einer gemeinsamen Basis zwischen mehreren Personen, indem eine Information, Idee oder Einstellung mitgeteilt wird, um eine Verständigung und einen Austausch zwischen ihnen herzustellen. Ein Austausch zwischen Menschen wird erst möglich, wenn sie miteinander kommunizieren, was grundsätzlich auch für deren Organisationen der Produktion und Konsumtion gilt, also für Unternehmen, Betriebe, Haushalte als Anbieter von Produkten und für Nachfrager, Kunden, Käufer bzw. Besucher und Nutzer von Kulturangeboten. Insofern ist die Gestaltung der Kommunikation von Kulturunternehmen ein wichtiges Feld innerhalb des Marketingmanagement.
2
Gegenstand
2.1
Einordnung
Kommunikationspolitik gestaltet die Kommunikation innerhalb des Marketingmanagement von Kulturunternehmen, um über sie Austauschbeziehungen einzuleiten. Grundsätzlich ist die Kommunikationspolitik ein wesentlicher Bestandteil unternehmerischer, marktgerichteter Aktivitäten und mit allen strategischen und operativen Entscheidungstatbeständen des Unternehmens im Allgemeinen und den Marketingentscheidungen im Besondern untrennbar verknüpft. Auch wenn die Kommunikationspolitik meist grundsätzlich dem operativen Marketing (Einheit von Produkt-, Preis-, Distributions-, Kommunikationspolitik) zugeordnet wird, ist sie stärker als andere operative Gestaltungsinstrumente mit strategischen Marketingentscheidungen verbunden, so dass eine theoretische und praktische Trennung oftmals schwierig erscheint. Die Bezugspunkte zum strategischen Marketing sind die Mission, die Unternehmensphilosophie und das Leitbild. Die Mission gibt die grundlegende Richtung des Handelns und die Beweggründe des Kulturunternehmens vor. Die Unternehmensphilosophie verkörpert den Wesensgehalt und Inbegriff des Selbstbildes sowie des Bildes, mit dem der Kulturbetrieb nach außen hin wahrgenommen werden will. Sie vereint in sich die gegenwärtige Selbst-
Hardy Geyer
231
wahrnehmung mit bestehenden Werten und Normen und ist gleichzeitig die grundlegende und elementare Richtungslinie für die Zukunft, die strategische Vision. Die Unternehmensphilosophie manifestiert sich in einem Leitbild, das diese grundsätzliche Motivation des Unternehmens, warum es existiert und handelt, konkret verdichtet formuliert. Das Leitbild dient als Orientierungsrahmen für strategische und operative Entscheidungen des Unternehmens als Ganzes und seiner Mitarbeiter im Einzelnen. Im Rahmen eines strategischen Marketingplanungsprozesses sind innerhalb dieses Orientierungsrahmens von Kulturunternehmen längerfristig wirkende, strategische Grundsatzentscheidungen zu treffen, die als Marketingstrategie für das operative Tagesgeschäft vorgeben, welcher einheitliche Weg vom gesamten Unternehmen eingeschlagen werden soll, um das gesetzte Ziel möglichst direkt zu erreichen. Strategien definieren Geschäftsfelder des Unternehmens auf der Grundlage eines Leitbildes und definierter Oberziele. Ferner werden die strategischen Zielgruppen und -märkte, Leistungen und Aufgaben des Kulturbetriebs definiert. Mit einer prägnanten Positionierung kann sich ein Kulturunternehmen wichtige Wettbewerbsvorteile verschaffen und gleichermaßen eine eigene, innere Unternehmensidentität, die Corporate Identity, entwickeln, die nach außen wesentlich das Unternehmensimage prägt. Diese strategischen Orientierungsrahmen und Marketingentscheidungen sind mit allen Mitgliedern des Kulturbetriebs, vom Führungspersonal über die Gesellschafter bis zu Mitarbeitern, Partnern, Kunden und Besuchern sowie Nachfragern zu kommunizieren. Als komplexes strategisches Marketingkonzept definiert das Leitbild folglich auch den Handlungsrahmen für die Kommunikationspolitik und deren strategische Aufgabe. Die strategische Kommunikationspolitik hat die Aufgabe, die grundsätzliche und langfristige Ausrichtung aller Kommunikationsaktivitäten auf der Grundlage einer definierten Corporate Identity des Unternehmens zu entwickeln und durchzusetzen. Zur Umsetzung des strategischen Marketingkonzepts wird die Kommunikationspolitik als ein operatives Gestaltungsinstrument des Marketingmixes eingesetzt und steht damit im direkten Zusammenhang mit der Produkt-, Preis- und Distributionspolitik. Die Aufgabe der operativen Kommunikationspolitik ist es, die Produkte des Kulturunternehmens zu einem bestimmten Preis und bestimmten Konditionen, am gewählten Ort und Zeitpunkt, dem gewünschten Nachfrager als Angebot darzustellen. Erst wenn der potentielle Abnehmerkreis von dem Angebot (Art, Preis, Ort und Zeitpunkt) eines Kulturunternehmens erfährt, kann eine Kauf-, Besuchs- oder Nutzungsentscheidung angeregt und getroffen werden. Durch die Integration der Kommunikationspolitik in das operative Marketingmix wird auf der Grundlage einer definierten Strategie ein fester Verbund von Instrumenten möglich, dessen Qualität über Kauf oder Nichtkauf, Besuch oder Nichtbesuch, Nutzung oder Nichtnutzung entscheidet.
232
2.2
Kommunikationspolitik
Entscheidungen
Aus der Einordnung der Kommunikationspolitik in das strategische und operative Marketing ergibt sich ihr besonderer Gegenstand. Die Kommunikationspolitik bezieht sich - ganz allgemein betrachtet - auf die Übermittlung und den Austausch von Informationen, um einen gewünschten Austausch zwischen dem Unternehmen als Anbieter auf der einen Seite und der Öffentlichkeit und den Nachfragern auf der anderen Seite anzuregen. Daraus kann unter dem Aspekt eines entscheidungsorientierten operativen Marketing für Kulturunternehmen folgender Gegenstand der Kommunikationspolitik abgeleitet werden: Die Kommunikationspolitik eines Kulturunternehmens umfasst alle Entscheidungen zum zielorientierten Einsatz von Kommunikationsinstrumenten und -maßnahmen zur Kommunikation eines Unternehmens und seines Angebots (Produkte) mit seinen Zielgruppen (vgl. Bruhn 1999, S. 203). Häufig wird für diesen Sachverhalt auch der Begriff der Unternehmenskommunikation und der Promotion verwendet. Unternehmenskommunikation beinhaltet sämtliche Kommunikationsaktivitäten eines Unternehmens, die der Positionierung eines Unternehmens bei externen und internen Zielgruppen dienen (vgl. Hermanns / Püttmann 1993, S. 21). Promotion ist ein „Kommunikationsmittel, ein Transportmittel für die offizielle Botschaft und das Image des Unternehmens“ (Colbert 1999, S. 181). Sie überbrückt die Lücke zwischen Firma und Markt. Die Entscheidungen der Kommunikationspolitik richten sich folglich auf die Gestaltung der Kommunikation zwischen dem Unternehmen und den marktrelevanten Zielgruppen. Kommunikationspolitische Entscheidungen haben strategische und operative Dimensionen. Die strategische Kommunikationspolitik umfasst alle Entscheidungen, die grundsätzlicher Art sind und die das Erreichen der Zwecke und Ziele des Kulturunternehmens (ggf. bei Förderung auch kultureller und kulturpolitischer Ziele der Allgemeinheit oder privater Förderer) langfristig sichern sollen. Sie beziehen sich wesentlich auf die Entwicklung einer Corporate Identity. Die Corporate Identity (CI) ist eine Leitlinie zum Kommunizieren der Kernidentität eines Unternehmens. Sie besteht aus den Substrategien Corporate Design, Corporate Behavior und Corporate Communications. Sie setzt auch den strategischen Rahmen für die Markenstrategie (Produkt-, Firmen-, Dachmarken). Die Corporate Design-Strategie (CD) legt verbindlich optische, visuelle Leitlinien und Gestaltungsinstrumente fest, z.B. Schrifttypen, Farben, Gestaltungsraster, Symbole, Logos, Signets, Produkt- und Verpackungsgestaltungen, Innen- und Außengestaltung von Gebäuden, Einrichtungsgestaltungen, Kommunikationsdesign, Kleidung, Fahrzeuggestaltung. Die Corporate Behavior-Strategie (CB) definiert das schlüssige und widerspruchsfreie Verhalten von Unternehmensangehörigen nach innen und außen, z.B. in speziellen Ge-
Hardy Geyer
233
schäftssituationen (Ansprache und Empfang von Besuchern, Auskunftserteilung, Hilfestellungen, Beschwerden, Mahnungen usw.). Die Corporate Communications-Strategie (CC) gibt Leitlinien für die Kommunikationspolitik vor, die für alle öffentlichen, werblichen und verkaufsfördernden Kommunikationsprozesse gilt. Aus der Gesamtheit dieser einzelnen Komponenten ergibt sich eine grundsätzliche und langfristige Leitlinie für die Kommunikation der Kernidentität eines Unternehmens. Auf dieser strategischen Grundlage und diesem Rahmen ist das operative Tagesgeschäft der Kommunikationspolitik zu gestalten. Die operative Kommunikationspolitik umfasst alle operativen Entscheidungen zur Umsetzung der strategischen Kommunikationsziele sowie die marktgerichtete Kommunikation des Angebots eines Kulturunternehmens mit vorhandenen und potentiellen Nachfragern. Generell gilt, dass alle kommunikationspolitischen Entscheidungen im Zusammenhang mit den Zielen des Kulturunternehmens stehen sollten, woraus der Zweck der Kommunikationspolitik abgeleitet werden kann. Zweck der Kommunikationspolitik ist, den Unternehmenszweck und die Unternehmensziele langfristig und nachhaltig zu erreichen. So ist die Kommunikationspolitik ganz allgemein wie alle anderen Gestaltungsinstrumente funktional für: • das Erreichen sozialer und kultureller Ziele. Für Kulturunternehmen gilt insbesondere, dass gesellschaftliche und individuelle Wirkungen in kulturellen, künstlerischen, sozialen und kulturpolitischen Dimensionen erreicht werden. • die Sicherung und Verbesserung der Wettbewerbsposition des Unternehmens. • das Erreichen der Leistungsziele (Qualität, Kunden-, Besucher-, Nutzerzufriedenheit etc.). • das Erreichen der finanzwirtschaftlichen Ziele (Absatz und Umsatz etc.). • die ständige Weiterentwicklung des Unternehmens. Aus instrumenteller Perspektive ist der allgemeine Gegenstand der Kommunikationspolitik die Gestaltung der Informationsabgabe und des Informationsaustausches des Kulturunternehmens, um bei der Zielgruppe der Kommunikation gezielt gewünschte Reaktionen auszulösen. Daraus lassen sich besondere Funktionen der Kommunikationspolitik ableiten (vgl. Schneider 2004, S. 325):
234
Kommunikationspolitik
Funktion
Beschreibung der Funktion
Information
Mittels verschiedener Kommunikationsinstrumente informieren Anbieter über die Existenz eines (neuen) Unternehmens oder Produkts sowie über dessen Eigenschaften, Preis, Verfügbarkeit etc.
Positionierung
Anbieter beeinflussen über Unternehmenskommunikation die Wahrnehmung eines Produkts oder Unternehmens, indem sie bestimmte Eigenschaften des Produkts oder des Unternehmens im Unterschied zu konkurrierenden Produkten und Unternehmen hervorheben, wodurch sie sich gegenüber der Konkurrenz abheben und sich auf einem Markt positionieren.
Angriff
Anbieter greifen mit Kommunikationsmaßnahmen direkt das Angebot konkurrierender Anbieter an.
Beeinflussung
Die Unternehmenskommunikation eines Anbieters zielt darauf, Verbraucher zu einem bestimmten Verhalten (Kauf, Besuch, Nutzung) zu veranlassen.
Steuerung
Anbieter steuern die Nachfrage mit dem Ziel, Angebot und Nachfrage auszugleichen, z.B. bei Nachfragerückgang wird die Kommunikation intensiviert.
Bestätigung
Der Anbieter bestätigt den Verbraucher darin, die richtige Kaufentscheidung getroffen zu haben, wodurch Nachkaufdissonanzen bzw. kognitive Dissonanzen vermieden oder abgebaut werden können.
Tab.1 Funktionen der Kommunikationspolitik (eigene Darstellung)
Aus dem Zweck und den Funktionen der Kommunikationspolitik leitet sich schließlich ein kommunikationspolitischer Entscheidungsbedarf ab, der folgende sachlogische Struktur trägt (vgl. ebd., S. 326): Wer (Kulturunternehmen, Kulturbetrieb) sagt was (Botschaft) unter welchen Bedingungen (Umweltsituation) über welche Medien (Kanäle, Kommunikationsträger) zu wem (Zielperson, Zielgruppe) mit welchen Instrumenten (Werbung, Öffentlichkeitsarbeit, Verkaufsförderung) mit welchen Wirkungen (Erfolg, Effekt)? Die sich aus der Zweckerfüllungsabsicht und den jeweiligen Funktionen ergebenden konkreten Ziele sind sehr vielfältig und deshalb eindeutig nach Inhalt, Ausmaß, Zeitbezug und Zielgruppenbezug zu operationalisieren (vgl. Meffert 2000, S. 680).
2.3
Botschaft
Die Botschaft ist ein wichtiges Element, das die Wirkung von Kommunikationsmaßnahmen wesentlich beeinflusst. Deshalb kommt ihrer inhaltlichen und formalen Gestaltung eine wichtige Funktion zu. Zunächst sind die Inhalte zu entscheiden.
Hardy Geyer
235
Wenn ein Kulturunternehmen zum Kauf, zum Besuch oder zur Nutzung seines Angebots anregen möchte, dann muss es einen ausreichenden Impuls aussenden, der eine gewünschte Reaktion hervorruft. Dieser Impuls ist meistens ein Aufruf oder ein Appell, der rational, emotional oder moralisch sein kann (vgl. Kotler et al. 1999, S. 675). Eine rationale Argumentation spricht das Eigeninteresse von Personen der Zielgruppe an. Rational argumentativ kann aufgezeigt werden, dass das Angebot einen erwünschten Nutzen bringt. So sollte der Nutzen eines Kulturproduktes mit seinen kreativen und rekreativen Potenzialen sowie den möglichen sozialen und wirtschaftlichen Nutzen für Nachfrager (Grundund Zusatznutzen) im Zentrum der Argumentation stehen. Bei primär materiellen Produkten wird der Nutzen leichter vermittelbar sein, als bei Produkten, die Dienstleistungen oder Rechte anbieten. Insbesondere bei reinen Leistungsverspechen sollte ausführlich begründet werden, worin der versprochene Nutzen liegt. Weil fast jedes Kulturprodukt mehrere Nutzungseigenschaften verspricht, können ausgewählte Eigenschaften ein und desselben Produkts je nach Zielgruppe in den Mittelpunkt der Botschaft gerückt werden. Gibt es vergleichbare Produkte von anderen Anbietern, so ist der USP, die Qualität, bzw. der Qualitätsanspruch besonders hervorzuheben. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn es sich um ein hochpreisiges Kulturangebot handelt. Sollte der Preis wahrnehmbar niedriger als bei vergleichbaren Angeboten anderer Anbieter sein, könnte dies auch ein zu kommunizierendes Argument sein. Schließlich können auch distributionspolitische Besonderheiten des Ortes und der Zeiten in der Botschaft hervorgehoben werden, sofern sie einen Nutzen für den Nachfrager bringen können. Emotionale Aufrufe versuchen, positive oder negative Emotionen hervorzurufen. Durch das Wecken von Angst, Scham und Schuldgefühlen lassen sich Menschen zu bestimmten Handlungen leiten, für die sie sonst kaum zu motivieren wären. Allerdings muss beachtet werden, dass das Hervorrufen negativer Emotionen wie Angst, Scham und Schuld für Botschaften im kulturellen Umfeld kaum geeignet sein dürften und dauerhafte Austauschbeziehungen zum gegenseitigen Vorteil sich nur selten einstellen werden. Es sollte besser ein positives Gefühl angesprochen werden. Moralische Apelle klären auf, was gesellschaftlich richtig und gut ist. Aber moralische Appelle dürften selbstbewusste kulturorientierte Menschen kaum ansprechen. Eng mit dem Inhalt ist zu klären, ob die Botschaft eine Handlungsaufforderung enthalten soll oder nicht. Die Botschaft kann zum Kauf oder zur Nutzung auffordern. Das ist sinnvoll, wenn die Zielgruppe nur relativ unselbstständig Entscheidungen treffen kann. Es ist aber auch möglich, die Entscheidung offen zu lassen, und die Zielgruppe zur tieferen Beschäftigung anzuregen. Wichtig ist auch die Vollständigkeit der Argumentation. Zu klären ist, ob nur positive oder auch negative Aspekte besprochen werden. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass viele Besucher lieber die positiven Eigenschaften der Angebote erfahren wollen; es gibt aber auch kritische Zielgruppen, die Argumentationen hinterfragen.
236
Kommunikationspolitik
Zu entscheiden ist auch, an welcher Stelle das stärkste Argument stehen soll. Am Anfang der Argumentation wird große Aufmerksamkeit erreicht; steht sie am Ende, geht möglicherweise die Überzeugungskraft verloren. Wenn diese inhaltlichen Ansätze definiert wurden, sind sie in eine Gestalt zu formatieren, also in eine Form zu bringen, die von der Zielgruppe akzeptiert wird und geeignet ist, die inhaltlichen Aussagen zu transportieren. Dafür stehen verschiedene Gestaltungsinstrumente zur Verfügung. Gestaltungselemente gedruckter Botschaften sind: Größe, Überschrift, typografische Gestaltung, Illustration, Farben, Bilder, Blickfänge usw. sowie die Platzierung im Medium. Botschaften, die im Hörfunk verbreitet werden, kombinieren Stimmen und Töne mit einer entsprechenden Dramaturgie.
2.4
Zielgruppen
Botschaften sind für eine bestimmte Zielperson oder Zielgruppe gestaltete Nachrichten. Daraus folgt, dass sie auf bestimmte Zielgruppen zu formatieren sind. Zielgruppen sind der Kreis von Menschen, die im Rahmen der Kommunikationspolitik mit einer Botschaft erreicht werden sollen. Eine Zielgruppe repräsentiert eine Gruppe von Menschen, die bestimmte Merkmale ihres Nachfrageverhaltens gemeinsam haben. Dies ist jedoch immer nur ein Versuch, eine Menge von unterschiedlichen Konsumenten, Besuchern, Nutzern und Käufern als Nachfrager kultureller Angebote in unterschiedliche Typen einzuteilen. Modellhafte Nachfragertypologien können hierbei helfen, die erwünschten Zielgruppen der Kommunikation zu bestimmen, sofern sie nicht schon im Rahmen der Strategiebildung oder der Produktpolitik vorbestimmt wurden. In der kulturellen Praxis werden Zielgruppen meist nur mit wenigen und meist nur mit soziodemografischen Merkmalen beschrieben, was nur bedingt gesicherte Schlussfolgerungen für Kommunikationsentscheidungen zulässt. Auch in Kombination mit verhaltensbezogenen Kriterien, also dem Besucherverhalten, können die Nachfrager kultureller Angebote nicht hinreichend selektiert werden. Lebensstiltypologien beziehen sich meist auf Stilfragmente, die aus Warenwelt und Kulturindustrie aufgenommen werden und für die Artikulation des sozialen Selbstverständnisses benutzt werden. Milieutypologien gehen weiter und erfassen die Lebenswelt der Menschen und bringen diese mit ihren Einstellungen in Verbindung. Zu beachten ist, dass die Kommunikationszielgruppe größer als die aktuelle oder potentielle Käufergruppe sein kann, vor allem dann, wenn auch Gruppen von Interesse sind, die einen Einfluss auf die Entscheidungen der Käufer ausüben, wie z.B. Meinungsführer.
Hardy Geyer
3
237
Kommunikationsinstrumente
Für einen erfolgreichen Kommunikationsprozess werden Werkzeuge bzw. Instrumente benötigt, durch deren Einsatz wirkungsvoll und effektiv die Kommunikationsziele erreicht werden können. Um die verschiedenen Wirkungsziele bei unterschiedlichen Zielgruppen erreichen zu können, stehen als Kommunikationsinstrumente die Öffentlichkeitsarbeit, die Werbung und die Verkaufsförderung zur Verfügung. Mit jedem dieser Instrumente lassen sich spezielle Kommunikationswirkungen erreichen. Diese Instrumente können einzeln oder in Kombination eingesetzt werden, damit die Ziele der Kommunikation des Kulturunternehmens erreicht werden.
3.1
Öffentlichkeitsarbeit
Die Öffentlichkeitsarbeit hat als Instrument der Kommunikationspolitik von Kulturunternehmen sowohl eine strategische als auch eine operative Dimension. Eine glaubwürdige strategische Kommunikation baut auf die Persönlichkeit und die Seele des Unternehmens auf und macht sie für alle Zielpersonen und -gruppen erlebbar. So zielt sie auf eine möglichst hohe Deckungsgleichheit zwischen dem Selbstbild bzw. dem Wunschbild des Kulturunternehmens und dem Image in der Öffentlichkeit (vgl. Herrmanns / Püttmann 1993, S. 26). Die das Unternehmen umgebende Öffentlichkeit stellt sich als eine Gesamtheit von denjenigen Verhältnissen zwischen Menschen dar, in denen sich gesellschaftliche Beziehungen mit der Bildung öffentlicher Meinungen verbinden. So ist es aber falsch, von der Öffentlichkeit auszugehen. Stattdessen stellt sich die Öffentlichkeit als ein komplexes Gefüge von Meinungen vieler einzelner Menschen dar, die sich gruppieren lassen und so zum Konstrukt der Teilöffentlichkeiten führt. Gleichermaßen ist jedes Kulturunternehmen auch Bestandteil der Gesellschaft und somit aktiv in die öffentliche Meinungsbildung integriert. So ist das Bild, das eine Öffentlichkeit von einem Unternehmen hat, wichtig für die Qualität seiner Beziehungen zu den Menschen und Akteuren. Gleichermaßen sind auch die Mitarbeiter wichtige Teilöffentlichkeiten, die in komplexe Austauschprozesse innerhalb und außerhalb des Kulturbetriebes integriert sind. Sie sollten die Unternehmensziele kennen, verinnerlichen, danach handeln, sich verhalten und letztlich das Unternehmen entsprechend repräsentieren. Die Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations) umfasst die planmäßig zu gestaltenden internen und externen Kommunikationsbeziehungen zwischen dem Kulturunternehmen und den Teilöffentlichkeiten, um bei ihnen Vertrauen und Verständnis zu gewinnen und ein definiertes Image gegenüber den Zielgruppen zu schaffen (vgl. Pflaum / Linxweiler 1998, S. 16). Der Handlungsrahmen der Öffentlichkeitsarbeit wird durch das strategische Marketingkonzept des Unternehmens definiert und hat strategische und operative Dimensionen, die eng mitein-
238
Kommunikationspolitik
ander verflochten sind. Zur Verwirklichung strategischer Kommunikationsziele hat die Öffentlichkeitsarbeit zunächst die Aufgabe, die Mission, die Unternehmensphilosophie, das Leitbild und die Corporate Identity innerhalb und außerhalb (Image) des Unternehmens zu kommunizieren. Sie sucht auf der Grundlage einer verbindlich festgelegten Corporate Identity den Dialog mit den Teilöffentlichkeiten, die für die weitere Entwicklung des Kulturunternehmens relevant sind oder werden können. Sie gestaltet die Gesamtkommunikation (Corporate Communications), die sich aus der Corporate Identity ableitet und mit der Corporate Behavior und dem Corporate Design verbunden ist. Der Zweck ist, Risiken einer insgesamt kritischen Öffentlichkeit zu reduzieren, wenigstens ihr neutrales Verhalten zu erreichen, vor allem aber Vertrauen und Akzeptanz zu schaffen und eigene Stärken zur Geltung zu bringen. Ziel ist die Erhöhung der Bekanntheit des Unternehmens in Verbindung mit der Ausprägung eines gewünschten Images sowie die Beeinflussung von Einstellungen und Verhalten Dritter gegenüber dem Unternehmen. Im Mittelpunkt steht die Vermittlung von Werten wie Glaubwürdigkeit, Kompetenz, Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein aber auch Innovationsfähigkeit, Kreativität und Modernität. Sie bezieht sich somit auf die Gesamtziele einer Organisation und soll primär mittel- und langfristige Wirkungen hervorrufen. Darüber hinaus kann sie auch eingesetzt werden, um kurzfristig Wirkungen zu erzielen, wie beispielsweise in Krisensituationen. Zielgruppen sind Teilöffentlichkeiten, mit denen Leistungsbeziehungen bestehen oder aufgebaut werden sollen oder die in Bezug auf eigene Schwächen oder Risiken im Verhältnis zu einzelnen Teilöffentlichkeiten relevant sind oder es werden können. Produktbezogene Öffentlichkeitsarbeit hat die Aufgabe, mit ihren spezifischen Mitteln die Produkte des Kulturunternehmens bekannt zu machen, um deren Absatz zu fördern. Zudem sind die Ausprägung eines Produktimages und die Entwicklung von Produktmarken klassische Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit, die eng mit der Produktpolitik verbunden sind. Dabei sind die Grenzen zur Werbung, insbesondere zur Schleichwerbung und zur Verkaufsförderung fließend. Zweck ist, die Risiken einer insgesamt kritischen Öffentlichkeit gegenüber dem Produkt zu reduzieren, Vertrauen und Akzeptanz zu schaffen und die Stärken des Produkts zur Geltung zu bringen. Ziele sind die Erhöhung der Bekanntheit der Produkte (Product Publicity), die Verbreitung von Wissen über die Produkte, der Aufbau und die Pflege des Produktimages sowie die Entwicklung und Pflege von Produktmarken. Zielgruppen sind die mit der Produktzielgruppe identischen externen Teilöffentlichkeiten mit denen Leistungsbeziehungen bestehen, zu denen Leistungsbeziehungen aufgebaut werden sollen oder die in Bezug auf eigene Schwächen oder Risiken im Verhältnis zu einzelnen Teilöffentlichkeiten relevant sind oder es werden können. Die operative, produktbezogene Öffentlichkeitsarbeit ist von der Werbung abzugrenzen.
Hardy Geyer
3.2
239
Werbung55
Während die Öffentlichkeitsarbeit die Gesamtkommunikation mit allen Zielgruppen gestaltet, um bei ihnen Bekanntheit, Vertrauen und Verständnis zu gewinnen und ein definiertes Images zu schaffen, orientiert sich die Werbung auf die kommunikative Ansprache des Nachfragers. Werbung ist die Gesamtheit kommunikativer Maßnahmen, um beim Adressaten Einstellungen oder Verhaltensweisen zu beeinflussen, bzw. zu verändern (vgl. Meffert 2001, S. 712). Zweck der Werbung von Kulturunternehmen ist es, den Empfänger der Botschaft absichtlich, freiwillig und zwangsfrei zur Ausführung von Kauf- oder Nutzungshandlungen zu veranlassen (vgl. ebd.). Werbung ist somit ein Instrument, mit dem Einstellungen und Verhalten potentieller Nachfrager gesteuert werden kann. Gegenstand der Werbung ist letztlich die Förderung des Absatzes der Produkte. Ziele der Werbung sind (entsprechend der Wirkungsmodelle) grob betrachtet die Steigerung der Wahrnehmung des Produkts (Produktwerbung) oder des Programms (Programmwerbung) und das Erreichen von Aufmerksamkeit, das Wecken von Interessen und Wünschen und schließlich die Erhöhung der Kaufabsicht. Dafür werden die positiven Eigenschaften des Kulturprodukts und der individuelle Nutzen für die Zielgruppe des Produkts kommuniziert, Bedürfnisse zukunftsorientiert als Wünsche und Interessen konkretisiert und ggf. aktiv gestaltet und damit eine Nachfrage geschaffen. Zielgruppen sind bereits gewonnene oder potenzielle Nachfrager, Käufer, Nutzer, Besucher, Zuschauer. Werbung und Öffentlichkeitsarbeit ergänzen sich und führen rein quantitativ betrachtet zur Informationsüberflutung beim Rezipienten, wodurch zusätzliche, den Verkauf fördernde Kommunikationsmaßnahmen sinnvoll werden können.
3.3
Verkaufsförderung
Wird der potentielle Nachfrager über die Öffentlichkeitsarbeit und Werbung von mehreren Anbietern über die Kommunikation kontaktiert, kann sich bei ihm eine Reizüberflutung einstellen. In dieser Situation kann das Kulturunternehmen durch fördernde kommunikationspolitische Maßnahmen das Erreichen der Verkaufs- und Absatzziele unterstützen. Verkaufsförderung umfasst alle primär kommunikativen Maßnahmen, die durch zusätzliche Anreize kurzfristig und unmittelbar den Kauf oder die Nutzung des Angebots stimulieren.
55
Siehe hierzu den Beitrag „Werbung“ von LÜRSSEN im vorliegenden Band.
240
Kommunikationspolitik
Sie sind oft eng mit distributionspolitischen Maßnahmen verbunden. Sofern aber die Bekanntmachung und Profilierung von Produkten oder Probierkäufe im Mittelpunkt stehen, tragen diese Maßnahmen einen primär kommunikationspolitischen Charakter. Zweck der Verkaufsförderung ist es, meist am „Point-of-Sale“, die Nachfrager aktuell zu informieren und zum Kauf zu motivieren. Ziel der Verkaufsförderung ist es, mit dem potentiellen Nachfrager personell und direkt zu kommunizieren. Ausgangspunkt ist ein starker Anreiz, der den Wunsch nach Informationen über das Kulturprodukt weckt und zudem zu einer konkreten Aufforderung des Anbieters führt, das Produkt auf der Stelle und sofort zu kaufen (vgl. Klein 2001, S. 453f.). Zielgruppen sind potenzielle Nachfrager, Käufer, Nutzer, Besucher, Zuschauer. Mit der Verkaufsförderung steht ein Instrument zur Verfügung, das auch im Rahmen der Kommunikationspolitik von Kulturunternehmen ergänzende Wirkungen entfalten kann. Ziel jeglicher kommunikationspolitischer Maßnahmen sollte sein, im Rahmen einer abgestimmten Strategie die Öffentlichkeitsarbeit, die Werbung und letztlich auch die Verkaufsförderung einzusetzen.
3.4
Kommunikationsmix
Im Rahmen der Kommunikationsentscheidungen ist ein optimaler Kommunikationsmix zu gestalten, um synergetisch die angestrebten Wirkungen erzielen zu können. Werden strategische und operative Kommunikationsinstrumente mit ihren unterschiedlichen Wirkungen auf interne und externe Zielgruppen eingesetzt, dann kann dies leicht zu einem widersprüchlichen und diffusen Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit und bei den Nachfragerzielgruppen führen. Daraus resultiert ein Integrationsbedarf (vgl. Bruhn 2001, S. 245ff.). Der Ansatz der integrierten Unternehmenskommunikation entspricht insofern dem Ansatz der Corporate Communications als Bestandteil der Corporate Identity (vgl. Meffert 2001, S. 691). Eine Corporate Communications-Strategie setzt den Rahmen für den wirkungsvollen Einsatz aller Kommunikationsinstrumente.
4
Kommunikationsmanagement
Gegenstand des Kommunikationsmanagement ist die systematische Planung, Organisation, Führung und Kontrolle sämtlicher Kommunikationsprozesse zwischen einem Kulturunternehmen und internen und externen Zielgruppen, um die kommunikationspolitischen Ziele zu erreichen.
Hardy Geyer
4.1
241
Planung
In der Kommunikationsplanung werden vor dem Hintergrund der erwarteten Umfeld-, Wettbewerbs- und Unternehmensentwicklung sowie des Marketingkonzeptes des Kulturunternehmens die künftigen kommunikationspolitischen strategischen und operativen Ziele, Botschaften, Instrumente, Zielgruppen und -gebiete, Zeitbezüge und Budgets festgelegt. Grundlage der Planung ist die Analyse der Umfeld- und Wettbewerbssituation im Zusammenhang mit der Marketinganalyse aus kommunikationspolitischem Blickwinkel. Das Ergebnis der Analyse führt zu kommunikationspolitischen Fragestellungen, die Grundlage eines systematischen Kommunikationskonzeptes sind. Das Kommunikationskonzept ist ein aus dem Unternehmenskonzept im Allgemeinen und dem Marketingkonzept im Besonderen abgeleiteter schriftlicher Entwurf einer systematischen Kommunikationsstrategie. Ziel des Kommunikationskonzeptes ist die Darstellung einer systematischen, wirkungsvollen und wirtschaftlichen Kommunikation des Kulturunternehmens (vgl. Geyer 2005, S. 38ff.). Eine wirtschaftliche Kommunikation ist dann gegeben, wenn im Rahmen eines definierten Budgets die Kommunikationsziele erreicht werden, bzw. genau definierte Kommunikationswirkungen mit minimalem finanziellen Aufwand erreicht werden. In diesem Zusammenhang steht meist die Vermeidung von Streuverlusten im Vordergrund. Ein Kommunikationskonzept kann für einzelne strategische Geschäftseinheiten oder für das Unternehmen insgesamt entwickelt werden. Auch ist es möglich, für jedes einzelne Kommunikationsinstrument eine eigene konzeptionelle Grundlage zu schaffen. Wichtig ist aber, dass am Ende kompatible und abgestimmte Handlungsgrundlagen auf der Grundlage der Unternehmensziele vorliegen, die eine integrierte Kommunikation ermöglichen. Zunächst sind die konzeptionellen Grundlagen des Unternehmens darzustellen. Mit dem Aufgreifen der Unternehmensziele, der Marketingstrategie und der definierten Corporate Identity, bestehend aus den Leitlinien zum Corporate Design, der Corporate Behavior und insbesondere den Festlegungen zur Corporate Communications, werden die Ziele und die Handlungsspielräume für die Kommunikationspolitik bestimmt. Auf dieser Grundlage können die kommunikationspolitischen Zielstellungen festgelegt werden. Hier gilt es, die strategischen als auch die operativen Ziele zu bestimmen und die Grundsätze festzulegen. Das betrifft vor allem die Festlegungen von Prämissen zur Umsetzung der integrierten Kommunikation (interne und externe Ziele, Zielgruppen, Wirkungen, Wirtschaftlichkeit, Organisationsmodell). Aus diesen Prämissen leitet sich sodann die Gestaltung des Einsatzes der einzelnen Kommunikationsinstrumente ab. Dafür sind die Ziele, die Zielgebiete, die Zielgruppen, die Botschaften (mit inhaltlichen, strukturellen und gestalterischen Ansätzen) und die einzusetzenden Kommunikationsmittel zu definieren. Die konzeptionellen Überlegungen zur Gestaltungsstrategie (Copy-Strategie) beinhalten die Grundsätze der Gestaltung der Botschaft in verschiedenen Medien und Werbeträgern und können zu einer Unique Advertising Proposition (UAP) führen.
242
Kommunikationspolitik
Sind diese Instrumente bezüglich ihrer Wirksamkeit konzeptionell strukturiert, müssen diesen, einzelne Medien zugeordnet werden. Dabei sind wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, einen aktuellen und stets zu aktualisierenden Mediaplan in das Kommunikationskonzept aufzunehmen, bzw. als korrespondierende, gesonderte Dokumentation zu erstellen. Ein Mediaplan dokumentiert alle im Zielgebiet bzw. im Streuraum vorhandenen Medien unter dem Gesichtspunkt der Wirkung und der Kosten. Er stellt sich als Sammlung von Dokumenten und Rechercheergebnissen dar, der eine Analyse und eine Auswahl von Medien bzw. Kommunikationsmitteln möglich macht. Sind alle Medien mit ihren Wirkungspotenzialen und Kosten ermittelt, müssen sie unter dem Gesichtspunkt der Wirkung und Wirtschaftlichkeit zeitlich in den Geschäftsjahresablauf eingearbeitet werden. Diese Zuordnung (Werbestreuplanung) erfolgt in einem Jahresdatenbzw. Streuplan. Der Jahresdatenplan ist eine Zuordnung aller Medien in den zeitlichen Geschäftsjahresablauf eines Kulturunternehmens unter dem Gesichtspunkt der Wirkungen und der Wirtschaftlichkeit. Dabei sind Entscheidungen zu treffen hinsichtlich • der wirkungsvollen Kombination von Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Verkaufsförderung. Im Rahmen dieser Intermediaselektion sind Basis- und flankierende Medien und einzelne Werbeträger (Intramediaselektion) für einen wirkungsvollen Mediamix festzulegen (vgl. Meffert 2001, S. 811ff.). • der Wirksamkeit einzelner Medien zur Übermittlung der (unterschiedlichen) Botschaften an (unterschiedliche) Zielgruppen. • des Zielgebietes. Hier gilt es Gebiete mit einem hohen Anteil der Zielgruppe an Bewohnern zu identifizieren. • des Zeitpunktes, der Dauer und der Häufigkeit (Zeitpunkt und Anzahl von Wiederholungen; pulsierende oder kontinuierliche Ansprache) der Aktivitäten. • der Wirtschaftlichkeit (Anzahl der Kontakte, die Reichweite, Kosten, verfügbares Budget). Zur Beurteilung der Medien und zur Entscheidungsfindung sind zunächst Kontaktmaßzahlen und Kontaktgewichtungen heranzuziehen. Kontaktmaßzahlen können eingesetzt werden, um die Anzahl von Kontakten oder Kontaktwahrscheinlichkeiten mit der Zielgruppe einschätzen zu können. Neben der Auflage der Medien ist es vor allem deren Reichweite, die Auskunft über die Anzahl der Kontakte mit Vertretern der Zielgruppe gibt. Die Reichweite einer Zeitschrift ist dann größer als die Auflage, wenn sie von mehreren Personen gelesen wird. Leser pro Ausgabe (LpA) ist die Zahl der Personen, die Leser der kleinsten belegbaren Einheit eines Periodikums in ihrem Erscheinungsintervall sind. Leser pro Nummer (LpN) ist die Gesamtzahl der Personen, die eine Zeitschrift durchschnittlich lesen. Tagesreichweite sind Hörer oder Seher eines TV- oder Hörfunksenders pro Tag. Wenn mehrere Medien kombiniert werden, dann kann eine Person über mehrere Medien erreicht werden, was mit der Bruttoreichweite abgebildet wird. Sie kann durch interne Über-
Hardy Geyer
243
schneidungen eines Mediums oder durch externe Überschneidungen bei Nutzung mehrerer Medien hervorgerufen werden. Die Nettoreichweite ist die Anzahl der mindestens einmal erreichten Zielperson. Allerdings werden über die Reichweite nur quantitative Kontakte erfasst, die im Konkreten sehr unterschiedlich sein können. Eine Anzeige kann zwar wahrgenommen, aber nicht verarbeitet werden, weil sie nicht ausreichend wirkt. Diese qualitativen Wirkungen bei der Zielgruppe können durch ermittelte und vorher definierte Kontaktgewichtungen berücksichtigt werden. Ansatzpunkte sind Personengewichte, Mediagewichte, Kontaktmengengewichte (vgl. Bruhn 2001, S. 225). Nachdem die Kontaktmaßzahlen und -bewertungen vorliegen, sind wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen. Hierbei steht die Analyse der zu erwartenden Kosten im Mittelpunkt. Der Tausenderkontaktpreis (TKP) gibt die Werbekosten an, die für die Erreichung von 1000 Kontakten erforderlich sind. Im Rahmen der Planung gilt es nun, mittels der Informationen von Kontaktmaßzahlen und bewertungen sowie die Tausenderkontaktpreise die verfügbaren Medien zu selektieren. Dafür stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung: In Rangreihenverfahren können die Medien nach ihrer relativen Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit geordnet werden. Evaluierungsverfahren gehen von bisherigen Verfahren oder Konkurrenzbeobachtungen aus. Optimierungsverfahren verbessern schrittweise vorgegebene Jahresdatenpläne / Streupläne. Dabei wird ein vorgegebenes Kommunikationsbudget so auf einzelne Medien verteilt, dass die Werbewirkung insgesamt optimiert wird. Im Zusammenhang mit dieser operationalisierten Planung ist in der Budgetplanung entweder das erforderliche Budget zu ermitteln oder es ist das verfügbare Budget zu strukturieren. Daraus leiten sich verschiedene Verfahren der Budgetfestlegung ab (vgl. Meffert 2001, S. 785ff.). Die Bestimmung des Budgets in Abhängigkeit von den Zielen, eingesetzten Instrumenten und Kommunikationsmitteln (Ziel- und Aufgabenmethode) ist relativ einfach und deshalb für Kulturunternehmen praktikabel. Auf der Grundlage des Kommunikationskonzeptes werden die für die festgelegte Strategie anfallenden Kosten geschätzt. Sie leitet sich letztendlich aus den Daten des Mediaplanes und den Festlegungen des Jahresdatenplanes ab. Ein verfügbares Budget wird über Planungskennziffernmethoden ermittelt. Das Kommunikationsbudget wird vorab durch Anteile an Bezugsgrößen festgelegt. Anteile können bestimmt werden am Umsatz (z.B. 10% der Kartenverkaufserlöse), am Gewinn (z.B. 5% vom kalkulierten Gewinn einer Veranstaltung) oder an verfügbaren Mitteln (z.B. 30% des Gesamtbudgets eines Projektes) an Werbeaufwendungen der Konkurrenz (z.B. 110% des Werbeaufwands eines anderen Theaters).
244
Kommunikationspolitik
Diese Verfahren sind nicht aufwändig, allerdings möglicherweise ungenau. Sie sind vor allem dann sinnvoll einzusetzen, wenn schon gesicherte Erfahrungen über den Zusammenhang von Budgethöhe, Kommunikationsmaßnahmen und erzielten Wirkungen vorliegen.
4.2
Organisation
Die Organisation des Kommunikationsmanagement bezieht sich auf Planungs-, Führungsund Kontrollprozesse der Kommunikationsmaßnahmen zur Durchsetzung der integrierten Kommunikation auf der Grundlage des Kommunikationskonzeptes. Im Mittelpunkt steht die Zuordnung der Kommunikationsaufgaben zu Aufgaben- und Entscheidungsträgern. Die Aufgaben können sowohl innerbetrieblichen Stellen und Instanzen als auch außerbetrieblichen Organisationen übertragen werden. Innerbetrieblich können die Aufgaben je nach Größe des Betriebes und Komplexität sowie Umfang auf einzelne Stellen, Sachgebiete oder Abteilungen übertragen werden, die entweder mit eigener Entscheidungskompetenz ausgestattet sind oder als Stabstelle bestimmten Instanzen als Entscheidungsträger zugeordnet sind. Wichtig ist, dass auch bei Übertragung der Kommunikationsaufgaben auf mehrere Stellen, Abteilungen und Instanzen eine integrierte Kommunikation realisiert werden kann. Oftmals wird die interne Kommunikation dem Personalressort zugeordnet; die externen werblichen Kommunikationsaktivitäten gehören zum Marketingressort und die strategische Kommunikation einschließlich der Öffentlichkeitsarbeit wird durch den Vorstandsvorsitzenden bzw. die Geschäftsführung verantwortet und durch einen Stab realisiert. Dies birgt die Gefahr in sich, dass schon in der Planung, aber auch in der Organisation, Führung und Kontrolle ein ganzheitliches Denken und Handeln verhindert wird und somit die Unternehmenskommunikation wenig synergetisch ist und an Wirkung und Wirtschaftlichkeit verliert. Außerbetrieblich können die Aufgaben an externe Dienstleister übertragen werden. Mögliche Dienstleister sind auf der strategischen Ebene meist Unternehmens- und Marketingberater sein. Auf der operativen Ebene bieten spezialisierte Agenturen ihre Dienste an, wie z.B. allgemeine Kommunikationsagenturen, Werbeagenturen, Mediaagenturen, Verkaufsförderagenturen, Sponsoringagenturen, Direkt-Marketing-Agenturen, Event-Marketing-Agenturen und Public Relations-Agenturen. Voraussetzung für eine ziel- und ergebnisorientierte Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern ist die Beauftragung auf der Grundlage einer konkreten Aufgabenstellung in Form eines schriftlichen Briefing.
Hardy Geyer
4.3
245
Führung
Die Führung der Kommunikationspolitik bezieht sich vor allem auf die Planungs-, Organisations- und Kontrollaufgaben und die Personen innerhalb und außerhalb des Kulturunternehmens. Um die Ziele der Kommunikationspolitik erreichen zu können, ist das zielgerichtete Handeln der Mitarbeiter und der Kooperationspartner über wirkungsvolle Informations- und Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Schwerpunkt ist die Gewährleistung einer integrierten Kommunikation.
4.4
Kontrolle
Die kommunikationspolitischen Maßnahmen sollen gewünschte, in der Planung festgelegte, psychische Wirkungen erzielen und zugleich wirtschaftlich sein. Folglich ist Gegenstand der Kommunikationskontrolle einerseits die Bewertung der erzielten psychologischen Wirkungen andererseits die erreichte Wirtschaftlichkeit. Im Vordergrund steht die Analyse der psychologischen Wirkungen, also die ausgelösten Wirkungen bei der Zielperson oder der Zielgruppe hinsichtlich der ablaufenden psychischen Prozesse, von der Wahrnehmung einer Botschaft über die Verarbeitung bis zum Verhalten der Kontaktperson. Mit verschiedenen Kommunikationswirkungsanalysen kann untersucht werden, welche Kommunikationsmaßnahme bei den Zielpersonen und -gruppen in welchen Situationen welche Wirkungen auslöst. Evaluative Verfahren analysieren den Erfolg wie z.B. die Bekanntheit, den Marktanteil und den Umsatz, untersuchen aber nicht die Ursachen. Diese Wirkungsvoraussetzungen können mit diagnostischen Verfahren abgebildet werden. Tests mit apparativen Techniken oder Befragungen ermöglichen es, die beim Rezipienten ausgelösten Prozesse zu analysieren. Sie können vor dem Einsatz (Pre-Test) oder nach dem Einsatz (Post-Test) der Kommunikationsinstrumente eingesetzt werden. Sie untersuchen die kognitiven Wirkungen (Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Wissen, Erinnerung), affektive Wirkungen (Emotionen, Einstellungen) und konative Wirkungen (Verhaltensabsichten). Die Schwierigkeit aller Wirkungsanalysen ergibt sich aus den Interpendenzen der einzelnen Wirkungen verschiedener Kommunikationsinstrumente (insbesondere im Zeitverlauf) unter Störeinflüssen, so dass die Wirkungen letztlich nicht eindeutig abgegrenzt werden können. Zur Kontrolle der Wirtschaftlichkeit sind die Kontaktmaßzahlen und Kontaktbewertungen sowie der Tausenderkontaktpreis heranzuziehen und die in der Kommunikationsplanung definierten SOLL-Größen hinsichtlich ihrer Erfüllung zu analysieren. Die Kommunikationskontrolle geht in ihrem Zusammenhang mit der Kommunikationsplanung und der operativen und strategischen Zielbestimmung in das Marketingcontrolling ein.
246
5
Kommunikationspolitik
Literatur
Bruhn, M.: Marketing, Wiesbaden 2001 Colbert, F.: Kultur- und Kunstmarketing, Wien / New York 1999 Geyer, H.: Grundlagen der Kommunikationspolitik. Studienbrief 2-080-431, Brandenburg 2005 Herrmanns, A. / Püttmann, M.: Integrierte Marketing-Kommunikation, Wiesbaden 1993 Klein, A.: Kulturmarketing, Das Marketingkonzept für Kulturbetriebe, München 2001 Kotler, P.: Grundlagen des Marketing, München et al. 1999 Meffert, H.: Marketing, Wiesbaden 2001 Pflaum, D. / Linxweiler, R.: Public Relations der Unternehmung, Landsberg / Lech 1998 Schneider, W.: Marketing und Käuferverhalten, München / Wien 2004
Jürgen Lürssen
Werbung 1
Einleitung
2
Phasen der Werbeplanung
2.1
Festlegung der Werbeziele
2.2 Bestimmung des Werbebudgets und Mediaplanung 2.2.1 Budgetierung 2.2.2 Mediaplanung 2.3
Festlegung der Werbebotschaft
2.4
Gestaltung der Werbemittel
2.5
Kontrolle der Werbewirkung (Pretest)
2.6
Durchführung der Werbekampagne
2.7
Kontrolle des Werbeerfolgs
3
Zusammenfassung
4
Literatur
248
1
Werbung
Einleitung
Unter Werbung versteht man die nicht persönliche Übertragung von Botschaften mit Hilfe von Medien (Werbeträgern) mit dem Zweck der Beeinflussung von Meinungen und Verhaltensweisen (vgl. Klein 2005, S. 423f.). Für den Medieneinsatz muss die werbetreibende Institution bezahlen. Das unterscheidet die Werbung von der Pressearbeit, die gerade für kulturelle Betriebe und Organisationen eine große Bedeutung hat. Nach dieser kurzen Definition dessen, was Werbung ist, noch eine Bemerkung, was Werbung nicht ist: Werbung ist nicht Marketing! Kein Begriff der Betriebswirtschaftslehre wird so oft falsch verwendet wie der des Marketing, denn im landläufigen Sprachgebrauch ist fast immer „Werbung“ gemeint, wenn „Marketing“ gesagt wird. Glaubt jemand, dem schleppenden Umsatz durch Erhöhung der Werbeausgaben Beine machen zu müssen, hört man oft: „Da müssen wir mehr Marketing machen.“ Tatsächlich ist die Werbung aber nur ein Teilbereich des Marketing und in fast allen Branchen noch nicht einmal der wichtigste. Praktisch immer steht nämlich das Produkt selbst, seine Qualität und Ausstattung im Mittelpunkt aller Marketingüberlegungen. In der Regel hat Werbung nur einen Absender, das heißt eine einzelne Kulturorganisation wirbt für sich. Bei Kollektivwerbung hingegen beteiligen sich mehrere Organisationen an einer Werbekampagne (vgl. Thommen / Achleitner 2006, S. 261). Hierbei kann man wiederum unterscheiden zwischen Gemeinschaftswerbung, bei der mehrere gleichartige Institutionen gemeinsam werben, wie etwa alle Museen einer Stadt für eine „Lange Nacht der Museen“, und Verbundwerbung, bei der zwei oder mehr Anbieter unterschiedliche Produkte bewerben, die aber gut zusammen passen müssen. Da der Einsatz von Werbung in der Regel mit erheblichen Ausgaben verbunden ist, kommt der systematischen Planung und Kontrolle aller Werbemaßnahmen größte Bedeutung zu. Ohne diese wird der Werbeeinsatz zum Blindflug, der viel Geld kostet, aber keine Wirkung erzielt. Die Grundlage jeder Werbemaßnahme sollte also eine vorherige Werbeplanung sein.
2
Phasen der Werbeplanung
2.1
Festlegung der Werbeziele
Die Werbeplanung vollzieht sich idealtypisch in verschiedenen Phasen, die in Abbildung 1 dargestellt sind (vgl. Becker 2001, S. 565ff. und Homburg / Kromer 2006, S. 765ff.). Der erste Schritt besteht in der Festlegung der Werbeziele im weiteren Sinne. Dabei geht es um die Frage, welches Werbeobjekt bei welchen Zielgruppen mit welchen Zielen im engeren Sinne beworben werden soll und in welchem Zeitraum die Ziele i.e.S. erreicht werden sollen.
Jürgen Lürssen
249 Festlegung der Werbeziele im weiteren Sinne: •Werbeobjekte •Zielgruppen •Werbeziele i.e.S. (Inhalt und Ausmaß) •Werbezeitraum
Best immung des Werbebudgets und Mediaplanung
Festlegung der Werbebotschaft (Copy Strategy)
Gestaltung der Werbemittel
Kontrolle der Werbewirkung (Pretest)
Durchführung der Werbekampagne
Kontrolle des Werbeerfolgs Abb.1 Phasen der Werbeplanung (in Anlehnung an Becker 2001, S. 567 und Homburg / Krohmer 2006, S. 765)
Hinsichtlich des Werbeobjekts („Was soll beworben werden?“) kann man zwischen Einzelproduktwerbung, Programmwerbung und Organisationswerbung unterscheiden (vgl. Klein 2005, S. 424). Bei der Einzelproduktwerbung wird ein einzelnes Angebot beworben, z.B. ein Konzert oder eine Ausstellung. Programmwerbung umfasst mehrere zusammen gehörende Angebote, wie der Saisonspielplan eines Theaters. Bei der Organisationswerbung wird die Organisation als solche beworben, ohne detaillierten Bezug zu ihren Produkten und Programmen, z.B. Werbung für einen Förderverein eines Museums. Werbeziele sind immer auf Zielgruppen zu beziehen („An wen richtet sich die Werbung?“). Die Zielgruppen der Werbung sind meistens identisch mit den im Marketing-Konzept definierten Zielgruppen. Im Einzelfall kann die Werbung aber auch nur an einzelne Untergruppen gerichtet sein. So kann sich eine Werbemaßnahme eines Theaters entweder an alle aktuellen und potentiellen Theatergänger richten oder nur an eine Untergruppe, wie etwa Jugend-
250
Werbung
liche unter 20 Jahren oder Nicht-Abonnenten. Die gewählten Zielgruppen bestimmen auch das Werbegebiet, also die räumliche Begrenzung der Werbemaßnahme. Unter Werbezielen im engeren Sinne ist die Beantwortung der Frage „Was soll mit der Werbung erreicht werden?“ zu verstehen. Die Bestimmung der Werbeziele sollte auf der Grundlage der übergeordneten Marketingziele der Organisation erfolgen. Grundsätzlich können verschiedene Ziele mit dem Einsatz von Werbung verfolgt werden, und meist versucht man, mit Werbung mehrere Ziele gleichzeitig zu erreichen. Die häufigsten Werbeziele in der Praxis: •
•
•
•
Bekanntmachung des Angebots und Erhaltung eines hohen Bekanntheitsgrads: Es geht darum, den Zielgruppen die Existenz der Organisation und/oder ihres Angebots überhaupt bekannt zu machen oder sie im Zeitablauf immer wieder daran zu erinnern, zum Beispiel „Es gibt das Schleswig-Holstein Musik Festival für klassische Musik.“ Das Angebot muss den Zielpersonen bekannt sein, damit sie sich überhaupt dafür entscheiden können, das heißt Bekanntheit ist die Voraussetzung für alle weiteren Werbeziele. Information der Zielgruppen: Hierbei geht es um die Vermittlung von Sachkenntnissen zu den Eigenschaften des Angebots, zum Beispiel zu seinem Inhalt und Umfang, zu Terminen, Öffnungszeiten oder zum Preis. Die Werbung wird sich normalerweise auf die Informationen konzentrieren, die von den Zielgruppen als vorteilhaft angesehen werden. Imagebildung: Werden die Informationen von den Zielgruppen positiv beurteilt, entsteht bei ihnen eine positive Einstellung (Image) zum Angebot. Ein positives Image kann aber auch durch die Art der Gestaltung der Werbung erreicht beziehungsweise verstärkt werden. Bei der Festlegung des Zielimages („Was für Vorstellungen sollen die Verbraucher mit unserem Angebot verbinden?“) ist gleichzeitig darauf zu achten, dass man sich auch positiv von Konkurrenzangeboten abhebt. Im Idealfall wird das Angebot von den Umworbenen als einzigartig wahrgenommen. Das erreicht man im Regelfall nur, indem man sich bei der Bestimmung der Werbebotschaft auf einige wenige Vorteile – besser noch auf den wichtigsten Vorteil – des Angebots beschränkt. Im MarketingFachjargon spricht man dann von einem USP („Unique Selling Proposition“: einzigartiges Verkaufsangebot). Verhaltensbeeinflussung: Werbung hat immer auch das Ziel der Verhaltensbeeinflussung im Sinne des Erwerbs der angebotenen Leistung. Das erwünschte Verhalten kann dabei entweder den sofortigen Erwerb des beworbenen Produkts bedeuten, zum Beispiel die sofortige Bestellung von Eintrittskarten zu einem Konzert nach dem Lesen eines Ankündigungsplakats, oder das Ziel besteht in der Anforderung weiterer Informationen zum beworbenen Angebot, zum Beispiel die Bestellung des Gesamtkatalogs aller Konzerte des Schleswig-Holstein Musik Festivals nach Betrachten einer Festival-Anzeige mit dem Coupon aus der Anzeige. Aber auch hier besteht das Ziel letztlich darin, die Umworbenen zum Kauf von Konzertkarten zu animieren.
