Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit 9783110940107

So-called West Prussia was a cultural landscape in its own right. In the age of nationalism it was the subject of cultur

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German Pages 894 [896] Year 2011

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Table of contents :
Vorwort
Rede zur Eröffnung des Kongresses
I. HISTORIOGRAPHISCHE UND LANDESKUNDLICHE VERMESSUNG
Geschichtsschreibung in Königlich Preußen – eine Übersicht über die Problematik
Deutsche und polnische Geschichtsschreibung über das Königliche Preußen im Spannungsfeld der Beziehungsgeschichte
Das Landesbewußtsein im Preußen königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit
Die Frauenburger Kanoniker um Kopernikus und ihr Interesse an den geistigen Strömungen ihrer Zeit. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Ermlands
II. STÄDTISCHE TOPOGRAPHIE, HISTORIOGRAPHIE UND MENTALITÄT
Anmerkungen zur Sozialtopographie der Stadt Elbing im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit
Danzig als Metropole in der Frühen Neuzeit
Stadt und Welt; Danziger Historiographie des 16. Jahrhunderts
Herrschaft und Verbrecher. Der Danziger Strafvollzug in der Frühen Neuzeit
Grabstätten im frühneuzeitlichen Danzig des 16. bis 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur hanseatischen Funeralkultur
Selbsthilfe und Armenfürsorge in Danzig, Thorn und Elbing vom 16. bis zum 18. Jahrhundert
III. KONFESSIONELLE UND RELIGIÖSE OPTIONEN
Die Sehnsucht nach Einheit. Das Colloquium Charitativum in Thorn im Jahre 1645
Ioannes Dantiscus. Diplomat, Husband, Father, Bishop of Warmia: The Limits of (Dis)Loyalty
»Das Wort sie sollen lassen stahn...«. Die Auseinandersetzung Johann Gerhards und der lutherischen Orthodoxie mit Hermann Rahtmann und deren abendmahlstheologische und christologische Implikate
Zum Sozinianismus in Danzig
IV. DEUTSCH-POLNISCHE ERINNERUNGSSTÄTTE: DIE ALTE DANZIGER STADTBIBLIOTHEK
Die alte Danziger Stadtbibliothek als Memorialstätte für das Preußen königlich polnischen Anteils.
Sammler, Sammlungen und gelehrtes Leben im Spiegel der Geschichte
V. DIE ILLUSTRE GYMNASIALE TRIAS
Protestant Grammar Schools of Royal Prussia in the Polish School System in the 16th and 17th Centuries
Die Geschichte des Elbinger Gymnasiums in den Jahren 1535–1772
Das protestantische Gymnasium Academicum in Thorn im 17. und 18. Jahrhundert
Das akademische Schrifttum Altpreußens: Königsberg, Danzig, Elbing und Thorn
VI. PORTRÄT EINES GELEHRTEN PROTAGONISTEN – BARTHOLOMÄUS KECKERMANN
Kontroverstheologie, Schriftauslegung und Logik als ›donum Dei‹. Keckermann und die Hermeneutik auf dem Weg in die Logik
VII. ASPEKTE KULTURELLER INTERAKTION IM KONTEXT DES HANSISCHEN OSTSEERAUMS
Die Rolle der hanseatischen Kultur in Preußen und Polen im 15. und 16. Jahrhundert
Bürgerliche Formen und Methoden gesellschaftlicher Kommunikation in den Metropolen des Königlichen Preußen im 17. und 18. Jahrhundert
Der Brief des Johannes Hevelius an Hieronymus Ambrosius Langenmantel
VIII. KOMMUNALE KULTUR IM SPIEGEL VON BILDENDER KUNST UND KUNSTGEWERBE
Rzeczpospolita und res publica: Danzigs Verhältnis zur polnischen Krone in seiner städtischen Selbstdarstellung 1585–1626
Bauwesen und Kunsthandwerk in Elbing von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis etwa 1772
Elbings frühneuzeitliche Malerei und Zeichnung bis zum Jahr 1772
IX. KOMMUNALE MUSIKPFLEGE AM BEISPIEL DANZIGS
Die musikalische Renaissance in Danzig – Richtungen und Einflüsse
Gdańsk Music in the Baroque Era. Sources and Influences
Die Danziger Oper von ihren Anfangen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts
X. DREI LITERARISCHE PARADIGMEN
Almanach der Freundschaft – Mnemosynon – Abschiedsgedicht. Gedruckte Danziger Stammbücher des 18. Jahrhunderts
Barocklyrik aus dem Geiste des Humanismus: Die Sonette des Johannes Plavius
Regionale und soziale Identität in der Frühen Neuzeit: zur Kasuallyrik von Daniel Bärholtz (1641–1692)
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Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit
 9783110940107

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Frühe Neuzeit Band 103 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext In Verbindung mit der Forschungsstelle „Literatur der Frühen Neuzeit" an der Universität Osnabrück Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller und Friedrich Vollhardt

Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit Herausgegeben von Sabine Beckmann und Klaus Garber

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2005

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.cldb.de abrufbar. ISBN 3-484-36603-6

ISSN 0934-5531

© Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2005 http •/Avmv.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschlitzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Uberseizungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz- Stefan Anders Druck: A Z Druck und Datentechnik G m b H , Kempten Einband: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach

Inhalt

Vorwort

Klaus Garber Rede zur Eröffnung des Kongresses

IX

XV

I. H I S T O R I O G R A P H I S C H E U N D L A N D E S K U N D L I C H E V E R M E S S U N G

Jerzy Serczyk Geschichtsschreibung in Königlich Preußen eine Übersicht über die Problematik

3

Jörg Hackmann Deutsche und polnische Geschichtsschreibung über das Königliche Preußen im Spannungsfeld der Beziehungsgeschichte

15

Hans-Jürgen Bö me Iburg Das Landesbewußtsein im Preußen königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit

39

Teresa Borawska Die Frauenburger Kanoniker um Kopernikus und ihr Interesse an den geistigen Strömungen ihrer Zeit. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Ermlands

61

II.

STÄDTISCHE TOPOGRAPHIE, HISTORIOGRAPHIE UND MENTALITÄT

Roman Czaja Anmerkungen zur Sozialtopographie der Stadt Elbing im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit

75

Maria Bogucka Danzig als Metropole in der Frühen Neuzeit

89

VI

Inhalt

Arno Mentzel-Renters Stadt und Welt. Danziger Historiographie des 16. Jahrhunderts

99

Dariusz Kaczor Herrschaft und Verbrecher. Der Danziger Strafvollzug in der Frühen Neuzeit

129

Edmund Kizik Grabstätten im frühneuzeitlichen Danzig des 16. bis 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur hanseatischen Funeralkultur

157

Zdzislciw Kropidlowski Selbsthilfe und Armenfürsorge in Danzig, Thorn und Elbing vom 16. bis zum 18. Jahrhundert

197

III. KONFESSIONELLE U N D RELIGIÖSE OPTIONEN

Janusz Mallek Die Sehnsucht nach Einheit. Das Colloquium Charitativum in Thorn im Jahre 1645

213

Jerzy Axer Ioannes Dantiscus. Diplomat, Husband, Father, Bishop of Warmia: The Limits of (Dis)Loyally

227

Johann Anselm Steiger »Das Wort sie sollen lassen stahn...«. Die Auseinandersetzung Johann Gerhards und der lutherischen Orthodoxie mit Hermann Rahtmann und deren abendmahlstheologische und christologische Implikate

237

Siegfried Wollgast Zum Sozinianismus in Danzig

267

IV.

DEUTSCH-POLNISCHE E R I N N E R U N G S S T Ä T T E : D I E ALTE DANZIGER STADTBIBLIOTHEK

Klaus Garber Die alte Danziger Stadtbibliothek als Memorialstätte für das Preußen königlich polnischen Anteils. Sammler, Sammlungen und gelehrtes Leben im Spiegel der Geschichte

301

Inhalt

VII

V . D I E ILLUSTRE G Y M N A S I A L E T R I A S

Lech Mokrzecki Protestant Grammar Schools of Royal Prussia in the Polish School System in the 16(h and 17lh Centuries

359

Marian Pawlak Die Geschichte des Elbinger Gymnasiums in den Jahren 1535-1772

371

Stanislaw Salmonowicz Das protestantische Gymnasium Academicum in Thorn im 17. und 18. Jahrhundert

395

Manfred Komorowski Das akademische Schrifttum Altpreußens: Königsberg, Danzig, El bing und Thorn

411

VI.

P O R T R Ä T EINES G E L E H R T E N P R O T A G O N I S T E N

-

BARTHOLOMÄUS KECKERMANN

Lutz

VII.

Danneberg Kontroverstheologie, Schriftauslegung und Logik als >donum Dei Frühe Neuzeit < in Kürze zu einem vorläufigen Abschluß gelangen wird. Im Jahre 1990 wurden erstmals in großem Umfang Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Mittel- und Osteuropa zu einer internationalen Konferenz zum Thema >Stadt und Literatur im deutschen Sprachrau'm der Frühen Neuzeit< nach Osnabrück gerufen (Hrsg. von Klaus Garber, Niemeyer 1998, Frühe Neuzeit, Bd. 39). Man ging damals mit dem Vorsatz auseinander, nach dem ersten Überblick über den gesamten deutschen Sprachraum fortzuschreiten zur kulturgeschichtlichen Erkundung einzelner Regionen und dabei den Osten zu favorisieren. Entsprechend wurde 1992 in Greifswald eine Konferenz zur frühneuzeitlichen Kulturgeschichte Pommerns (Hrsg. von Wilhelm Kühlmann und Horst Langer, Niemeyer 1994, Frühe Neuzeit, Bd. 19), 1994 in Rauschen bei Königsberg eine weitere zur Kulturgeschichte Ostpreußens (Hrsg. von Klaus Garber, Manfred Komorowski und Axel E. Walter, Niemeyer 2001, Frühe Neuzeit, Bd. 56) und 1997 in Göttingen eine dritte zur Kulturgeschichte des Baltikums in der Frühen Neuzeit abgehalten (Hrsg. von Klaus Garber und Martin Klöker, Niemeyer 2003, Frühe Neuzeit, Bd. 87). Alle drei Veranstaltungen sind zwischenzeitlich publiziert. Die gleichfalls 1997 in Gdahsk abgehaltene Tagung zur Region Westpreußen wird hiermit dokumentiert. Ein Sammelband zur Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit wird sich in Kürze anschließen. Es bleibt zu hoffen, daß sich zu einem späteren Zeitpunkt im Zusammenwirken mit den Südosteuropa-Institutionen Paralleles auch für diese Regionen realisieren läßt. Die thematischen Schwerpunkte waren teilweise durch die vorangegangenen Tagungen vorgegeben, folgten insgesamt aber der Logik kulturwissenscbaftlicher Forschung. Es sollten Archivare und Bibliothekare, Historiker und Bildungswissenschaftler, Philosophen und Theologen, Literatur- und Kultur-, Kunst- und Musikwissenschaftler miteinander ins Gespräch gebracht werden und gemeinsam dafür Sorge tragen, daß dabei alle wesentlichen Bereiche der Kulturgeschichte Königlich Preußens zur Sprache kamen. Der Kreis war mit knapp vierzig Teilnehmern eben noch übersehbar, um eine einzige Vortrags- und Diskussionssequenz eine Woche über zu bilden. Ein freier Tag galt dem Besuch des Doms zu Oliwa, in dem am Abend die Uraufführung eines Werkes von Elzbieta Sikora zur 1000-Jahrfeier Danzigs zu hören war, und natürlich der Besichtigung der imponierend rekonstruierten Danziger Altstadt mit Führungen vor allem durch das rechtstädtische Rathaus und das Uphagenhaus. Untergebracht in einem schönen, direkt am Wasser gelegenen Hotel in Sopot (Zoppot), konnten sich die Teilnehmer des Kongresses bei herrlichem Wetter am frühen Morgen und den hellen Abenden an der Danziger Bucht erholen.

XII

Vorwort

Das Programm der Tagung war zweisprachig gedruckt, der gesamte Kongreß wurde· simultan übersetzt. Gleichwohl ließen es sich die meisten der polnischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nehmen, ihre Vorträge und Diskussionsbeiträge auf Deutsch vorzutragen - eine Geste der Höflichkeit und des Respekts, die mit Anerkennung und Beifall von deutscher Seite beantwortet wurde. Daß sie begleitet und getragen war von dem Willen zum vorurteilslosen, allein um geschichtliche Wahrheit bemühten Blick auf die Vergangenheit, bezeugten so gut wie alle Redner. Kaum einer, der die besonderen Chancen dieser Region in der Frühen Neuzeit zum interkonfessionellen und interethnischen Gespräch nicht akzentuiert und damit der Intention der Tagung so oder so produktiv entsprochen hätte. Äußerer Anlaß des Kongresses war - wie 1994 die 450-Jahrfeier der Königsberger Universität - das 400jährige Jubiläum der ehemaligen Stadt- und jetzigen Akademiebibliothek zu Danzig, die für viele Wissenschaftler inzwischen zu einer gastlichen Stätte wissenschaftlichen Arbeitens geworden ist. Daß die Tagung im altstädtischen Rathaus zugleich in der Metropole des Landes ausgerichtet wurde, die soeben festlich ihren 1000. Geburtstag beging, wurde als eine gerne wahrgenommene und willkommene Koinzidenz empfunden. Nicht zuletzt deshalb legten die Veranstalter großen Wert darauf, daß die Tagung öffentliche Resonanz erfuhr. Sie legten die Organisation in die Hände der erfahrenen Veranstaltungsgesellschaft Nadbahyckie Centrum Kultury, die dafür Sorge trug, daß alle möglichen Vorkehrungen zur Beteiligung eines größeren Kreises von Interessierten ausgeschöpft wurden. Die Veranstalter sind der Gesellschaft und insonderheit Elzbieta P^kata und Lidia Makowska für die engagierte Betreuung während der Woche in Danzig zu großem Dank verpflichtet. Die Tagung wurde gefördert durch großzügige Zuschüsse der Thyssen-Stiftung und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Beiden Institutionen und insonderheit Herrn Christian Regge sei für die Ermöglichung des lange geplanten Vorhabens gedankt. Die Vorbereitung und Durchführung der Tagung durch die Osnabrücker Forschungsstelle zur Literatur der Frühen Neuzeit lag insbesondere in den Händen der Herausgeberin, sie wurde dabei unterstützt von Fridrun Freise. Leider erst sechs Jahre später fand sich die Möglichkeit, die sonst vorrangigen Aufgaben eine Weile ruhen zu lassen und die Aufbereitung und teilweise komplizierte Einrichtung der Beiträge vorzunehmen. Der Hinweis sei an dieser Stelle gestattet, daß die Herausgeberin seit etwa fünf Jahren ein großes Projekt der VolkswagenStiftung betreut, in dem soeben der 15. Katalogband in der Reihe »Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven< beim Olms-Verlag publiziert worden ist und zur Zeit die in Königsberg verbliebenen Kasualdrucke sowie der >GedanensiaDanziger Kunst in einer konfessionell gespaltenen Stadt< hielt, wenig später das Opfer eines Verkehrsunfalls in Deutschland geworden ist. Desgleichen erlag Konrad Gajek (Wroclaw), der auf der Tagung zum Thema >Polnisches Theater im Danzig des 17. Jahrhunderts< sprach, im Jahr 1998 einer plötzlich aufgetretenen Krankheit. Der Kollegin und dem Kollegen sei auch an dieser Stelle in dankbarer Teilnahme gedacht. Möge die Erinnerung an den zwischen Gdahsk, Elblqg und Torun gelegenen Geschichts- und Kulturraum, der so viele Beispiele multikulturellen, multinationalen und multikonfessionellen Zusammenlebens bereithält, dem sich formierenden Europa im neuen Jahrtausend zum Nutzen gereichen. Osnabrück, im Herbst 2004 Sabine Beckmann, Klaus Garber

Klaus Garber

Rede zur Eröffnung des Kongresses

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie auf das Herzlichste im historischen altstädtischen Rathaus zu Gdaήsk und heiße Sie zu unserem Kongreß > Kulturgeschichte Westpreußens in der Frühen Neuzeit < herzlich willkommen. Neben dem Dank für die Grußadressen und neben dem Dank für das Nadbaltyckie Centrum Kultury soll ganz am Anfang der Ausdruck der Erleichterung und Befriedigung darüber stehen, daß unser Kongreß zustandegekommen ist. Für die VolkswagenStiftung war er vom Typ, von seiner Anlage her zu groß mit seinen ursprünglich geplanten 60 Teilnehmern, jeweils dreißig aus Polen und Deutschland. So mußte er anderweitig untergebracht werden, und ich bin der Fritz-Thyssen-Stiftung außerordentlich verbunden, daß sie sich unbürokratisch und zügig auf das Unternehmen einließ. Bei der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit dauerte es leider etwas länger, aber immerhin kam kurz vor Toresschluß auch von ihr die Bewilligung - nur leider so spät, daß viele unter uns den anvisierten späten Frühjahrstermin nicht mehr wahrnehmen konnten. Um so dankbarer bin ich den polnischen wie den deutschen Kolleginnen und Kollegen, die dem Unternehmen die Treue halten konnten. Ich bin sicher, daß viele derjenigen, die die Woche über nicht dabei sein können, zu der vorgesehenen publizierten Version beitragen werden und habe in vielen Fällen auch bereits die Zusage. Für die Gestaltung der Kongreß-Woche hat die Reduzierung des Kreises natürlich eine fühlbare Entlastung mit sich gebracht; wir können uns nun in Muße eine Woche lang unserem Thema widmen. Zu diesem nun einige einleitende Worte. Drei Jahre ist es her, daß in Rauschen bei Königsberg der parallele Kongreß zur Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit stattgefunden hat, fünf Jahre, daß in Greifswald zum nämlichen Thema über Pommern gehandelt wurde. Was wir vorab zu bedenken haben, betrifft den kulturgeschichtlichen Ansatz selbst. Er ist in eins mit einer gewissen Inflationierung ins Gerede gekommen. Kritiker bemängeln das Be-

XVI

Klaus Garber

liebige und das Verschwommene, das sich hinter der kulturgeschichtlichen Etikette verberge, offensichtlich vielerorts nur in Umlauf gebracht, um auf den übersättigten und ermatteten Markt einen neuen Reiz auszuüben. Insbesondere der Literaturwissenschaftler sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, der mühseligen Textarbeit zu entlaufen und statt dessen im impressionistischen und assoziativen Vagabundieren hier und dort sein Heil zu suchen. Ich denke, diese Vorwürfe und Verdächtigungen greifen nicht und brauchen uns nicht zu genieren. Steht uns der Kulturbegriff prägnant und herausfordernd vor Augen, dann verweist er darauf, daß wir pragmatische und politische, ökonomische und soziale, alltagsweltliche und mentale nicht anders als geistige, künstlerische, religiöse Phänomene und Prozesse in Kontexten, Verschlingungen, Funktionen, also durchkreuzt von heterogenen Diskursen, aufzusuchen und zu entfalten haben. Streng genommen signalisiert der Begriff - und scheint mir eben deshalb auch nach wie vor tauglich - , daß es ein Ende haben muß mit der Hierarchisierung von Wirklichkeit wie Bedeutung, der Statuierung von Basisprozessen und dem Hantieren mit Ableitungen oder einsinnigen Erklärungen. Vielmehr enthält er die Aufforderung, in Beherrschung der jeweiligen disziplinaren Vorgaben mit ihren genuinen Instrumentarien zugleich Vorkehrungen dafür zu treffen, der Polyphonie, der Polysemantik, der Polyfunktionalität eines jeden in den Geisteswissenschaften traktierten Gegenstandes auf der Spur zu bleiben, und zwar - wohlgemerkt - des vermeintlich schlichten abseitigen Details nicht anders als der anspruchsvollen ästhetischen, religiösen, philosophischen Verlautbarung. In diesem Sinne für Integration der Geisteswissenschaften bei Beachtung der Arbeitsteiligkeit der Disziplinen zu sorgen, scheint die Bestimmung des Begriffes zu sein, an welchen sich gegenwärtig vielerlei Hoffnungen knüpfen. Und so wurde er verstanden, als auch zu diesem kulturgeschichtlichen Kolloqiuum nach Danzig geladen wurde. Es wäre schön, wenn wir uns mit dieser offenen und weiten Fassung in ihm treffen könnten. Der Raum aber, dem wir uns in allen seinen Manifestationen in den mehr als drei Jahrhunderten zwischen der Mitte des 15. und dem Ende des 18. Jahrhunderts zuwenden wollen, er scheint wie kaum einer sonst geeignet, ja fast schon prädestiniert zu sein, uns zu einem solchen interdisziplinärem Agieren, zum Aufeinanderzugehen über die Schranken der Fachgrenzen hinweg zu ermuntern und einzuladen. Als ein von Angehörigen vieler Völker und zumal von Polen und Deutschen bewohnter Raum hat er wie wenige sonst im alten vorrevolutionären Europa ethnische, religiöse, soziale, künstlerische Symbiosebildungen gezeitigt, die geradezu nach einer interfakultativen Betrachtung rufen. Jeder von uns wird andere Bilder und Ansichten dieser Verschränkung des Komplexen und anderwärts Unvereinbaren vor sich haben. Sie uns vorzustellen und

Rede zur Eröffnung des Kongresses

XVII

in Muße in Augenschein zu nehmen, ist vornehmster Zweck dieser Veranstaltung. Ich spreche zu Ihnen als Liebhaber und Erforscher der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts, der sogenannten Barockliteratur, mit besonderem Interesse an den Anfängen der deutschen Kunstliteratur kurz nach 1600. Ein Leben lang, so denke ich, kann man darüber staunen und sinnen, daß es einem Repräsentanten und in vielerlei Hinsicht einem Protagonisten der neuen Bewegung vergönnt war, sein Lebenswerk in der nur allzu kurzen ihm bemessenen Frist auf polnischem Boden zu beschließen. Ich spreche natürlich von Martin Opitz. Seine schlesische Heimat war nicht wieder zur Ruhe gekommen, seit der Böhmische Aufstand niedergeschlagen und Blutgericht über die Aufrührer in Prag gehalten worden war. Gewiß ging es glimpflicher ab in Breslau. Nachdem aber Gustav Adolf gefallen und Sachsen seinen Separatfrieden mit dem Kaiser geschlossen hatte, blieb keine Luft mehr zum Atmen für frei gesinnte, dem Konfessionalismus sich widersetzende, humanistisch inspirierte Geister, die eines mit Gewißheit nicht wollten, nämlich dem heranbrandenden Katholizismus, womöglich gar dem Orden der Jesuiten sich zu unterwerfen. Gestützt von den großen Figuren, den Magnaten Großpolens, die alle im Westen Bekanntschaft mit dem späten Humanismus und einer liberalen Spielart des reformierten Bekenntnisses gemacht hatten, wich er zusammen mit seinen Gönnern, den Herzögen von Liegnitz und Brieg, zunächst aus nach Thorn, wo Gerhard von Dönhoff seine schützende Hand über ihn hielt, um alsbald weiterzuziehen nach Danzig, wo dem inzwischen berühmten Dichter die Gunst des polnischen und wenig später auch des schwedischen Königs zuteil wurde, die für ihn gleichbedeutend war mit Muße für seine letzten Schöpfungen, wie sie ihm in seiner geknebelten Heimat nicht vergönnt war. Sehen Sie mir die kleine Abschweifung nach. Aber gäbe es ein sprechenderes Beispiel für eben jene Symbiose, jenen Geist des Ausgleichs, den wir im Auge haben, wenn wir von den besonderen Qualitäten des preußischen Raumes königlich polnischen Anteils sprechen, der nicht aufhört uns zu faszinieren? Wir werden auch auf diesem Kongreß, so denke ich mit Zuversicht, von den Umständen und Beweggründen hören, die zu jener Besonderheit in eben dieser Zeit an eben dieser Stelle gefuhrt haben, und kein Wort sei vorab verloren, nicht einmal eine Vermutung oder These vorab formuliert, sondern statt dessen nur zweierlei als Fazit, zugleich aber auch als Programm vorab fixiert. An diesem Raum, an diesen Städten, ob Danzig, ob Thorn, ob Elbing oder wie sie heißen, scheitert, wer versuchen wollte, im nachhinein zu sondern, völkische Anteile zu isolieren, dominant zu setzen oder zu unterdrücken. Er scheitert, so wie unzählige Versuche zumal in unserem Jahrhundert sich als nichtig erwiesen und zergingen, weil die geschichtliche Wirklichkeit wie das Selbstverständnis der Akteure ein gänzlich anderes war. Opitz

XVIII

Klaus Garber

brauchte sich als Schlesier im Danzig der dreißiger Jahre des 17. Jahrhunderts nicht als Fremder zu fühlen, als ein Deutscher auszuweisen und um Anerkennung zu bemühen. Er kam in eine Stadt, die wie wenige sonst den heterogenen Bekenntnissen Raum bot zur Entfaltung, in der wie auf andere und so verwandte Weise in Amsterdam Angehörige der verschiedensten Nationen und Territorien aufeinandertrafen, in der die Obrigkeit wie im ganzen Land für eine Weile nicht auf fanatische Purgierung, die eine staatlich verordnete Religion, sondern auf Gewährenlassen, auf Ausgleich, ja doch wohl auf Toleranz setzte. Noch einmal: Wir werden dazu im Einzelnen Erhellendes, Erklärendes gewiß hören. Aber daß hier in den Städten des Polnischen Preußen lange vor der Aufklärung sich Formen des Miteinanders im Umgang, des parallelen Wirkens von anderwärts sich ausschließendem Heterogenem, insonderheit des fruchtbaren Austausches zwischen den deutschund den polnischsprachigen Bevölkerungsteilen ausprägten, begründet das Faszinierende und Zukunftsweisende dieser Region. Diese in vielerlei Hinsicht gewiß singulare Gestalt einer geschichtlich-kulturellen Balance in allen denkbaren Manifestationen so prägnant als möglich zu fassen, nicht abzulassen von ihrer historischen Spezifizierung in allen Facetten unter Mobilisierung aller Disziplinen und doch zugleich des in anderer Gestalt Zeitgemäßen, dem werdenden Europa auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert so bitter Nötigen inne zu werden und eben dieses Zukunftsweisende zu akzentuieren, wäre gewiß nicht die schlechteste Bestimmung auch dieser Zusammenkunft. Daß sie fünfzig Jahre nach der Zerstörung des alten Europa in der polnischen wie der deutschen Stadt Gdansk/Danzig unbefragt und wie selbstverständlich wieder möglich ist, Wissenschaftler der beiden Länder mit dem einen Anspruch und Ziel sich zusammenfinden, der historischen Wahrheit die Ehre zu geben und eben darin an dem Bau des zukünftigen Europa nach Maßgabe des Möglichen mitzuwirken, gehört zu den ermutigenden Erfahrungen, für die jeder unter uns auf seine Weise dankbar sein dürfte. In diesem Sinn wünsche ich uns einen dem Geiste unseres Themas würdigen Verlauf unseres Kongresses, den ich hiermit eröffne.

I.

Historiographische und landeskundliche Vermessung

Jerzy Serczyk

Geschichtsschreibung in Königlich Preußen eine Übersicht über die Problematik

Das Territorium, mit dem wir uns hier in diesen historiographischen Erörterungen befassen, bildete in der Frühen Neuzeit sowohl in kultureller als auch in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht ein klar abgegrenztes Ganzes. Entstanden war es infolge der Gründung des Staates des Deutschen Ritterordens (> Orden des deutschen Hospitals St. Mariens von JerusalemRzeczpospolita< oder >res publica < bezeichnet aufrechterhalten, obwohl diese Eigenständigkeit im Zusammenhang mit der allmählichen Herausbildung eines einheitlich verwalteten Staates im Rahmen der polnischen Adelsdemokratie weitgehende Beschränkungen erfuhr. Im Gegensatz zu den politischen Entwicklungen war es auf dem Gebiet der Geistesgeschichte möglich, die wichtigsten Merkmale dieser Eigenständigkeit mit am längsten zu bewahren, so daß man von einem Identitätsgefuhl des Landes bzw. der Provinz Preußen königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit bis einschließlich des 18. Jahrhunderts sprechen kann. Dies ist auch der Grund, weshalb wir von einer besonderen, eigenen Historiographie Königlich Preußens reden dürfen. Diese weckte das Interesse sowohl der deutschen als auch der polnischen Forschung verhältnismäßig spät - vermutlich weil sie als ein ganz für sich stehendes Phänomen weder in das deutsche noch in das polnische Konzept der > nationalen Geschichtsschreibung < paßte und deswegen vom Hauptforschungsfeld ausgegrenzt wurde. Erst die Befreiung aus diesem engen Denkschema lenkte die Aufmerksamkeit der deutschen wie der polnischen Forschung auf die kulturhistorische Bedeutung dieses Zweiges der europäischen Historiographie, die auf einem multi-ethnischen Gebiet entstand. Die ersten ernstzunehmenden Arbeiten zu diesem Thema weisen aus diesem Grund einen eher registrierenden Charakter auf; sie bilden eine Form von > Inventuraufnahme Königlichen Deutschen Gesellschaft < mit.1 Sein vierteiliges Hauptwerk Historia litteraria Prussiae (Königsberg 1762-1765) wurde nach seinem Tode in einer erweiterten deutschen Übersetzung unter dem Titel Entwurf einer preußischen Literärgeschichte in vier Büchern zweimal (1791-1854 und 1886) publiziert. Es wird auch heute noch als ein Kompendium benutzt, weil es einen Überblick über das Schrifttum beider Landesteile liefert: über das Herzogliche (sog. Ost-) und das Königliche (sog. West-)Preußen. Das viel später erschienene Buch des nichtakademischen Autors Bruno Pompecki, der sich auf die uns hier interessierende Region des Königlichen Preußen - die nach der ersten Teilung Polens von Friedrich II. dem Großen persönlich in > Westpreußen < umbenannt wurde - beschränkte, berücksichtigt zwar die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfaßten Werke, ist aber im Vergleich mit Pisanskis Opus eher als ein Rückschritt anzusehen.2 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das frühere Königliche Preußen wieder mit Polen vereinigt - mit Ausnahme von Danzig, das unter das Mandat des Völkerbundes kam und > Freie Stadt < innerhalb des polnischen Zollgebiets wurde, und Elbing, das in die damalige deutsche Provinz Ostpreußen eingegliedert wurde. Im Rahmen des Polnischen Staates bildete es die Wojewodschaft (Provinz) Pommerellen (wojewodztwo pomorskie) mit Thorn (Τοηιή) als Hauptstadt. Auf diese Weise wurde Thom auch zum Mittelpunkt der geistigen Tätigkeit im Rahmen der Wojewodschaft. Hier wirkte bereits seit 1875 eine polnische Wissenschaftliche Gesellschaft (Towarzystwo Naukowe), die sich vorwiegend mit der Erforschung der Landesgeschichte befaßte.3 Im Jahre 1923 wur1

2

3

Stanislaw Salmonowicz: Na pograniczu dwoch kultur. Zywot erudyty krolewieckiego Jerzego Krzysztofa Pisanskiego (1725-1790) [Im Grenzsaum von zwei Kulturen. Lebensbeschreibung des Königsberger Gelehrten Georg Christoph Pisanski].- In: Sl^ski Kwartalnik Naukowy Sobötka 37 (1982), Nr. 3 - 4 , S. 273-279. Bruno Pompecki: Literaturgeschichte der Provinz Westpreußen.- Danzig: Kafemann 1915; Theodor Schieder: Deutscher Geist und ständische Freiheit im Weichsellande.- Königsberg: Gräfe & Unzer 1940, S. 3, schreibt über Pompekkis Buch: »materialreich, aber nicht ausreichend«; vgl. auch die Buchbesprechung von Paul Simson in den Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins 15 (1916). Vgl. Jerzy Serczyk: Towarzystwo Naukowe w Toruniu. Krötki zarys dziejöw [Die Wissenschaftliche Gesellschaft in Thorn. Ein kurzer Abriß ihrer Geschichte].- Toruii: Towarzystwo Naukowe w Toruniu 1999.

Geschichtsschreibung in Königlich Preußen

5

de die Bibliothek dieser Gesellschaft mit drei anderen Thorner Sammlungen vereinigt: der Ratsbibliothek, der Bibliothek des früheren Akademischen Gymnasiums (gegr. 1568) und der Bibliothek des deutschen Coppernicus-Vereins für Wissenschaft und Kunst. Sie funktionierte seitdem als Copernicus-Stadtbücherei (Ksi^znica Miejska imienia Kopernika) und gleichzeitig als eine Art >bibliotheca patria < für die Wojewodschaft Pommerellen, für deren Gebiet sie das Pflichtexemplarrecht erhielt. Ihr Direktor wurde Dr. Zygmunt Mocarski (1894-1941), zugleich der Generalsekretär der Wissenschaftlichen Gesellschaft. Dank seiner Bemühungen wurde die Thorner Stadtbücherei zu einem Forschungszentrum vor allem für die Geschichte Pommerellens bzw. Westpreußens. Mocarski selbst kaprizierte sich in diesem Rahmen auf die Geschichte der geistigen Kultur, darunter auch die Geschichte der Historiographie in der Neuzeit. Er veröffentlichte zu diesem Thema einige Studien, in denen zum ersten Mal die Schriftsteller - einschließlich der Geschichtsschreiber - deutscher und polnischer Abstammung, die alle lateinisch, deutsch und auch polnisch schrieben, gemeinsam und gleichberechtigt behandelt wurden.4 Während des Zweiten Weltkrieges wurden Thorn und die Wojewodschaft Pommerellen von der deutschen Wehrmacht besetzt und von den NS-Machthabem zum > Reichsgau Danzig-Westpreußen < umgewandelt. Jede polnische Kulturtätigkeit und sogar der Gebrauch der polnischen Sprache in der Öffentlichkeit wurden verboten; mehrere polnische Intellektuelle, Lehrer und Geistliche wurden bereits 1939 als Vertreter der > polnischen Führungsschicht < umstandslos erschossen.5 Mocarski wurde bald nach dem Einmarsch der Deutschen verhaftet und dann in das 4

s

Zygmunt Mocarski: Druki reformacyjne w Ksiqznicy Miejskiej [Druckerzeugnisse aus der Zeit der Reformation in der Stadtbücherei Thorn].- In: Reformacja w Polsce 9-10 (1924); ders.: Ksi^zka w Toruniu do 1793 r. Zarys dziejöw [Das Buch in Thorn bis 1793. Ein geschichtlicher Abriß].- In: Dzieje Torunia. Praca zbiorowa ζ okazji 700-lecia miasta. Hrsg. von Kazimierz Tymieniecki.- Toruii: Wydawn. Tor. Mitosniköw Historij w Poznaniu nakl. zarz^du miejskiego 1933, S. 343-468; ders.: Kultura umyslowa na Pomorzu, zarys dziejöw i bibliografia [Die geistige Kultur in Pommerellen, ein geschichtlicher und bibliographischer Abriß].- In: Polskie Pomorze [Polnisches Pommerellen]. Bd. II: Przeszlosc i kultura [Vergangenheit und Kultur]. Hrsg. von Jözef Borowik.- Torun: Instytut Battycki 1931, S. 109-182; vgl. Jerzy Serczyk: Zygmunt Mocarski 18941941.- In: Dziatacze Towarzystwa Naukowego w Toruniu 1875-1975 [Die Tätigkeiten der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Thorn], Hrsg. von Marian Biskup.- Warszawa: Pafistwowe Wydawn. Naukowe 1975, S. 281-307. Barbara Bojarska: Eksterminacja inteligencji polskiej na Pomorzu Gdanskim [Die Vernichtung der polnischen Intelligenz im Danziger Pommerellen].- Poznari: Instytut Zachodni 1972; Wtodzimierz Jastrz^bski: Terror i zbrodnia [Terror und Verbrechen].- Warszawa: Interpress 1974; vgl. auch Hans Roos: Geschichte der polnischen Nation 1916-1960.- Stuttgart: Kohlhammer 1961, S. 178-183.

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Jerzy

Serczyk

sogenannte > Generalgouvernement < ausgesiedelt; er ist 1941 in Warschau gestorben, nachdem er sein bis 1939 gesammeltes Quellenmaterial verloren hatte. Die von ihm begonnenen Forschungen konnten nicht weitergeführt werden. Von deutscher Seite aus wurde die Problematik der Geschichtsforschung in Pommerellen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges unter einem neuen Gesichtspunkt wieder wahrgenommen. Theodor Schieder (19081984) hat 1940 im ostpreußischen Königsberg seine Habilitationsschrift veröffentlicht, in der er den Versuch unternimmt, die Frage der besonderen Art und Weise, in welcher die Geschichtsschreibung in Königlich Preußen in der Zeit seiner Zugehörigkeit zur Rzeczpospolita betrieben wurde, neuartig zu beleuchten. 6 Den pommerellischen Geschichtsschreibern schrieb er ein besonderes Freiheitsgefühl zu, das ihm noch aus den mittelalterlichen ständischen Traditionen zu stammen schien und in gewisser Hinsicht dem ständischen Selbstbewußtsein des damaligen polnischen Adels (>szlachtapolnische Adelsdemokratie nackten < Version mit der offiziellen historischen Doktrin unvereinbar, weshalb Schieder sie mit einigen ideologischen Zugeständnissen, z.B. an die rassistische Theorie, quasi >absicherte polnischen Oktobers < im Jahre 1956. Somit konnte die polnische Geschichtswissenschaft auf dem uns hier interessierenden Gebiet einen Vorsprung verzeichnen; zugleich ging in der deutschen Forschung das Interesse für diese (> westpreußische Werkzeuge des Historikers < als zweitrangig betrachtet, was wiederum nicht zum besseren Verständnis des historiographischen Schrifttums beitrug. 9 Die Bedeutung der in den sechziger Jahren veröffentlichten Forschungen Kubiks und Nadolskis besteht vor allem auch darin, daß sie die polnischen Historiker der jüngeren Generation inspiriert haben, koordinierte Untersuchungen in dieser Richtung aufzunehmen. Im breitangelegten Panorama haben sich hier besonders Stanislaw Salmonowicz in Τοηιή und Lech Mokrzecki in Gdarisk als recht produktive Autoren hervorgetan, die auch umfangreiche Monographien veröffentlichten. 10 Diegegliedert. Vgl. Maria Strutynska: Strukture proweniencyjna zbioru starych druköw Biblioteki Uniwersyteckiej w Toruniu [Die Provenienzstruktur der Altdrucksammlung der Universitätsbibliothek Torun].- Toruri: Uniwersytet M. Kopernika 1999. 8 Von ihren Arbeiten seien beispielsweise aufgeführt Kazimierz Kubik: Zycie naukowe Gdariska w XVII i XVIII wieku [Das wissenschaftliche Leben Danzigs im 17. und 18. Jh.].- In: Gdafiskie Zeszyty Humanistyczne 11 (1963), S. 31-103; Bronislaw Nadolski: Kultura umyslowa Prus Krolewskich w XVI i XVII wieku [Geistige Kultur Königlich Preußens im 16. und 17. Jh.].- In: Zeszyty Naukowe Uniwersytetu M. Kopernika, Nauki humanistyczno-spoleczne, Historia 12 (= 86) (1965), S. 81-113; ders.: Ze studiöw nad zyciem literackim i kultur^ umyslow^ na Pomorzu w XVI i XVII wieku [Studien zum literarischen Leben und der geistigen Kultur Pommerellens im 16. und 17. Jh.].- Wroclaw: Zaklad Narodowy im. Ossolmskich 1969. 9 Die Bezeichnung stammt von Ahasver von Brandt: Werkzeug des Historikers.Stuttgart: Kohlhammer 1958. 10 Hier sind von den Arbeiten dieser beiden Forscher nur die repräsentativsten bzw. kumulativsten zu nennen. Stanislaw Salmonowicz: Τοπιή w czasach baroku i oswiecenia. Skice ζ dziejöw kultury Torunia 17-18 wieku [Thorn im Zeitalter des Barock und der Aufklärung. Eine Skizze zur Kulturgeschichte Thorns im 17. und 18. Jh.].- Warszawa: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1982

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Jerzy Serczyk

selbe Problematik wurde in kleinerem Umfang auch vom Verfasser dieser Zeilen behandelt, insbesondere seit den Sechzigern bis in die achtziger Jahre. 11 In den Achtzigern dann hat Wlodzimierz Zientara, Germanist an der Universität Τοπαή, einige wertvolle Beiträge zur Geschichte der städtischen Historiographie publiziert, insbesondere zu Elbing und Danzig in der Zeit der Frühaufklärung und Aufklärung. 12 Aus den bisherigen Forschungen ergibt sich ein zusammenhängendes Bild der Geschichtsschreibung in Königlich Preußen in der Periode seiner Zugehörigkeit zur Rzeczpospolita. Sie wurde fast ausschließlich in den drei großen Städten des Landes, also in Danzig, Elbing und Thorn betrieben. Ihre Schöpfer gehörten zum städtischen Bürgertum; Angehörige des Adels gab es unter ihnen nicht. Die westpreußischen stadtbürgerlichen Geschichtsschreiber bildeten aber keine homogene Gruppe. Sie lassen sich in zwei Unterkategorien aufteilen: in die > Intellektuellen Beamten < (Administratoren, Verwalter, städtische Funktionsträger), vorwiegend Angehörige der städtischen Machteliten. Die so kategorisierten Historiker unterschieden sich jedoch nicht nur durch ihre gesellschaftliche Stellung innerhalb der Stadteinwohnerschaft. Sie projizierten ihre Position auf ihr Selbstverständnis als Mitglied der pommerellischen und der jeweiligen städtischen Gesellschaft und somit auch auf die Inhalte der von ihnen geschaffenen historiographischen Werke. Die > Intellektuellen < waren, wie bereits erwähnt, institutionell mit den Akademischen Gymnasien verbunden, welche in der Zeit der Reformation und der Renaissance (die in Polen zeitlich zusammenfielen) als Substitute für Universitäten dienten; in ihren oberen Klassen wurden Vorlesungen auf akademischem Niveau gehalten, Voraussetzung für einen Lehrerposten war ein akademischer Grad. Diese Gymnasien wurden zunächst in Elbing (1535), dann in Danzig (1558) und schließlich auch in Thorn (1568) gegründet und bestanden bis zum Untergang des alten (= Towarzystwo Naukowe w Toruniu: Prace popularnonaukowe; 38); Lech Mokrzecki: W kr?gu prac historyköw gdanskich XVII wieku [Im Kreise der Arbeiten der Danziger Historiker].- Gdaüsk: Uniwersytet Gdanski 1974. 11 Vgl. Jerzy Serczyk: Die bürgerliche Geschichtsschreibung der großen Städte des Königlichen Preußen als interne Kommunikation des städtischen Machtapparats.- In: Vierteljahrshefte für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 74 (1983), Beiheft: Schichtung und Entwicklung der Gesellschaft in Polen und Deutschland im 16. und 17. Jh, S. 154-157, ein zusammenfassender Forschungsbericht mit bibliographischen Hinweisen. 12 Wlodzimierz Zientara: Gottfried Lengnich. Ein Danziger Historiker in der Zeit der Aufklärung. Bd. I—II.- Torun: Uniwersytet M. Kopernika 1995-1996; vgl. auch ders.: Israel Hoppe, der Geschichtsschreiber der Stadt Elbing in der Zeit der schwedischen Kriege.- In: Acta Universitatis Nicolai Copernici. Filologia Germanska7 (1981), S. 3-12.

Geschichtsschreibung

in Königlich

Preußen

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polnischen Staates und der Eingliederung Königlich Preußens 17721793 in den brandenburgisch-preußischen friderizianischen Staat. Die Professoren dieser Gymnasien verstanden die Historie als Lehrmeisterin des Lebens, >magistra vitaewahren < Geschichte gelöst werden konnte, sollten die geschichtlichen Ereignisse unter Anwendung von gelehrten Methoden erforscht werden, die zu unwiderlegbaren und sicheren Resultaten in der Erkenntnis der Vergangenheit führen sollten. Die Gymnasialprofessoren kannten die in Italien, Frankreich und Deutschland in der Zeit der Renaissance entstandenen Arbeiten über die historische Methode (wie z.B. von Jean Bodin, Methodus ad facilem historiarum cognitionem, 1566) und versuchten ihrerseits, ähnliche methodologische Abhandlungen zu verfassen.13 Später, in der Zeit des Barock und der Frühaufklärung hat sich diese mit den Akademischen Gymnasien verbundene historiographische Tätigkeit zu der für diese Zeit in ganz Europa typischen Akkumulationswissenschaft in Form einer historischen Gelehrsamkeit entwickelt - in einzelnen Fällen wäre vielleicht die Bezeichnung > degeneriert < treffender. Zahlenmäßig ist die historiographische gedruckte Produktion dieser Autorenkategorie recht ansehnlich; viele Werke dieser Art sind uns aber auch als Handschriften, die in den Bibliotheken von Gdaήsk und Toruh aufbewahrt werden, erhalten geblieben. Trotz aller Mängel und Ungereimtheiten befanden sie sich im allgemeinen auf jener Entwicklungslinie, die letztlich zur Schaffung der akademischen Geschichtswissenschaft an der Universität Göttingen nach 1737 führen sollte. Zu den bedeutendsten Vertretern dieser Kategorie zählte im 17. Jahrhundert der Thorner Gymnasialprofessor Christoph Hartknoch (16441687). Aus Ostpreußen stammend hatte er an der Königsberger Universität studiert und dort den Magistertitel erworben. Darauf erfolgte der Ruf nach Thorn. Trotz seines kurzen Lebens hat Hartknoch mehrere bedeutende historische Werke hinterlassen. Er schrieb sie mit der klaren Absicht, unterschiedliche Leserkreise anzusprechen, um ihnen verschiedene historische Inhalte durch die Ergebnisse seiner Forschungstätigkeit zu übermitteln. Für den polnischen Adel, die staatstragende Schicht der Rzeczpospolita, verfaßte er eine historisch untermauerte Darstellung der Verfassung Polens: Res Publica Polonica duobus libris illustrata (1678) - in La13

Darunter z.B. Bartholomäus Keckermann (1572-1609), Professor des Akademischen Gymnasiums in Danzig, der eine Abhandlung De natura et proprietatibus historiae commentarius schrieb, die aber erst nach seinem Tode veröffentlicht wurde. Darüber eingehend Bronistaw Nadolski: Zycie i dziatalnosc naukowa Barttomieja Keckermanna [Leben und wissenschaftliche Tätigkeit des Bartholomäus Keckermann].- Torun: Towarzystwo Naukowe w Toruniu 1961.

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Jerzy Serczyk

tein, das den damaligen gebildeten polnischen Adligen geläufig war. Für seine preußischen Landsleute, vor allem für die deutschsprachigen Bürger der großen Städte, war sein Hauptwerk Alt und Neues Preußen oder preußischen Historien zwei Teile (1684) bestimmt. Als Erforscher der altpreußischen Geschichte veröffentlichte er eine Sammlung von Abhandlungen: Selectae dissertationes historicae de variis rebus Prussicis (1679), als Quellenherausgeber den mittelalterlichen Petri de Dusburg Ordinis Teutonici sacerdotis Chronicon Prussiae. Hartknoch erklomm die Höhen der barocken Eruditionshistoriographie. Keiner seiner Zeitgenossen und kein Angehöriger der späteren Generationen, die mit den Akademischen Gymnasien verbunden waren, vermochte sein Niveau zu erreichen. 14 Die andere wichtige Gruppe von Geschichtsschreibern bildeten jene von uns etwas umständlich, dafür aber recht genau als mit dem städtischen Machtapparat bzw. den Machtstrukturen institutionell verbunden bezeichneten Historiographen. Sie selbst verstanden ihre historiographische Tätigkeit anders, als es bei der Gruppe mit gymnasialer Anbindung der Fall war. Ihre Texte waren, mit wenigen Ausnahmefallen, nicht für die Publikation bestimmt. Sie sollten vor allem als Informationsquelle für den internen Gebrauch der Mitglieder der herrschenden Stadtelite dienen. Es sei hierbei angemerkt, daß die drei erwähnten großen Städte sich als > königliche Städte < einer verhältnismäßig großen Autonomie hinsichtlich ihrer inneren Verwaltung und Wirtschaft erfreuten, die aber nicht mit den Rechten der > Reichsstädte < im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gleichzusetzen ist. Diese Art der Geschichtsschreibung, die meistens von den Amtsträgern der städtischen Behörden betrieben wurde, enthielt nicht etwa nur dokumentierte Einzelheiten der Verhandlungen zwischen der Stadt und dem polnischen König oder anderen Trägern der Staatsmacht, sondern auch die Auslegung der bestehenden Rechtsverhältnisse oder etwa geheime politische und ökonomische Beschlüsse. Das Entscheidende daran ist, daß derartige Informationen in eine zusammenhängenden Darstellung gebracht wurden, wobei die Interessen der jeweiligen Stadt deutlich herausgestellt wurde. Dabei ging es den Autoren nicht um eine gehobene Ausdrucksweise, sondern vor allem um eine vollständige Dokumentation der Tatsachen. Von einem literarischen Wert oder auch gelungenen historiographischen Konstruktionen konnte bei diesen Werken somit nur ausnahmsweise die Rede sein.

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Vgl. Jerzy Serczyk: Warsztat historyczny Krzysztofa Hartknocha [Die historische Werkstatt Christoph Hartknochs].- In: Ksi^ga Pami^tkowa 400-lecia Torimskiego Gimnazjum Akademickiego. [Gedenkbuch zum 400. Jubiläum des Thorner Akademischen Gymnasiums] Bd. I: XVI-XVIII w. Hrsg. von Zbigniew Zdröjkowski.- Τοηιή: [o.V.] 1972, S. 283-314.

Geschichtsschreibung

in Königlich

Preußen

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Zahlenmäßig sind die Exemplare der > Beamtenhistoriographie < den Werken der >professoralen< Geschichtsschreibung überlegen. Viele davon wurden allerdings nicht in den Bibliotheken, sondern in den Archiven der Stadträte aufbewahrt, zu denen nur wenige, von den städtischen Behörden berechtigte Personen Zutritt hatten. Diese historiographischen Werke enthielten nämlich Informationen, die geheimzuhalten waren. Es gab unter den Autoren der Geschichtswerke dieser Kategorie aber gleichermaßen Persönlichkeiten, die eigene schriftstellerische Ambitionen entwickelten und mit ihren Texten an die Öffentlichkeit treten wollten. In solchen Fällen mußte der Stadtrat seine Einwilligung erteilen. Dabei entschied man zugleich, ob das gesamte geschriebene Werk oder nur Teile davon im Druck erscheinen durfte, damit die unbefugten Leser nichts von den städtischen Geheimnissen erfuhren oder auf andere Weise durch die Lektüre ungünstig beeinflußt werden könnten. Ein klassisches Beispiel dafür war im 17. Jahrhundert der Fall des Danziger Stadtsekretärs Reinhold Curicke (1610-1667), ein talentierter Erzähler, der aufgrund seiner guten Kenntnisse des städtischen Aktenmaterials eine ausfuhrliche Der Stadt Danzig historische Beschreibung (1642) verfassen konnte, welche er zu veröffentlichen beabsichtigte. Der Rat der Stadt untersagte ihm das jedoch und änderte diese Entscheidung auch nicht nach der Bereiterklärung des Autors, den Text gemäß den Wünschen der Stadtbehörden umzuarbeiten. Erst 1687 erteilte der Danziger Rat dem Sohn des inzwischen verstorbenen Curicke die Genehmigung, das Werk des Vaters unter Fortlassung der beanstandeten Textteile drucken zu lassen. 15 Zu den bekannten Autoren der > Beamtenhistoriographie < gehörte im 18. Jahrhundert der Thorner Bürgermeister Jakob Heinrich Zernecke (1672-1741), der als Sekretär des Stadtrates das Archiv seiner Heimatstadt genau studierte und die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit in monographischen Broschüren über die Geschichte Thorns veröffentlichte: Das verpestete Thorn oder summarischer Auszug der Pestilenz-Seuchen (1710); Das bey denen schwedischen Kriegen bekriegte Thorn (1712); Summarischer Entwurf des geehrten und gelehrten Thorns (1712). Er schrieb auch eine Thornische Chronica, die in zwei Auflagen (1711 und 1727) erschien und noch heute ab und zu als eine Art >Thorner Ploetz< für die ersten fünf Jahrhunderte der Stadtgeschichte dient. In die Ereignisse des sogenannten Thorner Blutgerichts von 1724 verwickelt, siedelte er nach Danzig über, wo er bis zu seinem Lebensende wohnte. 16 15

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Reinhold Curicke: Der Stadt Danzig historische Beschreibung. Faksimile der Ausg. 1687. Mit einer Einfuhrung von Ernst Bahr hrsg. von Siegfried Rosenberg.- Hamburg: Danziger Verl.-Ges. Rosenberg 1979. Walter F.H. Zernecke: Jacob Heinrich Zernecke. Bürgermeister und Chronist von Thorn.- Riesenburg: Engel 1909; Jerzy Serczyk: Kronikarz torunski Jakub Henryk Zemeke i jego warsztat historiograficzny [Der Thorner Chronist Jakob

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Eine ähnliche Rolle spielte etwas früher der Elbinger Bürgermeister Israel Hoppe d.J. (1601-1679), zugleich der königlich polnische und königlich schwedische Burggraf dieser Stadt. 17 Seine schriftstellerische Tätigkeit fiel zusammen mit der Periode der Kriege zwischen PolenLitauen, Schweden und Rußland. Das fand seinen Ausdruck in der Tatsache, daß die Geschichte des ersten schwedisch-polnischen Krieges in Preußen zu seinem Hauptwerk wurde, das übrigens erst über zwei Jahrhunderte später, nun bereits als wissenschaftliche Quellenausgabe, erscheinen konnte. Für seine eigene Zeit war dieses Buch offensichtlich zu aktuell und zu sehr politisch engagiert. Als eine Art Synthese zwischen der gelehrten und der amtlichen Geschichtsschreibung im Königlichen Preußen darf wohl das historiographische Werk von Gottfried Lengnich (1689-1774) betrachtet werden. 18 Der geborene Danziger kam aus einer kleinkaufmännischen Familie und promovierte an der damals neugegründeten Universität Halle als Jurist. In den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts war er Hauslehrer bei Poniatowski, dem Wojewoden der polnischen Provinz Masowien; der spätere König von Polen, Stanislaw August Poniatowski, war Lengnichs Zögling. Nach seiner Rückkehr in die Heimatstadt wurde ihm das Amt des Stadtsyndikus anvertraut, welches er mit einer Professur am Danziger Akademischen Gymnasium verband. In den Beziehungen Danzigs zum König von Polen erwies er sich als geschickter Diplomat, welcher die Interessen seiner Heimatstadt zu vertreten verstand. Das historiographische Werk Lengnichs gehört seinem Inhalt und seinen Methoden nach bereits zur Epoche der Aufklärung. Er unternahm die ersten Versuche, die Quellen zur ältesten Geschichte Polens zu untersuchen und die gesamte polnische Geschichte in einer zusammenfassenden Darstellung zu präsentieren: Historia Polona a Lecho adAugusti II mortem (1740); deutsche Version: Polnische Geschichte von den Zeiten Lechi bis auf das Absterben Königs Augusti II. glorwürdigsten Andenckens (1741, 2. Aufl. 1748). Vom Kanzler des Königreichs Polen A.S. Zaluski angeregt, bereitete Lengnich eine grundlegende Bearbeitung des polnischen Staatsrechtssystems vor: Ius publicum Regni Poloni (Ausg. 1742, 1746, 1765 und 1766), auch in einer polnischen Fassung: Prawo pospolite Krolestwa Heinrich Zernecke und seine historiographische Werkstatt].- In: Ζ dziejow nauki polskiej. Ksi?ga pami^tkowa Towarzystwa Naukowego w Toruniu (18751975) [Zur Geschichte der polnischen Wissenschaften. Gedenkbuch der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Thorn (1875-1975)]. Hrsg. von Artur Hutnikiewicz.- Warszawa: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1975, S. 103-131. 17 Zientara: Israel Hoppe (Anm. 12). 18 Zu Lengnich äußerten sich seit dem 19. Jahrhundert mehrere deutsche und polnische Historiker. Eine Bibliographie ist zu finden bei Zientara: Gottfried Lengnich (Anm. 12).

Geschichtsschreibung in Königlich Preußen Polskiego (1761). Seine ähnliche Bearbeitung des Danziger öffentlichen Rechts, Ius publicum civitatis Gedanensis oder der Stadt Danzig Rechte und Verfassung, durfte wegen des Verbots des Stadtrats nicht im Druck erscheinen und wurde erst 1900 als historische Quelle veröffentlicht.19 Dagegen vermochte er sein Jus publicum Prussiae Polonae (1758) mitsamt einer deutschsprachigen Version unter dem Titel Staatsrecht des Pohlnischen Preußens (1760 und 1770) zu publizieren. Das bedeutendste historiographische Werk Lengnichs war die in den Jahren 1722-1755 in neun umfangreichen Quartbänden veröffentlichte Geschichte der Preußischen Lande Königlich-Polnischen Antheils, die auch heute noch von Historikern nicht nur als Quelle, sondern als informative Bearbeitung benutzt wird. Sein Schaffen bildete zugleich einen Höhepunkt, eine Synthese und den Abschluß jenes Kapitels in der Entwicklung der Geschichtsschreibung in dieser Region Ostmitteleuropas. Mit der Eingliederung in den autokratisch regierten brandenburgischpreußischen Staat der Hohenzollern verlor das ehemalige Preußen königlich polnischen Anteils seine politische und kulturelle Eigenart und teilte seitdem die Schicksale des Königreichs Preußen sowie der Ausformungen des Deutschen Reiches unter Bismarck und unter Hitler. Seit 1945 kann seine Geschichte wie auch die Geschichte seiner Historiographie nur noch als ein interessantes und der Erforschung würdiges, in sich geschlossenes Ganzes betrachtet werden, das freilich die Gegenwart nicht mehr direkt zu beeinflussen vermag.

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Des Syndicus der Stadt Danzig Gottfried Lengnich Ius publicum civitatis Gedanensis oder der Stadt Danzig Verfassung und Rechte; nach der Originalhandschrift des Danziger Stadtarchivs. Hrsg. von Otto Günther.- Danzig: Bertling 1900 (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens; 1).

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Jörg H a c k m a n n

Deutsche und polnische Geschichtsschreibung über das Königliche Preußen im Spannungsfeld der Beziehungsgeschichte

Der p o l n i s c h e Historiker S z y m o n A s k e n a z y schrieb in s e i n e m 1 9 1 9 ers c h i e n e n e n B u c h Danzig und Polen, das die p o l n i s c h e n Territorialforderungen auf der Versailler F r i e d e n s k o n f e r e n z historisch untermauern sollte, über D a n z i g vor der Z w e i t e n T e i l u n g P o l e n s 1793: Mehr denn j e schätzte auch Danzig das Glück seiner Zugehörigkeit zur Rzeczpospolita. Aber gleichzeitig erschauderte die Stadt mehr denn j e vor der Annexion durch das verhaßte Preußen, nach so vielen bitteren Qualen, die ihr seit einer Reihe von Jahren von Friedrich dem Großen auferlegt worden waren. Und erneut zeigte sich, daß - wie immer - das gemeine Volk Danzigs, die Kleinbürger und Arbeiter, von dem erbittertsten Widerwillen gegen Preußen durchdrungen und Polen treu ergeben war; dieses Volk bewahrte am stärksten die uralten Traditionen der ursprünglichen Freiheit und der Abrechnung mit dem Kreuzrittertum und auch die größte Beimischung des uralten, hartnäckigen polnisch-kaschubischen Bluts. 1 D a g e g e n schrieb der D a n z i g e r Historiker Erich K e y s e r z w e i Jahre später über die Zugehörigkeit D a n z i g s zur Republik Polen: Stärker noch als die politische Bevormundung durch den polnischen König lehnte die deutsche Bevölkerung der Weichselstadt jede Einwirkung aus der ihr fremdartigen Kulturwelt des Ostens mit aller Entschiedenheit ab. 2

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Szymon Askenazy: Gdanska Polska [Danziger Polen]. Neudr.- Toruri: Adam Marszalek 1997 (= Dziejopisarze Gdaüska), S. 73. Die Erstausgabe erschien 1919 in polnischer, französischer, englischer und deutscher Sprache; das vorliegende Zitat wurde aus dem Polnischen übersetzt. Zu Askenazy vgl. Henryk Barycz: Szymon Askenazy wsrod przeciwienstw i niepodowodzen zyciowych i naukowych [Szymon Askenazy angesichts der Gegensätze und Mißerfolge in Leben und Forschung].- In ders.: Na przelomie dwöch stuleci. Ζ dziejöw polskiej human istyki w dobie Mlodej Polski [An der Jahrhundertwende. Zur Geschichte der polnischen Humanistik in der Zeit des jungen Polen].- Wroclaw usw.: Zaklad Narodowy im. Ossolinskich 1977, S. 237-311. Erich Keyser: Danzigs Geschichte.- Danzig: Kafemann 1921, S. 97. Zu Keyser vgl. Hermann Aubin: Zu den Schriften von Erich Keyser.- In: Studien zur Geschichte des Preußenlandes. Festschrift fur Erich Keyser zu seinem 70. Ge-

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Jörg Hackmann

Beide Autoren ließen an den politischen Intentionen ihrer Darstellungen keinen Zweifel: Wenn Askenazy schrieb, daß Danzig »sein Wachstum und Wohlergehen Polen verdankt, wohin es kraft geographischer, geschichtlicher, wirtschaftlicher und politischer Notwendigkeiten hingehört«,3 dann zielte diese Aussage unzweideutig auf die erhoffte Zukunft Danzigs nach 1918. Keyser seinerseits wollte ebenfalls »die Geschichte zum Zeugen« für die politische Zukunft der Stadt aufrufen. »In der schweren Zeit, die wir jetzt durchleben müssen, wollte ich«, so schrieb er in seiner Geschichte Danzigs, die Bedingungen aufzeigen, unter denen Danzig einst zu dem Mittelpunkt ausgebreiteter wirtschaftlicher Verbindungen und wertvoller kultureller Leistungen geworden ist, die ihm zu allen Zeiten weit über seine nähere Umgebung hinaus Beachtung und Wertschätzung erworben haben. Diese Bedingungen sind aber von den Tagen an, aus denen die erste Kunde von seinem Dasein zu uns dringt, niemals andere gewesen als die, welche die einheimische Bevölkerung der Stadt auch als Forderung der Gegenwart wiederholt hat: die ungestörte Erhaltung der altererbten deutschen Kultur [...] und schließlich die unbedingte Sicherheit vor der Verwicklung in die politischen Händel und Wirren Osteuropas, [...] eine Gefahr, die wie die Geschichte lehrt, nur bei vollster politischer Unabhängigkeit von den Staaten des Ostens, Polen und Rußland, verhütet werden kann. 4

Nun könnte man einwenden, daß es sich bei den Auseinandersetzungen um Danzig nach 1918 um einen klaren Fall politischer Publizistik hand-

3

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burtstag dargebracht von Freunden und Schülern. Hrsg. von Ernst Bahr.- Marburg: Elwert 1963, S. 1 - 1 1 ; Aubins Würdigung steht freilich noch ganz im Kontext der deutschen Ostforschung der ersten Nachkriegszeit. Dazu vgl. Jörg Hackmann: Ostpreußen und Westpreußen in deutscher und polnischer Sicht. Landeshistorie als beziehungsgeschichtliches Problem.- Wiesbaden: Harrassowitz 1996 (= Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien; 3), S. 170 und 183-187; Willi Oberkrome: >VolksgeschichteDeutsche Ostforschung < und > polnische Westforschung < im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Disziplinen im Vergleich. Hrsg. von Jan M. Piskorski, Jörg Hackmann und Rudolf Jaworski.- Osnabrück, Poznaii: fibre, Poznanskie Tow. Przyjacio! Nauk 2002 (= Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung; 1), S. 2 6 - 4 5 . Für den gesamten Aufsatz gilt, daß Veröffentlichungen seit 1998 nur partiell eingearbeitet werden konnten. Askenazy: Danzig und Polen (Anm. 1), S. VII, das Zitat stammt aus dem Vorwort zur deutschen Ausgabe. Keyser: Danzigs Geschichte (Anm. 2), S. 6.

Deutsche und Polnische

Geschichtsschreibung

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le, der mit wissenschaftlicher Historiographie nichts zu tun habe. Sowohl Askenazy als auch Keyser vertraten jedoch den Anspruch, wissenschaftlich fundierte Darstellungen zu geben; bei Keyser heißt es zum Zusammenhang von Wissenschaftlichkeit und politischen Interessen: Der Staatsmann mag sich des Rüstzeuges bedienen, das ihm die Forschung darbietet. Aber er wird nur eine solche geschichtliche Darstellung fruchtbringend verwerten können, die ihm ohne politische Voreingenommenheit sachlich und zuverlässig zeigt, wie alles gewesen und geworden ist.5

In dieser Umbruchsituation nach dem Ende des Ersten Weltkriegs läßt sich der Problemzusammenhang, um den es hier geht, in pointierter Form erfassen: Deutsche und polnische Historiker entwarfen diametral entgegengesetzte nationalgeschichtliche Bilder von der Geschichte der Region an der unteren Weichsel, und diese divergierenden Betrachtungsweisen waren in einem wechselseitigen Prozeß von aktuellen deutsch-polnischen Beziehungen geprägt: die historiographischen Werke wurden als politische Kampfwerkzeuge instrumentalisiert; zugleich bemühten sich die Historiker selbst, die Relevanz ihrer Erkenntnisse fur die aktuellen politischen Probleme herauszustellen, die Instrumentalisierung war also - wie bei Keyser gesehen - durchaus erstrebt. Im Prisma der Danziger Geschichte ist das ganze Spektrum der im deutsch-polnischen Verhältnis umstrittenen Einschätzungen pommerellischer oder westpreußischer Geschichte zu erkennen. 6 Sie zentrieren sich - kurz gesagt - um die Zugehörigkeit der Region zu Polen bzw. Deutschland im millenären Zusammenhang seit der Prußenmission Adalberts und der damit verbundenen ersten Erwähnung Danzigs. Kernpunkte der Kontroversen sind dabei die Wendepunkte der Regionalgeschichte: die Verleihung des Kulmer Landes an den Deutschen Orden 1224, die Besetzung Pommerellens durch den Orden 1308/1309, die Niederlage des Ordens bei Tannenberg 1410, der Aufstand der preußischen Stände von 1454, die anschließende Inkorporation durch den polnischen König Kazimierz Jagielloiiczyk und der Zweite Thorner Frieden 1466, dann die Aufhebung der Privilegien des Königlichen Preußen auf dem Unionssejm in Lublin 1569 und die Besetzung der Region durch 5 6

Ebd., S. 4. Stärker als im Falle Ostpreußens hat sich in der deutschen Geschichtswissenschaft durchgesetzt, in dem Namen >Westpreußen < eine Epochenbezeichnung für die Zeit nach der Annexion durch Friedrich II. 1772 zu sehen und für die vorhergehenden Epochen von >Königlichem Preußen< oder >Preußen königlichpolnischen Anteils< (1454-1772/1793) bzw. >Pommerellen< (vor 1454) zu sprechen. Für eine epochenübergreifende Bezeichnung der Region bietet sich neben >Westpreußen < > Pommerellen < an, das hier verwendet wird. Zur Nomenklatur in der deutschen und polnischen Historiographie vgl. Hackmann: Ostpreußen (Anm. 2), S. 19-21.

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die Hohenzollernmonarchie 1772/1793 sowie das Ende des Ersten wie des Zweiten Weltkriegs im 20. Jahrhundert. Wenn wir die konträren Argumentationslinien vergleichen, so führte Askenazy zum einen die Zugehörigkeit Danzigs zu Polen vor der Einnahme durch den Deutschen Orden 1308 an und stützte sich dann vor allem auf die Zeit der Danziger Zugehörigkeit zu Polen von 1454 bis 1793. Keyser bezog sich auf die Zugehörigkeit Danzigs zum Ordensstaat und zur deutschen Hanse 7 und sah in der preußischen Besetzung 1793 die Befreiung aus den osteuropäischen Wirren. Askenazy hingegen sah die Einverleibung in den preußischen Staat aus der Perspektive der Teilung Polens und folglich als Okkupation. Sowohl Askenazy als auch Keyser argumentierten nicht allein mit politikgeschichtlichen Tatsachen, sondern bezogen zur Untermauerung ihrer Thesen eines polnischen bzw. deutschen Charakters der Stadt zudem wirtschafts-, sozial-, kultur- und mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen mit ein. Dabei wurden die epochalen und thematischen Akzentuierungen jeweils von der übergeordneten politischen Perspektive geprägt. Der Sachverhalt, der hier an der Situation nach dem Ersten Weltkrieg expliziert wurde, ließe sich auch zu Beginn und am Ende des Zweiten Weltkriegs aufzeigen, allerdings mit der Einschränkung, daß die beiden Kontrahenten sich nicht auf gleicher Ebene gegenübertreten konnten. Die Einverleibung Danzigs und des > Reichsgaus Danzig-Westpreußen < in das nationalsozialistische Deutsche Reich fanden ihre historiographische Widerspiegelung und Legitimation bei deutschen Historikern; polnische Stimmen konnten sich dagegen erst wieder 1945 öffentlich äußern; 8 sie unterstrichen nun erneut den polnischen Charakter der Stadt.9 In Westdeutschland stand die ostdeutsche Landesgeschichtsschreibung nach Kriegsende vor der Aufgabe, sich völlig neu zu organisieren. Ihre historiographischen Perspektiven, wie sie in den fünfziger Jahren hervortraten, stammten aber zu einem nicht unerheblichen Teil aus den Grabenkämpfen der ersten Nachkriegszeit. 10 7

In: Erich Keyser: Die Baugeschichte der Stadt Danzig. Hrsg. von Ernst Bahr.Köln, Wien: Böhlau 1972 (= Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart; 14), S. 352, firmiert die Epoche von 1454-1793 unter die Überschrift >Danzig zur Hansezeit An einem neuen Anfang der Ostforschung Deutschtum < bzw. die >polskosc< oder Polonität zeugt der Sachverhalt, daß sie sich - nicht nur am Beispiel Danzigs bis in Darstellungen der letzten Jahre verfolgen lassen. Im 1994 erschienenen Teilband des deutschen Handbuchs der Geschichte Ost- und Westpreußens findet sich die Feststellung, Danzig sei seit Ende des 16. Jahrhunderts zum »Hort des Protestantismus und des Deutschtums in Westpreußen« geworden, das allein sich vor dem polnisch-katholischen »Fanatismus« habe schützen können. 11 Wenn der Mitarbeiter an dem Handbuch von der ausschließlichen Zugehörigkeit Danzigs zum protestantisch-deutschen Kulturkreis überzeugt zu sein scheint, so konzentrieren sich polnische Darstellungen auf polnische Einflüsse in Danzig und die immer wieder betonte Treue der Stadt zur Rzeczpospolita. 1 2 Deutsche Kultureinflüsse dagegen werden bzw. wurden, selbst wenn es um die Darstellung der Danziger Bürgerkultur geht, 1 3 eher am Rande erwähnt. Statt dessen wird betont, daß die Kultur der Region nicht zuletzt durch ihre Wirtschaftsbeziehungen zum polnischen Hinterland geprägt wurde. 14 der ostdeutschen Landeshistorie nach dem Zweiten Weltkrieg.- In: Westfälische Forschungen 46 (1996), S. 232-258. 11 Handbuch der Geschichte Ost- und Westpreußens. Hrsg. von Ernst Opgenoorth. Bd. II/1-II/2.- Lüneburg: Institut Nordostdeutsches Kulturwerk 1994-1996 (= Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung; 10), Bd. II/l, S. 163. 12 Vgl. Historia Gdariska [Danziger Geschichte], Hrsg. von Edmund Cieslak. Bd. I-III.- Gdarisk: Wydawn. Morskie 1982-1993, Bd. III/l: 1655-1793, S. 5156; Waclaw Odyniec: Dzieje Prus Krölewskich (1454-1772). Zarys monograficzny [Die Geschichte Königlich Preußens. Ein monographischer Abriß].Warszawa: Paήstwowe Wydawn. Naukowe 1972, S. 226ff. Die polnische Literatur zur zweiten Wahl Stanislaw Leszczynskis und der Haltung Danzigs 1733/1734 ist vor diesem Hintergrund zu sehen, vgl. Alfons Wodzinski: Gdansk za czasöw Stanislawa Leszczynskiego (1704-1709, 1733-1734) [Danzig und das Zeitalter des Sanislaw Leszczynski].- Krakow: Gebethner & Wolff 1929 (= Prace Krakowskiego Oddzialu Polskiego Towarzystwa Historycznego; 6); Pelczar: Polski Gdansk (Anm. 9), S. 43; Piwarski: Dzieje Gdanska (Anm. 9), S. 193, und Edmund Cieslak: W obronie tronu krola Stanislawa Leszczynskiego [Im Schutz des Königsthrons Stanislaw Leszczynskis].- Gdansk: Wydawn. Morskie 1986. 13 Etwa bei Maria Bogucka: Das alte Danzig. Alltagsleben vom 15. bis 17. Jahrhundert.- Leipzig: Koehler & Amelang 1980; vgl. auch den Beitrag der Autorin in: Historia Pomorza [Geschichte Pommerellens]. Hrsg. von Gerard Labuda. Bd. I-III.- Poznan: Wydawn. Poznaüskie Tow. Przyjaciöl Nauk 1969-1996, Bd. II/l, S. 536-642, insbes. S. 538 und 639-642; abwägender dagegen der Beitrag von Edmund Cieslak.- In: ebd., Bd. II/2, S. 365-369. 14 Deutlich zu sehen in den beiden wichtigsten polnischen Gesamtdarstellungen in diesem Kontext: Erstens der Historia Pomorza (Anm. 13), Bd. II/l, S. 642650; in dieser Synthese wird insgesamt besonderer Wert auf Wirtschaftsge-

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Es ist verblüffend, zu welch unterschiedlichen Bewertungen ein- und derselben Epoche die Geschichtsforschung kommen kann; noch erstaunlicher ist aber, daß sich dieser Gegensatz immer noch in den maßgeblichen und zum Teil jüngst erschienenen Handbüchern findet. Zöge man noch einschlägige Monographien und Aufsätze aus den letzten Jahrzehnten heran, so wäre das Bild noch eindeutiger. Die nationale Divergenz in den Betrachtungsweisen der Landesgeschichte ist also nicht allein ein Phänomen im Perfekt, sondern im Imperfekt. Die Probleme in der Beschäftigung mit einer deutsch-polnischen Region, die sich an der Kontroverse zwischen Askenazy und Keyser vor fast 80 Jahren erkennen ließen, sind auch heute noch virulent: zu nennen ist zum einen die vorrangige Orientierung an der Entwicklung in Deutschland bzw. Polen, je nach Nationalität des Historikers, und zum zweiten eine gewisse anachronistische Voreingenommenheit oder Befangenheit in der Behandlung der ethnischen bzw. sprachlichen Struktur der Bevölkerung. Weiterhin wäre eine explizite oder latente Legitimationsfunktion der Historiographie zu nennen, die Beweise für die Zugehörigkeit der Region zu Deutschland oder Polen beizubringen intendiert; diese Verquikkung mit politischen Faktoren fuhrt schließlich zu einer weit verbreitenden Abwehrhaltung der Gegenseite gegenüber, die oft mit einer auf Kompensation zielenden Einstellung einhergeht. Auch wenn die Legitimations- und Abwehrtendenzen schwinden, bleibt oft eine - mitunter wenig reflektierte - Beschränkung auf die eigene nationalgeschichtliche Tradition. Eine beziehungsgeschichtliche Traditionskritik kann dazu beitragen, diese Konstellationen vor Augen zu fuhren. Gerade die historische Legitimation von Besitzansprüchen hat in der Geschichte Pommerellens keine unerhebliche Rolle gespielt. Debatten darüber, wem die rechtmäßige Herrschaft über die Region zustünde, lassen sich in den Prozessen Polens gegen den Deutschen Orden vor der Kurie im 14. Jahrhundert erkennen; 15 historische Argumente wurden be-

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schichte und die mit ihr verbundenen Integrationstendenzen gelegt, vgl. Jörg Hackmann: Gerard Labudas Konzeption der Geschichte Pommerns.- In: Jahrbuch für Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 41 (1993), S. 109-134, insbes. S. 127-131. Zweitens der Historia Gdanska (Anm. 12), der Abschnitt von 1454-1570 trägt den Titel: >Danzigs Blüte nach der Eingliederung in die Rzeczpospolita Kulturträgern < bzw. polnischen autochthonen Kräften) und sind bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nicht anzutreffen. Deutlich erkennen läßt sich das an dem monumentalen Epos Geschichte der preussischen Lande Königlich Polnischen Antheils des Danziger Syndikus Gottfried Lengnich. 1 7 Er argumentierte dort zwar ausführlich fur die politische Sonderstellung Preußens innerhalb der Rzeczpospolita, w i e s dazu aber nicht auf kulturelle Differenzen zwischen Deutschen und Polen hin. In diesen Zusammenhang - der Nutzung kulturhistorischer Argumente in politischer Intention - wurde Lengnich dennoch bereits w e n i g e Jahre nach seinem Tod gestellt. Gestützt auf Lengnichs Darstellung zeichnete der Königsberger Historiker Ludwig von Baczko Ende des 18. Jahrhunderts ein düsteres Bild von der polnischen Oberhoheit im Königlichen Preußen, unter welcher politischer und kultureller Niedergang vorgeherrscht hätte. Es sei eine »traurige Geschichte«, so Baczko, wie »das Land im Ganzen he16

Vor allem die Annales [...] incliti Regni Poloniae von Jan Dhigosz sind hier zu nennen, vgl. Jan Dhigosz: Historiae Polonicae libri XII. Hrsg. von Aleksander Przezdziecki. Bd. V.- Krakow: Ex typogr. Ephemeridum >Czas< 1878 (= Joannis Dhigosz Senioris Canonici Cracoviensis Opera omnia; 14); aus der Forschungsliteratur vgl. in diesem Zusammenhang Marian Biskup: Dzialalnosc dyplomatyczna Jana Diugosza w sprawach pruskich w latach 1454-1466 [Die diplomatische Tätigkeit des Jan Dhigosz in der preußischen Frage 14541466].- In: Dlugossiana. Studia historyczne w pi^csetlecia smierci Jana Dhigosza [Historische Studien zum 500. Todestag von Jan Dhigosz]. Hrsg. von Stanislaw Gaw^da.- Krakow: Nakladem Uniw. Jagiellonskiego 1980 (=Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellonskiego. Prace Historyczne; 65), S. 141-167; Brygida Kürbis: Johannes Dhigosz als Geschichtsschreiber.- In: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter. Hrsg. von Hans Patze.- Sigmaringen: Thorbecke 1987 (= Vorträge und Forschungen; 31), S. 483-496; Hackmann: Ostpreußen (Anm. 2), S. 52-54. 17 Gottfried Lengnich: Geschichte der preußischen Lande Königlich Polnischen Antheils. Bd. I-IX. Danzig: Schreiber 1722-1755. Aus der reichhaltigen Literatur zu Lengnich sei hingewiesen auf Wlodzimierz Zientara: Gottfried Lengnich. Ein Danziger Historiker in der Zeit der Aufklärung. Teil I—II.- Torun: Uniwersytet M. Kopernika 1995-1996; Stanislaw Salmonowicz: Gotfryd Lengnich. Szkic do potretu uczonego [Gottfried Lengnich. Eine Porträtskizze des Gelehrten].- In ders.: Od Prus Ksiqz^cych do Krölestwa Pruskiego. Studia ζ dziejöw prusko-pomorskich [Vom Königlichen Preußen zum Königtum Preußen].- Olsztyn: Tow. Naukowe im. W. K?trzynskiego 1992, S. 72-102; Karin Friedrich: Gottfried Lengnich (1689-1774) und die Aufklärung in Preußen königlich-polnischen Anteils.- In: Fördern und Bewahren. Studien zur europäischen Kulturgeschichte der frühen Neuzeit. Hrsg. von Helwig Schmidt-Glintzer.- Wiesbaden: Harrasowitz 1996 (= Wolfenbütteler Forschungen. Hrsg. von der Herzog August Bibliothek; 70), S. 107-118.

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rabsank; Ungerechtigkeit, Gewalt und Bedrückung überall herrschte; Cultur, Wissenschaft und Künste allgemach entflohen.« 18 Diese Argumentation war freilich keine originäre Idee Baczkos, da sie sich bereits in zahlreichen Edikten Friedrichs des Großen findet, in denen er die Annexion Westpreußens 1772 mit den intendierten positiven Folgen für die kulturelle Entwicklung des Landes zu begründen versuchte. 19 So wird also in der Folge der ersten Teilung Polens ein Deutungsmuster sichtbar, das von weitreichender Bedeutung fur die Landeshistorie Pommerellens war: territoriale Besitzansprüche wurden aus der zivilisatorischen Funktion Preußens und der Deutschen begründet und äußerten sich in Kritik an den Zuständen im polnischen Preußen sowie in der Überzeugung von der Fortschrittlichkeit der friderizianischen Verwaltung. Diese deutsche Konzeption der frühneuzeitlichen Geschichte des Königlichen Preußen - in der Zeit der Zugehörigkeit zu Polen - blieb praktisch bis zum Ersten Weltkrieg und damit in der Epoche des geteilten Polen vorherrschend. Zugleich muß man konstatieren, daß dem Königlichen Preußen ungleich weniger Aufmerksamkeit deutscher Historiker zukam als etwa der Geschichte Ordenspreußens. Wenn man die relativ wenigen Texte sichtet, so wäre die kleine Schrift des Thorner Gymnasiallehrers Leopold Prowe Westpreußen in seiner geschichtlichen Stellung zu Deutschland und Polen zu nennen, die in der Phase der Bismarckschen Reichsgründung darauf zielte, auch unter uns selbst die wissenschaftliche Ueberzeugung fest zu begründen, dass wir hier auf deutschem Boden stehen und nimmer als Fremdlinge zu betrachten sind, welche wieder ausgeschlossen werden könnten von dem Aufbau unseres deutschen Vaterlandes. 20

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Ludwig von Baczko: Geschichte Preußens. Bd. I-VI.- Königsberg: Härtung 1792-1800, Bd. IV, S. 21. Zu Baczko vgl. Thomas Studer: Ludwig von Baczko - Schriftsteller in Königsberg um 1800.- In: Königsberg. Beiträge zu einem besonderen Kapitel der deutschen Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts. Hrsg. von Josef Kohnen.- Frankfurt a.M. usw.: Lang 1994, S. 339-425. 19 Zahlreiche Beispiele für diese Einstellung finden sich bei Max Bär: Westpreußen unter Friedrich dem Großen. Bd. I—II.- Leipzig: Hirzel 1909 (= Publikationen aus den K. Preussischen Staatsarchiven; 83/84), etwa in Bd. II, Nr. 24, 54, 97, 344, 470 und 536, vgl. auch Bd. I, S. 78-83 und 314-317; vgl. auch Rudolph Stadelmann: Preussens Könige in ihrer Thätigkeit fur die Landescultur. Teil 2: Friedrich der Große.- Leipzig: Hirzel 1882 (= Publicationen aus den K. Preussischen Staatsarchiven; 11), S. 73; vgl. Hans-Jürgen Bömelburg: Zwischen polnischer Ständegesellschaft und preußischem Obrigkeitsstaat. Vom Königlichen Preußen zu Westpreußen (1756-1806).- München: Oldenbourg 1995 (= Schriften des Bundesinstituts fur ostdeutsche Kultur und Geschichte; 5). 20 Leopold Prowe: Westpreußen in seiner geschichtlichen Stellung zu Deutschland und Polen. 2. Aufl.- Thorn: Lambeck 1868, S. 1. Zu Prowe vgl.: Altpreu-

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Für die Frühe Neuzeit bemühte sich Prowe nachzuweisen, daß das Königliche Preußen »sich niemals dem polnischen Geist assimilirt« habe. Da man aus den politischen Verhältnissen nach 1569 schließen könnte, »dass Westpreussen polnisches Land sei«, sei es deshalb von Wichtigkeit, mit urkundlichen Belegen nachzuweisen, wie nur allmälig unter schweren Kämpfen und nur in einigen Landestheilen Westpreussen seines deutschen Charakters in den beiden Jahrhunderten vor seiner Wiedervereinigung mit Ostpreussen entkleidet ist. 21

Den von Lengnich betonten verfassungspolitischen Widerstand Danzigs gegen die Lubliner Union deutete Prowe nun als nationalen Konflikt, in dem die großen Städte Danzig, Elbing und Thorn »wacker vorangingen] in dem Kampfe gegen die Unterdrückung ihrer deutschen Nationalität.« Aus dem Niedergang des Landes heraus müsse die Teilung 1772 als »Stunde der Erlösung« gesehen werden. 22 Ganz ähnlich argumentierte auch der Danziger Historiker Paul Simson, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Eindruck zunehmender nationaler Kontroversen die Kontinuität des deutschen Charakters Westpreußens, trotz dessen Bedrohung unter der polnischen Herrschaft, hervorhob. Nach 1454, so schrieb er, habe die »Vernichtung deutschen Wesens« gedroht, und der Kampf um die preußischen Privilegien sei zum Kampf um das Volkstum geworden, der bereits vom »höheren Standpunkte der Staatsraison« geprägt war. Damit sei die Auseinandersetzung von vornherein eine nationale gewesen, unabhängig davon, ob dessen Bewohner bewußt oder unbewußt »den Gedanken des Deutschtums vertraten.« 23 Die deutsche > Geschichte der Heimat < erhielt so aus der vorgeblich polnischen Unterdrückung einen Sinn als Geschichte des Widerstands. »Ein trauriges Bild für den Deutschen« sei es, so schrieb Simson, das die nächsten Jahrhunderte in Westpreussen dem Betrachter darbieten. Aber es erhebt auch, in diesem Elende den Mannesmut und die Opferwilligkeit deutscher Bürger kennen zu lernen, die sich bewusst dem über sie hereinbrechenden Schicksal entgegenstemmen. 24

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Bische Biographie. Hrsg. von Christian Krollmann u.a. Bd. I-IV, 2.- Marburg/ Lahn: Elwert 1969-1989, S. 522. Prowe: Westpreußen (Anm. 20), S. 55f. Ebd., S. 64. Paul Simson: Westpreußen und Danzigs Kampf gegen die polnischen Unionsbestrebungen in den letzten Jahren des Königs Sigismund August (15681572).- In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 37 (1897), S. 1 176, hier S. 7 und 9. Zu Simson vgl.: Altpreußische Biographie (Anm. 20), S. 679. Simson: Westpreußen (Anm. 23), S. 6 und 144.

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Danzig dagegen habe, obwohl politisch eine polnische Stadt geworden, [...] sein Deutschtum sich zu bewahren gewußt. Deutsch ist es geblieben durch die ganzen 3 Jahrhunderte, da es mit dem polnischen Reich verknüpft war, bis es im Jahre 1793 auch politisch wieder eine deutsche Stadt wurde. 25

Das zeitgenössische Urteil in Danzig war freilich nicht so einhellig zustimmend, da die Danziger, so Rudolf Damus 1893, »weit davon entfernt waren, ihre Ergebung an Preußen als eine deutsch-patriotische That anzusehen.«26 Wie Simson betrachtete auch Max Bär die Geschichte Königlich Preußens als einen Kampf um das deutsche Volkstum. Aufgrund dessen versuchte Bär, die Annexion durch Friedrich II. als politische Notwendigkeit zur Rettung des Deutschtums darzustellen: Die Kolonisationspolitik Friedrichs habe nicht nur der Peuplierung und » der Hebung des polnischen Volkes durch deutsches Vorbild« gedient, sondern zudem der »Stärkung des durch 300jährige Polenherrschaft geschwächten Deutschtums.«27 Das entscheidende Argument für Bär war also die staatliche Kontinuität, die er mit der folgenden Annahme begründete: Nicht zwar in bewußter Rückerinnerung an den deutschen Orden aber - was mehr wiegt - tatsächlich und als Staatsnotwendigkeit hat er [Friedrich der Große] so des Ordens deutsche Kulturaufgabe wieder aufgenommen, fortgeführt und sie als ein Erbe an Arbeit und nötigenfalls an Kampf den nachfolgenden Geschlechtern hinterlassen. 28

Auf diese Weise wurde also die Brücke von der Vergangenheit zum Nationalitätenkampf an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geschlagen und die Position der Landesverwaltung bzw. des preußischen Staates als zentraler Garant für den deutschen Charakter der Region historisch untermauert. Wenn es Prowe, Simson und Bär explizit um nationale Besitzstandswahrung ging, so läßt sich dieses Motiv ebenso bei polnischen Historikern dieser Epoche finden, von denen in diesem Zusammenhang Wojciech K?trzyhski an erster Stelle zu nennen ist.29 In der Absicht, die 25

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Paul Simson: Danzig im 13jährigen Kriege von 1454-1466.- In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 29 (1891), S. 1-110, hier S. lf. und 110. Rudolf Damus: Festschrift zur hundertjährigen Gedenkfeier der Vereinigung Danzigs mit dem Königreiche Preußen im Jahre 1793.- Danzig: Bertling 1893, S. 5; im übrigen teilte Damus freilich Simsons Einschätzung. Bär: Westpreußen (Anm. 19), Bd. I, S. 317. Ebd., Bd. I, S. 9. Zu K^trzynski vgl. die Biographie von Krystyna Korzon: Wojciech K?trzynski 1838-1918. Zarys biograficzny [Ein biographischer Abriß].- Wroclaw usw.:

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Defizite der deutschen Geschichtswissenschaft zu kompensieren, konzentrierte er sich auf die Suche nach Anzeichen für eine polnische Bevölkerung und ihre kulturellen Äußerungen, um zu zeigen, daß es sich bei Ostpreußen und Westpreußen um »uralte polnische Länder« 3 0 handle. Wenn er, an Dominik Szulc anknüpfend, vor allem auf den N a c h w e i s der polnischen Autochthonie in dieser Region zielte, so mußte er sich freilich in erster Linie auf die Ordenszeit und die vorhergehenden Zeiträume konzentrieren. 31 Die Frühe Neuzeit dagegen war in den Arbeiten der polnischen Historiker vor 1918 kaum anzutreffen. Zu nennen wäre hier allerdings die entlang der Frontlinien des Kulturkampfes verlaufende Kontroverse um die Ereignisse in Thorn im Jahre 1724, die in Abhängigkeit von der nationalen Perspektive entweder als »Tumult« 3 2 oder als »Blutgericht« 3 3 bezeichnet wurden. Insgesamt gesehen war diese Auseinandersetzung für die polnischen Historiker wie etwa Kazimierz Jarochowski, Romuald Frydrychowicz und Stanislaw Kujot von größerer - politischer - Bedeutung als für die deutsche Seite, versuchten die polnischen Historiker doch, die deutschen Thesen von der polnischer »Ungerechtigkeit und Intoleranz in religiösen Fragen« zurückzuweisen. 3 4

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Zaktad Narodowy im. Ossolinskich 1993; außerdem Antonina Ktoskowska: Kultury narodowe u korzeni [Die Wurzeln nationaler Kultur].- Warszawa: Pahstwowe Wydawn. Naukowe 1996, S. 147-163; sowie Hackmann: Ostpreußen (Anm. 2), S. 138-150. Wojciech K^trzynski: Nazwy miejscowe polskie Prus Zachodnich, Wschodnich i Pomorza wraz ζ przewiskami niemieckimi [Die Namen polnischer Städte in West- und Ostpreußen und Pommern mit ihren deutschen Bezeichnungen].Lwow: Zaktad Narodowy im. Ossolinskich 1879, S. 5 (>ziemie odwiecznie polskie Lausitzer Kultur< bis zur mittelalterlichen slavischen Besiedlung nachzuweisen versuchte; dieser Impuls läßt sich auch noch in der Historia Pomorza (Anm. 13), Bd. 1/1, S. 85-215, feststellen. Vgl. Jözef Kostrzewski: Zur Frage der Siedlungsstetigkeit [!] in der Urgeschichte Polens von der Mitte des 2. Jahrtausends v.u.Z. bis zum frühen Mittelalter.- Wroclaw usw.: Zaklad Narodowy im. Ossolmskich 1965.

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sehe wie polnische Geschichtswissenschaft. Blicken wir zunächst auf die deutsche Landeshistorie, so setzte sich gerade in der Geschichte Westpreußens eine volksgeschichtliche Orientierung durch, die sich allein auf die Geschichte des Deutschtums konzentrierte und sich von der wenig funktionalen borussischen Perspektive absetzte. Die Kennzeichen dieses Paradigmenwechsels zu einer Landesgeschichtsschreibung im Kontext der »deutschen Ostforschung« waren zum einen eine Radikalisierung der deutschtumsgeschichtlichen Einseitigkeit und zum anderen eine fundamentale Politisierung der Landeshistorie, die eine sachliche Betrachtung der Regionalgeschichte in ihren Beziehungen zu Polen nicht mehr zuließ und eine bewußte Einseitigkeit billigend in Kauf nahm. 36 Bezeichnend für die Funktionalisierung der Landesgeschichte ist die Publikation Der Widersinn des polnischen Korridors, die 1926 unter dem Namen Johann Fürst erschien. 37 Ein Blick in Erich Keysers Danzigs Geschichte enthüllt den Ursprung des Namens: es handelte sich um einen Danziger Ratsherrn des 16. Jahrhunderts, von dem Keyser den Ausspruch überlieferte: »Der Erdboden im Lande kann es nicht leiden, daß die Polen über die Preußen regieren und Gewalt an ihnen üben.« 38 Hinter dem Pseudonym verbargen sich die Archivare des Danziger Staatsarchivs Karl Josef Kaufmann, Erich Keyser und Walther Recke. 39 Die Konsequenz dieser Historisierung der Revisionspolitik und Politisierung der Historiographie läßt sich plastisch bei Keyser erkennen, der 1939 zu folgendem Ergebnis kam:

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Michael Burleigh: Germany turns eastwards. A Study of Ostforschung in the Third Reich.- Cambridge: Cambridge University Press 1988; vgl. dazu Stefan Troebst: Historische Osteuropaforschung im Dritten Reich.- In: Archiv für Sozialgeschichte 31 (1991), S. 399-605; Oberkrome: >Volksgeschichte< (Anm. 2); sowie, zu Ost- und Westpreußen, Hackmann: Ostpreußen (Anm. 2), S. 169210, und mit Hinweisen auf die Diskussion der letzten Jahre vgl. ders.: Deutsche Ostforschung (Anm. 2). Johann Fürst: Der Widersinn des polnischen Korridors. Ethnographisch, geschichtlich und wirtschaftlich dargestellt. Eine Entgegnung auf die Schrift von Dr. Stawski: Polens Zugang zum Meere und die Interessen Ostpreußens.- Berlin: Deutsche Rundschau 1926. Erich Keyser: Danzigs Geschichte. 2. Aufl.- Danzig: Kafemann 1929, S. 93; vgl. Jörg Hackmann: >Der Kampf um die Weichseh. Die deutsche Ostforschung in Danzig von 1918-1945.- In: Zapiski Historyczne 58 (1993), S. 3 7 58, hier S. 39. Diese hatten 1919 Denkschriften gegen die Abtretung Westpreußens an Polen vorgelegt. Karl Josef Kaufmann: Das Verhältnis der Deutschen, Polen und Kaschuben in Westpreußen.- Danzig: Kafemann 1919; ders.: Das staatsrechtliche Verhältnis Danzigs zu Polen von 1454-1772 und 1807-1814.- Danzig: Kafemann 1920; Erich Keyser: Die Bedeutung der Deutschen und Slawen für Westpreußen.- Danzig: Kafemann 1919.

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Jörg Hackmann Der einzigartigen Bedeutung, welche das deutsche Volkstum im Weichsellande seit langem besaß, entsprach [...] seine kulturelle Leistung. Selbst wenn alle anderen Quellen von der Anwesenheit der deutschen Siedler in den Städten und Dörfern des Weichsellandes schweigen sollten, würden ihre Werke von ihnen zeugen, und zwar nicht nur von ihrem Dasein, sondern auch von ihren überragenden Fähigkeiten. Denn alles, was von menschlicher Arbeit aus jenen Jahrhunderten [vor 1772] erhalten ist, ist allein ihnen zu verdanken. Es gibt an der Weichsel kein Baudenkmal und kein Kunstwerk, keinen Kanal und keinen Deich, keine Burg und keine Kirche, keinen Stadtgrundriß und keine Dorfanlage, die nicht von Deutschen geschaffen sind. Vor ihrer Ankunft war das Land, soweit der Boden nicht noch die Schätze der ostgermanischen Kultur verbarg, wüst und leer. Es ist auch später keine einzige kulturelle Leistung von anderen als Deutschen vollbracht worden. 40

Es ist unschwer zu erkennen, daß diese volksgeschichtliche Ideologisierung der Landesgeschichte in eine Sackgasse führte, die die gesamte Landesgeschichtsschreibung revisionspolitischen Gesichtspunkten unterwarf. Wenn sie für das Erkenntnisinteresse der deutschen Historiker kennzeichnend war, so gab es für die Erörterung der Frühen Neuzeit, also Königlich Preußens, zwei Blickwinkel: der erste knüpfte an die bereits traditionelle deutsche Perspektive der Unterdrückung unter polnischer Herrschaft an und versuchte, »gewaltsame Entdeutschungen« polnischerseits herauszustellen;41 der zweite Ansatz intendierte, »deutsches Volkstum trotz polnischer Herrschaft« nachzuweisen. 42 In diesem Zusammenhang ist vor allem Theodor Schieders Arbeit Deutscher Geist und ständische Freiheit im Weichsellande zu nennen.43 Schieder wollte 40

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Erich Keyser: Geschichte des deutschen Weichsellandes.- Leipzig: Hirzel 1939, S. 122. Karl Josef Kaufmann: Die Wirkung der polnischen Herrschaft auf die deutsche Besiedlung in Westpreußen (gewaltsame Entdeutschungen).- In: Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung Leipzig. Die Tagungen der Jahre 1923-1929.- o.O.u.J., S. 163ff.; ders.: Der Rückgang des Deutschtums in Westpreußen zu polnischer Zeit (1569-1772). Seine Ursachen und Wirkungen.- In: Der ostdeutsche Volksboden. Aufsätze zu den Fragen des Ostens. Hrsg. von Wilhelm Volz. 2. Aufl.- Breslau: Hirt 1926, S. 306-324. Keyser: Geschichte des Weichsellandes (Anm. 40), S. 118; vgl. Hackmann: >Der Kampf um die Weichseh (Anm. 38), S. 46. Theodor Schieder: Deutscher Geist und ständische Freiheit im Weichsellande. Politische Ideen und politisches Schrifttum in Westpreußen von der Lubliner Union bis zu den polnischen Teilungen.- Königsberg: Gräfe und Unzer 1940 (= Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung; 8). In den Akten der Publikationsstelle beim Geheimen Staatsarchiv in Berlin (Bundesarchiv Berlin, R 153/1084), wurde die Studie unter dem bezeichnenden Arbeitstitel >Das Deutschtum in Westpreußen bis 1772< gefuhrt; vgl. Jörg Hackmann: Linie rozwoju historiografii polskiej od 1945 r. ο Pomorzu Gdanskim i Prusach Wschodnich [Die Entwicklungslinie polnischer Historiographie bis zum Jahr 1945 über das Danziger Pommerellen und Ost-

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anstelle der Betrachtung des deutschen Elements als Objekt polnischer Unterdrückung »die Gesamtanschauung des geschichtlichen Lebens einer deutschen Grenzlandschaft« setzen, »die jahrhundertelang zwar vom deutschen Reichskörper getrennt war, aber ihm innerlich doch stets zugehörig blieb.«44 Obwohl er sich vor allem auf das Ständewesen konzentrierte, das »in der Abwehrstellung gegen die polnischen Unionsbestrebungen der stärkste Bürge für deutsche Art, deutsches Recht und Volkstum in Preußen«45 geworden sei, Schloß er die Berücksichtigung des zur Rzeczpospolita neigenden Adels aus, so daß sich das Thema > Deutscher Geist und ständische Freiheit < im Kontext der Landesgeschichte des Königlichen Preußen aus einer durch politische Erkenntnisinteressen eingeschränkten Fragestellung ergab, aus der Schieder dann den Kampf um die Erhaltung deutschen Volkstums ableitete. Die Konflikte mit der polnischen Krone wurden so als »Sicherung deutschständischer Privilegienrechte gegen einen fremd-völkischen Zentralismus« 46 gedeutet. Damit verband sich eine Negation polnischer Einflüsse auf die Geschichte der politischen Ideen im Königlichen Preußen und ihre alleinige Herleitung aus deutschen Bezügen. Auch ein Blick auf die Betrachtung Danziger Geschichte unterstreicht diesen Befund: Hier wären etwa die Studien des Germanisten Heinz Kindermann über die Danziger Barockliteratur zu nennen, die er als »wissenschaftliches Bekenntnis zum deutschen Danzig« auffaßte.47 Diese Literaturproduktion war seiner Meinung nach » auch dort, wo nicht ausdrücklich davon die Rede ist, [...] als Hüterin und Künderin deutscher Art und deutscher Lebensgestaltung, als [...] kunsthandwerkliche Abwehr im Kampf gegen jede Überfremdung«48 aufzufassen. Diese Interpretation bedarf wohl keines Kommentars. In der polnischen Geschichtswissenschaft nach 1918, die sich mit Pommerellen befaßte, stand analog zur deutschen Historiographie der Nachweis der Beziehungen zu Polen im Vordergrund. In Posen (Poznari) entstand im Umfeld der neugegründeten Universität die Konzepti-

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preußen].- In: Prusy Ksi^z^ce i Prusy Krolewskie w XVI-XVIII wieku [Herzogliches und Königliches Preußen im 16.-18. Jh.]. Hrsg. von Jacek Wijaczka.Kielce: Takt 1997 (= Prace Instytutu Historii Wyzszej Szkofy Pedagogicznej w Kielcach; 6), S. 29-42, hier S. 31. Schieder: Deutscher Geist (Anm. 43), S. 3. Ebd., S. 8f. Ebd., S. 16. Heinz Kindermann: Geleitwort.- In: Danziger Barockdichtung. Hrsg. von dems.Leipzig: Reclam 1939 (= Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunstund Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Barock; Ergänzungsband), S. 5; vgl. auch Irmgard Groß-Markner: Danzigs Dichtung und Geistesleben im Zeitalter Friedrichs des Großen.- Würzburg: Triltsch 1939. Heinz Kindermann: Die Danziger Barockdichtung.- In: Danziger Barockdichtung (Anm. 47), S. 7-41, hier S. 41.

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Jörg Hackmann

on der »mysl zachodnia« - des >Westgedankens< - , die eine der deutschen Ostforschung vergleichbare politische Funktionalisierung intendierte.49 Die fundamentale Politisierung der Historiographie im Zusammenhang mit der Versailler Konferenz zeigt sich neben der Schrift von Askenazy auch bei Pawel Czaplewski, der 1919 die Geschichte der Nationalitäten in Westpreußen zum zentralen Gegenstand polnischer landesgeschichtlicher Forschung erhob.50 In Auseinandersetzung mit der deutschen Historiographie forderte Czaplewski eine neue polnische Perspektive: im Gegensatz zu den geschilderten deutschen Thesen müsse die Polonisierung Königlich Preußens nach 1569 aus der Ausstrahlung der polnischen Verfassung erklärt werden. Als konzeptionelle Grundlage der polnischen Landesgeschichtsforschung formulierte Alfons Maiikowski 1925 die Position, dem Deutschtumsbezug der deutschen Historiographie müsse ein Polonitätsbezug polnischerseits gegenübergestellt werden; die polnische Geschichtswissenschaft solle »die Polonität in Pommerellen ausgraben« (»odkopac polskosc na Pomorzu«), und es käme darauf an, » dem polnischen Element ohne Benachteiligung anderer die ihm gebührende Stellung in der Geschichte der Staatlichkeit und Zivilisation zuzuweisen«. 51 Dabei erhielt die Epoche des Königlichen Preußen eine zentrale Rolle, denn, so Wladyslaw Konopczyriski, bislang stellen die deutschen Historiker mit Prowe an der Spitze die Geschichte dieses Gebietes als einen Prozeß der politischen Entnationalisierung und des kulturellen Niedergangs dar. Diese Ansichten müssen grundlegend revidiert werden. 52

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Marian Mroczko: Polska mysl zachodnia 1918-1939 (Ksztahowanie i upowszechnianie) [Der polnische Westgedanke 1918-1939 (Gestaltwerdung und Verbreitung)].- Poznan: Instytut Zachodni 1986 (= Dzieje polskiej granicy zachodniej; 6); vgl. Hackmann: Ostpreußen (Anm. 2), S. 210-215. 50 Pawel Czaplewski: Zarys historji narodowosci polskiej w Prusach krolewskich i ksi^z^cych [Ein Abriß der Geschichte der polnischen Nationalität in Königlich und Herzoglich Preußen].- In: Zapiski Towarzystwa Naukowego w Toruniu 4 (1917-1919), S. 193-214. Zu Czaplewski vgl. Antoni Czacharowski: Pawel Antoni Czaplewski (1877-1963).- In: Dzialacze Towarzystwa Naukowego w Toruniu 1875-1975 [Die Anfuhrer der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Thorn], Hrsg. von Marian Biskup.- Warszawa usw.: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1975, S. 401-426. 51 Alfons Mankowski: Ο zadaniach historiografii pomorskiej [Zur Aufgabe der pommerellischen Historiographie].- In: Pami^tnik IV powszechnego zjazdu historykow polskich w Poznaniu 6 - 8 grudnia 1925 r [Akten der 4. allgemeinen Tagung der polnischen Historiker in Posen 6 - 8 Dezember 1925]. Bd. I—II.Lwow: Nakladem Polskiego Towarzystwa Historycznego 1925-1927, Bd. I. Zu Mankowski vgl. Krystyna Podlaszewska: Alfons Mahkowski (1870-1941).- In: Dzialacze Towarzystwa Naukowego (Anm. 50), S. 217-280. 52 In: Pami^tnik IV powszechnego zjazdu (Anm. 51), Bd. II, S. 42.

Deutsche und Polnische

Geschichtsschreibung

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Die Betrachtung der polnischen Ausführungen zum Königlichen Preußen ergibt ein Bild, das in dreifacher Hinsicht von der deutschen Sicht abweicht: zum einen war das polnische Interesse an der Landesgeschichte Königlich Preußens wesentlich größer als das der deutschen Historiker; zum anderen war eine volksgeschichtliche Einengung der Betrachtungsweise von Landesgeschichte allein auf das polnische Element wenig funktional für die politische Zielsetzung, die deutschen Forderungen zurückzuweisen, da gerade verfassungs- und wirtschaftsgeschichtlichen Strukturen eine wichtige Rolle zukam. Schließlich war die Beurteilung der kulturellen Zustände keineswegs negativ und unterschied sich so diametral von deutschen Thesen. Daraus ergab sich, daß trotz der unzweifelhaft vorhandenen politischen Intentionen die polnische Landeshistorie zur Epoche des königlich-polnischen Preußen nicht in die volksgeschichtliche Einseitigkeit der deutschen Ostforschung verfiel. In der Darstellung des Königlichen Preußen in der Union mit Polen hob Konopczynski den Prozeß der sozialen, verfassungsgeschichtlichen und kulturellen Integration nach 1569 hervor, die nicht allein von Polen ausgegangen, sondern ebenso von den Ständen Königlich Preußens getragen worden sei. Dabei ging Konopczynski auch auf die politischen Differenzen zwischen den Ständen Königlich Preußens und der Rzeczpospolita ein, deren Ursache er zu einem nicht geringen Teil in dem sich entwickelnden nationalen Gegensatz seit der Reformation sah. Die partikularen preußischen Interessen beurteilte er durchaus negativ und sah in ihnen einen Beitrag zum Untergang der Rzeczpospolita, dennoch betrachtete er sie im europäischen Kontext und konstatierte: Es war das Allernatiirlichste, daß das Land mit einer eigenen Sozialstruktur, durchtränkt mit nichtkatholischen Konfessionen, seit langem von den Kreuzrittern eingedeutscht und kolonisiert, sich manchmal gegen die zentralistischen Bestrebungen Warschaus aufbäumte. 53

Der nationale Gegensatz war also solange nachrangig, wie dadurch die Loyalität zur Rzeczpospolita nicht beeinträchtigt war. Freilich sahen einige Historiker wie Waclaw Sobieski im nationalen Gegensatz - wie etwa im deutschen Charakter Danzigs - einen prinzipiellen Gegensatz zum polnischen Staatswesen und nahmen so eine zur deutschen volksgeschichtlichen Sichtweise analoge Perspektive ein.54 Wenn sich in der 53

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Wtadyslaw Konopczyriski: Prusy Krolewskie w unji ζ Polsk^ 1569-1772 [Königlich Preußen in der Union mit Polen].- In: Roczniki Historyczne 3 (1927), S. 111-141, hier S. 122. Vgl. Waclaw Sobieski: Der Kampf um die Ostsee von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart.- Leipzig: Markert & Petters 1933 (= Memoiren des Baltischen Instituts; 13), S. 90. Die polnische Fassung erschien unter dem Titel: Walka ο Pomorze.- Poznan: Ksi?g. sw. Wojciecha 1928.

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Jörg Hackmann

polnischen Geschichtswissenschaft Ansätze einer spezifisch landesgeschichtlichen Betrachtungsweise fur die Frühe Neuzeit erkennen lassen, so waren diese, wie das Zitat von Konopczynski zeigt, dennoch von beziehungsgeschichtlichen Rahmenbedingungen geprägt und fügten sich in den deutsch-polnischen Streit dieser Jahre. Das hatte zur Folge, daß eine unvoreingenommene Betrachtung von Integrations- und Desintegrationsprozessen und von historischen Regionalismen auch in Polen nur schwer möglich war. Zudem führte die Absicht, die deutschen Darstellungen zu kompensieren bzw. zu widerlegen, zu einer polonitätsgeschichtlichen Perspektivenbeschränkung in vielen Bereichen, die sich auf ein Zusammentragen von Aspekten, die für den polnischen Charakter Königlichen Preußens sprachen, konzentrierte. Trotz der damit verbundenen politischen Intentionen verfiel die polnische Landeshistorie aber nicht in die volksgeschichtliche Einseitigkeit deutscher Ostforschung. Am Beispiel der frühneuzeitlichen Geschichte Danzigs lassen sich die neuralgischen Punkte der polnischen Landeshistorie in der Zwischenkriegszeit ablesen. Sie interessierte sich zum einen für die >Treue< der Stadt zum polnischen König und leitete daraus ein polnisches Nationalbewußtsein ab. Vor allem dominierten aber wirtschaftsgeschichtliche Aspekte, die auf den Zusammenhang zwischen der Getreideproduktion in Polen-Litauen und dem Export von Danzig aus nach Westeuropa hinwiesen. »Danzig in seiner historischen oder wirtschaftlichen Entwicklung ist nur eines der Kapitel unserer Geschichte und unserer Wirtschaftsentwicklung«, hieß es in Danzig. Geschichte und Gegenwart von 1928.55 Tatsächlich kam der Wirtschaftsgeschichte eine zentrale Bedeutung in der Betonung Danziger Bindungen an Polen zu, denn die wirtschaftliche Bindung sei stärker als die politische gewesen, stellte Stanislaw Kutrzeba fest. 56 Kulturgeschichtliche Fragen konzentrierten sich in erster Linie auf polnische und katholische Elemente in der Stadt.57 Wäh55

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Stanislaw Pawlowski: Geograficzny krajobraz terytorjum Wolnego Miasta Gdanska [Die geographische Landschaft des Territoriums der alten Stadt Danzig].- In: Gdansk. Przesztosc i terazniejszosc [Danzig. Vergangenheit und Gegenwart]. Hrsg. von Stanislaw Kutrzeba.- Lwow usw.: Zaktad Narodowy im. Ossolinskich 1928, S. 19. Stanislaw Kutrzeba: Handel i przemysl do 1793 roku [Handel und Gewerbe bis zum Jahr 1793].- In: Gdansk. Przesztosc i terazniejszosc (Anm. 55), S. 129171, hier S. 130. Eine kritische Betrachtung dieser polnischen Perspektive im Rahmen der Ostforschung bei Detlef Krannhals: Danzig und der Weichselhandel in seiner Blütezeit vom 16. zum 17. Jahrhundert.- Leipzig: Hirzel 1942 (= Deutschland und der Osten. Quellen und Forschungen zur Geschichte ihrer Beziehungen; 19). Roman Lutman: Historja Gdaήska do roku 1793 [Geschichte Danzigs bis zum Jahr 1793].- In: Gdahsk. Przesztosc i terazniejszosc (Anm. 55), S. 35-128, hier S. 81.

Deutsche und Polnische

Geschichtsschreibung

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rend sich zusätzlich aus der Affinität der mittleren und unteren Bürgerschichten zum polnischen König in Konflikten mit dem Patriziat auch ein sozialgeschichtlicher Faktor in polonitätsgeschichtlicher Perspektive deuten ließ, wurde die Beschäftigung mit dem deutschen Bürgertum in Danzig, analog zur Ignoranz der Kultur des polnischen Adels in den deutschen Betrachtungen, weitgehend ausgeblendet. 58 Vor 1939 hat sich Lukasz Kurdybacha dieser Herausforderung für die polnische Historiographie angenommen. 59 Dabei ist nicht zu verkennen, daß die Konkurrenz zur deutschen Geschichtswissenschaft in diesem Fall ebenso auslösendes Motiv war wie die umgekehrte Ausgangssituation für Schieder. Kurdybachas Ergebnisse widersprachen, wie kaum anders zu erwarten, diametral den deutschen Ansichten. Er hob die engen Beziehungen der Danziger Gelehrten zu polnischen Magnaten und König Stanislaw August Poniatowski hervor. Obwohl sich nach dem Zweiten Weltkrieg das Kräfteverhältnis zwischen der geschichtswissenschaftlichen Produktion in Deutschland und Polen quantitativ wie qualitativ fundamental zugunsten Polens veränderte, blieben die skizzierten Deutungsmuster der Landesgeschichte auch über die Zäsur von 1945 hinaus weitgehend unverändert. Das gilt insbesondere für die deutsche Landesgeschichtsforschung, in der Westpreußen freilich kaum noch Aufmerksamkeit fand. 60 Die volksgeschichtliche Konzeption pommerellischer Geschichte war in der Bundesrepublik offensichtlich diskreditiert und blieb nun ohne Resonanz. 61 In modifizierter Form wurde sie in Erich Maschkes Überlegungen von 1955 zum preußischen Neustamm fortgeführt. Den Prozeß der Neustammbildung sah er gerade im Augenblick der > staatlichen Zerreißung < 1454 abge58 59

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Dieser Faden ließe sich auch nach 1945 fortführen. Lukasz Kurdybacha: Stosunki kulturalne polsko-gdanskie w XVIII wieku [Die kulturellen Verhältnisse zwischen Danzig und Polen im 18. Jh.].- Gdafisk: Tow. Przyjaciöl Nauki i Sztuki 1937 (= Studia Gdanskie; 1). Vgl. dazu die Angaben bei Hackmann: Ostpreußen (Anm. 2), S. 305-321. Die in den fünfziger Jahren erschienenen Arbeiten basierten zu einem großen Teil auf bereits vor 1945 abgeschlossenen Studien; vgl. Hedwig Penners-Ellwart: Die Danziger Bürgerschaft nach Herkunft und Beruf 1537-1709.- Marburg: J.G. Herder Institut 1954 (= Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas; 13); Georg Dabinnus: Die ländliche Bevölkerung Pommerellens im Jahre 1772 mit Einschluß des Danziger Landgebiets im Jahre 1793.- Marburg: J.G. Herder Institut 1953 (= Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas; 6); Max Aschkewitz: Die deutsche Siedlung in Westpreußen im 16., 17. und 18. Jahrhundert.- In: Zeitschrift für Ostforschung 1 (1952), S. 553-567. Für Danzig ist auf Keyser: Die Baugeschichte (Anm. 7) hinzuweisen. Schieder beispielsweise hat, von marginalen Beiträgen abgesehen, zu seiner Studie von 1940 nicht mehr Stellung bezogen; vgl. Hackmann: Ostpreußen (Anm. 2), S. 305 und 338.

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Jörg Hackmann

schlossen: »Von dieser Zeit an darf man die deutsche Bevölkerung Preußens, einschließlich der nichtdeutschen Bevölkerungsteile, einen Stamm nennen«.62 Insgesamt betrachtet stellte sich in der Historiographie über Ost- und Westpreußen aber ein Rückzug auf die traditionelle borussische Perspektive ein, in der Pommerellen nur eine untergeordnete Stellung zukam.63 Es gibt zwar noch Belege für die Existenz der politisierten Geschichtsschreibung, ihre Bedeutung ist aber in keiner Weise vergleichbar mit der Zeit vor 1945. Die 1993 erschienene Arbeit Heinz Neumeyers Westpreußen. Geschichte und Schicksal bildet in diesem Kontext eine unrühmliche Ausnahme;64 sie taugt in erster Linie als Studienobjekt für das Geschichtsbild von 1940, das sie ungebrochen tradiert. Blickt man jedoch in das jüngst erschienene Handbuch der Geschichte Ost- und Westpreußens, so läßt sich - wie bereits gezeigt erkennen, daß Neumeyers Thesen dort Eingang gefunden haben.65 Wirklich neue Ansätze in der deutschen Geschichtswissenschaft zum frühneuzeitlichen Königlichen Preußen sind erst in den letzten Jahren zu erkennen.66 Die polnische Historiographie konnte nach 1945 einen wesentlich breiteren Zugriff auf die Landesgeschichte des preußischen Ostens erproben als in den Jahren bis 1939; diese Situation brachte freilich auch Probleme mit sich. So gab es zwar bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit Forderungen nach einer Fortsetzung der strukturgeschicht-

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Erich Maschke: Preußen. Das Werden eines deutschen Stammesnamens.- In ders.: Domus Hospitalis Theutonicorum. Europäische Verbindungslinien der Deutschordensgeschichte. Gesammelte Aufsätze aus den Jahren 1931-1963.Bonn: Wissenschaftliches Archiv 1970 (= Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens; 10), S. 158-187, hier S. 185 und 187. Dies läßt sich z.B. auch in der Gesamtdarstellung von Boockmann erkennen; Hartmut Boockmann: Ostpreußen und Westpreußen.- Berlin: Siedler 1992 (= Deutsche Geschichte im Osten Europas; 1). Heinz Neumeyer: Westpreußen. Geschichte und Schicksal.- München: Universitas 1993. Diesem Werk wissenschaftlichen Wert zuzusprechen ist allerdings nicht möglich; vgl. die Rezension von Joachim Rogall: Odstraszaj^cy przyklad [Ein abschreckendes Beispiel].- In: Borussia 7 (1993), S. 202-204. Handbuch der Geschichte Ost- und Westpreußens (Anm. 11), Bd. II/l, S. 161166, Bd. II/2, S. 132-138. Vgl. vor allem Michael G. Müller: Zweite Reformation und städtische Autonomie im Königlichen Preußen. Danzig, Elbing und Thorn in der Epoche der Konfessionalisierung (1557-1660).- Berlin: Akademie-Verl. 1997; vgl. auch Bömelburg: Zwischen polnischer Ständegesellschafit (Anm. 19); Friedrich: Gottfried Lengnich (Anm. 17), sowie die Rezension von Karin Friedrich: Facing Both Ways: N e w Works on Prussia and Polish-Prussian Relations.- In: German History 15 (1997), S. 256-267, und inzwischen auch dies.: The other Prussia. Royal Prussia, Poland and liberty, 1569-1772.- Cambridge usw.: Cambridge Univ. Press 2000 (= Cambridge studies in early modern history).

Deutsche und Polnische Geschichtsschreibung

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lichen Erforschung pommerellischer Geschichte;67 die meisten derjenigen Historiker, die vor und nach 1945 diese Positionen vertraten, gerieten aber unter der sozialistischen Herrschaft aus politischen Gründen relativ schnell ins Abseits. Der Druck, den polnischen Westen und Norden als >Wiedergewonnene Gebiete < (»ziemie odzyskane«) historisch zu legitimieren, führte zugleich zu einer gegenüber der Zwischenkriegszeit weitreichenderen Politisierung.68 Besonders deutlich wird das in Kazimierz Piwarskis volksgeschichtlicher Perspektive auf die Danziger Geschichte, wenn er schreibt: »Diese Danziger Deutschen waren immer ein fremder Körper im polnischen Organismus«, und behauptet, diese nationale Fremdheit habe allen Konflikten zwischen Danzig und Polen zugrundegelegen. 69 Obwohl im Umbau zur marxistischen Geschichtswissenschaft eine Abkehr vom bürgerlichen Nationalismus gefordert wurde, gab es paradoxerweise auch unter den Prämissen des Historischen Materialismus eine Kontinuität der in nationaldemokratischen Kreisen vor dem Krieg entwickelten >mysl zachodniaDeutsche Ostforschung< und p o l nische WestforschungLand< ist eine geographische, gesellschaftliche, ökonomische, rechtliche und politische Einheit [...]. Es ist also eine Gesellschaft, nicht allein der Umfang des Gebietes.« 74 Das ethnische Kriterium, das bislang in der deutschen Historiographie dominierte, sei für die Untersuchung des Landescharakters wenig geeignet, führte Görski in Abgrenzung von den Thesen Keysers und Maschkes aus. Mit diesem Problem befaßte sich Stanislaw Herbst in seiner Untersuchung, ob nicht in Preußen Prozesse einer Nationsbildung festzustellen seien, die etwa mit den Niederlanden vergleichbar seien, noch eingehender. 75 Ansätze dafür sah er sowohl in den politischen Äußerungen der Stände, die auch nach 1525 die Einheit des Landes betonten, als auch in wirtschafts- und kulturgeschichtlichen Aspekten. Dabei betonte er, daß nicht allein Sprache und ethnische Zugehörigkeit für diesen Nationsbildungsprozeß ausschlaggebend waren. Erst die polnische Integra72

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74 75

Gerard Labuda: Dwie publikacje ο Prusach Wschodnich [Zwei Publikationen zu Ostpreußen].- In: Przegl^d Zachodni 2 (1946), S. 873-879, hier S. 877; dazu Hackmann: Gerard Labudas Konzeption (Anm. 14), S. 116-118. Karol Gorski: Problematyka dziejowa Prus Krolewskich (1466-1772) [Zur geschichtlichen Problematik Königlich Preußens].- In: Zapiski Historyczne 28 (1963), H. 2, S. 159-171. Ebd., S. 160. Stanislaw Herbst: Swiadomosc narodowa na ziemiach pruskich w XV-XVII w. [Das Nationalbewußtsein in den preußischen Gebieten im 15.-17. Jh.].- In: Komunikaty Mazursko-Warminskie 75 (1962), S. 3 - 1 0 ; ders.: Potrzeba historii czyli ο polskim stylu zycia. Wybor pism [Die Notwendigkeit der Geschichte oder vom polnischen Lebensstil]. Bd. I—II.- Warszawa: Panstwowy Inst. Wydawn. 1978, Bd. I, S. 117-127. - Den Vergleich mit den Niederlanden, jedoch mit einer deutlich volksgeschichtlichen Sichtweise, zog zuvor bereits Erich Keyser: Die Niederlande und das Weichselland.- In: Deutsches Archiv fur Landes- und Volksforschung 6 (1942), S. 597-617.

