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German Pages 148 [162] Year 2003
GESCHICHTE KOMPAKT
Kay Peter Jankrift
Krankheit und Heilkunde im Mittelalter
2. Auflage
Kay Peter Jankrift Krankheit und Heilkunde im Mittelalter
Geschichte kompakt Herausgegeben von Kai Brodersen, Martin Kintzinger, Uwe Puschner, Volker Reinhardt Herausgeber für den Bereich Mittelalter : Martin Kintzinger Beratung für den Bereich Mittelalter : Heribert Müller, Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter
Kay Peter Jankrift
Krankheit und Heilkunde im Mittelalter 2. Auflage
Meinen Kindern Neele und Raphael, ohne deren „Unterstützung“ und Verständnis dieses Buch nicht entstanden wäre
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar
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2., durchgesehene und bibliographisch ergänzte Auflage 2012 © 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Satz: Setzerei Gutowski/schreiberVIS, Seeheim Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-24678-6
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72443-7 eBook (epub): 978-3-534-72444-4
Inhalt Geschichte kompakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Im Spiegel der Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Nadel im Heuhaufen. Krankheit und Tod als Gegenstand mittelalterlicher Schriftquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bildquellen und Realien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wenn Knochen sprechen … Krankheit, Tod und archäologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die Grundlagen der mittelalterlichen Medizin . . . . . . . . . . . . . . 1. Das „Haus der Heilkunde“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Corpus Hippocraticum und die Lehren Galens . . . . . . . . . . b) Griechisch-römische Medizinalschriften des ersten nachchristlichen Jahrhunderts als Grundelemente mittelalterlicher Gesundheitspflege und Heilkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewahrung des klassischen Erbes zwischen christlichen Vorstellungen und magischen Konzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Benedikt von Nursia, Cassiodor und die Rolle der Klöster . b) Die Auseinandersetzung der Kirchenväter und Apologeten mit dem Erbe des griechisch-römischen Heilwissens . . . . . c) Das Lorscher Arzneibuch. Ein heilkundliches Zeugnis aus der Karolingerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Volksmedizin und Magie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) König Lothar II. und Theutberga. Ein Beispiel zur Bedeutung der Magie in mittelalterlichen Krankheitskonzeptionen . . . 3. Einfluss und Assimilation der orientalischen Medizin im mittelalterlichen Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Mythos von der „arabischen Medizin“ . . . . . . . . . . . . . b) Die Impulse der arabischsprachigen Medizin und ihr Weg ins Abendland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Zeit der Klostermedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stätten von Heil und Heilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Stellung der Kranken in den Ordensregeln . . . . . . . . . . b) Das Idealbild eines benediktinischen Klosters: Der Klosterplan von Sankt Gallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hospitäler in mittelalterlichen Klosteranlagen . . . . . . . . . . d) Krankenversorgung im Kloster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Mönchsarzt und Krankenbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Natürliche Heilmittel: Der Klostergarten . . . . . . . . . . . . . . . g) Die Äbtissin Hildegard von Bingen und die letzte Blüte der Klostermedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Das Ende der Klostermedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Heilige Heiler und ihre Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt a) Heilige Fürsprecher gegen spezielle Krankheiten . . . . . . . . b) Die Bedeutung heiliger Heiler während des hohen und späten Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Die Entwicklung der medizinischen Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Schule von Salerno . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Frühzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Civitas Hippocratica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Medizinalgesetzgebung König Rogers II. von Sizilien und Kaiser Friedrichs II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Medizin an den mittelalterlichen Universitäten . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Der Umgang mit Krankheit im hohen und späten Mittelalter . . . . 1. Die großen Hospitalorden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Hospitaliter oder Johanniter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Lazariter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Antoniter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Deutsche Orden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mittelalterliche Hospitäler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entwicklung des Hospitalwesens im mittelalterlichen Abendland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Spezielle Fürsorgeeinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hospitalische Versorgung ohne Medizin: Obdach, Nahrung, Kleidung. Einblicke in den Alltag spätmittelalterlicher Fürsorgeinstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ärzte, Heilkundige und Patienten in spätmittelalterlichen Städten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ärztemangel in Soest oder: Einblicke in die medizinischen Strukturen einer westfälischen Großstadt . . . . . . . . . . . . . . b) Heilkundige in München oder: Konkurrenzkampf auf dem „medizinischen Markt“ einer süddeutschen Residenzstadt 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Die großen medizinischen Bedrohungen der mittelalterlichen Gesellschaft: Pest, Lepra und andere Geißeln . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mittelalterliche Seuchenphänomene und die Definitionen der Gegenwartsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das „große Sterben“. Der schwarze Tod und die Pest . . . . . . . a) Das Erscheinungsbild der Pest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mittelalterliche Wahrnehmungen der Pest und zeitgenössische Erklärungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Justinianische Pest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der schwarze Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Exkurs I: Der schwarze Tod in Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Exkurs II: Der schwarze Tod in Aachen . . . . . . . . . . . . . . . . g) Exkurs III: Der schwarze Tod in Dortmund . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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h) Die Auseinandersetzung mit dem schwarzen Tod im deutschsprachigen Reichsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Die Pest im späten Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Beispiele für den Umgang städtischer Obrigkeiten mit der Pest im 15. und 16. Jahrhundert: Wesel und Köln . . . . . . . . Der Blutfluss – Tödliche Infektionserkrankungen des MagenDarm-Trakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Blutfluss im 9. und 10. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . b) Ende eines Feldzuges. Die Dysenterie im Heerlager Friedrichs Barbarossa 1167 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Dysenterie als Begleiterin des Heeres . . . . . . . . . . . . . d) Der Blutfluss in den Städten des Spätmittelalters . . . . . . . . . Die Grippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Pocken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Lepra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das medizinische Bild der Lepra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die mittelalterliche Wahrnehmung Leprakranker . . . . . . . . c) Der normative Umgang mit den Kranken . . . . . . . . . . . . . . d) Die Entstehung der Leprosorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Der Weg ins Leprosorium: Die Schauuntersuchung . . . . . . f) Der Alltag der Leprakranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Antoniusfeuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das klinische Bild des Antoniusfeuers und seine zeitspezifische Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Massensterben durch Vergiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei neue Infektionskrankheiten: Syphilis und Englischer Schweiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Syphilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Englische Schweiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Quellenanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
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Geschichte kompakt In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden, man muß sie suchen. (M. Bloch)
Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden. Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte. Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissenstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden. Kai Brodersen Martin Kintzinger Uwe Puschner Volker Reinhardt
IX
I. Im Spiegel der Quellen Ob Kaiser oder Papst, Kaufmann, Bauer oder gar Arzt, ob Frau oder Mann, Arm oder Reich, Jung oder Alt – vor Krankheit und Tod sind alle gleich. Die Auseinandersetzung mit dieser ebenso alten wie zentralen Erfahrung menschlichen Daseins hat sich seit jeher in einer großen Vielfalt von Zeugnissen der Schrift- und Sachkultur niedergeschlagen. Ebenso variantenreich wie die jeweiligen Fragestellungen des Betrachters ausfallen können, sind auch die Antworten auf Phänomene des kollektiven oder individuellen Umgangs mit Krankheit und Tod in Gesellschaften der Vergangenheit. Dieser spiegelt sich, zeitlichem Wandel und geographischen Unterschieden unterworfen, während der mittelalterlichen Jahrhunderte in allen Lebensbereichen wider: angefangen mit den zum Schutz vor Krankheit angerufenen Heiligen und religiösen Bewältigungsstrategien im Zusammenspiel mit den Vertretern einer omnipräsenten Kirche über die Einrichtung von Fürsorgeinstitutionen und die allumfassenden Folgen von Seuchen bis hin zu politischen Auswirkungen durch Erkrankung oder Tod eines Herrschers wie auch den Möglichkeiten medizinischer Betreuung weltlicher wie geistlicher Herrscher auf den Grundlagen zeitspezifischen Heilwissens. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Themenkomplex Krankheit und Tod erweist sich vor diesem Hintergrund als Paradebeispiel für Möglichkeiten interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Historikern, Kunsthistorikern, Archäologen und Theologen sowie Medizinhistorikern, Medizinern (vor allem Paläopathologen) und Vertretern verschiedener naturwissenschaftlicher Disziplinen. Ein als Einführung in diesen außerordentlich breiten Themenkomplex gedachtes Buch, das noch dazu einen Zeitraum behandelt, der nach gängiger Definition des Mittelalters rund 1000 Jahre umfasst, kann seinen Ansprüchen nicht vollständig gerecht werden, ohne einleitend in aller Kürze auf das weithin ungenutzte Potenzial der zu einem beträchtlichen Teil noch immer ungedruckten Quellen hinzuweisen.
1. Die Nadel im Heuhaufen. Krankheit und Tod als Gegenstand mittelalterlicher Schriftquellen Wer sich mit Fragen nach Krankheit und Tod in der mittelalterlichen Gesellschaft beschäftigt, stellt schnell fest, dass die Recherche in den Schriftquellen der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleicht. Lässt sich den theoretischen Grundlagen mittelalterlicher Medizin über die zum Teil in Editionen vorliegenden Schriften der Ärzte vergleichsweise mühelos nachspüren, erweist sich ein Blick auf die praktische Tätigkeit der Heilkundigen als ungleich schwieriger. In nahezu allen Schriftzeugnissen finden sich verstreute Hinweise, etwa auf den Tod eines Bürgermeisters, die Anstellung eines Arztes oder die Erkrankung eines Bischofs, doch diese zusammenzutragen erweist sich je nach Fragestellung als mehr oder we-
Schriftquellen
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Im Spiegel der Quellen
I.