Neben dieser Bestimmung der Inhalte von Werbezielen ist es auch notwendig, das jeweilige Ausmaß der Zielerreichung zu bestimmen, also die Zielsetzung zu quantifizieren, zum Beispiel „Erreichung eines Bekanntheitsgrads für das Angebot von 80 % in der Zielgruppe“ oder „Verkauf von 4500 Eintrittskarten“. Schließlich müssen im Rahmen der Werbezielset-
Jürgen Lürssen
251
zung Start und Dauer der Werbekampagne festgelegt werden, also in welchem Zeitraum die Werbeziele erreicht werden sollen. Nur wenn die Zielsetzungen auf diese Art messbar gemacht werden, lässt sich am Ende des Werbezeitraums überprüfen, ob die Ziele erreicht worden sind (vgl. Kuß 2006, S. 235). Unbedingte Voraussetzung für eine wirksame Werbeerfolgskontrolle ist also die konkrete Festlegung der Teilaspekte Werbeobjekt, Zielgruppe, Zielinhalt i.e.S., Zielausmaß und Zeitpunkt der Zielerreichung. Ist dies geschehen, spricht man auch von operationalen Werbezielen (vgl. Steffenhagen / Siemer 1996, S. 47). Leider wird in der Praxis sehr häufig gegen diese Anforderung verstoßen. STEFFENHAGEN UND SIEMER (1996) haben in einer groß angelegten empirischen Untersuchung festgestellt, dass die von Werbepraktikern in Unternehmen formulierten Werbeziele überwiegend untauglich waren. Sie führen dies auf „mangelnde Fachkenntnisse der Werbepraktiker“ zurück und konstatieren „eine eindeutige Professionalisierungslücke im Werbemanagement“ (ebd., S. 53). Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sich die Situation in der Zwischenzeit merklich gebessert hätte. Ist die Zielsetzung schwammig formuliert, z.B. „Wir wollen unser Programm bekannt machen“ oder „Wir wollen ein positives Image bekommen“, dann wird man nie messen können, ob die Ziele erreicht wurden – und unter Umständen gravierende Fehler in der Zukunft wiederholen.
2.2
Bestimmung des Werbebudgets und Mediaplanung
2.2.1
Budgetierung
Das Werbebudget umfasst sowohl die Kosten der Werbegestaltung (Produktionskosten), also die Honorare für Grafiker, Photografen, Texter oder Werbeagenturen, als auch die Kosten des Medieneinsatzes, z.B. Insertionskosten. Bei hohen Werbebudgets fallen die Kosten der Gestaltung im Verhältnis zu den Medienausgaben oft kaum ins Gewicht. Anders bei geringen Budgets: Hier kann die Gestaltung einen erheblichen Anteil an den Gesamtkosten ausmachen. Das Werbebudget sollte so bemessen sein, dass die Werbeziele erreicht werden können. Da die Bestimmung des dafür notwendigen Budgets in der Praxis oftmals schwierig ist, behilft man sich mit vielfach mit Daumenregeln, zum Beispiel: •
56
Prozent vom Umsatz. Ein bestimmter Prozentsatz des Umsatzes des Vorjahres wird für Werbung bereitgestellt. Dieser Ansatz wird in der Fachliteratur einhellig kritisiert56 , da er prozyklisch wirkt, denn die Werbung beeinflusst den Umsatz und nicht umgekehrt. Bei sinkendem Umsatz werden nach dieser Regel die Werbeausgaben reduziert, was zu weiter sinkenden Umsätzen führt – ein Teufelskreis. Siehe z.B. Kuß 2006, S. 235f. und Thommen / Achtleitner 2006, S. 270f.
252 •
Werbung Orientierung an der Konkurrenz. Die Ausrichtung an der Konkurrenz wird oft gewählt, wenn man die eigene Position im Markt im Vergleich zur Konkurrenz verteidigen will. Allerdings kennt man in der Regel die Budgetplanungen der Mitbewerber nicht und ist auf Schätzungen angewiesen (vgl. Kuß 2006, S. 236).
2.2.2
Mediaplanung
Die Mediaplanung umfasst zum einen die Mediaselektion, das heißt Entscheidungen, welche Gattungen von Medien eingesetzt werden sollen, z.B. Tageszeitungen, und welche einzelnen Werbeträger innerhalb der Gattungen, z.B. Berliner Morgenpost. Darüber hinaus muss bei längeren Werbekampagnen die zeitliche Verteilung der Werbeausgaben festgelegt werden, also die Frage, ob man für jeweils kurze Zeitabschnitte intensiv werben will („klotzen“, mit dazwischen liegenden Werbepausen) oder lieber kontinuierlich über die ganze Zeitdauer („kleckern“) (vgl. Schweiger / Schrattenecker 2005, S. 188). Die Werbebotschaft kann über verschiedene Werbeträger verbreitet werden, die alle jeweils inhärente Vor- und Nachteile aufweisen. Entscheidend für die Auswahl der einzusetzenden Medien sind die Werbeziele einerseits sowie die Erreichbarkeit der anzusprechenden Zielgruppen mit dem jeweiligen Medium andererseits. Hierbei gilt es, die sogenannten Streuverluste möglichst gering zu halten. Unter Streuverlust versteht man Werbemittelkontakte von Personen, die nicht zur Zielgruppe gehören. Streuverluste sind verschwendetes Geld. Um Streuverluste zu minimieren, ist es wichtig zu wissen, welche Medien die Zielgruppen nutzen. Medien mit großer Reichweite, wie TV-Sender oder Zeitschriften, erfassen die soziodemografische Zusammensetzung ihrer Nutzer regelmäßig über Marktforschung. Für lokale Medien sind diese Informationen nicht immer erhältlich. In diesen Fällen ist man auf eigene Befragungen von Mitgliedern der Zielgruppe oder eigene subjektive Einschätzungen angewiesen. Ein wichtiges Kriterium für die Beurteilung von Medien ist ihre Reichweite. Diese ist definiert als die Anzahl der Kontakte, die mit einer Werbemaßnahme im betreffenden Medium erzielt werden kann. Bei Zeitungen und Zeitschriften ist die Reichweite (Leser pro Ausgabe) regelmäßig sehr viel höher als die verkaufte Auflage, da die Ausgaben oftmals an andere Personen, wie Familienmitglieder, Nachbarn oder Arbeitskollegen weitergegeben werden. Die Reichweite wird oft auch als Prozentsatz der Gesamtbevölkerung angegeben. Man sollte sich nicht davon blenden lassen, dass ein Medium einen hohen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung erreicht. Entscheidend ist die Reichweite in der Zielgruppe, also welchen Anteil der Zielgruppe das Medium erreicht. Neben der Reichweite sind die Kosten eines Werbeträgers ein weiteres wichtiges Beurteilungskriterium. Um die Kosten verschiedener Medien mit unterschiedlicher Reichweite vergleichbar zu machen, wird der sogenannte Tausenderkontaktpreis (TKP) berechnet. Er gibt die Höhe der Kosten für 1000 Kontakte mit dem Werbemittel an. Auch hier ist eine Zielgruppenbetrachtung sinnvoller als eine der Gesamtbevölkerung: Was kostet es, 1000 Kontakte mit Mitgliedern der Zielgruppe zu realisieren?
Jürgen Lürssen
253
Nachfolgend werden die wichtigsten in der Kulturwerbung eingesetzten Medien mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen kurz beschrieben: Plakate. Wegen der im Allgemeinen geringen Kontaktdauer benötigen Plakate eine kurze, prägnante Werbebotschaft und eine ausdrucksstarke grafische Gestaltung, um optimal zu wirken. Setzt man sie in größerer Anzahl ein, sind sie sehr gut geeignet, die Botschaft im Werbegebiet schell bekannt zu machen. Plakate gibt es in allen Formaten von DIN A 3 bis zu 18/1-Großplakaten. Kleine Plakate werden meist im Innern von Gebäuden, aber auch zum Beispiel an Litfasssäulen, an Bushaltestellen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln eingesetzt. Plakatgroßflächen findet man hingegen fast nur im Bereich der Außenwerbung. Durch den Digitaldruck können heutzutage auch kleinere Auflagen von Großplakaten verhältnismäßig günstig und in akzeptabler Qualität hergestellt werden. Direktmarketing. Unter Direktmarketing versteht man Maßnahmen der Einzelansprache von Personen der Zielgruppe. Hierzu zählen vor allem Werbebriefe, Werbepostkarten und EMails. Eigentlich wäre der Begriff Direktwerbung angemessener, aber in Literatur und Praxis hat sich Direktmarketing durchgesetzt. Werbebriefe und -postkarten können entweder persönlich oder unpersönlich adressiert sein. Persönliche Adressen gehören entweder der Organisation, zum Beispiel Mitgliederadressen, oder sie werden von Adressverlagen für die bestreffende Werbekampagne gemietet. Die von Adressverlagen angebotenen Adressen sind stark nach verschiedenen Kriterien (z.B. Soziodemografie, Geografie) segmentiert, so dass man auch sehr kleine und sehr spezielle Zielgruppen persönlich ansprechen kann. Unpersönlich adressierte Werbebriefe („An alle Personen, die gern ins Theater gehen“) werden von der Post nach Vorgaben des Auftraggebers in bestimmten Gebieten verteilt, so dass auch hier über die Wohngebiete eine gewisse Segmentierung möglich ist. Vor allem personalisierte Werbebriefe haben gegenüber anderen Medien den Vorteil der persönlichen und individualisierbaren Ansprache bei relativ geringen Streuverlusten. Darüber hinaus lässt sich der Werbeerfolg verhältnismäßig leicht messen, zum Beispiel an der Anzahl der eingegangenen Kataloganforderungen oder Bestellungen. Nachteilig sind die relativ hohen Kosten pro Kontakt und die Tatsache, dass immer mehr Menschen Werbebriefe ablehnen und nicht beachten. Druckmedien. Zu den Druckmedien gehören Tageszeitungen, kostenlose Werbeblätter, Stadtmagazine und Zeitschriften, wie etwa das Kunstmagazin art. Bei den in diesen Werbeträgern platzierten Werbemitteln handelt es sich weit überwiegend um Anzeigen, Beilagen oder Beihefter. Letztere sind fest eingeheftete Prospekte. In größeren Städten sind Stadtmagazine für viele Kulturorganisationen interessant, da sie mit ihrem Angebot an Veranstaltungs- und Kulturtipps überproportional Kulturinteressierte ansprechen (vgl. Dietze 2005, S. 25). In kleineren Städten beschränkt sich die lokale Printwerbung auf Tageszeitungen und kostenlose Werbeblätter. Tageszeitungen haben den Vorteil hoher Aktualität, und man erreicht über sie einen großen Teil der Kulturinteressierten. Andererseits lesen auch viele kulturell Uninteressierte Zeitung, so dass man oft ebenfalls hohe Streuverluste hat. Dies resultiert in oftmals hohen TKP bezo-
254
Werbung
gen auf die Zielgruppe. Kostenlose Werbeblätter werden zwar meistens an alle Haushalte im ihrem Verbreitungsgebiet verteilt, aber es bleibt oft unklar, wie intensiv sie von der Zielgruppe gelesen werden, vor allem wenn diese regelmäßig Tageszeitungen liest. Zeitschriftenwerbung lohnt sich wegen der meist bundesweiten Verbreitung von Zeitschriften nur für Kulturorganisationen, deren Angebot eine starke überregionale Anziehungskraft hat. Kino. Die im Kino eingesetzten Werbemittel sind Werbefilm oder Diaschau. Während die Produktion selbst eines einfachen Werbefilms mindestens eine fünfstellige Eurosumme kostet, ist eine Diaschau günstiger. Der Hauptvorteil von Kinowerbung liegt in den besonders vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten durch die Kombination von Bild, Sprache, Musik und Geräuschen. Darüber hinaus lässt sich Kinowerbung auf eine Stadt oder Region begrenzen. Auch kann der Auftraggeber bestimmen, in welchen Filmvorstellungen seine Werbung laufen soll, um seine Zielgruppen möglichst gut zu erreichen. Mit Kinowerbung erreicht man allerdings nur relativ junge Zielgruppen: Nur 3 % der über 50-jährigen Deutschen gingen 2005 mindestens einmal monatlich ins Kino, hingegen 47 % der unter 30-jährigen (vgl. Homburg/Kromer 2006, S. 814). Nachteilig sind weiterhin die relativ hohen Produktionskosten von Kinowerbemitteln. Sie werden aber durch die neue digitale Vorführtechnik in Zukunft sinken. Internet-Werbung. Die zwei häufigsten Formen der Werbung im Internet sind Bannerwerbung und Key-Word-Advertising (Werbung über Suchmaschinen wie z.B. google). Banner sind kleine, gestaltete Werbeflächen, die den Betrachter animieren sollen, durch Anklicken des Banners die Internet-Präsenz (Website) des Anbieters aufzurufen. Banner werden in der Regel auf stark frequentierten Internetportalen platziert. Beim Key-Word-Advertising kauft die werbetreibende Organisation beim Suchmaschinenanbieter Werbeplätze, die bestimmten Suchbegriffen, z.B. „Rembrandt-Ausstellung“, zugeordnet werden. Gibt ein Nutzer den Suchbegriff ein, erscheint zusätzlich zu den Suchergebnissen die Werbung in Form von bannerähnlichen reinen Textanzeigen, die der Nutzer anklicken muss, um auf die Website des Anbieters zu gelangen. Um die Wirksamkeit von Internet-Werbung zu maximieren, reicht es aber nicht, die Zielgruppenmitglieder auf die eigenen Internetseiten zu locken. Die eigene Website als solche ist auch sehr wichtig. Sie muss nach dem Anklicken die Erwartungen der Nutzer erfüllen. Hierzu gehören vor allem eine benutzerfreundliche Gestaltung mit übersichtlicher Navigation, kurzen Ladezeiten der Einzelseiten, sowie ein Informationsangebot, das keine wesentlichen Fragen offen lässt. Darüber hinaus erwarten im Kulturbereich immer mehr Nutzer nicht nur Informationen über das Angebot, sondern auch die Möglichkeit, Eintrittskarten sofort online zu erwerben. Die Vorteile der Internet-Werbung sind vielfältig. Neben den multimedialen Gestaltungsmöglichkeiten (Einbindung von Audio und Video) ist vor allem die Interaktivität zu nennen. Sie ermöglicht dem Nutzer, sofort auf die angebotene Information zu reagieren, z.B. durch Zusenden eines E-Mails. Zudem können die Inhalte der Website jederzeit aktualisiert oder verändert werden. Weiterhin erlauben die Bannerwerbung durch die Auswahl der Websites, in denen die Banner platziert werden, und das Key-Word-Advertising durch die Auswahl der
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Suchbegriffe eine zielgruppenspezifische, auch regional begrenzte Ansprache. Nachteilig ist die Tatsache, dass vor allem ältere Zielgruppen mangels Internetzugang immer noch schlecht erreichbar sind. Fernsehen. Die Vorteile der Fernsehwerbung liegen wie bei Kinowerbefilmen in der Kombination aus Sprache, Bild, Ton und Bewegung. Dies ermöglicht eine optimale Darstellung von Angebotsvorteilen; auch lassen sich positive Emotionen leichter wecken als mit anderen Medien. Mit Fernsehwerbung kann man große Teile der deutschen Bevölkerung erreichen, allerdings gibt es nicht viele Möglichkeiten regionaler TV-Werbung. Daher sind erhebliche Streuverluste unvermeidlich, wenn man sehr spezielle Zielgruppen erreichen will, wie etwa die an Opern interessierten Bewohner des Großraums Hannover. Da darüber hinaus die Kosten für die Produktion und vor allem für die Ausstrahlung eines Werbefilms sehr hoch sind, ist dieses Medium für die meisten von Kultureinrichtungen unwirtschaftlich. Hörfunk. Zwar gibt es eine Vielzahl regionaler Hörfunksender, die Werbung ausstrahlen. Und für Radiowerbung sprechen weiter die relativ geringen Produktions- und Kontaktkosten bei gleichzeitig hoher Reichweite. Aber die Sender mit Werbung wenden sich in erster Linie mit Popmusik an ein Massenpublikum. Die von den meisten Kultureinrichtungen anvisierten Zielgruppen dürften deshalb nur teilweise und auch nur mit großen Streuverlusten zu erreichen sein, in welchem Fall auch die Radiowerbung unwirtschaftlich ist.
2.3
Festlegung der Werbebotschaft
Der nächste Schritt im Prozess der Werbeplanung besteht in der Formulierung der Werbebotschaft (Werbeaussage). Hierbei geht es um den konkreten Inhalt der Werbung, also um die Frage, was bei den Zielgruppen nach dem Kontakt mit der Werbung „hängen bleiben“ soll. Basis für die Botschaft ist die im Marketing-Konzept definierte Positionierung des Angebots. So könnte die Botschaft einer Werbekampagne für eine Musikschule folgende unterschiedliche Inhalte haben: Preisgünstiger Unterricht („Gar nicht so teuer, wie Sie vielleicht glauben“) oder Unterricht auch abends und am Wochenende („Wir sind für Sie da, wenn SIE Zeit haben“) oder soziale Anerkennung durch Beherrschung eines Instruments („Da werden die anderen aber staunen“). Da die Gestaltung der Werbemittel in der Regel nicht von der werbetreibenden Institution, sondern von externen Fachleuten (z.B. Werbeagentur, Grafiker, Fotografen, Texter) durchgeführt wird, kommt der präzisen Formulierung der Werbebotschaft große Bedeutung zu (vgl. Klein 2005, S. 430). Die Werbebotschaft ist der Kern der sogenannten Copy Strategy. Hierunter versteht man „eine verbindliche Argumentations- und Gestaltungsstrategie für die konkrete kreative Ausgestaltung der einzelnen Werbemittel“ (Schweiger / Schrattenecker 2005, S. 222). Die Copy Strategy dient den externen Fachleuten („Kreativen“) als Arbeitsgrundlage. Sie enthält darüber hinaus weitere Planungsinformationen, die für eine zielgerechte kreative Gestaltung notwendig sind und hat üblicherweise folgenden Aufbau (vgl. Becker 2001, S. 569):
256 • • • • •
Werbung Positionierung des Angebots Zielgruppen Nutzenversprechen („Consumer Benefit“): Welchen besonderen Nutzen bietet das Angebot den Umworbenen? Begründung („Reason Why“): nachvollziehbare Begründung des versprochenen Nutzens Tonalität („Tonality“): Hiermit ist die angestrebte „Ausdruckform, der Stil der Ansprache, die Ausstrahlung der Werbung“ (Schweiger/Schrattenecker 2005, S. 222) gemeint. Sie sollte auf die Zielgruppen abgestimmt sein und kann zum Beispiel rational, hochwertig, humorvoll, informativ, erlebnisorientiert, flippig, seriös oder cool sein.
Nutzenversprechen, Begründung und Tonalität machen zusammen die Werbebotschaft aus. Die Copy Strategy sollte unbedingt schriftlich abgefasst werden und wird manchmal auch Briefing (von englisch „brief“: kurz, knapp) genannt. Über die oben genannten Inhalte hinaus sind oftmals weitere Hintergrundinformationen für die Kreativen wichtig (vgl. Schweiger / Schrattenecker 2005, S. 153ff.): • • • •
Analyse der Markt- und Wettbewerbssituation Darstellung der Werbeziele Rahmenbedingungen (z.B. vorgegebene Stilelemente des Corporate Designs wie Logo, Slogan, Schrifttypen, Farben) Werbebudget
Die Qualität des Briefings beeinflusst in entscheidendem Maße die Qualität der kreativen Arbeit. Nur wenn die Werbegestalter genau wissen, was der Auftraggeber erwartet, können sie seine Wünsche optimal erfüllen. Deswegen sollte man sich viel Mühe für die Erstellung des Briefings geben und in einem Briefinggespräch alle auftretenden Fragen der Gestalter klären.
2.4
Gestaltung der Werbemittel
Die Gestaltung ist ein kreativer Prozess, der unbedingt Fachleuten überlassen werden sollte. Auch bei geringem Budget sollte man der Versuchung widerstehen, die Werbemittel selbst zu erstellen, auch wenn entsprechende PC-Programme dazu verlocken mögen. Das Ergebnis wirkt meist unprofessionell, sieht „selbst gestrickt“ aus. Man muss auch nicht für jede Werbemaßnahme eine Agentur beauftragen, sondern kann sich selbst ein Team aus Grafiker, Texter und Fotograf zusammenstellen. Bei ganz geringen Budgets kann man allenfalls auf einen Texter verzichten, wenn jemand aus der Organisation gut schreiben kann, aber niemals auf einen Grafiker. Auch Photos sieht man es meist an, ob ein Profi oder Amateur sie geschossen hat. Eine Kamera mit 10 Millionen Pixel garantiert noch lange keine guten Bilder! In der Regel präsentiert die Werbeagentur (oder der Grafiker) mehrere Entwürfe für das Werbemittel. War das Briefing klar und präzise und hat die Agentur es richtig verstanden, dann könnten alle Entwürfe den Wirkungsanforderungen entsprechen, die durch die Werbe-
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ziele vorgegeben sind. Ob dies wirklich so ist, kann man aber nur durch eine empirische Überprüfung feststellen, die im nächsten Abschnitt behandelt wird. In der Praxis wird leider oft darauf verzichtet, so dass der persönliche Geschmack des Auftraggebers oder sein „Bauchgefühl“ entscheiden, welcher Entwurf ausgewählt wird.
2.5
Kontrolle der Werbewirkung (Pretest)
Bevor größere Summen für die Belegung der Medien ausgegeben werden, empfiehlt es sich zu überprüfen, ob das ausgewählte Werbemittel tatsächlich so wirkungsvoll ist, wie von Agentur und Auftraggeber angenommen. Oder es stellt sich die Frage, welcher von zwei als prinzipiell gleichwertig eingestuften Entwürfen letztendlich gewählt werden soll. Die VorabKontrolle der Werbewirkung vor Beginn der Kampagne wird Pretest genannt. Dabei geht es um die Erfassung, das heißt Messung folgender Einzelwirkungen des Werbemittels (vgl. Homburg / Krohmer 2006, S. 846ff.): • • • • •
Erzeugung von Aufmerksamkeit (Ist die Gestaltung geeignet, im Umfeld der Werbung von der Zielgruppe überhaupt beachtet zu werden?) Verständnis und Glaubwürdigkeit der Werbebotschaft (Versteht die Zielgruppe die Werbeaussage(n) so wie vom Auftraggeber beabsichtigt? Empfindet sie die Botschaft als glaubwürdig?) Emotionale Wirkungen (Akzeptiert die Zielgruppe die Botschaft? Gefällt sie ihr? Und gefällt ihr das Werbemittel?) Einstellungsbezogene Wirkungen (Entsteht in der Zielgruppe die gewünschte – oder verbessert sich die bestehende – Einstellung zum Angebot?) Verhaltenswirkungen (Erzeugt die Werbung die beabsichtigten Verhaltensabsichten, z.B. Kaufabsicht?)
Für die Durchführung eines Pretests bieten Marktforschungsinstitute verschiedene Untersuchungsdesigns und zum Teil auch standardisierte Testverfahren an, die methodisch entweder auf Befragung oder auf Beobachtung basieren. Solche Untersuchungen übersteigen allerdings das Budget vieler Kultureinrichtungen. Man kann aber auch eine kleine Untersuchung ohne allzu großen Aufwand durchführen, indem man einfach Mitglieder der Zielgruppe befragt. Dazu formuliert man einen kurzen Fragebogen mit Fragen zu allen genannten Einzelwirkungen. Als Vorlage dienen die Werbemittelentwürfe, die vor allem bei Druckmaterialien in fast der gleichen (Farb-)Qualität hergestellt werden können wie die späteren Werbemittel. Die Befragten sollten unvoreingenommen sein und deshalb weder zur Agentur, noch zur Organisation des Auftraggebers gehören. Obwohl eine solche Vorgehensweise nicht den strengen Anforderungen an repräsentative Marktforschungsuntersuchungen genügt, ist sie immer noch weit besser als die Beurteilung der Werbewirkung nach reinem „Bauchgefühl“. Nicht selten ergibt die Vorab-Prüfung Ansatzpunkte für substanzielle Verbesserungen der Werbemittelgestaltung. Denn die Wahrnehmung der Werbung durch die Zielgruppe ist
258
Werbung
manchmal anders als Kreative und Marketing-Experten auf Auftraggeberseite es sich denken. Eine kleine Auswahl typischer Fallen: Das Produkt wird nicht richtig erkannt, die zentrale Botschaft wird missverstanden, wichtige Einzelinformationen werden nicht wahrgenommen (und sei es nur, weil sie zu klein gedruckt sind) oder die Gestaltung gefällt nicht und dies färbt negativ auf die Einstellung zum Angebot ab.
2.6
Durchführung der Werbekampagne
Die Realisation der Kampagne (z.B. Buchung von Anzeigen, Druckaufträge, Verteilung von Werbematerialien) überlässt man entweder einer Werbeagentur gegen eine Provision oder man führt sie selbst durch. Das beginnt bei Druckmaterialien mit der Druckabnahme, bei der besonders darauf zu achten ist, ob die Farbqualität mit dem Entwurf übereinstimmt. Darüber hinaus weist KLEIN (2005, S. 434) darauf hin, wie wichtig es ist zu kontrollieren, ob die einzelnen Werbemaßnahmen tatsächlich wie geplant durchgeführt werden, beispielsweise: „Hängen die Plakate genau zum vereinbarten Zeitpunkt dort, wo sie hängen sollen? Liegen die Werbebroschüren auch wirklich an den Orten, die hierfür vorgesehen wurden? Werden sie regelmäßig nachgefüllt?“
2.7
Kontrolle des Werbeerfolgs
Der Pretest lässt erkennen, wie die Werbung voraussichtlich wirken wird. Ob sie aber tatsächlich wie erwartet gewirkt hat, lässt sich mit letzter Sicherheit erst nach Beendigung der Kampagne beurteilen – und auch nur dann, wenn man eine Werbeerfolgskontrolle (auch Posttest genannt) durchführt. Ihre Basis sind die vor der Kampagne definierten Werbeziele. Auf die entscheidende Bedeutung der Messbarkeit von Werbezielen als Voraussetzung für eine spätere Erfolgskontrolle wurde bereit oben hingewiesen. Nur durch eine Werbeerfolgskontrolle kann man feststellen, wie wirksam die einzelnen eingesetzten Werbemittel waren, um daraus Konsequenzen für zukünftige Kampagnen zu ziehen. Auch für Posttests bieten Marktforschungsinstitute ein breit gefächertes Angebot an Messmethoden an, die für kleinere Kultureinrichtungen in der Regel zu teuer sind. Aber auch sie sollten unbedingt den Werbeerfolg kontrollieren, und dafür wie beim Pretest und bei der Realisationskontrolle einfache, kostengünstige Methoden einsetzen, z.B. eine selbst durchgeführte Befragung von Besuchern, wie sie auf die Veranstaltung aufmerksam geworden sind (Klein 2005, S. 435f.).
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Zusammenfassung
Das Ziel der vorliegenden Abhandlung ist es, den Soll-Entstehungsprozess von Werbung als systematischen Prozess der betriebswirtschaftlichen Planung, Durchführung und Kontrolle darzustellen. Leider sieht die Ist-Vorgehensweise in der Praxis in vielen Unternehmen ganz anders aus (und vermutlich auch in kulturellen Einrichtungen, obwohl es dazu nach Kenntnis des Autors keine empirischen Untersuchungen gibt). Sie ist gekennzeichnet durch untaugliche, nicht operationale Werbeziele, Bestimmung des Werbebudgets nach dem Umsatz und nicht den Zielen entsprechend, Verzicht auf Pretests, dafür Entscheidung über die einzusetzende Werbemittelgestaltung „aus dem Bauch heraus“ und schließlich Verzicht auf jegliche Werbeerfolgskontrolle. Das alles wäre nicht dramatisch, ginge es nicht – wie meistens – um viel Geld, das durch unprofessionelles Werbemanagement verschwendet werden kann. Umso wichtiger sind professionelle Vorgehensweisen, wenn das Geld für Werbung knapp ist, was für die meisten kulturellen Einrichtungen gilt. Es bleibt also zu hoffen, dass die Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Text den für die Werbung Verantwortlichen Anregungen zur Optimierung des innerbetrieblichen Werbeplanungsprozesses geben kann.
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Werbung
Literatur
Becker, J.: Marketing-Konzeption, 7. Auflage, München 2001 Dietze: Grundlagen der Werbung kultureller Betriebe, Studienbrief 2-080-0432 des Hochschulverbund Distance Learning, 1. Auflage, 2005 Homburg, Chr. Krohmer, H.: Marketingmanagement, 2. Auflage, Wiesbaden 2006 Klein, A.: Kulturmarketing, München 2005 Kuß, A.: Marketing-Einführung, 3. Auflage, Wiesbaden 2006 Schweiger, G. / Schrattenecker, G.: Werbung, 6. Auflage, Stuttgart 2005 Steffenhagen, H. / Siemer, S.: Untaugliche Werbezielformulierungen der Praxis, in: Marketing-ZFP, Heft 1/1996, S. 45 – 54 Thommen, J.-P. / Achtleitner, A.-K.: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 5. Auflage, Wiesbaden 2006
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Um die Wette kommunizieren … Grundsätze der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit 1
Der zweite Markt
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Plädoyer für’s Konzept
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Sich selbst verstehen und messen
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Umfeldbedingungen
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Was sagt die Konkurrenz?
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Sinnvoll vernetzt: die SWOT-Analyse
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„Ich liebe Euch doch alle!“ – Zielgruppenanalyse und -beschreibung
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Schummeln unerwünscht: Kommunikationsziele
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Strategiestart: Die Positionierung
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Konturen erwünscht: Der Strategiekern
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Das Dach decken: Die Botschaften im System
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Medienarbeit
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Literatur
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Um die Wette kommunizieren… Grundsätze der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Der zweite Markt
Kulturinstitute, seien es Theater, Museen, Konzerthäuser, Bürgerzentren, Vereine, „alternative“ Lichtspielhäuser oder auch andere „Pflegeeinrichtungen“ der Kultur und Kunst, denen es in erster Linie um die Vermittlung von Inhalten und um ihre Lebendigkeit an sich geht, bemühen sich in Deutschland zum Teil beispielhaft um die eigene Positionierung in der Wahrnehmung ihrer Bezugspersonen. Unternehmen tun das gleiche, insgesamt sicherlich intensiver und extensiver. Unternehmen wie Kulturinstitute bemühen sich also um Anteile auf dem Markt der Werte und Einstellungen, auf dem sie um Bekanntheit, Akzeptanz, Sympathie und Zustimmung werben und konkurrieren. In der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts tun sie das nicht mehr aus grundlegend verschiedenen Gründen, wie vierzig Jahre zuvor. Denn es geht beiden darum, Werte und Einstellungen zu prägen, um sich auch Anteile auf dem „eigentlichen“ Markt, nämlich dem der Ab- und Umsätze zu sichern, wenngleich das der primäre Unternehmenszweck, jedoch nicht der primäre Zweck ernstgemeinter Kultur- und Kunstarbeit sein kann. Aber es ist ein Zweck jeder Kultureinrichtung, mit dessen Verfolgung einer Entwicklung der öffentlichen Kultur- und Kunstfinanzierung Rechnung getragen wird, an deren Ende auch in Deutschland britische Verhältnisse stehen werden. Darum gibt es Kulturmarketing und – als dessen kleine exekutive Schwester – die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit.
2
Plädoyer für’s Konzept
Der PR-Arbeiter eines Kulturinstitutes setzt also die Marketingstrategien hinsichtlich angebotener Leistungen, bestimmter Zielgruppen, kalkulierter Preise und avisierter Vertriebswege ins kommunikative Werk. Er ist verantwortlich für die Kommunikation gegenüber allen Zielgruppen, ihm obliegt also nicht nur die Information, sondern die Werbung, Meinungsbildung und die Medienarbeit. Im Unternehmen ist das nicht anders, ja, es gibt sogar noch eine Gemeinsamkeit. Die Authentizität all dieser Kommunikation nach außen ist nämlich nur gewährleistet und vor unliebsamen Störungen halbwegs sicher, wenn sie sich in gleichem, zumindest aber ähnlichem Maße nach innen, also an die Mitarbeiter der Kultur- oder Kunstinstitution wendet. Um diesen Anspruch in einen kontinuierlichen Prozess zu transformieren und diesen Prozess mit Leben, Kreativität und eindeutigen Zielvorstellungen zu erfüllen, bedarf es der finanziellen renditeversprechenden Investition in die PR-Arbeit und der Kenntnis grundlegender Standards professioneller Institutionenkommunikation. Vielerorts sehen die Träger, Betriebsleitungen oder Geschäftsführungen von Kulturbetrieben diese Notwendigkeit nicht. Die sogenannten PÖA-Stellen (PÖA steht für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) werden zum Teil mit lächerlichen Budgets versehen und mit „kommunikativen Quereinsteigern“ jedweder Provenienz besetzt, die fernab aller Leitlinien der PR-Arbeit einen sozialsichernden Unterschlupf gefunden haben und aus diesem heraus versuchen, hier und da einen Artikel im Lokalblatt zu platzieren oder einen Flyer zu texten, natürlich ganz nach dem eigenen Geschmack … Das soll keine Kritik am Quereinsteigen sein. Quereinsteiger ist jeder Medienarbeiter in der PR-Branche, denn das Fach ist nicht professionalisiert, wenngleich
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zahlreiche Akademien gute praxisbezogene Ausbildungen anbieten. Aber es soll jeden Quereinsteiger, der Verantwortung für die Öffentlichkeitsarbeit eines Kultur- und Kunstbetriebes hat, mahnen, sich mit Standards, Imperativen und Empfehlungen der Kommunikationslehre auseinanderzusetzen.57 Der Grund für dieses Plädoyer ist einfach. Erfolgreiche Kommunikation ist eine konzeptionelle Angelegenheit. Sie folgt damit nicht der Ideendichte im Kopf des PR-Arbeiters, der Häufigkeit seiner Kreativitätsschübe oder seiner Tagesverfassung, sondern einer an Zielen orientierten Planung, die mittel- oder gar langfristig ist, denn kurzfristig kann niemand im Wettbewerb um Einstellungen und Sympathien punkten, zumindest nicht nachhaltig. Kurzfristigkeit, Adhoc-Aktionismus und die Punktualität des immerwährenden Termindrucks von PR-Managern bewirkt nur eines: Die – wenngleich mitunter vielbeachtete – Verpuffung kommunikativen Materials mit kurzer, und damit jeder Kommunikationsstrategie schadender Halbwertszeit. Es ist somit auch eine Verpuffung finanziellen Engagements und wirkt sich mithin gleichermaßen negativ aus auf die langfristige Umsetzung einer Strategie und auf das operative Geschäft eines Kulturbetriebes. Es kostet viel Geld, „ins Blaue“ zu kommunizieren. Kommunikation auf gut Glück heißt hohes Risiko; Risiko, Geld aus dem Fenster zu werfen und Budgets in den Sand zu setzen. Auch Planung und damit auf Langfristigkeit abzielende Kommunikation ist kein Garant für den Erfolg, jedoch Garant für minimierte Risiken in jeder Hinsicht. Nur das sollten sich Kulturbetriebe leisten, nur das dürfen sie sich leisten, wenn ihre Tätigkeit durch fremde – öffentliche oder private – Gelder mit- oder gar vollfinanziert wird. Die Planung professioneller Institutionenkommunikation trägt den Lehrbuchnamen Kommunikationskonzeption beziehungsweise Kommunikationskonzept. In der Praxis wie im theoretischen Diskurs gelten die Konzeptionsschritte und meistenteils auch ihre Aufeinanderfolge als allgemein anerkannter Standard.58 Dieser Standard hat einen flexiblen Leitliniencharakter. Jede daraus resultierende Aufgabe lässt also genügend Freiraum für originelle, individuelle Ideen und Problemlösungen und fordert diese Kreativleistungen auch ein.
3
Sich selbst verstehen und messen
Am Anfang jeder Kommunikation ist eine Frage zu beantworten. Soll die Kommunikation dem Kulturbetrieb dienlich sein oder in erster Linie seinen Veranstaltungen, Ausstellungen, Vorstellungen etc.? Letzteres ist nicht empfehlenswert, denn es würde bedeuten, dass ein einmaliger Flop Ursache für einen nachhaltigen Imageschaden mit weitreichenden Folgen sein kann. Eine Analogie aus der personalen Kommunikation verdeutlicht dies. Einem Menschen, den man gut kennt und mag, verzeiht man gern einen Fauxpas und vergisst diesen auch wieder. Von einem Menschen, den wir nicht kennen und mögen, kann uns nur der 57 58
Siehe hierzu unter anderem Rota 2002 ; Brauer 2005 ; Mast 2006 , Zerfaß 2005.
Siehe hierzu vor allem Dörrbecker / Fissenewert-Gossmann 2003 ; Schmidbauer / Knödler-Bunte 2004 , Becker 2002.
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Um die Wette kommunizieren… Grundsätze der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fauxpas im Gedächtnis bleiben, was zu einer ganz natürlichen Antipathie führt. Ziel sollte demnach immer eine ganz bestimmte Wahrnehmung der Institution sein. In die dementsprechende Strategie müssen sich dann alle kommunikativen Einzelprojekte – von der Medienarbeit bis hin zur Werbung – schlüssig einfügen. Dieser Hinweis ist grundsätzlicher Natur, weil andere Herangehensweisen zu den häufigsten konzeptionellen Fehlern der Institutionenkommunikation zählen, die oftmals nur mit großem Aufwand „repariert“ werden können. Kommunikation heißt Darstellung, nicht primär Interaktion – wie praxisferne Theoretiker es noch immer behaupten. Sowohl in der Unternehmenskommunikation als auch in der Öffentlichkeitsarbeit im Nonprofit-Bereich ist der hohe Anspruch der Interaktion nur selten einlösbar. Das heißt nicht, dass Kommunikation keine Verhaltensziele verfolgt, denn das tut sie. Das gewünschte Verhalten der umworbenen Menschen muss jedoch nicht immer die Teilnahme an einem Diskurs oder dergleichen sein. Es geht vielmehr darum, dass sich Menschen mit der „sendenden“ Institution beschäftigen, zumindest neugierig werden und Angebote nutzen und kaufen. Das tun sie aber nur, wenn die Selbstdarstellung das Interesse der Zielgruppe weckt. Bevor sich jedoch eine Institution mit der Frage auseinandersetzt, welche Art der Selbstdarstellung die Zielgruppe – die ohnedies meistens unbekannt ist – provoziert, was also dargestellt werden soll, bedarf es einer Selbstverständigung darüber, was überhaupt dargestellt werden kann. Wer also einer Frau gefallen will, die nur auf Zwei-Meter-Männer „steht“, sollte sich zunächst selbst einmal messen, bevor er einen solchen Zwei-Meter-Mann darstellt. Diese Selbstmessung – eine Art Bestandsaufnahme – stellt in der Konzeptionslehre als sogenannte Analyse die Grundlage jedes Kommunikationskonzeptes dar. Das heißt plakativ: Selbstkenntnis ist ein Schlüssel erfolgreicher Kommunikation. Die Praxis belegt, dass Institutionenkommunikation in unzähligen Fällen bereits an dieser Stelle scheitert. Ein Grund hierfür ist, dass Selbstkenntnis mit Selbsteinschätzung verwechselt, dass ein Unterschied zwischen beiden sehr oft weder vermutet noch zur Kenntnis genommen wird. Falsche Selbsteinschätzung führt zu unrealistischer Selbstdarstellung, womit durch diese Darstellung „verbriefte“ Eigenschaften und assoziierte Erlebniswerte als Kommunikationsversprechen nicht eingelöst werden können. Die Enttäuschung der Zielgruppe ist dann fatal, weil es einen enormen Mehraufwand erfordert, diese Enttäuschung wieder „wegzukommunizieren“. Die Divergenz zwischen Selbstbild und Image lässt sich kostensparend und methodisch einfach durch zwei Befragungen ermitteln und darstellen. Da auch Institutionenkommunikation ein Prozess ist, dessen Erfolg von Kontinuität abhängt, sollen diese beiden Befragungen ebenfalls kontinuierlich durchgeführt werden, das heißt, alle zwei Jahre einmal. Erforderlich ist erstens eine anonymisierte Mitarbeiterbefragung und zweitens eine möglichst repräsentative Befragung externer Bezugspersonen des Kulturbetriebes. Dabei sollen die Mitarbeiter im Rahmen einer Vollbefragung zu Wort kommen. Gefragt wird nach der Bewertung von Erfolgsfaktoren für den Kulturbetrieb. Diese Faktoren sollen durch ein nicht zu kleines internes Gremium festgelegt werden, allerdings nicht allein „aus dem Bauch heraus“. Die Orientierung an erfolgreichen Konkurrenten beispielsweise fällt oftmals schwer, ist aber der richtige Weg. Wenn die vom Mitgliederschwund gebeutelte philatelistische Vereinigung also „Modernität und Erlebnisorientierung des Vereinslebens“ nicht als einen Erfolgsfaktor ihrer verstaubten Leidenschaft einschätzt, der am gleichen Ort tätige Phila e. V. jedoch genau damit punktet – sofern das von außen zu beurteilen ist , dann sollten diese Modernität und Erlebnisorientierung durchaus intern bewertet werden. Natürlich neben den „üblichen“ Erfolgsfak-
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toren des Vereinslebens, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, weil sich diese Faktoren erstens sehr von denen anderer Kultureinrichtungen unterscheiden und somit ein eigenes Kapitel nötig wäre, diese für jeden Institutionentyp – Verein, Theater, Museum, Behörde etc. – zusammenfassend zu sytematisieren, und weil sich Erfolgsfaktoren zweitens durch differente Einflüsse wie unterschiedliche Zielgruppen oder Institutionenzwecke ohnehin stets individuell unterscheiden. Auch ängstliche und in ihren Auffassungen verfestigte Führungskräfte von Kulturbetrieben sollten sich zu einer solchen Mitarbeiterbefragung entschließen, selbst dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass die Mitarbeiter Management und Führungsqualitäten innerhalb des Betriebes als defizitär bewerten. Überraschenderweise schätzen Mitarbeiter in anonymisierten Befragungen nicht nur andere, sondern auch sich selbst in gleichem Maße kritisch ein, womit das aus der Befragung resultierende Profil der Institution eine äußerst wertvolle Grundlage nicht nur für die Kommunikation, sondern auch für alle anderen strategischen Entscheidungen und für das Management ist. Die Bewertung der einzelnen Faktoren – es sollten einer guten Handhabbarkeit wegen nicht mehr als 25 sein – soll auf einer vorgegebenen Skala mit einer geraden Anzahl an Antwortmöglichkeiten vorgenommen werden. Somit ist auch die Darstellung der Auswertung in skalierter Weise möglich. Das Ergebnis ist ein Profil des Betriebes, das ein sehr genaues Selbstbild der Institution widerspiegelt. In der Literatur wird es meistens als Stärken-Schwächen-Profil bezeichnet, was irreführend ist, weil die Qualifikation als Stärke oder Schwäche nicht nur von der Selbsteinschätzung, sondern auch von der Fremdeinschätzung und darüber hinaus von anderen Umfeldbedingungen abhängt, wie zahlreiche verblüffende Beispiele aus der Praxis belegen. Das Ergebnis der Mitarbeiterbefragung – auch wenn es brisant sein sollte – muss allen Mitarbeitern zugänglich gemacht werden. Das entspricht einem wesentlichen Grundsatz der Öffentlichkeitsarbeit, denn die kommunikative Offenheit ins Unternehmen oder den Kulturbetrieb hinein, die interne Transparenz also, ist Voraussetzung für die Authentizität jeglicher Kommunikation nach außen und für die Akzeptanz aller von der Betriebsleitung entwicklter Kommunikationsmittel und -maßnahmen. Die Methode der Befragung externer Partner ist im Grunde genommen die gleiche, allerdings müssen zwei problematische Aspekte berücksichtigt werden. Wenn der Direktor eines Krankenhauses kurzsichtigerweise nur seine Patienten und die Museumsleiterin nur ihre Ausstellungsbesucher als externe Partner einschätzen, dann ist zu intervenieren, denn auch Lieferanten, Agenturen, Ämter, „Absatzmittler“ jeder Art sowie Künstler in Bezug auf das Museum oder Kommunalpolitiker in Bezug auf das Krankenhaus zählen zu den Meinungsbildnern. Wichtig ist demnach eine Repräsentativität in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Ein weiteres Problem besteht darin, dass externe Partner in der Regel zu lust- und zeitlos sind, um an einer schriftlichen Befragung teilzunehmen. Erfolgversprechender sind daher Interviews – realisierbar beispielsweise durch studentische Projekte –, im Rahmen derer dann nicht nur der skalierte Fragebogen der Mitarbeiterbefragung „abgearbeitet“ wird, sondern darüber hinaus auch offene Fragen gestellt werden können. Neben der Gesamtauswertung der externen Befragung lohnt sich auch eine Auswertung nach sinnvollen Gruppen. Gerade für öffentlich finanzierte Einrichtungen ist das Image innerhalb von Behörden und parlamentarischen Gremien besonders wichtig, für privat finanzierte Ver-
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Um die Wette kommunizieren… Grundsätze der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
eine eventuell das Image in journalistischen Kreisen etc. Die Auswertung der Gesamtbefragung jedenfalls sollte dann auf die Auswertung der Mitarbeiterbefragung projiziert werden, wodurch wesentliche Divergenzen zwischen Selbstbild und Image sichtbar werden. Die hieraus ableitbaren Aufgaben und Prioritäten der externen und internen Kommunikation bestimmen stets die Richtung aller kommunikativen Maßnahmen, sie müssen daher im konzeptionellen aber auch im operativen Prozess der Maßnahmeplanung und -umsetzung stets „obenauf“ liegen und als Kontrollmaßstab genutzt werden. In vielen Kultureinrichtungen wie auch in Unternehmen stellt sich die Investition in diese Analyse als sinnlos heraus, weil deren Ergebnisse zwar anfangs berücksichtigt, späterhin jedoch zwischen den Akten abgelegt und dort vergessen wurden. Ein entsprechender Punkt auf der Checkliste des PR-Arbeiters ist hiergegen ein einfaches, wirkungsvolles Rezept.
4
Umfeldbedingungen
Jeder Kulturbetrieb agiert in einem Umfeld, das die Standortbedingungen gleichermaßen umfasst wie die Qualität der Sozial- und der Institutionenstrukturen sowie deren Dynamik. Dazu gehören gesetzliche Grundlagen der eigenen Tätigkeit ebenso wie behördliche Auflagen für dieselbe. Auch die Dichte und Qualität der Konkurrenz stellt Umfeldbedinungen dar, zu denen ebenfalls Preisniveaus und Preisentwicklungen zählen, die den Kostenaufwand des eigenen Kulturbetriebes beeinflussen. Das Umfeld jeder Institution besteht aus Faktoren, die höchst unterschiedlich sind und vom Marketingteam eines Kulturbetriebes möglichst umfangreich zusammengetragen werden müssen. Das reicht neben den genannten Faktoren von der Parkplatzsituation über die Nachbarschaft erwünschter oder unerwünschter Mieter bis hin zu Markteintritts- und Marktaustrittsbarrieren. Ziel dieser Faktorensammlung ist ein skaliertes Profil des Umfeldes, dessen Faktoren in gleicher Weise wie bei der Erstellung des Unternehmensprofiles bewertet werden. Dabei ist auch diese Bewertung noch keine endgültige, denn ob die Qualität oder Entwicklung eines Umfeldfaktors dem Kulturbetrieb zuträglich ist oder nicht, ist nicht allein aus dieser Auswertung zu ersehen. In dieser Hinsicht resultiert erst eine einfache SWOT-Analyse Erkenntnisse, die für die weitere Steuerung aller Prozesse des Marketings und damit auch der Öffentlichkeitsarbeit ausschlaggebend sind. Vor der SWOT-Analyse werden jedoch Augen und Ohren aufgesperrt, denn umfeldprägend sind immer auch Sprache und Verhalten der Mitbewerber.
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Was sagt die Konkurrenz?
Auf dem Weg zum Kommunikationskonzept ist ein großer Schritt getan, wenn der Kulturbetrieb weiß, wie er von Menschen außerhalb der Institution wahrgenommen und eingeschätzt wird und inwieweit sich diese Sicht von der eigenen unterscheidet. Ein ebenso großer Schritt ist die Beantwortung der Frage, wie die Menschen – vor allem jene der eigenen Zielgruppe – unmittelbare Konkurrenten wahrnehmen und beurteilen. Wichtig ist dies, da erfolgreiche Kommunikation immer etwas mit Prägnanz zu tun hat, die durch Unterscheidung, durch
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auffälliges Anderssein, zumindest aber durch eine dementsprechend differenzierte Wahrnehmung erreicht wird. Nur professionelle Meinungsforschung kann die Frage nach der Meinung über andere beantworten. Doch nur üppig ausgestattete Kulturinstitutionen können professionelle Meinungsforschung bezahlen. Insoweit bietet sich eine „Ersatzanalyse“ an, nämlich jene der Konkurrenzkommunikation, die von den meisten PR-Arbeitern jedes Kulturbetriebes allein bewältigt werden kann. Am Anfang dieser Analyse ist eine Liste mit den Konkurrenten des eigenen Kulturbetriebes zu erstellen. Merkwürdigerweise bleiben diese Listen oftmals leer, weil man als Stadttheater oder städtisches Museum oder als Tierpark oder Gemeindekulturhaus meint, die einzige Institution seines Charakters am Platz zu sein. Das mag der Wahrheit entsprechen, ist aber dennoch gänzlich unbedacht. Konkurrenz bemisst sich gerade im Kulturmarketing nicht allein daran, wer gleiche oder ähnliche Leistungen beziehungsweise Produkte anbietet. Vielmehr konkurriert man als Kulturbetrieb um einen ganz bestimmten Anteil an Zeit, den die Menschen bereit sind, mit musischen Dingen, mit Freizeitinteressen zuzubringen, aber auch um jenes Geld, das diese Menschen bereit sind, für diese Freizeitpläne auszugeben. Analogerweise würde ein französisches Spezialitätenrestaurant in der Brüsseler Altstadt alle Restaurants ähnlichen Niveaus als Konkurrenz betrachten anstatt sich konkurrenzlos zu fühlen, weil es das einzige französische unter den Restaurants ist. Mithin kann und soll die Konkurrentenliste jedes Kulturbetriebes gefüllt werden. Wer die fünf bis acht unmittelbaren Mitbewerber um Zeit, Geld, Mitglieder, Know-how, Netzwerke etc. sind, bleibt dem Urteil der betriebsinternen Analysten überlassen, wobei dies ein außerordentlich gut überlegtes Urteil sein muss. Die möglichst komplette Kommunikation dieser unmittelbaren Mitbewerber wird dann gesammelt, ausgewertet und verglichen. Dabei sind in der Regel auch ungewöhnliche Recherchemethoden nötig, denn nicht alles, was meinungsbildend ist, ist auch für die breite Öffentlichkeit bestimmt und somit leicht zugänglich… Welche sprachlichen Bilder werden verwendet, was sind die am häufigsten eingesetzten Kommunikationsmittel, welche Wörter und Wortfelder werden besonders strapaziert, was sind die beliebtesten Farben, Slogans und Parolen, ist die Kommunikation bis hin zur Korrespondenz stringent oder verwirrend vielfältig, das sind nur einige von vielen, vielen Fragen, die bei der vergleichenden Auswertung eine Rolle spielen. Diese Auswertung wird am Ende in eine Übersicht kanalisiert, die alle besetzten kommunikativen Positionen sowie alle inflationär verwendeten Kommunikationsmittel – verbal, visuell, gegebenenfalls auditiv oder auch audiovisuell – darstellt und demnach im Interesse der kommunikativen Differenzierung das Kompendium der für den eigenen Kulturbetrieb gleichsam verbotenen Mittel ist.
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Sinnvoll vernetzt: die SWOT-Analyse
Da die Öffentlichkeitsarbeit einer Institution stets in besonderem Maße Rücksicht auf die Chancen und Risiken des eigenen Betriebes nehmen muss (in großen Unternehmen spielen in diesem Zusammenhang das sogenannte Issues Management und die Krisen-PR eine Rolle), sollte jeder Kulturbetrieb regelmäßig eine SWOT-Analyse durchführen. Chancen und Risiken entstehen, wenn Einflüsse des Umfeldes auf Zustände, Umstände, Eigenschaften und
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Prozesse im Unternehmen, also auf das Unternehmensprofil (siehe 2.) treffen. Das heißt, dass jeder im Unternehmensprofil bewertete Faktor auf jede als bedeutsam eingeschätzte Umfeldbedingung projiziert werden muss. Bei der Kommunikationskonzeption ist an dieser Stelle der Arbeit wichtig, neben den strukturellen, für das Marketing wichtigen Umfeldbedingungen auch die kommunikativen in die Analyse einzubeziehen. Kommunikative Bedingungen sind beispielsweise durch den Vergleich der Konkurrenzkommunikation sichtbar geworden; gegebenenfalls ist die bereits durchgeführte Betrachtung der Umfeldbedingungen dementsprechend zu ergänzen. Die ergebnisoffene Projektion der vermeintlichen Schwächen und Stärken des eigenen Kulturbetriebes auf die Umfeldbedingungen hat unter Umständen jenes erstaunliche Ergebnis, dass aus einer als Schwäche eingeschätzten Eigenschaft aufgrund sehr spezifischer Umfeldbedingungen eine Chance für den Erfolg und die erfolgreiche Kommunikation der eigenen Kultureinrichtung ersichtlich wird. Umgekehrt ist natürlich das gleiche möglich. Dieser Umstand begründet die Notwendigkeit einer SWOT-Analyse, die – regelmäßig durchgeführt – auch ein Instrument der Prozesssteuerung ist (im kleinen vielleicht ähnlich der im großen üblichen und die SWOT-Analyse ergänzenden Balanced Scorecard, die als Marketing- und Controllinginstrument für kleine und mittlere Kulturbetriebe aus verschiedenen Gründen nicht oder nur bedingt in Frage kommt). Die Methode der Erstellung einer vernetzten SWOT-Analyse sowie deren Darstellung kann hier nicht ausgeführt werden, in einschlägigen Publikationen – vor allem jenen von Jochen Becker – finden sich jedoch gute Anleitungen und Beispiele. Es sollte in diesem Zusammenhang immer auf betriebswirtschaftliche Fachliteratur des Marketings zurückgegriffen werden, weniger dagegen auf Lehrbücher der Kommunikationslehre, weil letztere den Aspekt der Vernetzung der SWOTAnalyse oftmals nur ungenügend berücksichtigen und das die Ursache für eine falsche Einschätzung von Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken sein kann.