Deutsche und Polnische

Geschichtsschreibung

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tion des Adels im Königlichen Preußen habe den Prozeß einer preußischen Nationsbildung gestoppt. Zugleich stellte sich für Gorski der Konflikt zwischen ständischer Privilegienwahrung und gesamtstaatlicher Unifizierung im europäischen Kontext der frühen Neuzeit dar. »Im allgemeinen kann man sagen«, so schrieb er, daß trotz der unifizierenden Tendenzen das Königliche Preußen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts noch ein eigenes >Land< ist, das mehr als eine Provinz ist, und dies zugleich im Bewußtsein der Bürger wie des Adels. 76

Intensiviert wurden diese Ansätze seit den siebziger Jahren vor allem von Historikern in Tonm (Thorn), die in der Beschäftigung mit den ständischen Strukturen und der Ideen- und Mentalitätsgeschichte bzw. mit der Kulturgeschichte ethnische Gräben überwanden.77 Dennoch beschränkte sich die Betrachtung des Landescharakters in erster Linie auf die Beziehungen innerhalb der Rzeczpospolita, gerade die kulturellen Beziehungen zu Deutschland blieben dagegen weitgehend ausgeblendet. So wird man feststellen, daß die Kultur der großen Städte Königlich Preußens, sofern sie deutsch geprägt war, in den polnischen Arbeiten noch lange Zeit eine eher untergeordnete Rolle spielte, auch wenn Labuda 1970 eine umfassende Betrachtung etwa der Kulturgeschichte Danzigs gefordert hatte.78 Die Ablösung von diesen politischen Prämissen läßt sich allerdings seit den siebziger Jahren erkennen, und es entspricht der hier skizzierten Tradition der polnischen Landesgeschichtsforschung, daß sich diese Entwicklung vor allem in der Behandlung der Frühen Neuzeit abzeichnet und der Forschung über die verschiedenen 76 77

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Gorski: Problematyka dziejowa (Anm. 73), S. 168. Etwa Janusz Mattek: Dwie cz?sci Prus. Studia ζ dziejöw Prus Ksiqz^cych i Prus Krölewskich w XVI i XVII wieku [Die zwei Teile Preußens. Studien zur Geschichte Herzoglich und Königlich Preußens im 16. und 17. Jh.].- Olsztyn: Pojezierze 1987; ders.: Preußen und Polen. Politik, Stände, Kirche und Kultur vom 16. bis zum 18. Jahrhundert.- Stuttgart: Steiner 1992 (= Schriften der Mainzer Philosophischen Fakultätsgesellschaft; 12); Stanislaw Salmonowicz: Preußen Königlichen Anteils und das Herzogtum Preußen als Gebiet der Begegnung zweier Kulturen vom 16. bis 18. Jahrhundert.- In: Schlesien und Pommern in den deutsch-polnischen Beziehungen vom 16. bis 18. Jahrhundert. XIV. deutsch-polnische Schulbuchkonferenz der Historiker vom 9. bis 14. Juni 1981 in Zamosc.- Braunschweig: Georg-Eckert-Institut 1982 (= Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung; 22/V), S. 66-86; ders.: Od Prus Ksi^z?cych (Anm. 17); vgl. auch Marian Biskup: Das Königliche und das Herzogliche Preußen von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis 1772.- In: Zeitschrift für historische Forschung 22 (1995), S. 49-70. Von den zuletzt erschienenen Publikationen vgl.: Prusy Ksiqz^ce i Prusy Krolewskie (Anm. 43). Gerard Labuda: Gdaήsk jako osrodek kultury w przeszlosci [Danzig als Kulturzentrum in der Vergangenheit].- In: Rocznik Gdanski 29/30 (1970), S. 5-13.

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Jörg Hackmann

Kulturen im Königlichen Preußen und ihre wechselseitigen Kontakte wichtige Impulse gegeben hat. Ganz offensichtlich profitierte das geschichtswissenschaftliche Interesse in diesem Fall von der prinzipiellen Möglichkeit, diese neuen Perspektiven in die nationalgeschichtlichen Traditionslinien in Polen zu integrieren, während sich in Deutschland erst allmählich im Generationenwechsel ein neuer Weg aus der volksgeschichtlichen Sackgasse zur Betrachtung dieser Epoche entwickeln mußte. 79 Auch in dieser Diskrepanz wirkt die beziehungsgeschichtliche Prägung der Landeshistorie fort.

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Die jüngste Diskussion über die landesgeschichtliche Erforschung der deutschpolnischen Grenzregionen kann hier nicht mehr berücksichtigt werden; vgl. dazu den Tagungsbericht von Claudia Kraft und Waldemar Könighaus: Landesund Regionalgeschichte im deutsch-polnischen Kontaktbereich - verbindend oder trennend? [9. Juli 2003]

Hans-Jürgen Bömelburg

Das Landesbewußtsein im Preußen königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit*

»Gott weiß Threnen kosten mich diese Zeilen. Ο Vaterland! Ο Vaterstadt!« 1 So reagierte Samuel Luther Geret (1730-1797) als Thorner Gesandter in Warschau 1772 auf die Nachricht von der Besitzergreifung durch den Staat Friedrichs II. von Preußen und die erste Teilung Polens. Ähnlich sahen Reaktionen aus der bürgerlichen Führungsschicht Danzigs aus. Nach einer Aussage des Danziger Gesandten Johann Uphagen waren die zwo schwesterlichen Städte [gemeint sind Danzig und Thorn, H.-J.B.], der einzige Rest unseres lieben Preußens, entschlossen auch das härteste über sich ergehen zu lassen, ehe sie von der Treue gegen ihren König wancken oder die wohlerworbene Freyheit [...] 2

aufgeben würden. >Vaterland< und >Vaterstadtunser liebes Preußen< und die w o h l erworbene Freiheit < - solche und verwandte Begriffe prägten drei Jahrhunderte lang das Bewußtsein der adligen und bürgerlichen Eliten im > Preußen königlich polnischen Anteils < - auch kürzer > Königliches < oder vermehrt im 18. Jahrhundert >Polnisches Preußen< genannt - und strahlten in einigen politischen Konstellationen auch auf das Selbstverständnis breiterer Bevölkerungsschichten insbesondere in den Städten des Landes aus. Aber gab es ein solches königlich preußisches Landesbewußtsein, eine einzelne Stände übergreifende Regionalidentität überhaupt? In der deutschen wie polnischen Historiographie spielte die Beschäftigung mit diesem Phänomen bis vor zehn Jahren nur eine untergeordnete Rolle, 3 * Leider war es nicht möglich, die Ergebnisse der nach 1997 erschienenen Forschungsliteratur in den vorliegenden Beitrag einzuarbeiten. 1 Archiwum Panstwowe Torun (Staatsarchiv Thorn, im folgenden AP To run): I. 4. Nr. 3373, S. 643: Samuel Luther Geret an Christian Klosmann vom 21. Sept. 1772. 2 AP Τοπιή: I. 4. Nr. 3379, S. 557: Johann Uphagen an Samuel Luther Geret vom 28. Feb. 1775. 3 Als bahnbrechende ältere Skizze vgl. Stanislaw Herbst: Swiadomosc narodowa na ziemiach pruskich w XV-XVII w. [Nationales Bewußtsein in preußischen

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Hans-Jürgen

Bömelburg

deutsche Spezialstudien zur frühneuzeitlichen Geschichte der Region erscheinen bis in die Gegenwart unter der Bezeichnung >Westpreußen < - einer 1772 in Berliner und Potsdamer Kanzleien geschaffenen Benennung, während die maßgebliche polnische Regionalgeschichte bis heute Historia Pomorza [Geschichte Pommerellens] heißt und einen geographischen Begriff konstruiert, der von Stettin bis Memel reicht, jedoch bis 1945 keinerlei identitätsstiftende Kraft besaß. Beide nationalhistoriographischen Sichtweisen verkennen das ständisch-staatliche Eigenbewußtsein der königlich preußischen Eliten, das kürzlich sogar als Versuch einer frühneuzeitlichen Nationsbildung interpretiert wurde. 4 Ein strukturelles Problem des königlich preußischen Landesbewußtseins ist die Frage, inwieweit dieses landständische Bewußtsein in der Lage war, die Grenzen der wirtschaftlich, gesellschaftlich, sprachlich und konfessionell sehr verschiedenen lokalen und regionalen Verhältnisse zu überwinden und sie zu einem Landespatriotismus zu verbinden. Ein Landesbewußtsein oder ein Kosmos regionaler Identitäten? Anders gefragt: Was verband den katholischen Ermländer mit dem protestantischen pommerellischen Adeligen, die evangelische Danziger Stadtbevölkerung mit dem katholischen kulmischen Kleinadel oder den kaschubischen Kleinadligen mit dem Elbinger Bürger? Um diese Fragen nach der Substanz und Reichweite des Landesbewußtseins in seinen verschiedenen Facetten zu beantworten, werden im folgenden vier Komplexe behandelt: es soll erstens um die historische verfassungsrechtliche Grundlage und um die Bestandteile des königlich preußischen Landesbewußtseins gehen, zweitens um das Landesbewußtsein und dessen gesellschaftliche Verortung, d.h. um die Frage, welche Ausprägungen und Gewichtungen es in der Frage des Landesbewußtseins bei den jeweiligen bürgerlichen und adligen Eliten gab und drittens um das Verhältnis von Stadtbewußtsein und Landesbewußtsein. Dieses Problem stellt sich besonders für Danzig, da diese Stadt in der deutschen Historiographie oft die Position einer freien Stadt nach dem Muster der Reichsstädte zugeschrieben wurde und sich Zeugnisse für

4

Gebieten im 15. bis 17. Jh.].- In: Komunikaty Mazursko-Warminskie 1 (1961), S. 3 - 1 0 ; neuere Überblicke bei Janusz Mattek: Dwie cz^sci Prus - nowsze spojrzenie [Zwei Teile Preußens - eine neuere Sicht].- In: Prusy Ksi^z^ce i Prusy Krolewskie w XVI-XVIII wieku [Herzoglich Preußen und Königlich Preußen im 16.-18. Jh.], Hrsg. von Jacek Wijaczka.- Kielce: Takt 1997, S. 7 15; ders.: Zwei Teile Preußens - eine neuere Sicht.- In: Das Preußenland als Forschungsaufgabe. Eine europäische Region in ihren geschichtlichen Bezügen. Festschrift für Udo Arnold zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Bernhart Jähnig und Georg Michels.- Lüneburg: Nordostdt. Kulturwerk 2000 (= Einzelschriften der Historischen Kommission fur ost- und westpreußische Landesforschung; 20), S. 125-131. Karin Friedrich: The Other Prussia. Royal Prussia, Poland and Liberty. 15691772.- Cambridge usw.: Cambridge Univ. Press 2000, insbes. S. 8 - 1 2 .

Das Landesbewußtsein

im Preußen königlich polnischen

Anteils

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ein dominierendes Stadtbewußtsein wie für ein Landesbewußtsein finden lassen. Eine systematische Behandlung - auch im Vergleich zu den anderen großen königlich preußischen Städten Thorn und Elbing - verspricht einen über den Einzelfall hinausgehenden Erkenntnisgewinn und wird deshalb hier vorgenommen. Schließlich soll viertens das Verhältnis zwischen königlich preußischem Landesbewußtsein und polnischem Staatsbewußtsein analysiert und die Einbettung und Relevanz des Landesbewußtseins innerhalb des polnisch-litauischen Staatszusammenhangs nachgezeichnet werden. Im Vordergrund stehen hierbei Verschiebungen in Intensität und Reichweite des Landesbewußtseins zwischen 1500 und 1772, die in der Forschung bisher nur wenig thematisiert worden sind. Vorab noch eine kurze Charakteristik der benutzten Quellentypen, die jeweils spezifische Schwierigkeiten in der Bewertung und Gewichtung ihrer Aussagen aufwerfen: Einerseits handelt es sich um Protokolle der Landtagsverhandlungen und Landtagsrezesse sowie um Briefwechsel, also politisch-historische Quellen, die sehr kontextabhängig zu bewerten sind. Weiterhin wurden die Aussagen der landständischen und städtischen Chronistik verwandt, die für die gesamte Frühe Neuzeit in der Region in großem Umfang vorliegen, oft jedoch eher den aus dem Blickpunkt des Verfassers gewollten als den tatsächlichen Zustand widerspiegeln.5 Schließlich wurden kulturgeschichtliche Quellen, die insbesondere im Gelegenheitsschrifttum und in Bildquellen vorliegen, ausgewertet.6

1. Die historische Grundlage und die Bestandteile des Landesbewußtseins Ein konstitutives, gemeinschaftsstiftendes Element des königlich preußischen Landesbewußtseins bildete die Erfahrung des erfolgreichen Widerstandes der Landstände 1454-1466 gegen den Deutschen Orden. Im 5

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Für die Anfänge der Danziger Geschichtsschreibung vgl. Jolanta Dworzaczkowa: Dziejopisarstwo gdahskie do potowy XVI wieku [Danziger Historiographie bis zur Mitte des 16. Jhs.].- GdaAsk: Tow. Naukowe 1962; vgl. auch folgende Fallbeispiele: Lech Mokrzecki: Dyrektor Gimnazjum Elblqskiego Joachim Pastorius (1652-1654) i jego poglady na historic [Der Direktor des Elbinger Gymnasiums Joachim Pastorius (1652-1654) und seine Sicht der Geschichte].In: Rocznik Elbl^ski 4 (1969), S. 59-83; Wtodzimierz Zientara: Gottfried Lengnich. Ein Danziger Historiker in der Zeit der Aufklärung. Teil 1-2.- Toruii: Uniwersytet M. Kopernika 1995-1996. Überblick für Danzig bei Edmund Kotarski: Gdanska poezja okolicznosciowa XVII wieku [Danziger Gelegenheitsdichtung des 17. Jhs.]. Gdansk: Inst. Battycki 1993; ders.: Gdanska poezja okolicznosciowa XVIII wieku [Danziger Gelegenheitsdichtung des 18. Jhs.].- Gdarisk: Uniwersytet Gdanski 1997.

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V e r l a u f der K ä m p f e hatten sich die Landstände d e m p o l n i s c h e n K ö n i g unterstellt u n d erhielten v o n K a z i m i e r z IV. Jagielloriczyk Privilegien, die die B a s i s der ständischen V e r f a s s u n g d e s L a n d e s bildeten. U m d i e s e E r e i g n i s s e bildete sich eine Erinnerungskultur aus, die in den Städten in der f e i e r l i c h e n B e g e h u n g der Jahrestage der B e f r e i u n g v o m Orden gipfelte. In R e d e n , die aus d i e s e m A n l a ß verfaßt und gedruckt wurden, in Cantaten, Theaterstücken und weiteren G e l e g e n h e i t s w e r k e n wurde die Erinnerung an die B e d r ü c k u n g durch den Orden und den B e f r e i u n g s krieg w a c h g e h a l t e n . 7 A n h a n d der erhaltenen D r u c k e der E i n l a d u n g e n und P r o g r a m m e der Festlichkeiten in E l b i n g 1 7 5 4 kann rekonstruiert werden, daß allein an der A u f f ü h r u n g der Elbinger G y m n a s i a s t e n 113 Personen, z u m e i s t Schüler des G y m n a s i u m s , beteiligt waren. 8 Ein er-

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Gedruckte Belege für 1654: Johannes Petrus Titius: Oratio saecularis Prussia seculum, sublata Cruciferor. Tyrannide, liberatis [...].- Danzig 1654. Erneut abgedruckt in: Acta Borussica II (1731), S. 157-202 und Danzig 1754; ders.: Carmina secularia, quae in panegyri Dantiscana inter Tympanorum, tubarum, aliorumque instrumentem musicorum certamina et harmonia canebantur. [Danzig 1654], - 1754 fur Danzig: Gottlieb Wernsdorff: Oratio saecularis in memoriam Prussiae ante CCC. annos, excussa Ordinis Teutonici dominatione, a Rege Poloniae Casimiro in fidem receptae ac Regno spontaneo accessu junctae, publice [...] die 27 Febr. an. 1754 recitata [...].- Danzig [1754]; Friedrich Klein: Das befreyte Preußen in dem dritten Jubelfeste, welches die Stadt Danzig zum erneuerten Andenken dieser Befreyung feyerte, besungen von [...].- Danzig 1754; Cantate bey dem Jubelfeste der Stadt Danzig welches zum Andenken des vor dreyhundert Jahren geschehenen Abtrits von den deutschen Ordens-Rittern in großem Auditorio gefeyret worden aufgeführet von Johannes Balthasar Christian Freislich, Capellmeister.- Danzig 1754. 1754 für Thorn: Johannes Albinus Kries: Memoriae saecularis diei quo ante hos 300 annos Prussiae excusso tyrannides Cruciferorum iugo in libbertatem sese vindicatum iuit [...] Issu [...] civit. Thoruniensis senatus publica oratione celebrata.- Thom 1754; Gottfried Centner: Jubel-Gedichte auf das dreyhundertjährige Andenken der glücklich ausgefallenen Veränderung der Stadt Thorn bey freywillig erwählten Schutze der Krone Polen wobey zugleich das vor drey und zwanzig Jahren eingefallene fuenfhundertjaehrige Gedächtnis von Erbauung derselben nebst Anwuenschung [...].- Elbing 1756; Als das dreyhundert-jährige Andencken desjenigen Tages, an welchem im Jahre 1454 Preussen der unerträglichen von dem Teutschen Orden der Creutz-Herren erlittenen Tyranney sich zu entledigen angefangen [...] in dem Gymnasio zu Thorn Α. 1754 den 7 Febr. mit einem öffentlichen Actu Oratorio begangen wurde, sollte dabey folgende Cantate aufführen Samuel Contenius Direct. Mus. & Gymn. Coll.- [Thorn] 1754. 8 Archiwum Paristwowe Gdahsk (Staatsarchiv Danzig, im folgenden AP Gdansk): 384, Akten des Gymnasiums in Elbing (hier auch eine umfangreiche Sammlung der gymnasialen Gelegenheitsdrucke): Heinrich Johann Burchard: Als unter der Regierung des Fürsten und Herrn August des III. Koeniges von Polen usw. das dem unertraeglichen Joch des Teutschen Ordens der Kreutz-Herren betreute Preussen sein drittes Jubel-Jahr inn erwuenschter Ruhe feyerte: wurde zum Andenken desjenigen Tages, an welchem im Jahr 1454 der [...] Casimir König von

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heblicher Teil des städtischen Bürgertums wie der in Elbing sich aufhaltenden Schüler wurde so von dieser bewußten Geschichtspolitik des Rats der Stadt und der städtischen Eliten erfaßt. Inwieweit diese bewußte Vergegenwärtigung der ständischen Grundlagen des Landes auch den Adel erreichte, läßt sich kaum quantifizieren. Es fehlen jedoch vor 1772 Belege dafür, daß der Adel an die ritterlichen Ordenstraditionen durch Schaffung einer familiären Memoria oder genealogischer Konstruktionen anknüpfte. 9 Polen usw. die Huldigung in einiger [...] Person in Elbing einzunehmen geruhet, am lOten Juni des gegenwaertigen 1754sten auf Verordnung E. Hochedlen [...] Raths dieser Königlichen Stadt folgende Cantata in [...] Actu Oratorio auf dem Elbingschen Gymnasio musicalisch aufgefuehret [...].- [Elbing 1754]; Johannes Daniel Hoffmann: Die bey Gelegenheit der dritten Jubel-Feyer nach dem von den Creutzherren geschehenen Abtritt des Landes Preussen im Jahr 1754 den 10 Tag Junii, als an welchem allhier Casimirus, König von Polen, von Land und Städten die Huldigung abgenommen, in dem löblichen Elbingschen Gymnasio aufgeführten Red-Uebungen wolte anzeigen und zu deren Anhöörung die hohe Gegenwart eines [...] Rats wie auch [...] Gönner und Freunde der Musen [...] erbitten.- [Elbing 1754] (hier Liste aller Beteiligten, genannt werden 113 Beteiligte); Den aus dem zerstörten Sitz des Spittlers des Teutschen Ordens der Creitzherrn erwachsenen Musen-Sitz führeten bey der dritten Jubelfeyer des von der erlittenen Tyranney dieser Ordens-Herren im Jahr 1754 befreyten Preussen-Landes redend ein die sämtlich Studierende in Elbing. Anno 1754 den 10. Junii.- [Elbing 1754]; Johannes Langius: Ad solemnia saecularia jubilaei Prussiae a plus quam tyrannico equitum Marianorum imperio libertate tertii eodem die quo ante hos trecentos annos [...] Poloniarum Regi Casimiro tum Elbingae praesenti iusiurandum solemni ritu datum fuit nempe D. 10 Jun. A 1754 [...] celebranda urbis Proceres [...] Musarum Fautores ac Libertatus Prussicae Promotores [...] invitat [...].- [Elbing 1754], - 1755 wurde zur gleichen Thematik eine weitere Vorführung der Elbinger Gymnasiasten dargeboten: Johannes Daniel Hoffmann: Prussia varia belli fortuna lactate sub Imperio Casimiri III. Regis Pol. Ad cuius rei memoriam Die 11 Septembr. A.D. 1755 praelectis legibus scholasticis et lustrata iuventute renovandam perillustrem S:R:M. Burggrabium [...] Praesidem et Praeconsulem [...] nec non [...] Cives et Amicos [...] invitat [...].- [Elbing] 1755 - Der besondere Umfang der Elbinger Veranstaltungen ist wohl einerseits auf den 300. Jahrestag des Aufenthalts von König Kasimir IV. in Elbing zurückzufuhren, mit dessen festlicher Begehung die Stadt ihre Bedeutung unter den preußischen und polnischen Städten betonen wollte. Andererseits ist die Rolle des Konrektors des Elbinger Gymnasiums Johann Daniel Hoffmann bedeutsam, der selbst Forschungen zur Landesgeschichte unternahm, vgl. Marian Pawlak: Jan Daniel Hoffmann (1701-1766), historyk, konrektor i lektor j^zyka polskiego w gimnazjum elbl^skim [Johann Daniel Hoffmann (1701 -1766). Historiker, Konrektor und Lektor der polnischen Sprache am Elbinger Gymnasium].- In: ZasJuzoni ludzie dawnego Elbl^ga [Verdienstvolle Menschen im alten Elbing]. Hrsg. von Marian Biskup.- Wroclaw usw.: Zaklad Narodowy im. Ossolinskich 1987, S. 136-142. 9

Belege für die Jahrzehnte nach 1772 bei Hans-Jürgen Bömelburg: Zwischen polnischer Ständegesellschaft und preußischem Obrigkeitsstaat. Vom König-

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Auch in den Stadt- wie in den Landeschroniken des Königlichen Preußen wurden diese Erinnerungen tradiert und bildeten ein festes Erinnerungsmuster, so daß ein anonymer Autor bereits um 1570 vermerken konnte: »Was vor bedruck und hefftige noth/ vor hundert Jaren gedrungen hatt Preussen [...] Das zeigen uns die cronicken an.« 10 Schließlich zeigten populäre Darstellungen und volkstümliche Dichtungen eindrücklich die Motivation der ständischen Opposition. So beschreibt in dem »große liedt von dem Preusser Krieg« ein auf Seiten des Ordens stehender Autor »Durchläuchter König hochgeborn [gemeint ist der polnische König, H.-J.B.] | Wir haben dir ein eidt geschworn, | Bei dir so woln wir sterben, | [...] Der deutsch Orden ist uns nicht gut, | er mocht uns beweisen Übermut«.11 Bildliche Darstellungen wie volkstümliche Dichtungen trugen dazu bei, das konstituierende Moment des Landesbewußtseins auch über Adel und Bürgertum hinweg in breiteren Bevölkerungsschichten festzuhalten. Das sich an die Loslösung vom Orden anschließende Inkorporationsprivileg des polnischen Königs bildete die - wie Janusz Mallek sie genannt hat - »magna Charta libertatum« der preußischen Autonomie, laut der »omnas causas notabilis«, alle wesentlichen Angelegenheiten, zusammen mit landständischen Vertretern aus dem Königlichen Preußen erörtert werden sollten.12 Seine Gültigkeit wurde bis 1772 niemals bezweifelt, nur wurde es, wie jede Verfassungsurkunde, immer wieder neu interpretiert und gedeutet. Die zentrale Interpretationsrichtung der landständischen Eliten beinhalten die Worte Stanislaw Kostkas (1550-1602) von 1585: »Der Herre Culmischer Undercemerer, wie diese Lande des Ordens Joch von sich gethan, sein sie zu allen freyheiten und Praerogativen der Chron Polen getreten, der begeren wir uns zuhalten«. 13 Die liehen Preußen zu Westpreußen (1756-1806).- München: Oldenbourg 1995 (= Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte; 5), S. 364-368. 10 Max Toppen: Volksthümliche Dichtungen zumeist aus Handschriften des 15., 16. und 17. Jahrhunderts gesammelt. Ein Beitrag zur Geschichte der schönen Literatur der Provinz Preußen.- Königsberg: Rosbach 1873, S. 61. 11 Das große liedt von dem preusser Krieg.- In: ebd., S. 17f. 12 Lateinischer Orginaltext in Wojciech Hejnosz: Prawnopanstwowy stosunek Prus do Korony w swietle aktu inkorporacyjnego ζ r. 1454 [Das rechtsstaatliche Verhältnis Preußens zur Krone angesichts des Inkorporationsaktes im Jahre 1454].- In: Przegl^d Zachodni 10 (1954), H. 7/8, S. 307-330; polnische Übersetzung von Karol Görski: Zwiqzek Pruski i poddanie si? Prus Polsce. Zbiör tekstow zrodlowych [Der Preußenbund und Preußens Unterwerfung gegenüber Polen. Eine Quellensammlung].- Poznan: Inst. Zachodni 1949, S. 54-64. 13 AP Gdahsk: Ständerezesse 300, 29/40f. 217. Vgl. auch Charlotte-Anna Schierling: Der westpreußische Ständestaat 1570-1586.- Marburg/Lahn: J.G. Herder Institut 1966 (= Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas; 77), S. 52-54.

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Landstände hätten das Land freiwillig der Herrschaft des polnischen Königs unterstellt und besäßen dementsprechend ein Mitspracherecht in allen wichtigen Fragen. Die Kostkas waren eine aus Masowien eingewanderte Familie, die jedoch in zwei Generationen das königlich preußische Landesbewußtsein übernahm. In der staatsrechtlichen Publizistik Polen-Litauens knüpften die Vertreter einer preußischen Autonomie im 17. und noch im 18. Jahrhundert an die litauische verfassungsrechtliche Eigenstellung an und forderten für das Königliche Preußen eine ähnliche Sonderstellung ein. So hieß es 1639 in dem > Brief eines Preußischen Adligen an einen Bürger des Großfürstentums Litauen Doppelland < oder als abgesonderter eigener Körper betrachtet wurde, verhältnismäßig unscharf war. 17 Zumindest seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts distanzierten sich die königlich preußischen Stände deutlich von dem immer stärker absolutistisch regierten Herzogtum. 18 Gottfried Lengnichs (1689-1774) monumentale, von 1720 bis 1755 verfaßte neunbändige Geschichte der Preussischen Lande, Königlich Polnischen Antheils, die programmatisch ausschließlich die Geschichte des Königlichen Preußen behandelt, ist der spät ausformulierte historiographische Ausdruck dieser Trennung der beiden Preußen. 19 Der Landesbegriff wurde symbolisch und institutionell dargestellt durch das Landeswappen und das Landessiegel, das unter der Aufsicht des Rates der Stadt Elbing gefuhrt wurde, 20 durch das Landesarchiv mit Sitz in Thorn, das eigene Münzrecht in Danzig, Elbing und Thorn (Königswappen und -titel auf der einen, jeweils städtische Wappen auf der anderen Seite), das abweichende Landesrecht, den preußischen Landesrat, seit 1526 auch königlich preußischer Senat genannt, sowie nach 1569 durch den königlich preußischen Generallandtag (Abb. 1: Schema der Sitzordnung 21 ). Scharf umrissen blieb die Zugehörigkeit zum Land durch die Institution des Indigenats, das theoretisch Landesämter und -güter ausschließlich den landsässigen Eliten vorbehielt und das trotz zahlreicher Übertretungen bis 1772 in seiner normativen Gültigkeit nicht angetastet 17

Vgl. auch für das ältere gemeinpreußische Landesbewußtsein und Sonderentwicklungen im Herzogtum Preußen Hans-Jürgen Bömelburg: Das preußische Landesbewußtsein im 16. und 17. Jahrhundert.- In: Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Garber, Manfred Komorowski und Axel E. Walter.- Tübingen: Niemeyer 2000 (= Frühe Neuzeit; 56), S. 651-668; Janusz Mattek: Regionalna tozsamosc oraz etniczne i konfesjonalne mniejszosci w Prusach w czasach nowozytnych [Die regionale Identität und ethnische wie konfessionelle Minderheiten im Preußen der Neuzeit].- In: Pomorze - Polska - Europa. Studia i materialy ζ dziejow XIX i XX wieku [Pommerellen Polen - Europa. Studien und Materialien zur Geschichte des 19. und 20. Jhs.]. Hrsg. von Agnieszka Bojarska.- Torun: Uniwersytet M. Kopernika 1995, S. 29-41 (dort auch Hinweise auf weitere Arbeiten Malteks).

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Friedrich: The Other Prussia (Anm. 4), S. 147-170, mit zahlreichen Belegen. Zientara: Gottfried Lengnich (Anm. 5). Bd. II, S. 4 9 - 5 2 , mit vollständigen Titeln und Nachweis der erhaltenen Exemplare mit Bibliothekssiglen. Sylwjusz Mikucki: Herb Pomorza Polskiego w swietle zrödet [Das Wappen des polnischen Pommerellens im Licht der Quellen].- Tarnowskie Gory 1928; Jan Gerlach: Elbing straznikiem piecz?ci Prus Krölewskich (1503-1772) [Elbing als Wächter des Siegels des Königlichen Preußens (1503-1772)].- In: Rocznik Elbl^ski 2 (1962), S. 9 7 - 1 3 7 . AP Gdansk: 300, 29/228 Bl. 109v: Schema Consessus Statuum et Ordinum Terrarum Prussiae in Conventu generali congregatorum.

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wurde.22 Die auf den kreis- und landständischen Versammlungen, den sejmiki, bis 1772 geführten und wohl in die Hunderte gehenden Diskussionen, ob eine Familie das Indigenat besitze oder nicht, hatten immer auch die Funktion einer erneuten Vergegenwärtigung des Landesbewußtseins. Strukturell war das Landesbewußtsein im modernen Sinne übernational, obwohl diese moderne Terminologie zu Mißdeutungen führen kann, da durchaus häufig von der >natio prussica< die Rede war. Der > Preuße < oder >Prusak< war im Königlichen Preußen häufig funktional mehrsprachig, deutsch bildete zwar die > lingua vernacula< (Landessprache), doch war das Polnische seit Anfang des 17. Jahrhunderts die Verhandlungssprache des königlich preußischen Generallandtages und die Sprache des Adels. 23 Das Landesbewußtsein war zugleich überkonfessionell, die an der Wende zum 17. Jahrhundert sich durchsetzende Konfessionalisierung besaß - anders als in den Niederlanden - keine nationsbildende Kraft.24 Dies gab bei aller Ausgrenzung kleineren konfessionellen Gemeinschaften wie den Reformierten, Antitrinitariern oder Mennoniten eine Exi-

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Michal Cieslewicz: Par? uwag ο indygenacie pruskim [Einige Bemerkungen über das preußische Indigenat].- In: Zeszyty Naukowy Wydziahi Humanistycznego Uniwersytetu Gdanskiego. Historia 3 (1974), S. 19-29; Zbigniew Naworski: Indygenat w Prusach Krolewskich (1454-1772).- In: Czasopismo Prawno-Historyczne 35 (1983), Η. 1, S. 3 1 - 5 7 . Jan Gerlach: J?zyk polski w obradach i korespondencji urz^dowej w Prusach Krolewskich w XVI-XVIII w. [Die polnische Sprache in Tagungen und amtlicher Korrespondenz im Königlichen Preußen im 16.-Jh.].- In: Szkice ζ dziejöw Pomorza [Skizzen zur Geschichte Pommerellens]. Bd. II: Pomorze nowozytne [Das neuzeitliche Pommerellen]. Hrsg. von Gerard Labuda und Stanislaw Hoszowski.- Warszawa: Ksi^zka i Wiedza 1959, S. 163-186; Bömelburg: Zwischen polnischer Ständegesellschaft (Anm. 9), S. 59-64. Michael G. Müller: Zweite Reformation und städtische Autonomie im königlichen Preußen. Danzig, Elbing und Thorn in der Epoche der Konfessionalisierung (1557-1660).- Berlin: Akademie-Verl. 1997; ders.: Städtische Gesellschaft und territoriale Identität im Königlichen Preußen um 1600. Zur Frage der Entstehung deutscher Minderheiten in Osteuropa.- In: Nordost-Archiv. Zeitschrift für Regionalgeschichte 6 (1997), H. 2, S. 565-584 (These der Entstehung von konfessionellen Identitäten im Königlichen Preußen seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts). Eine spezifische Situation herrschte zudem spätestens seit Ende des 17. Jahrhunderts in Thorn, wo in der politischen und konfessionellen Auseinandersetzung zwischen protestantischen Thorner Stadtbürgern und dem umwohnenden katholischen Adel erstere sich in starkem Maße als protestantische deutsche Nation konstituierten, vgl. z.B. Samuel Luther Geret: Die aus den Gräbern durchdringende Stimme derer vor zweyhundert und hundert fünfzig Jahren verstorbenen wahren und ächten Preußen, zur Erwekung und Besserung an die jetztlebenden zu Polen ausgearteten Preußen, gehöret in verschiedenen alten Schlössern und Klöstern in Preußen.- Mitau 1774.

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Stenzchance als Nischengesellschaften und trug mit dazu bei, daß 1772 sowohl das ermländische Domkapitel die Annexion als »tristissima« beschrieb, als auch der streng protestantische Thorner Bürgermeister Christian Klosmann sie als »eckelhafft« verurteilte. 25 Durch diese Offenheit blieb das Landesbewußtsein in hohem Maße neu interpretier- und auslegbar und erleichterte die Akkulturation von zuwandernden Bevölkerungsgruppen an das hochentwickelte wirtschaftliche und ständische System im Königlichen Preußen. Infolge des hohen Anteils an städtischer Bevölkerung, die hier wie überall im Europa der Frühen Neuzeit eine negative Bevölkerungsbilanz aufwies, 26 blieb das Land auf Einwanderung angewiesen. Die schon genannten Kostkas, die Dzialynski, Piwnicki und Dutzende anderer eingewanderter Adelsfamilien wurden jeweils zu preußischen Patrioten, ohne ihre Loyalität gegenüber der Krone Polen und ihre polnische Nationalität verleugnen zu müssen. Jan Dzialyriski äußerte während des Sejms 1562/1563, »es sei bekannt, daß er Pole sei, aber seitdem er sein Domizil nach Preußen verlegt habe, müsse er die preußischen Freiheiten verteidigen«. 27 Sicherlich spielten in diesem Integrationsprozeß wirtschaftliche Motive, die die königlich preußischen Eliten jeweils dazu tendieren ließen, ihre Landesrechte und ihr Landesbewußtsein nach außen deutlich hervorzuheben, mit eine entscheidende Rolle: Je stärker zentralpolnische, nicht landsässige Eliten an den lukrativen preußischen Landesgütern (Starosteien, Gratialgüter) teilhatten, um so weniger Verteilungsmasse entfiel auf den vor Ort ansässigen Adel. Diese wirtschaftlich wie kulturell begründete regionale Identität bildete in der Krone Polen, in der allgemein der Adel dazu tendierte, regionale Bindungen zugunsten einer übergreifenden horizontalen ständischen Integration aufzugeben, eine Ausnahme. Als Kontrast hierzu sei die Situation in Masowien und dessen Hauptstadt Warschau genannt, wo Neuankömmlinge sich auch nach mehreren Generationen nicht als >Masovier< fühlten. 28

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Bömelburg: Zwischen polnischer Ständegesellschaft (Anm. 9), S. 233-237. Jan Baszanowski: Przemiany demograficzne w Gdaüsku w latach 1601-1846 w swietle tabel ruchu naturalnego [Der demographische Wandel in Danzig in den Jahren 1601-1846 anhand von Tabellen der natürlichen Migration].- Gdarisk: Uniwersytet Gdanski 1995. Zit. nach Stanislaw Kot: Swiadomosc narodowa w Polsce w XV-XVII w. [Das nationale Bewußtsein in Polen im 15.-17. Jh.].- In: Kwartalnik Historyczny 52 (1938), S. 15-33, hier S. 23. Vgl. Hans-Jürgen Bömelburg: Prusy Krolewskie a Mazowsze - pröba porownania swiadomosci regionalnej w czasach nowozytnych w Koronie polskiej [Königreich Preußen versus Masovien - ein Versuch des Vergleichs von regionalem Bewußtsein in der neuzeitlichen Krone Polens].- In: Prusy Ksi^z^ce i Prusy Krolewskie (Anm. 3), S. 79-95.

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2. Landesbewußtsein und ständisch-gesellschaftlicher Standort Die jeweilige Ausprägung des Landesbewußtseins sah in den einzelnen Ständen wie auch innerhalb einzelner gesellschaftlicher Gruppen bei differierenden wirtschaftlichen und sozialen Interessen verschieden aus. Besonders großes Interesse an der Wahrung der Landesrechte besaßen begüterte und wohlhabende Adelsfamilien, die kraft der Landesrechte darauf pochen konnten, die einträglichen Starosteien und Gratialgüter in Anzahl und Ertragskraft ein Überbleibsel der Ordensherrschaft - ausschließlich zu besetzen. Der Aktionsradius dieser Familien umfaßte das gesamte Land, so daß zumindest bis Ende des 17. Jahrhunderts der Landesbegriff in dieser Gruppe hoch entwickelt war. Im 18. Jahrhundert änderte sich dieser Zustand insofern, als mindestens zwei aus dem regionalen Mitteladel hervorgegangene Familien, die Czapskis und die Przebendowskis, auf der Ebene des polnisch-litauischen Staatsverbandes an Einfluß gewannen und hier wirtschaftliche und politische Interessen besaßen. Mitglieder oder Klientelgruppen dieser Familien tendierten nun durchaus dazu, in manchen Situationen zugunsten der Ziele der Familie im gesamten Staatsverband regionale Interessen hintan zu stellen.29 Der Kleinadel besaß nur eng begrenzte regionale Interessen, da sein Horizont mehr auf den Kreis oder die Wojewodschaft beschränkt blieb. Er war jedoch vielfach stärker in die Politik wohlhabenderer Nachbarn eingebunden und vertrat deshalb auf Landesebene oft die Interessen des Mitteladels. Das Fehlen einer schriftlichen Überlieferung schränkt zudem Aussagen über Einstellungen in dieser Gruppe erheblich ein. Es ist jedoch methodisch unzulässig, diese Gruppe einfach zu übergehen, da sie erstens relativ groß war (Schätzungen für 1772: 8000-15.000 Personen), 30 zweitens aufgrund der katholischen Dominanz und ihrer Schulbildung in Jesuitenkollegien nach 1650 mehrheitlich ein in wachsendem Maße sarmatisch-polnisches Geschichtsbild besaß und drittens in Konfliktsituationen auf den Kreis- und Wojewodschaftstagen sowie dem Generallandtag durch ihre Größe und Mobilisierungsfähigkeit einen ausschlaggebenden Faktor darstellen konnte. 31 Der in Pommerellen und 29

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Jerzy Dygdata: Uwagi ο magnaterii Prus Krölewskich w XVIII stulecia [Bemerkungen zum Magnatentum Königlich Preußens im 18. Jh.].- In: Zapiski Historyczne 44 (1979), H. 3, S. 429-462; Bömelburg: Zwischen polnischer Ständegesellschaft (Anm. 9), S. 101-105. Ebd., S. 98f. Jerzy Dygdata: Aktywnosc polityczna szlachty Prus Krölewskich na przetomie czasöw saskich i stanistawowskich. (Pröba kwantyfikacji) [Die politische Beteiligung des Adels im Königreich Preußen in der Wendezeit der sächsischen und stanislausschen Epoche (Ein Quantifizierungsversuch)].- In: Zapiski Historyczne 47(1982), H. 4, S. 181-200.

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im Kulmerland besonders starke Kleinadel wirkte so tendenziell auf eine Vereinheitlichung der Verhältnisse im Königlichen Preußen mit denen im benachbarten Kuj awien und Masowien hin. Ikonographisch ist ein Stich aus dem 18. Jahrhundert, der die Beratungen des königlich preußischen Generallandtages darstellt, ein interessanter Beleg für die Angleichung an zentralpolnische Gegebenheiten (Abb. 2):32 Die bürgerliche Vertretung (Buchstaben m - o und r) ist von der Masse der >viritim< zum Generallandtag erschienenen sarmatisch gekleideten und bewaffneten Adligen eingerahmt. Das zahlenmäßige adlige Übergewicht war auch bei den Beschlüssen der ständischen Gremien auf Landesebene immer schwerer zu übergehen. In der Bürgerschaft der großen Städte besaßen insbesondere die Ratsmitglieder und Patriziergeschlechter ein deutlich umrissenes Landesbewußtsein. Sie mußten in ihrer Politik darauf bedacht sein, die wirtschaftlich und konfessionell wichtigen Landesrechte (Zollfreiheit, Landesämter auch für Protestanten) zu verteidigen. 33 Weniger artikuliert, aber zweifelsfrei vorhanden blieb das Landesbewußtsein unter Kaufleuten und städtischen Mittelschichten. Als Fallbeispiel und auch im Hinblick auf den Problemkreis >Landesbewußtsein und Stadtbewußtsein< seien hier skizzenhaft die Ansichten des gebürtigen Danziger Kaufmannsgehilfen Martin Gruneweg (1562 - ca. 1606) vorgestellt, die er nach zahlreichen Lebensstationen bereits nach seiner Konversion zum Katholizismus und nach dem Eintritt in ein Dominikanerkloster um 1600 in Lemberg und Plock niederschrieb. 34 Aufgrund seiner Lebensgeschichte und seines Glaubenswechsels ist Gruneweg sicher kein exponierter Vertreter des preußischen Autonomiegedankens. Um so eher können seine Aussagen aber als repräsentativ für größere kleinbürgerliche Gruppen in den königlich preußischen Städten gelten. 32

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Georg Peter Schultz: Historia interregni novissimi et comitiorum in Prussia Polonica A. 1733 celebratorum una cum quamplurimis manuscriptis actis ad jus publicum et historiam Prussiae pertinentibus.- Danzig: Knoch 1738 (Exemplar der Staatsbibliothek Berlin: 4° Vol 430), Vorblatt. Vgl. auch wenige Jahre später Samuel Franciscus Grüttner: Tractatio iuris publici pruthenici de Prussia numquam et nulli tributaria [...] Elbingens! Prusso.- Danzig: Knoch 1741, S. 36: »Incorporatam esse Provinciam Regno' ajebat Palatinus cum temporis Mariaeburgensis, Nicolaus a Baysen. Hoc ita interpretamur, habere sua iura Poloniam, habere suas immunitates Borussiam, ita ut suis Poloni, suis ibidem Prutheni vivant legibus, ne tarnen a foedere, quo innexi resileant.« Karin Friedrich: Politisches Landesbewußtsein und seine Trägerschichten im Königlichen Preußen.- In: Nordost-Archiv. Zeitschrift für Regionalgeschichte N.F. 6 ( 1 9 9 7 ) , H. 2, S. 5 4 1 - 5 6 4 . Martin Gruneweg: Aufzeichnungen. Manuskript in der BG PAN. Ein Typoskript der Handschrift liegt im Deutschen Historischen Institut in Warszawa vor und wird dort fur die Edition vorbereitet. Zitiert wird im folgenden nach der Paginierung der Handschrift.

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Gruneweg widmete seine Erinnerungen der » Königlichen Stadt Danzig«. >Vaterland< wird wechselweise auf Danzig und auf das Königliche Preußen bezogen. Gruneweg selbst charakterisiert seinen Heimatbegriff und sein >Vaterlandsverständnis < in der Einleitung seiner Aufzeichnungen wie folgt: die natur selbest czwingt, welche einen jeden zu seinem Vatterlande (viele mer Hause) czihet: gleich wie der magnet das eisen. Dan man sagt das Vatterlandt ist eine süsse stelle [...]. Sehr süsse und lieblichen ist, des Vatterlandes zugedencken. 35

Zum Lobe und zur Hervorhebung seines Vaterlands vermerkt Gruneweg: An diesem allen was gedacht ist, gehets dem Preusser lande, in welchem Dantzik ligtt, gar nichts ab, das Welschland nichtes sonderliches haben kan, welches Preussen mangeln soltte. [...] Was aber guttes in Preussen ist, das hatt sich alles zu Dantzig als dem Hepte viele volkomlicher gesamlet, dan sonst an einem ortte. 36

Obwohl Gruneweg den größten Teil seines Lebens in Warschau und Lemberg verbrachte, dominiert in seinen Erinnerungen die Vergleichsperspektive mit dem Danzig und dem Preußen seiner Kindheit die gesamte Darstellung. Alles wird an den preußischen Städten gemessen: Bromberg sei so groß wie der Danziger Marktplatz, Warschau etwa so wie Thorn, und bei der Beschreibung der Flüsse Lembergs sucht er Erinnerungen an Radaune und Mottlau. 37 Aus solchen Passagen wird auch das entwickelte Selbstbewußtsein des durchschnittlichen Bürgers der großen preußischen Städte erkennbar, das ihn sogar in Zentralpolen vor einem Assimilationsdruck an die dominierende polnische Umgebung schützte. In einigen Textpassagen bricht Grunewegs Landes- und Stadtpatriotismus förmlich hervor: »Dan wiewol das Polerlandt alles gutten foil ist, dennoch ist darinne kein ding so gutt, das zu Dantzig nicht sollte besser gefunden werden.« 38 Zugleich hätte die Danziger Bevölkerung eine besondere Mission: So aber eine Statt aufsehens hat, so hats Dantzigk, umb ihrer gutten Ordnung willen und Aufrichttigen Gemein, das sich auch andere Lender selig duncken ihr Folck zusehen und gerneischaft zuhabenn mitt ihrer Bürgerschaft: vertrauen ihnen gern ihr Habb und gutt. Unde das zumale hie im Köningreiche Poelen, da 35 36 37 38

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. S. S. S.

1. 351. 876f. 365.

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musen die knaben aus Dantzig zu allem vor anderen, die Schlüssel tragen und regierer des Hauses sein. 39

Die hochentwickelte Danziger Wirtschafts- und Stadtverfassung bot einen breiten Kanon an Fertigkeiten und strukturellen Erfahrungen, der das Bedürfnis nach einer kulturellen Anpassungsleistung begrenzte und die Identität bewahrte. Auf staatlicher Ebene seien Polen und Danzig jedoch eng miteinander verbunden: Mitt dieser Polnischen Nation hat sich Dantzig so verbunden, gleich were sie mitt ihr eine Nation. Solches komt nirgendts anders heer nur aus altter liebe und freintschafft. Warlichen, es habben unsere Vorfahren nicht gewust besseren Schutzherren zufinden als den Polnischen König. 40

3. Stadtbewußtsein und Landesbewußtsein Soweit war Martin Gruneweg, im Hinblick auf Bildung und gesellschaftliche Position, eher ein Vertreter breiterer Schichten des Danziger Kleinbürgertums. Sichtbar wird bei Gruneweg das, was Maria Bogucka thesenhaft in der Geschichte Danzigs formulierte: »Wenn der Danziger Bürger das Wort > patria < aussprach, dachte er zuerst an die Stadt, dann an Preußen und ganz Polen.« 41 In dieser Reihung bildete nach Bogucka jedoch keines der Glieder einen Gegensatz, wenn auch die einzelnen Elemente in eine gewisse Spannung zueinander treten konnten. Daß ein preußisches Landesbewußtsein auch im Alltag und in der Festkultur der preußischen und Danziger Bürger präsent war, zeigt die Gelegenheitsdichtung. 1552 drückte Heinrich Moller in der Gratulatio Prussiae seine Freude darüber aus, daß nicht nur Polen, Litauen und die Russen, sondern auch Preußen die Freude habe, König Zygmunt II. August zu empfangen. 42 Drei Generationen später wünscht Johann Mochinger anläßlich der langjährigen Waffenstillstandsvereinbarungen bei Stuhmsdorf 1635 in der Supplicatio pro conservata Borussia et pace restitute seinem Vaterland Frieden und Gedeihen. 43 Johannes Fabricius 39 40 41

42

43

Ebd., S. 348. Ebd., S. 376f. »Kiedy wi^c mieszkaniec Gdahska möwil patria, myslaJ przede wszystkim ο miescie, dopiero pözniej ο Prusach i catej Polsce.« Historia Gdanska [Geschichte Danzigs]. Bd. II: 1454-1655. Hrsg. von Edmund Cieslak.- Gdarisk: Wydawn. Morskie 1982, S. 679. Henricus Mollerus: De adventu in Prussiam serenissimi principis et domini Sigismundi Augusti, Regis Poloniae, magni ducis Lithuaniae, Russiae, Prussiae, Gratulatio Prussiae. Autore Henrico Mollero Hesso in Schola Culmensi docente.- [Danzig] 1552. Johannes Mochinger: Supplicatio urbis Gedanensis in honorum die optimi maximi et memoriam Vladislai IV. [...].- Danzig 1635.

Das Landesbewußtsein

im Preußen königlich polnischen Anteils

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dichtete 1688 zu Ehren von Jan Sobieski: »Gib diesem Helden Muth, Gesundheit, langes Leben [...]. daß er stets sey des Reichs und Preußens helle Sonne [...]. Lass Rathaus, Kirchen sammt den Schulen woll floriren, daß sie die gantze Stadt zu langen Zeiten zieren.« 44 Die Trias Polen-Preußen-Danzig wird hier deutlich beschworen. Solche Beispiele könnte man noch vervielfachen. An dieser Stelle soll jedoch nur gezeigt werden, daß auch in Danzig, einer Stadt, die von Michael Albinus mit » Ο Dantzig, Preußen-Landes Zihr, Du Wohnhauss viler Freuden« 45 oder von Christian Pöppel als »Jungfraw Dantzig, Preußens Ehre« 46 angesprochen wurde, trotz der Ostseelage mit vielfältigen internationalen Kontakten und der dominierenden Position unter den königlich preußischen Städten auch ein gewisses preußisches Selbstverständnis bis ins 18. Jahrhundert existent blieb. Die Danziger hätten der Selbstdefinition des ermländischen Landtags, man sei »ein furnehme[s] Glied dieser Lande Preußen«, 47 in dieser Form wohl auch fur sich zugestimmt. Infolge der schwächeren städtischen Entwicklung und der geringeren Distanz zum übrigen Königlichen Preußen war die preußische Komponente des eigenen Selbstverständnisses wohl in Elbing und Thorn ausgeprägter. Alle drei Städte traten wie 1570 in den Gravamina trium maiorum Prussiae Civitatum communia wiederholt als Sachwalter preußischer Landesinteressen auf. Zur Illustration des Sachverhalts, daß das preußische Landesbewußtsein auch in den mittleren Schichten der Danziger Bevölkerung deutlich vertreten war, sei noch eine bezeichnende Episode aus der städtischen Geschichte nach der Annexion durch den Hohenzollernstaat erwähnt. 1797 suchten Danziger Gymnasiasten, die um Gottfried Bartholdi in der >Verbindung der freien Preußen < organisiert waren, in einem dilettantischen Aufstandsversuch die republikanische Verfassung der Stadt wie44

Johannes Fabricius: Denen Preiss-würdigsten Ordnungen der Königlichen wollflorirenden Stadt Dantzig [...] überreichte dieses Lob- und Danck-Gedichte nechst hertzlicher Anerwünschung [...] eines recht Glückseeligen Erwündschten Fried- und Freuden-reichen Neuen Jahres [...].- Danzig [1688]. 45 Michael Albinus: Auff Herrn D. Calovii Abschied von Dantzig nach Wittenberg.· In: Cum votis elogia: Quibus Admodum Reverendum & Excellentiß Dn. Abrahamum Calovium [...].- Danzig [1650]. 46 Christian Pöppel: Trawriges Berg-Gethön über den unvermuthlichen, jedoch seeligen [...] Todesfall des [...] Herren Jacob Stüven, Wollverdienten Rahtsverwandten der Rechten Stadt Dantzig [Danzig 1657] (BG PAN: Oe 7 2° adl. 289). - Die Anrede ist eine deutliche Anspielung auf den erfolgreichen Widerstand Danzigs im Zuge der schwedischen Invasion (1656). 47 Zit. nach Danuta Bogdan: Sejmik warmmski w XVI i pierwszej potowie XVII wieku [Die ermländischen Provinziallandtage im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jhs.].- Olsztyn: Osrodek Badah Naukowych 1994 (= Rozprawy i materiafy OBN im. Wojciecha K^trzyhskiego w Olsztynie; 137), S. 27.

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derherzustellen. Neben jakobinischen Einflüssen sind in der Namensgebung als > freie Preußen preußischen Vaterlandes< und in der Symbolik (>Floreat PrussiaRegni Sarmatici< und >Regionis nostrae BorussiacaeLandescorpus< mit eigenen Rechten aus, das in erster Linie dem polnischen Monarchen unterstellt sei. Dagegen forderten Anhänger einer strikten Vereinheitlichung der Krone Polens insbesondere im polnischen mittleren Adel und in der zentralstaatlichen Beamtenschaft nach 1569 eine völlige Angleichung der Verfassung der drei preußischen Wojewodschaften an die Strukturen, die in den anderen Teilen der Krone Polen herrschten. Zwischen diesen beiden Positionen gab es vermittelnde Stellungnahmen, die jeweils auch politisch und taktisch bestimmt waren. Die nachfolgende Graphik sucht die Stärke und zeitliche Entwicklung des königlich preußischen Landesbewußtseins und dessen Integration in die polnische Nation des Gesamtstaates in eine bildliche Darstellung umzusetzen. Die waagerechte Achse zeigt die chronologische Entwicklung, die senkrechte soll die Intensität des Landesbewußtseins visualisieren. Einen deutlichen Einschnitt von verfassungsrechtlicher Qualität bildete die Lubliner Union (1569), die insbesondere durch die Eingliederung der preußischen adligen Abgeordneten in den Sejm eine Real48

49

50

Hans-Jürgen Bömelburg: Die >Verbindung der freien Preußen neupreußischen Nation< (>narodowosc nowopruska Exekutionsbewegung Thorner Blutgerichts < (> tumult tonmskiΕ· 'SS. a. % S?o 5 Ϊs 1«.ιof -'2 5 "β oa» §i •5. S-yf, α

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Abb. 1 Schema Consessus Statuum et Ordinum Terrarum Prussiae in Conventu generali congregatorum [Schema der Sitzordnung des königlich preußischen Generallandtages]. Archiwum Panstwowe Gdansk (300, 29/228 Bl. I09v).

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hCatlellanus ir&a tutifw • Ο. Civiiatir QidaruttfU CL.Cpuuopu.' Varmienfu Pr&fC* 3tiicrnu.ru:iL ί)ιuj . terra nun irmjjfac urtoirutriii» t. Stucu mera riur Culnvnfis. j}.,HareJihalliu E^vcjIru> b.ßp'ucofmsC.tftnurnfu·. It. · Su4xameruriusHianttbur Übergröße Übergröße < der Stadt wie auch ihres Hinterlandes basieren die vielfältigen Funktionen, die eine Metropole ausübt. Eine durchstrukturierte Multifunktionalität ist demnach als ein viertes Kennzeichen einer Metropole aufzuführen. Die Ausstrahlungskraft einer Metropole, als sichtbares Zeichen ihrer Dominanz, wirkt auf verschiedenen, miteinander verwobenen Ebenen der Wirtschaft, Politik, Kultur und Religion. Mit der sie vor anderen Städten auszeichnenden Multifunktionalität verknüpfen sich Lebensintensität und struktureller Reichtum der Metropole, konzentrieren sich vielgestaltig entwickelte Zentren des Handels, Gewerbes, Kreditwesens, der öffentlichen kulturellen Institutionen (Schulen, Universitäten, Gesellschaften, Bibliotheken, Museen, Druckereien, Buch-, später auch Zeitungsverlage) und religiösen Einrichtungen (Kirchen, Klöster, religiöse Bruderschaften, kirchliche Ämter). Hier entstehen neue Formen des Denkens, neue künstlerische Strömungen, von hier aus greifen die Impulse technischer, kultureller und wissenschaftlicher Innovationen auf das gesamte Hinterland über. Zwar ist Fortschritt nicht nur in einer Metropole oder von ihr ausgehend möglich, doch die Intensität des in ihr sich vollziehenden geistigen Lebens schafft einen dafür besonders günstigen Boden. Dieses Phänomen hat jedoch eine zweischneidige Wirkung: eine Metropole kann als Katalysator für die Entwicklung des Hinterlandes fungieren, sie kann aber auch wie ein Parasit alles in sich einsaugen. Die Diskussion über einzelne Beispiele dieses > Parasitismus < der Metropolen war in den vergangenen Jahren sehr lebhaft. 6 Verschiedene Forscher streichen allerdings nicht nur diese zwei nach außen gerichteten Wirkmöglichkeiten von Metropolen heraus, sondern betonen auch ihre inneren Widersprüche und Kontraste. Ein > metropolischer Lebensstil^ also eine besondere Art zu Leben (im guten wie im schlechten Sinne dieses Wortes), soll ebenso als wichtiges Kennzeichen von Metropolen am Beispiel Danzigs kurz erörtert werden. 7 Das Danzig der Frühen Neuzeit entspricht - meines Erachtens nach diesem Modell und kann daher als Metropole betrachtet werden. Die 4

5 6

7

Vgl. Hans K. Schulze: Städtisches Um- und Hinterland in vorindustrieller Zeit.Köln usw.: Böhlau 1985 (= Städteforschung. Reihe A; 22). Bogucka: Krakau - Warschau - Danzig. (Anm. 3), S. 73. Vgl. David R. Ringrose: Metropolitan cities as parasites.- In: Metropolitan cities and their hinterlands (Anm. 1), S. 2 1 - 3 8 . Vgl. das Vorwort in: The Metropolis in modern life (Anm. 2), S. VII.

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Stadt ist vor allem in dieser Zeit eine wirtschaftliche Metropole geworden. Sie paßt präzise zu einer Beschreibung, die der englische Wirtschaftshistoriker Norman Gras vor fast 80 Jahren so formuliert hat: The metropolitan market may be described as a large district having one center in which is focused a considerable trade. Trade between outlying ports and cities of course may take place, but it is that between the metropolitan town and the rest of the area, that dominates all. This is chiefly the exchange of the raw products of the country for the manufactured or imported goods of the town. The prices of all goods sent to the metropolitan center are >made< there, or, in other words, prices diminish as the distance from the center is increased.8

In dieser Definition finden sich sämtliche charakteristischen Merkmale des Danziger Handels im 16. und 17. Jahrhundert: 1. ein übergroßes Hinterland, das nach den neuesten Forschungen nicht nur Masowien sowie Groß- und Kleinpolen, sondern auch Podolien und die Ukraine zusammen mit großen Teilen Litauens umfaßte; 2. eine Dominanz des sich in Danzig konzentrierenden Großhandels über den zwischen anderen Städten des polnisch-litauischen Staates betriebenen Handel; 3. eine spezifische Struktur des Handels, die im Austausch von Rohstoffen und Lebensmitteln gegen Industriewaren bestand, welche teilweise importiert, teilweise direkt in Danzig hergestellt wurden; 4. die bestimmende Rolle Danzigs bei der Preisgestaltung, was zur Folge hatte, daß mit zunehmender Entfernung von Danzig die Preise für polnische Exportwaren sanken, während die Preise für importierte Waren anstiegen. 9 Die notwendigen Voraussetzungen für die Karriere Danzigs als Metropole waren durch die Entwicklung des gemeinsamen europäischen Marktes an der Wende zur Neuzeit entstanden. 10 Mit dem schnell wachsenden Bedarf an Lebensmitteln und Rohstoffen in Westeuropa nahm die Bedeutung des Danziger Hafens rasch zu. Obwohl Danzig offiziell nie das Stapelrecht besaß, war es seit dem 16. Jahrhundert wichtigstes Emporium der polnischen Gebiete, da hier ca. 80 % des polnischen Überseehandels abgewickelt wurden. 11 Auch für den gesamten Ostsee8

Norman Scott Brien Gras: The evolution of the english corn market.- Cambridge: Cambridge University Press 1915 (= Harvard Economic Studies; 13), S. 95. 9 Maria Bogucka: Handel zagraniczny Gdanska w pierwszej polowie XVII w. [Der Außenhandel Danzigs in der ersten Hälfte des 17. Jhs.].- Wroclaw: Zaklad Narodowy im Ossolinskich 1970, S. 124ff. 10 Immanuel M. Wallerstein: The modern world-system. Capitalistic agriculture and the origins of the European world-economy in the sixteenth century.- New York: Academic Press 1974. 11 Stanislaw Hoszowski: The Polish Baltic trade in the 15th-18th centuries.- In: Poland at the Xlth international congress of historical sciences in Stockholm.Warszawa: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1960, S. 117-153.

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Maria Bogucka

räum kam dem Danziger Hafen eine besondere Bedeutung zu: Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts waren hier ca. 50 % des Handels von Amsterdam aus - dem größten Handelspartner des Ostseeraums - konzentriert.12 Mit der Entwicklung des Danziger Handels ging eine Vermehrung der städtischen Produktion einher. Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde Danzig zum größten Produktionszentrum an der Ostsee wie auch in Polen. Die ausgezeichnete Konjunktur, die sich alljährlich einstellte, wenn die Edelleute zum Verkauf ihrer Agrarerzeugnisse aus ganz Polen anreisten und in Danzig ihren Bedarf an verschiedensten Konsumgütern deckten, kam der Produktion handwerklicher Erzeugnisse zugute. Auch auf dem inneren Markt wuchs der Bedarf an Handwerksartikeln, da sich der Wohlstand der Bewohner Danzigs steigerte und die Einwohnerzahl infolgedessen zunahm.13 So kam es zu einer raschen Entwicklung des Textilgewerbes, des holzverarbeitenden Gewerbes (u.a. der Möbelherstellung), des lederverarbeitenden Gewerbes (Schuh- und Gürtelmacher, Kürschner usw.), der Metall- und Rüstungsindustrie, der Herstellung von Glas und Präzisionsgeräten (u.a. der berühmten Danziger Uhren), der Erzeugung von Papier und Büchern, der dem Luxusbedarf dienenden Gold- und Silberschmiedekunst, der Verarbeitung von Bernstein usw.14 An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert existierten in Danzig bereits über 7000 Handwerksstätten unterschiedlicher Größe, in denen zuweilen ein Dutzend oder noch mehr Menschen arbeiteten.15 In mehreren Produktionszweigen, z.B. bei der Textilherstellung, bildete sich das Verlagssystem heraus.16 Nahezu die Hälfte der Danziger Bevölkerung lebte zu dieser Zeit bereits von der gewerblichen Produktion.17 Erzeugnisse aus Danzig - Möbel, Keramik, Borten und Posamente, Uhren, Silberschmuck, Gold und Bernstein - waren in ganz Polen geschätzt und erfuhren einen regen Absatz.18 Wie im Handel mit Agrarprodukten deckte sich das Hinterland von Danzig auch in der Nachfrage nach handwerklichen Erzeugnissen mit dem gesamten riesigen Territo12

Maria Bogucka: Amsterdam and the Baltic in the first half of the 17th century.In: The economic history review N.F. 26 (1973), S. 433-447. 13 Maria Bogucka: Gdansk jako osrodek produkcyjny w XIV-XVII w. [Danzig als Produktionszentrum im 14.-17. Jh.].- Warszawa: Pahstwowe Wydawn. Naukowe 1962, S. 7ff. und S. 207ff. 14 Ebd. 15 Ebd., S. 281ff. 16 Vgl. Maria Bogucka: Gdanskie rzemiosto tekstylne od XVI do polowy XVII wieku [Danziger Textilgewerbe vom 16. bis zur Mitte des 17. Jhs.].- Wroclaw: Zaklad Narodowy im Ossolinskich 1956. 17 Bogucka: Gdansk jako osrodek (Anm. 13), S. 392ff. 18 Ebd., S.207ff.

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rium des damaligen polnisch-litauischen Staates: es reichte von der Ostsee bis zu den Karpaten und zum Schwarzen Meer. 19 Danzig wurde während dieser Zeit zum größten Kredit- und Finanzzentrum des polnischen Staates und des Ostseeraumes, wahrscheinlich dank seiner lebhaften Beziehungen zu den damaligen Hauptzentren des Bankwesens - zu Antwerpen und Amsterdam. 20 Mit Bank- und Kreditoperationen beschäftigte sich in Danzig eine große Anzahl von Institutionen und Personen, vom Stadtrat und Patrizier bis hin zum Handwerker und armen Frauen aus den Unterschichten. 21 In den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts wurde in Danzig die Gründung einer öffentlichen Bank geplant. Das Projekt, von dem holländischen Kaufmann Anthony Kuiper entworfen, wurde jedoch wahrscheinlich infolge eines Vetos der Privatbankiers, die diese Konkurrenz fürchteten, nicht verwirklicht. Die Entwicklung des Danziger Kreditwesens stützte sich teilweise auf in der Stadt angesammelte Geldmittel, teilweise aber auch auf das in Danzig eintreffende niederländische Kapital, was u.a. die weiten internationalen Beziehungen der Danziger Metropole veranschaulicht. Interessante Ergebnisse bietet gleichermaßen eine Analyse der Herkunft der Danziger Kreditnehmer. Zu ihnen gehörten zahlreiche Herrscher - darunter sowohl polnische (Zygmunt II. August, Wladyslaw IV.) als auch schwedische und dänische Könige - , polnische Magnaten, der polnische Adel sowie Bürger und sogar Bauern. 22 Danzig präsentierte sich also an der Schwelle zur Neuzeit nicht nur als der größte Hafen der Ostsee, sondern zugleich als mächtiges Produktions- und Finanzzentrum, das sich auf die Befriedigung der verschiedenen Bedürfnisse des Adels aus dem riesigen Hinterland spezialisierte und als Vermittler zwischen Ost- und Westeuropa fungierte. Die Ausstrahlung dieser Metropole überschritt bei weitem die regionalen und staatlichen Grenzen - ebenso wie ihre Anziehungskraft. Infolge der Handelskonjunktur und der bedeutenden Nachfrage nach Spezialisten wie nach einfachen Arbeitskräften kamen jährlich zahlreiche Immigranten nach Danzig. Ihr Zustrom wurde durch die damaligen internationalen Ereignisse beschleunigt. In der zweiten Hälfte des 16. und zu Be19 20

21

22

Bogucka: Krakau - Warschau - Danzig (Anm. 3), S. 85. Maria Bogucka: Dutch merchants' activities in Gdahsk in the first half of the 17th century.- In: Baltic affairs: relations between the Netherlands and NorthEastern Europe, 1500-1800. Hrsg. von Jacques Ph. S. Lemmink.- Nijmegen: Instituut voor Noord- en Oosteuropese Studies 1990 (= Baltic studies; 1), S. 19-32. Maria Bogucka: Obrot wekslowo-kredytowy w Gdansku w pierwszej potowie XVII w. [Wechselverkehr und Kreditwesen in Danzig in der ersten Hälfte des 17. Jhs.].- In: Roczniki Dziejöw Spoiecznych i Gospodarczych 33 (1972), S. 1 31. Ebd.

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ginn des 17. Jahrhunderts emigrierten aufgrund religiöser Verfolgung Tausende von Menschen aus den Niederlanden, Deutschland, Frankreich, Böhmen, Schlesien und Schweden nach Polen - und vor allem nach Danzig. Da im polnisch-litauischen Staat wie in Danzig weitgehende (lediglich durch wirtschaftliche Konkurrenz begrenzte) religiöse Toleranz herrschte, konnten sich hier Angehörige von Konfessionen und Glaubensgemeinschaften wie etwa der Wiedertäufer, der Böhmischen Brüdern oder der Mennoniten ansiedeln, die besonders heftigen Verfolgungen ausgesetzt waren. Eine entscheidende Rolle für die Entwicklung Danzigs und seines Status als Metropole spielte die Immigration aus den Niederlanden, denn mit ihr kamen hervorragende Architekten, Maler und Bildhauer, die einen starken kulturellen Einfluß auf die städtische wie auf die polnische adelige Kultur ausübten. Weniger bekannt, jedoch nicht minder wichtig ist die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwanderung niederländischer Kaufleute und Handwerker, brachten die Fremden doch nicht nur finanzielles Kapital mit, sondern auch gute Beziehungen zu westeuropäischen Handelsfirmen. Unter ihnen waren Fachleute verschiedener Spezialisierungen wie z.B. Weber, Bortenmacher und Färber, die verbesserte oder neue Produktionsmethoden einführten und die Entwicklung des Kreditwesens vorantrieben. 23 Es ist nicht möglich, die genaue Zahl der an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert nach Danzig Eingewanderten zu bestimmen. Zumeist erwarben die Neuankömmlinge kein Bürgerrecht und sind somit nicht in Bürgerbüchern nachweisbar. Doch ohne Zweifel ging die Zahl der Immigranten in die Tausende. Sie ist spürbar in der sprunghaften Entwicklung der Bevölkerungszahl Danzigs: diese wuchs von 30.000 zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf 40.000 in den achtziger Jahren, um am Anfang des 17. Jahrhunderts etwa 70.000 bis 100.000 zu erreichen. 24 Danzig hatte sich also zu einem städtischen Mittelpunkt neuzeitlichen Gepräges entwickelt, der demographisch und strukturell den mächtigen Metropolen Westeuropas entsprach - vergleichbar mit Antwerpen und Amsterdam - und im Ostseeraum und im polnisch-litauischen Staat eine ungewöhnliche Erscheinung darstellte. Danzig war mindestens dreimal so groß wie die nächstfolgenden Städte Krakau und Warschau oder das im Herzogtum Preußen gelegene Königsberg. In dem hier gegebenen Rahmen kann leider nicht umfassender auf die Folgen eingegangen werden, die der Status einer Metropole für die innere Geschichte und die innere gesellschaftliche Struktur Danzigs mit sich brachte. Ich möchte nur einige wichtige Erscheinungen erwähnen, so 23

24

Maria Bogucka: Les relations entre la Pologne et les Pays-Bas, XVIe sieclepremiere moitie du XVIIe siecle.- In: Cahiers de Clio 78/79 (1984), S. 5 - 1 8 . Maria Bogucka: Danzig an der Wende zur Neuzeit: Von der aktiven Handelsstadt zum Stapel- und Produktionszentrum.- In: Hansische Geschichtsblätter 102(1984), S. 9 1 - 1 0 3 .

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z.B. die Entstehung der ersten Ausformungen des Frühkapitalismus in Handel und Gewerbe oder die Zersetzung des klassischen mittelalterlichen Zunftsystems. 25 Diese Phänomene, die nach meinem Verständnis zur Rolle einer Metropole im Zuge der Hervorbringung von Innovationen gehören, hatten eine gewaltige Umwandlung der sozialen Verhältnisse der Danziger Einwohner zur Folge: das Aufkommen einer Gruppe vermögender Unternehmer und Verleger auf der einen Seite, auf der anderen die fortschreitende Proletarisierung der armen Meister und die Umwandlung zahlreicher Handwerksgesellen in lebenslange Lohnarbeiter.26 Dieser Prozeß hat zur Entstehung tiefer sozialer Gegensätze - ein weiteres wichtiges Kennzeichen von Metropolen - beigetragen. Die Widersprüche wurden dadurch verschärft, daß sich im 17. Jahrhundert das Interesse der Danziger Oberschichten vom Handel und von städtischen Geschäften auf den Ankauf von ländlichen Gütern verlagerte.27 Dies bedeutete eine Entfremdung der Führungsschichten, die durch die luxuriöse, immer deutlicher auf Konsum und Pracht hin orientierte Lebensweise in schönen Residenzen zusätzlich gefördert wurde. Solch ein Lebensstandard wurde durch die nachhaltige Handelstätigkeit derjenigen Generationen ermöglicht, die enorme Profite im Danziger Hafen zu erwirtschaften wußten: die durchschnittliche Rate des Gewinns betrug 30-40 %. 28 Diese Größe, die sich aus der Differenz der Preisgestaltung zwischen der Metropole einerseits und ihrem Hinterland andererseits ergab, kann als ein > Metropolengewinn < bezeichnet werden. Da die Führungsschicht sich immer weniger für die spezifisch bürgerlichen Tätigkeiten interessierte, übernahmen die Mittelschichten deren bisherige Obliegenheiten in den Bereichen Handel, Reederei und Finanzen. Nach Schätzungen wuchsen die Mittelschichten in dieser Zeit bis auf 40 % der Bevölkerung an und konnten ihren Reichtum schnell vermehren. Weil sich die Unterschichten gleichzeitig relativ schnell proletarisierten, entstanden große Unterschiede in Lebensstandard und -weise, die für eine Metropole typisch sind. 29 Danzig kann freilich nicht nur als eine wirtschaftliche, sondern auch als eine kulturelle Metropole bezeichnet werden. In ihrer wirtschaftlichen Blütezeit erlebte die Stadt bekanntlich auch einen enormen kulturellen Aufschwung. Angesichts ihres weltoffenen Bürgertums fielen die 25 26 27

28 29

Ebd. Bogucka: Gdaüsk jako osrodek (Anm. 13), S. 307ff. Historia Gdanska [Geschichte von Danzig]. Hrsg. von Edmund Cieslak. Bd. II.Gdansk: Wydawn. Morskie 1983, S. 543ff. Ebd., S. 502ff. Maria Bogucka: Lebensformen der Danziger Einwohner während der Frühen Neuzeit (16.-18. Jh.).- In: Zwei Hanseatische Städte Bremen und Danzig im Laufe der Jahrhunderte. Hrsg. von Andrzej Groth.- Gdansk: Marpress 1994, S. 61-72.

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Ideen der Renaissance und des Humanismus auf fruchtbaren Boden und fanden im juristischen und ökonomischen Denken, in Wissenschaft und Kunst ihren Niederschlag. Das 1558 gegründete Danziger Gymnasium nahm mit seinen sieben Fakultäten schnell einen akademischen Charakter an. Hier wirkten weltberühmte Professoren wie etwa der Arzt Johannes Placatomus, der Mathematiker Peter Krüger, die Pädagogen Wilhelm Gnapheus und Jan Arnos Komensky (Comenius), die bedeutenden Historiker Bartholomäus Keckermann und Joachim Pastorius. Und auch das äußere Antlitz der Stadt erhielt in dieser Phase des Aufbruchs in die Neuzeit neue, prächtige Züge, die für die Architektur einer Metropole typisch sind. Viele der herrlichen Renaissance- und Barockbauten wie die beiden Rathäuser der Recht- und der Altstadt, das Zeughaus, die ausgedehnten Befestigungswerke mit ihren prächtigen Toren - wie beispielsweise das Goldene und das Grüne Tor - und zahlreiche prachtvolle Privathäuser sind zu dieser Zeit errichtet worden. Unter der Vielzahl von Poeten wirkte in Danzig der berühmte schlesische Dichter Martin Opitz. Die reiche Kunstmetropole wurde von zahlreichen Künstlern aus den Niederlanden, Schlesien, Böhmen, dem Herzogtum Preußen, Frankreich, Dänemark usw. besucht; mehrere fanden in Danzig ihre zweite Heimat. Hier arbeiteten hervorragende Künstler - Architekten, Maler, Bildhauer, Kupferstecher - , so u.a. Isaak und Abraham van den Blocke, Jan Vredeman de Vries, Anton Möller, Andreas Stech, Bartholomäus Strobel d.J., Wilhelm Hondius sowie Aegidius Dickmann. Ihre Werke waren in ganz Polen bekannt und geschätzt. Literatur und Kunst wurden von den Danziger Patriziern, aber auch von den polnischen Königen und Magnaten, die mit den Danziger Kunstschaffenden in enger Beziehung standen, eifrig gefordert. 30 Feierlichkeiten und öffentliche Veranstaltungen bildeten einen festen Teil des Lebens in der Stadt und sind ebenfalls als Merkmal ihres >Metropolentums< zu bewerten. Zahlreiche Prozessionen, farbenreiche Maiumzüge, Fastnachtsspiele, Theaterauffuhrungen, Turniere, Stech- und Schießspiele sowie verschiedene Wettkämpfe wurden mit großer Pracht und Geldverschwendung arrangiert und stets von Stadtbewohnern wie Besuchern bewundert. Besonders prächtig feierte man in Danzig die Einzüge der polnischen Könige und Königinnen, die Anlaß zu Theaterspielen, feierlichen Prozessionen, Aufführungen von lebenden Bildern und pyrotechnischen Attraktionen gaben und die bürgerlichen Bemühungen um eine Assimilierung der höfischen Kultur demonstrieren. 31 Die wirtschaftliche Krise der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und dann des 18. Jahrhunderts scheint dem Status Danzigs als Metropole 30

31

Maria Bogucka: Zyc w dawnym Gdansku [Leben im alten Danzig].- Warszawa: Trio 1997, S. 200ff. Ebd., S. 212ff.

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kaum geschadet zu haben. Trotz ökonomischer und politischer Schwierigkeiten bewahrte sich Danzig die Stellung einer Welthandelsstadt und blieb ein großes urbanes Zentrum mit rund 50.000 Einwohnern und hoher Einwanderungszahl (durchschnittlich 84 eingewanderte Neubürger pro Jahr, die Ankömmlinge ohne Bürgerrecht nicht eingerechnet), was auf anhaltende Anziehungskraft schließen läßt. 32 Die reiche Immigration beschleunigte die Weiterentwicklung des ethnischen und kulturellen Mosaiks in der Stadt. Stets prägte der Hafen mit seinem regen Treiben das Leben in Danzig; Internationales und Regionales vermischte sich hier, wie in allen Metropolen, in einem gewaltigen Tiegel, in dem verschiedenste Nationalitäten und Sprachen, unterschiedlichste Sitten und Gebräuche miteinander verschmolzen. 33 Trotz der Krise konnte die fortschreitende Verarmung Danzigs kaum auf den ersten Blick erkannt werden. Der in den vorangegangenen Jahrhunderten angehäufte Reichtum bildete im 18. Jahrhundert noch einen ausreichenden Vorrat, der verschiedene, zumal auch kulturelle Zwecke bediente. In der Stadt herrschte stets eine lebhafte Bautätigkeit, und die Kriegszerstörungen beschleunigten diesen Vorgang zusätzlich. Schließlich entstanden im 18. Jahrhundert zahlreiche Rokokohäuser am Langen Markt, entlang der Langgasse, der Breiten Gasse, der Hundegasse usw. Es wurden Bauarbeiten an Kirchen ausgeführt (Ende des 17. Jahrhunderts der Bau der Königlichen Kapelle, im 18. Jahrhundert Arbeiten bei St. Barbara und Aller Gottes Engel), das Portal des Rathauses in der Rechtstadt erhielt seine rokoko-klassizistische Gestalt (1766-1768), das Zeughaus wurde renoviert (1768), der Neptunbrunnen umgebaut (1760); darüber hinaus entstanden zahlreiche Speicher und Häuser im Barockund Rokokostil. Das Danzig des 18. Jahrhunderts zog selbstverständlich nicht mehr so viele Künstler an wie in seiner Blütezeit. Nichtsdestoweniger gab es hier ein vielfaltiges und produktives künstlerisches Milieu, zu welchem beispielsweise der Tiermaler Karl Ruthard, die Porträtisten Salomon Adler, Isaak Seemann, Johann Benedikt Hoffmann d.Ä. und d.J., Daniel Klein, Jakob Wessel, die Kupferstecher Friedrich Anton Lehrmann und Matthäus Deisch, die Bildhauer Andreas Schlüter und Johann Heinrich Meissner zu zählen sind. Der berühmte Daniel Chodowiecki, der das polnische Alltagsleben so gern zeichnete, wurde hier geboren und wirkte lange Zeit in Danzig. 34 Daneben blieb die Stadt wichtiges wissen32

33 34

Stanislaw Gierszewski: Obywatele miast Polski przedrozbiorowej [Bürger in polnischen Städten vor den Teilungen].- Warszawa: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1973, S. 102. Bogucka: Zyc w dawnym Gdansku (Anm. 30), S. 254. Maria Bogucka: Daniel Chodowiecki - cztowiek ζ pogranicza kultur [Daniel Chodowiecki - ein Mann an der Grenze zwischen zwei Kulturen].- In: Kultura i Spoleczenstwo 37 (1993), H. 2, S. 3-16; dies.: Daniel Chodowiecki, seine

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Maria Bogucka

schaftliches Zentrum. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebte und arbeitete hier der weltbekannte Astronom Johannes Hevelius, ein Vertrauter des polnischen Königs Jan III. Sobieski. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts baute Daniel Fahrenheit in Danzig Apparaturen nach eigenen Plänen. Allein diese zwei Schöpfer vermochten Danzig den Rang einer Weltmetropole der Wissenschaften zu verleihen. Die historiographische und juristische Literatur wurde durch Johannes Konstantin Schröder und Gottfried Lengnich repräsentiert; ihre Werke spielten eine große Rolle für die Entwicklung des polnischen Rechts. 35 Im Jahre 1720 entstand in Danzig die Literarische Gesellschaft (>Societas litterariaSocietas phisicae experimentalis StadtchronikB< aus Bornbachs Chronik wieder isolieren - ein

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Zu ihm vgl. APB, Bd. I, S. 55. SSrPr, Bd. IV, S. 300. Ebd., Bd. V, S . 4 9 1 . Arnold: Studien zur preußischen Historiographie (Anm. 1), S. 110 und 170 (dort sehr zurückhaltend).

Danziger Historiographie des 16. Jhs.

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nicht eben erhebendes Geschäft, das uns den Weg zu Bornbach mehr verstellt als erschließt. Wir sehen aber an der Rezeption der Aufzeichnungen Beyers die Funktionsweise der beschränkten Öffentlichkeit, welche frühneuzeitlichen Chroniken zuteil wurde. Wenn sie zugänglich wurden, wurden sie auch rezipiert und lebten, ohne daß ihre ursprünglichen Umrisse greifbar würden, in späteren Chroniken weiter, selbst wenn das Original längst vernichtet worden war.

5. Stenzel Bornbach 59 Stenzel Bornbach wurde - obschon seit 1747 eine gedruckte Übersicht seines Nachlasses vorliegt - von der landesgeschichtlichen Forschung bis heute weitgehend ignoriert.60 Man zog ihn für Einzelfragen heran, maß ihm aber als Kompilator wenig Eigenwert bei. Die meisten Stücke seines Nachlasses gehörten - wohl aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen, die sich durch Bornbachs Gattin ergaben - der Rosenbergschen Familienbibliothek, die 1795 versteigert und verstreut wurde.61 So müssen wir in der Preußischen Sammlung auf dieses Verzeichnis zurückgreifen und die späteren Aufbewahrungsorte und Signaturen der Handschriften ermitteln. Da der Druck nicht sehr verbreitet ist, teile ich den entsprechenden Abschnitt ungekürzt mit: Zu den Kindern seines Verstandes und Fleisses in den Preussischen Sachen, bey seinen Neben-Stunden, die er bey seinem Ableben, welches den 27 März A. 1597 erfolget ist, hinterlassen, sind folgende zu rechnen, die wenigstens von seinem guten Willen der Nachwelt zu dienen, zeugen, ob sie schon meistentheils ihren Vater zu frühe verloren haben, ehe er sie zu gehoeriger Vollkommenheit hat bringen können. Damit dieser Aufsatz um so viel weniger partheyisch scheine, mögen einige unpartheyische Anmerkungen dieselben begleiten, welchen größten Theils vornehme Urheber von seinen Urälter Kindern aus seinen Büchern gezogen haben, die sie besitzen.62 [1] Recesse und Urkunden von A. 1374-1399 dabey angehänget ist, was wegen der Niederreissung des Bischöflichen Hauses auf dem Bischofs-Berge vorgegangen ist. Α. 1432.63 59

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Zu Bornbach (1530-1597) vgl. Bertling: Katalog (Anm. 1), S. 629; Simson: Geschichte der Stadt Danzig (Anm. 1), Bd. II, S. 378f., und APB, Bd. I, S. 72. Preußische Sammlung allerley bisher ungedruckten Urkunden, Nachrichten und Abhandlungen [...]. Bd. I-III.- Danzig: Schreiber 1747, hier Bd. I, S. 307-318. Vgl. Bertling: Katalog (Anm. 1), S. 614f. Sammelexzerpte des 16. Jhs.: BG PAN: Ms. Gedan. 1507; vgl. Günther: Katalog (Anm. 1), Bd. II, S. 268f. BG PAN: Ms. Uph. fol. 106; vgl. Günther: Katalog (Anm. 1), Bd. II, S. 429 mit genauerer Angabe; Theodor Hirsch: Handels- und Gewerbsgeschichte Danzigs

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[2] Die Recesse von A. 1400-1420. alles mit seiner eigenen Hand abgeschrieben. 64 [3] Alte Schriften und Recesse von 1421-1439. nebst etl. Original-Urkunden, dabey sich auch findet die Königl. Antwort ad Petitiones Gedanensium von 1552. nebst etl. Rechts-Sachen und Gerichts-Schriften D. Philip Weimers. 65 [4] Recesse und alte Briefe von Α. 1450-1455. 6 6 [5] Alte Schriften und Urkunden von A. 1450-1455. [6] Der Receß und andere alte Schriften vom Jahre 1456. und 1457. bey dem letzten merket er an, daß solches der Herr Ferber bey seiner Chronik habe. [7] Recesse von 1458-1466. dabey auch allerhand Sende-Schreiben, theils in Original, theils in Abschrift, wie auch Actiones Commissariorum Geda. von 1568-1569. und andere Privat-Sachen. 67 [8] Recesse von A. 1467-1479. auch allerhand andere dahin gehörige Schriften, deren etl. in originali. 68 [9] Recesse von 1480-1489. Die Stücke von 1490-1500 fehlen. [10] Recesse von 1501-1508. 6 9 [11] Recesse von 1510-1519, so theils von Burbachen, theils von Barthol Wartzmannen, theils von Joh. Prima geschrieben sind. Receß von Tagefahrten. 70 [12] Recesse von 1520-1524. 71 [13] Allerhand Schriften 1524-1566; wie auch Miscellanea von 1527-1552. beschrieben von St. Burbach. [14] Allerhand Privat-Sachen von 1290-1460, darunter auch die Freyheit Danzigs Culmisches Recht und Gericht zu halten, in originali. [15] Recessus Consiliorum inter tres ordines civitatis Gedan. von A. 15611571. unter dem Titel: Heimliche Schriften, was zu Rathause gehandelt ist, vor mich allein und vor keinen andern geschrieben von A. 1561. den 18. Mart. 72

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unter der Herrschaft des Deutschen Ordens. (Nachdr. der Ausg. Leipzig 1858).Wiesbaden: Sändig 1969, S. 71. Ebd. fol. 107; vgl. Günther: Katalog (Anm. 1), Bd. II, S. 429 mit genauerer Angabe; Hirsch: Handels- und Gewerbsgeschichte (Anm. 63), S. 71. Ebd. fol. 108; vgl. Günther: Katalog (Anm. 1), Bd. II, S. 429 mit genauerer Angabe; Hirsch: Handels- und Gewerbsgeschichte (Anm. 63), S. 71. Günther: Katalog (Anm. 1), Bd. II, S. 430 hat zu BG PAN: Ms. Uph. fol. 109110 keinen Hinweis auf die Liste in den Preußischen Sammlungen; Zeitraum dort: 1450-1459 und 1464-1479 Davon ist zumindest ein Teil BG PAN: Ms. Gedan. 971, 201-212, vgl. Günther: Katalog (Anm. 1), Bd. II, S. 93. Möglicherweise BG PAN: Ms. Uph. fol. 110; vgl. Günther: Katalog (Anm. 1), Bd. II, S. 430. Ebd. fol. 111; vgl. Günther: Katalog (Anm. 1), Bd. II, S. 430. Ebd.; vgl. Günther: Katalog (Anm. 1), Bd. II, S. 430. Ebd. fol. 112; vgl. Günther: Katalog (Anm. 1), Bd. II, S. 430. Ebd. fol. 172 I; vgl. Günther: Katalog (Anm. 1), Bd. II, S. 457.

Dartziger Historiographie

des 16. Jhs.

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[16] Recessus Consiliorum inter tres ordines civitatis Gedan. von Α. 1576— 1577; 73 wie auch vom Danziger Kriege Α. 1576-1577; 7 4 item Ursachen des Danziger Krieges, und altera Pars belli & obsidionis Gedan. [17, gesetzt: 18] Antiquitates Juris inter Polonos & Crucigeros ab A. 12261436. [18] Aufsetzung aus den Recessen der Englischen Händel, und Copien etl. Privilegiorum. [19] Abscheid der Rom. Kayserl. Maj. und gemeinen Stände auf dem ReichsTage zu Augsprug A. 1551. aufgerichtet. Diese 19 Bücher der Recesse machen 8 starke Bände in Fol. aus, und sind fast alle von seiner Hand, doch findet man in den ältesten fast mehr Hanseatische, als Preuß. Land-Tags-Acten. [20] Historie vom Aufruhr zu Danzig, wie er sich entsponnen von 1522 und 1526 von Königl. Maj. gestillet worden, 2 Theile, mit Urkunden versehen, welche er A. 1587. den 9. März zu Ende gebracht. Sie macht einen starken Folianten aus, und ist im Hauptwerk einerley mit Schützens noch ungedrucktem XI. Buche seiner Chronick, nur daß dieses etwas ordentlicher eingerichtet ist. 75 Was Braun davon urteilt, stehet S. 279. de Scriptor. Prussiae. 76 [21] Preußische Chronick, in 2 mittelmäßigen Bänden in 4to. Der erste geht von Anfange, ja von den Fabelhaften Erzählungen, die er aus vielen alten Büchern gezogen, bis auf das 1290te Jahr. Der andere ist sehr kurz abgefasset, von dem was sich von 1497 bis 1520 in Preussen zugetragen, ist aber nicht sorgfaltig ausgearbeitet, sondern nur als ein Auszug aus den Recessen. Das mittlere Buch von 1290-1497 fehlet, wo es nicht noch in einer unbekannten BücherSammlung stecket. Die Vorrede des letzten Bandes zeiget, daß er noch eine vollständigere Chronick aufzusetzen vorgehabt. Daß er die 3 Bände seiner Chronik dem Herrn Bmr. Ferber 1576 geliehen und den 26. Nov. 1587 von ihm wieder bekommen, hat er in seinem Diario angezeichnet. Dieses wird wohl das seyn, darüber er in der Vorrede zu seiner Hist, des Aufruhrs so beißige Klagen geführt, und auch einige andere Dinge darin aus Verdruß gesetzet hat, die er hätte weglassen können. 77 73

Ebd. fol. 171, S. 829-1154. Handschrift der BG PAN: Ms. 38 Nr. 5, 170v-324r, S. 35: »Aus dem Original so bey den Herrn Syndico Rosenberg vorhanden, copiret«, vgl. Bertling: Katalog (Anm. 1), S. 35; BG PAN: Ms. Uph. fol. 2; fortgesetzt ebd., Nr. 114; vgl. Günther: Katalog (Anm. 1), Bd. II, S. 384 und 430. 75 Preußische Sammlung (Anm. 60), S. 320, Anm. i: »In derselben mischt er hin und wieder einige lateinische Stellen mit ein. So stehet auf der 5 lten Seite: >Fit enim saepe numero superbia atque aemulatione, ut plerique in ipsis consiliis ea maxime spernant, quae alios etiam summis rationibus velle cognoverunt, ulteroque asperiora & duriora subeant, ne aliena consilia sequi videantur & Sp angefangene Arbeit von der Preuß. Chronick, so er ausgeliehen und seit XI. Jahren nicht habe wieder bekommen können, 3 dicke Bücher, jedes dicker denn ein Rieß Papier, in Folio gewesen, und daß sie 74

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Arno Mentzel-Reuters

[22] Collectanea Genealogica Prussica werden in des (Tit.) Herrn Lilienthals seiner Preuß. Bibl. angeführt auf der 34. Seite n. 70. und müssen wohl was mehres in sich haben, als seine eigene Genealogie, und diejenige Sibschaften so vor der Hist, des Aufruhrs befindlich sind.78 [23] Sein Diarium oder Tagebuch von seinen Privat-Sachen. [24] Chronicon Historiae universalis, ein dicker Foliant. [25] Der vollständigen Preußischen Chronick, bis 1456, 3 starke Bände in Fol.79 Möglicherweise gehörte auch die Danziger Handschrift Nr. 1273 mit Auszügen aus dem Ferber-Komplex einmal in Bornbachs Bibliothek. Günther vermerkte jedenfalls: »einige Inhaltsangaben am Rande scheinen von Stenzel Bornbach geschrieben zu sein«. 8 0 Die als Nr. 21 und 25 gezählten Texte sind identisch; warum der Berichterstatter das heutige Ms. Boruss. fol. 247 nicht zu sehen bekam und daher von zwei Chroniken Bornbachs ausging, läßt sich nicht mehr rekonstruieren. Die Chronik nennt sich selbst Cronica des preussen lands, die ich Stenzel Bornbach mir und gutten freunden zum besten auß etlichenn deutschem und latienischenn Kroniken zusammen gelesen habe. A° 1558 (Ms. Boruss. fol. 245, lOr) und in einem späteren Band Das letzte Theil der Preuszischen Kronikenn durch mich St. B. colligirt, von A. Chr. 1497 anhebende (Ms. Boruss. fol. 248). 8 1 Sie wurde um 1580 von Konstantin Ferber ausgeliehen und erst sehr spät dem Autor zurückgegeben. 82 In der Einleitung der Berichte über den Aufruhr gegen

vom Ursprünge der alten Preussen bis ins Jahr 1456 gegangen. Daraus sollte man urtheilen, daß dieses Werk der Anfang müsse gewesen seyn von der vollständigem Ausarbeitung der Preussischen Geschichte. Denn eine bloße Abschrift des ersten Entwurfs kann es vermöge aller Umstände, die er anführet, nicht gewesen seyn. Darum sie hier unter Nr. 25 angeführet ist. Es wäre Schade, wenn sie sollte | [321] vernichtet seyn, nachdem sie in Schicht und Theilungen vielleicht von Danzig weg, und mit der Zeit an unverständige Besitzer gerahten, die sie zu Pfeffer-Tüten, Raketen u. anwenden. Das ist ein Unglück, dem auch die besten Schriften nicht entgehen, besonders, wenn sie ungedruckt sind.work in progress WartzmannMuseum für Sepulkral-Kultun, geleitet von der stellvertretenden Vorsitzenden der Association, Dr. Jutta Schuchard, bietet eine Fülle an Objekten und Dokumenten zum Thema. Eine reiche Bibliographie sowie eine Zusammenstellung von ikonograpichen Quellen enthält auch der Ausstellungskatalog: Himmel, Hölle, Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter. Eine Ausstellung des Schweizerischen Landesmuseums (in Zusammenarbeit mit dem Schnütgen Museum). Hrsg. von Peter Jezler.- Zürich: Verl. Neue Zürcher Zeitung 1994; vgl. auch: Wie die Alte den Tod gebildet. Wandlungen der Sepulkralkultur 1750-1850. Bearb. von Hans-Kurt Boehlke.- Mainz: Zentralinst, für Sepulkralkultur 1981 (= Kasseler Studien zur Sepulchralkultur; 1). Vgl. Jean Delumeau: La peur en Occident (XlVe-XVIIIe siecles). Une cite assiegee.- Paris: Fayard 1978; ders.: Le peche at la peur. La culpabilisation en Occident (XIHe-XVIIIe siecles).- Paris: Fayard 1983. Diese Arbeiten zeugen von den Schwierigkeiten, denen sich europäische Historiker und generell die europäische Zivilisation zu Ende des 20. Jh. bei der Beurteilung und Interpretation der Hinterlassenschaft früherer Epochen gegenübersahen. In gewissem Sinne haben wir es hier mit einer Rückprojektion modemer Probleme und mentaler Verfassungen auf die Frühe Neuzeit zu tun.

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Edmund Kizik

tentum angeregt haben. Auf der anderen Seite aber darf nicht vergessen werden, daß der menschliche Tod und das ihm folgende Begräbnis Unterhalt und Existenz für Heerscharen von Lehrern, Schülern, Handwerkern, erst- und zweitklassigen Künstlern, Poeten und auch Tagedieben bedeutete, die den Tod eines Zeitgenossen nicht als makaber-ästhetische Herausforderung, sondern schlicht als Gelegenheit sahen, sich satt zu essen oder eine Kleinigkeit zu verdienen. Dutzende von Armen und Bettlern rechneten mit einem Brosamen vom Tisch des Totenmahls. 3 Für einen beträchtlichen Teil der Paupersknaben war das Singen auf Begräbnissen die Voraussetzung für den Schulbesuch. Ähnlich wie in den städtischen Begräbnisordnungen vorgeschrieben, war die Teilnahme an Trauerkondukten Bestandteil des alltäglichen Unterrichtsprogramms in den Schulen. Sie bestimmte das Verhältnis der Schüler zum Sterben und zum Tod und formte die Vorstellung, die sie später, als Erwachsene, vom Ablauf der Trauerzeremonien hatten. Die Teilnahme an Beerdigungen Schloß die Schüler in den Kreislauf des Geldes ein und war zugleich Musik-, Rhetorik- und Religionsstunde. Es ist nur zu begrüßen, daß seit einigen Jahren die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zum Tod im Lichte einer noch zu schreibenden Alltagsgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit auf zunehmendes Interesse stößt. Die Arbeiten der französischen Forschung haben die möglichen Fragestellungen hier beträchtlich erweitert. Deutsche und österreichische Arbeiten haben ihrerseits neue Möglichkeiten der Interpretation archivalischer Quellen aufgezeigt. Ausfuhrlich kommentierte Überblicke zum Forschungsstand der Funeralkultur haben für den deutschsprachigen Raum Wolfgang Brückner, Franz J. Baur und Martin III geliefert; 4 für den französischen Raum sind Rosemarie Griebel-Kruip sowie Kuno Böse zu nennen. 5 Hinzuzuzählen sind hier auch 3

Stanislaw Grzeszczuk: Staropolskie potomstwo Sowizdrzaia. Plebejski humor literacki [Die altpolnischen Nachkommen Eulenspiegels. Literarischer Humor der Plebejer].- Warszawa: Pafistwowe Wydawn. Naukowe 1990, S. 36, siehe auch S. 132. 4 Wolfgang Brückner: Das alte Thema Tod im Boom der neuen Literatur.- In: Bayerische Blätter für Volkskunde 11 (1984), H. 2, S. 75-96; Franz Baur: Von Tod und Bestattung in alter und neuer Zeit.- In: Historische Zeitschrift 254 (1992), Η. 1, S. 1-31; Martin Illi: Wohin die Toten gingen. Begräbnis und Kirchhof in der vorindustriellen Stadt.- Zürich: Chronos 1992. Illi untersucht hier die städtische Funeralkultur am Beispiel Zürichs. Wichtig für das Gebiet Schlesiens ist die Studie von Manfred Bunzel: Die geschichtliche Entwicklung des evangelischen Begräbniswesens in Schlesien während des 16., 17. und 18. Jhs.- Lübeck: Unser Weg 1981. Vor dem Hintergrund dieser Veröffentlichungen ist die Synthese von Norbert Ohler: Sterben und Tod im Mittelalter.- München: Artemis 1990, eine gewisse Enttäuschung. 5 Rosemarie Griebel-Kruip: Thanatologie: Todesforschung in Frankreich.- In: Bayerische Blätter für Volkskunde 11 (1984), H. 2, S. 97-106; Kurt Böse: Das

Grabstätten im frühneuzeitlichen Danzig

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die monumentalen epigraphischen Quellensammlungen vor allem von Grabinschriften, wie z.B. die Deutschen Inschriften (1942ff.), das Corpus des Inscriptions de la France Medievale (1974ff.) oder das polnische Corpus Inscriptionum Poloniae ( 1 9 7 5 f f ) . Polnische Historiker haben sich der Problematik gewöhnlich unter dem Aspekt ephemerischer Architektur und Trauerliteratur angenommen. 6 Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß sie die erhalteThema >Tod< in der neueren französischen Geschichtsschreibung.- In: Studien zur Thematik des Todes im 16. Jh. Hrsg. von Paul Richard Blum.- Wolfenbüttel: Herzog-August-Bibliothek 1983, S. 1-20. Von neueren Arbeiten aus dem englischsprachigen Raum seien genannt Dan Beaver: >Sown in disonour, raised in gloryc Death, Ritual and Social Organisation in Northern Gloucestershire 1590-1690.- In: Social History 17 (1992), Η. 3, S. 389-419; Julian Litten: The English Way of Death. The Common Funeral Since 1450.- London: Hale 1991; Clare Gitting: Death, Burial and the Individual in Early Modern England.London, Sydney: Croom Helm 1984; David Stannard: The Puritan Way of Death. A Study in Religion, Culture, and Social Change.- Oxford: Univ. Press 1977; David Cressy: Death and the Social Order: the Funerary Preferences of Elizabethan Gentlemen.- In: Continuity and Change 5 (1989), S. 99-119; zu den Forschungen fur Holland siehe den Ausstellungskatalog des Central Museum in Utrecht: Dood en begraven. Sterven en rouwen 1700-1900.- Utrecht 1980; Henk L. Kok: De geschiedenis van laatse eer in Nederland.- Lochern: De Tijdstroom 1970. 6 Juliusz Antoni Chroscicki: Pompa funebris. Ζ dziejow kultury staropolskiej [Zur Geschichte der altpolnischen Kultur].- Warszawa: Pahstwowe Wydawn. Naukowe 1974; Alfons Labudda: Liturgia pogrzebu w Polsce do wydania rytuatu piotrkowskiego (1631). Studium historyczno-liturgiczne [Die Begräbnisliturgie in Polen bis zum Erscheinen des Rituals von Petrikau 1631. Eine historisch-liturgische Studie].- Warszawa: Akademia Teologii Katolickiej 1983 (=Tekstus et Studia; 14). Einen Überblick über die Problematik des stadtbürgerlichen Funeralmäzenats bietet Andrzej Wyrobisz: Nagrobki mieszczan w Polsce. XVI-XVII w. [Die Grabdenkmäler von Stadtbürgern in Polen. 16.-17. Jh.].- In: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 37 (1990), S. 37-80; für die altpolnische Literatur vgl. Alina Nowicka-Jezowa: Piesni czasu smierci. Studium ζ historii duchowosci XVI-XVII wieku [Lieder der Zeit des Todes. Studie zur Geschichte der Geistlichkeit im 16. und 17. Jh.].- Lublin: TNK Uniwersytetu Lubelskiego 1992; Dorota Platt: Kazania pogrzebowe ζ przetomu XVI i XVII wieku. Ζ dziejow prozy staropolskiej [Leichenpredigten an der Wende vom 15. zum 16. Jh. Zur Geschichte der altpolnischen Prosa].- Wroclaw: Zaklad Narodowy im. Ossolinskich 1992; Maciej Wlodarski: Ars moriendi w literaturze polskiej XV i XVI w. [Ars moriendi in der polnischen Literatur des 15. und 16. Jhs.].- Krakow: Znak 1987; ders.: Obraz i slowo. Ο powiqzaniach w sztuce i literaturze XV-XVI wieku na przykladzie >ars moriendi< [Bild und Wort. Über die Verbindungen zwischen Kunst und Literatur des 15. und 16. Jhs. am Beispiel der >ars moriendi Allgemeinen Priestertums der Gläubigen < am Beispiel Schlesiens.- In: Historische Bildkunde. Probleme - Wege - Beispiele. Hrsg. von Brigitte Tolkemitt und Rainer Wolfeil.- Berlin: Duncker & Humblot 1991 (= Zeitschrift fur Historische Forschung; Beiheft 12), S. 135-164; ders.: >Ars moriendi< i >pompa funebris< na Sl^sku w dobie reformacji [>Ars moriendi< und >Pompa funebris< in Schlesien während der Reformationszeit].- In: Sl^ski Kwartalnik Historyczny Sobötka 45 (1990), S. 185-209; ders.: Tod. Begräbnis und Grabmal im Schlesien des 16. und 17. Jh.- In: Acta Poloniae Historica 65 (1992), S. 5-45. Eine Arbeit zur Grabplastik in Danziger Kirchen auf Grundlage von archivalischen Quellen findet sich bei Katarzyna Cieslak: Kosciöl - cmentarzem. Sztuka nagrobna w Gdansku (XV-XVIII w.). Dhigie trawanie epitafium [Die Kirche als Bestattungsort. Sepulchralkunst in Danzig (15.-18. Jh.). Die >longue duree< des Epitaphs].Gdansk: PAN, Instytut Sztuki 1992, vgl. besonders S. 107-113; dies.: Epitafia obrazowe w Gdansku (XV-XVII w.) [Bildepitaphien in Danzig (15.-17. Jh.)].Wroclaw: Zaklad Narodowy im. Ossolmskich 1993. Zum Grabporträt als Quelle zur Erforschung der Trauerkleidung vgl. Edmund Kizik: Ubiory zalobne w miescie hanzeatyckim w XVI-XVIII wieku [Die Trauerbekleidung in der frühneuzeitlichen Hansestadt vom 16.-18. Jh.].- In: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 44 (1996), S. 107-136. 8 Hanna Zaremska: Zywi wobec zmarlych. Brackie i cechowe pogrzeby w Krakowie w XIV - pierwszej polowie XVI w. [Die Lebenden und die Toten. Begräbnisse in den Zünften und Brüderschaften in Krakau vom 14. bis zur ersten Hälfte des 16. Jhs.].- In: Kwartalnik Historyczny 71 (1974), S. 733-749; dies.: Bractwa w sredniowiecznym Krakowie. Studium form spolecznych zycia religijnego [Brüderschaften im mittelalterlichen Krakau. Untersuchung der sozialen Formen religiösen Lebens].- Wroclaw: Zaklad Narodowy im. Ossolinskich 1977, S. 139-149.

Grabstätten im friihneuzeitlichen Danzig

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Viele Historiker sind mit wichtigen Arbeiten zur Thematik der Funeralkultur hervorgetreten, entscheidend scheint mir jedoch eines: an die vorhandenen paläographischen, epigraphischen, ikonographischen, musikalischen und materiellen Quellen müssen neue interdisziplinäre Fragen gestellt werden, will man zu Erkenntnissen hinsichtlich der Rolle und Funktion des Begräbnisses als einer massenhaften und alltäglichen Erscheinung im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit kommen. Viele der zweifellos sehr interessanten und verdienstvollen Arbeiten gehen das Thema von seiten der künstlerischen Darstellung an, die Tod und Begräbnis in der Kunst höherer gesellschaftlicher Schichten gefunden haben. Die Frage, wie das Begräbnis des > durchschnittlichen < Stadtbürgers oder Bauern ausgesehen haben mochte, findet dagegen seltener die Aufmerksamkeit der Forschung. Es fehlen vergleichende Studien zur Produktion von Massengrabsteinen, Grabschildern oder Sargzierat vom 16. bis ins 18. Jahrhundert und auch städtische Standardepitaphien sind erst seit kurzer Zeit Gegenstand von Untersuchungen. Wenn Kirchen und Museen ihnen überhaupt Aufmerksamkeit widmen, dann nur um die handwerkliche Kunstfertigkeit ihrer Schöpfer herauszustellen und ohne den Kontext zu berücksichtigen, in dem sie funktionierten. Allein die systematische Auswertung der vielen schriftlich überlieferten Quellen zum Thema erlaubt, das Begräbnis und damit verbundene Begleiterscheinungen wie Leichengestank oder über den Friedhof und seine unmittelbare Umgebung verstreute Gebeine als das zu erkennen, was sie waren: Bestandteile eines städtischen Alltags, der von der damaligen Bevölkerung für zu banal gehalten wurde, als daß darüber noch Zeugnis abgelegt werden mußte. Vielleicht wird es auf der Grundlage einer solchen Vorgehensweise möglich, daß vermeintlich Exzeptionelle und Spektakuläre der Totentanzdarstellungen neu zu verstehen: als ein weit verbreitetes, dekoratives Motiv für Friedhofsmauern, Grabkapellen oder Beinhäuser. Nicht ausgeschlossen, daß die Schaufensterdekorationen heutiger Beerdigungsinstitute künftige Forschergenerationen einmal zu kühnen Interpretationen verleiten könnten, weil es dann nämlich schwer scheint, hinter diesen, unter Umständen nur sporadisch überlieferten Quellen > normale < und weit verbreitete Rituale zu entdecken. Die Frage ist in beiden Fällen, ob wir es mit Zeugnissen zu tun haben, die einen realen psychischen Zustand widerspiegeln oder vielmehr eine Fiktion kreieren. Der folgende Beitrag setzt sich zum Ziel, das Problem städtischer Begräbnisse in kirchlichen Gebäuden am Beispiel ausgewählter Hansestädte zu umreißen. Die vorgestellten Ergebnisse sind Teil eines Forschungsprojektes, das die Funeralkultur in den Hansestädten vom 16. bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts rekonstruieren will. 9 9

Vgl. auch die Habilitationsschrift des Autors: Smierc w miescie hanzeatyckim w XVI-pocz. XIX w. Studium ζ nowozytnej kultury funeralnej [Der Tod in der

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Edmund

Kizik

A u s g a n g s p u n k t meiner U n t e r s u c h u n g e n sind D a n z i g e r Archivalien, die mit Materialien aus B r e m e n , H a m b u r g und G r e i f s w a l d v e r g l i c h e n werden. Ergänzend d a z u wird Literatur herangezogen, die den kulturellen Hintergrund der protestantischen Stadt des 16. bis 18. Jahrhunderts erhellen könnte. D e n i k o n o g r a p h i s c h e n und materiellen Q u e l l e n s o w i e der Kenntnis der b e s c h r i e b e n e n D e n k m ä l e r >in situ< wird dabei in m e i n e m Artikel der g l e i c h e Stellenwert w i e den archivalischen Q u e l l e n zugestanden. A l s Glücksumstand ist z u werten, daß in den letzten Jahren zahlreic h e Arbeiten entstanden, die s o w o h l der d e m o g r a p h i s c h e n E n t w i c k l u n g der Stadt D a n z i g als auch ihrer Sepulchralkunst s o w i e der i m U m f e l d der B e g r ä b n i s s e verfertigten Reden, Leichenpredigten und G e l e g e n h e i t s gedichte g e w i d m e t sind. 1 0 D a s B i n d e g l i e d z w i s c h e n d i e s e n e i n z e l n betrachteten P r o b l e m e n kann meiner M e i n u n g nach eine Untersuchung liefern, die d i e organisatorische Seite der Leichenbestattungen, die damit verbundenen K o s t e n s o w i e die tatsächlichen Haltungen und Reaktionen derjenigen berücksichtigt, d i e an den B e e r d i g u n g e n teilnahmen. A l s einen ersten Schritt a u f e i n e s o l c h e Untersuchung hin verstehe ich eine v e r g l e i c h e n d e Z u s a m m e n s c h a u und Interpretation des n o c h kaum bekannten e i n s c h l ä g i g e n D a n z i g e r Quellenmaterials. 1 1

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Hansestadt vom 16. bis zum Beginn des 19. Jhs. Studien zur neuzeitlichen Funeralkultur].- Gdansk: Wydawn. Uniwersytetu Gdariskiego 1998. Der Frage der literarischen Umrahmung des Todes in Danzig widmet sich Edmund Kotarski: Gdariska poezja okolicznosciowa XVII wieku [Danziger Gelegenheitsdichtung des 17. Jhs.].- Gdaήsk: Inst. Bahcki 1993, besonders S. 3 7 151 (>Gratulatoria i funeraliamarginesu mieszczanskiego< w Gdansku w polowie XVII wieku [Zur Problematik des Lebens der > städtischen Randschicht < in Danzig Mitte des 17. Jhs.].- In: Zapiski Historyczne 38 (1973), H. 4, S. 5 5 - 7 7 dies.: Wdowi skarb ζ roku 1566. Inwentarz ruchomosci Malgorzaty, wdowy po Tidemanie Feldstet [Ein Witwenschatz aus dem Jahre 1566. Inventar der beweglichen Güter von Margarethe, der Witwe von Tideman Feldstet].- In: Balticum. Studia ζ dziejöw polityki, gospodarki i kultury XII-XVII wieku, ofiarowane Marianowi Biskupowi w siedemdziesi^t^ rocznic? urodzin [Das Baltikum. Stu-

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Ein Blick auf die überlieferten demographischen Angaben und Eintragungen in den städtischen Kirchenbüchern erlaubt es, Vermutungen zur Häufigkeit von Beerdigungen in der Stadt anzustellen. Im 17. und 18. Jahrhundert fanden in Danzig jährlich über 2000 Bestattungen statt - Kriegs- und Pestjahre natürlich ausgenommen. Für die Jahre von 1701 bis 1800 sprechen die Quellen von 208.996 Bestattungen, was einen jährlichen Mittelwert von 2089 ergibt.12 Im nahen Elbing, einer Stadt von 15.000 Einwohnern, lagen diese Zahlen entsprechend darunter. Für das 18. Jahrhundert ist hier eine Zahl von durchschnittlich 560 Begräbnissen pro Jahr überliefert. Nach der Elbingschen Zeitung von Staatsund gelehrten Sachen von 1801 waren im gesamten 18. Jahrhundert in der Stadt 56.329 Personen verstorben.13 Bremen wurde im dritten Viertel des 17. Jahrhunderts auf ungefähr 23.500 Einwohner geschätzt. Zu dieser Zeit kamen etwa 38 Sterbefälle auf 1000 Bürger, d.h. 893 jährlich.14 Versucht man, diese Angaben auf den städtischen Alltag umzulegen, so müssen mit Ausnahme der Feiertage jeden Tag Leichenzüge zu den in Begräbnisordnungen genau festgelegten Stunden durch die Straßen der Hansestadt gezogen sein. Die Tätigkeiten, die mit der Vorbereitung eines städtischen Standardbegräbnisses in einer frühneuzeitlichen protestantischen Stadt einherdien zur politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Geschichte des 12. bis 17. Jhs., gewidmet Marian Biskup zum 70. Geburtstag], Hrsg. von Zenon Hubert Nowak.- Τοηιή: Tow. Naukowe w Toruniu 1992, S. 61-66; dies.: Tod und Begräbnis der Armen. Ein Beitrag zum Danziger Alltagsleben im 17. Jh.- In: Zeitschrift für Ostforschung 41 (1992), H. 3, S. 321-331. 12 Archiwum Panstwowe w Gdansku (Staatsarchiv Danzig, im folgenden AP Gdansk) 492/1637, S. 41; für die Jahre 1701-1800: Summarisches Verzeichniß der Geborenen und Verstorbenen in der Stadt Danzig und ihren Vorstädten, vom Jahre 1601 bis 1806. AP Gdaήsk: 300, R/Ll 96, S. 32-34; vgl. Jan Baszanowski: Przemiany demograficzne w Gdansku w latach 1601-1846 [Demographische Entwicklung Danzigs 1601-1846].- Gdansk: Wydawn. Uniwersytetu Gdanskiego 1995. 13 Vgl. die gedruckten Statistiken für Elbing im 17. Jh., AP Gdansk: 492/1637; Auszüge aus den Kirchenbüchern von St. Marien 1604-1730 und der Hl. Leichnamkirche 1662-1787, AP Gdansk: 492/42 bzw. 492/1637; siehe auch Edmund Kizik: Speculum mortalitatis. Pogrzeby w Elbl^gu w XVI-XVIII w. [Begräbnisse in Elbing im 16.-18. Jh.].- In: Ksi^ga Pamiqtkowa. 750-lecia nadania Elbl^gowi prawa lubeckiego [Gedenkbuch. 750. Jubiläum der Verleihung des Lübecker Rechts an Elbing], Hrsg. von Andrzej Groth.- Gdansk: Marpress 1996, S. 157-178. 14 Klaus Schwarz: Die stadtbremischen Kirchhöfe von der Reformation bis zur Franzosenzeit (1813). Topographische Situation und Bestattungsüberlieferung.In: Bremisches Jahrbuch 58 (1980), S. 23-63, hier S. 55ff.; siehe auch Arthur E. Imhof: Demographische Aspekte des frühneuzeitlichen Städtewesens.- In: Europäische Städte im Zeitalter des Barock. Gestalt - Kultur - Sozialgefüge. Hrsg. von Kersten Krüger.- Köln, Wien: Böhlau 1988, S. 57-92.

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Edmund Kizik

gingen, mußten laut Verordnung innerhalb von drei bis fünf Tagen nach dem Tod abgeschlossen sein. Ebensoviel Zeit blieb der Familie (oder den Erben des Verstorbenen), eine Reihe von privaten Personen und Institutionen durch einen speziellen Boten, den Leichenbitter, vom Todesfall in Kenntnis zu setzen und zur Teilnahme am Begräbnis aufzufordern, so z.B. die Verwandten in Trauerkleidung, den Sargtischler, den Schneider, den Prediger, den Totengräber, die Leichenwäscherinnen und Totenwächterinnen, die Zunftmitglieder, die dem verstorbenen Zunftgenossen das letzte Geleit geben sollten, den Glöckner und die dem Kirchensprengel zugehörigen Bettler. Aus den schriftlichen Nachlässen der Danziger Vizebürgermeister ist zu ersehen, daß verstorbenen Stadtarmen mehr Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet wurde, als sie zu Lebzeiten erfahren hatten. Die Begräbnisse der städtischen Armen wurden mit einiger Würde vollzogen: die Leichen wurden gewaschen, angezogen, in einen billigen Sarg gelegt, der oft mit einem Namensschild versehen wurde, und unter Glockengeläut auf den Friedhof gebracht. Hinterließ ein Armer keine Verwandten, die für anfallende Kosten aufkommen konnten, so wurde sein Hab und Gut von städtischen Beamten geschätzt und anschließend öffentlich versteigert, so daß seine Schulden und die Begräbniskosten gedeckt werden konnten. In den Quellen heißt es etwa: »Schulden, die das Sterbhaus zahlen soll«. In den Nachlaßinventaren der Danziger Stadtarmut stoßen wir immer wieder auf ähnliche Formulierungen: »An Manns Kleyder: Keiner vorhanden, nur so er aufm Leibe hat, dieser hat schwarzen färben laßen. Frauen Kleyder sind verkaufft und den Begräbniß zu hülff gekommen« (Matthis Ihlenberg, verstorben am 10. April 1690). 15 Obwohl Ihlenberg Schulden hinterlassen hatte, wurde sein Leichnam gewaschen, in einen am Hals zuzubindenden >Totenkittel < gekleidet und in einem Sarg bestattet. Ebenso verfuhr man mit dem Leichnam eines polnischen Knechts namens Mikolaj, dessen alte und abgetragene Kleidungsstücke, »1 Alt blau Futterhemde, 1 Blauer dito polnischer Rock, 2 Paar Strümpfe sehr alt, 1 Alte Fuchsmütze«, nicht einmal geschätzt wurden. Er wurde auf dem Heiliggeistfriedhof in einem Sarg mit bescheidenem Kranz bestattet. 16 Im 18. Jahrhundert gab es in Danzig wenigstens 21 kirchliche Institutionen, die Begräbnisse durchführen konnten. Die Stadt selbst hatte, außer für die Stadtarmut, auch für die sterblichen Überreste von Personen zu sorgen, die ihr Recht auf ein ehrenvolles Begräbnis verwirkt hatten. Dazu gehörten Selbstmörder oder > unehrliche < Personen, die sich Ver15 16

AP Gdansk: 300, 5/765, S. 79. Ebd., S. 3 - 5 (1689); zur Bestattung Armer auf Stadtkosten vgl. AP Gdansk: 300, 5/766, S. 79 (1690). Auf die archivalischen Hinterlassenschaften der Danziger Vizebürgermeister verweist Bogucka: Tod und Begräbnis der Armen (Anm. 11).

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Stöße gegen Moral und Religion hatten zuschulden kommen lassen und die damit aus der städtischen Gemeinschaft ausgeschlossen worden waren. Sie wurden im besten Fall nach Einbruch der Dunkelheit an der Friedhofsmauer begraben, meistens aber einfach irgendwo verscharrt. 17 Die Leichname von Verbrechern, zumal wenn es sich um Nichtbürgern und Fremden handelte, wurden für gewöhnlich dort zurückgelassen oder verscharrt, w o sie hingerichtet worden waren. Die Mehrzahl der Danziger Stadtbewohner fand während des gesamten Mittelalters und der Neuzeit auf den offenen Kirch- und Friedhöfen ihre letzte Ruhestätte. Sie wurden ähnlich w i e die Einwohner anderer Städte dort begraben, w o sie gelebt und gewohnt hatten, d.h. auf den innerhalb der Grenzen ihrer Stadt liegenden Friedhöfen. Eine Bestattung außerhalb der Stadtmauern hätte eine symbolische Verbannung und Aberkennung der städtischen Rechte bedeutet und kam für einen Stadtbürger, der sich nichts hatte zuschulden kommen lassen, nicht in Frage. 17

Eine Begräbniszeremonie wurde Personen vorenthalten, die bewußt sündigten und keinerlei Reue zeigten. Eine Thorner Ordination von 1575 spezifiziert, daß diejenigen, die »sich [...] selbst beleidigen und erstechen, erhenken, erdrücken oder sonsten verzweifeln und in ihren Sünden ohne busse sterben und verderben, werden zugleich durch geistliche und weltliche rechte von christlicher begräbniss ausgeschlossen [...]. Drum sie auch weder von kirchendienem, schuldiener noch Schülern sollen begleiten werden«, vgl.: Die evangelischen Kirchenordnungen. Hrsg. von Emil Sehling. Bd. IV: Das Herzogthum Preußen, Polen. Die ehemals polnischen Landestheile des Königreichs Preußen. Das Herzogthum Pommern.- Leipzig: Reisland 1911, S. 243, siehe auch S. 244246. Die Familien von Verbrechern und Selbstmördern (>casus OpheliaeGrabplatte< und >Epitaph< noch immer keine endgültige Klarheit; vgl. Anneliese Seeliger-Zeiss: Grabstein oder Grabplatte? - Anfragen zur Terminologie des Mittelalterlichen Grabmals.- In: Epigraphik 1988. Fachtagung für Mittelalterliche und Neuzeitliche Epigraphik. Graz 10.-14. Mai 1988. Hrsg. von Walter Koch.- Wien: Österr. Akademie der Wissenschaften 1990 (= Denkschriften - Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse; 213, und zugl. Veröffentlichungen der Kommission für die Herausgabe der Inschriften des deutschen Mittelalters; 2), S. 283-291, insbes. S. 290; Gerhard Schmidt: Zur terminologischen Unterscheidung mittelalterlicher Grabmaltypen.- In: ebd., S. 293-304; Fidel Rädle: Epitaphium - zur Geschichte des Begriffs.- In: ebd., S. 305-310; Eberhard J. Nikitsch: Gedanken zu >Grabstein oder Grabplatte?B einbrechen, der Tieren den Zutritt auf den Friedhof verwehren sollte. Hans Knoblocher (?), Totentanz um 1500.

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Abb. 2 Freistehendes Beinhaus in Biesterfelde (poln. Bystrze) im Weichselwerder (Ende 15. Jh., ohne originale Bedachung). Foto: Edmund Kizik (Sommer 1995).

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Abb. 3 Beinhaus an der Kirche zu Lissau (poln. Lisewo Malborskie) bei Dirschau (Tczew) (verm. 14./15. Jh.). Foto: Edmund Kizik (Sommer 1995).

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Abb. 4 Titelseite: Capellen Buch des erbahren Hauptgewercks der Fast-Becker in der Johannis Kirchen. Welche Anno 1712 auff die helffte gereiniget und renoviret worden (Danzig 1712). Archiwum Panstwowe Gdansk (300. C/1450).

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Abb. 5 Abzeichnung einer Grabplatte von 1742 aus der Elisabethkirche in Danzig mit zeitgenössischem Kommentar: Ao 1739. den 18. Martii ist dieses Grab, welches recht vor der großen Thüre, neben der Kanzel lieget, ohne den darauf befindlichen und mit No 12. bezeichneten Stein, an S. Robert Reid von der Kirche verkauft worden für f . 90. Ao 1743. den 3 Januarii ist obenstehender neuer, mit No 27. bezeichneter Stein darauf geleget, der Stein No 12 aber ist auf das Grab No 24. gerücket worden, um solchen noch einige Zeit lang in Bewahrung zu halten, falls etwan von dem seel. Geert Schmidt [des Vorbesitzers, E.K.] sich noch Erben fanden. Archiwum Panstwowe Gdansk (351/17, f . 29).

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Abb. 6 Mehrmals benutzte mittelalterliche Grabplatte mit den Siglen F.[ür] S.fichJ U.[nd] S.feine] E.[rben], Marienkirche Rostock. Die früheren Inschriften waren abgeschliffen, ausgehauen oder schließlich auch nur noch durchgestrichen worden. Foto: Edmund Kizik (Sommer 1995).