niger beschwerlich. So nehmen erzählende Quellen, vor allem die verschiedenen Formen der Chroniken wie auch Viten, zwar häufig Bezug auf den Themenkomplex und schildern etwa den Ausbruch von Seuchen oder den Tod weltlicher wie geistlicher Herrscher. Weit seltener sind jedoch Berichte über die Erkrankung eines Herrschers und deren Verlauf. Hier stechen vor allem die umfangreichen Ausführungen des Erzbischofs Wilhelm von Tyrus heraus, der in seinem während des 12. Jahrhunderts entstandenen Geschichtswerk detailgetreu die Entwicklung der Lepraerkrankung seines früheren Zöglings, König Balduins IV. von Jerusalem, beschreibt. Zusammengenommen machen derartige Berichte im Rahmen einer mitunter Hunderte von Seiten langen Chronik allerdings kaum mehr als wenige Zeilen aus.
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Die Gichterkrankung des Bischofs Maurilius von Cahors Gregorii Episcopi Turonensis Historiarum (= Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum. Tomus I), hrsg. v B. Krusch u. W. Levison, Hannover 1951, S. 281. Dt. Übersetzung: Zehn Bücher Fränkischer Geschichte vom Bischof Gregorius von Tours, übersetzt v. W. Giesebrecht, 2 Bde. (= Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. VI. Jahrhundert, Bde. 4 u. 5), Berlin 1851, S. 249. Maurilius, der Bischof der Stadt Cahors, erkrankte schwer an der Fußgicht, aber außer den Schmerzen, welche ihm die Gicht schon verursachte, fügte er sich selbst noch größere Schmerzen zu. Denn er brannte oft mit einem glühenden Eisen seine Schienbeine und Füße, damit er so seine Pein noch vergrößere. Da aber viele nach seinem Bistum strebten, erwählte er sich selbst zum Nachfolger den Ursicinus, der einst Kanzler der Königin Vultrogotha gewesen war und bat, dass er noch bei seinen Lebzeiten möge geweiht werden; dann schied er aus der Zeitlichkeit. Er war ein großer Wohltäter der Armen, sehr bewandert in den heiligen Schriften, sodass er die verschiedenen Geschlechtsregister, welche in den Büchern des alten Testaments verzeichnet sind, und die viele nur mit Mühe sich einprägen, häufig aus dem Gedächtnis hersagte. Auch war er gerecht im Gerichte und wahrte die Armen seiner Kirche vor den Gewalttaten schlechter Richter nach den Worten des Hiob: „Ich errettete den Armen, der da schrie und den Waisen, der keinen Helfer hatte. Der Segen des, der verderben sollte, kam über mich und ich erfreute das Herz der Witwen. Ich war des Blinden Auge und des Lahmen Füße. Ich war ein Vater der Armen.“
Weitaus häufiger stößt man auf Aussagen zu Krankheit, Krankenbehandlung und den Umgang mit dem Tod in den so genannten hagiographischen Quellen, die sich mit dem Leben (vita) und den Wundern (miracula) von Heiligen sowie der Überführung der Gebeine (translationes) befassen. Die in den hagiographischen Schriften enthaltenen Informationen erlauben beispielsweise fragmentarische Einblicke in die Art der Erkrankungen und Wege der Behandlung. Weitere Zeugnisse religiösen Schrifttums zeigen ebenfalls Formen der Bewältigung von Krankheit und vom Umgang mit dem Tod auf. Exemplarisch sind in diesem Zusammenhang die zahlreichen Pestgebete und Nekrologe, Listen mit den Namen Verstorbener zum Einschluss in das Gebetsgedenken einer klösterlichen Gemeinschaft. Doch auch weltliche und geistliche Rechtsquellen nehmen Stellung zum Umgang mit Krankheit und Tod. Konzilsbeschlüsse wie weltliches Recht re-