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„Ich liebe Euch doch alle!“ – Zielgruppenanalyse und -beschreibung
Ein weiterer Aspekt bedarf der analytischen Betrachtung: Es geht um die Fragen, für wen ein Kulturbetrieb seine Leistungen bereitstellen will und wen er – unabhängig von diesem Impetus – tatsächlich erreicht. „Kaufmännisches Marketing“ und Unternehmenskommunikation sind in diesem Zusammenhang auf’s engste miteinander verflochten, denn die Strategie der Öffentlichkeitsarbeit fußt auf der Produkt- beziehungsweise Leistungsstrategie und -politik des Betriebes, und die Formulierung dieser Strategie muss die Zielgruppen bereits definieren und beschreiben. Insoweit ist die Analyse und Bestimmung von Zielgruppen weniger Aufgabe der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, sie ist vielmehr eine Vorgabe des strategischen Marketings für diese Arbeit. Die PR-Arbeit muss durch geeignete Erhebungen Klarheit schaffen, ob die eigene Institution innerhalb der Zielgruppen über einen hohen Kommunikationsstatus im Hinblick auf ausreichende Bekanntheit, Zustimmung und Verhaltensmotivation verfügt oder nicht. Außerdem ist zu entscheiden, über welche Kommunikationskanäle und mit welchen Kommunikationsmitteln die Zielgruppen erreichbar sind. Diese Arbeiten sind aufwendig, jedoch nicht allzu schwierig. Die meisten Kulturbetriebe in Deutschland scheuen
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sich dennoch vor ihr, wenngleich nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Unwissenheit. Diese Unwissenheit ist nicht selten die Mutter einer längst überholten Einstellung zur „Zielgruppenarbeit“. „Wir wollen doch alle erreichen“, heißt es dann, „Kultur ist doch für jeden da.“ Dass dieser Kurs ins unternehmerische Verderben führt, ist in der Wirtschaft längst Gemeingut der Marketing- und Kommunikationslehre. Und dass das Bekenntnis „Ich liebe Euch doch alle“ das Ende mancher Laufbahn war, sollte den PR-Arbeitern mit grenzenlosem Herz auch zu denken geben. Allerdings bedeutet das nicht, dass ein Museum, ein Theater, ein Verein oder ein Veranstaltungshaus nicht mehrere, verschiedene Zielgruppen haben kann. Ganz im Gegenteil, wenn man beispielsweise an Journalisten einerseits und an Sponsoren oder Besucher andererseits denkt. Ihrer Unterschiedlichkeit muss Rechnung getragen werden, ihren unterschiedlichen Präferenzen, angesprochen zu werden, ebenso. Die Zielgruppe nicht zu kennen, heißt, sie falsch einzuschätzen und mit inadäquaten Mitteln erfolglos anzusprechen. Nicht jede Frau dreht sich um, wenn man nach ihr pfeift… In unzähligen Studien und ebenso vielen Dateien wurden die Ergebnisse der deutschen „Zielgruppenüberwachung“ erfasst, eine ganze Markt- und Medienforschungsindustrie lebt von dieser Ermittlungsarbeit und stellt den PR-Arbeitern von Kulturbetrieben unerschöpfliches Material zur Verfügung, aus dem hervorgeht, wie und wo jene Menschen leben, sich aufhalten, arbeiten, sich entspannen, erholen, Geld ausgeben, diskutieren, sich informieren usw. usf., auf die man die eigenen Leistungspakete voll Kunst und Kultur zugeschnitten hat. Zu erfahren ist beinahe alles über Sympathien, Antipathien, Affinitäten, Wünsche und Vorstellungen von Menschen, über ihre Lebensräume und -träume. Die Sinus-Milieus und die Semiometrie sind zielführende Ansätze, die weiter und weiter ins Innere der avisierten Zielgruppe führen. Wo also ist die Zielgruppe anzutreffen und erfolgreich anzusprechen, wie kann sie animiert und mobilisiert werden, auf diese Fragen muss die Zielgruppenanalyse Antworten geben.59
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Schummeln unerwünscht: Kommunikationsziele
Ebenfalls in den Teil der Analysen und Auswertungen gehört eine Festlegung, gleichsam also auch eine Art Analyse der Kommunikationsziele. Kommunikationsziele sind unbeliebt, weil sie als zeitlich, quantitativ und qualitativ konkret der Maßstab für den Erfolg der Kommunikation, also der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sind. Die Zielerreichung bedeutet, das PÖA-Budget gewinnbringend eingesetzt zu haben, die Zielverfehlung bedeutet, mit Verlust ins Blaue kommuniziert zu haben. Deshalb legt man sich mit der Zielbestimmung ungern fest und erklärt mit nasaler Intellektualität, dass die Publizität der eigenen Institution erhöht werden soll. Ob dies nach einem längeren Zeitraum erreicht wurde oder nicht, ist Auslegungssache, eine Ermessensfrage. Ernstzunehmende PR-Arbeiter schummeln aber nicht. „Am Ende des Jahres wollen wir bei den 14- bis 18-jährigen Schülern unserer Stadt über 59
Siehe hierzu den Beitrag „Nachfragertypologien“ von GEYER im vorliegenden Band.
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Um die Wette kommunizieren… Grundsätze der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
einen gestützten Bekanntheitsgrad von 45 Prozent verfügen.“ Das ist ein Kommunikationsziel, konkret und abrechenbar. Ebenso wie das Ziel, pro Quartal des Folgejahres jeweils zwei redaktionelle Beiträge in überregionalen Tageszeitungen platziert zu haben. Dabei sind Ziele keine Visionen. Sie können realistisch gefasst werden, wenn die Grundlage der Zieldefinition aus allen genannten Auswertungen, Bestandsaufnahmen und Analysen besteht. Die Abrechnung der Ziele mag bei einer geringen Quote der Zielerreichung enttäuschend und bei permanent schlechter Quote Zeugnis von fehlender Eignung des PR-Arbeiters sein, sie hilft aber, die nächsten Ziele realitätsnäher zu bestimmen und die Maßnahmeplanung, gegebenenfalls auch die Strategie den unerwarteten Umständen anzupassen, sie mithin passgenauer zu machen und zu justieren.
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Strategiestart: Die Positionierung
Alle nunmehr durchgeführten Auswertungen liefern insgesamt die Maßgaben der Positionierung. Sie sind die Orientierung bei der Beantwortung der Frage, wo der eigene Kulturbetrieb positioniert, das heißt, wo und wie er wahrgenommen werden soll. In Frage kommen hierfür sehr viele Positionen. Jedoch sind diese meist schon durch andere Einrichtungen beziehungsweise Institutionen besetzt. Die Suche nach einer Positionierungslücke, möglichst weit entfernt von bereits besetzten Kommunikationspositionen, die alle Analyseergebnisse in sinnvoller Weise berücksichtigt, ist daher eine kreative Herausforderung mit weitreichenden Folgen. Denn die Positionierung bestimmt späterhin alle Themen der Öffentlichkeitsarbeit, die Identität einer Marke ebenso wie die Qualität eines Systems von Botschaften und die detaillierte Maßnahmeplanung und -realisation. Die Positionsbestimmung der Mitbewerber und die eigene Positionierung werden in einer Matrix vorgenommen, deren beide Achsen die Intensität beziehungsweise Ausprägung zweier wichtiger Merkmale der eigenen Institution skalieren. Lehrbuchautoren warten am liebsten mit den Merkmalen „Preishöhe“ und „Servicequalität“ auf. Mit beiden lässt sich in der Kommunikation heute kein Blumentopf mehr gewinnen, zur Veranschaulichung des Positionierungsprinzips sind sie dennoch gut geeignet. Denn wenn die Position von Konkurrenten als Schnittpunkt hoher Preise und hoher Qualität bestimmt werden kann, ergeben sich die Quadranten niedriger Preise und niedriger Qualität sowie niedriger Preise und hoher Qualität als Lücken für die eigene Positionierung; wohlgemerkt in der Wahrnehmung, die nur in einem zu bestimmenden Grad der Marketingrealität entsprechen muss. In Anbetracht dieses Prinzips wird deutlich, dass die Positionierung auch dreidimensional vorgenommen werden kann und sogar aus der Zusammenschau mehrerer Matrizes entstehen kann. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auf die Positionierung in einer Positionierungslücke bewusst verzichtet werden kann, wenn dies der Wettbewerbsstrategie – Erlangung der Marktführerschaft beziehungsweise Herausforderung des Marktführers – entspricht. Denn dann positioniert man sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum betreffenden Mitbewerber. Auf den ersten Blick mag dies im Kulturbereich als untauglich erscheinen, auf den zweiten Blick dagegen entspricht die „Konkurrenzarbeit“ von Musicaltheatern oder Sensationsausstellungen mitunter genau diesem Schema. Eine sinnvolle Positionierung verlangt demnach Erfahrung, Kreativität, kommunikatives Gespür und Entscheidungskraft.
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Konturen erwünscht: Der Strategiekern
Nachdem die eigene Institution mit der positionierenden Marschrichtung versehen ist, muss die Entscheidung für eine Kommunikationsstrategie fallen. So stehts auch in jedem Lehrbuch, wenngleich noch kein Autor eine nachhaltige Definition für diesen Begriff gefunden hat. Richtig ist es dennoch, sich an diesem Punkt der Konzeption für eine abgrenzbare Strategie der Kommunikation und damit der Öffentlichkeitsarbeit zu entscheiden. Strategie heißt, eine Art Leitlinie zu bestimmen, die mittelfristig inhaltliche und formale Maßgabe für eine Kommunikation ist, die sich zur Erreichung der Kommunikationsziele eignet. Eine solche Strategie kann zum Beispiel in der Festlegung jener großen Themen bestehen, zu denen sich der Kulturbetrieb in den nächsten drei bis fünf Jahren kontinuierlich äußert. Sie kann aber auch darin bestehen, die Kommunikation ganz und gar auf eine Persönlichkeit des Institutes „abzustellen“. Möglich ist auch, sich strategisch auf ein Medium zu konzentrieren oder externen Zielgruppen vermeintlich einen dauerhaften Einfluss auf die eigene Kommunikation zu geben, wobei die Art und Weise dieser Einflussnahme von so prägnanter Originalität ist, dass sie das meinungsbildende Merkmal des Kommunikationsprozesses wird. Die eleganteste Strategie und spannendste Herausforderung ist die Entscheidung für eine Markenführung, das heißt, aus dem eigenen Kulturbetrieb oder dessen prägnantestem Merkmal – im Museum zum Beispiel die Dauerausstellung – eine Marke60 zu machen. Dieser Prozess implementiert eine Reihe kaufmännischer Entscheidungen und Verfahren des Marketings, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann. Auf die kommunikativen aber schon: Eine Markenstrategie (ver-)wandelt das eigene Unternehmen in eine Unternehmenspersönlichkeit. Ihr Kern ist eine von den Öffentlichkeitsarbeitern des Kulturbetriebes entwickelte Markenidentität, die das Institut mit gleichsam persönlichen, mithin menschlichen Eigenschaften versieht. Diese Eigenschaften müssen der Positionierung entsprechen, sie müssen die nötigen Sympathiewerte hinsichtlich der Zielgruppen haben, sie müssen durch Kommunikation vermittelbar, neben all dem in allererster Linie jedoch markant sein. „Markanz“ besteht in diesem Zusammenhang in einmaligen charakterlichen Konturen, anhand derer der Kulturbetrieb – gleichsam unabhängig vom wechselhaften kommunikativen Tagesgeschehen – zunächst und immer wieder erkannt werden soll, anhand derer sich die nötige Bekanntheit, die unentbehrliche Sympathie und die gewünschten Verhaltenspräferenzen der Zielgruppen entwickeln sollen. Solche Merkmale, die Faktoren der Markenidentität, sind entweder sichtbar – im visuellen Sinn des Wortes – oder unsichtbar, also eher spürbar, erlebbar. Diese Systematisierung soll schon bei der Entwicklung der Markenidentität berücksichtigt werden, da sich die Möglichkeiten der Vermittlung solcher Merkmale zum Teil stark unterscheiden, zum Teil gegenseitig ergänzen, sich gegebenenfalls aber auch ausschließen.
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Siehe hierzu den Beitrag „Aspekte der Markenführung“ von MANSCHWETUS im vorliegenden Band.
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Um die Wette kommunizieren… Grundsätze der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Das Dach decken: Die Botschaften im System
Die Parameter der Positionierung (und – wenn hierfür die strategische Entscheidung gefallen ist – die dementsprechende Markenidentität) fließen in die Definition von Botschaften ein. Noch immer werden Botschaften mit Slogans oder gar lehrerhaften Imperativen verwechselt. Dabei ist eine Botschaft in der Kommunikationslehre nichts anderes als eine Aussage, von der gewünscht ist, dass die Zielgruppe sie so und nicht anders formulieren würde. Von diesen Aussagen gibt es natürlich meist mehrere, weshalb die Botschaften eines Kulturbetriebes ein kleines System darstellen. Dieser Systemcharakter basiert auch auf einem weiteren Umstand. Hat man nämlich für sein Institut verschiedene oder gar interferierende Zielgruppen analysiert und definiert, dann unterscheiden sich die Botschaften ebenso wie diese unterschiedlichen Zielgruppen voneinander. Klassischerweise entwickelt man deshalb sogenannte Dachbotschaften, die zu allen Zielgruppen passen und „darunter“ die sogenannten Säulenbotschaften für jede Zielgruppe. Dabei kann es vorkommen, dass sich Säulenbotschaften gegenseitig ausschließen, so wie sich auch die ihnen zugeordneten Zielgruppen unter Umständen ausschließen. Zielgruppenspezifische Kommunikation bedeutet dann natürlich, dass mit unterschiedlichen Zielgruppen separat kommuniziert wird, dass demnach eine jeweils andere Tonalität und andere Kommunikationsmittel verwendet werden. Jenes Stadttheater, dass sowohl Kinder mit phantasievollen Geschichten zu begeistern als auch die Anhänger der Radaufraktion mit fäkalem Regietheater zu befriedigen hat, mag hierfür als anschauliches Beispiel gelten. Dabei schützt ein Grundsatz den kommunizierenden Kulturbetrieb vor dem Verdacht der Schizophrenie: Dieser Grundsatz besagt nämlich, dass sich zwar Säulenbotschaften unterscheiden, im Extremfall sogar widersprechen dürfen, dass jede Säulenbotschaft aber kompatibel mit den Dachbotschaften sein muss. Botschaften sollten internalisiert und deshalb jenen Menschen zugänglich sein, die sie durch ihre tägliche Arbeit und ihren Kontakt mit Menschen vermitteln sollen, wenngleich ohne sie zu zitieren. Denn für die Vermittlung von Botschaften beziehungsweise von deren Inhalten stehen dem Medienarbeiter eine Reihe von Instrumenten und Maßnahmen zur Verfügung. Diese Maßnahmen und Instrumente gehören in ein Korsett. Mit anderen Worten: Sie müssen ausnahmslos in eine Schablone passen, und zwar in jene, deren Form von den strategischen Eckpunkten Positionierung, Markenidentität und Botschaften bestimmt wird. Alles, was der Kulturbetrieb tut und damit in irgendeiner Weise auch immer kommuniziert, muss zu diesen drei Stützen des Kommunikationsfundamentes passen, nichts darf aus dem Rahmen fallen, zumindest nicht aus diesem, um die wahrgenommene Identität der Institution als Voraussetzung von Nachhaltigkeit und Kommunikationserfolg nicht zu gefährden.
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Medienarbeit
Zu Beginn dieses kleinen Überblicks wurde auf die Mehrdimensionalität der Institutionenkommunikation hingewiesen. Der kommunikative Prozess in jeder Dimension wird durch die Kommunikationskonzeption fundamentiert, sei es die Kommunikation mit den Mitarbeitern, den Kunden, Besuchern, Gästen oder Mitgliedern, den Geschäftspartnern, Sponsoren und Finanzierern, den Behörden, Multiplikatoren, den Gesellschaftern oder aber den Medien. Jede dieser einzelnen Dimensionen hat sich inzwischen professionalisiert und es gibt Spezialisten, Lehrbücher und Ausbildungen für die Kommunikation mit jeder der genannten Zielgruppen. Insoweit wäre eine Abhandlung all dieser Bereiche der Institutionenkommunikation rahmensprengend. Deshalb soll nur auf eine Teilkommunikation näher eingegangen werden, nämlich die Medienarbeit, also jenes Feld, das auch gern als Pressearbeit bezeichnet wird. Diese Auswahl bedeutet nicht, dass auf die Medienarbeit ein besonderer Schwerpunkt zu legen ist, wenngleich das sehr viele Kulturbetriebe aus mehr oder minder sinnvollen Gründen tun. Grundsatz bleibt trotz dieser Auswahl, dass jede Kommunikation, auch jede gegenüber den Medien, nur dann erfolgreich ist, wenn sie konzeptionellen und einheitlichen, damit letztlich authentischen Charakter trägt. Dass professionelle Medienarbeit, also die Ansprache von Printmedien, von Hörfunk und Fernsehen, sinnvoll ist, belegen auch neueste Untersuchungen zu den Mediennutzungsgewohnheiten der Deutschen. Demnach spielen Tages- und andere Zeitungen wie auch der Rundfunk eine nach wie vor große Rolle im Informationsverhalten und bei der Meinungsbildung, wenngleich hier in Bezug auf jüngere Menschen das Internet die Nase vorn hat. Mithin ist ein eigener, spannender und vor allem stets aktueller Online-Auftritt für jede Einrichtung der Kunst und Kultur unbedingte Pflicht. Andere Online-Medien sollten wie Printmedien und Rundfunk in die Medienarbeit einbezogen werden, so dass in dieser Hinsicht für schmalbudgetierte Kulturbetriebe kein zusätzlicher Aufwand entsteht. Die Grundlage für erfolgreiche Medienarbeit sind kleine technische Investitionen, gute Kontakte und deren Pflege sowie Fleiß, „verkäuferische Mentalität“ und vor allem Kontinuität und Beharrlichkeit. Sparsamkeit ist oberstes Gebot, so dass das Ziel erfolgreicher Medienarbeit stets darin besteht, in ihnen präsent zu sein, ohne dafür mit Geld zu bezahlen. Insoweit muss der Kulturbetrieb interessant für Journalisten sein und ihnen Ansätze für reizvolle redaktionelle Tätigkeit bieten. Diese Ansätze sind zu gewinnen, indem Informationen und Geschichten aus dem eigenen Haus „nachrichtenwertig“ gemacht werden, auch wenn die zugrundeliegende Informationen an sich über keinerlei Nachrichtenwert verfügt. Medienarbeit heißt Kampf um Aufmerksamkeit, und für diesen Kampf sind Ideenreichtum, Mut und die Kenntnis der journalistischen Nachrichtenfaktoren nötig, nachzulesen in jedem Journalistenlehrbuch. Mit anderen Worten: Jeder Kulturbetrieb hat interessante Geschichten, man muss sie nur finden oder – und das ist die Regel – selbst machen… Dazu gehört auch, dass fast jede Geschichte mit einem Mehrwert für die Nutzer der avisierten Medien verknüpft werden kann. Wie gern zum Beispiel verlosen Tageszeitungen oder Anzeigenblätter Eintrittskarten o. ä. unter ihren Lesern und berichten dafür auch über etwas, das ohne „Benefit“ weniger redaktionelle Chancen gehabt hätte. Dass diese Geschichten im konzeptionellen Interesse den dargestellten strategischen Festlegungen entsprechen müssen, versteht sich von
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Um die Wette kommunizieren… Grundsätze der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
selbst, wenngleich es die PR-Arbeiter eben oftmals nicht verstehen und mit völlig krassen Überraschungseffekten die Authentizität des Kulturbetriebes und das lang aufgebaute Wissen der Zielgruppe um den Institutionencharakter ins Wanken bringen. Welcher Art die Informationen der Kultureinrichtung sind, richtet sich natürlich nach der Art der Medien, in denen man Präsenz wünscht. „Natürlich in allen“, ist als – leider oft gehörte – Antwort relativ sinnfrei. Geht es um Veröffentlichungen in lokalen Medien, in regionalen, in überregionalen, in Tageszeitungen, Journalen, Wochenzeitungen, in eher intellektuellen, konservativen, hausbackenen oder „linken“ Medien? Diese Fragen sind wichtig und immer wieder zu stellen, denn ein Stadttheater muss sich – wenn es um einen gesamtdeutschen Theaterpreis geht – an andere Medien wenden, als wenn es über eine öffentliche Generalprobe informiert. Informationen, Andeutungen und Geschichten müssen also richtig verteilt werden, weshalb die Erstellung, Pflege und Nutzung von Verteilern ein unentwegtes Thema professioneller Medienarbeit ist und bleibt. Die Medienlandschaft einer kleinen oder mittelgroßen Stadt ist für einen Einheimischen leicht überschaubar, ein entsprechender Verteiler aller in Frage kommender Redaktionen beziehungsweise Redakteure ebenso leicht zu erstellen und auf dem aktuellen Stand zu halten. Großstädtische, überregionale oder gar nationale Aufmerksamkeit und Publizität verlangen ein anderes Vorgehen, nämlich die Arbeit mit besonderen Adressdateien. Diese kosten Geld, sind aber unverzichtbar für eine wirklich ernstzunehmende Medienarbeit. Standard für PR-Arbeiter sind der „Zimpel“, der „Kroll“, der „Stamm“ und der „Oeckl“. Diese Datenbanken mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten – allesamt elektronisch verfügbar und mit einem jährlichen Update versehen – ermöglichen dem PR-Arbeiter, praktisch auf Knopfdruck die passende Adressatenliste für seine Information zu erstellen und per e-mail oder Telefax zu bedienen, präzise und persönlich adressiert. Wenn die Kunsthalle Lüdinghausen eine europäische Ausstellung mit Fotografien aus der Welt der Süßwasserfische präsentiert, dann will sie fotografisch Interessierte, vielleicht aber auch „fischinteressierte“ Kreise herbeilocken. Nur mit den genannten Datenbanken lassen sich innerhalb weniger Minuten alle deutschen Medien finden, die sich für das Thema der Ausstellung und deren Randthemen interessieren könnten, mit radaktionellem Ansprechpartner, korrekten Adressen und Telefonnummern. Diese Datenbanken eröffnen der Pressearbeit faszinierende Möglichkeiten, die von Kulturbetrieben noch immer zu wenig genutzt werden. Wer die Anfangsinvestition und die minimalen Betriebskosten der genannten Dateien scheut, kann auch Dienstleister mit der Verteilererstellung und dem Versand seiner Informationen beauftragen. Unabdingbar für die Pressearbeit ist eine professionelle Medienbeobachtung, also ein Ausschnittdienst, der alle Erwähnungen des eigenen Institutes in der nationalen Presse aufspürt und dokumentiert. Diese extensive Form der Pressearbeit, mit der weitflächig Journalisten bedient werden, die man nur mit geringer Wahrscheinlichkeit jemals zu Gesicht oder an den Telefonhörer bekommt, ersetzt nicht die intensive, also die auf die eigene Region konzentrierte Arbeit. Kontinuität, also Regelmäßigkeit in Bezug auf die Fristen, innerhalb derer man sich wieder zu Wort meldet, ist für den Erfolg beider Formen wichtig. In der unmittelbaren Nähe des eigenen Kulturbetriebes bedeutet Kontinuität jedoch sehr viel mehr. Hier geht es nämlich nicht nur um die Regelmäßigkeit von Information, sondern um die Regelmäßigkeit persönlicher
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Kontaktpflege. Jeder PR-Arbeiter weiß, dass das ein schwieriges Thema ist, weil Journalisten eine ebenso schwierige, nicht immer angenehme Gattung sind. Gerade in der eigenen Stadt ist es aus diesem Grund wichtig, den Lokaljournalisten der in Frage kommenden Ressorts, aber auch den freien Journalisten namentlich bekannt zu sein und mit dem jeweiligen Kulturunternehmen assoziiert zu werden. Da Journalisten stets genervt, weil überfordert scheinen, ist das schwierig, aber machbar. Für den, der langfristige Kontakte aufbauen will, lohnt es sich beispielsweise, über die auch lokal tätigen (zum Teil gewerkschaftlichen) Journalistenverbände und -vereine Kontakte herzustellen. Es lohnt sich ebenso, Termine für Redaktionsbesuche zu vereinbaren (auf die man mitunter ein halbes Jahr warten muss), um sich vorzustellen und auf den eigenen Betrieb, durchaus aber auch auf sich und andere Persönlichkeiten des Kulturbetriebes neugierig zu machen. Fehlt mal ein geeigneter Grund zum Anrufen, dann sollte man eine ganz spezielle Frage parat haben, die der Fachkompetenz und dem „Insidertum“ des Journalisten schmeichelt. Solche Erfolgserlebnisse behalten Journalisten im Kopf. Für Einladungen kann durchaus auch mal die stilvolle Handschriftlichkeit genutzt werden, und spannende Geschichten sollte man dem Lieblingsjournalisten exklusiv anbieten. Es ist lohnenswert, sich mitunter nach dem persönlichen Wohlergehen, nach privaten Vorhaben und nach der Familie zu erkundigen, oder ein dickes Lob hinter dem Kopfschütteln ob der unmenschlichen Überlastung des Reporters zu verstecken … Es gibt unzählige Ideen dieser Art, die zeigen, worauf es bei der lokalen Pressearbeit ankommt: Auf ein gutes Gefühl der Lokaljournalisten, zu denen eine Art „vertraute“ Beziehung aufzubauen ist. Empfinden Lokalredakteure Sympathie und Interesse, fühlen sie sich exklusiv behandelt und mit hochachtungsvollem Respekt betrachtet, setzen sie ihre Themenwünsche in jeder Redaktionskonferenz durch, ob das Thema nun tatsächlich von außerordentlicher Bedeutung ist oder nicht. Von der Grenze des Informationsverkaufs sollte man sich dabei jedoch fernhalten. Ein Intendant, der dem Kritiker einer Volkszeitung sein Haus mietfrei für Matineen zur Verfügung stellt, damit dieser von schauerlichen Operettenprotagonisten als Traumsängern schreibt, obwohl der Kritiker allerorten als sängerisch ahnungslos bekannt ist, wird ebenso unglaubwürdig wie der Journalist selbst. Jeder PR-Arbeiter muss in seiner Arbeitsorganisation darauf achten, bei den Lokaljournalisten nicht in Vergessenheit zu geraten. Die Kämpfer der kleinen Einrichtungen haben es dabei schwerer als die Vertreter der städtischen Großorganisationen. Es gibt in dieser Hinsicht viele Methoden, die in der Managementlehre der Unternehmenskommunikation referiert werden. Ebenso wichtig ist es allerdings, als PR-Arbeiter auch die Journalisten nicht zu vergessen, sondern sie möglichst genau kennenzulernen. Auch wenn sie es selbst oft völlig anders sehen, so ist doch davon auszugehen, dass Journalisten ganz normale Menschen sind: mit prägnanten Charaktermerkmalen, thematischen Affinitäten, schlechten Angewohnheiten, politischen Einstellungen und Antipathien gegenüber bestimmten Personen. All das offenbart sich in Gesprächen und Begegnungen, jedoch auch in den veröffentlichten Texten. Wer diesbezüglich fleißig sammelt, notiert und archiviert, hat es aufgrund eines authentischen Persönlichkeitsbildes in der Regel um vieles leichter als spontane Kollegen, den passenden Journalisten für sein Thema zu finden (oder sein Thema für einen bestimmten Journalisten passend zu machen). Das Leben der anderen ist im Falle des Medienarbeiters das Leben der Journalisten.
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Um die Wette kommunizieren… Grundsätze der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Multimediale Kampagnen sind im Grunde genommen kein Thema der Presse- bzw. Medienarbeit, weil es dieser um redaktionelle Publizität geht. Solche Kampagnen werden vom gesamten Kommunikationsteam entwickelt, weil sie (auch) andere Ziele und Zielgruppen als die Pressearbeit im Blick haben. Dennoch ist der PÖ-Arbeiter oftmals für den werblichen Auftritt mittels Zeitungsanzeigen mitverantwortlich. Optimalerweise erhält er hierfür ein Budget, um per Anzeige in der Presse zu informieren und zu werben. Hierzu muss er mehrere Entscheidungen treffen. Es geht zunächst darum, welche Kommunikationsziele man mit einer Anzeige verfolgt. Insoweit ist die Anzeigenschaltung eine Art kleines Projekt, das konzeptionell zu planen ist. Um welche Inhalte es geht, ist meist klar oder vorgegeben. Dass die Inhalte in eine sprachliche und visuelle Form zu bringen sind, die der Positionierung, der Markenidentität und den Botschaften entsprechen, versteht sich von selbst, wird in der Regel aber leider außer acht gelassen. Mit der Anzeige verfolgte Kommunikationsziele sollten solche sein, die auf einem Feedback von Lesern und Betrachtern beruhen, also im engeren Sinne konative Ziele sind. Eine Anzeige lohnt sich demnach in erhöhtem Maße für „Sender“ und „Empfänger“, wenn sie attrakive, bestenfalls lukrative Feedbackmöglichkeiten bietet. Dann kämen beispielsweise folgende Kommunikationsziele in Frage: einhundert telefonische Nachfragen und zweihundert Ticketbuchungen aufgrund der Anzeige, fünfzig Anforderungen schriftlichen Materials, fünfhundert Teilnahmen an einem Gewinnspiel per ausgeschnittenem und zurückgesandtem Anzeigencoupon usw. usf. Für diese Form der Erfolgskontrolle ist die Kreativleistung des Öffentlichkeitsarbeiters und meistens sein Durchsetzungsvermögen gegenüber der Geschäftsleitung gefragt. Mit Feedbackmöglichkeiten können Anzeigen im klassischen Sinn, aber auch Anzeigen in redaktioneller Form versehen werden. Die Meinungen über redaktionelle Anzeigen sind sehr konträr, aktuelle Untersuchungen über ihre Wahrnehmung, ihren Erfolg gibt es nicht. Vor allem im Kultur- und Kunstkontext sollte man jedoch überlegen, dass Werbung dann unseriös wirken könnte, wenn sie sich als „Nichtwerbung“ verkleidet. Schließlich geht es um die Frage, wo Anzeigen geschaltet werden. Diese Aufgabe erfordert dann eine gründliche Mediaplanung, wenn tatsächlich ein ansehnliches Budget zur Verfügung steht, nicht aber, wenn es um die Platzierung einer Einzelanzeige im Stadtmagazin geht. Mediaplanung wurde noch vor wenigen Jahren fast ausschließlich „inhäusig“ durchgeführt, wohingegen sich gegenwärtig die Beauftragung von Mediaagenturen als bessere Variante erweist. Dies hängt mit der speziellen Kompetenz zusammen, die die Mediaplanung in der inzwischen höchst differenzierten und teils unübersichtlichen Medienlandschaft erfordert. Um mit Anzeigen treffsicher, also zielgruppengenau zu kommunizieren, ist eine Medienauswahl nötig, die auf zahlreichen Daten aktueller Markt- und Medienforschung beruht. Über diese Daten verfügt der PÖ-Arbeiter in der Regel nicht, der Zugang zu ihnen ist zudem sehr teuer, meist zu teuer für einen Kulturbetrieb. Mediaagenturen haben diese Datenkompetenz und lassen ihre Kunden davon profitieren. Mehr noch, Mediaagenturen verfügen aufgrund ihres großen Auftragsvolumens über Konditionen für die Anzeigenschaltung, die weitaus günstiger als jene in den Mediadaten der einzelnen Blätter oder Verlage ausgewiesenen sind. A propos Mediadaten: Wer keine Mediaagentur beauftragen kann oder will, sollte gegenüber der Mediadaten-Selbstauskunft einer Zeitung zunächst skeptisch sein. Angaben über Reichweiten, Auflagenhöhe, Verkaufszahlen etc. sollten mit Auskünften der aktuellen Media-Analyse der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse und mit Daten der Informationsge-
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meinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. (IVW) verglichen werden, sofern es dort um die avisierten Medien und um deren Nutzung durch die zu bedienende Zielgruppe geht. Um welche Pressearbeit es auch geht, um jene, die redaktionelles Interesse von Journalisten wecken soll, oder um jene, die per Anzeige informiert und wirbt: Kontinuität, Regelmäßigkeit und Beharrlichkeit sind oberstes Gebot. Deshalb helfen To-do-lists oder Checklisten selbst erfahrenen Medienarbeitern gegen betriebsblinde Vergesslichkeit und bei der Automatisierung immer wieder zu aktualisierender Prozesse. Auch diese Checklisten gibt es – wie viele andere hier erwähnte Hilfsmittel – zuhauf in der Literatur zum Mangement der Institutionenkommunikation. Die guten Titel dieser Literatur und der wenigen Bände zur Konzeptionslehre können – gemeinsam mit eigenen Erfahrungen des Erfolges und des Misserfolges – ein tragfähiges Fundament für wirkungsvolle und zweckdienliche Öffentlichkeitsarbeit sein, die Kunst- und Kulturbetriebe in Deutschland und Europa nicht mehr nur als Erregung von Aufmerksamkeit, sondern als Zukunfts- und Bestandssicherung brauchen werden.
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Literatur
Becker, J.: Marketingkonzeption, Grundlagen des zielstrategischen und operativen Marketing-Managements, München 2002 Brauer, G.: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Ein Handbuch, Konstanz 2005 Dörrbecker, K. / Fissenewert-Gossmann, R.: Wie Profis PR-Konzeptionen entwickeln, Das Buch zur Konzeptionstechnik, Frankfurt a. M. 2003 Mast, C.: Unternehmenskommunikation, Ein Leitfaden, Stuttgart 2006 Rota, F. P.: Public Relations und Medienarbeit, Effektive Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen im Informationszeitalter, München 2002 Schmidbauer, K. / Knödler-Bunte, E.: Das Kommunikationskonzept, Konzepte entwickeln und präsentieren, Potsdam 2004 Zerfaß, A. (Hrsg.): Neue Ideen erfolgreich durchsetzen, Das Handbuch der Innovationskommunikation, Frankfurt a. M. 2005
Bruno Horst
Internetbasierte Kommunikationskonzepte 1
Einleitung
2
Gestaltungsfelder der Internet-Kommunikation
2.1
Nur-Kommunikationsstrategie
2.2
Personalisierung: Vom Permission- zum One-to-One Marketing
2.3
Digitales Beziehungsmanagement
3
Strategische Komponenten der Internet-Kommunikation
3.1
Entwicklung integrierter Kommunikation
3.2
Ausbau des Market-Pull-Prinzips
3.3
Mobile Kommunikation SMS, MMS, UMTS
4
Perspektiven des Internets in der Kommunikationspolitik
5
Literatur
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Internetbasierte Kommunikationskonzepte
Einleitung
„Tue Gutes und rede darüber“ dieser Spruch ist nicht nur ein Erfolgsrezept gut geführter Unternehmen. Gerade sog. Non-Profit-Unternehmen, z.B. kulturelle Einrichtungen, sollten diesen Rat beherzigen. Schlechte Noten für das Stadtmarketing, Servicegedanke unterentwickelt, mangelnde Kommunikation mit den Bürgern, sind typische Vorwürfe. Mit den neuen Medien und insbesondere mit dem Internet haben sich sehr komplexe Kommunikationsinstrumente entwickelt, durch die solche Einstellungen entkräftet werden können. Eine gut strukturierte Internetseite und ein abgestimmtes Kommunikationskonzept können zielgerichtet das notwendige Vertrauen in Unternehmen, kulturelle und kommunale Einrichtungen geben. Beispielsweise stellt gerade Kulturmarketing oft nicht nur als internationales Aushängeschild besondere Anforderungen, die durch mehrsprachige Online-Auftritte effizient gelöst werden können, sondern auch im Kontakt mit den lokal ansässigen Bürgern eine beispielhafte Herausforderung für internetbasierte Kommunikationskonzepte dar. Von der Privatperson bis zum Sportverein, vom Einzelhändler bis zum Konzern, vom Existenzgründer bis zum Großforschungszentrum, alle Themen müssen in eine internetbasierte Kommunikation einbezogen werden: Soziales, Kultur, Wirtschaft, bürgerschaftliches Engagement, Handel, und das Handwerk Das Kommunikationskonzept ist jedoch nur ein, wenn auch wesentlicher Bestandteil im Marketing Mix. Mit welchen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen internetbasierte Kommunikationskonzepte entwickelt werden können, wird im Folgenden erläutert.
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Gestaltungsfelder der InternetKommunikation
Das Internet ermöglicht den Einsatz verschiedenster Gestaltungsmittel und -formen. Dadurch lassen sich auch sehr komplexe Präsentationen der Information abbilden. Bei der Gestaltung eines Internetauftrittes sind daher • • • •
die Struktur der Internetseiten, die sog. Site-map, die textliche und symbolische Kommunikation, die Bild- und Tonkommunikation und die Interaktivität der Ein- und Ausgabe
zu berücksichtigen (vgl. Hoffman 2001). Das Internet kann unter Verwendung dieser Gestaltungselemente als ein multifunktionales Medium eingesetzt werden, um den unterschiedlichsten Kommunikationsaufgaben gerecht zu werden.
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Der bedeutendste Unterschied zu den übrigen digitalen und Printmedien besteht in der Interaktion. Dies bezeichnet die Möglichkeit der zweiseitigen Kommunikation eines Nutzers über eine entsprechende Schnittstelle mit einem Computer. Eine solche Schnittstelle wird als Mensch-Maschine-Schnittstelle oder als User-Interface (Benutzeroberfläche) bezeichnet. Die Verknüpfung von Seiteninhalten im Internet erfolgt neben dem meist hierarchisch strukturierten Menü über sog. Hyperlinks. Hyperlinks sind Querverweise in HTML-Dokumenten, die zur vernetzten Struktur des World Wide Web beitragen und die Navigation zwischen den einzelnen Dokumenten per Mausklick innerhalb eines Browsers ermöglichen. Hyperlinks bilden die Basis für die nicht-lineare Organisation und elektronische Wiedergabe von Informationen, die in zusammenhängenden Kontexten miteinander verknüpft sind. Hieraus entsteht eine einfache Form der Interaktion, da der Seitenaufruf über einen Link, des Aktivierung vom Nutzer abhängt. Eine Website wird aber erst dann als wirklich interaktiv bezeichnet, wenn diese Aktionen erlaubt, die über das Nutzen von Links hinausgehen. Komplexere Interaktionen ermöglichen z.B. Datenbanken, welche einem Nutzer die Eingabe von Suchanfragen erlauben und diesem auf Grund seiner Angaben die gewünschten Informationen liefern. Weitere Beispiele wären ein Chat zum direkten Meinungsaustausch oder OnlineUmfragen. Hierbei gibt es die Möglichkeit der One-to-one-Kommunikation, der individuelle Austausch mit einem Adressaten, z.B. per E-Mail. Die One-to-many-Kommunikation erfolgt über eine Website, auf der gleiche Informationen für alle User bereitgestellt werden, die diese Seite aufrufen. Die One-to-Few-Kommunikation setzt die vorherige Selektion von Usern voraus, z.B. den Versand von Newsletter an zuvor registrierte Nutzer. (vgl. Vergossen 2004) Die Entwicklung eines internetbasierten Kommunikationskonzeptes erfolgt in zwei Phasen: In der ersten Phasen wird die geeignete und auch technisch mögliche Kommunikationsstrategie festgelegt. Die zweite Phase umfasst die Realisierung der Strategie in einer Webpräsenz. Zur Unterscheidung möglicher Kommunikationsstrategien wird hier die Interaktionsfähigkeit und der Grad der Personalisierung herangezogen (s. Abb.1).
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Internetbasierte Kommunikationskonzepte
Die verschiedenen Kommunikationsformen im Internet
Information Information mit mit Interaktionsmöglichkeit Interaktionsmöglichkeit
Information Information mit mit passiver passiver Kommunikation Kommunikation
z.B. z.B. Call Call Back Back Button Button Bestellmöglichkeit Bestellmöglichkeit Ticketing Ticketing Newsletter Newsletter
Ohne Ohne Interaktionsmöglichkeit Interaktionsmöglichkeit
Internetkommunikation Internetkommunikation
Information Information mit mit aktiver aktiver Kommunikation Kommunikation Chats Chats Newsgroup Newsgroup Permissionmarketing Permissionmarketing
Information Information mit mit aktiver aktiver persönlicher persönlicher Kommunikation Kommunikation Dialog Dialog Personalisierung Personalisierung Individualkontakte Individualkontakte
Abb.1 Die verschiedenen Kommunikationsformen im Internet (eigene Darstellung)
Die einfachste Kommunikationsstrategie besteht aus einem rein passiven Kommunikationsangebot. Im Rahmen dieses Kommunikationskonzept kann der User Informationen abrufen. Ergänzt werden kann dieses Kommunikationsangebot durch allgemeine Hinweise in Tageszeitungen usw. Diese Strategie ist sehr kostengünstig und bietet gleichzeitig die Möglichkeit einer sehr aktuellen Information. Eine Erweiterung kann durch die Personalisierung der bereitgestellten Informationen erfolgen. Diese Strategie basiert auf dem Permissionmarketing , das in Pkt. 3.2 dargestellt wird und sich zum One-to-One-Marketing entwickeln kann. In eine andere Dimension wird das rein passive Kommunikationsangebot erweitert durch interaktive Elemente. Diese Möglichkeit wird beispielsweise beim Ticketverkauf genutzt. Kombiniert man die Möglichkeiten der Personalisierung und der Interaktivität entsteht ein sehr komplexes Kommunikationskonzept, das die Grundlage für jedes digitale Customer Relationship Management darstellt. In der Realität sind die Grenzen zwischen den verschiedenen Strategien fließend. Um deren Schwerpunkte besser verstehen zu können, werden sie hier differenziert behandelt.
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2.1
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Nur-Kommunikationsstrategie
Eine Nur-Kommunikationsstrategie bedeutet, dass unselektiert Informationen bereitgestellt werden. Es erfolgt keine spezielle Zielgruppenselektion oder persönliche Ansprache. Die virtuelle Kommunikation umfasst in diesem Fall nur die passive Form. Dies bietet sich beispielsweise für kleinere Museen an, bei denen der Kartenvorverkauf keine Rolle spielt. Außerdem können Links eingebaut werden, die bezogen auf spezielle Ausstellungen Zusatzinformationen usw. vermitteln. Wie wirksam diese Strategie mittlerweile geworden ist, bestätigt das Vorgehen der großen Industrieunternehmen. Automobilunternehmen beispielsweise haben mittlerweile das Internet zur zentralen Informationsquelle bei Neueinführungen gemacht. Hier können überlange Werbespots ebenso abgerufen werden wie Standardinformationen zu neuen Fahrzeugen. Der klassische TV-Spot dient nur noch als Appetizer für den Internet-Auftritt, den der Anbieter zudem auch besser kontrollieren kann. (vgl. Pickton / Proderick 2005, S. 336)
2.2
Personalisierung: Vom Permission- zum One-to-One Marketing
Das Internet hat als Kommunikationsmedium erstmalig vielen Konsumgüterherstellern die Möglichkeit gegeben, einen direkten Kontakt zu ihren Endverwendern aufzubauen. Um dieses Potenzial effizient bedienen zu können, hat man sich sehr früh bereits Gedanken gemacht, wie eine personalisierte Kommunikation über das Internet umsetzbar ist.
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Internetbasierte Kommunikationskonzepte
Personalisierungsverfahren Datenquellen
Aggregierte Profile aus
•Logfiles •ERP-System •Data-Warehouse/Data-Mining
• Kundenstamm- und Bewegungsdaten • Produktabsätzen und Margen
Regelbasiert
Verhaltensbasiert
Inhaltebasiert
Mögliche Personalisierungselemente Bannerschaltung
Navigation Layout Produktangebot Cross Selling Up-Selling Informationen Weiterführende / Vertiefende Informationen
Website
Individuelle Preise und Konditionen Aktionen Individualisierte Services
Abb.2 Personalisierungsverfahren im Internet (in Anlehnung an Hegge 2001, S. 41)
Vergleichbar dem Marktsegmentierungsprozess besteht auch die Personalisierung aus zwei Phasen: • Identifikation Die Identifikation der anzusprechenden User kann direkt erfolgen aus den Daten, die beispielsweise über Kundenclubs oder ähnliches zur Verfügung stehen. Vielfach müssen aber erst Informationen über den Kunden, z.B. über einen Online-Fragebogen, gewonnen werden, um ihn personalisiert ansprechen zu können. Die Sammlung von Informationen über Kunden sollte im Idealfall neben soziodemographischen Daten (Alter, Geschlecht, Adresse, Einkommen), Geodaten, psychographischen Merkmalen wie Einstellungen oder Interessen auch die Kauf- und Kontakthistorie beinhalten. • Leistung Zunächst kann den identifizierten User eine spezifische Kommunikation (personalisierte Seiteninhalte, Newsletter usw.) angeboten werden. Darüber hinaus kann auch das Leistungsangebot auf ihn konkret zugeschnitten werden. Zu den ersten Werkzeugen der Personalisierung gehörte die E-Mail-Kommunikation. Mit der Erfassung einer E-Mail-Adresse ging meist einher die Abfrage demographischer Merkmale,
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von Interessengebieten usw. Auf diese Weise konnten personalisierte E-Mails, später Newsletter versandt werden. Später wurde dieser Service ergänzt um personalisierte Web-Seiten zu gestalten, deren Inhalte teilweise auch gebührenpflichtig waren. Zwischenzeitlich sind diese Instrumente intensiviert worden, so dass erste Klagen von Usern laut wurden. Dabei gilt, Internetmarketing ist umso erfolgreicher, wenn vorher die Erlaubnis des Adressaten, Permission, eingeholt worden ist, ihm die Informationen zu kommen zu lassen. Die Besonderheit des Permissionmarketing besteht darin die individuellen Rechte des Kunden zu berücksichtigen. Die Unternehmen setzen oft bestimmte Anreize ein, damit diese Einwilligung gegeben wird. In der Regel wird ein Formular auf der Webseite dazu Interessenten dazu auffordern, ihre E-Mail-Adresse einzutragen, um regelmäßig bestimmte Information zu erhalten. Das können Newsletter sein, eine elektronische Kundenzeitschrift oder Hinweise auf Rabattaktionen. Statt des allgemeinen Newsletters, der häufig überflüssige Informationen enthält, wird ein personalisierter Newsletter verschickt, der sich nur auf die vom Kunden gewünschten Informationen bezieht. Dies können Angebote, Serviceleistungen, Referenzen (Kunden, Preise, Innovationen) oder Hinweise auf Weiterentwicklungen sein. Umfragen können ein besonderes Interesse signalisieren und der Firma wertvolle Hinweise auf die aktuellen Bedürfnisse liefern. Kundenclubs können durch Nutzung des Internet um vielfältige Funktionen erweitert werden. Gelingt es, Verkaufszahlen mit Aktivitäten auf den Webseiten zu verbinden, kann sich ein sehr umfassendes Bild des Kunden geben. Gleichzeitig ist damit aber auch das Problem des sog. „gläsernen Kunden“ verbunden. Anbieter sollten daher sorgsam darauf achten, die Beschaffung von Informationen nicht ausufern zulassen. Gerade im kulturellen Umfeld kann der User im Voraus oft gar nicht einschätzen, ob er an einer kulturellen Leistung interessiert ist. Eine weitere Möglichkeit sind personalisierte Internetseiten. Der Besucher gibt hier indirekt sein Einverständnis, indem er Cookies akzeptiert. Mit Hilfe der Cookie-Technik (Cookie, englisch für Keks) kann ein Web-Server, auf dem PC des Anwenders Informationen hinterlegen. Diese Informationen kann man sich als elektronische Krümel vorstellen, die ein Cookie (Keks) hinterlässt. Da der Web-Server nicht direkt auf die Datenträger der Anwenders Zugriff hat, muss er hierfür den Browser bitten. Er kann z.B. die aktuelle Adresse, Anwenderrechner, Anwendereingaben vermerken. Wenn Sie einen Rechner besucht haben, der auf der Festplatte einen Cookie hinterlässt, ist es möglich, dass Sie beim nächsten Besuch dieses Rechners persönliche Voreinstellungen (z.B. E-Mail-Adresse, Name, Themenschwerpunkte oder Auswahlen (bekanntestes Beispiel Amazon) vorfinden, die Sie nicht wieder erst eingeben müssen. Dies kann Online-Zeit und damit Kosten sparen, aber manche Besucher kommen sich auch ausgehorcht vor (zielgruppenspezifisch). Aus diesem Kundendialog ergeben sich für den Anbieter neue Chancen für ein kunden- individuelles Marketing (One-to-One-Marketing). Die Individualisierung des Informationsinhalts wird damit auf Leistungsindividualisierung erweitert. Während Dienstleistungen, z.B. Finanzierungsangebote, im allgemeinen besonders gute Voraussetzungen für eine Individualisierung bieten, bietet das Kulturmarketing deutlich weniger Ansatzpunkte für eine Leistungsindividualisierung, Theateraufführungen können nicht für einzelne Besucher angeboten wer-
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Internetbasierte Kommunikationskonzepte
den, sondern nur eben nur die in der jeweiligen Aufführung anwesende Gruppe (vgl. Horst 2005). Der Kunde kann damit grundsätzlich von Anfang an in den Wertschöpfungsprozeß des Anbieters integriert und zum „Ko-Produzenten'. der Leistung werden. Solche Strategien der Leistungsindividualisierung werden dabei selbst auf Massenmärkten möglich (Mass Customization). Um Permissionmarketing umfassend betreiben zu können, müssen die drei folgenden Bereiche realisiert sein: • Customer tracking: In Datenbanken wird das bisherige Verhalten des Kunden oder Internet-Users abgespeichert. Damit kann jederzeit eine Kommunikation mit dem Kunden auf aktueller Basis geführt werden. • Personalisierte Kommunikation: Selbst bei Millionen von Kunden kann der Anbieter auf Basis des Customer tracking sagen: "Du bist anders als alle anderen Kunden und weil ich Dich so gut kenne, kann ich Dich auch besser zufrieden stellen als andere dies können.“ Dem Kunden wird die Auswahl erleichtert, weil er die auf ihn zugeschnittene Information bekommt. • One-to-One Marketing: Das Angebot kundenspezifischer Produkte oder Leistungen stellt die oberste Stufe des personalisierten Marketing dar. Der Zusatzaufwand gegenüber einem Massenangebot ist jedoch sehr sorgfältig zu kalkulieren. Zusammenfassend ist vor dem Hintergrund einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) festzuhalten: Die Kundentreue ist im Online-Handel niedrig, wenn das Angebot nicht den Erwartungen entspricht (vgl. Hegge 2001). Interaktive Internetkommunikation Während die Personalisierung vorher Informationen sammelt, um gezielt Kommunikationsangebote machen zu können, steht mit der Interaktivität die Möglichkeit zur Verfügung, während der Kommunikation auf speziellen Anfragen zu reagieren. Bei der Interaktivität steht daher der Kommunikationsprozess zwischen Sender und Empfänger im Focus der Betrachtung. Der Suchprozess in der Webpräsenz muss demzufolge übersichtlich gestaltet werden. Eingabemasken und verwendete Begriffe müssen intuitiv erfassbar sein. Die Besonderheiten der Interaktivität machen deutlich, dass derartige Angeboten besonders geeignet sind für User mit hohem Involvement. Solche User bringen das nötige Wissen mit, um sich in interaktiven Angeboten orientieren zu können. Sie haben zudem meist auch sehr spezifischen Fragestellungen, die sich auf dem Weg der Personalisierung nicht effizient lösen lassen, da sie im Voraus kaum zu ermitteln sind. Die interaktive Internetkommunikation basiert auf einem sehr umfassenden inhaltlichen Angebot sowie intuitiv nachvollziehbaren Routinen, um die gewünschten Informationen zu selektieren.
Bruno Horst
2.3
287
Digitales Beziehungsmanagement
Bei dieser umfassendsten internetbasierten Kommunikationsstrategie steht der Kunde im direkten Kontakt mit dem jeweiligen Anbieter. Möglichkeiten der Personalisierung werden dabei mit der Interaktivität verbunden. Diese Strategie ist empfehlenswert für Kunden, zu denen intensive Geschäftsbeziehungen bestehen. Abbonement-Besucher von Theatern können dazu gezählt werden. Der User wird in dieser Umgebung zur treibenden Kraft. Mit der Möglichkeit des direkten Austausches von Informationen ist jedoch auch ein Anspruch an die Qualität der Beziehung verbunden. Die multimedialen Elemente, Ton, Sprache und Bild, können gleichzeitig eingesetzt werden, um Informationen zu transportieren. Bereits auf der Basis von E-Mail können in einfacher Form die Kundenkontakte durch kontinuierlichen Informationsaustausch erweitert werden. Um ein digitales Beziehungsmanagement aufzubauen, müssen die auf diese Weise gesammelten E-Mail-Informationen gespeichert werden und beim Kundenkontakt neben weiteren Daten sofort abrufbar sein. Durch den stetigen Schriftverkehr bekommt der Kunde eine Partnerfunktion im Unternehmen. Er beteilige sich aktiv an der Gestaltung des Leistungsangebotes eines Unternehmens. Dieses Beziehungsmanagement wiederum erlaubt es dem Unternehmen, sich differenzierter auf die Wünsche der Kunden einzustellen. Schrittweise kann der Anbieter in dieser Strategie von der interaktiven E-MailKommunikation zu einem vollständigen internetbasierten Kommunikationsangebot wachsen, in dem sich der User beispielsweise Aufzeichnungen von Kulturveranstaltungen im Videooder Audiostream abrufen, Informationen zu aktuellen Veranstaltungen einholen und Diskussionen mit Künstlern im Chatroom führen kann. Im interpersonellen Kommunikationsmodell können Beziehungen ausgetauscht, aufgebaut aber natürlich auch wieder abgebrochen werden.
3
Strategische Komponenten der InternetKommunikation
Zweifellos stehen webbasierte Kommunikationskonzepte gerade im Kulturmarketing erst am Anfang ihrer Möglichkeiten. In diesem Rahmen kann daher nur begrenzt auf bestehende Perspektiven eingegangen werden. Einerseits wird in Abschnitt 3.1 auf das strategische Potential eingegangen, andererseits werden im darauf folgenden Abschnitt die wichtigsten technischen Entwicklungen angesprochen.
288
3.1
Internetbasierte Kommunikationskonzepte
Entwicklung integrierter Kommunikation
Eine erfolgreiche Kommunikation scheitert immer öfter daran, dass die verschiedenen Instrumente unabhängig voneinander gestaltet werden. Daher ist auch ein webbasiertes Kommunikationskonzept nur in der Integration mit den übrigen Kommunikationsinstrumenten wirksam. Mit einem integrierten strategischen Kommunikationskonzept verfolgt eine Organisation das Ziel, die Vorstellungen der Führungsebene und der Mitarbeiter in die Handlungs- und Gestaltungsebene zu übertragen. Zu diesem Zweck sind fünf Dimensionen in Einklang zu bringen: Organisationskultur, Verhalten, Produkte und Dienstleistungen, Nachfrager und Wettbewerber (vgl. De Pelsmaker / Geuens / Van den Bergh 2004) .
Öffentlichkeitsarbeit Marketing Kommunikation
(f) Werbung
(a)
(c)
(e)
(d)
(b)
Marketing
(a) Firmenwerbung (b) Salesforce and mehrdimensionale Kommunikation (Multi-Channel), Verpackung, Direktmarketing, Sales promotions, etc. (c) Distribution,Logistik, Preise, Produktneuentwicklungen, etc. (d) Investorbeziehungen; Gemeindebeziehungen, Arbeitnehmerbeziehungen, public affairs/government relations, etc. (e) Produktbekanntheitsgrad, Broschüren und anderes begleitendes Material, Teile der Medienbeziehungen, Krisenkommunikation and Firmenimage; (f) Traditionelle Massenmedienwerbung
Abb. 3 Marketing Mix und integrierte Kommunikation. (vgl. De Pelsmaker / Geuens / Van den Bergh 2004, S. 9)
Welche unterschiedlichen Instrumente entsprechend des strategischen integrierten Kommunikationskonzeptes koordiniert werden müssen, geht aus grob aus der Abb.3 hervor. Neben dieser funktionalen Sichtweise ist auch die objektorientierte Dimension zu beachten. Die integrierte Kommunikation einzelner Angebote ist der Unternehmenskommunikation unter-
Bruno Horst
289
zuordnen. Auf diese Weise ist es möglich, den Imagetransfer von der Unternehmenskommunikation zu Kommunikation neuer Angebote effektiv zu nutzen. Längst fällt in diesem Integrationsprozess dem Internet in vielen Fällen eine Leitfunktion zu, die in den vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten, der geringeren Streuverlusten und den geringeren Kosten begründet ist.
3.2
Ausbau des Market-Pull-Prinzips
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor webbasierter Kommunikation bildet die Abkehr vom einseitig durch den Anbieter gesteuerten Push- hin zum Pull-Konzept, das maßgeblich vom Nachfrager bestimmt wird. Während beispielsweise die Kommunikation im konventionellen Marketing meist von den Anbietern ausgeht, die die Nachfrager z.B. durch Werbung in Massenmedien zu beeinflussen suchen, dreht sich der Kommunikationsvorgang im World Wide Web um. Die Initiative für die Informationsübertragung geht nun vom Nachfrager aus, der mittels „Mausklick" darüber entscheidet, was er auf dem Bildschirm sehen möchte und was nicht. Zugleich bietet ihm das Internet die Möglichkeit, seine Wünsche und Interessen dem Anbieter zielgerichtet zu kommunizieren. Kulturelle Ereignisse können virtuell, aber „on demand“ angeboten werden, Ideen aus Newsgroups oder Diskussionsforen können umgesetzt werden. Die Entwicklung neuer Produkte oder Dienstleistungen kann jetzt in einem wesentlich partnerschaftlicheren Prozess erfolgen. Unternehmen können auf ein neues Kundenbedürfnis reagieren aber auch ihrerseits innovativen Kundengruppen innovative, forschungsorientierte Produkte anbieten. Kulturbetriebe können auf diese Weise sukzessiv Leistungspakete entwickeln, die sich aus der differenzierte Informationsnachfrage innerhalb der Webpräsenz ergeben haben. Angebote werden in den Markt gezogen und nicht mehr hineingedrückt – pull statt push.