Zdzislaw Kropidlowski

Selbsthilfe und Armenfürsorge in Danzig, Thorn und Elbing vom 16. bis zum 18. Jahrhundert

Die Forderung nach gegenseitiger Hilfe unter allen Einwohnern findet sich schon in den Statuten der norditalienischen Städte des 11. Jahrhunderts, in denen die mittelalterlichen und neuzeitlichen Vorbilder für die städtische Organisation entstanden - und ebenso später in Danzig und in anderen preußischen Städten.1 In jener Zeit verstanden sich die Städte als Gemeinschaften freier Menschen. Diese Freiheit aber galt es zu verteidigen - sowohl gegen Feinde, die mit militärischen Mitteln die Stadt von außen bedrohten, als auch gegen die nachbarschaftliche Konkurrenz und nicht zuletzt gegen die eigene moralische Schwäche. Daher rührte das unter den Stadtbewohnern allgemein verbreitete Verlangen nach gegenseitiger Hilfe, das sich in zweifacher Hinsicht ausdrückte: Selbstund Spendenhilfe. Die größte Bürgergruppe (60-70 %), vor allem der sogenannte Pöbel und der etwas wohlhabendere Teil der sich in Korporationen versammelnden Plebs, übte sich in Selbsthilfe. Hierunter verstehe ich das System der sozialen Fürsorge, bei dem ein Fond durch die Einzahlungen der registrierten Mitglieder der Gemeinschaft eingerichtet wird. In Jahren des Wohlstands wurde den Statuten entsprechend in diesen Fond eingezahlt, der von gewählten Vertretern verwaltet und vermehrt wurde, um in spezifischen, zuvor festgelegten Situationen den bedürftigen Mitgliedern Hilfe leisten zu können. Mit der materiellen war auch eine geistige Unterstützung verbunden, wozu u.a. Besuche oder die Zuerkennung eines zusätzlichen Gesellen gehörten. Zwar mußte in einigen Organisationen die Unterstützung beantragt werden, in den meisten Fällen aber waren die Ältesten und die Beauftragten dazu verpflichtet, sich um die vom Tod des Vaters, von Unglück oder von Krankheit betroffenen Familien zu kümmern. Die Selbsthilfe war also auch auf die jeweiligen Familienangehörigen bezogen. 2 Sie bewahrte davor, ins Elend zu 1

Christopher Dawson: Formowanie si? chrzescijanstwa [Formen des Christentums], 2. Aufl.- Warszawa: >Pax< 1987, S. 174. 2 Zdzislaw Kropidlowski: Samopomoc w korporacjach rzemieslniczych Gdaiiska, Torunia i Elbl^ga (XIV-XVIII w.) [Selbsthilfe in den Handwerks-Korporationen in Danzig, Thorn und Elbing (14.-18. Jh.)].- Gdansk: Gdadskie Tow. Naukowe 1997, S. 5f.; Bronislaw Geremek: Litosc i szubienica. Dzieje n?dzy i

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geraten und auf Spendenhilfe angewiesen zu sein. Damit ist die religiös motivierte Unterstützung von Personen gemeint, die nicht der Familie angehörten: von Fremden, Armen, Krüppeln, Bettlern, Landstreichern, Lohnarbeitern, also all derer, die ihren Lebensunterhalt nicht verdienen wollten oder konnten. Durch die Spendenhilfe wurde der Bittende entweder direkt unterstützt, oder die Gaben wurden geistlichen Personen zur Verfugung gestellt, die diese an Bedürftige verteilten. Zur Spende waren alle Gläubigen aufgerufen, wobei die Bedürftigkeit bis zum 16. Jahrhundert gar nicht überprüft wurde. 3 Am stärksten bildete sich die Selbsthilfe in den handwerklichen Korporationen heraus, weshalb ich mich an dieser Stelle mit deren Wesen beschäftigen werde. Dank der Vermittlung der Kirche breitete sich das Korporationswesen seit der römischen Antike in verschiedensten Organisationen aus, und auch heute noch bildet es eine der drei Voraussetzungen des gesellschaftlichen Lebens. Hier soll es um die Korporationen bis zum Zeitpunkt der Teilung Polens gehen, da diese reicher als die Zünfte waren, die erst im 19. Jahrhundert wieder erstarkten. 4 Korporationen waren Gemeinschaften mit dem Status einer juristischen Person. Zu ihren Aufgaben gehörten die Berufsbildung der Nachfolger im System Lehrling-Geselle-Meister, die Erziehung, die Vermittlung der berufsständischen Ethik und der städtischen Sitten, die Ableistung der von der Gemeinde bestimmten Militär- und der von der Kirche festgelegten Religionspflichten sowie die Wahrung der gesellschaftlichen Sitten und eben auch die Selbsthilfe. 5 Sie beschäftigten sich mit der Produktion von Waren, Dienstleistungen und innerstädtischem Handel und stellten somit die Versorgung der städtischen Gemeinde sicher. 6 Der Rat leitete das wirtschaftliche, das gesellschaftliche und seit der Reformation auch das religiöse Leben der Stadt. Er war für die Organisation der Arbeit zuständig, die sich auf hierarchischen Strukturen und die kirchliche Soziallehre gründete. Denn die Kirche schrieb sowohl den Handwerkern als auch den anderen Stadtbewohnern ein System von Verhaltensregeln, also die Berufsethik, vor. Das Ziel der Korporationsordnung war demnach nicht allein, die Versorgung der Stadt zu gewähr-

mitosierdzia [Erbarmen und Galgen. Eine Geschichte des Elends und der Barmherzigkeit].- Warszawa: Czytelnik 1989, S. 5 - 8 9 . 3 Zdzislaw Kropidtowski: Korporacja, bractwo czy cech? Ζ dziejöw nauki spoiecznej Kosciola [Korporation, Brüderschaft oder Zunft? Zur Geschichte der kirchlichen Gesellschaften].- In: Zeszyty Naukowe Katolickiego Uniwers. Lubelskiego 39 (1996), Nr. 1 - 2 , S. 124f. 4 Kropidlowski: Samopomoc w korporacjach (Anm. 2), S. 106-120. 5 Ebd., S. 4 9 - 5 5 . 6 Karol Görski: Uströj korporacyjny w Polsce sredniowiecznej [Die Struktur der Korporationen im mittelalterlichen Polen].- In: Przegl^d Powszechny 199 (1933), S. 94f.

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leisten, sondern auch, jedem Mitglied ein würdiges Leben und die Entwicklung seiner Persönlichkeit zu ermöglichen. 7 Die korporative Organisation sollte den Menschen - Konsumenten und Produzenten - dienen, nicht nur der Produktion oder dem Profit der Werkstattbesitzer. Bereits seit dem Mittelalter propagierte die Kirche die Tugenden der Berufsarbeit wie die Bekämpfung von Müßiggang, die Disziplinierung des Körpers, die Sicherung der materiellen Bedürfnisse und das Sammeln von Mitteln für die Spendenhilfe. 8 Unter Berufung auf das Alte Testament empfahl Thomas von Aquin die auf Kleineigentum wie das Handwerk gestützte Gesellschaftsordnung. Der gerechte Lohn sollte die Entwicklung der Persönlichkeit fördern. Selbst im Falle der Gesellen hatte er für Unterhalt, Vergnügen und bestimmte Ersparnisse auszureichen. Gleichfalls seit dem Mittelalter sorgten die Korporationen dafür, daß sich auch die Meister auf der ihnen entsprechenden Ebene erhalten konnte. 9 Die Korporation erzeugte also ein gesellschaftliches Umfeld, das ein friedliches Zusammenleben der Menschen in der Stadt ermöglichte. Sie umfaßte meist einige Dutzend Personen, die aufgrund ihres gemeinsamen Berufs in nebeneinanderliegenden Werkstätten arbeiteten; diese verteidigten gemeinsam einen Abschnitt der Stadtmauer, trafen sich in der gleichen Kirche oder Kapelle und nach dem Gottesdienst in ihrem Wirtshaus und setzten ihre Toten in einer Gruft bei. All dies schuf eine Einheit des gesellschaftlichen Lebens, in der alle miteinander verbunden waren und sich im Unglück, in materieller Not oder im sittlichen Verfall gegenseitig Hilfe leisteten. Zwei Formen der korporativen Tätigkeit verselbständigten sich, so daß sich zusätzliche Ämter herausbildeten. Es waren dies zunächst die mittelalterlichen Religionsbrüderschaften überkorporativen Charakters, die mit Unterstützung von Geistlichen an den Kirchen gegründet wurden. In den preußischen Städten verschwanden sie nach Einführung der Reformation, sogar unter der katholischen Bevölkerung. 10 Wohl unter dem Einfluß der protestantischen Ethik rückte an ihre Stelle die Selbsthilfe, die sich zum einen als Weiterentwicklung der Selbsthilfeaufgaben im Rahmen der gemeinsamen korporativen Kasse äußerte, 11 zum ande7

Guy Bedouelle: Kosciöi w dziejach [Die Kirche in der Geschichte].- Poznan: Pallottinum 1994, S. 194f.; Czestaw Strzeszewski: Obowi^zki pracy ludzkiej w filozofü spotecznej sw. Tomasza ζ Akwinu [Die Pflicht des Menschen zu arbeiten in der Gesellschaftsphilosophie des Hl. Thomas von Aquin].- In: Roczniki Filozoficzne 11 (1963) Nr. 2, S. 33. 'Ebd., S. 3 6 - 3 9 . 9 Kropidlowski: Korporacja (Anm. 3), S. 123. 10 Kropidlowski: Samopomoc w korporacjach (Anm. 2), S. 135-147. 11 Edmund Kizik: Speculum mortalitatis. Pogrzeby w Elbl^gu w XVI-XVIII w. [Bestattungen in Elbing im 16.-18. Jh.].- In: Ksifga Pami^tkowa. 750-lecia nadania Elbl^gowi prawa lubeckiego [Gedenkbuch. 750. Jubiläum der Verleihung

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ren auf der Bildung neuer unabhängiger Kassen zur Selbsthilfe beruhte. Hierzu zählten die Armenkasse, die Witwen- und Waisenkasse, die Gesellen- und die Begräbniskasse. Sie blieben aber innerhalb der Korporationsgrenzen und bildeten nicht etwa Versicherungsformen, die damals in Westeuropa bereits gegründet wurden. 12 Die mittelalterlichen Korporationsstatuten erwähnen die Selbsthilfe nur gelegentlich. In manchen Artikeln wird sie recht allgemein behandelt, z.B. heißt es im Statut der Elbinger Schmiedekorporation aus dem Jahre 1399, einer solle dem anderen - bei Buße von einem Viertel Faß Bier - in der Not helfen. 13 In anderen Artikeln werden konkrete Fälle wie Krankheit, Armut, Beerdigung, Witwen- und Waisenstand, Flut und Feuer benannt. Später wurden noch weitere hinzugefügt: Seuchen, Verlust des guten Rufes, Schlägereien im Wirtshaus, Stadtverteidigung, Produktion, Dingung der Gesellen usw. 14 Mit der materiellen Hilfe verband man auch eine religiöse Unterstützung, auf daß Sorgen und Unglück den Mitbruder nicht in Verzweiflung brächten, er seinen Glauben nicht verlöre und der Versuchung des Satans nicht erliege. Die damit einhergehenden Pflichten erfüllten die Ältesten und die Schreiber der Korporation. Diese Art der Hilfeleistung bestand bis zur Teilung Polens. Sie betraf vor allem die Gesellenkorporationen, die keine zusätzlichen Kassen, auch nicht für Begräbnisse, gründen durften. 15 Die Notwendigkeit zur Selbsthilfe war sicherlich ein wichtiger Grund für die Ausdifferenzierung der Korporationen nach Meistern, Gesellen und Lehrlingen und für die Selbständigkeit der Organisationen. Bereits 1365 bestand in Danzig eine Körperschaft der Mühljungen. Im 15. Jahrhundert wuchs dann die Anzahl der Gesellenkorporationen. Es haben sich Unterlagen der Schmiede, Schuhmacher, Täschner, Leinweber und Kornbrotbäcker erhalten. Im 16. Jahrhundert entstanden die Gesellenorganisationen der Kürschner, Weißgerber und Goldschmiede, der Weißbrotbäcker, Stellmacher und Böttcher, der Eimermacher, Nagelschmiede, Waffenschmiede und Büchsenmacher, der Messerschmiede, Zimmerer, Drechsler und Seildreher, Glaser und Gerber. 16 Die Blüte

des Lübeckischen Rechts an Elbing]. Hrsg. von Andrzej Groth.- Gdansk: Marpress 1996, S. 157-178, hier S. 177. 12 Archiwum Panstwowe w Gdansku (Staatsarchiv Danzig, im folgenden AP Gdahsk): 492/805, S. 20. 13 Kropidtowski: Samopomoc w korporacjach (Anm. 2), S. 135-147. 14 Ebd., S. 114-117. "Maria Bogucka: Gdansk jako osrodek produkcyjny w XIV-XVII w. [Danzig als Produktionszentrum im 14.-17. Jh.].- Warszawa: Instytut Historii PAN 1962, S. 355. 16 Jerzy Trzoska: >Wolni< mistrzowie cechöw piekarskich w Gdansku [Die Freiheit des Meisters der Bäckerzunft in Danzig].- In: Rocznik Gdanski 37 (1977), S. 100.

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der Gesellenorganisationen ist sicherlich auf die wirtschaftliche Krise, die die Stadt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ereilte, zurückzufuhren. Das Prinzip der Gleichberechtigung aller Zünftler brach zusammen und es kam zur gesellschaftlichen Aufspaltung: zum zunehmenden Reichtum der einen und zur Verarmung der anderen Meister. Die mittelalterlichen Gesellen, die die Meisterwürde anstrebten, wurden überwiegend zu lebenslänglichen Lohnarbeitern. Aufgrund von Änderungen des Konsumverhaltens und außerkorporativer Produzenten, der sogenannten Pfuscher, Hudeler und > freien Meister bete und arbeite! < geleiteten >homo religiosus< zur Herausbildung eines neuen Menschentyps, des vom Geist der Reformation geprägten >homo oeconomicusTränengeldwichtiger Geschäfte< wegen nicht erledigen konnte. 31 Zu den Selbsthilfeformen ist auch das Ausschlußverbot verarmter Korporationsmitglieder, vor allem der Gesellen, zu zählen: Niemand durfte einen anderen aus dem Haus jagen - bei einem Faß Bier Buße. 32 Auch halfen die Organisationen ihren Mitgliedern bei der Wiederherstellung ihres guten Rufs. Schon im ältesten Elbinger Statut aus dem Jahr 1334 heißt es, daß wenn ein Bruder zehn Jahre und einen Tag in der Gilde gewesen ist und ein anderer Bruder will ihn einer schändlichen Tat anklagen, dann sollen sich die Brüder mit ganzer Kraft widersetzen und dies nicht zulassen. 33 Gelegentlich mieteten die Korporationen in Krankenhäusern, häufiger aber in Wirtshäusern ein Bett bzw. einen Saal für ihre Mitglieder und bezahlten die entsprechenden Dienste. 34 Hilfe beim Abbüßen einer Strafe oder die Fürbitte für einen Verurteilten waren verboten und wurden mit gleicher Strafe geahndet. 35 Im Mittelalter blühten die Wohltätigkeitswerke; man unterstützte jeden Bittenden ohne Prüfung seiner tatsächlichen materiellen Lage und seiner Möglichkeiten, selbst für den Unterhalt zu sorgen. Dieser Praxis lag die wortwörtliche Interpretation des Evangeliums im Sinne der Behandlung eines armen Menschen als > anderen Christus < und eine idealisierten Auffassung von Armut in der mittelalterlichen Kirche zugrunde. 36 Sie änderte sich seit dem 16. Jahrhundert, als die steigende Anzahl

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Zdzistaw Kropidlowski: Realizacja miiosierdzia chrzescijanskiego w dzialalnosci kas samopomocowych cechow gdaήskich (XVI-XVIII w.) [Die Realisierung christlicher Barmherzigkeit durch die Selbsthilfekasse der Danziger Innungen (16.-18. Jh.)].- In: Studia Gdanskie 8 (1992), S. 145; AP Gdaήsk: 300, C/487, S. 19-21. Herbst: Torunskie cechy (Anm. 24), S. 49. AP Gdarisk: 426/la, Art. 25. AP Gdaüsk: 492/805, S. 20 - Statut der Elbinger Schmiede aus dem Jahr 1399. AP Gdansk: 492/805, S. 6, Art. (16). Z.B. die Gesellenkorporation der Eimermacher - AP Gdaiisk: 300, C/1766, 1770, 1772. AP Gdahsk: 492/805, S. 162 - Statut der Metzgeraus dem Jahr 1453. Kropidlowski: Formy opieki (Anm. 17), S. 6.

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der Bedürftigen sowie der häufigere Mißbrauch durch Schnorrer, Berufsbettler und Faulenzer eine Reform notwendig machten. Die Nachteile eines von Mildtätigkeit geleiteten Umgangs mit sozialen Problemen bemerkte man seitens der katholischen Kirche zwar bereits im 15. Jahrhundert, doch erst das Auftreten Martin Luthers und die Reformation führten zu neuen Betrachtungsmöglichkeiten. Die Protestanten führten als Novum eine Begrenzung der Hilfe ein: Nur die in der Stadtgemeinde bekannten Mitglieder und Armen, die unter ständiger Kontrolle ihres Besitzstandes und ihres moralischen und religiösen Lebens standen und zudem in ein oder zwei Stadtregistern eingetragen waren, konnten Hilfe erwarten. Bedürftigen Fremden und Landstreichern dagegen wurde der Zutritt zur Stadt verweigert. Wer wiederholt beim Betteln ertappt wurden, hatte körperliche Strafen zu erwarten, wie das Rollen im Faß oder das Wälzen in Teer und Federn, was die aufdringlichen Bettler lächerlich machte und demütigte. Schmerzhafter waren Brandmarkung sowie Pranger- und Gefängnisstrafen. Während einer Seuche drohte bei Verletzung des Verbots sogar die Todesstrafe. Im folgenden soll die vorbildliche soziale Fürsorge Danzigs beispielhaft vorgestellt werden. 37 Hier engagierten sich nicht nur die Ausschüsse des städtischen Rates und seine Beamten, sondern auch Einzelpersonen, die sich mit Organisationsvorschlägen an die Verwaltung oder mit direkten Hilfeleistungen an die Armen wandten. 38 Lediglich in Hospitälern kam es während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu Mißbräuchen, die später in Polen wie andernorts zum Verfall der Hospitalanstalten führten. In Danzig dagegen veranlaßten sie den Rat dazu, sich unmittelbar mit den Problemen der Armen auseinanderzusetzen. Dies äußerte sich in Ordnungen und Edikten, der Aufsicht einiger Ratsherren über die Stadthospitäler, der Gründung eines Vorratsamtes und der Unterstützung der privaten Wohltätigkeit. 39 So wurde das Amt für Sozialfürsorge geschaffen, dessen Aufgabe die Sorge um Danziger Hausarme, erkrankte Bedürftige, arme Kinder und Waisen war - und zwar durchaus erfolgreich. Aus mehreren offiziellen Dokumenten geht hervor, daß kein Stadteinwohner mehr hungerte, keinem ein Dach über dem Kopf fehlte und niemand zusätzliche Unterstützung beziehen mußte. 40 Ähnliche Einrichtungen wurden im übrigen Polen erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gegründet, zunächst in Warszawa (Warschau) und dann in der gesamten Republik. 41 37 38 39 40 41

Ebd., S. 166. Ebd., S. 161-165. Ebd., S. 166. AP Gdansk: 300, R/Q 17, S. 90. Zofia Podgörska-Klawe: Od hospicjum do wspotczesnego szpitala [Vom Hospiz zum modernen Spital].- Wroclaw: Zakfad Narodowy im. Ossolinskich 1981, S. 52f.

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Ein zentrales Element der Fürsorge waren die Hospitäler, die sich bereits im 17. Jahrhundert zu spezialisieren begannen. Bewahrten die einen ihre Asylform, wurden die anderen auf Heilzwecke abgestimmt. Die erhaltenen Instruktionen des Danziger Rates zeugen von der Zweckmäßigkeit dieses Konzepts. In den Hospitälern wurde endgültig eine medizinische Hilfe für die Danziger Hausarmen geschaffen, zugleich erfolgte die Aufteilung in einzelne Bezirke. Obgleich nur ein einzelner Bericht eines Lazarettmedikus entdeckt wurde, kann auf eine stattliche Anzahl ärztlicher Beratungen und ausgegebener Arzneimittel geschlossen werden. Die ärztlichen Beratungsleistungen galten grundsätzlich allen Berechtigten. 42 Die Pflichten der Spendensammler und der Bettelvögte zeigen aber auch, daß nicht nur diejenigen Hilfen erhielten, die darum baten, sondern Hilfe auch den Schwerkranken in ihren Häusern zuteil wurde. 43 Das Danziger Lazarett kann als das erste allgemeine Krankenhaus in Polen betrachtet werden, in Warszawa entwickelte sich eine solche Einrichtung erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts. 44 Der Beginn der Krankenhaustätigkeit fallt in das Jahr 1500, als der Rat die Stelle eines Arztes im Pockenhaus ausschrieb. Ein Absolvent der Universität in Ferrara, Wilhelm von Angern, nahm die Stelle ein.45 Zu erwähnen ist außerdem, daß in Danzig bereits Mitte des 16. Jahrhunderts eine Anstalt für Geisteskranke existierte. In Krakow (Krakau) gründete man eine solche Anstalt erst im Jahre 1688; sie galt bisher als ältestes Hospital dieser Art auf polnischem Boden. In Warszawa entstand eine derartige Einrichtung erst im Jahre 1796.46 Nur unzureichend erforscht sind die Danziger Hospitalstiftungen; zumeist werden lediglich acht erwähnt, womit Danzig auf dem vierten Rang in Polen läge.47 Tatsächlich aber sind in der Stadt bis zum Ende des 17. Jahrhunderts 20, und bis zur Teilung Polens sogar 23 kürzer oder länger bestehende Hospitalstiftungen zu verzeichnen - ausschließlich der vorläufigen Epidemieanstalten. 48

42

43

Zdzislaw Kropidtowski: Rozwoj sieci szpitalnej w Gdadsku do 1793 r. [Die Entwicklung des Danziger Spitalnetzes bis 1793]- In: Miscellanea IuridicoHistorica Gedanensia.- Koszalin: Polskie Tow. Nautologiczne 1987, S. 151174; ders.: Formy opieki (Anm. 17), S. 76-109; AP Gdansk: 300 87/2. AP Gdansk: 300. 93/52, S. 212; Kropidtowski: Formy opieki (Anm. 17), S. 5 6 60.

44 45

46 47

48

Podgorska-Klawe: Od hospicjum (Anm. 41), S. 18f. Paul Simson: Geschichte der Stadt Danzig. Bd. I.- Danzig: Kafemann 1900, S. 384. Podgorska-Klawe: Od hospicjum (Anm. 41), S. 44f. Jan Kracik und Micha! Rozek: Hultaje, ztoczeiicy, wszetecznice w dawnym Krakowie. Ο marginesie spolecznym XVI-XVIII w. [Halunken, Verbrecher, Unzüchtige im alten Krakau. Zu den Randgruppen des 16.-18. Jhs.]- Krakow: Wydawn. Literackie 1986, S. 123. Kropidtowski: Formy opieki (Anm. 17), S. 87f., Tab. 2.

Selbsthilfe und Armenfürsorge

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Zu erwähnen sind zudem die Errungenschaften auf dem Gebiet der Kinderfursorge. Das Kinderhaus und das Waisenhaus, die Pauperschulen und die sogenannten Freischulen sowie das Zuchthaus dienten jeweils entsprechend ihrer Spezialisierung - der Aufnahme von Säuglingen, Findelkindern, Waisen und jungen Vagabunden. Die Danziger erhielten fur diejenigen Kinder, die das Kinder-, Waisen- oder Zuchthaus verließen, königliche Privilegien, da sie den Zöglingen dieser Anstalten volle soziale Rechte zuerkannten, von denen als wichtigstes die Gleichberechtigung ehelicher und unehelicher Kinder zu nennen ist.49 Hervorzuheben ist, daß die Stadt Ende des 18. Jahrhunderts eine neuartige Fürsorgeform für Waisenkinder entwickelte, bei der die Kinder in Pflegefamilien untergebracht wurden. 50 Das Pauperschulwesen durchlebte gute und weniger gute Zeiten. Von der Zeit der Verordnung aus dem Jahre 1551 an bis zum Ende des Jahrhunderts saßen Söhne von Patriziern und Bettler nebeneinander in den Schulbänken. Die reichste Stadt in Polen verstand sich zumindest zeitweise dazu, die Kinder der Reichen und der Hausarmen gleichberechtigt zu behandeln. Um dies zu ermöglichen, erhielten die armen Kinder materielle Zuwendungen wie Schulutensilien und Anzüge. Außerdem wurde die allgemeine Schulpflicht eingeführt, für dessen Einhaltung die Eltern bei Strafandrohung verantwortlich waren. 51 Den begabtesten unter den armen Schülern erkannte man Stipendien zur Weiterführung des Studiums am Danziger Gymnasium und auf ausländischen Universitäten zu. Weniger Begabten bot man die Möglichkeit, eine Handwerkslehre zu absolvieren. 52 Eine Angleichung der Rechte im Bereich des Schulwesens war aufgrund der negativen Einstellung der reichen zu den armen Schülern aber nur schwer realisierbar, zumal letztere sich eher für einen praktischen Beruf als für eine theoretisch orientierte Ausbildung interessierten. Deshalb wurde ein Zuchthaus gegründet, eine Einrichtung, die bis dahin als Strafanstalt zur Zwangsarbeit galt. Obwohl es sich um eine geschlossene Institution handelte, verließ die Jugend diese nach dem Erreichen des Reifealters, vorbereitet auf die selbständige Berufsausübung als Weber. Dank der Bemühungen der Stadtverwaltung erhielt die Anstalt die gleichen Privilegien von Seiten der polnischen Könige wie das Kinderhaus. Die Danziger Idee der Erziehung durch Arbeit und Aufsicht wurde im 49 50

51

52

Ebd., S. 125. Ebd., S. 125; Biblioteka Gdanska Polskiej Akademii Nauk (Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Danzig), 1 - 8 in: Od. 12 873, 2, Bll. 2f. Hermann Freytag: Zwei Danziger Armenverordnungen des sechzehnten Jahrhunderts.- In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 39 (1899), S. 102-109. Kropidlowski: Formy opieki (Anm. 17), S. 141 und 162; AP Gdansk: 300 R/LI, 96, S. 171.

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folgenden Jahrhundert von Königsberg, Warszawa und Vilnius übernommen. 53 Eine Übergangsform zwischen der Idee der Ordnung aus dem Jahre 1551 und dem Zuchthaus stellten die sogenannten Freischulen dar. Das Niveau dieser Schulen war höher als das in den Armenschulen; das Programm sah das Erlernen praktischer Fächer vor, und auch Mädchen hatten hier die Möglichkeit, am Unterricht teilzunehmen. Die Schulform dienten als Vorbild für die von den preußischen Behörden organisierten Elementarschulen. 54 Die Sozialfürsorge wurde insbesondere zu Zeiten von Epidemien intensiviert. Die städtischen Behörden unternahmen spezielle vorbeugende Maßnahmen, organisierten, den Erfordernissen angepaßt, Formen der Fürsorge sowohl für Kranke als auch für arme Gesunde, und forderten sämtliche Stadtbewohner zur solidarischen Hilfeleistung auf. Der Gesundheitsdienst arbeitete unentgeltlich, Geistliche wurden engagiert, um im seelsorgerischen Dienst tätig zu werden. Es wurden zusätzliche Nahrungsmittel beschafft, eine Fürsorge für Kinder, deren Eltern gestorben waren, eingerichtet und Begräbnisse auf Kosten der Stadt abgehalten. 55 Für die hoch entwickelte soziale Fürsorge wurden die finanziellen Mittel vor allem aus den Beiträgen der Gesellschaft, aus den Hospitalgütern auf dem Lande, aus dem Grundbesitz in der Stadt, aus den vom Gericht auferlegten Geldern und aus Lotterien sowie aus Prozenten der Anleihen und dem in Banken hinterlegten Kapital geschöpft. In Ausnahmefällen machte der Rat Zuwendungen aus der Stadtkasse. Letztlich kam es aber unter den Einwohnern Danzigs zu einer freiwilligen Selbstbesteuerung zum Zwecke der Barmherzigkeit. Jenseits der Sozialfürsorge für die Armen bildeten die Danziger auch individuellere Formen aus, wie beispielsweise Stiftungen. Im 16. und 17. Jahrhundert waren etwa ein Dutzend dieser Stiftungen tätig, die verschiedene soziale Gruppen und Fürsorgeformen finanziell unterstützten. 56 Es ist zu betonen, daß die Danziger Errungenschaften sich von dem Verfall ähnlicher Initiativen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Republik Polen und im deutschen Reichsgebiet unterschieden. 57 Vergleicht man den früheren Stand auf dem Gebiet der Fürsorge mit dem heutigen, so ist festzustellen, daß schon damals erfolgreiche Lösungen gefunden wurden und auch die Mißerfolge keine Ablenkung der Gesellschaft von den sozialen Problemen zur Folge hatten. Sie trugen 53 54 55 56 57

Ebd., S. 126-132. Ebd., 137f.; AP Gdansk: 300, 42/77. Ebd., S. 142-160; Pest Recess von Anno 1709 - AP Gdansk: 300 R/Vv 75. Kropidtowski: Formy opieki (Anm. 17), S. 110-115, 161-165. Wladystaw M^czkowski: Szpitale dawnej Rzeczypospolitej w uchwalach synodöw polskich [Die Spitäler in der alten Republik im Beschluß der polnischen Synode].- In: Archiwum Historii i Filozofii Medycyny 15 (1935), S. 92; Podgörska-Klawe: Od hospicjum (Anm. 41), S. 51.

Selbsthilfe und

Armenfürsorge

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im Gegenteil eher zur weiteren Suche, zu Diskussionen und neuen Lösungsansätzen bei. Die Selbsthilfekassen sicherten den Handwerkern in Danzig, Thorn und Elbing vom 14. bis zum 18. Jahrhundert zweifellos ein recht stabiles Leben. Die spezialisierten Fürsorgeformen in den Korporationen der Handwerker (sie umfaßten 60-70 % der Einwohner; das Barmherzigkeitswerk eingeschlossen, das 8 - 1 2 % der Bevölkerung unterstützte), die durch die Kirche und die Stadtbehörden gefuhrt wurden, verliehen dem gesellschaftlichen Leben dieser Städte Glanz und Wert und schränkten Elend und Armut ein, was dem Ansehen der Städte zugute kam. So bemerkten die Franzosen, als sie 1807 in Danzig einzogen, die sozialen Errungenschaften der Stadt und betonten mit Anerkennung das hohe Niveau der gesellschaftlichen Organisation, welche so erfolgreich das Elend bekämpfte. 58

58

Wladystaw Zajewski: Gdansk w opinii francuskiej [Danzig in der Meinung der Franzosen].- In: Ders. (Hrsg.): W krtjgu Napoleona i rewolucji europejskich 1830-1831 [An der Schwelle zu Napoleon und den europäischen Revolutionen 1830-1831].- Warszawa: Czytelnik 1984, S. 30f.

Konfessionelle und religiöse Optionen

Janusz Maltek

Die Sehnsucht nach Einheit. Das Colloquium Charitativum in Thorn im Jahre 1645

Vor inzwischen 350 Jahren, vom 28. Oktober bis zum 21. November 1645, fand in Thorn das bekannte Colloquium Charitativum statt, ein > brüderliches Gespräch < zwischen Katholiken, Lutheranern, Kalvinisten und den Böhmischen Brüdern. Zur Feier des 340jährigen Jubiläums hat im Oktober 1995 im heutigen Τοηιή ein internationaler wissenschaftlicher Kongreß zur christliche Ökumene stattgefunden. An diesem Zusammentreffen nahmen Theologen und Historiker katholischer, protestantischer und griechisch-orthodoxer Konfession und Fachausrichtung teil. Der Gottesdienst im Dom St. Johannes und die feierliche Beisetzung der sterblichen Überreste der Herzogin Anna Waza in der katholischen Marienkirche - beides ökumenisch zelebriert - waren für die Kongreßteilnehmer wie auch für die Bürger der Stadt ein großes Erlebnis. Beide Ereignisse besaßen symbolischen Charakter. Der Gottesdienst in der Johanneskirche sollte an die Zeiten gemahnen, in denen diese Kirche Katholiken und Protestanten gleichermaßen gedient hat: fast 40 Jahre lang, von 1557-1596, fungierte sie als Simultankirche, in welcher die Katholiken die rechte und die Protestanten die linke Kirchenseite in guter Eintracht nutzten. Die neuerliche Beisetzung der Herzogin Anna Waza, die durch archäologische und konservatorische Arbeiten im Mausoleum möglich gemacht worden war, galt dagegen als Genugtuung für die Herzogin, der es nicht gegeben war, nach ihrem Tod in der königlichen Gruft im Wawel-Schloß die letzte Ruhestätte zu finden. Zu ihrem Begräbnis in Thorn im Jahre 1636 hatten sich ausschließlich Protestanten aus ganz Polen versammelt - König Wladyslaw IV. als Neffe der Verstorbenen durfte aus konfessionellen Gründen nicht teilnehmen. Nun waren bei der Wiederholung der Zeremonie christliche Geistliche dreier Glaubensrichtungen zugegen, darunter der päpstliche Legat Kardinal Edward I. Cassidy. Obgleich Herzogin Anna bis zu ihrem Lebensende am lutherischen Bekenntnis festgehalten hatte, war sie doch - wie zeitgenössische Autoren betonten - dem katholischen Glauben keineswegs feindlich gesinnt. Diese Ereignisse im Jahre 1995, von den Kongreßteilnehmern ein »Zweites Thorner Colloquium Charitativum« genannt, sind als deutli-

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Janusz Matiek

eher Ausdruck des Wunsches der Christen verschiedener Konfessionen nach Einheit zu verstehen. Eine gleiche Gesinnung lag auch dem Colloquium Charitativum im Jahre 1645 zugrunde. Was aber waren die konkreten religiösen und politischen Gründe, welche die Initiatoren des Colloquiums bewegt haben? Welcherart war sein Verlauf und welche Konsequenzen sind uns heute ersichtlich? Welche Bedeutung schließlich besaß das Colloquium Charitativum fur die konfessionellen Verhältnisse in Polen und im übrigen Europa? Es soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden, den ersten Punkt eingehender zu erörtern. Eine Beantwortung der weiteren Fragen kann hier jedoch lediglich kurz angedeutet werden. 1 Im Jahre 1645 war in Europa eine jedes zivilisatorische Leben betreffende Erschöpfung zu verspüren, die der langanhaltende Krieg hervorgerufen hatte. Dieser große Krieg, später als der Dreißigjährige bezeichnet, war der erste allgemeineuropäische, an dem sich in den einzelnen Etappen annähernd alle Länder des alten Kontinents beteiligten: das Deutsche Reich, Böhmen, Dänemark, Schweden, die Niederlande und England, um nur die wichtigsten aufzuführen. Das Deutsche Reich war damals bekanntlich kein einheitlicher Staat, und die einzelnen Kurund Reichsfursten gerieten - je nach Konfessionszugehörigkeit - entweder in das protestantische Lager (Protestantische Union ab 1608) oder in das katholische (Katholische Liga ab 1609). Der Dreißigjährige Krieg war in seinen wesentlichen Zügen ein Religionskrieg. Der Verlauf der Frontlinie läßt sich zumeist anhand der Zugehörigkeit zur katholischen bzw. protestantischen Gruppierung bestimmen. Eine feste Regel war dies jedoch nicht, wie am katholischen Frankreich zu beobachten ist, das sich j a zeitweilig zu jenem Lager schlug, das gegen den Kaiser kämpfte. Das primäre Ziel der katholischen Seite war ganz klar die Durchsetzung der Gegenreformation in den abtrünnigen Herzogtümern des Reiches. Sinnbild eines Verteidigers der alten Religion war längere Zeit der kaiserliche Heerführer Albrecht Wallenstein. Die Protestanten unter ihrem unumstrittenen Anführer König Gustav II. Adolf von Schweden strebten hingegen - so zumindest das Selbstverständnis des Volkes nach dem Erhalt des Status quo in Europa. Im Jahre 1648 näherte sich der Dreißigjährige Krieg endlich dem Ende, zu welchem Behuf in Münster und Osnabrück zähe Friedensverhandlungen geführt wurden. Das Deutsche Reich zeigte in weiten Teilen ein Bild der Verwüstung; die Bevölkerungszahlen waren in manchen Fürstentümern um bis zu einem

1

Vgl. das zeitgleich zu den erwähnten Feierlichkeiten veröffentlichte Werk des Erzbischofs Edmund Piszcz: Colloqium Charitativum w Toruniu A.D. 1645: geneza i przebieg [Entstehung und Verlauf].- Torun: Wyd. Konserwatora Diecezjalnego 1995.

Das Colloquium Charitativum

in Thorn

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Drittel oder sogar die Hälfte der Einwohner gesunken, vereinzelt noch darüber hinaus. So zählte das Land Württemberg beispielsweise im Jahre 1618 ca. 450.000 Einwohner, im Jahre 1634 nur noch ca. 100.000, acht Jahre später wieder 120.000; die ursprüngliche Bevölkerungszahl vor den Verheerungen wurde erst 1750 wieder erreicht. 2 Schwere Verluste hatten freilich auch die anderen beteiligten Nationen erlitten. Als Beispiel mag das nordschwedische Dorf Bygdea dienen, aus welchem in den Jahren 1621 - 1634 230 Soldaten eingezogen wurden. 215 von ihnen ließen ihr Leben im Krieg, und von den 15 Heimkehrern waren fünf verkrüppelt. 3 Polen hatte nicht direkt am Dreißigjährigen Krieg teilgenommen, obwohl es die katholischen Habsburger unterstützte. In der Endphase des Krieges entwarf der polnische König Wladyslaw IV. gemeinsame Kampfpläne mit dem dänischen König Christian IV. gegen die Schweden. Als sich aber dieses Vorhaben schließlich als unrealistisch erwies, war es Wladyslaws Ansinnen, die Rolle eines Vermittlers zwischen den zerstrittenen Parteien zu übernehmen, um dadurch sein Ansehen auf der internationalen Arena zu vermehren. Polen galt damals in Europa als ein ungewöhnlich tolerantes Land. Die Warschauer Konföderation (>Pax dissidentium Magna Charta Libertatum < der Religionsfreiheiten - vergleichbare Garantien leistete nur noch Siebenbürgen. In den anderen europäischen Ländern galt spätestens seit dem Augsburger Reichstag vom Jahre 1555 der Grundsatz > cuius regio eius religio Colloquium Charitativum < eben diese Intention, denn es vermochte als Prestigeveranstaltung des Königs zu dienen. 4 Einer bereits im Jahre 1643 dem Pädagogen Jan Arnos Komensky (Comenius) vom kalvinistischen Danziger Pastor Bartholomäus Nigrinus übermittelten vertraulichen Information zufolge soll der König an mehrere europäische Herrscher schriftliche Appelle versandt haben, im eigenen Land Versammlungen einzuberufen mit dem Ziel einer Aus2

3 4

Volker Press: Kriege und Krisen. Deutschland 1600-1715.- In: Die Neue Deutsche Geschichte. Bd. V. Hrsg. von Peter Moraw.- München: Beck 1991, S. 248. Ebd., S. 244. Wladyslaw Czaplinski: Wladyslaw IV i jego czasy [Wladyslaw IV. und seine Zeit]. 2. Aufl.- Warszawa: Wiedza Powszechna 1976, S. 348.

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Janusz Mallek

spräche und Beilegung der Differenzen durch Vertreter der Katholiken und Protestanten.5 Entspricht dies der Wahrheit, so verfolgte Wtadyslaw tatsächlich den Plan konfessioneller Versöhnung jenseits der polnischen Grenzen. Neben dem offenkundigen Ehrgeiz des Königs müssen jedoch weitere Gründe für die Durchführung des Thorner > brüderlichen Gesprächs < unterstellt werden. Meiner Überzeugung nach kann man diese Gründe vor allem an der innerpolnischen Situation zur Mitte des 17. Jahrhunderts hin ablesen. Der Protestantismus befand sich zu dieser Zeit im Rückzug vor der starken Gegenreformation. Die Hinwendung und Konversion zur alten Kirche wurde zu einer beim polnischen Adel häufig auftretenden Erscheinung. War Ende des 16. Jahrhunderts noch jede sechste Pfarrei in Polen - Preußen königlich polnischen Anteils ausgenommen - protestantisch gewesen, so war es zur Mitte des 17. Jahrhunderts nur noch jede zwanzigste. Es gab damals lediglich etwa 250 protestantische gegenüber fast 5000 katholischen Pfarreien.6 Noch deutlicher ist die Verschiebung beim Amt des Senators zu erkennen: 1569 zählt man unter den 73 Senatoren immerhin 38 Protestanten, im Jahr 1646 nur noch zehn.7 Die Protestanten bewahrten sich jedoch ihre Stärke und ihren Einfluß in Königlich Preußen und zumal in seinen Städten Danzig, Elbing und Thorn. Am Ende des 16. Jahrhunderts waren hier 162 protestantische und fast genauso viele katholische Pfarreien zu verzeichnen.8 Um die Mitte des 17. Jahrhunderts verschob sich dieses Verhältnis zugunsten der alten Kirche. Eine wirkliche politische Macht bildeten die Protestanten noch in Litauen, vor allem durch die kalvinistischen Radziwitt. Kalvinistische Adlige aus Kleinpolen und lutherische aus Großpolen waren 5

Lukasz Kurdybacha: Dzialalnosc Jana Amosa Komenskiego w Polsce [Die Tätigkeit des Johann Arnos Comenius in Polen].- In: Dzieta wybrane. Bd. II. 1976, S. 122. 6 Ambroise Jobert: Od Lutra do Mohyly. Polska wobec kryzysu chrzescijanstwa 1417-1648 [Von Luther zu Mohyla. Polen angesichts der Krise des Christentums].- Warszawa: Pax 1994, S. 98; Kosciöl w Polsce. Bd. II: XVI-XVII w. [Die Kirche in Polen. 16.-17. Jh.], Hrsg. von Jerzy Ktoczowski.- Krakow: Znak 1969, S. 26f.; Chrzescijanstwo w Polsce: zarys przemian 966-1979 [Das Christentum in Polen: Grundzüge des Wandels 966-1979]. 2. Aufl. Hrsg. von Jerzy Ktoczowski.- Lublin: Towarzystwo Naukowe 1992, S. 272. 7 Henryk Merczyng: Zbory i senatorowie protestanccy w dawnej Polsce [Protestantische Kirchen und Stadträte im alten Polen].- Warszawa: Druk. A. Ginsa 1905, S. 143f. 8 Janusz Mallek: Koscioly ewangelickie w ziemi chelminskiej, lubawskiej i dzialdowskiej w XVI-XX wieku [Die evangelische Kirche im Gebiet von Kulm, Löbau und Soldau im 16.-20. Jh.].- In: Diecezja Torunska. Historia i terazniejszosc [Die Thorner Diözese. Geschichte und Gegenwart]. Bd. I. Hrsg. von Stanislaw Kardasz.- Torun: Wyd. Konserwatora Diecezjalnego 1994, S. 54.

Das Colloquium Charitativum in Thorn

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zwar stets im polnischen Sejm vertreten, um ihre Rechte einzufordern, doch ihre Zahl wurde geringer. Nicht zuletzt war Wladyslaw auch zur Rücksichtnahme auf die von ihm belehnten Protestanten, den im Herzogtum Preußen regierenden brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und die Herzöge von Kurland, gezwungen. Die intensiven Beziehungen zwischen den Katholiken und den Griechisch-Orthodoxen stellten den König freilich vor ein weiteres komplexes Problem, denn im Grunde war ja Polen auf allen Seiten - sieht man von der südlichen Grenze ab - von Ländern nichtkatholischer Konfession umgeben: griechisch-orthodoxes Rußland, lutherisches Schweden, die lutherische bzw. kalvinistische Dynastie in Brandenburg usw. Hauptinteresse des Königs und der herrschenden Eliten war fraglos die Erhaltung der inneren Ruhe, also des friedfertigen Nebeneinanders der Konfessionen. Die religiösen Auseinandersetzungen in Frankreich und den Niederlanden, vor allem aber der Dreißigjährige Krieg waren ernste Warnsignale. Die Gefahr eines Religionskrieges in Polen bestand damals sicherlich nicht, doch jegliche konfessionelle Unruhe schwächte den Staat. Und darüber hinaus bleibt festzuhalten, daß es um die Beziehung Wtadyslaws zu Papst Urban VIII. nicht zum Besten stand. Das Oberhaupt der katholischen Kirche wollte dem Trachten des Königs nach einem Kardinalshut für Valerianus Magni nicht entsprechen. Die Durchführung eines Colloquiums gemeinsam mit den Protestanten jedoch besaß das Potential, Rom zur Nachgiebigkeit gegenüber den polnischen Forderungen zu bewegen. In jedem Fall war das Ansinnen Wtadyslaws politisch begründet. Von der Ernsthaftigkeit der ökumenischen Pläne kann uns heute die ungewöhnlich kritische Haltung des schwedischen Kanzlers Axel Oxenstierna gegenüber dem Thorner Colloquium überzeugen. Er befürchtete sogar, die Vereinigung der Konfessionen in Polen könne dem König gelingen. Zumindest könnte es zur Annäherung zwischen den Katholiken und den Dissidenten kommen, was zweifellos den Interessen Schwedens in Polen schaden würde. Daher versuchte Oxenstierna, Johann Arnos Comenius mit allen Mitteln von der Teilnahme an dieser Zusammenkunft abzubringen. Dieser gedachte nicht nachzugeben, und Oxenstierna hielt ihm vor, er werde dadurch Böhmens Interessen außer acht lassen.9 Die Anwesenheit eines europaweit derart berühmten Gelehrten wie Comenius hob unbestreitbar den Rang des Colloquiums. Politische Gründe hatten schon in einem anderen bekannten Fall zu einem organisierten konfessionellen Gespräch gefuhrt. Im Jahre 1561 wurde im französischen Poissy auf Initiative der Königinmutter Katharina de' Medici ein religiöser Disput abgehalten, an dem katholische Theologen und Hugenotten mit Theodor Beza an der Spitze teilnah9

Kurdybacha: DziaJalnosc Jana Amosa Kon^skiego (Anm. 5), S. 128 und 142f.

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men.10 Er sollte, wenn schon eine Versöhnung unerreichbar schien, zumindest religiösen Unruhen in Frankreich vorbeugen. Es mündete jedoch in einem Fiasko. In Frankreich brachen religiöse Kriege aus, die erst im Jahre 1598 durch das Edikt von Nantes ein Ende fanden, das den Hugenotten schließlich Glaubensfreiheit zusicherte. In anderen europäischen Ländern, in denen eine Konfession die unbestrittene Machtposition innehatte, war es praktisch nicht nötig, solche Colloquien zu organisieren. Hier war die Nation von einer Religion geprägt, und andere Glaubensformen wurden schlichtweg nicht toleriert. Es ist also nicht verwunderlich, daß die Tradition der großen zwischenkirchlichen Gespräche vor - und auch nach - dem Thorner Colloquium eine selten gepflegte war. Zwei katholisch-lutherische Konferenzen in Regensburg (1601) und Neuburg (1615) wären hier zu erwähnen. Gleichermaßen fanden Vermittlungsgespräche zwischen den protestantischen Hauptrichtungen statt, z.B. in Leipzig (1631), Kassel (1660) und Berlin (1662 und 1663), wie auch eine Zusammenkunft der Vertreter verschiedener kalvinistischer Linien im niederländischen Dordrecht (1618).11 Es soll hier nicht der Eindruck vermittelt werden, die Durchführung des Thorner Colloquiums sei ausschließlich politisch motiviert gewesen. Viel bedeutender waren hier religiöse Gründe. Die Spaltung im westlichen Christentum, provoziert durch Luthers Auftritt im Jahre 1517 und entwickelt durch die Herausbildung der protestantischen Konfessionen in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts, war noch nicht so tief gedrungen, daß jede Tendenz zur Wiedervereinigung ausgeräumt war. Auf beiden Seiten war man sich der negativen Folgen dieser Trennung bewußt. Die Frage, wie man die Spaltung überwinden könnte, stand offen im Raum. Im 17. Jahrhundert riefen berühmte Denker und Ireniker zur Versöhnung der Konfessionen auf, darunter der Franzose Jean Bodin, der Holländer Hugo Grotius, der Schotte John Dury, der Deutsche Georg Calixt und der Böhme Johann Arnos Comenius. Die beiden letzteren nahmen sogar persönlich am Thorner Colloquium teil. Eine Einladung erhielt auch Grotius, der Oxenstierna gegenüber von der großen Hoffnung sprach, die er mit dieser Zusammenkunft verbinde - doch ereilte ihn am Eröffnungstag des Colloquiums tragischerweise der Tod.12 Abgesehen von Bodin handelt es sich bei den genannten Persönlichkeiten um Protestanten, während die Idee für das Colloquium katholi10

Joseph Lecler: Historia tolerancji w wieku reformacji [Die Geschichte der Toleranz im Jahrhundert der Reformation], Bd. II.- Warszawa: Pax 1964, S. 51-58. 11 Piszcz: Colloquium Caritativum (Anm. 1), S. 48f. und 192; Press: Kriege und Krisen (Anm. 2), S. 307; Ernst Opgenoorth: Friedrich Wilhelm - der große Kurfürst von Brandenburg; eine politische Biographie. Teil 2: 1660-1688.Göttingen: Musterschmidt 1978, S. 56-59. 12 Jobert: Od Lutra do Mohyly (Anm. 6), S. 292.

Das Colloquium Charitativum in Thorn

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sehen Kreisen entstammte. Ihr Urheber war der italienische Kapuziner Valerianus Magni. Seine Pläne umfaßten sowohl ein Unionsprojekt mit den Protestanten, wie auch das gesonderte Projekt einer Union mit den Griechisch-Orthodoxen, fur welches Vorhaben im Jahre 1648 ein weiteres Colloquium durchgeführt werden sollte; aus diesem Grund waren sie in Thorn nicht präsent. Die Beziehungen zwischen den Katholiken und den Griechisch-Orthodoxen standen aufgrund der Union von Brest aus dem Jahre 1596 unter starker Spannung - statt sie einander näherzubringen, hatte sie für ein weiteres Auseinanderdriften der Interessen gesorgt. Dem sei noch hinzugefügt, daß es im Jahre 1599 auch zur schriftlichen Fixierung einer Konfessionsunion zwischen den Protestanten und den Griechisch-Orthodoxen gekommen war, doch offensichtlich wurden ihre Bestimmungen in der Praxis nicht realisiert. Für seinen »großen irenischen Plan« - wie ihn der französische Historiker Ambroise Jobert nennt 13 - vermochte Valerianus Magni nicht nur König Wtadyslaw IV. und die katholischen Bischöfe Polens zu gewinnen, sondern eben auch viele protestantische Theologen, darunter Calixt und Comenius. Er hatte sich sogar die neutrale Haltung des Heiligen Stuhls gesichert; allerdings hatte er persönlich nicht die Erlaubnis erhalten, am Thorner Colloquium teilzunehmen. Doch wie ist dieser Erfolg zu erklären? Es muß tatsächlich sowohl in Polen als auch in anderen europäischen Ländern den Traum von einer Einheit aller Christen gegeben haben. Von einer solchen Union freilich hatten die Katholiken, Lutheraner, Kalvinisten, Böhmischen Brüder, Griechisch-Orthodoxen und Arianer - die aufgrund ihres Zweifels an der Heiligen Dreifaltigkeit nicht zum Colloquium zugelassen worden waren - jeweils ganz eigene Vorstellungen, aber die Vision der alten Einheit muß in jener Zeit eine verlockende Kraft gewesen sein. Die Protestanten in Königlich Preußen hatten noch im Jahre 1556 in Anwesenheit des ermländischen Bischofs Stanislaw Hosius behauptet, die echte orthodoxe katholische Kirche bestehe in der Augsburger Konfession und sie selbst seien Mitglieder der allgemeinen katholischen Kirche. 14 Eine Stimmung großer Erwartungen hatte viele erfaßt. Die Korrespondenz der Colloquiums-Teilnehmer wie auch die Berichte der damaligen westeuropäischen Presse sind leider verhältnismäßig wenig erforscht. Ein Griff zu den publizierten Briefen von Comenius genügt jedoch, um festzustellen, daß er in den Jahren 1643 bis 1645 von der Vereinigungsidee der Konfessionen so fasziniert war, daß seine schriftstellerischen Vorhaben darunter litten. Sogar die Konversion zum Katholizismus, die der mit ihm befreundete kalvinistische Nigrinus vollzog, erklärte er sich durch höhere Gründe: Nigrinus könne als Katholik 13 14

Ebd., S. 279-299. Mattek: Kosciofy ewangelickie (Anm. 8), S. 52.

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Janusz Mallek

größeren Einfluß auf die Haltung der katholischen Kirche zu den Andersgläubigen nehmen.' 5 Dieser irenischen und ökumenischen Stimmung erlagen bedeutende Vertreter beider Konfessionen. König Wiadyslaw akzeptierte gänzlich die Pläne des Paters Valerianus Magni; er las als gemäßigter Katholik offenbar regelmäßig die Bibel in Luthers Übersetzung, die er - glaubt man den Äußerungen des Historikers Samuel Pufendorf - mit Livius' Werken zusammenbinden ließ. So habe er im Falle des unerwarteten Besuchs eines Geistlichen die Möglichkeit gehabt, dieses Buch an günstigerer Stelle aufzuschlagen. 16 Mit einem Schreiben vom 20. Mai 1544 lud er zum Colloquium ein. In sehnsuchtsvollem Pathos wandte er sich an die Protestanten: Soweit das Auge reicht herrscht Krieg. Europas Grundfesten wanken, Felder und Häuser sind zerstört, die Erde mit Blut getränkt. Solches Schicksal verdienen sicherlich diejenigen, die den Frieden nicht achten. Unsere Absicht war, Polen in Frieden zu erhalten, und mit Gottes Hilfe ist es uns gelungen. Nachdem der äußere Frieden erreicht ist, wenden wir uns dem großen Werk des geistigen Friedens zu. Kein Kampf ist schwieriger als der aus religiöser Spaltung folgende [...]. Seit über 100 Jahren sind wir Christus etwas schuldig, kommt, die Mutter wartet unruhig auf ihre fernbleibenden Söhne, sie will euch auf ihren Schoß nehmen, öffnet weit ihre Arme und wartet auf euch [...]. Wir schwören, daß wir durch dieses Colloquium nichts anderes erreichen wollen als nur das, damit Christus - der König der Könige - in Frieden herrsche und damit er nach Überwindung aller unserer Streitigkeiten in guter Eintracht in einem Glauben und einer Liebe verehrt werde. 17

Trotz ihrer brüderlichen Form ließ die königliche Erklärung den Protestanten keinen Zweifel darüber, daß ihre Vereinigung mit der alten Kirche durch Absorption, also Einschluß erfolgen sollte. Ähnlich optimistisch formuliert war der Brief, welchen die katholischen Bischöfe mit Beschluß der Warschauer Synode vom 12. November 1643 als Einladung an die Andersgläubigen entsandten. In diesem Schreiben wurde das Ziel des Colloquiums klar formuliert, durch das aufgezeigt werden solle, was verbinde, untersucht, was zweifelhaft und diskutiert, was der Heiligen Schrift und der Lehre der ursprünglichen Kirche widerspreche. Die Bischöfe ermunterten hierin die Protestanten, auf Voreingenommenheiten zu verzichten - das werde es erleichtern, die wahre christliche Lehre zu erkennen und zu sehen, ob die Spaltung der Kirche nötig sei und ob es sinnvoll erscheine, sie aufrechtzuerhalten. Am Schluß heißt es: »Nutzt diese gute Gelegenheit, damit unsere Wün15 16

17

Kurdybacha: Dzialalnosc Jana Amosa Komeriskiego (Anm. 5), S. 127. Otto Ikier: Das Colloquium Charitativum zu Thorn vom 28. August bis 21. November 1564 nach den Akten dargestellt. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformation in Polen.- Krotoschin: Kosmäl 1889, S. 14. Ebd., S. 20f.

Das Colloquium Charitativum in Thorn

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sehe zur Freude nicht nur fur Polen, sondern auch für den Himmel und alle Völker verwirklicht werden. Bei ihnen hatte [die Spaltung] begonnen, bei uns wird sie enden«.18 Für die Protestanten war die in diesem Brief enthaltene Versicherung des Bischofs Lubieüski bedeutsam, die Glaubensgrundsätze würden während des Colloquiums mit der Heiligen Schrift und der Tradition der Kirchenväter aus den ersten Jahrhunderten des Christentums konfrontiert werden.19 Obwohl die Einladung zum Colloquium für eine gewisse Überraschung unter den Protestanten sorgte, beschloß man als Ergebnis verschiedener Versammlungen - Böhmische Brüder in Lissa (Leszno) am 14. April 1644, Kalvinisten aus Kleinpolen in Meiling (Mielnik) am 15. Juli darauf und die litauischen Kalvinisten zu gleicher Zeit in Vilnius - , vor allem aber nach der Synode aller polnischer Protestanten in Orla (Orle) am 24. August 1644, am Thorner Colloquium teilzunehmen. Es wäre allerdings auch kaum vorstellbar gewesen, den königlichen Aufruf abzulehnen, was als Furcht vor einer Konfrontation der Ansichten interpretiert worden wäre. Ein Teil der Protestanten hoffte durchaus, während der Diskussion Katholiken fur sich zu gewinnen. Jede Partei hatte für die Beratungen ihr eigenes Programm im Gepäck. Die Katholiken wollten eine - eventuell von geringen Zugeständnissen begleitete - Vereinigung durch Absorption. Die protestantische Seite mochte allenfalls über eine Konfessionsunion im Sinne einer Konföderation diskutieren. Diese Vorstellung finden wir formuliert in Comenius' Büchlein De dissidentium in rebus fidei reconcilliatione, das er noch vor dem Colloquium im Jahre 1643 veröffentlichte.20 Er betont darin, daß der eigentlichen Vereinigung der Katholiken und Protestanten eine gewisse Probezeit vorangehen müsse, die zur Überwindung des bestehenden gegenseitigen Hasses und der alten Leiden vonnöten sei. In dieser Phase sollten beide Seiten neuerliche Spannungen meiden und für den Erfolg der Einheit beten, und erst danach sei es an dem König, eine Nationalsynode einzuberufen, auf welcher dann der Akt der Vereinigung nach dem Grundsatz einer Konfessionsunion erfolgen sollte. Comenius hatte seine Abhandlung Wladyslaw zukommen lassen.21 Insgesamt ist aber leider nur sehr wenig bekannt über die Verhandlungen, die in den zwei Jahren vor dem Colloquium hinter den Kulissen geführt wurden. 18 19 20

21

Piszcz: Colloquium Caritativum (Anm. 1), S. 79. Ebd., S. 78f. Eine zweite Auflage dieser Schrift befindet sich heute in der Universitätsbibliothek Τοπιή. Sven Göransson: Den europeiska konfessionspolitikens upplösning 1654-1660. Religion och utrikespolitik under Karl X Gustav [Die Auflösung der europäischen Konfessionspolitik. Religion und Auslandspolitik unter Karl X. Gustav].Uppsala: Lundequist 1956, S. 148.

222

Janusz Mallek

Während die Protestanten der Vereinigungsidee gegenüber skeptisch eingestellt waren, rechneten sie mit einer Reunierung im eigenen Lager - insbesondere der Lutheraner mit den Kalvinisten sowie der Protestanten in Königlich Preußen mit jenen aus Kleinpolen, Großpolen und Litauen. Es sei hier daran erinnert, daß die polnischen Protestanten, also Lutheraner, Kalvinisten und Böhmische Brüder, seit 1570 durch den Vertrag von Sandomierz (> Consensus Sandomirensis brüderlichen Gesprächs < zu Thorn hat Papst Johannes Paul II. im Jahre 1983 anläßlich des zweiten Besuchs seiner polnischen Heimat sehr treffend charakterisiert:

25

Piszcz: Colloquium Caritativum (Anm. 1), S. 182.

Das Colloquium Charitativum in Thorn

225

Obwohl es die erwarteten Ergebnisse nicht gebracht hatte, hatte es doch dazu geführt, daß die geistlichen wie politischen Anführer Polens geachtet wurden, und somit war das Colloquium sozusagen der Auftakt des praktischen Ökumenismus.26 Zwölf Jahre später nahm der Papst bei einer Rede in der evangelischaugsburgischen Kirche in Skoczow (dt. Skotschau) am 22. Mai 1995 den Faden wieder auf: »Für jene Zeiten hatte das Colloquium Charitativum Pioniercharakter und es war ein wichtiger Hinweis darauf, daß der Weg zur Einheit über den Dialog und nicht über Gewalt fuhrt«.

26

Poköj tobie, Polsko! Druga pielgrzymka Jana Pawta II do ojczyzny. Homilie i przemöwienia. 16.-23.VI. 1983. [Friede dir, Polen! Die zweite Pilgerschaft Johannes Pauls II. ins Vaterland. Homilie und Rede], Bearb. von Amelia Szafranska.- Warszawa: Pax 1984, S. 71.

Jerzy Axer

Ioannes Dantiscus Diplomat, Husband, Father, Bishop of Warmia: The Limits o f (Dis)Loyalty*

The statements presented below will not form any mature assessment of Dantiscus' public role, nor do I intend to use his example to diagnose the typical situations in a conflict of loyalties. Instead, I will try to outline some situations and moments in the life of this personality that could suggest a violation of one of the standards, or rather one of the obligations, included in the Latin concept of pietas - also, though not only, in its fragmentary meaning that intersects the concept of loyalty. This will be a gloss to our >Dantiscus workshops during which we turn to scholars of various specialties with a list of questions, in the hope that even a partial reply will help us to understand better the character, activity and fate of the author whose output we are publishing.1 I have divided my comments into six sections relating to such situations in Dantiscus' life in which he could have felt the temptation to sacrifice one pietas for another, or to discard his earlier obligations in favor of a strategy of success in one form or another. * The first version of this text was published in: Panorama lojalnosci. Prusy Krolewskie i Prusy Ksiqz^ce w XVI wieku [Panorama der Loyalitäten. Das Königliche und das Herzogliche Preußen Preußen im 16. Jh.]. Ed. by Anna Skolimowska.- Warszawa: Wydawn. >DiG< (= OBTA: Eseje i Studia; 4), pp. 66-72; Spanish translation in: En torno a Dantisco. Ed. by Anna Skolimowska.· Warszawa: OBTA Uniwersytet Warszawski 2001 (= Biblioteca Cervantes. Colleccion de fuentes y estudios para la historia de las relaciones hispano polacas; 1), S. 17-27. 1 »Dantiscus workshop< - international scientific meetings organized regularly 1 - 2 times a year since 1995 at Warsaw University's Centre for Studies on the Classical Tradition in Poland and East-Central Europe (Osrodek badan nad tradycj^ antycznq. w Polsce i w Europie Srodkowo-Wachodniej, OBTA), with the purpose of preparing Dantiscus' correspondence for publication (series: Corpus Epistularum Ioannis Dantisci, editionem Georgius Axer curat Anna Skolimowska adiutrice. 17 volumes are planned, currently in press is vol. I: Ioannis Dantisci Epistulae Latinae a. 1537, e manuscriptis collegit, edidit, commentariis annotationibusque instruxit A. Skolimowska, OBTA/PAU, Warszawa, Krakow 2004; series published under the patronage of Union Academique Internationale, project No. 65).

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Jerzy Axer

1. I would describe the first situation with the formula: civis Gedanensis in the service of the Cracow court. In Polish historiography, from encyclopedic works to specialist studies, Dantiscus' attitude towards his home town of Gdahsk is treated as proof of something that is usually described by the anachronous term >Polish patriotismpost-Versailles< (and later >post-YaltaThe ingratitude of kings < could have been one of the experiences that brought him closer to Hernän Cortes, conqueror of Mexico, who had been treated incomparably worse by his sovereign. 5 I suspect that Dantiscus tried to find an alternative career to royal service: This was most probably the prospect of undertaking activity in the New World. He may have been thinking of taking part in the conquests and colonization, or of investing in a trading outpost. This is no more than a hypothesis, of course, and I have only indirect proof of its validity. This includes the Polish envoy's growing interest in information about similar overseas projects, and his contacts with entrepreneurs and merchants (most of them of German origin) who had such business operations. They are the ones who are with Dantiscus and his family in Valladolid during that one year of solitude, they are the ones who take part in family gatherings, and years later testify to the behavior and relations of the intimate circle of Dantiscus' Spanish family. The conquerors of Venezuela, entrepreneurs investing in Mexico. One could think we are on the brink of historical fantasy, but if we take into consideration his family tradition and Hanseatic upbringing, it is easy to admit there would be nothing unusual in such plans. If we take into consideration the experience gained at the Spanish court, and the contacts he made, then it is hard to deny that Dantiscus had a certain capital allowing him to think about such a career. Finally, if we consider his adventurous character and his yearning for military adventures, which are also found in his verse, 6 then it is not absurd to think that Dantiscus was tempted to embark on the career of a conquistador. For an ambitious diplomat in debt, pushed to the margin of political life, this could have been quite a rational life program. It does not come as a surprise that we only have fragments of information when we try to reconstruct that episode. After all, Dantiscus could not confess to such plans in his official diplomatic correspondence. Such a decision would have meant a complete change of loyalty, and the history of Poland would have mentioned a merchant factory somewhere on the Mexican or Venezuelan coast, a hundred years older 5

6

Cf. Jerzy Axer: Una carta de la correspondencia de Hernän Cortes con Jan Dantyszek (Juan Dantisco).- In: Estudios Latinoamericanos 13 (1990), pp. 3 6 5 385; Jerzy Axer and Ryszard Tomicki: Joannes Dantiscus and Hernän Cortes.In: Joannes Dantiscus (1485-1548) Polish Ambassador and Humanist. Proceedings of the International Colloquium Brussels, May 2 2 - 2 3 , 1995. Ed. by Josef Ijsevijn.- Brussels: Koninklijke Acad, voor Wetenschappen, Letteren en Schone Künsten van Belgie 1996 (= Studia Europaea; 2), pp. 67-74, esp. p. 117; Jerzy Axer: Hernän Cortes y Juan Dantisco. La correspondencia mas antugua entre Polonia y Mexico.- In: Reflejos de Europa en Mexico. Ed. by Delegacion de la Comision Europea en Mexico.- Mexico: Conaculta 2002, pp. 123-129. Cf. >Vita Ioannis Dantisci< (Note 4), line 25 onwards.

Joannes Dantiscus

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than the houses of the first Polish emigrants in America. Its owner, friend of the Ehingers and the Sailers, a protege of Cortes himself, would perhaps have added some new sign to his coat of arms and extended his Latin motto to include his new role. 7 On the other hand, Poles and Germans would have argued heatedly over the past two centuries about the nationality of the outpost's owner. Beyond these kinds of hypotheses there is one unquestionable fact: subsequent generations of Dantiscus' descendants in Spain not only became members of the nobility, but even, when they where applying to have this status confirmed, quoted Dantiscus as having been a model hidalgo. 8

3.

The third episode goes beyond the problems of political loyalty and the issue of loyalty toward the community. However, it is so important for Dantiscus' biography that I have decided to include it. Leaving Spain, facing the prospect of obtaining the bishopric of Chelmno and deciding to embark on a clerical and political career, Dantiscus left his family on the Iberian Peninsula - not his wife formally, but his socially accepted, long-time partner, and his baby daughter. The way his relations with this family developed later can only partly be explained by the obligations resulting from receiving the bishopric and his role as a reviver of morality enforcing the harsh rigors of celibacy - the role he came to play in Warmia. It is hard to resist the impression that his mean treatment of the child and its mother stemmed both from the fear that the old relationship could endanger his new career and from the dark side of this charming man of the world's character - from ruthlessness and stinginess. There is an interesting contrast here between the testimony of his correspondence with his partner, daughter, and son-in-law - it unfolds into a dialogue of many years revealing a family tragedy - and the recently discovered statements recorded in Spanish courts at the request of Dantiscus' son-in-law at the time when his daughters were growing up. 9 In 7

Just as Cortes himself did; cf. Jerzy Axer: Latin formulae as a sign of cultural identity. The Case of Hernan Cortes.- In: Terra marique. The cultural intercourse between the European centre and periphery in modern time. Ed. by Jan Kieniewicz.- Warszawa: OBTA 2001 (= Eseje i Studia; 5). 8 See: The Testimony of witnesses during the lawsuit concerning the >limpieza di sangre< of Dantiscus' granddaughters in 1561 in: Juan Dantisco en Espana a la luz de los documentos judiciales de 1545 y 1561. Ed. by Enrique Llamas Martinez.· In: En torno a Dantisco (Note *), pp. 29-80, the testimony itself pp. 6 3 78. 9 Cf. the correspondence in Antonio Fontan and Jerzy Axer: Espanoles y Polacos en la Corte de Carlos V. Cartas del embajador Juan Dantisco. Part I.- Madrid:

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Jerzy Axer

the letters we see a man who cuts himself off from the >sins of youth conversations by letter < which he held so intensively and which make up the script of this presentation.

17

I refer here to the view expressed by Prof. Alina Nowicka Jezowa in a discussion at the conference > Royal Prussia and Ducal Prussia in the 16th Century: a Panorama of LoyaltiesRahtmannschen Streit < bezeichnet, entscheidend gefordert worden. Wer sich mit dieser Thematik beschäftigt, begibt sich aufs Glatteis. Gilt doch die durch die Danziger Ereignisse zwar nicht ausgelöste, aber doch mitbedingte Lehre der Orthodoxie von der Geistbegabung des biblischen Wortes auch außerhalb von dessen Gebrauch als im besten Fall belächelnswerte orthodox-dogmatische und scholastische Verstiegenheit. Doch lohnt es, sich mit dieser Sache zu beschäftigen - nicht nur, um einzelne bislang nicht beachtete Teilaspekte theologie-historischer Art vorzustellen, sondern auch, um einem in der Geschichte der Kirche immer wieder behandelten und eh wie je neu strittigen Grundthema der Theologie näherzukommen: der Verhältnisbestimmung von Buchstaben und Geist. Es wird zu zeigen sein, daß sich die lutherische Theologie im 17. Jahrhundert an dem Punkt zur Wehr setzte, wo der Heilige Geist gegen den biblischen Buchstaben ausgespielt wurde. Daß die damals in die Diskussion gebrachten Argumente auch innerhalb heutiger theologischer Reflexion Beachtung verdienen, liegt auf der Hand, wenn man sich die erstaunliche Bandbreite derzeitiger neo-spiritualistischer Theo* Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 95 (1998), S. 338-365. Er wurde für den Wiederabdruck leicht überarbeitet.

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Johann Anselm Steiger

logie ansieht, die von Zungenrede praktizierendem freikirchlichem Charismatikertum über die von der geistleiblichen Auferstehung Christi überzeugte Esoterik bis hin zum auch in der Tagespresse ins Gerede gekommenen Phänomen > Scientology < reicht. Über den Rahtmannschen Streit ist recht gründlich gearbeitet worden. Neben den Ausführungen Christoph Hartknochs, 1 Gottfried Arnolds 2 und Johann Georg Walchs 3 zur Sache sind neben Abschnitten in größeren Werken 4 und theologischen Lexika 5 an gelehrten und quellennahen Untersuchungen zum Thema zu nennen die Arbeit von Engelhardt aus dem Jahre 1854, die von Grützmacher, 1902 veröffentlicht, 6 sowie die Dissertation von Heinrich Halverscheid und eine kürzere Studie von Bengt Hägglund. 7 Ein Aspekt von sowohl systematisch-theologisch als 1

Vgl. Christoph Hartknoch: Preussische Kirchen=Historia/ Darinnen Von Einfuhrung der Christlichen Religion in diese Lande/ wie auch von der Conservation, Fortpflantzung/ Reformation und dem heutigen Zustande derselben ausfuhrlich gehandelt wird [...].- Frankfurt a.M., Leipzig: Beckenstein 1686, S. 798-816, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (im folgenden HAB): Alv. Le 92. 2 Vgl. Gottfried Arnold: Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie. Vom Anfang des Neuen Testaments Biß auf das Jahr Christi 1688. Bd. II/3. Reprint der Ausg. Frankfurt a.M. 1729.- Hildesheim: Olms 1967, S. 115-124. 3 Johann Georg Walch: Historische und Theologische Einleitung in die Religions-Streitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Faksimile-Neudruck der Ausg. Jena 1733-1739 mit einem Nachwort von Dietrich Blaufuß.- Stuttgart, Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1972-1985, Bd. I, S. 525-531 und Bd. IV, S. 577-600; vgl. ders.: Bibliotheca Theologica Selecta Litterariis Adnotationibvs Instrvcta. Bd. II.- Jena: Croecker 1763, S. 660-666. 4 Vgl. Otto Ritsehl: Dogmengeschichte des Protestantismus. Bd. IV: Das orthodoxe Luthertum im Gegensatz zu der reformierten Theologie und in der Auseinandersetzung mit dem Synkretismus.- Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1927, besonders S. 158-165; Paul Simson: Geschichte der Stadt Danzig. Bd. I-IV. Danzig: Kafemann 1913-1918, hier: Bd. II, S. 435; Heinz Neumeyer: Kirchengeschichte von Danzig und Westpreußen in evangelischer Sicht. Bd. I-II.- Leer: Rautenberg 1971-1977, Bd. I, S. 139. 5 Vgl. Richard H. Grützmacher: Artikel zu Rahtmann.- In: Realenzyklopädie Bd. XVI (31905), S. 410-412; Franz Lau: Artikel zu Rahtmann.- In: Religion in Geschichte und Gegenwart Bd. V (31961), besonders S. 770; Falk Wagner: Artikel zu Erleuchtung.- In: Theologische Enzyklopädie 10 (1982), S. 164-174 und zu Rahtmann: S. 167. 6 Engelhardt: Der Rahtmannische Streit.- In: Zeitschrift für die historische Theologie N.F. 18 (1854), S. 43-131; Richard H. Grützmacher: Wort und Geist. Eine historische und dogmatische Untersuchung.- Leipzig: Deichert 1902, bes. S. 220-261. 7 Heinrich Halverscheid: Lumen Spiritus prius quam Scriptura intellecta. Hermann Rahtmanns Kritik am lutherischen Schriftprinzip.- Diss. phil. Marburg 1971; Bengt Hägglund: Die Theologie des Wortes bei Johann Gerhard.- In: Kerygma und Dogma 29 (1983), S. 272-283.

»Das Wort sie sollen lassen

stahn...«

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auch theologie-historisch gesehen größter Wichtigkeit ist jedoch bislang gar nicht oder kaum thematisiert worden: Die Tatsache nämlich, daß im Rahtmannschen Streit beileibe nicht nur die Frage nach dem Verhältnis von biblischem Wort und göttlichem Geist ventiliert wurde, daß es vielmehr ebenso sehr um die Christologie und die Abendmahlstheologie ging, und vor allem: um die orthodoxe Operationalisierung abendmahlstheologischer sowie christologischer Reflexionen im Kontext der Hermeneutik.

2. Kurzer Überblick über den Verlauf des Rahtmannschen Streites und die Stellung Johann Gerhards zu Rahtmann Hier ist nicht der Ort, dem Gesamtverlauf des Rahtmannschen Streites nachzugehen,8 sondern nur, die wichtigsten Phasen desselben kurz zu skizzieren. Der Streit entstand im Anschluß an die Danziger Auseinandersetzung um die Rechtgläubigkeit der Schriften Johann Arndts,9 die von Hermann Rahtmann,10 Daniel Dilger11 u.a. verteidigt, von Johannes Corvinus (Rabe)12 jedoch in Zweifel gezogen wurde. Corvinus war der Ansicht, Arndts Schriften gäben Anlaß für sektiererische und rosenkreuzerische Ketzerei, womit er insofern nicht völlig unrecht hatte, als das in Danzig recht üppig florierende Rosenkreuzertum sich in der Tat auf Arndt - wenn auch auf einen ziemlich umgebogenen und entstellten - berief.

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Vgl. die detaillierte Darstellung bei Halverscheid: Lumen Spiritus (Anm. 7), S. 1-21. Vgl. hierzu kurz Martin Brecht: Das Aufkommen der neuen Frömmigkeitsbewegung in Deutschland.- In: Geschichte des Pietismus. Bd. I. Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert. Hrsg. von Martin Brecht.- Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1993, S. 113-203, hier: S. 143; ausfuhrlicher bei Wilhelm Koepp: Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum.- In: Neue Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche 13 (1912), S. 86-97. Zur Biographie Rahtmanns vgl.: Allgemeine Deutsche Biographie XXVII, S. 357f. (im folgenden ADB), und Hartknoch: Kirchen=Historia (Anm. 1), S. 812f.; Deutsches Biographisches Archiv 1001, S. 113-115 (im folgenden DBA). Vgl. Daniel Dilger: Des Ehrwürdigen/ Achtbaren vnd Hochgeiarten Herrn Johannis Arndes, im Löblichen Fürstenthumb Lüneburg General Superintendenten, Richtige/ vnd in Gottes Wort wolgegründete Lehre/ in den vier Büchern vom wahren Christenthumb: Jn etlichen Puncten auß dringenden/ Nothwendigen vrsachen/ die in der Vorrede angezogen/ repetiret vnd widerholet [...].[Danzig] 1620, HAB: 1152 Th. [5]. Zu Dilgers Biographie vgl. ADB V, S. 223; DBA 238, S. 432-435. Vgl. DBA 203, S. 164-166.

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Johann Anselm Steiger

Noch bevor der Streit über Arndt beigelegt werden konnte und nach erfolglosem Einschreiten des Danziger Rates griff der Arndt-Gegner Corvinus den Arndt-Anhänger Rahtmann an, der in einer Predigt seine typische Anschauung vom Verhältnis des äußeren zum inneren Wort entfaltet hatte, von der später noch zu reden sein wird. Richtig in Gang kam der Streit jedoch erst, als Rahtmann das bisher nur mündlich Vertretene im Jahr 1621 in seinem Werk Jesu Christi. Deß Königs aller Könige vnd Herrn aller Herren Gnadenreich auch schriftlich äußerte. Corvinus schwärzte Rahtmann im Mai 1622 bei verschiedenen theologischen Fakultäten an und meldete, in Danzig seien sieben Prediger vom rechten Glauben ab- und dem Rosenkreuzertum zugefallen, darunter auch Rahtmann. Der Rat der Stadt Danzig hängte die Sache nun an die große Glocke, indem er im Spätsommer 1623 Gutachten bei den theologischen Fakultäten in Wittenberg, Jena, Helmstedt, Königsberg und Rostock anforderte. Die Gutachten gingen Ende des Jahres 1623 bis Anfang 1624 in Danzig ein, stärkten Rahtmann jedoch nicht den Rücken, sondern äußerten mehr oder minder scharfe Kritik und machten ihm wenig Freude. Das Wittenberger Gutachten indes vertrat die gemäßigte Ansicht, man könne die Schriften Rahtmanns durchaus im orthodoxen Sinne interpretieren, wenngleich sie einer häretischen Lektüre offenstünden. Nur die Rostocker antworteten überhaupt nicht, und die Helmstedter fanden keinen gemeinsamen Nenner, weil Georg Calixt wieder einmal eine Sonderrolle spielen wollte. Neben Corvinus meldeten sich u.a. auch Andreas Hojer 13 und Johann Eberke 14 zu Wort und kritisierten Rahtmann scharf, ohne jedoch in ihrer Kritik das Argumentationsniveau der Fakultätsgutachten zu erreichen. Die Corvinsche Partei sorgte dafür, daß die Gutachten der Fakultäten gedruckt wurden, 15 um sie wie 13

Vgl. Andreas Hojer: Bestendige Lehr/ Von den zweyen jtzt streitigen Puncten/ als: 1. Von dem Innerlichen vnd Eusserlichen Menschen. 2. Von der krafift Göttliches Wortes in geistlichen Sachen [...].- Danzig: Rhete 1624, HAB: 280. 14 Th. [8]. 14 Johann Eberke: Wolgegründte Ablehnung/ des vbelgegründten SchwarmBedenckens/ Welches M. Herman Rathman [...] vber D. Cunrad Dietrichs/ Vlmischer Kirchen Superintendenten/ Disputation, von der Schwenckfelder vnd anderer Schwermerey/ so sie von dem beschriebenen vnd gepredigten Wort Gottes haben/ ohnlangst außgesprenget/ Darinn des Rathmans Schwenckfeldischer Schwindelgeist/ Sophisterey vnd Triegerey/ männiglich vor Augen gelegt/ vnd zu erkennen geben wird [...] Mit beygefügter Vorrede/ D. Cunrad Dietrichs/ an ein Edlen/ Ehrenvesten/ Wolweisen Rath der Königlichen Stadt Dantzig in Preussen/ Darinn Vrsach vermeldet/ warumb er beneben dem Vlmischen Ministerio sich in den Dantzigschen Rathmannischen Streit gelegt habe.Leipzig: Schürer 1624, HAB: 922. 1 Th. [1]. 15 Vgl. den von Corvinus, Johannes Rosteuscher, Friedrich Zwicker, Christian Brackermann, Georg Gilbert, Peter Richter, Johann Jacob Cramer u.a. Danziger Geistlichen unterzeichneten >Sendebrief casus < zu äußern. Dieser Bitte entsprachen die Rostocker in einem im September 1626 aufgesetzten und auf Mäßigung und Beilegung des Streits dringenden Gutachten, in dem sie die Ansicht vertraten, Rahtmann sei zu Unrecht verketzert worden. Bevor der Konflikt an seinen Höhepunkt gelangte, segnete Rahtmann am 30. Juni 1628 das Zeitliche. 1 8 In Danzig kam es nach Rahtmanns Tod aufgrund einer von den Danziger Pfarrern gemeinsam aufgesetzten Verlautbarung zu einer friedlichen Einigung. 1 9 Nun erst, im Juli 1628, Helmstädt Vber M. Hermanni Rathmanni Predigers zu S. Catherinen binnen Dantzig außgegangenen Büchern/ vnd darinnen befundenen verwerfflichen Reden/ so wol als jrrigen Lehren verfasset/ Vnd nunmehr Sampt außftihrlicher Widerlegung seines Gegenberichtlichen Extracts/ der nothleidenten [!] Warheit zu Steur/ dem Einfeltigen zum Vnterricht/ der zerrütteten Kirchen zu befriedigung auff sonderbahres Begehren in offenen Druck gegeben.- Jena: Birckner 1626, HAB: 466. 1 T h , hier bes. fol. lv/2r. 16 Vgl.: Extract Des Gegenberichts/ was in der Wittenbergischen vnnd Jehnischen Censur so wol bedenckliches als jrriges vorleufft. Einem Erbarn Hochweisen Rath der Königlichen Stadt Dantzig Vnterdienstlichen vbergeben Durch M. Hermannum Rathman Predigern zu S. Marien. Vnd Von den Authoren der obgedachten Censuren durch Frag vnd Antwort von Punct zu Punct ordentlich vnd gründlich widerleget.- In: Censuren vnd Bedencken (Anm. 15), S. 192-552. 17 Wolgegründetes Bedencken. Was Von deß D. Conradi Dieterichs seinen SchwarmFragen/ darinnen er vom Schwenckfeldianismo/ betreffend das Beschriebene vnd gepredigte Wort GOttes/ handelt/ vnd desselbigen andere beschüldiget/ zuhalten sey: Worbey auch die Frage erörtert wird. Ob ohne vorhergehende Erleuchtung deß H. Geistes die Heilige Schrifft möge verstanden werden/ etc. [...].- Lüneburg: Stern 1623, HAB: 879 Th. [5]; Abgenöthigte Antwort [...].- o.O.u.J., HAB: 389.1 Th. [3], 18 Michael Blanckius: Christliche Leich=predigt [...] bey der Begräbniß des Ehrwürdigen und Wohlgelahrten Herrn M. Hermanni Rathmanni weyland Pastoris der Kirchen zu S. Catharinen in Dantzig, welcher im 1628. Jahr am 30. Junii seliglich im Herrn entschlaffen [...].- Danzig: Stolle 1697, Niedersächs. Staatsund Universitätsbibliothek Göttingen: 8° Th. Polem. 148/1:9 [25]. 19 Sie ist abgedruckt bei Hartknoch: Kirchen=Historia (Anm. 1), S. 813-816. Hier heißt es u.a.: »Das heilige/ geschriebene/ gepredigte/ gehörte und betrachtete Wort Gottes ist in seiner volkommenen rechtmässigen definition kein Zeichen/ sondern ein lebendiges göttliches und geheiligtes Werckzeug der Bekehrung/

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machte sich Johann Gerhard nach A u s k u n f t seines B i o g r a p h e n Erdmann R u d o l f Fischer 2 0 i m A u f t r a g e des Kurfürsten v o n S a c h s e n , Johann Georg I., an die Ausarbeitung einer Schrift z u m Fall Rahtmann. S i e trägt den Titel Von der Natur, Krafft vndt Wirckung des geoffenbarten vndt geschriebenen Wortes Gottes.11 N e b e n der V o r l a g e für den Setzer sind v o n der Schrift z w e i V o r e n t w ü r f e 2 2 und eine gedruckte V e r s i o n überliefert. In d i e s e m Traktat entwickelt Gerhard die Lehre v o n der Untrennbarkeit des H e i l i g e n G e i s t e s v o n der Schrift, e t w a w e n n er sagt: Wie die H. Schrifft vor vnserm lesen vnd [m]editiren ist Scriptura δεόπνευστος eine von Gott eingegebene [s]chrifft 2. Tim. 3. v. 16. also ist sie auch vor vnserm lesen vnd meditiren [ein]e Krafft Gottes, die da kan selig machen wen sie wirdt [ge]lesen, betrachtet, vndt mitt gleuben angenommen. Rom. 1. v. 16.23 W i e intensiv Gerhard an d i e s e m Traktat gearbeitet hat, m a c h e n die bislang zwar nicht unbekannten, aber n o c h nicht e i n g e h e n d ausgewerteten A k t e n deutlich. D i e drei o f f e n s i c h t l i c h mehrfach redigierten, ergänzten und verbesserten V e r s i o n e n veranschaulichen, w i e v i e l M ü h e Gerhard

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dadurch die in Sprüchen und Worten angedeutete Meynung dem Menschlichen Hertzen beygebracht und appliciret wird. Wird verworffen/ daß das Wort Gottes nur objective oder significative zeuge/ lehre und weise/ als ein Gemähide und Contrafactur, was Gottes Wesen und unser Gebühr sey.« Erdmann Rudolf Fischer: Vita Ioannis Gerhardi [...].- Leipzig: Coerner 1723, HAB: Db 1525, S. 340. Gedruckt ist sie bei Georg Dedeken: Thesauri Consiliorum Et Decisionum Appendix Nova, Continens quaedam inserenda Operi Dedekenno-Gerhardino: Das ist Vornehmer Universitäten/ Hochlöblicher Collegien, wohlbestallter Consistorien auch sonst Hochgelahrter Theologen und Juristen Rath/ Bedencken/ Antwort/ Belehrung/ Erkentnüß/ Bescheide und Urtheile in und von allerhand schweren Fällen und wichtigen Fragen/ belangend so wohl Religions- Glaubens- Gewissens- Kirchen- Ampts- und Ehe-/ als Bürgerliche und andere Sachen/ wie dieselben täglich furfallen und gereget werden mögen: Neuer Anhang/ Darinnen Was von Anno 1623. biß auff itzige Zeit an Consiliis von Nachbenahmten ausgearbeitet/ und zu dreyen Voluminibus des Dedekenni gehöret/ begriffen/ Allen hohen und niedrigen Standes/ Geistlichen und Weltlichen Personen sehr nötig und nützlich/ In richtige Titulos, Sectiones und Numeros ordentlich verfasset/ und mit beygefügten Indicibus in Druck gegeben Durch M. Christianum Grübelium [...].- Jena, Hamburg: Hertel 1671, HAB: Li 2 ° 3 9 , S. 201-274. Die drei Versionen - alle von der Hand Gerhards stammend - befinden sich in der Forschungsbibliothek Gotha: Chart. A 88, fol. 113-239. Der erste überlieferte Entwurf (fol. 113-144) dokumentiert Gerhards Aus- und Umarbeitung des Textes. Es folgt eine kürzere Version, die sich auf die Gegenüberstellung der >theses orthodoxae< und >heterodoxae< beschränkt (fol. 145-152). Anschließend findet sich die Satzvorlage (fol. 159-239), in die der Setzer die Bogensignaturen eingetragen hat. Ebd., fol. 229r.

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damit gehabt haben mag, eine wirklich treffende Kritik an Rahtmann zu formulieren, hatte er sich doch zunächst auf dessen Seite gestellt, als er an ihn schrieb: »Jch betaure, daß auch euerer schrifft [d.h. Rahtmanns Gnadenreich-, A.S.], die gewißlich sehr gottselig und gelehrt ist, der Schandfleck einer ketzerey angehänget wird«.24 Interessant zu wissen wäre, was mit dem »auch« gemeint ist. Womöglich spiegelt sich Gerhard, dessen erster Auflage der Schola Pietatis der Vorwurf gemacht worden zu sein scheint, taulerisches, mithin religiös-fanatisches Gedankengut zu enthalten,25 hier in Rahtmann. Nach Arnold nahm Gerhard Rahtmann auch Balthasar Meisner gegenüber in Schutz.26 Und noch bei Johann Major, seinem Kollegen an der Jenenser Fakultät, scheint Gerhard versucht zu haben, ein gutes Wort für Rahtmann einzulegen.27 24 25

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Arnold: Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie (Anm. 2), Bd. II, S. 120a. Vgl. Fischer: Vita Ioannis Gerhardi (Anm. 20), S. 301f.; Johann Anselm Steiger: Johann Gerhard (1582-1637). Studien zu Theologie und Frömmigkeit des Kirchenvaters der lutherischen Orthodoxie.- Stuttgart, Bad Cannstatt: Frommmann-Holzboog 1997 (=Doctrina et Pietas; 1), S. 78f. - Vgl. Heinrich Ammersbach: Evangelische Buß=Posaune/ Das ist Christliches Sendschreiben/ Oder Treuhertzige Erinnerung/ An alle und jede/ Christliche/ insonderheit Evangelische/ Herren/ Potentaten und Obrigkeiten in Deutschland [...].- Quedlinburg: Ockell 1663, Staatsbibliothek Berlin, Unter den Linden: Be 2984, S. 10, der folgendes Gedicht Gerhards abdruckt, das er einer Disputation Arnold Mengerings entnommen hat: Qui Studium hoc aevo pietatis gnaviter urget, Et Sophies partem tractat utramque sacrae. Ille Rosicrucius vel VVeigelianus habetur, Et nota turpis ei scribitur haereseos. De me non verita est virosa calumnia id ipsum Spargere & his nugis conciliare fidem. Ο coecas hominum mentes, Ο pectora coeca! Ο sine Judicio debile Judicium! Discite quaeso prius, quis vere VVeigelianus, Quisve Rosicrucius, discite quaeso prius. Dispellunt radij solares nubila coeli, Lux veri e falsis clarior emicuit. Arnold: Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie (Anm. 2), Bd. II, S. 120b: »Meine Collegen scheinen etwas zu scharff von Rathmanns schrifft zu urtheilen. Jch sehe, daß er incommode redet, und zwar also, daß es leicht auf einen fremden verstand mit gewalt gezogen werden kan. Weil aber des auctoris orthodoxie bekannt ist, so müsse man Rathmannen rathen, daß er in der andern edition etliche redens=arten ausliesse, oder erklärte. D. Corvinus soll seinen affecten ziemlich, wo nicht gar zu sehr, nachhängen, wann das nicht wäre, so hätte er vielleicht mit Rathmannen und seinen übrigen Collegen diesen streit nimmermehr angefangen.« Ebd., S. 120bf.: »Major hat ein responsum aufgesetzet, aber es ist mehr oratorisch, als logisch oder theologisch. Wegere ich mich nun der Unterschrift!, so komme ich in verdacht, als hielte ichs mit Rathmannen, unterschreibe ich aber,

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Dennoch hat Gerhard das Jenenser Gutachten gegen Rahtmann mitunterzeichnet und sicherlich auch an dessen Ausarbeitung Anteil gehabt. Gerhard zu unterstellen, er habe nur den Weg des geringsten Widerstandes beschritten und Rahtmann fallengelassen - in diese Richtung geht die Darstellung Arnolds - ist nicht ohne weiteres zu übernehmen, zumal sie nicht in Rechnung stellt, daß Gerhard im Progreß der Diskussion hinzugelernt haben könnte. Aber natürlich sind auch religionspolitische Eckdaten und Notwendigkeiten mitzubedenken. 28 Das schärfste Geschütz jedoch, das die Orthodoxie - wenn auch erst nach dessen Tod - gegen Rahtmann auffuhr, war die durch den sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. einberufene Theologenversammlung in Leipzig im August 1628. Den Vorsitz hatte der Dresdner Oberhofprediger Matthias Hoe von Hoenegg. Aus Jena kam Johann Gerhard, aus Leipzig nahmen Polycarp Leyser d.J., Heinrich Höpfner und Johannes Höpner teil, aus Wittenberg reisten Jakob Martini, Paul Röber und Wilhelm Leyser an, Marburg entsandte Simon Gedicke und Zeitz Erhard Lauterbach. Ergebnis der Beratungen ist eine Schrift, die 1629 im Druck erschien und den Titel trägt: Der reinen/ wahren/ Evangelischen Kirchen/ vnd vngeänderter Augspurgischer Confession zugethaner Theologen Wiederholete richtige/ gründliche/ vnd vnwiderlegliche Lehr/ Von der heiligen Schrifft/ Oder dem heiligen geoffenbarten Wort Gottes/ was dasselbe seiner Natur vnd Eigenschafft nach sey/ vnd daß es die Krafft vnd Vermögen zu erleuchten/ zu bekehren/ vnd selig zu machen warhafftig vor/ vnd in dem Gebrauch/ in vnd bey sich habe [...]. 29

Es ist ein Dokument, das für die weitere Entwicklung der lutherischorthodoxen Theologie von höchster Bedeutung werden sollte. Diese Schrift, die Grützmacher aufgrund der verfehlten Vermutung, sie enthalte im wesentlichen wohl nichts anderes als die Fakultätsgutachten, außer acht gelassen hat,30 läßt erkennen, zu welch gründlicher Systematisierung und denkerischer Durchdringung der strittigen Thematik die orthodoxe Seite inzwischen vorgedrungen war. Die hier geleistete und von Gerhard gründlich vorbereitete Reflexion bezüglich der Hermeneutik

28 29 30

so lade ich mir die arbeit auf den halß, die man zur defension des responsi wird thun müssen. Diese aber wird nicht gering seyn, denn er streitet in vielen wider Rathmannen, das dieser doch niemals gesagt hat, in noch mehrern aber, was gar fuglich und wohl kan erkläret werden, und in den allermeisten, was von dem statu quaestionis weit entfernet ist. Jch habe ihn zwar treulich und aufrichtig daran erinnert, weil er aber Senior des Collegii ist, so leidet er keine erinnerung, und sorget, es möchte seiner auctorität etwas abgehen, wenn er eine freundliche ermahnung zuliesse.«; vgl. zum Zusammenhang Halverscheid: Lumen Spiritus (Anm. 7), S. 12f. Vgl. ebd., S. 24f. Leipzig: Schürer 1629, HAB: 280. 14. Th. [2], Vgl. Grützmacher: Wort und Geist (Anm. 6), S. 246, Anm. 3.

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der efficacia des leiblichen Wortes im Kontext von Abendmahlstheologie und Christologie - und das übersieht Grützmacher - ist in den Fakultätsgutachten noch längst nicht in diesem Maße ausgereift. Übersehen wurde in der Forschung bislang zudem, daß Gerhards Schrift Von der Natur [...] ganz deutlich eine Vorarbeit und Diskussionsgrundlage für den Theologenkonvent gewesen und als solche wohl auch vom Kurfürsten in Auftrag gegeben worden ist. Nur so ist zu verstehen, warum sich ganze Passagen aus Gerhards Traktat auch in der gemeinsamen Verlautbarung des Konventes wiederfinden und weswegen Gerhard in den zusammenfassenden »theses orthodoxae«, den Bekenntnisstil der Formula Concordiae imitierend, formuliert: »Wir glauben, lehren vndt bekennen [...]«, 31 was er bestimmt nicht getan hätte, hätte er nicht das Ziel eines gemeinsam lutherisch-orthodox formulierten bekenntnisartigen Textes vor Augen gehabt. Nachwirkungen hatte der Streit in mannigfaltiger Gestalt, z.B. im Pietismus, wovon u.a. Rahtmannus Redivivus aus dem Jahr 1697, verfaßt von dem Danziger Pfarrer an St. Katharinen, Friedrich Christian Bücher, Zeugnis ablegt.32 Er wirft Philipp Jakob Spener vor, sich der Neuauflage der Rahtmannschen Häresie schuldig zu machen, wenn er die Heiligung fur eine unabdingbare Voraussetzung der illuminatio durch den Geist halte. 33 Auch der Streit zwischen dem Königsberger Theologieprofessor Coelestin Mislenta und dem litauischen Pfarrer Caspar Movius 34 müßte einmal eingehend untersucht werden. Zwar hatte Movius Sympathien fur Rahtmann und entlieh sich von ihm den einen oder anderen Gedankengang. Die Position des Movius kann jedoch nicht einfach mit der Rahtmanns identifiziert werden, wie dies in der zeitgenössischen orthodoxen Kritik und in den bisherigen Untersuchungen zur Sache zuweilen 31 32

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34

Gerhard: Von der Natur (Anm. 22), fol. 145r und 149r. Friedrich Christian Bücher: Rathmannus Redivivus. Das ist/ Pietistische Ubereinstimmung in dem Articul von der Heiligen Schrifft/ mit denen Fanaticis, Sonderlich M. Hermanno Rathmanno, richtig gezeiget/ und schrifftmäßig erörtert [...].- Leipzig: Grosse 1697, HAB: Xb 1291 [1], Vgl. ebd., S. 156-203; vgl. die von Spener selbst bevorwortete Spener-Apologie von Baltasar Köpke: Rathmannus Redivivus. Das ist/ Pietistische Übereinstimmung Jn dem Articul Von der Heil. Schrifft/ Mit denen Fanaticis und sonderlich M. Hermanno Rathmanno, Oder Rathmannische (so genannte) Schwarm=Fragen/ Kurtz beantwortet [...] Samt einer Vorrede Philipp Jacob Speners [...].- Frankfurt a.d. Oder: Schrey 1698. Das Exemplar mit der Signatur Xb 1291 [2] aus der HAB ist ein Fragment und enthält nur das Titelblatt, eine Vorrede Speners und ein Register. Zur Auseinandersetzung Büchers und Röpkes vgl. überblicksartig Martin Brecht: Philipp Jakob Spener. Sein Programm und dessen Auswirkungen.- In ders.: Geschichte des Pietismus. Bd. I (Anm. 9), S. 279-389, hier: S. 366f. Biographisches in: DBA 863, 122-125.

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der Fall gewesen ist.35 Denn Movius trennte längst nicht mit der Entschiedenheit Rahtmanns Wort und Geist voneinander, sondern übte hauptsächlich an der These der Orthodoxen Kritik, die Schrift sei auch außerhalb des Gebrauchs geistbegabt.36

3. Die Position Rahtmanns Die Heilige Schrift - so Rahtmann - ist nicht identisch mit dem ewigen Wort des Vaters.37 Es gibt vielmehr einen fundamentalen Unterschied zwischen dem äußeren Wort, wie es in der Schrift bezeugt ist, und dem 35 36

37

Vgl. Grützmacher: Wort und Geist (Anm. 6), S. 246. Vgl. Caspar Movius: Kurtz Bekentnuß vnd Schriffitmessige meinung Vom Worte Gottes vnd desselben krafft. Darin aus heiliger Schriffi/ Augspurgischer Confession/ vnd Concordienbuch/ wie auch aus den furnembsten Lutherischen Scriptoribus erwiesen wirt/ daß die göttliche krafft vnd gnadenwirckungen/ als bekehrung/ erleuchtung/ Wiedergeburt vnd seligmachung/ dem Worte Gottes beygeleget vnd attribuiret werden/ nicht natürlicher/ auch nicht wesentlicher weise/ auch nicht an sich/ aus sich/ vnd für sich ausser dem rechten gebrauch/ besondern aus Gottes Ordnung/ nur instrumentaliter, oder werckzeuglich=vrsachlicher weise/ vmb vnd von wegen der gnaden gegenwart vnd beywohnung Gottes des heiligen Geistes [...].- Danzig: Rhete 1626, HAB: 280. 14 Th. [10], S. 36f.: »ES folget auch endlich aus dem/ was vorher erwiesen/ daß die göttliche krafft vnd gnadenwirckungen dem Worte Gottes zustehen nicht absolute, schlechter ding/ sondern nur im rechten vnnd von GOTT geordneten gebrauch/ denn ein Instrument vnd Werckzeug heist also/ vnnd ist denn ehist in warheit ein Werckzeug/ wens im gebrauch ist/ ausser welchen [!] jhme die krafft vnnd wirckung der hauptwirckenden vrsach nicht kan beygeleget werden [...] Es ist aber Gottes Wort im rechten gebrauch/ wenn es geprediget/ gehöret/ gelesen/ vnd im hertzen betrachtet wird.« Nur im Gebrauch des Wortes Gottes in Predigt, Unterricht und Meditation sind verbum und spiritus sanctus miteinander vereint: »Jnmassen auch der Heilige Geist seine gnade vnd krafft zum worte bringet/ vnd dadurch exeriret, so bald es in den rechten gebrauch gesetzet wird. Denn vom Worte im rechten gebrauch ist der heilige Geist mit seiner krafft nit ein Augenblick getrennet/ Es. 59. v. 21. [...] Ausser solchem gebrauch hat Gottes wort die krafft der bekehrung nicht bey sich weder actu primo noch secundo, wie folgende gründe klärlich vnd herrlich ausweisen«, vgl. ebd., S. 37f. Aus Joh 6,21, wo Christus sagt »die Worte, die ich rede, sind Geist und Leben«, muß - so Movius - gefolgert werden: »Daß aber ausser dem rechten gebrauch dem Worte Gottes die göttliche gnadenkrafft einverleibet sey/ kan aus der Bibel mit einigen tüttel nicht erwiesen vnd dargethan werden«, vgl. ebd., S. 38f. Vgl. Hermann Rahtmann: Jesu Christi. Deß Königs aller Könige vnd Herrn aller Herren Gnadenreich [...].- Danzig: Hünefeldt 1621, HAB: 357 Theol. [3], hier fol. alv: »Demnach 1. Erstlich ist gewisse/ daß die Schriffi nicht sey das ewige Wort deß Vaters/ von welchem geschrieben stehet/ (loh. 1.) Jm Anfange war das Wort/ etc. Denn diß Wort ist Ewig/ die H. Schriffi aber ist in der Zeit promulgiret vnd offenbahret.«

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göttlich-inneren, vom Geist eingegebenen Wort, das die Propheten und Apostel bei der Niederschrift des ihnen unmittelbar Offenbarten fur sich behalten haben, weil es sich nicht in Buchstaben fassen läßt. 38 Von einer Bindung des Geistes an das verbum externum, also an den Buchstabenbestand der Bibel oder an das mündliche Wort der Predigt, kann nach Rahtmann nicht die Rede sein. Positiv formuliert geht es Rahtmann in seinem Geist-Schrift-Dualismus um die Wahrung der Freiheit und Souveränität des Geistes und letztendlich um dessen Gottheit. Dem Grundsatz folgend, daß Gleiches nur durch Gleiches erkannt wird, ist es Rahtmanns unumstößliche Überzeugung, daß der göttliche Wille und die Botschaft des Evangeliums aus dem Lektüreakt der Bibel nicht erkannt werden können, es sei denn, daß der Heilige Geist in einem zusätzlichen Akt sozusagen assistierend hinzutritt und das Verständnis der Schrift öffnet. 39 Obgleich das Schriftverständnis Rahtmanns Einflüsse eines recht stark spiritualistisch interpretierten Arndt 40 sowie der spezifischen Hermeneutik Schwenckfelds 41 und Weigels verrät, ähnelt es auch sehr der Abendmahlslehre Calvins und seiner Nachfolger. Ja, mehr noch: Rahtmanns Schriftlehre und Calvins Abendmahlstheologie beruhen auf demselben Grundgedanken. Denn auch Calvin hatte in der Absicht, die göttliche Transzendenz und Freiheit zu wahren, gelehrt, daß Christus könne unmöglich wahrhaft leiblich in Brot und Wein gegenwärtig sein, da sein Leib seit der Himmelfahrt zur Rechten Gottes sitze. Daher könne Christi Anwesenheit im Sakrament des Altars nicht als eine Realpräsenz, sondern nur als eine Spiritualpräsenz aufgefaßt werden. Der Heilige Geist 38

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40

41

Vgl. ebd., fol. a4r/v. Für Rahtmann steht fest, »das also das innerliche Wort die Apostel in jhrem Gemüthe behalten haben/ aber das eusserliche Wort als ein Zeugniß haben sie vns gelassen [...].« Vgl. ebd., fol. b3r: »Was vns bekehret/ zu Gott führet/ heiliget/ reiniget/ beseeliget/ das muß in die Seele kommen vnd auffgenommen werden: Nun aber kompt die H: Schrifft/ so ferne sie im Buchstaben verfasset vnd verzeichnet ist/ nicht in die Seele/ sondern bleibet in jhren Tafeln/ aber die Erleuchtung vnd der Geist der ereugnet sich in der Seelen. Darumb die Schrifft/ so ferne sie im Buchstaben verfasset ist/ die Seele vnnd den Menschen nicht fasset vnd wandelt zur Bekehrung/ Heiligung/ Beseeligung.« Vgl. zu Arndt Bernd Hamm: Johann Arndts Wortverständnis. Ein Beitrag zu den Anfangen des Pietismus.- In: Pietismus und Neuzeit 8 (1982), S. 43-73; Inge Mager: Gottes Wort schmecken und ins Leben verwandeln. Johann Arndts Schriftverständnis.- In: Jahrbuch für finnisch-deutsche Literaturbeziehungen 24 (1992), S. 149-158; dies.: Spiritualität und Rationalität. Johann Arndt und Georg Calixt in Norddeutschland im 17. Jahrhundert.- In: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 90 (1992), S. 31 - 4 1 . Vgl. hierzu Johann Anselm Steiger: Das >verbum externum< in der SeelsorgeTheologie des Spiritualisten Caspar Schwenckfeld von Ossig.- In: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie 35 (1993), S. 133-149.

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tritt dieser Lehre zufolge assistierend zu den äußerlichen Elementen Brot und Wein hinzu und vergegenwärtigt Christus in einer seiner leiblichen Präsenz analogen Weise.42 Natürlich wußten auch die orthodoxen Gegner Rahtmanns, daß ihr Kontrahent nicht einfach mit den Calvinisten über einen Kamm geschoren werden kann. Daß die Orthodoxen im Streit mit Rahtmann jedoch immer auch anti-calvinistische Kontroverstheologie betrieben haben, hat seinen Grund nicht zuletzt darin, daß es in der Tat bei Rahtmann Gedankenstrukturen gibt, die eine Verwandtschaft mit dem Calvinismus nicht leugnen können. Zuweilen hat sich Rahtmann, nachdem er in Danzig mit dem Calvinismus in Berührung gekommen war, auch auf Schriften von Theodor Beza und David Pareus berufen. Seit den kryptocalvinistischen Debatten und seitdem der Calvinismus sich fast allerorts in Deutschland - vor allem auch in Danzig auf dem Vormarsch befand, war man lutherisch-orthodoxerseits empfindlich. Rahtmann vergleicht die Heilige Schrift oft mit einem Wegweiser, der den Weg zwar zeige, aber nicht bewirken könne, daß der Wandernde ihn auch gehe. 43 Auch die Farbe einer Wand könne schließlich nicht erkannt werden, ohne daß die Sonne sie bescheint. 44 Die Bibel als äußeres Wort ist daher nach Rahtmann nur signum\ die res signata - also die glaubenstiftende und heilbringende Botschaft vom göttlichen Willen und Heilsplan - jedoch liegt im inneren Wort, das nur aufgrund der Erleuchtung des Heiligen Geistes begriffen und > effective Organon efficax< nenne. 48 Obgleich die expliziten Bezugnahmen Rahtmanns auf calvinistische Theologen nicht sehr häufig sind und sich aus naheliegenden Gründen auch nicht empfahlen, muß doch die von Grützmacher verfochtene Ansicht, die reformierte Theologie habe auf Rahtmann keinen Einfluß ausgeübt, 49 revidiert werden. Wenn Rahtmann die Schrift ein bloßes signum nennt, dann schwingen hier zugleich Obertöne der Abendmahlslehre Zwingiis mit, der der Meinung war, das »hoc est corpus meum« der Einsetzungsworte müsse als »hoc significat corpus meum« verstanden werden, das Abendmahl sei also lediglich Zeichen einer Sache, die durch es selbst nicht verliehen werden könne. Gleichzeitig - und um die Tragweite dessen mußte Rahtmann wissen - begab sich der Danziger Pfarrer zumindest in die Nähe des Karlstadtschen, Weigelschen, Schwenckfeldschen und Jakob Böhmeschen Spiritualismus, 50 der in radikaler Weise lehrte, der tötende Buchstabe der Bi-

48 49

50

müsse machen/ daß wir fruchtbarlich die Schrifft betrachten/ vnnd darauß den lebendigen Verstand im Hertzen empfangen mögen.« Vgl. zu Pareus ebd., S. 1 lf.; zu Beza vgl. ebd., S. 13. Grützmacher: Wort und Geist (Anm. 6), meint, daß Rahtmann zwar »ähnlich wie mehrfach reformierte Theologen das testimonium spiritus sancti [...] von der Schrift gelöst« (S. 236) habe, sich seine Inspirationslehre aber »nicht aus reformierten Einflüssen« (S. 245; vgl. S. 224) erklären lasse. Vgl. Rahtmann: Jesu Christi [...] Gnadenreich (Anm. 37), fol. b4r/v: »Darumb ob wol die H. Schrifft vnd deroselbigen erwegung vnd betrachtung vnd erleuchtung zum rechten verstände/ tempore simul, in der zeit zusammen sind in actu conversionis & agnitionis, in dem der Mensch lernet GOTT erkennen vnd wird bekehret/ vnd zu GOtt gefuhret/ so gehet doch nach vnd in der Ordnung

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bei könne nur dann recht interpretiert werden, w e n n z u v o r die innere Erleuchtung d e s H e r z e n s durch den Geist g e s c h e h e n sei, die s i c h an keine Vermittlung binden könne. In ihrer p o l e m i s c h e n Identifizierung der R a h t m a n n s c h e n mit der spiritualistischen P o s i t i o n j e d o c h haben die Ort h o d o x e n häufig, j e d o c h nicht durchweg 5 1 z u w e n i g realisiert, daß Rahtmann sich doch g a n z grundsätzlich v o n letzterer unterschied und sie auch intensiv kritisierte. 5 2 S o hat er im G e g e n s a t z zu S c h w e n c k f e l d z . B . zunächst daran festgehalten, daß der A n f a n g der Erkenntnis und des Glaubens durch die H e i l i g e Schrift als Initialzündung g e l e g t wird 5 3 und die B i b e l w e i t mehr i m H e i l s p r o z e ß zu b e w i r k e n hat als eine B e stätigung d e s zuvor ins Herz des M e n s c h e n unmittelbar Eingestrahlten. Allerdings bleibt hier i m m e r mitzubedenken, w i e w e i t Rahtmanns Ä u ßerungen als A k k o m m o d a t i o n e n an das ihm v o n der Orthodoxie A b v e r langte g e w e r t e t w e r d e n müssen. A u f f ä l l i g ist nämlich, daß Rahtmann sich i m weiteren V e r l a u f des Streites o f f e n s i c h t l i c h b e m ü h t e b z w . g e z w u n g e n fühlte, zumindest p a s s a g e n w e i s e und in z u n e h m e n d e m M a ß e

deß wahren lebendigen Erkäntniiß oder bekehrung die erleuchtung vorher [...] weil die Erleuchtung geschieht durch den H. Geist/ als die Häuptvrsach/ die deß Menschen hertz einig vnd allein anfasset das der Same Gottes hinein komme.« 51 Das Gutachten der Königsberger (vom 22. März 1624).- In: Censuren vnd Bedencken (Anm. 15), S. 6 7 - 8 5 , hier: S. 71 differenziert hier stärker: »Dann ob gleich Herr Rahtmannus die Schrifft mit dem heiligen Geist conjugiret, vnnd wider Schwenckfeld schreibet/ der Mensch werde via ordinariä anders nicht/ dann durch die heilige Schrifft zu GOtt geführet/ bekehret vnnd erleuchtet/ so helt ers doch in dem mit Schwenckfeld/ daß er nicht gläubet/ daß die heilige Schrifft/ als GOttes Wort die inwendige Krafft bey sich habe/ des Menschen Hertz zu erleuchten.« 52 Vgl. Jenenser Censur vom 16. Dez. 1623.- In: Censuren vnd Bedencken (Anm. 15), S. 86-191, hier: S. 136; auch: Der reinen/ wahren/ Evangelischen Kirchen [...] Lehr (Anm. 29), S. 4 und S. 116, wo Rahtmanns Lehre »der newe Schwenckfeldische Schwärm« genannt wird; zur Distanzierung Rahtmanns von Schwenckfeld vgl. Rahtmann: Wolgegründetes Bedencken (Anm. 17), S. 77ff. 53 Vgl. Rahtmann: Jesu Christi [...] Gnadenreich (Anm. 37), fol. b3r/v: »Doch bleibt es gewisse das ohne die Schrifft/ als eine Regula vnd Richtschnur der Warheit/ via ordinaria, nach ordentlicher weise niemand vrsprünglich zu GOTT geflihret vnd bekehret werde. Denn wer den König nicht kennet/ der kan ohne das Bild nicht kommen zur erkäntnüß: Also auch Gottes wahres Erkäntnüß kan ohne die Schrifft nicht eröffnet werden. Vnd wie Gott zwar anfenglich alles erschaffen ohne mittel auß nichts/ aber nun erhelt alle Creaturen durch mittel [...] Also/ ob er wol wunderbar ohne mittel mit vielen Propheten vnd Aposteln gehandelt hat/ so wil er doch vns an seine H. Schrifft/ als zu seinem Zeichen/ davon der Anfang der Erkäntnüß geschehen sol/ gewiesen haben/ darinne der arme Svvenckfeldius seine meynung nicht recht hat an tag geben können.« Später allerdings tritt dieser Aspekt bei Rahtmann zurück, worauf Halverscheid: Lumen Spiritus (Anm. 7), S. 174f. hinweist.

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der P o s i t i o n der Orthodoxie sich anzunähern, o h n e sich ihr w i r k l i c h anzuschließen. 5 4 In E r w ä g u n g g e z o g e n w e r d e n m u ß z u d e m der bislang n o c h kaum w a h r g e n o m m e n e b z w . v o n Grützmacher unterschätzte 5 5 U m s t a n d , daß auch die mit seiner s p e z i f i s c h e n Trennungschristologie e n g verbundene Schrifthermeneutik des späten Andreas Oslander 5 6 e i n e n w i c h t i g e n R a n g innerhalb der G e n e s e der Lehre Rahtmanns v o m Wort Gottes einn e h m e n könnte. N i c h t erst bei Hartknoch - w i e Grützmacher m e i n t 5 7 - , sondern s c h o n in Gerhards S t e l l u n g n a h m e zur Rahtmann-Frage wird darauf aufmerksam gemacht, daß der D a n z i g e r Pfarrer Oslanders Nürnberger Ratschlag58 erneut hat drucken lassen. Weiter w e i s t das Gutachten d a r a u f h i n , daß sich in Oslanders 1551 in K ö n i g s b e r g erschienener Schrift Von dem einigen Mittler u.a. A u s f ü h r u n g e n zur Relation v o n verbum externum u n d internum finden, die den Rahtmannschen verwandt seien. Oslander, welcher vor der Zeit in den Preusischen [!] Kirchen auch grosse Unruhe gestifftet/ hat An. 1551. zu Königsberg in Preussen seine Confession drucken lassen/ darinnen er c. 2. p. 1. also schreibet: Das eusserliche Wort/ wenns ohne Frucht bleibet/ und nichts wircket/ so liegt es da wie ein alter verworffener Schuch im Winckel/ 5 9 lehret auch daselbst/ daß die Gottlosen nur haben das eusserliche Wort oder das eusserliche Zeugniß/ nicht aber das innerliche und geistliche Wort/ 6 0 welches Geist und Leben ist/ Joh. 6. v. 63. aller54

Vgl. Rahtmann: Wolgegründetes Bedencken (Anm. 17), S. 37, wo er in scheinbar völliger Übereinstimmung mit den Orthodoxen sagen kann, daß der Geist »Jn/ Durch/ Bey/ Mit/ nach der Schrifft« wirkt. 55 Vgl. Grützmacher: Wort und Geist (Anm. 6), S. 224f., Anm. 3. 56 Zu Oslanders spezifischem Schriftverständnis vgl. Gerhard Müller: Andreas Oslander und die Heilige Schrift.- In Martin Brecht (Hrsg.): Text - Wort Glaube. Studien zur Überlieferung, Interpretation und Autorisierung biblischer Texte. Festschrift Kurt Aland.- Berlin usw.: de Gruyter 1980 (= Arbeiten zur Kirchengeschichte; 50), S. 255-273. 57 Vgl. Grützmacher: Wort und Geist (Anm. 6), S. 225, Anm. 3. 58 Vgl. Andreas Oslander d.Ä.: Gesamtausgabe. Bd. I. Hrsg. von Gerhard Müller.- Gütersloh: Mohn 1975, Nr. 2 5 - 2 8 ; vgl. Gottfried Seebaß: Bibliographia Osiandrica. Bibliographie der gedruckten Schriften Andreas Oslanders d.Ä. (1496-1552).- Nieuwkoop: de Graaf 1971, Nr. 7. 59 Vgl. Andreas Oslander d.Ä.: Von dem einigen mitler Jhesu Christo und rechtfertigung des glaubens bekantnus (8. Sept. 1551).- In ders.: Gesamtausgabe. Bd. X. Hrsg. von Gerhard Müller und Gottfried Seebaß.- Gütersloh: Mohn 1997, S. 78-300, hier: S. 118, 4 - 8 : »Das eusserlich [Wort] verschwindet im ohr, das innerliche aber wird ergriffen und angenommen vom verstand. Verachtete nun der mensch, so vergist ers und verleurt es wider, oder, wan ers schon nicht vergist, so bleibt es doch on frucht und wircket nichts, sonder ligt da wie ein alter, verworfner schuch in eim winckel.« 60 Vgl. ebd., S. 116, 3 2 - 3 6 : »Wann nun das innerlich wort also in dem eusserlichen wort daherfehret und kompt in die ohren, die nicht hören, sonder taub

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dings wie Rathman lehret/ daß die Gottlosen nur das eusserliche Zeugniß und todten Buchstaben haben. Ja es hat Rathman des Osiandri Büchlein/ dessen Titel/ getreuer Nürnberger Rathschlag zum Zeugniß des consens bey sein Bedencken wider D. Dietericum 61 auff neue drücken lassen. Jn welchem Büchlein Oslander also schreibet p. 132 & 140. Wir bedürffen zum ewigen Leben keine andere Lehre/ denn das Wort Gottes alleine/ welches Wort Gott selbst ist. 62 p. 134. Das Wort/ das man uns prediget/ und Gottes Wort nennet/ das ist nur eine auswendige Stimme und menschlich Wort/ das durch Menschen=Mund einen Anfang/ und in der Lufft bald wieder ein Ende nimt. Gottes Wort aber ist inwendig/ geistlich/ ewig/ verborgen/ das Gott selbst ist. 63

Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß Oslanders 1551 niedergelegte Gedanken, das Verhältnis des äußeren zum inneren Wort betreffend, sich von der Position Rahtmanns ganz grundlegend unterscheiden. Zwar finden sich bei Oslander Aussagen, die den Rahtmannschen zumindest ähneln bzw. dem Danziger wenigstens in seinem Sinne interpretierbar erscheinen konnten. Doch der für Rahtmann charakteristische Gedanke, daß das geschriebene Wort nur ein Wegweiser sei, der ohne Hinzutreten des Heiligen Geistes wirkungslos bleibt, ist nicht Osiandersch. Ganz im Gegenteil ist nach Oslander das äußere Wort vom inneren untrennbar, da ersteres, im wahren Glauben ergriffen, die Präsenz Christi im Herzen des Glaubenden kausiert: Nun hat Gott dises sein innerlichs wort, das in im Gott selbst ist und aus Maria der jüngfrauen auch warer mensch geboren ist, in das eusserliche wort gefasset [...] Da hören wir dan erstlich das eusserliche wort in der menschlichen sprachen, die da wider verschwindet in unsern ohren. Wan wir aber das innerliche wort, das darinne verborgen ist, verstehen, mercken und behalten, bis wirs auch glauben, so ergreiffen wir durch den glauben eben dasselbig innerlich wort, das nun warer Gott und mensch ist, und es bleibt und wohnet in uns [...] Wo Gottes innerlichs wort gleich nur stückweis durch die eusserliche predig zu uns kompt und durch den glauben ergriffen wird, da ist das gantz innerlich göttlich wort, Jhesus Christus, in unsern hertzen gegenwertig, dan es ist unzertrenlich. 64

Mag es genügend Gründe dafür gegeben haben, daß die Orthodoxen den Verdacht hegen konnten, Rahtmann könne mit Oslander unter einer Decke stecken, und ersterer sich von bestimmten Aussagen des letzteren angezogen fühlte - als wirkliche > Quelle < des Danzigers kann der Königsberger nicht angesehen werden.

61 62 63 64

sein, so empfangen dieselbigen ohren weder das eusserlich noch das innerlich wort, dann sie empfinden der stimme nicht, in der doch das innerlich wort ausgesprochen und andern mitgeteilt muss werden.« Vgl. Anm. 17. Oslander: Nürnberger Ratschlag (Anm. 58), S. 331, 25f., vgl. S. 334f. Ebd., S. 332, 3 - 8 . - Dedeken: Thesaurus (Anm. 21), S. 229f. Oslander: Von dem einigen mitler (Anm. 59), S. 120, 15-23; ebd., S. 120, 4 0 122,3.

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4. Die Auseinandersetzung der Orthodoxie mit Rahtmanns Lehre und die Übertragung christologischer sowie abendmahlstheologischer Reflexionen auf die Bibelhermeneutik Die orthodoxe Seite reagierte schnell und empfindlich. Rahtmanns heterodoxe Aussagen tangierten nicht nur einen mehr oder minder wichtigen Lehrartikel, sondern die Schriftlehre und damit den wichtigsten Fundamentalartikel reformatorischer Theologie. Rahtmann hatte die Kanonizität der Heiligen Schrift in Frage gestellt. »Wann in der heiligen Schrifft oder dem Wort nicht vnsers HErren Gottes Sinn vnd Meynung begrieffen were/ so könte die Schrifft keine Regul noch Richtschnur vnsers Glaubens vnd des Lebens seyn«. 65 Häufig fuhren die Orthodoxen gegen Rahtmann ins Feld, er mache die Heilige Schrift zum bloßen Buchstaben, entkleide sie ihrer höchsten Würde und Heiligkeit und betrachte sie letztendlich wie jedes andere beliebige Schriftstück. 66 Hier dämmern bereits insofern die Moderne und der aufgeklärte Rationalismus, als Rahtmann - und das merken die Orthodoxen genau - die Bibel keinen anderen hermeneutischen Prinzipien unterwerfen will als jegliche andere literarische Äußerung. Dies ist bekanntermaßen eine Anschauung, die Fundament und Ausgangspunkt der sich im Anschluß an die aufgeklärte Theologie entwickelnden historisch-kritischen Exegese ist. Einen ähnlichen auf den Epochenbruch der Aufklärung vorausverweisenden Charakter hat ja auch die im Danzig der damaligen Zeit nicht ganz unbekannte sozinianische Leugnung der Trinitätslehre, die theologische Grundentscheidungen des englischen Deismus und des theologischen Rationalismus vorwegnahm. Dennoch ist die orthodoxe Hermeneutik der Rahtmannschen an Reflexionskraft weit voraus, und daher - im bleibenden Sinne - letztend65

66

Der reinen/ wahren/ Evangelischen Kirchen [...] Lehr (Anm. 29), S. 19; vgl. auch Gerhard: Von der Natur (Anm. 22), fol. 230v: »Vors zehende, wen die H. Schrifft nicht vor vnserm lesen Gottes Krafft hette, sondern erst von oder vnter vnserm lesen dieselbe empfienge, so würde volgen, daß sie auch vor vnserm lesen den sinn, verstand v. meinung von Gottlichen Sachen nicht in sich begri[ffe] sondern erst von oder vnter vnserm lesen denselben empfinge, vndt demnach würde es nicht vnrecht sein, wen man sagte die H. Schrifft wehre an v. vor sich selber ein todter, stummer vndt kraftloser buchstabe, welches aber an den papisten vndt Schwengfeldern iederzeit verworffen.« Vgl.: Jenenser Censur (Anm. 52), S. 117: »Wann hierauff M. Rathman die Schrifft nude & absolute handelt vnd betrachtet/ wie sie auffm Pappier lieget/ vnd sie jhm als ein eusserlich Zeichen/ Bild vnd Gemähide vor die Augen stellet/ das jhn zu etwas anders vnd innerliches an vnd nachweiset/ so entsetzet er sie jhrer höchsten Würde/ Heiligkeit vnd Ampts/ daß sie besser vnd würdiger nichts ist/ dann andere Schrifften/ so von Menschen herkommen/ die auch wol so bald vom himlischen vnnd göttlichen/ als von jrrdischen vnnd menschlichen Sachen handien können/ ja sie wird zum ledigen todten Buchstaben gemacht/ vnd verleuret den Namen/ daß sie nicht mehr Gottes Wort heisset.«

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lieh auch moderner. Auffallig ist nämlich, daß die Orthodoxen, ausgehend vom bibelhermeneutischen Horizont, auch allgemein-hermeneutische Fragen reflektieren. Im Zuge dessen stellen sie z.B. fest, daß allenfalls die einzelnen Buchstaben als bloß äußerliche Dinge angesehen werden können, Wortverbindungen, Sätze und ganze Schriften jeglicher Art jedoch nicht lediglich verba externa, sondern vom Geist des jeweiligen Autors begabt sind und dem Leser Einblick in denselben gewähren.67 Gerade auch anhand nicht-biblischer Literatur erweist sich daher die Operabilität und Stichhaltigkeit der orthodoxen Hermeneutik, die die Dialektik von Innerem und Äußerem mitbedenkt. Hier gibt es kein statisches Subjekt-Objekt-Schema, das den Erkennenden vom Erkannten dispariert, sondern hier bringt sich die Einsicht zur Geltung, daß im Erkenntnisprozeß eben diese Diastase überbrückt und aufgehoben sowie eine Gemeinschaft von Autor und Leser gestiftet wird. Gegen Rahtmanns Meinung, daß der Geist in seiner göttlichen Freiheit beschnitten werde, wenn man ihn als an das Wort gebunden vorstelle, haben die Orthodoxen geltend gemacht, daß die wahre göttliche Freiheit biblisch gesehen darin bestehe, daß Gott frei ist, sich in die durch Bindung qualifizierte Freiheit - also in einen Bund - zu begeben. Mithin ist also auch dies Zeichen der Freiheit Gottes des Heiligen Geistes, sich an die Schrift zu binden. Auffällig ist, daß es den Orthodoxen darum geht, den rationalistischen Geist-Fleisch- und Subjekt-ObjektDualismus Rahtmanns durch christologische Reflexion zu überwinden: Wenn in Christus, dem ewigen Logos nach Joh 1, göttliche und menschliche Natur, Ewiges und Sterbliches, Allmacht und Ohnmacht in einer Person zusammenkommen, um wieviel mehr muß dies auch vom Heiligen Geist gelten, der dann als ein solcher gepredigt werden muß, der iahig ist zur Inkarnation - und d.h.: zur Konkretisierung und Verbalisierung - im verbum externum. So wie Christus in zwei Naturen subsistiert und gleichzeitig vollkommen Mensch und Gott ist, so konkretisiert sich auch und gerade die Gottheit des Geistes darin, daß er sich vermittels des Menschenwortes artikuliert, das doch gleichzeitig Gottes Wort selbst ist. Genau diesen Gedanken entfaltet Gerhard schon im ersten Entwurf seiner Schrift Von der Natur [...] und dürfte damit einen Reflexionsprozeß angestoßen haben, der sich dann auch in der auf dem Theologenkonvent ausgearbeiteten Verlautbarung dokumentiert findet. So wie anthropologisch gesehen - Leib und Seele des Menschen eine untrennbare Einheit bilden und in christologischer Hinsicht menschliche und göttliche Natur in Christus aufgrund der unio personalis zusammengehören, so gilt in bezug auf die Hermeneutik des Wortes Gottes, daß äußerlicher Buchstabe und innerlich wirkender Geist wohl unterschieden, nicht aber voneinander getrennt werden können: 67

Ebd., S. 108ff.