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Schriftquellen gelten beispielsweise die Stellung der Ärzte, ihre Ausbildung oder gar Einschränkungen einer bestimmten Tätigkeit wie der Chirurgie. Sie verfügten auch Verhaltensmaßnahmen für den Umgang mit Leprakranken oder erließen Verfügungen über die Führung von Hospitälern. Weitere normative Quellen organisierten mit ihrer Aufzeichnung von Rechten und Pflichten das Leben in den Fürsorgeeinrichtungen. Selbst die Urkunden, in denen man zunächst wenig Berührungsfläche zum Gegenstand der Fragestellung vermuten könnte, sind von Belang. Sie zeigen als Rechtsakte etwa die Umstände einer Hospitalstiftung oder die Ausstattung eines Leprosenhauses mit weiterem Besitz. Die Arbeit mit ungedruckten Quellen erweist sich im ersten Anlauf als ernüchternd. Verlockend erscheinende Einträge wie „Medizinalwesen“, „Seuchen“ oder gar „Ärzte“ in den Findbüchern, die den Weg zur Quelle weisen sollen, entpuppen sich in aller Regel als Verweise auf neuzeitliches Material zumeist rechtlicher Natur. Die Suche nach mittelalterlichen Heilkundigen, kranken Obrigkeitsvertretern oder ärztlichen „Kunstfehlern“ wie auch nach den Auswirkungen von Seuchen oder dem obrigkeitlichen Umgang mit Leprakranken, erfordert in der Regel eine Durchsicht mehr oder weniger großer Quellenmengen, in denen sich jedoch zahlreiche Hinweise verbergen. Dabei kommt nahezu das gesamte Spektrum städtischen oder auch höfischen Schriftgutes als potenziell interessant in Frage. Ratslisten etwa verraten den Zeitpunkt des Ablebens von Magistratsvertretern und liefern so unter Umständen Hinweise auf den Ausbruch einer Seuche. Stadtrechnungen geben Aufschluss über eine Anstellung von Ärzten und Wundärzten, deren Anwerbung oder auch deren Tätigkeiten. Die Befunde der Finanzdokumente werden durch Ausführungen in den Ratsprotokollen ergänzt. Gerichtsakten verweisen auf das Wirken von Heilkundigen, die sich entweder Verletzter annahmen und nun als Zeugen auftraten oder aber selbst wegen des Misserfolgs einer Behandlung auf der Anklagebank saßen. Testamente nennen bisweilen das Leiden des Testators und geben – besonders in Seuchenzeiten – Einsicht in die Umstände ihrer Aufstellung. Die größten zusammenhängenden Materialfunde verspricht der Zugriff auf die zumeist in geschlossenen Beständen abgelegten Urkunden und Akten von Hospitälern und Leprosenhäusern oder – sofern eine solche existierte – der Chirurgen- bzw. Barbierzunft. Mitunter gelangt dabei selbst ein Buch mit Aufzeichnungen zu ärztlichen Konsultationen ans Licht. Die Arbeit ist also langwierig und mühsam. Doch zusammengefügt ergeben die Befunde aus unterschiedlichen Quellen umfangreiche Einblicke in die medizinische Kultur des Mittelalters und die Auseinandersetzung mit Krankheit oder Tod. Der kritische Umgang mit dem Quellenmaterial, der Grundlage historischer Arbeit, ist auch bei der Erforschung von Krankheit und Tod im Mittelalter unerlässlich. Die Intentionen des Berichterstatters, die bei der Erklärung seiner Schilderung politischer Ereignisse stets zu Recht betont werden, werden im Hinblick auf seine Darstellung von Krankheit allzu oft vergessen. Gewisse Krankheiten jedoch, allen voran die Lepra, bedeuteten zugleich Stigma. Die „Lepra der Seele“ kennzeichnete im späteren Mittelalter im übertragenen Sinne den vermeintlichen Sünder oder Häretiker. Die Schilderung von Krankheiten kann dementsprechend, je nach Zusammen-
I.
Archivalien
Interpretation von Seuchendarstellungen
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Im Spiegel der Quellen
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hang, absichtsvoll eingesetzt sein. Vorsicht ist auch bei der Interpretation von Seuchenschilderungen mittelalterlicher Chroniken angebracht. Oftmals ist der vorgebliche Seuchenausbruch nicht mehr als ein Topos. Darüber hinaus werden als ein Resultat der kompilatorischen Arbeit mittelalterlicher Geschichtsschreiber Seuchen durch die Übernahme aus anderen Vorlagen bisweilen gewissermaßen „domestiziert“. So lässt sich etwa die Schilderung eines Seuchengeschehens des 11. Jahrhunderts, das der Chronist in seiner Heimatstadt Minden an der Weser stattfinden lässt, als nahezu wörtliche Entlehnung aus einer älteren Chronik belegen, die das Ereignis jedoch für einen völlig anderen Ort beschreibt.