3.3
Mobile Kommunikation SMS, MMS, UMTS
Mit der Verbreitung technisch hoch entwickelter Handys und der entsprechenden technischen Möglichkeiten, lassen sich auch weitergehende mobile Kommunikationsmöglichkeiten aufbauen. Elemente der Internetpräsenz können ortsunabhängig an den Adressaten übermittelt werden. Eine zielgruppenspezifische Aufbereitung von Informationen wird hier ein wichtiger Erfolgsfaktor sein, da insbesondere junge Zielgruppen zu den innovativen Nutzergruppen mobiler Technologie gehören. Diese Form der Direktkommunikation bietet vielfältige neue Möglichkeiten. Die besondere Leistungsfähigkeit der mobilen Kommunikation liegt in der Spontaneität und der Aktualität. Welches Theaterstück kann ich heute Abend noch besuchen? Gibt es noch Konzertkarten? Gibt es ein besonderes Ereignis in dem Ort, in dem ich gerade übernachte? Auf diese Art der Fragestellung muss das webbasierte Angebot vorbereitet sein. Trotz immer
290
Internetbasierte Kommunikationskonzepte
schneller werdender Technologie, z.B. UMTS, ist nur eine begrenzte Information darstellbar. Der Vorteil des webbasierten Kommunikationskonzeptes, eine sehr umfassende Informationsbasis, darf hier nicht zum Nachteil werden. Diese Beispiele zeigen bereits, welche immensen Entwicklungspotentiale möglich sind, die umso leichter erschlossen werden können, je flexibler das aktuelle Kommunikationskonzept ist. SMS wird bereits häufig in der TV- und Printwerbung als Responsekanal genutzt. Bei einer Teilnahme an einem Gewinnspiel kann die Response-SMS eine sichere und persönliche Antwort und Einhaltung eines Timelimits gewährleisten. Mobile Spiele, Klingeltöne oder Logos können schon jetzt als Anreize für den Besuch der Webseite genutzt werden, die auch mit einem viralen Effekt verbunden werden können.
4
Perspektiven des Internets in der Kommunikationspolitik
Gerade die Höhen und Tiefen der Internetentwicklung der letzten Jahre haben gezeigt, das auch dieses Medium kein Allzweckinstrument ist. Längst schon lässt sich der Verbraucher nicht mehr vorschreiben, wann er was wo kauft oder wie er sich Informationen beschafft. Er möchte dies von der aktuellen Situation, auch ganz einfach von seiner Stimmung abhängig machen. Das persönliche Erlebnis vor Ort kann nicht ersetzt werden durch eine digitale Kommunikation, aber es kann bei richtiger Anwendung leichter möglich oder überhaupt erst zugänglich gemacht werden. Der Hype um die virtuelle Welt Second Life hat gezeigt, mit welcher Geschwindigkeit neue Möglichkeiten der internetbasierten Kommunikation entstehen können. Gleichzeitig ist erkennbar geworden, dass auch virtuelle Welten einen Regelungsbedarf haben, um eine längerfristige Sozialisation zu ermöglichen. Ähnlich dem Internet, das nach dem ersten Hype einen Crash erlebte, um dann mit tragfähigen Geschäftsmodellen wieder erfolgreich zu werden, steht auch bei den Plattformen der virtuellen Welten zu vermuten, dass sich erfolgreiche Geschäftsmodelle in Zukunft durchsetzen werden. Eine erfolgreiche Plattform zur Kommunikation für die immateriellen Angebote der Kultur kann daraus in jedem Fall entstehen. Auch wenn Duft, Haptik und dreidimensionaler Darstellung aktuell noch Übertragungsgrenzen im Internet gesetzt sind, den Anbietern von kulturellen Leistungen bietet dieses Medium ein unerschöpfliches Potential, um individuell oder auch weltweit mit Besuchern und Interessenten zu kommunizieren.
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5
291
Literatur
De Pelsmaker, P. / Geuens, M. / Van den Bergh, J.: Marketing Communications, 2nd. Ed., 2004 p.cm Hegge, U.: „Personalisierung in Echtzeit“, CEO 7d AG. Veröffentlicht in eCRMprofi 8+9/2001 Hoffman, V.: Bildkommunikation, Studienbrief 2-060-0605, 2. Auflage, Berlin 2001 Horst, B.: Der professionelle Onlineauftritt Studienbrief 2-080-0731, 1. Auflage, Berlin 2005 Pickton, D. / Proderick, A.: Integrated marketing communications, 2nd. Ed, 2005 p.cm Vergossen, H.: Marketingkommunikation, Ludwigshafen 2004
Dominik Höch / Christian Schertz
Merchandising und Licensing 1
Einleitung
2
Begriff und Gegenstand von Merchandisingverträgen
3
Merchandising-Objekte als Vertragsgegenstände
4
Formen der Merchandising-Auswertung
5
Schutzrechte an Merchandising-Objekten
6
Vertragstypen im Merchandisinggeschäft
7
Der Inhalt von Merchandisingverträgen
7.1
Vertragsparteien
7.2
Vertragsgegenstand
7.3
Berechtigung des Lizenzgebers
7.4
Rechtseinräumung
7.5
Aufgaben des Lizenznehmers
7.6
Genehmigungsvorbehalt für Vertragsartikel, Qualitätskontrolle, Belegexemplare
7.7
Freistellung des Lizenzgebers von Produkthaftungsrisiken
7.8
Gegenleistung
7.9
Bucheinsichtsrechte
7.10 Nennung des Lizenzgebers; Schutzrechthinweis 7.11 Gemeinsame Rechtsverteidigung 7.12 Vertragsdauer und Kündigung 8
Literatur
294
1
Merchandising und Licensing
Einleitung
Neben den klassischen Urheberrechtsverwertungsverträgen in der Film-, Musik- und Medienwirtschaft hat sich der Merchandising-Vertrag als eine eigenständige Vertragsform entwickelt. Merchandising ist in den genannten Branchen eine inzwischen geläufige Bezeichnung für eine bestimmte Form von Vermarktung. In seinen Erscheinungsformen reicht es von der Verwendung von Comicfiguren, Marken oder auch Werken der bildenden Kunst auf Schlüsselanhängern, Bettwäsche und Armbanduhren oder der Benennung eines hochwertigen Produktes mit dem Namen eines Schauspielers, Sportlers bis hin zum Vertrieb von Puppen der in einem Film auftretenden Charaktere etc. Grundsätzlich geht es bei Merchandising um die Kapitalisierung von Beliebtheit bzw. die Ausnutzung des Bekanntheitsgrades von einem "populären Gut“ (Ehlgen 1996, S. 1008), welches regelmäßig nicht zur freien Disposition des Vertreibers der Merchandisingprodukte steht. Im Gegenteil schützen verschiedene Rechte vor unbefugter Nutzung der Merchandisingobjekte. Rechtlich zulässiges Merchandising setzt daher voraus, dass der jeweilige Inhaber der Schutzrechte diese an den Lizenznehmer überträgt oder ihm Nutzungsrechte einräumt.
2
Begriff und Gegenstand von Merchandisingverträgen
In seiner wörtlichen Übersetzung aus dem Englischen ist Merchandising eine allgemeine Bezeichnung für „Warenhandel treiben“. In der Betriebswirtschaft wird der Begriff umfassend als Bezeichnung für die "Gesamtheit aller Maßnahmen der Absatzförderung" (Böll 1999, S. 1) verwendet. Im juristischen Sprachgebrauch wird er hingegen enger verstanden und auf bestimmte Arten von Lizenzverträgen bezogen. Eine Legaldefinition des Merchandisings existiert dennoch nicht.61 Die Rechtsprechung verwendet den Begriff zwar, setzt sich aber nicht näher mit ihm auseinander.62 Zusammenfassend ist zu sagen, dass Merchandising im Allgemeinen die lizenzmäßige Vermarktung insbesondere von Figuren, Namen und Motiven ist. Merchandisingverträge sind dadurch gekennzeichnet, dass ihr Gegenstand außerhalb des eigentlichen Betätigungsfelds bzw. Wirkungskreises des Merchandisingobjektes liegt, dass sie also im weitesten Sinne eine Sekundärverwertung darstellen. Die Sekundärnutzung im Rahmen des
61 62
Siehe hierzu auch: Büchner 1999, Rdnr. 1092 und Ruijsenaars 1977, S. 14.
z.B. BGH: Guldenburg-Entscheidung (GRUR 1993, 692): die kaufmännische Nutzung des Titels und seiner Bestandteile sowie anderer Elemente einer Fernsehsendung im Wege der Lizenzvergabe; Nena-Entscheidung (GRUR 1987, 128): Vertrag, der den Lizenznehmer dazu ermächtigt, Dritten die wirtschaftliche Verwertung des Bildnisses der Sängerin gegen eine Vergütung zu gestatten.
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295
Merchandisings baut dann auf der durch die Primärnutzung erlangten Popularität auf (vgl. Schertz 1997, Rdnr. 13). Der Gegenstand von Merchandisingverträgen lässt sich daher definieren als die umfassende, neben die jeweilige Primärverwertung tretende Sekundärvermarktung von populären Erscheinungen, insbesondere fiktiven Figuren, realen Persönlichkeiten, Namen, Titeln, Signets, Logos, Ausstattungselementen, Designs und Bildern außerhalb ihres eigentlichen Betätigungs- bzw. Erscheinungsfeldes durch den Berechtigten selbst oder durch Einräumung von Rechten und sonstigen Besitzständen an Dritte zur wirtschaftlichen Verwertung zum Zwecke des Absatzes von Waren und Dienstleistungen einschließlich der Verkaufsförderung und Werbung mit Ausnahme der Auswertung in Printmedien und/oder auf Bild- oder Tonträger (vgl. ebd., Rdnr. 14).63 Für bestimmte Merchandisingformen haben sich eigenständige Bezeichnungen herausgebildet. Hier sind als Beispiele die Vermarktung fiktiver Figuren als "Character Merchandising", die Vermarktung natürlicher Personen als "Personality Merchandising" bzw. "Personenmerchandising" oder auch die merchandisingmäßige Auswertung von bekannten und berühmten Marken als "Brand Merchandising" zu nennen.64 Allen Formen des Merchandising ist eigen, dass sich die (erhoffte) Anziehungskraft der Merchandising-Objekte aus einer rein emotionalen und irrationalen Wertschätzung, nicht jedoch aus konkreten Qualitätsvorstellungen ergibt, die mit einer bekannten Figur oder einem Symbol verbunden werden.65
3
Merchandising-Objekte als Vertragsgegenstände
Einen Hauptfall von Merchandising bildet die Nutzung des Namens und des äußeren Erscheinungsbildes von fiktiven Figuren wie Film- und Comicfiguren. Daneben tritt die umfassende Merchandising-Auswertung realer Personen (prominente Sportler, Schauspieler, PopStars) sowie der Namen von Unternehmen, Vereinigungen, Organisationen, Titel von Filmen und Fernsehsendungen, ferner Signets, Logos und andere bildliche Zeichen von Unternehmen, Körperschaften und Organisationen. Gleiches gilt für Ausstattungselemente aus Filmen und Fernsehserien, bei denen jeweils nicht nur die Modelle der Raumschiffe, sondern auch jegliche Ausstattungselemente wie Uniformen der Akteure oder Kulissen als Modelle vertrieben werden. Zudem werden zunehmend auch Werke der bildenden Kunst umfassend, insbesondere in Museums-Shops auf Lizenzbasis für jedwede Form von Produkten wie Schlüsselanhänger, Becher, Tassen, Halstücher, Badetücher, Notizblöcke etc. zu Merchandisingzwecken ausgewertet. 63
Siehe hierzu auch Fromm/Nordemann / Hertin9 1999, vor § 31, Rdnr. 61; Böll 1999, S. 4. Nach Ruijsenaars 1977, S. 17, Fußnote 26) entzieht sich Merchandising angesichts der besonders vielseitigen Erscheinungsformen der Vermarktungspraxis einer endgültigen Definition. 64 65
Vgl. hierzu Büchner 1997, Rdnr. 1093 und Schertz, Merchandising 1997, Rdnr. 4. Vgl. hierzu Ruijsenaars 1994, S. 309/311 und Büchner 1999, Rdnr. 1094.
296
4
Merchandising und Licensing
Formen der Merchandising-Auswertung
Merchandising-Auswertungen erfolgen im Allgemeinen in drei typischen Formen. Bei der ersten Fallgruppe dient das Merchandising-Objekt, also Name oder Abbildung einer prominenten Person oder Comic-Figur als unmittelbares Genussobjekt und ist Grund für den Kaufentschluß. (vgl. Schertz 1997, Rdnr. 43) Die prominente Figur wird als Plüschtier, Puppe oder sonstige Spielfigur dreidimensional nachgebildet oder als Schlüsselanhänger und Poster vertrieben. Bei der zweiten Fallgruppe wird Merchandising in der Form betrieben, dass Bildnis, Name, Logo, Titel etc. zur Benennung oder ornamentalen Aufwertung von Waren mit eigenständiger Charakteristik verwendet werden. Im Unterschied zur ersten Fallgruppe bleibt hier das Produkt Hauptsache (als Beispiel hier: die VW Golf-Modelle, "Pink Floyd", "Rolling Stones", "Genesis"). (vgl. Freitag 1993, S.130) Die dritte Fallgruppe bildet der Einsatz des Merchandising-Objektes in der klassischen Wirtschaftswerbung und Verkaufsförderung in der bspw. Thomas Gottschalk für "Haribo"Goldbären wirbt.
5
Schutzrechte an Merchandising-Objekten
Es gibt verschiedene Vorschriften, aus denen sich der rechtliche Schutz vor unbefugter Nutzung von Merchandisingobjekten ableiten lässt. Die wichtigsten Quelle ergeben sich dabei aus dem Urheberrecht, den Leistungsschutzrechten des ausübenden Künstlers, dem Geschmacksmusterrecht, dem Markenrecht, wettbewerbsrechtlichen Schutzpositionen, bei realen Personen aus dem Namensrecht, dem Recht am eigenen Bild und dem allgemeine Persönlichkeitsrecht.
6
Vertragstypen im Merchandisinggeschäft
Bei Merchandisingverträgen handelt es sich um gemischte Verträge, die Elemente des Marken-, Urheber- und gegebenenfalls auch des Persönlichkeitsrechtslizenzvertrages enthalten (vgl. Büchner 1999, Rdnr. 1123). In der Praxis finden sich vor allem drei typische Gestaltungsformen.66 Beim Standard-Merchandising-Lizenzvertrag überträgt der Rechteinhaber einem Lizenznehmer für eine konkrete Nutzung seines Merchandising-Objektes die Auswertungsrechte. Derartige Verträge können je nach konkreter Nutzung als Hersteller-, Werbe- oder Händlerverträge abgeschlossen werden. (vgl. Ruijsenaars, 1995, S. 597 und 603ff.)
66
Siehe zu den Vertragtypen bei Merchandisingverträgen auch Ruijsenaars 1995, S. 602 ff.
Dominik Höch / Christian Schertz
297
Häufig ist zwischen Rechteinhaber (Lizenzgeber) und Lizenznehmer eine auf Merchandisingauswertung spezialisierte Agentur eingeschaltet, weil oftmals der Lizenzgeber mit der Vergabe von Rechten zu Merchandisingzwecken nicht vertraut ist und ihm die entsprechende Marktkenntnis fehlt. Hier ist zunächst zwischen Rechteinhaber und Agentur ein Merchandising-Agenturvertrag abzuschließen, auf Grundlage dessen dann die Merchandising-Agentur Merchandising-Lizenzverträge mit Lizenznehmern abschließt. (vgl. Böll 1999, S.14 und Ehlgen 1996, S. 1008 und Schertz 1997, Rdnr. 390) Zudem finden sich Merchandisingregelungen in anderen Verträgen, insbesondere als Rechteübertragung in Künstler-, Schauspieler-, Darsteller-, Verfilmungs- und sonstigen Verträgen, in welchen urheberrechtlichen, leistungsschutzrechtlichen und auch persönlichkeitsrechtliche Schutzpositionen übertragen werden.67 Die Alternative besteht darin, die Merchandising-Rechte von der Rechteübertragung auszunehmen und zur gesonderten Verfügbarkeit beim Berechtigten zu belassen, der sich dann einer eigens hierauf spezialisierten Agentur bedienen kann. Diese Praxis ist z.B. in den Vereinigten Staaten in der Musikbranche üblich.
7
Der Inhalt von Merchandisingverträgen
Naturgemäß hängt der Inhalt von Merchandisingverträgen von Art und Zweck der jeweiligen Rechtseinräumung ab.68 Die nachfolgend genannten Regelungskomplexe finden sich indes üblicherweise in Merchandisingverträgen und bilden die Eckdaten solcher Vereinbarungen.
7.1
Vertragsparteien
Vertragspartner sind auf der einen Seite der Lizenzgeber als Inhaber der geschützten Rechtsposition69, auf der anderen Seite der Lizenznehmer, der als Nutzer der entsprechenden Berechtigungen für einen konkreten Merchandisingzweck die Bekanntheit, Beliebtheit oder auch Aktualität des Lizenzthemas für seine Zwecke ausnutzen möchte. (vgl. Böll, 1999, S. 14 und Ruijsenaars,1977, S. 80ff.)
67
Siehe. zu derartigen Regelungen in Verträgen in der Musikbranche: Ruijsenaars 1995, S. 597 und 605ff.
68
Zu Mustertexten vom Standard-Merchandising-Lizenzvertrag und zum Merchandising-Agenturvertrag vgl. Anhang I und Anhang II in: Schertz 1997, S. 183ff.
69
Also der Inhaber des Urheberrechts, des Leistungsschutzrechts, des Geschmacksmusterrechts, Markenrechts, der wettbewerbsrechtlichen Schutzposition oder auch der entsprechenden Persönlichkeitsrechte, insbesondere an dem Recht am eigenen Bild sowie Namensrecht.
298
Merchandising und Licensing
Beim Merchandising-Agenturvertrag ist die Merchandising-Agentur Vertragspartei des Lizenzgebers, die in der Regel damit beauftragt ist einen standardisierten MerchandisingLizenzvertrag mit dritten Lizenznehmern abzuschließen.70
7.2
Vertragsgegenstand
Als Vertragsgegenstand ist das Geschäftsziel zu bestimmen, d.h. die beabsichtigte Merchandising-Auswertung. Auch die beabsichtigte Art der Nutzung (Produktgestaltung, werbliche Nutzung durch Dienstleister oder Händler, umfassende Auswertung durch eine Agentur) sollte konkret angegeben werden. Ebenso sollten die Waren und Dienstleistungen, für die die Rechtseinräumung erfolgt, möglichst genau bezeichnet werden; gegenüber allgemeinen Umschreibungen von Auswertungsbereichen und -branchen wie "Schulbedarf", "Sportartikel" ist Zurückhaltung geboten, wenn sie sich auch oft nicht vermeiden lassen wird (vgl. Büchner 1999, Rdnr. 1113) Vorzuziehen ist eine konkrete Benennung der Vertragsartikel. Soll einer Agentur zum Zwecke des Abschlusses von Einzelverträgen die Befugnis zur umfassenden Merchandising-Auswertung verliehen werden, so bedarf es einer Auflistung sämtlicher in Frage kommender Vertragsartikel bzw. sämtlicher vorgesehener Verwendungsformen. (vgl. Schertz 1997, S. 189ff.) Der umgekehrte Fall ist ebenso regelungsbedürftig, nämlich wenn naheliegende Auswertungsmöglichkeiten von der Lizenzvergabe ausgenommen werden sollen.
7.3
Berechtigung des Lizenzgebers
Um Unsicherheiten hinsichtlich der Haftung zu vermeiden, kann die Haftung des Lizenzgebers gegenüber dem Lizenznehmer im Merchandisingvertrag durch eine entsprechende Haftungsausschlussklausel ausgeschlossen werden. In der Praxis kommt es auch häufig vor, dass der Lizenznehmer die Rechtsinhaberschaft des Lizenzgebers vertraglich anerkennt. (vgl. Delp 2001, S. 207 und Schertz 1997, Rdnr. 395)
7.4
Rechtseinräumung
Im Merchandisingvertrag ist zum einen eine Bestimmung darüber zu treffen, ob dem Lizenznehmer ausschließliche oder nichtauschließliche Rechte eingeräumt werden sollen. Zum anderen ist eine Aussage über den sachlichen, räumlichen und zeitlichen Umfang der Rechtseinräumung zu treffen. 70
Einen Standard-Merchandising-Agentur-Vertrag finden Sie in Schertz 1997, Anhang II.
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Der sachliche Umfang der Rechtseinräumung hängt auch von der Art des Merchandisingvertrags ab. Beim Standardmerchandising-Lizenzvertrag wird die Rechtseinräumung regelmäßig auf eine bestimmte Merchandisingnutzung beschränkt. Beim Agenturvertrag soll die Agentur in aller Regel ermächtigt werden, sämtliche Merchandising-Auswertungen eines Objektes durch Lizenzvergabe an Dritte zu betreiben. Daher muss sich hier die Rechtseinräumung auf alle in Frage kommenden Formen der Merchandising-Nutzung zur Weiterübertragung auf Dritte erstrecken. Auszunehmen sind diejenigen Verwertungsarten, die der Lizenzgeber selbst wahrnehmen will, beispielsweise die Rechte für Druckerzeugnisse bzw. Ton- und Bildtonträger. Zumeist behält sich der Lizenzgeber das Recht vor, die Wirksamkeit der von der Agentur vermittelten Einzellizenzverträge von einer ausdrücklichen Genehmigung abhängig zu machen. Die Agentur ist dann verpflichtet, die mit den einzelnen Lizenznehmern ausgehandelten Verträge dem Lizenzgeber zur Genehmigung vorzulegen. Soll die Rechteübertragung an die einzelnen Lizenznehmer erst mit Genehmigung durch den Lizenzgeber wirksam werden, so muss dies als Voraussetzung in den Verträgen zwischen Agentur und den einzelnen Lizenznehmern zum Ausdruck gebracht werden. In welcher rechtlichen Form die Lizenzvergabe erfolgt, hängt davon ab, an welchen Rechten Lizenzen eingeräumt werden. Urheberrechte sind grundsätzlich nicht übertragbar. An ihnen können nur Nutzungsrechte eingeräumt werden. Ebenso ist eine schuldrechtliche Gestattung möglich. Beim Leistungsschutzrecht des ausübenden Künstlers ist die Übertragbarkeit eingeschränkt. ( vgl. Schricker1999, vor §§ 28 ff. Rdnr. 34) Geschmacksmusterrechte und Marken sind übertragbar, ebenso können Lizenzen erteilt werden. Bei persönlichkeitsrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Rechtspositionen sind nur schuldrechtliche Gestattungen möglich.
7.5
Aufgaben des Lizenznehmers
Auch vom Lizenznehmer werden Aufgaben übernommen. Dies gilt vor allem für den Merchandising-Agenturvertrag. Hier ist zu regeln, ob und inwieweit die Entwicklung von Marketing-Strategien bzw. eines Marketing-Plans für die Lizenznehmer, die Akquisition, der Abschluss und die Abwicklung von Verträgen mit Lizenznehmern, die Durchführung der Qualitätskontrolle von Mustern und Endprodukten, die Durchführung der Abrechnung und ähnliche Aufgaben von der Merchandising-Agentur zu übernehmen sind. Beim Standardmerchandising-Lizenzvertrag ist der Lizenznehmer insbesondere zu verpflichten, nach Genehmigung der Entwürfe der Artikel durch den Lizenzgeber die Serienproduktion der vertragsgegenständlichen Artikel aufzunehmen und den Vertrieb der vertragsgegenständlichen Artikel in einem genau zu bestimmenden Umfang durchzuführen.
300
7.6
Merchandising und Licensing
Genehmigungsvorbehalt für Vertragsartikel, Qualitätskontrolle, Belegexemplare
Üblicherweise enthalten Merchandisingverträge Regelungen über eine Vorlage- und Genehmigungspflicht für die Vertragsartikel bzw. Werbemittel beim Lizenzgeber. Zu diesem Zweck legt der Lizenznehmer vor Aufnahme der Serienproduktion Muster bzw. Modelle dem Lizenzgeber zur Begutachtung und Genehmigung vor. Ferner wird vertraglich vereinbart, dass die tatsächlich vertriebenen Artikel bzw. Werbemittel, die das MerchandisingObjekt wiedergeben, in vollem Umfang den von dem Berechtigten bzw. von der Agentur im Auftrag des Berechtigten genehmigten Muster entsprechen. Oftmals wird weiter vereinbart, dass der Lizenzgeber berechtigt ist, während des Vertragszeitraums Qualitätskontrollen durchzuführen.71
7.7
Freistellung des Lizenzgebers von Produkthaftungsrisiken
Grundsätzlich haftet der Hersteller eines Produktes für das mit dem Produkt verbundene Produkthaftungsrisiko. Der Lizenzgeber im Rahmen seines Merchandisingvertrages ist nicht Hersteller des Produktes. Eine Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz ist insofern nicht von vornherein auszuschließen, als derjenige haftet, der sich durch das Anbringen seines Namens, seiner Marke oder anderer unterscheidungskräftiger Kennzeichen als Hersteller ausgibt. (vgl. Büchner 1999, S. 1146) Somit ist nicht immer auszuschließen, dass die konkrete Anbringung des Merchandisingobjekts auf dem Produkt den Eindruck erweckt, dass der Lizenzgeber Hersteller des Produktes ist. Deswegen kann es sich empfehlen, eine Haftungsfreistellung des Lizenzgebers durch den Lizenznehmer zu vereinbaren.
7.8
Gegenleistung
Üblicherweise erhält der Lizenzgeber für die Einräumung der Merchandising-Lizenz in einem Standardmerchandising-Lizenzvertrag eine prozentuale Beteiligung an den mit den Vertragsartikeln erzielten Umsätzen. Die Beteiligung reicht hier von 7 bis 15% des Nettohändlerabgabepreises, kann indes auch bei besonders hochwertigen Merchandising-Objekten erheblich darüber hinausgehen. Der Nettohändlerabgabepreis ist der Abgabepreis an den 71
Anders Büchner 1999) Rdnr. 1145, nach dem detaillierte Regelungen zur Qualitätskontrolle in Merchandisingverträgen nicht typisch sind.
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301
Groß- und Einzelhandel, abzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer. Weitere Abzüge wie Rabatte oder Boni sollten vertraglich ausgeschlossen werden. Gerade bei begehrten Merchandising-Objekten verlangt der Lizenzgeber zudem eine, auf die abzuführenden Lizenzgebühren verrechenbare Vorauszahlung, die als Garantiesumme nicht an den Lizenznehmer zurückgezahlt werden muss. Durch eine derartige Vereinbarung soll das Risiko für den wirtschaftlichen Erfolg einer entsprechenden Merchandising-Auswertung dem Lizenznehmer auferlegt werden. Alternativ ist eine vertragliche Fallgestaltung denkbar, nach der eine verrechenbare Garantiesumme erst nach einem bestimmten Vertragszeitraum und unter Bezug auf die in dieser Zeit erzielten Umsätze vereinbart wird. Beim Merchandising-Agenturvertrag behält die Merchandising-Agentur einen prozentualen Anteil an den Lizenzerlösen ein, deren Einziehung ihr zumeist obliegt und zahlt den verbleibenden Betrag an den Lizenzgeber aus. Üblicherweise liegt die Beteiligung einer Merchandising-Agentur bei um die 30 % der vereinnahmten Summe. Die Lizenzbeteiligungen sind zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer zu leisten. Zu treffen sind auch Regelungen über die Abrechnungs- und Zahlungsbedingungen und die Fälligkeit der Lizenzgebühren. Nicht selten wird hier eine vierteljährliche Abrechnung innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf des vorangegangenen Quartals unter gleichzeitiger Fälligkeit der Lizenzbeteiligung und entsprechender Zahlungspflicht vorgesehen.72
7.9
Bucheinsichtsrechte
Um die Beteiligungsansprüche an den Lizenzgebühren überprüfen zu können, enthalten Merchandisingverträge regelmäßig Bucheinsichtsrechte, die dem Lizenzgeber das Recht einräumen, Einsicht in die Herstellungs-, Vertriebs- und Buchhaltungsunterlagen zu nehmen, die der Lizenznehmer für den Vertragszeitraum zu führen hat. Alternativ kann vereinbart werden, dass ein neutraler vereidigter Buchprüfer die Einsicht in die Bücher vornimmt. Dabei pflegt vereinbart zu werden, dass die Kosten der Überprüfung den Lizenznehmer dann treffen, wenn sich Abweichungen zu den vom Lizenznehmer vorgenommenen Abrechnungen in Höhe von mehr als 5 % ergeben.
7.10
Nennung des Lizenzgebers; Schutzrechthinweis
Meist wird vereinbart, dass der Lizenzgeber auf dem Artikel bzw. im Rahmen der werblichen Nutzung des Merchandising-Objektes als solcher genannt wird. Da oft mehrere Schutzrechtspositionen bestehen, wird nicht selten ein allgemein gehaltener Lizenzhinweis wie
72
Näher zu den Zahlungsfälligkeits- und Abrechnungsbedingungen in Merchandisingverträgen Büchner 1999, Rdnr. 1130 ff.
302
Merchandising und Licensing
„Lizenz durch...“ gewählt. Sofern Markenrechte einschlägig sind, empfiehlt sich zudem, einen entsprechenden Schutzrechtshinweis durch ein "R" im Kreis – ® – und/oder den Hinweis "Geschützte Marke" bzw. "Registered Trademark" vorzusehen. Liegen urheberrechtliche Schutzrechtspositionen vor, sollte im Hinblick auf die entsprechende Regelung in den Vereinigten Staaten ein Copyright-Vermerk durch ein "C" im Kreis – © – auf allen Artikeln bzw. Werbemitteln vertraglich vereinbart werden, jeweils unter Hinzufügung der Jahreszahl der Erstveröffentlichung sowie des Namens des Lizenzgebers als Berechtigtem.
7.11
Gemeinsame Rechtsverteidigung
Merchandisingverträge enthalten vielfach auch Regelungen über die Rechtsverteidigung für den Fall der Verletzung der Schutzrechtspositionen des Lizenzgebers durch Dritte. Vorgesehen werden insbesondere Mitwirkungs- und Informationspflichten des Lizenznehmers. Grundsätzlich erfolgt eine Rechtsverfolgung ausschließlich durch den Lizenzgeber, da er der materiell bzw. dinglich Berechtigte ist. Indes wird zumeist ergänzend vereinbart, dass der Lizenzgeber dem Lizenznehmer das Recht einräumen kann, die Rechtsverfolgung im eigenen Namen vorzunehmen. Dies bietet sich insbesondere dann an, wenn der Lizenznehmer in dem Bereich, in dem die Schutzrechtsverletzung erfolgt, über mehr Sachkenntnis als der Lizenzgeber verfügt.
7.12
Vertragsdauer und Kündigung
Auch die Vertragsdauer ist zu regeln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der beabsichtigte Vermarktungserfolg oft nicht in kurzer Zeit einstellt, sondern dass Herstellung, Genehmigung, Werbung, Vertrieb eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb sollten die Vertragslaufzeiten nicht zu kurz bemessen sein. Andererseits ist das Interesse des Lizenzgebers zu bedenken, nicht zu lange an einen Vertrag gebunden zu sein, der sich bei seiner Durchführung als unergiebig erweist. Dies trifft insbesondere bei ausschließlichen Lizenzen zu, bei denen der Lizenzgeber keine anderweitigen Lizenzen vergeben kann. Mitunter werden auch außerordentliche Kündigungsrechte für den Lizenzgeber vertraglich vereinbart, die dann zum Tragen kommen, wenn innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nicht bestimmte Umsätze erzielt wurden oder ausreichende Bemühungen des Lizenznehmers nicht erfolgt sind.
Dominik Höch / Christian Schertz
8
303
Literatur
Böll, K.: Merchandising und Licensing, München 1999 Büchner, H. in: Pfaff, D.: Lizenzverträge, Formularkommentar, München 1999 Delp, L.: Der Verlagsvertrag, München 2001 Ehlgen, H. W.: Merchandising, in: Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht 40, 1996, S. 1008 – 1015 Freitag, A.: Die Kommerzialisierung von Darbietung und Persönlichkeit des ausübenden Künstlers, Baden- Baden 1993 Ruijsenaars, H.E.: Character Merchandising, 1977 Ruijsenaars, H.E. in:. Beier, F.-K /. Götting, H.-P / Lehmann, M./ Moufang, R. (Hrsg.): Urhebervertragsrecht, München 1995, S. 597-605ff. Schertz, C.: Merchandising, München 1997 Schricker, G.: Urheberecht, München 1999
Teil V Blickrichtung Innen
Jens Cordes / Uwe Manschwetus / Katja Schimkus
Qualitätsmanagement 1
Einleitung
2
Grundlagen des Qualitätsmanagements in Kulturbetrieben
2.1
Qualitätsbegriff
2.2
Qualitätsmanagement
2.3
Umsetzung und Controlling
3
Qualitätsmanagement-Modelle
3.1
Normenreihe DIN EN ISO 9000ff
3.2 EFQM – Modell für Excellence 3.2.1 Das Grundmodell 3.2.2 EFQM im Kulturbereich 4
Fazit und Ausblick
5
Literatur
308
1
Qualitätsmanagement
Einleitung
Zahlreiche wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Qualität ein strategischer Erfolgsfaktor eines Anbieters ist (vgl. Corsten 2001, S. 293 sowie die dort angegebene Literatur). Diese Erkenntnis wird offensichtlich auch im Kultursektor registriert, wo zahlreiche Tagungen und Fortbildungen die Mitarbeiter im Qualitätsmanagement fit machen sollen. In einigen Einrichtungen und Verbänden sind auch schon Qualitätsmanagementsysteme implementiert wurden. Der Bayrische Volkshochschulverband hat sich beispielsweise ein Qualitätsmanagementsystem nach EFQM-Standard verordnet und das Deutsche Bergbaumuseum in Bochum war das erste Museum in Deutschland, das nach der ISO 9000 Normenreihe zertifiziert wurde. Im Wettbewerb der Anbieter von Freizeitgestaltungsmöglichkeiten ist gerade der Kulturbereich mit der Problematik konfrontiert, seine Zielgruppe(n) vom nutzenstiftenden Wert der Kulturangebote zu überzeugen; idealerweise sogar zu begeistern. Mit anderen Worten heißt das, je qualitativ höherwertiger ein Kulturangebot aus Sicht des Rezipienten ist, desto eher wird er bereit sein, entsprechende Kulturangebote zu nutzen. Bevor im vorliegenden Text Qualitätsmodelle wie ISO 9000 oder EFQM erläutert werden, gilt es, sich systematisch mit dem Phänomen „Qualität“ zu beschäftigen.
2
Grundlagen des Qualitätsmanagements in Kulturbetrieben
Qualität kann sehr unterschiedlich definiert und interpretiert werden. Zunächst soll daher der Qualitätsbegriff erläutert werden, um daraufaufbauend ein Begriffsverständnis von Qualitätsmanagement zu liefern. Schließlich werden Fragen der Umsetzung und des Controlling thematisiert.
2.1
Qualitätsbegriff
Der Begriff der Qualität ist sehr vielschichtig und kann unter verschiedenen Perspektiven betrachtet werden (vgl. Corsten 2001, S. 292). Im Qualitätsmanagement hat sich jedoch die subjektive Interpretation durchgesetzt, nach der nicht objektive Kriterien des Leistungsangebotes die Qualität determinieren, sondern die Beurteilung durch die Kunden maßgeblich ist. Gerade die Rezeption von Kulturangeboten ist stets mit der individuell kognitiven und / oder emotionalen Ebene verbunden, womit subjektiv empfundene Merkmale im Mittelpunkt stehen. Man denke hier beispielsweise an eine durch eine Ausstellung ausgelöste kontroverse öffentliche Diskussion des Ausstellungswertes, in die – explizit oder implizit – auch subjektive Qualitätsurteile einfließen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Kulturbetriebe in der Regel Dienstleistungsunternehmen sind. Dienstleistungsqualität lässt sich definieren als:„die Fähigkeit eines Anbieters, die Beschaffenheit einer primär intangiblen und der Kundenbetei-
Jens Cordes / Uwe Manschwetus / Katja Schimkus
309
ligung bedürfenden Leistung gemäß den Kundenerwartungen auf einem bestimmten Anforderungsniveau zu erstellen. Sie bestimmt sich aus der Summe der Eigenschaften bzw. Merkmalen der Dienstleistung, bestimmten Anforderungen gerecht zu werden“ (Bruhn 2004, S. 34). Die Qualität als subjektives Phänomen stellt den Kunden und dessen Wahrnehmung der Leistungseigenschaften in den Mittelpunkt der Betrachtung. Aus diesem Grund ist Qualität auch ein originäres Marketingthema. Dabei wird die wahrgenommene Qualität durch den Kunden stark davon geprägt, welche Erwartungshaltung er gegenüber dem Leistungsangebot und dessen Komponenten hat. Die zentrale Rolle des Kunden und dessen das Qualitätsurteil prägende Erwartungen verdeutlichen einmal mehr die besondere Notwendigkeit, bei der Dienstleistungsplanung und –erstellung die Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen und diese antizipativ bereits in die Leistungsplanung zu integrieren. Dabei ist es hilfreich die Kulturproduktion als Prozess zu betrachten. Mit DONABEDIAN (1980) lässt sich die Dienstleistungsproduktion in drei elementare Dimensionen aufspalten, die durch folgende Qualitätselemente gekennzeichnet sind: • „structure“ (Struktur), • „process“ (Prozess), • „outcome“ (Ergebnis). In der ersten Phase (Struktur) wird die Kulturproduktion vom verfügbaren Potenzial zur Leistungserstellung beeinflusst. Hierunter sind sämtliche Ressourcen zu verstehen, die mittelbar und unmittelbar in die Leistungsproduktion eingehen bzw. deren Qualitätsniveau mitbestimmen. Die zweite Phase (Prozess) kennzeichnet den eigentlichen Erstellungsprozess und umfasst sämtliche Aktivitäten, die mit der Leistungserstellung zusammenhängen. Hierunter fallen sowohl diejenigen Arbeitsschritte, die in Interaktion mit dem jeweiligen Kunden durchgeführt werden als auch diejenigen, die nur vom Dienstleister erbracht werden. Die dritte Phase (Ergebnis) bezieht sich auf das Ergebnis der Dienstleistungserstellung, bei der das empfundene Qualitätsniveau vom seitens des Kunden angestrebten Ausmaß der Veränderung einer Sache und/oder Person (Kunde) abhängt. Die Ergebnisdimension der Dienstleistungsqualität kennzeichnet die Evaluation des Leistungserstellungsprozesses (vgl. Bruhn 2004, S. 45). Dabei ist das Leistungsergebnis nicht unbedingt zeitpunktuell zu betrachten, sondern ist durchaus auch als Prozess interpretierbar.
310
Qualitätsmanagement
Potenzialqualität Qualitätsdeterminanten - Ausstellungsfläche - Personalfreundlichkeit - Exponatattraktivität …
Prozessqualität Qualitätsdeterminanten - Öffnungszeiten - Ausstellungsbegleitmaterial - Führungsaktivitäten …
Ergebnisqualität Qualitätsdeterminanten - Besuchererbauung - Bildungszuwachs - positives Freizeitempfinden…
Nachfragerpotenzialqualität Qualitätsdeterminanten -Vorkenntnisse - Lernbereitschaft -Kommunikationsbereitschaft
Abb.1 Prozess der Dienstleistungserstellung für ein Museum (Cordes / Schimkus 2006, S. 13)
Berücksichtigt man die zuvor erwähnte subjektive Interpretation von Qualität, so resultiert hieraus die Schlussfolgerung, dass die Angebotsqualität nicht allein von den anbieterseitigen Potenzialen abhängt und angesichts der Heterogenität der Kunden keine gleichbleibende Ergebnisqualität erwartet werden kann. Das Qualitätsurteil des Kunden (Nachfragerpotenzialqualität) ergibt sich vielmehr aus seinem individuellen Vergleich zwischen erwarteter, vom Anbieter mittels kommunikationspolitischer Maßnahmen prägbarer (beeinflussbarer), und tatsächlich wahrgenommener Qualität. Abbildung 1 veranschaulicht am Beispiel eines Museums den Zusammenhang zwischen den drei internen Dimensionen (Potenzialbzw. Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität) von Dienstleistungen und der externen Nachfragerpotenzialqualität.
2.2
Qualitätsmanagement
„Qualitätsmanagement umfasst alle Aktivitäten, die darauf ausgerichtet sind, die vom Unternehmen definierte Dienstleistungsqualität permanent sicherzustellen“ (Bruhn / Meffert 2002, S. 22). Neben der Sicherstellung der Dienstleistungsqualität als Oberziel und Hauptaufgabe des Qualitätsmanagements verfolgt es zudem weitere Ziele, aus denen sich qualitätsbezogenen Aufgaben ableiten lassen (vgl. Meffert / Bruhn, 2003, S. 330ff.). Hauptsächlich sind hier marktgerichtete und unternehmensgerichtete Ziele zu nennen. Während die marktgerichteten Ziele extern wirken und z.B. die Steigerung der Kundenzufriedenheit und des Marktanteils sowie die Schaffung von Markteintrittsbarrieren verfolgen, wirken
Jens Cordes / Uwe Manschwetus / Katja Schimkus
311
die unternehmensgerichteten Ziele intern und streben die Schaffung eines Qualitätsbewusstseins, einer Kundenorientierung und somit die Erhöhung der Produktivität in der Organisation an. Berücksichtigt man zudem die Interdependenzen und Rückkoppelungsnotwendigkeiten innerhalb des Managementprozesses, so stellt sich das Qualitätsmanagement als Regelkreis dar (vgl. Bruhn / Meffert 2002, S. 23):
Abb.2 Regelkreis des Qualitätsmanagements (in Anlehnung an Bruhn / Meffert 2002, S. 23)
Abbildung 2 verdeutlicht auch, dass Qualitätsmanagement strategische und operative Aktivitäten beinhaltet, die nicht auf einzelne Unternehmensteile beschränkt sind, sondern sämtliche Bereiche und damit auch Mitarbeiter der Kultureinrichtung tangieren. Dahinter verbirgt sich das Konzept des „Total Quality Management“ (TQM), dem die Idee zugrunde liegt, dass die Qualitätssicherung und -verbesserung ein qualitätsorientiertes „Commitment“ aller Mitarbeiter auf allen Hierarchieebenen erfordert. Ein umfassendes Qualitätsmanagement bedarf somit zunächst der Schaffung eines Qualitätsbewusstseins im gesamten Unternehmen. Darauf aufbauend muss, durch die Einführung eines auf die individuellen Anforderungen abgestimmten Qualitätsmanagementsystems, der
312
Qualitätsmanagement
kontinuierliche Einsatz der Qualitätsinstrumente gesichert werden. Schließlich sollte das Qualitätsmanagement in die Unternehmensführung und damit in das strategische Vorgehen integriert werden, so dass die kontinuierliche Umsetzung der Dienstleistungsqualität ermöglicht wird. Abschließend kann ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) für Kultureinrichtungen definiert werden als die Zusammenfügung verschiedener Bausteine unter sachlogischen Gesichtspunkten, um unternehmensintern und –extern eine systematische Analyse, Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle von qualitätsrelevanten Aspekten des Leistungsprogramms eines Unternehmens sicherzustellen. Ein Qualitätsmanagementsystem dient somit der Umsetzung der Qualitätsziele und unterstützt die Koordination und Organisation aller qualitätsbezogener Maßnahmen. Dabei muss das Qualitätsmanagementsystem den unternehmensinternen und -externen Anforderungen gerecht werden, d.h. ein QMS ist keine Standardlösung, sondern muss für die individuellen Bedürfnisse der Einrichtung entwickelt werden. Nur so kann es einen entscheidenden Beitrag zur Schaffung und Sicherstellung der Qualitätsfähigkeit einer Kultureinrichtung leisten. (vgl. Reinhart et al. 1996, S. 195ff.).
2.3
Umsetzung und Controlling
Für die konsequente Qualitätsumsetzung muss sichergestellt werden, dass alle relevanten Erfolgsfaktoren von den durchgeführten Maßnahmen betroffen sind. Ausgangspunkt hierfür sind die zuvor in der Planungsphase festgelegten Qualitätsziele. Im Anschluss wird im Rahmen der Durchführungsphase die operative Qualitätsumsetzung geplant, gesteuert, kontrolliert und schließlich dokumentiert (vgl. Abb.3). Die operative Qualitätsplanung umfasst alle qualitätsbezogenen Planungsaktivitäten und bildet die Basis für die weiteren Phasen des Qualitätsmanagementprozesses. Sie dient der Auswahl, Klassifizierung und Gewichtung der Qualitätsanforderungen, die an die Beschaffenheit der Dienstleistung gestellt werden. Somit wird nicht die Qualität der Dienstleistung geplant, sondern die Anforderungen an die Dienstleistungsqualität aus Kunden- und Anbietersicht (vgl. Bruhn 1998, S. 332). Fragen, die eine Kultureinrichtung in diesem Zusammenhang beantworten muss sind beispielsweise: • Was macht die Qualität meines Kulturangebotes aus? • Wie erzeuge ich die Qualität der Kulturleistung? • Womit überprüfe ich die erzeugte Qualität? Die Phase der Qualitätslenkung umfasst alle „Maßnahmen und Aktivitäten zur Erreichung der definierten Qualitätsziele“ (Meffert / Bruhn 2003, S. 333). Sie baut auf den Ergebnissen der Qualitätsplanung auf und dient der Erfüllung der Anforderungen an die Dienstleistungsqualität sowohl aus Kunden- als auch aus Anbietersicht.
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313
Abb.3 Phasen der operativen Qualitätsumsetzung (Cordes / Schimkus 2006, S. 25)
Die Phase der Qualitätslenkung umfasst alle „Maßnahmen und Aktivitäten zur Erreichung der definierten Qualitätsziele“ (ebd.). Sie baut auf den Ergebnissen der Qualitätsplanung auf und dient der Erfüllung der Anforderungen an die Dienstleistungsqualität sowohl aus Kunden- als auch aus Anbietersicht. Nachdem im Rahmen der Qualitätsplanung die Anforderungen an die Dienstleistungsqualität definiert und diese durch die Instrumente der Qualitätslenkung umgesetzt wurden, muss in der Phase der Qualitätsprüfung festgestellt werden, inwieweit diese Qualitätsanforderungen erfüllt werden konnten. Die durchzuführenden Qualitätsprüfungen lassen sich nach der eingenommenen Perspektive in interne und externe Prüfungen unterscheiden. Interne Prüfungen analysieren inwieweit die Anforderungen aus Unternehmenssicht, d.h. aus Management- und Mitarbeitersicht erfüllt wurden. Die Erfüllung der Qualitätsanforderungen aus Kundensicht wird bei der externen Prüfung überprüft. Die vierte Phase des Qualitätsmanagementprozesses (Qualitätsmanagementdarlegung) beinhaltet die „Dokumentation sämtlicher Tätigkeiten und Maßnahmen, die im Rahmen des Qualitätsmanagements stattfinden“ (vgl. ebd., S. 336). Hierfür werden u.a. QM-Handbücher verwendet, also Dokumente, in denen die Qualitätspolitik festgelegt und das QM-System der Organisation beschrieben ist. Ausgehend von den Qualitätszielen wird der gesamte Prozess des Qualitätsmanagements dokumentiert. Dabei wird nicht erfasst, was sein soll, sondern was tatsächlich zur Sicherstellung der Dienstleistungsqualität getan wird. Im Allgemeinen dokumentiert ein QM-Handbuch die Qualitätspolitik, Qualitätsanforderungen und -elemente, die Aufbau- und Ablauforganisation des QM-Systems sowie die QM-Zuständigkeiten. (vgl. Bruhn 2003, S. 47)
314
Qualitätsmanagement
Das Qualitätsausführungssystem mit den zuvor genannten vier Dimensionen sollte durch ein Qualitätscontrolling komplettiert werden, das unter Einsatz der Managementinstrumente darauf zielt, die Effektivität und Effizienz des Einsatzes der Qualitätsmanagementinstrumente zu gewährleisten. Unter einem Qualitätscontrollingsystem für Dienstleistungen ist konkret die Zusammenführung verschiedener gebündelter Maßnahmenkataloge zu verstehen, die der systematischen Unterstützung und Koordination der qualitätsbezogenen Aktivitäten eines Dienstleisters dienen (Bruhn 2004, S. 345). Das Qualitätscontrolling muss sich auf das Unternehmen als Ganzes beziehen, wobei die Unternehmensorganisation gewährleisten muss, dass sich das Qualitätscontrolling auf die Prozesse der Leistungserstellung beziehen kann (vgl. Coenenberg / Schmitz 1996, S. 14) und „unterschiedliche Elemente wie etwa Prozessorientierung, Kundenorientierung, kontinuierliche Verbesserung und umfassende Messsysteme kombiniert werden“ (Wildemann / Keller 1996, S. 1). Somit wird deutlich, dass Controlling wesentlich umfassender als die Qualitätsprüfung ist. Der Gesamtzusammenhang der vorgestellten Elemente wird in Abbildung 4 zusammenfassend dargestellt.
Abb.4 Zusammenhang zwischen Qualitätscontrolling und Qualitätsausführungssystem (Bruhn 1998, S. 84)
Jens Cordes / Uwe Manschwetus / Katja Schimkus
3
315
Qualitätsmanagement-Modelle
Um eine konsequente Umsetzung der Qualitätsziele sicherzustellen, empfiehlt es sich alle Aktivitäten an einem Qualitätsmanagement- Modell auszurichten. Kultureinrichtungen stehen hierfür verschiedene Ansätze zur Verfügung. Exemplarisch werden im Folgenden die am häufigsten genutzten Qualitätsmodelle EFQM-Modell und DIN EN ISO 9000:2000ff vorgestellt.
3.1
Normenreihe DIN EN ISO 9000ff
Durch die Anwendung der Normenreihe DIN EN ISO 9000:2000ff (kurz ISO 9000:2000) werden die notwendigen Grundlagen für den Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems geschaffen. Die Normen gelten international (ISO), europäisch (EN für Euronorm) und national (DIN). Die Kürzel ff signalisiert, dass es mehrere Normen gibt (ISO 9000, 9001, 9004), die unterschiedliche Aspekte des Qualitätsmanagements thematisieren. Grundsätzlich baut die Normenreihe auf acht Prinzipien des Qualitätsmanagements (vgl. Brauer 2002, S. 23f.) auf, die als Grundregeln „zur Führung und Leitung einer Organisation, mit dem Ziel ständiger, langfristiger Verbesserung der Leistungen durch Konzentration auf die Kunden, während gleichzeitig die Erfordernisse aller Interessenpartner berücksichtigt werden“ (ebd., S. 22) gelten: 1. Kundenorientierung Übertragen auf die Anforderungen von Kultureinrichtungen verlangt dieses Prinzip, die Ausrichtung der Maßnahmen der Kulturvermittlung und des diese Kernaufgabe begleitenden Servicebereichs an den Besucherbedürfnissen. 2. Führung Qualitätsmanagement ist stets eine Führungsaufgabe. Als Promotor muss die Leitung der Kultureinrichtung den Organisationszweck und die Richtung, in die sich die Organisation zukünftig entwickeln soll, vorgeben. 3. Beteiligung der Mitarbeiter Darüber hinaus müssen die Rahmenbedingungen für eine umfassende Beteiligung der Mitarbeiter geschaffen werden. Die Einbeziehung der Mitarbeiter ermöglicht die Erschließung aller Fähigkeiten und Potenziale, die zum Vorteil der Organisation genutzt werden können. 4. Prozessorientierung Auch im Rahmen der ISO 9000:2000 findet die bereits erläuterte Prozessdimension der Dienstleistungsqualität Berücksichtigung. So wird durch dieses Prinzip die Prozessorientierung gefordert, um so angestrebte Ziele effizienter erreichen und die Effektivität der Organisation erhöhen zu können.
316
Qualitätsmanagement
5. Systemorientiertes Management Um die geforderte Prozessorientierung durchsetzen zu können, müssen Schlüsselprozesse identifiziert, verstanden und in der gesamten Einrichtung gemanagt werden. 6. Ständige Verbesserungen Der durch das Qualitätsmanagement angestoßene kontinuierliche Verbesserungsprozess, sollte langfristig im Zielsystem der Organisation verankert werden. 7. Sachliche Entscheidungen Für eine effektive Umsetzung der Qualitätsziele sollten alle Entscheidungen aufgrund einer sachlichen Analyse von Daten und Informationen getroffen werden. 8. Lieferantenbeziehungen Um die Dienstleistungsqualität langfristig gewährleisten zu können, müssen auch die Lieferantenbeziehungen qualitätsorientiert und zu beiderseitigem Vorteil gestaltet werden.
Abb.5 Prozessmodell des Qualitätsmanagements aus der ISO 9001 (in Anlehnung an Brauer 2002, S. 25)
In Abbildung 5 ist das grundlegende Prozessmodell der DIN ISO 9000:2000 dargestellt, welches die Kernaufgaben der Unternehmensführung visualisiert und somit das zugrunde liegende Qualitätsmanagementverständnis aufzeigt. Dabei wird der Regelkreis der relevanten
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317
Schlüsselprozesse in die gestellten Kundenanforderungen und die angestrebte Kundenzufriedenheit eingebettet. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die DIN EN ISO 9000:2000ff Mindeststandards vorgibt, nach denen die Abläufe in einer Organisation zu gestalten sind, damit eine vorher vereinbarte Qualität sichergestellt wird. Die Überprüfung erfolgt durch eine unabhängige Zertifizierungsagentur (z.B. TÜV Süd). Betont werden soll an dieser Stelle noch, dass die ISO 9000:2000 für Industrieunternehmen entwickelt wurde und nicht explizit auf die Besonderheiten von Dienstleistungen eingeht (vgl. z.B. Produktentstehung). Ein weiterer Nachteil für Kulturbetriebe ist der hohe Aufwand bei der Erstellung, die Anforderungen an die Dokumentation und die hohen Kosten einer Zertifizierung. Das eingangs erwähnte Beispiel des Bergbaumuseums in Bochum und auch das nach IS0 9001 zertifizierte Nationalmuseums für Völkerkunde in den Niederlanden zeigen jedoch, dass die Einführung möglich ist und bei entsprechender Modifizierung des Qualitätsmanagementsystems auch zu positiven Ergebnissen führen kann (vgl. Zwart / Heijnen / Jansen 2001, S. 84).
3.2
EFQM – Modell für Excellence
3.2.1
Das Grundmodell
Das EFQM – Modell für Excellence (im Folgenden: EFQM-Modell) wurde 1988 von der European Foundation for Quality Management (EFQM) entwickelt. Das EFQM – Modell beruht auf folgender Prämisse: „Exzellente Ergebnisse im Hinblick auf Leistung, Kunden, Mitarbeiter und Gesellschaft werden durch eine Führung erzielt, die Politik und Strategie, Mitarbeiter, Partnerschaften, Ressourcen und Prozesse auf ein hohes Niveau hebt“ (www.deutsche-efqm.de, 06.12.2007). Die bewusst gewählte Allgemeingültigkeit des Konzepts soll die branchen- und unternehmensunabhängige Anwendung ermöglichen. Damit ist der Ansatz auch grundsätzlich für Kulturbetriebe geeignet. Wie in Abbildung 6 zu sehen ist, besteht das EFQM – Modell aus neun Kriterien, die alle Aspekte berücksichtigen, mit denen eine Organisation nachhaltig ihre Qualitätsziele aufbauen kann. Die fünf Kriterien auf der linken Seite des Modells sind die sogenannten Befähiger und zeigen die wesentlichen Einflussgrößen für den Erfolg des ganzheitlichen Qualitätsmanagements auf (vgl. www.innovation-aktuell.de/kl8010.htm, 03.12.2007). Diese Befähigerkriterien sind normative Elemente, d.h. sie sollten von der Unternehmung angestrebt werden, um hohe Qualitätsstandards (Exzellenz) zu erreichen:
318
Qualitätsmanagement
Exzellente Unternehmen… -
fördern und vermitteln die Umsetzung der Unternehmensmission und –vision durch ihre Führungskräfte (Führung).
-
setzen ihre Mission und Vision durch Entwicklung einer auf die Interessengruppen ausgerichteten Strategie um, die die Märkte und Branchen berücksichtigt, in denen die Organisation tätig ist (Politik und Strategie).
-
managen, entwickeln und entfalten das gesamte Potenzial ihrer Mitarbeiter auf der Individual-, Team- und Organisationsebene (Mitarbeiter).
-
planen und managen externe Partnerschaften, Lieferanten und interne Ressourcen zur Unterstützung ihrer Politik und Strategie sowie der effektiven Prozessabläufe (Partnerschaften und Ressourcen).