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Wie daß selbstendige persönliche Wortt, der Sohn Gottes numehr nach angenommener Menschlichen Natur nicht kan noch soll in völliger definition allein nach seiner sichtbaren Menschlichen Natur beschrieben werden, sondern es muß zugleich auch seiner Gottlichen Natur, alß welche mitt der angenommenen Menschlichen Natur personlich voreiniget, außdrücklich gedacht werden, sonsten wurde man nicht eine rechte vollkommene beschreibung dargeben, Also wen man die h. Schrift, das ist, daß in den Schriften der h. propheten v. Aposteln geoffenbahrte Wortt Gottes recht u. vollkömmlich beschreiben will, so muß man nicht allein der eußerlichen sichtbaren bedeutenden Wörtter gedenkken, sondern auch des innerlichen in solchen Wörttern verfaßeten Verstands oder meinung, alß welche durch Gottliche Ordnung mitt den eußerlichen wörttern gleichsam voreinigett, vndt in denselben vns Menschen geoffenbahret wirdt. Darbey aber doch inacht zunehmen, daß diese vergleichung nicht auf die artt v. weise der Vereinigung zuziehen, sondern einig vndt allein auf die Vereinigung ins gemein, den wier wißen auß vnserm Christlichen glaubens bekentnüß daß die Gottliche vndt Menschliche Natur in Christo personlich voreiniget sein, welche art ν. weise der voreinigung keines weges in diesem handel Stadt hatt. Wie man auch in völliger beschreibung des Menschen nicht allein des sichtbaren leibes, sondern auch der vnsichtbaren vernünftigen Seelen muß gedencken, weill leib vndt Seele wesentlich zusammen voreiniget einen Menschen machen, also muß gleichsfalß in völliger definition des geoffenbahrten geschriebenen Gottlichen Wortts nicht allein das materiale die eußerlichen bedeutenden wörtter, sondern auch zugleich v. vornemlich das formale internum, die innerliche form, welche in dem verstand oder meinung bestehett außdrücklich gesetzet werden, in welcher vergleichung abermahl nicht auf die artt vndt weise der Vereinigung insonderheitt, sondern einig v. allein auf die Vereinigung ins gemein wirdt gesehen, den leib v. Seele sind im Menschen wesentlich voreiniget, welche artt v. weise der voreinigung gleichsfalß in diesem geheimnuß der Göttlichen offenbahrung in vndt durchs wortt keine Stadt hatt. 68

Die Bibel - so die Orthodoxen - ist ein ens concretum\ und dieser Umstand allein gewährleistet, daß sich Gott menschlich und damit konkret verbalisieren kann. Äußerliches Wort und göttlicher, geistbegabter Sinn, Bezeichnendes und Bezeichnetes, signum und res signata bilden in der Heiligen Schrift ebenso eine unzertrennliche Einheit wie göttliche und menschliche Natur in Christus.69 Es wird GOttes Wort betrachtet/ vnd darvon geredet/ nach den eusserlichen bedeutenden Wörtern vnd Buchstaben/ vnd nach dem dardurch bedeuteten Sinn vnd Meynung GOttes zugleich/ vnd vnzertrennt: Welches etliche heissen Ens concretum, oder complexum: Wann nemlich die eusserlichen Wort/ vnd vnsers HErrn Gottes eigentliche Meynung/ die er in solche Wort verfasset/ nicht absonderlich/ sondern beysammen/ als das eusserliche signum, oder bedeutenden 68 69

Gerhard: Von der Natur (Anm. 22), fol. 122r/v. Vgl. hierzu Hägglund: Die Theologie (Anm. 7), S. 277.

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Zeichen/ vnd das jnnerliche signatum oder bedeuteter Göttlicher Sinn vnd Meynung genommen vnd betrachtet wird. 70

Die Schrift also ist signum im höchsten nur denkbaren Sinne: signum efficax, nicht nur Zeichen, sondern Wahrzeichen. Was ist dieses Wahrzeichen? Ein Sprachgeschehen, das die Schöpfung aus dem Nichts hervorruft (»Es werde Licht!«), ein Wort, das sagt, was es tut, und tut, was es sagt, ein Wort, das nicht wieder leer zu Gott zurückkommt (Jes 55,11). Das verbum Gottes ist Zeitwort, also ein Wort, das in der Zeit ergeht und deswegen Menschenwort sein muß. Es ist aber als solches gleichzeitig Tatwort, wie auch biblisch bezeugt ist: »Denn so er [d.i. Gott] spricht, so geschieht's; so er gebeut, so stehet's da« (Ps 33,9). Schon hieran zeigt sich, wie sehr die Orthodoxen im Zuge des Rahtmannschen Streites die Abendmahlstheologie in die Hermeneutik hineinwachsen lassen, indem sie nämlich Luthersch-sakramentstheologische Kategorien innerhalb der Schriftlehre fruchtbar machen. Auch die Abendmahlselemente sind nicht nur Zeichen für etwas, was nicht auch mit ihnen dargereicht und kommuniziert würde. Vielmehr sind auch sie signa exhibitiva und applizieren die bezeichneten res - nämlich Glauben, Sündenvergebung und Heil, weil mit den Zeichen zugleich die Verheißung des Wortes Gottes zugegen ist und sich im Wort der Logos selbst präsentiert und realpräsent ist: Vnd muß man dißfals das Wort Zeichen nicht auff Calvinischen oder Sacramentirischen Schlag verstehen/ die von keinen andern/ als blossen Bedeutungs Zeichen wissen wollen. Wir aber lehren aus Gottes Wort/ daß auch signa exhibitiva seyen: Das ist/ solche eusserliche Zeichen/ durch welche vns Gott himlische Güter vnd Gaben nicht nur fürbildet/ oder bedeutet/ sondern gar giebet vnd mittheilet. Ein solches Zeichen ist Jesus Christus selbst: Wie er dann ein Zeichen genennet wird/ (Luc. 2. v. 12). 71

Mit einem - aufgrund der Erfahrungen aus dem ersten und zweiten Abendmahlsstreit - geschulten Blick haben die Orthodoxen in Rahtmanns Lehre die Renaissance Calvinscher Gedanken innerhalb des Luthertums erkannt, weswegen auch Gerhard hervorhebt, daß Rahtmanns Schriftlehre die Schwächen der Abendmahlsauffassung Calvins teilt.72 70 71 72

Der reinen/ wahren/ Evangelischen Kirchen [...] Lehr (Anm. 29), S. 14. Ebd., S. 33. Vgl. Gerhard: Von der Natur (Anm. 22), fol. 129r: »Falsch v. irrig ists, wen gelehret wirdt, daß die h. Schrifft nichts anders sey alß nur ein Zeugnuß, Vorbild, zeichen contrafactur v. bedeutender buchstabe des lebendigen Wortes Gottes, welches alles noch viell zuwenig, alß daß die hohe Gottliche autoritet vndt würde der h. Schrift genugsam dardurch an den Tag gegeben werde, Den wie die Calvinisten lehren, daß gesegnete brod im h. Abendmahl sey zwar ein eußerliches Zeichen des leibes Christi, mitt welchem Christus unsere Seele in-

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Festzuhalten bleibt überdies, daß die Kontextualisierung - also die gegenseitige Durchdringung - von Abendmahlslehre und Christologie einerseits mit der Hermeneutik des Wortes Gottes andererseits sich zwar in systematisch durchreflektierter Weise erst im Zuge des Rahtmannschen Streites in nachreformatorischer Zeit vollzieht, daß diese fundamentaltheologische Arbeit aber anschließt an die Theologie Luthers. Das wird aus der Bemühung der Orthodoxen ersichtlich, das Entfaltete immer wieder in ein Gespräch mit den Werken des Reformators zu bringen - so etwa, wenn die diesbezüglich in der Tat zentrale Aussage Luthers zitiert wird, »GOtt sey näher im Wort/ als Christus im Brot vnd Wein: Darumb auch dem Wort die allerhöchste Ehre gebüre«.73 In diesem Zusammenhang ist nicht verwunderlich, daß auch Luthers berühmte Formulierung aus der Vorrede zur Kirchenpostille74 von den Orthodoxen ins Feld gefuhrt wird, derzufolge Christus in die Schrift eingewikkelt und in derselben zugegen sei wie der neugeborene Gottessohn in den Windeln. Luther wird mit den Worten » die Schrifften der Propheten vnd Gesetz seyen die Windeln vnd Krippen/ darein Christus eingewikkelt« zitiert. Und weiter heißt es dann: Eben das aber könte nicht seyn/ wann nicht die rechte Lehr vnd Meynung Gottes in der Propheten Schrifft were: Dann daher ist Christus in die Windeln eingewickelt/ das ist/ in die Wort der Schrifft/ vnd nicht in andere Wort/ oder alle andere Windeln/ weil allein in der Prophetischen vnd Apostolischen Schrifft/ vnd nicht in andern Schrifften/ die eigentliche vnd ewige Meynung Gottes von diesem seinem Sohn begrieffen ist.75

wendig ohne mitell zum ewigen leben speise, aber der leib Christi sey darumb nicht in, mitt, vndt vnter dem brod gegenwertig dardurch den das h. Abendmahl seiner hohen ehre vnd wirde entsetzet wirdt, also wen gelehret wirdt daß die h. Schrift sey zwar ein eußerliches Zeichen des innerlichen worts oder Gottlichen sinnes, aber derselbe innerliche sinn sey nicht in den eußerlichen Wörttern der h. schrift auß Gottes Ordnung begriffen vndt mit denselben gleichsam verbunden, sondern Gott der herr gebe ohne mitell inwendig ins hertz denselben sinn, so wird gleichsfalß dadurch die h. Schrift ihrer hohen Gottlichen autoritet vndt würde beraubett.« 73 Ebd., S. 26, Verweis auf Luther, Tom. 2, Germ. Jen. fol. 228 (= Weimarer Ausgabe, Bd. 11, S. 448, 33-35: >Vom Anbeten des Sakraments des heiligen Leichnams ChristiEyn kleyn Unterricht, was man ynn den Euangelijs suchen und gewartten soll Meinung < in den Buchstaben ist, ist es nicht also zu verstehen/ als ob die Meynung Gottes in den eusserlichen Worten were/ wie etwa eine Salbe in einer Büchsen: Oder Korn/ Weitz/ Gersten/ Habern in einem Sack: Keines Weges: Sondern quoad significationem passivam, das ist/ dergestalt/ daß nach vnd durch Gottes Verordnung/ sein Will vnd Meynung vns durch die eusserlichen buchstäbischen Wörter zu verstehen gegeben/ vnd geoffenbaret werde. 79

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Ebd., S. 16. Vgl.: Martin Luther. Studienausgabe. Hrsg. von Hans-Ulrich Delius. Bd. I - V I . Berlin: Evang. Verl.-Anstalt 1979-1998, hier: Bd. IV, S. 87, 2 1 - 8 8 , 1: »Es sind dreyerley weise/ an eim ort zu sein/ Localiter odder circumscriptiue/ Diffinitiue/ Repletiue«. Über die zweite Art der Gegenwart sagt Luther: »Auff solche weise war der leichnam Christi/ da er aus dem verschlossen grabe fur/ vnd zu den iungern durch verschlossene thu(e)r kam [...] Eben also ist vnd kan auch Christus ym brod sein/ ob er gleichwol daneben/ sich kan begreifflich vnd sichtbarlich zeigen/ wo er wil/ Denn wie der versiegelt stein vnd die verschlossen thu(e)r vnuerendert vnd vnuerwandelt blieben/ vnd doch sein leib zu gleich war an dem ort/ da eitel stein vnd holtz war/ also ist er auch ym sacrament zu gleich/ da brod vnd wein ist/ vnd doch brod vnd wein fur sich selbs bleiben vnuerwandelt vnd vnuerendert«, vgl. ebd., S. 89, 12f., 2 0 - 2 6 . Vgl. ebd., S. 90 und 98f. Der reinen/ wahren/ Evangelischen Kirchen [...] Lehr (Anm. 29), S. 21f.; vgl. Gerhard: Von der Natur (Anm. 22), fol. 125r: »Wan wier aber sagen, daß eben derselbe sinn v. meinung Gottes, so von ewigkeitt in Gott gewesen vndt noch ist, in dem geschriebenen Wortt Gottes enthalten vnd begrieffen sey, ist solches nicht also zuverstehen, alß wen eine leibliche, reumliche, oder naturliche einschließung oder subiectiva inhaesio hierdurch verstanden werde, sondern es ist

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Der Christus praesens wird epiphan und vergegenwärtigt sich nicht nur im Abendmahl, sondern auch im biblischen Wort. Das hat seinen Grund vor allem darin, daß Predigt und Sakrament insofern aufeinander bezogen sind, als die Predigt sacramentum audibile und die Sakramente verba visibilia sind. Das Abendmahl ist somit selbst Wortgeschehen und Predigt der Einsetzungsworte. Schon Luther hatte den alten Augustinschen Satz »accedit uerbum ad elementum, et fit sacramentum« 80 zu einem wichtigen Grundstein seiner Abendmahlstheologie gemacht. Wie aber die durch das Sakrament des Altars vermittelten Heilsgüter nach Luther auch außerhalb des sakramentalen Vollzugs in der sogenannten manducatio spiritualis ergriffen werden können, so gilt - sagen die Orthodoxen - ähnliches auch von der Heiligen Schrift: Es ist Christus [...] in der heiligen Schrifft/ respectu exhibitionis & applicationis: daß er vns in der Schrifft/ vnd durch die Schrifft fürgetragen vnd gegeben wird: Dann dahin gehet die Geistliche Niessung des HErrn JEsu Christi/ ausser dem Abendmal/ vnd ohne das Abendmal/ daß vns in der Schrifft/ gleichsam als in GOTtes Schüssel/ das Lämblin GOTtes JEsus Christus mit allen seinen Wolthaten [...] täglich fürgesetzet vnd dargereichet wird. 81

Die Kontextualisierung von Christologie und Schriftlehre wird zudem noch an einem weiteren Punkt deutlich: Dort nämlich, wo sich die Orthodoxen mit dem Argument der Gegenseite auseinandersetzen, dem zufolge man ja - wenn man die orthodoxe Meinung vertritt - gezwungen sei, zu sagen, Gottes Wort selbst würde in Flammen aufgehen, wenn man das Papier verbrennt, auf dem es gedruckt ist, was doch wohl unmöglich sei. Doch genau hiermit hat die orthodoxe Seite kein Problem, da sie fähig ist, die schriftgemäße Aussage, daß in Christus Gott selbst gelitten hat und gestorben ist, auch auf die Heilige Schrift zu übertragen. Wenn Gott selbst leidensfahig ist und sich um des Heils der Menschen willen in den Tod begibt, dann sei es erst recht kein Sakrileg, zu sagen, Gottes Wort selbst werde zerrissen und verbrannt, wenn das Papier, auf dem es gedruckt ist, zerstört wird:

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mitt dieser artt zureden allein dahin gemeinet, daß der sinn vndt verstandt von Gottlichen geheimnußen warhafftig in den eußerlichen wörttern geoffenbahret v. verfaßet sey also gar, daß ob zwar vorher, ehe die heilige von Gott eingegebene schrifft von den h. Mennern Gottes verfertiget, der Gottliche sinn vndt meinung oder die Göttliche offenbahrung auf mancherliche Weise den Menschen mittgetheilett Hebr. 1. v. 1. iedoch numehr nach dem der canon altes v. Newes Testaments verfertiget, Gottes wortt vndt die Gottliche offenbahrung derer stück, so vns zur seligkeitt zuwißen vonnöten sein, nirgend anders alß in h. Schrifft zusuchen vndt zufinden.« Augustin: Tractatus in Johannis Evangelium 80, 3 (= Corpus Christianorum, Series Latina; 36, S. 529, 5f.). Der reinen/ wahren/ Evangelischen Kirchen [...] Lehr (Anm. 29), S. 235.

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Gleich wie auch von Gottes Sohn dem ewigen selbststendigen wesentlichen Wort Gottes mit Warheit gesaget wird/ es sey geschlagen/ es sey auffgehenckt/ es seye gecreutziget worden: Nemlich nach der Eigenschafft der Menschlichen Natur/ jedoch in Einigkeit der Person: Also/ vnd weil das geoffenbarte Wort ebener massen ein ens concretum ist/ vnd gedoppeltes Wesen hat/ wird nicht vnrecht von demselben gesaget/ es werde zurissen/ es werde verbrandt/ nemlich ratione materialis, oder nach dem Theil/ nach welchem es kan zurissen vnd verbrandt werden. 82

Die Heilige Schrift ist nach orthodoxer Ansicht nicht im Sinne Rahtmanns ein bloßer Wegweiser, sondern, mit Ps 119,105 und 2 Petr 1,19 gesprochen, auch die leitende, erleuchtende Instanz und somit letztendlich nichts weniger als der Weg selbst: Dann ein Cippus oder Hand auff dem Weg öffnet niemanden die Augen/ daß er den Weg sehen könne [...] Die H. Schrifft aber/ zeiget vns den Weg zum ewigen Leben/ nicht nur objective, oder gegenwürfflich/ wie gegentheil mit Schwenckfeld redet: Sondern als ein solches helles Liecht/ welches in einem dunckeln Ort scheinet/ die von Natur verfinsterte Augen vnserer Hertzen erleuchtet/ daß der rechte Morgenstern Jesus Christus in vns auffgehet (2. Petr. 1. v. 19.).83

Zwar ist zwischen Gottes wesentlichem Wort einerseits und der Bezeugung und Niederschrift desselben durch die verbalinspirierten biblischen Skribenten andererseits zu unterscheiden, genauso wie zwischen dem bloßen Buchstaben und dem Geist. Aber doch stehen Geist und Buchstabe in einem sich gegenseitig auslegenden Wechselverhältnis zueinander. Und mitnichten ist die Dynamis des Geistes eine solche, die in einem eigenen Akt - wie auch immer - erst noch von außen zum Wort hinzutreten müßte, vielmehr vermittelt sich der Geist durch das Treiben des biblischen Wortes, dessen Predigt Glauben stiftet (Rom 10,17). Daher - so die orthodoxe Ansicht - inhäriert der Geist dem Wort auch extra usum. Diese Kraffit wird dem Worte Gottes auch nicht erst von aussen zu= vnd beygefüget/ sondern es hat das Wort diese jnnerliche Krafft in vnd bey sich/ seiner Natur nach/ auch vor allem Gebrauch/ vnd ausser allem Gebrauch/ das ist/ ehe es noch von den Menschen gelesen vnd betrachtet wird/ ob es schon die thätliche Wirckung nicht ehe verrichtet in den Menschen/ bis es gelesen vnd betrachtet wird. 84

Die Lehre von der Geistbegabung der Heiligen Schrift auch extra usum ist somit Folge christologischer Reflexion, die verhindern wollte, daß 82 83 84

Ebd., S. 54f. Ebd., S. 61. Ebd.

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ein trennungschristologisch-nestorianischer Ansatz, wie er in der damals jüngeren Vergangenheit etwa von Andreas Oslander vertreten worden war, auf die Verhältnisbestimmung von Buchstaben und Geist übertragen wird. Wer diesen Kontext nicht im Auge behält, versteht das orthodoxe Anliegen nicht. Deswegen ist es ganz untunlich, das extra-usumTheorem zuerst zu isolieren und dann als orthodoxe Abstrusität abzutun, wie es etwa auch Karl Barth getan hat,85 ohne zu merken, daß gerade das von ihm Kritisierte letztendlich seiner eigenen Schriftlehre nicht nur historisch, sondern auch ganz konkret sachlich zugearbeitet hat. Mitzubedenken ist ferner, daß nach Gerhard die extra-usum-These »nicht zu den res fidei, sondern nur zu den res quaestionis gehört. D.h. man kann in diesem Punkt verschiedener Meinung sein und trotzdem in der Sachfrage einig sein«.86 Nichts anderes wollen die Orthodoxen mit ihrer extra-usum-These sagen als nur, daß es die Heilige Schrift in sich hat - daß sie Jer 23,29 zufolge ein Hammer ist, der die Felsen zerschlägt, die Worte Christi nach Joh 6,63 Geist und Leben sind87 und nicht nur Zeichen derselben und daß die biblische Botschaft durchs Herz geht wie den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus88 (Lk 24,32; vgl. Apg 2,37; 7,54). »Welches Wort Geist vnd Leben ist/ welches Wort lebendig machend genennet wird/ vnd durch Marek vnd Bein gehet/ das hat in sich (In Se) eine jnnerliche Göttliche lebendigmachende Krafft«. 89 Wenn gesagt wird, daß die Wirkmächtigkeit dem verbum externum auch vor und außerhalb des Gebrauches innewohnt, dann ist damit nicht gemeint, daß es so etwas gäbe wie einen magischen oder mirakelhaften90 Wirkautomatismus der Bibel, wie der Orthodoxie häufig und nicht nur von Rahtmann vorgeworfen wurde. Vielmehr stellt sich die hermeneutische Frage, wie bei der Lektüre und auf dem Weg der Interpretation das im menschlichen Bibelwort enthaltene Gotteswort zu suchen und zu finden sei, jetzt nur umso dringlicher: »Es ist die Meynung Gottes in den Worten der Schrifft/ daß des Menschen Gemüth solchen Sinn vnd Meynung aus den

85

86 87 88 89 90

Vgl. Karl Barth: Kirchliche Dogmatik. Bd. 1/1. 6. Aufl.- Zollikon-Zürich: Evang. Verl. 1952, S. 113. Hägglund: Die Theologie (Anm. 7), S. 280f. Der reinen/ wahren/ Evangelischen Kirchen [...] Lehr (Anm. 29), S. 63. Ebd., S. 65. Ebd. Zum Magie-Vorwurf Rahtmanns vgl. Rahtmann: Wolgegründetes Bedencken (Anm. 17), S. 15f.; zur Stellungnahme der Orthodoxen dagegen vgl.: Der reinen/ wahren/ Evangelischen Kirchen [...] Lehr (Anm. 29), S. 95: »Man gibt für/ es werde dem Wort Gottes eine magica vis, oder zauberische Krafft zugeeignet: Wann es fur ein kräfftig vnd seligmachend Wort gehalten werde.« Dieser Vorwurf jedoch sei nicht stichhaltig, da nicht der Buchstabe an sich, sondern das bei und in ihm stehende offenbarte Wort Gottes diese Kraft habe.

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eusserlichen Worten herftir suchen/ vnd fassen kan«. 91 Die extra-usumLehre ist also nicht Ausdruck der Hermeneutikvergessenheit und Petrifizierung der Orthodoxie, sondern im Gegenteil Antrieb und Beweggrund dafür, das in Joh 5,39 geforderte Forschen in der Schrift überhaupt erst in Gang zu setzen. Das heißt: Die Lehre von der efficacia der Schrift ersetzt weder die Bemühung des Lesers, sich die biblischen Texte durch eigene Lektüre anzueignen, noch die homiletischen und katechetischen Anstrengungen der Prediger und Lehrer. Im Gegenteil bleibt die biblisch-hermeneutische Grundfrage gestellt - nein, sie wird hierdurch erst recht gestellt: »ob's sich also verhalte« (Apg 17,11).92 Entgegen der Trennung von äußerlichem und innerlichem Wort bei Rahtmann ist Gottes Wort also nach Anschauung der orthodoxen Hermeneutik ein einziges, das jedoch mehrfache Gestalt hat: Hingegen lehren/ glauben vnd bekennen wir/ daß zwischen dem eusserlichen vnd innerlichen Wort Gottes keines Weges ein solcher Vnterscheid zu machen/ dardurch das eusserliche Wort von dem jnnerlichen Wort wesentlich vnterschieden werde [...] Dann ob schon Gottes Wort nicht auff einerley Weise vns mitgetheilet wird/ so sind doch darumb keine wesentliche vnterschiedene species oder Arten des Göttlichen Worts/ sondern es ist vnd bleibet nur ein einiges Wort: Vnd zwar eben das Wort/ welches in Gott von Ewigkeit gewesen/ vnd in der Zeit vns Menschen münd= vnd schrifftlich/ oder wie die Epistel an die Hebreer redet/ (c. 1. v. 1) πολυτρόπως, auff mancherley Weiß/ geoffenbaret ist. 93

Es ist zu unterscheiden zwischen dem Wort, das Christus aus dem Schoß des Vaters mitgebracht hat, dem Wort, das den Aposteln und Propheten vom Heiligen Geist in ihre Herzen geprägt wurde, dem Wort, das die biblischen Skribenten tradiert und in Schrift gefaßt haben, und dem Wort, das heute in der Bibel gelesen, in der Predigt gehört und dem geglaubt wird. Zwischen diesen vier Gestalten des Wortes Gottes ist wohl zu differenzieren, sie dürfen aber nicht voneinander getrennt werden.94 Gerade im Hinblick auf den vielleicht bedeutendsten dogmatischen Entwurf des 20. Jahrhunderts ist dieses hermeneutische Konzept von größter Bedeutung. Karl Barth ist es gewesen, der in seiner »Kirchli91 92 93 94

Ebd., S. 22. Zit. ebd. Ebd., S. 39. Vgl. Jenenser Censur (Anm. 52), S. 131. Hier wird unterschieden zwischen dem Wort, »so Christus aus dem Schoß des Vaters gebracht/ vnd bey sich behalten/ das ander daß die Aposteln in jhr Hertz gepreget/ das dritte daß sie Schrifftlich begrieffen vnd vns tradiret, das vierdte daß wir hören vnd gläuben.« Wollte man sie von einander trennen, würde dies »eine wunderseltzame Theologiam geben/ bey welcher man nimmermehr zur Gewißheit kommen köndte.«

»Das Wort sie sollen lassen stahn...«

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chen Dogmatik« die Dialektik der Trinitätslehre (»una substantia, tres personae«) programmatisch auf die Verhältnisbestimmung von geoffenbartem, geschriebenem und verkündigtem Wort übertragen hat, 95 was sich innerhalb des Aufrisses seines dogmatischen Entwurfes auch darin spiegelt, daß das üblicherweise zum Lehrstück De Deo gehörige Thema der Dreieinigkeit in der »Lehre vom Worte Gottes« und somit schon innerhalb der Prolegomena abgehandelt wird. 96 Zwar muß nach Barth zwischen diesen drei Gestalten des Wortes Gottes unterschieden werden, dabei ist jedoch zu beachten, daß wir dem ergangenen Wort eben nicht anders begegnen können als in Gestalt der Bezeugung durch die biblischen Schriftsteller und in Form der Predigt, 97 die mannigfaltige Ausdrucksmöglichkeiten besitzt, und nicht in der Kanzelrede allein. Barth war sich dessen bewußt, daß er sich mit dieser Ansicht der genuin reformatorischen Auffassung anschloß, insbesondere der durch Heinrich Bullinger berühmt gewordenen Sentenz: »Praedicatio verbi Dei est verbum Dei«. 9 8 Was Barth jedoch offensichtlich nicht wußte, ist der Umstand, daß er im Grunde nichts Neues lehrte, daß er sich vielmehr mit seiner Differenzierung der verschiedenen Gestalten des letztlich einen göttlichen Wortes an die lutherische Orthodoxie anschloß. Die Urfassung der bereits erwähnten, von Gerhard für den Leipziger Theologenkonvent aufgesetzten Schrift trägt den Titel: Von der Natur Krafft vndt Wirckung des geoffenbahrten gepredigten vndt geschriebenen Worts

95

96 97

98

Vgl. Karl Barth: Kirchliche Dogmatik. Bd. 1/1 (Anm. 85), § 4; zur trinitätstheologischen Reflexion vgl. ebd., S. 124f.: »Es gibt nur eine Analogie zu dieser Lehre vom Worte Gottes. Genauer gesagt: Die Lehre vom Worte Gottes in seiner dreifachen Gestalt ist selber die einzige Analogie zu der Lehre, die uns bei der Entwicklung des Begriffs der Offenbarung grundlegend beschäftigen wird: zur Lehre von der Dreieinigkeit Gottes. Daß man fur Offenbarung, Schrift und Verkündigung die göttlichen >Person Confederation Graumünchen-Kirch Doctor theologiae< und > Professor extraordinarius < der Königsberger Universität, berufen. Mit Botsack weilte er 1645 auf dem Kolloquium zu Thorn. Calov ging 1650 als Professor der Theologie an die Universität Wittenberg. Sein Nachfolger in Königsberg wurde Johannes Maukisch, der 1651 den Doktorgrad der Theologie erlangte, wobei ihm die in diesem Zusammenhang entstandenen Kosten vom Rat der Stadt Danzig erstattet wurden. Maukisch legte sich mit Daniel Zwicker an, einem Doktor der Medizin. 18 Dieser war der Sohn von Friedrich Zwicker, Prediger an der Bartholomäuskirche in Danzig. Daniel Zwickers Bruder Friedrich war dem gleichnamigen Vater im Predigtamt gefolgt. Daniel Zwicker war auch durch den Mediziner Florian Crusius für den Sozinianismus gewonnen worden. Einige Jahre lang lebte Daniel Zwicker im Hause seines Bruders, bis auch er 1643 mit anderen Sozinianern aus Danzig ausgewiesen wurde und nach Straszyn zog. 1650 schrieb er gegen Calov das Buch Illustria aliquot specimina infelicispugnae D. Abrahami Calovii [...] contra Johannem Crellium de uno Deo Patre. Ebenso anonym ließ er 1655 die Revelatio Catholicismi veri: Das ist/ Gründliches Urtheil von der Friedsamsten und gewissesten Lehre der Christen in deutscher Sprache erscheinen. Im selben Jahr waren in Danzig Disputationen über die Illustria aliquot specimina angesetzt, zu denen er aber nicht erschien. Wie nun kam Daniel Zwicker zu seiner sozinianischen Auffassung? Er wurde wohl häufig von Ruar besucht, der ja seit 1631 in Danzig lebte. Dies legte Zwicker jedenfalls in einem Brief an Botsack vom 31. Mai 1642 dar. Ruar suchte, gleich Crusius, Zwicker zum Sozinianismus zu bekehren. Zwicker erbat von Botsack, den auch er als gewandten Be16

17 18

Christoph Hartknoch: Preussische Kirchen-Historia/ Darinnen Von Einführung der Christlichen Religion in diesem Lande/ wie auch von der Conversation, Fortpflantzung/ Reformation und dem heutigen Zustande derselben ausfuhrlich gehandelt wird.- Frankfurt a.M., Leipzig: Beckenstein 1686, S. 817f. E b d , S. 822. Vgl. zum folgenden ebd., S. 849f.

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in Danzig

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kämpfer des Sozinianismus kannte, theoretische Gegenargumente. Dabei wird aus der Anlage des Zwickerschen Briefes schon deutlich, daß er Ruars Argumente bereits verinnerlicht hatte. 19 Zwickers dem Brief beigelegter Bogen wirft die Frage auf, ob es eine Dreieinigkeit gebe, oder ob drei Personen in einem ungetheilten göttlichen Sein seien, so daß jede von ihnen das göttliche Sein ungetheilt habe. Die Photinianer verneinen dieses, weil es einen Widerspruch in sich selbst enthalte und überdies der Schrift gänzlich fremd sei. 2 0

Botsack antwortete auf etwa eineinhalb Bogen, in sieben Paragraphen. 21 Meines Wissens hat nach Schnaase niemand mehr diese Polemik untersucht. Ist das Material überhaupt noch vorhanden? Und welche neuen Aspekte birgt es, bzw. auf welche Theoretiker bzw. eigene Erkenntnisse stützte sich Botsack bei seinen Ausführungen? Handelt es sich um eine verkürzte Fassung seiner im Anti-Crell vorgetragenen Erkenntnisse? 22 Die Polemik scheint auch zu belegen, wie der innere Übergang vom Luthertum zum Sozinianismus in jener Zeit erfolgte. Jedenfalls schickte Zwicker, Schnaases Material zufolge, am 15. Juli 1642 seine Antwort auf Botsacks Schreiben an denselben. Er bedankte sich für die erbetene Auskunft und gestand gleichzeitig, daß er weiterhin noch einige Zweifel habe. Diese faßte er in 20 kurzen Sätzen zusammen. 23 Dabei berief er sich auch auf Johannes Crells De uno Deo Patre (1631) und zweifelte die Beweiskraft einiger Stellen in den antitrinitarischen Schriften des späteren Coburger Generalsuperintendenten Andreas Kessler (Metaphysicae Photinianae Partis Generalis Examen [...] Disputationibus XII, Wittenberg 1623) und des Tübinger Theologen Theodor Thumm (Synopsis Praecipuorum Articulorum Fidei [...] In qua Fundamenta Fidei contra Judaeos, Photinianos, Papanos, Calvinianos, [...] ponuntur, & Argumenta contraria Potiora diluuntur, Tübingen 1625) an. Dies war wohl der Auftakt des antitrinitarischen Schrifttums Zwikkers, der sich noch häufig in entschiedener Weise antitrinitarisch mit Botsack, dann mit Calov auseinander gesetzt hat, bis er Danzig um 1656 endgültig verließ.

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20 21 22

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Schnaase: Geschichte der evangelischen Kirche (Anm. 11), S. 3 6 6 - 3 6 8 ; zu Zwicker vgl. Christopherus Sandius: Bibliotheca Antitrinitariorum [...].- Freistadt: Aconius 1684 (Nachdr. mit einem Vorwort und Personenreg. hrsg. von Lech Szczucki.- Warszawa: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1967), S. 151156; Bock: Historia Antitrinitariorum (Anm. 3), S. 1045-1069. Schnaase: Geschichte der evangelischen Kirche (Anm. 11), S. 366. Ebd., S. 3 6 8 - 3 7 4 . Vgl. Johann Botsack: Anti-Crell. sive Joh. Crellii Franci de uno Deo Patre librorum duorum confutation Danzig 1642 (2. Aufl.: Danzig 1645). Vgl. Schnaase: Geschichte der evangelischen Kirche (Anm. 11), S. 3 7 5 - 3 7 8 .

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Der Märker Joachim Stegmann d.Ä. (1595-1633), Prediger an der Danziger Kirche St. Petri und Pauli, war 1631, weil er »Socinistische Irrthümer gehegt/ und fortzupflantzen sich unterstanden/ von den Reformirten Patronis enturlaubet worden«. 24 Er war nach Siebenbürgen gegangen und wurde dort Prediger der arianischen Gemeinde zu Klausenburg. Bald ging er nach Polen zurück, wo er Rektor des Gymnasiums zu Rakow wurde. Von hier wandte er sich 1631 an Botsack, übersandte ihm sozinianische Bücher und schrieb ihm auch am 14. Dezember 1631. Botsack antwortete mit seiner Schrift Einfältige Warnung für der Neue Photinianischen oder Arianischen Lehre in 10 Ursachen gegründet (1633). Darauf antwortete Stegmann noch im gleichen Jahr mit der Arbeit Probe der einfältigen Warnung Botsacci für der new, Photinianischen oder Arianischen Lehr. 1635 erschien in Danzig Botsacks Generalabrechnung mit Stegmann, der Anti-Stegmannus, worin Botsack zu beweisen sucht, daß man die Lehrer in Rakow zu Recht Sozinianer und ebenso Arianer nenne. 25 Er gab zudem eine Übersicht über alle Zentralpunkte sozinianischer Auffassungen. Mit 13 Gründen wurde > bewiesen^ daß man diese falsche Lehre meiden solle, da sie in der Lehre vom Gesetz Gottes irre. Diese 13 Gründe, im ersten Kapitel dargelegt, besagen: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 24 25

Die Sozinianer lehren, das Gesetz Mosis sei unvollkommen. Man solle gar keine Bilder haben. Gott habe nirgends im Alten Testament ihn anzubeten geboten. Der Eidschwur sei unbillig. Im Alten Testament habe man seinen Feind nicht lieben dürfen. Ehebruch des Herzens sei im Alten nicht so eine Sünde, wie im Neuen Testament (Den Juden galt das Herz als Mitte der Gemütsregungen und als Sitz des Gewissens. Daher Mt 15,19; Mk 7,21). Jesus Christus sei nicht die Versöhnung für unsere Sünde. Er sei nur ein Beispiel. Ein Mensch könne Gottes Gesetze erfüllen. Christus habe die Gesetze nicht an unserer Statt erfüllt. Die Opfer im Alten Testament deuten nicht auf Christum. Die guten Werke müssen uns rechtfertigen. Das Gebet sei im Alten Testament den Juden nicht empfohlen.

Hartknoch: Preussische Kirchen-Historia (Anm. 16), S. 818. Johannes Botsack: Anti-Stegmannus. Das ist/ Warhafftige Gegen-Prob der Falschen Prob Joachimi Stegmanns/ der Socinianischen oder Arrianischen Gemeine/ zu Clausenburg in Siebenbürgen/ gewesenen Dieners. Oder: Widerholete und in Gottes Wort fest gegründete Warnung/ für der Arrianischen und Socinianischen Lehre/ in Zehen wichtigen Ursachen gefasset/ und wieder die nichtigen Außflüchte Joachim Stegmanns verthediget [...].- Danzig: Rhete 1635; vgl. Bock: Historia Antitrinitariorum (Anm. 3), S. 9 5 4 - 9 5 6 .

Zum Sozinianismus in Danzig

275

Im zweiten Kapitel wird gegen die sozinianische Auffassung vom Glauben und seinen Artikeln angegangen. Dabei werden den Sozinianern 21 irrige Artikel zugesprochen: 1. Der Glaube sei keine Zuversicht auf Christi Tod und Verdienst. 2. Die Menschen seien im Alten Testament nicht durch den Glauben an den künftigen Messias selig geworden. 3. Der Glaube gehe nicht auf Christum als den rechten Zweck. 4. Jesus Christus sei nicht wahrer Gott. 5. Im göttlichen Wesen seien nicht drei Personen. 6. Gott-Vater habe nicht von Ewigkeit her den Sohn gezeugt. 7. Gottes Sohn habe nicht die Welt geschaffen. 8. Christus habe uns nicht mit Gott versöhnt. 9. Christus werde wegen seines Amtes Gottes Sohn genannt, nicht wegen seines göttlichen Wesens. 10. Der Heilige Geist sei Jesu Vater. 11. Die Sozinianer glaubten an Christi Versöhnopfer. 12. Christus sei in den Himmel gestiegen, ehe er sein Amt angetreten. 13. In Christo seien nicht zwei Naturen. 14. Christus sei ein Exempel, mit seinem Tode habe er die Sünde nicht getilgt. 15. Der Heilige Geist sei nicht wahrer Gott, er gehe auch nicht vom Vater aus, sei nicht der höchste Gott. 16. Die Predigt des Wortes und die Spendung der Sakramente sei keine Kennzeichnung der Kirche. 17. Die Väter im Alten Testament hätten keine Verheißung des ewigen Lebens gehabt. 18. Die Sünde werde durch Christi Verdienst nicht vergeben. 19. Das Fleisch werde >dem Wesen nach< nicht wieder auferstehen. 20. Die Gottlosen werden am Jüngsten Tage nicht auferstehen. 21. Die Sozinianer ziehen auch das ewige Leben in Zweifel. Im dritten Kapitel wird zu belegen versucht, » daß die Photinianer in der Lehr vom Gebot vnnd der heiligen Tauffe jrren«. Hier geht es u.a. um die Feststellungen: Die Taufe sei nur ein Mittelding: Man werde nicht im Namen des Heiligen Geistes als einer Person getauft, Johannis Taufe gehe den Christen nichts an, und Christus habe die Wassertaufe nirgends befohlen, sie auch nicht eingesetzt. Im vierten Kapitel über das Heilige Abendmahl wird u.a. festgestellt, man solle es nicht ein Sakrament heißen und keinen Altar haben. Man esse nur geistigerweise Christi Leib, und das Brot bedeute nur den Leib Christi. Das Wörtchen >ist< heiße soviel wie >bedeutetJesum Christum kontinentalen< Sozinianismus geprägt, auch wenn sie es nach außen hin zu verbergen suchten. Und gerade polnische Forscher wie Stanislaw Kot, Ludwik Chmaj, Zbigniew Ogonowski, Janusz Tazbir und Lech Szczucki haben diesen Gedanken materialreich untersetzt. 38 Das alles näher zu untersuchen ist zwar nötig, für unser Thema allerdings nicht Gegenstand. Wir wollen aber einige dieser Verbindungslinien zur Aufklärung an einer Reihe von Danziger Sozinianern skizzieren. Martin Ruar verfaßte keine großen theoretischen Abhandlungen, hinterließ aber eine reichhaltige Korrespondenz, zu der Ley schreibt: Sicher bieten die 200 aus dem Nachlaß veröffentlichten Dokumente nur einen kleinen Ausschnitt der tatsächlichen Korrespondenz. Ein solcher Schluß ist naheliegend, weil in den besonders heiklen Fragen nur die Meinung der noch nicht überzeugten Gegner, nicht aber die Ausführungen des Ruarus wiedergegeben sind. 39

In Ruars Briefwechsel ist die Ewigkeit der Welt ein immer wiederkehrendes Thema. Es verbindet sich mit einer Propagierung der kopernikanischen Theorie. So ließ sich auch Marin Mersenne sozinianische Literatur von Ruar schicken und disputierte mit ihm über den dogmatischen Unterschied der Religionen. Mersenne stand wiederum in enger Beziehung zu Descartes. Auch der Briefwechsel Ruars mit dem Danziger Arzt und Sozinianer Florian Crusius zeigt seine feste Meinung, daß die Welt ewig ist. Crusius hatte 1614 in Linz Kepler kennengelernt und mit ihm 1615-1621 Briefe gewechselt. Crusius' Brief an den Hamburger Universalgelehrten Joachim Jungius vom 1. Sept. 1639 verrät Kenntnisse von Jungius' Schriften. Er bezeugt den Wunsch, mehr von ihnen kennenlernen zu wollen und atmet irenischen Geist. 40 1616 traf Crusius 38 39

40

Ebd., S. 278f. Hermann Ley: Geschichte der Aufklärung und des Atheismus. Bd. III/l.- Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1978, S. 425f.; vgl. zu Ruar Bock: Historia Antitrinitariorum (Anm. 3), S. 713-735; Sandius: Bibliotheca Antitrinitariorum (Anm. 19), S. 114f.; Lauterbach: Ariano - Socinismus (Anm. 3), S. 392-405. Vgl. Ludwik Chmaj: Crusius a Kepler.- In ders.: Bracia Polscy (Anm. 6), S. 51-64; vgl. weiterhin Johannes Kepler: Gesammelte Werke. Hrsg. von Walther von Dyck und Max Caspar. Bd. XVII: Briefe 1612-1620. Hrsg. von Max Caspar.- München: Beck 1955, S. 180-182, 212, 230 und 389; Bd. XVIII: Briefe 1620-1630. Hrsg. von Max Caspar.- München: Beck 1959, S. 69f. und 77-80. Der Brief Crusius' an Jungius vom 1. Sept. 1639 bei Robert Christian Berthold Ave-Lallement: Des Dr. Joachim Jungius aus Lübeck Briefwechsel mit seinen Schülern und Freunden. Ein Beitrag zur Kenntniß des großen Jungius und der wissenschaftlichen wie socialen Zustände zur Zeit des dreißigjährigen Krieges, aus den Manuscripten der Hamburger Stadtbibliothek zusammengestellt.- Lübeck: Aschenfeldt 1863, S. 204-210.

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in Straßburg mit Matthias Bernegger wie wohl auch mit Ruar zusammen. Crusius vertrat universelle Toleranz jenseits der bestehenden Religionen. Zwicker, Crusius, Ruar - zeitweilig in Danzig vereint - nahmen auch Einfluß auf Martin Opitz. Gerade in Danzig mußte zu dieser Zeit der Sozinianismus jeden denkenden Menschen bewegen. Er war ja nicht nur in den Disputationen mit der lutherischen Geistlichkeit präsent. Opitz kam 1635 im Gefolge des polnischen Königs Wladyslaw IV. nach Danzig, wohnte hier bei seinem aus Brieg stammenden Landsmann, dem Calvinisten und Pastor an St. Peter und Paul, dem Danziger Agenten Wladyslaws IV., Bartholomäus Nigrinus. Opitz war 1616 als Schüler in das Beuthener Akademische Gymnasium aufgenommen worden. Diese Institution gilt häufig auch als Keimzelle einer Universität. Sein Gründer, Georg Freiherr von Schönaich, hatte wohl mit den Sozinianern sympathisiert. 41 Im Gymnasium, das die Baccalaureus- und die Magisterwürde verleihen konnte, sammelten sich Reformierte, Böhmische Brüder und Sozinianer. Der bekannte Sozinianer Georg Vechner aus Freistadt war hier Opitz' Lehrer; auch der ebenfalls bekannte Sozinianer Georg Manlius aus Görlitz, zuvor Rektor des sozinianischen Gymnasiums zu Rakow, hat hier gewirkt. Welche Spuren hat das bei Opitz hinterlassen? Meines Erachtens ist das bislang anhand seiner Schriften nicht untersucht. Generell gilt die Unterschätzung der Sozinianer auch für die in der Literatur nachgewiesenen Verbindungen zwischen Danzig und Nürnberg (Altdorf, zum Kreis um Ernst Soner), zwischen Danzig und Schlesien sowie der Mark Brandenburg - mit Schmiegel bzw. Meseritz-Bobelwitz als Zwischenstation - , zwischen Danzig und Gießen, Danzig und Wittenberg und Danzig und Ostpreußen. Was bedeuteten diese Verbindungen etwa für die deutsche Literaturentwicklung? Auch Abraham von Franckenberg, Vertreter eines oppositionellen Christentums, der Jakob Böhme und der deutschen Mystik weitgehend verpflichtet war, wirkte zwischen dem 9. Juli 1642 und dem Herbst 1649 als Exulant in Danzig. Gelegentliche Aufenthalte in Elbing und Weichselmünde in dieser Zeit sind dabei zu bedenken. 42 Schon aus seiner schlesischen Heimat, vom Franckenbergschen Familiengut Ludwigsdorf bei Oels, schrieb Franckenberg am 15. September 1637 an Georg Fischer in Breslau eine Warnung vor den Photinianern. 43 In einem Brief aus Danzig von Ende November 1642 erwähnt er, daß der 41

42

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Vgl. Siegfried Wollgast: Zum Schönaichianum in Beuthen an der Oder.- In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 35 (1994), S. 6 3 - 1 0 3 ; Robert Seidel: Späthumanismus in Schlesien. Caspar Dornau (1577-1631). Leben und Werk.- Tübingen: Niemeyer 1994, S. 2 3 0 - 3 3 7 . Abraham von Franckenberg: Briefwechsel. Eingeleitet und hrsg. von Joachim Teile.- Stuttgart, Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1995, S. 2 6 - 2 8 , 61 f. Ebd., S. 92f.

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»Lapis lydium« von Ernst Hesichius bei F. Crusius und M. Ruar »in vertrauliche Correspondentz u[nd] Concordantz desselbigen [Vernunft] Glaubens kommen«. 44 Crusius gehörte, gleich Ruar, zum »personellen Umfeld Franckenbergs«. 45 Auch zu dieser Beziehung fehlen Untersuchungen. Dabei wäre auch der Frage nachzugehen, weshalb Franckenberg in Danzig im Haus des holländischen Kaufmanns Martin du Pre als Hauslehrer wirkte und wohnte, »prope Templum parochiale auff dem Schniffelmarckta«. 46 Auch Charles Ogier, Legationssekretär in einer hochrangigen französischen Gesandtschaft, hat am 12. Oktober 1635 in Danzig »anfangs in lateinischer, sodann in französischer Sprache« mit Ruar gesprochen. 47 Und Andreas Gryphius weilte vom 23. Juni bis zum 21. Juli 1636 in Danzig. Er trat u.a. in engere Verbindung zu Botsack. Opitz hat Gryphius spätestens hier in Danzig kennengelernt. In ihren Gesprächen dürfte auch der am Ort lebendige und wirksame Sozinianismus präsent gewesen sein. Daniel Zwicker stellt [i]n seinem bekannten Werk Irenicum Irenicorum, welches den Obrigkeiten und geistlichen Häuptern aller Confessionen gewidmet ist, [...] die gesunde Vernunft, die richtig ausgelegte heil. Schrift und die wahre Tradition, nicht die falsche (wie z.B. die von der gleichwesentlichen Gottheit des Sohnes) als die drei religiösen Grundnormen auf. Die verschiedenen Bekenntnisse betrachtet er als integrierende Bestandtheile der einen allgemeinen christlichen Gesammtkirche, deren jeder ein wahres Moment in sich enthalte. Den Lutheranern und mährischen Brüdern verdanke die Kirche den Beginn der Reformation, den Reformirten den Gebrauch der Vernunft in religiösen Dingen, den Remonstranten die Restitution der christlichen Freiheit, den Griechen die alte Wahrheit, das N.T. und die Schriften der Väter, den Päpstlichen die Anerkennung der guten Werke und die lateinischen Väter, den Socinianern die Schärfe der Kritik, den Mennoniten die Reinheit der Sitten. 48

Wir finden also bei Zwicker ungewöhnliches Toleranzdenken, das die Aufklärung vorbereitet und zu einem ihrer Bestandteile wird. Überhaupt leisteten die Sozinianer einen großen Beitrag zur Gestaltung der bürgerlichen Toleranzkonzeption. Das Toleranzproblem, gekleidet in die Forderung nach Religionsfrieden, taucht in ihren Schriften allerdings erst Ende der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts auf, als sich ihre Situati44 45 46 47

48

Ebd., S. 161. Ebd., S. 3 1 1 , 3 3 2 und 337f. Ebd., S. 154. Ogiers Bericht über seinen Aufenthalt in Danzig im Jahre 1635.- In: Beiträge zur Geschichte Danzigs und seiner Umgebungen. Hrsg. von Gotthilf Löschin. Bd. II.- Hannover: von Hirschheydt 1977, S. 33 (Nachdr. der Ausg. Danzig: 1837). Otto Fock: Der Socinianismus nach seiner Stellung (Anm. 26), Abth. 1, S. 250; vgl. auch Wollgast: Philosophie in Deutschland (Anm. 26), S. 4 1 7 - 4 1 9 .

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on in Polen verschlechterte. Besondere Bedeutung kommt dabei Samuel Przypkowski, Johannes Crell und Jonas Schlichting zu. Sie arbeiteten den grundlegenden Unterschied zwischen Zielen und Handlungsmethoden von Staat und Kirche heraus und vertraten Gedanken, wie sie durch John Lockes Brief über die Toleranz (1689) dann bekannt wurden. Ein Beispiel dafür ist Crells Vindiciae pro religionis libertate, das er 1637 unter dem Pseudonym Junius Brutus in Amsterdam veröffentlichte. 49 Johannes Crell d.Ä. stammte übrigens aus Franken, gemeinsam mit Martin Ruar war er während seines Studiums in Altdorf für den Sozinianismus gewonnen worden. »Der Einfluß der lutherischen Lehren auf die Gestaltung des theologischen Denkens der Antitrinitarier ist ebenfalls bisher wenig erforscht worden« 50 - und damit, so muß hinzugefügt werden, auch der Einfluß auf die Gestaltung des philosophischen Denkens. Das Luthertum drang eher in Polen ein als der Antitrinitarismus, der sich erst 1562-1565 äußerte. Aber [d]as Luthertum gewann Anhänger hauptsächlich unter dem deutschen Bürgertum Königlich-Preußens, der Antitrinitarismus hingegen unter dem polnischen Adel bzw. sogar dem Magnatentum [...]. Obwohl zur Entwicklung des Antitrinitarismus im 16. Jahrhundert die Italiener und im folgenden Jahrhundert die Deutschen beigetragen haben, wurde er als >polnischer Glaube< betrachtet. 51

Allerdings brachten die Antitrinitarier Luther Anerkennung und Sympathie entgegen, betrachteten ihn als ihren Vorläufer, wie wir mit Zwicker belegten. Luther sei ein Glied in einer langen Kette von Zeugen der Wahrheit. Obgleich sich die Sozinianer immer mehr von Luther entfernten, griffen sie ihn wegen seiner Verdienste nicht an. Hingegen haben sie Calvin nie die Hinrichtung Michael Servets verziehen. Und auch die wachsende Polemik der Lutheraner gegen die Antitrinitarier änderte nichts an deren Grundhaltung zu Luther. Sie trennten stets Luther und die nachfolgenden Generationen der Schüler und Anhänger. 52 49

50

51 52

Vgl. Karol Bai: Ein Weg zur polnischen Aufklärung. Abriß der ethischen Anschauungen Johannes Crells.- In: Frühaufklärung in Deutschland und Polen. Hrsg. von dems., Siegfried Wollgast und Petra Schellenberger.- Berlin: Akademie-Verl. 1991, S. 136-162; Johann Crell: Ο wolnol% sumienia (Vindiciae pro religionis libertate). Editio quinta revisa et adnota. Hrsg. von Lodovicus Chmaj, Daniela Gromska und Victor Wasik.- Warszawa: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1957 (zweisprachig, Einl. [S. VII-XLII] von Zbigniew Ogonowski). Janusz Tazbir: Die Stellung der polnischen Antitrinitarier zu Luther und der lutherischen Tradition.- In: Martin Luther. Leben - Werk - Wirkung. Hrsg. von Günter Vogler in Zusammenarb. mit Siegfried Hoyer und Adolf Laube. 2. Aufl.- Berlin: Akademie-Verl. 1986, S. 439. Ebd., S. 439. Ebd., S. 4 4 3 - 4 4 5 .

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Die deutschen lutherischen und reformierten Theologen bzw. Philosophen erkannten die vom Sozinianismus ausgehenden Gefahren sehr wohl. 53 Seit den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts verfaßten sie eine Vielzahl von Streitschriften gegen die Sozinianer und führten Disputationen gegen die sozinianische Lehre durch. Die Sozinianer antworteten bzw. provozierten mit Gegenäußerungen. Drei Hauptzentren der antisozinianischen Propaganda bildeten sich in Deutschland heraus: Königsberg und Danzig mit Greifswald, Rostock und dem lutherischen Pommern (z.B. Stolp) als Hinterland; Wittenberg mit Leipzig und Jena; Gießen und Marburg. Antisozinianische Schriften wurden aber auch in Tübingen, Altdorf, Nürnberg und später in Helmstedt gedruckt. An der Polemik beteiligten sich u.a. Bartholomaeus Keckermann, Johann Gerhard, Albert Grawer (Grauer), Jakob Martini und sogar Georg Calixt. Dagegen hielten sich Cornelius Martini, Johann Heinrich Aisted, Daniel Stahl, Henning Arnisaeus, Clemens Timpler, Valentin Fromm(e) (Probus), Christoph Scheibler, Rudolf Goclenius (Göckel) u.a. zumindest in ihren eigenen Werken mit antisozinianischer Polemik zurück. Sie ist vorrangig theologisch, greift aber immer wieder ins Philosophische über. Balthasar Meisner setzte sich mit der sozinianischen Auffassung zur Willensfreiheit auseinander. 54 Jakob Martini forderte in seiner antisozinianischen Polemik, zwischen philosophischer und theologischer Bedeutung solcher Begriffe wie >SubstanzWesenSuppositum Sekten< zu verschenken, suchte er auch in abweichenden oder gar gegnerischen Ansichten noch einen akzeptablen Sinn, einen >rationalen Kern< herauszuschälen. Er ging von einer universellen Toleranz und der Forderung nach Trennung von religiöser und wissenschaftlicher Erkenntnis aus. Dies ist auch bei seinen Schriften gegen die Sozinianer zu beachten. Leibniz hat in einigen seiner Werke Abhandlungen des Sozinianismus in den Mittelpunkt gestellt, so: Defensio Trinitatis [contra Wissowatium - S.W.] per nova Reperta Logica contra adjunctam hic epistolam Ariani non incelebris ad Illustrissimum Baronem Boineburgium (Frühjahr 1669?) und Responsio ad objectiones Wissowatii (Frühjahr 1669?). Der Diplomat Johann Christian von Boineburg hatte einen Briefwechsel mit Andreas Wiszowaty um das Trinitätsdogma begonnen. Auf seinen letzten Brief vom Oktober 1665 hatte Wiszowaty von Boineburg keine Antwort erhalten. Jener erinnerte sich daran, als er im Frühjahr 1669 eine Reise nach Warschau vorbereitete. Leibniz' Arbeit, verfaßt im Auftrag Boineburgs, wurde 1717 veröffentlicht: Refutatio objectionum Dan. Zwickeri contra Trinitatem et Incarnationem Dei (1669-1670?). Dieser Traktat richtete sich gegen Zwickers irenischen Tractatus Tractatuum de Contradictione, qua sola cognita Ecclesiae collapsae, Romana, Graeca, Lutherana et Calviniana instaurari, et ad pacem mutuam adduci possint (1666). Leibniz' Antwort wurde erst 1930 gedruckt: De incarnatione Dei seu de Unione Hypostatica (1669-1670?). 56

56

mum Goslawium ä Bebelno de SS Trinitate agitata. Examinatur 2.- Wittenberg: Schurer 1615. Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe. Hrsg. von der Deutschen Akadademie der Wissenschaften zu Berlin. Reihe 6: Philosophische Schriften. Bd. I: 1663-1672. 2. durchges. Nachdr. der Erstausg.- Berlin: Akademie-Verl. 1990, S. 518-535; Erwin Schädel: Zu Leibniz' Defensio Trinitatis. Historische und systematische Perspektiven, insbesondere zur Theodizee-Problematik.- In: Actualitas omnium actuum. Festschrift für Heinrich Beck zum 60. Geburtstag. Hrsg. von dems..- Frankfurt a.M. usw.: Lang 1989, S. 2 3 5 305; Gotthold Ephraim Lessing: Des Andreas Wissowatius Einwürfe wider die Dreyeinigkeit.- In: Gotthold Ephraim Lessing: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Karl Lachmann. 3. verm. Aufl., besorgt von Franz Muncker. Bd. XII.- Leipzig: Göschen 1897 (Reprint Berlin 1968), S. 71-99; vgl. Verzeichnis der Schriften Zwickers bei Bock: Historia Antitrinitariorum (Anm. 3), S. 1048-1069; zusammenfassend zu Leibniz' Stellung zum Sozinianismus Nicholas Jolley: Leibniz on Locke and Socinianism.- In: Journal of the History of Ideas 39 (1978), S. 233-250; ders.: Leibniz and Locke. A Study of the New Essays on Human Understanding.· Oxford: Clarendon Press 1984. Jolley analysiert Leibniz' Manu-

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Schon 1637 hatte D. Zwicker auch Johann Valentin Andreae besucht.57 Zu Comenius unterhielt Andreae in seiner Spätphase Kontakte, weiter zu Joachim Morsius und anderen der Orthodoxie suspekten Persönlichkeiten. Auch dazu bedarf es noch genauerer archivalischer Forschungen. Leibniz bezeichnete Zwicker als »homo arrogans, ineptus, infans, perissologus ä qvovis de schola puero facile refutabilis«. 58 Einige der Hauptthesen Zwickers faßte Leibniz wie folgt zusammen: Die Vertreter der Trinitätsauffassung haben sich so in logische Widersprüche verwickelt, daß sie keinen gütigen Gott zu erlangen vermögen, ohne diesen Makel abzuwaschen. Auf Grundlage des Einspruchs einiger weniger sei man vor dem Konzil von Nicea nicht geneigt gewesen, die katholische Trinität zu beweisen. Zwicker setze als erwiesen voraus, daß Gott eine Natur oder Wesenseinheit sei, die im höchsten Maße Intelligenz besitze. Zusätzlich nehme er eine göttliche Person an, da Gott ja erkennt, eine göttliche Wesenheit zu sein. Ein Körper könne nicht an verschiedenen Orten ohne Aufspaltung seiner selbst sein. (Dazu Leibniz: »Imö substantia corporis [seu principium actionis in eo], potest esse in pluribus locis, qvia est incorporalis et immaterialis. Breviter: forma substantialis corporis, qvae proprie substantia est, potest esse in pluribus locis, materia vero et species non possunt.«) Zwicker hielt es weiter für eine absurde Annahme, daß eine einzelne Wesenheit in mehreren Dingen sei. (Dazu Leibniz: »Non magis hoc absurdum est, qvam DEUM esse simul in pluribus locis; aut si id qvoqve negas, saltern, quod negare non potes, centrum simul totum esse in omnibus radiis concurrentibus.«). Nach Zwicker könnten diejenigen, die am genannten logischen Widerspruch und am Götzendienst bis hin zur ewigen Verdammnis festhielten, nicht gerettet werden, wenn sie nicht ihre Meinung änderten. Leibniz' Streitschrift endete mit den bissigen Worten: Was meinstu Zwinger doch uns alle einzuzwingen, Las deinen Hochmuth erst mit dem Verstände ringen, Und züch die Feder ein, die so gar läppisch schreibt, Die uns an Schweißes statt nichts als zu lachen treibt. Trag nun den Bogen rumb auff Universitäten, Laß die Scholaren Dir den Hoffarts-wurmb ertödten.

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skript Ad Christophori Stegmanni Metaphysicam Unitariorum ( 1 7 0 9 - 1 7 1 0 ) , behandelt dessen Vorwürfe gegen Locke, dieser habe sozinianische Tendenzen, und gibt reichhaltige Belege für die Beschäftigung von Leibniz mit dem Sozinianismus seit seiner Jugend. Eine englische Übersetzung des Manuskripts bei Jolley: Leibniz and Locke (s.o.), S. 1 9 4 - 2 0 6 . Johann Valentin Andreae: Selbstbiographie. Aus dem Manuscripte übersetzt mit Anm. und Beilagen begleitet von David Christoph Seybold.- Winterthur: Steiner 1799, S. 193. Leibniz: Refutatio objectionum Dan. Zwickeri contra Trinitatem et Incarnationem Dei.- In: ders.: Sämtliche Schriften und Briefe (Anm. 56), S. 53 lf.

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Ich glaube nun daß ihr geht mit einander ein. Weil nur die Bauern iezt Socinianer seyn. 59

Zwicker ging schon in seiner publizistischen Anfangsphase davon aus, daß die »unbetrügliche« Art der Bibelinterpretation aus der gesunden Vernunft komme. Dazu bemühte er viele Autoritäten, vornehmlich Johann Konrad Dannhauer mit seiner Idea boni interpretis et malitiosi calumniatoris (Straßburg 1630). Und er gab dazu einige Regeln. Eine »figürliche« Auslegung oder Interpretation werde vorgenommen, wenn ein logischer Widerspruch vorliege. Werde Gott zum Beispiel in Joh 4 ein Geist genannt, in der ganzen Bibel sonst mit leiblichen Gliedmaßen beschrieben, so könne nur eines gelten. Werde in Mt 8,18 gefordert, man solle die Glieder des Geistes abhauen, so widerspreche das den zehn Geboten. In beiden Fällen sei der eine Gegenpol symbolisch (figürlich) zu verstehen. Und wenn Herodes in der Bibel - Lk 13,32 - ein Fuchs genannt werde, so sei das wohl auch nicht buchstäblich zu verstehen. Auch Konrad Dieterich mit seinen Institutiones catecheticae (Gießen 1613) nahm Zwicker als Beleg für seine Auffassung, »das gar keine meinung für Schrifftmässig könne gehalten vnd angenommen werden/ welche ungereimpt/ und widersinnisch ist/ vnd also mit der gesunden Vernunfft streitend befunden wird«. 60 Ausdrücklich wandte sich Zwikker gegen alle Anthropomorphismen. Seine Behauptungen belegte er stets mit entsprechenden Bibelstellen. Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts begannen sozinianische Ideen nach Westeuropa einzudringen, wo sie teilweise assimiliert wurden. Bevorzugtes Terrain für diese ideelle Expansion war damals Westdeutschland, vor allem jedoch Holland. Die aus Polen eingeführten Ideen stärkten die liberale Richtung der holländischen Kalvinisten und trugen [...] zur endgültigen Ausbildung der religiösen Anschauungen der Arminianer bei [...]. Doch die Assimilierung des sozinianischen Gedankengutes auf breiter Front begann erst gegen Ende der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts. 61 59

60

61

Ebd., S. 531 f.; vgl. Zbigniew Ogonowski: Leibniz und die Sozinianer.- In: Theatrum Europaeum. Festschrift für Elida Maria Szarota. Hrsg. von Richard Brinckmann u.a.- München: Fink 1982, S. 385-408. Daniel Zwicker: Kurtze und richtige Anleitung/ In welchen fällen und örtern die Schrifft eigentlich oder figürlich müsse außgeleget vnd verstanden werden. Zu rechtem verständtniß der Schrifft/ vnd die einigkeit der Glaubigen zu befordern/ auß vornehmer Theologen und Gelehrter Leute Schrifften zusammen getragen/ Durch Einen Liebhaber der Warheit vnd des Friedens.- [o.O.] 1650, S. 9. Zbigniew Ogonowski: Der Sozinianismus und die Aufklärung.- In: Reformation und Frühaufklärung in Polen. Studien über den Sozinianismus und seinen Einfluß auf das westeuropäische Denken im 17. Jahrhundert. Hrsg. von Paul Wrzecionko.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1977, S. 143. Uns geht es hier nur um die erste, nicht um die reife Phase des Deismus.

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Auch hier fehlen wiederum Untersuchungen zur Spezifik der Philosophie in (Nord)westdeutschland, die ja bis Mitte des 17. Jahrhunderts mit der niederländischen Philosophie weitgehend übereinstimmt. Ogonowskis Einschätzung entspricht großteils der Fritz Mauthners: Wer aber im Auge behält, wie der linke Flügel der Socinianer mit der Dreieinigkeit auch die Anbetung Christi verwarf, wie die unruhigen Geister aus den westlichen Ländern bei den Socinianern Schutz suchten und fanden, [...] wie endlich in Holland die socinianischen Flüchtlinge von allen radikalen Parteien als Brüder aufgenommen wurden, wie vielleicht auch in Deutschland der Rationalismus durch Verbreitung socinianischer Schriften vorbereitet wurde, der wird nicht an der Tatsache zweifeln, daß Deismus und Aufklärung durch die socinianische Bewegung entscheidend beeinflußt worden sind. 62

Aufklärung heißt zunächst Kritik an den Glaubensdogmen der herrschenden Kirchen. Da diese Kritik erstmalig systematisch und von rationalistischen Prämissen ausgehend von den Sozinianern (die Arminianer werden hier nicht berücksichtigt) formuliert wurde, läßt sich sagen, daß das Wirken der Sozinianer ein wichtiger Faktor für das Entstehen der Aufklärung war. Der Deismus suchte die Religion ausschließlich auf den Forderungen der Vernunft aufzubauen. Daher verwarf er die christliche Offenbarung, da jene diesen Forderungen nicht entsprach. »In diesem Sinn stellte der englische Deismus (und der Deismus der Aufklärung ganz allgemein) das Endprodukt jener Bestrebungen dar, die sich bereits in der Renaissance herauskristallisiert hatten.« Nach Ogonowski verlief die Emanzipation des menschlichen Denkens von der Offenbarung nicht nur auf dem Wege der allmählichen Rationalisierung der Religion. Daneben existierte der »Weg über die radikale Irrationalisierung der Religion«, 63 über den sich gleichfalls eine Möglichkeit der Offenbarung eröffnete. 64 62

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Fritz Mauthner: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande. Bd. I.Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlagsanstalt 1920 (Reprint Hildesheim 1963), S. 593. Ogonowski: Der Sozinianismus und die Aufklärung (Anm. 61), S. 83. Rein geistesgeschichtlich gesehen erfaßt Troeltsch richtige und wesentliche Ursachen für die Entstehung des Deismus: »Er nahm seinen Ausgangspunkt einerseits von der dogmatischen, naturwissenschaftlichen und metaphysischen Kritik der geltenden Dogmen, andererseits von der Einsicht in die Fraglichkeit der bisher herrschenden supranaturalistischen Offenbarungsansprüche, wie sie sich erst aus den Konfessionskriegen, dann aus der wachsenden historischen und geographischen Erkenntnis ergab. Die von beiden Seiten entspringenden Bedenken verstärkten sich gegenseitig und lockten dazu an, eine allgemeine, überall gleiche, jedermann erkennbare religiöse Normalwahrheit zu suchen, auf die man von den konkurrierenden einzelnen Religionen zurückgehen kann, von der aus Wert und Recht der unmittelbar sich gebenden Offenbarungsansprüche sich prüfen läßt, und die mit den metaphysischen Ergebnissen der neuen Wissen-

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Diese Entwicklung - die Emanzipation des menschlichen Denkens nicht nur von der Offenbarung, sondern von der Religion überhaupt kann man besonders in der Blüte der französischen Aufklärung beobachten. Die Philosophie Pierre Bayles spielt dabei eine vermittelnde und sehr wichtige Rolle. Bayle kannte die Lehre der Sozinianer ausgezeichnet. Sie war für ihn zweifellos ein starker intellektueller Impuls. Auch unter ihrem Einfluß gelangte er zu der Auffassung, daß zwischen der Religion und den Forderungen des rationalen Denkens eine unüberbrückbare Kluft bestehe. Hugo Grotius ließ 1617 in Leiden seine Abhandlung Defensio fidei Catholicae de satisfactione Christi adversus Faustum Socinum Senensem erscheinen. Gleichwohl wurde er schon zu Lebzeiten bezichtigt, einige sozinianische Auffassungen zu vertreten. Und gerade seine erwähnte Schrift von 1617 zeigt, daß Grotius letztlich der sozinianischen Theorie wohl näher stand als der traditionell kirchlichen, die er zu verteidigen vorgab. 65 Pierre Gassendi, Rene Descartes und vor allem Marin Mersenne waren vom sozinianischen Rationalismus beeinflußt. Der bedeutende Sozinianer Johann Ludwig von Wolzogen - der zeitweilig auch in Danzig gewirkt hat - beteiligte sich am Streit zwischen Descartes und Gassendi und ergriff die Partei Gassendis. Die deutschen Exilsozinianer Samuel und Paul Crell arbeiteten an Bayles Dictionnaire historique et critique mit. Die Spuren der Sozinianer lassen sich bis zu Voltaire (Candide) und den französischen Enzyklopädisten verfolgen. Vom Sozinianismus beeinflußte Werke der französischen Aufklärung wirkten wieder auf Deutschland zurück. Einige, wie Bayles Dictionnaire, wurden ins Deutsche übersetzt, so daß auf diesem Umweg, ähnlich wie im Fall Lockes und John Tolands, ein sozinianischer Nebenstrom nach Deutschland zurückgeleitet wurde.

64 65

schafiten übereinstimmt.« Ernst Troeltsch: Der Deismus.- In: ders.: Gesammelte Schriften. Bd. IV: Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie.Tübingen: Mohr 1925, S. 430-431. Wenn Troeltsch fortfahrt: »Diese rationale Religion ist rationale Metaphysik und Ethik von schroff intellektualistischem Charakter« (ebd., S. 431), so ist das religionsgeschichtlich ebenfalls richtig. Der Deismus war aber von »Anfang an« mehr als eine »Philosophie der Religionsgeschichte« (ebd., S. 433). Vgl. Martin Fontius: Deismus.- In: Philosophisches Wörterbuch. Hrsg. von Georg Klaus und Manfred Buhr. 11. Aufl.- Leipzig: VEB Bibliographisches Institut 1975, S. 253-256. Vgl. Ogonowski: Der Sozinianismus und die Aufklärung (Anm. 61), S. 83. Vgl. Cornelius Broere: Hugo Grotius' Rückkehr zum katholischen Glauben. Hrsg. von Franz Xaver Schulte.- Trier: Lintz 1871, S. 5 6 - 6 4 und 105-107; Joachim Schlüter: Die Theologie des Hugo Grotius.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1919, S. 36-47; The Polish Brethren: Documentation of the History and Thought of Unitarianism in the Polish-Lithuanian Commonwealth and in the Diaspora. 1601-1685. Hrsg., übers, und interpretiert von George Huntston Williams. Bd. I.- Ann Arbor: Scholars Press 1980 (= Harvard Theological Studies; 30), S. 253-285.

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Ein wichtiges Bindeglied zwischen Sozinianismus und Aufklärung bildet John Locke. Er war nach außen vorsichtig und bestritt seine Abhängigkeit von sozinianischen Ideen. Solche Zurückhaltung übte auch Isaac Newton gegenüber dem Sozinianismus. Auch wenn das 18. Kapitel des Buches IV von Lockes Essay concerning human understandig recht sozinianisch klingt, so darf darüber der Kontext nicht vergessen werden. Neben Arbeiten Sozzinis fanden sich in Lockes Bibliothek viele Schriften deutscher und polnischer Sozinianer, so von Crell, Völkel, Stegmann d.Ä., Schmalz, von Wolzogen, Schlichting, Przypkowski und Wiszowaty; außerdem Ruars Briefe. Daß Locke diese Schriften auch wirklich studiert und von ihnen gelernt hat, zeigen seine Exzerpte. 66 Lange vor Lockes Reasonableness of Christianity wurde Tolands Christianity not Mysterious konzipiert. Es erschien 1696. Tolands These, die Religion dürfe nichts enthalten, was über die Vernunft hinausgehe, negierte auch die fundamentalen christlichen Dogmen der Dreieinigkeit, der Inkarnation, der Erlösung von den Sünden usw. Toland griff sie freilich an keiner Stelle des Traktats direkt an, doch eine solche Schlußfolgerung ergibt sich ziemlich deutlich. Schon der Titel des Traktats allein suggeriert es. Und solcherart waren höchstwahrscheinlich auch die Absichten des Autors, obgleich er dies entschieden leugnete. 67

Tolands Schrift wurde Gegenstand einer stürmischen, fast 50 Jahre dauernden Polemik. Toland wurde als Atheist, als Gottloser verschrien, in besser orientierten Kreisen hielt man ihn für einen Sozinianer. Toland kämpfte gegen diese Einstufung an, denn die Sozinianer waren in England vom Toleranzedikt ausgeschlossen. Seit 1648 galt für die Verbreitung sozinianischen Gedankenguts die Todesstrafe. Fünf Jahre später verhängten die Niederlande über all diejenigen Verbannung, die sich mit der Einfuhrung und Verbreitung sozinianischer Lehren befaßten. Ogonowski belegt: »Die Thesen Tolands zum Thema der Geheimnisse der Religion waren bereits in den Ansichten des Faustus Sozzini enthalten, formuliert wurden sie freilich erst in dem Tractat von Stegmann > de JudiceIinke< Konsequenzen gezogen; vgl. John Toland: Christianity not mysterious [Christentum ohne Geheimnisse] 1696. Übers, von W. Lunde. Eingel. und unter Beifügung von Leibnizens Annotatiunculae 1701 hrsg. von Leopold Zscharnack.- Gießen: Alfred Töpelmann 1908, S. 55-139 (Text des Christianity)·, vgl. Hermann Ley: Geschichte der Aufklärung und des Atheismus. Bd. III/2.- Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1980, S. 528-532; Janusz Tazbir: Le socinianisme apres le mort de Sozzini (Les Freres Polonais dans les annees 1604-1660).- In: Movimenti ereticali in Italia e in Polonia nei secoli XV-XVII. Atti del convegno italo-polacco Firenze. Instituto nazionale di studi sul rinascimento 22-24 settembre 1971.Firenze: Inst. Naz. di Studi sul Rinascimento 1974, S. 119-139. 69 Belege bei Ogonowski: Der Sozinianismus und die Aufklärung (Anm. 61), S. 119-139. Übrigens lautet eine der Ausgangsthesen Stegmanns »Natura enim rerum omnium communissima simul et certissima omnis veritatis falsitatisque norma est.«; vgl. Stegmann: De judice et norma (Anm. 68), S. 17. 70 Mauthner: Der Atheismus und seine Geschichte (Anm. 62), S. 605.

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sich nicht nur von den unbeseelten Wesen, sondern auch von allen anderen Lebewesen unterscheidet. 71

Die Offenbarung verlor für den Sozinianismus den Ausschließlichkeitswert. Zur Glaubensnorm müsse man auch - so Stegmann - die sog. natürlichen Gesetze (>principia naturaliaprincipia philosophical hätten absoluten Wert, sie seien in irdischen wie in göttlichen Dingen allgemein gültig. Wer immer sie zerstören wolle, müsse zuerst die ganze Welt von Grund auf zerstören. Ihre Gültigkeit gründe in der Natur der Sache selbst. Sie bilde daher das wichtigste Kriterium für die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge. Es ging Stegmann um Behauptungen wie: das Ganze sei größer als der Teil, die Folge komme nach der Ursache usw. Gleiches galt für die moralischen Gesetze: Recht stehe höher als Unrecht usw. Die Gesetze der zweiten Art sind die >principia theologica supra rationem< in ihrer scholastischen Bedeutung. Mit Joachim Stegmann d.Ä. wurde der Doppeldeutigkeit dieser Formel ein Ende bereitet. Er postuliert, wie später Toland, das Evangelium enthalte nichts, was über die Vernunft hinausgehe. Der Ausdruck > supra rationem< sei in der christlichen Religion überhaupt nicht angebracht, denn er suggeriere, sie enthalte unbegreifliche Wahrheiten. Das aber stimme nicht. Wohl könne man von manchen christlichen Wahrheiten sagen, daß sie über die Natur hinausgingen (> supra naturamcontra rationem supra rationem supra naturam supra rationemres divinas supra rationem< ist? Das ist offenkundiger Unsinn. Ordnen die Theologen hingegen unsere Erkenntnisambitionen in vernünftige Grenzen ein, dann ergibt sich, daß auch göttliche Dinge unbedingt in den Grenzen des rationalen Erkennens liegen und daß die menschliche Vernunft ein ausreichendes Mittel zum Erlangen solcher Erkenntnis und solchen Verstehens von religiösen Wahrheiten ist. Am Schluß dieses Gedankenganges betont Stegmann nochmals: »Man sieht also, die Wahrheiten, an die wir gemäß der Hl. Schrift glau-

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ben sollen, stehen weder im Widerspruch zur Vernunft, noch gehen sie über diese hinaus.« 77 Die Sozinianer distanzierten sich später allerdings von Stegmanns Auffassungen, und die Formel > supra rationem< erschien wieder in ihren Arbeiten. Aber sie betonten, Sozzini folgend, daß sie sie anders verstünden als die Orthodoxie. Die Deutsche Frühaufklärung ist mit der westeuropäischen durchaus zeitgleich. Meines Erachtens reicht sie zeitlich etwa von 1672 bzw. 1675 bis 1718 bzw. 1723.78 Sie umfaßte einen protestantischen wie einen katholischen Aspekt, eine weltliche wie eine geistliche Linie. Letztere wurde im Protestantismus durch den orthodoxen wie den radikalen Pietismus repräsentiert. 79 Die sog. weltliche Linie hat sich vornehmlich in den siebziger und achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts herausgebildet. Als ihre Hauptakteure seien hier stellvertretend genannt: Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, Samuel von Pufendorf, Christian Thomasius und Gottfried Wilhelm Leibniz. Christian Wolff war Vollender der Früh- und Begründer der Hochaufklärung in Deutschland in einem. Die deutschen Sozinianer lassen sich eher der weltlichen als der geistlichen Linie zuordnen, 80 nehmen aber in ihr eine Stellung ein, die mit den nachfolgenden Punkten nicht gänzlich übereinstimmt. Auch die weltlichen Frühaufklärer gingen von unterschiedlichen Quellen aus, befehdeten sich untereinander, wie es das Beispiel der Kontroverse zwischen Tschirnhaus und Thomasius (1688/1689) belegt. Einige Anliegen und Merkmale waren ihnen aber gemeinsam: 81 77

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Stegmann: De judice et norma (Anm. 68), S. 59: »Patet ergo nec supra nec contra rationem esse, quae in sacris litteris nobis cognoscenda proponuntur [...].« Toland skizziert den methodischen Weg, den er zu verfolgen gedenkt, so: »[...] erstens zu sehen, was mit Vernunft und ihren Eigenschaften gemeint ist, dann zu untersuchen, ob keine Lehre im Evangelium gegen die Vernunft ist, zuletzt zu beweisen, daß auch nichts Übervernünftiges darin enthalten und mithin keine dieser Lehren ein Mysterium ist«. Toland: Christentum ohne Geheimnisse (Anm. 68), S. 69. Vgl. Siegfried Wollgast: Die deutsche Frühaufklärung und Samuel Pufendorf. In: Samuel Pufendorf und die europäische Frühaufklärung. Werk und Einfluß eines deutschen Bürgers der Gelehrtenrepublik nach 300 Jahren (1694-1994). Hrsg. von Fiammetta Palladini und Gerald Härtung.- Berlin: Akademie-Verl. 1996, S. 4 2 - 5 4 . Vgl. Siegfried Wollgast: Pietismus zweier Generationen und Katholizismus als Exponenten der Frühaufklärung.- In: Würzburger Medizinhistorische Mitteilungen 14(1996), S. 403-419. Vgl. dagegen Paul Wrzecionko: Der polnische Sozinianismus und die theologische Aufklärung in Deutschland.- In: Der Einfluß der Unitarier (Anm. 1), S. 77-97. Vgl. Siegfried Wollgast: Zur philosophischen Frühaufklärung in Deutschland. Quellen - Hauptlinien - Vertreter.- In: Frühaufklärung in Deutschland und Polen (Anm. 49), S. 53-55.

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1. Der Kampf um die Freiheit der Philosophie bzw. Wissenschaft von der Theologie. 2. Der Kampf gegen den Konfessionalismus bzw. um religiöse Toleranz, die zur Idee der universellen Toleranz fortgeführt wurde. 3. Ein zumeist deistisches Gottesverständnis, wie überhaupt der Deismus in der Aufklärung vorherrschte (auch in Frankreich). 4. Die Suche nach einer Methode, die den Erfordernissen der neuen Naturwissenschaft entsprach: Philosophie wurde vornehmlich als Methodenlehre und praktische Philosophie verstanden, darauf zielend, die Menschen glücklich zu machen. Daneben gab es, Leibniz und Tschirnhaus stehen dafür als Beispiel, auch Bemühungen um die Weiterentwicklung der Metaphysik. 5. Das vorläufige Dominieren des Rationalismus, was allerdings nicht in der Mystik galt. Die Mystik spielte in der weltlichen (bei Thomasius, Leibniz) wie in der pietistischen Aufklärung keine geringe Rolle. Diese Tatsache sollte uns vorsichtig machen gegenüber der abstrakt-generalisierenden Behauptung, Träger des Aufklärungsdenkens sei der Empirismus bzw. Sensualismus, der den metaphysischen bzw. speziell cartesischen Rationalismus verdrängt habe. 82 Generell läßt sich in der deutschen Frühaufklärung die Zuordnung eines Denkens zu Rationalismus oder Empirismus zumeist nicht eindeutig vornehmen. 83 6. Das Eingehen eines engen Bündnisses mit der progressiven Naturwissenschaft der Zeit, vornehmlich der Mathematik und Mechanik. So gehörte zu Joachim Stegmanns d.Ä. Publikationen das Lehrbuch: Institutionum Mathematicarum Libri II. quibus initia arithmeticae et geometricae pro incipientibus dilucide explicantur et ad praxin accomodantur: iussu superiorum in usum scholae Racouianae conscripti 1630. Auch Johann Ludwig von Wolzogen war stark an Naturwissenschaft und Mathematik interessiert. Zeitweilig verbündeten sich die weltlichen Frühaufklärer auch mit dem Pietismus bzw. dem radikalen Pietismus (und umgekehrt).

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Wenn Panajotis Kondylis in: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. 2. Aufl.- München: Deutscher Taschenbuch Verl. 1986, die Hauptströmung der Aufklärung als Antiintellektualismus auffaßt (S. 171, 334f. und 435) und sich gegen die These von der »nationalistischen Aufklärung« (S. 639) sowie gegen die Wertung der Aufklärungszeit als »Zeitalter des Rationalismus« wendet (S. 20f. und 36), so erscheint mir das ebenso einseitig wie Günter Mühlpfordts Position dazu in: Aufklärungsphilosophie in neuer Sicht. Antiintellektualismus als Hauptströmung?- In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 32 (1984), S. 1118-1124. Ist für Kondylis Locke der >Vater< der Aufklärung, so ist es für Mühlpfordt Descartes. Beide Standpunkte erscheinen mir einseitig. Vgl. Bock: Historia Antitrinitariorum (Anm. 3), S. 952 und 1031.

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7. Den weltlichen Frühaufklärern erschien die persönliche Überzeugung wichtiger als die übernatürliche Rettung. Die menschliche Vernunft trat an die Stelle der göttlichen Offenbarung; das menschliche Leben erschien nicht mehr vorrangig oder allein als Vorbereitung auf die Ewigkeit, sondern als Selbstzweck. 8. Der Dogmatismus, gefaßt als uneingeschränkte Anhängerschaft an ein bestehendes philosophisches System bzw. dessen Begründer, wurde abgelehnt, dafür Eklektizismus gesetzt und praktiziert. Der Eklektizismus war gerade im 17. Jahrhundert das offene Banner aller progressiven Philosophen. Nach 1. Th 21 »Omnia autem probate: quod bonum est tenete« handelten auch schon weitgehend die hier vorrangig behandelten deutschen bzw. aus Danzig stammenden oder dort zeitweilig wirkenden Sozinianer Joachim Stegmann d.Ä., Martin Ruar und Daniel Zwicker. Die Forschung hat all dies in Untersuchungen und Einschätzungen der Periode zwischen Reformation und Frühaufklärung kaum beachtet. Gehen wir davon ab, sehen wir neben allem Ausgeführten auch die von diesen Sozinianern verkündete und theoretisch praktizierte Toleranz. Dies ist ein hervorragender Ausgangspunkt, um eine große Zeit deutschpolnischer Gemeinsamkeit auch am Beispiel der Sozinianer - und dabei besonders der Danziger - zu würdigen.

IV. Deutsch-polnische Erinnerungsstätte: Die alte Danziger Stadtbibliothek

Klaus Garber

Die alte Danziger Stadtbibliothek als Memorialstätte für das Preußen königlich polnischen Anteils Sammler, Sammlungen und gelehrtes Leben im Spiegel der Geschichte*

Es mußten ein deutscher Durchhaltebefehl, britische Bombenteppiche und die zweite sowjetische Armee unter Marschall Rokossowskij einträchtig wirken, um den seit Jahrhunderten vererbten, zählebigen, hier unter Prachtfassaden gestapelten, dort armseligen Bürgerfleiß gegen einen noch wochenlang schwelenden Flächenbrand aufzurechnen und ganz Danzig, dessen verwinkelte Alt-, Rechts-, Nieder-, Jung- und Vorstadt bis auf das wiederum gebrannte Backsteingemäuer aller Haupt- und Nebenkirchen wie für alle Zeit einzuebnen. Auf Archivfotos sieht das total aus. Luftaufnahmen lassen die Bauabschnitte frühmittelalterlicher Stadtplanung erkennen. Nur am Leegetor, um Sankt Johannis, zwischen Fischmarkt und Brausendem Wasser, neben Sankt Katharinen und sonst noch wo blieb aus Zufall brüchig was stehen.1

Auch das literarische Danzig, und zumal das des 17. Jahrhunderts, ist eingegangen in den Grass'sehen Butt, und manch einer selbst unter den bewanderten Literaturwissenschaftlern mag erstmals auf diese Weise Kunde von Opitz und Gryphius in Danzig, aber auch den Leszczyriskis und Dönhoffs, den polnischen Königen Zygmunt III. Waza und Wladyslaw IV. im weiteren Umfeld erhalten haben - der eine, Opitz, als angesehener Historiograph in polnischen Diensten; der andere, Gryphius, wie so viele Schlesier zu Gast am renommierten Gymnasium. Wie kein anderer Dichter der Moderne hat Grass das so ferngerückte literarische Treiben des 17. Jahrhunderts in der unnachahmlichen Manier der Überblendung der Zeiten - am vollkommensten inszeniert im Weiten Feld dem zeitgenössischen Leser zurückgewonnen. Sein Treffen in Telgte ist offenkundig für mehr als einen Germanisten zu einer gerne genutzten Handreichung geworden, dem die hermetische Welt des Barock auf anderen Wegen verschlossen blieb. Der Dichter der Danziger Trilogie durfte das barocke Danzig nicht fehlen lassen in seinem literarischen * Der vorliegende Beitrag erscheint demnächst auch in einer Monographie des Verfassers: Das alte Buch im alten Europa (München: Fink). 1 Günther Grass: Der Butt. 2. Aufl.- Darmstadt, Neuwied: Luchterhand 1977, S. 139f.

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Kaleidoskop, in dem allegorische Montagen so selbstverständlich praktiziert werden wie sonst eben nur im Barock.

1. Auf der frühneuzeitlichen literarischen Landkarte des alten deutschen Sprachraums nimmt auch Danzig für den Kenner einen unverwechselbaren Platz ein. Prominenter als später im 17. und sodann im 18. Jahrhundert das den Meeren zugewandte Hamburg hat die Ostseemetropole Danzig unter dem lockeren Dach der polnischen Krone einem Gewoge von Nationalitäten, Kulturen und religiösen Optionen in seinen Mauern Raum zur Entfaltung gewährt wie sonst in Europa unter den Handelsstädten allenfalls das verwandte Amsterdam, auch dieses wiederum zeitlich gesehen - im Gefolge Danzigs. Die Stadt hatte sich im 16. Jahrhundert unter dem Sog des mächtigen händlerischen Treibens zur bevölkerungsreichsten Stadt Europas entwickelt, und das ungeachtet weitgehend unverrückter, aus dem Mittelalter herrührender Parzellierungen. Es muß ein unvorstellbar dichtes Treiben auf den engen Gassen und dem geräumigen Langen Markt geherrscht haben, geprägt durch das unvermittelte Nebeneinander von Sprachen, Gewandungen, Ständen. Geht es heute um das Studium multikultureller Milieus - Danzig gäbe gerade in der Frühen Neuzeit ein kaum zu erschöpfendes Beispiel ab. Eher formell unter polnischer Oberhoheit, im städtischen Regiment nicht beschränkt und als Handelsmetropole eine unerläßliche Stütze für das weite Hinterland, bot sich der Entfaltung unreglementierter Anschauungen und Lebensformen ein beachtlicher Spielraum. Er hat auch dazu beigetragen, der Stadt einmal über längere, einmal über kürzere Perioden die - Kräfte und Überzeugungen verzehrenden - Konflikte zu ersparen, wie sie insbesondere die Konfessionalisierung allüberall in den Städten mit sich brachte. Auch an Danzig sind sie nicht vorbeigegangen. Aber es war nicht der Druck der Krongewalt wie etwa im benachbarten Schlesien, sondern - in wohlvertrauter schöner Regelmäßigkeit - der Konflikt zwischen Lutheranern und Reformierten, der auch Danzig zeitweilig und zumal in der geistigen Aufbruchphase um 1600 in Atem hielt. Die Städte des Preußen königlich polnischen Anteils nicht anders als im benachbarten Großpolen mit Lissa im Zentrum gehörten für einige Dezennien zu den segensreichen Enklaven, in denen gerade Angehörige der so arg bedrängten schlesischen Protestanten mit den reformierten Häuptern und den illustren Poeten an der Spitze einen Unterschlupf fanden und überlebten. Als Freizone praktizierter Toleranz inmitten des katholischen Königreichs hat Europa in den zeitweilig von heterodoxem Geist geprägten Landen zwischen der Weichsel und der Oder Räume der Erinnerung zu bewahren, in denen der mörderische

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Kampf sistiert erschien und ein Lichtstrahl aufgeklärten Gewährenlassens einem Versprechen gleich aufleuchtete.2 2

Aus der reichen Literatur zu Danzig in der Frühen Neuzeit seien hier die folgenden Werke erwähnt. Am bekanntesten aus jüngerer Zeit dürfte die gelungene Synopsis sein, die Maria Bogucka erstmals 1967 vorgelegt hat (Zycie codzienne w Gahsku, wiek XVI-XVII.- Warszawa: Panstwowy Instytut Wydawn. 1967; 2. erw. Aufl.: Zyc w dawnym Gdansku.- Warszawa: Wydawn. Trio 1997) und die frühzeitig auch in deutscher Übersetzung vorlag: Das alte Danzig. Alltagsleben vom 15. bis 17. Jahrhundert.- Leipzig: Koehler & Amelang 1980; vgl. auch dies.: Amsterdam en de Oostzeelanden in de eerste helft van de zeventeinde eeuw.- In: De Gids 145 (1982), Η. 1: Amsterdam en de wereld van 1632, S. 47-53. Inzwischen liegt von polnischer Seite die große fünfbändige Darstellung zur Geschichte Danzigs abgeschlossen vor: Historia Gdanska. Hrsg. von Edmund Cieslak. Bd. I-V.- Gdansk: Wydawn. Morskie 1978-1997 (Bd. I-II), Sopot: Wydawn. Lex 1978-1998 (Bd. IV-V), Bd. III liegt in zwei Halbbänden ohne Verlagsangabe vor. Die für die Frühe Neuzeit einschlägigen Bände sind Bd. II (1982) und III (1993), welche den Zeitraum von 1454-1655 bzw. 1655-1815 umfassen. Der fünfte Band bietet eine umfassende DanzigBibliographie: Bibliografia Gdanska. Bearb. von Jan Kurlawski und Przemyslaw Szafran.- Sopot: Lex 1997; vgl. auch die englischsprachige einbändige Fassung von Edmund Cieslak und Czeslaw Biernat: History of Gdaήsk. Übers, von Bozenna Blaim und George M. Hyde.- Gdansk: Wydawn. Morskie 1995. Die maßgebliche, groß angelegte stadtgeschichtliche Arbeit im 20. Jahrhundert von deutscher Seite aus ist bekanntlich nicht zum Abschluß gelangt; anders als Königsberg hat Danzig daher in deutscher Sprache eine umfassende aus den Quellen erwachsene Monographie nur bis in die Anfänge des 17. Jahrhunderts erhalten. Vgl. Paul Simson: Geschichte der Stadt Danzig in vier Bänden.- Danzig: Kafemann 1913 (Bd. I), 1918 (Bd. II und IV). Band III. ist nicht erschienen. Schon der zweite Band konnte von Simson krankheitsbedingt nicht mehr zum Abschluß gebracht werden. Er ist von dem Direktor der Stadtbibliothek Otto Günther und dem des Danziger Staatsarchivs Karl Josef Kaufmann eingeleitet und herausgegeben. Führt der erste und vergleichsweise schmalere bis zum Jahr 1517, so ist der zweite, sehr viel umfänglichere Band im wesentlichen dem 16. Jahrhundert vorbehalten und reicht »bis zum Beginn der Schwedenkriege«. Der vierte Band fungiert als breit fundiertes Organon der Urkunden und wurde gleichfalls bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts herangeführt - dem Werk 1918 dankenswerterweise beigegeben. Dieses selbst hätte die von Simson vorgesehenen Umfange mit Gewißheit weit überschritten, wäre es dem Verfasser vergönnt gewesen, an ihm fortzuwirken und es zu vollenden. Es ist umfassend kulturgeschichtlich angelegt und verarbeitet ein reiches archivalisches Material. Dem Reprint des Werkes (Aalen: Scientia 1967) ist im zweiten Band ein posthumer Aufsatz Simsons angefügt: Danzig und Gustav Adolf 1626-1628 (= Sonderveröffentlichung des Westpreußischen Geschichtsvereins 1924). Vgl. das Porträt des Verstorbenen von Kaufmann in: Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins 16 (1917), S. 18-36 und 28-36 (Bibliographie); vgl. ebenso den Eintrag von Ernst Bahr.- In: Altpreußische Biographie. Hrsg. von Christian Krollmann. Fortgeführt von Kurt Forstreuter und Fritz Gause.- Marburg/L.: Elwert 1963-1975, Bd. II, S. 678f. (im folgenden APB). Dem großen Werk vorausgegangen war von Simson als knappe Einführung: Geschichte der

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Auch Danzig bot im literarischen Leben das typische Bild großer und vitaler Städte, in denen das bürgernahe Agieren vor allem in den tausend Formen öffentlich inszenierter Schaustellungen in Mimik, Tanz, Umzug, Maskerade, Musik aller Sparten merklich abgehoben blieb von dem gelehrten Treiben, das mit dem Humanismus auch im Nordosten in freilich zurückhaltenderer Form Einzug gehalten hatte. Und wie überall sonst verlief auch in Danzig die Entwicklung derart, daß das gelehrte Element, zunächst weniger kräftig ausgeprägt, sich langfristig behauptete, den Übergang v o m Lateinischen zu einer nun freilich elaborierten Volkssprache in einem langwierigen Prozeß nachvollzog und sich schließlich das 17. Jahrhundert über prägend durchsetzte, damit zugleich gelehrte Bastionen besetzend, die noch im 18. Jahrhundert den Stadt Danzig.- Danzig: Saunier 1903 (= Gedanensia; 8); knapp auch Erich Keyser: Danzigs Geschichte. 2. verb, und verm. Auflage.- Danzig: Kafemann 1928. Das maßgebliche Werk des 19. Jahrhunderts stammt von Gotthilf Löschin: Geschichte Danzigs von der ältesten bis zur neuesten Zeit, mit beständiger Rücksicht auf Cultur der Sitten, Wissenschaften, Künste, Gewerbe und Handelszweige. 2. Aufl. Bd. I-II.- Danzig: Ewert 1828. Das Werk ist in den einzelnen Kapiteln durchgehend zweiteilig gearbeitet, einem ersten Teil zur politischen Geschichte folgt jeweils ein zweiter zur Kulturgeschichte Reformierte Konfessionalisierung 1573—1595 Gegenreformatorische Herausforderung und Krise. Der Danziger Konfessionsstreit 1595-1606Biblio-Archäologie< - eine Wortschöpfung Wolfgang Adams - in der oben genannten Monographie des Verfassers: Das alte Buch im alten Europa (Anm. *)

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private Kollektionen für Jahrhunderte unter einem einzigen Dach zusammenkommen, so entsteht eben jenes Schatzhaus des Geistes als ein Speicher der Bücher, an denen Namen und Wirken der Sammler haften, die die nie wiederholbare Physiognomie der je einzelnen Bibliothek begründen. Ihren jeweiligen Namen aufzurufen ist für den Kenner gleichbedeutend mit der Vergegenwärtigung eines geistigen Kosmos, wie er sich in jeder gelungenen bibliothekarischen Schöpfung in monadologischer Perspektivierung darbietet. Und darum gehört wie der Sammler so der Reisende zur Geschichte der Bibliotheken, der sich an ihrem Reichtum wie an ihrer Vielfalt nicht genugtun kann. 5 Wie zum Erweis der Triftigkeit des Angedeuteten ist auch das hier gewählte bibliothekarische Paradigma geeignet, unseren Einsatz zu bestätigen. Auf das Jahr 1596 datiert die Danziger Stadtbibliothek ihre Anfänge zurück. Das ist ein nahezu zufälliges Datum, verdankt es sich doch einem Schiffbruch. Das gestrandete und gerettete Gut aber barg Bücher und gelangte in die Obhut des Rats, der nun die Chance ergriff, das so mächtig angewachsene Danzig mit einer Bibliothek auszustatten. Giovanni Bernardino Bonifacio, Marchese d'Oria (1515-1597) steht als Gründerfigur an dem Beginn der ruhmreichen Geschichte der Danziger Stadtbibliothek. Stadt und Bibliothek hätten keinen würdigeren Patron gewinnen können. Daß das Leben des Europa kreuz und quer durchziehenden Mannes in Danzig sich vollendete, will wie ein Siegel auf das schier unerschöpfliche Vermögen der Assimilation erscheinen, welches dieser Stadt wie kaum einer sonst eignete. Der Marchese, in allen Abrissen der städtischen Bibliothek mit ein paar Sätzen im Blick auf seine Sammlung gestreift, nirgendwo aber in seinem geistigen Horizont und in seinen weitläufigen Kontakten gewürdigt, gehört zu der Schar der rastlos Umgetriebenen, wie sie in dieser Physiognomie nur das 16. Jahrhundert kannte, das Klüfte aufriß und Lebensläufe zeitigte, die bis in die Aufklärung hinein die Wissenden in Atem hielten, weil sie ahnten, daß sie in mehr als einer dieser tragischen Figuren ihre geistigen Ahnherren besaßen. Aus dem süditalienischen Oria und damit der Macht der Kirche entweichend und den Exodus ins Exil antretend, verwandelte sich der Verlust der Heimat zur segensreichen Begegnung mit einer Vielzahl von Menschen ähnlichen Schicksals und ähnlicher Optionen in einem in rastloser Bewegung befindlichen Europa. Von kundiger Hand ist in mühevoller Kleinarbeit über die vielen erhaltenen Briefe und anderweitige Zeugnisse der Lebensweg des Emigranten nachgezeichnet worden. Nicht zufallig ist es der mitteleuropäische Raum, Herzlandschaft des al5

Zum Danziger Bibliothekswesen vgl. Friedrich Schwarz: Die Bibliotheken Danzigs.- In: Ostdeutsche Monatshefte 1 (1920), S. 124-127, wiederabgedruckt in: Unser Danzig 18 (1966), Nr. 10, S. 1 Of.; ders.: Die wissenschaftlichen Bibliotheken Danzigs.- In: Minerva 4 (1928), S. 182-184; ders.: Die öffentlichen Bibliotheken Danzigs.- In: Danziger Neueste Nachrichten 116 (1934).

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ten Europa um 1600, der ihn immer wieder anzog. Denn hier begegneten sich auf engem Raum alle jene, die dem heillosen Kampf um Leben und Tod zwischen Katholiken und Lutheranern, Lutheranern und Reformierten und damit dem Zwang zur konfessionellen Vereindeutigung und Dogmatisierung der Glaubenserfahrung zu entkommen suchten. Als Gejagte, Bedrohte, Inkriminierte waren sie es, die um die Segnungen des Gewährenlassens und der Befriedung wußten, die sich Schutz für ihre Überzeugungen erhofften, Freiräume sich ersehnten, in denen Vielfalt statt Monotonie waltete. Bonifacio ist mit den Glaubensflüchtlingen seines eigenen Landes und ihren Geistesverwandten in den benachbarten Ländern, die uns Delio Cantimori, auf andere Weise aber auch Friedrich Heer so unvergeßlich porträtiert haben, auf seinen Reisen durch Europa in Basel, Venedig und dem Friaul, in Polen, Böhmen und Mähren, in Lyon, Paris und London, in Vilnius, Wien und Byzanz, schließlich in Nürnberg und am Ende seines Lebens in Danzig zusammengetroffen und hat vierzig Jahre in nicht abreißender Kommunikation mit ihnen gestanden. Vertieft wurde die lebendige Erfahrung durch die gleichfalls nicht endende Lektüre. Der Reisende wurde begleitet von einer ständig im Wachstum begriffenen Bibliothek, die nicht als Schmuck- und Ausstellungsstück zum Zwecke fürstlicher Repräsentation diente, sondern in täglicher Lektüre angeeignet wurde und in vielen Exemplaren entsprechend rege Spuren gelehrten Umgangs aufwies. 6 Ein glücklicher Zufall hat es gewollt, daß wir uns über diese am Beginn des Danziger Bibliotheksquartiers stehende Sammlung Bonifacios ein hinlänglich deutliches Bild machen können. Zu unbekannter Zeit, eher aber in den letzten Jahren seines Lebens vor dem Erreichen der letzten Lebensstation, hat Bonifacio vermutlich mit eigener Hand einen Katalog seiner Bücher gefertigt. Dieser hat ihn auch auf seinem letzten Weg begleitet und ist wie durch ein Wunder der Katastrophe entgangen, die so viele Bücher seiner Bibliothek mit in den Abgrund riß. Bonifacio befand sich auf der Rückreise von England auf den Kontinent, als sein Schiff in der Danziger Bucht im August des Jahres 1591 auf Sand lief, 6

Vgl. Manfred Welti: Die Bibliothek des Giovanni Bernardino Bonifacio, Marchese d'Oria 1517-1597. Der Grundstock der Bibliothek Danzig der Polnischen Akademie der Wissenschaften.- Bern usw.: Lang 1985; vgl. dazu ders.: DaH'umanesimo alia riforma. Giovanni Bernardino Bonifacio marchese d'Oria 1517-1557.- Brindisi: Ed. Amici della >A. DeLeo< 1986; ders.: Giovanni Bernardino Bonifacio, Marchese d'Oria, im Exil 1557-1597. Eine Biographie und ein Beitrag zur Geschichte des Philippismus.- Geneve: Droz 1976 (= Traveaux d'humanisme et renaissance; 150); hinzuzunehmen ist Otto Günther: Der Neapolitaner Joannes Bernardinus Bonifacius, Marchese von Oria, und die Anfange der Danziger Stadtbibliothek.- In: Beiträge zur Bücherkunde und Philologie. August Wilmanns zum 25. März 1903 gewidmet.- Leipzig: Harrassowitz 1903, S. 107-128; ders: Die Entstehung der Danziger Stadtbibliothek.- In: Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins 4 (1905), S. 2f.

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kenterte und sank. Der greise Gelehrte verlor bei diesem Unglück sein Augenlicht, wurde aber ansonsten unversehrt geborgen. Die geretteten Bücher sollten seine eigene Rettung herbeifuhren. Noch im September des gleichen Jahres schenkte er die erhaltenen Bücher »dem Gymnasio zur Heyligen Dreifaltigkeit auf der Vorstadt zu einer sonderlichen Stiftung einer Lieberey undt zum ewigen seines Nahmens Gedechtnüss, darmit sich derselben gelerte Leutte undt die liebe christliche Jugendt soselbst zu ihrem besten gebrauchen mögen.« Die Gabe war mit einer Obligation verknüpft, die noch einmal zeigt, wo der Umgetriebene eine Quelle nicht nur seines persönlichen Unglücks wähnte: Die Schenkungsurkunde des Jahres 1596 hielt fest, daß Bonifacio seine Bücher dem Gymnasium schenke mit dem Anhange undt der ausdrücklichen Condition, das dieselben in der Diabolitteen (wie ehr se nennet), die sich sonsten Jesuitten doch feischlich Hessen intitulieren, welche wie sie Gottes und aller rechtgleubigen Christen, also auch seine ergste Feinde weren, ihre Hende und Gewalt zu ewigen Zeitten nicht gelangen noch kommen solten; sonsten solte diese Donation von Unmachten sein.

Bonifacio aber verblieb, obgleich erblindet, in der Nähe der geliebten Bücher, denn der Rat wies ihm als Dank für die Gabe eine Wohnung in dem säkularisierten Konventsgebäude zu, in dem 1558 das Gymnasium eröffnet worden war. Die Tage freilich waren gezählt. 1596 wurden die Bücher im Kreuzgang des ehemaligen Franziskanerklosters aufgestellt. Im März des folgenden Jahres starb Bonifacio. In der dem Kloster zugehörigen Kirche zur Dreifaltigkeit wurde er bestattet. 7 Auf eine denkwürdige Weise also fiel das Ende des Stifters einer Bibliothek, die Epoche im geistigen Leben Danzigs machen sollte, zusammen mit dem Aufschwung eines geistigen Zentrums, das sich die Stadt soeben an jenem Platz geschaffen hatte, in dessen heiligem Schatten Bonifacio nun ruhte. Die institutionelle und intellektuelle Nachbarschaft sollte für beide Seiten folgenreich werden. 1558 war Danzig nach 7

Der Katalog ist im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt worden und nicht mehr lesbar; vgl. das Fragment Cat. Bibl. 3. Eine Reproduktion auf der Basis einer Vorkriegs-Reproduktion Bertinis zuletzt bei Welti: Die Bibliothek des Bonifacio (Anm. 6), S. 73-126. Der Katalog auch schon bei Aldo Bertini: Giovanni Bernardino Bonifacio. Sein Leben und seine Beziehungen zu Basel. Mit Anhang: Älteste Liste von Bonifacios Büchern in der Danziger Stadtbibliothek.- In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 47 (1948), S. 19-84; vgl. auch ders.: Giovanni Bernardino Bonifacio, fondatore benemerito della Biblioteca di Danzika.- Roma 1935; dazu grundlegend Friedrich Schwarz: Analyse eines Kataloges.- In: Königsberger Beiträge. Festgabe zur vierhundertjährigen Jubelfeier der Staats- und Universitätsbibliothek zu Königsberg Pr.Königsberg: Gräfe und Unzer 1929, S. 326-338; für das vorgelegte Zitat vgl. Welti: Giovanni Bernardino Bonifacio (Anm. 6), S. 223.

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Elbing, aber noch vor Thorn in den Kreis der Gymnasien gründenden Städte eingetreten. Es war klar, daß eine Stadt dieser Dimensionen über ein gehobenes Bildungsinstitut verfügen mußte. Und dies um so mehr, als mit Königsberg im Herzoglichen Preußen und mit Vilnius im katholischen Litauen zwei Universitäten in der näheren Umgebung ihre Tore geöffnet hatten, die nach einem Äquivalent verlangten. Es ist bekannt, daß auch im Königlichen Preußen wiederholt Anstrengungen unternommen wurden, eine Hochschule zu errichten. Diese vor allem auf Kulm, aber auch auf Danzig gerichteten Anstrengungen scheiterten. Die Region verblieb bis zur Gründung der Technischen Hochschule in Danzig zu Anfang des 20. Jahrhunderts ohne Universität. Dafür war die gymnasiale Trias Danzig - Elbing - Thorn bekannt für hohe Qualität in wechselnden Zeiträumen. Die Kulminationsphase für Danzig umspannte den Zeitraum von den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts bis hin zum Anfang des 18. Jahrhunderts. Und gerade in der Frühphase stand Danzig in gewisser Hinsicht so gut wie konkurrenzlos da. In der bürgerlichen und gelehrten Oberschicht hatte sich eine deutliche Hinwendung zur reformierten Variante der evangelischen Glaubensgemeinschaft vollzogen, wie sie typisch blieb für so viele Städte und Regionen im mitteleuropäischen Raum an den Grenzen zwischen den drei konfessionellen Lagern und den vielen heterodoxen Bewegungen im nämlichen Gebiet. Schon in der zweiten Generation der das Gymnasium tragenden Gelehrtenschaft trat diese reformierte Option, angefangen bei dem in den entscheidenden Jahren zwischen 1580 und 1629 an der Spitze stehenden Rektor Jacob Fabricius, klar zutage. Sie bewirkte einen tiefgehenden Affront gegenüber der mehrheitlich lutherischen Bevölkerung der Stadt. Keine Phantasie reicht hin, um die konfessionellen Grabenkämpfe sich auszumalen, die Danzig um 1600 erschütterten. Die Lutheraner scheuten kein Mittel, um sich der Etablierung der Reformierten in den Mauern ihrer Stadt zu erwehren. Mehrfach wurde der katholische Oberherr angerufen, um gegen die Reformierten vorzugehen und das intakte Bündnis zwischen dem städtischen Regiment und dem Gymnasium mit kirchenpolitischen Ausstrahlungen bei der Besetzung der Hauptkirchen zu brechen. Erst im dritten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, nach dem körperlichen Verfall des schwer erkrankten und mehr als ein Jahrzehnt dahinsiechenden und schließlich 1629 verscheidenden Fabricius, stellten sich erste Erfolge dieser Bemühungen ein. Im Verlaufe der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts vollzog sich das Rollback in der Stadt, und die Reformierten mußten eine Position nach der anderen räumen. Das hinderte nicht, daß sich die Erinnerung gerade an die reformierte Phase der Stadt und des Gymnasiums bis tief in das 18. Jahrhundert hinein bewahrte. Und das zu Recht. Um 1600 stand das gelehrte Danzig in intensivstem Austausch mit den reformierten Zentralen in Ost und West und bildete einen Anziehungspunkt für Gelehrte aus ganz Europa.

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Ein weiteres Mal bewährte sich das länderübergreifende Netz der Kommunikation, das die späthumanistische nobilitas litteraria seit dem Ausbruch der Bürgerkriege zumal in Frankreich zu knüpfen gewußt hatte und das immer zugleich gelehrte und bündnisstrategische Bedürfnisse befriedigte. Danzig bildete in diesem Netz einen der maßgeblichen Knotenpunkte, und natürlich wußten dies Männer vom Schlage Opitzens, als sie in dieser Stadt Residenz nahmen, um der Kriegsfurie und der Glaubensverfolgung zu entweichen.8 8

Zur Geschichte des Danziger Gymnasiums unüberholt Theodor Hirsch: Geschichte des academischen Gymnasiums in Danzig in ihren Hauptzügen dargestellt.· Danzig: Wedeische Hofbuchdruckerei 1837; dazu Eduard Schnaase: Die Schule in Danzig und ihr Verhältnis zur Kirche. Ein Beitrag zur Geschichte der Schule.- Danzig: Schroth 1859, zum Gymnasium bes. S. 9ff.; ders.: Andreas Aurifaber und seine Schola Dantiscana. Ein Beitrag zur Geschichte der Schulen in Danzig.- In: Altpreußische Monatsschrift 11 (1874), S. 304-325, 456-480; speziell zum 18. Jahrhundert vgl. die letzte große deutschsprachige Untersuchung von Bernhard Schulz: Das Danziger Akademische Gymnasium im Zeitalter der Aufklärung.- In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 76 (1941), S. 5-102. Eine neuere Monographie fehlt. Vgl. zum Kontext: P. Bidder: Beiträge zu einer Geschichte des westpreußischen Schulwesens in polnischer Zeit, ca. 1572-1772.- In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 49 (1907), S. 273-349; erhalten hat sich in einem von alter Hand reich annotierten Exemplar das Werk des Rektors Andreas Franckenberger: Constitvtio nova Gymnasii Dantiscani.- Danzig: Rhode 1568 (Od 17429 8°). Die gelehrte Welt des Gymnasiums ist hervorragend erschlossen durch das lexikalische Werk von Ephraim Praetorius: Athenae Gedanenses, sive commentarius historico-chronologicus succinctus, originem & constitutionem Gymnasii Dantiscani Illustris, itemque recensionem superiorum ejus antistitum, seu protoscholarcharum, nec non vitas et scripta rectorum ac professorum ejusdem, continens.- Leipzig: Gleditsch 1713 (als Autoren-Widmungsexemplar aus der ehem. Gymnasialbibliothek Thorn und heutigen Ksi^znica Miejska im. M. Kopernika w Toruniu in Film und Buchkopie in der Osnabrücker Institutsbibliothek. Weitere Exemplare aus Danzig: Uph. o. 4821 und Ms 864s, vgl. unten). Hinzuzunehmen ist das presbyterologische Werk von Ephraim Praetorius: Danziger Lehrer Gedächtnis, bestehend in kurtzer Verzeichnis der Evangelischen Prediger, das gleichfalls einen Anhang zu den Lehrern des Gymnasiums enthält. Es erlebte im 18. Jahrhundert fünf Auflagen und wurde von ungezählten gelehrten Händen inner- und außerhalb Danzigs seither fortgeschrieben. In Danzig haben sich - trotz erheblicher Kriegsverluste - von allen Auflagen jeweils mehrere und durchweg reichhaltig annotierte Exemplare erhalten. Es würde zu weit fuhren, diese hier im einzelnen aufzufuhren. Günther: Die Entstehung der Danziger Stadtbibliothek (Anm. 6), S. 40f. erwähnt 17 Drucke (Ms 864a-864r) und einen Nachtrag (Ms 864s; III, 346), welch letzterer auch ein weiteres Exemplar der Athenae Gedanenses mit den Nachträgen Schlieffs enthält. Das Werk verdiente eine Neuausgabe unter Berücksichtigung der erreichbaren handschriftlichen Textzeugen. Der Titel des Grundwerkes: Dantziger= Lehrer Gedächtnis/ bestehend in kurtzer Verzeichnis Der Evangelischen Prediger zu Dantzig/ Nicht nur in der Stadt/ sondern auch aufm Lande/ Von Anfang

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In engem Kontakt also mit der Gelehrtenschaft des Gymnasiums ist wie überall in Städten mit gymnasialen Einrichtungen auch die Danziger Stadtbibliothek emporgewachsen. Sie verwaltete durchaus - wie nicht vergessen werden darf - ein vorreformatorisches heimisches Erbe. Die Bibliothek der Franziskaner, in deren Räumen sie wie das Gymnasium Platz gefunden hatte, umfaßte bei der Übergabe im Jahre 1555 an die Stadt 1054 Bände, davon 231 »an Ketten gefaßt« und 194 handgeschrieben. Das Inventar, dem diese Zahlen entstammen, enthielt keine Titel. Immerhin war es möglich, eine Anzahl von franziskanischen Bänden in der späteren Stadtbibliothek zu identifizieren. »Es ergibt sich das typische Bild einer Klosterbibliothek: Kirchenväter, Scholastiker, Kanonisten, Predigtsammlungen, einige medizinische Handschriften und vereinzelte Klassiker.« Selbstverständlich speiste sich auch der Danziger Inkunabelbestand wie in vergleichbaren Fällen zu einem nicht under Evangelischen Reformation biß jetzo/ Nebst einem Anhang Der Lehrer oder Professorum am Dantziger Gymnasio, Auffgesetzt von Ephraim Praetorio, Prediger zu S. Jacob in Dantzig.- Leipzig: [o.V.] 1704 (Exemplar aus der Bibliothek Bertling: Od 14908 8°), 2. Aufl. Danzig: Stolle 1713, 3. Aufl. Danzig: Schreiber 1733, 4. Aufl. Danzig und Leipzig: Rüdiger 1760. Eine parallele weitere Ausgabe erschien im gleichen Jahr in Berlin, Stettin und Leipzig. Leider ungedruckt blieb sein Evangelisches Danzig, das im Krieg, wie so viele andere Handschriften, schwer getroffen wurde. Das Werk bestand aus drei Teilen; man muß es heute aus verschiedenen Abschriften zusammensetzen. Von der dreiteiligen Folge Ms 428-430 - vgl. den von Bertling bearbeiteten Katalog (Anm. 15), Bd. I, S. 181f. - hat sich nur der erste Band in Gestalt eines mächtigen, 790 Blätter umfassenden Folianten erhalten. Es handelt sich um eine Abschrift aus der Rosenbergschen Bibliothek, das mit Marginalien, eingelegten Dokumenten und Porträts durch den Sammler bereichert wurde. Der zweite und dritte Band sind verschollen (Ms 249 und 430). Erhalten hat sich hingegen eine 224 Blätter umfassende Bearbeitung durch Andreas Schott (Ms 431); vgl. den Katalog von Bertling (Anm. 15), Bd. I, S. 182. Weitere Addenda und Fortschreibungen von Friedrich Wilhelm Zyliegan aus den Jahren 1813 und 1814 (Ms 432-434) sind ebenso verschollen wie eine weitere Presbyterologie für Danzig aus dem 18. Jahrhundert (Ms 435). Erhalten hat sich hingegen eine Fortfuhrung für das 19. Jahrhundert von Wilhelm Kahle (Ms 1030); vgl. den Katalog von Bertling (Anm. 15) Bd. II, S. 503. Der zweite Band des Werkes von Praetorius - Dantziger Kirchen und Prediger aufm Landes ausserhalb der Stadt - hat sich in einer Abschrift von anderer Hand erhalten, während der erste Band verloren gegangen ist (Ms 786); vgl. den Kommentar bei Günther: Die Entstehung der Danziger Stadtbibliothek (Anm. 6), S. 2f. Ein Auszug aus dem Werk des Praetorius, nur die Kirchen St. Marien und St. Johann betreffend, hat sich gleichfalls erhalten (Ms 786a). Beklagt werden muß das Verschwinden des dritten Bandes in der oben aufgeführten Abschrift, das neben Addenda auch ein Namens-Register enthielt (Ms 430); vgl. auch Schlieffs Kollektaneen zur Danziger Gelehrtengeschichte (Ms 517), die sich erhalten haben. Hinzuzunehmen sind die unten auf S. 345 stehenden Bemerkungen zu dem gelehrtengeschichtlichen Werk der Gebrüder Charitius.

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wesentlichen Teil aus dieser Quelle. Als Grundstock für eine städtische und gelehrte Bibliothek im nunmehr protestantischen Danzig war sie naturgemäß nicht geeignet. Hier sprang die Stiftung des Bonifacio ein. Sie war universal angelegt und taugte daher für eine Fundation. Ihr erster Katalogisierer und zugleich erster Bibliothekar der jungen Schöpfung, Daniel Asaricus, hatte unter Verwendung des erwähnten älteren Verzeichnisses des Bonifacio acht Gruppen gebildet, denen er die Bücher zuordnete: >Theologi Latini et Graeci< (239 Werke), >Jurisconsulti< (21), > Medici < (141), >Philosophi tam Graeci quam Latini < (199), >Historici Latini et Graeci < (129), >Grammatici, Poetae, Mathematici, Astrologi< (242), > Italici libri < (72), >Gallici libri < (keine Einträge); eine vorgesehene Abteilung > Manuscript! < blieb vorerst auch unbesetzt, die Handschriften wurden zu den Drucken gestellt. Eröffnet wurde der >Liber DonatorumBibliotheca Senatus Gedanensis< zu übereignen. Darunter befand sich die Bibliothek des Danziger Stadtsekretärs Wenzlaus Cocus, und vor allem die des Rektors der Johannisschule und dann der Marienschule Thesmarus Alebecke, der der Bibliothek die kostbaren Sammelbände mit Reformationsdrucken zuführte. Einmal installiert, ließen auch die Gaben aus der Bürgerschaft nicht auf sich warten. Sie setzten noch im 16. Jahrhundert ein. So stiftete der Schöffe Gerhard Zimmermann 1598 seine Sammlung italienischer und französischer Literatur, darunter alle Großen wie Petrarca, Ariost, Boccaccio, Rabelais, Marot etc. Der 10

Das vorgelegte Zitat bei Schwarz: Die Anfänge (Anm. 9), S. 194. Der >Liber Donatorum < hat sich erhalten. Mit ihm wird die Serie der historischen handschriftlichen Kataloge der alten Danziger Stadtbibliothek, die sich - wie für Breslau - in so großem Umfang erhalten haben, eröffnet: > Index Librorum qui ex donatione mvnificentia et liberalitate philomvsorvm Bibliothecae Magnifici et Amplissimi Senatus Gedanensis inserti sunt< (Cat. Bibl. 1). Er wird, wie erwähnt, seinerseits eröffnet mit dem Katalog der Bibliothek des Bonifacio aus der Feder von Asaricus. Zu den historischen Katalogen der Danziger Stadtbibliothek vgl. grundlegend Przemyslaw Szafran: Inwentarz r^kopismiennych katalogöw bibliotecznych Biblioteki Gdanskiej Polskiej Akademii Nauk.- In: Rocznik Gdahski 40 (1980), S. 161-180. In dieser wichtigen Arbeit sind alle erhaltenen Kataloge in numerischer Folge nach Signaturen aufgeführt und vielfach kurz annotiert. Es handelt sich um 96 Nummern mit einigen vermutlich kriegsbedingten Fehlstellen.