2. Bildquellen und Realien Realien
Siegel
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Eine wichtige Ergänzung erfahren die schriftlichen Befunde durch verschiedene Sach- sowie Bildquellen. Der Großteil der erhaltenen Realien entstammt entweder dem Umfeld mittelalterlicher Fürsorgeeinrichtungen, medizinischer Fakultäten der Universitäten oder dem Besitz von Heilkundigen. Bauliche Überreste mittelalterlicher Hospitäler und Leprosenhäuser finden sich noch heute in zahlreichen Städten Europas, so etwa das St. Jans-Spital in Brügge, das spätmittelalterliche Hospital im burgundischen Beaune und das Heilig-Geist-Spital in Lübeck oder die Leprosenhäuser in Eichstätt, Münster und Beauvais. Daneben haben sich oft Kapellen von Einrichtungen erhalten, die durch Patrozinien und innere Gestaltung noch immer auf ihre einstige Funktion verweisen. So verraten in romanischen Ländern insbesondere dem Heiligen Lazarus geweihte Kapellen mit entsprechender ikonographischer Ausschmückung häufig deren ursprüngliche Funktion als Gotteshaus der Leprakranken. Umbauten sowie Veränderungen während der vergangenen Jahrhunderte, die mit einem Funktionswandel der Leprosenhäuser einhergingen, und die sich – wie in MünsterKinderhaus – am Gebäude sichtbar erkennen lassen, vervollständigen das in den Schriftzeugnissen gezeichnete Bild. Auch spezielle topographische Gegebenheiten – wie etwa die Lage von Leprosenhäusern außerhalb der Stadt und in Anlehnung an medizinische Theorien bevorzugt auf der windabgewandten Seite – sind noch ansatzweise erkennbar, so wiederum am Beispiel des nördlich von Münster gelegenen Leprosoriums Kinderhaus. Gegenstände des täglichen Bedarfs, die eindeutig dem Gebrauch der Kranken zuzuordnen sind, beispielsweise spätmittelalterliche Klappern oder Almosenbüchsen, sind jedoch nur selten überliefert. Daneben finden sich ärztliche Instrumente, so wie bei archäologischen Grabungen im westfälischen Höxter, die eine Vorstellung von der praktischen Arbeit der Heilkundigen vermitteln. Darüber hinaus zeugen Siegel von Hospitälern, Leprosenhäusern oder medizinischen Fakultäten von Bedeutung und Ansehen einer Einrichtung wie auch von deren Selbstverständnis. Das vom Kölner Melatenhaus, dem größten der Leprosenhäuser in der rheinischen Stadt, im 15. und 16. Jahrhundert verwendete Siegel, das vergleichsweise häufig an zeitgenössischen Dokumenten überliefert ist, zeigt auf seiner Vorderseite den armen Lazarus
Archäologische Befunde an der Schwelle des reichen Mannes. Während der Bettler ärmlich gekleidet mit Bettelstab und Sack, aber ohne die für Leprakranke charakteristische Klapper, am Hauseingang um ein Almosen ersucht, sitzt der Reiche in prächtiger Gewandung inmitten seines Hauses. Die Umschrift lautet: SIGILLVM LEPROSORVM EXTRA MVROS CIVITATIS COLONIE(N)S(IS). Auf der Rückseite befindet sich umschrieben mit den Worten SENATVS COLONIENSIS BENEFICIO eine dreiblättrige Klapper: Im Gegensatz zum renommierten Kölner Leprosorium besaßen die meisten Leprosenhäuser jedoch kein eigenes Siegel. Dokumente wurden stattdessen mit dem Siegel der Provisoren, der gewissermaßen Aufsicht führenden Ratsherren, oder dem Stadtsiegel versehen. Das münsterische Aussätzigenspital Kinderhaus verfügte zwar ebenfalls nicht über ein eigenes Siegel. Verschiedentlich griffen die Provisoren während des 17. Jahrhunderts aber neben ihrem eigenen und dem städtischen auf ein Siegel zurück, das der stilistischen Form nach möglicherweise bereits für den ersten Pastor der Kinderhauser Kirche, Wessel de Perlinctorpe, um 1333 angefertigt worden sein könnte. Es zeigt die heilige Gertrud von Nivelles in Gestalt einer Äbtissin mit Äbtissinnenstab, die in ihrer linken Hand ein Modell der Kinderhauser Kirche hält. Nur zwei Exemplare des Siegelabdrucks sind bekannt. In der schlecht erhaltenen Umschrift steht zu lesen: SIGILLVUM RECTORIS ECCLESIE SANCTE GERTRUDIS. Neben solchen Realien geben auch zahlreiche Bildquellen einen Einblick in zeitgenössische Krankheitswahrnehmung. Die Darstellung von Heiligen bei der Krankenheilung zeigt auch die Patienten und deren Leid. Illustrationen der medizinischen Schriften stellten die Anwendung bestimmter Behandlungsmethoden visuell ebenso dar wie die Gestalt ärztlicher Instrumente. Der Bildbefund dient nicht zuletzt der Archäologie zur Identifizierung von Fundmaterial, das potenziell dem Besitz eines Heilkundigen zuzuordnen ist.