-
gestalten, managen und verbessern Prozesse, um Kunden und andere Interessengruppen voll zufrieden zu stellen und die Wertschöpfung für diese zu steigern (Prozesse).
Demgegenüber stehen vier Kriterien auf der rechten Seite, die sogenannten Ergebnisse, die die erzielten Leistungen des Unternehmens abbilden. Für die mitarbeiterbezogenen, die gesellschaftsbezogenen und die Schlüsselergebnisse wird dabei gefordert, dass umfangreiche Messungen durchgeführt und dabei ausgezeichnete Ergebnisse erzielt werden (vgl. EFQM 2003, S. 15). Durch den Pfeil „Innovation und Lernen“ soll deutlich gemacht werden, dass die erzielten Ergebnisse permanent dazu dienen sollen, die Befähigerkriterien zu überprüfen und zu verbessern.
Abb.6 Das EFQM-Modell (in Anlehnung an EFQM 2003, S. 12).
Jens Cordes / Uwe Manschwetus / Katja Schimkus
319
Im Gegensatz zu den ISO-Normen erfolgt bei EFQM keine Zertifizierung durch eine externe Stelle, sondern das Unternehmen führt eine Selbstbewertung durch. Dabei sind in den neun Kategorien maximal 1000 Punkte erreichbar. Jeweils 500 Punkte sind in den fünf Voraussetzungen und in den vier Ergebniskriterien erreichbar. Weiterhin wird eine prozentuale Verteilung über die einzelnen Kriterien vorgeschlagen (vgl. Abb.6). Durch diese Vorgaben soll ein Unternehmens- und Branchenvergleich ermöglicht werden.
3.2.2
EFQM im Kulturbereich
Das EFQM-Modell kann nach Ansicht der EUROPEAN FOUNDATION FOR QUALITY MANAGEMENT für große und kleine Organisationen sowohl im öffentlichen als auch im privatwirtschaftlichen Bereich zur Anwendung kommen (vgl. EFQM 2003, S. 4). Somit ist es per se auch für den Kultursektor ein geeignetes Modell und seine Verwendung wird beispielsweise für den Museumsbereich in der Fachliteratur diskutiert (vgl. Dauschek 2007). Ein Beispiel: Bei museumsspezifischer Anwendung können die klassischen Fachziele Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln dem Ergebniskriterium „Gesellschaftsbezogene Ergebnisse“ zugeordnet werden (vgl. Brüggerhoff / Tschäpe 2001, S. 19). In ähnlicher Weise ließen sich auch die anderen Ergebnis- und Befähigerkriterien inhaltlich für ein Museum bestimmen. Gleichwohl betonen die Entwickler des EFQM-Modells, dass es ein flexibles Instrument sei, das durchaus angepasst werden könnte. Ein Vorschlag für eine kulturspezifische Adaption stammt von CORDES / SCHIMKUS, die die bereits in diesen Beitrag erwähnten drei Dimensionen der Dienstleistungsqualität dem EFQM-Modell zugrunde legen (vgl. Cordes / Schimkus 2006, S. 20). Demnach würde sich folgende Zuordnung ergeben: • Potenzialqualität: Befähigerkriterien „Führung“, „Mitarbeiter“, „Politik & Strategie“ und „Partnerschaften und Ressourcen“ • Prozessqualität: Befähigerkriterium „Prozesse“ • Ergebnisqualität: Ergebniskriterien Insbesondere bezüglich der Prozessqualität führt dieser Vorschlag zu Ergänzungen für den Kulturbereich, denn hier ist es wichtig den gesamten Leistungserstellungsprozess an der Qualitätsstrategie auszurichten. Das umfasst sowohl die Aktivitäten, die in Interaktion mit dem jeweiligen Kunden durchgeführt werden als auch diejenigen, die nur vom Dienstleister erbracht werden. Abweichend vom Grundmodell der EFQM sollten Kultureinrichtungen deshalb im Rahmen des Kriteriums Prozesse auf die einzelnen Bestandteile ihres kulturellen Produkts eingehen. Das kulturelle Produkt lässt sich dabei als Dienstleistungsbündel abbilden, das sich aus den Bestandteilen Core Services, Facilitating Services und Supporting Services zusammensetzt. Alle drei Bestandteile haben Einfluss auf die Dienstleistungsqualität und können vom Management unterschiedlich beeinflusst werden. Während sich die Core Services aus dem kulturpolitischen Auftrag ergeben und daher wenig beeinflusst werden können, sind die Facilitating Services, wie z.B Öffnungszeiten, Eintrittskartenverkauf, qualifiziertes und höfliches Personal dazu geeignet, die Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen die Kernleistungen ihren spezifischen Charakter optimal entfalten können. Um auch
320
Qualitätsmanagement
die empfundene Leistungsqualität beim Besucher zu erhöhen, empfiehlt sich zudem die Schaffung eines Zusatznutzens. Hierzu eignen sich Supporting Services, die für ein Museum z.B. Workshops, Lesungen, Konzerte oder eine auf die jeweilige Ausstellung ausgerichtete Museumsgastronomie umfassen können. (vgl. Cordes / Manschwetus 2000, S. 8)
4
Fazit und Ausblick
Qualitätsmanagement sollte in jeder Kultureinrichtung „aufrichtig“ praktiziert werden. Nicht die Zertifizierungsurkunde ist das Entscheidende, sondern die Selbsterkenntnis. Eigene Stärken und Schwächen werden systematisch analysiert, das Verbesserungspotenzial und der Handlungsbedarf identifiziert und entsprechende Maßnahmen entwickelt. Häufig stellt sich durch die nach außen dokumentieren Bemühungen um Qualitätsverbesserungen auch ein Imagegewinn ein und in manchen Fällen kann durch definierte Standards und Qualitätsnachweise die Einwerbung von Fördermitteln verbessert werden. Für die Umsetzung stehen insbesondere mit der Normenreihe ISO 9000ff und dem EFQM-Modell bewährte Qualitätsmanagementmodelle zur Verfügung, die jedoch für produzierende Industrieunternehmen entwickelt wurden. Für kulturelle Dienstleistungsunternehmen – insbesondere für kleinere Einrichtungen – müssen sie angepasst werden.
5
Literatur
Brauer, J.-B.: DIN EN ISO 9000:2000ff, München 2002 Brüggenhoff, S. / Tschäpe, R.: Entwicklung und Tendenzen des Qualitätsmanagements, in: Brüggenhoff, S. / Tschäpe, R. (Hrsg.), Qualitätsmanagement im Museum?! Bielefeld 2001, S. 15 - 29 Bruhn, M.: Qualitätsmanagement für Dienstleistungen, 5. Auflage, Berlin et al. 2004 Bruhn, M.: Kundenorientierung, 2. Auflage, München 2003 Bruhn, M.: Wirtschaftlichkeit des Qualitätsmanagements, Heidelberg 1998 Bruhn, M. / Meffert, H.: Exzellenz im Dienstleistungsmarketing – Fallstudien zur Kundenorientierung, Wiesbaden 2002 Coenenberg, A.G. / Schmitz, J.: Elemente des Qualitätscontrolling, in: Wildemann, H. 1996, S. 11-31 Cordes, J. / Schimkus, K.: Grundlagen des Qualitätsmanagements, Brandenburg 2006 (Studienbrief des Hochschulverbund Distance Learning) Cordes, J. / Manschwetus, U.: Kulturmarketing am Beispiel von Museen, in: Poth, L.G. / Poth, G.S.: Marketing, Lose Blattsamlung, 36, Dez. 2000
Jens Cordes / Uwe Manschwetus / Katja Schimkus
321
Corsten, H.: Dienstleistungsmanagement, 4. Auflage, München 2001 Dauschek, A.: Das EFQM-Modell als Grundlage für ein Qualitätsmanagement in Museen, in: Neues Museum 2007/3, S. 31 - 34 Donabedian, A: The Definition of Quality and Approaches to its Assessment and Monitoring, Vol. I, Ann Arbor, 1980 EFQM (European Foundation für Quality Management): Excellence einführen (2003), PDFBroschüre im Internet unter URL http://www.deutsche-efqm.de, 06.12.2007 Meffert, H. / Bruhn, M.: Dienstleistungsmarketing, 4. Auflage, Wiesbaden 2003 Reinhart et al.: Qualitätsmanagement, Berlin / Heidelberg 1996 Wildemann, H. / Keller, S.: Konzeption und Aufgaben des Qualitätscontrolling, in: Wildemann, H. 1996, S. 1- 9. Zwart, de B. / Heijnen , A.C.M / Jansen, I.: ISO 9001 – Qualitätssystem im Nationalmuseum für Völkerkunde in den Niederlanden, in: Brüggerhoff, S. / Tschäpe, R. (Hrsg.): Qualitätsmanagement im Museum?!, Bielefeld 2001, S.84 - 94
Internetquellen: http://www.deutsche-efqm.de, 06.12.2007 http://www.innovation-aktuell.de/kl0810.htm, 03.12.2007
Georg Westermann
Business Process Reengineering in Kulturbetrieben 1
Einleitung
2
Business Process Reengineering als Ansatz der betrieblichen Organisationslehre
2.1
Gestaltung von Strukturen und Prozessen
2.2
Strategie und Organisation im Kultursektor
3
Der Ansatz des Business Process Reengineering
3.1
Ziele des BPR im Kultursektor
3.2
Wesentliche Elemente des Business Process Reengineering
3.3
Prozessorganisation als Aufbauprinzip
4
Literatur
324
1
Business Process Reengineering in Kulturbetrieben
Einleitung
In diesem Aufsatz soll gezeigt werden, wie man Business Process Reengineering (BPR) als modernes Instrument einsetzen kann, um in einem Kulturbetrieb die Organisationsstrukturen und Geschäftsprozesse an neue Herausforderungen anzupassen und kundenorientiert zu gestalten. Dazu wird zunächst erläutert, wie sich BPR in den Rahmen der orthodoxen betrieblichen Organisationslehre einfügt. Anschließend wird der Ansatz selbst vorgestellt und an einigen Beispielen aus dem Kulturbereich erläutert.
2
Business Process Reengineering als Ansatz der betrieblichen Organisationslehre
Dieses Kapitel dient dazu, BPR als einen Ansatz zu erkennen, der durchaus nicht den Rahmen der orthodoxen betrieblichen Organisationslehre sprengt, ihn jedoch deutlich erweitert und an das aktuelle Umfeld anpasst (vgl. Vahs / Buhrmester 1997; Child 2005, S. 6ff. oder Jost 2000, S. 465ff.). Zuerst soll ganz klar definiert werden, was für diesen Text unter Organisation verstanden werden soll. Für das vorliegende Skript kann man Organisation also umfassend definieren als die Gestaltung von formalen Betriebsstrukturen zur zielorientierten Integration von Menschen, Aufgaben, Informationen und Sachmitteln durch generelle Regelungen (vgl. Bühner 1986, Kosiol 1962 oder Blum 2000). Im Bereich der Organisationslehre spielen weiterhin die beiden Begriffe der Aufbau- und der Ablauforganisation (vgl. Meyer / Stopp 2004) eine wesentliche Rolle zum Verständnis organisationstheoretischer Zusammenhänge. Unter Aufbauorganisation wird dabei die Festlegung der Aufgaben nach den Merkmalen der Verrichtung (Was wird getan?) und des Objekts (Was wird bearbeitet?) verstanden. Sie findet sich als hierarchische Struktur des Unternehmens wieder, während die Abläufe oder Prozesse diese Strukturen verbinden und durchlaufen. Traditionell werden in den Unternehmen zunächst die Strukturen der Aufbauorganisation festgelegt und die Abläufe „suchen sich dann ihren Weg durch die Strukturen“. BPR strebt im Gegensatz dazu die Dominanz der Abläufe an. (vgl. Wilhelm 2007, S. 10ff.)
2.1
Gestaltung von Strukturen und Prozessen
Die Gestaltung des oben genannten Systems erfolgt prinzipiell nach dem Grundmuster der Differenzierung (Arbeitsteilung) und der Koordination/ Integration (Abstimmung der arbeitsteilig erfolgenden Aufgabenerledigung). Das Ausgangsproblem jeder systematischen organisatorischen Differenzierung ist dabei die Frage nach der günstigsten Teilung und Zuweisung von Arbeiten. Die Gesamtaufgabe einer Unternehmung ist in aller Regel zu umfangreich, als
Georg Westermann
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dass sie von einer Person vollständig und alleine ausgeführt werden könnte (vgl. Kosiol 1962 und Robbins 2001, S. 483ff.). Methodisch gesehen, setzt die organisatorische Verteilung der Aktivitäten zunächst die Zerlegung der Aufgaben voraus (vgl. Kosiol 1962). Im Rahmen dieser Aufgabenanalyse kann man die Gesamtaufgabe anhand der fünf Kriterien Objekt, Verrichtung, Rang, Phase und Zweck in aufeinander folgenden Schritten solange zerlegen, bis man kleine, überschaubare Elementaraufgaben erhält, die nicht mehr weiter unterteilt werden müssen. In einem zweiten Schritt, der so genannten Aufgabensynthese, werden nun aus den Elementaraufgaben nach bestimmten Prinzipien organisatorische Einheiten gebildet bis schließlich der für heutige Organisationen typische pyramidenförmige Aufbau des Stellengefüges, also die Hierarchie, entsteht. An dieser Stelle sollte man sich Gedanken darüber machen, nach welchen Kriterien die Aufgabensynthese gestaltet werden kann. Grundsätzlich stehen für ein zielorientiertes Zusammenführen von Stellen ebenfalls die oben genannten Differenzierungsprinzipien zur Verfügung. Die beiden wichtigsten sind (a) die funktionale oder verrichtungsorientierte und (b) die divisionale oder objektorientierte Organisation. (a) Von einer funktionalen Organisation spricht man dann, wenn die Hierarchieebene nach der Geschäftsführung eine Spezialisierung nach Verrichtungen vorsieht. Gleichartige Verrichtungen werden zusammengefasst; dies gilt sowohl für die Stellenbildung (z.B. Lackierer) als auch für die Abteilungsbildung (z.B. Lackiererei). Die beiden wichtigsten Vorteile einer verrichtungsorientierten Arbeitsteilung liegen in der Nutzung von Spezialisierungsvorteilen und in der effizienten Nutzung vorhandener Ressourcen. Als typische Probleme gelten Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Funktionsabteilungen, zeitraubende Kommunikation, mangelnde Flexibilität sowie die Überlastung der Spitze mit Koordinationsaufgaben. (b) Die zweite grundsätzliche Alternative stellt die Orientierung an Objekten dar. Hier bilden Produkte, Märkte, Kundengruppen oder Güter (einschließlich Dienstleistungen) das Kriterium. Es werden also alle Verrichtungen zusammengefasst, die für die Bearbeitung des betreffenden Objektes notwendig sind. In einem Theater könnten so zum Beispiel Abteilungen gebildet werden, die jeweils für „Musiktheater“, „Sprechtheater“ und „Ballet“ zuständig sind. Die Objektorientierung auf der zweitobersten Hierarchieebene eines Stellengefüges wird divisionale Organisation genannt. Nachfolgend findet sich zur Illustration dieser Vorgehensweise ein Ausschnitt aus einer Aufgabengliederung, die das Ergebnis einer Aufgabensynthese für ein Museum abbildet. Museum betreiben
Kunstgeschäft betreiben Kunst erwerben
Kunst ausstellen
Kunst restaurieren
Abb.1 Aufgabengliederung (eigene Darstellung)
Selbstverwaltung durchführen Personal verwalten
Finanzen verwalten
Räume verwalten
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Business Process Reengineering in Kulturbetrieben
Die gerade beschriebene Arbeitsteilung führt nun jedoch zu Unterbrechungen des Leistungsflusses. Man spricht hier von Schnittstellen (vgl. Osterloh / Frost 2003; Hammer / Champy 1993 oder Schuh 2005 S. 64f.) welche das Problem aufwerfen, alle separat bearbeiteten Teile wieder zu koordinieren. Grundsätzlich stehen dazu in der klassischen Organisationstheorie die beiden Ansatzpunkte vertikale oder die horizontale Koordination zur Verfügung. Im Rahmen der vertikalen Koordination gilt die Integration durch Hierarchie als wichtigstes Instrument.
Abb.2 Hierarchischer Organisationsaufbau (eigene Darstellung)
Die voranstehende Abbildung zeigt den dabei typischerweise entstehenden, „pyramidenförmigen“ Aufbau einer hierarchisch koordinierten Organisation. Die Nachteile einer solchen Leitungshierarchie liegen in einem langsamen, störanfälligen Informationsfluss sowie hoher Inflexibilität. Die Nachteile der vertikalen Abstimmungsmechanismen haben zur Entwicklung neuer, horizontaler Koordinationsformen geführt. Horizontale Verknüpfungen sind im Prinzip eine Form der Selbstabstimmung, d.h. es findet eine direkte Abstimmung zwischen den betroffenen Aufgabenträgern - ohne Einschaltung der vorgesetzten Instanzen - statt. Bekannte Ausprägungen der vertikalen Koordination stellen z.B. Ausschüsse, Abteilungsleiterkonferenzen, Koordinatoren oder Integrationsmanager dar (vgl. z.B. Jost 2000; Bühner 1991 oder Blum 2000, S. 120ff.).
2.2
Strategie und Organisation im Kultursektor
Weiter oben wurden die klassischen Möglichkeiten zur Gestaltung von Unternehmensorganisationen – auch im Kultursektor – vorgestellt und gezeigt, dass nach erfolgter Aufgabenanalyse vielfältige Möglichkeiten bestehen, die Elementaraufgaben zu synthetisieren. Wie die so gefundene Struktur aussieht, hängt vor allem davon ab, mit welcher Strategie (vgl. hierzu z.B. Hatch 1997, S. 101ff.) eine Organisation erfolgreich sein möchte („structure follows strategy“). Als illustrierendes Beispiel für den Kultursektor soll ein Theater dienen, welches sich in einem Umfeld befindet, das von sinkenden öffentlichen Zuschüssen, starker Konkurrenz durch neue Medien und veränderten Präferenzen neuer Besuchergenerationen geprägt ist.
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Wenn sich die Leitung dieses Theaters nun zu einer Strategie entschließt, die unter anderem durch radikales Sparen bei den Kosten von Inszenierungen - auch auf Kosten individueller künstlerischer Freiheit - gekennzeichnet ist, muss dies Konsequenzen für die Organisation des Theaters haben. Hier wird sich vermutlich eine funktionale Organisation, welche die meisten Einsparungspotentiale bietet, als zielführend erweisen. Hätte diese Theaterleitung darauf gesetzt, mit vielfältigen und flexiblen kleineren Produktionen und dem Einsatz neuer Medien auf die Präferenzen jüngerer Besuchergruppen einzugehen, wäre vielleicht eine an Kundengruppen orientierte, divisionale Organisation entstanden. Diese Organisationsform hätte sich dann explizit an den Bedürfnissen dieser Kunden orientiert.
3
Der Ansatz des Business Process Reengineering
Insgesamt lässt sich erkennen, dass alle klassischen Ansätze einen gewissen Hang zur Inflexibilität aufweisen, der in einem sich rasch wandelnden Umfeld die Unternehmensexistenz rasch gefährden kann. Ergänzende horizontale Strukturen deuten einen Lösungsweg an, der jedoch mit Hilfe des Ansatzes des Business Process Reengineering (Hammer / Champy 1993, S. 19ff.) noch konsequenter beschritten werden kann.
3.1
Ziele des BPR im Kultursektor
Auch im Kultursektor hat sich in den letzten Jahren die Wettbewerbsintensität verschärft. In der Branche der Kulturbetriebe kommt der Rückzug öffentlicher Geldgeber aus der Finanzierung von Kulturaufgaben als weitere Herausforderung hinzu. Vordergründig wird dabei häufig mit der Einführung des Verursacherprinzips und der Abschaffung des Solidarprinzips argumentiert. Dies bedeutet, dass die Nutzer von Kultur – also z.B. die Besucher von Theateraufführungen – auch die dadurch entstehenden Kosten zu tragen hätten. Für die Kulturbetriebe bedeutet der Wegfall öffentlicher Förderung tendenziell eine stärkere Hinwendung zu privaten Geldgebern. Diese fördern aber Kultur in den meisten Fällen nicht als Selbstzweck, sondern mit ganz klaren Zielsetzungen im marktwirtschaftlichen Sinne des „do ut des“. Dabei werden private Geldgeber entweder als Sponsoren oder als Kunden (Nutzer, Besucher, etc.) der Kultureinrichtungen auftreten und für die aufgewendeten Geldbeträge eine mindestens äquivalente Gegenleistung erwarten. In beiden Fällen müssen sich die entsprechenden Organisationen verstärkt auf deren Wünsche einrichten. BPR setzt hier beim Hinterfragen aller vorhandener Strukturen, Produkte und Dienstleistungen einer Kulturorganisation an und zielt darauf ab, einen Kulturbetrieb nicht mehr funktional oder divisional sondern nach kundenorientierten Prozessen zu gliedern (vgl. Hammer / Champy 1993 oder Osterloh / Frost 2003).
328
3.2
Business Process Reengineering in Kulturbetrieben
Wesentliche Elemente des Business Process Reengineering
Business Reengineering strebt – im Sinne der weiter oben erläuterten strategischen Orientierung der Organisation – die so genannte kundenorientierte Rundumbearbeitung an (vgl Osterloh / Frost 2003). Prozesse als Gliederungskriterium
IT-Unterstützung
Kundenorientierte Rundumbearbeitung
Aufgaben-, Verantwortungs-, Kompetenzkongruenz
Horizontale Arbeitsteilung
Abb.3 Wesentliche Elemente des Business Process Reengineering (eigene Darstellung)
In letzter Konsequenz stellt somit nach HAMMER / CHAMPY (1993, S. 53ff.) der Prozess der Erfüllung des Kundenwunsches das zentrale Kriterium für die Aufgabensynthese dar (Prozesse als Gliederungskriterium). Damit im Zusammenhang muss dafür gesorgt werden, dass die so entstandenen Organisationseinheiten in der Lage sind, den Kundenwunsch rundum zu erfüllen (Kongruenz von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung). Die eventuell immer noch notwendige Arbeitsteilung innerhalb der Prozesse soll anschließend so organisiert werden, dass für den Kunden dabei möglichst wenige Widerstände im Ablauf spürbar werden (Horizontale Arbeitsteilung). Schließlich kann man zeigen, dass das ambitionierte Projekt der kundenorientierten Rundumbearbeitung meist dann reibungslos funktioniert, wenn neuere Informationstechnologien (IT) zur Unterstützung eingesetzt werden. Prozesse als Gliederungskriterien Die traditionelle Organisationslehre hat bisher zu einer Betonung der vertikalen Gliederung von Unternehmen nach den Gesichtspunkten Verrichtung (Funktion) oder Objekt (Division, Sparte) geführt (vgl. Wilhelm 2007). Im oberen Teil der nachfolgenden Grafik wird diese vertikal orientierte Sichtweise nochmals deutlich gemacht. Die Abteilungen Vertrieb, Entwicklung, Herstellung und Verwaltung eines Musikverlages stellen hier Organisationseinhei-
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329
ten dar, die beispielsweise die Erfüllung des Kundenwunsches funktional untereinander aufgeteilt haben. Die Pfeile repräsentieren die Kundenwünsche, die bis zu ihrer Erfüllung das Unternehmen von links nach rechts durchlaufen müssen und dabei immer wieder an den Abteilungsgrenzen durch Schnittstellen „behindert“ werden, welche einige unangenehme Eigenschaften aufweisen (vgl. Hammer / Champy 1993; Osterloh / Frost 2003; Wilhelm 2007). • Zum einen treten durch die Übergabe der Aufgabenerfüllung an einen anderen Aufgabenträger Informationsverluste auf, die zu Bearbeitungsfehlern führen. Das Ergebnis von mehreren Übergaben des Kundenwunschs erinnert fatal an die Ergebnisse des Kinderspiels „Stille Post“. • Zum zweiten treten an den Schnittstellen durch die Übergabe Zeitverluste auf, welche die Duchlaufzeit des Bearbeitungsprozesses verlängern. • Drittens führt eine dermaßen zerstückelte Kundenbedienung dazu, dass sich keine der bearbeitenden Organisationseinheiten für das Endresultat und eventuell auftretende Fehler des Prozesses verantwortlich fühlt. Prozessorientierung bedeutet das Abwenden von den vertikalen Strukturen und richtet den Blick horizontal auf die Geschäftstätigkeit – also auf den zu erfüllenden Kundenwunsch. Dies bedeutet ein „Kippen“ um 90 Grad der Organisationsstruktur (vgl. Osterloh / Frost 2003) wie es im unteren Teil der Abbildung skizziert ist. An dieser Stelle muss man jedoch überlegen, ob es bei der Komplexität mancher Geschäftsprozesse tatsächlich möglich ist, alle zur Befriedigung des Kundenwunschs notwendigen Aufgaben in einen einzigen Prozess ohne Schnittstellen zu integrieren. Viele Aufgaben haben dabei aus Kundensicht eher einen unterstützenden Charakter und stellen nicht den Kern der Problemlösung für den Klienten dar. In einem Museum dürfte beispielsweise aus Besuchersicht der Betrieb einer Cafeteria oder der Verkauf von Kunstdrucken und Bildbänden eher von zweitrangiger Bedeutung für den Anreiz zum Besuch dieser Institution sein.
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Business Process Reengineering in Kulturbetrieben
Verwaltung
Herstellung
Entwicklung
Kundenwunsch
Vertrieb
Kundenwunsch
Prozess 1
Kundenwunsch
Kundenwunsch
Prozess 2 Prozess 3
Abb.4 90 Grad Änderung der Organisationsstruktur (eigene Darstellung)
Daher geht mit der Gestaltung der Prozessorientierung eines Unternehmens einher die Unterscheidung der Geschäftsprozesse in so genannte Kernprozesse und Supportprozesse. Die Abbildung unten zeigt, wie die beiden Kernprozesse 1 und 3 eines Unternehmens von den Supportprozessen unterstützt werden, die an unterschiedlichen Stellen der Kernprozesse „andocken“ und bei der Erfüllung des Kundenwunschs helfen.
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Supportprozess I KERNPROZESS 1 KERNPROZESS 2 KERNPROZESS 3 Supportprozess II
Abb.5 Kern- und Supportprozesse (eigene Darstellung)
Ein Flussdiagramm (vgl. hierzu z.B. Wilhelm 2007, S. 44ff.) dient der grafischen Veranschaulichung von Prozessen und deren Strukturen und reduziert die Realität von Prozessen auf ganz wenige Symbole. welche in einer Art Kette angeordnet werden, die stets von oben nach unten durchlaufen wird. Man kann sich dies wie den Fluss von Wasser durch ein System von Rohrleitungen vorstellen. Prozesse werden auf diese Art und Weise von Anfang bis zum Ende dokumentiert und können auf ihre Durchführbarkeit, Vollständigkeit und logische Fehler hin überprüft werden, bevor sie sich im Einsatz bewähren müssen. Fügt man den Symbolen noch quantitative Informationen, wie zum Beispiel Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Äste der Oder-Verzweigungen oder Durchlaufzeiten beziehungsweise Kostengrößen für die einzelnen Aufgaben, dann können einzelne Prozessvarianten auf ihre Effektivität, Effizienz oder Rentabilität hin untersucht werden. In der nachfolgenden Abbildung findet sich ein Beispiel für den (Kern-)Prozess der Bedienung eines Theaterbesuchers, der Karten an der Abendkasse erwerben möchte.
332
Business Process Reengineering in Kulturbetrieben
Besucher kommt an Theaterkasse
Kassiererin prüft, ob Karten vorbestellt sind
ja
Vorbestellt?
Kassiererin streicht Karten aus Liste
Kassiererin prüft, ob noch Restkarten vorhanden sind
ja
Kassiererin übergibt Karten und kassiert
nein
Restkarten?
nein
Kassiererin weist Besucher auf Vorbestell-Service hin und informiert über nächste Vorstellung
Besucher bezahlt und betritt Theater
Besucher verlässt Theater
Abb.6 Beispiel für einen Prozess im Theater (eigene Darstellung)
Kongruenz von Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz Das zweite unverzichtbare Element des BPR ist das Prinzip der Kongruenz von Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz (Osterloh / Frost 2003 oder Blum 2000 S. 147ff.). Für jeden Prozess existiert eine Person, die man „Process Owner“ oder „Prozess Eigentümer“ nennt. Diese Person ist dafür verantwortlich, dass das gewünschte Ergebnis des jeweiligen Prozesses zur Zufriedenheit des Kunden und selbstverständlich auch im Sinne des Unternehmens effizient erreicht wird. Sollte die Aufgabe, die in einem Prozess zu erfüllen ist, quantitativ (z.B. zu viele Kunden) oder qualitativ (z.B. zu heterogene Teilaufgaben) zu umfangreich sein, um von einer Person alleine bearbeitet werden zu können, bilden mehrere Personen, ein so genanntes „Prozess Team“. Der Prozess Eigentümer besitzt die Verantwortung aber auch die nötigen Entscheidungs- und Leitungskompetenzen für den kompletten Prozess.
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333
Horizontale Arbeitsteilung Wie bereits weiter oben besprochen, konzentriert man sich beim BPR darauf, vor allem die Kernprozesse so zu gestalten, dass der Kundenwunsch möglichst ohne Schnittstellen erfüllt werden kann. Die Idee der horizontalen Arbeitsteilung ist Ausdruck der Tatsache, dass auch BPR nicht ohne Aufgabenteilung auskommt (vgl. Osterloh / Frost 2003 oder Hammer / Champy 1993). Angestrebt wird dabei, dass die Arbeitsteilung möglichst horizontal erfolgt. Horizontal bedeutet, Prozesse so zu bilden, dass die Anforderungen eines Kunden von einem Prozess Eigentümer oder von einem Prozess Team abschließend erfüllt werden können. Drei mögliche Varianten werden hier diskutiert. Funktionale Arbeitsteilung Man kann sich entscheiden, die Arbeitsteilung innerhalb eines Geschäftsprozesses nach den unterschiedlichen betrieblichen Funktionen vorzunehmen, die zur Erfüllung des dem Prozess zugrunde liegenden Kundenwunsches notwendig sind. Diese Art der Arbeitsteilung bietet sich immer dann an, wenn der Geschäftsprozess aus Teilaufgaben besteht, welche höchster Spezialisierung und Fachkompetenz bedürfen. Allerdings entstehen dann innerhalb des Geschäftsprozesses eine Reihe von Schnittstellen, die den reibungslosen Fluss der Abläufe zumindest innerbetrieblich behindern können. Arbeitsteilung nach dem Schwierigkeitsgrad Die Lösung eines Kundenproblems kann häufig durch sehr einfache und leicht beherrschbare Abläufe erfolgen. In anderen Fällen ist deutlich mehr Know-how, Erfahrung und vielleicht auch Personal notwendig. Hier unterteilt man einen Prozess in mehrere Prozessvarianten, die sich nach dem Schwierigkeitsgrad der zu bearbeitenden Fälle unterscheiden. Routinefälle können so rasch und in großen Mengen durch einen einzigen Mitarbeiter abgewickelt werden. Für die schwierigen Fälle steht dann genügend Personal zur Verfügung, um diese – ebenfalls im Sinne der Rundumbearbeitung – von einem Expertenteam bearbeiten zu lassen. Arbeitsteilung nach Kundengruppen Diese Form der Arbeitsteilung gliedert die Kunden eines Unternehmens in Gruppen mit möglichst gleichartigen Problemkomplexen und den dazugehörigen Lösungsangeboten. Beispielsweise könnte man für ein Museum die Kunden in ausländische Touristengruppen, einheimische Individualbesucher, einheimische Touristengruppen und Schulklassen einteilen. Für jede dieser Kundengruppen wird anschließend ein speziell auf deren Bedürfnisse zugeschnittenes Angebot entwickelt und durch eine eigenständige Prozessvariante mit einem eigenständigen Process Owner bearbeitet. IT-Unterstützung Wie weiter oben schon erwähnt, geht mit der Forderung nach einer möglichst abschließenden Bearbeitung eines Prozesses durch einen Process Owner die Notwendigkeit einher, diesem auch jederzeit alle benötigten Informationen zur Verfügung zu stellen. Bei der Akquise von Besuchern einer Ausstellung oder einer Inszenierung muss beispielsweise von verschiedenen Orten aus feststellbar sein, wie viele Karten oder Sitzplätze in welchen Kategorien noch
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Business Process Reengineering in Kulturbetrieben
verfügbar sind. Eventuell können Restkarten oder –plätze gegen Ende der Vorverkaufszeit automatisch zu günstigeren Konditionen angeboten werden. An dieser Stelle wird die Bedeutung neuer Informationstechnologie (IT) ganz deutlich. Informationen, die vorher nur einzelnen spezialisierten Experten zugänglich waren, müssen jetzt jederzeit den Process Ownern zur Verfügung stehen, damit diese ihre Aufgabe ohne Schnittstellen bewältigen können. Dies bedeutet, dass man sich bereits beim Design von kundenorientierten Prozessen oder Prozessvarianten Gedanken um die Unterstützung durch IT machen muss (z.B. Hammer / Champy 1993 S. 87ff. oder Davenport 1993).
3.3
Prozessorganisation als Aufbauprinzip
Wenn die im letzten Abschnitt angesprochenen Ideen einem Unternehmen langfristige Vorteile verschaffen sollen, dann muss Prozessmanagement auch in der formalen und langfristig angelegten Unternehmensstruktur verankert werden. In letzter Konsequenz muss man das Unternehmen in eine neue Organisationsform, die „Prozessorganisation“ überführen, in der die horizontal verlaufenden Prozesse die eigentlichen Struktureinheiten darstellen und die klassischen vertikalen Abteilungen ablösen. In der nachfolgenden Abbildung weiter unten wird demonstriert, wie man speziell die um 90 Grad gekippte Organisationsstruktur auch grafisch, in einem Organisationsschaubild veranschaulichen kann. Dabei wird durch die Darstellung der Prozesse in der Mitte der Grafik besonders deren zentrale Bedeutung für die Unternehmensorganisation verdeutlicht. Die Darstellung der Prozessebene in Pfeilform zeigt, dass die Struktur des Unternehmens zur Erfüllung der Kundenwünsche ohne Schnittstellen möglichst „fließend“ gestaltet wurde. Wie die oben stehende Grafik zeigt, ist es jedoch zumeist unmöglich und auch nicht effizient, alle Spezialisierungen innerhalb eines Unternehmens vollständig auf Kern- oder Supportprozesse aufzuteilen. Zentralabteilungen werden ihre speziellen Fachkenntnisse als Dienstleistungen an die Prozesse weitergeben. Der Unterschied zu den klassischen Zentralabteilungen besteht hier aber darin, dass diese Zentralabteilungen keine Weisungsbefugnis gegenüber dem Prozess besitzen. Dies wird durch den Begriff „funktionale Schulen“ (vgl. Osterloh / Frost 2003 oder Hammer / Champy 1993) zum Ausdruck gebracht. So könnte beispielsweise der Kernprozess “Wanderausstellungen organisieren“ eines Museums sich bei der Finanzierung einzelner Projekte von der funktionalen Schule „Finanzen“ und bei der Werbung oder Marktforschung von der funktionalen Schule „Marketing“ beraten lassen.
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Unternehmensleitung KERNPROZESS 1 KERNPROZESS 2 KERNPROZESS 3 Supportprozess Marketing
Finanzen
Personal
Abb.7 Prozessorganisation als Organisationsschaubild (eigene Darstellung)
4
Literatur
Blum, E.: Grundzüge anwendungsorientierter Organisationslehre, München 2000 Bühner, R.: Betriebswirtschaftliche Organisationslehre, München 1991 Bruhn, M.: Integrierte Kundenorientierung – Implementierung einer kundenorientierten Unternehmensführung, Wiesbaden 2002 Child, J.: Organization – Contemporary Principles and Practice, Blackwell 2005 Davenport, T.: Process Innovation – Reengineering Work Through Information Technology, Boston 1993 Hammer, M. / Champy J.: Reengineering the Corporation, New York 1993 Hatch, M. J.: Organization Theorie, Oxford 1997 Jost P.-J.: Organisation und Koordination – Eine ökonomische Einführung, Wiesbaden 2000 Kosiol, E.: Organisation in der Unternehmung, Wiesbaden 1962 Krahe, A.: Unterstützung des Prozeßmanagements mit modernen Informationstechnologien, Wiesbaden 1998
336
Business Process Reengineering in Kulturbetrieben
Krüger, W. / Homp C.: Kernkompetenzmanagement – Steigerung von Flexibilität und Schlagkraft im Wettbewerb, Wiesbaden 1997 Meyer F. / Stopp U.: Betriebliche Organisationslehre, Renningen 2004 Neugebauer W.: Organisationskultur, Stuttgart 2003 Osterloh M. / Frost J.: Prozessmanagement als Kernkompetenz – Wie Sie Business Reengineering strategisch nutzen können, 4. Auflage, Wiesbaden 2003 Robbins S. R.: Organisation der Unternehmung, 9. Auflage, München 2001 Schuh, G.: Change Management – Prozesse strategiekonform gestalten, Heidelberg 2006 Vahs D. / Burmester R.: Organisation – Einführung in die Organisationstheorie und –praxis, Stuttgart 1997 Wilhelm, R.: Prozessorganisation, München 2007
Dettloff Schwerdtfeger
Besucherorientierte Kultureinrichtung 1
Warum Besucherorientierung?
2
Besucherorientierung als Bestandteil der betrieblichen Organisation
2.1 Strukturelle Voraussetzungen und Investitionen 2.1.1 Strukturvoraussetzung 2.1.2 Investitionen 2.2
Prozesskosten der Besucherorientierung
3
Besucherorientierung als Bestandteil des Marketingprozesses
3.1
Besucherorientierung heißt sorgfältige Produktdefinition
3.2
Besucherorientierung erfordert eine produktspezifische Wort- und Bildsprache
3.3
Besucherorientierung braucht Ubiquität
3.4
Besucherorientierung setzt eine flexible Preisgestaltung voraus
3.5
Besucherorientierung und Servicepolitik sind nicht identisch
4
Literatur
338
1
Besucherorientierte Kultureinrichtungen
Warum Besucherorientierung?
En vogue ist, private Unternehmen - schon gar, wenn sie erfolgreich sind - auf das Image des rücksichtslosen Gewinnmaximierers zu reduzieren. Übersehen wird dabei oft, dass öffentlich und privat geförderte Kultureinrichtungen in Deutschland als Selbstzweckmaximierer durchaus ein ähnlich rücksichtsloses Verhalten im Sinne ihrer kulturellen Aufgaben und Zwecke entwickeln. Vermittlung von hochspeziellen Kulturinhalten und Voraussetzung von Fachwissen sind häufig Aspekte, die Kultureinrichtungen im Allgemeinen als "arrogant", "exklusiv" oder "unnahbar" erscheinen lassen. Die nachhaltige Verfolgung kultureller Zwecke ist gewollt und gut so, und das öffentliche Recht sowie das Vereins- und Stiftungsrecht fördert diese Selbstzweckmaximierung ausdrücklich und im Sinne des Gemeinwohls. Aber Kultureinrichtungen verzehren in ihrem Tun materielle Mittel, die andere erwirtschaftet haben. Diese anderen sind sowohl Besucher als auch - mehrheitlich - Nicht-Besucher von Kultureinrichtungen. Sie sind nicht immer Experten und sollten daher durch besucherorientiertes Verhalten der Kultureinrichtung dort abgeholt werden, wo sie stehen. Besucherorientierung nimmt in diesem Spannungsfeld eine ganz wichtige Bedeutung zur nachhaltigen Sicherung von Zuwendungen und Spenden ein (vgl. Heinrichs 1999, S. 167f.) Besucherorientierung ist in der Praxis noch oft ein Lippenbekenntnis, das - allein um zeitgemäß zu sein - heute nahezu jede Kultureinrichtung bedenkenlos abzugeben bereit ist. Besucherorientierung wird dabei entweder mit Freundlichkeit oder mit extremem Individualismus à la "Der Kunde ist König" verwechselt. Reicht es dabei wirklich, wenn das Personal immerzu freundlich sagt, was alles nicht geht? Ist es wirklich besucherorientiert, wenn jedem Gast eine Extrawurst gebraten wird und aufgrund fehlender Standards am Ende keiner mehr genau sagen kann, was die Kultureinrichtung eigentlich leistet? Besucherorientierung ist ein Instrument, ein Mittel zum Zweck. Die Grundannahme ist, dass eine Kultureinrichtung durch zufriedene Besucher ihre individuellen Ziele besser erfüllen kann. Besucherorientierung lohnt sich in diesem Sinne nur dann, wenn der Nutzen der Besucherorientierung höher ist als die Kosten, die ihre Entwicklung mit sich bringt. Das bedeutet, dass auch Besucherorientierung effizient organisiert und umgesetzt werden muss. Sonst bleibt es bei oberflächlicher Freundlichkeit und einem schier unbeherrschbaren Durcheinander von Individualabsprachen. Eine Kultureinrichtung sollte sich daher vor Einführung einer Strategie zur Besucherorientierung Gedanken über die Marketingziele und über die Möglichkeiten und Grenzen zur Einführung und Umsetzung machen. Besucherorientierung ist kein Selbstzweck, kein integraler, selbst-verständlicher Bestandteil von gemeinnützigen Aufgaben und Zwecken, sondern ein Bestandteil eines integrierten Marketingkonzeptes. So, wie der private Unternehmer nach einem hohen Umsatz strebt, um seinen Gewinn zu steigern, sollte die besucherorientierte Kultureinrichtung nach Besucherorientierung streben, um Aufmerksamkeit für die nachhaltige Erfüllung ihrer Aufgaben und Zwecke zu stärken - denn das ist der "Gewinn" der Kultureinrichtung. Für das Folgende leitet sich daraus ab, dass nach Einflüssen und Interdependenzen gesucht wird, die zwischen der Besucherorientierung und den klassischen Marketinginstrumenten bestehen. Die übergeordnete Fragestellung lautet, wie Besucherorientierung im Marketing-
Dettloff Schwerdtfeger
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prozess zielorientiert verankert und in der Innensicht einer Kultureinrichtung effizient umgesetzt werden kann. Die Marketingsicht spiegelt damit die Nutzen-Seite der Besucherorientierung für die Kultureinrichtung. Die Kosten-Seite sind die organisatorischen Prozesskosten diese sollten in einem vertretbaren Rahmen gehalten werden.
2
Besucherorientierung als Bestandteil der betrieblichen Organisation
2.1
Strukturelle Voraussetzungen und Investitionen
Besucherorientierung kann man sich nicht von heute auf morgen vornehmen. Sie bedarf struktureller und investiver Vorbereitungen. Im Folgenden sei stichwortartig auf verschiedene Bereiche hingewiesen, in denen es vorbereitender Maßnahmen bedarf. Es wird versucht, die Bereiche möglichst umfassend darzustellen, obwohl ein Anspruch auf Vollständigkeit nicht erhoben wird. Es ist anzunehmen, dass Umfang, Art und Intensität der Strukturvoraussetzungen und Investitionen vor allem mit der Größe der Einrichtungen korrelieren. Sicher ist nicht jede der nachfolgend genannten Bedingungen notwendige Voraussetzung für eine funktionierende Besucherorientierung. Strukturkosten einer Kultureinrichtung lassen sich schwer als Kennzahl fassen oder normiert als "gesunde" Investitionsquote beziffern. Im öffentlichen Kulturbetrieb werden solche Aufwendungen häufig gar nicht sichtbar, weil der investive Bereich in öffentlichen Vermögenshaushalten losgelöst von der betrieblichen Leistungsrechnung betrachtet wird. Abschreibungen tauchen in öffentlichen Haushalten normalerweise nur in Form von "kalkulatorischen Abschreibungen" auf. Vielmehr äußern sich die strukturellen Kosten als "Investitionsstau" in öffentlichen Einrichtungen, die eine aktive Entwicklung für ein Wachstum der Kultureinrichtungen blockieren (vgl. Vanselow / Goebel / Kiel 2006, S. 122). Eine Chance für Kultureinrichtungen besteht vor allem immer dann, wenn Sanierungen oder notwendig gewordene Sicherungs-, Umbau und/oder Erweiterungsmaßnahmen durchgeführt werden. Die Empfehlung an den Träger der Kultureinrichtung bzw. den Bauherren der Maßnahme muss dann lauten, im Zusammenhang mit dem Projekt neben der konkreten Bauplanung vor allem in eine Überprüfung und Optimierung der Strukturbedingungen für Besucherorientierung zu investieren.
2.1.1
Strukturvoraussetzung
Unter strukturellen Voraussetzungen werden Aspekte beschrieben, die die mit der Kultureinrichtung verbundene Funktionalität beschreibt. • Kapazitäten und Besucherströme: Auch wenn es banal erscheint sei erwähnt, dass die besucherfreundliche Einrichtung der Menge der Gäste sowohl hinsichtlich räumlicher als auch personeller Kapazitäten gewachsen sein muss. Als letztes Mittel muss bei wachsendem Besucherandrang eine Immobilie sicherlich umgebaut oder erweitert werden, um
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Besucherorientierte Kultureinrichtungen
den Besucherströmen zu begegnen. Das ist aber, z.B. in historischen Schlössern, nicht immer möglich. Deshalb kann auch durch Strukturinvestitionen in Wegeleitsysteme und Einlasskontrollsysteme mit einer wachsenden Zahl von Besuchern gut umgegangen werden. • Erreichbarkeit: Zur Besucherfreundlichkeit gehört eine gute Infrastruktur. Das betrifft sowohl die Möglichkeit, sich einfach und schnell über die Erreichbarkeit einer Kultureinrichtung zu informieren als auch die bauliche Gestaltung der Zuwege, Anbindung an die öffentlichen und individuellen Verkehrswege sowie die Bereitstellung von Parkmöglichkeiten. Kultureinrichtungen, die wie das Leipziger Bach-Archiv mit dem Bach-Museum in Baudenkmälern untergebracht sind, haben es aufgrund des Denkmalschutzes oft schwer, ihre Angebote deutlich sichtbar im öffentlichen Raum zu kennzeichnen. • Familienfreundlichkeit: Neben dem eigenen Interesse einer Kultureinrichtung, auch die nachwachsende Generation für die eigene Arbeit zu interessieren, ist es auch zur Sicherung des bestehenden Publikumsstammes wichtig, Besucherfreundlichkeit mit Familienfreundlichkeit zu verbinden. Viele empirische Untersuchungen zeigen nämlich, dass auch kulturaffine Eltern Kulturangebote weniger wahrnehmen. Das liegt nicht immer nur an Zeitknappheit und teuren Preisen. • Barrierefreiheit: Sicher sollte im Rahmen der Besucherfreundlichkeit jeder Interessent Zugang zu einer Kultureinrichtung haben. Neben der Sicherstellung einer barrierefreien Erschließung von Räumen und Gebäuden gehört dazu auch ein auf bestimmte Beeinträchtigungen abgestimmtes Programm. Wie vermittelt man beispielsweise audio-visuelle Angebote einem Kreis von Hör- oder Sehgeschädigten Personen? Es gehört zur Infrastruktur einer besucherfreundlichen Kultureinrichtung dazu, für solche Fragestellungen gute Antworten zu entwickeln.
2.1.2
Investitionen
Selbstverständlich gehört die Schaffung von Strukturen zum Bereich der Investitionen dazu. Bauliche Maßnahmen seien an dieser Stelle einmal ausgeklammert. In einem weiteren Sinne sind sie dem Abschnitt 2.1.1 zuzuzählen, da die dort beschriebenen Maßnahmen ggf. baulichen Investitionsbedarf nach sich ziehen. Investitionen beziehen sich im Folgenden maßgeblich auf Anlagen und technische Systeme zur Gewährleistung einer besucherorientierten Infrastruktur (vgl. ebd., S. 198f.). • Kommunikationssysteme: Jede Kultureinrichtung kommuniziert mit ihren Besuchern. Kommunikationskanäle sind neue und alte Medien. Die Investition in eine Corporate Identity, die alle Kommunikationsmittel mit einschließt, erleichtert dem Publikum die Aufnahme der relevanten und wichtigen Informationen. • Systeme der Besucherführung: In engem Zusammenhang mit den oben erwähnten Voraussetzungen zur Bewältigung der Besucherströme steht die Anschaffung von Systemen zur Besucherführung. Das fängt an mit einer einfachen Form eines leicht verständlichen Systems von Wegweisern. Aber auch über elektronisch gestützte Systeme, die über Bildschirme, interaktive Stationen oder automatisierte Einlasskontrollen den Besucherstrom lenken, muss bei wachsender Größe der Kultureinrichtung nachgedacht werden. Schlösser wie Neuschwanstein oder Schönbrunn haben beispielsweise Einlasstickets mit Barcodes, die einen Zutritt nur in einem bestimmten Zeitfenster ermöglichen (vgl. Ver-
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meulen 2005, S. 23). So kann sicher gestellt werden, dass die Besucherdichte in der Ausstellung zu keinem Zeitpunkt zu hoch wird. • Systeme zur Besucherzählung: Eine funktionierende und differenzierte Besucherzählung ermöglicht der Kultureinrichtung neben der Messung eines Periodenerfolges auch die Analyse von Auslastungsschwankungen, Zeiten schwacher und starker Auslastung. Durch diese Beobachtung des Verhaltens können im Sinne der Besucherorientierung wichtige Entscheidungen in den Bereichen Öffnungszeiten, Preisgestaltung und auch Besucherstromsteuerung vorbereitet werden. • Marktforschungssysteme: Über die Besucherzählung hinaus ist es selbstverständlich wichtig zu wissen, was dem Publikum gefallen bzw. nicht gefallen hat. Noch wichtiger ist es allerdings, herauszufinden, was die potenziellen Besucher, die den Weg in eine Kultureinrichtung noch nicht gefunden haben, erwarten. Marktforschung muss sich im Zusammenhang mit der Besucherorientierung daher vor allem auf die Menschen konzentrieren, deren Wünsche bisher in der Kultureinrichtung nicht erfüllt werden. • Qualitätsstandards und Zertifizierung: So wie sich im industriellen Bereich Normen, Standards und Zertifikate etabliert haben (z.B. ISO 9000, ISO 9001, DIN, usw.), gibt es zunehmend auch im Dienstleistungsbereich Standards und Zertifikate, die geeignet sind, die Qualität einer Einrichtung zu halten, zu überwachen und zu steigern. Insbesondere bei der Erschließung von Vertriebswegen mit (zertifizierten) Reiseveranstaltern, könnten Qualitätsstandards und Zertifikate die Entwicklung beschleunigen.
2.2
Prozesskosten der Besucherorientierung
Prozesskosten der Besucherorientierung bestehen vor allem in den Bereichen Betriebs-, Wartungs- und Personalkosten. Alle beschriebenen Strukturen und Systeme verursachen solche Kosten. Bei der Planung sollten im Einzelfall im Zusammenhang mit der Anschaffung von Systemen oder Vergabe von entsprechenden Leistungsverträgen vor allem die Folgekosten überprüft und einer objektiven Expertise unterzogen werden. Im Sinne einer Teilkosten- oder Grenzkostenrechnung sollten die Leistungskomponenten, die über das kulturelle Grundangebot hinausgehen, in die Preiskalkulation der Kultureinrichtung mit eingerechnet werden (vgl. Vanselow / Goebel / Kiel 2006, S. 183ff.). Zum Beispiel ist ein Audio-Guide in einer musealen Einrichtung - wenn er gut gemacht ist sicher ein Instrument zur besseren Begegnung des individuellen Informationsbedürfnisses eines Besuchers. Die Leistung trägt aber auch zu einem deutlich verbesserten Angebot bei und kann daher im Rahmen eines Mischpreises oder als zusätzliche Leistung bepreist werden. Es muss folglich klar sein, dass Besucherorientierung zunächst mit steigenden Prozessund Betriebskosten verbunden ist. Nicht immer können diese zusätzlichen Kosten wie im Fall des Audio-Guides an die Besucher weiter gegeben werden.
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3
Besucherorientierte Kultureinrichtungen
Besucherorientierung als Bestandteil des Marketingprozesses
Besucherorientierung ist ein Teil des Marketingprozesses von Kultureinrichtungen. Daher wird im Folgenden der Versuch unternommen, einige Interdependenzen, die sich zwischen Aspekten der Besucherorientierung und den fünf absatzpolitischen Instrumenten ergeben könnten, exemplarisch zu diskutieren (vgl. Koppelmann 2001, S. 14f.). Für jedes absatzpolitisches Instrument wird eine Kernthese zur besseren Erfüllung einer angestrebten Besucherorientierung genannt: • Produktpolitik: Besucherorientierung heißt sorgfältige Produktdefinition. • Kommunikationspolitik: Besucherorientierung erfordert eine produktspezifische Wortund Bildsprache. • Distributionspolitik: Besucherorientierung braucht Ubiquität. • Preispolitik: Besucherorientierung setzt eine flexible Preisgestaltung voraus. • Servicepolitik: Besucherorientierung und Servicepolitik sind nicht identisch. Diese fünf Thesen werden im weiteren Verlauf im Einzelnen vorgestellt und begründet.
3.1
Besucherorientierung heißt sorgfältige Produktdefinition
Es fällt Kultureinrichtungen nach wie vor schwer, ihre Leistungen als "Produkte" zu beschreiben (vgl. Hill / O’Sullivan / O’Sullivan 2003, S. 114). Natürlich sind kulturelle Angebote mehr als konsumierbare Produkte. In dem Moment, in dem ein Besucher jedoch einen Besuch in einer Kultureinrichtung plant oder durchführt, sind immer Merkmale gegeben, die produkthaft sind: Die Zusammenstellung eines Konzert- oder Theaterspielplanes geht beispielsweise über rein künstlerische Erwägungen hinaus, weil mit dem Spielplan Aboverträge erfüllt werden müssen oder Auslastungsziele verfolgt werden. Anerkennt man die produktartigen Gegebenheiten eines kulturellen Angebotes einmal, sollte für eine besucherorientierte Gestaltung gelten, dass die Angebote aus Sicht des Besuchers leicht verständlich und sprechend definiert werden (vgl. Vermeulen / Schwerdtfeger 2005, S. 38ff.). In einem Museum können Produkte beispielsweise differenziert formuliert werden. Die Grundleistungen eines Museums sind in der Regel als "freier Museumsbesuch", als "freier Museumsbesuch mit Audio-Guide" oder als "geführter Museumsbesuch" denkbar. Es bietet sich nun an, in allen drei Feldern, thematische Schwerpunkte zu bilden, die unterschiedlichen Besuchergruppen, unterschiedlichen Anspruchs- und (Vor-)Bildungsniveaus entsprechen. Normalerweise wird bisher in Kultureinrichtungen maximal zwischen erwachsenen Besuchern und kindergerechten Angeboten im Rahmen eines pädagogischen Programmes differenziert. Die Möglichkeiten, weitere Differenzierungen vorzunehmen, sind vielfältig. Touris-
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tische Anbieter haben diese Möglichkeit längst in Form von Stadtführungen als Kostüm-, Krimi-, Nacht-, Geschichtsführungen und vielem mehr entdeckt und ausgenutzt (vgl. Klein 2001, S. 197). Die Differenzierung von Produkten muss mit einer sprechenden, sogar blumigen Sprache einhergehen. Auch die Bezeichnung von Produkten ist Bestandteil einer Besucherorientierung, die es dem Adressaten ermöglicht, schon auf einer sprachlich-emotionalen Ebene zu identifizieren, ob ihm ein Angebot zusagt oder nicht. Selbstverständlich kann ein Zusatz "für Kenner", "für Anfänger" oder "für Experten" eine Museumsführung auf unterschiedlichen fachlichen Niveaus qualifizieren, aber in dieser Bezeichnung liegt bereits eine Wertung, die den einen oder anderen abstoßen kann. Ein Titel für eine Museumsführung, der etwa "Neugierig auf..." heißt, verdeutlicht schon durch die Wahl der Vokabeln, dass es hier eher um Vermittlung von Basiswissen auf dem Einsteigerniveau geht, ohne dass ein Vorwurf mangelnder Vorbildung mitschwingt. Ebenso weist ein eher wissenschaftlich-fachlich formulierter Titel auf das Gegenteil hin. Da Kultureinrichtungen von hochqualifiziertem, wissenschaftlich gebildetem Fachpersonal geleitet werden, ist es wichtig, als besucherorientierte Kultureinrichtung eine ebenso hoch qualifizierte Marketingabteilung zu unterhalten, die solche Aspekte mit in die Produktgestaltung einfließen lässt.