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romanistische Zweig der Bibliothek, wie er von Bonifacio herrührte, wurde derart ausgebaut. Und wenn die Danziger wie so viele andere Bibliotheken im städtischen Einzugsbereich später auch einen wertvollen Fonds an Musikalien ihr eigen nennen konnte, so geht dies neben den Büchern des Bonifacio auf die Schenkung des Raphael Cnofius zurück, der vor allem Madrigale und Motetten italienischer und niederländischer Provenienz des 16. Jahrhunderts beitrug. 11 Ein glücklicher Zufall hat es gewollt, daß sogleich mit dem Eingang der Literatur ihre Verzeichnung begann und sich der erste Katalog nicht anders als der >Liber donatorum< erhalten hat. Der schon erwähnte erste Bibliothekar Asaricus machte sich auch durch Fertigung eines »Index Generalis librorum omnium, qui [...] Bibliothecae aerarii civitatis inserti sunt« verdient. Er enthält nur Eintragungen von der Hand des Asaricus, also bis zu seinem Todesjahr 1606. Er verzeichnet also die Bonifaziusbücher, die Franziskanerbände und die Ankäufe und Schenkungen bis 1606. Er ist nach Fächern gegliedert, innerhalb derer die Titel alphabetisch angeordnet sind, mit viel Raum für Nachträge. Die Abteilungen entsprechen etwa denen des Bonifazius-Katalogs, nur daß sie sich in umgekehrter Reihenfolge folgen und daß die Artes liberales weitergehend gegliedert sind. Da im Anfang Bl. 1 - 6 fehlen, dürfte hier noch eine Abteilung gestanden haben, vielleicht eine allgemeinerer Art über Methodologie des Studiums oder ähnliches. Es folgen 10 ungezählte Abteilungen: 1. Grammatica; 2. Dialectica: 3. Rhetorica, Orationes, epistolae et similis argumenta; 4. Poetica; 5. Historica; 6. Moralia et alia philosophica; 7. Mathematica, Astronomica, Geographica; 8. Physica et medica; 9. Juridica sive legalia; 10. Theologica. Rund 2000 Bände waren derart verzeichnet. Der Bestand hatte sich also gegenüber der Schenkung des Bonifacio fast schon verdoppelt. 12 11

Aus dem Umkreis der Reformationsdrucke der Bibliothek vgl. den instruktiven Stammbuch-Beitrag von Hermann Freytag: Eine Autographensammlung aus der Reformationszeit in der Stadtbibliothek zu Danzig.- In: Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins 8 (1909), S. 2-12; zu den Stammbüchern selbst vgl. die wichtige Folge von Otto Günther: Westpreußische Stammbücher der Danziger Stadtbibliothek.- In: Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins 6 (1907), S. 25-28, 45-50 und 65-68; 7 (1908), S. 18-23 und 66-67; 8 (1909), S. 38-44 (nicht im Handbuch). Zur Musikalien-Sammlung des Cnofius vgl. Robert Eitner: Ein Sammelband alter Musikalien.- In: Monatshefte für Musik-Geschichte 2 (1870), S. 81-96. 12 Vgl. Schwarz: Die Anfänge (Anm. 9), S. 196f., hier das Zitat S. 197. Es handelte sich um den Katalog, der in der alten Stadtbibliothek die Signatur Cat. Bibl. 4 trug und sich erhalten hat. Er ist unbegreiflicherweise im Handbuch nicht aufgeführt, obgleich es sich doch um den ersten Gesamtkatalog der Bibliothek und damit ein Dokument singulären Ranges handelt. Eine eingehende Analyse fehlt auch bei Szafran. Es sind nach einer offensichtlich ersten eingehenden Inspektion aus der Nachkriegszeit die folgenden Feststellungen zu treffen: Der

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Ein zweiter Katalog wurde nach 1610 angelegt und erstreckte sich bis in die fünfziger Jahre. Dieses Verzeichnis hat sich leider nicht erhalten. Es lag schon dem gewissenhaften Historiographen der Bibliothek Friedrich Schwarz nicht mehr vor und ist nur über Signaturen in den jetzt beschafften Büchern und unter Zuhilfenahme des >Liber donatorum< zu rekonstruieren. Erhalten haben sich hingegen Indices für fünf Abteilungen, nämlich für lutherische und reformierte Theologie, Physik, Ethik, Politik und Grammatik. Über sie ist der Zugang bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts eben für diese Fachgebiete immerhin dokumentiert. Insgesamt muß es, wie Verweise bei aufgeschlüsselten Sammelbänden zeigen, wenigstens elf Abteilungen gegeben haben, nämlich »1. Patres; 2. Pontifici; 3. Lutherici; 4. Calvinisti; 5. Haeretici; 6. Juridici; 7. Medici; 8. Historici; 9. Ethici Politici; 10. Physici; 11. Grammatici.« Der Bestand war von rund 2000 Bänden im Jahre 1606 auf 6800 Bände im Jahr 1633 angestiegen und dieser verdoppelte sich fast noch einmal bis in die Mitte der fünfziger Jahre. Calvinistische Titel standen symptomatischerweise mit mehr als 2000 Bänden an der Spitze, gefolgt von jeweils über 1700 Bänden aus den Abteilungen > Pontifici < und > Lutherici Ethici Politici < und die > Historici Grammatici Physici Medici < und >Juridici < lagen mit 982, 850, 814 bzw. 794 Bänden in etwa gleichauf. Weit abgeschlagen folgten >Patres < (275) und >Haeretici < (80). 1 3 erste von Schwarz genannte Sachtitel Grammatica fehlt in dem Exemplar. Es muß offen bleiben, ob er auf den schon seinerzeit fehlenden ersten sechs Blättern stand und von Schwarz sinngemäß substituiert wurde oder ob das entsprechende Blatt erst später verschwand. Weder von Schwarz noch von Szafran wird ein Sprung inmitten des Kataloges von Blatt 100 zu Blatt 117 vermerkt, wobei neuerlich offen bleiben muß, ob der Schaden schon vor dem Krieg entstand und also von Schwarz nicht sorgfältig genug gearbeitet wurde, oder ob er nach Benutzung der Handschrift durch Schwarz eintrat. In jedem Fall reicht die Präsentation der Abteilung >Moralia< nur bis zum Buchstaben >0< und setzt dann auf einem neuem Blatt in einer anderen Abteilung, bei der es sich gemäß der Aufstellung bei Schwarz um die Abteilung >Mathematica< handeln muß, mit dem Buchstaben >G< wieder ein. Doch damit nicht genug. Auch die letzte Abteilung >Theologica< ist beschädigt. Auf Blatt 244 erfolgt ein Sprung von >C< zu >E< (Erasmus); inmitten des Buchstabens >G< endet die alphabetische Folge. Die Fragmentarisierung des ersten Katalogs der Danziger Stadtbibliothek, wann im einzelnen auch immer eingetreten, bleibt zutiefst zu beklagen. 13

Vgl. Schwarz: Die Anfänge (Anm. 9), S. 197ff., hier das Zitat S. 198 und die tabellarisch-numerische Auswertung der Bestände S. 199. Die Indices tragen die alte Signatur Cat. Bibl. 5. Sie sind im Handbuch erstaunlicherweise neuerlich nicht aufgeführt. Der >Index< zum Catalogus universalis aus dem Jahr 1634 wird eröffnet - wie ein Titel von jüngerer Hand ausweist - mit einer Abteilung >Theologici Luther.< (der von Szafran wiedergegebene Titel ist im Original nicht nachweisbar). Ihr folgen vier weitere Abteilungen, die nun von alter

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Nur selten dürfte es möglich sein, die Frühgeschichte einer Bibliothek in ihrer Zusammensetzung so exakt dokumentiert zu sehen. Wenn der theologische Bestand so eindeutig weiterhin überwog, so ist dies neben dem bezeugten Erwerb der Bibliothek des Buchhändlers Balthasar Andrea - mit Gewißheit auch dem Zugang der Bibliothek des Bartholomäus Nigrinus geschuldet, über die mehr als 2500 Bände in die Bibliothek kamen. Nigrinus ist auch der Literaturgeschichte kein Unbekannter. Er entstammte der Residenzstadt der Piasten Brieg und hatte als Militärprediger im Dienste der Dönhoffs gewirkt, bevor er nach Danzig herüberwechselte, dort zunächst als Lehrer an der Petrischule ein Unterkommen fand, dann als Prediger an die Kirche St. Elisabeth kam und schließlich seit 1631 als reformierter Prediger an der Peterskirche eine Anstellung erlangte. Opitz kannte ihn seit langem. Über ihn dürfte der Kontakt zu Gerhard von Dönhoff hergestellt worden sein. In Danzig hielt der Verkehr der beiden Männer an, die gemeinsame Überzeugungen verbanden, wie sie eben in Danzig sich entfalten konnten. Nigrinus war Lutheraner, wechselte dann zum reformierten Glauben über und konvertierte nach seiner Abdankung von St. Petri zum katholischen Glauben. Dieser Wechsel der Bekenntnisse entsprang so wenig wie bei Opitz einem opportunistischen Zug. Er war vielmehr Ausdruck irenischer Neigungen, die die konfessionelle Fixierung relativierten. Nigrinus wirkte wesentlich mit bei der Vorbereitung des 1645 abgehaltenen > Colloquium charitivumLiber donatorum< namhaft zu machen weiß!) wurde durch einen der Großen der Danziger Bibliotheksgeschichte inauguriert, den Ratsherrn, Bücher- und Bibliotheksfreund Adrian Engelcke. Er wurde 1655 mit dem Amt des Protobibliothekars betraut und damit formell als Oberaufsichtsführer wirksam. Als solcher griff er entscheidend in die Struktur der Bibliothek ein, indem er sich zusammen mit dem Bibliothekar Georg Neufeld an eine Neuordnung des Bestandes machte. Engelcke schied zunächst eine große Anzahl von Dubletten aus, ließ die ungebundenen Bücher binden, die Kleinschriften zu Sammelbänden vereinigen und nahm dann eine vollständige Neukatalogisierung, Neusignierung und Neuaufstellung vor. Die Kataloge schrieb er zum Teil eigenhändig. Zu dem nach Sachgruppen und Formaten geordneten Catalogue universalis verfertigte er Indices alphabetici, von denen die ersten bereits 1657 vorlagen. Das ganze Katalogisierungswerk war 1659 beendet. Es ist dies der 3. Gesamtkatalog der Bibliothek. Er ist erhalten, ebenso die Indices, außer dem für Medizin.

Der Bestand an Bänden war im Jahr 1660 von den zuletzt gezählten 11.600 auf 7900 zurückgegangen - Folge des natürlich problematischen Dublettenverkaufs, wie er überall unbesorgt bis ins 20. Jahrhundert hinein getätigt wurde, mehr aber doch wohl der buchbinderischen Zusammenfassungen, die eben auch zu den wertvollen Sammelbänden führten, an denen Danzig so reich war und ist. An der Spitze lagen jetzt nach der Neugruppierung die > Philologien mit knapp 1200 Bänden, gefolgt mit jeweils über tausend Bänden der >LuthericiCalvinisti< und >Historien. Die >Pontifici< und > Patres < brachten es auf 871 bzw. 475 Bände. Aber auch die >Juridici< und >Medici< standen mit 621 bzw. 519 Bänden immer noch entschieden im Schatten der Theologica. Neu gebildet war die Gruppe der >Philosophici practici< bzw. >theoretici< mit 440 bzw. 555 Bänden. Die >Haeretici< zählten 71 Bände.15 formierten Kirche < (ebd., S. 129 und Anm. 1) scheint leider nicht zustande gekommen zu sein. Zu Nigrinus und Opitz vgl. Marian Szyrocki: Martin Opitz.Berlin: Rütten & Loening 1956 (= Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft; 4), S. 114; zur Versteigerung seiner Bibliothek vgl. ebd. S. 129. 15 Vgl. Schwarz: Die Anfange (Anm. 9), S. 199ff., hier das Zitat sowie die tabellarische Auffächerung der Bestände S. 200; zu Engelcke vgl. wiederum den Eintrag von Schwarz in der APB, Bd. I, S. 165, mit der weiteren Literatur. Für die nun einsetzende dichte Folge der großen Sammler und Stifter ist grundsätzlich heranzuziehen die instruktive Synopsis von August Bertling in: Katalog der die Stadt Danzig betreffenden Handschriften der Danziger Stadtbibliothek. Bd. I, Teil 1: Die Danzig betreffenden Handschriften. [Bearb. von August Bertling].- Danzig: Schroth 1892, hier im Anhang die Kap. 4 >Die im Verzeichnis der Handschriften angeführten BibliothekenDie in dem Verzeichnis der Handschriften erwähnten Verfassen, S. 621-702, hier S.

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Der Katalog Engelckes war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in Gebrauch. Leider ist es nicht mehr möglich, den weiteren Gang der Bibliothek gleich detailliert zu verfolgen, kamen doch vor 1945 nicht nochmals so gediegene Studien wie die Schwarzsche zur Frühgeschichte der Bibliothek zustande. Und das, obgleich man wußte, daß alles darauf ankam, »näher auf die Zusammensetzung der Bestände im einzelnen, also sozusagen die innerste Geschichte in den verschiedenen Zeitabschnitten einzugehen«, liegt doch »gerade darin der Wert und die Bedeutung der Stadtbibliothek als eines Spiegels des geistigen Lebens jener Zeit in Danzig« - wie jeder historischen Bibliothek. Morphologische Untersuchungen sind nur auf diesem Wege sinnvoll, nie aber durch mechanische Zählungen und stumme Zahlenreihungen zu ersetzen, die Konkretion vortäuschen und doch stets nur den geschichtlichen Wachstumsprozeß negieren.16 Engelcke selbst hatte seine Privatbibliothek, wie es nicht anders sein konnte, der städtischen Bibliothek zugedacht, in der er jede freie Minute wirkte. Die Bücher wurden geschlossen aufgestellt und in einer sog. >theca Engelkeniana< verwahrt. Dieser Umstand wird dazu beigetragen haben, daß sich auch andere Mitglieder der Familie der Reihe der Spender zugesellten. Benjamin Engelcke, welcher zweimal in den sechziger und siebziger Jahren die Funktion eines Protobibliothekars wahrnahm, stiftete gleichfalls für die >theca Schriften die Schulen und den Unterricht betreffend < im Bertlingschen Katalog (Anm. 15), Bd. I, S. 303f. eröffnet; vgl. f. 259b-f. 265a: Nachricht von der Raths-Bibliothek am Gymnasio. Nachricht von der Bibliotheca des Gymnasii, von der neuen Bibliothek insonderheit. Zu Hanow vgl.: ADB, Bd. X, S. 524525 (Karl Prantl); Bertling: Katalog (Anm. 15), Bd. I, S. 649f. (mit weiterer Literatur); APB, Bd. I, S. 249 (Schwarz, mit weiterer Literatur). Hanow verdankt man u.a. auch ein: Denkmahl der Danziger Buchdruckereyen und Buchdrucker, seit dem Jahr 1539 bis 1740, mit einigen Gedanken von künftiger Verbesserung des Druckes.- Danzig: Schreiber 1740 (30b in N1 77 8°; aus der Schlieffschen Bibliothek mit handschriftlichen Ergänzungen des Sammlers). Sie ist den Erstlingen der Jubelfeyer in Danzig wegen der vor dreyhundert Jahren erfundenen Buchdruckerey integriert. Hanow ist eine umfassende Würdigung (mit Bibliographie) in Strodtmanns: Beyträgen zur Historia der Gelahrtheit. Teil V.- Hamburg: Geissler 1750, S. 1-38, zuteil geworden.

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lieh zahlreiche Bestände an Prussica, Polonica und Gedanensia enthielt und damit ebenfalls dazu beitrug, daß Danzig mit diesem landeskundlichen Schwerpunkt einzig in der Welt dastand. 19 Das 19. Jahrhundert brachte den ersten Umzug für die Bibliothek. Sie verließ das alte Franziskanerkloster, in dem sie in unmittelbarer Nachbarschaft des Gymnasiums fur mehr als 250 Jahre ihre Bleibe gefunden hatte, und wechselte 1819 herüber in die Kirche St. Jakob. Schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war der Wunsch laut geworden, der Bibliothek ein neues Quartier zu schaffen. Bürgermeister Gottfried Schwartz hatte testamentarisch eine Summe von 10.000 Gulden verfugt »zur Erbauung einer neuen Bibliotheque, welche am fuglichsten auf dem Palatio des Gymnasiums und zwar auf dem Gange nach Walle gelegen angelegt werden kann«. Die Sache zog sich hin, und erst als nach einer Explosion des Pulverturms auch die nahegelegene Kirche zerstört wurde, erfolgte ihr Wiederaufbau mit der von der Preußischen Regierung verfugten Maßgabe, Teile von ihr für die Bibliothek vorzuhalten. Der Bestand war jetzt im Jahre 1806 auf etwa 26.000 Bände angewachsen. Das Wachstum setzte sich im 19. Jahrhundert unvermindert fort,

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Der Uphagen-Rosenbergschen Bibliothek gilt ein eigener Eintrag im zweiten Band des Handschriften-Katalogs aus der Feder von Otto Günther, der die umfassendste Information zu dieser einzigartigen Bibliothek zumindest im Blick auf ihren Bestand an Handschriften bieten dürfte; vgl.: Katalog der Handschriften der Danziger Stadtbibliothek. Teil II: Handschriften zur Geschichte Danzigs. Nachträge, Handschriften zur Geschichte von Ost- und Westpreussen, Handschriften zur Geschichte Polens, Sonstige Handschriften historischen Inhalts, Ortmannsche Handschriften, Uphagensche Handschriften. Bearb. von Otto Günther.- Danzig: Saunier 1903 (= Katalog der Danziger Stadtbibliothek; 2), S. 382-500, hier im Vorspann S. 382f. auch eine kurze Charakteristik; zu Uphagen vgl. Löschin: Die Bürgermeister (Anm. 17), S. 46f.; APB, Bd. II, S. 753 (Ernst Bahr, mit weiterer Literatur); dazu der polnischsprachige Artikel mit deutscher Zusammenfassung von Elzbieta Piotrowska: Der Danziger Historiker Johannes Uphagen (18. Jh.) und seine Büchersammlung, Interpretationsversuch des Bücherinventars.- In: Roczniki biblioteczne 27 (1983), S. 193-208; zum Uphagen-Haus (mit englischen und deutschen Zusammenfassungen) der schöne, reich illustrierte Sammelband: Dom Uphagena. Materialy [Das Uphagenhaus. Materialien], Hrsg. von Malgorzata Danielewicz u.a.- Gdansk: Muzeum Historyczne 1996; jetzt auch Ewa Barylewska-Szymafiska und Wojciech Szymahski: Das Uphagenhaus in Danzig.- Danzig: Historisches Museum der Stadt 2003. Zur Rosenbergschen Bibliothek vgl. Bertling: Katalog (Anm. 15), Bd. I, S. 614f., sie enthielt nach dem Bertlingschen Zeugnis »die seltensten Polonica, Prussica und Gedanensia« (S. 615). Zu Lengnich jetzt grundlegend und erschöpfend mit der gesamten Literatur Wfodzimierz Zientara: Gottfried Lengnich. Ein Danziger Historiker in der Zeit der Aufklärung. Bd. I—II.- Torun: Uniwersytet M. Kopernika 1995-1996; dazu die gehaltvollen Einträge von Bertling: Katalog (Anm. 15), Bd. I, S. 658ff. mit einem Verzeichnis der Schriften Lengnichs, sowie von Schieder in der APB, Bd. I, S. 390f.

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nach wie vor mehr über Schenkungen und Spenden als über reguläre Vermehrungen. Im Jahre 1832 übergab die reformierte Gemeinde in Danzig die Bibliothek Heinrich Schwartzwalds, die sie seit seinem 1699 erfolgten Tod hütete. Sie umfaßte rund 3000 Bände, blieb bis 1900 wie die Uphagensche Bibliothek gesondert aufgestellt und verfügte wie diese und andere über eigene Kataloge, nämlich einen für die Drucke (Cat. Bibl. 56) und einen weiteren zweibändigen für die mächtige Sammlung von Handschriften (Cat. Bibl. 58). Der einzigartige funfbändige Katalog der Handschriften der Danziger Stadtbibliothek, der unter August Bertling und dann unter Otto Günther im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zustande kam, ist wesentlich mit Handschriften Schwartzwaldscher Provenienz bestückt. Auch über reiche Inkunabeln verfügte die Bibliothek. Sie sind noch heute, sofern erhalten, über den Provenienznachweis in dem nach dem Krieg entstandenen Inkunabel-Katalog der Bibliothek zu identifizieren. 20 Die Geschicke der Bibliothek lagen im 19. Jahrhundert in den Händen insbesondere zweier renommierter Bibliothekare, Matthias Gotthilf Löschin (1829-1863) und August Bertling (1863-1870; 1877-1879). Beide hatten sich insbesondere um die Danziger Geschichtsforschung neuerlich verdient gemacht. Löschin hatte in der Familie eines der Mitglieder der Uphagens als Hauslehrer gewirkt und in Danzig eine freilich nur kurzlebige Zeitschrift Gedana, ein Unterhaltungsblatt für die gebildeten Stände Danzigs herausgegeben. Sie brachte u.a. einen Abriß der Geschichte Danzigs, der später von Löschin zu dem bekannten zweibändigen Werk fortentwickelt wurde (1816, 2. Aufl. 1822/1823). »In Anbetracht der geringen Vorarbeiten und der Schwierigkeit der Quellenbenutzung war es ein vortreffliches Werk, das fast für ein Jahrhundert die einzige Gesamtdarstellung der Heimatgeschichte blieb und auch heute noch in vieler Beziehung brauchbar ist.« Als Löschin fünf Jahre nach Übernahme des Direktorats der Johannisschule zum Bibliothekar bestellt wurde, begann er sogleich mit der Einrichtung neuer Kataloge, welche diejenigen von Engelcke ablösten. Wie so vielen Bibliothekaren war ihm die unrestringierte Mehrung des ihm anvertrauten Instituts versagt; es fehlte notorisch an Geld. Löschin griff zu dem Mittel, das bis heute unverbesserliche Idealisten im Notfall zu bemühen pflegen. Er beschaffte die Bücher aus eigener Tasche und von vornherein in der Absicht, sie später > seiner< Bibliothek zu vermachen. Auch seine groß20

Das Zitat bei Günther: Die Danziger Stadtbibliothek (Anm. 9), S. 9; zu den Schwartzwalds vgl. Löschin: Die Bürgermeister (Anm. 17), S. 15f.; die Inkunabeln sind nachgewiesen bei Helena J^drzejowska und Maria Pelczarowa: Katalog inkunabulöw biblioteki miejskiej w Gdansku / Catalogus incunabulorum Bibliothecae Civitatis Gedanensis.- Gdansk: Towarzystwo Przyjaciöt Nauki i Sztuki 1954, S. 308; Teil II: Katalog [...]. Uzupeinienia i dodatki [Nachträge und Ergänzungen].- Gdaήsk: Biblioteka Gdanska PAN 1967.

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artige Sammlung von Gedanensien übereignete er testamentarisch der Stadtbibliothek.21 Als er nach einem Konflikt mit dem Kuratorium der Bibliothek deren Leitung niederlegte, folgte ihm Ernst August Karl Bertling. Er wirkte seit 1867 als Diakon und seit 1872 als Erzdiakon an der Kirche zu St. Marien und nahm die Verwaltung der städtischen Bibliothek und des städtischen Archivs ein letztes Mal nebenamtlich wahr. Ihm ist die Begründung des einzigartigen Katalogwerks der Danziger Handschriften zu verdanken, das 1892 mit einem Katalog der die Stadt Danzig betreffenden Handschriften der Danziger Stadtbibliothek aus seiner Feder eröffnet wurde. Ihm sollte ein entsprechender Katalog der auf Danzig bezogenen Druckschriften zur Seite treten, der im Gegensatz zu dem Werk Heinrich Wendts für Breslau leider nie mehr zustande gekommen ist. Das Werk wurde fortgeführt von dem ersten hauptamtlichen Bibliothekar der Stadtbibliothek Otto Günther, der sein Amt 1896 antrat, die Bibliothek in das 20. Jahrhundert führte und in drei mächtigen Bänden das Aufkommen der Handschriften in der Danziger Stadtbibliothek barg, nun gelöst von dem thematischen Bezug auf Danzig, dem schließlich noch ein weiterer mit den Manuskripten der Bibliothek zu St. Marien sich anschloß. Für viele Handschriften wurde dieses Katalogwerk der letzte Zeuge nach der Katastrophe, die der Zweite Weltkrieg auch für die Danziger bibliothekarische Schöpfung und gerade für ihre Handschriften heraufführte.22 21

22

Zu Löschin vgl. den Eintrag von Schwarz in der APB, Bd. I, S. 404, dort auch das Zitat; heranzuziehen ist außerdem der Eintrag von Bertling in der ADB, Bd. XIX, S. 213f. Von Löschin liegen zwei schmale Autobiographien vor: Aus dem Leben eines Amts-Jubilares, am 5. December 1865.- Danzig: Wedel 1865; Ein Lebensbild.- Danzig: Bertling 1868; dazu als weitere biographische Quelle: Blätter der Erinnerung an das 50jährige Amtsjubiläum des Herrn Director Dr. Gotthilf Löschin in Danzig.- Danzig: Groening in Comm. 1865. Zu Bertling vgl. den Eintrag in der APB, Bd. I, S. 53 (Bertling); dazu die zwei Gedächtnisreden von Oscar Weinlig und Carl Franck (Danzig: Kafemann 1893) sowie Walther Domansky: Alte Danziger. Lebensbeschreibungen.- Danzig: Danziger Verlagsges. 1923 (= Ostdeutsche Heimatbücher; 9), S. 75-77; zu Günther vgl.: APB, Bd. I, S. 241 (Schwarz). Günther verließ 1921 Danzig und wirkte bis zu seinem frühzeitigen Tod als Direktor der Staats- und Universitätsbibliothek Breslau; vgl. Gerhart Lohse: Die Bibliotheksdirektoren der ehemals preußischen Universitäten und Technischen Hochschulen 1900-1985. Mit einem Exkurs: Die Direktoren der Preußischen Staatsbibliothek 1900-1945.Köln, Wien: Böhlau 1988 (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; 26), S. 45 (mit weiterer Literatur). Vgl. Bd. I—II des Katalogs der Handschriften der Danziger Stadtbibliothek oben (Anm. 15 und 19), des weiteren: Teil III: Juristische Handschriften, Theologische Handschriften, Philosophische Handschriften, Naturwissenschaftliche und mathematische Handschriften, Handschriften über Technologie, Kriegswesen, Landwirtschaft, Handelsund Staatswissenschaften, Medizinische Handschriften, Handschriften zur Phi-

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Wo die regulären Mittel fehlten und allenfalls partiell lockergemacht werden konnten, mußte auch im 19. Jahrhundert stifterischer Großmut auf die Mehrung der Schätze bedacht sein. »Für die Stadtbibliothek unterscheidet sich die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinsichtlich der Weiterentwicklung der Bestände in nichts von der vorhergehenden. Die Zeit der Liquidation der großen Danziger Privatbibliotheken infolge des Aussterbens der alten Familien dauert an.« Als 1831 das Kloster Oliva (Oliwa) mediatisiert wurde, wäre der genuine Ort für die kostbaren Handschriften und Bücher natürlich die Stadtbibliothek gewesen. Wieder mangelte es vorgeblich an Geld, wieder sprang ein Sammler ein, nämlich der Pfarrer in Käsemark Adolf Mündt. Er kaufte eine Anzahl Handschriften, Inkunabeln und ältere Drucke auf, und auf diesem Wege kam das wertvolle Gut aus Oliva mit der Mundtschen Bibliothek, die rund 5000 Bände umfaßte, im Jahre 1900 in die Stadtbibliothek (Cat. Bibl. 65). Die Hauptmasse der Titel freilich war schon auf der Auktion nach Braunsberg, Königsberg und Berlin gegangen. Als 1858 die Bibliothek der Familie von Weickhmann zur Versteigerung kam, standen der Bibliothek 154 Taler für Erwerbungen zur Verfügung - ein Bruchteil des Werts dieser großen Danziger Privatsammlung. Löschin war zur Stelle und rettete so vielerlei für die Stadtbibliothek. 1841 fiel ihr die Bibliothek des Ratsherrn Johann Benjamin Schmidt zu, und 1856 konnte die Stadt über die Aussetzung einer Leibrente die Bibliothek des Rektors der Danziger Marienschule und nachmaligen Professors am reorganisierten Gymnasium sowie diejenige des Diakons und Erzdiakons der Kirche zu St. Marien Theodor Friedrich Kniewel übernehmen. Sie umfaßte 2870 Bände (Cat. Bibl. 63).23 lologie, Literatur- und Gelehrtengeschichte, Nachträge zu den in Teil I und II beschriebenen Handschriftengruppen. Bearb. von Otto Günther.- Danzig: Saunier 1909 (= Katalog der Danziger Stadtbibliothek; 3); Teil IV: Die musikalischen Handschriften der Stadtbibliothek und der in ihrer Verwaltung befindlichen Kirchenbibliotheken von St. Katharinen und St. Johann in Danzig. Bearb. von Otto Günther.- Danzig: Saunier 1911 (= Katalog der Danziger Stadtbibliothek; 4); Otto Günther: Die Handschriften der Kirchenbibliothek von St. Marien in Danzig. Mit einer Einleitung über die Geschichte dieser Bibliothek und 9 Tafeln Abbildungen.- Danzig: Kafemann 1921 (= Katalog der Danziger Stadtbibliothek; 5); es liegt noch ein weiterer, gleichfalls vorzüglich gearbeiteter Band der Reihe vor: Danzig im Bilde. Verzeichnis der in der Danziger Stadtbibliothek vorhandenen bildlichen Darstellungen zur Geschichte von Danzig und Umgebung. Karten, Ansichten, Grundrisse, historische Blätter, Wappen, Porträts. Bearb. von Ffriedrich] Schwarz.- Danzig: Kafemann 1913 (= Katalog der Danziger Stadtbibliothek; 10). In das Exemplar des Handschriften-Katalogs der Danziger Akademiebibliothek sind die Verluste eingetragen. 23

Das vorgelegte Zitat bei Schwarz: Die Danziger Stadtbibliothek (Anm. 9), S. 43; zu Adolf Mündt und seiner Bibliothek vgl. Günther: Die Danziger Stadtbibliothek (Anm. 9), S. 14; zur Weickhmannschen und zur Kniewelschen Bibliothek vgl. Bertling: Katalog (Anm. 15), Bd. I, S. 613 und 619f.

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Unter Bertling hielt dieser Zugang auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an. 1864 kam die rund 1000 Bände umfassende Bibliothek des letzten polnischen Predigers an der St. Annen-Kirche Christoph Coelestin Mrongovius hinein, die reich war an Titeln aus der polnischen Literatur und Sprachkunde (Cat. Bibl. 64). Vier Jahre später gelangte die Bibliothek Löschins, wie erwähnt, in die Stadtbibliothek. Im gleichen Jahr konnte Bertling den Rat für die Bibliothek der Gralaths interessieren. Sie war von dem Danziger Stadtsekretär und Naturforscher Jakob Theodor Klein, dem Schwiegervater des Bürgermeisters und Begründers der Naturforschenden Gesellschaft zu Danzig Daniel Gralaths d.Ä., begründet und dann durch die Familie Gralath weiter gepflegt worden. Wieder kamen mit Karten und Kupferstichen, Handschriften und Drucken (jeweils rund 350 an der Zahl) Gedanensia und Prussica, vor allem erneut altpreußische Chroniken, ins Haus. Sie rührten zumeist aus der Bibliothek des Professors für Rechtswissenschaft am Gymnasium und Danziger Historikers Daniel Gralath d.J. (1739-1809) her, der 1789-1791 einen dreibändigen Versuch einer Geschichte Danzigs vorgelegt hatte. Die Übergabe der Uphagenschen Fidei-Kommiß-Bibliothek im Jahre 1879 wurde bereits erwähnt. Mit der Übereignung der Bertlingschen Bibliothek, 3700 Bände umfassend, wurde der Reigen nach seinem Tod im Jahr 1893 beschlossen (Bibl. Cat. 68). Rund 111.000 Bände waren zu Ende des 19. Jahrhunderts zusammen.24 Wieder stand am Anfang des neuen Jahrhunderts ein Umzug. Am 22. August 1900 beschloß die Stadtverordnetenversammlung auf Antrag des Magistrats der Stadt die Errichtung eines neuen Bibliotheksgebäudes auf dem niedergelegten Wallgelände vor dem Jakobstor, wo soeben bereits das Westpreußische Staatsarchiv etabliert worden war. Schon zwei Jahre später wurde »mit den Erdarbeiten begonnen und das stattliche Gebäude selbst hierauf in den Jahren 1903 und 1904 so zur Vollendung gebracht, wie es heute dasteht, äußerlich neben Staatsarchiv und der neuen Oberrealschule zu St. Petri eine Zierde des Stadtteils, innerlich ein würdiges Heim für die Schätze der Wissenschaft, die es zu hüten hat.« Wenn das Gebäude nun seinen hundertsten Geburtstag begeht, gehört es zu den wenigen, deren Ambiente im 20. Jahrhundert gewahrt werden konnte, und es lädt heute wie nach seiner Eröffnung den Leser in die mit alten Gemälden gezierten holzgetäfelten Räumlichkeiten ein. Daß die Bibliothek beim Untergang der Stadt verschont blieb und auch 24

Die Angaben nach Günther: Die Danziger Stadtbibliothek (Anm. 9), S. 13f., und Schwarz: Die Danziger Stadtbibliothek (Anm. 9), S. 43ff.; zur Löschinschen und zur von Gralathschen bzw. Kleinschen Bibliothek vgl. auch Bertling: Katalog (Anm. 15), S. 61 lf. und 613f.; zu Mongrovius vgl. den gehaltvollen Eintrag von Krollmann in der APB, Bd. II, S. 448f., mit weiterer Literatur; zu den von Gralaths und zu Klein vgl. die Einträge in der APB, Bd. I, S. 228 und 338f., gleichfalls mit weiteren Referenzen; zu Bertling vgl. oben (Anm. 22).

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im neuen Jahrtausend weiter genutzt werden kann, wird jeder Liebhaber historischer Bibliotheken dankbar begrüßen. Zwei der drei großen Stadtbibliotheken des deutschen Ostens - Danzig und Breslau - entgingen derart anders als ihre Zwillingsinstitute in Hamburg, Leipzig und Frankfurt der Zerstörung; beides bauliche Schöpfungen auf der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Nur die baulich älteste von ihnen, die Königsberger Bibliothek, untergebracht in dem malerischen alten Gebäude der Universität Herzog Albrechts, versank mit der Stadt, der so wenig wie ihrer Bibliothek eine Wiederauferstehung vergönnt war. 25 Das bibliothekarisch besonders kurze, keine 45 Jahre währende 20. Jahrhundert brachte - wie überall in den städtischen Bibliotheken des Vorkriegsdeutschland - auch für das seit 1919 exterritoriale Danzig nochmals einen mächtigen Schub. Die Anzahl der Bücher verdreifachte sich nahezu. Was trug bei zu dieser Entwicklung, was vor allem kam dem historischen Profil der Bibliothek nochmals zugute? Zu Beginn der sechziger Jahre wurden von Theodor Hirsch, Ernst Strehlke und Max Toppen die Sciptores Rerum Prussicarum begründet, die wesentlich einer Danziger Initiative zu verdanken waren. 1879 folgte die Gründung eines Geschichtsvereins, der seit 1880 als >Westpreußischer Geschichtsverein < firmierte und nicht zuletzt der Hebung Danziger Schätze, wie sie städtisches Archiv und städtische Bibliothek bargen, zugute kommen sollte. Max Perlbach, der schon zu den Gründern des »Vereins für die Geschichte Preußens < (1872), des späteren >Vereins für die Geschichte von Ost- und WestpreußenRocznik Gdanski Historischen Sammlung < blieb der bis 1945 zusammengekommene Bestand beieinander, dessen systematische Aufstellung gewahrt wurde, so daß auch die Vorkriegskataloge weiterhin ihre Funktion erfüllten - eine optimale Situation für den Benutzer des alten Buches und deshalb wie im Blick auf die alte Breslauer, so auch in dem auf die alte Danziger Stadtbibliothek eine uneingeschränkt zu begrüßende Ent-

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Scheidung. Auch die Danziger Bibliothek hat anderweitige ehemalige deutsche Bestände aufgenommen. Am bedeutendsten war offensichtlich die Übernahme und Eingliederung der wertvollen Bestände der Bibliotheca Zappio-Johannitana aus der Johanniskirche, die nun - wie vorher die Bestände des Franziskanerkloster und die Marienkirche - mit Gewißheit dem vorreformatorischen Handschriften- und Buchaufkommen nochmals einen Schub verliehen haben dürfte. Sie war 1689 durch den Kirchenvorsteher Zacharias Zappio begründet und testamentarisch der Kirche vermacht worden. Etwa 6000 Bände kamen auf diese Weise zum Altbestand hinzu. Ansonsten waren es wie anderwärts in Polen vor allem schulische und insbesondere gymnasiale Bibliotheken, aus denen qualifizierter Zuwachs erfolgte. Ein besonderes Kapitel stellen Bücher aus Königsberger Besitz dar. Wir hielten 1993 erstmals ein gutes Dutzend von Titeln aus der alten Königsberger Stadtbibliothek in der Hand. Inzwischen hat sich die Zahl erhöht. Das bislang Zugängliche wird soeben erstmals in einer speziell dem Verbleib der Königsberger Handschriften und Büchern gewidmeten Publikation dokumentiert. Insgesamt hat Danzig viel weniger Anteil an der Magazinierung von Büchern aus deutschen Vorkriegsbibliotheken als etwa Thorn oder Warschau, Lodsch oder Breslau. Es ist immer noch ganz überwiegend der alte Danziger Buchbestand, der den interessierten Leser und Buchforscher heute nach Danzig fuhrt. Daß er schmerzlichster Einbußen gewärtig sein muß, ist nun freilich auch zu zeigen. 30 Einem ausführlichen Schreiben des langjährigen Direktors der heutigen Akademiebibliothek (Biblioteka Gdanska Polskiej Akademii Nauk) Zbigniew Nowak, der unsere Arbeiten in den achtziger und neunziger Jahren auf jede denkbare Weise forderte, entnahmen wir erstmals im Jahre 1997 sehr genaue Ziffern. Wie in Breslau sind auch in Danzig die Handschriften besonders in Mitleidenschaft gezogen worden. 832 Handschriften, so hieß es da am 11. Februar 1997, seien verloren gegangen; »das ist 18,4 % des Bestandes aus dem Jahr 1939.« Fast ein Fünftel des ehemaligen Bestandes war damit nicht mehr am Platz. Wie immer ist es nicht so, daß irgend ein besonderer Zweig besonders betroffen wäre. 30

Zur Zappio-Bibliothek vgl. Walther Domansky: Die Bibliotheca Zappio-Johannitana in Danzig.- In: Ostdeutsche Monatshefte 3 (1922), S. 3 2 1 - 3 2 3 ; Wilhelm Schwandt: Die Zappio-Bibliothek in Dantzig.- In: Wilhelm Schumacher: Zacharias Zappio. Ein treues Lebensbild eines Danziger Bürgers. Neu bearb. und hrsg. von L. Mahlau. 4. Aufl.- Danzig: Kafemann 1924, S. 9 7 - 1 1 0 . Es haben sich mehrere - im Handbuch nicht erwähnte - alte handschriftliche Kataloge der Bibliothek erhalten, die hier nicht im einzelnen aufgeführt werden sollen, vgl. Cat. Bibl. 8 6 - 9 3 ; zu Büchern aus Königsberger Provenienz in der Akademie-Bibliothek zu Danzig vgl. jetzt: Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte. Hrsg. von Axel E. Walter.- Köln usw.: Böhlau 2004 (= Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas; 1).

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Der Schaden erstreckt sich über die gesamte Kollektion, so daß ganz willkürlich Lücken gerissen wurden. In dem Handexemplar des ftinfbändigen Kataloges der Danziger Handschriften von Bertling und Günther sind die Verluste Stück für Stück notiert. Was bis 1945 zusammengestanden hatte und vielfach eben von den erwähnten Sammlern ein Leben lang zusammengebracht und zumeist der städtischen Institution gestiftet worden war, war binnen weniger Wochen aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissen und damit ein sammlerischer Organismus zerstört worden. Auch für die Handschriften geht die Hoffnung dahin, daß Stücke in unbekannter Anzahl immer noch auf dem Boden der ehemaligen Sowjetunion lagern und eines Tages der internationalen Forschung wieder zur Verfugung stehen. Wie es aber im einzelnen ausschaut, wenn gewachsene Sammlungen oder mehrbändige Titel aus dem handschriftlichen Bestand versehrt wurden, sollte bereits während unserer Erzählung deutlich geworden sein. Hier geht es um gedruckte Werke und wie immer bevorzugt um Kleinschrifttum.31 Ca. 55.000 Bände waren aus der Zeit vor 1800 im Jahr 1945 vorhanden, ca. 210.000 Bände aus der Zeit von 1801 bis 1945. Den Titeln und also den bibliographischen Einheiten nach waren es, wie erwähnt, wesentlich mehr, bargen doch gerade die älteren Bestände in großer Anzahl Sammelbände, die vielfach mit Kleinschrifttum bestückt waren. Über 300.000 Titel wurden bis 1945 gezählt. Von dem Bestand aus dem 19. und 20. Jahrhundert (bis 1945) gingen, so Nowak als erste Sachautorität brieflich, etwa 10 % verloren. Etwas mehr als 120 Inkunabeln wurden eingebüßt, »also etwas über 13 % von dem gesamten Bestand aus dem Jahr 1939.« Die entscheidende Frage betrifft den Altbestand bis 1800. Das Handbuch weicht ihr aus. »Während die Zahl der verloren gegangenen Handschriften feststeht (567 [!]), fehlen Informationen über die Alten Drucke. Die Inventur über den bis 1945 gesammelten Bestand, die seit einigen Jahren durchgeführt wird, ergab bisher nur geringfügige Verlustquoten.« Diese Information scheint sich auf den gesamten Druckbestand bis 1945 zu beziehen. Sie steht, was die Altdrucke angeht, in Widerspruch zu unserer brieflichen Quelle. »Die Verluste an den alten Drucken des 16.-18. Jhs. sollte man ähnlich schätzen [wie die unter den Inkunabeln], also ca. 15 % des Bestandes aus dem Jahr 1939.« Das wären immerhin über 8000 Bände mit durchaus erheblich mehr Titeln. Man wird die endgültigen Auszählungen abzuwarten haben. Einen interessanten und mit unseren Beobachtungen genau übereinstimmenden Hinweis hält das Handbuch immerhin schon jetzt bereit: 31

Der Verfasser ist Herrn Nowak für vielerlei Auskünfte, wie sie die Jahre über erfolgten, zu großem Dank verpflichtet. Die Abweichungen gegenüber dem Handbuch (dort 567 statt 832!) in den Zählungen bedürften der Erklärung. Man wird davon ausgehen dürfen, daß von Nowak auch beschädigte Teilkomplexe mitgerechnet wurden, nicht nur total verschwundene Nummern.

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Eine Ausnahme bildet die regionalgeschichtliche Untergruppe zu Danzig. Die Verluste betragen hier ungefähr 25 Prozent, wobei es sich nicht ausschließlich um Kriegsschäden, sondern auch um Vorkriegsverluste handelt, da die Bücher zwischenzeitlich aus Platzmangel auch auf dem Speicher und im Keller des Bibliotheksgebäudes untergebracht waren.

Man wird einräumen, daß der zweite Teil der Aussage kryptisch bleibt. Warum sollten in Kellern und Speichern gelagerte Bestände verloren gehen? Es hieß doch übereinstimmend, daß die in Danzig verbliebenen Bände erhalten blieben und keine Verluste zu registrieren waren. Entscheidend aber ist, daß das auf Danzig bezogene Schrifttum als besonders wertvolles und lokalspezifisches zur Auslagerung gelangte und deshalb überdurchschnittlich beschädigt wurde. Daß dem so ist, muß nun in einer eingehenderen Analyse erstmals auch ins einzelne gehend dokumentiert werden. Die Verluste sind erschreckend und haben das Profil der alten Stadtbibliothek an einer der empfindlichsten Stellen erheblich verändert. Es ist nur zu verständlich, daß sich Bibliothekare einer traditionsreichen Bibliothek mit diesem schmerzlichen Sachverhalt nirgendwo auf der Welt gerne konfrontiert sehen. Die Forschung hat ein Anrecht darauf, schonungslos informiert zu sein, nicht zuletzt, um bei ihren Unternehmungen entsprechend disponieren und also nach Alternativen Ausschau halten zu können. 32 Wir orientieren uns an dem alten Systematischen Katalog der Vorkriegszeit aus der Ära Günther, von dem die Rede war. Hier ist nicht der Ort, die nach Buchstaben gegliederte Systematik als ganze zu erläutern. Die in unserem Zusammenhang entscheidenden Systemstellen verbergen sich hinter den Ordnungsbuchstaben >0< und >QN< die einzelnen europäischen Länder untergebracht, darunter auch Polen (>N1NmNnNoNpPreußischen Provinzen< der Buchstabe > Ο < vorbehalten. Das begann in schlichter Ausdifferenzierung mit Ost- und Westpreußen (>OaObOcOd< wurden »alle auf Danzig bezüglichen Schriften« versammelt - mit einer Ausnahme. Ein Bereich war für das Profil der Danziger Bibliothek und für ihre Benutzer von so großer Bedeutung, daß er 32

Neben dem vielfach herangezogenen Katalog der Handschriften der Stadtbibliothek Danzig hat sich auch das Vorkriegs-Verzeichnis der Inkunabeln der Stadtbibliothek erhalten. Es liegt nicht gedruckt, sondern nur maschinenschriftlich vor, vgl. Cat. Bibl. 96. Hier werden 840 Nummern aufgeführt und mit den Nachweisen bei Hain und Proctor sowie mit den Signaturen der Stadtbibliothek versehen. Der erheblich reduzierte Nachkriegsbestand ist in den oben (Anm. 20) aufgeführten Bibliographien verzeichnet. Die Zitate aus dem Handbuch sind dort auf S. 87 zu finden.

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unter >0e< eine gesonderte katalogische Behandlung erfuhr: »Danziger biographische Gelegenheitsschriften.« Das war das biographische Repertoire und Reservoir, das Danzig wie jede größere Stadt in seiner Bibliothek für die einheimische Bevölkerung bereithielt. Hier konnte man sich genealogisch informieren; hier begegnete man den eigenen Vorfahren wie den Familien, für deren Schicksal man sich interessierte. Und das Schrifttum, das sich als vorzüglichste Quelle anbot, war das zu bestimmten Gelegenheiten verfaßte. An dieser Stelle also waren die vorzüglich in Danzig erschienenen und an Danziger Personen gerichteten Titel versammelt. Aber natürlich besaß die Danziger wie jede andere vergleichbare Bibliothek auch analoges Schrifttum aus anderen Regionen. Dieses war in der Abteilung >Q. Biographien< unter dem Stichwort > Biographische Gelegenheitsschriften < untergebracht, und zwar in der Abteilung >QbN1OdOeQb< - mit einem Seitenblick zur Abteilung >N1< - einer näheren Inspektion unterziehen, getreu unserem Vorsatz, über gezielte Formen des Einstiegs und also über das regionalspezifische Kleinschrifttum Aufschluß über die Geschicke einer traditionsreichen kommunalen Bibliothek im Zweiten Weltkrieg zu gewinnen. 33 Die Gedanensia aus den Untergruppen Danzig (Signatur Od) und Danziger biographische Gelegenheitsschriften (Signatur Oe), z.T. auch aus den Gruppen zu Ost- und Westpreußen, stellen mit mehr als 6000 Titeln aus dem 19. und 20. Jh. und einer unbekannten Zahl [!] vor 1800 erschienener Titel die bedeutendste Sammlung der Bibliothek dar. Sie umfaßt in Danzig gedruckte ebenso wie außerhalb Danzigs gedruckte, aber die Stadt betreffende Werke. Im Streben nach möglichst vollständiger Dokumentation wurden insbesondere außergewöhnlich seltene und daher heute besonders wertvolle Danziger Drucke und auch Unikate amtlicher Dokumente und Manuskripte zum Thema Danzig gesammelt. Dieser Bestand enthält fast alle Dokumente zur sozialen, kulturellen und auch politischen Geschichte Danzigs.

Diese Sätze sind fast durchgängig zu unterstreichen - mit einer Ausnahme (und bis auf die Verwunderung, daß 50 Jahre nach dem Krieg 33

Noch einmal sei mit Blick auf die Kataloge verwiesen auf Friedrich Schwarz: Einfuhrung in die Kataloge der Stadtbibliothek Danzig (Anm. 27), S. 9ff., hier die Übersicht der systematischen Einteilung des Sachkatalogs.

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trotz vorhandener Kataloge immer noch keine Zahlen für die Drucke vor 1800 angegeben werden können): Das Verbum des letzten Satzes ist aus dem Präsens in das Präteritum zu versetzen. 34 Fünf Bände umfaßt der das Danziger Schrifttum im definierten Sinne erschließende Katalog in der Systemgruppe >Od Allgemeine und politische Geschichte < standen zunächst 22 Sammelbände zusammen, vorzüglich die Geschichte Danzigs in der Frühen Neuzeit betreffend. Die Lage der Überlieferung präsentiert sich wie folgt: der erste Sammelband (Od 5 8°/4°) ist im Katalog betitelt mit »Historica varia inprimis Gedanensia«, enthält 44 Stücke und ist erhalten; der zweite (Od 7 4°/8°) enthält »Ecclesiastica Gedanensia 1567-1661« mit sieben Nummern und ist gleichfalls erhalten; der dritte (Od 9 8°) mit acht Nummern »Gedanensia 1577-1579« ist ebenso erhalten wie der vierte (Od 11 8°) »Collectanea Gedanensia 1578-1723« mit 21 Nummern. Der erste Verlust ist bei dem ehemaligen Sammelband Od 13 8° mit zehn »Ecclesiastica Gedanensia 16251652« zu verzeichnen. Er setzt sich fort mit Od 15 8° »Miscellanea Gedanensia 1632-1674« und Od 16 8° »Danziger Gratulationsgedichte 1635-1655«, 15 bzw. 9 Nummern umfassend. Die folgenden Sammelbände 17-23 haben sich dann wieder erhalten, der erste Od 17 »Ecclesiastica Gedanensia 1651-1715« mit fünf Nummern, der zweite Od 18 »Gedanensia um 1652« mit elf Nummern, die folgenden Gedanensia aus dem 18. Jahrhundert enthaltend. Die Reihe läuft weiter mit Od 26, wo noch einmal 11 Stücke aus den Jahren 1755-1783 versammelt sind, die sich erhalten haben. Od 28 ist betitelt »Gotth. Wernicks Streitschriften« mit 8 Nummern; Od 29 »Wernickiana et Anti-Wernickiana« mit 24 Nummern - beide erhalten. Fügen wir drei weitere erhaltene Sammelbände Od 30-32 gleichfalls mit Titeln aus dem 18. Jahrhundert hinzu, so gelangt damit das der Frühen Neuzeit gewidmete Schrifttum zum Abschluß; es folgen Sammelbände zur neueren Geschichte Danzigs. Es sind also von den insgesamt 22 nominierten Sammelbänden drei verschollen. Verluste sind sodann bei den zahlreichen Kapselschriften eingetreten, ohne daß diese hier im einzelnen spezifiziert werden könnten. Es wird sich zeigen, daß nur noch in einem anderen Fall eine vergleichsweise ebenso günstige Lage der Überlieferung obwaltet. 34

Vgl. Handbuch Deutscher Historischer Buchbestände (Anm. 9), S. 89.

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Noch im ersten Band des systematischen Kataloges (Ordnungsnummer 166) beginnt mit der Signatur Od 2355 8° ff. die Verzeichnung der > Gleichzeitigen ortsgeschichtlichen Schriften Kirchenwesen < eine eigene Systemstelle vorbehalten. Nach der Abteilung > Allgemeines < folgte sogleich die zur > Kirchengeschichte < und innerhalb ihrer als erstes eine untergeordnete > Gleichzeitige Flug- und Streitschriften Strauchiana< und >Antistrauchiana< (Od 14365-14371 8°), in denen die Schlachten um den wortgewaltigen Danziger Prediger zu St. Trinitatis und Rektor des Gymnasiums Aegidius Strauch, der einen Mehrfrontenkrieg gegen Katholiken, Calvinisten und Synchretisten führte, magaziniert waren, hat sich nur der letzte mit den >Anti-Strauchiana< 1674-1680 erhalten, der 39 Nummern enthält; alles andere ist verschollen. An dieser Stelle war das Danziger Lehrer-Gedächtnis von Ephraim Praetorius in allen Auflagen eingestellt, sofern es wegen der vielen Annotationen und Fortschreibungen in einzelnen Exemplaren nicht schon zu den Handschriften gelangt war. Dieses Lehrer-Gedächtnis war de facto und in erster Linie eines der Danziger Prediger, daher die Plazierung an dieser Stelle. In allen fünf Auflagen hat es Verluste gegeben, und da diese stets auch annotierte Exemplare betrafen, gingen somit jedesmal Unikate verloren. Gleichwohl ist die Überlieferung dieser ständig fortgeschriebenen Danziger Presbyterologie auch heute noch überwältigend, wie im einzelnen anmerkungsweise ausgewiesen. Auch bei den Bekenntnisschriften, den Gebet- und den Gesangbüchern sind herbe Verluste zu beklagen. Tritt dann das jüngere Schrifttum seit dem späten 18. Jahrhundert in den Blick, so hat es sich so gut wie ausnahmslos erhalten, eben weil es nicht ausgelagert war, sondern im Haus verblieb, das die Stürme überstand. 36 Das folgende vorletzte Kapitel XIV war dem Schrifttum zum Unterrichtswesen vorbehalten. Es stand und steht für den Kulturhistoriker der Frühen Neuzeit im Zeichen des Gymnasiums. Selbstverständlich, daß in der Danziger Stadtbibliothek das Schrifttum aus der illustren Institution und über selbige so komplett wie an keiner Stelle sonst auf der Welt beisammen war. Am Anfang standen acht voluminöse Sammelbände mit Dissertationen (Od 17347 8° adl. 1 - 8 ) - einer Gattung, auf die sich die wissensarchäologische Forschung heute in besonderer Weise konzentriert. Der erste Band mit 34 Stücken aus den Jahren 1634-1649 ist verschollen, der zweite mit 27 Stücken aus den Jahren 1684-1700 und der dritte mit 31 Stücken aus den Jahren 1684-1694 sind vorhanden, der vierte mit 36 Stücken aus den Jahren 1705-1715, der fünfte mit 18 Stücken aus den Jahren 1714-1729 und der sechste mit 42 Stücken aus den Jahren 1701-1715 sind verschollen, der siebte mit 23 Stücken aus den Jahren 1720-1728 ist vorhanden, der achte, der zeitlich und numerisch im einzelnen nicht ausgewiesen ist, wiederum verschollen. Das ist 36

Verwiesen sei auf den ausfuhrlichen Eintrag zu Praetorius mit einer Dokumentation der Überlieferung (Anm. 8).

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das typische Bild ausgelagerter Bestände im Blick auf einstmals geschlossene Kollektionen, das sich so oder ähnlich allenthalben wiederholt und in dem sich spiegelt, daß das häufig lebenswährende Bemühen der zumeist ja einzelnen Sammlerpersönlichkeiten in der Mitte des 20. Jahrhunderts zunichte gemacht wurde. Unter der Signatur Od 1735017360 waren die Dissertationen in Kapselschriften gesammelt. Elf Kapseln standen hier, und der Katalog wies die Anzahl und die Zeiträume aus, über die sie sich erstreckten. 141 Titel waren in ihnen nach Ausweis des Katalogs zusammengefugt. Der früheste entstammte dem Jahr 1653, der späteste dem Jahr 1798. Dazwischen verdichtete sich die Produktion vor allem in den späten Jahrzehnten des 17. und den ersten des 18. Jahrhunderts. Das 16. Jahrhundert war unter diesen Kapselschriften nicht vertreten. Sie haben sich glücklicherweise erhalten, können aber nur ausnahmsweise Ersatz bieten für das Verlorene. Eine weitere Folge von Sammelbänden zum Stolz der Stadt, dem Gymnasium, war in der Signaturengruppe Od 17382-17395 vereint. Unter Od 17382 8°(4°) stand ein »Volumen programmatum et intimationum inprimis Gedanensium 1601-1658« mit 88 Nummern; er ist verschollen. Unter Od 17384 2° stand ein Sammelband »Scholaria Dantiscana 1625-1798« mit 25 Nummern; auch er ist verschollen. Od 1738517389 2° war eine fünfbändige Sammlung »Gymnasium Dantiscanum concernantia« piaziert, der erste Band, die Jahre 1619-1677 umfassend und ohne Spezifizierung der in ihm enthaltenen Nummern, ist verschollen; der zweite für die Jahre 1678-1704 mit 189 Nummern ist erhalten, der dritte (1648-1748) mit 204 Nummern ist verschollen, der vierte (1749-1774) mit 51 Nummern und der fünfte (1653-1787) mit 138 Nummern sind vorhanden - freilich geplündert. Der letzte Band, den wir bestellen, kommt in Gestalt eines Schutzumschlages mit zehn noch erhaltenen Stücken. Die katalogische Probe alleine also besagt noch nichts. Man muß jeden im alten systematischen Katalog als erhalten ausgewiesenen Sammelband auf seine Unversehrtheit überprüfen, was natürlich Aufgabe der Bibliothek bleibt und nicht die eines kurzfristigen Besuchers. Unter Od 17393 8° (4°) folgte ein Sammelband »Gymnastico-Dantiscana 1631-1679« mit 173 Nummern, der sich weitgehend erhalten hat, freilich neu aufgebunden und heute in vier Teilbänden mit vier Abteilungen von ehemals fünfen verfugbar. Ihm schlossen sich an zwei Sammelbände Od 17394 2° »Programmata Athenaei Gedanensis 1744-1776« mit 15 Nummern und Od 17395 2° »Gymnastico-Dantiscana saeculi 18« mit vier Nummern; beide sind verschollen. Auch hier ist der alte systematische Katalog vielfach der letzte Zeuge des einst Vorhandenen. Denn in ihm findet man wiederum das in den Sammelbänden einst auf das Gymnasium Bezügliche inner- und außerhalb der erwähnten, speziell dem Gymnasium gewidmeten Bände mustergültig chronologisch aufgeführt.

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Das beginnt (Od 17429 8°) mit Andreas Franckenbergers Constitutio nova Gymnasii Dantiscani ad nobilem Dominum Constantinum Ferberum [...] scripta (Gedani 1568). Sie hat sich erhalten. Gleich das nächste Stück aber - Triumphalia, quae Jesu Christi ecclesia sponsa victo ac superato diabolo ac morte agit, dicta sub ductu Abr. Calovii ab Alb. Crusio Regiom. (Gedani 1647) - ist verschollen. Es folgt sodann die Verzeichnung des Schrifttums zu einem Glanz- und Höhepunkt in der Geschichte des Gymnasiums, dem zweihundertjährigen Jubiläum (Od 17546ff.). Das erste Stück - Nachricht von dem Jubelfeste des Danziger Gymnasii den 13. Junius 1758 (Danzig [1758], 8°) - ist fort. Von den Acta Jubilaei Secvndi Gymnasii Gedanensis ist das Erstexemplar an der Systemstelle Od 17548 2° verschollen; das Zweitexemplar 43 hat sich in Od 17388 2° erhalten und wird sogleich näher zu würdigen sein. Ihnen schließen sich die Glückwünsche der einzelnen Gymnasien an. Das beginnt mit Hamburg. Danzig besaß die Einladungsschrift, mit der Richey »zu einer Feier des Jubiläums des Danziger Gymnasiums, Hamburg! 1758, 1 Bl. qu. 2°« bat, und sodann die Glückwunschschrift selbst: Illustri Gedanensis reipubl. gymnasio academico sacrum saeculare secundum Idib. Jun. A. 1758 celebranti pie gratulantur rector et ceteri professores gymnasii Hamburgensis (Hamburgi [1758], 2°). Beide Titel standen unter der Signatur Od 17552 2° bis 1944/1945 in der alten Danziger Bibliothek. Heute sucht man sie in Danzig und nach dem Untergang der alten Stadtbibliothek auch in Hamburg vergeblich. Aus Lübeck gratuliert von Seelen mit seinen Kollegen (Od 17557 8°), und aus Sedan (gymnasii Sedensis) meldet sich die Professorenschaft des dortigen Gymnasiums (Od 17588 2°) - beide Stücke sind verschollen. Dagegen hat sich ein Festbeitrag von Theodor Ludwig Gralath, 1758 in Königsberg gedruckt, erhalten (Od 17562 8°). Der nachfolgende Titel von Johann George Scheffner, gleichfalls in Königsberg aufgelegt, ist wieder verschollen; der letzte in dieser Folge, herrührend von Daniel Aegidius Unselt und gleichfalls in Königsberg gedruckt, ist wiederum erhalten (Od 17564 8°). Die Situation wäre desolat, gäbe es nicht den oben erwähnten Sammelband Od 17388. Hier findet man in der Position 43 zunächst die Acta Jubilaei Secvndi Gymnasii Gedanensis Anno Domini MDCCLVIII. die XIII. Junii solenniter celebratipvblicis impensisprelo svbjecta. A Thoma Joanne Schreibero Typographo Senatvs et Gymnasii Gedanensis. Ihnen aber schließen sich im zweiten Teil mit neuer Paginierung die zahlreichen Grußadressen zunächst der Universitäten und dann der Gymnasien an, darunter auch der von uns besonders hervorgehobene Druck aus Hamburg mit Richey als drittem und letztem Beiträger (Nr. IX, S. 46-50). 3 7 37

Auch der Einzeldruck der Acta (Od 17548 2°) hat sich erhalten; von einem der Großen des Gymnasiums, Johannes Mochinger, haben sich die Orationes XV.

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Die letzte Systemgruppe war den Gebieten > Bildungswesen, Wissenschaft, Kunst< gewidmet. An ihrem Anfang stand Simon Jachimowskis Summum in emporio Gedanensi literatum pretium, seu oratio in laudem nobilissimae urbis Gedanensis (Gedani 1684, Od 19453 2°). Dieses Exemplar ist nicht mehr am Platz. Der Katalog verweist auf zwei weitere Exemplare in Sammelbänden, die fortan eben dort aufzusuchen sind, sofern die entsprechenden Sammelbände erhalten blieben. Es folgte sodann eines der Grundwerke der Danziger Gelehrtengeschichte aus der Feder des Andreas Charitius: Commentatio historico-literaria de viris eruditis Gedani ortis speciatim iis qui Scriptis inclaruerunt (Vittembergae Saxonvm Impensis Lvdovicianis 1715, Od 19458 8°). Charitius erwarb mit dieser Arbeit die Magisterwürde an der Universität Wittenberg. Sie verstand sich ausdrücklich als Fortfuhrung des Werkes von Ephraim Praetorius. Das einst in Danzig an der Systemstelle verwahrte Exemplar ist nebst einem gleich zu erwähnenden Adlatum verschollen. Allerdings kann man ausweichen auf ein Exemplar aus der Bibliothek Schlieff, welches an der gleichen Systemstelle untergebracht war (Od 19458a 8°). Es handelt sich wie so häufig in älteren bio-bibliographischen Kompendien um ein durchschossenes Exemplar mit zahlreichen handschriftlichen Zusätzen. Der Bruder Christian Friedrich legte 1729 eine wichtige Ergänzung unter dem Titel Specilegii ad D. Andr. Charitii commentationem de viris eruditis Gedani ortis a. 1715 Vitebergae excusam pars prior. [Resp.:] Chr. F. Charitius (Gedani 1729) vor. Das Erstexemplar an der Systemstelle Od 19460 ist wiederum verschollen. Der Titel aber war von einem kompetenten Sammler auch dem Grundwerk aus dem Jahr 1715 hinzugefugt worden, das dann im Zweiten Weltkrieg gleichfalls verloren ging. Wieder also ist man gehalten, nach weiteren Exemplaren Ausschau zu halten, wie sie sich in einer aus vielen ehemaligen Privatbibliotheken zusammengesetzten großen städtischen Institution mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit finden.38

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(Danzig 1637, Od 17670 2°) erhalten; verschollen sind beide Exemplare seiner Hermathenae Gymnasii Gedanensis (Danzig 1651, Od 17674 2° [mit sieben Beistücken], Od 17674a 2°). Desgleichen fehlen Verpoortens Primitiae Gedanenses (Danzig 1736, Od 17679 8°); ein Sammelband mit dreizehn Programmen Maukischs (Od 17999 8°) ist verloren. Wie die Abteilung Kirchenwesen hat die Abteilung Unterrichtswesen unersetzliches Schrifttum verloren. Eine Kopie des durchschossenen Schlieffschen Exemplars befindet sich in der Institutsbibliothek Osnabrück; vgl. zu der Commentatio auch den kritischen Kommentar und die Ergänzungen in: Gelahrtes Preussen, Bd. II/4 (1723), S. 307ff., auf der Basis von Sammlungen des Rektors des Elbinger Gymnasiums George Daniel Seyler; zu Andreas Charitius vgl. den Eintrag von Friedrich Schwarz in der APB, Bd. I, S. 102, mit der weiteren Literatur. Bei der Fortsetzung von Christian Friedrich handelt sich um eine Danziger Disputation vom 19. Mai 1729. Sie ist heute in einem Exemplar aus der Königsberger Stadtbibliothek in Danzig zu lesen. Damit ist Gelegenheit, das vergleichsweise kleine

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Kommen wir zur sich anschließenden Systemgruppe >Oe Danziger biographisches SchrifttumStB Königsberg< liest man, und auch die Signatur ist noch gut erkennbar: Q 139 4°. Auf dem Rücken findet sich die Systemgruppe angezeigt, und wie durchweg handelt es um ein Fragment aus einer langen Reihe von Bänden: >Literaria XVI.Literaria< meint hier im alten Sinne >Litterär< - d.h. Buch- und Gelehrtengeschichtliches. Und so fällt uns das in Danzig verschollene >Specilegium< aus dem Jahr 1729 hier in einem Königsberger Exemplar in die Hände. Danzig besitzt auch einige Bände aus der Wallenrodtschen Bibliothek, wie wir 1993 entdeckten; vgl. dazu jetzt Stefania Sychta: Die Bestände Königsberger Provenienz in der Danziger Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften.- In: Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte (Anm. 30), S. 563-570.

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lieh nun nicht mehr lokalspezifisch geprägt, sondern gemäß der Anlage und Geschichte der Akademie- wie der Nationalbibliothek aus unterschiedlichen Gründen den gesamten alten deutschen Sprachraum umfassend. Von den Größenordnungen, die für Danzig zu kalkulieren sind, gewinnt man bereits einen Eindruck durch einen Blick in den Katalog. Die ersten drei Sammelbände (Oe 6 - 8 ) sind numerisch nicht spezifiziert. Die vier folgenden (Oe 10-13) sind mit 200, 264, 305 und 230 Nummern ausgewiesen. Ein folgender Band (Oe 20) umfaßt laut Katalog 133 Danziger Gelegenheitsgedichte aus den Jahren 1566-1667, ein weiterer (Oe 27) 249 Gelegenheitsgedichte zumeist Danziger Provenienz mit Schwerpunkt im 17. Jahrhundert, ein sich anschließender (Oe 30) ist, so der Katalog, ein »Vol. carm. nuptialium saec. 17« mit 184 Nummern, der darauf folgende einer mit 341 Titeln, Danziger Gelegenheitsgedichte des 17. und 18. Jahrhunderts umfassend. Wir könnten so fortfahren. Alle Gattungen sind gleichmäßig gut vertreten. Zu den Hochzeitsgedichten treten Trauer-, Gratulations-, Jubiläumsgedichte etc. und selbstverständlich Hunderte von Leichenpredigten, die gleichfalls an dieser personenkundlichen Systemstelle untergebracht sind. Dieses seinerseits nach Tausenden zählende Schrifttum ist bibliothekarisch schon jetzt so gut erschlossen wie in kaum einer anderen Bibliothek sonst. Der handgeschriebene systematische Katalog, drei Bände umfassend, wird eröffnet mit einem alphabetischen Verzeichnis sämtlicher Adressaten. Die Verfasser umgekehrt findet man aufgeführt in einem nicht zum Abschluß und damit nicht zur Publikation gelangten Verzeichnis der auf Danzig bezüglichen Druckschriften, den wir an Ort und Stelle auftun konnten und der sich als interimistisch zu nutzendes Hilfsmittel so lange anbietet, bis auch das gesamte Danziger personale Gelegenheitsschrifttum im Rahmen des Osnabrücker Forschungsprojekts in der angemessenen Tiefenerschließung katalogisch und textuell zugänglich ist. Es nimmt nicht Wunder, daß zwischenzeitlich vor Ort wiederholt der Versuch unternommen wurde, das Schrifttum einer literaturwissenschaftlich-stratifikatorischen Auswertung zu unterziehen. 39

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Zum Danziger Gelegenheitsschrifttum vgl. neben den in Anm. 3 genannten Arbeiten vor allem Joseph Leighton: Gelegenheitssonette aus Breslau und Danzig in der Zeit zwischen 1624 und 1675.- In: Stadt - Schule - Universität - Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. Hrsg. von Albrecht Schöne.· München: Beck 1976, S. 5 3 6 - 5 4 8 , sowie die zahlreichen Arbeiten von Edmund Kotarski. Von den beiden das 17. und das 18. Jahrhundert betreffenden Monographien ist diejenige zum 17. Jahrhundert inzwischen ins Deutsche übertragen und redaktionell bearbeitet. Sie wird unter dem Titel Die Danziger Gelegenheitsdichtung des 17. Jahrhunderts in der neuen Reihe >Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas < des Böhlau-Verlages erscheinen. Die gleich umfängliche Arbeit zum 18. Jahrhundert sollte sich in ei-

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Zu erinnern ist aber nun daran, daß bislang nur das auf Danzig bezogene Gelegenheitsschrifttum berührt wurde. Stücke auf Personen außerhalb Danzigs sind an anderer Stelle zu suchen, vornehmlich in den Ab-

ner deutschen Übersetzung anschließen. Von dem zunächst fur den Druck vorgesehenen Katalog der auf die Stadt Danzig bezogenen Druckschriften haben sich eine handschriftliche Vorstufe und vor allem Teile eines besonders wichtigen Andrucks erhalten, welche bislang nicht ausgewertet wurden. Die handschriftliche Version - Cat. Bibl. 26 - enthält ein Register der Personen und ein Fragment des Katalogs der Hochzeitsgedichte, nämlich derjenigen ohne Verfasserangabe (»Verfasser ungenannt«). Der Andruck - Cat. Bibl. 27 - hingegen zeigt, was zustande gekommen wäre, wenn der Senat sich mit seinem Vorschlag durchgesetzt hätte und das Werk vor dem Ersten Weltkrieg erschienen wäre. Auch in der vorliegenden Form ist der Katalog für manche Abteilungen immer noch ein vorzügliches Hilfsmittel. Der Titel: Katalog der Gedanensia der Danziger Stadtbibliothek. II. Druckschriften.- Danzig: Kafemann 1890 (= Katalog der Danziger Stadtbibliothek; 1). Das Werk besitzt einen vermutlich von Bertling stammenden handschriftlichen Vorspann mit dem Inhaltsverzeichnis. Die erste Abteilung wird durch die Zeitschriften gebildet, eine zweite und nun vielfältig untergegliederte durch ein weitgefaßtes Fachgebiet > Geschichte Allgemeine Geschichte« folgt eine zweite >Einzelne Perioden Danziger Gebiet< gewidmet. Sodann folgt eine vierte Abteilung >dBiographisches Sammlungen und einzelnen Biographien < zusammen. Dann folgen die verschiedenen Gattungen des Gelegenheitsschrifttums: Zuerst die > Hochzeitgedichte, a Verfasser genannt, b Von ungenannten Verfassern Trauergedichte, Leichenpredigten, Leichenprogramme Gelegenheits-Gedichte verschiedener Art< in gleicher Anlage an, gefolgt von einem weiteren Abschnitt > Gedichte, Reden etc. auf fürstliche Personen«. Die Abteilung wird beschlossen durch >Festbeschreibungen, -reden und -gedichte111 Topographie« und >IV Innere Geschichte«. Letztere Gruppe wird eröffnet mit dem Sachgebiet >Erziehung und Unterricht«. In ihr ist alles Einschlägige zum Gymnasium beisammen bis hin zu den zeitgenössischen > Leges«, den >Programmata«, den Jubiläums-Schriften etc. Dann bricht der Druck ab. Obgleich inkomplett, wird ihn der Kulturhistoriker bei seiner auf Danzig bezogenen Arbeit - einmal bekannt - nicht mehr missen wollen.

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teilungen >Qb< und >N1Q< ist dem biographischen Schrifttum gewidmet. Hier gibt es zunächst die Abteilung >QaQb< folgte noch, sie ausschließlich dem > biographischen Gelegenheitsschrifttum < außerhalb Danzigs vorbehalten. Fünf Bände umfaßt allein der diesbezügliche Katalog. Hier stehen die Sammelbände einmal nicht am Anfang, sondern am Schluß. Vorweg ist eine »Collectio contionum funebrium 1683-1687« aus der Bibliothek Uphagen piaziert (Uph. f. 89b 4° [2°]). Dann setzt die reguläre Folge mit Ob 10050 8° »Gelegenheitsschriften 1551-1588« (56 Nr.) »Aus Simon Clüvers Besitz« ein. 32 Sammelbände stehen hier noch einmal beisammen, auch sie wiederum gefüllt mit tausenden von Einzelbeiträgen. Da gibt es Casualia aus Lübeck, Leichenpredigten aus Elbing, Lissa und anderen Orten, Königsberger Gelegenheitsgedichte aus dem frühen 18. Jahrhundert, Leichenpredigten aus dem letzten Dezennium des 17. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Leichenpredigten vornehmlich aus Königsberg, Lissa und Berlin, mehrere Sammelbände mit örtlich nicht spezifizierten Leichenpredigten, Leipziger Leichenpredigten 1631-1650 (25 Nummern), lateinische Gelegenheitsgedichte aus der Mitte des 16. Jahrhunderts (42 Nummern), »Carmina gratulatoria inprimis Francofurto-Viadrina« (73 Nummern), »Programmata invitatoria et carmina saeculi 16. et 17« (63 Nummern), eine siebenteilige Folge »Conciones funebres Thorunenses, Elbingenses etc.« mit über 200 Titeln, eine zweiteilige, hier nicht ganz systemgerecht untergebrachte Folge »Conciones funebres vel a Gedanensibus vel in officiis Gedani olim constitutis habitae«, schließlich nochmals eine dreiteilige Folge »Conciones funebres viris literatis habitae«, um nur einige sprechende Katalogeinträge herauszugreifen. Am Schluß findet sich eine Sammelkapsel mit Gelegenheitsschriften, in der drei Bände vereinigt waren. Von den insgesamt 32 Sammelbänden (ohne die Kapselschriften) sind wiederum drei im Krieg verloren gegangen. Vergli-

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chen mit den Verlusten unter den Altdrucken in anderen Abteilungen halten sie sich also neuerlich in Grenzen. Galt die Systemgruppe >M< der >Allgemeinen GeschichteN< den >einzelnen europäischen LändernNm< zu den einzelnen Epochen der deutschen Geschichte jeweils die >gleichzeitigen Flugschriften< untergebracht finden, die das Presse- und Informationszentrum Danzig natürlich in großer Menge besaß. In zwei großen Blöcken, die Jahre 1517-1648 und 1648-1806 umfassend, ist hier das entsprechende Kleinschrifttum versammelt. Wir aber haben abschließend und in Fortführung der Recherchen zum biographischen Schrifttum noch einen Blick auf Polen zu werfen. In der Systemstelle >N1< wurde bis 1945 das auf Polen bezogene Schrifttum in Quellen und Darstellungen verwaltet. Es dürfte keine Bibliothek im alten deutschen Sprachraum gegeben haben, in der es gerade aus der Frühen Neuzeit in gleicher Dichte vorhanden gewesen wäre wie in Danzig. Über diese Abteilung ließ sich von Seiten der polnischen Bibliothekare nach 1945 leicht ein zwangloser Anschluß herstellen. In mehreren Katalogen wurden >Polonica< gemäß dem polnischen Verständnis dieses Begriffs, wie es bereits Estreichers monumentalem Unternehmen zugrunde lag, dokumentiert. Vier Bände im alten systematischen Katalog von deutscher Hand waren der Geschichte und Kultur Polens gewidmet. Die Überlieferung kann schlechterdings wieder nur als überwältigend eingestuft werden. Weit über fünfzig Sammelbände und sodann zahlreiche Sammelkapseln, gefüllt in der Regel mit Kleinschrifttum, eröffneten den Reigen. Die Verluste scheinen sich in sehr engen Grenzen zu halten. Wir notieren einen Sammelband »Polonica ecclesiastica« mit 31 Nummern als Fehlbestand. Doch scheint dies eine Ausnahme zu sein. Vermutlich wurden die > Polonica < nicht in gleichem Umfang wie die Handschriften und die auf Danzig bezogenen Drucke in die Auslagerungen einbezogen, so daß sie - von Einzelfällen abgesehen - der Katastrophe entgingen. Das beweist auch ein Blick auf die Leitgattung bei unseren Erkundungen, das Gelegenheitsschrifttum. Unter N1 51-58 8° stehen acht Bände, katalogisch betitelt »Orationes et gratulationes regibus et magnatibus Poloniae consecratae«. Ihnen schließen sich unter N1 59-66 4° weitere acht Sammelbände »Orationes et gratulationes regibus et proceribus Poloniae maxime consecratae« an. Einzeln ausgewiesen ist sodann ein Band mit zwölf Nummern: »Scripta in honorem Vladislai IV. et Johannis Casimiri« (N1 70 4°). Alleine siebzehn Sammelbände also waren mit adressatenbezogenem Schrifttum gefüllt. Hier an dieser Stelle muß man in erster Linie die Zuschriften der in Danzig und Umgebung wirkenden deutschen Dichter des 17. Jahrhunderts - mit Opitz an der Spitze - an das polnische Königshaus suchen. Und so deutlich wie vermutlich an keiner anderen Stelle der Welt zeichnen sich die Phy-

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siognomien der großpolnischen Magnaten in den Danziger Beständen ab, die eine so forderliche Rolle für die schlesische nobilitas litteraria um 1600 spielten, waren sie doch durchweg dem reformierten Bekenntnis zugetan und daher voller Verständnis für die Nöte der ganz ähnlich votierenden und nun unter so herben Druck geratenen Freunde an der konfessionellen Scheidelinie in den Habsburger Krön- und böhmischen Nebenländern. 40 Machen wir uns das Vergnügen und blicken abschließend in zwei, drei Sammelbände unter Dutzenden, die uns während unserer Besuche seit den siebziger Jahren durch die Hände gingen, notieren wir, was uns auffiel und was nun endlich auf Mikrofiches geborgen und systematisch katalogisch erschlossen - mit Ausnahme selbstverständlich der Leichenpredigten - der Forschergemeinschaft in einer Dichte, wie sie nur selten noch für eine Stadt anzutreffen ist, zu bequemem Gebrauch fortan zur Verfügung steht. Der Band Oe 7 entstammt der Bibliothek Schlieff. Es ist ein voluminöser Folio-Band. Wie immer lohnt sich das absichtslose Blättern. Unter der Nummer 184b (f. 230) stoßen wir auf einen in der bibliotheksgeschichtlichen Literatur nur selten erwähnten Einblattdruck von Joachim Pastorius. Theodor Schieder hat seinem Verfasser auf knappstem Raum einen glanzvollen Artikel in der Altpreußischen Biographie gewidmet. Pastorius (1611-1681) - gebürtiger Glogauer stand in Verbindung zu sozinianischen Kreisen in Großpolen und kam über Posen und das Elbinger Gymnasium an dasjenige in Danzig. Dort entfaltete er - in engem Kontakt mit dem polnischen Königshaus - eine überaus rege schriftstellerische Tätigkeit. Sein Elogium auf das gelehrte Schatzhaus zeigt aufs schönste die Bedeutung, die es bald nach seiner Gründung für die gelehrte Welt erlangte. 41

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Es ist daraufhinzuweisen, daß sich auch in der Abteilung > Universalgeschichte < (>MaN1< mit der auf Polen bezogenen Literatur greifen wir ein Exempel heraus. Beim Blättern zunächst im Katalog erweckt ein Titel Damons Abschied Von Phillis Vnd demselben Gegen= Valet. unser Interesse. Schon der katalogische Eintrag enthält von kundiger Hand den Eintrag, daß es sich um ein offensichtlich exponiertes politisches Stück handeln soll. Wieder kommt ein Band aus der mächtigen Bibliothek Schlieff auf den Tisch. Er ist neugebunden, das gesuchte Stück in ihm unter der alten Zählung nicht mehr vorhanden (10 in N1 5 8°). Es ist als Nr. 70 in einen zweiten Band geraten (N1 5,2) und findet 42

Vgl. Szyrocki: Martin Opitz (Anm. 14), Bibliographie Nr. 213 (S. 186f.); 2., im Zusammenwirken mit Irmgard Böttcher Überarb. Aufl. in: Martin Opitz. Weltliche Poemata 1644. Zweiter Teil, mit einem Anhang: Florilegium variorum epigrammatum. Unter Mitwirkung von Irmgard Böttcher und Marian Szyrocki hrsg. von Erich Trunz.- Tübingen: Niemeyer 1975 (= Barock, 3), S. 210*, Nr. 213.

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sich tatsächlich noch einmal in einem anderen Sammelband (48a in N1 96). Schlieff selbst hat es an dem ersten Fundort mit einem Kommentar versehen: »Dieses Lied ist S Cal. 24. Febr. 1660. confisciret und bey 50. tha Strafe zu verbreithen verbohten worden.« Auch die Initialen sind aufgelöst: G.M.D. = >General-Major Dancvart(s)Schicksalsjahr< 1454, in dem die Stadt die Trennung vom Ritterorden vollzog und das Bündnis mit der immer noch im Aufstieg begriffenen Großmacht Polen besiegelte der Grund war gelegt für eine Machtstellung der Stadt, die sie »für die folgenden Jahrhunderte zum bedeutendsten und wichtigsten städtischen Gemeinwesen ganz Nordosteuropas machen sollte.« 44 So stellte sich Titz würdig in die Reihe der Panegyren polnischer Regentschaft. Der Band ist voll von Huldigungen auf die polnischen Könige, aber auch etwa auf Friedrich III. von Dänemark oder auf die Herzöge von Liegnitz und Brieg. In diesen rednerischen und poetischen Akten bekräftigte der Professor für Rhetorik und Poesie am Gymnasium den Anspruch der Gelehrtenschaft auf Auslegung und Affirmierung monarchischer Herrschaft. Aber auch die Großen des Landes wurden immer wieder bedacht. Als die Gattin und Witwe von Opitzens Gönner Gerhard von Dönhoff Sibylle Margarethe 1657 starb, war Titz mit Justa zur Stelle, in die Spuren des großen Vorgängers zu treten - der Einzeldruck als solcher bislang unbekannt (Nr. 20). Auch der Bibliothek des Gymnasiums hat Titz mit einem unbekannten Gedicht in einem Einblattdruck neuerlich gedacht: De instructissima inclyti Senatus gedanensis in gymnasio bibliotheca, α vir ο [...] Adriano Engelke [...] Epigramma ad lectorem. (Danzig: Rhete [o.J.], Nr. 24). Zwischen den Drucken sind immer wieder auch handschriftliche Einlegungen zu finden. Am Schluß sind die ungezählten Einladungsschriften versammelt, die der illustre Professor herausgehen ließ. Dann folgen Beiträge auf Mitglieder der Familie, die Ehefrau, den Sohn. 1688 trat Titz vom Amt zurück, und natürlich wurde 44

Simson: Geschichte der Stadt Danzig (Anm. 2), Bd. I, S. 233.

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das Ereignis poetisch umspielt. Ein Jahr später lagen die Justa funebria in Gestalt einer Einladungsschrift zu den Trauerfeierlichkeiten fur Titz selbst vor. Mit ihnen findet der Band seinen Abschluß. Wie soll eine Bibliographie, eine Edition, gar eine Biographie in Angriff genommen werden, wenn man ihn nicht in der Hand hatte?

V.

Die illustre gymnasiale Trias

Lech Mokrzecki

Protestant Grammar Schools of Royal Prussia in the Polish School System in the 16th and 17th Centuries

The Renaissance proved to be very prosperous for the development of the school system in Polish-Lithuanian Commonwealth. In different places many new humanistic schools were established on the basis of already existing ones, as a significant development or transformation of their former organisational and programmatical structures. This opinion is supported by the results of the research on the activities of the best institutions founded in the Renaissance. Among these institutions there were such schools as the Jan Lubrahski Academy in Poznari (1519), the Humanistic School at Goldberg (1524), the Academic Gymnasium in Elbl^g (Elbing, 1535), parish and cathedral schools in Cracow and Lwow established with the aid of Benedykt Herbest (about 1550), the Secondary School at Pinczow (1551), Academic Gymnasium in Gdarisk (1558) and Τοηιή (1568), and the Jesuit Colleges at Braniewo (Braunsberg, 1565), and Putusk (1566). The 17th century was distinguished by further achievements in this field. New schools of high academic standards were established (e.g. at Sierakowo, 1650), the existing ones were improved (Leszno, 1626), and in some others an incredible progress was made in enriching the curriculum and raising the standards of teaching, very often accompanied by scientific research resulting in remarkable achievements (Gdaiisk, Τοηιή). The above-mentioned institutions represented both the Roman Catholic, and various Protestant orientations. Certain attention should be paid to the sources of inspiration of the structural and programmatical transformations, among which we can find secular and monastic institutions, representatives of magnates, gentry and burghers - the examples resulting from individual efforts - as well as the patronage of city councils, particular social standings, or certain social groups. Thus, complex needs and interests of various social groups had a significant or even decisive influence upon the final shape of school system transformations in Poland in the 16 th -18 th centuries. Analysing the situation in Royal Prussia, the area which performed an important role in Poland in 16th and 17th century, as confirmed by numerous privileges conceded to Gdaiisk and Τοηιή by the Polish kings, we can notice consistent efforts aimed at establishing a strong, extended and diversified school system. The history of mental culture of Gdaiisk, Τοηιή and Elbl^g in particular confirms the thesis of the evolutional

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mode of school system transformations in the 16th, 17th and 18th centuries; these transformations conduced to creating teaching institutions of a new type, i.e. academic secondary schools, but also to significant changes in their teaching programmes. 1 This was the effect of universal perception of tasks and functions of teachers, appreciating their significance in the process of teaching and shaping society's opinions. Therefore, the attempts to establish well-organised institutions and to gain the best possible teaching staff made the school system of Royal Prussia outstanding in the days of the Former Polish Republic. Studying the development of the school system in the discussed region, we can clearly see its evolutional character in the perfection of existing types of schools (parish, monastic, and private) apart from creating new ones which had the ambition to attain the highest possible standards. Naturally, it did not happen simultaneously. The decisions of establishing new institutions preceded their later structural and programmatical transformations, making their establishment a two-stage process. Therefore, we can assume that the first stage was the establishment of Protestant (Calvinist or Lutheran) grammar schools in the three biggest cities, which obtained the status of academic secondary schools after a longer period of activity, with many outstanding teachers working for them, and after some organisational and programmatical transformations. Not all the institutions underwent the transformations at the same time, and the reforms were not carried out with equal determination; in every case, however, efforts were made to maintain the organisational structure of universities. On the other hand, the consistently introduced reforms were not always followed by formal decisions leading to structural transformations. As far as Elbl^g is concerned, we can determine the chronological frames of both stages on the years 1535, which was when the secondary grammar school was established, and 1599, when Johann Mylius introduced structural transformations which led to the establishing of an academic secondary school. In Gdaήsk, the so-called >particular< was created in 1558, and the substantial structural and programmatical reforms started with the participation of Rector Jacob Fabricius in 1580. In 1

Cf.: Historia Gdanska [Geschichte Danzigs]. Vol. I—III. Ed. by Edmund Cieslak.- Gdansk: Wydawn. Morskie 1978-1993; Historia Torunia [Geschichte Thorns]. Vol. II/2. Ed. by Marian Biskup.- Toruti: Towarzystwo Naukowe 1994; Kazimierz Kubik and Lech Mokrzecki: Trzy wieki nauki gdanskiej [Drei Jahrhunderte Danziger Wissenschaft], 2nd Ed.- Wroclaw: Zaktad Narodowy im. Ossolmskich 1976; Marian Pawlak: Ζ dziejow swietnosci Gimnazjum Elbl^skiego w epoce Odrodzenia i Baroku [Zur Geschichte der Blütezeit des Elbinger Gymnasiums in der Epoche der Renaissance und des Barock].- Gdansk: Wydawn. Morskie 1985; Stanislaw Salmonowicz: Torun w czasach baroku i oswiecenia [Thorn im Zeitalter des Barock und der Aufklärung].- Warszawa: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1982.

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Τοηιή, the grammar school was founded in 1568, and new solutions were introduced in 1594 thanks to harmonious co-operation between Mayor Heinrich Stroband, Rector Kaspar Friese, and con-rector Ulrich Schober. Naturally, while studying the activities of the three educational institutions located in Royal Prussia, slightly different formal chronological caesuras can be suggested, but the most important is the very fact of a two-stage transition of the existing grammar schools to a higher level of academic secondary schools. It is more difficult to establish the exact data concerning the Elbl^g Grammar School, because of the less favourable economic condition of the town, and more limited resources available for school needs. That was why the measures taken to turn the School into an academic secondary school were both less determined and less effective. However, the decisions in the other two cities were made more univocally, although in Gdansk, for example, it was not until the 1643 programme that the official name of Gymnasium Academicum appeared.2 In Royal Prussia there were also school institutions of a lower level, teaching philology, rhetoric, philosophy, and theology; there were also private schools of vocational character. The reasons facilitating the development of academic secondary schools are manifold and difficult to define, as the schools transcended the requirements of secondary schools and implemented - in senior forms - the programme of university education. The 16th century and the first decades of the 17th century are known to have brought considerable changes in the life of the biggest towns in Royal Prussia. Their economic significance grew rapidly and they wanted to maintain the privileges granted to them by Polish monarchs; the ideals of the Renaissance and Baroque coming from Western Europe spread widely; disputes and discussions connected with rapid consolidation of Protestant influence became more vivid. The disputes within Protestantism should not be ignored, either, because the competition between Calvinists, Lutherans, and Moravian Brethren was noticeable, and, in addition, there were some controversies with Polish Brethren in Τοηιή. This religious and intellectual revival conduced to a famous ecumenical congress in Torun in 1645, with the participation of King Wladyslaw IV; the congress known as Colloqium Charitativum, was attended by representatives of all the biggest cities of Royal Prussia, including the professors of academic secondary schools. Educational postulates resulting from the concepts of humanistic culture were being implemented in the activities of the existing schools as well as in academic secondary schools during the first decades of their existence. The guide-lines by Johann Hoppe, Andreas Franckenberger, 2

Zbigniew Nowak: Lata rozkwitu kultury, nauki i sztuki [Die Jahre des Aufblühens von Kultur, Wissenschaft und Kunst].- In: Historia Gdanska (Note 1), Vol. II, p. 711.

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and Fabricius in Gdarisk, and by Stroband and Schober in Τοηιή settled the concepts of the Renaissance school, whereas Bartholomaeus Keckermann's (in Gdaήsk), Johann Amos Comenius' (in Elbl^g), and Konrad Graser's (in Toruii) views contributed to gradual consolidation of erudite school postulates of the Baroque.3 The Baroque Sarmatian culture, so tightly connected with the gentry, less powerfully influenced Pomeranian city burghers. It somehow inspired the curricula of Jesuit Colleges, which only sporadically managed to maintain a higher level of education in this region. The 17th Century Protestant culture of more erudite character, open to new trends entering Royal Prussia chiefly from Germany and the Netherlands,4 influenced the structures and curricula of Lutheran grammar schools, which mainly educated burghers' children, and which received organisational and financial support from municipal resources. The inspirational role of Sarmatism, however, was less effective at establishing subsequent curricula of the academic grammar schools, chiefly reflecting the suggestions of the Catholic population, the suggestions closer to Polish culture, and using Polish as an everyday language. This fact can be confirmed by the maintained high influence of Catholicism within rural and monastic schools in spite of the enormous prevalence of Protestantism in cities. The consciousness and manners of Pomeranian intellectual elites were, undoubtedly, influ3

Lech Mokrzecki: Jan Amos Komeriski w Prusach Krolewskich [Johann Amos Comenius im Königlichen Preußen].- In: Rocznik Gdanski 53 (1993), p. 53; Lech Mokrzecki and Kazimierz Puchowski: Programy szkolnictwa staropolskiego w XVI i XVII wieku. Kierunki zmian [Altpolnische Schulprogramme im 16. und 17. Jh. Ein Richtungswandel].- In: Kwartalnik Pedagogiczny 40 (1995), p. 89ff. 4 Stanislaw Salmonowicz: Kultura umyslowa Torunia w dobie renesansu, reformacji i wczesnego baroku [Die Geisteskultur in Thorn im Zeitalter der Renaissance, der Reformation und des frühen Barock].- In: Historia Torunia (Note 1), Vol. II/2, p. 173; Ζ dziejöw szkolnictwa jezuickiego w Polsce [Zur Geschichte des jesuitischen Schulwesens in Polen], Ed. by Jerzy Paszenda.- Krakow: Wydawn. WAM - Ksi?za Jezuici 1994, p. 35ff.; Kazimierz Puchowski: Collegia Nobilium Societatis Jesu: Bildung der politischen Elite in Polen (1746-1773).In: Luther und Melanchthon im Bildungsdenken Mittel- und Osteuropas. Ed. by Reinhard Golz and Wolfgang Mayrhofen- Münster: Lit 1996 (= Texte zur Theorie und Geschichte der Bildung; 8), pp. 273 -284; Stanislaw Litak: Od Reformacji do Oswiecenia. Kosciöl katolicki w Polsce nowozytnej [Von der Reformation zur Aufklärung. Die katholische Kirche im neuzeitlichen Polen].Lublin: Towarzystwo Naukowe Katolickiego Uniwersytetu Lubelskiego 1994, p. 91ff.; Lech Mokrzecki: Academical Gymnasiums in Poland in 16 ,h -18 lh century, their Bonds with Universities Abroad.- In: Higher Education and Society. Historical Perspectives. Vol. I.- Salamanca: Universidad de Salamanca 1985, p. 479ff.; Lech Mokrzecki: Das protestantische Schulwesen in Polen im 18. Jh.In: The Polish School System. Ed. by Carl Holmberg.- Linköping: Universitetet i Linköping 1990, p. 122ff.

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enced by Protestantism. This was the reason for the strengthening of relatively severe rules and obligations as preached by the clergy, chiefly Lutheran, who called for labour, education, and rigorism in religious and family life. 5 The enactments announced in towns and regulating citizens' manners were external manifestations of the victory of Protestantism, which stimulated mental development through the development of education. The level of mental consciousness of the upper class of society influenced the development of academic gymnasiums. Much less do we know about the lower classes' postulates concerning education, although close contacts, constant observation and association with members of the most distinguished families must have had effects on the general intellectual culture and its quality; it also influenced the standard of essential requirements. The circle of educated people was fairly wide, though. The sons of the patrician class dominated among the students of foreign academies; most of the children of wealthy merchants, some of lower-rank city officials, and guild masters, etc. graduated from secondary schools. However, a well-developed oral culture and active preaching practices contributed to acquiring knowledge by most numerous circles of lower classes. In the 16th and 17th centuries, the representatives of numerous middle-class families obtained a relatively universal education which prepared them for public and professional careers. In the 18th century, the class of professional homines litterati emerged; their task, apart from trading, was governing the city. Therefore, their ideas on the role and significance of education highly influenced the development of schools at all levels. As early as the 16th century, there were attempts to establish a school of higher education (university type) in Royal Prussia. Opening the Königsberg Academy in 1544 matched these intentions, yet there were further plans of opening another academy within the borders of Poland. 6 The differences of opinion on its location and financing prevented the establishing of a Studium generale. The grammar schools which in due time were transformed into academic grammar schools became a substitute for the university, as they were semi-university types of schools. Their Catholic equivalence was the aforementioned Lubranski Academy; however, the Protestant schools were more persistent in their implementation of the model. Therefore, they were characterised by a 5 6

See Orationes of Abraham Calovius, Aegidius Strauch, Samuel Schiewig etc. Lech Mokrzecki: Academic Contacts Between Poland, the Grand Duchy of Lithuania, and the Albertina University (to 1772).- In: La via del'Ambra. A cura di Riccardo Casimiro Lewanski.- Bologna: Universitä degli Studi di Bologna 1994, pp. 77-88; id.: The Coming of Compulsory Education to Poland.- In: A Significant Social Revolution. Ed. by James A. Mangan.- London, Portland: The Woburn Press 1994, pp. 136-155.

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more planned organisational structure, eminent staff of lecturers, higher level of scientific research and educational processes. In the next decades, the structures of Protestant academic grammar schools started to diversify. Tonrn, following the model of the Johannes Sturm grammar school, adopted the ten-form pattern; it was crowned with the senior class of academic nature, which was called suprema. In Gdansk and Elbl^g, there were only six forms of grammar schools, sometimes preceded by parish school education, or by learning at preparatory schools. Gdansk crowned them with two senior academic forms, the so-called secunda and prima, lasting four to five years. Thus, academic grammar school education lasted, practically speaking, for ten years as well, partially following the university curriculum. Elbl^g maintained six forms, and Malbork (Marienburg) had a five-form grammar school without any university ambitions. It was not a division into forms, which had existed since the end of the 16th century, that was so important about all the aforementioned grammar schools, trying to follow the model of humanistic school. The important factor was their internal organisation, the level of teaching, and the position of the educationists according to the tradition and practice of the contemporary European academies. This is best exemplified by the Gdaiisk Academic Grammar School, since the municipality allocated highest resources to the school, thus maintaining the best working and living standards for its teachers. After 1580, the structure of the Gdaiisk Grammar School was modernised strictly according to the university model. The School was headed by the Rector aided by the Inspector (Pro-Rector); moreover, several Chairs, staffed by one or two persons, were established, and they were managed by Professors or Associate Professors. The hierarchy of these positions was reflected in the salaries. The Chair of Theology was the most important, and its head (until the end of the 18th century) was both the Rector and the Pastor of the Lutheran Holy Trinity Church. The second most important was the Chair of Law and History with its organisational links to the post of Inspector (Pro-Rector) the Supervisor of the Students' Dormitory. The other Chairs were those of Philosophy, Rhetoric and Poetics, Medicine and Physics, Greek and Oriental Languages, and, finally, the Lectorate of the Polish Language established in 1589. The professors' salaries were high, much higher than salaries paid to the teachers at many German and Dutch universities. Therefore, it is not surprising that some of the professors, or even rectors, of famous European universities moved to Gdaiisk eagerly. 7 Sometimes, the posts of academic grammar school professors were combined with the posts of librarian, orator of the City Council, land surveyor, or physician, which made the salaries even higher. In Τοπιή and Elblqg, the schools did not have so clearly defined chairs; therefore, 7

For example from Wittenberg Academy.

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individuals were hired to fill the posts of professors without defining their specialisation in advance. In Gdahsk, however, the professors were hired following precise didactic job descriptions. Another significant feature of Protestant academic grammar schools was their attempt to employ professors with high academic qualifications and a certain educating experience who might, in the future, develop research, publishing, and popularising works. Although the schools were of a humanistic nature, their vast curricula included humanistic, legal, natural, and scientific subjects. They did not confer any academic degrees on their students, but they prepared their graduates for further education: after graduating from their prima, they could take up further studies at the third year of the university. The fame of some of the professors employed at schools of Royal Prussia made lots of young people attend their lectures; the lectures were also visited by foreign students who wanted to enrich their knowledge. It must be pointed out that the grammar schools were constantly ready to implement and popularise new methods of teaching developed by chief European educators. The professors took deep interest in new recommendations, analysed their usefulness, pointed out their positive features, and tried to forecast their possible negative effects. In the 16th century, Rectors Hoppe and Franckenberger wrote about the issues while transferring to Gdadsk the concepts of Philipp Melanchthon and Sturm. The concepts of Comenius stirred particular interest in the 17th century and were discussed and popularised by numerous professors, which was not surprising, since his works were recognised by contemporary European thinkers. In the 18th century, however, the achievements of the scholars representing the concepts of the Age of Enlightenment were eagerly referred to.8 Handbooks, the variety of which was to provide adequate standards of teaching, played an important role in educational processes. Therefore, besides publishing old handbooks, much attention was put to new treatises published locally and abroad. The constant widening of their assortment proves the importance of the postulate of prompt reaction to new educational concepts and the obligation of writing and publishing valuable handbooks. In order to describe precisely the background and education of the academic grammar schools' teachers we must first refer to their biographies. We shall use the curricula vitae of the Gdaήsk, Toruii and Elbl^g scholars, since they are representative for the period under discussion.9 8

Lech Mokrzecki: Errungenschaften des lutheranischen Schulwesens in Polen in der Zeit der Aufklärung.- In: Informationen zur erziehungs- und bildungshistorischen Forschung 24 (1984), Nr. 2, 177-190. 9 See Edmund Kotarski: Rektorzy i profesorowie Gimnazjum Gdanskiego w XVII wieku [Die Rektoren und Professoren des Danziger Gymnasiums im 17.

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As has already been mentioned, the municipalities paid much attention to education and the academic level of the future lecturers, therefore before a teacher was employed, the authorities had to appreciate the candidate's references, his qualifications, and his scholarly production. The procedure brought positive results, since all the rectors were university graduates with their PhD degree in theology or related disciplines. Research shows that they had had excellent private tutors in their childhood, and their further education had been completed at renowned educational institutions. Other professors were also university graduates, although not all of them had their Master's or Doctoral degrees. They all had, however, followed the tradition of studying in several cities, usually in Germany or the Netherlands. There were many reasons why they had done so: they had wanted to find institutions of similar religion, participate in the classes of most famous professors, pursue the studies of a subject which had been held in high recognition at a given university, or visit several university centres during peregrination academica. As far as the sons of poor families were concerned, things like tuition fees, rentals, or costs of living were also taken into account while choosing a school. All the Gdansk rectors and most professors had studied in Wittenberg, where they had pursued their studies in Lutheran theology. The stages of their education had been similar. First they had learnt at home, and then completed their secondary education at grammar schools; in addition to that, the citizens of Gdaiisk were sometimes sent to Tonm or Starogard to learn Polish. They studied at several (at least two) universities. The most popular universities were those of Wittenberg, Altdorf, Königsberg, Frankfurt a.d. Oder, Heidelberg, Rostock, Marburg, Cracow, Leiden, Jena, Strasburg, or Leipzig; the universities in Padua, Oxford, Montpellier, or Basel were attended less frequently. Thus, the scholars linked with academic grammar schools in Royal Prussia were well-educated and highly qualified to lecture. Sometimes, they had studied several subjects, and then they had specialised in one or two in order to obtain a Master's or Doctoral degree. Many of them (those concerned with sciences, natural sciences, and medicine) combined theoretical knowledge with practice. As a rule, professors of theology, law and history, medicine and physics held a doctoral degree, whereas professors of philosophy, rhetoric and poetics, Greek and oriental languages, and mathematics had a master's degree, although there were exceptions to the rule. Jh.].- In: Kwartalnik Historii Nauki i Techniki 3 (1993), p. 4ff.; Marian Pawlak: Studia uniwersyteckie miodziezy ζ Prus Krölewskich w X V I - X V I I I w. [Die Universitätsstudien der Schiiler Königlich Preußens im 1 6 . - 1 8 . Jh.].- Torun: Uniwersytet M. Kopernika 1988, p. 168ff.; Lech Mokrzecki: Das Bildungswesen in Gdansk und seine Beziehungen zur Rostocker Universität ( 1 6 . - 1 8 Jh.).In: Wiss. Zeitschrift der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock 7 (1985), p. 53ff.

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In Royal Prussia, the posts of rectors and professors of grammar schools were quite often offered to young (25-30 years of age) university graduates. They often took their jobs here in spite of the offers coming from the schools of Rostock, Hamburg, Leiden, Wittenberg, or Stockholm. 10 The young scholars had already gained their recognition which then was reinforced by the results of their research performed alongside their work as educators; many of them in due time became fellows of foreign universities and academic societies, and published numerous treatises in periodicals and renowned publishing houses." As has already been said, the scholars in Royal Prussia paid much attention to combining theory and practice, i.e. apart from writing essays, they dealt with constructing various apparatuses, instruments and devices. This can be exemplified by the activities of Paul Pater, professor of mathematics. Among others, he wrote an important treatise about the Caspian Sea; during his lectures he discussed various aspects of architecture, geography, hydrography, and printing technologies. He established the first vocational school of typography, besides he constructed numerous optical and measuring instruments, e.g., for measuring water levels and sea tides. An Elblqg professor, Jakob Woit, was one of the first researchers dealing with theoretical and practical aspects of divers' work in diving bells and suits.12 The achievements of individual professors differed according to the volume, level, and scope of the analyses and observations conducted, yet their major part was highly appreciated in the history of the Polish science of those times, and even in the history of the World's science and technology. 13 The use of Latin as an international language of science facilitated relatively quick and widespread reception and acceptance of their achievements abroad, and introduced these into the world-wide circulation. The high standards represented by the teaching staff and the favourable climate for the development of both teaching and research activities 10

E.g. curriculum vitae of Aegidius Strauch. They were the members of scientific societies in Jena, London, St. Petersburg, Göttingen etc. 12 Marian Pawlak: Dzieje Gimnazjum Elbl^skiego w latach 1535-1772 [Die Geschichte des Elbinger Gymnasiums in den Jahren 1535-1772].- Olsztyn: Pojezierze 1972, p. 148ff.; Stanislaw Salmonowicz: Torunskie Gimnazjum Akademickie w latach 1681-1817 [Das Thorner akademische Gymnasium in den Jahren 1681-1817].- Poznan, Toruii: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1973, p. 305ff.; Lech Mokrzecki: Poczqtki wiedzy ο morzu w dawnej Rzeczypospolitej [Die Anfänge der Meereskunde in der alten Republik].- Wroclaw: Zaktad Narodowy im. Ossolinskich 1983, pp. 149-157. 13 Lech Mokrzecki: Protestant Scholars in Poland in 17th— 18th century. Supranational Importance of their Output in the Field of Exact and Natural Sciences.In: Abstracts of Papers Presented in Scientific Sections. XVIIth International Congress of History of Science. Vol. I.- Berkeley: Univ. Press 1985, p. Qc. 11

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in the towns of Royal Prussia strengthened the natural bond that exists between the two. It seems that the opportunities for improvement of education were perceived in several areas, notably through increasing the number of the subjects taught, acquiring good teachers, improvement of the teaching methods, broadening the curriculum, diversifying the textbooks used, and making some of the institutions more professionally oriented. The achievements of the Gdaήsk Academic Grammar School can, among others, be analysed from the point of view of the standards attained in the preparation of professionals for public administration, judicature, the clergy, trade, shipping, education, and medicine. This is why the process of continuous improvement of the teaching content reflected the tradition of classical education of the Renaissance and the Baroque on the one hand, and the needs of Gdansk as a major political and economic centre of the former Poland, on the other. As has already been mentioned, at the academic grammar schools of Royal Prussia, the selection of obligatory reading material and exercises largely depended on the professors' interests and the expectations of the environment. Hence, so much attention was devoted to issues relating to maritime and port education and economy, as well as to describing lands, seas, and voyages, navigation and shipbuilding, studies of amber, maritime laws of the Hanseatic cities, geographical considerations, etc. 14 Teaching and research curricula would also typically be updated to deal with the contemporary historic issues, such as the Polish-Cossack, or Polish-Swedish wars, the Hundred Year's War, or the reign of particular monarchs. Quite a lot of attention was, of course, given to Antiquity, yet at the same time pupils were taught national and regional history, the process being based on the handbooks of Joachim Pastorius, Jan Schultz-Szulecki, Gottfried Lengnich, Christoph Hartknoch, Georg Daniel Seyler, and others. The teaching content in the academic grammar schools partly converged with the general structure of the curricula of the Polish educational system, exceeding, however, the existing practice. This content, therefore, may be looked upon as an important indicator of the standard of teaching, and the course of the research conducted. The academic achievements of individual professors, resulting from individual or collective research conducted in the 18th century within the emerging scientific societies (e.g. Societas Litteraria, 1720, 14

Wojciech Zientara: Gottfried Lengnich, ein Danziger Historiker in der Zeit der Aufklärung. Vol. I—II.- Torun: Uniwersytet Μ. Kopernika 1995-1997; Lech Mokrzecki: Selected Opinions of Polish Scholars in the Age of Enlightenment on Education, Science and Marine-Related Studies.- In: Educational Thinkers of the Enlightenment and their Influences in Different Countries. Ed. by Dieter Jedan and Fritz Peter Hager.- Murray/Kentucky: State Univ. Press 1987, p. 225.

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and Societas Physicae Experimentalis, 1743), were systematically introduced into the teaching process. This shows both the similarities and the differences between these achievements and those of other types of schools in the former Polish-Lithuanian Commonwealth. More or less formal reforms, inspiring the effectiveness of educational and research works, were influenced by the social orientation of the academic gymnasiums, manifested through their attempts to meet the needs of the Pomeranian burghers, and their simultaneous acceptance of global and national educational trends. The links between the scientific and educational concepts posed signum temporis of the nature of the Pomeranian researchers of the Baroque and the Age of Enlightenment. Maritime issues were becoming an element integrating teaching and research with manufacturing processes. Scholars and scientists wanted their findings to be applied both to teaching and the everyday life of Pomeranians. Ideas on which were the most important areas of knowledge evolved, too; while in the 17th century theology and philosophy, and then legal sciences had been considered most important, the 18th century gave priority to the natural sciences. We may, therefore, talk about continuous progress and diversification of attitudes represented by the professors working for the educational system of Royal Prussia, the system which until the end of the 18th century took a prominent position among the educational institutions of the Polish Kingdom and the Grand Duchy of Lithuania.

Marian Pawlak

Die Geschichte des Elbinger Gymnasiums in den Jahren 1535-1772

Die Vorgeschichte des Gymnasiums in Elbing (Elbing) beginnt im Mittelalter. Anfang des 14. Jahrhunderts wurde an der Kirche St. Nikolai in der Altstadt eine Pfarrschule gegründet. In Quellen aus dem Jahre 1319 wird ein gewisser Everhard als erster Lehrer dieser Schule erwähnt. Die Schule wurde gemeinsam vom Stadtrat und dem Pfarramt der Gemeinde von St. Nikolai unterhalten und verwaltet. 1 Ihr Lehrprogramm entsprach dem anderer städtischer Schulen in den Hansestädten. Die Pfarrschule in Elbing scheint einen guten Ruf genossen zu haben, denn Winrych von Kniprode, der Hochmeister des Deutschen Ordens, übernahm für die Pfarrschule des samländischen Kapitels in Königsberg ihren Lehrplan. 2 Ein Indiz für das hohe Niveau der Elbinger Pfarrschule vermag auch die bedeutende Zahl der Elbinger Studenten zu sein, die an den deutschen und europäischen Universitäten nachzuweisen sind. Seit der Gründung der Stadt (1237) bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts fanden die Namen von 265 Studenten aus Elbing Eingang in die verschiedenen Universitätsmatrikeln. 3 Viele verbrachten ihr Studium an mehreren Universitäten. Die wichtigsten Studienorte waren Leipzig (83), Krakau (60), Wien (44), Prag (21), Rostock und Wittenberg (je 9), Köln (5); aber auch in Padua, Siena, Paris, Orleans, Löwen, Erfurt, Ingolstadt, Greifswald und Frankfurt a.d. Oder immatrikulierten sich Elbinger Studenten. Unter den Städten der ermländischen Diözese sind nur noch aus Danzig mehr Studenten nachzuweisen. Im Jahre 1508 unterbreitete der ermländische Bischof Lukas Watzenrode dem Stadtrat von Elbing und den preußischen Ständen den Vorschlag, eine Universität in der Stadt zu begründen, wobei er sich auf die 1

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Vgl. Michael Gottlieb Fuchs: Beschreibung der Stadt Elbing und ihres Gebietes in topographischer, geschichtlicher und statistischer Hinsicht. Bd. II.- Elbing: Hartmann 1821, S. 24; Max Toeppen: Elbinger Antiquitäten. Ein Beitrag zur Geschichte des städtischen Lebens im Mittelalter.- Danzig: Bertling 1872, S. 128f.; Marian Borzyszkowski: Szkofy diecezji warminskiej od 13. do polowy 16. w. [Die Schulen der ermländischen Diözese vom 13. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts].- In: Studia Warmmskie 2 (1965), S. 33 und 56f. Siehe Edward Carstenn: Geschichte der Hansestadt Elbing.- Elbing: Saunier 1937, S. 169. Borzyszkowski: Szkofy diecezji (Anm. 1), S. 57-62.

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Neugründungen in Wittenberg (1502) und in Frankfurt a.d. Oder (1506) bezog. 4 Watzenrode argumentierte, daß die Gründung einer Universität nicht nur die Kosten senken würde, welche die Bürger für das Studium ihrer Söhne an weit entfernten Universitäten aufbringen müßten, sondern auch einer größeren Zahl von Schulabgängern die Aufnahme eines Studiums ermöglichen würde. Zudem würde eine solche Einrichtung auswärtige Studenten aus der Region und den Nachbarländern nach Elbing ziehen, wodurch der Stadt und ihren Bürgern wirtschaftliche Vorteile erwüchsen. Zur Finanzierung der Universität schlug der Bischof vor, dieser die Dörfer des früheren Klosters der Brigittinnen zu übertragen. Der Vorschlag fand damals jedoch weder im Rat der Stadt, der den Klosterbesitz den Stadtgütern anschließen wollte, noch bei den preußischen Ständen Unterstützung. Einige Jahre später jedoch wurde die Idee einer Hochschulgründung wieder aufgegriffen, als unter dem Einfluß des Humanismus und der Reformation das Interesse der Bürger an einer besseren Ausbildung ihrer Söhne immer weiter gewachsen war. Bereits in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts hatte die Reformation in Elbing wie anderen pommerellischen Städten Einzug gehalten, und mit ihr auch die Bildungsvorstellungen Martin Luthers, der die Fürsten und Stadträte zur Gründung neuer Schulen und zur Verbesserung des Bildungswesens aufgerufen hatte. Die Einführung der Reformation in Elbing verlief ohne Gewalt und mit dem Wunsch, hierfür die Zustimmung des polnischen Königs zu erhalten. Zwischen dem 2. und 6. Februar 1525 kam es zu einer weitgehend friedlichen Erhebung v.a. der Handwerker und Händler gegen den Stadtrat.5 In ihrem Verlauf erzwangen die Bürger den Rücktritt des Bür4

Marian Biskup: Wokol utworzenia uniwersytetu w Elbl^gu w pocz^tku 16. wieku [Rund um die Gründung einer Universität in Elbing am Anfang des 16. Jhs.].- In: W kr?gu stanowych i kulturalnych przeobrazen Europy pötnocnej w 14.-18. wieku [An der Schwelle der ständischen und kulturellen Umwandlung im 14.-18. Jh.]. Hrsg. von Zenon Hubert Nowak.- Toruii: Uniwersytet M. Kopernika 1988, S. 97-115. 5 Vgl. Eugen Gustav Kerstan: Die evangelische Kirche des Stadt- und Landkreises Elbing von der Reformation bis zur Gegenwart. Festschrift des Kirchenkreises Elbing zur Vierhundertjahrfeier der Reformation am 31. Oktober 1917.- Elbing: Wernich 1917; Helene Deppner: Das kirchenpolitische Verhältnis Elbings zum Bischof von Ermland in der Zeit der polnischen Fremdherrschaft (14661772).- In: Elbinger Jahrbuch 11 (1933), S. 121-236; Henryk Zins: Rewolta w Elbl^gu w 1525 r. [Die Revolte in Elbing im Jahr 1525].- In: Zapiski Historyczne 22 (1958), S. 7-50; Stanislaw Waidoch: Pocz^tki reformacji w Elbl^gu i jego regionie [Die Anfänge der Reformation in Elbing und Umgebung].- In: Rocznik Elbl%ski 4 (1969), S. 8-43; Alojzy Szorc: Stanislaw Hozjusz a reformacja w Elbl^gu [Stanislaus Hosius und die Reformation in Elbing].- In: Studia Warmmski 7 (1970), S. 35-80; Marian Pawlak: Reformacja i Kontrreformacja

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germeisters Jakob von Alexwangen und von fünf Ratsherren. Die Bürgermeister Heinrich Fehrmann und Johann von Lohe sowie sieben weitere Ratsherren durften in ihren Ämtern verbleiben, allerdings wurden ihnen fünfzehn Ratsmitglieder von der Bürgerschaft hinzugewählt. Für diesen neu zusammengesetzten Rat wollten die Bürger die Zustimmung des Königs Zygmunt I. erreichen. Sie entsandten deshalb eine Delegation, die im April 1525 vom polnischen König empfangen wurde. Dieser jedoch ließ die Gesandtschaft unter Führung des neuen Bürgermeisters Amandus zunächst verhaften. Nach einigen Tagen dann erlaubte er ihnen die Rückkehr nach Elbing mitsamt einer königlichen Verfügung, wonach in der Stadt Ruhe zu bewahren und der alte Rat wieder in seine Ämter einzusetzen sei. Zugleich erhob der König den vorigen Bürgermeister Alexwangen für seine persönlichen Verdienste im Krieg gegen den Deutschen Orden in den Adelsstand. Der neue Rat jedoch ignorierte den königlichen Befehl und blieb weitere neun Monate an der Regierung, bis Zygmunt I. im Frühjahr 1526 persönlich in die preußische Region kam und schließlich den gestürzten Stadtrat wieder einsetzte. Vom 1. bis zum 16. August 1526 entsandte der König ein Kommission in die Stadt, die die dortigen Verhältnisse neu ordnen sollte. Mit den von dieser Kommission am 13. August im Namen des polnischen Königs erlassenen sog. Zygmunt-Statuten (Statuta Sigismundi) wurde jedoch nicht nur die Stadtordnung reguliert, in ihr wurde auch die Rückkehr zum katholischen Glauben verlangt. Der wiedereingesetzte Stadtrat unter dem Bürgermeister Alexwangen realisierte lediglich jenen Teil der Statuten, der die Stellung des städtischen Patriziats in Elbing sicherte; die gegen die Reformation gerichteten Bestimmungen indes wurden nicht ausgeführt. Vielmehr ließ der Rat die Reformation in Elbing zu, ohne jedoch einen formalen Bruch mit der katholischen Kirche zu vollziehen. Ohne offiziellen Bekenntniswechsel erhielt die neue Konfession somit in der Stadt einen quasi halböffentlichen Status. Unter dem Einfluß des Luthertums nahm sich der Elbinger Stadtrat seit dem Beginn der dreißiger Jahre insbesondere einer Verbesserung des städtischen Schulwesens an. 1531 kam mit einer größeren Gruppe von niederländischen Emigranten Wilhelm van der Voldergraft, genannt Gnapheus, 6 in die Stadt. Diese Fremden, die aus Glaubensgründen aus

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w Elbl^gu w 16.-18. wieku [Reformation und Gegenreformation in Elbing vom 16. bis zum 18. Jahrhundert].- Bydgoszcz: Wydawn. Uczelniane WSP 1994. Marian Pawlak: Gnapheus Wilhelm (wJasciwe nazwisko: van der Voldergraft, 1493-1568), humanista, dziatacz reformacji, rektor Gimnazjum Elbl^skiego [Wilhelm Gnapheus (richtiger Name: von der Voldergraft, 1493 -1568), Humanist, Mitstreiter der Reformation, Rektor des Elbinger Gymnasiums].- In: Stownik Biograficzny Pomorza Nadwislanskiego [Biographisches Lexikon Weichselpommerns; im folgenden: SBPN]. Bd. II.- Hrsg. von Stanislaw Gierszewski.-

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den Niederlanden hatten fliehen müssen, waren von Herzog Albrecht von Preußen und dem Elbinger Rat ins Land geholt worden, um dort am Wiederaufbau der durch den Krieg mit dem Deutschen Orden zerstörten Dörfer mitzuwirken. Gnapheus verfugte über eine fundierte humanistische Bildung und besaß ebenso Erfahrungen als Lehrer. Er hatte die Schule der > Brüder des gemeinsamen Lebens < im heimatlichen Den Haag besucht und anschließend an der Kölner Universität (1511-1512 und 1515-1516) studiert, wo er auch den Magistertitel erworben hatte. In Den Haag hatte Gnapheus als Lehrer und Rektor der Stadtschule gewirkt. Als eifriger Anhänger der Reformation bereits zweimal verhaftet (1523 und 1525), war Gnapheus schließlich gezwungen worden, die Niederlande zu verlassen. In seiner Person kam ein Gelehrter nach Elbing, der nicht nur ein Vorkämpfer des neuen Glaubens war, sondern auch über ansehnliche schulische Erfahrungen verfugte und somit das neue humanistische Bildungsideal zu vermitteln in der Lage war. Seitens des Elbinger Rates waren die Bürgermeister Alexwangen und Nicolaus Friedwald mit der Aufgabe beauftragt worden, sich um den Aufbau einer neuen Schule zu kümmern. Der Königsberger Alexwangen hatte sich nach dem Studium an der Leipziger Universität in den Jahren 1501-1505 in Elbing niedergelassen. Dort gelang ihm als Angehörigem des Patriziats ein rascher Aufstieg: 1511 wurde er Ratsherr, 1518 Burggraf und 1520 schließlich Bürgermeister. 7 Große Bedeutung gewann er in Elbing während des Krieges mit dem Deutschen Orden (1519-1521), in dem er auf der Seite Zygmunts I. stand. Dafür wurde er vom polnischen König mit der schon erwähnten Nobilitierung und der Befreiung von Steuerpflichten sowie mit Belehnungen und Dorfpachten belohnt. Alexwangen war ein gemäßigter Anhänger der Reformation, insbesondere ihres Bildungsprogramms, ordnete seine religiösen Interessen aber stets seinen > ständischen < Interessen, also dem Wohle und der Sicherung des Elbinger Patriziats, unter. Der Rat beschloß, die neue Schule in den Gebäuden des ehemaligen Klosters der Brigittinnen unterzubringen. Das Elbinger Brigittinnenkloster gehörte jedoch zu Danzig, was den Stadtrat zu langwierigen Verhandlungen zwang. Der schließlich erreichte Kontrakt wurde am 4. Oktober 1532 von Zygmunt I. bestätigt; die Klostergebäude gingen damit endlich in den Besitz der Stadt Elbing über. Sie waren allerdings durch den Krieg beschädigt und mußten renoviert sowie für die schulischen Gdansk: Towarzystwo Naukowe 1994, S. 6 7 - 6 9 ; dort findet sich auch eine Bibliographie. 7 Marian Pawlak: Alexwangen Jakub (1485-1552), wöjt, rajca i burmistrz elbl^ski [Jakob Alexwangen ( 1 4 8 5 - 1 5 5 2 ) , Vogt, Ratsherr und Elbinger Bürgermeister].- In: SBPN Bd. I (1992), S. 2 6 - 2 7 ; dort findet sich auch eine Bibliographie.

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Bedürfnisse ausgebaut werden. Diese Arbeiten dauerten nochmal etwa zwei Jahre. In dieser Zeit bereitete Gnapheus als designierter Rektor im Auftrag der Bürgermeister und des Stadtrats das Lehrprogramm der neuen Schule vor und suchte die Lehrer aus. Das erste Kollegium bestand aus dem Wiesbadener Doktor der Medizin Christoph Heyll, Andreas Neander aus Lubau und dem Elbinger Johann Sprengel von Röbem, die beide einen Magistertitel trugen, sowie dem Kantor Johann Donatus. Die relative Größe des Kollegiums und der Bildungsstand der Lehrer zeigen das Bestreben, eine Schule zu gründen, deren Niveau deutlich über dem der bisherigen Pfarrschule lag und auf der die Schüler im Sinne des humanistischen Bildungsprogramms fundierte Kenntnisse in der lateinischen Sprache, der Rhetorik, Dialektik und Poetik erwerben konnten. Hier wie auch im Bereich der Theologie, in welchem auf die Statuten Zygmunts Rücksicht zu nehmen war, sollte die neue Elbinger Schule als akademische Lehranstalt die Jugend auf ein anschließendes Universitätsstudium vorbereiten. Die feierliche Eröffnung der neuen Schule fand am 29. September 1535 statt.8 Es war die zweite Schule dieser Art im polnischen Staat nur das 1519 in Posen (Poznari) durch Bischof Jan Lubrahski begründete und nach ihm > Lubrahski-Akademie < benannte Gymnasium war älter. Für die neue Elbinger Lehranstalt wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts die Bezeichnung Gymnasium geläufig, nachdem sie in frühen Quellen zunächst einfach nur als > Schule< bzw. >scola< bezeichnet wurde. Im 18. Jahrhundert wird sie in Werken ihrer Lehrer und Schüler dann auch als > Elbinger Athen < oder in Anlehnung an den frühmittelalterlichen preußischen Trus als >Truser Athen < gewürdigt. Gegen die Besetzung des Rektorats durch Gnapheus protestierte allerdings der ermländische Bischof Mauritius Ferber. Der Bischof vertrat die Ansicht, daß alle Schulen im Raum seiner Diözese in kirchlicher 8

Als grundlegende Arbeiten seien genannt Leonhard Neubauer: Aus der Geschichte des Elbinger Gymnasiums.- In: Programm des Elbinger Realgymnasiums.· Elbing 1897, S. 1 - 7 5 ; ders.: Beiträge zur älteren Geschichte des Gymnasiums zu Elbing.- In: Programm des Elbinger Realgymnasiums.- Elbing 1899, S. 1 - 3 4 ; ders.: Die inneren Verhältnisse der Schule vom 16. bis 18. Jahrhundert. Beilage zum Programm des Elbinger Realgymnasiums.- Elbing 1897; Edwin Volckmann: Das städtische Gymnasium zu Elbing. Festschrift zur Erinnerung an den Auszug aus dem vom Rat der Stadt 1535/36 gegründeten Gymnasium.- Elbing: Meissner 1882; Fritz Skrey: Aus der Geschichte des Elbinger Gymnasiums 1535-1935.- Elbing: Wernich 1935; Marian Pawlak: Dzieje Gimnazjum Elbl^skiego w latach 1 5 3 5 - 1 7 7 2 [Die Geschichte des Elbinger Gymnasiums in den Jahren 1535-1772].- Olsztyn: Pojezierze 1972; ders.: Ζ dziejöw swietnosci Gimnazjum Elbl^skiego w epoce Odrodzenia i Baroku [Zur Geschichte der Blütezeit des Elbinger Gymnasiums in der Epoche der Renaissance und des Barock].- Gdansk: Wydawn. Morskie 1985.