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Bildquellen
3. Wenn Knochen sprechen … Krankheit, Tod und archäologische Befunde Im Rahmen archäologischer Grabungen geborgene Skelette bieten stets eine unentbehrliche Ergänzung für alle Untersuchungen zu Krankheits- und Todesursachen in der mittelalterlichen Gesellschaft. Besondere Bedeutung für medizinhistorische Studien im Allgemeinen und für seuchengeschichtliche im Besonderen kommt den so genannten osteoarchäologischen Befunden zu, die sich mit dem Knochenmaterial befassen. Die Knochen erzählen dabei eine Geschichte, wie sie in solcher Exaktheit im Spiegel der Schriftzeugnisse niemals zutage tritt. Dies liegt vor allem daran, dass in den zeittypischen Quellen fast nur die Mächtigen zu Wort kommen, der Großteil der mittelalterlichen Bevölkerung jedoch nie ein Sprachrohr findet. Die Skelette erlauben mithin eine bedeutende Vervollständigung des Gesamtbildes gesundheitlicher Verhältnisse einer vergangenen Zeit. So liefert das Skelettmaterial neben allgemeinen Informationen zu Alter und Geschlecht vor allem reichhaltige Hinweise auf die individuellen Le-
Archäologie
Paläopathologie
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Im Spiegel der Quellen
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bensumstände und gesundheitlichen Belastungen. Die Untersuchung von rund 160 Skeletten eines karolingischen Gräberfelds in Soest beispielsweise lassen ein gehäuftes Auftreten von Entzündungen des Zahnhalteapparates mit Verlusten von Zähnen schon zu Lebzeiten, so genannten Intravitalverlusten, erkennen. Verursacht wurden diese vor allem durch das recht grob gemahlene Getreide. Der schützende Zahnschmelz wurde dadurch schnell angegriffen. Die besonders stark beanspruchten Malzähne, die Molaren, weisen einen deutlich höheren Abrieb auf, als dies gemeinhin heute üblich ist. Schritt dieser zu weit voran, kam es zur schmerzhaften Entzündung der Zahnwurzel, die mit dem Verlust des Zahns endete. An den Zähnen der karolingischen Skelette lässt sich jedoch weit weniger Karies feststellen als an denen heutiger Zeitgenossen. Da man hierzulande noch keinen Rohrzucker kannte, griff man zum Süßen der Speisen auf Honig zurück. Dieser jedoch stand keinesfalls täglich und für jeden auf dem mittelalterlichen Speiseplan. Zugleich lassen sich etwa an Skeletten von hochmittelalterlichen dänischen Klösterfriedhöfen deutlich Spuren von Wundbehandlungen erkennen. Gebrochene Extremitäten heilten durch die Behandlungen von Mönchsärzten aus und selbst schwer wiegende Schädelverletzungen konnten den paläopathologischen Befunden zufolge erfolgreich kuriert werden. Grabungen auf den Friedhöfen von Leprosorien tragen dazu bei, nähere Erkenntnisse über die Insassenstruktur der Häuser, die pathologischen Zustände der Bestatteten sowie eventuell über besondere Formen der Sepulkralkultur und die Nutzung des Begräbnisplatzes zu gewinnen. Im Gegensatz zur Pest und zu anderen rasch tötenden Infektionskrankheiten, die sich am Skelett nicht nachweisen lassen, hinterlässt die Lepra in einem fortgeschritteneren Krankheitsstadium deutliche Spuren. Die Auswertung des osteoarchäologischen Materials liefert vielfältige Aussagen darüber, bei wie vielen Individuen sich charakteristische Veränderungen nachweisen lassen – so das nach seinem Entdecker benannte Møller-Christensen-Syndrom. Sie gewährt ferner unter einigen Vorbehalten – z. B. kann sich ein Mensch erst nach seinem Eintritt ins Leprosenhaus mit der Lepra infiziert haben – beschränkte Einblicke in die Zuverlässigkeit mittelalterlicher Diagnosen und zeitspezifischer Krankheitswahrnehmungen. Im Bereich der Bundesrepublik sind solche einschlägigen osteoarchäologischen Untersuchungen im Allgemeinen und von Leprosenfriedhöfen im Besonderen bislang eher selten. Systematisch ausgewertet wurden bisher beispielsweise die rund 450 Skelette, die auf dem Friedhof des Aachener Melatenhauses in mehreren Grabungskampagnen geborgen wurden.