3.2
Besucherorientierung erfordert eine produktspezifische Wort- und Bildsprache
Die Kommunikation von Kulturangeboten kann vor dem Hintergrund der Definition von Produkten entwickelt werden. Die Kommunikationsmittel (Internet, Printmedien, elektronische und traditionelle Mailings, Radio- und Fernsehspots, Displays, Blow-ups und Schaufenster, usw.) sind bekannt (vgl. Müller- Hagedorn 1996, S. 190). Wichtiger scheint im Zusammenhang mit der Besucherorientierung zu sein, eine dem Produkt und seiner Zielgruppe adäquate Wort- und Bildsprache zu entwickeln. Auch im Rahmen der Corporate Identity einer Kultureinrichtung sollten daher Spielräume geschaffen werden, die es ermöglichen, unterschiedliche Wertigkeiten eines Angebotes beispielsweise für Experten von einem Angebot für Kinder- und Jugendliche auch optisch zu unterscheiden. Der Mix der kommunikativen Mittel einer besucherfreundlichen Kultureinrichtung ist darüber hinaus abhängig von den unterschiedlichen Zielgruppen, auf die die Produktschwerpunkte zielen. Neben den gestalterischen Aspekten der Kommunikationspolitik einer Kultureinrichtung ist es wichtig, die Einrichtung in allen Kommunikationsmitteln aus Sicht der Besucher darzustellen. Besucher nehmen die Einrichtung über die verschiedenen Leistungen und Angebote wahr. Häufig stellt man fest, dass Informationsbroschüren oder Internetseiten aber an der Aufbauorganisation einer Kultureinrichtung orientiert sind. Erster Ansatzpunkt sind somit Abteilungen, Sparten oder eine Gliederung nach hierarchischen Gegebenheiten. Die Struktur
344
Besucherorientierte Kultureinrichtungen
solcher Funktionen macht Außenstehenden aber nicht immer deutlich, was den Besucher im Einzelnen erwartet bzw. ob die Sparte oder Abteilung für einen Besucher relevant ist oder nicht. In der Außendarstellung sollten daher konkrete Leistungen und Angebote (Führungen, Veranstaltungen, buchbare Leistungen usw.) als Aufmacher für Publikationen hermachen.
3.3
Besucherorientierung braucht Ubiquität
Die Distributionspolitik ist mit der Preispolitik das am meisten vernachlässigte Marketinginstrument in der Kultur. Kultureinrichtungen scheinen sich noch immer häufig darauf zu verlassen, dass das Publikum von alleine kommt, wenn man nur ausreichend Werbung – die häufig mit "Marketing" gleichgesetzt wird – macht. Kooperationen mit Vertriebspartnern sind für eine besucherfreundliche Kultureinrichtung unerlässlich, um neben der – teuren – Direktansprache von Besuchern und Endkunden eine höhere Durchdringung des Marktes zu erzielen. Außerdem wird es durch Vertriebskooperationen möglich, zusätzliche Leistungen zu Angebotspaketen zusammen zu schnüren. Insbesondere Reiseveranstalter, Tourismus- und Marketinggesellschaften sowie Vertreter von Hotels und Gastronomie haben Interesse an solchen Leistungspaketen. Sie werten pauschale Reiseangebote bei relativ geringem zusätzlichem Aufwand erheblich auf. Für den Besucher erwachsen aus der Zusammenstellung in Paketen Synergien beim Buchungsvorgang. Das Kulturangebot wird leichter erhältlich und damit besucherfreundlicher. Mit der Entwicklung der verschiedensten Vertriebswege entsteht Ubiquität – die breitest mögliche Verfügbarkeit und Erhältlichkeit von Angeboten und Leistungen. Kulturangebote sind häufig mit immobilen Institutionen (Museum, Theater, usw.) verbunden. Distribution und Ubiquität richten sich in der Kultur daher vor allem auf die Erhältlichkeit von Eintrittskarten. Selbstverständlich muss am Ende immer der Besucher zu der Einrichtung kommen. Im Bereich von Bibliotheken gibt es aber beispielsweise schon häufig Ansätze zur Dezentralisierung zur Erhöhung der Ubiquität: Mit Stadtteilbibliotheken und Bibliotheksbussen wird der Versorgungsgrad erhöht. Auch wenn solche Möglichkeiten mit zunehmendem Grad der Immobilität von Kulturangeboten beispielsweise für bühnengebundene Angebote oder fest installierten Ausstellungen schwieriger werden, gibt es Ansätze für eine Erhöhung der Ubiquität. Ein Beispiel für eine Mischform einer kommunikativen und einer distributiven Maßnahme hat das Leipziger Bach-Museum in Form einer "Bauzaun-Ausstellung" in der baustellengeprägten Leipziger Innenstadt entwickelt. Die Sonderausstellung "mEin Bild von Bach" mit entsprechenden Hinweisen auf die Dauerausstellung wird zwischen Mai und Oktober 2007 am Leipziger Hauptbahnhof ausgestellt:
Dettloff Schwerdtfeger
345
Abb.1 Bauzaunausstellung "mEin Bild von Bach", Stiftung Bach-Archiv Leipzig
3.4
Besucherorientierung setzt eine flexible Preisgestaltung voraus
Kultureinrichtungen sind in den meisten Fällen subventionierte Einrichtungen. Preise werden in der Regel nach Kriterien der Sozialverträglichkeit, nach geltenden kommunalen Gebührensatzungen oder mit Blick auf einen bestimmten, angestrebten Kostendeckungsgrad gemacht. Die Systeme zur Kosten- und Leistungsrechnung sind schwach ausgeprägt. Das führt zu pauschalen Preisen, die der Besucher einerseits nicht "versteht" und die andererseits nicht transparent sind. Das sind offensichtlich keine besucherorientierten Systeme zur Preisgestaltung, sie setzen vielmehr an haushaltsrechtlichen Punkten an. Eine besucherorientierte Kultureinrichtung muss aber die institutionelle Freiheit zur Gestaltung ihrer Preise erhalten (vgl. Vermeulen 2005, S. 20ff.). Auslastungsschwankungen können periodisch im Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahrestakt auftreten. Mit Sonderpreisen in auslastungsschwachen Perioden (happy hour) kann man Besucherströme steuern oder gar generieren. Je kurzfristiger die Schwankungen auftreten, desto flexibler muss eine Kultureinrichtung daher bei der Gestaltung von Preisen und Preissystemen bleiben. Eine Kultureinrichtung, die dazu erst eine Satzungsänderung, einen Stadt-
346
Besucherorientierte Kultureinrichtungen
ratsbeschluss oder andere aufwendige Verfahren durchlaufen muss, verliert durch die Preisgestaltung nicht nur Einnahmen sondern auch die Möglichkeit, auf Bedürfnisse der Besucher anspruchsgerecht zu reagieren.
3.5
Besucherorientierung und Servicepolitik sind nicht identisch
Die Servicepolitik umfasst Nebenleistungen zu den angebotenen Hauptleistungen. Diese können entgeltlich oder unentgeltlich angeboten werden. Weiter oben wurde dazu beispielsweise ein Audio-Guide-System eines Museums vorgestellt. Ein anderes Beispiel ist die Berechtigung, mit einer Konzert- oder Theaterkarte die öffentlichen Verkehrssysteme einer Stadt oder eines Verkehrsverbundes zu nutzen. Das ist ein (besucherfreundlicher) Service. Solche zusätzlichen Angebote, die nicht unmittelbar mit der Nutzung des Kulturangebotes verbunden sind, aber die Bequemlichkeit deutlich erhöhen, können vielfältig entwickelt werden. Den Grad der Besucherfreundlichkeit einer Kultureinrichtung kann man allerdings nicht allein an der Quantität oder der Qualität der zusätzlichen Serviceleistungen messen. Besucherorientierung bedeutet eine umfassende, integrierte Konzeption, die die Gestaltung aller Marketinginstrumente unter dem Aspekt der Kunden- und Besucherfreundlichkeit umfasst. Damit werden die angebotenen Serviceleistungen zu einem wichtigen Teil einer Konzeption zur Besucherfreundlichkeit. Die Grenzen zwischen Besucherfreundlichkeit und Marketing verschwimmen im streng akademischen Sinne, wenn man, wie oben geschehen, Aspekte der Besucherorientierung quer zu den Instrumenten der Absatzpolitik und des Marketing setzt. Allerdings bestätigt sich ein zunehmend sich durchsetzendes Verständnis von einem umfassenden Marketingbegriff, der an der auf Dauer angelegten, partnerschaftlichen Gestaltung von Austauschbeziehungen zwischen unterschiedlichen Partnern ansetzt.73 Es ist wünschenswert, wenn Kultureinrichtungen generell die Techniken des Marketing in Ihre Überlegungen mit einbeziehen, um im Sinne der eigenen fachlichen Interessen dazu beizutragen, auf allen denkbaren Niveaus dem Publikum dort zu begegnen, wo es steht.
73
Siehe zum Marketingbegriff u.a. Koppelmann 2001, S. 3 und Meffert 2000, S. 8
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4
347
Literatur
Heinrichs, W.: Kulturmanagement. Eine praxisorientierte Einführung, 2. Auflage, Darmstadt 1999 Hill, E. / O'Sullivan, C. / O'Sullivan, T.: Creative Arts Marketing, 2. Auflage, Oxford 2003 Klein, A.: Kultur-Marketing. Das Marketingkonzept für Kulturbetriebe, München 2001 Koppelmann, U.: Produktpolitik. Entscheidungsgrundlagen für Produktmanager, 6. Auflage, Berlin et al. 2001 Meffert, H.: Marketing, Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung, 9. Auflage, Wiesbaden 2000 Müller-Hagedorn, L.: Einführung in das Marketing, 2. Auflage, Darmstadt 1996 Vanselow, E. / Goebel, E. / Kiel, H.-J.: Kosten- und Leistungsrechnung im Kultursektor. Die spezifische Betriebswirtschaft im Kulturamt und kommunalen Kultureinrichtungen, 2. Auflage, Helsa 2006 Vermeulen, P.: Preispolitische Strategien, Studienbrief im Weiterbildungsstudiengang Kulturmarketing, Hochschuleverbund Distance Learning, Brandenburg 2005 Vermeulen, P. / Schwerdtfeger, D.: Grundlagen des Produktmanagements, Studienbrief im Weiterbildungsstudiengang Kulturmarketing, Hochschuleverbund Distance Learning, Brandenburg 2005
Jürgen Preiß
Marketingcontrolling im Kulturbetrieb 1
Einleitung
2
Marketingcontrolling im Kulturbetrieb
3
Definition von Marketingcontrolling
4
Formen des Marketingcontrollings
5
Anwendungsbeispiele für die Kulturmanagementpraxis
5.1
Vertrieb
5.2
Werbung
5.3
Public Relations
6
Literatur
350
1
Marketincontrolling im Kulturbetrieb
Einleitung
In diesem Beitrag werden gleich zwei, in der Kultur immer noch vielfach kritisch betrachtete Managementdisziplinen behandelt. Marketing und Controlling. Marketing gehört im Kultursektor heute gewissermaßen zum guten Ton, dennoch kommt ihm leider häufig nur eine Alibifunktion zu. Controlling klingt ohnehin schon wie Kontrolle und konnte sich bisher nur schwer aus der Klammer der hierarchischen Verwaltungsmentalität öffentlicher Kulturbetriebe befreien. Beide Disziplinen für sich allein genommen, bieten bereits unverzichtbare Planungs- und Steuerungsmodelle, auf die heute kein Betrieb und somit auch kein Kulturbetrieb verzichten kann. In Zeiten wachsender Anforderungen an die Effizienz und Effektivität der eingesetzten Mittel und Ressourcen gewinnt somit auch das wichtige Handlungsfeld des „Marketingcontrolling“ an Bedeutung. Als Kulturmanager müssen Sie über den Einsatz knapper Finanzressourcen unter anderem auch für Maßnahmen des Marketings entscheiden. Dabei stellt sich regelmäßig die Frage welcher Einsatz in welche Maßnahme den höchstmöglichen Ertrag, sprich die maximale Wirkung erbringt. Das Wissen um die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel im Marketing liefert dem Management dazu wirkungsvolle Planungsdaten. Dies erfordert allerdings ein systematisches Vorgehen bei der Informationsgewinnung. Was landläufig vielfach herablassend mit „Erbsenzählerei“ abgetan wird, kann über ökonomischen Erfolg oder Misserfolg im Teilsystem Marketing und damit letztlich auch im Gesamtsystem eines Kulturbetriebes, einer Institution oder eines Projektes entscheiden. Wohlgemerkt über den ökonomischen und nicht über den künstlerischen Erfolg. Hierbei übernimmt die Ökonomie die Funktion des Lastesels der Kultur. Je kräftiger der Esel desto weiter bringt es die Kultur. Für solche Analysen sind allerdings selten Budgetposten und noch seltener Personalressourcen vorgesehen. Mancher hält es einfach für zu teuer. „Wenn das Marketingprogramm funktioniert, dann funktioniert es, und wir wissen es auch. Wenn es nicht klappt, dann eben nicht, und das wissen wir auch. Warum also Geld für Nachforschungen verschwenden?“ Eine Denkhaltung, die gewiss nicht nur in Kulturbetrieben anzutreffen ist. Dieser Beitrag liefert einen Überblick über die Bedeutung, Funktionen und Einsatzmöglichkeiten von Marketingcontrolling in Kulturbetrieben. Dabei ist es für die Praxis meist nicht so bedeutend, ob die strukturellen Voraussetzungen bestehen, sondern vielmehr, dass die grundlegende Denkweise beherzigt wird. Die allgemeinen Grundlagen des Controllings sowie Kennzahlsysteme sowie konkrete Planungs- und Steuerungsmodelle können hier aus Platzgründen nicht dargestellt werden. Dazu sei auf das Literaturverzeichnis verwiesen.
Jürgen Preiß
2
351
Marketingcontrolling im Kulturbetrieb
Wie lässt sich Marketingcontrolling in die Strukturen eines Kulturbetriebes integrieren? Und was kann Marketingcontrolling im Kulturbetrieb leisten? Eine eigene Stabsstelle Marketingcontrolling wird man im Kulturbetrieb wohl kaum finden. Dies macht auch keinen Sinn, da die Aufgaben hier besser dem Marketing direkt zugeordnet werden. Selbst dieses Ansinnen erscheint jedoch vermessen, sind doch bis heute weder Marketingabteilungen noch Controllingabteilungen selbstverständliche Bestandteile der Organisationsstrukturen von Kulturbetrieben. Die Vorteile von Controlling im Kulturbetrieb und damit auch eines spezifischen Marketingcontrollings, nämlich eine höhere Transparenz in Bezug auf die Prozesse der Leistungserstellung ebenso wie hinsichtlich der Ergebnisse liegen auf der Hand. Kritiker führen dagegen häufig die geringen Abbildungsmöglichkeiten der künstlerischen Leistungen im Rahmen derartiger „Kontroll-Instrumente“ an. Verkannt wird hier, dass es sich im Falle des Controllings ebenso wie in Bezug auf das Marketing vielmehr um Gestaltungsinstrumente handelt, die zusätzliche Freiräume für die Kulturschaffenden überhaupt erst sichtbar und damit auch nutzbar machen. Darüber hinaus liefert ein Berichtswesen im Sinne des Controllings Daten zur Legitimation der künstlerischen Arbeit jenseits von subjektiven Geschmacksurteilen und Vorlieben, denen sich auch Politiker nicht entziehen können. Bei einem Kulturbetrieb der als Non-Profit-Organisation arbeitet, wird das Gewinnstreben durch eine andere Zielvorgabe ersetzt. Hier steht nicht das quantitative Gewinnziel im Mittelpunkt, sondern etwa ein mit der Produktion verbundenes qualitatives, inhaltliches und oder künstlerisches Ziel. „Im Vordergrund der Arbeit öffentlich getragener oder subventionierter Kulturbetriebe steht also immer die möglichst optimale Realisierung ihrer jeweiligen künstlerischen, kulturellen, ästhetischen, bildungspolitischen usw. Zielsetzungen. Denn nur aus ihr heraus sind sie kulturpolitisch legitimiert und somit von dem Zwang befreit, gewinnorientiert arbeiten zu müssen. Damit ist der Grad der inhaltlichen bzw. ästhetischen Zielerreichung das entscheidende (wenn auch häufig nicht leicht zu fassende) Unterscheidungskriterium zwischen kommerziellem und nicht kommerziellem Kulturbetrieb“ (Klein 2003, S. 22). Nach COLBERT entspringt das kulturelle oder künstlerische Werk einer selbstverwirklichenden Kreativität, die nicht mit Effizienzkriterien zu messen ist (vgl. Colbert 1999, S. 13ff.). All dies entbindet aber nicht von der Verpflichtung zum effizienten Umgang mit öffentlichen Mitteln. Denn nur wer seinen Betrieb optimal führt, kann der gestellten Vermittlungsaufgabe und damit Künstlern und Publikum gerecht werden. Allerdings wird deutlich, dass Marketingcontrolling im öffentlich geförderten Kulturbetrieb nicht mit allen Parametern operieren kann. Der Entstehungsprozess des Werkes (Produkt) muss frei sein von Effizienzstreben. In der Praxis scheint dies eine hehre, nur selten vollständig erfüllbare Forderung zu sein, denn schließlich stehen gerade auch die öffentlich geförderten Anbieter von Kulturprodukten zunehmend mit anderen Angeboten sowie untereinander im Wettbewerb um die knappen Finanzmittel der öffentlichen Hand, aber auch um die knapper werdenden Zeit- und Finanzbudgets der potenziellen Kunden.
352
Marketincontrolling im Kulturbetrieb
An dieser Stelle soll auch nicht unterschlagen werden, dass gerade die kulturpolitische Praxis selbst, die tatsächlichen Vorteile dieser Steuerungsinstrumente nicht optimal würdigt. Dies mag zum einen daran liegen, dass sich in den Kulturbetrieben in der Vergangenheit mehrheitlich tatsächlich ineffektive und ineffiziente Strukturen und Abläufe etabliert haben, die jetzt nur schwer zu legitimieren sind. Zum anderen führt der Kostendruck gerade in den öffentlichen Haushalten häufig zu rigorosen Maßnahmen, die auf das Management im Kulturbetrieb nur wenig motivierend wirken. Unflexibles Besitzstandswahren führt mittelfristig jedoch zwangsläufig ins AUS. Gerade im Marketing, einem Bereich, in dem Ziele, Programme, Strategien und Produkte einem raschen Wandel der Rahmenbedingungen unterworfen sind, ist die kontinuierliche Analyse eben dieser Aspekte ein wichtiger Erfolgsfaktor. Jede Organisation und somit auch jede Kultureinrichtung sollte regelmäßig ihren Marktauftritt prüfen (vgl. Kotler / Scheff 1997, S. 460ff.). Dies sollte insbesondere hinsichtlich des Auftrages durch die Öffentliche Hand selbstverständlich sein. Denn schließlich gilt es hier die eigene Arbeit zu legitimieren und damit die eigene Existenz langfristig zu sichern. Marketingcontrolling bietet dazu ein weiteres, leistungsfähiges Instrumentarium aus der betriebswirtschaftlichen Praxis an.
3
Definition von Marketingcontrolling
„Marketingvorhaben müssen nicht nur geplant, sondern auch bei Ihrer Durchführung mit geeigneten Prüf-, Kontroll- und Feedbackinstrumenten gesteuert und regelmäßig auf ihre Angemessenheit im wirtschaftlichen, technologischen und sozialen Umfeld überprüft werden. Der Einsatz solcher Steuerungsinstrumente ist notwendig, weil bei der Umsetzung von Marketingplänen viele Möglichkeiten zu Fehlentwicklungen bestehen, die erkannt werden müssen und denen entgegengesteuert werden muss. Die Prüfung auf Angemessenheit sowohl der zugrunde liegenden Strategie als auch der Pläne und Maßnahmen ist notwendig, weil sich das Marketingumfeld ändert und das Unternehmen möglicherweise trotz effizientem Arbeiten die verkehrte strategische Richtung verfolgt. Ein systematisches Vorgehen ist hierbei wichtig, um sicherzustellen, dass die Marketingmaßnahmen und Marketingprozesse wirkungsvoll durchgeführt werden“ (Kotler / Bliemel 2001, S. 1273). Grundsätzlich ist das Controlling als abteilungs- bzw. bereichsübergreifendes Konzept zu verstehen. Somit erstrecken sich die Aufgaben des Controllings generell auch auf die koordinierte Informationsversorgung für die strategische und operative Marketingplanung, die Marketingorganisation, die Mitarbeiterführung im Marketingbereich sowie auf die Überwachung der Maßnahmen (Marketingkontrollen und -audits). Je nach Unternehmensorganisation übernimmt die Unternehmensführung diese Aufgabe selbst oder delegiert sie an die Controllingabteilung bzw. den Controller. Eine zunehmende Dezentralisierung der Entscheidungsprozesse in komplexen Unternehmensgebilden kann eine Dezentralisierung des Controllings für die jeweiligen Führungs-Subsysteme sinnvoll machen. Das Marketingcontrolling ist folglich als Bereichscontrolling ein Teilgebiet des gesamten betrieblichen Controllingsystems. Je größer ein Unternehmen, desto eher erfolgt eine Delegation der zur Führung, sprich zur Abstimmung der unternehmerischen Aufgabeninhalte, notwendigen Informations-
Jürgen Preiß
353
bereitstellung (vgl. Herrmann 2004, S. 37). „Ebenfalls mit der Unternehmensgröße und Aufgabenspezialisierung wächst die Neigung, aus dem zentralen Controlling Teilgebiete auszugliedern und bereichsbezogen zu definieren. Ein solches Bereichscontrolling stellt das Marketingcontrolling dar (wie z. B. auch das FuE-Controlling, das Logistikcontrolling oder das Produktionscontrolling). Es soll eine gezielte Informationsunterstützung für alle Funktionen und organisatorischen Verantwortungsebenen des Marketingmanagements bewirken. Da der Grundgedanke des (Absatz-)-Marketing darin besteht, für die Unternehmung eine konsequente Orientierung an bestehenden und potenziellen Kunden sowie an Konkurrenzbedingungen herbeizuführen und auf diese Weise langfristige Erfolgsmöglichkeiten zu sichern, stehen für das Marketingcontrolling derzeitige und künftige Produkt-Markt-Beziehungen im Vordergrund. Die benötigten Informationen für die Planung, Organisation, Mitarbeiterführung und Überwachung beziehen sich im Kern auf Produkte, Marketing-Mix-Maßnahmen, Marktareale, Nachfrager und Wettbewerber; und zwar in längerfristig-strategischer wie auch in operativer Hinsicht“ (Köhler 2002, S. 1244). Definition: „Das Marketingcontrolling dient der Unterstützung der Führungsverantwortlichen im Marketing bei Entscheidungen, die die aktuellen und zukünftigen Beziehungen zwischen Unternehmen und Umwelt betreffen. Um eine fundierte und zielgerichtete Entscheidungsvorbereitung sicherzustellen, muss durch das Marketingcontrolling eine umfassende Informationserfassung, -aufbereitung und –darstellung sichergestellt werden“ (Reichmann 2001, S. 356). Marketingcontrolling nimmt innerhalb des umfangreichen Aufgabenspektrums von Controlling eine gewisse Sonderrolle ein. Diese ist zum einen in der Notwendigkeit begründet, dass Daten des internen Rechnungswesens mit Daten der externen Marktforschung kombiniert werden müssen und dass vor allem nicht-monetäre Zielgrößen zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus macht gerade das dynamische Marktgeschehen häufig Korrekturen bestehender Pläne und Zielgrößen erforderlich, wodurch kontinuierlichen Soll-Ist-Vergleichen, Analysen von Abweichungen sowie Hinweisen auf geeignete Anpassungsmaßnahmen aus dem Marketingcontrolling bisweilen entscheidende Bedeutung beizumessen ist (vgl. Meffert 2000, S. 1129). Dabei hat auch das Marketingcontrolling die controllingimmanenten Aufgaben der Planung, Information, Analyse und Kontrolle sowie Koordination und Steuerung zu erfüllen. Dies erfolgt auf Bereichsebene und ist mit den über- und nebengeordneten Unternehmensebenen zu koordinieren bzw. abzustimmen. Wie bereits angedeutet bezieht sich die Kontrollaufgabe sowohl auf das Ergebnis, also die Kontrolle von Erfolg und Effizienz als auch auf die Kontrolle der Durch- und Ausführung geplanter Aktivitäten.
354
4
Marketincontrolling im Kulturbetrieb
Formen des Marketingcontrollings
Es wird zwischen strategischem und das operativem Marketingcontrolling unterscheiden. Im Vordergrund des strategischen Marketingcontrollings steht die Frage: Wie effektiv ist das Marketing im Hinblick auf die Zielsetzung? Hierzu liefert ein „strategisches Marketinginformationssystem“ die Basisinformationen für die Arbeit mit Planungs- und Kontrollinstrumenten wie zum Beispiel der SWOT-Analyse oder einer Geschäftsfeldmatrix dar. Kennzahlen verdichten die bisweilen unüberschaubaren Datenmengen aus dem Berichtswesen und der Marktforschung zu aussagestarken Größen. Bei der Auswahl der jeweils zu überwachenden Kennzahlen ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass diese den Charakter von Indikatoren für die Erfolgsgrößen des Marketingbereichs haben. Trotz einer deutlichen Marktorientierung und Ausrichtung am Absatz, lassen sich alle Instrumente auch für den Kulturbetrieb nutzbar machen, indem qualitative Zielgrößen formuliert und als Indikatoren für den Erfolg der Organisation genutzt werden. Davon abgesehen muss natürlich auch ein Kulturbetrieb bestimmte (Budget-)Planungen einhalten die sich an monetären Größen orientieren. Im Kulturbetrieb, zumal im öffentlich geförderten Sektor, steht naturgemäß weniger der Marktbezug im Vordergrund der Steuerung und Zielsetzung. Hier ist es die Steuerung von Erfolgspotenzialen im Sinne des öffentlichen Auftrages und der Zielsetzung der Institution, die im Mittelpunkt steht. Gleichwohl handelt es sich in der Ausprägung auch hier teilweise um, im betriebswirtschaftlichen Sinne „handfeste“ absatz- und marktbezogene Engpassfaktoren, die es zu erfassen und zu gestalten gilt. Während das strategische Marketingcontrolling den Blick vor allem auf die Umwelt und externe Einflussfaktoren richtet, fasst das operative Marketingcontrolling stärker die internen Vorgänge einer Budgetperiode ins Auge. Die Hauptaufgabe des operativen Marketingcontrollings liegt damit in der Steuerung und Überwachung der Marketingaktivitäten sowie der Analyse von Abweichungsursachen und der Initiierung von Korrektur- bzw. Anpassungsmaßnahmen. Das operative Marketingcontrolling richtet sich somit auf die Überprüfung der Ergebniswirksamkeit der • Preis- und Kontrahierungspolitik (Überwachung der Einhaltung von SollDeckungsbeiträgen für die jeweiligen Produkte und Produktgruppen) • Distributionspolitik (Überprüfung der Absatzkanäle, neben Kosten-, Deckungsbeitragsund Investitionsrechnung sind hier auch qualitative Aspekte wie z.B. die Wachstumschancen einzelner Vertriebswege zu berücksichtigen) • Kommunikationspolitik (Kosten- und Terminkontrolle der Durchführung sowie Überprüfung der Wirksamkeit (Effektivität und Effizienz) der eingesetzten Maßnahmen) • Produktpolitik (Überwachung der Produktqualität insbesondere auch der Produktnebenleistungen wie Service und Kundenbindung).
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5
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Anwendungsbeispiele für die Kulturmanagementpraxis
Dieser letzte Abschnitt soll Ihnen anhand konkreter Beispiele einen Einblick in die Praxis des Marketingcontrollings geben. Die Beispiele konzentrieren Sie dabei vor allem auf den Bereich des operativen Marketingcontrollings, da dieser zunächst praxisnäher und anwendungsfreundlicher, gerade auch im Hinblick auf den Einsatz im kulturellen Umfeld erscheint.
5.1
Vertrieb
Für Museen, Ausstellungshäuser sowie für Theater, Festivals Opern- und Konzerthäuser gilt es eine effiziente Vertriebsstruktur für den Vertrieb von Eintrittskarten zu organisieren. Diese Forderung ist sogar unabhängig von jedem Streben nach Absatzmaximierung. Denn der Eintrittskartenvertrieb verursacht stets einen gewissen Aufwand, den es wiederum zu minimieren gilt. Dabei darf allerdings ein gesetztes (Auslastungs- oder Einnahme-) Ziel nicht vernachlässigt werden. Es ist also stets zu prüfen, ob die genutzten Vertriebskanäle (Abendkasse, lokale Vorverkaufstelle, überregionales Ticketvertriebsnetz, Ticket-Hotline, Onlinevertrieb etc.) im Hinblick auf die jeweilige Zielsetzung effizient sind. Die Absatzsegmentrechnung bietet in diesem Zusammenhang ein ausgezeichnetes Instrument für das Marketingcontrolling. Folgendes (fiktives) Beispiel (s. Abb.1) soll dies verdeutlichen. Durch die Zusammenstellung der Daten in der Absatzsegmentrechnung ergibt sich anschaulich ein Bild vom Zielbeitrag, den der jeweilige Vertriebskanal leistet. Dabei ist entscheidend, dass die relativen Einzelkosten (s.o) der jeweiligen Bezugsgrößenhierarchie zugeordnet werden. Im Beispiel zeigt sich dadurch, dass insbesondere das Ticketnetz B nur einen minimalen Bruttosegmentbeitrag leistet und sogar einen negativen DB I aufweist. Im Vergleich mit den Kostenpositionen der anderen Vertriebskanäle ergeben sich Hinweise auf erforderliche Steuerungsmaßnahmen. Im Falle der Ticketnetzes B z.B. eine deutliche Senkung der Lizenzkosten oder ein Steigerung der Nettoumsätze.
356
Marketincontrolling im Kulturbetrieb
Abb.1 Absatzsegmentrechnung für die Absatzkanäle eines Festivals (in Anlehnung an Meffert 2000, S. 1148)
5.2
Werbung
Werbung ist kein Selbstzweck sondern hat die Aufgabe zur Erreichung realistischer, spezifischer und messbarer Unternehmens- und Marketingziele beizutragen. Mit dem „WerbeControlling“ soll überprüft werden, ob und wie erfolgreich eine Werbeaktion ist bzw. war. Der Einsatz von Werbewirkungskontrollen ermöglich dadurch Rückschlüsse darüber, ob es sinnvoll erscheint eine eingeschlagene Richtung weiterzuverfolgen und ob die konzeptionellen Ideen, die eingesetzten Werbemittel und Werbeträger harmonieren oder kontraproduktiv sind. Darüber hinaus können damit die, mit bestimmten Werbeaktivitäten anzusprechenden psychischen Einflussfaktoren in Bezug auf das Verhalten der (potenziellen) Kunden besser eingeschätzt werden. Somit führen Werbewirkungskontrollen auch zu einer genaueren Ausgangssituation für die Planung und Steuerung zukünftiger Werbemaßnahmen. Als ein Indikator gilt beispielsweise die Response-Quote, die angibt wie viele Interessenten auf eine Aktion in der gewünschten Form reagieren. Dabei lässt sich das Kosten-NutzenVerhältnis präzise anhand der bekannten (Versand-)Auflage und der leicht messbaren Res-
Jürgen Preiß
357
ponse kontrollieren. Sinnvoll erscheint hierbei stets eine source-of-business Abfrage, d.h. die Ermittlung über welche Werbemaßnahme ein Kunde zum Besuch animiert wurde. Die Frage, ob das in eine bestimmte Kommunikationsmaßnahme investierte Geld eine höhere Wirkung pro investiertem Werbeeuro ermöglicht als bei einem anderen Kommunikationsinstrument, lässt sich quantitativ auf Basis des so genannten Tausender-Kontakt-Preises (TKP) ermitteln, der die Kosten für das Erreichen von tausend Personen angibt. Dieser ist je nach Zielgruppe und Kontaktart unterschiedlich hoch. Die TKP-Werte steigen dabei von den niedrigsten für Online-Werbung über Hörfunkwerbung bis zu den höchsten für persönliche Kundenkontakte an. Dazwischen liegen die Werte für Printwerbung, Pressearbeit, Direktmailing sowie Promotion und andere Kommunikationsmaßnahmen.
Formel:
TKP = Kosten dividiert durch Reichweite mal Tausend
Beispiel:
Die Anzeige im Werbemedium soll 5.000,- € kosten und die vom Verlag angegebene Kontaktzahl pro Ausgabe beträgt 100.000. 5.000 €
x 1.000 = TKP 50,- €
100.000 Kontakte
Abb.2 Berechnungsbeispiel Tausender- Kontakt- Preis (eigene Darstellung)
Ein rein quantitativer Vergleich von Responsewerten oder TKPs, etc. verschiedener Medien vernachlässigt allerdings qualitative Aspekte der Gestaltung sowie das Ausmaß bereits bestehender Bindungen und Sympathien der Empfänger an bzw. für den Absender und dessen Angebot sowie Wechselwirkungen mit anderen Kommunikations- und Marketingmaßnahmen im Maßnahmen-Mix. Die Ergebnisse einer solchen Analyse liefern dennoch wertvolle Anhaltspunkte und „Benchmarks“ für die Auswahlentscheidung.
5.3
Public Relations
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist ein Aktionsfeld, das gerade im Kulturbetrieb intensiv genutzt wird. Ein Grund ist die landläufige Meinung, dass Pressearbeit geringere Kosten verursacht, als andere Kommunikationsinstrumente. Doch Pressearbeit ist nicht gleich Pressearbeit. Jeder Öffentlichkeitsarbeiter muss sich heute an seinen Erfolgen messen lassen. Dazu dient in der Regel eine Medienresonanzanalyse in Form von Clippings, also zunächst einmal der rein quantitativen Erfassung der Abdruckergebnisse. Diese lassen sich dann z.B.
358
Marketincontrolling im Kulturbetrieb
mit den Auflagenzahlen und Anzeigenpreisen in Form eines Werbeäquivalenzwertes monetär bewerten und über inhaltliche Auswertungen hinsichtlich der Imagewirkung etc. qualifizieren. Zur Steuerung einer effektiven, d.h. an einem vorher festgelegten Ziel orientierten Öffentlichkeitsarbeit gilt es jedoch auch herauszufinden, welche Botschaften und welche Medien geeignete Kanäle für diese sind. Als erstes Konzerthaus Deutschlands führte dazu beispielsweise das Leipziger Gewandhaus 2002 eine zweistufige Analyse seines Medienimages durch und übernahm damit eine Vorreiterrolle unter den Kulturbetrieben. Das Progressive daran: Der Analyse der Medieninhalte folgte in enger Verzahnung eine systematische Befragung von Kulturjournalisten. In einem ersten Schritt untersuchte ein so genannter Ausschnittdienst, welches Image die Journalisten durch ihre Berichterstattung zum Gewandhaus und seinem Orchester transportieren. Anschließend wurden die Einstellungen der Journalisten gegenüber den beiden Kulturinstitutionen analysiert. Das Gewandhaus verließ damit den Bereich der vagen Vermutungen über die Wahrnehmung einer Kulturinstitution bei Multiplikatoren und ermöglichte eine detaillierte Qualifizierung der eigenen PR-Arbeit, die ihrerseits die Basis für eine zielgerichtete Ansprache der Meinungsbildner ist. Als nächstes wurde untersucht, wie die Kulturjournalisten zum Gewandhaus stehen. Wie bewerten sie seine PR-Aktivitäten? Gibt es Determinanten für die Imagebildung? Wenn ja: welche? Passt das Selbstbild des Gewandhauses zum ermittelten Fremdbild? Um dies herauszufinden, wurden 42 Kulturjournalisten in standardisierten Telefoninterviews befragt. Zur Hypothesenbildung wurden die Ergebnisse der Medienanalyse herangezogen und explorartive Expertengespräche mit Vertretern des Gewandhauses insbesondere dem Pressesprecher geführt. Auf der Basis der so gewonnen Erkenntnisse wurden die zu prüfenden Hypothesen gebildet und das Design des Selbst- und Fremdbildfragebogens entworfen. Die Ergebnisse ermöglichen dem Haus nun eine stringente Ableitung von Maßnahmen zur zielgerichteten Imagesteuerung bei den Kulturjournalisten (vgl. Klingler 2004, S. 12f.). Die Handlungsfelder des Marketingcontrollings sind noch um ein vielfaches umfangreicher als sich dies an dieser Stelle ausführen lässt. Dem geneigten Leser sei daher das Studium der einschlägigen Fachliteratur empfohlen.
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6
359
Literatur
Baron, G.: Schritt für Schritt zur erfolgreichen Mailing-Aktion, Ettlingen 2003 Bornemann, H.: Controlling heute – Einführung in die Praxis mit Fallbeispielen, 2. Auflage, Wiesbaden 1986 Colbert, F.: Kultur- und Kunstmarketing – ein Arbeitsbuch, Wien 1999 Deutscher Städtetag: Perspektiven für die Theater und Orchester in öffentlicher Verantwortung, Köln 1994 Ehrmann, H.: Marketing-Controlling, 4. Auflage, Ludwigshafen (Rhein) 2004 Fischer, G.: Direktmarketing-Aktionen: Planen, Rechnen, Kalkulieren, Ettlingen 1999 Horvárth & Partner (Hrsg.): Das Controllingkonzept, Der Weg zu einem wirkungsvollen Controllingsystem, München 1995 Klein, A.: Besucherbindung im Kulturbetrieb, Wiesbaden 2003 Klier, E.: Kein Controlling ohne effiziente Planung und ein leistungsfähiges Rechnungswesen, in: TheaterManagement aktuell, 2. Jg., Nr. 4, S. 4-7,1997 Klingler, J.: Gewandhaus zu Leipzig: Sinfonia Progressiva in zwei Sätzen, in: Theatermanagement aktuell, Nr. 32, 8. Jg., S. 12f., September -November 2004 Kotler, P.: From Sasles Obsession to Marketing Effectiveness, in: Harvard Business Review, November -December 1977 Kotler, P. / Scheff, J.: Standing Room Only – Strategies for Marketing the Performing Arts, Boston 1997 Kotler, P. / Bliemel, F.: Marketing-Management, 10. Auflage, Stuttgart 2001 Köhler, R.: Beiträge zum Marketing-Management, 3. Auflage, Stuttgart 1993 Köhler, R.: Marketing-Controlling, Konzepte und Methoden, in: Reinecke, S. / Tomczak, T. / Dittrich, S.; Marketingcontrolling, St. Gallen 1998 Köhler, R.: Marketingcontrolling, in: Küpper, H.- U. / Wagenhofer A. (Hrsg.): Handwörterbuch Unternehmensrechnung und Controlling, 4. Auflage, Stuttgart 2002 Küppers, H.-G.: Selbständigkeit der Theater – Abhängigkeiten von der formellen und materiellen Organisation, in: Nix, C. (Hrsg.): Das Theater und sein Erfolg, Küpper, H.-U.: Controlling, 3. Auflage, Stuttgart 2001 Meffert, H.: Marketing, 9. Auflage, Wiesbaden 2000 Nowicki, M.: TheaterManagement, Hamburg 2000
360
Marketincontrolling im Kulturbetrieb
Pawlowsky-Flodell, C.: Kulturmanagement als Methode - Berichtswesen als Führungsinstrument, in: Siebenhaar / Pröhl / Pawlowsky-Flodell (Hrsg.): Kulturmanagement: Wirkungsvolle Strukturen im kommunalen Kulturbereich, Gütersloh 1993 Preiß, J.: Grundlagen des Marketingcontrollings, HDL, Hochschulverbund Distance Learning, 2006 Preiß, J.: Dokumentation Kultursponsoring 2003, in: TheaterManagement aktuell, 2003 Reichmann, T.: Controlling mit Kennzahlen und Managementberichten, 6. Auflage, München 2001 Röper, H.: Handbuch Theater-Management, Köln 2000 Scheytt. O.: Führung durch Leitlinien und Zielvereinbarungen, in: Nix, C. (Hrsg.): Das Theater und sein Erfolg, Giessen 2004 Schneidewind, P.: Entwicklung eines Theater-Managementinformationssystems, Frankfurt a. M. 2000 Schneidewind, P.: Controlling im Kulturbetrieb, in: Klein, A. (Hrsg.): Kompendium Kulturmanagement, München 2004 Schröder, E.: Modernes Unternehmenscontrolling – Handbuch für die Unternehmenspraxis, 7. Auflage, Ludwigshafen (Rhein) 2000 Schröder, H.: Marketing – erfolgreich planen und praktizieren, Planegg / München 1990 Schwarzmann, W.: Entwurf eines Controllingkonzepts für deutsche Musik und Kulturorchester in öffentlicher Verantwortung, Aachen 2000 Weber, J.: Einführung in das Controlling, Stuttgart 1995 Wöhe, G.: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 20. Auflage, München 2000 Ziegenbein, K.: Kompakt-Training Controlling, 2. Auflage, Ludwigshafen (Rhein) 2001 Ziegenbein, K.: Controlling, 7. Auflage, Ludwigshafen (Rhein) 2002
Teil VI Blickrichtung Beschaffung
Thomas Bartscher / Anne Huber
Personalbeschaffung 1
Einleitung
2
Wesen, Funktionen und Besonderheiten der Personalbeschaffung
3
Personalbeschaffung als strategische Marketingaufgabe (Personalmarketing)
4
Märkte und Wege der Personalbeschaffung
4.1
Interne Personalbeschaffung
4.2
Externe Personalbeschaffung
5
Der Marketing-Mix in der Personalpolitik
5.1
Aufgabe, Anforderungen und Instrumente der Produktpolitik
5.2
Aufgaben, Anforderungen und Instrumente der Preispolitik
5.3
Aufgabe, Anforderungen und Instrumente der Distributionspolitik
5.4
Aufgabe, Anforderungen und Instrumente der Personalkommunikation
5.5
Personalbeschaffung und Internes Marketing
6
Der Personalauswahlprozess
6.1
Bewerbungseingang und Bewerbungsanalyse
6.2
Bewerberauswahl
7
Literatur
364
1
Personalbeschaffung
Einleitung
Die Mitarbeiter sind ein entscheidender Erfolgsfaktor in jedem Betrieb. Zufriedene Mitarbeiter, die sich mit dem Betrieb identifizieren können, tragen wesentlich zum unternehmerischen Erfolg bei. Kulturbetriebe sind ganz besonders abhängig von ihren Mitarbeitern, die mit ihrer individuellen Leistung die Leistungsfähigkeit des Unternehmens maßgeblich bestimmen. Darum ist es enorm wichtig, geeignete Mitarbeiter zu finden, die zum Unternehmen und zur zu besetzenden Stelle passen. Jedes Unternehmen hat seine eigene Unternehmenskultur, in die sich die Mitarbeiter einfügen müssen. Es ist außerdem von Bedeutung, Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Das beinhaltet eine innere Bindung des Mitarbeiters an das Unternehmen herzustellen. Zu den wichtigsten Aufgaben der betrieblichen Personalarbeit zählt das Gewinnen und Binden qualifizierter Mitarbeiter, die zum Betrieb passen.
2
Wesen, Funktionen und Besonderheiten der Personalbeschaffung
Unternehmen denken immer dann über Personalbeschaffung nach, wenn die bestehenden und zukünftigen Aufgaben nicht mehr mit dem vorhandenen Personal abgedeckt werden können, beispielsweise weil neue Qualifikationen notwendig sind, die die bestehenden Mitarbeiter nicht einbringen können, oder weil neue Aufgaben eine größere Anzahl von Mitarbeitern erforderlich machen: Es entsteht Personalbedarf. Aufgabe der Personalbeschaffung ist es, einen vorhandenen Personalbedarf zu decken, indem sie dafür sorgt, dass das Unternehmen über Mitarbeiter • • • •
mit den notwendigen Qualifikationen in der genauen Anzahl zum passenden Zeitpunkt am richtigen Ort
verfügen kann (vgl. Wagner / Bartscher / Nowak 2002, S. 33). Die Personalbeschaffung ist damit von entscheidender Bedeutung für Unternehmen im Allgemeinen und Kulturbetriebe im Speziellen. Wie bereits in der Einleitung festgestellt wurde, sind die Mitarbeiter der zentrale Erfolgsfaktor in Kulturbetrieben. Deren wirtschaftlicher Erfolg ist davon abhängig, inwiefern die Erwartung der Kunden bzw. der Besucher erfüllt werden. Kundenzufriedenheit entsteht unter anderem dann, wenn die Erwartungen an die Leistung erfüllt werden konnten. In Kulturbetrieben sind es die Mitarbeiter, die diese Leistung erbringen. Sie wird von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst, • vom Design des Arbeitsplatzes, • von der Ausstattung mit den notwendigen Ressourcen, zu denen unter anderem die Arbeitsmittel und die Arbeitszeit zählen,
Thomas Bartscher / Anne Huber
365
• von der Unterstützung durch die Führungskräfte, • von einem geeigneten Konsequenzensystem, das gute Leistungen belohnt und Minderleistung sanktioniert, • von klar definierten Zielen, die messbar machen, wann Erfolge erreicht werden, • von einem funktionierenden Feedbacksystem, das den Mitarbeitern Rückmeldung über die Qualität ihrer Leistung gibt sowie • von den Führungskräften, die für die Mitarbeiter sowohl Ermöglicher als auch Steuerer sind, indem sie einerseits die Leistungserbringung ermöglichen und andererseits die Mitarbeiter zielorientiert führen (vgl. Wittkuhn / Bartscher 2001, S. 183–210). Über die Personalbeschaffung soll sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter die notwendige Leistungsfähigkeit und den Leistungswillen einbringen. Die Personalbeschaffung übernimmt in diesem Zusammenhang eine strategische Marketingaufgabe.
3
Personalbeschaffung als strategische Marketingaufgabe (Personalmarketing)
Sprechen Unternehmen von Personalmarketing, dann bedeutet das, den Marketinggedanken auf das Personalwesen zu übertragen. Dadurch eröffnen sich ihnen neue Möglichkeiten und Strategien in der Personalarbeit, um insbesondere ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern (vgl. Schwan / Seipel 1994, S. 7–14): Personalmarketing fasst die Verhaltens- und Vorgehensweisen in einem Unternehmen zusammen, die sich an den Bedürfnissen und Interessen der Mitarbeiter orientieren. Es zielt sowohl auf die bereits in den Betrieben vorhandenen Mitarbeiter als auch auf potenzielle Mitarbeiter am Arbeitsmarkt. Beide werden bei diesem Ansatz als „Kunden“ betrachtet, wobei die Prozesse und Dienstleistungen des Personalwesens letztlich an den Kundenbedürfnissen ausgerichtet werden. Damit geht einher, dass nicht nur der Personalleiter oder die mit Personalaufgaben betraute Führungskraft für personalwirtschaftliche Fragen zuständig ist, sondern jeder Manager, Abteilungsleiter oder Projektleiter hat Personalverantwortung zu tragen und gestaltet daher personalrelevante Prozesse mit. Personalmarketing bedeutet jedoch auch eine ganzheitliche, systematische Betrachtung des Personalwesens mit seinen einzelnen Handlungsfeldern und den in ihnen ablaufenden Prozessen. Zu diesen Handlungsfeldern zählen: • • • • • • •
Personalplanung Personalbeschaffung und -auswahl Personaleinsatz Personalentwicklung Personalfreisetzung Personalentlohnung Personalpolitik.
366
Personalbeschaffung
Personalmarketing endet also nicht mit der Personalbeschaffung, sondern stellt die Arbeitsleistung in ein integriertes System organisationsexterner und –interner arbeitnehmerbezogener Maßnahmen. Der Gedanke des Personalmarketing ist von strategischen Zügen geprägt und kann daher auch als strategisches Personalmanagement betrachtet werden. Dabei bekommen die Mitarbeiter strategische Bedeutung für das Unternehmen. Beim Personalmarketing steht der Mensch im Mittelpunkt. „Personalmarketing ist die bewusste und zielgerichtete Anwendung personalpolitischer Instrumente zur Akquisition von zukünftigen und Motivation von gegenwärtigen Mitarbeitern“ (Scholz 2000, S. 417). Es geht darum, Motivation beim Mitarbeiter zu erzeugen, damit sich dieser in höchstmöglichem Maße dafür einsetzt, die unternehmerischen Ziele zu erreichen. Eine wichtige Aufgabe des Personalmarketing ist es, ein positives Personalimage (auch: Arbeitgeberimage) des Betriebes herzustellen (vgl. Büdenbender / Strutz 1996, S. 278). Es beinhaltet vor allen Dingen eine qualitative Einschätzung des Unternehmens als Arbeitgeber. Je attraktiver ein Unternehmen am Arbeitsmarkt wahrgenommen wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass potenzielle Mitarbeiter sich bei dem jeweiligen Unternehmen bewerben. Über die mitarbeitergerechte Ausgestaltung der Handlungsfelder des Personalmarketings kann das Personalimage positiv beeinflusst werden.
4
Märkte und Wege der Personalbeschaffung
Die Kulturmanagement GmbH benötigt einen qualifizierten Projektleiter, der die Akquisition neuer Kulturprojekte übernimmt. Personalleiter Müller überlegt, wie die Stelle des Projektleiters am besten zu besetzen wäre. Erst vor wenigen Tagen hat ihm Herr Schmidt, der seit sieben Jahren in der Vertriebsabteilung der Kulturmanagement GmbH tätig ist, von seinen Überlegungen zur Zukunft der Kulturmanagement GmbH erzählt. Seit diesem Gespräch überlegt Personalleiter Müller, ob Herr Schmidt für die Stelle des Projektleiters geeignet wäre. Einerseits passen seine Überlegungen sehr gut mit den strategischen Plänen der Geschäftsführung zusammen. Andererseits weiß Personalleiter Müller auch, dass es auf dem Arbeitsmarkt eine Vielzahl qualifizierter Bewerber für die Stelle des Projektleiters gibt. Personalleiter Müller muss nun zwischen interner und externer Personalbeschaffung abwägen, wie Abbildung 1 zeigt.
Thomas Bartscher / Anne Huber
367
Personalbeschaffung Externe Personalbeschaffung
Interne Personalbeschaffung • • •
• • • • •
Innerbetriebliche Stellenausschreibung (Versetzung) Abordnung Mehrarbeit
Stellenanzeigen Öffentliche Einrichtungen Personalberater Hochschulmarketing Drittpersonaleinsatz
Abb.1 Märkte und Wege der Personalbeschaffung (eigene Darstellung)
4.1
Interne Personalbeschaffung
Bei der internen Personalbeschaffung wird eine offene Stelle mit einem Mitarbeiter besetzt, der bereits im Unternehmen beschäftigt ist. Besonders für größere Betriebe eignet sich die interne Personalbeschaffung, da hier eine reelle Möglichkeit für die Mitarbeiter besteht, sich in einer neuen Position zu verwirklichen. Auf Grund der Strukturen klein- und mittelständischer Betriebe, zu denen in der Regel auch Kulturbetriebe gehören, sind die Möglichkeiten für eine Versetzung beschränkt. Für sie eignet sich beispielsweise das Modell der job rotation. Abbildung 2 fasst die Argumente für und gegen die interne Personalbeschaffung zusammen.
Interne Personalbeschaffung Nachteile
Vorteile + + + +
Kürzere Einarbeitungszeit Motivation für die Mitarbeiter Kostengünstigere Variante Zeitsparende Variante
− − − − −
Betriebsblindheit des Mitarbeiters Neue Impulse fehlen Bisheriger Vorgesetzter ist enttäuscht Schlechte Mitarbeiter werden „weg-gelobt“ Personalbedarf wird nur verlagert
Abb.2 Vor- und Nachteile der internen Personalbeschaffung (eigene Darstellung)
368
Personalbeschaffung
Möglichkeiten der internen Personalbeschaffung sind • die innerbetriebliche Stellenausschreibung und • die Mehrarbeit.
4.2
Externe Personalbeschaffung
Personalleiter Müller ist sich nicht sicher, ob Herrn Schmidt, der bereits seit einigen Jahren bei der Kulturmanagement GmbH beschäftigt ist, wirklich der am besten geeignete Bewerber für die Stelle des Projektleiters ist. Er überlegt daher, ob der Weg der externen Personalbeschaffung für die Stelle des Projektleiters in Frage kommen würde. Bei der externen Personalbeschaffung werden Mitarbeiter über den unternehmensexternen Arbeitsmarkt rekrutiert. Hier treffen Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften aufeinander. Der externe Arbeitsmarkt ist breit gefächert: Handelt es sich um eine Position mit geringen Spezialisierungsniveau, so kann das Unternehmen auf dem lokalen Arbeitsmarkt fündig werden. Je spezialisierter die Qualifikationen sind, die für die Position notwendig sind, desto weiter reicht der externe Arbeitsmarkt – vom nationalen bis hin zum internationalen Arbeitsmarkt. Informationen dazu sind über vielfältige Quellen zu beziehen, wie etwa: • Analysen der Bundesagentur für Arbeit (www.iab.de) • die Industrie- und Handelskammern (www.ihk.de) • Untersuchungen der Wirtschaftsinstitute (z.B. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin; Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, www.iw-koeln.de) Durch die sorgfältige Analyse des Arbeitsmarktes ist es möglich, von Anfang an gezielte Beschaffungsmaßnahmen auszuwählen. Von wesentlichem Einfluss bei der externen Personalbeschaffung ist das bereits erwähnte Personalimage eines Unternehmens. Herrn Müller von der Kulturmanagement GmbH sind Vor- und Nachteile der externen Personalbeschaffung, wie sie Abbildung 3 zusammenfasst, bekannt.
Thomas Bartscher / Anne Huber
369
Externe Personalbeschaffung Nachteile
Vorteile + + +
Neue Impulse und neues Wissen kommen ins Unternehmen Bereicherung durch Erfahrungsschatz des neuen Mitarbeiters größere Wahlmöglichkeiten
− − −
Kostenintensiv Zeitintensiv Längere Einarbeitungszeit
Abb.3 Vor- und Nachteile der externen Personalbeschaffung (eigene Darstellung)
Mögliche Wege der externen Personalbeschaffung sind: • Stellenanzeigen (z.B. in Tagezeitungen, Fachzeitschriften oder Internet-Stellenmärkten) • Öffentliche Einrichtungen (z.B. Bundesagentur für Arbeit, Deutsche Angestellten Akademie, Berufliche Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft) • Personalberater (auf Personalberatung spezialisiert) • Hochschulmarketing (Aufbau eines positiven Personalimage steht im Vordergrund) • Drittpersonaleinsatz (auch: Zeitarbeit, Personalleasing, Leiharbeit, Arbeitnehmerüberlassung)
5
Der Marketing-Mix in der Personalpolitik
Marketing wird verstanden als die bewusste marktorientierte Führung des Unternehmens. Seine Aufgabe besteht darin, alle Funktionsbereiche und betrieblichen Aktivitäten des Unternehmens an den Anforderungen des Marktes auszurichten. Marketing bedeutet also mehr als Werbung für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu betreiben. Vielmehr bedient sich das Marketing verschiedener Instrumente aus folgenden marketingpolitischen Bereichen: • • • •
Produktpolitik Preispolitik Distributionspolitik Kommunikationspolitik.
Zusammengefasst werden diese Politikbereiche als klassischer Marketing-Mix bezeichnet. Er beinhaltet den Einsatz aller Marketinginstrumente. Diese müssen aufeinander abgestimmt sein, damit sie bestmöglich zur Erreichung der Marketingziele beitragen.
370
Personalbeschaffung
Marketingziele im Sinne des Personalmarketing sind Gewinnung und Bindung qualifizierter Mitarbeiter. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, das Produkt, das vermarktet werden soll, nämlich die Arbeitsaufgabe, so attraktiv wie möglich zu gestalten. Wesentliche Gestaltungsmöglichkeiten hat in diesem Zusammenhang das Personalmanagement im Rahmen der Personalpolitik.