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Hoheit stehen müßten und daß ohne seine Einwilligung keine neuen Schulen gegründet werden dürften. Der polnische König teilte diese Ansicht. Für den Elbinger Stadtrat bedeutete das ein Problem: er war nicht nur, zumal im Zuge der Reformation, auf ein gutes Verhältnis zum König, sondern ebenso zu den ermländischen Bischöfen angewiesen, die den Vorsitz unter den preußischen Ständen bekleideten. Gnapheus selbst bemühte sich, wahrscheinlich vom Stadtrat dazu ermutigt, auf dem typisch humanistischen Weg der gelehrten Kommunikation gute Kontakte zu Ferbers Nachfolger auf dem ermländischen Bischofsstuhl, dem selbst als Dichter hervortretenden Johannes Dantiscus, herzustellen. Mit literarischen Mitteln warb Gnapheus für das Gymnasium während des preußischen Reichstags und anläßlich der Durchreise von Herzog Albrecht durch Elbing, als dieser zu beiden Anlässen in der Stadt Theaterauffuhrungen veranstaltete. Der neue Bischof Dantiscus versuchte vergeblich, den Niederländer zu einer Rückkehr zum Katholizismus zu bewegen; Gnapheus zeigte sich dazu nicht bereit. Daraufhin richtete sich Dantiscus an den polnischen König, daß er den Schulrektor aus Elbing ausweisen möge, da dieser ein gefahrlicher Verbreiter der Reformation sei und damit gegen die Statuten Zymgunts verstoße. Dantiscus warf ihm u.a. vor, das kirchliche Gelübde - Gnapheus war einst als katholischer Priester geweiht worden - durch seine Eheschließung in Elbing gebrochen zu haben. Trotz starker Fürsprache aus Danzig und Elbing mußte Gnapheus 1541 auf Befehl des Königs die Stadt schließlich verlassen. 9 Er wandte sich nach Königsberg, wo er auf die Hilfe Herzog Albrechts hoffte. Der Streit um das Elbinger Gymnasium wurde noch heftiger gefuhrt, nachdem Stanislaw Hosius am 11. Mai 1551 das Amt des ermländischen Bischofs übernommen hatte. Er war eine der wichtigsten Gestalten der Gegenreformation in Polen und in Europa überhaupt. Hosius bemühte sich in seiner gesamten Diözese - und eben auch in Elbing - um die Durchführung der Rekatholisierung. Der Stadtrat mußte das Mitspracherecht des Bischofs für das Gymnasium anerkennen. Und so gab es dort ab September 1551 zwei Rektoren: den Magister Marek, den der Stadtrat ernannt hatte, und den vom Bischof eingesetzten Magister Mikolaj Gelasinus (Smieszkowic). Hosius schickte mehrere Söhne aus dem polnischen Adel - 20 von ihnen sogar auf eigene Kosten - an das Elbinger Gymnasium, darunter auch Verwandte einflußreicher Minister (wie Rafal Mstowski, Verwandter des Unterkanzlers Jan Ocieski) und Senatoren (die Gebrüder Andrzej und Erazm Barzy (Barz), Vetter des Krakauer Wojewoden Piotr Kmita). 9

Jözef Lassota: Wilhelm Gnapheus ( 1 4 9 3 - 1 5 6 8 ) , twörca elbl^skiego gimnazjum, dramaturg i reformator [Wilhelm Gnapheus ( 1 4 9 3 - 1 5 6 8 ) , Gründer des Elbinger Gymnasiums, Dramaturg und Reformer].- In: Rocznik Elbl^ski 2 (1963), S. 48f.

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Die Zusammenarbeit der beiden Rektoren führte erwartungsgemäß zu Konflikten, die erst mit der Amtsniederlegung von Gelasinus im April 1553 beigelegt wurden. Er hatte das Rektorat v.a. in dem Ansinnen übernommen, sich beim Bischof für ein höheres Amt zu empfehlen. Als sich diese Hoffnung zerschlug, nahm er ein Angebot des polnischen Unterkanzlers Ocieski an und begleitete dessen Neffen auf seiner Reise durch Italien. 10 Hosius mischte sich auch künftig in die Geschicke des Gymnasiums ein. So erzwang er etwa im Jahre 1557 die Entlassung des neu eingesetzten, aus Bautzen stammenden Rektors Johann Hoppe, als dieser sich allzu eifrig für die Verbreitung des Luthertums einsetzte. 11 Gleichzeitig bemühte sich der Bischof nach eigenen Vorstellungen um die Verbesserung des Schulwesens in seiner Diözese und in ganz Polen. 1563 holte er die Jesuiten ins Ermland, die im darauffolgenden Jahr ein Kollegium in Braunsberg (Braniewo) eröffneten. 12 Der Elbinger Stadtrat versuchte intensiv, vom polnischen König eine Bestätigung seiner Verfügungsgewalt über das Gymnasium zu erhalten, und tatsächlich erreichte er ein entsprechendes Privileg Zygmunt II. Augusts am 11. Mai 1558 unter dem Vorbehalt, daß alle anderen Elbinger Schulen den ermländischen Bischöfen unterständen. 13 Der Erlaß des Toleranzprivilegs am 22. Dezember 1558 festigte den Einfluß des Stadtrates auf das Gymnasium dann noch stärker.14 Zwar gewährte der König zunächst nur für ein Jahr lutherische Glaubensfreiheit gemäß der Augsburger Konfession, doch das Privileg wurde von seinen Nachfolgern immer wieder bestätigt und galt schließlich bis zum Ende der Zugehörigkeit Elbings zu Polen. Der Stadtrat achtete seinerseits dem Abkommen gemäß stets darauf, daß am Gymnasium die lutherische Lehre im Rahmen der Confessio Augustana Bestand hatte. Andererseits schützte der Rat das Gymnasium vor der Einmischung der ermländischen Bischöfe und des Elbinger lutherischen Klerus, der gegen manche Rektoren (Johann Mylius, Christian Jakob Koitsch) vorzugehen versuchte, die er der Abweichung vom orthodoxen Luthertum 10

Henryk Barycz: Mikolaj Gelasinus.- In: Ziemia Czerwienska 1 (1935), H. 2, S. 175-200. 11 Vgl. Schwarz: Johann Hoppe.- In: Altpreußische Biographie. Hrsg. von Christian Krollmann u.a. Bd. I-V.- Marburg/Lahn: Elwert 1936-2000, Bd. I, S. 288; Kazimierz Kubik: Hoppe Jan.- In: Polski Stownik Biograficzny [Polnisches Biographisches Wörterbuch]. Bd. IX.- Krakow: Zaklad Narodowy im. Ossolinskich 1960-1961, S. 608; SBPN Bd. II (1994), S. 222. 12 Stanislaw Achremczyk und Alojzy Szorc: Braniewo [Braunsberg].- Olsztyn: Osrodek Badan Naukowych im. W. K?trzyfiskiego 1995, S. 163-180, bibliographischer Nachweis S. 316-324. 13 Pawlak: Reformacja i Kontrreformacja (Anm. 5), S. 36. 14 Witold Szczuczko: Przywileje krölow polskich dla Elbl^ga [Die königlich polnischen Privilegien fur Elbing].- Gdansk: Wydawn. Morskie 1991, S. 54f.

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verdächtigte. Der Rat verbot die in Predigten und zu anderen öffentlichen Anlässen angebrachte Kritik an Rektoren, verfasste aber auch entsprechende Disziplinargesetze für die Lehrer und die Jugend. Die Teilnahme des Rates an den Schulfeiern des Gymnasiums steigerte dessen Ansehen und unterstrich die Sorge der Stadtregierung um die Erziehung der Elbinger Jugend. Das Gebäude des ehemaligen Brigittinnenklosters, das auf dem Platz des 1454 abgerissenen Schlosses des Deutschen Ordens stand, erwies sich bald als zu klein für die neue Schule und für den Schulbetrieb wenig geeignet. Der Rat beschloß deshalb am 12. März 1599, das Gebäude abtragen und ein neues bauen zu lassen. Den Neubau überwachten die Bürgermeister Georg Braun, Albert Isendorf und Johann Sprengel gemeinsam mit dem Kämmerer Morenberg und dem Ratsherrn Wieder. Das neue Schulgebäude besaß separate Räume für alle Klassen, zwei Auditorien, einen Bibliothekssaal von 100 Quadratmetern, eine Wohnung für den Rektor und eine Burse (24 Dreipersonenzimmer im zweiten Stock). Es wurde vom Rat mit Möbeln, Geräten und im Jahre 1602 mit einer Büchersammlung ausgestattet; auch in der Folgezeit, insbesondere im 18. Jahrhundert, unterstützte der Rat immer wieder das Gymnasium, u.a. beim Kauf wissenschaftlicher Hilfsmittel. 15 Die feierliche Einweihung des neuen Gebäudes und dessen Übergabe an das Gymnasium fand am 20. November 1599 statt. Dieser Tag wurde seitdem in der Geschichte des Gymnasiums alljährlich feierlich begangen. Fast drei Jahrhunderte blieb das Elbinger Gymnasium in diesem Gebäude. Es wurde 1745 und 1808 (nachdem es durch seine Verwendung als ein französisches Militärkrankenhaus beschädigt worden war) grundlegend renoviert. Erst im Jahre 1882 zog das Elbinger Gymnasium in ein neues, größeres Gebäude um. 16 Das Gymnasium blieb bis zu seiner Verstaatlichung am 1. Januar 1847 eine städtische Einrichtung. Die Stadt trug die Kosten für den Unterhalt des Gymnasiums: Lehrerbesoldungen und -pensionen, die laufenden Renovierungen des Gebäudes, Brennmaterial, Unterstützung für arme Schüler und für die Bibliothek, Vergütungen für die Schuldrucke und seit 1728 auch für den Thesendruck zugunsten der Primaner etc. Die Eltern und Vormunde hatten lediglich den vom Rektor oder den Lehrern durchgeführten Privatunterricht der Schüler zu bezahlen. Allerdings verschlechterte sich nach dem polnisch-schwedischen Krieg, der zu Zerstörungen in der Stadt geführt hatte, die wirtschaftliche Lage Elbings. Der Rat sah sich nun gezwungen, die Eltern mit der Einführung einer Gebührenpflicht für eine Unterrichtsstunde pro Tag zu belasten. 15

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Neubauer: Die inneren Verhältnisse (Anm. 8), S. 38; Karl Hauke und Horst Stobbe: Die Baugeschichte und die Baudenkmäler der Stadt Elbing.- Stuttgart: Kohlhammer 1964, S. 171 f. Pawlak: Ζ dziejow swietnosci (Anm. 8), S. 16.

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Die Aufsicht und Verwaltung des Gymnasiums oblag im Auftrag des Stadtrates den Scholarchen, ein Amt, das einer der Bürgermeister unter dem Titel >Protoscholarch< sowie zwei Ratsherren innehatten. Oft fungierte der regierende erste Bürgermeister zugleich als Protoscholarch. Die höheren Stadtämter, darunter auch das Scholarchenamt, wurden jeweils während der sogenannten Kür am Tag der Verleihung der Stadtämter aufgetragen, welche am dritten Sonntag vor Ostern stattfand. Die Scholarchen überwachten den Zustand des Gebäudes, die Einhaltung der inneren und äußeren Ordnung sowie die Finanzen. Sie stellten die Rektoren und die Lehrer ein und entließen sie. Sie genehmigten Lehrprogramme und Schulordnungen, visitierten Unterricht und Prüfungen und nahmen an Schulfeiern teil. Der Protoscholarch informierte den Stadtrat nach jeder Schulfeier und nach den Prüfungen über den Wissensstand der Schüler und über die Arbeit der Lehrer. Die Scholarchen vergaben auch Stipendien an die Absolventen des Gymnasiums, die ein universitäres Studium aufnehmen wollten. Nach ihrer Rückkehr von den auswärtigen Universitäten mußten die Stipendiaten dann eine Prüfung vor den Scholarchen ablegen, insbesondere wenn sie im Dienst der Stadt als Seelsorger, Lehrer, Arzt oder in der Stadtverwaltung arbeiten wollten; diese Prüfung wurde ihnen nur erlassen, wenn sie einen Studienabschluß nachweisen konnten. Den Scholarchen oblag auch die Kontrolle der Rechtgläubigkeit der Rektoren im Sinne der Augsburger Konfession. Der Einfluß der Scholarchen auf die Tätigkeit und Entwicklung des Gymnasiums war somit beachtlich - sie entschieden letztlich über das Bildungsniveau und die pädagogischen Grundlagen der Schule. Die gewählten Scholarchen besaßen in der Regel selbst eine universitäre Ausbildung, die sie an Hochschulen in Deutschland, Italien und den Niederlanden erworben hatten. Zahlreiche von ihnen waren deshalb auch mit der jeweils aktuellen europäischen Bildungssituation bestens vertraut und versuchten insbesondere auf dem Gebiet der Pädagogik, das Elbinger Gymnasium danach auszurichten. Bemerkenswerter Höhepunkt dieser Bemühungen ist die Anstellung von Johann Arnos Comenius durch den Bürgermeister Johann Coy im Jahre 1644.17 Der Rektor, der Konrektor und die Lehrerschaft befanden sich somit in Abhängigkeit von den Vorgaben, Entscheidungen und Einflußnahmen des Stadtrates bzw. der von diesem eingesetzten Scholarchen. Wie allerorten war auch in Elbing der Rektor die entscheidende Figur, dessen Befähigung, Erfahrung und Engagement eine wesentliche Rolle für das Gedeihen der Schule spielte. Er war es, der die Lehrprogramme und die Schulordnungen ausarbeitete und sie nach der Genehmigung durch 17

Albert Reusch: Johann Arnos Comenius in Elbing.- In: Altpreußische Monatsschrift 14 (1877), S. 47-50; Lukasz Kurdybacha: Dziatalnosc Jana Amosa Komenskiego w Polsce [Das Wirken des Johann Arnos Comenius in Polen].Warszawa: Panstwowe Zakt. Wydawn. Szkolnych 1957, S. 174.

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die Scholarchen in der Schule umzusetzen hatte. Neben seinen regulären Unterrichtsaufgaben hielt er sonntags den Nachmittagsgottesdienst für die Schüler in der Marienkirche; außerdem gestaltete und vollzog er die Prüfungen und Schulfeiern. Er war zugleich Leiter der Burse und Bibliothekar. Der Stadtrat war deshalb bestrebt, anerkannte und bedeutende Gelehrte wie Gnapheus, Thomas Rotus, Joachim Pastorius, Michael Placotomus, Johannes Sartorius und Georg Daniel Seyler für dieses Amt zu gewinnen, oder zumindest, wenn es an entsprechenden Bewerbern fehlte, einen erfahrenen Lehrer wie Johann Mylius, Jakob Börger, Ernst König, Christian Jakob Koitsch oder Johann Lange damit zu betrauen. Viele Rektoren allerdings gaben das Elbinger Schulamt bald wieder auf, um in andere, besser bezahlte und angesehenere Dienste einzutreten, etwa als Leibarzt (wie Christoph Heyll bei den Herzögen von Pommern, Andreas Aurifaber und Valerius Fidler bei Herzog Albrecht von Preußen), in der städtischen Administration (wie Johann Sprengel und Peter Himmelreich) oder an anderen und besser ausgestatteten Schulen (Peter Siccus in Brieg, Christoph Ortlob in Thorn, oder Joachim Pastorius als Professor in Danzig). Andere Rektoren wurden ihres Amtes enthoben, was allerdings vor allem während der geschilderten Anfangsphase unter Einfluß der ermländischen Bischöfe geschah. In dem stattlichen gymnasialen Kollegium standen dem Rektor ein Konrektor, zwei Professoren, der Kantor, sechs bis sieben Lehrer für die verschiedenen Klassen und Fächer und ein Kalligraphielehrer zur Seite. Der Rektor, der Konrektor und die beiden Professoren lehrten in den zwei oberen Klassen (Secunda und Prima). Der Rektor übernahm dabei mit dem Theologieunterricht das wichtigste Fach, die übrigen waren unter Berücksichtung ihrer eigenen akademischen Ausbildung - zuständig für die Fächer Philosophie, Jura, Geschichte und Sprachen (Latein, Griechisch, Hebräisch und andere). 18 Der Kantor, in der Schulhierarchie den Professoren folgend, war für den Unterricht in der Tertia verantwortlich; er leitete den Schulchor und - so vorhanden - das Orchester und hielt außerdem in den oberen Klassen den Katechismus-Unterricht ab. Der Auftritt des Schulchores begleitete fast jede gymnasiale, städtische und kirchliche Feier; insbesondere die Teilnahme an Begräbnissen gehörte zum Pflichtprogramm. Der Kantor stand deshalb in enger Verbindung mit dem Pfarrer und dem Organisten der Pfarrgemeinde St. Marien. Die zahlreichen inner- und außerschulischen Verpflichtungen, die vom Kantor zu erfüllen waren, machten das zusätzliche Amt des sogenannten Prokantoren erforderlich, das zumeist von Lehrern der untersten Klassen ausgeübt wurde. 19 18 19

Pawlak: Dzieje Gimnazjum (Anm. 8), S. 56-70. Gottfried Zamehl: Collectanea de Gymnasio Elb., eoque Rectoribus ex Scholari Godofredi F.F. Zamelii studio, Archiwum Panstwowe w Gdansku (Staatsarchiv Danzig; im folgenden AP Gdansk): III 255/971; Johann Lange: Gesammelte

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Die größte und zugleich am schlechtesten bezahlte Gruppe im Kollegium bildeten die sogenannten >collegae Landeskinder < mit universitären Abschlüssen bekleideten in der Regel die bedeutenderen öffentlichen Ämter. Im kirchlichen und ebenso im schulischen Bereich war man auch in Elbing im 16. Jahrhundert darauf angewiesen, Auswärtige anzuwerben, insbesondere aus Schlesien, der Lausitz, Sachsen und dem westlichen Pommern, um die freien Stellen besetzen zu können. Die große Zahl attraktiverer Stellen in Preußen und anderen Territorien trug indes im Blick auf das Elbinger Gymnasium zu einer andauernden Fluktuation im Kollegium während des gesamten 16. Jahrhunderts bei. Nicht selten wirkten Lehrer nur für wenige Monate an der Schule. 1548 wurde das Rektorat sogar einem Wanderhumanisten anvertraut: Nicolaus Wimmann, der nach dem Studium in Wien, Tübingen und Ingolstadt eine mehrjährige Reise durch Mitteleuropa machte, während der er sich durch das Unterrichten an Schulen seine weitere Bildungsreise finanzierte. Erst im 17. Jahrhundert stabilisierte sich die per22

Pawlak: Nauczyciele Gimnazjum (Anm. 19), Teil 2, S. 154 und 170.

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sonelle Situation am Elbinger Gymnasium, als es allmählich einfacher wurde, Preußen - zumeist Königsberger Absolventen - nach Elbing zu ziehen. Jetzt fanden sich auch immer mehr Elbinger unter den Lehrern. Allerdings ist diese Stabilisierung nur unter den Rektoren, Konrektoren und Professoren festzustellen, von denen nun nicht wenige bis zu ihrem Tod im Amt verblieben. Viele der schlechter besoldeten Kantoren und Collega verließen dagegen nach wie vor die Schule, sobald sich ihnen besser bezahlte Stellen anboten. Nur wenige Collega blieben über mehrere Jahrzehnte an der Schule, mitunter bis zur Pensionierung oder sogar bis zum Tod, wie z.B. Johann Harnack für 38 Jahre (1695-1733), Georg Kopka für 28 Jahre (1738-1766), David Krüger für 46 Jahre (1628-1674), Georg Leichert für 34 Jahre (1687-1723) und Sigmund Pölcke für immerhin 20 Jahre (1737-1757). Entlassungen waren im 17. und 18. Jahrhundert nur noch sehr selten die Ursache von Veränderungen im Kollegium. Sie geschahen dann zumeist aus Gründen mangelnder Disziplin und Vorbildhaftigkeit, wie etwa im Falle des Kalligraphen Michael Bugges, der 1675 wegen unmoralischer Lebensführung entlassen wurde, und bei Johann Christoph Linck, Lehrer der Quarta und Pastoratsanwärter, der im Jahre 1755 aufgrund häufigen unentschuldigten Fehlens gehen mußte. Von der Gründung des Gymnasiums bis zur Besetzung Elbings durch Preußen lassen sich insgesamt 210 Personen nachweisen, die am städtischen Gymnasium tätig gewesen sind. Darunter befanden sich 31 Rektoren, 12 Konrektoren, 48 Professoren und 22 Kantoren; die größte Zahl bildeten naturgemäß die Lehrer der unteren Klassen. Weil für das Gymnasium die Augsburger Konfession verpflichtend war, achtete man auch bei seinen Rektoren und Lehrern darauf, daß sie dem lutherischen Glauben angehörten, in dessen Sinne die Schule ihre Zöglinge erziehen sollte. Lediglich in der Zeit vor 1558 wirkte zweimal ein katholischer Rektor in Elbing: 1548 der Schweizer Wimmann und 1551 der von Hosius eingesetzte Gelasinus, ein gebürtiger Pole. Der Stadtrat ließ es allerdings durchaus geschehen, daß auch Lehrer zwar protestantischen, jedoch nicht der Augsburger Konfession entsprechenden Glaubens an das Gymnasium kamen, wie etwa die niederländischen Glaubensflüchtlinge Gnapheus und Dathenus, die Böhmen Mylius und Comenius, der Ungar Sartorius oder der Danziger Nicolai und der Königsberger Siccus. Die Rektoren und Lehrer des Elbinger Gymnasiums waren von unterschiedlichster Herkunft: sie stammten aus Lehrer-, Pastoren-, Beamten-, Handwerker- und Bauersfamilien; manche kamen aus den ärmsten städtischen Schichten, wie etwa Johann Urinus, Professor und Konrektor in den Jahren 1686-1719: er war der uneheliche Sohn eines Königsberger Dienstmädchens und eines adeligen Studenten. Die Patriziersöhne arbeiteten quasi lediglich ihre Stipendien ab und wechselten dann in standes-

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gemäße städtische Ämter. Die Vergütung der Lehrer setzte sich aus einem aus der Stadtkasse gezahlten Gehalt sowie aus Naturalien (Getreide, Fisch, Fleisch, Geflügel, Bier, Brennmaterial) zusammen; außerdem besaßen sie bestimmte Vorrechte, etwa das des mietfreien Wohnens, des Weidens ihres Viehs auf den städtischen Gemeinwiesen, der ärztlichen Versorgung etc., die ihnen finanzielle Vorteile schafften. Sie waren zudem von der Zinspflicht, vom Wachdienst und anderen Bürgerpflichten freigestellt. Das von der Stadt gezahlte reguläre Gehalt ergänzten viele Lehrer durch Privatstunden. Ein Beispiel aus der Zeit des Rektorats von Mylius demonstriert die Höhe der Vergütung der Elbinger Lehrer. Der Rektor erhielt pro Jahr 200 Mark in bar, 40 Scheffel Getreide, 3 Stangen Brennholz, Bier für den Privatgebrauch - gebraut allerdings auf seine Kosten aus dem vom Heilig-Geist-Krankenhaus gelieferten Malz - , das Recht, das Vieh auf den Stadtwiesen zu mästen, mietfreie Wohnung im Gymnasialgebäude und Betreuung durch den Stadtarzt. Sein Vertreter Konrektor Balthasar Fellgiebel bekam 87 Mark ausgehändigt, die Professoren zwischen 60 und 80 Mark, die Kollegen zwischen 30 und 40 Mark. Auch ihre in Naturalien bezahlten Anteile differierten entsprechend. Sofern die Kassen das Gehalt regelmäßig auszahlten und die Naturalien ausreichend geliefert wurden, war das Lehrerleben in Elbing durchaus annehmbar und mit der Situation anderer städtischer Bediensteter vergleichbar. Problematische Engpässe entstanden jeweils während der Zeit der schwedischpolnischen Kriege und der Annexion der Stadtgüter durch Preußen: die verschuldete Stadt geriet mit ihren Lohnzahlungen in Rückstand und die Lehrer drohten zu verarmen. 23 Das Elbinger Gymnasium war als eine humanistische Lehranstalt begründet worden, für die - wie allerorten im protestantisch-städtischen Raum - das Straßburger Gymnasium Johann Sturms das Vorbild abgab. Die genauen Umstände, durch welche das Sturmsche Modell hier wirksam wurde, sind allerdings weitgehend unbekannt. Den humanistischen Bildungsanspruch der Elbinger Einrichtung bezeugt bereits ihre personelle Ausstattung mit vier akademisch qualifizierten Lehrern und einem Kantor. Daß der Schule auch der Unterricht jüngerer Schüler vom Stadtrat überantwortet wurde, resultierte womöglich als Kompromiß aus den Konflikten mit den ermländischen Bischöfen. Das Gymnasium bestand aus sieben Klassen. Der Rektor Mylius trug in die Matrikel am 18. Mai 1598 alle Schüler dieser sieben Klassen ein, welche er von I (die höchste Klasse) bis VII nummerierte - exklusive 23

Rachunki Innenkämmereramtu ζ 1600 r. i innych lat [Die Rechnung des Stadtkämmereramtes aus dem Jahr 1600 und folgender Jahre], S. 186, AP Gdansk: III/144; Neubauer: Aus der Geschichte (Anm. 8), S. 28; vgl. ders.: Beiträge zur älteren Geschichte (Anm. 8), S. 21 und ders.: Die inneren Verhältnisse (Anm. 8), S. 65.

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der beiden vorbereitenden Klassen > Germanica superiore< und > Germanica inferiore Encaniae< genannt, der Tag des Hl. Gregorius, des Schutzpatrons der Schüler, das Ende und die Eröffnung des Schuljahres) und schließlich auch die Jahrmärkte etc. Insgesamt waren etwa 60 bis 70 Tage ihm Jahr unterrichtsfrei. Weitere freie Tage brachte die obligatorische Teilnahme des Gymnasiums an den Begräbnisfeiern von Ratsmitgliedern und deren Frauen, von Pastoren, Lehrern und anderen. Lange errechnete die Teilnahme des Gymnasiums an 627 Bestattungsfeiern während seiner Rektoratszeit (1745-1771), demnach durchschnittlich 23 pro Jahr - und beklagte diesen Umstand als empfindliche Störung des Lehrprogramms. Der Stadtrat gab ihm Recht und schränkte die Inanspruchnahme des Gymnasiums bei Begräbnissen ein, wobei er jedoch den Bitten der Familien stattgab, die um eine Beteiligung der Schüler am Trauerzug baten. 24 Als wichtigste Motivation der einstigen Schulgründung hatte die Verbesserung der Zugänglichkeit und der Qualität der Bildung gerade für die Söhne der Stadt gegolten. Der Rektor Gnapheus bemühte sich darüber hinaus, die neue Elbinger Schule in ganz Preußen und Polen bekannt zu machen. Als Schüler konnte er beispielsweise Mikolaj Firlej, später Wojewode von Lublin, als auch Söhne von preußischen Adeligen gewinnen, sogar das Danziger und Königsberger Bürgertum gehörte zu seinem Einzugskreis. 25 Gnapheus führte offenbar keine Matrikel, weswegen für diese Anfangszeit keine umfassenden Daten zur regionalen Herkunft erhoben werden können, doch in den ersten Jahren seines Bestehens war das Elbinger Gymnasium tatsächlich die einzige höhere Schule dieser Art in Preußen und Polen und dürfte eine entprechende Schülerschaft beherbergt haben. Die Gründungen der Universität in Königsberg (1544), der Gymnasien in Danzig (1558), Braunsberg (1564) und Thorn (1568) trug demnach sicherlich auch zum Verlust auswärtiger Schüler in Elbing bei. Genauere Kenntnisse von der geographischen, ethnischen und sozialen Herkunft sowie des Alters der Schüler etc. lassen sich erst ab dem Jahr 1598 gewinnen, als der Rektor Mylius mit der Anlage der Matrikel begann, die im Anschluß bis 1786 von seinen Nachfolgern fortgeführt 24

25

Lange: Gesammelte Nachrichten (Anm. 19), Bl. 178/350; Pawlak: Dzieje Gimnazjum (Anm. 8), S. 170-199. Lassota: Wilhelm Gnapheus (Anm. 9), S. 45f.; wichtige Zöglinge von Gnapheus waren Mikolaj Firlej, Wojewode von Lublin und Führer der Andersgläubigen; Michael Friedwald, gebürtiger Elbinger, Jurist, Prokurator der Könige Zygmunt August und Stefan Batory; Georg Kleefeld, Danziger Bürgermeister; Johann von Lohe, Bürgermeister von Königsberg, Waclaw Schach von Wittenau, Kanzler des Herzogtums Preußen; Alexander Suchten aus Danzig, ein bekannter Arzt, Chemiker und Poet.

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wurde. 26 Mylius selbst hat während seiner Amtszeit (1598-1629) im Gymnasium 4141 Schüler aufgenommen. Insgesamt sind in die Elbinger Matrikel 11.493 Schüler eingetragen, davon 11.141 bis zum Jahre 1772, dem Ende der Zugehörigkeit Elbings zu Polen. Mylius hatte am Gymnasium bereits 264 immatrikulierte Schüler vorgefunden (11 in der ersten Klasse, 10 in der zweiten, 13 in der dritten, 25 in der vierten, 30 in der fünften, 36 in der sechsten, 58 in der siebten, in der Germanica superiore 51 und in der Germanica inferiore 30). In den nächsten nahezu zwei Jahrhunderten notierten dann die Rektoren jede Neuaufnahme, während die Zahl der versetzten Schüler wie auch die Größe der einzelnen Klassen leider unbekannt bleiben. Die meisten Schüler, nämlich 184, nahm Mylius im Jahre 1621 auf, die wenigsten, ganze 65, im Jahre 1627, als die Schweden mit der Besetzung Elbings begannen; durchschnittlich waren es bei ihm etwa 140 pro Jahr. Die nachfolgenden Rektoren nahmen wesentlich weniger Schüler auf: in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zwischen 40 und 90 jährlich, im 18. Jahrhundert zwischen 101 im Jahre 1707 bis zu 12 im Jahre 1771. Die Entwicklung der Schülerzahlen wurde von vielen Faktoren beeinflußt, und die jeweilige wirtschaftliche, politische und demographische Situation Elbings und Preußens spiegeln sich in ihr wider. Die höchste Frequenz ist in den ersten Jahren des Dreißigjährigen Krieges festzustellen, da Elbing, wie auch andere preußische Städte, von den Kriegsereignissen verschont blieb; gleichfalls erlebte die Stadt eine wirtschaftliche Blüte, die durch die Handelstätigkeit der in Elbing ansässigen englischen > Eastland Company< befördert wurde. 27 Im Verlaufe der langjährigen schwedischen Besatzungen in den Jahren 1626-1635, wie auch 1655-1660 und 1703-1710, sanken die Schülerzahlen jedoch, erheblich katalysiert durch die in diesen Jahren wütenden Epidemien: 1629 starben etwa 4000 Menschen, 1656-1660 sogar 10.000, 1709-1710 ca. 3000. Durch die schwedischen Kriege wie auch durch den Kampf um den Thron zwischen August III. und Stanislaw Leszczyhski im Jahre 1734, den Siebenjährigen Krieg (1756-1763) und die Konföderation von Bar (1768-1771) kam es zudem zu enormen wirtschaftlichen Rückschlägen. 26

27

Die Matrikel des Gymnasiums zu Elbing (1598-1786). Hrsg. von Hugo Abs.Danzig: Danziger Verlagsgesellschaft 1936 (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens; 19). Henryk Zins: Przywilej Elzbiety I ζ 1579 r. dla angielskiej Kotnpanii Wschodniej [Die Privilegien Elisabeths I. aus dem Jahr 1579 für die englische Ostkompanie].- In: Rocznik Elbl^ski 3 (1965), S. 71-104; ders.: Anglia a Battyk w drugiej potowie XVI wieku. Baltycki handel kupcöw angielskich ζ Polsk^ w epoce elzbietowskiej i kompania wschodnia [England und das Baltikum in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. Der Ostseehandel englischer Kaufleute in der elisabethanischen Epoche und die Ostkompanie].- Wroclaw: Zaklad Narodowy im. Ossolmskich 1967.

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Während der Amtszeit des Rektors Mylius zählte das Gymnasium durchschnittlich also etwa 350 Schüler; unter seinen Nachfolgern sank die Zahl auf etwa 200 in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und schließlich auf etwa 100 im 18. Jahrhundert. Die Größe der einzelnen Klassen war selbstverständlich von der gesamten Schülerzahl abhängig. Am stärksten frequentiert waren immer die untersten Klassen: die Germanica wie die Septima und Sexta. Nach dem Abschluß dieser Klassen ging ein Teil der Schüler ab, um handwerkliche Berufe aufzunehmen. Nach der Quarta und Tertia sind ebenfalls größere Abgänge festzustellen; diese Schüler wandten sich in der Regel kaufmännischen Berufen zu, fur die umfassendere Kenntnisse vonnöten waren. Die beiden oberen Klassen besuchten hingegen nur diejenigen, die sich auf ein universitäres Studium vorbereiten wollten. In diese Klassen wurden auch Schüler aufgenommen, die zuvor andere Institutionen in Preußen besucht hatten, in der eine solche Spezialisierung der schulischen Ausbildung nicht angeboten wurde. Die Schülerlisten der Prima aus den Jahren 1735-1772 sind erhalten geblieben: In diese Klasse rückten insgesamt 221 Schüler auf - nur in den Jahren 1764 und 1770 wurde kein einziger Schüler versetzt - , außerdem wurden pro Jahr durchschnittlich sechs Schüler aus anderen Schulen aufgenommen. 28 Die Anzahl der Schüler in diesen höheren Klassen, deren Lehrplan ja auf zwei bis drei Jahre angelegt war, lag somit konstant bei mehr als zehn Schülern. So sehr sich der Stadtrat und die lutherische Kirche seit dem 16. Jahrhundert auch um die Bildung der Jugend bemühten, in Elbing besuchten dennoch nur etwa die Hälfte der Jungen im schulfähigen Alter diese oder andere Schulen. Gleichwohl machten Elbinger etwa 6 5 - 7 0 % der Schülerschaft des Gymnasiums aus. Die nächstgrößere Gruppe bildeten Schüler aus dem übrigen Preußen. Etwa 300 Schüler stammten aus ferneren Gebieten, der größte Teil von ihnen, etwa 8 0 - 8 5 %, kam aus der polnisch-litauischen Republik. Insgesamt trugen die Rektoren in die Matrikel 2045 Schüler (fast 18 %) als >Ausländer< ein: 911 stammten aus dem benachbarten Herzogtum Preußen, 167 aus Westpommern, 98 aus Brandenburg, 96 aus Schlesien, 18 aus Kurland, 8 aus Livland, also den anderen Nachbargebieten Polens; 21 kamen aus Böhmen und Mähren, 60 Schüler aus Ungarn, Siebenbürgen und Zips. Vereinzelt sind auch Schüler aus anderen Teilen des Reiches, aus Sachsen, Österreich, der Pfalz etc. nachzuweisen. Nur sehr selten trugen sich Schüler aus anderen europäischen Staaten in die Matrikel ein, es handelte sich meist um junge Bildungsreisende auf dem Weg nach Königsberg, wie es für zwei französische und jeweils einen Schüler aus Italien, Dänemark und Norwegen gilt. Wiederum zahlreicher waren dagegen die Söhne ausländischer Kaufleute, die mit Elbing und Danzig Handelsbeziehungen un28

Lange: Gesammelte Nachrichten (Anm. 19), Bl. 183/360 und 260/513-273/ 539.

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terhielten und teilweise selbst für längere Zeit dort lebten: so finden sich 142 Engländer und Schotten, 28 Holländer und 8 Belgier in den Matrikeln. Und schließlich gelangten im Zuge der verschiedenen Kriege auch Schweden und Russen nach Elbing: 24 schwedische Schüler und 8 russische lernten am Gymnasium. Die meisten Ausländer besuchten während der Amtsperiode von Mylius das Gymnasium. Die Bevölkerung der polnisch-litauischen Adelsrepublik setzte sich, ebenso wie die der anderen Staaten des damaligen Europa, aus unterschiedlichen Ethnien zusammen. Entsprechend war auch die ethnische Beschaffenheit der gymnasialen Schülerschaft in Elbing ein Spiegel ihrer Zeit. Elbing war im damaligen Polen die Stadt, in welcher der Einfluß deutscher Kultur am stärksten war und somit waren ungefähr 90 % der Gymnasialschüler deutscher Abstammung. Auch aus den anderen Teilen des Heiligen Römischen Reiches und aus Preußen waren es vor allem deutsche Schüler, die das Gymnasium besuchten. Die Zahl der in die Matrikel eingeschriebenen Polen dagegen war gering: Jan Malecki zählte ganze 306 Schüler. 29 Wie schon erwähnt, war das Elbinger Gymnasium für die Bildungsinteressen des städtischen Bürgertums konzipiert; über 90 % der Schülerschaft gehörten dieser Schicht an. In den untersten Klassen waren es die Söhne von Handwerkern, Händlern und Tagelöhnern. Beamte, Kaufleute, Pastoren und Lehrer gewährten ihren Söhnen die Grundbildung zumeist im Elternhaus; für sie begann der Besuch des Gymnasiums erst ab der Septima oder sogar der Sexta. Sie bildeten denn auch die Mehrheit der Schüler in den ältesten Klassen und folglich später auch unter den Studenten aus Elbing. Die Matrikel fuhren die Namen von 311 Söhnen adeliger Familien, davon 308 aus dem polnischen Adel und je einer aus dem kurländischen, dem schwedischen und dem englischen. 525 Schüler stammten aus dem Umland, ihre Eltern waren Bauern, Handwerker (Müller oder Schmiede), Schenkwirte, Dorfbeamte usw. Sie zogen zumeist aus den Elbing zugehörigen Dörfern, aus der Marienburger Wirtschaft und dem benachbarten Herzogtum Preußen in die Stadt. 30 Zwar wurde am Elbinger Gymnasium das Luthertum gelehrt und praktiziert, doch wurden auch Schüler anderer christlicher Konfessionen aufgenommen: Katholiken, die vor allem unter den polnischen und litauischen Adligen zu finden sind (unter ihnen der spätere Bischof von Kulm Kaspar Dzialynski), Reformierte aus Polen, dem Reich, Schottland und Ungarn, aber auch Arianer, Böhmische Brüder, GriechischOrthodoxe und im 18. Jahrhundert dann Mennoniten. An diesen Ver29

30

Jan Maiecki: Mtodziez polska w gimnazjum elbl^skim w X V I - X V I I w. [Die polnische Jugend am Elbinger Gymnasium im 16.-17. Jh.].- In: Rocznik Elbl^ski 3 (1965), S. 5 1 - 6 9 . Abs: Die Matrikel (Anm. 26), S. XXI; Pawlak: Dzieje Gimnazjum (Anm. 8), S. 82-86.

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hältnissen ist wiederum die religiöse Struktur des polnisch-litauischen Staates abzulesen und der Umstand zu konstatieren, daß den Schülern in der Begegnung mit anderen Konfessionen ein Austausch kulturellen Gedankenguts ermöglicht wurde. Wilhelm Gnapheus knüpfte bei der Gestaltung des Elbinger Gymnasiums an die Schulform der > Brüder des gemeinsamen Lebens < an, die er selbst kennengelernt hatte. Auch Philipp Melanchthon kannte diese Schulen; auf ihn geht der Entwurf eines dreiklassigen Gymnasiums zurück. Dort sollten die Schüler die lateinische Grammatik lernen und sich an der Literatur der Antike bilden: an Äsop, Cato, Cicero, Vergil, Terenz, Plautus, aber auch an neueren Autoren wie insbesondere Erasmus von Rotterdam. Eine in Danzig gedruckte Gedichtsammlung von Schülern des Elbinger Gymnasiums und die von Gnapheus geleiteten Theaterauffuhrungen auf dem Markt und in den Straßen der Stadt zeugen von den Fähigkeiten der Schüler in der lateinischen Sprache, Poetik und Rhetorik. 31 Es ist nur schwer festzustellen, ob schon Gnapheus und die übrigen Lehrer Griechisch, Philosophie, Theologie, Medizin und Jura unterrichtet haben, wofür die Mitglieder seines Kollegiums durchaus qualifiziert waren. Dies gilt auch für die nachfolgenden Lehrergenerationen, denen unter anderem mit Dathenus ein Theologe, mit Wimmann ein Gräzist, und mit Aurifaber der Verfasser einer einzigartigen Ordnung für die Danziger Schule aus dem Jahre 1539, die das Unterrichten von Mathematik, Geometrie, Astronomie, antiker Geschichte, Kalligraphie und Epistemographie empfahl, angehörten. Das erste erhaltene Lehrprogramm, vom Rektor Josias Menius aus Danzig fur das Elbinger Gymnasium geschrieben und im Oktober 1563 dem Bürgermeister Michael Helwig vorgelegt, teilte das Gymnasium noch in eine deutsche und eine lateinische Schule. Die Schüler des deutschen Schulsegments sollten das Lesen und Schreiben auf Deutsch aus einer Fibel lernen, deren Autor von Menius nicht angegeben wurde, und sie sollten im Schreiben deutscher Briefe, im Rechnen und in der Religion - wahrscheinlich im Katechismus und im Beten - unterwiesen werden. Die Lateinschule wiederum gliederte Menius in sechs Klassen, in denen Latein, Rhetorik, Dialektik und Poesie unterrichtet werden sollte. In diesem Programm fehlten allerdings noch die weiterführenden akademischen Fächer. Das nächste Lehrprogramm ist nur indirekt durch drei von Mylius am 13. Oktober 1598, am 25. November 1599 und am 2. Mai 1601 gehaltene Reden bekannt. Der Rektor versprach in ihnen, die Jugend solide auf das Studium vorzubereiten; er widersprach aber auch im gleichen Zuge den Versuchen einer Universitätsgründung in Elbing. Zu seinem Programm gehörten bereits die Philosophie und die Theologie, und es wur31

Lassota: Wilhelm Gnapheus (Anm. 9), S. 51-60.

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de wurde von ihm und seinen Nachfolgern stetig weiterentwickelt, indem man vor allem das alte Unterrichtsmaterial durch neue Lehrbücher bekannter Autoren ersetzte, wie beispielsweise das Rhetorik-Lehrbuch des Danzigers Bartholomäus Keckermann. Die Rektoren besaßen große Freiheiten in der Änderung des Lehrprogramms und seiner Anpassung an die eigenen wie die Qualifikationen und Interessen der Professoren. Pastorius etwa sah 1652 deutlich mehr Stunden fur Geschichte und Geographie vor. Diese Fächer hielt er speziell fur geeignet, der Jugend ihre Pflichten gegenüber dem Staat und der Gesellschaft bewußt zu machen. Die schwierige wirtschaftliche Lage Elbings in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert erschwerte schließlich die stetige Aktualisierung und Verbesserung des Lehrplans. Die bis zum Ende des Jahrhunderts gedruckten Programme zeigen allerdings, daß in den beiden oberen Klassen Jurisprudenz gelehrt und den angehenden Theologiestudenten Hebräischunterricht geboten wurde. Unter dem Einfluß der Aufklärung kam es wie allerorten auch in Elbing zu tiefgreifenden Veränderungen im Bereich der Bildung und Pädagogik. Der Geschichtsunterricht erstreckte sich jetzt jenseits der Antike auf die jüngere Geschichte von Deutschland, Polen, dem Königreich Preußen und die deutsche Literaturgeschichte. Im Bereich der Jurisprudenz erhöhte sich die Zahl der Vorlesungen über das Naturrecht, das polnische und das preußische Recht. Die antiken Sprachen bekamen Konkurrenz: dem Polnischunterricht wurde mehr Raum gewährt und der Französischunterricht wurde eingeführt. 32 Einen Aufschwung erlebten die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer, die neben Mathematik und Geometrie nun auch Physik, Astronomie, Meteorologie, Hydrostatik, Architektur und sogar Ballistik umfaßten. Die Einfuhrung dieser zum Teil nur in Privatstunden unterrichteten Fächer ging auf die Anregung des Professors Jakob Woit zurück, der 1727 an das Gymnasium gekommen war. In methodischer Hinsicht dominierte auch am Elbinger Gymnasium ein verbal orientierter Unterricht, der auf dem Auswendiglernen basierte. In den unteren Klassen diente die Lektüre vorwiegend dem Erlernen der Grammatik. In den beiden obersten Klassen wurden die Lektüre und die philologische Kommentierung literarischer und wissenschaftlicher Werke miteinander verbunden. Eine wichtige Rolle im Unterricht der Rhetorik wie auch anderer Fächer erfüllte das Schultheater, indem die während der Vorbereitung und der Aufführung beobachteten Fehler im Unterricht korrigiert wurden. Die Scholarchen achteten bei ihren regelmäßigen Visitationen vor allem auf die Erledigung der schriftlichen 32

Marian Pawlak: Ζ dziejow nauczania j?zyka polskiego w gimnazjum elbl^skim w XVIII w.: dziatalnosc lektora Jana Daniela Hoffmanna [Zur Geschichte des Polnischunterrichts am Elbinger Gymnasium im 18. Jh.: die Tätigkeit des Lektors Johann Daniel Hoffmann].- In: Rocznik Elbl^ski 4 (1969), S. 123-149.

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Hausaufgaben, die zur Festigung des durchgenommenen Stoffes beitragen und die Schreibkunst vervollkommnen sollten. Der selbständigen Formulierung von Aufsätzen in der lateinischen Sprache diente die Teilnahme an Disputationen in den höheren Jahrgangsstufen. Ein Schüler mußte als Opponent an wenigstens zwei > Wortgefechten < teilgenommen haben, bevor ein betreuender Professor ihn eine Dissertation ausfertigen ließ. Die Scholarchen und das Kollegium des Elbinger Gymnasiums standen den neuen pädagogischen Ansichten aufgeschlossen gegenüber, und so entsprach es dem allgemeinen Wunsch nach einer Meliorisierung des Unterrichts, als 1644 der Bürgermeister Johann Coy den bedeutenden Pädagogen Comenius für die Institution gewinnen konnte. Inwieweit allerdings dessen nur ein Jahr währende Tätigkeit das Elbinger Gymnasium methodisch geprägt hat, läßt sich schwer beurteilen. Pastorius hat in seinen Schulreden an das Wirken des Comenius erinnert, wenn er zu einer intensiveren Unterrichtsvorbereitung der Lehrer aufrief und eine Aufbesserung des Schulstunden durch spezielle Vorträge und eine Anregung der Interessen sowie der aktiven Teilnahme seitens der Schüler vorschlug; auch ermahnte er dazu, sich verstärkt um deren korrektes Verstehen und Einprägen der Unterrichtsgegenstände zu bemühen. Selbst die Rektoren und Professoren der Aufklärungszeit knüpften noch an Comenius an. Um den Schülern das Verständnis des durchgenommenen Stoffes zu erleichtern, empfahlen sie die Auffrischung des Unterrichts mit Vorführungen und Beobachtungen, durch Experimente und Übungen. Diese Methoden fanden naturgemäß gerade in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern Anklang. Zumal dank der Bemühungen des Professors Jakob Woit und seines Mitarbeiters, des Konstrukteurs Johann Friedrich Endersch, nannte das Elbinger Gymnasium eine umfangreiche Sammlung wissenschaftlicher Hilfsmittel sein eigen, darunter aufwendig gefertigte Stücke wie etwa ein Modell des Sonnensystems. 33 Es wurden Fernrohre, Teleskope, Barometer, Thermometer, Erd- und Himmelsgloben sowie Landkarten angeschafft. Die Schule verfugte ebenso über zoologische, botanische und mineralogi33

Vgl. Hugo Abs: Johann Friedrich Endersch (Enders).- In: Altpreußische Biographie (Anm. 11), Bd. I, S. 164f.; Boleslaw Olszewicz: Endersch Jan Fryderyk.- In: Polski Slownik Biograficzny [Polnisches Biographisches Wörterbuch]. Bd. VI.- Krakow: Zaklad Narodowy im. Ossolinskich 1948, S. 268f.; Barbara Bienkowski: Kopernik i heliocentryzm w polskiej kulturze umyslowej do koiica XVIII wieku [Kopernikus und das heliozentrische Weltbild in der polnischen Geisteskultur bis zum Ende des 18. Jhs.].- Wroclaw: Zaklad Narodowy im. Ossolinskich 1971 (= Studia Copernicana; 3), S. 181; Jözef Lassota: Jan Fryderyk Endersch i inni propagatorzy nauki Kopernika w Elbl^gu w XVII i XVIII wieku [Johann Friedrich Endersch und andere Verbreiter der kopernikanischen Lehre in Elbing im 17. und 18. Jh.].- In: Rocznik Elbl^ski 6 (1973), S. 1 7 9 191.

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sehe Kollektionen. 34 Die didaktische Arbeit insbesondere in den höheren Klassen wurde freilich auch durch die Bibliothek unterstützt, deren Bestand sich auf einige tausend Bände belief. Das Gymnasium von Elbing war zwar eine städtische Lehranstalt, unterschied sich aber kaum von den zeitgenössischen Schulen, die von Orden und Religionsgemeinschaften gefuhrt wurden, schließlich war es hier wie dort das erzieherische Hauptanliegen, die Jugendlichen mit der Augsburgischen Konfession vertraut zu machen und sie in ihrem Glauben zu festigen, daß diese Lehre derjenigen Christi am nächsten stehe, sie also zu schützen und weiterzutragen sei. Die Verhaltensnormen der Schüler, die gleichermaßen innerhalb der Kirchenmauern, im Alltag und im Familienleben Geltung besaßen, waren in der Schulordnung fixiert. Die älteste uns bekannte Elbinger Gymnasialordnung verfaßte Wimmann im Jahre 1548. Auch sie wurde im Lauf der Jahrzehnte den jeweiligen pädagogischen Vorstellungen angepaßt. In besonderen Einzelfallen wurde die Schulordnung um Beschlüsse des Stadtrates ergänzt, so beispielsweise 1618, als der Rat die Schüler für ihr unangemessenes Verhalten in der katholischen Nikolai-Kirche tadeln mußte, 1622 nach der Beschädigung von Bäumen etc. Allerdings sind Klagen über die Schüler des Elbinger Gymnasiums selten anzutreffen. Sie wohnten zumeist in ihren Elternhäusern und standen unter ständiger Aufsicht entweder durch ihre Eltern oder die Lehrer. Nur ab und an kam es zu Auseinandersetzungen und Schlägereien etwa mit Praktikanten aus den kaufmännischen Kontoren. Schwer durchzusetzen allerdings war das Verbot des Tragens blanker Waffen unter den Schülern der höheren Klassen, denn sie hielten sich quasi für Studenten, und der studentischen Mode entsprach es, Waffen zu tragen und sie durchaus auch im Duell einzusetzen. Der Stadtrat bestrafte die Teilnahme an Duellen hart, und viele Kondemnanten flohen in das benachbarte Herzogtum Preußen, wo die Elbinger Gerichtsbarkeit ihnen nichts mehr anzuhaben vermochte. Es ist ausfuhrlich beschrieben worden, daß das Elbinger Gymnasium in der städtischen Gemeinschaft fest verwurzelt war und seine Schülerschaft sich überwiegend aus der Stadt rekrutierte. Es bereitete die mit Ehrgeiz und Mitteln begabten Adepten auf das auswärtige Universitätsstudium vor, und viele der ehemaligen Schüler stiegen nach ihrer Rückkehr in die einflußreichen Ämter der Stadt auf: über 1000 Absolventen des Gymnasiums haben ein universitäres Studium aufgenommen, nach 34

Johann August Merz: Geschichte der Gymnasiumsbibliothek. 2. Fortsetzung.In: Programm des Gymnasiums zu Elbing 1841, S. 3 - 2 5 ; Jözef Lassota: Zarys dziejöw biblioteki elblqskiej ( 1 6 0 1 - 1 9 4 5 ) [Ein Abriß der Geschichte der Elbinger Bibliothek].- In: Rocznik Elbl^ski 1 (1961), S. 9 7 - 1 2 0 ; Jerzy Sekulski: Ksi^zka w Elbl^gu do roku 1772 [Bücher in Elbing bis zum Jahr 1772].Gdarisk: Wydawn. Morskie 1990, S. 2 5 - 3 3 und 5 5 - 6 6 .

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dessen Abschluß sie zumeist ihre berufliche Laufbahn im heimatlichen Elbing antraten. 35 Die Rektoren, Konrektoren und Professoren nahmen am lokalen geistigen und gesellschaftlichen Leben aktiv teil, in dem die Gymnasiumsbibliothek selbstverständlich gleichfalls eine wichtige Rolle spielte, indem sie auch den übrigen mit literarischen und wissenschaftlichen Ambitionen ausgestattenen Bürgern Elbings zur Verfügung stand. Darüber hinaus beteiligte sich das Gymnasium an der Veranstaltung diverser Stadtfeiern. Das Schultheater genoß großes Ansehen bei dem Publikum einer Stadt, welche nicht über eine Organisation von Berufsschauspielern verfugte. Das Elbinger Gymnasium, als humanistische höhere Schule vom Stadtrat gegründet, beeinflußte so während der gesamten Frühen Neuzeit auf vielfaltige Weise das literarische und gelehrte Leben der Stadt und prägte über Jahrhunderte die Bildung ihrer politisch und wirtschaftlich führenden Schichten. Aus dem Polnischen von Joanna Braksiek

35

Marian Pawlak: Studia uniwersyteckie absolwentow gimnazjum elbl^skiego w latach 1536-1772 [Das Universitätsstudium der Absolventen des Elbinger Gymnasiums in den Jahren 1537-1772].- In: Zeszyty Naukowe (1967), H. 24, S. 113-144.

Stanislaw Salmonowicz

Das protestantische Gymnasium Academicum in Thorn im 17. und 18. Jahrhundert*

Das Thorner protestantische Gymnasium ist bereits im Jahre 1568 aus der Vereinigung der städtischen Pfarrschulen St. Marien und St. Johannes entstanden, doch es wurde erst später, ab 1594, in ein akademischen Gymnasium umgewandelt.1 Die ehrgeizigen Pläne des Thorner Patriziats und des Bürgermeisters Heinrich Stroband, im Preußen königlich polnischen Anteils eine protestantische Universität zu gründen, waren aufgrund der widerstreitenden Interessen Danzigs gescheitert.2 Thorn stellte wie ganz Königlich Preußen - und auch das damalige Schlesien - ein in jeder Hinsicht typisches Grenzgebiet zweier Kulturen dar, in dem sich mitunter gegensätzliche Einflüsse und Impulse verschiedener Richtungen kreuzten.3 Die Bedeutung der Welle lutherischer Strömungen, die seit Beginn der Reformation aus dem Deutschen Reich anlangte, ist gewiß nicht zu unterschätzen, doch dies gilt gleichermaßen

' D i e s e r Beitrag ist die erweiterte Fassung eines unter dem Titel >Das Thorner protestantische Gymnasium Academicum 1568-1793 < in den Beiträgen zur Geschichte Westpreußens 14 (1996), S. 4 1 - 5 4 , erschienenen Aufsatzes. 1 Vgl. insbes. Stanislaw Tync: Dzieje gimnazjum tonmskiego [Geschichte des Thomer Gymnasiums], Bd. I—II.- Toruii: Nakl. Towarzystwa Naukowego 1928 und 1949; Stanislaw Salmonowicz: Tonmskie Gimnazjum Akademickie w latach 1681-1817: Studium ζ dziejöw nauki i oswiaty [Das Thorner akademische Gymnasium in den Jahren 1681-1817: eine Studie zur Geschichte der Wissenschaft und Bildung].- Poznan, Τοηιή: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1973; ders.: Die protestantischen akademischen Gymnasien in Thorn, Elbing und Danzig und ihre Bedeutung für die regionale Identität im Königlichen Preußen ( 1 6 . - 1 8 . Jahrhundert).- In: Nordost-Archiv N.F. 6 (1997), H. 2, S. 5 1 5 - 5 4 0 . 2 Siehe Stanislaw Tync: Proba utworzenia akademii protestanckiej w Prusach Krolewskich w r. 1595 [Der Gründungsversuch einer protestantischen Akademie in Königlich Preußen im Jahr 1595].- In: Reformacja w Polsce 4 (1926), S. 46-59. 3 Siehe Stanislaw Salmonowicz: Preußen Königlichen Anteils und das Herzogtum Preußen als Gebiet der Begegnung zweier Kulturen, vom 16. bis 18. Jahrhundert.- In: Schlesien und Pommern in den Deutsch-Polnischen Beziehungen vom 16.-18. Jahrhundert. XIV. Deutsch-Polnische Schulbuchkommission der Historiker vom 9. bis 14. Juni 1981 in Zamosc. Hrsg. von Rainer Riemenschneider.- Braunschweig: Georg-Eckert-Institut 1982 (= Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung; 22, 5), S. 6 6 - 8 6 .

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für das Aufblühen des polnischen Humanismus und der Renaissancekultur bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts, die eine enorme Wirkkraft und Attraktivität fur die deutschsprachigen Städte Pommerellens besaßen. In diesem Zusammenhang ist auch die wenigstens bis zu den Jahren um 1640 bedeutsame Rolle des Kalvinismus in Thorn zu erwähnen, der eng verknüpft war mit den Kreisen des protestantischen Adels in Polen.4 Der sich allmählich verstärkende gewaltlose Kampf zwischen Protestanten und Katholiken um das konfessionelle Gesicht des Landes besaß insofern einen positiven Impetus, als er das Wirken beider Seiten gerade auf kulturellem Gebiet intensivierte. Trotz der schwierigen Auseinandersetzungen, die sich vor allem auf die Zeit zwischen 1660 und 1763 konzentrierten, konnte das Luthertum in Thorn seine fuhrende Position aufrechterhalten, obwohl der Protestantismus damals im gesamten polnisch-litauischen Staat stark zurückgedrängt wurde und schließlich nurmehr Inseln im Meer des Katholizismus bildete. Die Gründung des Thorner Gymnasiums datieren wir formell auf das Jahr 1568, also nach der Reorganisation der beiden Schulen von St. Johann und St. Marien durch Matthias Breu, den neuen Rektor der vereinigten Schulen, und mit der Verleihung einer Schulordnung von gymnasialem Charakter am 8. März des Jahres.5 Der im sächsischen Chemnitz geborene Breu entwarf mit der Novae Scholae Thorunensis Ratio Doctrinae et Disciplinae ein angepaßtes Schulmodell mit protestantischer und humanistischer Ausrichtung. Die Schule zählte sechs Klassen. Bis 1586 war sie noch eine typisch humanistische Mittelschule ohne besondere Bestrebungen, denn ihren Leitern genügte der lokale oder auch regionale Maßstab. Die Epoche der großen Reform, welche zur Umgestaltung der Schule in ein > gymnasium academicum< fuhren sollte, ist wesentlich den Bemühungen des Bürgermeisters Heinrich Stroband zu verdanken.6 Schon 4

Siehe Stanislaw Salmonowicz: Religiöses Leben in Thorn im 16. und 17. Jahrhundert.- In: Studien zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen 8 (1983), S. 4 1 - 5 5 . 5 Siehe die Quellenedition von Stanislaw Tync: Najdawniejsze ustawy gimnazjum torunskiego [Die älteste Gründung des Thorner Gymnasiums].- Torun: Tow. Nauk. 1925 (= Towarzystwo Naukowe w Toruniu: Fontes; 21). 6 Heinrich Stroband (1548-1609) war ein vielseitig gebildeter Mann, der u.a. in Straßburg an der Seite Johannes Sturms, des großen Reformators des Schulwesens, studiert hatte. Vgl. dazu Henryk Rietz: Burmistrz Henryk Stroband (1548-1609), tworca Toruhskiego Gimnazjum Akademickiego [Der Bürgermeister H. Stroband, Gründer des Thorner Akademischen Gymnasiums].- In: Ksi^ga Pamiqtkowa 400-lecia Torimskiego Gimnazjum Akademickiego [Gedenkbuch zum 400. Jubiläum des Thorner Akademischen Gymnasiums], Bd. I: XVI-XVIII w. Hrsg. von Zbigniew Zdrojkowski.- Torun: [o.V.] 1972, S. 1340. Zum Prorektor Ulrich Schober, dem wichtigsten Mitarbeiter Strobands, vgl. Stanislaw Tync: Sl^zak Ulryk Schober, konrektor i dziatacz kulturalny torunski

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im Jahre 1584 hatte Stroband die Ernennung von Kasper Friese (oder Frisius) zum Rektor des Gymnasiums veranlaßt - er vermochte die aktuellen europäischen Tendenzen einer Reform des Schulwesens und insbesondere das Ideengut des Straßburgers Johannes Sturm - zu repräsentieren. Man beschloß also den Ausbau der Schule zu einem Gymnasium mit zehn Klassen. 1586 bestand das System noch aus lediglich sieben Jahrgängen, doch im Jahre 1594 wurde zu den nun schon bestehenden zehn Klassen eine elfte hinzugefügt: die zweijährige Suprema, die bereits ein halbes Universitätsprogramm umfaßte. 7 Von dieser Zeit an war das Gymnasium in den gründlich um- und ausgebauten Gebäuden des Franziskanerklosters untergebracht. Es verfügte über eine eigene Bibliothek und Druckerei sowie Unterkunftsmöglichkeiten für Schüler von außerhalb. Die Vollendung der Reform und Neuorganisation ist in der umfangreichen Schulordnung vom 19. Juni 1600 fixiert: die Leges ac Instituta Scholae Thorunensis, die mit gewissen Änderungen bis zum Jahre 1793 in Kraft geblieben sind. Dieser Regelkatalog enthielt zugleich auch den verbindlichen Lehrplan. Auf diese Weise war eine humanistische und protestantische Musterschule nach Sturmschem Modell entstanden. Die Unterrichtssprache war selbstverständlich im allgemeinen das Lateinische, doch im Anfangsunterricht der ersten drei Klassen war auch das Deutsche gebräuchlich. Die polnische Sprache wurde nur auf besonderen Wunsch gelehrt. Jenseits aller Wissensvermittlung legte die Schulleitung freilich größten Wert auf eine religiöse protestantische Erziehung und die Einhaltung strenger Disziplin. Das neue Gymnasium bot wie erwähnt zehn Klassen mitsamt der Option einer intensiven Vorbereitung auf die Universität in Form der zweijährigen Suprema. Demnach betrug die volle Lehrzeit an der Thorner Schule 12 bis 13 Jahre, welche die Schüler regulär zwischen ihrem 18. und 20. Lebensjahr abschlossen. Wenn auch die niederen Klassen nach dem Konzept eines normalen lateinischen Gymnasiums gestaltet waren, so boten die drei oberen Klassen (Secunda, Prima und Suprema) große Möglichkeiten im Bereich der obligatorischen wie auch der ergänzenden Lehrstunden in Physik, Ethik, Rechtswissenschaft, Politik, Geschichte und sogar in den Anfängen der universitären Fakultäten Medizin, Theologie und Philosophie (Metaphysik). (1559-1598) [Der Schlesier Ulrich Schober, Konrektor und Kulturaktivist in Thorn].- Wroclaw, Krakow: Zakiad Narod. im. Ossolinskich 1960. 7 Die offizielle Erhöhung der Thorner Schule in den Rang eines akademischen Gymnasiums wurde 1594 durch die Erstellung eines umfangreichen Buches in der Druckerei des Gymnasiums dokumentiert und gefeiert, in dem die festlichen Programmreden enthalten sind: Orationes, quorum aliae in Actu examinis Anniversarii, aliae in Inauguratione novae Curiae eiusdemque operarum inchoatione habitae sunt in Gymnasio Thorunensi.

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Die weitere Entwicklung des Schulprogramms und der Organisation soll im folgenden entlang der drei Hauptphasen betrachtet werden: 1. Nach Beendigung der Reform der Schule im Zuge des späten Humanismus, das heißt in den Jahren 1600-1660, erlebte die Schule ihre Blütezeit und besaß einen hohen internationalen Rang. 2. Die Jahre 1660 bis 1745 waren für das Gymnasium eine Phase der unbeständigen Entwicklung und wachsender ökonomischer Schwierigkeiten, zugleich stand die Schule unter dem Eindruck des Barockzeitalters und - seit ungefähr 1706 - verstärkt des Gedankenguts der Frühaufklärung, welches sich an der Schule nach einer Zeit wechselhaften Erfolgs in den vierziger Jahren durchsetzte. 3. Das Thorner Gymnasium kämpfte in der Epoche der Aufklärung mit dem Rückgang der Schülerzahlen und der ökonomisch-finanziellen Krise der Stadt. Betrachtungszeitraum sind die Jahre zwischen 1745 und 1793, er endet also mit der zweiten Teilung Polens und der Eingliederung Thorns in den preußischen Staat.

1. Die Blütezeit der Jahre 1 6 0 0 - 1 6 6 0 Eines der Reformziele Strobands war die Rangerhöhung des Lehrpersonals. Zusätzlich zu den >collegae< genannten gewöhnlichen Lehrern für die unteren Klassen, für die ein Magistertitel nicht obligatorisch war, gab es von nun an fünf bis sieben ordentliche oder außerordentliche Professoren. Darüber hinaus leistete sich die Schule zeitweilig einen Lehrenden mit halbem Etat, der in der Regel neben seiner Professur zugleich als Pastor oder Stadtphysicus tätig war. Zumeist handelte es sich bei den beschäftigten Professoren um Persönlichkeiten von einiger Bedeutung, die grundsätzlich den Ansprüchen zeitgenössischer Universitätsprofessoren genügten. Der Magisterabschluß war Pflicht, doch in der Regel treffen wir auf Doktoren der drei Fakultäten (Theologie, Recht oder Medizin) und Absolventen der damals angesehensten protestantischen Universitäten des deutschen Sprachraums. Schon um 1610 hatte sich ein herausragender und namhafter Lehrkörper gebildet, der den großen Erfolg des langjährigen Rektorats des gebürtigen Thorners Konrad Graser d.J. (1611-1630) mitbestimmte. Er konnte den ausgezeichneten Juristen Matthias Nizolius, den Professor für Philosophie und Medizin Franz Tidicaeus, einen Autor vieler Dissertationen und naturwissenschaftlicher Handbücher, sowie Johannes Turnowski an sich binden, einen seinerzeit berühmten Prediger, der in Verbindung mit den Böhmischen Brüdern stand. Grasers Rektorat leitete eine Periode ein, in der das Akademische Gymnasium zu einem der wichtigsten Bildungszentren wurde - und dies nicht nur für die pol-

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nisch-litauischen Länder, sondern auch für die Nachbarregionen. Es zog Protestanten aus Böhmen, der Slowakei, Ungarn, insbesondere auch Siebenbürgen, Schlesien, Pommern, dem Herzogtum Preußen und der Lausitz an. 8 Diese günstigen Ausgangsbedingungen vermochte der wiederum langjährige Rektor und berühmte Theologe Peter Zimmermann (1630-1657) fortzusetzen. Während der ganzen ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatte es unter den Thorner Professoren nicht an berühmten Persönlichkeiten gefehlt. Stellvertretend seien noch der böhmische Exulant Paul Stränsky (1647-1657), Autor des bekannten Werkes Respublica Bohemiae (1643), und Jacob Gerhardi zu nennen, der fleißig publizierende Professor für Rhetorik, Poesie und klassische Sprachen sowie Rektor in den Jahren 1656-1660. Das nach den damaligen Mustern protestantischer Pädagogik vorbildlich gestaltete Lehrprogramm umfaßte neben dem regulären Unterricht, den Vorlesungen und den allgemein üblichen öffentlichkeitswirksamen oratorischen Aufführungen und Schulfeiern sowie der Pflege des aufblühenden Schultheaters vor allem im Bereich der didaktischen Ausgestaltung auch universitäre Elemente wie öffentliche Examina und Disputationen. Die unter professoraler Leitung niedergeschriebenen und häufig sogar gedruckten Disputationen fanden zu dieser Zeit durchschnittlich viermal im Jahr statt. Unter dem Vorsitz eines der Professoren in Gestalt des > Präses < hatten hierbei der Autor bzw. > Respondent < sowie einer oder mehrere seiner > Opponenten < ihre argumentativen Fähigkeiten zu beweisen. Neben der religiösen Thematik gewannen allmählich auch antike und mythologische Stoffe an Gewicht im Unterrichtsstoff wie in den schulischen Veranstaltungen. Zudem waren historische Schauspiele sehr beliebt, wobei die Handlung vielfach der polnischen Geschichte entlehnt war. Ähnlich wie in den Jesuitenschulen waren auch in diesem didaktischen Programm die verschiedenen Aufführungsformen und insbesondere eben das Schultheater von großer Bedeutung. Darüber hinaus spielten diese öffentlichen Darbietungen, zu denen auch Musikkonzerte und Auftritte des Schulchores gehörten, eine genauso unbestreitbar tragende Rolle im kulturellen Leben der Stadt, und es wurde im allgemeinen mit gedruckten Einladungen für sie geworben. 9 Die Sprache der Schulbühne 8

9

Siehe Stanislaw Salmonowicz: Torunskie Gimnazjum Akademickie a ziemie Korony W^gierskiej w XVII i XVIII w. [Das Thorner Akademische Gymnasium und das Gebiet der ungarischen Krone im 17. und 18. Jh.].- In: Ksi?ga Pami^tkowa (Anm. 6), S. 1 6 7 - 2 0 6 . Siehe hierzu ausführlicher Stanislaw Salmonowicz: Imprezy szkolne w Gimnazjum Tonmskim jako element dydaktyki i wychowania w dobie baroku i oswiecenia ( 1 6 6 0 - 1 7 9 3 ) [Schulveranstaltungen im Thorner Gymnasium als Element des Unterrichts und der Erziehung im Zeitalter des Barock und der Aufklärung].- In: Ksi^ga Pami^tkowa (Anm. 6), S. 1 3 9 - 1 6 6 .

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wie des oratorischen Wettbewerbs war anfangs ausschließlich das Lateinische, denn das Gymnasium hatte die Funktion einer Eliteschule für das städtische Patriziat und den protestantischen Adel auszufüllen. Da die Schule jedoch intensiv von den Söhnen gerade des polnischen Adels frequentiert wurde, gewann die polnische Sprache immer mehr Raum in den oratorischen Veranstaltungen. Das Gymnasium brachte es sogar hinsichtlich seines polnischen Sprachunterrichts zu einiger Berühmtheit, ein Umstand, der wiederum die Attraktivität für Schüler aus den Nachbarländern steigerte. Und auch das andere nationale Idiom, die deutsche Sprache, befand sich ganz allmählich auf dem Vormarsch. Gerade zu besonders feierlichen Anlässen wie auch bei der Aufführung klassischer Werke dominierte jedoch naturgemäß weiterhin das Latein. Das 17. Jahrhundert und zumal die Ära Grasers und Zimmermanns war für das Thorner Gymnasium das Zeitalter internationaler Beziehungen. Innerhalb der Spalten des vor wenigen Jahren edierten Album Studiosorum kann dieses Phänomen hervorragend abgelesen werden. 10 In der ersten Hälfte des Jahrhunderts studierte in Thorn die Elite des polnischen adligen Protestantismus: hauptsächlich Repräsentanten der mit dem Kalvinismus verbundenen prominenten Familien aus Kleinpolen, Großpolen und Litauen. Zumal unter Graser ist die Zahl der kleinpolnischen Kalvinisten auffällig. Daneben rekrutierte sich die Schülerschaft aus den bürgerlichen Familien, und zwar vorrangig aus den Kreisen großpolnischer Lutheraner. Im Jahre 1602 besuchten 332 Schüler das Gymnasium, die Suprema zählte ganze 17. Zur Zeit des Graserschen Rektorats waren insgesamt 1942 Schüler eingetragen, im Jahresdurchschnitt 129 - im Rekordjahr 1614 waren es 141. Von dieser Zahl repräsentierten nur 29 Prozent Thorn und Umgebung, 20 Prozent der Schüler stammten von außerhalb der Grenzen der Adelsrepublik. Als um 1650 die Verbreitung des Protestantismus unter dem polnischen Adel nachließ, schwand zugleich deutlich der Zustrom aus diesen Familien. Dafür wuchs die Zahl der Schüler insbesondere lutherischer Konfession aus den habsburgischen Ländern wie Schlesien und der Lausitz. Während die katholischen Adepten anfangs durchaus eine repräsentative Gruppe bildeten, entwickelte sich seit der Mitte des Jahrhunderts eine lutherische Dominanz. In dieser Zeit beherbergte die Schule durchschnittlich etwa 350 Zöglinge. Die Schulgesetze verlangten von den Schülern, ihre soziale Herkunft während der Studienzeit zu vergessen. Obgleich das Thorner Gymnasium in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine nicht geringe Anzahl Schüler adliger Herkunft erzog, blieb es dennoch in erster Linie eine bürgerliche Schule, die vor10

Album Studiosorum: Metryka uczniöw Torunskiego Gimnazjum Akademickiego 1600-1817 [Schülermatrikel des Thorner Akademischen Gymnasiums]. Hrsg. von Zenon Hubert Nowak. Bd. I—II.- Torun: Towarzystwo Naukowe 1997-1998.

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nehmlich den Patrizierkreisen und dem Kleinbürgertum der Stadt verpflichtet war. Die Kinder der Patrizier erarbeiteten sich durch die gymnasiale Bildung ein standesgemäßes Minimum an Wissen und Kultur und wurden so auf den öffentlichen städtischen Dienst oder den freien Beruf etwa eines Arztes oder Notars vorbereitet. Mit der lateinischen Bildung, der sogenannten >HumanioraThorner Blutbad« von 1724 siehe u.a. Stanislaw Salmonowicz: The Ton m Uproal of 1724.- In: Acta Poloniae Historica 47 (1983), S. 5 5 - 8 0 , dort die ältere Literatur.

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von Kopernikus. 12 Unglücklicherweise starb er schon ein Jahr nach Aufnahme seiner Amtstätigkeit. Die finanziellen und personellen Schwierigkeiten wurden schließlich durch das energische Engagement des Rektors Ernst König (1667-1681) überwunden. Der einstmalige Professor des Stettiner Pädagogiums, ein ausgezeichneter Logiker und Rhetoriker, war ein Mann von strenger moralischer Haltung, die letztendlich zu Meinungsverschiedenheiten mit der städtischen Obrigkeit hinsichtlich der Schülerdisziplin und zu seiner vorzeitigen Entlassung führte. Später dann übte er für viele Jahre das gleiche Amt am Akademischen Gymnasium in Elbing aus. Während seiner Thorner Amtszeit gelang es König, zahlreiche fähige Professoren in die Stadt zu holen, darunter den lutherisch-orthodoxen Theologen Samuel Schelwig aus Lissa, später langjähriger Rektor des Danziger Gymnasiums, und den hervorragenden Naturwissenschaftler Georg Seger, Doktor der Medizin und Autor einiger wertvoller Schriften, den es später gleichfalls als Professor nach Danzig zog. Eine bedeutende Rolle nicht nur in Thorn, sondern auch in der Entwicklung der Geschichts- und Rechtswissenschaft in beiden Teilen Preußens wie auch im damaligen Polen kam dem Historiker Christoph Hartknoch zu. Aus dem Herzogtum Preußen stammend, veröffentlichte er in den Jahren seiner Tätigkeit in Thorn (1677-1687) eine Reihe herausragender Werke, darunter sein bekanntes Buch über Polens Geschichte und Verfassung Respublica Polonica duobus libris illustrata wie auch die Preußische Kirchenhistoria und - nicht zu vergessen - die große landes- und volkskundliche Arbeit Alt- und Neues Preußen, welche lange Zeit die Sicht auf die altpreußische Geschichte geprägt hat. Die beiden folgenden Rektoren Paul Hoffmann und Georg Wende, beides Breslauer, mühten sich in den Jahren 1682 bis 1705 um den Erhalt des orthodox-lutherischen Bekenntnisses in ihrer Schule, die den philosophischen Neuerungen gegenüber eher abgeneigt war. Sie konnten jedoch nicht verhindern, daß einige hervorragende Professoren wie Paul Pater (1656-1724) oder Johannes Sartorius (1656-1729), der einer aus Ungarn vertriebenen Familie entstammte, demonstrativ ihre modernen frühaufklärerischen Neigungen zur Philosophie und zu den exakten Wissenschaften sowie zum Naturrecht vertraten. 13 Während der Rektor 12

13

Zur Philosophie in Thorn siehe Stanislaw Salmonowicz: Nauczanie filozofii w Torunskim Gimnazjum Akademickim [Die philosophische Lehre am Thorner Akademischen Gymnasium].- In: Nauczanie filozofii w Polsce w XV-XVIII wieku. Hrsg. von Lech Szczucki.- Wroclaw: Zaktad Narodowy im. Ossolmskich 1978, S. 172f.; ders.: Mysl Oswiecenia w Toruniu [Der Gedanke der Aufklärung in Thorn].- Torun: Towarzystwo Kultury 1982. Siehe Stanislaw Salmonowicz: Mysl Kopernika w Toruniu na przelomie XVII/ XVIII w. [Der kopernikanische Gedanke in Thorn an der Wende vom 17. zum 18. Jh.].- In: Studia Warmmskie 9 (1972), S. 321f.

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Wende noch ein typischer Barockgelehrter mit weitgefächerten, aber nicht immer kritischen Interessen war, so verkörperte sein Nachfolger Peter Jänichen (oder Jaenichius) bereits die typische Gestalt der frühen, gemäßigten deutschen Aufklärung. Der gebürtige Lausitzer Jänichen war Rektor in der langen Zeitspanne von 1706 bis 1738. Gerade unter seiner Leitung, namentlich in den Jahren 1711-1725, entwickelte sich das Thorner Gymnasium zu einem Brennpunkt aufklärerischer Einflüsse. Im Bündnis mit der Frühaufklärung wurden in dieser Zeit latent auch Strömungen des antiorthodoxen Luthertums fühlbar, die im Zeichen des Hallenser Pietismus unter August Hermann Francke standen. 14 Jänichen war ein vielseitig gebildeter Mann, unter dessen schulischer Leitung die Stadt zu einem Zentrum des wissenschaftlichen Zeitschriftenwesens in Polen wurde. Er selbst redigierte die periodische Zeitschrift Meletemata Thorunensia, deren erster Teil 1726 erschien, und bereits in den Jahren 1722-1725 hatte der Prorektor Georg Peter Schultz die Zeitschrift Das gelehrte Preußen herausgebracht. War Jänichen ein typischer Repräsentant der Übergangsepoche, so muß der Professor und Pastor Johann Friedrich Bachstrom (1686-1742) als entschlossener und radikaler Vertreter der Aufklärung und des Pietismus gelten. Er war in Thorn von 1716 an nur vier Jahre tätig. Seiner aufsehenerregenden pietistischen Auftritte wegen mußte er auf Wunsch der hiesigen Pastoren die Stadt verlassen. Bachstrom war ein bedeutender und schillernder Gelehrter seiner Zeit, Verfasser verschiedenster interessanter Werke - darunter eine der frühesten deutschen Utopien des 18. Jahrhunderts - und eine bis heute rätselhafte Gestalt. 15 Es ist durchaus bemerkenswert, daß das Gymnasium trotz sinkender Schülerzahlen und finanzieller wie schulpolitischer Sorgen in seinem Lehrkörper so viele herausragende Persönlichkeiten versammeln konnte. Zu erwähnen sind insbesondere der bekannte Philologe aus Vilnius Michael Boguslaw Ruttich - trotz deutschen Namens ein Pole - , ein eifriger Pietist und vorzüglicher Kenner des polnischen Idioms und orientalischer Sprachen, ferner der Professor der Mathematik und Astronomie Reinhold Friedrich Bornmann aus Königsberg, der in Thorn nicht nur die moderne Lehre der koperaikanischen Theorie und die Handbücher von Christian Wolff einführte, sondern auch als erster das Studium von Newtons Philosophiae naturalis principia mathematica empfahl. 14

15

Zum Pietismus in Thorn siehe Stanislaw Salmonowicz: Pietyzm w Wielkopolsce i na Pomorzu [Pietismus in Großpolen und in Pommerellen].- In: Roczniki Humanistyczne 27 (1979), H. 2, S. 9 5 - 1 0 5 . Siehe Stanislaw Salmonowicz: Profesor Jan Fryderyk Bachstrom ( 1 6 8 6 - 1 7 4 2 ) , uczony, pietysta i awanturnik [Professor Johann Friedrich Bachstrom - Gelehrter, Pietist und Abenteurer].- In: Studia do Dziejow Wielkopolski i Pomorza 11 (1974), H. 1 , S . 1 5 - 5 2 .

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Besondere Bedeutung für Thorn wie überhaupt für die Entwicklung der polnischen Kultur besaß der aus Frankfurt a.d. Oder herübergekommene langjährige Prorektor Georg Peter Schultz (1711-1742). Im Zuge der Realisierung seiner aufklärerischen Ambitionen polonisierte er quasi sich selbst, knüpfte enge Verbindungen mit der Warschauer Frühaufklärung, namentlich den Gebrüdern Zaluski, und trat schließlich sogar zum Katholizismus über. Den Eingang in die Wissenschaftsgeschichte fand er vor allem als Initiator kritischer Forschungen zur Geschichte und Verfassung Polens sowie als Organisator des wissenschaftlichen und kulturellen Lebens, wovon eine Reihe von Initiativen im Zeitungswesen zeugen. Bei seinen vielseitigen Interessen, die von der Medizin bis zur Jurisprudenz reichten, vertrat er stets eine aufklärerische Anschauung und beeinflußte nachhaltig die Anfange der Aufklärung in Polen. 16 Neben Schultz wären weitere Gelehrte und Forscher von ähnlichem Rang zu nennen, die ihre Tätigkeit intensiv dem Studium der Sprachgeschichte, des Schrifttums und der Kultur Polens widmeten. Unter ihnen seien zwei die Riege anfuhrende Personen hervorgehoben: zum einen Ephraim Oloff mit seinem Werk Polnische Liedergeschichte von polnischen Kirchengesängen und derselben Dichtern und Übersetzer, posthum im Jahre 1744 herausgegeben; zum anderen der spätere Elbinger Schulrektor Johann Daniel Hoffmann, der nach De originibus linguae Polonicae (1730) mit seinem De typographia von 1740 die erste Geschichte der Druckereien in Polen verfaßte. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß sich Thorn im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts zum Mittelpunkt der Studien der polnischen Sprache und Literatur herausbildete. 17 Betrachtet man die zu dieser Zeit am Thorner Gymnasium gepflegte Didaktik, so zeigt sich, daß ähnlich wie in den Jesuitenschulen das philologisch-religiös-theoretische Grundgerüst des schulischen Unterrichts ohne größere Änderungen erhalten blieb. Neuerungen in Handbüchern und Vorlesungen waren Früchte der weit ausgebauten zusätzlichen Unterrichtsstunden. Insbesondere die Philosophie und exakte Wissenschaften wurden auf eine neue Weise gelehrt, und die Rechtswissenschaft war von der Doktrin des Naturrechts beherrscht. Im damaligen Polen fielen wohl nur in den Mauern der Thorner Schule bereits am Anfang des 18. Jahrhunderts verstärkt die Namen Descartes, Leibniz, Pufendorf 16

17

Siehe Stanislaw Salmonowicz: U progu oswiecenia w Toruniu: Jerzy Piotr Schultz (1680-1784), historyk i politolog [An der Schwelle zur Aufklärung in Thorn: Georg Peter Schultz, Historiker und Politologe].- In: Wiek Oswiecenia 1 (1978), S. 53-88. Siehe Stanislaw Salmonowicz: Polnische Literatur und Sprache in Thorn am Anfang des 18. Jahrhunderts.- In: Suche die Meinung. Karl Dedecius. Dem Übersetzer und Mittler zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Elvira Grözinger.- Wiesbaden: Harrassowitz 1986, S. 155-165.

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oder Thomasius, und seit etwa 1715 verbreiteten hier sich die Anschauungen Christian Wolffs. Die Einfuhrung neuer Unterrichtsmethoden war in aller Regel ein Verdienst der Lehrer der exakten Wissenschaften, die sich auf Überblicksmethoden, Experimente und Hilfsgeräte stützten sowie astronomische, meteorologische und andere Beobachtungen durchführten. Wie bereits erwähnt geriet die internationale Bedeutung der Thorner Institution zu Beginn des 18. Jahrhunderts ins Wanken, an dessen Ende aber empfing die Schule eine neue Welle protestantischer Schüler aus den habsburgischen Ländern. In dem bereits erwähnten Album Studiosorum wurden von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zum Ende der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts über 200 Schüler mit dem Vermerk >Hungarus< oder >Transsilvanus < eingetragen. Aus den damaligen ungarischen Ländern studierten in Thorn insgesamt über 350 Schüler. Davon abgesehen ist die Schülerzahl jedoch besonders seit 1703 stetig gesunken.18 Die durchschnittliche Zahl der Immatrikulationen betrug unter dem Rektorat Hoffmanns 52, zur Zeit Georg Wendes 48 und bei Jänichen nur noch 35 Eintragungen jährlich. Das Gymnasium Academicum nahm einen stark regionalen, bürgerlichen Charakter an, und seine Zöglinge spielten weiterhin eine große Rolle im lokalen Kulturleben: Nach wie vor ließen zahlreiche Lobschriften, verschriftlichte Disputationen sowie Einladungen zu Schulfeierlichkeiten die Öffentlichkeit am Dasein der Lehranstalt teilhaben. Und man versuchte weiterhin mit den Thorner Jesuiten hinsichtlich des Prunks der Schulbühne zu konkurrieren. Diese hatten gerade in den Jahren 1730-1750 im Zuge der lebhaften katholischen Propaganda einen Höhepunkt ihres Schultheaters erreicht.

3. Die Epoche der Aufklärung 1 7 4 5 - 1 7 9 3 Obwohl die Einflüsse der Aufklärung in den vierziger Jahren die Elite der Stadt und den Lehrkörper der Schule erreichten, der in den Jahren 1745-1751 von dem vortrefflichen Rektor Georg Wilhelm Oeder ge18

Bereits in den Jahren 1 7 2 0 - 1 7 2 3 waren unter den 155 Eintragungen nur fünf Schüler, die nicht aus den Gebieten der Adelsrepublik oder aus dem benachbarten Preußen, dem ehemaligen Herzogtum Preußen stammten. Wenn die Thorner Zöglinge das Gymnasium verließen, begaben sie sich in der Regel zu den Universitäten Leipzig, Wittenberg, Königsberg und Frankfurt a.d. Oder. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde Wittenberg durch Halle abgelöst, später spielten die Universitäten von Leipzig, Göttingen und Königsberg die Hauptrolle. Vgl. auch Stanislaw Salmonowicz: Königsberg, Thorn und Danzig. Zur Geschichte Königsbergs als Zentrum der Aufklärung.- In: Königsberg und Riga. Hrsg. von Heinz Ischreyt.- Tübingen: Niemeyer 1995 (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung; 16), S. 9 - 2 8 .

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führt wurde, sank das Niveau der Schule und mit ihm ihr Glanz. Diese Entwicklung war nicht nur mit der anhaltenden finanziellen Krise der Stadt und mit den sinkenden Schülerzahlen verbunden, sondern beruhte auch auf der Tatsache, daß die aufblühende polnische Kultur ihren starken aufklärerischen Mittelpunkt in Warschau gefunden hatte. Dieser Umstand wirkte nicht nur auf Thorn und seine Region, aus dem ganzen Land zog es die Geistesgrößen in die Hauptstadt. Aus Thorn sind vor allem zwei namhafte Gelehrte zu nennen, die in Warschau Karriere machten: Michael Hube (1737-1807) und Christian Bogumit Steiner (17461814). Gleichwohl stößt man in der Stadt auch weiterhin auf herausragende Professoren wie den berühmten Mathematiker Franz Jetze in den Jahren 1753-1760 und den Rektor Johannes Albinus Kries für den Zeitraum 1761-1785. An dieser Stelle sei erwähnt, daß die Rektoren Oeder und Kries Zöglinge der Göttinger Universität und Schüler des berühmten dortigen Philologen Johann Matthias Gesner (1691-1761) waren. Die fünfziger und sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts bilden die Schlußphase der aufklärerisch-intellektuellen Belebung Thorns und seiner Schule. Zu erinnern bleibt an die hier herausgegebenen Gelehrtenzeitschriften in deutscher Sprache, um die sich unter anderem Johann Gottlieb Willamov (1736-1777) verdient machte, der bekannte Dichter und Freund Herders, der als > deutscher Pindar < im ganzen deutschsprachigen Raum für seine Dithyramben und Elegien gerühmt wurde. 19 Der Neuhumanismus und die Fortsetzung der Entwicklung exakter Wissenschaften einerseits ebenso wie der erhöhte Anspruch an den Unterricht in und die Lehre von den modernen Nationalsprachen andererseits charakterisieren die damalige Didaktik in Thorn. Im Bereich der Philosophie blieb Wolff auch in Thom tonangebend. Keine Lehre und keine Neuregelung vermochte jedoch den erneut verschärften Schülerrückgang seit etwa 1773 zu verhindern, der vor allem ein Resultat der ersten Teilung Polens war. Durch diese hatte Thorn sein natürliches Hinterland verloren; Bromberg, Kulm und Elbing gehörten jetzt zum preußischen Staat, und der endgültige wirtschaftliche Zusammenbruch der Stadt zeichnete sich ab. So vegetierte das Thorner Gymnasium ab etwa 1785 quasi nur noch dahin, indem es das Gros jener Werte aufgab, denen es einst seine Anerkennung als Akademisches Gymnasium verdankt hatte. Einige spezielle Einrichtungen der Anstalt, wie etwa die öffentlichen Disputationen und das Schultheater, gerieten in den Jahren um 1770 ebenfalls in allmählichen Verfall. All diesen Widrigkeiten zum Trotz wurden weiterhin Repräsentanten der lokalen Eliten wie auch Persönlichkeiten ausgebildet, die im weite19

Vgl. Stanislaw Salmonowicz: Johann Gottlieb Willamov - ein Dichter aus Mohrungen (Mor^g) und Freund Herders und seine Toruner Jahre ( 1 7 5 8 1767).- In: Zeitschrift für Slawistik 24 (1979), H. 6, S. 8 4 6 - 8 5 3 .

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ren Verlauf ihres Lebens einen wichtigen Part für die polnische und die deutsche Kultur gleichermaßen spielen sollten. Dafür gibt es einige bemerkenswerte Beispiele: Der bereits erwähnte Hube, später Direktor an der Warschauer Ritterschule des Königs Stanislaw August Poniatowski, verfaßte in der Zeit der polnischen Schulreform Physik-Handbücher in polnischer Sprache. Während seiner gesamten folgenden Tätigkeiten identifizierte er sich mit Polen, erst recht als dieses seine Unabhängigkeit verlor. Es besitzt gleichsam Symbolcharakter, daß sein Sohn zur napoleonischen Zeit als Offizier im polnischen Heer diente und danach Rektor der ältesten polnischen Universität in Krakau wurde. Christian Bogumil Steiner, als Professor ebenfalls an der Ritterschule in Warschau zu finden, legte den Grundstein für die polnische Wissenschaft der Rechtsgeschichte, war Herausgeber verschiedener Warschauer Zeitungen und Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Werke. 20 Unter den Thorner Gymnasiasten dieser Zeit erscheinen zwei weitere erwähnenswert: Samuel Thomas von Sömmering (1755-1830), Freund Goethes und Sohn eines Thorner Arztes, machte in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hauptsächlich in Mainz eine beachtliche Karriere als Anatom und Naturforscher. Samuel Gottlieb Bogumil Linde (1771-1847), gebürtiger Thorner schwedisch-deutscher Herkunft, widmete sich schon Ende des 18. Jahrhunderts der polnischen Kultur und wurde als Verfasser eines monumentalen sechsbändigen Wörterbuchs der polnischen Sprache (1807-1814) zum namhaftesten polnischen Philologen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach der Aufnahme Thorns in den preußischen Staat 1793 reduzierte sich die Bedeutung des Gymnasiums endgültig auf einen lokalen Rang bar aller einstigen akademischen Werte. Allerdings ist zu betonen, daß an anderen vergleichbaren Orten ebenso die Zeit für diesen Typus einer höheren akademischen Schule abgelaufen war - ein Phänomen, das mit dem allgemeinen Strukturwandel im preußischen Bildungssystem zusammenhing. Wie andernorts wurde auch in Thorn die alte Institution von einem städtischen Gymnasium abgelöst, das den modernen Ansprüchen gerecht wurde. Das Thorner Akademische Gymnasium ist nicht nur führende Lehrstätte der Protestanten aus dem Preußen königlich polnischen Anteils 20

Vgl. zu ihm die Doktorarbeit des Verfassers: Krystian Bogumil Steiner ( 1 7 4 6 1814) tonmski prawnik i historyk: Studium ζ dziejow nauki prawa doby oswiecenia w Polsce [Christian Bogumil Steiner, ein Thorner Jurist und Historiker: eine Studie zur Geschichte der Rechtswissenschaft im Zeitalter der Aufklärung in Thorn].- Torun: Towarzystwo Naukowe 1962; grundsätzlich auch ders.: Rechtslehre und Rechtswissenschaft am Thorner Gymnasium Academicum im 17. Jahrhundert.- In: Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günther Mühlpfordt. Hrsg. von Erich Donnert. Bd. III: Aufbruch zur Moderne.- Weimar usw.: Böhlau 1997, S. 4 8 9 - 4 9 7 .

Das protestantische

Gymnasium Academicum

in Thorn

409

und aus anderen Provinzen des weiträumigen polnischen Adelsstaates gewesen, sondern es hatte bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch für die habsburgischen Territorien - mit Ungarn und der Slowakei an der Spitze-, für das österreichische und preußische Schlesien und für einige deutsche Länder - vor allem Sachsen und die Lausitz den Status einer führenden Mittelschule mit akademischem Einschlag erreicht. Nicht nur konfessionelle Gründe bewogen die Einwohner der ostpreußischen Masuren, der Lebuser Gegend und anderer brandenburgischer Lande, nach Thorn zu gehen. Es machten sich vor allem Angehörige slawischer Ethnien dorthin auf, welche das Angebot eines Studiums der polnischen Sprache und der in polnischer Sprache gehaltenen protestantischen Gottesdienste sehr hoch schätzten. Diese internationalen Beziehungen von Thorn und seine gesamtpolnische Bedeutung wurden jedoch während des großen Nordischen Krieges geschmälert, und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besaß das Gymnasium kaum mehr als lokales Renommee. Das Kulturmilieu Thorns befand sich jahrhundertelang an der Scheidelinie zweier Kulturkreise, zweier Welten. Die polnische Wirklichkeit, zu der zeitweilig auch eine Politik der religiösen Toleranz gehörte, die auf die europaweit älteste Tradition zurückgreifen konnte, steckte seit jeher den Rahmen und die Existenzbedingungen für das Thorner Gymnasium ab. Die Professorenschaft und das Patriziat als die beiden Eliten der Stadt suchten ihre geistige Nahrung hauptsächlich in dem Kulturkreis der protestantischen Länder mit den deutschen Regionen an der Spitze.21 Ein Schmelztiegel des geistigen Lebens in nationaler und konfessioneller Hinsicht, wie er in Thorn vorhanden war, konnte vor dem Hintergrund der polnischen Adelsrepublik über lange Zeit hinweg außerordentlich günstige Bedingungen für eine wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung schaffen. Das Thorner Gymnasium hat diese Möglichkeiten in beachtenswerter Weise für sich genutzt.

21

Vgl. Stanislaw Salmonowicz: Jesuitenschulen und Akademische Gymnasien im Königlichen Preußen ( 1 6 . - 1 8 . Jahrhundert). Vergleichende Bemerkungen.- In: Zeszyty Naukowe Wydziatu Humanistycznego Uniwersytetu Gdanskiego 15 (1985), S. 15-27; ders.: Les Gymnases protestants dans la Prusse Royale Polonaise: leur röle culturel au XVIIIe siecle.- In: Studia Maritima 1 (1979), S. 8 9 97; ders.: Torun's Beitrag zur Kultur der Aufklärung in Polen.- In: Studia Maritima 2 (1980), S. 4 5 - 5 6 .

Manfred Komorowski

Das akademische Schrifttum Altpreußens: Königsberg, Danzig, Elbing und Thorn

Mit dem Einzug der Reformation kam es in Preußen zur Gründung von hohen Schulen, einer Universität in Königsberg im Herzogtum Preußen sowie akademischen Gymnasien in Danzig, Elbing und Thorn. Die Königsberger Universität, 1 ganz von Wittenberg und somit von Luther und Melanchthon geprägt, wurde 1544 feierlich eröffnet, 1558 bzw. 1568 folgten Gelehrtenschulen in Danzig und Thorn.2 Die älteste hohe Schule 1

Die umfangreiche Literatur zur Universität Königsberg verzeichnen Wilhelm Erman und Ewald Horn: Bibliographie der deutschen Universitäten. Bd. I—III.Leipzig: Teubner 1904-1905, Bd. II (1904), S. 620-653 (Nachdruck Hildesheim: Olms 1965) und natürlich die große landesgeschichtliche Bibliographie von Ernst Wermke: Bibliographie der Geschichte von Ost- und Westpreußen [1.] bis 1929.- Königsberg: Gräfe und Unzer 1933, [2.] 1930-1938.- Aalen: Scientia 1964, [3.] 1939-1970.- Bonn: Wiss. Archiv 1974, [4.] 1971-1974.Marburg: Herder-Institut 1978. Die einschlägigen Publikationen seit 1980, darunter die zahlreichen im Umfeld des 450jährigen Gründungsjubiläums der Albertina 1994 entstandenen Schriften, in Auswahl bei: Iselin Gundermann: Ostund Westpreußen [Sammelbericht].- In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 132 (1996), S. 883-931, hier S. 898-899 und 922-924. 2 Aus der reichen Literatur über das Danziger Gymnasium seien hier nur einige zentrale Titel angeführt: Theodor Hirsch: Geschichte des academischen Gymnasiums in Danzig. Schulprogramm.- Danzig: Wedel 1837; Bernhard Schulz: Das Danziger Akademische Gymnasium im Zeitalter der Aufklärung.- In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 76 (1941), S. 5 - 1 0 2 ; Gdanskie Gimnazjum Akademickie [Das Danziger Akademische Gymnasium]. Hrsg. von der Pädagogischen Hochschule Gdahsk 1558-1958.- Gdansk: Wydawn. Morskie 1959; 400 Jahre Städtisches Gymnasium Danzig: Gedenkschrift. Hrsg. von seiner Patenschule, dem Städtischen Humboldt-Gymnasium Düsseldorf. Red. Ernst Kirchner.- Düsseldorf: Humboldt-Gymnasium 1958; 425 Jahre Städtisches Gymnasium zu Danzig. Hrsg. von Bernhard Schulz.- Gernsbach: Deutscher Betriebswirte-Verlag 1983; Edmund Kotarski: Die Rektoren des Gymnasium Dantiscanum im 17. Jahrhundert.- In: Zwei hanseatische Städte. Bremen und Danzig im Laufe der Jahrhunderte. Materialien des wiss. Kolloquiums vom 10./11. Dez. 1993 an der Universität Gdansk. Hrsg. von Andrzej Groth.Gdansk: Marpress 1994, S. 9 7 - 1 0 8 . Weitere Literatur bei Wermke und Gundermann (Anm. 1) sowie bei Bernhart Jähnig: Die landesgeschichtliche Forschung des Preußenlandes (Ost- und Westpreußen) seit 1960 im Überblick.- In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 38 (1989), S. 81-141, hier S. 139-141. Albert Lehnerdt: Geschichte des Gymnasiums zu Thorn.

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Manfred

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in Preußen war das bereits 1536 gegründete Elbinger Gymnasium. 3 Alle drei preußischen Gymnasien wurden erst später zu akademischen Anstalten ausgebaut, Elbing 1550, Danzig um 1580 und Thorn 1595. Die frühneuzeitlichen akademischen Gymnasien orientierten sich am Modell der Universität, indem sie in den Klassen Sekunda und Prima wissenschaftlichen Unterricht anboten, und zwar nicht nur in der Theologie und den zur philosophischen Fakultät gehörenden Fächern (Rhetorik, Grammatik, Naturwissenschaften), sondern - zumindest an den größeren akademischen Gymnasien - auch in der Jurisprudenz und der Medizin. Man strebte, was die Qualität der Ausbildung anbetraf, Gleichrangigkeit mit den Universitäten an, und in vielen Fällen, ganz sicher in Danzig, Bremen und Hamburg, übertrafen renommierte akademische Gymnasien die kleineren Universitäten des Alten Reiches. Wenn man nicht gerade einen akademischen Grad anstrebte, reichte der Besuch von akademischen Gymnasien aus, um etwa Pfarrer oder Verwaltungsbeamter zu werden. Im von Reformation und Gegenreformation umkämpften alten Ordensland gründeten die Jesuiten sozusagen als Gegengewicht mehrere Ordensschulen, deren berühmteste das >Lyceum Hoseanum< (1565) in Braunsberg war. Die protestantischen hohen Schulen in Preußen bildeten nicht nur Landeskinder aus, sondern hatten, gerade im 17. Jahrhundert, zu Zeiten des 30jährigen Krieges und kurz danach, einen enormen Zustrom von Schülern aus allen protestantischen Teilen Deutschlands, aber auch aus Polen, Ungarn und dem Baltikum. Zwischen 1635 und 1645 hatte Königsberg unter den deutschen Universitäten die höchsten Studentenzahlen. Im Schnitt gut 900 Studenten weilten damals an der Albertina. 4 Schulprogramm.- Thorn 1868; Ksi?ga pami^tkowa 400-lecia Tonmskiego Gimnazjum Akademickiego [Gedenkbuch 400 Jahre Thorner Akademisches Gymnasium], Hrsg. von Zbigniew Zdrojkowski. Bd. I-IV.- Poznan: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1972-1974; insbes. Stanislaw Salmonowicz: Torunskie Gimnazjum Akademickie (1681-1817) [Das Thorner Akademische Gymnasium (1681-1817)].- Warszawa: Paristwowe Wydawn. Naukowe 1973; weitere Titel bei Wermke: Bibliographie (Anm. 1); Gundermann: Ost- und Westpreußen (Anm. 1); Jähnig: Die landesgeschichtliche Forschung (Anm. 2). 3 Marian Pawlak: Dzieje gimnazjum elbl^skiego w latach 1535-1772 [Die Geschichte des Elbinger Gymnasiums in den Jahren 1535-1772].- Olsztyn: Pojezierze 1972; ders.: Nauczyciele gimnazjum elbl^skiego w latach 1535-1772 [Die Lehrer des Elbinger Gymnasiums in den Jahren 1535-1772].- In: Rocznik Elbl^ski 6 (1973), S. 127-177; siehe auch Wermke: Bibliographie (Anm. 1); Gundermann: Ost- und Westpreußen (Anm. 1); Jähnig: Die landesgeschichtliche Forschung (Anm. 2). 4 Nach Franz Eulenburg: Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart.- Leipzig: Teubner 1904 (= Abhandlungen der Philologisch-Historischen Klasse der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften; 24), S. 102-103. Die Zusammensetzung der Königsberger

Das akademische Schrifttum Altpreußens

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Etwa zur gleichen Zeit erlebte auch Danzig unter den Rektoren Abraham Calov und Johann Maukisch mit durchschnittlich 400 Schülern seine Blütezeit. Elbing florierte besonders in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, damals geleitet von Johann und Michael Mylius, während Thorn zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine große Ausstrahlung hatte, nach wie vor besonders viele Studenten aus dem Königreich Ungarn anzog und ein Zentrum polnischer Studien bildete. Durch die publizierten Matrikeln sind wir bestens über die Zusammensetzung der Studentenschaft informiert. 5 Die von Hugo Abs edierte Elbinger Matrikel sticht wegen ihrer unzähligen biographischen Zusatzinformationen besonders hervor und bietet reiches Material zur Untersuchung der innerpreußischen peregrinatio academica, die immer wieder ins Auge fällt. Elbinger gingen nach Danzig und Thorn, Danziger nach Elbing und Thorn, Thorner nach Danzig und Elbing, und alle zusammen auch oft an die einzige preußische Landesuniversität in Königsberg, um dort akademische Grade zu erwerben. Dazu zählten unter anderem die Juristen Peter Oelhaf (1640), Christian Rosteuscher (1656), Daniel Gralath d.J. (1763) oder der Theologe Wilhelm Paul Verpoortenn (1770) aus Danzig, der Jurist Christian Renatus Braun (1736) aus Elbing oder der spätere Königsberger Professor der Rechte Philipp Richard Schröder aus Thorn. 6 Zwar sollte Königsberg als geistiges und wissenschaftliches Zentrum Preußens bis 1800 immer eine beträchtliche Anziehungskraft auf Studenten Königlich Preußens ausüben, 7 doch spätestens seit Marian PawStudentenschaft im ersten Jahrhundert der Albertina analysiert Johannes Lehmann: Die örtliche und soziale Herkunft der Königsberger Studenten 15441649.- Diss. phil. Leipzig: Noske 1929. 5 Im einzelnen: Die Matrikel und Promotionsverzeichnisse der Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr. 1544-1829. Hrsg. von Georg Erler. Bd. I—III.Leipzig: Duncker und Humblot 1910-1917 (Nachdruck Nendeln: Kraus 1976). Die Promotionsverzeichnisse sind nie erschienen, werden aber weitgehend ersetzt durch Manfred Komorowski: Promotionen an der Universität Königsberg 1548-1799. Bibliographie der pro-gradu-Dissertationen in den oberen Fakultäten und Verzeichnis der Magisterpromotionen in der philosophischen Fakultät.München: Saur 1988; vgl. ebenfalls: Die Matrikel des Gymnasiums zu Elbing (1598-1786). Hrsg. von Hugo Abs.- Danzig: Danziger Verlagsges. 1936-1944 (Nachdruck Hamburg 1992); Ksifga wpisöw uczniöw Gimnazjum Gdanskiego 1580-1814 [Die Matrikel der Schüler des Danziger Gymnasiums 1580-1814], Hrsg. von Zbigniew Nowak und Przemystaw Szafran.- Warszawa, Poznan: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1974; Metryka uczniöw torunskiego gimnazjum akademickiego 1600-1817. / Matricula discipulorum torunensis gymnasii academici 1600-1817. Hrsg. von Janusz Tandecki. Bd. I—II.- Torun: Towarzystwo Naukowe w Toruniu 1997-1998. 6 Vgl. Komorowski: Promotionen (Anm. 5). 7 Dazu auch Stanislaw Salmonowicz: Königsberg, Thorn und Danzig. Zur Geschichte Königsbergs als Zentrum der Aufklärung.- In: Königsberg und Riga.

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Manfred Komorowski

laks wichtiger Untersuchung über die Universitätsstudien der Jugend aus dem Königlichen Preußen im 16.-18. Jahrhundert 8 und Horst Kenkels verdienstvoller Zusammenstellung Studenten aus Ost- und Westpreußen an außerpreußischen Universitäten vor 18159 wissen wir auch, daß die großen deutschen und niederländischen Universitäten für junge Preußen sehr attraktiv waren. Wenn man die Promotionen von Juristen und Medizinern aus dem Königlichen wie aus dem Herzoglichen Preußen analysiert, fallt auf, daß vom Ende des 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts Basel als Promotionsort sehr beliebt war, während es danach viele junge Preußen nach Leiden, an die renommierteste niederländische Universität zog.10 Indem die akademischen Gymnasien Lehrstühle einrichteten und sich im Unterricht ihrer Oberklassen an der universitären Ausbildung orientierten, übernahmen sie auch bald die Gepflogenheit, regelmäßig Disputationen abzuhalten und zu diesem Zweck auch gedruckte Disputationes oder Dissertationes herauszubringen. Wie an Universitäten wurden Streitschriften unter dem Vorsitz eines Präses, der oft der Verfasser war, von einem oder mehreren Schülern, den Respondenten, verteidigt. In seinem Klassiker über den gelehrten Unterricht in Deutschland stellte Friedrich Paulsen 11 eine starke Neigung der Schulen fest, sich durch gedruckte Disputationen, Reden und Programme in die Öffentlichkeit zu drängen und es möglichst den Universitäten gleichzutun. Da sie nicht über das Promotionsrecht verfügten, fehlten an den akademischen Gymnasien lediglich die Dissertationes pro gradu. Die Theologen disputierten natürlich über die einzelnen Bücher der Bibel und über systematisch-theologische Fragestellungen, wobei letzteHrsg. von Heinz Ischreyt.- Tübingen: Niemeyer 1995 (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung; 16), S. 9 - 2 8 , hier S. 1 8 - 2 2 ; ders.: Die protestantischen akademischen Gymnasien in Thom, Elbing und Danzig und ihre Bedeutung fur die regionale Identität im Königlichen Preußen ( 1 6 . - 1 8 . Jahrhundert).- In: Nordost-Archiν N.F. 6 (1997), S. 5 1 5 - 5 3 9 . 8 Marian Pawlak: Studia uniwersyteckie mtodziezy ζ Prus Krolewskich w. X V I XVIII w. [Die Universitätsstudien der Schüler aus Königlich Preußen im 16. bis 18. Jh.].- Torun: Uniwersytet M. Kopernika 1988. 9 Horst Kenkel: Studenten aus Ost- und Westpreußen an außerpreußischen Universitäten vor 1815.- Hamburg: Verein für Familienforschung in Ost- und Westpreußen 1981 (= Sonderschriften des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen; 46). 10 Bisher unveröffentlichte, vom Verfasser angefertigte Aufstellung der Inauguraldissertationen von Studenten aus dem Königlichen Preußen im 17. Jahrhundert. 11 Friedrich Paulsen: Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart. Mit besonderer Rücksicht auf den klassischen Unterrricht. 3., erw. Aufl. Bd. I II.- Leipzig: Veit 1 9 1 9 - 1 9 2 1 , Bd. I (1919), S. 600.

Das akademische Schrifttum

Altpreußens

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re im Zeitalter der Glaubenskämpfe sehr oft mit stark kontroverstheologischer, apologetischer Tendenz behaftet waren. Bei den Juristen wie bei den Medizinern wiederholten sich einige Standardthemen ständig. Die Juristen disputierten stets aufs neue die einzelnen Kapitel des Corpus Iuris Civilis, die Mediziner beschäftigten sich, in Königsberg bis etwa 1700 auf Basis der antiken Autoritäten Aristoteles und Galenos, mit der Pest, der Angina, der Wassersucht, dem Skorbut usw. In den philosophischen, den Artistenfakultäten, entstanden Arbeiten aus all den übrigen Wissenschaftsfächern, die nicht durch die drei oberen Fakultäten abgedeckt waren, also zu mathematischen, physikalischen wie zu historischen, politischen oder geographischen Themen. Das Hochschulschrifttum des Alten Reiches in der Frühen Neuzeit ist einer Reihe verdienstvoller Aufarbeitungsinitiativen für einzelne Hochschulen, Fakultäten oder Fächer 12 zum Trotz nach wie vor nur unbefriedigend erschlossen und stellt natürlich auch ein Mengenproblem dar. Rund 80.000 Hochschulschriften sollen nach einer gründlichen neueren Untersuchung allein im 17. Jahrhundert erschienen sein.13 Das 18. Jahrhundert dürfte dem durch den allmählichen Verfall vieler Hochschulen etwas nachstehen, während relativ wenig Titel für das 16. Jahrhundert vorliegen. Es war das zahllose Kleinschrifttum, meist kleine Broschüren von selten mehr als 50 Seiten - wie Einladungsprogramme, Reden zu akademischen und politischen Anlässen, Leichenpredigten auf Universitätsangehörige, Lektionskataloge oder Vorlesungsverzeichnisse, Gelegenheitsgedichte etwa zu Promotionen - oder in unselbständiger Form insgesamt millionenfach >versteckt< in Dissertationen, das an den Universitäten und akademischen Gymnasien neben den Dissertationen produziert wurde. In Königsberg finden wir oft Kombinationen von Gelegenheitskompositionen und Gelegenheitsdichtungen, die Tonkünstler wie Johann Stobaeus, Heinrich Albert oder Johann Eccard zu akademischen Anlässen herausbrachten. 14 12

13

14

Zum Hochschulschrifttum der Frühen Neuzeit vgl. Manfred Komorowski: Research on Early German Dissertations. Α Report on Work in Progress.- In: The German Book 1450-1750. Studies Presented to David L. Paisey in His Retirement. Hrsg. von John L. Flood und William A. Kelly.- London: British Library 1995, S. 259-268; ders.: Die alten Hochschulschriften. Lästige Massenware oder ungehobene Schätze unserer Bibliotheken?- In: Informationsmittel für Bibliotheken 5 (1997), S. 379-400; mit speziellem Bezug zum 17. Jahrhundert vgl. ders.: Die Hochschulschriften des 17. Jahrhunderts und ihre bibliographische Erfassung.- In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 24 (1997), S. 19-42. Wolfgang Müller: Die Drucke des 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum. Untersuchungen zu ihrer Verzeichnung in einem VD 17.- Wiesbaden: Harrassowitz 1990 (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen; 31), S. 93. In großem Umfang nachgewiesen bei Joseph Müller: Die musikalischen Schätze der Königlichen und Universitäts-Bibliothek zu Königsberg in Preußen. Aus

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Manfred

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Viele dieser kleinen Drucke sind heute nicht mehr auffindbar; wenn man Glück hat, sind sie gerade noch irgendwo bibliographisch belegt, aber eben wegen der wiederholten Zerstörungen und Verschleppungen der Bibliotheken und Archive nicht mehr greifbar. Sie zählen somit zum vielzitierten bibliographischen Eisberg,15 wozu allerdings auch immer noch zahlreiche zwar vorhandene, aber nicht erschlossene Sammlungen beitragen. Ist heute, trotz der angesprochenen Initiativen der letzten Jahre, die bibliographische Erfassung alter Hochschulschriften noch lange nicht abgeschlossen, steht es um die Kenntnis der Schulschriften und Schulprogramme vor 1800 noch um einiges schlechter. So fließend wie die Grenze zwischen Universität und Gymnasium war in der Frühen Neuzeit auch die Unterscheidung zwischen Hochschul- und Schulschrift. So enthalten viele Bibliographien alter Universitätsschriften zumindest Disputationen und Reden der größeren akademischen Gymnasien.16 Da die Schulen aber - wie erwähnt - gerade im Zeitalter des Barock sehr viel drucken ließen, sind auf uns auch unzählige Schulschriften gekommen, die heute zu absoluten Raritäten zählen. Die Bibliographien von Marti und Kössler17 lassen erkennen, an wie vielen Schulorten publiziert wurde, aber auch wieviele Überlieferungsverluste wir zu beklagen haben. Auch die preußischen Hochschulen haben Tausende dieser Drucke hinterlassen. In Anbetracht dessen stellt sich die zentrale Frage, wie man zu einer möglichst optimalen bibliographischen Kontrolle gelangen kann. Bei deren Beantwortung begibt man sich notwendigerweise auf das Gebiet der preußischen Gelehrten- oder Literärgeschichte, und man kann es wohl vorwegnehmen - das Königliche wie das Herzogliche Preußen ist mit einer Reihe von guten Gelehrtenlexika aus dem 18. Jahrhundert > gesegnetAltpreußischen Bibliographie < für die Frühe Neuzeit vor, sozusagen einer rückwärtigen Ergänzung der ab 1864 laufend in der Altpreußischen Monatsschrift publizierten gleichnamigen Aufstellung von Schriften aus, über und von Preußen.

57

Stownik Biograficzny Pomorza Nadwislanskiego [Biographisches Handbuch Weichsel-Pommerellens]. Hrsg. von Stanislaw Gierszewski. Bd. I-IV, Suppl. 1-2.-Gdansk: Towarzystwo Naukowe 1992-2002.

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'S. donum Dei< Keckermann und die Hermeneutik auf dem Weg in die Logik

1. Vorspiel und Ausgangspunkt: >hermeneutica< und >logica< Für den Kenner der Geschichte der Philosophie in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zählt Bartholomaeus Keckermann fraglos zu den zentralen und tragenden Gestalten dieses Zeitabschnitts. Gleichwohl läßt sich achselzuckend fragen, was das denn heißt, wenn man die Philosophie eingehender betrachtet, fur die Keckermann gemeinsam mit anderen Zeitgenossen einsteht, und dies dann mit langfristigen philosophischen Wirkungsriesen wie Giordano Bruno (1548-1600), Francis Bacon (1561-1626), Galileo Galilei (1564-1642), Johannes Kepler (15711630), Hugo Grotius (1583-1645), Thomas Hobbes (1588-1679), Marin Mersenne (1588-1648), Pierre Gassendi (1592-1655) oder Rene Descartes (1596-1650) vergleicht - um nur einige zu wählen, deren Geburtsjahr noch im 16. Jahrhundert liegt. Jedem bleibt es selbstverständlich unbenommen, in die tiefen Täler zu steigen, die solche philosophischen Gipfel reißen. Als Alternative scheint sich allenfalls anzubieten, philosophische Gestalten wie Keckermann als Indikatoren zu nehmen - Indikatoren etwa für die institutionellen Wirkungsbedingungen der Philosophie in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. In der Tat, sieht man sich die Auflagen philosophischer Werke dieses Jahrhunderts an, so finden sich dort Namen wie Franco Burgersdicius (Burgersdijk 1590-1635) oder Christoph Scheibler (1589-1653) außerordentlich piaziert. Beide sind heute kaum noch bekannt.1 Nicht ohne Grund sind sie weder für theoretische oder experimentelle Lösungen wissenschaftlicher Probleme, noch für bahnbrechende Leistungen des Sammeins, des philologischen Edierens oder Kommentierens in Erinnerung geblieben - und das gilt auch für Kekkermann. Zugleich jedoch benennt das ein Problem zumindest von normal philosophy, denn solche Autoren, deren Rezeption noch über das 1

Zu Burgersdicius jetzt die Sammlung von Beiträgen in: Franco Burgersdijk ( 1 5 9 0 - 1 6 3 5 ) . Neo-Aristotelianism in Leiden. Hrsg. von Egbert P. B o s und Henri A. (Crop.- Amsterdam, Atlanta: Rodopi 1993.

436

Lutz Danneberg

Ende des Jahrhunderts hinweg reicht, sind weder Entfalter noch Popularisatoren des (neuen) philosophischen Höhenkamms, sondern stehen im breiten Strom frühneuzeitlicher Schulphilosophie. Es finden sich aber auch Stimmen, die in der einen oder anderen Weise zweifeln, ob es sich bei der Verteilung von Tälern und Gipfeln in der philosophischen Landschaft des 16. und 17. Jahrhunderts so verhält, wie gegenwärtige Koordinaten die Projektionen anzuleiten pflegen oder zur Aktualisierung alter und bewunderungswürdiger Texte für das gegenwärtige Philosophieren verfuhren. So ist denn in jüngerer Zeit mehrfach darauf hingewiesen worden, daß der (Neo-)Aristotelianismus, anders als es die zeitgenössischen kritischen Invektiven vermuten lassen, an den Universitäten im 17. Jahrhundert einen robusten und wirkungsvollen Rahmen für die Erfassung von Wirklichkeit bildete, gefährdet letztlich allein durch den Zusammenbruch seiner physikalischen Auffassungen. Freilich dürfte zweckmäßig sein, diese aristotelische Wirkung im 17. Jahrhundert nicht als einen mehr oder weniger einheitlichen und festumrissenen Komplex von Lehrmeinungen anzusehen, die sich über die Jahrhunderte hinweg stabil gehalten haben. Die verschiedenen Ausformungen, mitunter sogar mit konfessionellen Ingredienzien, scheinen sich eher sukzessiv als Bewahrung von Familienähnlichkeiten aufeinander zu beziehen. Vor diesem Hintergrund läßt sich als eine heuristische These für die philosophiehistorische Forschung vermuten, daß sich das jeweils einstellende Bild von Kontinuität oder Diskontinuität nicht zuletzt auch der Dichte des aufgenommenen historischen Materials verdankt: Um so größer die synchrone Dichte berücksichtigter Wissensansprüche in der Philosophie- bzw. Wissenschaftsgeschichte ist, desto mehr Diskontinuität läßt sich in ihr erkennen; um so größer die diachrone Dichte, desto leichter findet sich Kontinuität. Mithin ist Diskontinuität - das > Schon < - oftmals ein Ergebnis des Forschers, der ermüdet und ermattet ein Ende finden will oder muß, Kontinuität - das >Noch< - ein immer wieder lockendes Ziel weiterer Anstrengung, das ein einzelner allein nicht zu erreichen vermag. Das gilt denn auch für die Geschichte der Hermeneutik, insbesondere für die Entwicklung der > hermeneutica generalis < und die Verbindung, die sie im ausgehenden 16. und im 17. Jahrhundert mit der Logik oder Dialektik eingeht. An einem Beispiel will ich versuchen, Aspekte eines solchen Wandels zu illustrieren. Im besonderen sind es die Umstände, die Bartholomaeus Keckermann in bestimmter Hinsicht zu dem ersten werden lassen, der hermeneutischen Regeln als geschlossenem Lehrstück einen Platz in der Logik zuweist. In der für die Frühgeschichte der Hermeneutik impulsgebenden Untersuchung von Henry-Evrard Hasso Jaeger wird der Beginn der > hermeneutica generalis < mit Johann Conrad Dannhauers (1603-1666) Idea boni interpretis von 1630 gesehen, parallel mit der Verbreitung des la-

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung

und Logik als >donum Dei
hermeneuticahermeneutica< dürfte freilich älter sein, als bislang angenommen wurde, denn er wird wie selbstverständlich zur gleichen Zeit in einem ganz anders als Dannhauers auf Hermeneutik oder Logik ausgerichteten Werk von Alexander Richardson (ca. 1565-1621) verwendet. Da dieses Werk postum erschien und sich aus inneren Gründen seine Abfassung wohl auf das erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts veranschlagen läßt, dürfte der Ausdruck, wenn auch nicht in seiner latinisierten Form, schon früher Verwendung gefunden haben. Vor allem aber findet seine Verwendung bei Richardson vor einem Hintergrund statt, mit dem Dannhauer als strenger Kritiker des Ramismus in der Logik wenig zu tun hat, nämlich im Rahmen eines umfangreichen Kommentars zur Dialektik des Petrus Ramus (Pierre de la Ramee 1515— 1572).4 Im Vordergrund der Verteidigung der ramistischen Philosophie gegenüber ihren mittlerweile zahlreichen Kritikern steht bei Richardson »Kickerman«, der als einziger Kritiker namentlich erwähnt wird. Die Zurückweisungen sind ebenso knapp wie bestimmt, dürften freilich, so Keckermann denn noch das Werk Richardons hätte lesen können, kaum überzeugt haben. 5 Wie dem auch sei - das ist der Grund, weshalb die Beziehung Keckermanns zur ramistischen Tradition immer wieder anzusprechen sein wird; denn er kennt nicht allein die in dieser Tradition stehende Aufnahme der Hermeneutik in die >logica practica inventio< und >judicium< entfährt ihm ein: »Alas poore man, [...]« (ebd., Kap. 26, S. 198).