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II. Die Grundlagen der mittelalterlichen Medizin ca. 460–360 v. Chr. 23/24 n. Chr.–79. n. Chr. 1. Jh. n. Chr. 1. Jh. n. Chr. 129–199/200/216 n. Chr. 5.–7. Jh. um 490–583 560–636 um 795 ca. 850–950 808–873 865–925 Mitte des 10. Jh. 980–1037 † ca. 1010 11. Jh. um 1010–ca. 1087 ca. 1114–1187 1126–10. 12. 1198
Hippokrates von Kos Plinius der Ältere (Caius Plinius Secundus) Aulus Cornelius Celsus Dioskurides Galen Breite Rezeption griechischer Medizinaltraktate in Klöstern Cassiodor Isidor von Sevilla Lorscher Arzneibuch Isaak Judaeus Hunain ibn Ishāq ˙ Rhazes. Abū ˙ Bakr Muh ammad ibn Zakarīyā, ˙ gen. ar-Rāzī Haly Abbās. Alī ibn al-Abbās al-Mag˘ūsī Avicenna. Abū Alī al-Husain ibn Abd Allāh ibn ˙ Sīnā al Qānūnī Abulkasis. Abūl-Qāsim Halāf ibn al Abbās az¯ Zahrāwī ˙ Beginn der Übersetzung griechisch-arabischen Medizinalschrifttums Constantinus Africanus Gerhard von Cremona Averroes. Abūl Walīd Muh ammad ibn Ah mad ˙ ˙ ibn Rušd
1. Das „Haus der Heilkunde“ a) Corpus Hippocraticum und die Lehren Galens Die Lehren der griechisch-römischen Medizin bildeten die theoretische Grundlage der mittelalterlichen Heilkunde und Gesundheitspflege. Am Anfang dieser langen Tradition stand der sagenumwobene Hippokrates von Kos. Nur wenig ist über das Leben jenes Mannes bekannt, der zum Inbegriff des idealen Arztes wurde. Soranos von Ephesos, sein in der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts tätiger Biograf, bestimmte das Geburtsjahr des Hippokrates auf 460/459 vor Christus. Der weiteren Überlieferung zufolge soll er im 4. Jahrhundert vor Christus als hochgerühmter Heilkundiger gewirkt haben. In Ableitung naturphilosophischer Konzeptionen von den vier Elementen (Erde, Luft, Wasser, Feuer) schuf Hippokrates eine im Rahmen des zeitgenössischen Verständnisses rationale Theorie der Medizin. Ihren Kern bildete die bis über das Mittelalter hinaus akzeptierte so genannte Säftelehre. Gemäß dieser werden die Elemente zu
Hippokrates
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Die Grundlagen der mittelalterlichen Medizin
II. Säftelehre
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den vier Körpersäften Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle gekocht. Während die ersten drei unschwer zu identifizieren sind, ist heute unklar, was sich hinter Hippokrates’ Bezeichnung der „schwarzen“ Galle verbirgt. Sie lässt sich nach modernen medizinischen Definitionen mit keiner der im menschlichen Körper tatsächlich vorkommenden Substanzen in Verbindung bringen. Die vier Körpersäfte der hippokratischen Lehre sind zugleich mit den natürlichen Eigenschaften warm, kalt, trocken und feucht verbunden. Das Blut beispielsweise ist nach diesem Schema warm und feucht, die schwarze Galle kalt und trocken. Der Umfang von Hippokrates’ literarischem Werk lässt sich nicht genau bestimmen. Über 60 medizinische Schriften versammelt das so genannte hippokratische Corpus unter seinem Namen, doch ist nach wie vor ungeklärt, wie viele von diesen tatsächlich von dem viel gerühmten Arzt selbst verfasst wurden. Für keine einzige der Abhandlungen ließ sich bislang die Frage nach der Autorschaft des Hippokrates zweifelsfrei klären, doch wurde der griechische Arzt mit dieser Zuschreibung gewissermaßen zum Begründer der Medizin und ärztlichen Praxis. Im 2. Jahrhundert nach Christus wurde die hippokratische Säftelehre von dem im kleinasiatischen Pergamon geborenen Arzt Galen weiterentwickelt und verfeinert. Galen (129–zw. 199 und 216) wurde im kleinasiatischen Pergamon geboren. Nach einer umfassenden philosophischen Bildung wandte er sich im Alter von sechzehn Jahren dem Studium der Medizin zu, das er in Smyrna, Korinth und Alexandria fortführte. Um 158 kehrte er nach Pergamon zurück und praktizierte dort als Gladiatorenarzt. Im Jahr 162 siedelte er nach Rom über, wo er Patienten aus den höchsten Kreisen behandelte und öffentlich anatomische Sektionen durchführte. Während der so genannten Pest des Antonius 166 kehrte er vorübergehend nach Pergamon zurück und reiste durch Syrien und Phönizien. Auf kaiserliches Geheiß nach Rom zurückgekehrt, wirkte er als Leibarzt für Marc Aurel (161–180) und dessen Sohn Commodus (180–193). Vermutlich blieb Galen bis zu seinem nicht präzise datierbaren Tod zwischen 199 und 216 in Rom. Der genaue Umfang seines großen schriftstellerischen Werkes ist unbekannt, doch sind – einschließlich der identifizierten pseudogalenischen – mehr als 330 Schriften unter seinem Namen überliefert.