5.1
Aufgabe, Anforderungen und Instrumente der Produktpolitik
Einen Teilbereich des Marketing-Mix stellt die Produktpolitik dar. Definitionsgemäß befasst sie sich mit allen Entscheidungen, die die marktgerechte Gestaltung des Produktangebotes betreffen. Das Produkt im Sinne des Personalmanagements ist die Arbeitsaufgabe. Da es sich dabei um eine Dienstleistung handelt, kann dieser Teilbereich auch als Leistungspolitik bezeichnet werden. Diese zielt auf die Gestaltung der Arbeitsinhalte und der Arbeitsbedingungen ab. Dabei geht es einerseits darum, die Mitarbeitermotivation zu erhöhen, und andererseits, die Kundenbedürfnisse in höchstmöglichem Maße zu erfüllen. Diese beiden Forderungen führten in den vergangenen Jahren zur Flexibilisierung der Arbeitsformen. Zu diesen Arbeitsformen gehören job rotation, job enlargement und job enrichment (vgl. Olfert 1998, S. 204–206). Job rotation ist eine quantitative Erweiterung des Arbeitsinhaltes, wobei ein planmäßiger Arbeitsplatzwechsel stattfindet. So kann ein Mitarbeiter, der beispielsweise an der Kasse eines Museums tätig ist, auch für die Überwachung der Räumlichkeiten eingesetzt werden. Beim job enlargement, der quantitativen Erweiterung der Aufgaben, bekommt der Arbeitnehmer zusätzliche gleichartige und gleichrangige Aufgaben. Es findet also eine horizontale Erweiterung des Aufgabenumfangs statt. Das job enrichment ist eine qualitative Bereicherung der Arbeitsinhalte. Das Aufgabenfeld wird bei dieser Arbeitsform qualitativ vergrößert. Es handelt sich um eine vertikale Erweiterung der Aufgaben. Job enrichment bedeutet somit auch eine strukturelle Änderung der Arbeitssituation. Zu den Maßnahmen, die motivationserhöhend bei den Mitarbeitern wirken, gehört auch die entsprechende Ausgestaltung des Arbeitsumfeldes. Der Arbeitsplatz ist der Ort, an dem ein Mitarbeiter seine Arbeitsleistung erbringt. Er ist nach ergonomischen Gesichtspunkten zu gestalten (vgl. Wittkuhn / Bartscher 2001, S. 139ff.). Dabei sind die in Abbildung 4 aufgezeigten Dimensionen zu berücksichtigen.
Thomas Bartscher / Anne Huber
371 Arbeitsplatzgestaltung
anthropometri-
physiologi-
psychologi-
informationstech-
Arbeits- und
sche Gestaltung
sche Gestaltung
sche Gestaltung
nische Gestaltung
Gesundheitsschutz
Abb 4 Dimensionen der Arbeitsplatzgestaltung (Bröckermann, R., Personalwirtschaft, 1997, S. 139ff; Berthel, J., Personal-Management, 2000, S. 337ff.)
Die anthropometrische Arbeitsplatzgestaltung zielt auf die Anpassung des Arbeitsplatzes an die durchschnittlichen menschlichen Körpermaße und Bewegungsbereiche des Körpers ab. Mittels dieser Anpassung soll ein belastungs- und ermüdungsarmes Arbeiten ermöglicht werden. Die physiologische Gestaltung des Arbeitsplatzes befasst sich mit der Anpassung der Arbeitsmethoden und Arbeitsbedingungen an den menschlichen Körper. Dabei geht es entscheidend um die Gestaltung der Arbeitsumgebung. Dazu gehört die richtige Beleuchtung, ein niedriger Geräuschpegel oder die Sauberkeit des Arbeitsplatzes. Die psychologische Gestaltung des Arbeitsplatzes beschäftigt sich damit, eine angenehme Umgebung zu schaffen, indem Farben, Pflanzen oder Musik gezielt eingesetzt werden. Bei der informationstechnischen Gestaltung des Arbeitsplatzes geht es darum, beispielsweise die richtige Software auszuwählen, die den Mitarbeiter mit den notwendigen Informationen versorgt, oder akustische und optische Signale und Hinweise so einzusetzen, dass eine fehlerfreie und unmissverständliche Bedienung möglich ist. Abschließend spielt der Umwelt- und Arbeitsschutz eine wichtige Rolle, wenn es um die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen geht.
5.2
Aufgaben, Anforderungen und Instrumente der Preispolitik
Aufgabe der Preispolitik (auch: Kontrahierungspolitik) ist es, die Konditionen des Arbeitsverhältnisses festzulegen. Diese werden im Arbeitsvertrag eines jeden Mitarbeiters festgeschrieben. Folgende Inhalte sind in den meisten Arbeitsverträgen enthalten: • Titulierung als Arbeitsvertrag • Nennung beider Vertragsparteien
372
Personalbeschaffung
• Beginn des Arbeitsverhältnisses (bei befristeten Arbeitsverhältnissen zusätzlich das Ende) • Beschreibung der auszuübenden Funktion • Höhe der Vergütung • Nennung eventueller Zusatzleistungen • Arbeitszeit • Urlaub • Probezeit • Kündigungsfrist • Zusatzvereinbarungen • Geheimhaltungspflicht • Zeugnis • Schlussbestimmungen • Vertragsdatum und Unterschrift. Grundsätzlich gilt: Arbeitsverträge ergänzen die gesetzlichen Regelungen, sie heben sie jedoch nicht auf.
5.3
Aufgabe, Anforderungen und Instrumente der Distributionspolitik
Die Distributionspolitik umfasst alle Entscheidungen und Maßnahmen, die sich damit beschäftigen, auf welchem Weg das Produkt zum Kunden gelangt. Übertragen auf die Personalpolitik gehört es zur Distributionspolitik, die unterschiedlichen Arbeitnehmergruppen zu differenzieren, sowie Arbeitszeit und Arbeitsort festzulegen. Man unterscheidet in den Unternehmen unterschiedliche Arbeitnehmergruppen, wie beispielsweise: • Vollzeit- und teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter • Mitarbeiter mit unbefristeten oder befristeten Arbeitsverhältnissen • Gewerbliche Arbeitnehmer, Angestellte und leitende Angestellte Gewerbliche Arbeitnehmer sind bei der LVA (Landesversicherungsanstalt für Arbeiter) und Angestellte bei der BfA (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) sozialversichert. Leitende Angestellte übernehmen Leitungsfunktionen in den Unternehmen. Die Definition für leitende Angestellte findet sich in § 5 III BetrVG. Für die verschiedenen Zielgruppen werden in der Praxis zumeist auch unterschiedliche personalpolitische Maßnahmen getroffen. Ganz allgemein ist die Arbeitszeit eines der wesentlichen Themen, wenn es um die marktorientierte Gestaltung von Arbeitsverhältnissen geht. Darüber hinaus verlangen der Markt und damit die Kunden immer flexiblere Arbeitszeiten von den Mitarbeitern.
Thomas Bartscher / Anne Huber
373
Die folgenden Arbeitszeitmodelle haben sich etabliert: • • • • •
Feste Arbeitszeit Schichtarbeit Gleitzeit Variable Arbeitszeit Jahresarbeitszeit.
Insbesondere in Kulturbetrieben finden sich eher ungewöhnliche Arbeitszeiten, die sich beispielsweise an den Spielzeiten oder den Saisonzeiten orientieren können. Von den Mitarbeitern wird dann gefordert, an den Abenden, den Wochenenden oder an Feiertagen zu arbeiten, eben dann, wenn die Gäste oder Besucher ihre eigene Freizeit haben. Die Arbeitszeitmodelle in Kulturbetrieben müssen diesen Gegebenheiten angepasst werden, indem beispielsweise ein Modell der Jahresarbeitszeit installiert wird. Ebenso wie die Arbeitszeit den Bedürfnissen der Arbeitnehmer angepasst werden kann, ist der Arbeitsort anpassbar. Immer häufiger wird das Modell der Telearbeit praktiziert, wobei der Mitarbeiter von zu Hause aus arbeitet und dabei doch voll ins Unternehmen integriert ist.
5.4
Aufgabe, Anforderungen und Instrumente der Personalkommunikation
Unter Personalkommunikation werden alle Informations- und Kommunikationsabläufe zusammengefasst, die der Steuerung von Meinungen, Einstellungen und Verhalten der Mitarbeiter und Führungskräfte dienen (vgl. Meffert / Bruhn 2003, S. 608). Zu den Aufgaben der Personalkommunikation gehören: • Verdeutlichen aller Maßnahmen, Programme und Instrumente der Personalpolitik, z.B. Karrieremöglichkeiten, Weiterbildungsangebote • Unterstützung der Führungskräfte bei ihren Kommunikationsaufgaben • Information von Mitarbeitern und Führungsaufgaben bei Veränderungsprozessen Von entscheidender Bedeutung bei der Personalkommunikation ist es, die Mitarbeiter in einen beständigen Informationsfluss einzubinden und sie regelmäßig mit den Informationen zu versorgen, die sie brauchen.
5.5
Personalbeschaffung und Internes Marketing
Die vier Felder des operativen Marketings – Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik – werden ergänzt um den Bereich der Personalpolitik. Diese wird jedoch nicht
374
Personalbeschaffung
als ein isolierter Teil der Unternehmensführung betrachtet, sondern es wird ein ganzheitlicher Ansatz gewählt, dessen Grundlage das Interne Marketing darstellt. Internes Marketing ist die systematische Optimierung unternehmensinterner Prozesse mit Instrumenten des Marketing- und Personalmanagements, um durch eine konsequente Kunden- und Mitarbeiterorientierung das Marketing als interne Denkhaltung durchzusetzen, damit die marktgerichteten Unternehmensziele effizienter erreicht werden (vgl. Bruhn 1999, S. 20). Kunden- und Mitarbeiterorientierung können als zentrale Maximen des Internen Marketings bezeichnet werden. Internes Marketing zielt auf die folgenden Schwerpunkte ab (vgl. ebd., S. 25): • • • •
Optimierung der unternehmensinternen Austauschbeziehungen Parallele Förderung von Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit Interne Kommunikation Implementierung von Marketingkonzepten
6
Der Personalauswahlprozess
Beim Personalauswahlprozess geht es darum, die Entscheidung für den richtigen Bewerber zuverlässig treffen zu können. Dieser Prozess beginnt mit dem Eingang und der Analyse der Bewerbungsunterlagen. Er setzt sich fort mit der Auswahl der Bewerber beispielsweise in Form von Vorstellungsgesprächen oder Assessmentcentern. Schließlich ist es möglich die Entscheidung für einen geeigneten Bewerber zu treffen. Abbildung 5 stellt diesen Prozess dar.
Bewerbungseingang
Bewerbungsanalyse
Bewerberauswahl
Entscheidung
Abb.5 Strukturierter Personalauswahlprozess (eigene Darstellung)
6.1
Bewerbungseingang und Bewerbungsanalyse
Zum Zeitpunkt des Bewerbungseingangs liegen nur die Bewerbungsunterlagen vor, auf deren Basis eine erste Vorauswahl erfolgt. Dabei ist grundsätzlich darauf zu achten, dass die Bewerbungsunterlagen in einem einwandfreien Zustand und vollständig sind. Zu den vollständigen Bewerbungsunterlagen gehören:
Thomas Bartscher / Anne Huber • • • • • •
375
Anschreiben Lebenslauf mit Lichtbild Schul-, Ausbildungs- und Studienzeugnisse Arbeitszeugnisse Zertifikate, Bescheinigungen ggf. Arbeitsproben.
Vollständig und sorgfältig gestaltete Bewerbungsunterlagen signalisieren dem Personalverantwortlichen, dass sich der Bewerber mit seiner Bewerbung ernsthaft auseinandergesetzt hat und ein echtes Interesse an der Tätigkeit vorweist. Erfüllen Bewerbungsunterlagen die hier beschriebenen Mindestanforderungen nicht, fallen sie zumeist schon durch die erste Sichtprüfung und führen so zu einer Entscheidung gegen den Bewerber. Außerdem sollte der Werdegang des Bewerbers lückenlos nachvollziehbar sein und zur ausgeschriebenen Stelle passen. Gewisse Sollanforderungen an die Stelle können aus der Stellenbeschreibung der betreffenden Stelle abgeleitet werden. So ist es möglich, eine erste Vorauswahl zu treffen und zu entscheiden, welche Bewerber für das weitere Auswahlverfahren in Frage kommen.
6.2
Bewerberauswahl
Der Personalauswahlprozess soll dazu dienen, den Bewerber zu finden, der die Anforderungen der Stelle in höchstmöglichem Maße erfüllt. Es bedarf jedoch mehr als der Analyse der Bewerbungsunterlagen, um einen Bewerber realistisch einschätzen zu können. Besonders die sogenannten soft skills, zu denen Fähigkeiten wie Führungs- und Sozialkompetenz, emotionale Intelligenz oder Teamfähigkeit zählen, können nur schwer ermittelt werden und zeigen sich oft erst im Arbeitsalltag. Um einen Bewerber besser kennenzulernen, wurden Auswahlverfahren entwickelt, in denen sich der Bewerber in unterschiedlichen Situationen bewähren muss. Dazu zählen • das Vorstellungsgespräch, • Assessmentcenter und • Testverfahren. Vorstellungsgespräche eignen sich insbesondere dazu, Informationen über den Bewerber zu gewinnen. Um so viele Informationen wie möglich über den Bewerber zu sammeln, sollte sein Gesprächsanteil bei circa 80 Prozent liegen. Im Vorstellungsgespräch bietet sich die Möglichkeit, die genaue Motivation für die Bewerbung zu hinterfragen. So kann beispielsweise bei den – für Kulturbetriebe typischen Quereinsteigern – herausgefunden werden, welchen Bezug sie zu dieser Aufgabe haben und wie sie es sich konkret vorstellen, die betreffende Stelle auszufüllen. Assessmentcenter (AC) ergänzen das Instrument des Vorstellungsgesprächs, indem sie eine Auswahlsituation schaffen, in der die Bewerber die Fähigkeiten und das Verhalten zeigen,
376
Personalbeschaffung
die die Position von ihnen verlangen wird. Die wichtigsten Unterschiede zum Vorstellungsgespräch liegen in diesen Punkten: • Teilnahme mehrerer Bewerber • Beteiligung mehrerer Beobachter • Verwenden verschiedener Übungen. Am Ende eines AC, das ein bis zwei Tage dauern kann, werten die Beobachter ihre Ergebnisse aus und erstellen eine Rangliste bezüglich der Eignung der Bewerber. In anschließenden Feedback-Gesprächen mit den Teilnehmern geben sie Auskunft über die festgestellten Stärken und Schwächen des jeweiligen Teilnehmers. Es ist auch noch denkbar ein Vorstellungsgespräch um Testverfahren zu ergänzen. Mit ihrer Hilfe soll ebenfalls die Eignung des Bewerbers festgestellt werden. Anwendung finden insbesondere: • • • •
Intelligenztests Leistungstests Persönlichkeitstests Arbeitsproben.
Ziel aller Auswahlverfahren soll die Entscheidung für einen geeigneten Bewerber sein.
Thomas Bartscher / Anne Huber
7
377
Literatur
Ahlers, F.: Strategische Nachwuchskräfterekrutierung über Hochschulkontakte, München / Mering 1994 Bartscher, T. / Mattivi, A.: Betriebswirtschaftslehre, 1. Auflage, München 2003 Berthel, J.: Personalmanagement. Grundzüge für Konzeptionen betrieblicher Personalarbeit, 7. Auflage, Stuttgart 2000 Bröckermann, R.: Personalwirtschaft. Lehrbuch für das praxisorientierte Studium, Stuttgart 1997 Bruhn, M.: Internes Marketing, Integration der Kunden- und Mitarbeiterorientierung. Grundlagen, Implementierung, Praxisbeispiele, 2. Auflage, Wiesbaden 1999 Büdenbender, U. / Strutz: H.: Gabler Kompakt-Lexikon Personal. 1.000 Begriffe zu Personalwirtschaft – Personalmanagement – Arbeits- und Sozialrecht, Wiesbaden 2003 Büdenbender, U. / Strutz, H.: Gabler Lexikon Personal, Wiesbaden 1996 Drumm, H.-J.: Personalwirtschaft, 4. Auflage, Berlin 2004 Gaugler, E. / Oechsler, W. / Weber, W.: Handwörterbuch des Personalwesens, 3. Auflage, Stuttgart 2004 Gutmann, J. (Hrsg.): Arbeitszeitmodelle, Stuttgart 1999 Martin, A.: Personal -Theorie, Politik, Gestaltung, 1. Auflage, Stuttgart 2001 Martin, A. / Nienhüser, W.: Neue Formen der Beschäftigung – Neue Personalpolitik?, 1. Auflage, Mering 2002 Meffert, H. / Bruhn, M.: Dienstleistungsmarketing. Grundlagen – Konzepte – Methoden, 4. Auflage, Wiesbaden 2003 Olfert, K.: Personalwirtschaft, Ludwigshafen 1998 Scholz, C.: Personalmanagement, 5. Auflage, München 2000 Schwan, K. / Seipel, K.: Personalmarketing für Mittel- und Kleinbetriebe, München 1994 Wagner, K. / Bartscher, T. / Nowak, U.: Praktische Personalwirtschaft, 1. Auflage, Wiesbaden 2002 Wittkuhn, K. / Bartscher, T.: Improving Performance. Leistungspotenziale in Unternehmen entfalten, 1. Auflage, Neuwied / Kriftel 2001 Zander, E. / Femppel, K.: Praxis der Personalführung, 1. Auflage, München 2001
Frank Solms Nebelung
Investorengewinnung in der Kunstund Kulturszene 1
Einleitung
2
Stellenwert des Investorenmarketings
3
Kommunikation
4
Prozess der Investorengewinnung
5
Nachhaltigkeit der Investorenbindung und Win-Win-Situation
6
Ausblick
7
Literatur
380
1
Investorengewinnung in der Kunst- und Kulturszene
Einleitung
Mit seiner berühmt gewordenen Formel „Kunst = Kapital“ berührte Joseph Beuys einen heiklen Punkt in der Kunst- und Kulturszene. Nichts mehr dort scheint frei zu sein von wirtschaftlichen Zwängen. Doch während bis vor wenigen Jahren die kulturkritische Klage vorherrschte, wonach das prototypische Kunstwerk bald nur noch hinsichtlich seines Marktwertes wahrnehmbar sei, gibt man sich heute gelassener. Der Sinneswandel ist vor allem auf die immer virulenter werdende öffentliche Armut zurückzuführen, so dass die Sorge eher der Erschließung finanzieller Ressourcen gilt, und dies nicht nur für die künstlerische Arbeit, sondern auch für sämtliche Formen der Darstellung, der Aufführung und der Kulturpflege. Mehr denn je geht es ums Geld, und längst dient die Mittelbeschaffung auf dem „freien Markt“ nicht mehr nur dazu, die Folgen von Haushaltslöchern zu beseitigen oder wenigstens zu mildern, sondern im Gegenteil auch dazu, neue Standards für die Finanzierung künstlerischer und kultureller Möglichkeiten zu schaffen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, den Stellenwert von Investorenmarketing in der Kunst- und Kulturszene näher zu betrachten. Investition ist von Sponsoring und Mäzenatentum abzugrenzen. Während Investition die Verwendung finanzieller Mittel bedeutet, um damit höhere Geldgewinne zu erzielen, bedeutet Sponsoring die Verwendung von Finanzoder Sachmitteln für Einzelpersonen, Institutionen oder Organisationen mit dem Ziel des eigenen Imagezuwachses oder der Eigenwerbung. Beim Mäzenatentum hingegen werden Finanz- oder Sachmittel ohne direkte ökonomische oder sonstige Nutzenerwartung eingesetzt. Grundvoraussetzung von erfolgreichem Investorenmarketing ist eine durchdachte und gut funktionierende Kommunikationsarbeit der Kulturinstitution. Sie wird daher auch unten im Text der eigentlichen Beschreibung der Investorengewinnung vorangestellt. Dies kann dann in zehn Einzelschritte eines idealisierten Ablaufes unterteilt werden: 1. die erste, grobe Auswahl von Investoren 2. die tiefer gehende Recherche über die potentiellen Investoren 3. die Analyse von möglichen Interessenskonflikten 4. die Erstellung einer Rangliste der Investoren 5. die Erstellung einer Projektbeschreibung 6. der Businessplan 7. das persönliche Gespräch 8. die Präsentation 9. die Sicherheitsaspekte 10. der endgültige Vertrag mit dem Investor. Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist und ein passender Investor gefunden wurde, ist noch der Aspekt der Nachhaltigkeit der Investorenbindung und des durchdachten Beziehungsmanagements zu berücksichtigen.
Karl-Heinz Ukena
2
381
Stellenwert des Investorenmarketing
Eine neue Denkart ist eingekehrt: Man nutzt die wachsende Kunst- und Kulturaffinität der Wirtschaft, um die Unternehmen zu Investitionen anzuregen, ganz so, als handele es sich um Wirtschaftsgüter, nur mit dem Unterschied, dass der Kunstvorbehalt in einem wie auch immer ausgestalteten „contract cultural“ (Ammann 1995, S. 21) gewahrt bleibt. Zunehmend wachsen viele Projekte, gerade wegen des hohen professionellen Drucks, der aus dem Wettbewerb der Kultureinrichtungen und der Kulturevents resultiert, in eine Größenordnung, in der sich diese ohnehin durch traditionelle Formen der Ressourcensicherung (Zuschüsse, Zuwendungen, Subventionen, Fehlbedarfsfinanzierungen durch öffentliche Haushalte, Mäzenatentum, Sachmittel- und Dienstleistungsspenden) allein nicht mehr realisieren lassen. Mit anderen Worten: Um auch künftig einen anspruchsvollen und vielfältigen Kunst- und Kulturbetrieb sicherzustellen, ist es unerlässlich, Investoren zu gewinnen und somit nichtöffentliche Gelder zu akquirieren. Sicherlich ist die Produktion kultureller Güter oder Kulturereignisse, ganz zu schweigen von der Kreation ausgesprochener, in früheren Zeiten als „authentisch“ beglaubigter Kunstwerke, nur bedingt unter betriebswirtschaftlichen Aspekten zu organisieren. Dennoch unterliegt auch der „Kulturbetrieb“, mit Einschränkungen, den Gesetzen des Kommerzes. Das betrifft nicht nur die Be-Preisung von Projekten und Objekten, sondern auch die Vorleistungen, die dazu erforderlich sind. In der Konsequenz bedeutet dies, dass Kulturschaffende, Initiatoren, Kuratoren, Intendanten und Leiter von Kultureinrichtungen sich mit den Gepflogenheiten in der Wirtschaft und dem Kalkül ihrer Partner aus der Geschäftswelt vertraut machen müssen. Gerade auch dann, wenn sie sich selbst als Promotoren eines nicht-kommerziellen Kulturbetriebs verstehen. Wer von Kulturfinanzierung redet, muss auch von Investition sprechen, selbst wenn Investition hierbei nicht in einem strengen betriebswirtschaftlichen Sinne als „Finanzierung der unmittelbaren betrieblichen Leistungserstellung“ aufzufassen ist (Heinrichs 1997, S. 163f.): Denn die Gewinnorientierung steht bei den wenigsten der ihrem Anspruch nach nicht-kommerziellen Kulturbetrieben im Vordergrund. Gleichwohl ist der professionelle Umgang mit den Investoren, das betrifft die Akquise genauso wie die Beziehungspflege oder die Erfolgsmessung, die conditio sine qua non, um fremdfinanzierte Projekte erfolgreich durchführen zu können und sich die Chancen für die Realisierung künftiger Vorhaben zu erhalten. Salopper gesagt: Die Kulturschaffenden, gerade des Non-Profit-Sektors, sollten beachten, dass Inszenierungstechniken und -regeln nicht nur in ihrem angestammten Metier gelten, sondern auch im Umgang mit Geld- und Kapitalgebern oder sonstigen projektfremden Partnern, auf deren Unterstützung sie angewiesen sind. Grundsätzlich ist es von der Art und Weise des Vorhabens abhängig, welche Form der nichtöffentlichen Finanzierung in Frage kommt. Ist eher Sponsoring angemessen, Fundraising74 oder eine klassische Außenfinanzierung durch die entsprechenden Finanzintermediäre (Banken, Fonds, Equity-Gesellschaften), Förderung durch einen Mäzen im Sinne einer stillen 74
Siehe hierzu die Beiträge „Sponsoring“ von CORDES sowie „Fundraising“ von UKENA im vorliegenden Band.
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Investorengewinnung in der Kunst- und Kulturszene
Teilhaberschaft, Beitrag einer Stiftung oder ein Public-Privat-Partnership? Im Folgenden steht die Finanzierung des Projekts durch einen oder mehrere Investoren im Mittelpunkt. Was ist nun ein Investor und was eine Investition? Jenseits der Lehrbuchmeinungen, die den Begriff naturgemäß eng fassen, ist hier unter einer Investition jene Gesamtheit an (Fremd-) Aufwendungen zu verstehen, die notwendig sind, um ein Unternehmen oder ein Projekt in Gang zu setzen und weiter zu entwickeln. Ein Investor ist dementsprechend weniger der Anleger, der renditeorientiert den Rückfluss seiner angelegten Mittel einschließlich der Verzinsung erwartet, sondern ein Projektpartner, der aus den verschiedensten Gründen und Motiven, aber nicht allein aus vordergründig pekuniären Interessen, zum Gelingen des Vorhabens beitragen möchte. In diesem Sinne werden Banken, Fonds und andere professionelle Kredit- und Kapitalgeber hier nicht in die Betrachtung einbezogen, es sei denn, sie sind ausdrücklich als fördernde Partner zu verstehen. Das gilt auch in einem weiteren Sinne für private Projektpartner, die üblicherweise eingeworben werden, um Nutzungsrisiken und Chancenpotenziale von der marktfernen öffentlichen Hand auf markterfahrene Privatinvestoren zu verlagern. Konstruktionen der Public-Private-Partnership-Projekte, die sich bisher in eher kunstfernen Sport- und Freizeiteinrichtungen als Modelle der Finanzierung bewährt haben, zählen dazu; die Hamburger Elbphilharmonie ist in dieser Hinsicht derzeit das vielleicht spektakulärste Vorhaben, und es ist denkbar, dass über PPP-Fonds künftig auch kleine Privatinvestoren in kulturelle Infrastrukturprojekte einbezogen werden. Aber gleich, welches Verständnis von Investition und Investor intendiert ist, für die gesamte Finanzausstattung gilt, dass die dazu benötigten Mittel ein knappes Gut sind (vgl. Klein 2001, S. 222). Dementsprechend gilt, dass im Wettbewerb um Finanzierungsmöglichkeiten alle Investoren mit besonderem Augenmerk behandelt werden. Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass auf der einen Seite eine neue Denkart eingekehrt ist, die Kunst und Kultur immer mehr als Wirtschaftsgüter ansieht, in die man investieren kann. Auf der anderen Seite ist die Produktion von Kunst und Kultur nur bedingt unter betriebswirtschaftlichen Aspekten zu organisieren. Dennoch müssen sich Kulturschaffende finanzielle Ressourcen erschließen und den Umgang mit den Investoren lernen, auf deren Unterstützung sie in der heutigen Zeit angewiesen sind. Der Investor ist im besten Falle weniger Anleger als Projektpartner, der nicht nur pekuniäre Interessen hat. Um sich die Unterstützung von Investoren jedoch zu sichern, bedarf es einer gut funktionierenden und umfassenden Unternehmenskommunikation. Des Weiteren muss bei der Investorengewinnung ein klar strukturierter Prozess durchlaufen werden.
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Kommunikation
Die Bedeutung der Medien und ihr Einfluss auf unser Handeln und Denken nimmt immer noch weiter zu (vgl. Ferber 2000, S. 14f.). Kommunikation ist daher von zentraler Bedeutung für den ökonomischen Erfolg von Unternehmen und Kulturinstitutionen und erlangt einen immer höheren Stellenwert in der strategischen Planung (vgl. Bolender-Wachtel 1999, S. 15f.). Mittlerweile dominiert in fast allen Kommunikationsabteilungen der sogenannte Kommunikationsmix, der aus allen Teilgebieten der Kommunikation zusammengesetzt ist. Wenn über alle diese Disziplinen hinweg mit dem gleichen Design, der gleichen Zielsetzung und mit koordiniertem Vorgehen gearbeitet wird, spricht man von integrierter Kommunikation. Diese umfasst im Idealfalle neben der PR, Sponsoring, Mailings und der Werbung auch Veranstaltungen. Onlinekommunikation wird heute als notwendiger und integraler Bestandteil der anderen Disziplinen gedacht. Ob man sich für alle Disziplinen oder für eine Auswahl entscheidet - ohne Kommunikation kommt heute keine (kulturelle) Institution mehr aus und wird auch keine Investorengewinnung gelingen.
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Prozess der Investorengewinnung
Das A und O bei der Investorengewinnung ist also die Positionierung des Vorhabens in einem vergleichsweise kritischen und spartenfernen Umfeld. So verstanden besteht Kulturmarketing nicht nur darin, die Nachfrager, die künftigen Besucher, Zuschauer und Teilnehmer zu gewinnen oder Interessenten für das Kulturereignis einzunehmen, sondern, noch vor allen anderen Marktaktivitäten, in der anspruchsvollen Erschließung der Finanzquellen. (vgl. Klein 2001, S. 42). Aber gerade auf diesem hochkompetitiven Terrain ist der Konkurrenzund damit auch der Professionalisierungsdruck besonders groß, zumal sich, anders als in den anderen Sektoren des Beschaffungsmarktes, Partner mit einem weit auseinander diffundierenden Verständnis begegnen: Künstler, Kunst- und Kulturexperten auf der einen Seite; wirtschaftlich kühl kalkulierende, unternehmerisch denkende Finanziers auf der anderen Seite. Und nicht immer kann als „Vermittlungsinstanz“ ein professionell arbeitendes Veranstaltungsmanagement vorausgesetzt werden. Kurzum: Die Investorengewinnung ist Bestandteil eines diffizilen Beziehungsmanagements, in der Regel auf Basis eines One-to-OneMarketing, zudem aufgeladen mit großen Konfliktpotenzialen. Bei der Investorengewinnung analysiert man in einem ersten Schritt auf interner Kommunikationsebene den Bedarf an Mitteln, der projektbezogen besteht und entscheidet sich für ein Finanzierungsmodell, das dem Projekt entsprechend am sinnvollsten erscheint. Dann erst geht es auf externer Kommunikationsebene um die eigentliche Investorengewinnung. Noch steht eine systematische empirische Untersuchung über die erfolgskritischen
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Investorengewinnung in der Kunst- und Kulturszene
Faktoren bei der Investorengewinnung, also die Kriterien für das Gelingen und Scheitern entsprechender Partnerschaften, aus (vgl. Urselmann 1998), doch zeigt die Erfahrung des Praktikers, dass es eines gut entwickelten strategischen Denkens bedarf sowie einer Akquisitionspraxis mit genau abgestimmter Schrittfolge, um den Erfolg der Ressourcenbeschaffung sicherzustellen. Zunächst ist also die interne Kommunikationsebene zu klären. Welcher Bedarf an welchen Mitteln besteht projektbezogen und wie ist der Bedarf sinnvoller Weise zu decken, das heißt, welcher Personenkreis kommt grundsätzlich als Projektförderer in Frage. Zum einen ist zu klären, ob der künftige Partner der gleichen Kultursparte entstammen soll, das heißt also seinerseits Fachexpertise mitbringt (etwa eine Ticketing-Gesellschaft für eine Konzertreihe), oder ob eher ein branchenfremder Investor herangezogen werden soll, vielleicht, weil man sich davon mehr Handlungs- und Gestaltungsfreiheit verspricht. Sodann muss man sich Klarheit darüber verschaffen, welche Finanzierungsform zur Realisierung des Vorhabens sinnvoll ist. Denn nicht alle Finanzierungsmodelle eignen sich für die organisatorischen Voraussetzungen, die ein Projekt bietet, bzw. umgekehrt: Finanzierungsmodelle haben unter Umständen nicht unerhebliche Auswirkungen, z. B. auf die Konstruktion einer Betreibergesellschaft, auf deren Rechtsform und natürlich auch auf den vertraglichen Aufwand. Denkbar sind nämlich Formen der so genannten „stillen Einlage“, eine Projektinvestition mit einer mehr oder weniger aktiven Rolle des Investors, ein Public Private Partnership bei öffentlichen Trägern mit unterschiedlichen Organisationsmodellen, eine Firmeninvestition im Rahmen eines Kooperationsmodells oder gar eine Gemeinschaftsgründung zusammen mit dem Investor.75 Erst dann, in einem zweiten Schritt, beginnt auf externer Kommunikationsebene die eigentliche „Kärrnerarbeit“ der Investorengewinnung, und in einem weiteren Sinne die Pflege einer, je nach Art und Umfang des Vorhabens, auf Dauer angelegten Beziehung mit dem Investor. Dementsprechend muss eine präzise Schrittfolge eingehalten werden. Wichtig dabei ist ein genauer Zeitplan mit einem alles bestimmenden Eckdatum: Unternehmen als Investoren stellen ihre Mittel in der Regel nicht aus einer jederzeit gefüllten Kriegskasse oder einem allzeit liquiden Reptilienfonds zur Verfügung, sondern müssen die entsprechenden Haushaltsposten budgetieren. Dies gilt es bei der Planung unbedingt zu berücksichtigen. Dann ist zu beachten, dass ein Investment eine bestimmte Größe benötigt, damit das Vorhaben für den Investor interessant wird. Denn nicht zu vergessen: Der Investor vertritt fern jeglichen Idealismus einen rein wirtschaftlichen Standpunkt; ein zu gering dimensioniertes Projekt wird aus Investorensicht uninteressant, weil unter Umständen der Aufwand personeller und sachlicher Art gemessen an dem Volumen der eingesetzten Masse zu groß ausfällt.
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Die Vor- und Nachteile bzw. die Eignung der einzelnen Finanzierungs- und Organisationsmodelle können im Rahmen dieses Beitrags nicht geleistet werden. Denn die Blickrichtung gilt hier den kommunikativen Aspekten bei der Einwerbung des Investors und dem Umgang mit ihm; deshalb sei stellvertretend für eine Reihe von Handbüchern insbesondere zur Unternehmensgründung und der Unternehmensformen auf LITZEL / LOOCK / BRAKERT (insbesondere das Kapitel „Kulturbetriebe als Partner“ sowie den Anhang) oder auf DIETERLE / WINCKLER verwiesen.
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Damit ein Unternehmen oder ein einzelner Geldgeber bereit ist, sich finanziell in ein kulturelles Projekt einzubringen, muss ein eindeutiger Nutzen für ihn erkennbar sein. Hin und wieder sind Investitionen strategisch motiviert, dann nämlich, wenn ein Geldgeber eine Nische besetzen, sich Know-how aneignen oder seine Reputation in der Öffentlichkeit sowie gegenüber seinen Anspruchsgruppen verbessern will. Doch auch bei einem so definierten strategischen Engagement zählen beim Investor in erster Linie Kriterien der Rationalität, für ihn klar nachvollziehbare Zahlen und Fakten. Allerdings ist schon manch ein kulturelles Vorhaben gescheitert, weil der Finanzier sich in unzumutbarer Form in künstlerische Belange eingemischt hat. Was vielleicht in dem einen Fall zu begrüßen ist, etwa, wenn er als „Surplus“ sein Marketing-Know-how einbringt, kann in einem anderen Fall – wenn es um künstlerische Fragen geht – zu ernsten Beziehungsstörungen führen. So sollte beispielsweise ein Regisseur bei seiner Inszenierung freie Hand haben und sich nicht dem Geschmack oder den Ideen eines Geldgebers beugen müssen. Solche Eventualitäten gilt es bei der Investorengewinnung zu bedenken. Die erste Frage, die sich bei der Investorensuche stellt, ist deshalb: Wer passt unter den gegebenen Voraussetzungen zum Initiator oder Initiatorenkreis und deren Projekt? Wer ist im gegebenen Fall der ideale Partner? Die dafür notwendige Recherchearbeit erscheint oft zu aufwendig und zeitintensiv, und es stellt sich die Frage, ob sie wirklich in dieser Tiefe notwendig ist. Die Antwort lautet eindeutig: Ja (vgl. Levinson / Gallagher / Wilson 1992, S. 47f.). Nur wer sich dieser Mühe unterzogen hat, erspart sich im Nachhinein viel Arbeit, unangenehme Lernerfahrungen und unter Umständen sogar das völlige Scheitern. Wenn das Terrain gründlich sondiert und die Auswahl von möglichen Gebern im Rahmen einer „Positiv- und Negativabgrenzung“ (vgl. Braun / Gallus 1999, S. 94f.) differenziert vorgenommen worden ist, können die Projektverantwortlichen ihre Chancen erhöhen, einen seriösen Investor für Ihr Vorhaben zu gewinnen und sich auf die wesentlichen, nämlich die Kreativleistungen und die organisatorischen Notwendigkeiten, konzentrieren. Allerdings ist es sehr wichtig, nicht in der Vorbereitung hängen zu bleiben und sich mit einer Überrecherche vom eigentlichen Schritt zum Telefon oder Termin abzuhalten. Über den Projekterfolg entschieden wird im Endeffekt „draußen“ und nicht im Büro. Im Folgenden nun die Ausführung der oben erwähnten zehn Schritte eines idealen Ablaufes von der Recherche bis zum Vertrag: 1. Es empfiehlt sich, eine gezielte Auswahl vorzunehmen, zum Beispiel auf Basis einschlägiger Zusammenstellungen oder Datenbanken der Industrie- und Handelskammern (IHK). Daraus wird zunächst eine größere Stichprobe, etwa eine „Top 50" jener Unternehmen ermittelt, die prima vista zum geplanten Projekt passen könnten. Auch das systematische Durcharbeiten von privaten Wirtschaftsdatenbanken verschafft einen guten Überblick über Unternehmen, die in bestimmten Feldern tätig sind. Außerdem ist viel über firmeneigene Websites oder in Berichten über bestimmte Unternehmen zu erfahren, Informationen, die unerlässlich sind, wenn man den professionellen und kulturellen Background geeigneter Unternehmen ausleuchten will. Im Umkehrschluss möchte man ausschließen, dass gewisse Momente im Erscheinungsbild des potenziellen Partners das Ansehen des Projektes beschädigen, etwa wenn ein besonders aggressiv im Markt oder auf dem „Boulevard“ in Erscheinung tretendes
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Unternehmen eine Klassikveranstaltung fördert und dabei die „Klientel“ eines solch exklusiven Events düpiert. 2. Nun folgt der nächste, tiefer gehende Rechercheschritt. Hier gilt es, alles über die Firmen herauszufinden, die auf der Favoritenliste zusammengestellt sind. So sollten die folgenden Fragen geklärt werden: Welche Interessen hat der Inhaber oder Geschäftsführer – hat er eine Affinität zu Kunst und Kultur oder eher einen rein „funktionalen“ Bezug zu entsprechenden Projekten? Gab es von Seiten des Unternehmens oder seines Eigners schon nennenswerte Engagements? Auch Unterstützungen für ehrenamtliche Aktivitäten wie z. B. die unentgeltliche Freistellung von Mitarbeitern (Corporate citizenship) sind hier von Interesse, da sie von einer Firmenphilosophie zeugen, die für Unterstützung außerhalb des unmittelbaren geschäftlichen Sinnes offen ist. Außerdem sind alle Daten und Zahlen der Firma wichtig, also Mitarbeiterzahlen, Auszubildende und Umsätze etc. Ebenso sollte man, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie tragfähig und glaubwürdig ein etwaiges Engagement ist, Einblicke in die Firmengeschichte nehmen (vgl. Levinson / Gallagher / Wilson 1992, S. 47f.). Auch bei dieser Recherche sind Medienarchive und Wirtschaftsdatenbanken äußerst hilfreich. Außerdem sollten die aktuellen Geschäftsberichte und, soweit für die Öffentlichkeit zugänglich, weitere Firmenunterlagen der in Frage kommenden Unternehmen gesichtet werden (vgl. Kastin 1999, S. 135f.). 3. Aus all diesen Unterlagen ergibt sich ein Gesamtbild des potenziellen Förderers. Nun muss eine genaue Analyse erfolgen, um zu klären, ob man als Partner auch wirklich zusammenpasst und die Basis eines gemeinsam intendierten Vorhabens auch trägt bzw. Reputationsrisiken des Partners für die Dauer des Förderengagements weitgehend auszuschließen sind. Um Missverständnisse zu vermeiden: Selbstredend ist das legitime Interesse des Investors, sich mit seinem Invest zu profilieren, die Zusammenarbeit aber, auch eine mögliche Kooperation, sollte dort ihre Grenzen finden, wo die kommerziellen Interessen des Investors zu stark in den Vordergrund treten, das Erscheinungsbild des Gesamtprojekts zum bloßen Dekor einer Handelsware Kultur zu verkommen droht und das kulturelle bzw. künstlerische Anliegen Schaden nimmt. Für die beiderseitige Interessenwahrung ist es wichtig, dass dieser Punkt von vorneherein geklärt wird – bei größeren Projekten, die eine Lastenverteilung unter mehreren Investoren erfordern, dürfte das Risiko eines so gearteten Interessekonflikts ohnehin geringer ausfallen. 4. Bevor weitere Schritte unternommen werden, sollte aus Gründen der Arbeitsökonomie die Zusammenstellung der Top 50-Kandidaten auf eine Liste mit zehn Favoriten zusammengekürzt werden. Erst dann ist die direkte Ansprache durch ein persönlich gehaltenes Anschreiben sinnvoll. Zu diesem Schreiben gehören ein Businessplan oder wenigstens eine kurze Zusammenfassung des geplanten Projekts. 5. Der Projektbeschreibung kann der zukünftige Investor Einzelheiten zum geplanten Projekt entnehmen. Sie dient dazu, ihn für das Vorhaben zu begeistern. Deshalb sollte eine solche Abhandlung möglichst prägnant sein, sie muss in jedem Fall klar und deutlich formuliert sein (vgl. Lessel, S. 33 und Herzberg 2004, S. 136), so dass auch jemand, der über keine Spartenkenntnisse verfügt, sämtliche Zusammenhänge versteht und Einzelheiten des geplanten Kulturangebotes nachvollziehen kann. Immerhin soll der Investor überzeugt werden, sein Geld
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zur Verfügung zu stellen. Und das wird er nur tun, wenn er genau versteht, worum es geht. Mit anderen Worten: Die Grundidee des Anliegens muss deutlich werden, die Zielgruppen müssen klar definiert sein, und es dürfen keine Zweifel darüber aufkommen, welchen kulturellen und künstlerischen Mehrwert man erzielen will. Dies alles verpackt in einfache, klare Botschaften, die geeignet sind, spontane Zustimmung, um nicht zu sagen, Begeisterung zu wecken. Ansteckende Begeisterung ist, wie man weiß, ein wesentlicher Verkaufsfaktor (vgl. Levinson / Gallagher / Wilson 1992, S. 37 und 46) und führt auch bei nüchtern denkenden Unternehmern, gerade auch, wenn es um unternehmerisches Neuland geht, zum Erfolg. 6. Spätestens zur endgültigen Entscheidung benötigt der Investor einen Businessplan, der auf der ihm schon bekannten Projektbeschreibung aufbaut und das ganze Projekt inhaltlich und finanziell schlüssig durchleuchtet und darstellt (vgl. Herzberg 2004, S. 10f.). Ein Businessplan ist nebenbei bemerkt nicht bloß ein Akquisitionsinstrument, er zwingt seine Autoren, sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob das Anliegen konzise ist, ob es finanzierbar und damit letztlich realisierbar ist. 7. Das persönliche Gespräch, die nächste und wichtigste Etappe im Prozess der Investorengewinnung, dient dazu, die Projektidee zu präzisieren, die Umsetzung zu kalkulieren, bis in die letzte mögliche Konsequenz mit Zahlen zu hinterlegen und auf dieser Basis über ein detailliertes Angebot zu verhandeln. Es ist mehr als eine Binsenweisheit: Nur wenn der Gesprächspartner als der potenzielle Geldgeber anhand von Zahlen von der Machbarkeit eines Projekts überzeugen werden kann, wird er bereit sein zu investieren. Bei solch einem Gespräch ist Offenheit und Glaubwürdigkeit unerlässlich (vgl. Levinson / Gallagher / Wilson 1992, S. 107). Wenn der Gesprächspartner mögliche Fallstricke, Defizite und Mängel im Konzept ausmacht, dann sollte man seine Einlassungen sehr ernst nehmen und bei Folgeverhandlungen Alternativen, Korrekturen und Ergänzungen im Konzept berücksichtigen. Der Investor bringt meist große wirtschaftliche Erfahrungen mit, deshalb sollten seine Objektivierungen als Expertise genutzt werden und im Projektvorschlag entsprechend berücksichtigt werden. Wenn der Ansatz unter zu weitreichenden Einwänden leidet, sollten allerdings klare Grenzen aufgezeigt werden, vor allem, um dies nochmals zu betonen, wenn sie eine Einmischung in die künstlerische Arbeit zur Konsequenz haben. Prinzipiell muss man bei großen Unternehmen damit rechnen, dass zwei bis drei Termine notwendig sind, bevor das Projekt entscheidungsreif wird. Nach einem erfolgreichen Erstgespräch werden in der Folgerunde weitere Entscheidungsebenen hinzugezogen, z. B. das Marketing oder die Kommunikationsabteilung. Bei diesem zweiten Verhandlungstermin wird das Projekt dann ausführlicher, und zwar mit den heute üblichen Präsentationstechniken präsentiert. 8. Je umfangreicher das Projekt ist und je höher der Finanzierungsbedarf, desto größer fallen auch die Anforderungen an die Präsentation aus. Denn man muss damit rechnen, dass auf der Vertragspartnerseite nicht eine einzelne Person, womöglich der Firmeninhaber selbst, entscheidet, sondern eine nachgeordnete Führungsebene in die Entscheidungsfindung einbezogen ist, die ihrerseits die künftige Zusammenarbeit auf vielen Ebenen des Unternehmens, auch gegenüber der Mitarbeiterschaft, zu legitimieren hat. Die Unterscheidung zwischen „Macht- und Fachpromotoren“ (Bruhn 1999, S. 106) sowie „eigentümer- und managerge-
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Investorengewinnung in der Kunst- und Kulturszene
führten Unternehmen“ (Bruhn 2003, S. 160) ist hilfreich, wenn es darum geht, eine adäquate, das heißt adressatenspezifische Verhandlungsstrategie zu konzipieren. Namentlich im Falle der Fachpromotoren, die nicht über die volle Entscheidungskompetenz verfügen, sondern unter Umständen das Projekt in ihrem Unternehmen entscheidungsreif machen, muss die Präsentation einem genuinen Sicherheits- und Absicherungsbedürfnis Rechnung tragen, und sie muss einen Detaillierungsgrad besitzen, der es möglich macht, dass der Sinn des Engagements, der Ertrag für das Unternehmen, die Umsetzungserfordernisse auch für die nicht direkt in das Projekt Involvierten nachvollziehbar wird. Dies gilt erst recht, wenn der Impuls für ein konkretes Engagement von dem Unternehmen selbst, tatsächlich also in Eigeninitiative, ausgegangen ist, etwa wenn das Motiv, sich kulturell zu engagieren, im Rahmen einer allgemeinen geschäftlichen Strategie getroffen worden ist oder als Ergänzung eines schlüssigen Marketingkonzeptes zu sehen ist bzw. Synergieeffekte erwartet werden. In diesem Fall wird sich der Projektträger höchstwahrscheinlich als einer unter mehreren Kulturanbietern wiederfinden und, so entspricht es den Usancen, zu einer Wettbewerbspräsentation (pitch) aufgefordert werden. In der Konsequenz heißt das, dass besonders viel Sorgfalt auf die Beschreibung der Ziele, der Konzeption sowie der Positionierung gegenüber anderen, für den Investor interessanten „Anlageprojekten“ verwendet werden muss. Außerdem sollten mittels einer überzeugenden „Schnittmengen-Analyse“ (vgl. Heinrichs 1997, S. 199) die Vorzüge einer Kooperation verdeutlicht werden. Es versteht sich von selbst, dass mit Blick auf das hohe Leistungsversprechen, das gegeben wird, keinerlei Zweifel an der künstlerischen Kompetenz, am fachlichen Profil und Managementgeschick des Anbieters aufkommen dürfen. 9. Grundsätzlich ist zu beachten: Die Kommunikation mit dem Investor beinhaltet in erster Linie strategische Fragen und Leistungserwartungen, aber auch Sicherheitsaspekte, Risikomanagement und natürlich die Mittelbedarfsplanung. Sogenannte weiche Faktoren sind gleichwohl bei diesen eher auf sogenannte harte Fakten bezogenen Analysen ganz und gar nicht fehl am Platz; sie runden vielmehr das Gesamtbild ab und geben dem Verhandlungspartner ein Gefühl für das Gesamtprojekt. Denn Intuition ist auch in Zeiten eines alles beherrschenden „data processing“ keineswegs obsolet: Erfahrene Kreditentscheider in den Banken beispielsweise wissen seit eh und je, dass mitunter der Blick auf den Fuhrpark eines Firmenkunden von ähnlich diagnostischer Bedeutung sein kann wie aufwendige rechnerische Prüfverfahren. 10. Zu guter Letzt ist eine solide Vertragsbasis wesentliche Voraussetzung für das Gelingen einer Zusammenarbeit. Gegenstand des Vertrags sollten sein: Art und Umfang der Finanzierung, Bestimmungen über Laufzeiten und Fristen, Vereinbarungen über Sicherheiten und Haftungsfragen, Zusicherungen von Deputaten oder sonstiger Leistungen sowie Einzelbestimmungen, die von steuerrechtlicher Relevanz sind. Zur Selbstverständlichkeit gehört, aber auch das bedarf gegebenenfalls der vertraglichen Würdigung, dass der Investor dem Projekt nicht seinen Willen oder gar seine persönliche Vorlieben aufzwingt oder, wenn es entsprechende Aufsichtsgremien gibt, über seine Vertreter in laufende Vorhaben hineinregiert. Der beschriebene Prozess kann zwar langwierig und schwierig sein, bietet aber sowohl dem Investor als auch dem Kulturbetrieb bzw. dem Kulturschaffenden die Aussicht auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Wenn ein Projekt für beide Seiten zufriedenstellend verlaufen
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ist, ist eine langfristige Förderung denkbar. Diese Ausweitung eines zu Anfang befristeten Projekts bedarf jedoch eines durchdachten Beziehungsmanagements, welches im folgenden Abschnitt beschrieben wird.
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Nachhaltigkeit der Investoren-bindung und Win-Win-Situation
Das Investoreninteresse wird in erster Linie der Finanzierung einmaliger, punktueller oder befristeter Projekte und nicht der langfristigen Förderung von Institutionen (Museumsbetrieb, Theaterfinanzierung) gelten (das wäre eher die Domäne finanzwirtschaftlicher Unternehmen). Bezogen auf die Publizitätswirkung des Investorenengagements (wenn eine solche denn erwünscht ist) bedeutet das: „Jedes Projekt (beispielsweise eine Ausstellung) hat…einen weit höheren Publizitätsgrad als das ständige Angebot einer Einrichtung“, ist zudem „kulturpolitisch innovativer“ (Heinrichs 1997, S. 214f.) und das ist möglicherweise auch für einen kulturellen Investor von vorrangigem Interesse. Deshalb erscheint es angeraten, besondere Sorgfalt auf die Beziehung zum Investor zu verwenden, ihm umfassende Informationen in jeder Phase der Förderung zukommen zu lassen, um damit auch die Exklusivität der Zusammenarbeit zu betonen. Es geht hier um mehr als um die Erfüllung vertraglicher Vereinbarungen, es geht um ein intensives Beziehungsmanagement zwischen anspruchsvollen Partnern, welches sich in einer situationsbezogen neuen oder erneuerten Partnerschaft aktualisieren kann. Dies passiert besonders häufig dort, wo „Marktenge“ herrscht, das heißt, wo es regional oder mit Blick auf spezifische Projekte nur eine begrenzte Anzahl von potentiellen Investoren gibt. GÜNTHER E. BRAUN und THOMAS GALLUS sprechen zu Recht von gelungenen Projekten als „Aktivposten für Folgeprojekte“, ein Umstand mithin, der in der Beziehungspflege vor aller Augen stehen sollte (vgl. Braun / Gallus 1999, S. 100). Mit Blick auf das Beziehungsmanagement kann man von dem System Investor Relations als „Ausdruck einer planmäßigen und strategischen Beziehungspflege“ (Piwinger , S. 8) lernen: Folgt man der Lehrbuchdefinition von Investor Relations, dann geht es um all jene Maßnahmen, die geeignet sind, das Vertrauen der Investoren in ihr Investment zu stärken. Das vorrangige, wenn auch selten in dieser Deutlichkeit genannte Ziel besteht darin, dass die Quellen für Mittel nicht versiegen (Mengenaspekt) und sich die Beschaffungskosten der Betriebsund Eigenmittel günstig gestalten (Preisaspekt). Die Beziehungspflege in diesem Sinne umfasst neben der kontinuierlichen Kommunikation mit den Anteilseignern alle Maßnahmen, die für die Herstellung und Vertiefung einer intensiven Beziehung zu dem Investor erforderlich sind. Die Bedeutung des immateriellen Ertrags, der in der Kulturfinanzierung dem Investor zurückfließt, sollte insgesamt nicht unterschätzt werden. Das hängt mit Traditionen, Werten und dem Kulturverständnis zusammen, die für den Zusammenhalt einer Gesellschaft konstitutiv sind. Deshalb sollte dem Motiv der Anerkennung als quasi-immaterielles Return-oninvestment auf der Kulturanbieter, d.h. aus der Perspektive des Investors: der Nehmerseite,
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eine gewisses Maß an Aufmerksamkeit gelten. Ein Kulturverantwortlicher, der mit einer bloßen "Quick-Dollar-Mentalität“ Geldgeber für sein Anliegen, und sei dieses auch noch so renommiert, zu akquirieren suchte, hätte sein Anliegen im Ansatz verfehlt. Denn selbst der altruistische Spender, der aus den unterschiedlichsten, vielleicht auch aus sehr persönlichen Gründen, anonym bleiben will, wird Wert darauf legen, dass ihm eine Dividende, eine sozusagen moralische Dividende zufließt. Ebenso der „kulturelle“ Investor, der eine vertraglich fixierte Geschäftsbeziehung mit genau definiertem Eigennutzen eingeht: Auch er, der zwar eine materielle Verzinsung seines Invests im Auge hat, wird in der Regel (nicht in allen Fällen) in Wertschätzungen und Ansehen investieren und damit einen Reputationsgewinn anstreben. Aber keine Frage: Trotz philanthropischer Motive, die möglicherweise bei der Entscheidung, ein Investition zu tätigen, eine Rolle spielen, wird ein üblicherweise dem Leistungsgedanken oder Wertsteigerungsüberlegungen verpflichteter Unternehmer in der Kulturfinanzierung seine Präferenzen auf wirtschaftliche Aspekte setzen. Damit aber wird im Geschäftsmodell Kulturinvestition auch die Erfolgskontrolle, sei es in Form von Prozesskontrollen und Wirkungskontrollen (vgl. Bruhn 2003, S. 195), an Bedeutung gewinnen und damit auch die Strukturen des Wirtschaftsfaktors Kultur transparenter machen.