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Z u der Erklärung, die H a s s o Jaeger fur die A u s b i l d u n g der allgemeinen Hermeneutik gibt, gehört der H i n w e i s auf die Rezeption des N e o aristotelianismus in der Gestalt einer verstärkt textorientierten B e s c h ä f tigung mit dem CEuvre des Aristoteles, nicht zuletzt im Anschluß an die große antike Kommentartradition w i e sie unter italienischem Einfluß im deutschen Sprachraum zum Beispiel an dem neugegründeten akademischen Gymnasium, der späteren Universität in Altdorf, und da insbesondere mit Michael Piccart ( 1 5 7 4 - 1 6 2 0 ) g e g e b e n ist. 6 In seinem weithin rezipierten Werk Praecognitorum Logicorum tractatus III v o n 1599 unterscheidet er z w e i Zugänge z u m aristotelischen Werk: die > textual es Peripatetici < sind diejenigen, die (mehr oder weniger philologisch) an den einzelnen Wörtern und A u s s a g e n seines Werkes hängen (bleiben); die >systematici< (>methodicostextuales Peripate6

Vgl. Michael Piccart: Isagoge in lectionem Aristotelis Hoc est: Hypotyposis Totius Philosophiae Aristotelis Qua Series & Ordo librorum, Scopus & Subjectum [...] breviter & succincte proponitur.- Nürnberg: Körber 1605; mit Ergänzungen erscheint dieses Werk noch 1660 und 1665. Beiden Ausgaben ist ein anerkennender Brief Hermann Conrings (1606-1681) vorangesetzt. Vgl. zudem Michael Piccart: Organum Aristoteleum in quaestiones & responsiones redactum [...].- Leipzig: Börner und Rehefeld 1613. Piccarts hermeneutische Überlegungen finden sich vor allem in seiner > Oratio de ratione Interpretandi < [1605].- In ders.: Orationes Academicae, cum Auctario Dissertationum Philosophicarum. In quibus & quaedam adoptivae.- Leipzig: Börner und Rehefeld 1614, S. 1-17. Bei Georg Andreas Will: Nürnbergisches Gelehrtenlexicon. Bd. III.- Nürnberg: Schüpfel 1757, S. 169-174, wird ein Werk unter dem Titel »Isagoge s. introductio ad organicam doctrinam Aristotelis per quaestiones et responsiones. Alt. 1614.4.« (S. 172) angeführt, das ich nicht finden konnte. 7 Vgl. Bartholomaeus Keckermann: Praecognitorum logicorum tractatus III [... 1599, 1603]. Nunc tertiä editione recogniti atque emendati.- Hanau: Antonius 1606, tract. II, S. 134f.: »Primüm omniu[m] duplex constituenda est Logicam, adeoq[ue] totam Philosophiam tracta[n]di ratio: una systematica, alter Textualis. Systematicam voco, cum Logicae, Physicae, Metaphysicae, & reliquarum disciplinaru[m] corpora & systemata formantur, ordinatissima methodo plene disposita, stylo ac terminis nostro aevo nostrisque ingeniis familiari, exemplis ornata talibus, quae ad usum conducunt nostrum.« Sowie (S. 136): »Ubi ergo ita Systemata nostris ingeniis & nostri seculi usui accommodata, ad formulam Philosophiae Peripateticam informata, iuventuti fuissent fideliter proposita, accedere debebat Textualis explicatio, id est, Aristotelici Textus tractatio, ubi fontes Systematum, eorü[m] exornationes, confirmationes denique & amplificationes iuventus magna voluptate, ingenti verö etiam cü[m] utilitate cognosceret; omnia facilia haberet, omnia accepta tanquam bene cum institutione systematica concordä[n]tia.« Vgl. zudem ders.: Praecognitorum philosophicorum libri duo, naturam philosophiae explicantes, et rationem eius tum docendae, tum discendae monstrantes [... 1607].- Hanau: Antonius 1608, lib. II, S. 159ff.

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secundum filum Organi Aristotelistextus receptus< des aristotelischen Organon vorgegeben erkennen, wenn man von ihm prononciert abzuweichen gedenkt - wie im Fall der ramistischen Dialektiken. Zugleich kann es bei einem so energischen Anhänger des Aristoteles wie Dannhauer dazu kommen, den Aufbau des Organon im Rahmen seiner Logik wesentlich umzustrukturieren, wobei er sich für diese Abweichung auf die Forschungen Piccarts zum Organon beruft. 8 In der Zeit Keckermanns und Dannhauers sieht man im Aufbau der Logik, also in der Abfolge und der Anordnung der Lehrstücke, kein äußerliches oder willkürliches Darstellungs- oder Überlieferungsartefakt. In diesem Aufbau kommen wesentliche Züge der zugrundegelegten Logikauffassung zum Ausdruck, in der sich so etwas wie eine Gesamtdeutung der logischen Lehrstücke niederschlägt - so kann der Aufbau nach den drei mentalen Operationen, nach der Unterscheidung zwischen formaler und materialer, zwischen allgemeiner und spezieller Logik gedeutet werden und es können sich unterschiedliche > ordines < bei der Deutung oder Umgestaltung überlagern - >ordo discendidocendicognoscendi naturae quoad nostemporumdignitas< oder der >nobilitashermeneutica generalis < vermag Dannhauer denn auch zu sagen, daß Aristoteles in einigen Schriften (wie ein Maler) nur die ersten Umrisse skizziert, die weitere Bearbeitung indes uns überlassen bleibe. 9 Und er hofft, das zu finden und darzulegen, was bislang verborgen oder verstreut in den Schriften verschiedener (neuerer) Autoren ruhte, nämlich die Hermeneutik, die Aristoteles in De interpretatione begonnen, nicht aber ausgeführt habe. Worin die Gründe 8

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Vgl. Dannhauer: Epitome Dialectica (Anm. 3), >Praefatio ad Lectoremprooemialislogica practica < verschafft. Dannhauer kennt freilich auch eine systematische Begründung für die Berücksichtigung der Hermeneutik in die Logik. Sie beruht auf dem Zusammenhang der Zielsetzungen, die beide verfolgen: Das Ziel der Logik sei die Unterscheidung von Wahrheit und Falschheit, das der Hermeneutik die von wahrem und falschem Sinn. Da letzteres Teil des allgemeineren Ziels der Logik ist, sei die Hermeneutik Teil der Logik. 11 Wenn es um den Ort der Hermeneutik in der Logik geht, dann findet sie sich also zwanzig Jahre später in Johann Claubergs (1622-1665) Logica vetus & nova von 1654 an genau derselben Stelle, wenn man es auf das aristotelische Organon bezieht: nämlich am Ende von De interpretatione. Im Blick auf die Hermeneutik, die weder als Teil der Gram10

Vgl. ebd., § 2, S. 4: »Häc itäque via facta speremus posse reperiri, quod vel occultum adhuc est, vel in promiscuis auctorum chartis dispersum per si partium adhuc se praebet conspiciendum: Hermeneuticam videlicet, quam in libris περί έρμηνείας Aristoteles incepit, no[n] tractavit aut absolvit, σύν 9εφ tradituri sumus, & prolixius exposituri, adeoq[ue] fines organi Aristotelici adjectione novae civitatis aucturi.« 11 Vgl. ebd., Art. 1, § 3, S. 4. Der erste Syllogismus lautet: »Omne scibile habet aliquam sibi respondentem scientiam philosophicam, Modus Interpretandi est aliquod scibile. Ergo Modus Interpretandi habet aliquam sibi respondentem scientiam philosophicam.« Der zweite, der die Verbindung zur Logik herstellt (ebd.): »Omnis modus sciendi est pars logicae, Modus Interpretandi est modus sciendi: Ergö Modus Interpretandi est pars logicae.« Den Obersatz hält Dannhauer für unproblematisch, zum Untersatz heißt es (ebd., § 6, S. 9): »Minor inde patet, quia ut verii[m] sensum ä falso discernas, syllogismo etiam ac demonstratione opus est; fontes verö & principia illius discretionis, in logica, quae modum sciendi ac discernendi verum έ falso profitetur, docenda sunt.« Vgl. auch Lutz Danneberg: Die Auslegungslehre des Christian Thomasius in der Tradition von Logik und Hermeneutik.- In: Christian Thomasius (1655-1728). Neue Forschungen im Kontext der Frühaufklärung. Hrsg. von Friedrich Vollhardt.- Tübingen: Niemeyer 1997, S. 253-316.

Kontroverstheologie, Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
Ad Lectorem Cordatum< zu seiner allgemeinen Hermeneutik auf ein Hindernis bei der Veröffentlichung des Werks hinweist: den Verdacht der Neuerungssucht. Demgegenüber hebt der Siebenundzwanzigjährige hervor, er sei nicht der erste, aber auch kein - unter Anspielung auf Horaz - > sklavisches EchoEklektiker hermeneutica generalis < zu bestreiten oder zu schmälern. Gleichwohl handelt es sich nur um eine von mehreren Einflußlinien, die zur Ausbildung der > hermeneutica generalis < und der expliziten Berücksichtigung von Fragen der Textinterpretation in den Logiken der Zeit gefuhrt haben 18 und es ist nicht allein der von Piccart und den Altdorfern ausgehende Impuls, auch wenn ihn Keckermann, wie zu sehen sein wird, mit Begeisterung aufnimmt. Um das nicht bei dem so richtigen wie trivialen Diktum zu belassen, daß ein Bündel von Einflüssen verantwortlich sei, will ich versuchen, die diachrone Dichte bei den vorangegangenen Bearbeitungen von Fragen der Interpretation von Texten ein wenig zu vergrößern. Die These besagt dann, daß verschiedene Einflüsse vor dem Hintergrund bestimmter Problemstellungen zusammenwirken, in denen Fragen der Textinterpretation und der Logik bzw. Dialektik eine Rolle spielen, und dabei zu einer Entwicklung führen, die sich zwar an verschiedenen Stelle verzweigt, damit zahlreiche Möglichkeiten weiterer Ausdifferenzierung bietet, die gleichwohl - in den einzelnen Schritten - als kontinuierlich erscheint. Hohe diachrone Dichte verstärkt zwar den Eindruck von Kontinuität, wenn die Betrachtung immer nur benachbarte Segmente in den Blick nimmt. Im direkten Vergleich eines gesetzten Anfangs mit einem gewählten Endpunkt zeigt sich erst Diskontinuität, das Innovative, das Neue, das sich im Laufe der Entwicklung trotz fortwährender (und gewollter) Kontinuität einstellt. Ein Beispiel sei herausgegriffen, auch wenn sich ihm hier nur eine formelhafte Formulierung geben läßt. Die hermeneutischen Überlegungen, die sich in Benedictus de Spinozas (1632-1677) Tractatus-Theologico Politicus finden, werden oftmals

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Eklektik. Eine Begriffsgeschichte mit Hinweisen auf die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte.- Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1994, S. 48. Doch man ist noch kein >Eklektikeranalysis Iogica< in den ramistischen Dialektiken.- In: Terminigebrauch und Folgebeziehung. Hrsg. von Uwe Scheffler und Klaus Wuttich.- Berlin: Logos-Verl. 1998, S. 129-158.

Kontroverstheologie, Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
hermeneutica generalis < entsteht nicht zuletzt vor dem Hintergrund (kontroverstheologischer) Probleme, die nach der Auffassung der Protestanten durch die Heilige Schrift, also letztlich mittels Textinterpretation, zu entscheiden seien - die Heilige Schrift als einziger >judex< (>regula et norma hermeneutica specialis< und >generalis hermeneutica generalis hermeneutica generalis < und > hermeneutica sacra hermeneutica generalis < bei Clauberg, dessen Logica vetus & nova Spinoza offenbar gut kannte, in ihrer Genese rekonstruieren als Verallgemeinerung der > hermeneutica sacra hermeneutica sacra < aus der > hermeneutica generalis < als Spezifizierung der hermeneutischen Kanones hervor. Für diese Spezifizierung sind angesichts der Heiligen Schrift zwei >canones< konstitutiv, die für die > hermeneutica generalis < gerade nicht gelten: >a veritate (dogmatica) valet consequentia ad veritatem hermeneuticam < sowie >a veritate hermeneutica ad veritatem dogmaticam valet consequential Zwischen spezieller und allgemeiner Hermeneutik fuhrt das zu einer Art Grenzfallbeziehung. Betrachtet man den Übergang unter diesem Blickwinkel, so läßt sich Spinozas hermeneutische Innovation als ein kleiner Schritt mit immensen Wirkungen begreifen: als Teil eines nicht intendierten Effekts der vorangegangenen Entwicklung zur >hermeneutica generalis«. Zwar setzt das Spinozas Bibelanalyse und seine hermeneutischen Ausführungen ins Zentrum, doch muß man damit nicht leugnen, daß die Zeitgenossen sich an seiner Ablehnung eines personalen Gottes, seinem Determinismus, die Auswirkungen auf die praktische Philosophie, seiner Vorstellung von Sünde und Moral sich zumindest ebenso zu erregen vermochten wie über seine Bibelkritik, die durch die Subordination der Heiligen Schrift unter die > hermeneutica generalis < bedrohliche Formen annimmt. Angesichts der Fülle des zu berücksichtigenden Materials zur Geschichte der Hermeneutik und hinsichtlich der Schwierigkeiten seiner Zugänglichkeit wie der noch immer bibliographisch ungenügenden Er-

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fassung kann ich diese Entwicklung und die Rolle, die Keckermann in ihr spielt, nur in einem ersten Anfang und bescheiden gestalten. 19 Zur Begrenzung des Umfangs dieser Untersuchung erweist sich vor allem eine spezielle Fokussierung als hilfreich. Als Fokus dient mir eine Passage, bei der fast ein halbes Jahrhundert nach Keckermanns Tod auf den ersten Blick überhaupt keine Verbindung zu ihm und zum Thema zu bestehen scheint. Diese beiden Episoden sollen gleichwohl exemplarisch dazu dienen, nicht allein einen, wenn man so will, subkutanen Zusammenhang im Zuge der Erörterung von Fragen der Hermeneutik aufzuzeigen, sondern auch bestehende Kontinuitäten des Problems im Zuge verschiedener Problemlösungen und im Rahmen durchaus veränderter epistemischer Situationen sichtbar zu machen. 20 In seiner Logica vetus & nova, die Clauberg in ihrer Fassung von 1654 als >quadripartita< konzipiert, enthält der dritte, unter der Bezeichnung >hermeneutica analytica< firmierende Teil eine Darstellung der allgemeinen Auslegungslehre, die wesentlich ausführlicher gestaltet ist als die in Dannhauers Dialektik und weniger umfassend als in seiner Hermeneutik Idea Boni Interpretis. In dem als Abfolge von Frage und Antwort konzipierten Lehrwerk Claubergs erschöpft sich der Part des Fragenden durchweg in dem des Stichwortgebers für die (systematische) Entfaltung hermeneutischer Lehrstücke. Das ist nichts auffallendes bei Lehrwerken aus dieser Zeit. Die Darstellungsweise ist nicht dialogisch, sondern folgt einer katechismusartigen Magister-cum-discipulo-OaxsleXlungsform als Abfolge von Frage und Antwort. An einer Stelle kommt es gleichwohl und daher unerwartet bei der Darlegung der Lehrstücke zur Nachfrage, die den Antwortenden zur Ergänzung und Präzisierung seiner Ausführungen veranlaßt. Daß dies nicht hinter dem Rücken des Verfassers der Logica vetus & nova geschieht, zeigt sich daran, daß dabei ein exponierter Streitpunkt aufgenommen wird. Ohne daß sein Name im hermeneutischen Teil überhaupt genannt wird oder andere hinweisende Indizierungen erfolgen, verweist diese Stelle zunächst indirekt, anhand der Wahl des Beispiels und seinem Thema dann direkt auf Kekkermann und damit zugleich auf einen Strang in der Frühgeschichte der Erörterung von Problemen der Auslegung in der Logik. Im Fortgang seiner Darlegung der hermeneutischen Hilfsmittel zum Verständnis eines Textes läßt Clauberg fragen, inwieweit hierfür auch 19

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Zum Hintergund wie zur Erweiterung der Ausführungen in diesem Beitrag vgl. Lutz Danneberg: Logik und Hermeneutik um 1600: Die Ratio und das Verstehen der Glaubensmysterien. (Erscheint 2005 in der Reihe >Historia Hermeneutica< im Verlag de Gruyter.) Zum Konzept der epistemischen Situation siehe Lutz Danneberg: Säkularisierung, epistemische Situation und Autorität.- In: Zwischen christlicher Apologetik und methodologischem Atheismus. Hrsg. von dems. u.a.- Berlin, N e w York: de Gruyter 2002, S. 1 9 - 6 6 .

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Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
rhetoricae finesiudicarePraefatio< seiner Basler Werkausgabe von 1541, vgl. ders.: Opera [...]. Bd. IV.- Braunschweig: Schwetschke 1837 (= Corpus Reformatorum; 4), Sp. 721: »Cum autem Ecclesiasticarum controversiarum magna sit varietas et difficultas, optandum est, ut haec studia floreant [...] ne possunt quidem ab ineruditis explicari difficiliores controversiae, in quibus non satis est res ipsas mediocriter tenere, sed etiam forma quadam et methodo, genere verborum et dexteritate quadam in explicando opus est.« 23 Vgl. Philipp Melanchthon: Scholia in Epistolam Pauli ad Colossenes [1527]. In: Melanchthons Werke in Auswahl [...]. Hrsg. von Robert Supperich. Bd. IV.Gütersloh: Bertelsmann 1963, S. 209-303, hier S. 237. 24 Vgl. Melanchthon: Elementorum Rhetorices (Anm. 21), lib. I, Sp. 419: »Ut autem dialecticae finis est, iudicare, Utrum in docendo apte consentiant omnis,

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lein schon deshalb gehört die >dialectica< in der Gestalt der »analysis logica< für Melanchthon zum Verstehen von Texten, auch wenn er Fragen der Interpretation keinen Platz in einer der verschiedenen Versionen seiner dialektischen Lehrbücher gegeben hat. Bei dieser Lehre, so fährt der Antwortende in Claubergs Logik präzisierend fort, seien drei verschiedene Fragen zu unterscheiden: Erkennen soll man, ob in einer Rede überhaupt ein Tropus vorliege, in welchem Wort er enthalten sei und um was für einen Tropus es sich handle. 25 Mit dieser Antwort zeigt sich der Fragende allerdings nicht zufrieden. Ihm sei wohl klar, daß er >Ort< und >Art< des Tropus aus der Rhetorik lerne, wissen wolle er jedoch, wann eine übertragene Bedeutung eines Wortes anzunehmen sei (und wann nicht). Und allein an dieser Stelle des Buches zur Hermeneutik bringt es der Fragende zu einem Kommentar, indem er bemerkt, daß zur Beantwortung dieser Frage die rhetorischen Vorschriften nicht auszureichen scheinen. 26 Die Antwort, die Clauberg dem Lehrenden in den Mund legt, konzediert das, und hält unter Berufung auf eine Augustinus zugeschriebene Sentenz fest, daß von Natur aus der eigentliche Sinn dem übertragenen vorausgehe. Doch müßten wir nur so lange an ihm festhalten, bis uns eine > Notwendigkeit < zwinge, einen übertragenen Sinn anzunehmen: »Resp. Cum sensus orationis proprius natura sit prior tropico, tarn diu in illo persistendum est, donec ad hunc amplectendum adigat necessitas. Et sic S. Augustinus: semper verborum proprietatem retinendam esse, nisi quaedam bona ratio tropum suadet [...].«27 Auf die Kriterien, welche Clauberg für diese > necessitas < erörtert, braucht in diesem Zusammenhang weder in ihrem systematischen Gehalt noch in ihrem historischen Zusammenhang eingegangen zu werden. Auch wenn sich die Berufung auf Augustinus im Wortlaut nicht nachweisen läßt, so wird bei der Erörterung einer vergleichbaren Regel nicht selten auf diesen Kirchenvater als Autorität hingewiesen. So ist denn auch diese Auszeichnung >priora naturae < eines eigentlichen > sensus < alles andere als ungewöhnlich. In der wichtigen Philologia sacra des Salomon Glassius (1593-1656) findet sich die Sentenz, die immer wie-

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item, in docendo sequi certam viam, ita et rhetoricae fines constituamus, iudicare de longa oratione, qualis sit partium series, quae sint praeeipua membra, quae sint Ornamenta [...].« Vgl. Clauberg: Logica vetus & nova (Anm. 12), Teil 3, Kap. 5, § 29, S. 850: »Quid ad propositum finem juvat Rhetorica? Resp. Haec docet tropicam vocis aeeeptionem ä propria discernere, ut scias, an in oratione aliqua sit tropus, in qua voce sit, quis sit, sive ad quam classem pertineat, [...].« Vgl. ebd., § 30, S. 850: »Sedem & classem tropi ex ipsis Rhetoricis addiscendam arbitror, hie solum rogo; quando tropus in voce statuendus, quando non, neque enim ad hoc judicandum praeeepta Rhetorica videntur sufficere?« Ebd.

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und Logik als >donum Dei
sensus mysticus verborgener Sinn< zu sehen ist, meint diese Stelle doch im großen und ganzen die drei traditionellen >sensus< - >allegoricusanagogicus< und >tropologicushermeneutica generalis < (denn die Dreiteilung der > sensus < stellt eine spezielle Annahme für bestimmte Texte dar). Der zweite Unterschied unterstreicht das: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die unterschiedlichen > sensus< ihrem Rang nach zu ordnen. Nicht allein nach der Natur, sondern auch nach ihrer Dignität, die sich in diesem Fall selbstverständlich theologisch bestimmt. Die >hermeneutica generalis < schließt solche Rangbestimmungen nicht aus, doch wenn, dann gehören sie in die >hermeneutica sacra sensus litteralis< nur so lange festhalten müssen, bis uns eine > Notwendigkeit < zwinge, einen übertragenen Sinn anzunehmen, das wichtig, was mit ihr zum Ausdruck gebracht wird: Die Frage des Bedeutungsübergangs, also des Übergangs von einer ersten wörtlichen zu einer zweiten nichtwörtlichen Bedeutung, ist eine Frage der Hermeneutik - nicht der Grammatik oder der Rhetorik - und damit ist sie eine Frage der Logik. Nach Claubergs Ausführungen zur Aufnahme der Erörterung von Interpretationsregeln in die Logik muß es sich um eine allgemeine Frage oder Regel handeln, die unabhängig ist von den besonderen Gegenstandsbestimmungen, unter die der jeweilige Text fallt. Diese explizite Überantwortung bestimmter Fragen der Interpretation an die Hermeneutik schließt einen impliziten Hinweis durch das illustrierende Beispiel ein. Bei ihm seien, wie Clauberg hervorhebt, genau die Fehler gemacht 28

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So z.B. von August Hermann Francke (1663-1727): Praelectiones hermeneuticae, ad viam dextre indagandi et exponendi sensum scripturae [...].- Halle a.S.: >Orphanotropheum< 1717, >Positio< 1, S. 19: »Immo Sensus Mysticus magis a Spiritu Sancto intenditur, quam Litteralis, quia ille hoc est nobilior atque sacratior, & Mysticus Litterali prior est dignitate, quemadmodum Litteralis prior est Mystico natura & ordine: quae Glasii verba sunt.« Salomon Glassius: Philologia Sacra, qua totius sacrosanctae veteris & novi testamenti scripturae tum stylus & literature, tum sensus & genuinae interpretationis ratio expenditur libri duo. [...].- Jena: Steinmann 1623, lib. II, Teil 1, tract. II, Sp. 407. Vgl. z.B. auch Dannhauer: Idea Boni Interpretis (Anm. 8), Teil 1, Sect. 3, a. 2, § 51, S. 85: »Regula I. Nunquam veniendum est ad sensum orationis tropicum nisi cogat neceßitas.«

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worden, die man bei den drei genannten Fragen zur Ermittlung einer übertragenen Bedeutung machen könne - also einem Satz eine wörtliche Bedeutung zuweisen, während er eine übertragene besitzt (oder umgekehrt), die nicht-wörtliche Bedeutung dem falschen Ausdruck in diesem Satz zuzuerkennen, den nichtwörtlichen Charakter nicht richtig zu klassifizieren. Im gewählten Beispiel liegt nun die eigentliche Pointe: »Hoc est corpus meum«, also die Einsetzungsworte aus der Heiligen Schrift. Zunächst scheint das ein eher beliebig gewähltes Exempel zu sein. Doch schon der zweite Blick läßt die Auszeichnung der Deutung der Einsetzungsworte als Beispiel für alle drei Fehler den Schluß auf Claubergs konfessionelle Zugehörigkeit zu. Noch aufschlußreicher ist ein dritter Blick. Bei ihm zeigt sich, daß mit der Wahl genau dieses Beispiels ein entscheidender Aspekt der Diskussionen thematisiert wird, der zur Behandlung von Fragen der Interpretation in der Logik beigetragen hat und bei dem Keckermann eine exponierte Rolle spielt.

2. Intermezzo: Leben, Werk und philosophischer Hintergrund Nur ausschnittweise soll hier die Biographie und nur weitläufig Kekkermanns umfangreiches CEuvre von Interesse sein.30 Unsicherheit besteht bei dem Geburtsdatum - 1571 oder 157231 - dieses Sohnes des zunächst als Lehrer, dann als Kaufmann tätigen Bernhard Keckermann. Wie sein Vater war auch sein Onkel, Joachim Keckermann, Prediger an der Danziger Johanneskirche, reformiert. Der Onkel gehörte maßgeblich zu denjenigen, die sich seit 1580 an den Auseinandersetzungen in Danzig um das lutherische Konkordienbuch beteiligten. 1587 kam es zum Eklat um den von Joachim Keckermann unterstützten Direktor des Danziger Gymnasiums Jakob Fabricius (Schmidt, 1551-1629). Unter anderem führte das zur Entlassung eines lutherischen Predigers. Im Zuge mehrtägiger Straßentumulte der ob der Entlassung aufgebrachten lutherischen Mehrheit der Bevölkerung, die dann nur durch eigens angeheuerte Milizen beschwichtigt werden konnte, mußte Joachim Keckermann, 30

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Es gibt zwei monographische Studien: Wilhelm Hendrik van Zuylen: Bartholomäus Keckermann. Sein Leben und Wirken.- Borna-Leipzig: Noske 1934, sowie Bronislaw Nadolski: Zycie i dzialalnosc naukowa uczonego Gdanskiego Bartlomieja Keckermanna [Leben und wissenschaftliche Tätigkeit des Danziger Gelehrten Bartholomaeus Keckermann].- Torun: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1961, die ich allerdings aufgrund meiner mangelhaften Sprachkenntnisse nicht hinreichend würdigen konnte; zu einer Bibliographie und ergänzenden Informationen siehe Joseph S. Freedman: The Career and Writings of Bartholomew Keckermann (d. 1609).- In: Proceedings of the American Philosophical Society 141 (1997), S. 305-364, Bibliographie S. 338-348. Hierzu vor allem Freedman: The Career (Anm. 30), S. 326-328.

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und Logik als >donum Dei
Magnus eras scriptis, fieri cum major in orbe/ Vix posses, coelum jussit adire Deus.Epistola dedicatoria< [von 1602], unpag.

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heit vollziehen sich in beiden, Philosophie w i e Theologie, mehr oder weniger dramatische Veränderungen an der Hochschule. Der zu Keckermanns Lehrern gehörende Petrus Calaminus ( 1 5 5 6 - 1 5 9 8 ) studierte seit 1573 zuerst in Heidelberg bei Zacharias Ursinus ( 1 5 3 4 - 1 5 8 3 ) , einer der zentralen theologischen Gestalten der Reformierten. 3 5 Er ging dann nach Wittenberg, erwarb bei Urbanus Pierius (Birnbaum 1 5 4 6 - 1 6 1 6 ) den Doktorgrad, 3 6 und er mußte, e b e n s o w i e sein Lehrer Pierius, Wittenberg aufgrund v o n Lehrdifferenzen, die ihn als Calvinisten verdächtig machten, verlassen. Calaminus und Keckermann dürften etwa zeitgleich Wittenberg verlassen haben. 3 7 Unter dem dann bis an sein frühes Lebensende 1598 in Heidelberg lehrenden Calaminus respondierte Keckermann De Baptismo Repetitio doctrinae Orthodoxae 1596. E s dürfte sich u m die erste nachweisbare Schrift handeln, auf der sich Keckermanns N a m e findet. 3 8 D i e s e Wandlungen, die zum Fortgang Keckermanns aus Wittenberg gefuhrt haben, sind Ausdruck der veränderten universitären Berufungspolitik, die im wesentlichen bestimmt war durch die Auseinandersetzungen z w i s c h e n Philippismus und Gnesioluthertum mit dem (Krypto-) Calvinismus in Kursachsen, und in z w e i Phasen verlief: 3 9 einer ersten 35

Zu Calaminus in Heidelberg die Angaben bei Dagmar Drüll: Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386-1651.- Berlin usw.: Springer 2002, S. 60f. 36 Vgl. Urbanus Pierius: Doctrinae De Peccato Originali Explicatio Orthodoxa et Methodica, certis Thesibus Comprehensa [...] Praeside Urbano Pierio D. Pro Licentia accipiendi gradum Doctorum in Theologia, publice respondebunt: [...] Petrus Calaminus [...].- Wittenberg: Lehmann 1590. In dieser Sammelpromotion umfaßt der Teil des Calaminus die Thesen XXVI-LVI. 37 Hierzu die Auflistung der weiteren Stationen derjengen Studenten, die sich 1590 in Wittenberg immatrikuliert haben und dann in den nächsten zwei Jahren an reformierte Universitäten weitergezogen sind, allen voran Heidelberg, bei Thomas Klein: Der Kampf um die zweite Reformation in Kursachsen 15861591.- Köln, Graz: Böhlau 1962, S. 211 f. 38 Vgl. Petrus Calaminus: De Baptismo Repetitio doctrinae Orthodoxae [...] Publice disputatibur [...] Praeside Petro Calamino [...] Respondente M. Bartholomaeo Keckermanno [...].- Heidelberg: Smesmann 1596. Die Widmung an den mährischen Adeligen Ladislav Velen von Zerotin (f 1611) ist von Petrus Calaminus auf den 11. Juli 1595 datiert; auf dem Titelblatt heißt es: »Ad 17. Julij: hora & loco consuetis«, allerdings für das Jahr 1596. Daß mehr als ein Jahr zwischen der Dedikation und dem Erscheinen des Werkes vergangen sein soll, ist bei einer Dissertation außerordentlich ungewöhnlich und legt die Vermutung nahe, daß eine der beiden Datierungen falsch ist. Die Datierung in der Dedikation ist in arabischen Zeichen, die auf dem Titelblatt in römischen: »IVC«. 39 Parallel hierzu, wenn auch mit anderen Vorzeichen, sind die Phasen in Heidelberg zu sehen: Eine erste Phase von 1576 bis 1583 stellt eine >Lutheranisierung< dar, die zweite Phase von 1584 bis 1592 eine (erneute) >Calvinisierungdonum Dei
Säuberung< der Universität steht. Ihr bereitete August von Sachsen 1574 ein Ende mit der Inhaftierung des kursächsischen Leibarztes, Professors für Medizin und Mathematik und Inspektors der Universität Wittenberg Kaspar Peucer ( 1 5 2 5 1602) - dem langjährigen Vertrauten und Schwiegersohn Philipp Melanchthons. Ohne Zweifel dürfte Keckermann durch diese Auseinandersetzungen geprägt worden sein, nicht zuletzt in seiner Wertschätzung Melanchthons. Bekräftigt wird das in Heidelberg, denn zahlreiche der zu Reformierten sich entwickelnden Gelehrten sind Schüler oder Anhänger Melanchthons gewesen - das gilt nicht zuletzt für Ursinus, der von 1550 bis 1557 in Wittenberg bei Melanchthon studierte. 40 Obwohl an zahlreichen reformierten Lehranstalten das, was in der Lehre auf lutherischer Seite Melanchthons loci waren, auf reformierter Seite Calvins Institute gewesen zu sein scheint, 41 lehnte der Inhaber des theologischen Lehrstuhls, der über die loci theologici bzw. communes zu lesen gehalten war, es noch im Jahre 1600 ab, Calvin anstelle von Melanchthon als Grundlage zu nehmen. 42 In vielfacher Hinsicht sein Lutherischer Zwillingsbruder - nicht minder scharfsinnig und ebenso fleißig wie Keckermann - ist Jacobus Martini (1570-1649). 4 3 In Wittenberg erhielt er 1602 die Professur für Loverantwortlich ist, setzt Friedrich IV. diese Politik fort; hierzu Karl Wolf: Die Sicherung des reformierten Bekenntnisses in der Kurpfalz nach dem Tode Johann Casimirs.- In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 87 (1934), S. 384-425. Dabei ändert sich auch die Berufungspolitik und es werden zahlreiche der wegen ihrer reformierten Einstellung entlassenen Hochschullehrer wieder eingestellt; zu dieser Phase Johann Friedrich Hautz: Geschichte der Universität Heidelberg. Nach handschriftlichen Quellen nebst den wichtigsten Urkunden. Bd. II.- Mannheim: Mohr 1864, S. 116-140. 40 Es ist allerdings strittig, wie weit sein Einfluß - etwa auf den Heidelberger Katechismus - tatsächlich reicht, vgl. Peter Alan Lillback: Ursinus' Development of the Convenant of Creation: A Debt to Melanchthon or Calvin?- In: The Westminster Theological Journal 43 (1981), S. 247-288; Derk Visser: Zacharias Ursinus (1534-1583). Melanchthons Geist im Heidelberger Katechismus.In: Melanchthon in seinen Schülern. Hrsg. von Heinz Scheible.- Wiesbaden: Harrassowitz 1997, S. 373-389; Lyle D. Bierma: »What Hath Wittenberg to Do with Heidelberg?« Philip Melanchthon and the Heidelberg Catechism.- In: Melanchthon in Europe: His Work and Influence Beyond Wittenberg. Hrsg. von Karin Maag.- Grand Rapids: Paternoster 1999, S. 103-121. 41 Vgl. Olivier Fatio: Presence de Calvin ä l'epoque de l'orthodoxie reformee. Les abreges de Calvin ä la fin du 16e et au 17e siecle.- In: Calvinus Ecclesiae Doctor. Hrsg. von Wilhelm Η. Neuser.- Kampen: Kok 1979, S. 171-207. 42 Vgl. Bernard Vogler: Le clerge Protestant rhenan au siecle de la reforme (1555-1619).- Paris: Edition Ophrys 1976, S. 54. 43 Neben den nicht wenigen Hinweisen in seinem Vernunftspiegel finden sich knappe biographische Angaben zu Martini bei Jeremias Reusner (1590-1652): Vita Jacobi Martini [...].- Wittenberg: [o.D.] 1649, und bei Theophil Spizelius

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gik, 1609 zudem die für Ethik mit praktischer Philosophie, und faktisch scheint er über das gesamte aristotelische CEuvre extraordinarie gelesen zu haben. Endlich erlangte er die von ihm sehnlich begehrte Professur für Theologie. Er gehörte in der Zeit zu den zentralen Gestaltern der Wittenberger Universität, vor allem stand er für die Verbindung von lutherischer Theologie und aristotelischer Philosophie. Trotz der Altersgleichheit und obwohl Martini 1587 sein Studium in Wittenberg begann, dürften sich beide aufgrund ihrer unterschiedlichen Präferenzen nie an diesem Ort begegnet sein: Aus denselben Gründen, aus denen für Kekkermann der Aufenthalt in Wittenberg aussichtsreich war, verließ Martini 1590 die Stadt, um in Helmstedt seine Studien fortzusetzen, und aus denselben Gründen, die Keckermann bewogen haben, Wittenberg wieder zu verlassen, kehrte Martini 1593 an seine alte Universität zurück. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dürfte er der wohl gewichtigste Kritiker Keckermanns gewesen sein, und im Verlauf seines wesentlich längeren Lebens, in dem er eine quantitativ schier nicht nachvollziehbare Disputationstätigkeit entfaltete, setzte er sich immer wieder mit seinem reformierten Widerpart auseinander. 44 Nicht zuletzt an diesem Lutheraner zeigt sich die Wirkung, die von Keckermann ausging; hierzu gehören auch die zahlreichen Schriften von direkten Schülern Martinis, die sich mit Keckermanns Auffassungen auseinandersetzen. Beide verbindet nicht allein eine ähnliche Einschätzung der Bedeutung von Philosophie überhaupt, insonderheit von Logik und von Metaphysik, und insbesondere für die Theologie, sondern auch die Wertschätzung Melanchthons und des Aristoteles. Folgt man seiner eigenen Unterscheidung, so dürfte sich Keckermann selbst zu den > systematica (>methodicosDisp. duodecima< (S. 3 0 3 - 3 3 2 ) zu Keckermanns Auffassung von Logik und Metaphysik.

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
praeceptor germaniae< gesehen zu haben. Diese Orientierung allein schon impliziert die Gegnerschaft zum Ramismus, welche dementsprechend Keckermann und Martini teilen. 48 Sicherlich nehmen Keckermann und Martini bei der Einschätzung von Logik und Metaphysik unterschiedliche Gewichtungen vor. D o c h aus der Retrospektive, nicht zuletzt im Blick auf das widerstreitende Spektrum zu dieser Frage innerhalb jeder der beiden protestantischen Konfessionen, stellen sich diese Unterschiede eher als Nuancen dar; deutlicher noch wird das, blickt man auf die theologischen Differenzen beider. So dürfte denn auch die Motivation für die Wertschätzung der Philosophie bei beiden ähnlich sein: Es geht um das Finden der > recta ratio philosophandiEpistola dedicatoria< von 1603], Es stellt ein elementares Lehrbuch der aristotelischen Logik dar. Allein aus didaktischen Erwägungen folgt es der berüchtigten dichotomischen Darstellungsweise der Ramisten. Zwanzig Jahre später fuhrt Martini dann geballt und in gewohnt extensiver Weise seine Auseinandersetzung mit der ramistischen Logikauffassung in ders.: Discussionum Ramisticarum Libri Duo, Quibus Praecepta Logicae P. Rami rite proponuntur & ex mente autoris fideliter exponuntur nec non controversiae, inter Ramistas & Aristotelicos hactenus motae, solidae dedicuntur [...].- Wittenberg: Schurerus 1623.

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Die Motivierung ist bei beiden immer wieder kontroverstheologisch: Logik und Metaphysik finden ihre Anerkennung deshalb, weil sie von allen Seiten und gegen alle Seiten für die >theologia polemica< als notwendig erachtet werden. Vollständig auf Widerspruch stößt dann auch die vehemente Zurückweisung der Metaphysik durch Ramisten. Als wenig tauglich für diesen Zweck der konfessionellen Auseinandersetzung gilt aber auch die ramistische Logik, nicht zuletzt deshalb, weil sie der Beweislehre nicht genug Aufmerksamkeit schenkt - von den Kritikern verächtlich als eine Logik (nur) der >opiniones< gesehen - und sie die sophistischen Fehlschlüsse aus der Logik verbannt, in denen man ein überaus effektives Instrument sieht, die gegnerische Argumentation zu analysieren und kritisch aufzulösen. Während es juristisch gesehen nach dem Augsburger Religionsfrieden in der Auseinandersetzung nur zwei Fronten gab, bildete sich aus der einen sukzessive eine weitere heraus. Es handelte sich immer mehr um Auseinandersetzungen, bei denen man in zwei Richtungen das Eigene zu profilieren und zu verteidigen hatte. Die gleichzeitige Zunahme der Wertschätzung der aristotelischen Logik bei beiden protestantischen Gruppen, nicht zuletzt unter italienischer, also katholischer Vorprägung und Einwirkung, sowie der jesuitischen Metaphysik, erfahrt vor diesem kontroverstheologischen Hintergrund zumindest eine Teilerklärung. Wie andere ist auch Keckermann hiervon geprägt. So hält er beispielsweise explizit eine wirkungsvolle Auseinandersetzung mit der katholischen Lehre ohne die Ausbildung in der Metaphysik für unmöglich. 49 Zwar ist das wesentlich komplexer als es sich hier darstellen läßt, aber im Kontext dieses sich sukzessive verstärkenden kontroverstheologischen Dissenses unter den Protestanten läßt sich auch eine Erklärung vermuten für die größere >Toleranz< oder den irenischen Charakter, der sich ausgeprägter mitunter bei Reformierten findet - nicht zuletzt bei David Pareus (Wängler - pareia: Wange, 1548-1622), dem wohl entscheidenden und wichtigsten theologischen Lehrer Keckermanns. 50 Diese Irenik erscheint mit Blick auf die komplizierte rechtliche Situation daher eher als Ausdruck einer spezifisch defensiven Situation, in 49

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Vgl. Bartholomaeus Keckermann: Scientiae Metaphysicae Compendiosum Systema, pulicis in Gymnasio Dantiscano Praelectionibus adornatum, & in duas Partes tributum [...].- Hanau: Antonius 1609, S. 20. Zu diesem die ausführliche Darstellung seines Sohns Johann Philipp Pareus: Narratio historica de curriculo vitae, & obitu scriptisqfue] reverendißimi Patris Davidis Parei [...].- Frankfurt a. Main: Rosa 1647 (diese Lebensbeschreibung war zuerst den Opera Omnia des Pareus von 1628 beigegeben); femer Gustav Adolf Benrath: David Pareus.- In: Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Helmut Neubach und Ludwig Petry. Bd. V.- Würzburg: Holzner 1968, S. 13-23; auch Hans Rott: Briefe des Heidelberger Theologen Zacharias Ursinus aus Heidelberg und Neustadt a.H.- In: Neue Heidelberger Jahrbücher 14 (1906), S. 39-172.

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
Abweichungen < der Reformierten um 1600 ausbilden. 51 Bis gegen Mitte des 17. Jahrhunderts hatten sie sich immer als Teil der imaginierten zweiten Front zu erweisen - also in der Sprache der Zeit, daß sie theologisch in Konfessionsgemeinschaft auf dem Boden der Confessio augustana stehen. Fortwährend wachten die sensibilisierten lutherischen Theologen sozusagen über Punkt und Komma der Übereinstimmung, was zu einer kaum vorstellbaren Flut an Schriften zu den Abweichungen in > causa fidei et religionis< gefuhrt hat. Erst mit dem Westfälischen Frieden, der den Krieg mit der Bestätigung des Augsburger Religionsfriedens von 1555 beendete, 5 2 erfolgte der Einschluß der Reformierten bzw. Calvinisten, mithin Keckermanns Konfession. 53 Dieser defensive Charakter dürfte bei Keckermann zu einer Besonderheit in seinen politischen Auffassungen gefuhrt haben, die seiner Zeit weit voraus zu sein scheinen. Bei einem solchen Urteil darf jedoch nicht die angesprochene Problemsituation vergessen werden. 5 4 Nach Keckermanns Staatslehre - in der er keinen Zweifel läßt, daß die Monarchie die vergleichsweise beste Regierungsform ist (»status 51

Vgl. Hans Leube: Kalvinismus und Luthertum im Zeitalter der Orthodoxie. Bd. I: Der Kampf um die Herrschaft im protestantischen Deutschland.- Leipzig: Deichert 1928, insb. S. 59-70; sowie Gustav Adolf Benrath: Irenik und zweite Reformation.- In: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. Das Problem der >Zweiten Reformations Hrsg. von Heinz Schilling.- Gütersloh: Mohn 1986, S. 349-372. 52 Hierzu u.a. im angesprochenen Kontext Martin Heckel: Augsburger Religionsfriede 1555.- In ders.: Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.- München: Claudius 1968, S. 209ff.; sowie ders.: >Autonomia< und >Pacis Composition Der Augsburger Religionsfriede in der Deutung der Gegenreformation.- In: Savigny-Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Kan. Abt. 45 (1959), S. 141-248; Walter Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 und seine Bedeutung für die Entstehung der Reformierten Kirche und ihres Bekenntnisses.- NeukirchenVluyn: Verl. des Erziehungsvereins 1964. 53 Zum Hintergrund u.a. Martin Heckel: Reichsrecht und >Zweite Reformationc Theologisch-juristische Probleme der reformierten Konfessionalisierung.- In: Die reformierte Konfessionalisierung (Anm. 51), S. 11-43; und ders.: Deutschland im konfessionellen Zeitalter.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1983, sowie Fritz Dickmann: Das Problem der Gleichberechtigung der Konfessionen im Reich im 16. und 17. Jahrhundert.- In: Historische Zeitschrift 201 (1965), S. 265-305, und ders.: Der Westfälische Frieden. 3. Aufl.- Münster: Aschendorff 1972; Paulus Volk: Die kirchlichen Fragen auf dem Westfälischen Frieden.- In: >Pax optima rerum.< Beiträge zur Geschichte des Westfälischen Friedens 1648. Hrsg. von Ernst Hövel.- Münster: Regensberg 1948, S. 99-136. 54 Das verkennt die ansonsten verdienstvolle Untersuchung von Friedrich Goedeking: Die >Politik< des Lambertus Danaeus, Johannes Althusius und Bartholomäus Keckermann. Eine Untersuchung der politisch-wissenschaftlichen Literatur des Protestantismus zur Zeit des Frühabsolutismus.- Diss. phil. Heidelberg 1977.

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perfectus Reipublicae«) - habe sich der Souverän als politische Instanz bei seinen Handlungen für das Wohl seiner Untertanen nicht (mehr) an der Vorstellung eines konfessionell homogenen Gemeinwesens zu orientieren, sondern etwaige konfessionelle Inhomogenitäten zu belassen (also daß die Untertanen nicht konvertieren oder vom >ius emigrandi< Gebrauch machen mußten) - ja, Keckermann scheint der Meinung zuzuneigen, daß es sich um einen > normalen < Zustand handelt, mit dem also immer zu rechnen sei. Das erweist sich als wichtig, wenn es darum geht, bei Keckermanns offenkundig kontroverstheologisch motivierter Aufnahme der Hermeneutik in die Logik nicht nur zu erkennen, was von ihr theoretisch erwartet wird, sondern auch, was sich praktisch nicht erwarten läßt. Zunächst ähnelt diese Verschiebung der Hermeneutik in die Logik den Lösungen des mit der Konfessionalisierung entstehenden Problems des inneren religiösen Dissenses. Ebenso wie man versuchte, dieses theologische Problem in einen Rechtsfall zu transformieren (Widerstandsrecht), um es einer Lösung zuzuführen, die konfessionsunabhängig akzeptabel sein sollte, läßt sich die Verlagerung der Hermeneutik in die Logik betrachten, die ausnahmslos allen als > donum Dei < zur Verfügung steht. Mithin kann die gehegte Erwartung nicht die Auflösung des konfessionellen Dissenses sein, sondern gedacht ist es als die Schaffung eines hinsichtlich der Streitpunkte relativ neutralen, für alle akzeptablen Instruments der potentiellen Schlichtung der Auslegungskonflikte. Allerdings mit Ergebnissen, welche die eigenen Wissensansprüche stützen. Genau das ist der Punkt, an dem die Kritik des unähnlichen lutherischen Zwillingsbruders Jacobus Martini einsetzt an der von Keckermann vollzogenen Aufnahme der Hermeneutik in die Logik, die er gleichwohl später in seiner eigenen Logik ebenfalls vollzieht. Dem einzigen noch heute namhaften Philosophen, der an einer der Studienstätten Keckermanns wirkte, nämlich Giordano Bruno, der sich in Wittenberg am 20. August 1586 als >doctor italus< immatrikulierte und bis März 1588 privatim über das Organen unterrichtete,55 dürfte Keckermann nie begegnet sein. Zwar hielt Bruno eine sehr wohlwollende Rede bei seinem Abschied von der Universität Wittenberg, unter anderem hob er die an der Leucorea herrschende Toleranz seinen Auffassungen gegenüber hervor, doch tönt diese Rede stellenweise recht ironisch56 - wie dem auch sei: Während seiner Lehrtätigkeit in Witten55

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Zu Brunos Aufenthalt in Deutschland - neben Wittenberg sind das Helmstedt, Marburg und Frankfurt - Michele Ciliberto: Giordano Bruno.- Roma: Laterza 1992, S. 197-257, sowie Giordano Bruno. Gli anni napoletani e la >peregrinatio< europea. Hrsg. von Eugenio Canone.- Cassino: Univ. degli Studi 1992. Vgl. Giordano Bruno: Oratio Valedictoria [... 1588].- In ders.: Opera latine conscripta, publicis sumptibus edita, recensebat F. Fiorentino.- Neapel: Morano 1879, Bd. 1/1 (Nachdr. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1962), S. 1-25. - Zum Hintergrund der konfessionellen Stellung Brunos auch Paul Ri-

Kontroverstheologie, Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
pedantiD'ogni legge nemico e d'ogni fedec Giordano Brunos Verhältnis zu den Konfessionen.- In: Renaissance - Reformation. Hrsg. von August Buck.Wiesbaden: Harrassowitz 1984, S. 65-75; abwägend zu Brunos Anti-Protestantismus Hilary Gatti: The Renaissance Drama of Knowledge: Giordano Bruno in England.- London: Routledge & Kegan Paul 1989, S. 8-14, aber auch Edward A. Gosselin: Fra Giordano Bruno's Catholic Passion.- In: Supplementum Festivum. Hrsg. von James Hankins u.a.- Binghampton: State University 1987, S. 537-561. Zu diesem despektierlichen Ausdruck bei Bruno vgl. Michele Ciliberto: Asini e pedanti. Ricerche su Giordano Bruno.- In: Rinascimento 2.F. 24 (1984), S. 81121.

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Zu Brunos Lullismus neben den Beiträgen in Frances Amelia Yates: Lull and Bruno.- London: Routledge & Kegan Paul 1982, auch Paolo Rossi: Studi sul lullismo e sull'arte della memoria: I teatri del mondo e il lullismo di Giordanao Bruno.- In: Rivista Critica di Storia della Filosofia 14 (1959), S. 28-59. Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), >Ad Studiosus LogicaeCanones< der > laudatio < kommt, läßt er sich nicht das Gerücht entgehen, daß Bruno in einer öffentlichen Rede den Teufel gelobt hätte, vgl. ders.: Systema rhetoricae, in quo artis praecepta plene & methodice traduntur Systema rhetoricae [1608].- In ders.: Operum Omnium Quae Extant Tomus Secundus. In quo speciatim, methodice & uberrime de Ethica, Oeconomica, Politica disciplina: necnon de Arte Rhetorica agitur [...].- Genf: Petrus Aubertus 1614, S. 1387-1736, hier >systematis rhetorici specialislectio Aristotelicadoctrina Ramica< - nicht zuletzt in der Logik ablehnend gegenüberstanden. Es liegt darin begründet, daß die zufuhrenden Schulen nicht selten noch längere Zeit fest in der Hand ramistisch orientierter Lehrer gewesen sind. Wie dem auch sei - in Über-

Calamino [...] Respondebit M. Daniel Claepius Geitensis [...].- Wittenberg: Müller d.Ä. 1591. 63 Bei Heinz Käthe: Die Wittenberger philosophische Fakultät 1502-1817.- Köln usw.: Böhlau 2002, findet Claepius überhaupt keine Erwähnung. 64 Vgl. dazu Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, S. 168: »In Academia Wittenbergensi, Commentarios in Aristotelis Organum privatim praelegit ante annos octo M. Daniel Claepius, quem observantiae & honoris causa nomino, & ad posteritatem, si forte hunc ea libellum nostrum visura est, celebro, fidelissimum meum & quidem primum in Aristotelica philosophia praeceptorem: cui sane hoc debeo, quod eius qua imbutuseram Rameae institutionis vitia atqfue] errata coeperim deprehendere. Optem autem eius in textum Aristotelicum Analyses edi, praesertim Analyticorum Posteriorum. Qui Zabarelleos Commentarios saepe quam necesse videbatur, effusiores, commodissime contraxit.« Vgl. auch ders.: Contemplationum Peripateticarum De locatione et loco libri duo: In quorum [...] Ex meditationibus Physicis [...].- Hanau: Antonius 1598, >Epistola dedicatoriadonum Dei
Proposal·.- In: Controversy and Conciliation: the Reformation and the Palatinate 1559-1583. Hrsg. von Derk Visser.- Allsion Park: Pickwick 1986, S. 51-72; femer Beiträge im Sonderbd. der Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 37/38 (1988/1989). Zu Ursinus vgl. u. Anm. 460. 80 Vgl. postum ediert Zacharias Ursinus: Bedencken Ob P. Rami Dialectica und Rhetorica in die Schulen einzuführen/ An Pfalzgraff Friedrich Churfursten den III. gestellet/ [...] Im M.D.LXX. Jar/ als Ramus solches in der Universitet zu Heidelberg zuthun furhett.- Frankfurt a.d. Oder: Eichorn 1586; auch ders.: Organi Aristotelei, Libri Quinque Priores per quaestiones perspicue & erudite expositi, ita ut provectioribus quoque docti commentarii usum praestare possint. Eiusdem Ursini, de Petri Rami Dialectica & Rhetorica judicium, ad illustrissimum Principem Fridericum III [...] perscriptum anno 1570. Omnia nunc primüm in lucem edita, opera ac studio lohannis Iungnicij Vratislaviensis.Neustadt a.d. Haardt: Harnisch 1586, hier findet sich eine lateinische Übersetzung der Bedencken sowie Ursinus' Teilkommentierung von Aristoteles' Organen. 81 Zu Ramus' Aufenthalt in Heidelberg Hautz: Geschichte der Universität Heidelberg (Anm. 39), S. 55-58, ferner Moritz Cantor: Ramus in Heidelberg.- In: Zeitschrift für Mathematik und Physik 3 (1858), S. 133-143. 82 Vgl. Jacobus Martini: Vernunfftspiegel, Das ist Gründlicher unnd unwidertreiblicher Bericht was die Vernunfft sampt derselbigen perfection, Philosophia genandt, sey, wie weit sie sich erstreckt und furnehmlich was für einen Gebrauch sie habe in Religions Sachen, Entgegen gesetzt allen neuen Enthusiastischen

Kontroverstheologie, Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
donum Dei
Nederlandse Geloofsbelijdensis< (>BelgicaIudiciumCanones< der Synode von Dordrecht. Erwähnt sei darüber hinaus, daß Piscators Ramismus ihn nicht hinderte, freundschaftliche Kontakte mit Theodor Beza (Theodore de Beze, 1519-1605) zu pflegen, der jeglicher Art von Ramismus ablehnend gegenüberstand. Er gehörte zu den frühesten Kritikern des Ramus94 und verweigerte ihm einen Lehrstuhl in Genf. Aus seinem Wunsch nach Geltung des Aristoteles in Genf hat dieser Mitstreiter Calvins nie einen Hehl gemacht. Ihm zufolge herrsche dort ein fester und grundlegender Entschluß, in keiner Weise von der Auffassung des Aristoteles (>Aristotelis sententiamaffirmatio< und >negatio< zu identifizieren vgl. ders.: Dialecticae libri duo.- Paris: Wechel 1572, lib. II, Kap. 2: »Hinc nascitur axiomatum contradictio, quando idem axioma affirmatur & negatur.« 98 Vgl. hierzu den Hinweis, den Beza in seiner Ausgabe des Neuen Testaments von 1598 auf Piscator als Leser und Kritiker gibt, ders.: Iesu Christi Domini nostri Novum Testamentum sive Novum foedus latine iam olim e veteri interprete nunc denuo a Th. Beza versum [... 1556].- [Genf]: Vignon 1598, Bl. 2v. 99 Vgl. seinen Brief vom 25. März 1594 in (Ernst Salomon Cyprianus): Clarorum virorum epistolae CXVII e bibliothecae Gothanae autographis [...].- Leipzig: Gleditsch 1714, S. 69. 100 Hierzu neben Charles Borgeaud: Histoire de l'Universite de Geneve: L'Academie de Calvin, 1559-1798.- Geneve: Georg 1900, Bd. I, S. 110-115; Jürgen Moltmann: Zur Bedeutung des Petrus Ramus für Philosophie und Theologie im Calvinismus.- In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 68 (1957), 295-318, insb. S. 306ff.; Robert M. Kingdon: Geneva and the Consolidation of the French Protestant Movement, 1564-1572.- Geneve: Droz 1967, vor allem S. 102ff.; PaulF. Geisendorf: Theodore de Beze.- Geneve: Jullien 1967, S. 303ff.; ferner Tadataka Maruyama: The Ecclesiology of Theodore Beza: The Reform of the True Church.- Geneve: Droz 1978, S. 106ff.

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung

und Logik als >donum Dei
aquila in nubibus< tituliert.101 Scaliger, der in Genf über Cicero, vor allem aber über das aristotelische Organon las, die Akademie jedoch bereits 1575 wieder verließ, 102 lies seinen Antiramismus immer wieder mit spitzer Zunge durch-blicken, so denn auch bei der Charakterisierung des unerbittlichen Gegenspielers der Arminianer oder Remonstranten, Franciscus Gomarus (1563-1641): 103 »[...] il [d.i. Gomarus] a une belle libraire; il a force Ramistes, car il est grand Analytique, qui est la marque d'un Ramiste.« 104 Die drei Paare - Zacharias Ursinus und Caspar Olevian, Theodor Beza und Johannes Piscator, Jacobus Arminius und Franciscus Gomarus legen nahe, daß sich weder vom Ramismus auf reformierte theologische Präferenzen noch umgekehrt schließen läßt. Es scheint denn auch für eine solche Affinität von Calvinismus und Ramismus keine von vornherein zwingenden Anhalts- oder Anknüpfungspunkte im Bereich spezifischer Lehrstücke der Logik zu geben. Die Rezeption der Dialektik (und Rhetorik) des Ramus dürfte in diesem Sinne - unabhängig von der ungleichen Verteilung seiner Anhänger auf die Konfessionen - überkonfessionell gewesen sein. Auch wenn hieran wohl nur in einem geringen Maße beteiligt, schließt das selbst die katholische Konfession nicht aus. Wohl von Keckermann rührt das Diktum, in den katholischen Ländern (Frankreich, Spanien und Italien) sei der Ramismus ohne jeglichen Einfluß geblieben, nicht wahrgenommen worden. 105 Auf welcher Grundlage er ein solches Urteil auch gefallt haben mag und worin es seine Motivation findet: Es trifft in dieser Ausschließlichkeit sicherlich nicht zu 101

Vgl. Jacob Bernays: Joseph Justus Scaliger.- Berlin: Hertz 1855, S. 8 und 19f. Vgl. auch Karin Maag: Seminary or University? The Genevan Academy and Reformed Higher Education, 1560-1620.- Cambridge: Scholar Press 1995, S. 36f. 103 Gomarus hat bei Calaminus, dem Lehrer Keckermanns, kurz vor diesem promoviert, vgl. Petrus Calaminus: Theses de Coena Domini, Praeside [...] Petro Calamino [...], A disputandum propositae Α Μ. Francisco Gomaro [...] pro Theologiae Doctoratu [...].- Heidelberg: Smesmann 1594 - ein Thema, das Calaminus offenbar häufiger anpackte, vgl. ders.: De Coena Domini Repetitio doctrinae Orthodoxae [...] Publice disputabitur [...]. Praeside Petro Calamino [...]. Respondente Danielle Marcellide [...].- Heidelberg: Low 1597. Zu Gomarus vgl. Gerrit Pieter van Itterzon: Franciscus Gomarus.- 's-Gravenhage: Nijhoff 1930. 104 Vgl. Joseph Justus Scaliger: Epistolae omnes quae reperiri potuerunt, nunc primum collectae ac editae. Caeteris praefixa est ea quae est De Gente Scaligera; in qua de autoris vita; & sub finem Danielis Heinsii De morte eius altera [...].- Leiden: Elzevir 1627, lib. I, Epist. 26, S. 13 If., Brief vom 15. März 1598 an Janus Dousa (Johan van der Does 1545-1604). 105 Vgl. Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, S. 132. 102

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ganz sicher nicht für Frankreich, aber auch weder für Italien noch für Spanien. 106 Nach Keckermanns Aufenthalt an der Universität in Leipzig führte ihn sein universitärer Weg nach Heidelberg, w o er die längste Studienzeit verbrachte. Dort wurde er 1595 Magister Artium, 107 sieben Jahre später promovierte er zum Licentiatus Theologiae. Hier liegen denn auch seit 1597 die Anfange seiner Lehrkarriere. Der Beginn des neuen Jahrhunderts sieht ihn auf seiner peregrinatio academica, die ihn in die Schweiz führte. Die Aufenthaltsorte lassen sich nur vermuten. Sicherlich dürfte darunter Basel und ganz sicher Zürich g e w e s e n sein. In Zürich Schloß er Freundschaft mit Casper Waser d.Ä. ( 1 5 6 5 - 1 6 2 5 ) , Professor für Hebräisch an dem dortigen Collegium Carolinum. V o n dieser Freundschaft zeugt ein auch Keckermanns Lebensumstände erhellender und vergleichsweise umfangreicher, aber erst teilweise veröffentlichter Briefwechsel. 1 0 8 Offenbar eine ähnliche Reise, wenn auch etwas später, unternahm Johann Philipp Pareus ( 1 5 7 6 - 1 6 4 8 ) . Dieser Pareus ist der Sohn von David Pareus, dem theologischen Lehrer Keckermanns. Im Zuge seiner peregrinatio academica disputierte Johann Philipp Pareus in Basel bei Amandus Polanus von Polansdorf, 1 0 9 dem namhaften Kodi-

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Für Italien u.a. Luciano Artese: Antonio Persio et la diffusione del >ramismo< in Italia.- In: Atti e Memorie dell'Accademia toscana di scienze e lettere >La Colombaria< 46 (N.F. 22) (1981), S. 83-116. Für Spanien ist sicherlich Franciscus Sanctius Brocensis (Francisco Sanchez de las Brozas 1523-1601) ein bekanntes Beispiel. Doch er ist nicht der einzige gewesen, hierzu vor allem Eugenio Asensio: Ciceronianos contra Erasmistas en Espana. Dos momentos (1528-1560).- In: Revue de Litterature Comparee 51 (1978), S. 135f., wonach sich ein Zentrum des Ramismus in Valencia befunden hat. Spätestens 1568 wird die Inquisition in Spanien auf die Lehren des Ramus aufmerksam. Den spanischen Studenten in Kastilien scheint im Zuge dieser Entwicklung untersagt worden zu sein, an einer anderen ausländischen Universität als Bologna zu studieren. Es gibt einen aufschlußreichen autobiographischen Bericht über den Aufenthalt des Bibelexegeten Gaspar de Grajal (1530-1575) während seiner Studienzeit 1561 bei Ramus in Paris, vgl. Miguel de la Pinta Llorente: Una investigacion inquisitorial sobre Pedro Ramus en Salamanca. Apuntes ineditos para un capitulo de la Historia del Humanismo espanol.- In: Religion y cultura 24 (1933), S. 1-22, sowie ders.: En torno a hombres y problemas del Renacimiento.- Madrid: Graf. Sanchez 1944, S. 55-69. 107 Keckermann hält hierzu am 26. Okt. 1595 eine Oratio de Aristotele et philosophiaperipatetica, die 1596 erscheint, so nach Nadolski: Zycie (Anm. 30), S. 10, Anm. 10. Ich habe die betreffende Publikation nicht finden können. 108 Vgl. Theodor Schieder: Briefliche Quellen zur politischen Geistesgeschichte Westpreußens vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Teil 1, Briefe 1-9: Briefe Bartholomaeus Keckermanns.- In: Altpreußische Forschungen 18 (1941), S. 262275. 109 Zu ihm Ernst Staehelin: Amandus Polanus von Polansdorf.- Basel: Helbing und Lichtenhan 1955; Heiner Faulenbach: Die Struktur der Theologie des Amandus

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
genesis < und > analysis < widmet - mit einer extensiven Applikation im Rahmen einer Psalmenuntersuchung. 114 Kurz vor dem Ende seines Lebens verlieh die Universität Basel Pareus ehrenhalber den Doktorgrad. Mit Pareus verbanden Keckermann eine lebenslange Freundschaft und von Beginn an philosophische Gemeinsamkeiten - von ihm schreibt er: » a m i c o meo dilecto, & disciplinae Peripateticae perquä[m] studioso iuvene [...]«. 1 I S D i e ersten erhaltenen Arbeiten, die Keckermann präsidierte, sind zwei Disputationen, bei denen Pareus als Respondent auftritt. 116 Polanus von Polansdorf.- Zürich: Ev. Verl. EVZ 1967, sowie Robert Letham: Amandus Polanus: A Neglected Theologian?- In: Sixteenth Century Journal 21 (1990), S. 463-476. 110 Vgl. Amandus Polanus: De unico theologiae principio theses [...]. Praeside [...] Polanus a Polansdorf [...]. Defendent [...] Joh. Ph. Pareus [...].- Basel: Waldkirch 1599. 111 Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm 7), tract. II, S. 165: »Eodem anno [d.h. 1593] Herbornae recusi sunt doctissimi Theologi Amandus Polani ä Polansdorff, Logicae libri duo, quibus Rami praecepta & methodum sequitur; sed ita tarnen, ut Aristotelica subinde interserat exempla ubique illustria: ob quae gratam meritö Logicam habent Logicae studiosi.« Auch ebd., tract. I, S. 35. 112 Keckermann bezieht sich auf die (stark) veränderte zweite Auflage des logischen Werks von Amandus Polanus: Logicae Libri Duo; juxta naturalis methodi leges conformati: In quibus exempla declarationis & demonstrations ad monstrandum duplicem argumentorum usum sint distincta, & judicii doctrina plenus tradita, & ratio deprehendendi & refutandi sophismata perspicue est ostensa. Accessit brevis admonitio de usu logicae, & de vera facilique imitatione authorum [1590], Editio secunda priore accuratior & auctior: cui praeter illustria exempla deprompta ex S. Scriptura & Seneca, accessit tractatus de disputatione.- Herborn: Corvinus 1593. 113 Hierzu auch Danneberg: Logik (Anm. 18). 114 Amandus Polanus: De Ratione Legendi Cum Fructu Autores, Inprimis Sacros: & dignoscendi in ίIIis proposita, themata & argumenta Tractatus. Cui adjuncta est Analysis Logica & Exegesis Theologica Psalmorum tredecim. Cum Indice tum locorum Scripturae, vindicatorum ä depravationibus Bellarmini & aliorum; tum rerum in hoc opusculo explicatarum.- Basel: Waldkirch 1603. 115 Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, S. 162. 116 Vgl. Bartholomaeus Keckermann: Theoremata XXXIV. de natura accidentis quae in [...] academica Pal. Heidelbergensi [...] Sub Praeside Barth. Keckermann [...] publice defendenda loh. Philippus Pareus [...].- Heidelberg: Low 1596, sowie ders.: Decas Problematum Philosopho-theologicorum Quae [...] Sub Praesidio Μ. Barth. Keckermanni [...] in [...] Academiä Palatini Heidelbergensi Publice discutienda proponit loh. Philippus Pareus [...].- Heidelberg: Low und

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Später studierte Pareus in Genf, Tübingen und Straßburg und erlangte 1600 die Würde eines poeta laureatus.ni Er wurde Schulmann, wirkte später als Rektor der Schule in Neustadt a.d. Hardt und daraufhin bis zu seinem Lebensende als Rektor des Gymnasiums in Hanau. 1 1 8 Rufe, die er aus Franeker, Herborn, Lausanne und Harderwyk erhielt, schlug er aus. 1 1 9 Hervorgetreten ist er vor allem als Philologe mit einer Reihe nicht unbedeutender Editionen, mit einer Grammatik des Griechischen Clavis et fundamenta linguae graecae und vor allem mit e i n e m Lexicon criticum sive thesaurus linguae Latinae. Schließlich ist er der Verfasser eines logischen Werkes, 1 2 0 das eine z w e i t e gekürzte A u f l a g e erlebt hat, aber keinen hermeneutischen Teil besitzt, 1 2 1 und er gibt postum Kekkermanns Kommentar z u m aristotelischen Organon heraus. 1 2 2 Unter den reformierten Lehrstätten hat sich Heidelberg i m Unterschied nicht allein zum illustren Gymnasium in Herborn, sondern auch zu Marburg und B r e m e n früh einem Neoaristotelianismus in der Logik geöffnet. A u s den verstreuten Spuren läßt sich das B e z u g s f e l d erkennen, in das Keckermann in Heidelberg kam, denn er vergißt nicht, an mittlerweile so vergessene Gestalten w i e Johannes Jungnitius (erw. 1 5 6 3 1588) zu erinnern. 123 1563 wurde der aus Breslau stammende Jungnitz Lancelot 1598. Die in der letzten Disputation erörterten zehn Probleme zielen auf die Beziehung zwischen Theologie und Philosophie und die Unmöglichkeit eines Widerspruchs zwischen beiden. 117 Zwei Oden aus den Poemata von 1616 finden sich mit deutscher Übersetzung in: >Parnassus Palatinus.< Humanistische Dichtung in Heidelberg und der alten Kurpfalz. Lateinisch - Deutsch. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann und Hermann Wiegand.- Heidelberg: Manutius-Verl. 1989, S. 116-125. 118 Vgl. Philipp Braun: Zur Geschichte des Hanauer Gymnasiums.- Hanau: Buchdruckerei des Waisenhauses 1907, S. 10. 119 Vgl. Karl Wilhelm Piderit: Geschichte der Gründung und Einweihung des Gymnasiums zu Hanau. Teil 1.- Hanau: Buchdruckerei des Waisenhauses 1865, Anm. 3, S. 61f. 120 Vgl. Johann Philipp Pareus: Artis Logicae Libri Duo: Ex optimis quibusque logicis perfecta & accuratä Methodo naturali pro captu Tyronum conformati, variis exemplis ex ipso Usu petitis, nec non Commentariis perspicuis, sicubi opus, illustrati.- Hanau: Antonius 1607. 121 Vgl. Johann Philipp Pareus: Logicae Artis Libri Duo, Ex Optimis Quibusque Authoribus Logicis succincte & Methodice collecti. Pro Captu et usu. Illustrium Scholarum Studio & operä [1607], Editio Secunda.- Frankfurt a.M.: Hoffmann 1614 (>Praefatio< von 1614). 122 Vgl. Bartholomaeus Keckermann: Organi Aristotelis analysis aphoristica adumbrata olim ä [...] Bartholomaeo Keckermanno Dantiscano. Nunc [...] edita studio & opera Joh. Philippi Parei [...].- Frankfurt a.M.: Hoffmann 1614. 123 Vgl. Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, S. 161 f., wo es im Zusammenhang mit Jungnitz heißt: »Ut autem gratiam aliquam Manib. illius clarissimi philosophi Iungnitii referre possim, egi cum I. Philippo Pareo. Dav. Fil. amico meo dilecto, & disciplinae Peripateticae perquä[m] studioso iuvene, ut quia habet autoris manu conceptas doctissimas Disceptationes, quas in-

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
Epistola dedicatoriaPraefatio< 1581]. 128 Vgl. Thomas Erastus: Ratio Formandorum Syllogismorum, Brevißima & facilima: Non täm ex arte usum, quam ex usu artem docens [...].- Basel: Oporinus 1565 [>Epistola dedicatoria< von 1564], sowie ders.: Ratio formandorum Syllogismorum [... 1565].-Amberg: Forster 1602. 129 Vgl. Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, Kap. 5, § 9, S. 154 (vgl. auch tract. I, S. 61): »A° 64, Ciariss, ille Philosophus ac Medicus Thomas Erastus libellum eruditissimü[m] & iuventuti accommodatissimii[m] edidit de formandis syllogismis, cum Epistola Logica ad Simonem Grynaeum: ex qua profiteor me ad intelligendafm] Logicae naturam & discrimen cognoscendum inter Analyticam & Dialecticam non parü[m] profecisse.« In der späteren Auflage findet sich das von Keckermann angesprochene Schreiben nicht.

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1622). 130 Mit ihm scheint eine engere Freundschaft bestanden zu haben. Aufgrund seines frühen Todes hat Keckermann den Eklat um Vorstius freilich nicht mehr erlebt. Nach dem Besuch der Lateinschule in Düsseldorf und dem Gymnasium Laurentianum in Köln, wo Vorstius nach dem Studium aufgrund der konfessionellen Voraussetzungen (wie der Verteidigung der Beschlüsse des Tridentiner Konzils) die Magisterwürde ablehnte, studierte er zunächst in Herborn bei Johannes Piscator, dessen Schüler er ab 1589 war und der ihn offenbar sehr schätzte.131 Zwischen den beiden kam es dann nach mehr als zwanzig Jahre zu einer umfangreichen und eindringlichen Auseinandersetzung,132 die zwar sehr bestimmt ausfallt, aber doch die in der Zeit nicht selten überbordenden Verunglimpfungen meidet. 133 Auf Empfehlung Piscators studierte Vorstius 1593 an der Universität Heidelberg, wo er bereits 1594 promovierte - als illustres Gymnasium besaß Herborn kein Promotionsrecht. In der Folgezeit machte er sich als Kontroverstheologe gegenüber den Jesuiten einen Namen und wurde als Professor Controversiarum in Aussicht genommen. Auch ihn führte seine peregrinatio academica in die Schweiz. Von ihm allerdings weiß man, daß er in Basel unter dem Präses Johann Jakob Grynaeus - kurze Zeit lehrte auch er in Heidelberg 134 - zwei Disputationen gegen Roberto Bellarmino (1542-1621) abhielt135 und daß er 130

Zu den biographischen Angaben vgl. die Toten-Rede seines Schülers Marcus Gualther ( t 1642): De Vita et Obitu [...] Conradi Vorstii [...] Oratio [...].- [o.O., vermutl. Fredrickstad] 1624, sowie Carl August Mellby: Conrad Vorstius: Ein Vorkämpfer religiöser Duldung am Anfang des 17. Jahrhunderts.- Leipzig: Schmidt 1901. 131 Vgl. den Brief Piscators an Daniel Tossanus, abgedruckt bei (Cyprianus): Clarorum virorum (Anm. 99), S. 178. 132 Die letzte Reaktion Piscators in dieser Auseinandersetzung, die Schrift Ad Vorstii Amicam Duplicationem Responiso von 1618, umfaßt drei Bände mit 1400 Quartseiten. 133 Hierzu auch Frans Lukas Bos: Johann Piscator. Ein Beitrag zur Geschichte der reformierten Theologie.- Kampen: Kok 1932, S. 214ff. Eine allgemeine Würdigung der theologischen Überlegungen des Vorstius bietet noch immer Alexander Schweizer: Conradus Vorstius. Vermittlung der reformirten Centraidogmen mit den socianischen Einwendungen.- In: Theologische Jahrbücher 15 (1856), S. 435-486, und 16 (1857), S. 152-184; zudem die knappe Einschätzung bei Otto Ritsehl: Dogmengeschichte des Protestantismus. Bd. III.- Göttingen: Hinrichs 1926, S. 340ff. 134 Vgl. Hautz: Geschichte der Universität Heidelberg (Anm. 39), S. 120-123. Zuvor lehrte dort sein Bruder Simon Grynaeus d.J. ( t 1582) Medizin und Mathematik. 135 Ich habe diese beiden Disputationen nicht gesehen; aber Vorstius hat in Basel selbst bei einer Disputation präsidiert, und zwar bei Ludovicus Lucius (Ludwig Lutz, 1577-1642), der später ein bekannnter Professor in Basel wurde, vgl. Conrad Vorstius: Disputatio Theologica De Sacramentis In genere, Ac specia-

Kontroverstheologie, Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
analysis textus< schon traditionell in der >logica practicaPraefatio< des Werkes gezeichnet), S. 46. 137 Vgl. Willem van't Spijker: Conradus Vorstius als Vertreter reformierter Theologie zu Steinfurt und in den Niederlanden.- In: Symposion 400 Jahre Hohe Schule Steinfurt. Hrsg. von Heinz Holzhauer u.a.- Steinfurt: Stadt Steinfurt 1991, S. 176-190. 138 Zu Leben und Werk ausführlich Joseph S. Freedman: European Academic Philosophy in the Late Sixteenth and Early Seventeenth Centuries. The Life, Significance, and Philosophy of Clemens Timpler (1563/1564-1624). Bd. I—II.Hildesheim usw.: Olms 1988. 139 Vgl. Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, S. 168: »Vivit in illustri schola Steinfurtensi vir sane doctissimus M. Clemens Timplerus, amicus meus magna observantiä colendus, qui & ipse Organo[n] Aristotelis in elegantem epitomen redegit, & compendium Logicae in Academia Heidelbergensi privatim praelegit, quod nobis ad pleniore[m] & exactiorem artis methodum constituendam & stimulum addidit, & adminiculum suppediatuit.« 140 Vgl. Clemens Timpler: Logicae Systema Methodicum Libris V. Comprehensum [...].- Hanau: Antonius 1612; vgl. Danneberg: Logik und Hermeneutik (Anm. 4), S. 103ff.

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g e n des S o z i a n i s m u s , erging an Vorstius 1 6 1 0 der ehrenvolle R u f in das holländische Leiden. Ihn konnte er j e d o c h nicht wahrnehmen, gehindert durch e i n e n der mächtigsten Einsprüche der Zeit, n ä m l i c h den d e s englischen K ö n i g s Jakob I. 141 Öffentlich ließ er die Schrift De Deo des Vorstius 1611 in Oxford, L o n d o n und Cambridge verbrennen. 1 4 2 Allerdings stieß das t h e o l o g i s c h e Programm d e s Vorstius auch bei den niederländischen T h e o l o g e n 1 4 3 w i e bei den befragten R e g i o n a l k i r c h e n a u f A b l e h nung (selbst der B r e m e n s , deren Vertreter auf der Dordrechter S y n o d e eine v e r g l e i c h s w e i s e moderate und a u s g l e i c h e n d e P o s i t i o n in den verhandelten t h e o l o g i s c h e n Streifragen e i n g e n o m m e n haben 1 4 4 ). K e i n g e ringerer als Isaac Casaubon ( 1 5 5 9 - 1 6 1 4 ) scheint in seiner Epistola im Auftrag d e s K ö n i g s und gerichtet an den Cardinal du Perron (Jacques D a v y du Perron 1 5 5 6 - 1 6 1 9 ) diese Verbrennung uneingeschränkt be-

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Jakob I. scheint in theologicis höchst engagiert gewesen zu sein. So hat er einen beachteten Disput mit dem primus inter pares unter den Kontroverstheologen der römischen Katholiken, Kardinal Bellarmino, entfacht, hierzu Joseph de la Serviere: Une controverse au debut du XVII e siecle. Jacques I d'Angleterre et le cardinal Bellarmin.- In: Etudes 94 (1903), S. 628-650, 95 (1903), S. 4 9 3 516 und S. 765-777, sowie 96 (1903), S. 4 4 - 6 2 . Die bei Gelegenheit einer Schrift an den Prinzen Heinrich angesprochenen 20 hermeneutischen Regeln finden sich kommentiert von Johann Heinrich von Seelen (1688-1762): Hermeneuticae Regiae, regularum sacri codicis lectori & interpreti perquam utillium ac necessarium, quas Iacobus I, Angliae Rex literalissimus [...] inseruit [...].- Lübeck: Green 1740. 142 Hierzu Archibald H.W. Harrison: The Beginnings of Arminianismus to the Synod of Dort.- London: University Press 1926, insb. S. 165-189, sowie Frederick Shriver: Orthodoxy and Diplomacy: James I and the Vorstius Affair.- In: The English Historical Review 85 (1970), S. 4 5 9 - 4 7 4 , wo es allerdings zu Ungenauigkeiten kommt; von diesen fällt die Behauptung, Piscator sei sein Lehrer in Heidelberg gewesen, noch weniger ins Gewicht; schwerwiegender ist schon, in Piscator »a peripatetic« zu sehen; ferner Willem Nijenhuis: Saravia en het optreden van Jacobus I tegen de benoeming van Vorstius te Leiden.- In: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis N.F. 45 (1974/1975), S. 171-191. Allerdings ist vermutet worden, daß die Schrift Declaration du Serenisssime roy de le Gran' Bretagne sur ses actions deuers les Estats Generaux des pays basunis, touchant le faict de Conradus Vorstius von dem französischen reformierten Theologen Pierre du Moulin stammt, vgl. Brian Armstrong: Pierre du Moulin and James I: the Anglo-French Programmae.- In: De l'Humanisme aux Lumieres, Bayle et le protestantisme. Hrsg. von Michelle Magdelaine u.a.- Paris: Universitas 1996, S. 17-29. 143 Untersucht ist das im Hinblick auf den zeitgenössischen Kritiker der Remonstranten Sibrandus Lubbertus (1556/1557-1625), vgl. Cornells van der Woude: Sibrandus Lubbertus.- Kampen: Kok 1963, insb. S. 198-258, sowie dem nicht weniger namhaften Franciscus Gomarus, hierzu van Itterzon: Franciscus Gomarus (Anm. 103), S. 189-199. 144 Hierzu Johann Friedrich Iken: Die Bremer und die Synode zu Dortrecht.- In: Bremisches Jahrbuch 10(1881), S. 11-83.

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung

und Logik als >donum Dei
articulus trinitatis < auf Vernunftgründe zurückzufuhren, just an dieser Stelle zu weit: Hier ist auch die Bemerkung angebracht, daß derjenige, der eine Sache a priori beweist, sie durch die Wirkursachen [> cause efficientecomprendredonum Dei
pretendue demonstrationrendre raison rendre comprehensible contra rationem< zu sehen. Das, was Leibniz dazu sagt, hat Keckermann immer wieder hervorgehoben: Da aber die Vernunft ebenso gut eine Gabe Gottes wie der Glaube ist, würde ihr Kampf als ein Kampf Gottes gegen Gott sein; und wenn die Einwände der Vernunft gegen irgendeinen Glaubensartikel unauflöslich sind, so muß dieser vermeintliche als falsch und nicht als geoffenbart betrachtet werden: Er wäre ein Hirngespinst des menschlichen Geistes. 149

Bei Keckermann lautet das rund hundert Jahre früher: »Vera Philosophia cum sacra Theologia nusquam pugnat«.150 Zunächst ist unter >vera Philosophia< die Philosophie als solche gemeint, nämlich als Gabe Gottes. Ist Philosophie nicht >vera Philosophia abusus < anzulasten, also ihrem menschlichen Gebrauch, und nur bei diesem > abusus < kann es zu Konflikten mit der Theologie kommen. Letztlich ist das ein seit Augustinus geläufiger Gedanke, der sich im Mittelalter immer wieder findet und der allgemein besagt: Ein Mißbrauch entwertet nicht den guten Charakter als göttliche Gabe. Man kann die Formel aber auch umkehren, dann wird von der >vera Theologia< gesprochen, die nicht mit der Philosophie disharmonieren könne. Trotz einer solchen Harmonisierung von > ratio < und >revelatio< finden sich im 16. und 17. Jahrhundert zwei Konstellationen, in denen bei der einen seltener, bei der anderen häufig - auf den > contra-rationem (-Charakter bestimmter Glaubensgegenstände hingewiesen wird: 148

Gottfried Wilhelm Leibniz: Essais de Theodicee sur la bonte de Dieu, la liberte de l'homme et l'origine du mal / Die Theodizee von der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und dem Ursprung des Übels [1710].- Darmstadt: Wissenschaftl. Buchges. 1985, > Discours preliminaire de la conformite de la foi avec la raison Vera Philosophia cum sacra Theologia nusquam pugnat ratio< angesprochenen Sozinianer in ihren Sichtweisen unterscheiden mochten, es zeichnet sich bei ihnen ein aufsteigendes Muster abnehmender Akzeptanz in der Gestalt von >sola-rationeratio< steigern. Die erste dieser Maximen, die man bei aller Wertschätzung der > ratio < kritisch sehen konnte, ist: »Sola ratione dijudicari possibilitatem et impossibilitatem articulorum fidei«. Die Steigerung stellt sich als eine Folgerung aus der ersten Maxime dar: »Non esse credenda quae menti impossibilia videntur»«; als weitere Steigerung formuliert schließlich die dritte Maxime den Ausschluß: »Summam religionem esse rationem«. Die andere, demgegenüber negative Identifizierung eines Glaubensmysteriums als > contra rationem contra rationem< im 17. Jahrhundert angesichts der katholischen Transsubstantiationslehre des Abendmahls, die sich im Laufe der Zeit durchgesetzt hat gegenüber der Lehre der Konsubstantiation, nach der die Substanzen von Brot und Wein unverändert bleiben und die Gegenwart des Leibes und Blutes Christ neu hinzutreten, sowie der Lehre der Annihilation < oder > Substitution Veritas corporis Domini - vere caro et sanguis natürlichen< Grundes) dar, nach dem gelte: > corpus non posse esse simul in pluribus locis.< Gilt dieser Satz als vernünftig, so läßt sich eine Folgerung aus der lutherischen Abendmahlslehre, welche die Ubiquität Jesu Christi betrifft, als > contra rationem< auffassen und hieraus schließen: > corpus Christi non esse praesens in sacra coena supra captum rationis < ansiedelt - mit der Unterscheidung von Widersprüchen, die göttlicher Art seien und als solche nur (dem Menschen) erscheinen, da sie »captum nostris transcendentis« seien, und solchen im Rahmen der menschlichen Logik, die »captum humanuni non transcendentis« seien.151 151

Die Formulierung bei Johann Gerhard ( 1 5 8 2 - 1 6 3 7 ) : Methodus Studii Theologici, Publicis praelectionibus in Academia Jenensi Anno 1617. exposita [...

Kontroverstheologie,

Schriftanslegung

und Logik als >donum Dei
ratio ratio < - , zum Einzigen werden kann, was als Gemeinsames wahrgenommen wird, aber keiner ungetrübt besitzt. Die Unterscheidung zwischen > contra < und > supra rationem< zeigt im besonderen, daß man bezogen auf die Glaubensmysterien rational zu reden und sich auseinanderzusetzen vermochte: Sei es zu ihrer Illustration, sei es zu ihrer Erklärung in dem Maße, in dem es zu ihrer Akzeptation im Glauben fuhrt, oder sei es zur Feststellung, daß sie keinen (inneren) Widerspruch beherbergen. Wenn die Glaubensmysterien > contra rationem< wären, dann erschiene keine dieser Redeweisen als möglich - und zumindest der Mainstream der Theologen jeglicher konfessioneller Couleur nicht nur im 17. Jahrhundert wollte in dieser Weise über Glaubensmysterien reden, wenn auch nur zu ihrer Verteidigung als nicht > contra rationemusus organicus< bei der Interpretation der Äußerungen, in denen sich die Glaubensmysterien niedergelegt finden. Der kleine Schritt darüber hinaus, der in den Wirkungen gleichwohl groß ist, ist die Vorstellung, die hermeneutischen Regeln selbst in das Organon des Vernunftgebrauchs zu integrieren. Hinsichtlich des klassifizierenden wie des richterlichen Vernunftgebrauchs nimmt Keckermann eine Position ein, die ihn dicht an die Grenze des akzeptierten Vernunftgebrauchs bringt. In seinem Werk finden sich immer wieder Abgrenzungen von dem, was den Zeitgenossen als sozianisch galt, d.h. von einem bestimmten richterlichen Gebrauch der >ratio guten TonPraefatio< von Johann Ernestus Gerhard von 1654], Teil 2, Sect, post, Kap. 2, S. 119. Dort (S. 115) heißt es auch: »Caeterum quod judicium de vera contra[di]ctione in articulis fidei non committendum sit humanae rationi, multis fundamentis demonstrari potest. 1. Mysteria divina sunt supra captum rationis posita. Ergo de illorum vel veritate vel falsitate ratio judicare nec potest, nec debet, & per consequens nec contradictione in illis judicium fere potest; [...].«. Sowie (S. 118): »Ratio ac rationis Magistra Philosophia non potest judicare de potentia Dei, quid possit vel non possit praestare. Ergo etiam non potest judicare, quae in divinis mystriis sint vere contradictoria.« 152 Zum Heidelberger Hintergrund neben Daniel Ludwig Wundt: Versuch einer Geschichte des Arianismus und seiner Anhänger in dem Churfiirstenthume

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der Sicht der Zeitgenossen - als umstritten galt Keckermann mit seinem Versuch, die Glaubensmysterien in bestimmter Weise einem rationalen Vollzug zugänglich zu machen: So hatte er die Absicht, den >articulus trinitatis ex immotis philosophiae fundamentis< zu explizieren bzw. zu beweisen. 153 Die Annahme, daß etwas im Glauben > supra rationem contra rationem< sei, tritt selbst als ein Glaubenssatz auf, der sich auf eine bestimmte Sache bezieht. Davon zu unterscheiden ist eine Charakterisierung als > supra < und > contra rationem< im Rahmen des klassifizierenden Vernunftgebrauchs, der sich (allein) auf die menschlichen Versuche bezieht, ein letztlich in der Heiligen Schrift bereits in irgendeiner Weise sprachlich repräsentiertes Glaubensmysterium erneut sprachlich zu fixieren. Dieser Aspekt gehört letztlich zur >theologia pol e m i c a l und hierin liegt zumindest ein Motiv für Keckermanns Erörterung einer rationalen Begründung des >articulus trinitatis locus classicus< für die >probatio theologicaComma Ioanneumprobatio< unter das Regime der strengen Wörtlichkeit (>in terminis terminantibus< sollte der Schriftbeweis geführt werden) stellen, sondern den >articulus trinitatis < (nicht eine seiner Formulierungen) für > contra rationem< halten. Pfalz in den Jahren 1568-1572.- In: Magazin fur die Kirchen- und GelehrtenGeschichte des Kurfürstenthums Pfalz 1 (1789), S. 83-133; Curt Horn: Joh. Sylvan und die Anfänge des Heidelberger Antitrinitarismus.- In: Neue Heidelberger Jahrbücher 17 (1913), S. 210-310, sowie Christopher J. Burchill: The Heidelberg Antitrinitarians: Johann Sylvan, Adam Neuser, Matthias Vehe, Jacob Suter, Johann Hasler.- Baden-Baden: Koerner 1989. - Neben den zahlreichen Unterschungen zum Sozinianismus in Polen speziell zu Danzig (allerdings durchweg nach Keckermanns Zeit) Domenico Caccamo: Sozinianer in Altdorf und Danzig im Zeitalter der Orthodoxie.- In: Zeitschrift für Ostforschung 19 (1970), S. 42-78, insb. S. 63-78; Janusz Tazbir: Sozinianismus in Gdansk und Umgebung.- In: Studia Maritima 1 (1978), S. 76-88; Lech Mokrzecki: Sozinianismus in den Diskursen der Danziger Professoren im 17. und 18. Jahrhundert.· In: Socinianism and its Role in the Culture of XVI th to XVII th Centuries. Hrsg. von Lech Szczucki.- Warszawa usw.: Pahstwowe Wydawn. Naukowe 1983, S. 183-191; Siegfried Wollgast: Zur Widerspiegelung des Sozinianismus in der lutherischen Theologie und Schulmetaphysik im Reich, Danzig und Preußen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.- In: ebd., S. 157-168, ferner Zbigniew Ogonowski: Der Sozinianismus.- In: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Hrsg. von Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann. Bd. IV/2.- Basel: Schwabe 2001, S. 1265-1287. 153 Vgl. Bartholomaeus Keckermann: Systema SS. Theologiae [1602].- In ders.: Operum Omnium (Anm. 61), S. 65-264 (sep. pag.), lib. I, Kap. 3: >De tribus in unita Dei essentia personisdonum Dei
Praefatio< ist von 1607 und die Schrift ist dem Danziger Senat gewidmet). 155 Die Untersuchung von Hans-Werner Gensichen: Die Wittenberger antisozianische Polemik - ein Beitrag zur Auseinandersetzung von Reformation und Humanismus.- Diss. phil. Göttingen 1942, erwähnt Martini zwar, geht aber nur auf ausgewählte Schriften von Wolfgang Franz und Friedrich Balduin (1575-1627) ein. 156 Vgl. Jacobus Martini: Liber secundus de tribus elohim Photinianorum novorum furoribus oppositus: in quo praeter alia disputatio inter Β. Keckermannum & Adamum Goslavium a Bebelno de SS Trinitate agita, examinatur [...].- Wittenberg: Matthäus 1615; Goslawski respondiert in ders.: Disputatio De Persona, in qua Jacobo Martini [...], ea in libro secundo de tribus Elohim refellere enitenti, quae ab auctore contra Bartholomaeum Keckermannum [...] disputata sunt, [...] respondetur.-Raköw: Stern 1620. 157 Vgl. Balthasar Bekker: De philosophia Cartesiana admonitio Candida & sincera.- Wesel: Hoogenhuysen 1668, Kap. 6, § 3, S. 83-85. 158 Vgl. z.B. Gerhard: Methodus Studii Theologici (Anm. 151), sect. post. >de cognitione PhilosophiaeDe philosophiae in Theologie Abusus< (S. 104-131), in dem es im wesentlichen um die Erörterung der Lehre der Trinität geht, mehrfach Keckermann erwähnt; ferner Johann Andreas Quenstedt (1617-1688): Theologia didactico-polemica, sive Systema Theologicum in duas sectiones [... 1685].- Leipzig: Fritsch 1715, lib. I, Kap. 9, Sectio II, quaestio IX, obj. dial. XVIII. 159 Vgl. Johannes Musaeus: Disputatio Philosophica, Pseudapodeixei Keckermannianae, Qua lib. 1. Syst. Theol. C. 3. mysterium SS. Trinitatis ex rationis firmiter demonstrari posse censet, oppositia [...] Sub Praesidio M. Johannis Musaei [...] publicae ventilationi äTobia Hertzogio [...].- Jena: Lobenstein 1639.

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brauchs in der Theologie und seines Versuchs einer Klärung angehängt hat.160 Wie berechtigt solche Kritik auch immer im Blick der Zeitgenossen gewesen sein mochte, wichtig ist, daß Keckermann mit seinem > rationalen < Beweis der Trinität (nur) zu zeigen versucht - und im übrigen mit dem in diesem Zusammenhang stärksten Argument überhaupt - , daß alle Bedenken gegenüber dem >articulus trinitatis contra rationemHoc est corpus meum ratio < und >revelatio< eine Harmonie zu finden, die gleichermaßen die Theologie wie die Philosophie aus ihrer mehr oder weniger problematischen Beziehung befreit. Zumindest für Keckermann war die grundsätzliche Subordination der Philosophie unter die Theologie unstrittig. Wie zahlreiche andere Gelehrte ist auch er bemüht, unabhängig von dieser grundsätzlichen Rangordnung der Philosophie ihr Recht und vor allem ihr arbeitsteilig einen Ort im Blick auf das übergreifende Ziel der Heilserkenntnis zu geben. Zu den Lehrstücken, die versuchen, hinsichtlich eines Aspekts den Konflikt zwischen biblischen und nichtbiblischen Erkenntnisquellen zu klären, gehören seine Überlegungen zu den >quaestiones purae et mixtaearticuli purae aut mixtae fidei, revelationis aut cognitionis< in einem übergreifenden Zusammenhang zu sehen, nämlich in dem des Rück160

Vgl. Johannes Musaeus: De usu principiorum rationis & philosophiae in controversiis theologicis Iibri tres, Nicolai Vedelii rationali Theologico oppositi [1644]. Quibus accessere disputationes duae: una contra Keckermannum; [...I.Jena: Freyschmidt 1647. Keckermanns Auffassung erörtern neben der anderer Theologen z.B. auch Jakob Carpov (1699-1768) und Jesaia Friedrich Weissenborn (1673-1750): Dissertatio Theologica S.S. Trinitatis Mysterium Methodo Demonstrativs Sistens [...] Praeside [...] Iesaia Friderico Weissenborn [...] Publice Defendet Auetor Iacobus Carpov [...].- Jena: Horn 1730, S. 39-52. Jakob Carpov, der nicht wenige Konflikte wegen dieser Disputation zunächst als Wolffianer auszustehen hatte, dürfte der Verfasser dieser Disputation gewesen sein.

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung

und Logik als >donum Dei
ratio < oder die Philosophie bei den theologischen Beweisen. Das Problem, um das es geht, wenden die Reformierten gegen Lutheraner, wenn sie diesen die Vernachlässigung der Vernunft vorwerfen, die sie dazu brächte, ihre Glaubenslehre darauf zu beschränken, » quod totidem Uteris et syllabis, aut verbis saltern synonymis in scriptum sacra continetur«. Gegen beide Konfessionen richtet sich die Wiederaufnahme dieser letztlich alten Kritik an der theologischen Beweislehre von katholischer Seite, insbesondere von Jesuiten wie Jean Gontery (Gonterius 1562-1616) und vor allem in so verbreiteten Werken wie F r a n c i s Verons (1575-1649) Mdthode de traiter des Controverses de Religion von 1615 oder Regle genirale de la foy catholique oder in der Replique ä la response du serenissime roy de la gran Bretagne des Cardinal du Perron, des Erzbischofs von Sens. Daß es der Ratio als der Mittlerin zwischen den im >sensus explicitus< in der Schrift festgehaltenen Glaubenswahrheiten und den aus ihr im >sensus implicitus< erschlossenen bedarf, verknüpft sich mit dem Gewißheitsproblem: die erschlossenen Wahrheiten sind von geringerer Gewißheit (nur wahrscheinlich) als die nichterschlossenen. Die kontroverstheologische Pointe, die sich hieraus unter Maßgabe der Gewißheit für die Glaubenssätze gewinnen läßt, ist fur die katholische Seite offenkundig: Allein die Kirche vermag diese Gewißheitslücke zu schließen. Zwar setzen die Protestanten dem entgegen, daß auch alles das, was >per bonam consequentiam< in der Heiligen Schrift enthalten sei, für die Glaubenslehre herangezogen werden dürfe - und im Zuge dieses Zugeständnisses war dann unbestritten, daß dabei zusätzliche, nicht zuletzt logische Prinzipien zum Zuge kommen, die der Vernunft zu entnehmen seien. Doch wie ein solcher >sensus implicitus< genau zu erzeugen ist und wo seine Grenzen liegen, gehört zu den fortwährenden Themen, die bei Protestanten die >hermeneutica sacraprobatio theologica< betreffen. Dazu gehört denn auch die ihren Ort in der theologischen Beweislehre findende und bereits in der vorreformatorischen Theologie ausgiebig erörterte Frage, wann bei Schlußfolgerungen - den > conclusiones theologicae< - aus einem gegebenen Sinn - dem >sensus explicitus< - sowie aus den in der Schrift niedergelegten >principia theologica< und bei Verwendung zusätzlicher externer Prämissen - den > argumenta extranea et probabilia< - der Glaubensstatus der Ausgangssätze sich auf die > conclusiones theologicae< überträgt. Nur hingewiesen sei darauf, daß diese Frage strukturell ähnlich ist mit der logischen, bei welcher Schlußweise der Wahrheitscharakter der Prämissen sich auf die Konklusionen vererbt. Nicht zuletzt erscheint die Frage nach dem Glaubensstatus der Konklusionen dann als drängend, wenn die gemischten Prämissen auf unterschiedlichen Dimensionen Grade der Gewißheit zugesprochen er-

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halten: >certitudo evidentiae< (>probabtionis et apparentiaecertitudo adhaesionis< (>firmitatis et adhaerentiaesensus explicitus< durch Bildung eines >sensus implicitus< abgeleiteten Wissensansprüche den Glaubenstatus der unabgeleiteten bewahren können. Es geht zugleich darum, inwiefern die im Text als implizit angelegten Folgerungen legitimerweise der Bedeutung des Textes zuzurechnen sind. Im Rahmen der Bedeutungskonzeption einer Auslegungslehre damit noch nicht im Rahmen der Beweislehre der Theologie - handelt es sich zunächst um die Frage nach den Bedeutungsarten, die dieser Konzeption zufolge einem Text (zulässigerweise) zugeschrieben werden können, sodann um die nach den Beziehungen, in denen diese Bedeutungsarten zueinander stehen. Entscheidend und strittig ist die Frage, inwieweit jeder Sinn, den ein >sensus explicitus< (wie dieser auch immer bestimmt sein mag) impliziert, dem (eigentlichen) >sensus< des Textes angehört, oder anders formuliert: Wann gehört eine Bedeutungszuweisung, die mit dem expliziten Sinn verknüpfbar ist, dem Textsinn gleichwohl nicht an: zum Beispiel eine erbauliche Anwendung oder eine Bedeutung, die der Heiligen Schrift aufgrund ihrer > foecunditas < (als >variae consequentiae divinaetypos innatostypos illata< kennt? Bereits der Umstand, daß solche Fragen ein Problem waren, macht das Geraune um den Charakter der Hermeneutik dieser, aber auch früherer oder späterer Zeiten als >applicatio< hinfällig, denn es entbehrt der Grundlage in der materialen Geschichte der Hermeneutik. Hans-Georg Gadamer pflegt das seinen Lesern bar jeder Quellenkenntnis gleichsam als Einsicht in die >Sache< der Hermeneutik zu offenbaren und hat damit ein vielfaches Echo erzeugt. Die >application sie lief unter sehr unterschiedlichen Benennungen, ist zwar fraglos wichtig, nicht zuletzt im Rahmen der Predigtlehren, aber ebenso klar war immer, daß sie nur auf dem wahren Sinn, auf der >interpretatio verasensus verusdonum Dei
sensus implicitus < (fur die Beweislehre) darstellt, nimmt geradezu dramatische Züge an, wenn sie sich mit grundlegenden, die Konfessionen differenzierenden Annahmen verbindet. Nach der Reformation findet das im Rahmen des protestantischen >sola-scripturaSola scriptura< besagt hierbei (als Beweisprinzip), daß alle, zumindest jedoch die relevanten Glaubenswahrheiten, allein der Heiligen Schrift zu entnehmen seien. >Sola scriptura< ist das Programm, und die fortwährende Bedrohung besteht im bohrenden Nachfragen, wie sich denn bei einer solchen Bescheidung auf die Suffizienz der Heiligen Schrift die geteilten Glaubensaussagen noch beweisen ließen. Nicht zuletzt ist die Formulierung des Prinzips vage und metaphorisch. Die Vagheit hat den Theologen, die Metaphorik den Hermeneutikern Kopfzerbrechen bereitet. Wie auch immer für die Schrift ein >sensus explicitus< näher bestimmt sein mochte, der Rückgriff auf den Beweis > in terminis terminantibus < allein vermochte nicht die Erwartung zu erfüllen, alle glaubensrelevanten Wahrheiten seien (direkt) im >sensus explicitus< zu finden. Wenn der >sensus explicitus< demgemäß um einen >sensus implicitus < zu ergänzen ist, dann erscheint es naheliegend, ihn mit den logischen Folgerungen zu identifizieren, die sich aus dem expliziten Sinn ziehen lassen - >per bonam consequentiam< oder >in bona et necessaria consequential wie es immer wieder heißt. Ein Beispiel von vielen, aber ein wirkungsvolles, bietet Melanchthon, wenn er über die >probatio theologica - confirmationes< und > confutationes < - spricht: Confirmationes et confutationes in ecclesiasticis negociis ducuntur ex testimoniis scripturae clarioribus. Interim tarnen ex dialectica adhibenda est, quia saepe ex definitione, aut ex causis, quae sunt in scriptura, ratiocinari aiiquid cogimur. Sed hie videndum est, ne connectantur male coherentia seu άνακόλουθα, seu ut dialectici loquuntur, ne malae consequentiae consuantur. Porro, quod ex Claris testimoniis efficitur bona consequentia, id quoque darum esse iudicatur. 161

Das Problem besteht nicht darin, daß man gleichsam nicht den vollen Gehalt eines Satzes zu erkennen oder zu verstehen vermochte - letztlich galt immer angesichts der Schrift >ab posse ad essepost lapsum< erschien in vielen Fällen als eine hinreichende Erklärung, die zugleich dazu genutzt werden 161

Melanchthon: Elementorum Rhetorices (Anm. 21), lib. I, Sp. 443. Auch ders.: Erotemata Dialectices, continentiae fere integram artem, ita scripta, ut iuventuti utiliter proponi possint [1547, 1580].- In ders.: Opera, Bd. XIII (Anm. 21), Sp. 5 1 1 - 7 5 2 , lib. III, Sp. 595, mit der Bestimmung: »Est recta connexio omnium partium in Argumento, in qua nullum praeceptum Dialecticae violatur.«

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konnte, die Logik zu rechtfertigen - etwa das syllogistische Schließen als das Ziehen von >consequential Dafür nur ein einziges Beispiel: In John Miltons (1608-1674) ramistisch orientierter Logik heißt es: »[...] from the weakness of the human intellect, which weakness, being unable by an immediate intuition see in an axiom the truth and falsity of things, turns to the syllogism, in which it can judge whether they follow or do not follows.« 162 Den Grund fur diese Schwäche der > immediate intuition < sieht Milton wie andere auch in traditioneller Weise im Sündenfall. 163 Doch die eigentliche Bedrohung entsteht für das >sola-scripturabona et necessaria consequentia< noch nicht ausreichen, um alle in Glaubensfragen gewünschten oder erforderlichen Folgerungen aus dem >sensus explicitus< ziehen zu können. Es bedarf dann zusätzlicher, nichtbiblischer Prämissen. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts führt das dann zum Problem der >quaestiones purae et mixtae conclusiones mixtae< an Gewicht: Iam porrö nulla etiam est Disciplina, quae plures habeat conclusiones mixtas, i. tales, in quibus vel subjectum, vel praedicatum, aut determinatio est ex alia disciplina, Logicä puto, Metaphysicä, & Physicä. Sexcentae numerari possunt, in quibus certe omnibus misere caecutire necesse est omnem Logicae & Philosophiae ignarum Theologum, [...]. 165

Die Reflexion des Umgangs mit den > articuli purae aut mixtae fidei, revelationis aut cognitionis< gehört im 17. Jahrhundert zu den zentralen Themen, zu denen kaum jemand nichts zu sagen wußte, insbesondere dann, wenn es um die diffizilen Fragen der Verbindung (>usus abusus Axiom< wird von Milton in der ramistischen Tradition als >Satzenunciatio< verstanden. 163 Vgl. ebd., Bd. I, Kap. 1, S. 217f. 164 Vgl. Keckermann: Decas Problematum (Anm. 116), probl. V, S. 8f. 165 Vgl. Keckermann: Praecognitorum Logicorum (Anm. 7), tract. I, S. 57, vgl. auch ders: Systema Logicae (Anm. 34), lib. III, Sect. 2, Kap. 9: >De medio necessario loco Generis & Specierumdonum Dei
ratio < und >revelatio< im besonderen, die von intrabiblischen und extrabiblischen Wissensansprüchen im allgemeinen zu klären, und das heißt schließlich auch - zumindest aus der Retrospektive sich zu in dieser Form unlösbaren Problemen fruchtbare Gedanken zu machen. Nach Abschluß seiner peregrinatio academica kehrte Keckermann nach Heidelberg zurück. Hier erreichte ihn erneut, nach seiner Ablehnung von 1597, der Ruf als Konrektor an das akademische Gymnasium in Danzig. Wie zahlreiche andere Hohe Schulen, Gymnasia illustra oder academica stand das Danziger Gymnasium dem Gros der zeitgenössischen Universitäten des deutschsprachigen Raumes in vielfacher Hinsicht nicht nach. Zwar besaß es kein Promotionsrecht, doch konnte die Danziger Schule die Bezeichnung > illustris < oder >academicum< tragen, da an ihr über die artes dicendi hinaus Philosophie zum Unterricht gehörte. Der Ruf ging von Jakob Fabricius aus, einem Schüler Christoph Pezels (1539-1604) in Wittenberg, der selbst in Heidelberg studiert und seine Ausbildung in Basel abgeschlossen hatte.167 1578 war Fabricius nach Danzig zurückgekehrt und leitete das wiederbelebte Gymnasium seit 1580. Er gehörte zu denen, die immer wieder offensiv ihre reformierte Lehrhaltung coram publico deutlich machten und damit den schwelenden konfessionellen Konflikten in Danzig nicht aus dem Weg gingen. Bei Fabricius hatte Keckermann bereits in seiner Danziger Zeit Privatunterricht genossen. Die Gründe für die Annahme dieses Rufs trotz des Angebots einer Professur an der Theologischen Fakultät in Heidelberg scheinen im einzelnen unklar.168 Konfessionelle Gründe angesichts der interkonfessionellen Auseinandersetzungen wie der sich in Danzig verstärkenden Gegenreformation, wohl nicht weniger wichtig 166

Als Beispiel der Kritik sei nur Caspar Bartholinus (1585-1629), ein Schüler Jacob Martinis, erwähnt, vgl. ders.: Metaphysica Major Qua Scholiis olim illustratum Enchiridi. Metaphysicum primum publicatur [...].- Kopenhagen: Moltke 1629, der dem Thema eine eigene Disputation widmete (>Disp. log.Prorector & Philologusdonum Dei
Athenaeum Gedanense< war Keckermann ein in die wissenschaftliche Welt bereits eingeführter Autor und namhafter Gelehrter. Neben den erwähnten Personen - Petrus Calaminus, Jacobus Kimedoncius (1554-1596), 1 7 7 der an der Pest starb, und Daniel Tossanus 178 scheint zu seinen theologischen Lehrern in Heidelberg auch Quirinus Reuter ( 1 5 5 8 - 1 6 1 3 ) gehört zu haben, welcher bereits 1579 seine Thesen über das Wesen der menschlichen Seele verteidigt haben soll 179 und als Schüler des Zacharius Ursinus dessen Werke edierte. Aber der wichtigste theologische Lehrer Keckermanns dürfte in Heidelberg - wie erwähnt - David Pareus gewesen sein. Im Jahre 1584 nahm Pareus den Ruf als zweiter Lehrer des Collegium Sapientiae an. Es handelt sich dabei um eine bedeutende Stipendienanstalt, die den reformierten Nachwuchs ausbilden sollte. Sie war unabhängig von der Universität, auch wenn ihre Vorsteher in der Regel aus der theologischen Fakultät kamen. Sein Nachfolger wurde Quirinus Reuter, und Keckermann nahm seit 1597 die Stelle des >tertius praeceptor collegii sapientiae et linguae professor < wahr. 180 In der Vorrede >Ad Cultores Logicae< zu seiner großen

ihre Stellen wurden auf Bitte der Bürgerschaft mit Bekennern der augsburgischen Confession besetzt und schon im Jahre 1609 starb der gelehrte Gymnasial-Professor Bartholomäus Keckermann, der durch seine gelehrten und scharfsinnigen Schriften während der kurzen Zeit seiner amtlichen Thätigkeit in Danzig nicht wenig mitgewirkt hatte, um die Achtung des reformirten Lehrbegriffs in Danzig zu fördern.« 176 Vgl. auch Schnaase: Geschichte der evangelischen Kirche (Anm. 33), der im Anhang (S. 701-763) die beiden lutherischen Bekenntnisse > kurze Darlegung des Glaubens < und >Widerholung der ungeänderten augsburgischen Confession < der evangelischen Geistlichen in Danzig (auch Calov unterzeichnet) aus dem Jahr 1645 oder 1646 abdruckt, in denen auch Keckermann zu bestimmten theologischen Ansichten Erwähnung findet. 177 Zu seinen Daten Drüll: Heidelberger Gelehrtenlexikon (Anm. 35), S. 72f. 178 Zu ihm noch immer Friedrich Wilhelm Cuno: Daniel Tossanus der Ältere, Professor der Theologie und Pastor (1541-1602). Bd. I-II.- Amsterdam: Scheffer 1898. l79 Nach Simon Stenius (Stein, 1540 - nach 1613): Oratio in obitum [...] Quirini Reuteri [...].- Heidelberg: Lancelot [1613]; zu Reuters Daten Drüll: Heidelberger Gelehrtenlexikon (Anm. 35), S. 473f. 180 Das 1561 begründete >Collegium sapientiae< wurde zur Ausbildung der calvinistischen klerikalen Elite eingerichtet und ging aus einer der vorbereitenden Schulen hervor. Das von der Universität unabhängige Collegium hatte den Charakter einer Stipendienanstalt und nach seinem Besuch konnte man sich an der Universität immatrikulieren; sein Einzugsbereich war nicht auf Heidelberg beschränkt. Das Collegium wurde zwischen 1577 und 1579 aufgrund der veränderten theologischen Ausrichtung geschlossen, die auch dazu führte, daß in

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Logik zeichnet Keckermann nicht ohne Stolz als Mitglied dieses Kollegiums, und er dürfte an dem Kollegium neben dem Sprachunterricht auch den zur Logik für die >Sapientistae< bestritten haben, denn für die Anfanger sah man neben der > lectio logica< (des aristotelischen Organon) >Oratoria cum poetica, hebraica et Graeca< vor.181 1587 wurde Pareus Doktor der Philosophie, 1592 ernannte man ihn zum Kirchenrat und er erhielt seine theologische Doktorwürde. 1598 übernahm er den Lehrstuhl für das Alte Testament und 1602 wurde er als Nachfolger des Tossanus schließlich erster Professor für Theologie, die traditionell für das Neue Testament ausgeschrieben war. Als Dogmatiker und Bibelexeget eine zeitgenössische Zelebrität, hat er zwar keine Logik verfaßt, aber eine kritische Kontroverse mit Piscator über ein ramistisch inspiriertes Lehrstück der Logik geführt.182 Seinen Lehrer scheint Keckermann denn auch als aristotelischen Logiker geschätzt zu haben, wie sich einer Erwähnung in seinem Überblick über die jüngere Geschichte der Logik entnehmen läßt.183 Wichtiger an dieser Stelle ist jedoch ein Diktum dieses Lehrers über die zeitgenössische Anerkennung, welche die Werke seines Schüler erfahren hat: »[...] cuius libri intra breve spatium quasi quaedam sibyllarum oracula publice postarent.«184 Neustadt mit dem >Casimirianum< eine refomierte Ausweichuniversität begründet wurde, die bis 1583 bestand. Zum Collegium Hautz: Geschichte der Universität Heidelberg (Anm. 39), S. 63-70, 9 8 - 1 0 2 und 112-115 sowie S. 438-443, jetzt vor allem Eike Wolgast: Das >Collegium Sapientiae< in Heidelberg im 16. Jahrhundert.- In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 147 (1999), S. 303-318. 181 Vgl. Keckermann: Systema logicae (Anm. 34), unpag. 182 Vgl. David Pareus: Disputatio Exegetica, De Contradictione: Perpetua Verum a Falso dividendi Regula. In Illustri Sapientiae Collegio, quod est Heidelbergae, institute: & in gratiam studiorum logices divulgata.- Heidelberg 1588, sowie ders.: Vindiciae pro Contradictione Logica. Cum Praemissa Synopsi Doctrinae Aristotelicae De Analysi Logica: ex tertia sectione libri Prior. Analyt. Thesibus XXVII. comprehensae. Ad Doctiss. Virum lohannem Piscatorem [...].- Neustadt a.d. Haardt: Harnisch 1589; vorauf geht die Replik des kritisierten Piscator: Theses logicae de contradictione.- [o.O.] 1589. Für die Visibilität der Kontroverse Rudolph Goclenius: Lexicon philosophicum, quo tanquam clave philosophiae fores aperiuntur.- Frankfurt a. Main: Maus 1613 (Nachdr. Hildesheim: Olms 1964), >Contradictio< S. 471f. 183 Vgl. Keckermann: Praecognitorum logicarum (Anm. 7), tract. II, S. 162: »[...] Clarissimus Theologus D. David Pareus [...] edidit Disputationem Logicam contradictione, & pro eädem Vindicias, quibus Doctrinam veram Aristotelis de Oppositions, atq[ue] adeo in primis Co[n]tradictione Enunciationum ita plene ac perspicue diduxit, ut in hoc Logicae capite nihil ä quoquam exactius atq[ue] absolutius unquam viderim ipse, credo nec alii.« Derjenige, der in Pareus' Texten kritisiert wird, also Piscator, findet bei Keckermann an dieser Stelle keine Erwähnung; er erwähnt ihn als einen der Kommentatoren des Ramus, vgl. ebd., S. 166. 184 Zitiert nach Tholuck: Das akademische Leben (Anm. 170), S. 266.

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
de locode locationeEpistola dedicatoria< gerichtet ist: Theophil Mader (1541-1604). Er lehrte an der 185

Zu ihm vgl. Johann Kormayer: Memoria [...] Alberti Graweri [1617].- In: Henning Witte: Memoriae Theologicorum nostri seculi clarissimorum [...].- Frankfurt a. Main: Hallervord 1675, S. 849-851; auch Spizel: Templum Honoris (Anm. 43), S. 39-45. Vor seiner universitären Karriere war er von 1599 bis 1607 Rektor des Gymnasiums in Eisleben, vgl. Friedrich Ellendt: Geschichte des königlichen Gymnasius zu Eisleben. Eine Jubelschrift zur Feier seines dreihundertjährigen Bestehens.- Eisleben: Reichardt 1846, S. 33f. 186 Vgl. Albert Grawer: Propugnaculum Anti-Paraeanum, vel solida & invicta defensio argumentorum, quibus Calvinistarum metonymia, quam verbis Christi in S. Coena affingunt, funditus destruitur, adversus D. Dav. Paraei [...].- Jena: Steinmann 1612. 187 Vgl. Albert Grawer: Absurda Absurdorum absurdissima, Calvinistica absurda, hoc est invicta demonstratio Logica & Theologica aliquot horrendorum paradoxorum Calviniani dogmatis in articulis de persona Christi, Coena Domini, Baptismo & Praedestinatione [...]. Item, analysis quaestione theologiophysicarum de localitate et illocalitate corporis Christi, Bartholomaeo Keckermanno opposita.- Magdeburg: Francke 1606. 188 Vgl. Albert Grawer: Analysis quaestionum quarundam Theologico-Physicarum de localitate, illocalitate, & omnipraesentia corporis Christi thesibus comprehensa, & opposita contemplationi physicae B. Keckermanni.- Wittenberg: Berger 1608. 189 Vgl. Albert Grawer: Libellus de Unica Veritate [... 1619], Editio quarta.- Jena: Neuenhahn 1665 (Vorrede von 1619).

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Universität Heidelberg und wurde zwar als Mediziner bekannt, unterrichtete aber zwischen 1588 und 1591 als Nachfolger des Jungnitz Logik (>Professor organi Aristoteleipraestantissimus peripateticus< - Andreas Caesalpinus ( 1 5 2 4 / 1 5 2 5 - 1 6 0 3 ) studiert hatte. Auf diese italienische Traditionslinie des Neoaristotelianismus weist Keckermann anerkennend in seiner >Epistola dedicatoria< hin. 193 Zwar hat er nicht in Altdorf studiert, nur ein zweiwöchiger Aufenthalt im Frühling 1592 läßt sich belegen, 194 doch Scherbs Schriften verfolgte er und von seinem Unterricht in Altdorf berichtet er in begeisterten Worten. 195 Diese Begeisterung ist denn auch Programm. Sie gilt den Pe190

Vgl. auch Friedrich Rudolf: Die Kirche in Heidelberg nach den letzten Briefen Bullinger-Beza.- In: Zwingliana 8 (1944-1948), S. 96-107. 191 Vgl. Keckermann: Contemplationum (Anm. 64), >Epistola DedicatoriaEpistola Dedicatoriadonum Dei
cognitio communis < und >cognitio philosophica< bilden. Nicht zuletzt gilt die Wertschätzung dem Scherbius, der noch vor Cornelius Martini ( 1 5 6 8 - 1 6 2 1 ) die Abrechnung nach dem Tode des Ramus mit dessen Philosophie und ihren Anhängern in Gestalt einer Dissertatio von 1590 für die peripatetische Philosophie und gegen die Ramistas einleitet. 197 Sie ist wie viele andere antiramistische Schriften nicht ohne heftigen Widerspruch geblieben ist und hat zu einer Flut von um meorum, qui te publice ac privatim multos annos cum admiratione audivere, Altdorfio scriptae ad me literae; quibus tuam mihi singulare[m] in dogmatibus Aristotelis explicandis dexteritatem ä praestantissimis philosophiae Italis, quorum auditor Patavii annos aliquot exstitisti, comparatä[m], ab oculis depinxerunt; Donee tandem sesquianno ab hinc circiter, necessariis de caußis Altdorffium excurrens, praesentem te praesens, oculis atq[ue] auribus usurpavi; quo quidem tempore, ex molestißimo intinere nihil me potuit reficere magis, quam ista singularis humanitas tua, qua me etiam in morbo tuo, quo tum tenebaris, hilariter exceptum variarum Quaestionum Logicarum discursu, & imprimis Philosophorum Italorum, quos ante non videram nec audiveram, tum nominatione, tum ένδείξει eruditior[um] ex colloquio privato diuturno dimisisti amicorum tuorum catalogo adscriptum.« usw. 196 Vgl. Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, S. 125: »Sunt enim quod optem mecum observare Logicae studiosos, sicut duplex docendi genus est, ita duplices autores, Acroamatici, Exoterici. Acroamatici illi sunt, qui non ad sensum, non ad plebis ex sensu viventis captum, nec ad affectus atqfue] appetitum Didascalias rerum tractant, sed omnia dirigunt ad rerum distinctam cognitionem, atque adeo ea omnia exsequuntur docendo, quae operatur intellectus in excellentia suae operationis constitutus, & maxime omnium ä sensu & affectibus liber, i. inquirunt in signorum sive vocum distinctiones, genera rerum ponunt propinqua & proxima, causas omnes scurtantur, indicant accidentia & effectus proprissimos, post partes persequuntur, & diversa, & denique opposita.« 197 Vgl. Philipp Scherb: Dissertatio pro Philosophia Peripatetica, adversus Ramistas.- Altdorf: Lochner und Hofmann 1590; zu ihm heißt es bei Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, S. 163f.: »[...] emine[n]tissimus Aristotelicus, & medicus eximius Academiae Noricae Philippus Scherbius Helveticus, edidit nobiIe[m] illä[m] Dissertationefm] advers[us] ramistas, omnib[us] studiosis Logicae utilissimä[m], ad iudicä[n]das multas scholae istius Socraticae prolepses; [...].«, sowie S. 167: »Versantur inter studiosos Logicos Altorfinae Academiae praelectiones in Organon Aristotelis clarissimi viri Philippi Scherbii, ex quarü[m] lectione, praesertim verö in Topicis, fateor me multü[m] & vtilitatis & iucundidatis percepisse.« Auch ebd., tract. I, S. 31.