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Ausblick
Wie immer sich der Markt der Kulturförderung entwickeln wird, eins scheint klar zu sein: „Personenbezogene Entscheidungskriterien“ (ebd., S. 169) werden in Zukunft an Bedeutung verlieren, das Nutzenkalkül an Vorrang gewinnen. Dadurch wird Kulturmarketing nicht allein unter akquisitorischen Gesichtspunkten anspruchsvoller. Mehr noch: Es könnte sich eine völlig neue Dimension eröffnen, dergestalt, dass an Langzeitprojekten bzw. periodisch wiederkehrenden Kunstereignissen nicht etwa nur die Kommunikationsabteilungen großer Unternehmen mit diskontinuierlichen Förderinteressen (beispielsweise was das Sponsoring oder das Mäzenatum betrifft) beteiligt werden, sondern diese Unternehmen als wirtschaftliche Investoren, oder bei einer entsprechenden Konstruktion (z. B. der Öffnung des Investmentgesetzes) über Fonds auch kunst- und nichtkunstsinnige private Investoren, beteiligt werden. Daraus ergäben sich für die Kommunikationspolitik der Projekte völlig neue Voraussetzungen. In der Konsequenz hieße das, dass auch professionelle Investor-Relations betrieben werden müsste, die der Investorenkommunikation kapitalsuchender Unternehmen, etwa der güterproduzierenden Branchen, in nichts nachstehen. In jedem Fall aber stellt sich das alte Thema Geist und Geld neu, nicht mehr im Sinne eines unversöhnlichen Gegensatzes, sondern eher in einer – wenn auch mitunter konfliktreichen – Gegenseitigkeit, die auf beiden Seiten Kreativität und Inspiration zur Voraussetzung hat. „Der Kulturbegriff“, so ein weiteres Diktum des bereits zitierten BEUYS, „ist das Wirtschaftsprinzip und umgekehrt.“
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Literatur
Ammann, J.- C. (Hrsg.): Kulturfinanzierung. Dokumentation des Symposions zur Art Frankfurt 1995, Regensburg 1995 Bolender-Wachtel, S. (Hrsg.), PR- und Medienberater, Frankfurt / New York 1999 Braun, G.r E. / Gallus, T.: Kultursponsoring-Management, in: Thomas Heinze (Hrsg.): Kulturfinanzierung. Sponsoring- Fundraising- Public-Private-Partnership, Münster / Hamburg / London 1999 Bruhn, M.: Sozio- und Umweltsponsoring, Engagements von Unternehmen für soziale und ökologische Aufgaben, München 1990 Bruhn, M.: Sponsoring. Systematische Planung und integrativer Einsatz. 4. Auflage, Wiesbaden 2003 Dieterle, W. K. M. / Winckler Eike M. (Hrsg.): Gründungsplanung und -finanzierung – Voraussetzungen für den Gründungserfolg, München 2000. Döpfner, C.: Kunst und Kultur – voll im Geschäft? Kulturverträgliches Kunstsponsoring, Frankfurt am Main 2004 Fabisch, N.: Fundraising, München 2002 Ferber, J.: 30 Minuten für erfolgreiche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Offenbach 2000 Heinrichs, W.: Kulturpolitik und Kulturfinanzierung, München 1997 Heinrichs, W. / Klein, A.: Kulturmanagement von A – Z Heinze, T. (Hrsg.): Sponsoring – Fundraising – PPP, Münster 1999 Herzberg, U.: Mein Business Plan - Strategisch planen, Erfolge präsentieren, Freiburg 2004 Kastin, K. S.: Marktforschung mit einfachen Mitteln - Daten und Informationen beschaffen, auswerten und interpretieren, München 1999 Kirchhoff, K.R. / Piwinger, M.: Praxishandbuch Investor Relations, Wiesbaden 2005 Klein, A.: Kulturmarketing. Das Marketingkonzept für Kulturtreibende, München 2001 Levinson, J. C. / Gallagher, B. / Wilson, O.R.: Guerilla Verkauf, München 1992 Lessel, W.: Projektmanagement, Berlin 2002 Litzel, S. / Loock F. / Brackert A. (Hrsg.): Handbuch Wirtschaft und Kultur, Formen und Fakten unternehmerischer Kulturförderung, Berlin / Heidelberg / New-York 2003 Reimann, M. / Rockweiler, S.: Handbuch Kulturmarketing, Berlin 2005
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Investorengewinnung in der Kunst- und Kulturszene
Urselmann, M.: Erfolgsfaktoren im Fundraising von Nonprofit-Organisationen, Wiesbaden 1998
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Fundraising 1
Einleitung
2
Begriffsdefinition des Fundraisings und Abgrenzung zum Sponsoring
3
Erfolgsfaktoren des Fundraisings
3.1
Fundraising als Managementprozess
3.2
Positionierung und Stellenwert des Fundraisings
3.3
Das Qualifikationsprofil erfolgreicher Fundraiser
3.4
Die Erforschung von Spenderpräferenzen
3.5
Aufbau und Pflege langfristiger Spenderbeziehungen
4
Fundraisingaktivitäten im Überblick
5
Fundraising und Controlling
6
Perspektiven des Fundraisings
7
Literatur
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1
Investorengewinnung in der Kunst- und Kulturszene
Einleitung
In Zeiten des Ökonomisierungsdrucks der öffentlichen Hand ist der Fortbestand einer Kultureinrichtung keinesfalls selbstverständlich. So steigt der Druck auf die kulturellen Institutionen, den Eigenanteil ihrer Finanzierung deutlich auszubauen. Fundraising, als ein Element der Mittelbeschaffung, geht dabei weit über das Spendensammeln hinaus und kann an den Staat, die Wirtschaft oder Privatpersonen adressiert sein. Aufgrund der Ressourcenknappheit und des steigenden Bedarfs an Hilfe und Unterstützung sind die Institutionen auf dem Kultursektor zunehmend gefordert, ihre Energie stärker als früher von den inhaltlichen Teilen ihrer Arbeit zugunsten des existentiellen Prozesses der Mittelbeschaffung umzuleiten. Unter diesem Druck steigen die Anforderungen an Professionalität, Systematik und Innovation. Mit dem vorliegenden Beitrag werden die für die Implementierung von Fundraisingstrukturen relevanten Erfolgsfaktoren vorgestellt und die möglichen Fundraisingaktivitäten im Überblick dargestellt. Die Einbindung des Fundraisings in das Unternehmenscontrolling und sowie ein Ausblick auf die Perspektiven des Fundraisings in kulturellen Institutionen bilden den Abschluss des Beitrages.
2
Begriffsdefinition des Fundraisings und Abgrenzung zum Sponsoring
Fundraising kann als die Erstellung einer Kommunikationsstrategie für die Beschaffung von nicht regelmäßig kommenden Finanzmitteln, welche nicht nach eindeutigen Förderkriterien vergeben werden, bezeichnet werden. Unter Fundraising wird daher derjenige Teil des Beschaffungsmarketing verstanden, bei dem die benötigten Ressourcen ohne marktadäquate materielle Gegenleistung beschafft werden. Benötigte Ressourcen sind nicht nur Finanzleistungen, sondern auch Sachleistungen, Dienst- und Arbeitsleistungen, Rechte und Informationen (vgl. Urselmann 1998, S. 21). Fundraising wird dabei als Bestandteil einer umfassenden Marketingkonzeption verstanden, bei welcher der Planungsprozess, die Durchführung und die Auswertung von Marketingstrategien- und aktivitäten zur effizienten Beschaffung von benötigten Ressourcen im Vordergrund stehen. Während es sich beim Fundraising prinzipiell um eine Beschaffungsform handelt, bei der keine marktadäquate materielle Gegenleistung des Empfängers erbracht werden muss, ist mit den jeweiligen Aktivitäten des Sponsorings auch die Erreichung von unternehmerischen Marketing- und Kommunikationszielen des Sponsoringgebers verbunden. Entsprechend fördern beim Sponsoring Unternehmen Personen und Organisationen mit dem Ziel, unternehmensspezifische Interessen in die Öffentlichkeit zu tragen, die den Bekanntheitsgrad des jeweiligen Unternehmens vergrößern. Sponsoring kann damit als eine Finanzierungsform
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verstanden werden, die auf einem Prinzip von Leistung und Gegenleistung des Sponsoringgebers und des Sponsornehmers beruht76 (vgl. Luhe 2004, S. 19f.). Ein weiteres wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Sponsoring und Fundraising zeigt die relative Bedeutung des Fördergedankens. Beim Sponsoring ist der unternehmerische Eigennutz ein zentrales Fördermotiv, während beim Fundraising vorwiegend altruistische Motive im Vordergrund stehen.
3
Erfolgsfaktoren des Fundraisings
3.1
Fundraising als Managementprozess
Das strategische Management umfasst alle Entscheidungen und Handlungen des Managements, die den langfristigen Erfolg einer Organisation determinieren. Fundraising als strategisch angelegten Managementprozess zu behandeln, heißt die fünf zentralen Managementfunktionen Analyse, Planung, Umsetzung, Controlling und Evaluation auf das Fundraising zu übertragen. Eine ausführliche Analyse der Ausgangssituation steht am Anfang einer fundierten Fundraisingplanung. In der strategischen Planung wird oftmals die SWOT-Analyse zur Erfassung der Ausgangssituation eingesetzt. Bei der SWOT-Analyse wird die interne Situation der jeweiligen Institution durch eine Analyse der Stärken und Schwächen beurteilt und in einem weiteren Planungsschritt die externe Unternehmensumwelt untersucht. Abschließend werden die Chancen und Risiken, die sich für das Fundraising aus dieser Unternehmsanalyse ergeben, ermittelt. Die Entwicklung der politischen, ökonomischen, sozialen und technologischen Umwelt hat ebenfalls Auswirkungen auf das Fundraising der jeweiligen Institutionen und muss daher Berücksichtigung in der strategischen und operativen Fundraisingplanung finden. Qualität und Erfolg sollten ebenso wie Zielabweichungen messbar und kontrollierbar sein. Die Evaluierung einzelner Fundraisingmaßnahmen sollte im Rahmen eines systematischen Controllingprozesses erfolgen. Die daraus resultierenden Ergebnisse bilden die Entscheidungsgrundlage für zukünftige Aktionen und Maßnahmen (vgl. Haibach 2006, S. 78). Zusammengefasst gelten die Formulierung von Zielen, die Entwicklung von Zielsystemen und die Strategiefestlegung als wesentliche Aufgaben der Unternehmensführung im Rahmen eines strukturierten Fundraisingprozesses. Eine verantwortungsvolle Steuerung und Implementierung dieser Managementprozesse durch die Führungskräfte der jeweiligen Institution ist somit als entscheidender Erfolgsfaktor im Fundraisingprozess zu werten.
76
Siehe hierzu den Beitrag „Sponsoring“ von CORDES im vorliegenden Band.
396
3.2
Investorengewinnung in der Kunst- und Kulturszene
Positionierung und Stellenwert des Fundraisings
Bei der Entscheidung über die organisationsinterne Ansiedlung des Fundraisings spielt die Organisationsgröße der kulturellen Institution, die Stellensituation und in besonderer Weise die Prioritätensetzung eine wesentliche Rolle. Wird Fundraising als Managementprozess verstanden, leitet sich daraus ab, dass Fundraising eine zentrale Managementaufgabe ist, die einerseits besonderer Führung bedarf und andererseits viele Organisationsmitglieder einbindet. In den Institutionen des Kultursektors ist eine Ankopplung des Fundraisings an den Bereich Öffentlichkeitsarbeit oftmals der Regelfall. Dies kann insofern sinnvoll sein, als es sich beim Fundraising ähnlich wie bei der Öffentlichkeitsarbeit um eine Form der öffentlichen Darstellung des Unternehmens handelt und die eingesetzten Mittel und Methoden sich ähneln. Allerdings müssen die Ziele der Öffentlichkeitsarbeit von denen des Fundraisings deutlich unterschieden werden. Wenngleich die Steigerung des Bekanntheitsgrades und die positive Imagewirkung sich gleichermaßen als Ziele von Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit benennen lassen, steht im Fundraising insbesondere die Reaktion in Form einer Spende im Vordergrund. Insofern müssen Fundraisingaktivitäten und PR-Maßnahmen im Rahmen des gesamten Marketingmixes einer kulturellen Institution sinnvoll aufeinander abgestimmt werden (vgl. Haibach 2006, S. 94f.). Die Arbeitseinteilung innerhalb des Fundraisings kann dabei auf Grundlage der Einteilung der Förderer in unterschiedlichen Gruppen (z.B. Groß- und Kleinspender), anhand der Fundraisinginstrumente (z.B. Veranstaltungsorganisation oder Internetfundraising) und/oder entsprechend der einzelnen Tätigkeitsbereiche (z.B. Betreuung von Gremien und Förderern oder Datenbankarbeit) erfolgen.
3.3
Das Qualifikationsprofil erfolgreicher Fundraiser
Ein Blick auf die Aufgabenbereiche zeigt, dass Fundraising sehr komplex ist, dass unterschiedliche Aufgaben anfallen, die teilweise ineinander übergreifen und daher verschiedene Schlüsselkompetenzen für den erfolgreichen Fundraiser erforderlich sind. Zu den Aufgaben im Fundraising zählen grundsätzlich (vgl. Urselmann 2002, S. 179f.): • • • • • • • •
Konzeptentwicklung Identifizierung von Spendergründen Aufbau und Pflege der Spenderdatenbank Planung, Durchführung und Auswertung von Fundraisingaktivitäten Spenderbetreuung Zusammenarbeit mit Führungskräften, Ehrenamtlichen und externen Dienstleistern Aufstellung und Überwachung kurz- und langfristiger Fundraisingbudgets Spendenbuchung und Zahlungsverkehr
Karl-Heinz Ukena
397
Idealerweise zeichnet sich das Qualifikationsprofil von Fundraisern durch soziale und kommunikative Kompetenz, persönliche Kompetenz sowie Fach-, Organisations-, und Führungskompetenz aus (vgl. Haibach 1997, S. 19f.). Den persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten kommt eine besondere Bedeutung zu, weil Fundraiser als Repräsentanten der jeweiligen Kulturinstitution gegenüber Förderern aber auch der Öffentlichkeit agieren und häufig von ihnen abhängt, ob sich Vertrauen in die Organisation einstellt oder nicht. So sind die Identifikation mit den Inhalten, eine positive Arbeitseinstellung, Geduld und Ehrlichkeit wichtige Persönlichkeitskompetenzen, die für ein erfolgreiches Fundraising notwendig sind. Insbesondere persönliches Engagement wirkt überzeugend und wird die Glaubwürdigkeit positiv beeinflussen. Soziale und kommunikative Kompetenzen benötigen Fundraiser, da sie auf sehr verschiedenen Ebenen kommunizieren müssen und die Aufgabe haben, andere Menschen zum Spenden zu motivieren (vgl. Haibach 1997, S. 23f.).
3.4
Die Erforschung von Spenderpräferenzen
Bevor sich kulturelle Institiutionen konsequent an den Präferenzen der Spender orientieren und bevor sie langfristige Beziehung zu den Förderern aufbauen, müssen die Vorstellungen und Bedürfnisse der Spender bekannt sein. Die Erforschung der Spenderpräferenzen dient somit der Ermittlung von Motiven und Nutzenerwartungen potentieller Spender, damit sich das Interesse für die jeweilige Institiution wecken lässt, um schließlich die Unterstützung einzelner Spender zu gewinnen (vgl. Urselmann 2002, S. 89f.). Zudem kann eine erfolgreiche Erforschung der Spenderpräferenzen in der Folge zu einer besseren Strukturierung und effizienteren Gestaltung der Fundraisingaktivitäten führen. Für die Erforschung von Spenderpräferenzen sind u.a. Fragen nach persönlichen inhaltlichen Anliegen, der Einstellung zur Arbeit der jeweiligen kulturellen Institution, Zahlungsmodalitäten oder bevorzugten Förderzeitpunkten interessant, da sie Anhaltspunkte für Motive und Spendenverhalten liefern können. Die Beobachtung des Spenderverhaltens kann mit Hilfe einer Fundraisingdatenbank erfolgen, durch die eine systematische Auswertung und Nutzbarmachung von Spenderdaten möglich ist. Über einen längeren Zeitraum hinweg lassen sich somit durch genaue Beobachtung Fördererpräferenzen erkennen und Motive ableiten, die das Verhalten der Spender bestimmen (vgl. Urselmann 2002, S. 74ff.). Für das Fundraising relevante Daten lassen sich nach den drei Modulen Fördererdaten, Zahlungshistorie und Kontakthistorie unterscheiden. Im Rahmen der Fördererdaten können neben die genauen Adressdaten folgende Förderermerkmale unterschieden werden (vgl. Urselmann 2002, S. 55f.): • demographische Förderermerkmale (z.B. nach Alter, Geschlecht, Hauhaltsgröße)
398
Investorengewinnung in der Kunst- und Kulturszene
• verhaltensbezogene Förderermerkmale (z.B. nach Informationsverhalten, bevorzugte Spendenzeitpunkte) • soziographische Förderermerkmale (z.B. nach Bildung, Beruf, Schichtzugehörigkeit) • psychographische Förderermerkmale ( z.B. nach Motiven, Einstellungen, Erwartungen, Meinungen) • geographische Förderermerkmale (z.B. nach Regionen, Stadtteilen) Um zukünftige Fundraisingmaßnahmen effektiver zu planen ist eine Verknüpfung dieser Daten mit der Zuordnung der jeweiligen Spender zu einem der fünf folgenden Spendertypen zielführend: • • • • •
desinteressierte Zufallsspender informationsbedürftige Intensivspender skeptische Spendenverweigerer impulsive Aktionsspender leichtgläubige Gewohnheitsspender
Die Erforschung der Spenderpräferenzen ist als fortlaufender Evaluationsprozess zu organisieren, dessen Erkenntniswert für die operative und strategische Fundraisingplanung erst mittelfristig zu bewerten ist.
3.5
Aufbau und Pflege langfristiger Spenderbeziehungen
Die Bedürfnisse der Spender zu kennen und ihnen gerecht zu werden, ist eine wichtige Grundlage für die Schaffung von Vertrauen und Zufriedenheit. Wenn eine kulturelle Institution jedoch die langfristige Unterstützung durch Spenden anstrebt, müssen Bindungen aufgebaut werden, durch die sich Spender angesprochen und motiviert fühlen, über einen langen Zeitraum hinweg regelmäßig zu spenden. Einerseits führen Dauerspenden zu einer Kostenersparnis, weil die Kosten der Spenderbindung deutlich geringer sind als jene, die bei der Gewinnung von Neuspendern anfallen. Andererseits führen regelmäßige Spendeneinnahmen auch dazu, dass durch prognostizierbare Mittelzuflüsse eine perspektivisch angelegte Finanzplanung der kulturellen Institution unterstützt wird. Die erfolgreiche Beschaffung von Ressourcen sollte daher nicht als Abschluss von Fundraisingaktivitäten betrachtet werden. Der Eingang einer Spende ist der Beginn einer Beziehung zum Spender (vgl. Urselmann 2002, S. 92f.). Eine emotionale Bindung der Spender an die Institution herzustellen bedarf systematischer Beziehungsarbeit, die auch als RelationshipFundraising bezeichnet wird.
Karl-Heinz Ukena
399
Das Schaffen kommunikativer Ereignisse ( Tag der offenen Tür, Vorträge oder Führungen), die Spenderversorgung mit regelmäßigen Informationen (Zeitschriften, Jahresberichte oder Newsletter) und besonders auch Dankesstrategien (schriftlichen Dankesbriefe, telefonischer Dank oder öffentliche Namensnennung) eignen sich, um eine Betreuung der Spender zu gewährleisten und eine innere Bindung zur jeweiligen Institution aufzubauen (vgl. Crole 1998, S. 36f.). Wichtig ist zudem, dass Spendern die Möglichkeit einer unkomplizierten Kontaktaufnahme gegeben wird, damit es nicht bei einseitigen Kommunikationsversuchen bleibt, sondern ein echter Dialog entstehen kann.
4
Fundraisingaktivitäten im Überblick
In Anlehnung an HOLZHAUER kann eine Zuordnung der Fundraisingaktivitäten entsprechend zweier unterschiedlicher Organisationsbereiche vorgenommen werden. Danach werden alle Erträge, die aus Spendenakquisen, Sammlungen und kommunikativen Aktionen hervorgehen, der Verantwortung des Organisationsbereiches Öffentlichkeitsarbeit/Kommunikation zugeordnet. Die Erträge, die durch Mittelbeschaffung ohne Spendenbezug entstehen, erfassen primär die haushaltsrechtlichen und betriebswirtschaftlichen, ordentlichen Einnahmen und werden dem Organisationsbereich Finanzen/Wirtschaft zugeordnet. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Generierung von Spenden und Drittmitteln. Neben den klassischen Fundraisingaktivitäten, zu denen Benefizaktionen und Spendenbriefe ebenso wie zahlreiche Varianten von Geld- und Naturalsammlungen zählen, existieren auch weitere Formen des Fundraisings wie z.B. das stark an Bedeutung gewinnende Onlinefundraising und das Erbschaftsfundraings auf. Für den Erfolg der gesamten Fundraisingaktivitäten ist es zielführend, diese Maßnahmen in den Kontext des gesamten Marketingmix des jeweiligen Unternehmens zu stellen.
5
Fundraising und Controlling
Controlling setzt die Festlegung überprüfbarer Ziele voraus. Die Bewertung von Ergebnissen mit diesen Zielen oder die Messung der Effektivität verschiedener Fundraisingmassnahmen dokumentieren die Wirksamkeit der gesamten Fundraisingstrategie. Der Erfolg der Fundraisingaktivitäten sollte z.B. als Kostenstellenauswertung regelmäßig gemessen werden. Folgende Kennzahlen gelten für die Bewertung der Fundraisingmaßnahmen als besonders relevant: • Dividiert man die Summe der Spenden durch die Anzahl der Einzahlungen, erhält man den Spendendurchschnitt innerhalb einer festgelegten Periode. Anhand des Spendendurchschnitts können Spendergruppen festlegt werden. Eine Segmentierung kann in Form von Groß-, Durchschnitts- und Kleinspendern erfolgen. Bei der Planung von zukünftigen Fundraisingkampagnen sind diese Spendergruppen dann im Rahmen der Kommunikation zielgruppenspezifisch anzusprechen.
400
Investorengewinnung in der Kunst- und Kulturszene
• Der Erfolg bzw. die Rentabilität einer Fundraisingmassnahme wird gemessen, indem das gesamte investierte Kapital sowie der Umsatz (Spendenerlös, Spendenanzahl) zum Gewinn in eine Beziehung gesetzt werden. Der Return of Investment (ROI) stellt dabei das prozentuale Verhältnis zwischen Einnahmen und Kosten dar. • Eine Vielzahl von Institutionen setzen im Rahmen von Fundraisingaktivitäten auf den Einsatz von Spendenbriefen. Die Messung der Responserate erfolgt, indem die Anzahl der Spendeneinzahlungen durch die Auflage des Spendenbriefes dividiert wird. Die Responsrate gibt darüber Aufschluss, in welchem Maße die Empfänger auf den Spendenbrief reagiert haben. Der Umfang des Controllingsystems ist in Verbindung mit den durchgeführten Fundraisingaktivitäten sowie der Unternehmensgröße der jeweiligen Institution zu sehen. Zielführend ist es, die Ergebnisse der durchgeführten Maßnahmen mit den vorab definierten Zielen abzugleichen um bei zukünftigen Maßnahmen den Instrumenteneinsatz weiter im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses optimieren zu können.
6
Perspektiven des Fundraisings
Theater, Museen, Zoos und Ausstellungen bringen als Kultureinrichtungen ihren Gästen Gefühle, Erfahrungen, Anregungen und Emotionen. Fundraising funktioniert über Emotionen. Demnach sollte Fundraising für kulturelle Institutionen eigentlich besonders erfolgreich sein. Dass dies bisher kaum der Fall war und Fundraising für kulturelle Zwecke noch wenig entwickelt ist, liegt vermutlich an der vorherrschenden Subventionierung des Kulturbereiches und an der teilweise vorhandenen Grundhaltung vieler Kulturschaffender, die es für problematisch halten, um Geld zu bitten (vgl. Crole 2007, S. 14ff.). Mit der Tendenz zur Professionalisierung innerhalb der Kulturlandschaft und dem Druck der öffentlichen Hand den Anteil der Eigenfinanzierung weiter auszubauen, wird auch die Bedeutung des Fundraisings im kulturellen Bereich weiter wachsen. Sowohl die Kommunikation nach innen als auch die Darstellung der Organisation nach außen sind für das Fundraising bedeutsame Bereiche. Wenn die Kommunikationsstrukturen, das Management, der gesamte Marketingmix und auch die Nutzung der Datenbank gut aufeinander abgestimmt sind, wird eine gezielte und erfolgreiche Orientierung hin zu den Spendern möglich. Erst die Kenntnisse der Spenderpräferenzen ermöglichen eine gezielte Ansprache von Spendergruppen und die Motivation Einzelner für kleine und große Spenden. Fundraising, sinnvoll und strukturiert eingesetzt im Rahmen einer ganzheitlichen Marketingstrategie einer kulturellen Institution, kann zu einer stärkeren Publikumsbindung und zu einer Erhöhung der Besucherzahlen führen, wie Beispiele in den USA eindrucksvoll zeigen. Die Fundraisingstrategien erfolgreicher Hilfswerke wie z.B. der UNICEF können auch auf den kulturellen Sektor übertragen werden und stellen eine Möglichkeit dar, die Eigenfinanzie-
Karl-Heinz Ukena
401
rung und damit auch die Selbständigkeit der kulturellen Institutionen langfristig und nachhaltig zu unterstützen.
7
Literatur
Bosch, E.: Besser spenden, Wiesbaden 2007 Crole, B. / Fine, C.: Erfolgreiches Fundraising – auch für kleine Organisationen, Berlin / Regensburg 2003 Crole, B.: Profi- Handbuch Fundraising, Berlin 2007 Haibach, M.: Beruf: Fundraiser/in – Aufgaben, Qualifikationsanforderungen, Status, Bietigheim- Bissingen 1997 Haibach, M.: Handbuch Fundraising: Spenden, Sponsoring, Stiftungen in der Praxis, Frankfurt am Main / New York 2006 Holzhauer, H.- J.: Fundraising- Möglichkeiten von A – Z, in: Fundraising: Handbuch für Grundlagen, Strategien und Instrumente, Fundraising Akademie (Hrsg.), Wiesbaden 2001 Luhe, D.: Fundraising: Fundraising als beziehungsorientiertes Marketing – Entwicklungsaufgaben für Nonprofit- Organisationen, Augsburg 2004 Urselmann M.: Erfolgsfaktoren im Fundraising von Nonprofit- Organisationen, Wiesbaden 1998 Urselmann, M.: Fundraising. Erfolgreiche Strategien führender Nonprofit- Organisationen, 3. erweiterte Auflage, Bern / Stuttgart / Wien 2002 Online-Quellen: Deutscher Fundraising Verband e.V.: Zahlen zum Fundraising in Deutschland, www.fundraisingverband.de Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen: Spenderberatung, Spendersiegel, Dankstrategien, Spendenmarkt in Deutschland, www.dzi.de Fundraising-Akademie: Fundraising in Theorie und Praxis, www.fundraisingpraxis.de GFK: Charity-Scope – Panel zum Spendenmarkt www.gfk.com/imperia/md/content/ps_de/consumerscope/spenden.pdf
in
Deutschland,
Maecenata Verlag: Stiftungsführer und Kompetenzzentrum, www.maecenata.eu Spendenrat: Untersuchung zum Spendenvolumen in Deutschland, www.spendenrat.de
Jens Cordes
Sponsoring 1
Einleitung
2
Sponsoring als Managementprozess
2.1
Abgrenzung des Sponsoring
2.2
Wesen des Sponsorings
3
Entwicklung des Sponsorings
4
Ziele und Umsetzung des Sponsoring
4.1
Sponsoring als Marketinginstrument der Kommunikationspolitik des Sponsors
4.2
Sponsorenziele
4.3
Sponsoring als Teil des systematischen Beschaffungsmarketing
4.4
Der operative Sponsoring-Management-Prozess
5
Fazit
6
Literatur
404
1
Sponsoring
Einleitung
In der Kultur, im Sport, dem Umwelt- und Naturschutz sowie der Forschung und Lehre begegnen uns Sponsorships. Besonders öffentliche Einrichtungen sind angesichts immer knapper werdender Haushaltsmittel zunehmend gezwungen, ihren Finanzierungsbedarf aus alternativen Quellen zu decken. Mittlerweile gehört das Sponsoring, bei dem zumeist Veranstaltungen o.g. Bereiche von Unternehmen finanziert werden und deren Engagement im Gegenzug kommunikationspolitisch publik gemacht wird, zu den etablierten Finanzierungsinstrumenten. Dennoch lässt sich in der Praxis immer wieder feststellen, dass Sponsorships nicht regelmäßig systematisch entwickelt und abgewickelt werden, sondern sich stattdessen als Zufallsprodukte ergeben, resultierend aus z.B. Netzwerkbeziehungen. Sponsorships sind Geschäftsbeziehungen zwischen den Sponsoringpartnern. Das impliziert, dass die nach Sponsoren suchenden Kultureinrichtungen die Sponsoringziele und mit Sponsorships verbundenen Verhaltensweisen von potenziellen Sponsoren – zumeist also Unternehmen – kennen müssen. Nur so werden die Kulturverantwortlichen in der Lage sein, die Erfolgswahrscheinlichkeit ihrer Sponsorensuche zu maximieren. Daher wird im vorliegenden Beitrag die Sponsoringthematik vor allem aus Sicht der Unternehmen als potenzielle Sponsoren betrachtet. Die hieraus resultierenden Erkenntnisse versetzen Kultureinrichtungen in die Lage, bei ihren Sponsoringplanungen die Ansprüche und Erwartungen der Unternehmen zu antizipieren und als gleichwertiger Verhandlungspartner auftreten zu können. Im Folgenden wird dargelegt, wie sich dieses Finanzierungs- (Sponsoringnehmersicht) und zugleich Kommunikationsinstrument (Sponsoringgebersicht) systematisch erschließen lässt.
2
Sponsoring als Managementprozess
2.1
Abgrenzung des Sponsoring
„Sponsoring bedeutet die Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle sämtlicher Aktivitäten, die mit der Bereitstellung von Geld, Sachmitteln oder Dienstleistungen durch Unternehmen zur Förderung von Personen und/ oder Organisationen im sportlichen, kulturellen und/ oder sozialen Bereich verbunden sind, um damit gleichzeitig Ziele der Unternehmenskommunikation zu erreichen“ (Bruhn 1991, S. 21). Das Sponsoring unterscheidet sich somit eindeutig vom so genannten Fundraising77, in welchem den Geförderten kein Sponsor gegenübersteht sondern ein nach dem traditionellen Begriff bezeichneter Mäzen. Dieser verfolgt keine unternehmerischen Ziele, sondern zielt primär darauf, still und diskret künstlerische, sportliche oder gesellschaftspolitische Interessen zu unterstützen, ohne dass der Geförderte verpflichtet ist, eine Gegenleistung zu erbringen. (vgl. Walliser 1995, S. 11)
77
Siehe hierzu den Beitrag „Fundraising“ von UKENA im vorliegenden Band.
Jens Cordes
405
Darüber hinaus kann das Product Placement als eine spezielle Form des Sponsorings angesehen werden (vgl. Kössner 1999, S. 28). Es handelt sich hierbei um eine gezielte Platzierung einer Marke oder eines Produktes in die Handlung eines Spielfilmes, einer Fernsehsendung oder eines Videoclips. Die Zielgruppe bleibt damit allein auf das jeweilige Filmpublikum beschränkt und Multiplikatoreneffekte durch große Medien, wie sie beim Sponsoring genutzt werden könnten, sind somit weitestgehend nicht nutzbar. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Product Placement und dem Sponsoring lässt sich jedoch hinsichtlich der Interessen des Unternehmens identifizieren, da die finanzielle bzw. nicht finanzielle Unterstützung an eine genau festgelegte, werbewirksame Gegenleistung knüpft. (vgl. ebd., S. 19f.)
2.2
Wesen des Sponsorings
Den kommunikationspolitischen Interessen des Sponsors stehen die Ziele des Gesponserten gegenüber, der das Sponsoring als Instrument des Beschaffungsmarketings für sich nutzen will. Professionell abgewickelte Sponsorships sind das Ergebnis eines Managementprozesses, der eine systematische Abfolge zielgerichteter Entscheidungen beinhaltet und auf beiden Marktseiten der Realisierung unternehmerischer Ziele dient. Förderung durch Geld, Sach- oder Dienstleistungen
Sponsor
Gesponserter Ziele
Ziele
Direkte/ indirekte Unterstützung der Kommunikationsziele des Sponsors
Medien
Öffentlichkeit Zielgruppe Sponsor
Publikum
Abb.1 Das Wesen des Sponsorings (in Anlehnung an: Walliser 1995, S. 7 i.V.m. Erdtmann 1989, S. 6)
Sponsor und Gesponserter unterstützen sich im Zuge eines Sponsoring- Engagements somit bei der gegenseitigen Erreichung der jeweiligen Zielsetzungen (vgl. Erdtmann 1989, S. 6). Der Austausch von Leistung und Gegenleistung gilt hierbei als grundlegendes Prinzip des
406
Sponsoring
Sponsorings, basierend auf einer aktiven, geschäftspartnerschaftlichen und unternehmerischen Beteiligung des Sponsoring-Nehmers. Leistung und Gegenleistung der Austauschbeziehung sind klar definiert und vertraglich fixiert. So fördert der Sponsor den Gesponserten mit Geld-, Sach- oder Dienstleistungen und im Gegenzug verpflichtet sich der Gesponserte, die ihm zugute kommende Förderung des Sponsors einem Publikum bekannt zu machen. Der Einbezug der Medien als Multiplikatoren kann den Umfang des erreichten Publikums beträchtlich vergrößern, wobei im Idealfall dieses Publikum exakt der Zielgruppe des Sponsors entspricht. Eine exakte Übereinstimmung der Zielgruppen von Sponsor und Gesponserten ist in der Praxis selten, jedoch ist das Vorhandensein einer Schnittmenge beider Zielgruppen unverzichtbar.
3
Entwicklung des Sponsorings
Die Urform des Sponsorings, das Sportsponsoring, entwickelte sich in den siebziger Jahren, ausgelöst durch den Ausschluss der Tabakindustrie von der TV- Werbung in einigen Ländern Europas und das Sportsponsoring wurde zu einer klassischen Werbemethode (vgl. Kössner 1999, S. 31). Der Einsatz von Bandenwerbung darf jedoch nicht mit dem reinen Sponsoring gleichgesetzt werden, da das Mieten von Werbeträgern keinen Fördergedanken impliziert. Erst seit Anfang der achtziger Jahre kann in Deutschland von einem professionellem Sponsoring die Rede sein, mit dem Beginn der systematischen Suche nach Fördermöglichkeiten und der Einbindung des Sponsorships in die unternehmerische Kommunikationspolitik. (vgl. Bruhn 1991, S. 27) Die Auswahl eines Engagements ist am Beispiel des Sportsponsorings in Hinblick auf relevante Entscheidungsdimensionen, d.h. unterschiedliche Leistungsklassen und -empfänger zu treffen. Sie reichen in diesem Fall einerseits von Einzelsportlern und Vereinen bis hin zu sportübergreifenden Organisationen und andererseits vom Spitzensport über den Breitensport bis hin zum Nachwuchssport. Der Auswahl der Sportart für ein Sponsorship kommt dabei eine erhebliche Bedeutung zu, da mit jeder Sportart bestimmte Eigenschaften assoziiert werden und daraus resultierend positive Imagekomponenten auf das sponsernde Unternehmen übertragen werden sollen. Identifikationsmöglichkeiten der Kommunikationsempfänger mit dem jeweiligen Sport spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Zu berücksichtigen sind daher Eigenschaften des Zielpublikums, wie Geschlecht, Alter, Einkommen oder Wohnort. (vgl. Rieger 1996, S. 84f.) Der erfolgreiche Einsatz des Sponsorings im Sport führte zu einer Ausweitung der Anwendungsgebiete und zu der Suche nach neuen Aktionsfeldern. Erste Sponsoring-Ansätze im kulturellen und im sozialen Bereich finden sich Anfang der neunziger Jahre. (vgl. Bruhn 1991, S. 27)
Jens Cordes
4
407
Ziele und Umsetzung des Sponsorings
Für beide beteiligten Parteien – Sponsor und Gesponserten - stellt das Sponsoring ein wichtiges Instrument im Rahmen des Marketing-Managements dar und ihre spezifischen Zielsetzungen geben den Anstoß für ein Sponsorship.
4.1
Sponsoring als Marketinginstrument der Kommunikationspolitik des Sponsors
Eine wachsende Homogenität angebotener Produkte und Dienstleistungen macht es den Unternehmern immer schwieriger sich von den Konkurrenten abzugrenzen. Um ein möglichst unverwechselbares Unternehmensprofil trotz scheinbar ausgeschöpfter Marktkommunikation übermitteln zu können, ist es Aufgabe der Kommunikationspolitik, alternative Instrumente und Maßnahmen zu suchen und für sich zu nutzen. (vgl. Becker 1999, S. 13f.) In den Bereichen der Freizeit und der Unterhaltung ist es möglich Zielgruppen zu erreichen, die den kommunizierten Informationen offener und aufnahmebereiter gegenüberstehen, wobei hier das Sponsoring stark von der herkömmlichen Werbung zu unterscheiden ist. Viel mehr geht es beim Sponsoring um die Signalisierung und Übertragung von Imagekomponenten mit Hilfe von kurzen, prägnanten Botschaften und weniger um die Übernahme der Informationsfunktion im eigentlichen Sinne. Es ist festzuhalten, dass das Sponsoring als ein integraler Teil im Kommunikations-Mix zu verstehen ist und nicht als Substitut anderer Kommunikationsinstrumente dient. (vgl. Hermanns 1989, S. 8)
Kommunikations-Mix Werbung
Absatzförderung
Öffentlichkeitsarbeit Sponsoring
Abb.2 Sponsoring als übergreifendes Instrument der Kommunikationspolitik (vgl. Walliser 1995, S. 50)
408
Sponsoring
Die Ziele des Sponsorings ergeben sich aus den insbesondere kommunikationspolitischen übergeordneten Oberzielen des Unternehmens, die auch über die zu erreichenden Zielgruppen Aufschluss geben. Grundlage bieten die Unternehmensphilosophie, die Corporate Identity des Unternehmens und die sich anschließenden Marketing- und Kommunikationsziele unter Berücksichtigung gegebener aktueller Umstände (Situationsanalyse). (vgl. Reda 1997, S. 9f.) Im Rahmen der Zielgruppenanalyse identifiziert der Sponsor die Gruppen, mit denen er kommunizieren will. Das wären auf der einen Seite Zielgruppen des Unternehmens im engeren Sinne wie Kunden oder Lieferanten, aber auch weitere Zielgruppen, die vor allem durch eine gesponserte Veranstaltung angesprochen werden. Somit kann der Sponsor zwei Zielgruppenpotenziale erschließen. (vgl. Bruhn 1998, S. 220) Die Festlegung der Zielgruppen sowie die Bestimmung der Sponsoring-Instrumente zählen zu den inhaltlichen Schwerpunkten des Sponsoringmanagements. Weiterhin wird festgelegt, wer in der Öffentlichkeit als Sponsor auftritt, d.h. beispielsweise das gesamte Unternehmen oder eine einzelne Marke, in welchen Bereichen agiert wird, wer als Empfänger der Ressourcen in Frage kommt und vor allem welche Botschaft übermittelt wird. (vgl. ebd., S. 62) Die Festlegung der Sponsoring-Strategie bildet gleichzeitig den Rahmen für die operativen Sponsoring-Maßnahmen und für das zur Verfügung stehende Sponsoring-Budget, sowie für alle Leistungen und Gegenleistungen. Der Sponsoring-Managementprozess beinhaltet auch eine Erfolgskontrolle, die sowohl die Prozess- wie auch die Ergebniskontrolle umfasst und als Ausgangspunkt zum Einsatz des Sponsorings in Folgeperioden dient. (vgl. ebd., S. 263f.)
4.2
Sponsorenziele
Betrachtet man die Zieldimensionen des Sponsorings aus Sicht des Sponsoringgebers, können diese in ökonomische und in psychographische Ziele untergliedert werden. Kurz- bis mittelfristiger Einstufung unterliegen die psychographischen Ziele, wie die Steigerung des Bekanntheitsgrades. Umsatzsteigerung und die Erhöhung des Marktanteils müssen demgegenüber langfristig verfolgt werden. Zielgruppen- und Objektkategorisierungen lassen sich darüber hinaus nicht problemlos bündeln. Resultierend daraus sind die Ziele der Sponsoren stark situativ und abhängig von den jeweiligen Rahmenbedingungen der einzelnen Sponsorships. Folgende Ziele sind häufig Grund für Sponsoren-Engagement (vgl. Walliser 1995, S. 36): • • • • •
Steigerung der Bekanntheit einer Marke/ eines Unternehmens Verbesserung des Images einer Marke/ eines Unternehmens Produktdemonstration Motivation der Mitarbeiter Kontaktpflege mit externen Zielgruppen des Unternehmens
Jens Cordes
409
• Steigerung des Umsatzes Das Image im Fokus der Unternehmungen und mögliche diesbezüglich geplante Veränderungen können nur mittel- bis langfristig erreicht werden. Dies gilt insbesondere für den beabsichtigten Imagekomponententransfer vom Gesponserten auf den Sponsor. Sponsoring stellt für das Unternehmen ein geeignetes Instrument dar, um gesellschaftliche und soziale Verantwortung zu unterstreichen und somit die Gunst einer externen und/ oder internen Zielgruppe zu gewinnen. (vgl. ebd., S. 36) Für Kultureinrichtungen bedeutet diese Erkenntnis, dass sie sich ihrer Imagekomponenten und deren Ausprägung in den Augen ihrer Zielgruppen bewusst sein müssen. Ist dies der Fall, kann z.B. ein Sponsoren suchendes Museum offensiv, gezielt und konkret potenzielle Sponsoren auf Transferpotenziale einzelner Imagekomponenten vom Museum auf das Unternehmen hinweisen.
4.3
Sponsoring als Teil des systematischen Beschaffungsmarketing
Aus der Perspektive derer, die die Sponsorenressourcen einwerben, ist das Sponsoring Teil des systematischen Beschaffungsmarketings und somit als typisches Marketinginstrument zu behandeln (vgl. Rieger 1996, S. 156). In diesem Sinne muss der Sponsoring-Nehmer sein Denken und Handeln an den Interessen möglicher Sponsoren ausrichten. Aus Sicht des Gesponserten dient das Sponsoring der Erschließung zusätzlicher Finanzierungsquellen. Durch diese Einnahmen soll der Erhalt und unter Umständen die qualitative bzw. quantitative Verbesserung des Leistungsangebotes gewährleistet werden. Da das Sponsorship i.d.R. mit klar definierten Ereignissen - wie z.B. Veranstaltungen - verbunden ist, ist es überwiegend als Projektfinanzierungsinstrument zu verstehen. Möchte ein Sponsor konkrete Zielgruppen erreichen, lassen sich diese bei spezifischen Projekten wie Events i.d.R. zielgenauer treffen, als bei der Finanzierung der gesamten Institution. Der Sponsoring-Management-Prozess dient als Grundlage für ein gezieltes, systematisches und professionelles Sponsoring basierend auf den grundsätzlichen übergeordneten Organisationszielen.
410
Sponsoring
Strategisches Management
Festlegung der globalen Zielsetzungen der Organisation
Festlegung der Ziele des Sponsorings
Situationsanalyse
Formulierung einer Sponsoring-Strategie
Umsetzung der
Sponsoring-Strategie
Operatives Management
Definition des Sponsorships
Festlegung potenzieller Sponsoren
Kommunikation mit potenziellen Sponsoren
Vereinbarung: Sponsoring-Vertrag
Pflege des Sponsoring-Verhältnisses
Sponsoring-Kontrolle
Abb.3 Der Sponsoring- Management- Prozess aus Sicht des Gesponserten (vgl. Braun / Gallus / Scheytt 1996, S. 56)
Das Leitbild einer Organisation gibt Aufschluss über den Organisationszweck, die Organisationsidentität und die Organisationsgrundsätze und dient der Formulierung übergeordneter Organisationsziele (vgl. Urselmann 2002, S. 167f.). Auf dieser Grundlage ergibt sich der Zielkatalog für das Sponsoring. Erst hieran knüpft sich die Frage, ob Sponsoring als Beschaffungsinstrument grundsätzlich in Frage kommt (vgl. Lang / Haunert 1995, S. 126). Die Rahmenbedingungen der Planung des Sponsorings werden mit Hilfe der Situationsanalyse erfasst. Die Institutionsanalyse untersucht die Voraussetzungen des Sponsoring-
Jens Cordes
411
Nehmers hinsichtlich seiner aktuellen und insbesondere zukünftigen Finanzsituation. Dargestellt wird weiterhin das gesamte Leistungsangebot der Organisation, wie auch die zu erreichenden Zielgruppen, die durch repräsentative Besucherstrukturen beschrieben werden können. Eine Imageanalyse soll aufdecken, welche Imagedimensionen der Sponsoringnehmer besitzt und für potenzielle Sponsoren hinsichtlich eines Imagekomponententransfers erstrebenswert sind. Intern ist das Vorhandensein eines sponsorenfreundlichen Klimas zu ermöglichen und zu sichern. (vgl. Kössner 1999, S. 58) Führt beispielsweise die Unkenntnis darüber, dass Sponsorships grundsätzlich nur vertraglich vereinbarte Aktivitäten seitens des Sponsors zulassen (wodurch sich z.B. unerwünschte Einflussnahmen seitens der Sponsoren auf kulturelle Inhalte ausschließen lassen), zu einer skeptischen oder gar ablehnenden Haltung gegenüber Sponsorships innerhalb der Belegschaft der Kultureinrichtung, so wird sich diese – wenn auch partielle - Ablehnungshaltung unter Umständen kontraproduktiv auf die Kooperationsbeziehung zwischen dem Sponsoringgeber und der Kultureinrichtung auswirken. Dies kann dazu führen, dass Sponsoringverträge gar nicht erst zustande kommen, da der Sponsoringgeber nicht von der Kultureinrichtung als passenden Partner überzeugt ist, oder dass das Sponsorship zu suboptimalen Ergebnissen aus Sicht des Sponsoringgebers führt, da in das Sponsorship involvierte Mitarbeiter der Kultureinrichtung mangels inneren „Commitments“ nur suboptimale Erfolgsbeiträge leisten. Neben der Institutionsanalyse ist im Vorfeld sämtlicher Sponsoring-Aktivitäten ebenfalls eine Umweltanalyse vorzunehmen. Sie untersucht die externen Rahmenbedingungen des Sponsoringnehmers und identifiziert gegenwärtige und zukünftige Kundenbeziehungen, Konkurrenten und Trends. Die Größe des zu betrachtenden Sponsorenmarktes steht in Abhängigkeit zum Bekanntheitsgrad und der kommunikativen Reichweite des SponsoringNehmers. (vgl. ebd., S. 128f.) So ist der Sponsorenmarkt für ein überregional bekanntes Opernhaus beispielsweise größer - wird also mehr potenzielle Sponsoren umfassen - als es bei einem kleinen Stadttheater der Fall ist. Mit Hilfe der Konkurrenzanalyse werden die Hauptkonkurrenten identifiziert, die ebenfalls Bestandteil der sponsoringrelevanten Umwelt sind. Sie untersucht den eigenen Marktanteil, die Vorteile gegenüber der Konkurrenz und die auf dem Markt üblichen Leistungen und Gegenleistungen zwischen Sponsor und Gesponsertem. (vgl. Braun / Gallus/ Scheyt 1996, S. 67f.) Zusammenfassend dient die Situationsanalyse zur Ermittlung der eigenen Stärken und Schwächen und der sich ergebenen Chancen und Risiken. Sollten Schwächen aufgedeckt werden, so könnten diese Anzeichen für einen Akquisitionsbedarf und zusätzlich erforderliche Mittel sein. Aufgezeigte Stärken sollten bei der Ansprache von potenziellen Sponsoren hervorgehoben werden. Auf der Grundlage einer sogenannten Sponsoring-Philosophie, die den Sponsoringzweck, Verhaltensregeln sowie Präferenz bzw. Ausschluss bestimmter Sponsoringmaßnahmen, Branchen oder Unternehmen beinhaltet, ist eine Sponsoring-Strategie zu entwickeln. Zum einen bestimmen strategische Ziele (z.B. Ausweitung des musealen Angebotsspektrums), welchen Anteil die Sponsoring-Einnahmen mittel- bis langfristig an den Gesamteinnahmen einnehmen werden und zum anderen ist es langfristig möglich, mit Hilfe von Sponsoring-
412
Sponsoring
Richtlinien festzulegen, in welchen Bereichen des Sponsoring- Marktes agiert werden soll. (vgl. Bruhn / Mehlinger 1995, S. 29 i.V.m. Braun / Gallus / Scheyt 1996, S. 72ff.) Unter Berücksichtigung der Übereinstimmung mit den übergeordneten Organisationszielen kann eine grobe Vorauswahl der potenziellen Sponsoren getroffen werden.
4.4
Der operative Sponsoring-Management-Prozess
An den strategischen Sponsoring- Management-Prozess schließt sich der operative an. Dieser umfasst die Definition des Sponsoring- Projektes, die Festlegung potenzieller Sponsoren und die anschließende Kommunikation mit diesen. Es ist zu entscheiden, welches konkrete Projekt aus dem Pool aller geplanten Projekte (z.B. Sonderausstellungen) geeignet erscheint, ein Sponsorship zu beanspruchen. Hierbei ist es notwendig, sich in die Lage der Sponsoren zu versetzen und Kriterien zu ermitteln und zu bewerten, die für ein Unternehmen als potenzieller Sponsor relevant sein könnten. (vgl. Braun / Gallus / Scheyt 1996, S. 78ff.) Ist ein Sponsoring- Projekt identifiziert, dann ist die gewünschte Unterstützung festzulegen, wobei Geld, Sachmittel oder Dienstleistungen wie Know How in Frage kommen. Auch die anzubietenden Gegenleistungen müssen bereits in der Planung berücksichtigt werden. Unterschieden werden Maßnahmen, die der Gesponserte selbst aktiv durchführt (z.B. eine geschlossene Veranstaltung für alle Mitarbeiter des Sponsoring-Unternehmens, sowie alle kommunikationspolitischen Maßnahmen zur Veröffentlichung des Sponsorenengagements) einerseits und Gegenleistungen, welche die Zulassung von Maßnahmen des Sponsors (z.B. eine Logoplatzierung) beinhalten andererseits. (vgl. ebd., S. 91ff.) Zur Ansprache potenzieller Sponsoren dient ein Projektprofil, das kurz und überblickartig das zu sponsernde Projekt darstellt. Soweit wie möglich sollten alle Angaben im Projektprofil mit Zahlen gestützt werden. Das Sponsoring-Angebot umfasst neben den Projektprofildaten auch auf das jeweilige Unternehmen zugeschnittene Informationen über Zielgruppen des Projektes bis hin zu potenziellen Gegenleistungen des Sponsoring- Nehmers. Im Mittelpunkt der Sponsorenansprache steht die Sponsoring-Fähigkeit des Projekts, nicht das Projekt an sich. (vgl. Waldner / Nolte 1996, S. 8) Nach einer groben Vorauswahl potenzieller Sponsoren folgt eine Segmentierung der verbliebenen Unternehmen mit dem Ziel, den Sponsoren-Markt in homogene Segmente aufzuteilen, um unterschiedliche Bedürfnisse der Sponsoren zu ermitteln. Das sog. „Affinitätskonzept“ soll unterstützen, einheitliche, thematische Zusammenhänge zwischen Sponsor und Gesponsertem aufzudecken und Bezugslinien zwischen ihnen zu identifizieren. Ein äußerst relevantes Kriterium stellt die Imageaffinität dar, da Merkmale wie Prestige und Originalität des Förderbereichs sich positiv auf das Unternehmensimage übertragen lassen. (vgl. Braun / Gallus / Scheyt 1996, S. 116) Weitere Affinitäten betreffen das Produkt des potenziellen Sponsors, die Zielgruppen, das Know-How des Unternehmens, sowie dessen Regionalbezug.
Jens Cordes
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Bevor der Kontakt zu den potenziellen Sponsoren aufgenommen wird, sind die Ansprechpartner zu ermitteln. Es empfiehlt sich, diese beim Erstkontakt anzuschreiben. Hat der Sponsor Interesse signalisiert, können die Sponsoring-Verhandlungen beginnen, in denen die Verbindungslinien zwischen dem Sponsor und dem Sponsoring-Projekt deutlich hervorzuheben sind. Der Unterstützungsbedarf sowie die anzubietenden Gegenleistungen sind detailliert aufzulisten. (vgl. ebd., S. 123f.) Der Sponsoring-Nehmer sollte beachten, nicht als Bittsteller aufzutreten, sondern auf gleicher Ebene mit dem Sponsor zu kommunizieren, denn schließlich bietet der Sponsoringnehmer dem Unternehmen eine Problemlösung an: die Unterstützung bei der Realisierung der kommunikationspolitischen Ziele des Unternehmens. Besonders wichtig ist die individuell auf den Sponsor auszurichtende Kommunikationsform. (vgl. Waldner / Nolte 1996, S. 10) Getroffene Vereinbarungen werden schriftlich in einem Sponsoring- Vertrag fixiert. Es handelt sich um einen wechselseitig verpflichtenden Vertrag, dessen Kern die Vereinbarung über den Austausch von Leistung und Gegenleistung ist, wobei sich diese wert- und bestandsmäßig nicht entsprechen müssen. (vgl. Bruhn / Mehlinger 1995, S. 54f.) Eine kontinuierliche Pflege des Sponsoring-Verhältnis ist aus mehrerlei Hinsicht erforderlich wie nützlich und ist nicht nur eine Frage der Höflichkeit. Vielmehr dient sie einer erfolgreichen Durchführung des Sponsorships und möglichen Nachfolgeverträgen sowie Weiterempfehlungen. (vgl. Lang / Haunert 1995, S. 154) Nicht nur nach sondern auch innerhalb des strategischen und operativen SponsoringManagements ist eine kontinuierliche Kontrolle notwendig. Auch sollten die Ziele des Gesponserten und die Ziele des Sponsorings wiederkehrend unter Beobachtung stehen und es sollte geprüft werden, ob diese mit den ergriffenen Maßnahmen zu erreichen sind. (vgl. Braun / Gallus / Scheyt 1996, S. 127f.)
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Fazit
Der vorliegende Beitrag hat aufgezeigt, dass es aus dem allgemeinen Management bekannte Instrumente gibt, die sich bei der Akquisition von Sponsoren und der Abwicklung von Sponsorships einsetzen lassen. Dies erhöht die Effizienz des Ressourceneinsatzes aller am Sponsorship beteiligten Parteien, da beispielsweise bereits eine rationale und systematische Vorselektion potenziell sponsoring(un)geigneter Projekte verhindert, dass zusätzliche Ressourcen für die Sponsorensuche investiert werden, die sich auf für Unternehmen vermeintlich weniger attraktive Projekte beziehen. Zudem erhöht sich tendenziell die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich interessierte Unternehmen als Sponsoringpartner zu finden. Auf Seiten der Unternehmen hilft das geschilderte systematische Vorgehen eventuelle Unsicherheiten gegenüber dem zu sponsernden Projekt zu reduzieren. Zugleich existiert aus Sicht der Unternehmen eine klar definierte Entscheidungsgrundlage dafür, ob, beziehungsweise wie weit sich ein Engagement als Sponsor hinsichtlich der kommunikationspolitischen Ziele des Unternehmens lohnt. Der dargestellte Sponsoringmanagementprozess liefert zudem einen Handlungs-
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Sponsoring
rahmen, der auch in der Abwicklungsphase die Effizienz der mit dem Sponsorship verbundenen Aktivitäten erhöht, diese zugleich transparent und damit auch kontrollierbarer macht.
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Literatur
Becker, S.: Sponsoring für Universitätsbibliotheken – Aspekte einer alternativen Finanzierungsmöglichkeit, Berliner Handreichungen zur Bibliothekswissenschaft, Heft 61, Berlin 1999 Braun,G. / Gallus, T. / Scheytt, O.: Kultur-Sponsoring für die kommunale Kulturarbeit – Grundlagen, Praxisbeispiele, Handlungsempfehlungen für Kulturmanagement und – verwaltung, Köln 1996 Bruhn, M.: Sponsoring – Unternehmen als Mäzene und Sponsoren, 2. Auflage, Wiesbaden 1991 Bruhn, M.: Sponsoring – Systematische Planung und integrativer Einsatz, 3. Auflage, Wiesbaden 1998 Bruhn, M. / Mehlinger, R.: Rechtliche Gestaltung des Sponsoring: Vertragsrecht – Steuerrecht – Medienrecht – Wettbewerbsrecht, Bd. 1 Allgemeiner Teil, 2. Auflage München 1995 Erdtmann, S.: Sponsoring und emotionale Erlebniswerte – Wirkungen auf den Konsumenten, Wiesbaden 1989 Hermanns, A. (Hrsg): Sport- und Kultursponsoring, München 1989 Kössner, B.: Marketingfaktor Kunstsponsoring – Neue Impulse durch Partnerschaften von Wirtschaft und Kunst, Wien / Hamburg, 1999 Lang, R. / Haunert, F.: Handbuch Sozial-Sponsoring – Grundlagen, Praxisbeispiele, Handlungsempfehlungen, Weinheim / Basel 1995 Reda, T.: Musiksponsoring – Anleitung für eine erfolgreiche Unternehmenskommunikation, in: Leitfaden Sponsoring & Event-Marketing, E 4.3, Düsseldorf 1997 Rieger, J.: Sponsoring im Investitionsgüterbereich, Wiesbaden 1996 Urselmann, M.: Fundraising – Erfolgreiche Strategien führender Non-Profit-Organisationen, 3. Auflage, Bern / Stuttgart / Wien 2002 Walliser, B.: Sponsoring – Bedeutung, Wirkung und Kontrollmöglichkeiten, Wiesbaden 1995 Waldner, A. / Nolte, R.: Erarbeitung eines Kultursponsoring-Konzepts – Das Stuttgarter Musik Podium, in: Leitfaden Sponsoring & Event-Marketing, E 4.1, Düsseldorf 1996