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Schriften geführt. 1 9 8 Zumindest ist es mißverständlich, Keckermann w i e das gelegentlich geschieht - als einen ramistischen Logiker anzusprechen, auch w e n n z w e i f e l l o s ein Einfluß besteht. Wenn Burgersdicius in seiner großen Logik, die im Untertitel auf Keckermann verweist, sein eigenes Verhältnis z u Ramus in der >Praefatio< darlegt, dann unterscheidet er drei Gruppen v o n Logikern: die aristotelischen, die ramistischen und diejenigen, die in gewisser W e i s e beide z u verbinden suchen, und fur die letzteren liefert ihm Keckermann das typische Beispiel 1 9 9 w o m ö g l i c h hat das auch das Urteil v o n Johannes Scharfius ( 1 5 9 5 1660), e i n e m Schüler Martinis und sein Nachfolger auf dem Logiklehrstuhl, beeinflußt, w e n n er in der L o g i k unnachsichtig die »Mista, seu Mixta« rügt, z u denen er namentlich Keckermann hervorhebt und jede Mischung ramistischer mit aristotelischen Überlegungen mit böser Zung e zurückweist: » H i n c alia Ramistarum secta orta est, quae vocatur Mista, seu Mixta: scilicet nomine fatali. Miscet enim o m n i a in unum chaos, Aristotelem tranformat in ramenta falsarii sui Petri, h o c est, l u c e m in tenebras, c o e l u m in terram, arborem in ramos, ut suo l o c o demonstrantur. Inter hos sectarios Celebris Keckermannus, quem reliqui ut plurimum sequuntur.« 2 0 0

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Wie etwa von Henning Rennemann (1567-1650), der Rektor in Hildesheim war und diese Position aufgrund seiner ramistischen Neigungen verlassen mußte, vgl. ders.: Dissertatio pro Philosophia Ramea, adversus Peripateticos [...J.Frankfurt a.M.: Spieß 1595, sowie ders.: Responsio Apologetica Ad Dissertationem Pro Philosophia Peripatetica adversus Ramistas: D.N. Phil. Scherbio [...] promulgatam [...].- Frankfurt a.M.: Spieß 1595; textidentisch dann unter dem reißerischen Titel Der völlig unbesiegbare Schild des Petrus Ramus, vgl. ders.: Philosophiae Rameae Insuperabile Scutum I. [... 1595].- Frankfurt a.M.: Spieß 1599, sowie ders.: Philosophiae Rameae Insuperabile Scutum II. [... 1595].- Frankfurt a.M.: Spieß 1599, schließlich noch einmal, vgl. ders.: Ramus, sive Enodatio Perspicua totius philosophiae Rameae, ut & demonstratio impietatissimorum, & iniquitatum sectae Aristotelicae [...].- Frankfurt a.M.: Spieß 1603. Er hat später Jura studiert und ist mit einer Sammlung von Disputationen Jurisprudentia Romano-Germanica hervorgetreten. 199 Vgl. Franco Burgersdicius: Institutionum Logicarum Libri Duo [...]. Ex Aristotelis, Keckermanni, aliorumq[ue] praecipuorum Logicorum praeceptis recensitis, novä methodo ac modo formati, atque editi.- Leiden: Commelin 1626, >Praefatio ad LectoremPraecognitaarticulus trinitatis< mit dem Titel De intellectu & voluntate perfectissimi Entis, ad probandum SS. Trinitatis mysterium, contra Bart. Keckermannum unter-

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung

und Logik als >donum Dei
aristotelisch < wird bei zahlreichen Philosophen zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu einem Wertausdruck, der zugleich ein Autostereotyp wiedergibt. Das bedeutet der Tendenz nach, daß jede Logik, jede Logikkonzeption, mit der man nicht oder nicht vollständig übereinstimmt, als nicht > aristotelisch < bezeichnet wurde oder werden konnte. Gleichwohl ist kaum einer der Logiker in der Zeit von den heftigen Diskussionen über die Logik des Ramus unberührt geblieben, und das hat sich dann auch in der einen oder anderen Weise in ihren Werken niedergeschlagen. Wenn man hinzunimmt, was man mittlerweile über die Entstehung und Überlieferung des aristotelischen Organon weiß, dann dürfte es schwer sein, irgendeinem dieser Logiker das Etikett > aristotelisch < anzuheften oder abzusprechen. Das, was sich statt dessen klassifizieren läßt, ist die jeweilige Art und Weise der Rezeption des aristotelischen Organon. Eine einläßlichere Analyse der Lehrstücke, die Keckermann Ramus schuldet oder bei denen er unter seinem Einfluß steht und die für seine Logik-Auffassung einflußreich geworden sind, braucht hier nicht unternommen zu werden. Seine strenge Kritik am Ramismus hat er bereits vor seinem logischen Hauptwerk in einer in vielfacher Hinsicht aufschlußreichen Untersuchung Praecognitorum logicorum tractatus III ausfuhrlich dargelegt, die sich mitunter als eine >retractatio< im Zuge der Auseinandersetzung mit seinen ursprünglich ramistischen Ansichten liest.201 In den Praecognita philosophica am Ende seines Lebens hat Keckermann die Kritik erneuert. 202 Freilich schließt das nicht aus, daß er auch wohlwollende Worte für Ramus finden konnte. Insbesondere das, nommen haben, so die Angabe bei Marcus Banzerus (1592-1664): Programme In funere [...] Johannis Scharfii [...]. [1660].- In: Witte: Memoriae Theologorum [Aufl. 1684] (Anm. 185), S. 1360-1370, hier S. 1369f. Ich habe eine solche Disputation nicht finden können; das gilt im übrigen auch für eine Reihe selbständiger Veröffentlichungen, die Banzer anfuhrt. 201 Vgl. Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), vor allem in der >Dissertatio ad logicae Studiosos de Logicorum Praecognitorum instituto, deque controversis inter Philosophos Peripateticos & RameosAltera, ex speciali, de terrae motu; potissimum illo stupendo, qui fuit A n n o 1601, mense Septembri. Scripta< hinzugefügt, der vom Titel her aber nicht täuschen soll, denn in ihm geht es aus dem naheliegendem Anlaß des für Mitteleuropa beachtlichen Erdbebens von 1601 in der Zentralschweiz um »Meditatio de Insolido et stupendo terrae motu«. 2 0 6 1599 erblickten Keckermanns Praecognita Logicae das Licht der Welt und erleben noch vier weitere Auflagen. 2 0 7 1600 folgte sein Logiklehrbuch Systema logicae, tribus libris adornatum mit mindestens fünfzehn separaten Auflagen bis 1637. 2 0 8 Im selben Jahr erschien seine Homiletik Rhetoricae ecclesiasticae,209 darauf 1602 die kompen203

Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, S. 121. Vgl. Keckermann: Praecognitorum philosophicorum (Anm. 7), lib I, Kap. 2, S. 23. 205 Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), >Ad Studiosus LogicaeBenevolo Lectori Logico< versehen, in der Keckermann seine grundsätzliche Auffassung von der Logik im Anschluß an Melanchthon und in Absetzung von Ramus darstellt (S. 285-296), eine tabellarische Darstellung seiner ganzen Logik. Diese erscheint dann später separat. 208 Vgl. Keckermann: Systema Logicae (Anm. 34). 209 Vgl. Bartholomaeus Keckermann: Rhetoricae Ecclesiasticae, Sive Artis Formandi et Habendi Conciones Sacras, Libri Duo: Methodice Adornata per Praecepta et Explicationes [1600].- In ders.: Operum Omnium (Anm. 61), S. 1-66 (sep. pag.). 204

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung

und Logik als >donum Dei
philosophia practica Praefatio< von Keckermanns Schüler Adrianus Pauli von 1605]. 212 Bartholomaeus Keckermann: Disputationes Practicae, nempe Ethicae, Oeconomicae, Politicae [... 1608].- Hanau: Antonius 1612 (die >Praefatio< von Kekkermann ist von 1608, die Disputationen erstrecken sich über ein Zeitraum von Dezember 1606 bis zum März 1608). 213 Vgl. Bartholomaeus Keckermann: Systema Ethicae, Tribus Libris Adornatum, et Publicis Praelectionibus Traditum In Gymnasio Dantiscano [1607].- In ders.: Opera Omnium (Anm. 61), S. 249-376. 214 Vgl. Keckermann: Praecognitorum philosophicorum (Anm. 7), sowie ders.: Disputationes Politicae Speciales et extraordinariae Quatuor [...]. Habitae in Gymnasio Dantiscano. Ad methodum accuratam, quae ostensa est in Politicis [...].- Hanau: Antonius 1610. 215 Vgl. Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), S. 5. 216 Vgl. Emil Menke-Glückert: Die Geschichtsschreibung der Reformation und Gegenreformation. Bodin und die Begründung der Geschichtsmethodologie 211

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A l l e s das j e d o c h stellen seine logischen Schriften in den Schatten. Ein Gedicht Johann Heinrich Alsteds ( 1 5 8 8 - 1 6 3 8 ) , der sich selber als Schüler Keckermanns sieht und mehrfach als einer seiner Herausgeber wirkt, 217 feiert ihn im Rahmen einer der postumen Ausgaben. Dabei charakterisiert ihn Aisted im Blick auf das in zeitgenössischer Sicht große Dreigespann der Logiker, denn er vereine in seinem Inneren drei Einstellungen: » K e c k e r m a n n vir es, quoniam tria pectora gestas, | Rami & Aristotelis, deinde Melanchthonii. | E s Ramus methodo, facili es brevitate Melanchthon, ingenio m a g n o es maior Aristotele. | Ergo Philippaei, Ramaei & Aristoteli | Hunc Keckermannum m a g n u m actamate virum.« 2 1 8 Vor allem scheint er mit seinen logischen Schriften w i e kaum

durch Bartholomaeus Keckermann.- Osterwieck: Zickfeld 1912. Trotz vielversprechendem Titel nehmen die Ausführungen zu Keckermann nur einen bescheidenen Raum ein (S. 125-132), ergiebiger ist Arno Seifert: >Cognitio historical Die Geschichte als Namengeberin der frühneuzeitlichen Empirie.Berlin: Duncker & Humblot 1976; kaum Beachtung findet Keckermann bei Horst Walter Blanke: Von Chyträus zu Gatterer. Eine Skizze der Historik in Deutschland vom Humanismus bis zur Frühaufklärung.- In: Aufklärung und Historik. Hrsg. von H.W. Blanke und Dirk Fleischer.- Waltrop: Spenner 1991, S. 113-140, hierS. 120. 217 So z.B. Bartholomaeus Keckermann: Politica specialis gemina prior polonica opus posthumum [...]. Posterior germanica: studio Johannis-Henrici Alstedii, qui parodiam, iuxta methodum prioris, scripsit.- Hanau: Antonius 1611, sowie die Zusammenstellung seiner philosophischen Werke in ders.: Systematis Systematum [...].- Hanau: Antonius 1613, die Aisted mit einem Vorwort versehen hat. Aisted hat auch zu der postumen Edition von Keckermann: Pia Ac Devota Praeparatio Ad sacram Syntaxin, Ante Annos Aliquot, privatim discipulos quibusdam tradit [...]. Nunc verö in gratiam studiosae iuventutis, publici iuris facta.· Hanau: Antonius 1611, ein Widmungsgedicht beigesteuert; beide Ausgaben hat der Keckermann-Schüler Abraham Wysotzky (erw. 1611-1613) mit einer Zuschrift versehen, der sich zu dieser Zeit offenbar in Herborn aufhielt. Alsteds postume Edition von Giordano Brunos Artificium Perorandi Tractatum (1612) enthält ein Widmungsschreiben an >Abrahamo WrotzkyIntroductio< S. 330-335). Zur Beziehung von Aisted, der Lullus und Bruno intensiv rezpiert, und Keckermann jetzt auch die verstreuten Hinweise bei Howard Hotson: Johann Heinrich Aisted 1588-1638. Between Renaissance, Reformation, and Universal Reform.- Oxford: Clarendon Press 2000. 218 Aisted in Bartholomaeus Keckermann: Brevis commentatio nautica Proposita in Gymnasium Dantiscano [...] Nunc verö in gratiam studiosae iuventutis, publici iuris facta.- Hanau: Antonius 1611, unpag.

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
hermeneutica< (>generalisScientia< und > logica < als >donum Dei< und die >instauratio imaginis Dei ad hominem < Im Unterschied zu Johann Philipp Pareus, also dem jüngeren Pareus und Freund Keckermanns,221 der sich freilich mehr als Altphilologe einen 219

Vgl. Adrian Heereboord: ΕΡΜΗΝΕΙΑ Logica; Seu Synopseos Logicae Burgersdicanae Explicatio, Tum per Notas tum per Exempla [1650]. Editio nova accurata. Accedit ejusdem Authoris Praxis Logica.- London: Daniels 1658 (die >Dedicatio< ist von 1657, ebenso die >Praefatio; Alloquium ad Scholarum Rectores< von 1651). 220 Zu ihm Ferdinand L.R. Sassen: Adriaan Heereboord (1614-1661). De opkomst van het Cartesianisme te Leiden.- In: Algemen Nederlands Tijdschrilit voor Wijsbegeerte en Psychologie 36 (1942/1943), S. 12-22; Paul Dibon: La philosophic neerlandaise. Bd. I: L'enseignement philosophique dans les universites ä l'epoque precartesienne (1575-1650).- Paris: Elsevier 1954; Edward G. Ruestow: Physics at Seventeenth and Eighteenth-century Leiden: Philosophy and the New Science in the University.- The Hague: Nijhoff 1973, insb. S. 44-60; C. Louise Thijssen-Schoute: Nederlands cartesianisme [1954]: avec sommaire et table des matieres en franfais. Bezorgd en van aanvullende bibliografie voorzien door Theo Verbeek.- Utrecht: Noord-Hollandsche Uitgevers Maatschappij 1989, an versch. Stellen; Herman de Dijn: Adriaan Heereboord en het Nederlands Cartesianisme.- In: Algemeen Nederlands Tijdschrift voor Wijsbegeerte 75 (1983), S. 56-89; Henri A. Krop: >Scholam naturae ingrediamurPraefatio< von 1621), oder ders.: Divi Pauli Apostoli Epistola Ad Phile-

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Namen gemacht hat, vor allem aber zum älteren, also David Pareus, veröffentlicht Keckermann kein separates bibelkommentierendes oder -analysierendes Werk. Gleiches gilt für die >hermeneutica sacra analysis (resolutio) textus< einschlägige Passagen. 224 Darüber hinaus gibt es zahlreiche Analysen biblischer Passagen insbesondere in seiner >logica practicahermeneutica sacra < in der Zeit nicht ungewöhnlich. Nach den Erörterungen des Gerhard Hyperius (Andreas Gheeraerdts 1511-1564) als Teil seiner Studienanleitung De Theologo, seu de ratione studii theologici libri IUI von 1556 sowie des Matthias Flacius Illyricus (Matija Vlacic Ilirik 1 5 2 0 - 1 5 7 5 ) im zweiten Buch seiner Clavis Scripturae Sacrae von 1567 sind - trotz Lambertius Danaeus' ( 1 5 3 0 1595) schmalem, 1579 erschienem Bändchen, 226 dem 1582 Jakob Heermonem. Analysi logica, et commentario succincte explicate & illustrate. Studio & Opera [...].- Frankfurt a. Main: Rosa 1623. 222 Vgl. Johann Philipp Pareus: Positiones Exegeticae de Praecipuis Circa Scripturam Sacram Controversiis; [...] Sub praeside Davidis Parei [...]. Publicae Disputationi proponit M. Bartholomaeus Keckermannus [...].- Heidelberg: Vögelin 1602, unpag. (Bl. C - C 3 ) . 223 Vgl. Bartholomaeus Keckermann: Rhetoricae Ecclesiasticae, Sive Artis Formandi et Habendi Conciones Sacras, Libri Duo: Methodice Adomati per Praecepta & Explicationes [... 1600], Editio Secunda emendatior.- Hanau: Antonius 1605, lib. I, Kap. 4, S. 74-81. 224 Vgl. Keckermann: Systema rhetoricae (Anm. 61), am Ende des speziellen Teils seiner Rhetorik unter dem Titel >De resolutionelocus rhetoricusdialecticus< und >theologicus< unterscheidet. Er stützt sich bei seinen

Kontroverstheologie, Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
hermeneutica sacra < noch nach der Jahrhundertwende selten. Abgesehen von der sehr knappen Oratio brevis Johannes Försters (1573-1613), seiner Antrittsvorlesung in Wittenberg, 228 erschienen die nennenswerteren separaten Behandlungen von Johann Gerhard (1582-1637), 2 2 9 Kaspar Finckhius ( 1 5 7 8 - 1 6 3 1 ) 2 3 0 und Wolfgang Franzius (1564-1628) 2 3 1 erst 1610, 1618 bzw. 1619, also schon nicht mehr zu Keckermanns Lebzeiten. Kaspar Finckhius, Theologe und Philosoph, der mit ihrem Beginn an der Universität Gießen als dem Konkurrenzunternehmen zu Marburg lehrte, 232 hat sich mit seinem Überlegungen insbesondere auf Hyperius, und immer wieder zeigt sich bei ihm der Einfluß Melanchthons. Zu Danaeus grundlegend Olivier Fatio: Methode et Theologie. Lambert Daneau et les debuts de la scholastique reformee.- Geneve: Droz 1976. 227 Vgl. Jakob Heerbrand: De scripturae sacrosanctae interpretatione [...].- Tübingen: Hock 1582, auch ders.: Disputatio De Scripturae Sacrae Interpretatione [...] Praeside [...] Iacobo Heerbrando [...] defendere conabitur M. Ludovicus Munsterus [...].- Tübingen: Hock 1591. 228 Vgl. Johannes Förster: Oratio brevis et succincta De interpretatione sacrae scripturae [...].- Wittenberg: Gormann 1608. Er unterscheidet in der unpaginierten >Oratio< folgende Regeln: (1) die Beachtung des >scopus< des Textes: »Scopus enim finis est, quem Spiritus Sanctus in textu proposito intendit, & ad quem ea omnia, quae in textu proponit & exponit, unice refert & dirigit«, (2) die Berücksichtigung der Ursprachen »ad fontes [...] ad linguam Hebraeam, Chaldaicam & Graecam, in quibus libri sacri primitus fuerü[n]t descripti [...]«, (3) die Glaubensanalogie, (4) die Beachtung der >consequentia< und >antecedentiaad interpretes Authenticos & Orthodoxos< - die letzte ist keine Regel, sondern der Versuch der Beantwortung der Frage: >At quo delabor?De Scripturae S. InterpretationeregulaeEpistola dedicatoria< 1607]; ders.: Schediasmatum sive controversiarum Goclenii, Keckermanni aliorumq[ue] erroneis opinionibus oppositarum pars secunda [...].- Gießen: Hampel 1609 [>Epistola dedicatoria< 1608], und ders.: Schediasmatum sive controversiarum Goclenii, Keckermanni aliorumq[ue] erroneis opinionibus oppositarum pars tertia [...].- Gießen: Hampel 1610, sowie in einem Anhang zu ders.: Thesaurus logicae, hic est, Nobilis ac vere aurea doctrina syllogismorum [...] ita tradita, ut omnium Facultatum studiosis frugifera sit & necessaria [...]. Add. est in singulis capitibus confutatio Systematis Logici Bartholomaei Keckermanni.Gießen: Hampel 1609.

Auch hier ist aus seiner Lehre sogleich ein Lehrbuch geworden, vgl. Keckermann: Systema grammaticae Hebraeae, Sive, sanctae linguae exactior methodus [...].- Hanau: Antonius [1600], 235 So berichtet Hirsch: Geschichte (Anm. 32), S. 17, Anm. 7: »Schon Rector Fabricius äussert in der Matrikel in dieser Beziehung, gegen den Philosophen Keckermann eifernd, welcher die theologischen Studien beschränken will: > omnium discipulorum salut interesse, ut in fundamentis pietatis et sana orthodoxe doctrina - recte instituerentur, antequam in Academias se conferrent, ubi illi qui non futuri essent theologi, plerumque pietatis studia negligerent nec audirent docentes theologos, idque hoc tempore maxime necessarium videri propter haereticorum, hinc inde divagantium multitudinem, ut non modo contra Pontificiorum sed et Samosateniorum, Arianorum, Anabaptistarum et aliorum haereticorum errores et praestigias animi ipsorum praemunirentur et cavere ac etiam refutare illos discerent; [...].donum Dei
imago DeiPolitik< (Anm. 54), bleibt Keckermann als politischer Theoretiker noch weiter zu untersuchen. 237 Zu seiner Bedeutung für die Geographie Manfred Büttner: Die >Geographia generalis< vor Varenius.- Wiesbaden: Steiner 1973, S. 172-205; ders.: Die Neuausrichtung der Geographie im 17. Jahrhundert durch Bartholomäus Kekkermann.- In: Geographische Zeitschrift 63 (1975), S. 1-12; ders.: Die Emanzipation der Geographie zu Beginn des 17. Jahrhunderts.- In: Sudhoffs Archiv 59 (1975), S. 148-164; ders.: Die Beziehungen zwischen Theologie und Geographie bei Bartholomäus Keckermann.- In: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie 18 (1976), S. 209-224; ders.: Bartholomäus Keckermann (1572-1609).- In: Wandlungen im geographischen Denken von Aristoteles bis Kant. Dargestellt an ausgewählten Beispielen. Hrsg. von dems.- Paderborn usw.: Schöningh 1979, 153-172; ders.: Geographie und Theologie. Zur Geschichte einer engen Beziehung.- Frankfurt a.M.: Lang 1998, S. 20-44; auch ders.: Zum Übergang von der teleologischen zur kausalmechanischen Betrachtung der geographisch-kosmologischen Fakten.- In: Studia Leibnitiana 5 (1973), S. 177-195, insb. S. 183ff., und ders.: Neue Wege in der Mercator-Forschung. Mercator als Universalwissenschaftler.- Bochum: Brockmeyer 1992, S. 38-47. Ferner David N. Livingstone: Science, Magic and Religion: A Contextual Reassessment of Geography in the Sixteenth and Seventeenth Centuries.- In: History of Science 26 (1988), S. 268-294, insb. S. 280283, der sich allerdings weitgehend auf die Untersuchungen Büttners stützt, ebenso J.A. May: The Geographical Interpretation of Ptolemy in the Renaissance.- In: Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie 73 (1982), S. 350-361, insb. S.355f. 238 Zu seiner Metaphysik vgl. auch Ulrich Gottfried Leinsle: Das Ding und die Methode: methodische Konstitution und Gegenstand der frühen protestantischen Metaphysik.- Augsburg: Maro-Verl. 1985, Register. 239 Vgl. Bartholomaeus Keckermann: Systema Physicum, Septem Libris adornatum, et Anno Christi MDCVII. publice propositum In Gymnasio Dantiscano [... 1610], Editio Tertia [...] prioribus auctior & multö correctior.- Hanau: Antonius 1612 (>Epistola dedicatoria< von 1610). 240 Zu den hier nicht nachgewiesenen Schriften die Hinweise bei Freedman: The Career (Anm. 30); dort auch weitere Werke Keckermanns.

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Nach christlicher Lehre hat der Mensch mit dem > lapsus < ganz wesentliche Einbußen seiner Gottesebenbildlichkeit erlitten.241 Als ein als > locus classicus< für die besonderen Fähigkeiten der Menschen >ante lapsum< gilt immer wieder der Bericht Gen 2,20 über Adams Benennung der Tiere. Die Einbußen betreffen vollständig die Gotteserkenntnis - die >dona supematuraliadona naturalia statu hominis integro< reichen die natürlichen Anlagen zur Gotteserkenntnis und zur Erlangung der Seligkeit aus, nicht indes in >statu peccatiratioFünklein< (»scintillas«) verblieben, so daß sich die Menschen von den Tieren unterscheiden. Zwar sei der Wille des Menschen, da er eng mit seiner Natur verbunden sei, nicht vollständig verschwunden, gleichwohl fesseln ihn verdammungswürdige Begierden, so daß er sich nicht auf das Gute richten könne. Der Mensch irre, selbst wenn es den Anschein habe, er folge dem richtigen Weg. Gleichwohl sei es wahr, daß jedem Menschen die >Samen< (»semen«) der politischen Ordnung (»ordinis politici«) eingepflanzt sind, und das sei ein starkes Argument (»amplum argumentum«) dafür, daß er in der diesseitigen Lebensordnung nicht das Licht der Vernunft (»luce rationis«) entbehren müsse. 245 Der Mensch habe in den Künsten, den handwerklichen wie den liberalen, sein Vermögen und seine Fähigkeiten nicht allein zum Lernen, 241

242

243 244 245

Zur Entwicklung der Urstandslehre Christoph Karl Rüdiger Olearius: Die Umbildung der altprotestantischen Urstandlehre durch die Aufklärungstheologie.München: Schön [1969], Johann Calvin: Institutio Christiane Religionis 1559 libros I et II continens.- In: ders.: Opera selecta. Hrsg. von Peter Barth und Wilhelm Niesei. Bd. I-III.München: Kaiser 1938, II, 2, 4 (S. 245). Ebd. II, 2, 12 (S. 254). Ebd. (S. 255). Ebd., 13 (S. 257).

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung

und Logik als >donum Dei
ratiointelligentiadona naturalia< durch die Erbsünde nur geschwächt: »[...] ηό[η] intellige[n]di & cogitandi absolute, sed recte & ordinate de rebus praesertim graviorib[us] cogitä[n]di [,..]« 249 - im Unterschied zu zahlreichen Theologen, nach denen der Sündenfall gerade auch die Vernunfterkenntnis des Menschen weitgehend zerstört habe. Das Rühmenswerteste der Logik liegt nach Keckermann darin, daß sie danach strebt, die Gottesebenbildlichkeit des Menschen wiederherzustellen, indem sie das uns verbliebene Zwielicht zu einem helleren Licht fuhrt, die Schwächen unseres Geistes so weit wie möglich in diesem Leben heilt und dem Verstand die >rectitudo< (Rechtheit als Wahrheit und Gerechtigkeit) - > recta ratio agibilium< - wiedergibt. 250 246 247

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249

250

Ebd., 14 (S. 257). Vgl. ebd.: »Haec ergo documenta aperte testantur universalem rationis et intelligentiae comprehensionem esse hominibus naturaliter inditam.« Vgl. ebd., 15 (S. 258): »Quoties ergo in profanos scriptores incidimus ilia, quae admirabilis in iis affulget veritatis luce admoneamur, mentem hominis, quantumlibet ab integritate sua collapsum et perversam, eximiis tarnen etiamnum Dei donis vestitam esse et exornatam.« Vgl. Keckermann: Systema logicae (Anm. 34), >Systematis logici praecognitaKrankheit privatio < widerstreitet dann direkt der Annahme, mit dem Menschen >post lapsum< habe sich substantiell etwas geändert. Erst diese Deutung des menschlichen Vermögens >post lapsum< mittels der > privatio (-Negation macht verständlich, weshalb Keckermann Theologie und Logik in einer bestimmten Hinsicht eng benachbart sehen kann. Beide seien der Medizin hinsichtlich der Heilung vergleichbar - die eine >medicina mentismedicina spiritualise Die Sicht der Sünde als > privatio < ist freilich alt, und Keckermann kennt diese Tradition. 253 Nach Thomas von Aquin ist die Erbsünde ein vom Menschen verschuldetes Fehlen der heiligmachenden Gnade: >privatio gratiae sanctificantisdonum Dei
res positiva< und nicht allein eine >res privativares positiva< zu verschieben. 256 Luther neigt sicherlich eher der strengeren Auffassung zu und faßt die Erbsünde als >Verderbnis der Natur < auf, als eine > gesamte Verderbnis in allen GliedernWegnehmendurch Änderungen des Wesens und Lebens < zu beseitigen. 258 Luther spricht hier wie anderswo von > substantia^ aber vermutlich nicht im Sinne des Aristoteles. 259 Luthers wie Flacius' Sicht rührt wohl aus der Sorge, der Mensch könne meinen, ohne seine grundlegende > Erneuerung < sei die >reparatio< möglich. 260 Daher sei die Verderbnis der gesamten menschlichen Natur herauszustreichen, um allein auf der ausschließlichen Gnadenhaftigkeit der Sündenvergebung bestehen zu können und daher jeder Vorstellung von menschlicher Verdienstlichkeit in diesem Bereich entgegenzutreten. Das Menschenbild richtet sich uneingeschränkt aus an der Unverdienstlichkeit und Gnadenhaftigkeit des Heils. Eher handle es sich um einen langwierigen Prozeß der >Gesundungmedicina mentis < zu sehen und im > lapsus < eine, wenn auch nur in gewissem Umfang, >in hac vita< heilbare Krankheit. Als Medizin, für die praktischen Disziplinen die Vorbildwissenschaft in der Zeit, 262 begreift Keckermann denn auch die Theologie. Nach ihm ist die Theologie >pars operatrix< (und nicht >contemplatrixprudentia< trennt er sie von der >scientia< ab und gliedert sie zum einen in >prudentia ethica sive civilismoderatrix virtutum ethicarum, politicarum et oeconomicarumprudentia religiosa directrix virtutem divinarum sive spiritualiummethodus compositiva sive syntheticamethodus resolutiva sive analytical, als ein Mittelensemble zu einem Ziel - inspiriert sein dürfte Keckermann bei dieser Darstellungsweise nicht zuletzt durch die des Heidelberger Katechismus, bei dem er meint, er sei bereits nach der analytischen Methode eingerichtet. 263 Konsequent kennt er denn auch eine >theologia παθολογικ< und >9εραπευτικfinis< und den zugeordneten >(re)mediaparticipatio Dei< und die >similitudoobjectumdonum Dei
ordo analyticus< die Darstellung der Theologie als ein disziplinares Wissensgefüge einzurichten versucht und nicht nach dem >ordo synthethicusprimum elementum Theologiaemedicina< (>spiritualis medicina geistliche Heilkunst Gesundheit der Seele < erneut zu erlangen. 270 Während aber der Verlust im Bereich der Gottes- und Heilserkenntnis für den Menschen so groß sei, daß er auf die Hilfe der Offenbarung angewiesen bleibe, ist dies im Bereich der Naturerkenntnis nach Keckermanns Ansicht weniger ausgeprägt der Fall: Über die Naturerkenntnis lasse sich ein Zugewinn hinsichtlich der Gottesebenbildlichkeit Gießen: Hampel 1607, darauf folgt, nun den Ausdruck auch im Titel aufnehmend, drei Jahre später die zwanzig Seiten umfassende Darstellung in ders.: Synopsis Theologiae Analytico Ordine Comprehensa, & Christi numine Dirigente [...] Sub Praesido [...] Balthasaris [...] ad publicam disputationem proposita ä Johanne Scholvino [...].- Giessen: Hampel 1610. 267 Flacius: Altera pars Clavis Scripturae (Anm. 261), tract. I, S. 42. 268 Vgl. ebd, S. 45: »Per hunc ordinem [d.h. >methodus analytical, Postillae, & expositiones Sacrarum literarum, quae quidem verae ac merae expositiones textus sunt, & non in Institutiones degenerant, magna ex parte tractantur. Sic enim integrae disputationes aut Scripta resolvuntur, refutationes etiam Scriptorum hanc ferme methodü[m] sequuntur.« 269 Vgl. ebd., S. 44: »Sic synthetica Theologiae methodus (quae ei maxime propria est) incipit ä deo, tanquam simplicißimo elemento, prima causa aut motore: eumq[ue]; varie cum homine componendo progreditur: donec ad ultimum finem id est, ad eundem Deum perveniat, iuxta illud Rom 11, Ex quo, per quem, & in quem omnia: quae est brevißima et Synthetica Theologiae summa.« 270 Vgl. Keckermann: Systema SS. Theologiae (Anm. 153), lib. II, Kap. 1, Sp. 140f.: »Ars medica - cum qua theologia magnam habet affinitatem, im majorem quam cum ulla alia arte. Medicina est ars de sanitate corporis recuperanda et tuenda; ita theologia, spiritualis illa medicina, est prudentia, media usurpandi et applicandi, quibus animae sanitas, quam homo per lapsum amisit, recuperetur et conservetur.« Vgl. auch ebd., lib. III, Kap. 1, Sp. 167f.

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erreichen. 271 Entsprechend den Defekten ist für Keckermann die Logik denn auch als »ars recte de rebus cogitandi« bestimmt. 272 »Tres defectus et morbos rationis humanae« sieht er: »aberratio ä re apprehe[n]da«, »obscuritas« sowie »confusio«, und die Logik erbringe entsprechend drei Leistungen: >explicareprobare< und >ordinäremedicina spiritualise so die Logik die >medicina mentis Wissen < einer äußeren Welt angesehen wird; vor allem ging es um die Konsequenzen der Gewichtung eines solchen Wissens. Doch wohl nie hat es hinsichtlich der >restauratio< eine Wirkung zu entfalten vermocht wie im 17. Jahrhundert. Nahezu zeitgleich mit Keckermann heißt es in Valerius Terminus - einem von Francis Bacon um 1603 verfaßten Werk, das unvollendet zwar erst im Jahre 1734 erscheint, aber offenkundig bereits zuvor gewirkt hat, und in dem sich vielleicht am deutlichsten der theologische Hintergrund seiner Wissenschaftsreform ausdrückt 274 - , daß der wahre Zweck des Wissens nicht in der >curiositasrestauratio< des 271

Hierzu Keckermann: Praecognitorum Philosophicorum (Anm. 7), lib. I, Kap. 3, S. 38ff. Sowie das abschließende Kap. in ders.: Systema SS. Theologiae (Anm. 153), lib. III, Sp. 222-230, dort zum Anschluß (Sp. 230) auch noch einmal die Betonung der Arbeitsteilung unter den Disziplinen. 272 Keckermann: Systema logicae (Anm. 34), S. 1. 273 Ähnlich auch C.A.: Fasciculus praeceptorum logicorum, in gratiam juventutis academicae compositus & typis donatus [1628].- Oxford: Turner 1633, der die Erkenntnisprobleme auch auf den > lapsus < zurückfuhrt und die Logik als Hilfsmittel sieht; wie Keckermann unterscheidet er drei Schwierigkeiten, die nach dem Sündenfall hindern, korrekte Erkenntnis zu erlangen: (S. 2): »Obscuritas: cum saepe quidem res apprehendit, attamen naturas earum interiores, harumque notas, seu verba, quasi per nebula conspicit.« Der Verfasser dieser nur mit den Initialen gezeichneten Schrift ist Christopher Airay (ca. 1601-1670), der 1628 Fellow des Queen's College (Oxford) wird. Seine Schrift hat noch mindestens zwei weitere Auflagen erlebt: 1637 und 1660. 274 Das soll nicht heißen, das sei der einzige Grund; zu Bacons > Imperialismus < als Motiv u.a. Julian Martin: Francis Bacon, the State, and the Reform of Natural Philosophy.- Cambridge: University Press 1992, dazu allerdings mit guten Argumenten kritisch Markku Peltonen: Politics and Science: Francis Bacon and the True Greatness of States.- In: The Historical Journal 35 (1992), S. 279-305. 275 Vgl. Francis Bacon: Valerius Terminus of the Interpretation of Nature [ca. 1603, 1734].- In ders.: The Works [...]. Gesammelt und hrsg. von James Spedding, Robert Leslie Ellis und Douglas Denon Heath. Bd. III.- London: Longman u.a. 1887, S. 215-252, hier S. 222. Hierzu auch Benjamin Milner: Francis Bacon: The Theological Foundations of >Valerius Terminusdonum Dei
Theater< oder >Bücher< richtig zu lesen: die >sichtbare Weltheilige SchrifiU.280 Die Grundlage für das >remedium< besteht in der Wiederherstellung des > Lichts der menschlichen Erkenntnis reme276

Hierzu neben Charles Whitney: Francis Bacon and Modernity.- New Haven: Yale University Press 1986, vor allem ders.: Bacon's >InstauratioArchaelogia< S. 74. 279 Hierzu auch Regine Masthoff: Komenskys Ratschlag an die Regia Societas in London vom Jahre 1668.- In: Zwanzig Jahre Comeniusforschung in Bochum. Hrsg. von Klaus Schaller.- Sankt Augustin: Academia-Verl. Richarz 1990, S. 245-255. 280 Vgl. Johann Arnos Comenius: Der Weg des Lichtes. Via lucis [verf. um 1640, 1668]. Eingel., übers, und mit Anmerkungen versehen von Uwe Voigt.- Hamburg: Meiner 1997, Kap. 1, S. 24f. 281 Vgl. ebd., Kap. 8-14, S. 57-122.

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dium< stellt dann seine Konzeption der Pansophie dar, die er nicht müde wird zu entwickeln und zu propagieren. 282 Sowohl von Bacon als auch von Descartes versucht Comenius sich durch sein dreifach gestaffeltes Modell der Erkenntnis abzugrenzen, bei dem es zwar heißt, daß aufgrund der gemeinsamen Urheberschaft des >liber supranaturalis< und des >liber naturalis Schlüssel < für die Naturerkenntnis, sondern die Erkenntnis der Natur »Schlüssel für die Geheimnisse der Schrift« 283 sei, doch vermag er nicht - wie auch kein anderer - hinreichend (wohl auch nicht für sich) zu klären, wie sich das Lesen in den drei Büchern gegenseitig korrigieren soll. John Milton schreibt in seinem Werk zur Erziehung: The end of learning is to repair the ruins of our first parents by regaining to know God aright, and out of that knowledge to love him, to imitate him, to be like him, as we may the neerest by possessing our souls of true vertue, which being united to the heavenly grace of faith makes up the highest perfection 2 8 4

Für Robert Hooke (1635-1703) werden Teleskop und Mikroskop zu Mitteln, die die Verluste durch den Fall auszugleichen versprechen. 285 Für Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651-1708) schließlich ist es die von ihm in seiner Medicina mentis dargelegte >ars inveniendiinstauratio imaginis Dei ad hominemdonum DeiPreface< (unpag.): »By the addition of such artificial Instruments and methods, there may be, in some manner, a reparation made for the mischiefs, and imperfection, mankind has drawn upon it self, by negligence, and intemperance, and a wilful and superstitious deserting the Prescripts and Rules of Nature, whereby every man, both from a deriv'd corruption, innate and born with him, and from his breeding, and converse with men, is very subject to slip into all sorts of errors.« Zur Deutung vgl. Danneberg: Die Anatomie (Anm. 16), S. 269ff. 286 Vgl. Ehrenfried Walther von Tschirnhaus: Medicina mentis sive artis interveniendi praecepta generalia [1687, 1695]. Erstmalig vollst, ins Deutsche übers, und komm, von Johannes Haussleiter [...].- Leipzig: Barth 1963, Teil 2, S. 65. 283

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Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
Praeceptor Germaniae< Philipp Melanchthon beeinflußt, dem von ihm auch in der Logik geschätzten Reformator - »summus aeque philosophus ac theologus« 2 8 7 dessen Werk er samt Logik großräumig in das Reformationsgeschehen sowohl theologischer wie wissenschaftlicher Art einzuordnen weiß, bei dem sich zugleich der Nutzen der Logik gegenüber den aus seiner Sicht sophistischen Argumentationen der Katholiken und der Häretiker herausstreichen läßt. 288 Das bedeutet freilich nicht, daß nicht noch zahlreiche andere Einflüsse für Keckermann ausschlaggebend g e w e s e n sein können.

287

Zur Wertschätzung Melanchthons neben Bartholomaeus Keckermann: Synopsis Praecognitorum Philosophicorum [postum].- In ders.: De Quantitate et Locatione Corporis Naturalis Tractatus singularis [...]. Editio nova nunc primum in lucem edita.- Hanau: Antonius 1617, S. 51-87, hier S. 57, auch ders.: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, S. 152f. 288 Vgl. Keckermann: Gymnasium Logicum (Anm. 211), lib. I, Kap. 3, S. 36-38: »[...] ante annos circiter centum Deus Europam clementer respexit, & linguarum atque artium studia e tenebris ad lucem revocavit, ut lux Evangelii postmodum clarior & per Germaniam & alias provincias spargi posset. Certum enim est, logicam esse velut Auroram quandam, qua denuncietur exortus, & lux splendidor caelestis illius solis, sacrae nimirum Theologiae: quam cum Deus vellet autorum nostrorum temporibus pristinae sinceritati, qualis Apostolicis temporibus est, restituere, excitavit viros linguarum peritos, & ingenio summo praeditos, qui nativum & verum logicae usum Schölls & Ecclesiis ostenderunt, quales fuerunt Lud. Vives, qui scriptis de corrupta Logica & tota Philosophia Iibris, iudicio & eruditione plenis, multorum ingenia ad cogitationes de vera Logicae exercitationes suscipiendas excitavit. Et iuvit eodem tempore atq[ue] ornavit provinciam hanc magnus ille Erasmus Rotterdamus: sed inprimis ante omnes laudem reformatarum disciplinarum omnium & accensae per Scholas Logicae facis atque lucis laudem meretur Philippus Melanchthonem, summus aeque Philosophus ac Theologus; [...] mox ubi Witebergam devenit, callcar ei addidit Lutherus, in quo ingenium ac re admodum & dextrum, quiq[ue] Melanchth. saepe ad colloquia, quae cü[m] adversariis habuit, adduxit; Sed & annis deinde seqq. Melanchth. ipsi congrediendu[m] fuit cum pontificiis sophistis, qui eius ingenium conflictu illo marifice acuerunt, quod ipse non semel postea professus est, quid sit logicam didicisse sese in congressibus & disputationibus cum Pontificiis sophistius, qui eius ingenium conflictu illo mirifice acuerunt, quod ipse non semel postea professus est: quid sit Logicam didicisse, sese in congresibus & disputationibus cum Pontificiis habitis, ut certe in colloquio Haganoensi, Ratisbonensi, & aliis cum versutis admodum & lubricis Sophistis fuit conflictandum: Sed & hoc exercitatione[m] artis Logicae in Melanchthone mirifice aluit ac conformavit, quod aggressus est scribere plenas methodos sive Systemata tum Theologiae, tum etiam, Physicae, Ethicae, Rhetoricae & ipsius etiam Logicae; in qua quidem Logica id per omnes fere paginas unice agit, ut praecepta illustret exemplis Theologices earumque materiarum quae & graves sunt, & in controversam a Sophistis & haereticis trahuntur [...].«

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In der durch Melanchthon vermittelten Tradition existieren im Geist liegende >Wissenskeimenotitiae naturales Strahlen der göttlichen Weisheit principia geometricaphysica< und >moraliaratio< ein göttliches Geschenk, sie ist die Erfinderin und Lehrerin aller Wissenschaften (These 4 - 8 ) . Sie bleibe auch nach dem Sündenfall die >Königin< auf der Erde (These 9). 291 Vgl. Melanchthon: Liber de anima (Anm. 290), Sp. 150: »Sunt igitur normae certitudinis iuxta philosophiam tres: Experientia universalis, noticiae principiorum, et intellectus ordinis in syllogismo.« Oder wie es in einem Vorwort von 1552 heißt, vgl. ders.: Briefe.- In ders.: Opera [...]. Bd. VII.- Halle a.d. Saale: Schwetschke 1840 (= Corpus Reformatorum; 7), Sp. 950: »Deinde quale sit, ostendunt notiae lucuntes in humanis mentibus aeternae et immotae, numeri, intellectus ordinis, distinctio rerum, boni et mali figurarum, caussarum, effectuum, ratiocinatio, notitiae discernentes honesta et turpia, dolor, vindex scelerum in cordibus hominum. Hanc totam sapientiam, tanquam radios suae lucis sparsit Deus in hominem mentem, et sparsit ideo, ut agnoscamus et esse Deum, et esse eum mentem sapientem, veracem, beneficam, iustam, castam, discernentem honesta et turpia, intuentem et servantem genus humanum et vindicem scelerum.« Vgl. auch ders.: Initia doctrinae physicae [1549].- In ders.: Opera, Bd. XIII (Anm. 21), Sp. 179-412, hier Sp. 181 und 373f„ sowie ders.: Liber de anima (Anm. 290), Sp. 18, auch 169. 290

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
notitiae innatae< oder >insitaeargumentum e consensu gentiumnotitia dei acquisitavestigiaEstne verum dictum, noticias aliquas nobiscum nasci?vox divinatheologia naturalis < scheint er freilich gegenüber Melanchthon abzuweichen, da er eine Gotteserkenntnis in Ansehung der Natur mehr oder weniger zurückweist. Eine mit der Auszeichnung der > ratio < und der Logik zusammenhängende, aber nicht zugleich beantwortete Frage ist die Rechtfertigung und Verteidigung der Logik (bzw. der Philosophie) im Hinblick auf ihren Nutzen und ihre Anwendung im Rahmen der Theologie. An zahlreichen Stellen betont Keckermann die Bedeutung von Metaphysik und Logik für die Theologie - und das heißt für ihn: »Simplices termini in Theologia innumerabiles sunt, quos impossibile est sine Philosophia recte intelligere. Sunt autem vel in Scriptura S. vel extra Scripturam in Systemate Theologico«. 297 Von den mehr oder weniger grundlegenden philosophischen Instrumentaldisziplinen gehört nach ihm die Logik an die vorderste Stelle.298 Die noch lange nach Keckermann geführte Auseinandersetzung über den Status der Logik im Blick auf die Philosophie - Teil oder Instrument - beantwortet Keckermann mit einem Sowohlals-auch, 299 damit die von Boethius formulierte Lösung aufnehmend, der die Logik mit der Hand vergleicht, die ebenfalls beides sei, nämlich Teil und Instrument (des Körpers). 300 Zugleich kann sich Keckermann darüber mokieren, daß die Begeisterung, in welche die akademische Jugend für die Logik verfallen sei, zu zahllosen und fruchtlosen Erörterungen »de Logicae natura, an Logica Ars sit, an vero habitus instrumentarius, &c.« geführt hätten.301 Wichtig beim Studium der Theologie sei die Philosophie sowohl für die Lehre als auch für die Disputation, 302 unentbehrlich für das richtige Verständnis sowohl der Grundbegriffe als auch für das Ziehen wichtiger Schlußfolgerungen in ihr.303 Vor dem Hintergrund gerade der unter Lutheranern in der Zeit heftig geführten Auseinander297

Keckermann: Praecognitorum philosophicorum (Anm. 7), lib. I, Kap. 4, S. 88. Vgl. ebd., Kap. 3, S. 56: »Principale autem & dignissimum Philosophiae intrumentum, est ars Logica, utpote quae regulis & praeceptis convenientissimis humana[m] mentem regit & iuvat in cognitione rerum philosophicarum recte, ordine, & perspicue comprehendenda.« 299 Auch Keckermann: Synopsis (Anm. 287), S. 72f. 300 Vgl. Boethius: In Isagogen Porphyrii commenta [...]. Hrsg. von Samuel Brandt.- Wien, Leipzig: Tempsky-Freytag 1906 (= Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum; 48), >editio primae S. 1-132, >editio secundadonum Dei
ancilla Instrumente < als >donum Dei< belassen, nicht aber die mit ihnen zu erzeugenden Ergebnisse gegeben - bei vielen und wichtigen Fragen auch nicht niedergelegt in der Heiligen Schrift: weder explizit noch implizit und nicht allein bezogen auf die Naturerkenntnis, sondern auch hinsichtlich der Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens. Das schließt nicht aus, daß man zur Rechtfertigung nichttheologischer Wissensansprüche auf die Heilige Schrift zurückgreifen kann, soll und auch muß, insonderheit schließt das nicht aus, daß die Fundierung der außerordentlichen Stellung der Logik als Instrument des Erzeugern von Wissen im Rückgriff auf das Testimonium der Heiligen Schrift selbst gefunden werden kann; 310 und auch der Rückgriff auf die Kirchenväter als ein > argumentum ab auctaritate< war bei den Freunden der Logik nicht verpönt - immer wieder wird Augustinus als derjenige für den Wert der Logik angeführt, der immerhin selber eine >dialectica< verfaßt hat.311 Bedeutet die Trennung von Philosophie und Theologie bei Keckermann nicht, daß zwischen beiden kein Austausch stattfindet, so ist der Nutzen der Philosophie, Logik und Metaphysik nur die eine Seite. Die andere ist der Nutzen der Theologie für die Philosophie. Theologie verstanden als auf dem Wort Gottes ruhend; und letztlich ist es dieses Wort Gottes, das auch der Philosophie nützen kann. Im Blick auf die ältere (heidnische) Philosophie, die im Widerstreit mit der Heiligen Schrift stehen konnte, sieht Keckermann in seiner Zeit für das Wort Gottes in Gestalt der Theologie drei Funktionen: Et postremis hisce temporibus, postquam verbum divinum clarius illustratum & explicatum est, multae materiae Philosohicae ex eodem Dei verbo emendatae sunt, multae etiam additae & clarius illustratae, ut vere dici possit: Quae sunt principia probandi in Theologiae, ea etiam respectu Philosophiae eße principia emendandi, illustrandi & complendi. 312

Die ersten beiden von ihm benannten Funktionen beziehen sich auf das philosophisch Vorhandene: Verbessern und Veranschaulichen, das dritte auf das, was noch nicht vorhanden ist: Vervollständigen. Die Beispiele und der Bezug zur heidnischen Philosophie machen deutlich, daß Kekkermann dieses Vervollständigen in einem grundsätzlichen Sinn meint: etwas zu geben, wozu die Philosophie allein nicht in der Lage ist. Kekkermann sieht das für die ganze Philosophie, und er nimmt explizit die 310

Vgl. Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, S. 65-67. So auch bei Keckermann, ebd., S. 82. 312 Keckermann: Praecognitorum philosophicorum (Anm. 7), lib. I, Kap. 5, S. 104. 311

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Schriftauslegung

und Logik als >donum Dei
sensus explicitus< oder >implicitus donum Dei< hatte nicht nur Gewicht mit langem Erinnerungswert, 314 sondern er steht damit auch nicht allein, wie umstritten seine Schlußfolgerungen auch sein mochten. Nur wenige Beispiele mögen belegen, daß es sich um eine Verknüpfung von Ursprung und Nobilität handelt, die unabhängig von der jeweils verfolgten besonderen Logikkonzeption ist. So gab Johannes Bilstenius (16. Jh.), Lehrer der Philosophie in Basel, seiner aus ramistischen und melanchthonischen Lehrstücken bestrittenen Logik-Harmonie aus dem Jahre 1593 den Untertitel »Cum praefatione, in qua Dialectica divinis testimoniis ex sacra Scriptura desumptis, adversus Logicae hostes commentatur«. 315 Dem läßt sich entnehmen, daß es Feinde der Logik oder - allgemeiner - der Philosophie gibt, die mit Passagen aus der Heiligen Schrift eines Besseren zu belehren sind. Für die Auffassung der Freunde der Logik ist allein schon das Motto bezeichnend, mit dem Johann Heinrich Aisted das Titelblatt seines Logikwerkes Compendium Logicae Harmonicae von 1615 schmückt: »Logica

313

Vgl. ebd., S. 105: »Concludimus ergo S. literas non tantü[m] datas esse, ut inde Theologia extruatur, qui quidem earufm] est principalissimus finis, sed etiam ut Philosophia ex his partim corrigatur, partim illustratur, partim denique compleatur; & quidem non Practica tantum Philosophia, ut est doctrina de virtutibus & moribus, sed etiam Theoretica; si quidem & Physica, & Metaphysica & Mathematica principia & conclusiones passim in sacris reperiuntur, ex quibus istae scientiae, ut diximus, possint corrigi, si quid ex scriptis Ethnicorüfm] falsi illis admistum fuit, vel illustrari, si quid obscuri habuerunt; vel confirmati, si quid dubii, vel deniq[ue] compleri, si in aliquo defecerunt.« 314 Noch Johann Salomo Semler (1725-1791) weist in den Anmerkungen zur Neuausgabe des Werkes Lodewijk Meyers (1629-1681) zur Philosophie als Auslegerin der Heiligen Schrift von 1666 u.a. auf Keckermanns Diktum von der Logik und der Metaphysik als Gottesgeschenke hin, vgl. (Meyer): Philosophia Scripturae Interpres. Exercitatio Paradoxa [1666] Tertium edita, at apendice Ioachim Camerarii aucta; cum notis et praefatione D. lo. Sal. Semler.- Halle a.d. Saale: Hendel 1776, S. 222. 315 Vgl. Johannes Bilstenius: Dialectica: In Qua Petri Rami et Ph. Melanchthonis Praecepta Logica coniunguntur; & syllogismi ex Theologia, Philosophia ac Iurisprudentia passim adduntur [... 1593].- Hanau: Antonius 1594 (>Epistola dedicatoria< ist von 1593); die angekündigte >Praefatio< ist dann die >Epistola dedicatoria< (unpag.)

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est nihil & omnia« 316 - einen Umschreibung des Unendlichen als koinzidentielle Einheit. Sehr beliebt ist bei der Logik in diesem Zusammenhang der Rückgriff auf die Geschichte, die Sokrates im Philebos erzählt, wonach Prometheus - er gilt traditionell als derjenige, dem die Menschen ihr Wissen verdanken - , die Logik auf die Erde gebracht habe. 317 Auch das findet sich bei Keckermann, 318 der - anderen Zeitgenossen gleich - damit noch in der antiken Tradition der Erfindernachweise steht, und zwar geschieht das in seinem Abriß einer Geschichte der Logik von den ersten Anfängen bis in seine Gegenwart. Im Umfang wie in der Darstellungsweise wohl - wiewohl immer übersehen 319 - das erste Werk dieser Art. 320 Noch 100 Jahre später findet es ein mehrfaches Echo in Jakob Friedrich Reimmanns (1668-1743) logikgeschichtlicher Schrift Critisirender Geschichts=Kalender, wenn er nicht nur auf Keckermann zurückgreift, sondern zahlreiche Urteile wörtlich übernimmt. 321 Dabei findet sich bei ihm nicht allein die Prometheus-Geschichte, sondern er läßt noch immer jede mythische Überlieferung zu Wort kommen. Doch schon bei Keckermann ist das nicht mehr als eine antike Rahmung, die allein zeigen soll, daß bereits Heiden, wenn auch bildlich verworren, eine Vorstellung von der Logik als >donum Dei< besessen haben. Grundsätzlich hält er denn auch fest: »Spiritus S. ut omnium disciplinarum & artium, ita etiam huius praestantissimae primus est & principalissimus inventor, qui hominibus postea usus est tanquam instrumentis.« 322 Auf die >Providentia voluntaria< Gottes geht nach der 316

Vgl. Johann Heinrich Aisted: Compendium Logicae Harmonicae, exhibens Universum bene disserendi modum juxta principia Peripateticorum & Rameorum celebriorum; distincteq[ue] proponens [...].- Herborn: Corvinus 1615. 317 Vgl. Piaton: Philebos, 16c-17a. 318 Vgl. Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, § 3, S. 66. 319 Erstaunlicherweise bleibt Keckermann als Historiker der Logik vollständig unberücksichtigt auch in Francesco Bottin u.a.: Models of the History of Philosophy: From Its Origins in the Renaissance to the >Historia Philosophical Hrsg. von C.W.T. Blackwell.- Dordrecht usw.: Kluwer 1993 (= Archives internationales d'histoire des idees; 135). 320 Neben knappen Überblicken über die antiken philosophischen Schulen - sei es Melanchthon: Erotemata Dialectices (Anm. 161), Sp. 6 5 5 - 6 5 8 , oder Petrus Ramus: Scholarum Dialecticarum.- In ders.: Scholae in liberales artes [...].- Basel: Episcopius 1569 (Nachdr. Hildesheim: Olms 1970), sep. pag. >De Logicae authoribusdonum Dei
artes< zurück, 323 und das ist denn auch der Grund, weshalb ein Heide wie Aristoteles als heilig, als >divinus praeceptor incomparabilis< 324 und als göttlich inspiriert angesprochen werden konnte - wie bei Lefevre d'Etaples (Faber Stapulensis, ca. 1 4 5 5 - 1 5 3 6 ) um die Wende zum 16. Jahrhundert;325 und hundert Jahre später gilt das Organon als Logicae divinae seu peripateticae - wie Georg Gutke ( 1 5 8 9 - 1 6 3 4 ) seine Logik tituliert. 326 Ebenso löst Keckermann das sich dem christlichen Selbstverständnis stellende Problem, daß die gottlosen Heiden über so exzellente Einsichten verfugt haben, mit der Erklärung, daß sie diese Einsichten letztlich von Gott empfangen haben, sie vom Heiligen Geist inspiriert gewesen seien. 327 Ein Beispiel für die Sicht der Logik als >donum Dei Epistola dedicatoria< von 1628]. 327 Vgl. Keckermann: Praecognitorum philosophicorum (Anm. 7), lib. I, Kap. 3, S. 38f.: »Quare nec Aristotelem absq[ue] peculiari Spirit. S. instinctu tam praeclarum Philosophum existisse credible est, ut maxime e numero electorum non fuerit. Duplicia enim sunt S.S. dona, quaedam propria electis, ut fides; quaedam communia cum reprobis: Et tale donum Philosophia censenda est, quod etiam in eos potest cadere, qui alieni sunt a vera fide in Christum.« 328 Vgl. Ursinus: Bedencken (Anm. 80), Bl. Aiij sowie Bij. 329 Vgl. Keckermann: Praecognitorum logicorum (Anm. 7), tract. II, S. 160: »[...] Organi Aristotelei libri quinque priores, per Quaestiones ab illo incomparabili Philosopho & Theologo Zacharia Ursino ita explicati, ut fateri necesse sit omnes eos qui haec legunt Ursino parem, quoad summa[m] his libris resolvendis dexteritatem, facilitatem, & perspicuitatem, qua obscurissima quaeqfue] loca praesertim in Libr. de Interp. & priorib. Analyt. reddidit planissima, parem re-

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Sicht findet sich nicht nur bei Melanchthon selber, sondern auch bei dem stark von ihm beeinflußten Thomas Wilson (ca. 1525-1581), 330 aber auch bei Petrus Ramus, fur den Gott der einzige vollkommene Logiker ist. Nach ihm habe der Mensch zwei universelle göttliche Geschenke erhalten: >ratio< und >oratioPeroration de laMethodeEpistola dedicatoria< von 1585), S. 1. 333 Polanus: Logicae Libri Duo (Anm. 112), >Epistola< (unpag.). 334 Peter du Moulin: The Elements of Logick [Elementa Logica, 1598]. Written First in Latine, then in French by that famous divine & philosopher, Peter du Moulin; and now Translated Into English by Joshua Ahier. Nachdr. der Ausg. Oxford: Hall 1647.- [o.O.] 1961 (= Early English Books; 27, 2), Bl. A2v-A3r. 335 Thomas Spencer: The Art of Logick, delivered in the precepts of Aristotele and Ramus [...].- London 1628 (Nachdr. 1970), >To the Readerdonum Dei
donum Deiplane-divinasdonum DeiThomisten< unter den italienischen Konvertiten, 339 beeinflußt; der andere italienische Emigrant, den Keckermann mit Zanchi herausstreicht, der dessen Lehrer 337

Vgl. Keckermann: Systema SS. Theologiae (Anm. 153), lib. I, Kap. 4, S. 83: »Deus lucem Spiritus sancti duas illas plane diversas disciplinas Metpaphysicam & Logicam in mentibus hominem vult accendere.« 338 Vgl. Hieronymus Zanchi: De libero arbitro [1563].- In ders.: Operum Theologicarum. Bd. VI.- Genf: Crispini 1619, Kap. 7, § 5, Sp. 138, er fährt fort: »sed ex accidenti tantum, quatenus scilicet an impiis usurpatur ad malum. Caeterum magnis laudibus digna est per se, maxime vero in piis hominibus, qui ad veritatem sacrarum literarum magis ac magis confirmandam dextre accommadant, & ut gloriae Dei inserviat efficiunt, Ita ad ipsas quoque disciplinas & artes utilis est pietas, si non ut comparanetur, saltern ut bene usurpentur.« 339 Zu Zanchis theologischer Bedeutung neben Carl Schmidt: Girolamo Zanchi.In: Theologische Studien und Kritiken 32 (1859), S. 625-708, vor allem Otto Gründler: Die Gotteslehre Girolami Zanchis und ihre Bedeutung für seine Lehre von der Prädestination.- Neukirchen: Neukirchner Verl. 1965; auch Joseph N. Tylenda: Girolamo Zanchi and John Calvin: Α Study in Discipleship as Seen Through Their Correspondance.- In: Calvin Theological Journal 10 (1975), S. 101-141; Norman Sheppard: Zanchius on Saving Faith.- In: The Westminster Theological Journal 36 (1973), S. 31-47; John Patrick Donnelly: Italian Influences on the Development of Calvinist Scholasticism.- In: The Sixteenth Century Journal 7 (1976), S. 81-101; Christopher J. Burchill: Girolamo Zanchi: Portrait of a Reformed Theologian.- In: Sixteenth Century Journal 15 (1984), S. 185-207; John L. Farthing: >De coniugio spiritual!Foedus evangelicumc Jerome Zanchi and the Covenant.- In: Calvin Theological Journal 29 (1994), S. 149-167, sowie ders.: Holy Halotry: Jerome Zanchi and the Exegetical History of Gomer (Hosea 1 -3).- In: Biblical interpretation in the Era of the Reformation. Hrsg. von Richard A. Muller und John L. Thompson.- Grand Rapids: Eerdmans 1996, S. 292-312.

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und ihn zum protestantischen Glauben gefuhrt hat, ist ebenfalls an der Scholastisierung der T h e o l o g i e im Schulterschluß mit der Philosophie beteiligt. 3 4 0 Es handelt sich dabei um Petrus Martyr Vermilius (Pietro Martire Vermigli 1 4 9 9 - 1 5 6 2 ) , der seine scholastische Ausbildung in Padua mit Kirchenväter- und Sprachkenntnis zu verbinden vermochte in Zürich wurde er der N a c h f o l g e r des namhaften Hebraisten Conrad Pellikan ( 1 4 7 8 - 1 5 5 6 ) 3 4 1 die ihn z u einer Autorität für das Alte Testament machte. 3 4 2 Er erhielt mehrfach Aufforderung, ins G e n f Calvins z u wechseln, aber auch Rufe an die Universität Heidelberg als N a c h f o l g e r Olevians. A n seiner Stelle und auf seinen Vorschlag wurde dorthin sein Schüler

340

Vgl. Keckermann: Praecognitorum Philosophicorum (Anm. 7), lib. I, S. 96, zur Bedeutung von Zanchi und auch zu dessen Lehrer in seiner italienischen Zeit, dem ebenfalls reformierten Theologen Petrus Martyr Vermilius: »Sed & magni Philosophi fuerunt Petrus Martyr & Hieronymus Zanchius, quorum scripta & disputationes egregia habent Philosophici acuminis specimina; [...].« 341 Zu ihm Christoph Zürcher: Konrad Pellikans Wirken in Zürich 1526-1556.Zürich: Theologischer Verlag 1975; femer Thomas Willi: Der Beitrag des Hebräischen zum Werden der Reformation in Basel.- In: Theologische Zeitschrift 35 (1979), S. 139-154. In Straßburg war Vermili übrigens Nachfolger eines anderen bedeutenden Hebraisten: Wolfgang Capito (ca. 1478-1541) 342 Zu ihm neben Carl Schmidt: Peter Martyr Vermigli. Leben und ausgewählte Schriften.- Eberfeld: Friedrichs 1858, vor allem John Patrick Donnelly: Calvinism and Scholasticism in Vermigli's Doctrine of man and Grace.- Leiden: Brill 1976, Kap. 2f., sowie ders.: Influences (Anm. 339); ders.: Calvinist Thomism.- In: Viator 7 (1976), S. 441-445; Marvin W. Anderson: Peter Martyr Vermigli: A Reformer in Exile (1542-1562).- Nieuwkoop: de Graaf 1975; auch ders.: Vista Tigurina: Peter Martyr and European Reform (1556-1562).- In: Harvard Theological Review 83 (1990), S. 181-206; Robert MaCune Kingdon: The Political Thought of Peter Martyr Vermigli.- Geneve: Droz 1980; Mariano Di Gangi: Peter Martyr Vermigli 1499-1562: Renaissance Man, Reformation Master.- Lanham: University Press 1993; Frank A. James: Peter Martyr Vermigli and Predestination. The Augustinian Inheritance of an Italian Reformer.Oxford: Clarendon Press 1998; ferner Beiträge in Peter Martyr Vermigli: Humanism, Republicanism, Reformation. Hrsg. von Emidio Campi u.a.- Geneve: Droz 2002, sowie in Pietro Martire Vermigli 1499-1562. Umanista, riformatore, pastore. Hrsg. von Achilie Olivieri.- Roma: Herder 2003; zu seinem >Thomismus< und > Humanismus < aber auch Joseph McLelland: Calvinism Perfecting Thomism? Peter Martyr Vermigli's Question.- In: Scottish Journal of Theology 31 (1978), S. 571-578, sowie ders.: Peter Martyr Vermigli: Scholastic of Humanist?- In: Peter Martyr Vermigli and Italian Reform. Hrsg. von dems.- Waterloo: Wilfred Laurier University Press 1980, S. 141-151; Marvin Anderson: Peter Martyr Vermigli: Protestant Humanist.- In: ebd., S. 65-84; Frank A. James: Peter Martyr Vermigli: At the Crossroad of Late Medieval Scholasticism, Christian Humanism and Resurgent Augustinianism.- In: Protestant Scholasticism. Hrsg. von Carl R. Trueman und R. Scott Clark.- Carlisle: Paternoster Press 1999, S. 62-78.

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und Logik als >donum Dei
lectio novi Testament! fideiobservantia analysis logicapost lapsum< verblieben sei. D i e weithin betriebene > Logische A n a l y s e < besteht nach dem erwähnten Piscator in der A n w e n d u n g logischer R e g e l n - und er hat alle Bücher der Heiligen Schrift d i e s e m Prozedere unterzogen. 3 6 3 Aufschlußreich für die Frage nach dem Eintritt der Hermeneutik in die Logik sind Piscators Überlegungen z u den Voraussetzungen einer solchen >applicatio< der Logik auf die H e i l i g e Gibbs.- Pittsburgh: University of Pennsylvania Press 1979; auch ders.: The Marrow (Anm. 355), lib. II, Kap. 2, S. 223-235. 358 Zu der ersten umfassenden und systematisch ausgearbeiteten Ethik eines Reformierten, die des Danaeus, die sich in dieser und in vielfacher Hinsicht von der Keckermanns unterscheidet, Christoph Strohm: Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvin-Schülers Lambertus Danaeus.- Berlin, New York: de Gruyter 1996; zur Entwicklung der Ethik bei den Reformierten, jeweils mit Hinweisen auch zu Keckermann, noch immer Alexander Schweizer: Die Entwicklung des Moralsystems in der reformierten Kirche.- In: Theologische Studien und Kritiken 23 (1850), S. 5-78, 288-327 und 554-580; sowie auch, in der Hauptsache zu Danaeus und Keckermann, Donald Sinnema: The Discipline of Ethics in Early Reformed Orthodoxy.- In: Calvin Theological Journal 28 (1993), S. 10-44. 359 Vgl. Wilhelm Amesius: Theses Logicae [postum 1643].- In ders.: Opera [1658] (Anm. 357), Bd. V/4, S. 161-192, hier S. 161. 360 Amesius: The Marrow (Anm. 355), unpag. (A5). 361 Amesius: Technometry (Anm. 357), § 68, S. 104. 362 Vgl. Wilhelm Amesius: Utriusque Epistolae Divi Petri Apostoli Explicatio Analytica, Documentis suis ubique illustrata, usibus ad singularem Pietatis profectum applicata; nec non III Conciones in selectiora quaedam S. Scripturae loca.- Amsterdam: Janssonius 1635; auch ders.: An Analyticall Exposition of Both the Epistles of the Apostle Peter, Illustrated by Doctrines of Every Text.London: Rothwell 1641. 363 Vgl. Johann Piscator: Analysis Logica Epistolarum Pauli [... 1589]. Una cum Scholiis & observationibus locorum doctrinae.- London: Bishop 1590 (>Epistola dedicatoria< 1589), >Praefatiodonum Dei
oratio non logica< in die >oratio logicaars logica< zu und wendet das gegen alle Verächter ihres Gebrauchs (bei der Interpretation der Heiligen Schrift). 367 Anders ausgedrückt: Die logischen Regeln sind allgemein - als ebenso allgemein erscheinen die hermeneutischen Regeln, und unter diesem Gesichtspunkt finden sie, wie gesehen, nach Clauberg ihren legitimen Ort in der Logik. Was unter den Zeitgenossen strittig war, ist mehr die Art und Weise ihrer Anwendung bei der Erzeugung theologischer Wissensansprüche zum einen aus der Heiligen Schrift selbst, zum anderen zum besseren Verständnis der so gewonnenen Wissensansprüche. Obwohl die Logik vielleicht mehr enthusiastische Freunde bei den Reformierten als bei den Lutheranern findet und obwohl hinsichtlich ihrer Anwendung auf die Glaubensmysterien mitunter beide differieren können, scheint das gleichwohl keine bestimmte Grenzziehung zu sein. Der Lutheraner Jacobus Martini, der ein mehr als 1000 Seiten starkes Buch zur Verteidigung der Vernunft und der Philosophie gegen die »neuen Enthusiasti364

365 366

367

Vgl ebd., direkt im Anschluß: »[...] quae quum ars generalis sit, tarn ad res spirituales ac divinas, quam ad humanas & profanas applicari potest. Quod quum sit: non propterea res divinae iudicio humano subiiciuntur [...] tantum rerum spiritualium doctrina, de cuius veritate iam per Spiritum Dei persuasi sumus, erudite ac scienter atque artificiose explicatur.« Hierzu Danneberg: Logik und Hermeneutik (Anm. 4). Vgl. u.a. Donald K. McKim: The Functions o f Ramism in William Perkin's Theology.- In: Calvin Theological Journal 16 (1985), S. 5 0 2 - 5 1 7 ; sowie ders.: Ramism in William Perkin's Theology.- N e w York usw.: Lang 1987. William Perkins: Pia et docta expositio in tria prima Apocalypseos capita [1598].- In ders.: Opera Theologica. Bd. II.- Genf: Chouet 1619, (dritte Paginierung), lib. I, Kap. 92, S. 92: »Hinc logicae artis necessitatem animadverte, concessum in theologia dividere (secus Spiritus Sanctus non usus fuisset) atque ita analogos alia argumenta ratiocinandi, ac proinde ars quae canones ac regulas divisionis tradit, & argumentandi recte legitima & approbata a Spiritu Dei: plurimum ergo hallucinantur homines qui logice & rhetorice artis regulas superfluas dicunt & illegitimas, ita simulant ac condemnant praxim Spiritus Sancti hoc loco.«

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sehen Vernunfftstürmern und Philosophy Schändern« aus den eigenen Reihen verfaßt368 - bei dem die Wahl der deutschen Sprache bereits signalisiert, daß sich das Thema aus dem akademischen Bereich verlagert hat - , spricht in einer Oratio de Utilitate et Necessitudine Logices zum Antritt seiner Logikprofessur in Wittenberg das aus, was trotz der Differenzen die Mehrheit der Philosophen in der Zeit an der Logik zu schätzen wußten: Ut enim rem universam in partes apte distribuas, Logica est: ut latentem definiendo explices, Logica est: ut ambiguas cernas falsasqfue] in animo opiniones corrigas, Logica est: ut confusa commode distinguas veraqfue] ä falsis dijudices, Logica est: ut veritatis arcem occupes, mendacium contra expellas, Logica est: ut perfectam rerum scientiam, quae hominem άμετάπτωτον efficit, consequaris, Logica est. 369

4. Kontroverstheologie, Logik und die >hermeneutica sacra < Der erwähnte Johannes Piscator war nicht nur in zahlreiche theologische Auseinandersetzungen verwickelt, er gehört ganz wesentlich, wenn auch indirekt, zur Vorgeschichte des Eintritts der Hermeneutik in die Logik bei Keckermann, und das nicht allein über seine Rechtfertigung der > analysis logica < in der Anwendung auf die Heilige Schrift. Auch reiht er sich ein in das Heidelberger Bezugsfeld Keckermanns. Von Tübingen kommend und nach kurzer Station in Straßburg, wo er aufgrund theologischer Unstimmigkeiten das Gymnasium illustre wieder verlassen mußte, versah er nach seinen vergeblichen Versuchen, eine Professur für Physik in Heidelberg zu erlangen, die dem Wohlwollen der Obrigkeit zum Trotz am Widerstand der Artistenfakultät scheiterte, von 1575 bis 1577 das Amt des Rektors des Pädagogiums in Heidelberg.370 Nach kurzer Anstellung als Professor der Theologie der reformierten Ausweichuniversität Heidelbergs in Neustadt a.d. Haardt führte ihn ein Ruf an seine eigentliche Wirkungsstätte, das illustre Gymnasium Herborns, an dem er seine lange produktive Wirkungszeit entfaltete, die ihm bei Reformierten hohe Anerkennung als theologische Autorität einbrachte. Zu den kontroverstheologischen Fragen, denen er sich widmete, gehört, wie es kaum anders hätte sein können, der Streit um die Abendmahlslehre zwischen Lutheranern und Reformierten.371 Abgesehen von 368

Vgl. Martini: Vernunfftspiegel (Anm. 82). Vgl. Jacobus Martini: Oratio de Utilitate et Necessitudine Logices.- Wittenberg 1606 [>Dedicatio< von 1605; >Programma Publicum< von 1602], S. 30 [recte 50], 370 Vgl. Hautz: Die erste Gelehrtenschule (Anm. 124), S. 3 7 - 4 3 . 371 Hierzu auch Bos: Johann Piscator (Anm. 133), S. 150-186; dieser Teil ist als Inaugural-Dissertation auch separat erschienen, siehe Frans Lukas Bos: Johann 369

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und Logik als >donum Dei
InSubCum communicatio idiomaticum< der göttlichen an die menschliche Natur begriffen wird. Letztlich bildet diese den Hintergrund für die Annahme einer Realpräsenz Christi im Abendmahl sowie der Vorstellung der im Abendmahl geschenkten Gabe der Vergebung der Sünden und der Gemeinschaft mit dem Leib Christi, die so bis in Ewigkeit und ohne Zutun des Menschen rein aus Gottes Gnade geschenkt werde. Nach lutherischer Auffassung ist Jesus Christus allgegenwärtig, sei es nun abhängig vom Willen des Gottessohnes (> freiwilliggrundsätzlichessentiaoperat i o n Von dieser Präsenz hängt allerdings das Heil der Menschen ab. Letztlich geht es bei der Frage nach der Realpräsenz Christi darum, ob und in welcher Weise Christus im Abendmahl wahrhaftig gegenwärtig ist. Nicht seine Präsenz überhaupt war also strittig, sondern wie er präsent ist. Die Art dieser Präsenz ist abhängig von bestimmten theologischen Sichtweisen und erhält von daher ihre Brisanz. Lutheraner hielten es für erwünscht, das Abendmahl als eine Wiederholung des Paradoxons der Menschwerdung Gottes, der Fleischwerdung in Christus zu sehen. Dem Piscator. Seine Stellung in den Erörterungen über das Heilige Abendmahl.Kampen: Kok 1932. 372 So hat der Spätzwinglianer Joseph Naso (um 1550-1604) u.a. bestritten, daß der Leib Christi beim Heiligen Abendmahl in irgendeiner, nicht einmal in geistlicher Weise, gegenwärtig sei, hierzu Johann Hermann Steubing: Nachrichten von M. Joseph Naso. Beitrag zur Helden- und Ketzergeschichte.- In ders.: Biografische Nachrichten aus dem XVIten Jahrhundert - ein Beitrag zur Kirchenund Reformationsgeschichte.- Gießen: Krieger 1790, S. 179-232; sowie Cuno: Daniel Tossanus (Anm. 178), S. 219-237.

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Anschein nach nur ein Mensch, dem Anschein nach nur Brot und Wein, ist dieser Mensch Gott, ist dieses Brot und dieser Wein der Leib und das Blut des Herrn. Trotz Ähnlichkeiten mit der katholischen Auffassung besteht ein Unterschied darin, daß bei der Verwandlung der einen Substanz in die andere (Transsubstantiation) vom Menschsein oder vom Brotsein allein die Akzidenzien verbleiben, also äußere Merkmale, aber nichts mehr von der Substanz des Menschseins. Das nun widerstreitet der Vorstellung, daß Jesus Christus zugleich auch die menschliche Natur angenommen hat und nicht nur äußere Akzidenzien. Aus der Sicht Luthers erscheint angesichts der zugrundegelegten Substanzlehre des Aristoteles die >Verwandlung < als ein unerträgliches Wunder, nämlich das Verbleiben von Akzidenzien ohne die sie tragende Substanz. Demgegenüber war angesichts der Reformierten die leibliche Präsenz strittig, und das nicht zuletzt deshalb, weil diese Leiblichkeit Räumlichkeit zur Folge hat - der Herr ist aufgefahren, sitzt zur rechten Gottes und nur an diesem >Ort< kann er >seinKonfessionsverwandtschaft< bestimmt ist. Über diese >Verwandtschaft < wachten zahlreiche Theologen, die nicht zuletzt die Entwicklungen bei der Abendmahlslehre, etwa in Bremen bei dem erwähnten Melanchthon-Schüler Christoph Pezel 374 und schon zuvor bei 373

Vgl. Daniel Hofmann: Quaestio, quis sit verae ac sobriae philosophiae in theologia usus [...].- Helmstedt: Lucius 1581; ders.: Quaestionum et responsionum in gravissima controversia de sacrosancta Coena, pars prima [...].- Helmstedt: Lucius 1583. Von Hofmann stammen weitere kritische Schriften und das Thema gewinnt erneut Aufmerksamkeit durch seine grundlegenden Überlegungen in ders.: Quaestionum & responsionum I gravissima controversia de sacrosancta coena [...].- Helmstedt: Lucius 1583. 374 Zu Pezel Jürgen Moltmann: Christoph Pezel (1539-1604) und der Calvinismus in Bremen.- Bremen: Verlag Einkehr 1958, sowie Richard Wetzel: Christoph Pezel (1539-1604). Die Vorreden zu seinen Melanchthon-Editionen als Propa-

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und Logik als >donum Dei
Zweiten ReformationEpistola dedicatoria< von 1594). Die erste Auflage von 1593, auf die Piscator respondiert, habe ich nicht einsehen können; vgl. Johann Piscator: Responsio [...] ad Elenchos Heizonis Buscheri: Quibus doctrinam illius de tropo in verbis sacrae coenae, & de propositionibus, quae vocantur inusitatae, refellere conatur.- Herborn: Corvinus 1593; ferner Heizo Buscher: Exercitationum Theologicarum Logicarum Responsioni Joannis Piscatoris Scripturam Depravantis, & artium doctrinam usitatam, propter dogma Calvinianum, corrumpentis Oppositarum Pars Prima [...].- [Lemgo]: Holsten 1594 (mit einem Begleitbrief von Daniel Hofmann an Buscher von 1594); auch Heizo Buscher: Exercitationum Theologicarum et Logicarum Responsioni Joannis Piscatoris Oppositarum Pars Altera [...].- Lemgo: Holsten 1594; dazu Johann Piscator: Admonitio de Exercitationibus Heizonis Buscheri [...].- Herborn: Corvinus 1594; femer Heizo Buscher: Fasciculus Quaestionum Controversarum [...J.Hamburg: de Ohr 1597; sowie ders.: Exercitationum Theologicarum et Logicarum Partes Tres [...] oppositae responsioni J. Piscatoris, quibus accessit appendix [...] ad Rodolphi Goclenii spongiam errorem.- Frankfurt a. Main: Kopf 1600. 378

Vgl. Heizo Buscher: Harmoniae logicae Philippo-rameae libri II, inegram disserendi facultatem explicantes [... 1595].- Lemgo: Holsten 1597. 379 Vgl. Heizo Buscher: Disputatio Logica Philippo-Ramea Prima de Definitione Dialecticae ejusq[ue] proinde subjecto & fine: Adversus Ramomastigas Pseudophilippistas [...].- In: Cornelius Martini: Adversus Ramistas disputatio De Subjecto et Fine Logicae Una Cum aliis tribus Ejusdem Importunati oppositis disputationibus A Friderico Beurhusi [...] Conrado Hoddaeo [...] Heizone Buscheri [...].- Lemgo 1596, unpag. [Bl. F2-H2]. 380 Zu ihm Hermann Rohde: M. Statius Büschems. Schuld und Schicksal eines hannoverschen Pfarrers.- In: Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 38 (1933), S. 234-282.

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herausgab381 und der noch Mitte des Jahrhunderts eine Kampfschrift gegen die Zurückdrängung des Ramismus an den Schulen verfaßte.382 Er war gleichsam in zweiter Generation an dieser Auseinandersetzung beteiligt, wobei er auch Keckermann in den Blick nahm383 und vor allem als energischer Gegner Calixts auftrat. Auf der reformierten Seite war neben Piscator384 vor allem der durch Ramus nicht wenig beeinflußte Logiker Rudolf Goclenius beteiligt,385 381

Vgl. Statius Buscher: Institutiones Logicae Rameae [...] concinnatae in usum Scholae Hannoveranae.- Braunschweig: Duncker 1617. 382 Vgl. Statius Buscher: Christliches und Notwendiges Bedencken/ Wie die Studia der L. Jugendt zu Gottes Ehren und der Menschen Wolfart sollten gerichtet werden/ Und ob man Rami Logicam hiezu in Christlichen Schulen bey der Institution nützlich gebrauchen könne. Dabey Usus Logicae in Analysi & Genesis sowol in sacris als profanis Studiis wirdt erwiesen [...].- Rinteln: Lucius 1625. 383 Vgl. Statius Buscher: Diatribe de impropria attributione logica quorundam Calvinianorum, Pezelii, Goclenii, Keckermanni &c. Quam in verbis S. Coenae comminiscuntur, in qua etiam de Natura & Exemplis quibusdam inusitatarum praedicationum disseriture. Cum έξετάσειι De Unione et Praedicatione Sacramentali S. Coenae [...].- Rostock: Carstens 1612. 384 Vgl. u.a. Johann Piscator: Responsio [...] ad Dictata Danielis Hofmanni, quibus Quaestiones illius Rhetoricas de Tropo in verbis sacrae Coenae oppugnavit. Ad calcem Quaestiones illae Rhetoricae Piscatoris adjectae sunt.- Herborn: Corvinus 1591; ferner Daniel Hofmann: Responsio [...] publici ad Quaestionum trium: An in verbis coenae, panis est corpus, tropus sit: Quisnam ille sit, et in qua voce insit, explicationem institutam et editam a Johanne Piscatore [...].- Lemgo: Grothe 1591; und ausschließlich gegen Goclenius gerichtet ders.: De usu et applicatione notionum logicarum ad res Theologicas Et de inusitatarum praedicationum reductione, Adversus Rudolphum Goclenium Admonitio [...].- Frankfurt a. Main: Kopf 1596. - Hierzu auch (Anonym): Fasciculus Quaestionum Controversarum, De Tropo in verbis Coenae, Proprietatibus essentialibus, Praedicationibus inusitatis: Ex libris superioribus extractus, et novarum aliquot objectionum solutione auctus.- Wittenberg: Hoffmann 1598. 385 Goclenius kommt auf das Thema in seinen logischen Werken immer wieder zu sprechen - so auch in der Form eines fingierten Gesprächs zwischen Piscator, Buscher und ihm in ders.: Appendix IUI. Dialogistica. De proprietatibus essentialibus, Praedicationibus propriis, Impropriis, Inusitatis, vinculo &c.- Marburg 1602, S. 71-116: >Appendix Ultima: Continens Continentionem Sententiarum Piscatoris, Buscheri, et Goclenii, de plerisq[ue], quae in Exercitationibus eorum disputanturAppendixdonum Dei
forma syllogisticaAppendix analytica & apologetica< mit Goclenius auseinanderzusetzen. 386 Vgl. z.B. Rudolf Goclenius: Institutionum logicarum de Inventione Liber unus [...].- Marburg: Egenolff 1598, der das Thema bereits in der >Praefatio< [Bl. (:)1 - (:)5] anspricht; es finden sich eine Reihe sentenzenartiger Statements, so z.B. [(:)3r-v]: »2. Logica doctrina Lux & Dux est ad omnem cognitionem, & veritatem ut Finem ejus. [...] 5. Nulla pars humane vitae, neq[ue] privatae, neq[ue] publicae, usus Dialecticae caret: Sed schola, sed formum, sed curia, sed rostra & suggestus sacri omnium praelectionum, institutionum, collocutionum, consiliorum, [...] magistram habent. Deniqfue] Logica est omnibus in otio, in negotio, domi forisq[ue], in pace & bello, dux cogitandi & judicandi, regulaq[ue] & amußis conformandae rationis in sacris simul & profanis, adeö quidem, ut sine rationis & logicae naturalis saltern usu βροτόν esse sit esse brutum: philosophum, morosophum, [...], & non philosophum: theologum, mataeologum: vatem, fatuum: doctorem, seductorem: ovium pastorem, impostorem.« Dem Thema widmet sich dann auch der erste Abschnitt des Werks unter der >quaestio< »An logica ex natura sua sit commune instrumentum cognoscendis & philosophicus & Theologicis inserviens«, S. 1-21. Dort lautet z.B. die syllogistisch aufbereitete >objectio prima< (S. 2): »Domina non subjicitur famulae & pedisequae. Theologia est Domina: logica famula. Ergo Theologia non est subiecta famulae.« Zu Goclenius' Einschätzung der Bedeutung der Logik für die Theologie auch ders.: Isagoge in Peripateticorum et scholasticorum Primam Philosophiam, quae dici consuevit Metaphysica. Accesserunt disputationes huius generis aliquos.- Frankfurt a.M.: Palthenius 1598, Disputatio XV: > Assert i o n s de Logicae Maiestate & Servitute: & Philosophiae usu etiam in sacrisEpistola dedicatoria< 1608), Teil 2, Kap. 8, Quaestio VII »An verum vero consonet? & An enunciatum Philosophice verum. Theologice sit falsam?«, S. 358-372; sowie ders. und Christoph Cramer (f 1595): P. Rami Dialectica, cum Praeceptorum explicationibus, disquisitionibus, & Praxi nec non collatione cum Peripateticis. Ex Zabarellae, Schegkii, Matth. Flacc. Illyrici, Rod. Goclenij, Fr. Beurhusij, loan. Piscatorij & Rodolph Snellij commentarijs & praelectionibus. Collecta a Μ. Christophero Cramero [...] recognita, aucta plurimis in locis, & in usum logicae studiosorum edita ä Rodolpho Goclenio.- Oberursel: Sutor 1600, >Diascepsis IIPars alteraHoc est corpus meumhermeneutica sacra< erfolgen zwar auch im Blick auf Roberto Bellarmino, stehen aber im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit seinem Landsmann, dem Jesuiten Thomas Stapleton ( 1 5 3 5 - 1 5 9 8 ) . Ausgebildet in Oxford, ging Stapleton nach Louvain, um daraufhin Professor am kurz zuvor gegründeten English College in Douai zu werden. 436 Ab 1590 wirkte er als Professor für die Heilige Schrift wiederum in Louvain 437 - »The most learned Roman Catholic of his time«, wie es wenig später über ihn heißt, 438 und aus größerer zeitlicher Distanz: »In English Recusant theology, Stapleton embodies the spirit of the Counter Reformation at its purest. His positions are extreme.« 439 In seiner Disputatio de sacra Scriptura von 1588, die sich in den hier interessierenden Teilen mit dem neunten und zehnten Buch von Stapletons bereits 1579 erschienenen Werk Principiorum Fidei Doctrinalium Demonstratio Methodia auseinandersetzt, 440 formuliert Whitaker acht pi consideratio; verborum proprium & figuratorum distinctio; caussarum, circumstantiarü[m], antecedentium & consequentium notatio ac Logica analysis; obscuriorum cum illustrioribus, similium, dißimilium cum dißimilibus comparatio; fidei deniq[ue] analogia.« 434 Zu ihm Frits Gerrit Murk Broeyer: William Whitaker (1548-1595) - Leven en Werk van een Anglocalvinistisch Theoloog.- Diss. phil. Utrecht 1982; zur Auseinandersetzung mit Stapleton nur sehr knapp S. 124-144. 435 Vgl. Hieronymus Zanchi: Epistolarum libri duo [1589].- In ders.: Operum Theologicorum. Bd. VIII [... 1609].- Genf: Crispini 1619, >Appendix< [sep. pag.], u.a. lib. I, S. 400, lib. II, S. 338f. und 553f. 436 Hierzu Theodore Leuridan: Les Theologiens de Douai. VI. Thomas Stapleton.In: Revue des sciences ecclesiastiques 73 (1896), S. 331-349. 437 Zu ihm Marvin Richard O'Connell: Thomas Stapleton and the Counter Reformation.- Princeton: Yale University Press 1964; Heribert Schützeichel: Wesen und Gegenstand der kirchlichen Lehrautorität nach Thomas Stapleton.- Trier: Paulinus 1966; Michael Seybold: Glaube und Rechtfertigung bei Thomas Stapleton.- Paderborn: Bonifacius 1967; Michael Richards: Thomas Stapleton.- In: Journal of Ecclesiastical History 18 (1967), S. 187-199; ferner Alfred C. Southern: Elizabethan Recusant Prose 1559-1682.- London: Sands & Co. 1950, S. 88-94 (mit einer Bibliographie seiner Schriften S. 494-501). 438 Zitiert aus Anthony ä Woods (1632-1695) Athenae Oxoniensis bei O'Connell: Thomas Stapleton (Anm. 437). 439 George H. Tavard: Holy Writ or Holy Church: The Crisis of the Protestant Reformation.- London: Burns & Oates 1957, S. 231 440 Vgl. Thomas Stapleton: Principiorum fidei doctrinalium demonstratio methodica, Per Controversias Septem in Libris duodecim tradita. In quibus ad omnes de

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Regeln zum Verständnis und für die Ermittlung des wahren Sinns der Heiligen Schrift. Als Erfordernis solcher Regeln hebt er hervor, daß die Schrift keine vernehmbare Stimme (»audible voice«) besitze und ihr Verfasser nicht mehr gegenwärtig sei. 441 Sieht man von der Voraussetzung ab, daß für Whitaker selbstverständlich die gesamte Autorität bei der Heiligen Schrift liegt, 442 ist die erste Regel im Falle der Heiligen Schrift üblicherweise das Gebet als Bitte an den Heiligen Geist um Unterstützung. 443 Die zweite fordert, den Text in den originalen Sprachen zu verstehen. 444 Die dritte formuliert die Beachtung des Unterschieds zwischen literalem und nichtliteralem Sinn 445 und die vierte verweist hierzu - entsprechend Keckermanns zweiter und dritter Regel - auf die Beachtung des Skopus des Textes sowie des textuellen Kontextes. »[I]n the fifth place, one place must be compared and collated with another; the obscurer places with the plainer or less obscure. For though in one religione controversias diiudicandas sola & certissima Norma, & ad easdem semel finiendas sola & Supreme in terris Authoritas, Via & Ratio demonstrantur. [...].- Paris: Sonnius 1579, lib. IX: >Controversia 5. [...] De ecclesiasticae Authoritis objecto Materiali. Et primüm, circa Canonem consignandum, & recipiendumControversia sexta [...] De ecclesiasticae Materiali: videlicit SS. Scripturarum interpretatione. Et primum ä qua authoritate, si ab aliqua, petenda ilia sitdonum Dei
hermeneutica sacra analogia fideihermeneutica sacra < hinsichtlich der patres ecclesiae beinhaltet, braucht hier nicht näher eingegangen zu werden, auch nicht auf das, was sie noch beinhaltet und was Whitaker explizit anspricht: »Eightly, since the unlearned know not to make a right use of these means, they ought to have recourse to other persons better skilled than themselves, to read the book of others, to consult the commentaries and expositions of learned interpreters, and to confer with others.« 449 Die erste Regel Whitakers (also das Beten) bleibt bei Keckermann ohne Gegenstück. Das Beten wird durchweg für das Verständnis der Heiligen Schrift als Anrufung des Beistandes Gottes als zentral gesehen und ist als Bestandteil der >hermeneutica sacra < hinsichtlich seines theologischen wie hermeneutischen Hintergrunds nicht zu unterschätzen. Das Erfordernis des Betens umschreibt die Vorstellung, daß zum Verstehen, also im Sinn der Aufnahme und Wirkung des > sensus supernatu446 447

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Ebd., S. 471. Vgl. ebd., S. 472: »Sixthly, in the comparison of places, we must observe that not only similar passages are to be compared with similar, but dissimilar passages also are to be compared together.« Das gleiche findet sich auch in der Auflistung der Regeln bei Wolleb, vgl. Anm. 433. Vgl. ebd. Whitaker wählt die folgende Formulierung: »[...], all our expositions should accord with the analogy of faith [...]. Now the analogy of faith is nothing else but the constant sense of the general tenour of scripture in those clear passages of scripture, where the meaning labours under no obscurity. [...] Whatever exposition is repugnant to this analogy must be false.« Vgl. ebd., S. 473.

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ralis< der Heiligen Schrift, ein spezieller Gnadenakt (der Erleuchtung) erforderlich sei. Nach Augustinus gilt für alle - unabhängig, ob ihnen das Schriftverständnis leicht oder schwer falle - »laboratur ut intelligatur«. Neben dieser Ermahnung zum Fleiß steht bei ihm aber auch »orent ut intelligent«. 450 Jeder, der schreibe oder predige, soll am Beginn Gott anrufen. 451 Bis ins 18. Jahrhundert reichen die Erörterungen der Beziehung zwischen diesem Gnadenakt und den > natürlichen Mitteln sensus verus interpretatio vera< immer auch ein >sensus supernat u r a l und muß jeder >sensus supernaturalis< ein >sensus verus< sein oder auf einer > interpretatio vera< beruhen? Das sind die Fragen, die im 18. Jahrhundert - sehr vereinfacht gesagt - nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit der pietistischen Hermeneutik in der einen oder anderen Weise dann verneint werden. Demgegenüber bleibt die allgemeine Begründungsregel von Keckermann, also seine sechste Regel, ohne explizite Entsprechung bei Whitaker. Legt man die Unterscheidung von > hermeneutica generalis < und >hermeneutica sacra < zugrunde, so ist das nicht unerwartet: Es handelt sich um die allgemeine Regel, mit der grundsätzlich der Gefahr eines (hermeneutischen) Begründungszirkels entgegengewirkt werden soll.452 Bei der > hermeneutica sacra < besteht zwar auch diese Gefahr, aber sie tritt in verschiedenen Gestalten in Erscheinung - etwa im Zuge der Auszeichnung der Heiligen Schrift als Text, dem bestimmte Eigenschaften zukommen, die dann als orientierend für eine > hermeneutica sacra < gelten und sich nicht interpretationsfrei ermitteln lassen, oder bei der Glaubensanalogie, der > interpretatio secundum analogiam fidei hermeneutischen Zirkels < bis in die zweite Hälfte des 19. Jhs. gibt - auch nicht bei Friedrich Ast oder bei Schleiermacher. Es handelt sich um ein Artefakt der nachklassischen Hermeneutik, die es liebt, aufgrund eines vorgängigen Wissens um >die Sache < einen solchen Zirkel immer wieder in die einschlägigen Texte hineinzulesen, hierzu Lutz Danneberg: Die Historiographie des hermeneutischen Zirkels: >Fake< und >fiction< eines Behauptungsdiskurses.- In: Zeitschrift für Germanistik N.F. 3 (1995), S. 6 1 1 - 6 2 4 .

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung

und Logik als >donum Dei
Explicationes Catecheticae< van Zacharias Ursinus.- In: Gereformeerd theologisch tijdschrift 41 (1940), S. 228-243. 462 Das Urteil Melanchthons zitiert u.a. in James I. Good: The Heidelberg Catechism in Its Newest Light - Philadelphia: Publ. Sunday School Board 1887, S. 250. 463 Zu Melanchthons Ansichten, die mehr oder weniger mit denen Luthers disharmonieren, neben Wilhelm H. Neuser: Die Abendmahlslehre Melanchthons in ihrer geschichtlichen Entwicklung (1519-1530).- Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1968; Ralph W. Quere: Melanchthonian Motifs in the Formula's Eucharistie Christology.- In: Discord, Dialogue, and Concord: Studies in the Lutheran Reformation's Formula of Concord. Hrsg. von Lewis W. Spitz und Wenzel Lohff.- Philadelphia: Fortress Press 1977, S. 58-73. 464 Vgl. Zacharias Ursinus: Christliche Erinnerung vom Concordibuch so neulich durch etliche Theologen gestelt [... Admonitio, 1581]. Auß dem Latein verdeutscht, und [...] weitergeführt [...].- Neustadt a.d. Hardt: Harnisch 1581, S. 382. 465 Vgl. Zacharias Ursinus: Corpus doctrinae christianae ecclesiarum ä Papatu Roman reformatarum. Ex ore quondam Magni Theologi D. Zachariae Ursini in explicationibus Catecheticis rudi Minerva exceptum; ac postea crebris Editio-

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heißt zum ersten: »Ut nulla interpretatio recipiatur non congruens cum regula fidei, seu pugnans cum aliquo fidei articulo, vel decalogi praecepto, vel expresso scripturae testimonio: quia spiritus veritatis non pugnat secum.« Das heißt zum zweiten: »Ut διάνοια congruat cum natura subiectae rei, de qua sonant verba, quorum διάνοια quaeritur. Verbi causa [...] quomodo Scriptura alibi de sacramentis [...] loquatur.« Das heißt zum dritten schließlich: »Ut considerentur loca similia, quibus vel manifestum & in confesso est, vel ostendi potest, aliis verbis de eadem re eandem tradi doctrinam, quae loco controverso continetur.« 466 Genau diese Normen sind es, auf welchen die Wahl von Interpretationsregeln beruht, die Keckermann in die Logik aufnimmt. Letzte Gewißheit zum Hintergrund bietet Keckermanns >ars concionandi habitus < - fort, die Martini zusammen mit einem seiner Schüler in ebenfalls umfangreicher nibus auctum castigatum, & consummatum: A venerabili Theologo D. Davide Pareo [... 1591, 1616], Posthumam hanc Editionem juxta ultimum Patris elogium adcuravit Philippus Pareus [...].- Hanau: Aubrius 1634, Teil 2, Quaest. LXXVIII, >De Controversia Verborum Coenaedonum Dei
Panis est Corpus Christi < und die Entscheidungskraft, welche die Regeln Keckermanns im Rahmen der Logik hier bieten.470 Er selber freilich berücksichtigt und erörtert in seiner 1610 erschienenen Logik ebenfalls Fragen der Interpretation471 und gehört damit zu den Ausnahmen; denn - wie bereits bei Burgersdicius und Heereboord bemerkt - selbst bei solchen Logikern, die Keckermann in der einen oder anderen Weise folgen, ist das nicht zwingend gegeben. Wichtiger als die Details der Einwendungen ist das große Faszinosum, das in der Aufnahme hermeneutischer Regeln in die Logik liegt. Es rührt aus der Erwartung, diese böten eine Lösung fortwährend virulenter (kontroverstheologischer) Probleme. Auch hier kann Whitaker als 468

Vgl. Jacobus Martini: Themata Decern, Contra System. Logicum Keckermannianum Generaliter directa [...] sub moderamine [...] Jacobi Martini [...] Publice in Auditorio majore ventilanda exhibet, M. Johannes Donnerus [...].- Wittenberg: Heckel 1610; auf die Zurückweisung durch Adamus Rassius (erw. 1611): Vindicae systematis logici Keckermanni, contra themata X, & eorum appendices, a Μ. Johan. Donnero [...].- Hanau: Antonius 1611, repliziert Johannes Donner (erw. 1611): Perpulsio Vindicarium Systematis logici Keckermanni, Quas contra Themata decern adversus illud edita Adamus Rassius Polonus [...].- Wittenberg: Heckel 1611. 469 Jacobus Martini: Praelectiones Extemporaneae, In systema logicum Barth. Keckermanni: Quibus non tantum praecepta, sed etiam Exempla & cumprimis Theologica fideliter, breviter, & perspicue resolvuntur & excutiuntur [1612?].[Wittenberg]: Schurer 1617 (obwohl die >Dedicatio< von 1612 ist, habe ich keine frühere Ausgabe finden können), unpag. [Bl. )( 4r]: »[...] videbam, auctoritatem Keckermanni apud multos, etiam Religioni nostrae addictos, magnam esse, Systemaque hoc Logicum omnium teri manibus [...].« 470 Vgl. Jacobus Martini: Praelectiones Extemporaneae [ebd., lib. II, sect, post., S. 527-541]. Allerdings beschränkt Martini seine Bemerkungen nicht allein auf das Beispiel; so heißt es bei ihm zur zweiten Regel u.a. (S. 533): »Canon hic verus est, si se contineat intra suos limites & terminos, nempe quatenus intentione & scopo Autoris quaestio est; non quatenus de natura & essentia mediorum quaeritur, quorum in intentionis & scopi explicatio sit mentio [...].« 471 Vgl. Jacobus Martini: Institutionum Logicarum Libri VII.- Wittenberg: Hellwich 1610, lib. III: >de Interpretationen S. 211-230.

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Stichwortgeber dienen. Er sieht sich dem Einwand Stapletons gegen die Grundregeln der protestantischen Auslegungslehre ausgesetzt, daß ihre Regeln Häretikern, Juden und allen Heiden gemeinsam seien, wohingegen sich die Katholiken unter Berufung auf das unfehlbare Lehramt, den Konsensus der patres ecclesiae und die Festlegungen der Konzilien hiervon unterschieden. Whitaker hält dem entgegen: »If the meaning be that all can use these means, I acknowledge the fact upon which this argument is founded; for the means of interpreting scripture should be such as are not peculiar to certain men, but plain and public.« 472 Doch das stellt bestenfalls eine Teilantwort dar, denn - und das weiß auch Whitaker - die Richtung des Einwandes Stapletons zielt darauf, daß die genannten Interpreten bei gleichen Regeln zu unterschiedlichen Interpretationen gelangen. Es ist mithin der Vorwurf der nur mangelhaften Entscheidungskraft und Gewißheit, die solchen Regeln eigen sei. Die Pointe liegt nun darin, daß Whitaker die Berechtigung dieses Einwandes leugnet, und sein Hinweis läßt sich so ohne weiteres nur schwer widerlegen. Nach ihm sind in solchen Fällen Interpretationsdifferenzen auf die nicht korrekte oder nicht umsichtige Anwendung der Interpretationsmittel zurückzuführen. 473 Mithin kann er seine Ausführungen zum Regelwerk der protestantischen Hermeneutik in der Zuversicht abschließen: »He that shall be content to make such a use of these means, and will lay aside his prejudices and party zeal, which many bring with them to every question, will be enabled to gain an understanding of the scriptures, if not in all places, yet in most; if not immediately, yet ultimately.« 474 Durch die Aufnahme derjenigen Interpretationsregeln in die Logik, die der Ermittlung des wahren Sinns dienen, erhält ihr allgemeinverbindlicher Charakter Nachdruck - und zugleich erfährt das protestantische >sola-scripturadonum Dei
hermeneutica analytica< die historische Problemgenese noch an der Darstellungsweise aufscheint. Den verschiedenen Vermittlungsschritten, die von Keckermanns Logik zu den Darlegungen Claubergs fuhren, kann hier nicht weiter nachgegangen werden. Und nur erwähnt sei, daß Clauberg die einschlägigen Schriften Keckermanns kannte und er sie mehrfach anfuhrt.475 Claubergs Lehrer am Gymnasium illustre in Bremen, Conrad Bergius (1592-1642), 476 den er als Philosophen schätzte und auf den er sich häufiger in seinen Schriften bezieht, hatte in Danzig noch bei Keckermann studiert, und auf seinen Lehrer weist der dreiundzwanzigj ährige Bergius anerkennend in einem frühen, aristotelisch-ramistisch-lullistischen Logikwerk hin.477 Nun mag angesichts der scharfen Kritik Keckermanns überraschen, daß einer seiner Schüler ein Werk wie Ärtificium Aristotelico-LullioRameum 1615 verfaßt, und gemeinhin gilt der auf dem Titelblatt geführte Bergius auch als sein Autor.478 Doch schon der Untertitel dieses Werkes macht deutlich, daß nicht Bergius der eigentliche auctor ist, sondern das Werk auf Johannes von Nostitz (1562-1619) zurückgeht:479 »Ductu & auspicio Magnif. & Nobiliss. Dn. Iohannis a Nostitz [...] elaboratum ä Conrado Bergio Colberg, Pom.« Zweifelsfrei ist dieses Werk hinsichtlich des Gedankeninhalts weitgehend von Johannes von Nostitz beein475

Keckermanns große Logik wird z.B. in Johann Clauberg: Defensio Cartesiana, Adversus lacobum Revium Theologum Leidensem, et Cyriacum Lentulum professorem Herbornensem: Pars prior Exoterica [... 1652].- In ders.: Opera Omnia (Anm. 12), S. 937-1119, hier Kap. 14, § 16, S. 988, erwähnt. 476 Zu ihm (Johann C. Beckmann, 1641-1717): Notitia Universitatis Francofurtanae [...].- Frankfurt a.d. Oder: Schrey und Hartmann 1707, S. 158-163; ferner Conrad Iken: Oratio, de illustri Bremensium schola magnorum ingeniorum summorumque in omni scientia virorum alma atque foecunda matre [...].- Bremen: Jahn 1741, S. 68f. 477 Vgl. Conrad Bergius: Ärtificium Aristotelico-Lullio-Rameum. In quo per Artem Intelligendi, logicam, Artem Agendi: practicam: Artis Loquendi partem earn, quae agit de Inve[n]tione, topicam: Methodo & Terminis Aristotelico-Rameis, Circulis modo Lulliano inclusis, Via & ratio [...] ostenditur [...].- Brieg: Eiring und Perfert 1615, (2. Widmungsepistel), unpag. »[...] B. Keckermanno, Praeceptori quondum meo perpetuä grati animi recordatione colendo: [...].« 478 Vgl. Wilhelm Risse: Bibliographia Logica. Bd. I: 1472-1800.- Hildesheim: Olms 1965, S. 115; in Wolfenbüttel, wo das Exemplar liegt, das ich eingesehen habe, wird es ebenfalls unter > Bergius < gefuhrt. 479 Zur Nostitz-Familie Christian Knauthe: Von dem Ursprünge, Herkommen, Alterthum des Hochberühmten Geschlechts der Herren von Nostitz und Deren ersten Stammhause in Ober=Lausitz [...].- Görlitz: Fickelscheer 1764; zu Johannes von Nostitz auch Robert J.W. Evans: Rudolf II and His World: Α Study in Intellectual History 1576-1612.- Oxford: Clarendon Press 1973, S. 232ff.

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flußt, 4 8 0 w i e das auch aus der Vorrede hervorgeht, die er dieser Logik mit auf den W e g gibt. 481 Nostitz berichtet dort unter anderem, w i e er auf seiner peregrinatio sich in Paris aufgehalten und dort unter anderem Giordano Bruno gehört habe. 4 8 2 Ebenfalls bei Keckermann hat der etwas ältere Bruder Johannes Bergius ( 1 5 8 7 - 1 6 5 8 ) studiert. V o n ihm ist noch eine unter Keckermann verfaßte Disputatio erhalten. 4 8 3 Ihr Vater, Conrad Bergius d.Ä. (f 1592), wirkte am Pädagogium in Stettin. A u c h er hatte Schwierigkeiten aufgrund seiner reformierten Ansichten und hätte sogar Keckermanns Lehrer in Wittenberg werden könne, da er 1587 fur eine Theologieprofessur dort in Aussicht g e n o m m e n wurde. 4 8 4 Darüber hinaus scheinen die Bergius-Brüder mit ihrem Lehrer Keckermann verwandt g e w e s e n z u sein. 4 8 5 Johannes Bergius bemühte sich in der F o l g e zeit immer wieder als aktiver Reformierter um den A u s g l e i c h z w i s c h e n den verschiedenen religiösen Gruppen im multikonfessionellen Brandenburg. 4 8 6 480

Zur Verbreitung dieses Werks auch der Hinweis bei M.R. Pagnoni Sturlese: Su Bruno e Tycho Brahe.- In: Rinascimento N.F. 25 (1985), S. 309-333, hier S. 310; zu ihm ferner Giovanni Aquilecchia: Un documento bruniano recuperato: L'Artificium Aristotelico-Lullio-Rameum di Hans von Nostitz.- In: Studi secenteschi 17 (1976), S. 155-159; Paolo Rossi: Clavis universalis. Arts de la memoire, logique combinatoire et langue universelle de Lulle ä Leibniz [ital. I960].- Grenoble: Millon 1993, S. 199-203; sowie knapp Saverio Ricci: La fortuna del pensiero di Giordano Bruno 1600-1750.- Firenze: Le Lettere 1990, S. 37-39. 481 Vgl. Bergius: Artificium (Anm. 477), >Johannes ä Nostitz Benevolo Lectori Salutemdonum Dei
resolutio< in der zitierten Erläuterung zu seiner zweiten Regel bietet einen Hinweis. Den Hintergrund bildet die > analysis logica< im Rahmen der > analysis textus analysis exercitatiopraxis logicaoptimus regularum magisterresolutio< zunächst allgemein im Rahmen der wissenschaftlichen Kommunikation und er charakterisiert sie als eine bestimmte Weise des Textverständnisses: »Resolutio est recognitio illorum artificiorum, per quae autor suum propositum redacta.« 488 Bei den Arten der >exercitatio logica < unterscheidet er traditio-

487 488

ge 1659; (Beckmann): Notitia Universitatis (Anm. 476), S. 133-156; Johann Christoph Müller und Georg Gottfried Küster: Altes und Neues Berlin [...J.Berlin: Schmid 1752, S. 149-158; Lothar Noack und Jürgen Splett: Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit. Berlin-Cölln 16401688.- Berlin: Akademie-Verl. 1997, S. 14-23. Zu seiner Bedeutung Daniel Heinrich Hering: Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Reformirten Kirche in den Preussisch-Brandenburgischen Ländern. Bd. I.- Breslau: Meyer 1784, S. 16-51; Rudolf von Thadden: Die brandenburgisch-preussischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert.- Berlin: de Gruyter 1959, S. 175-178; Bodo Nischan: John Bergius: Irenicism and the Beginning of Official Religious Toleration in Brandenburg-Prussia.- In: Church History 51 (1982), S. 389-404; auch ders.: Brandenburg's Reformed Räte and their Leipzig Manifesto of 1631.- In: The Journal of Religious History 10 (1979), S. 365-380; im größeren Zusammenhang ders.: Prince, People and Confession: The Second Reformation in Brandenburg.- Philadelphia: University Press 1994. Zu weiteren Beispielen Danneberg: Logik (Anm. 18). Keckermann: Gymnasium Logicum (Anm. 211), lib. II, Kap. 11, S. 172.

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nell ramistisch zwischen >genesis< und > analysisgenesislogica imitaticx, der >analysis< vorangeht, 490 so ist das allerdings in den anderen zeitgenössischen Darstellungen häufig umgekehrt. Keckermann übernimmt zudem die Unterscheidung zwischen grammatischer, logischer und rhetorischer Analyse, 491 und er geht in diesem Zusammenhang ausführlicher auf die Unterscheidung zwischen logischer und rhetorischer >resolutio< ein.492 Ebenso traditionell ist seine Bestimmung der logischen >resolutioresolutio< konsequent nach den drei mentalen Operationen, die seine Logik gliedern, abhandelt und dabei auf die entsprechenden Lehrstücke seiner Logik zurückgreift. Keckermann beschließt seine Überlegungen mit einem Abschnitt >De Resolutione combinata analysis < zusammenfaßt. 494 Bei der Illustration der verschiedenen Arten der logischen Analyse wählt er dann durchweg Beispiele aus der Heiligen Schrift. 495 Gleichfalls wenig überraschend ist schließlich, daß er der logischen Analysis (neben der grammatischen und rhetorischen) einen gewichtigen Platz bei der Lektüre der klassischen Autoren zuweist. 496 Die > analysis < und > genesis < wird in der Zeit oft im Rahmen der praktischen oder angewandten Logik, in jedem Fall entweder am Ende der eigentlichen Logik oder von ihr gesondert behandelt. 497 So auch bei Keckermann. Seinem Werk Gymnasium logicum folgt ein weiterer um489

Vgl. Danneberg: Logik (Anm. 18). Vgl. Keckermann: Gymnasium Logicum (Anm. 211), lib. III, Kap. 1, S. 209258. 491 Vgl. ebd., S. 210f.: »Grammatica resolutio est, quae vocem simplicem aut coniunctam quoad formationem & congruam connexionem expendit, discendae alicuius linguae gratia.« Sowie: »Rhetorica resolutio est, qua artificia amplificationum & exornationum in oratione aliqua aut alio quovis scripta, examinantur.« 492 Vgl. ebd., S. 211. 493 Ebd., S. 211 f. 494 Vgl. ebd., S. 214-258. 495 Zur ersten Art der Analyse >Resolutio primi cap. Johannis< (ebd., S. 312-324), zur dritten Art ist es Psalm 16 (S. 336-341), bei der kombinierten Analyse wählt er den Brief an die Galater (S. 346-365). 496 Vgl. ebd.: >Logicae et philosophiae auditoribus S.< (in der von mir benutzten Ausgabe auf dem ausfaltbaren Blatt, das eine tabellarische Darstellung der Lehrstücke der in dem Buch dargelegten praktischen Logik bietet): »Auctorum vero Analysis, ut Repistolarum & Orationum Ciceronis, Vergilij, item Horatij & Ovidii, quae in Scholis laudabili admodum instituto frequentatur, magis parte ad Grammaticen & Rhetoricen pertinent, nec est in ea re praecipuum usus Logici pondus & momentum constitutum.« 497 Hierzu Danneberg: Logik (Anm. 18). 490

Kontroverstheologie,

Schriftauslegung

und Logik als >donum Dei
De Propositione ad certam materiam determinata< im Rahmen des Abschnittes >de propositione perspicuä< sowie >obscurä< behandelt. Direkt an die Interpretationsregeln schließt sich die Unterscheidung in wahre und falsche Sätze an. In den nachfolgenden Kapiteln erörtert Keckermann die Beziehungen, in denen ein Satz zu anderen Sätzen stehen kann, die Verknüpfung von Sätzen zu syllogistischen Schlüssen und den Wahrheitsanspruch von Sätzen. Um einen Satz dem logischen Prozedere zu unterwerfen, ist vorausgesetzt, daß er wahrheitsfahig ist (also der apophantischen Rede angehört). Um entscheiden zu können, ob er wahr oder falsch ist, darf er nicht > dunkel < sein; denn dann sind die Beziehungen unklar, in denen er zu anderen Sätzen tritt. So plausibel das auf den ersten Blick im Zusammenhang mit Keckermanns Auffassung von Logik auch erscheinen mag, der es um die Unterscheidung wahrer von falschen Sätzen geht, muß das nicht unbedingt zur Berücksichtigung solcher Regeln in der Logik fuhren. Das zeigt sich schon daran, daß wohl kaum ein Logiker in diesem Punkt Keckermann gefolgt ist. Das gilt auch fur die oben angeführte Logik des Franco Burgersdicius, die 1626 zuerst erschien und zu den am häufigsten aufgelegten Logiken des 17. Jahrhunderts gehört, obwohl sie sich - wie erwähnt - auf Keckermann stützt.499 Der Hinweis auf Keckermann fehlt zwar in späteren Auflagen, obwohl sie unverändert bleiben - nun lautet der Untertitel »Ex Aristotelis praeceptis novä methodo ac modo formati, atque editi« 500 - , doch entscheidend ist, daß sich in ihr keine Spur dieser Interpretationsregeln an der entsprechenden Stelle findet - auch nicht bei der Bearbeitung dieser Logik durch Adrian Heereboord. 501 Zwingend ist die Aufnahme der von Keckermann dargelegten Interpretationsregeln in die Logik bei dem gegebenen Zweck deshalb nicht, 498

Vgl. Keckermann: Systematis logici (Anm. 225). Vgl. Burgersdicius: Institutionum Logicarum (Anm. 199). 500 Das mag vielleicht etwas damit zu tun gehabt haben, daß Burgersdicius' Schrift als offiziöses Lehrwerk Verbreitung gefunden hat, vgl. Franco Burgersdicius: Institutionum Logicarum Libri Duo [... 1626]. DD. Ordinum Hollandiae et West-Frisiae, In Usum Scholarum ejusdem Provinciae, Ex Aristotelis praeceptis novä methodo ac modo formati, atque editi. Editio Nova. Prioribus longe correctior.-Leiden: Commelin 1645. 501 Vgl. Heereboord: ΕΡΜΗΝΕΙΑ Logica (Anm. 219); die entsprechende Stelle wäre hier lib. I, Kap. 24, S. 146-157.

499

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weil sich die nachfolgenden einschlägigen Lehrstücke auch allein unter der Voraussetzung abhandeln lassen, die Sätze, mit denen bestimmte logische Operationen unternommen werden, seien in ihrer Bedeutung klar. Ein Motiv für den Ort, den dieses Lehrstück bei Keckermann erhält, ist vermutlich in der Absicht zu sehen, (an dieser Stelle) eine Art prozessualen Ablauf im Aufbau der Logik wiederzugeben: Die Klärung des Sinns dunkler Sätze ist dann nach der >pragmatischen Ordnung< eine Voraussetzung, um mit ihnen bestimmte logische Operationen durchführen zu können. Die Deutung des Aufbaus des aristotelischen Organon als eine Abfolge dreier mentaler Operationen, die in einem Voraussetzungsverhältnis gesehen werden, mag das nahegelegt haben. In der Sukzession der behandelten Lehrstücke Abfolgen von Erkenntnisprozessen zu sehen, ist im 17. Jahrhundert in der Logik ein wichtiges Moment, für das auch Claubergs Logica vetus & nova ein Beispiel bietet. Bestehen bleibt allerdings, daß sich Interpretationsregeln, wie sie Kekkermann erörtert, auch an anderer Stelle oder außerhalb der > eigentlichen < Logik abhandeln lassen. Überraschend ist nun, daß in den Logiken von Dannhauer und Clauberg die Lehrstücke ihren Platz genau an derselben Stelle finden wie bei Keckermann. Deutlich wird daran, daß das kontroverstheologische Motiv nicht ausreicht, um der Hermeneutik einen festen Platz in der Logik zu verschaffen. Offenbar hat sowohl Dannhauer als auch Clauberg die (implizite) Begründung, die Keckermann im Rahmen seiner Logikkonzeption bietet, nicht ausgereicht. Beide bieten denn auch - wie gesehen - jeweils eine unterschiedliche Begründung im Rahmen ihrer Logikauffassung. Mit diesen Beobachtungen schließt sich der Kreis zu den wissenschaftshistoriographischen Bemerkungen des Anfangs. Immer sollte die Annahme von Kontinuität der Feststellung von Diskontinuität methodisch vorangehen. Andernfalls erzeugt sich schnell das Artefakt eines bruchartigen Übergangs, einer > Revolution hiatus irrationalis < wird bar jeder Quellenkenntnis immer wieder durch ein > argumentum ab auctoritate < zu schließen versucht gleichgültig, ob die Autoritäten nun Gadamer oder Foucault heißen. Aber das Setzen auf Kontinuität zeigt in diesem Fall auch die Scheinbarkeit von Kontinuität über ein halbes Jahrhundert hinweg - der Platz

Kontroverstheologie, Schriftauslegung und Logik als >donum Dei
analysis< und >genesis* nichts mit der Aufnahme der Hermeneutik in die Logik bei Keckermann, Dannhauer oder Clauberg zu tun. 502

502

Das genau wird nicht gesehen, wenn es im Blick auf Alsteds Abschnitt zur >anaylsis< in seiner Enzyklopädie von 1630 heißt, dieser >Titel< - gemeint ist >Analytik< - , »der die moderne Hermeneutik in Teilen vorwegnimmt, beeinflußte Claubergs Logik, in der mit dem Terminus >Analytik< derselbe Sachverhalt dargestellt wird«, Wilhelm Schmidt-Biggemann: Vorwort.- In: Aisted: Encyclopaedia (Anm. 278), S. V-XVIII, hier S. XIV.

VII. Aspekte kultureller Interaktion im Kontext des hansischen Ostseeraums

Henryk Samsonowicz

Die Rolle der hanseatischen Kultur in Preußen und Polen im 15. und 16. Jahrhundert

Die Hanse war zwar in erster Linie eine auf wirtschaftliche Aktivitäten ausgerichtete Organisation, doch im Laufe ihrer Existenz entwickelte sie in ihrem ausgedehnten Wirkungsraum, der von England und Flandern bis hin zur Novgoroder Rus reichte, parallel dazu gemeinsame Formen der Kultur.1 Der Wirkungsbereich umfaßte natürlich auch Preußen in jenem Teil, der im Jahr 1466 der polnischen Krone einverleibt wurde, und die Nordgebiete der durch eine dynastische Union vereinten Staaten Polen und Litauen. Die Eigenschaften, der Charakter und die Bedeutung der Hanse wurden des öfteren in der Fachliteratur diskutiert.2 Sie war eine Gemeinschaft des kaufmännischen deutschen Bürgertums, genauer genommen desjenigen Teiles dieses Bürgertums, der in über 100 Städ1

Otto Gerhard Oexle: Die mittelalterlichen Gilden. Ihre Selbstdeutung und ihr Beitrag zur Formung sozialer Strukturen.- In: Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters. Hrsg. von Albert Zimmermann. Halbbd. I.- Berlin usw.: de Gruyter 1979 (= Miscellanea mediaevalia; 12/1), S. 203-226, hier S. 204 und 217; vgl. Jürgen Miethke: Repräsentation und Delegation in den politischen Schriften Wilhelms von Ockham.- In: Der Begriff der Repraesentatio im Mittelalter. Hrsg. von Albert Zimmermann.- Berlin usw.: de Gruyter 1971, S. 163-185, hier S. 167. 2 Fritz Rörig: Die Entstehung der Hanse und der Ostseeraum.- In: ders.: Wirtschaftskräfte im Mittelalter. Abhandlungen zur Stadt- und Hansegeschichte. Hrsg. von Paul Kaegbein.- Weimar: Böhlau 1959, S. 542-603, hier S. 542f.; Ahasver von Brandt: Die Hanse als mittelalterliche Wirtschaftsorganisation: Entstehung, Daseinsformen, Aufgaben.- In: Die deutsche Hanse als Mittler zwischen Ost und West.- Köln/Opladen: Westdt. Verlag 1963 (= Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen; 27), S. 9 - 3 7 , hier S. 11, 19 und 27; ders.: Die Hanse und die nordischen Mächte im Mittelalter.- Köln: Westdt. Verlag 1962, S. 7, 12 und 31; Heinrich Sproemberg: Die Hanse in europäischer Sicht. Festschrift für Diederik Theodoras Enklaar.- Groningen: Wolters 1959, S. 127; Waither Stein: Hansa. In: Hansische Geschichtsblätter 36 (1909), H. 15, S. 53-113, hier S. 53; Johannes Schildhauer, Konrad Fritze und Walter Stark: Die Hanse.- Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften 1982, S. 5; Philippe Dollinger: Die Hanse.Stuttgart: Kröner 1966, S. 116, 155 und 209; Henryk Samsonowicz: Pozne sredniowiecze miast nadbaltyckich [Das Spätmittelalter der Ostseestädte].Warszawa: Panstwowe Wydawn. Naukowe 1968, S. 34; Johannes Schildhauer: Die Hanse. Geschichte und Kultur.- Leipzig: Edition Leipzig 1984, S. 127.

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ten auf der Basis des Großhandels die Macht ausübte und über einheitliche Arbeitsmittel und Tätigkeitsformen verfugte:3 Handelsgesellschaften, kaufmännische Verträge (sog. >Sendeve Gemeinschaft deutscher Kaufleute < in Erscheinung.6 In den Randgebieten ihrer Tätigkeit dagegen wurde sie hauptsächlich als > Deutsche Hanse < gesehen. Auch definierte man sie über die Erzielung von Privilegien, durch die ihre Grenzen abgesteckt wurden, und über die unterschiedlichen Sitten, die etwa auf dem >Novgorodfahrer-Gestühl < in Stralsund dargestellt wurden.7 Innerhalb des Städtebunds zeichneten sich jedoch die Gruppenverbindungen nicht allzu deutlich ab. Die regierenden Eliten stießen auf verschiedenartigen Widerstand. Zu den Gegnern gehörten die Herrscher solcher Staaten wie Dänemark und Norwegen, mit der Zeit auch Schweden und manchmal sogar Königlich Preußen.8 Ursache hierfür waren die gegensätzlichen wirtschaftlichen Interessen der Städte und Regionen und der Umstand, daß auch jene Bürger Anschluß fanden, die nicht zur Macht zugelassen wurden.9 3

Walther Stein: Die Hansestädte.- In: Hansische Geschichtsblätter 40 (1913), H. 19, S. 233-294 und 519-560; 41 (1914), H. 20, S. 257-289; 42 (1915), H. 21, S. 119-178, hier S. 177; anders bei Dollinger: Die Hanse (Anm. 2), S. 564. 4 Samsonowicz: Pözne sredniowiecze (Anm. 2), S. 148ff. 5 Rörig: Die Entstehung der Hanse (Anm. 2), S. 542ff. 6 Pierre Michaud-Quantin: La conscience d'etre membre d'une universitas.- In: Beiträge zum Berufsbewußtsein des mittelalterlichen Menschen. Hrsg. von Paul Wilpert.- Berlin: de Gruyter 1964, S. 1 - 1 4 , hier S. 4; vgl. Klaus Friedland: Bürgermentalität - Kaufmannsmoral.- In: Die Städte als Vermittler von Kultur. 1240-1720. Hrsg. von Julia K. Büthe und Thomas Riis.- Odense: Odense Univ. Press 1997 (= Studien zur Geschichte des Ostseeraums; 2), S. 9 - 1 3 . 7 Paul Heinsius: Schnitzereien am Novgorodfahrer-Gestühl zu Stralsund als Beitrag zum Rußlandbild hansischer Bürger im 14. und 15. Jahrhundert.- In: Zeitschrift für Ostforschung 11 (1962), S. 243-252. 8 Dollinger: Die Hanse (Anm. 2), S. 244. Vgl. den unlängst veröffentlichten Band: Akteure und Gegner der Hanse. Hrsg. von Detlef Kattinger.- Weimar: Böhlau 1998; Gudrun Gieba: Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell.Köln: Böhlau 1989, S. 66 und 227. 9 Edmund Cieslak: Walki ustrojowe w Gdansku i Toruniu oraz w niektorych miastach hanzeatyckich w XV w. [Politische Kämpfe in Danzig und Thorn sowie in einigen hanseatischen Städten im 15. Jh.].- Gdansk: Wydawn. Morskie 1960; Johannes Schildhauer: Soziale, politische und religiöse Auseinandersetzungen in den Hansestädten Stralsund, Rostock und Wismar im ersten Drittel

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Welche Formen der Kommunikation ermöglichten das gemeinsame Vorgehen der Hanseaten? Was für eine Sprache wurde bei den Umrechnungen benutzt, die sowohl für die Mitglieder des Städtebundes, als auch für ihre Kontrahenten, die in Polen und Preußen wohnten, verständlich war? Im 15. Jahrhundert konnte die Vermittlung von Informationen auf mehreren Wegen erfolgen: durch Schrift, mittels der Stimme, mit Gesten und anhand von Bildern. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde das Ausbildungsideal > lesen, schreiben, rechnen < bereits allgemein propagiert und eingeführt, wie beispielsweise auf einem Kupferstich von Lukas Cranach zu sehen ist.10 Es besteht kein Zweifel daran, daß in der hanseatischen Welt - und so auch in Preußen - die Schreibkunst weit genug verbreitet war. Im 13. Jahrhundert beschäftigten die Kaufleute in ihren Unternehmen noch Kleriker, die ihnen die Briefe schrieben;11 bereits im 15. Jahrhundert gestaltete sich die Situation jedoch anders. Die Fertigkeit hatten sich mittlerweile schon viele Bürgern angeeignet - zumindest jene, die in den städtischen Behörden vertreten waren. Die Briefe wurden in deutscher Sprache geschrieben, die hanseatischen Kaufleute kannten allerdings auch weitere Sprachen. So wurde die Korrespondenz mit dem englischen König auf Latein abgewickelt;12 auch die Schreiben zwischen den Hansestädten und zwischen einzelnen Kaufleuten enthielten lateinische Wendungen, besonders in Höflichkeitsformeln und feierlichen Einleitungen oder in den Titeln der Absender. Mehr noch, zu Anfang des 16. Jahrhunderts gehörte es zum guten Ton, lateinische Sentenzen einzuflechten, wie die Porträts der reichen Hanseaten bezeugen. Anscheinend kannten die hanseatischen Kaufleute auch die Sprachen der Nachbarn: die der Ruthenen aus Novgorod und wohl auch bis zu einem gewissen Grad die polnische, französische und flämische Sprache.

des 16. Jahrhunderts.- Weimar: Böhlau 1959; Thomas Behrmann: >HansekaufmannHansestadtDeutsche Hanse