Er ergänzte die Viererschemata von Elementen, Säften und Qualitäten um die der vier Kardinalorgane, Lebensalter sowie Tages- und Jahreszeiten, die er untereinander in Beziehung setzte. Zugleich resultierten aus diesem hippokratisch-galenischen Denkmodell die vier Temperamente, die durch die jeweilige Zusammensetzung der Körpersäfte bestimmt werden. Beim so genannten Sanguiniker überwiegt das Blut (lat. sanguis), beim Phlegmatiker der Schleim (griech. phlégma), beim Choleriker die Galle (griech. chlolē` ). Auf dieser theoretischen Grundlage erwuchs ein umfassendes Erklärungsmodell von Gesundheit und Krankheit. Krankheit wurde demzufolge durch ein Ungleichgewicht der Körpersäfte verursacht. Gesundheit bedeutete einen Gleichgewichtszustand. Die Deutung einer Erkrankung und ihre Behandlung leiteten sich aus diesem System ab. Das jeweilige Temperament prädestinierte seinen Träger in besonderer Weise für eine Anfälligkeit gegenüber Krankheiten, die der vorherrschende Saft bedingte. Die Lepra beispielsweise wurde nach zeitgenössischer Auffassung durch ein
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Das „Haus der Heilkunde“ Übermaß an schwarzer Galle verursacht. Die Natur der Krankheit galt in Anknüpfung an diesen Körpersaft als trocken und kalt. Erkrankten wurde entsprechend Übellaunigkeit und sogar Hinterhältigkeit nachgesagt. In dieser Zuschreibung spiegelt sich der schwermütige Melancholiker wider, der durch seine seelische Konstitution mehr als andere gefährdet war, an der Lepra zu erkranken. Die Heilkunst wird nach galenischer Auffassung allein durch eine Theorie der Medizin zur Wissenschaft. Alle anderen Wissenschaften, vor allem Logik, Ethik und Physik, dienen der Medizin. Das sogenannte „Haus der Heilkunde“ hat drei Pfeiler: Physiologie, Phatologie & und Therapie. Die Therapie wiederum teilt sich in Diätetik, Pharmazeutik und Chirurgie. Obwohl nach der Lehre Galens nur eine einzige Wissenschaft vom menschlichen Körper existiert, besteht diese doch aus zwei Bereichen – der Gesundheitspflege (Hygiene) und der Heilkunde (Medizin). Nach dieser Ordnung muss der Arzt zuvorderst auf die Erhaltung der Gesundheit bedacht sein. Die Behandlung der Krankheiten ist der Gesunderhaltung nachgeordnet. Physiologie und Pathologie Die Physiologie ist die Lehre und Wissenschaft von den natürlichen Lebensvorgängen (res naturales), insbesondere im Hinblick auf die Funktionen des Organismus. Der Physiologie gegenüber steht die Pathologie, die Lehre von den krankhaften Veränderungen im Organismus (res contra naturam). Sie befasst sich – in der Gegenwart als ein medizinisches Teilgebiet – vor allem mit den Ursachen (Ätiologie), mit der Entstehung und Entwicklung von Krankheiten sowie mit deren Beschreibung (Nosologie). Die bis ins 17. Jahrhundert hinein gültigen Theoriemodelle galenischer Physiologie und Pathologie unterscheiden sich erheblich von den Erkenntnissen der Gegenwartsmedizin. So war den mittelalterlichen Medizinern der Blutkreislauf noch unbekannt. Vielmehr stützten sie sich auf Galens Auffassung, wonach das Blut einem geschlossenen System von Wechselbewegungen gleich den Gezeiten des Meeres unterliegt.
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Galens „Haus der Heilkunde“
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b) Griechisch-römische Medizinalschriften des ersten nachchristlichen Jahrhunderts als Grundelemente mittelalterlicher Gesundheitspflege und Heilkunde Neben den Schriften des hippokratischen Corpus und Galens bildeten die heilkundlichen Abschnitte der groß angelegten Naturkunde des römischen Offiziers Caius Plinius Secundus, besser bekannt unter dem Namen Plinius der Ältere, sowie die umfangreiche Schrift über die Heilmittel des etwa zeitgleich wirkenden Militärarztes Pedanios Dioskurides einen wesentlichen theoretischen Baustein der mittelalterlichen Gesundheitspflege, Heilund Arzneimittelkunde. Um 23/24 n. Chr. als Sohn einer vermögenden, ritterständischen Familie im norditalienischen Novum Comum (Como) geboren, trat Plinius im Alter von 23 Jahren seinen Offiziersdienst in Germanien an. Nach dessen Ende im Jahre 52 zog er sich zunächst von der militärischen Laufbahn zurück, um diese 67 erneut aufzunehmen. Bis zu seinem Tod während der Evaku-
Plinius
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Die Grundlagen der mittelalterlichen Medizin
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ierung der durch den Ausbruch des Vesuv am 24. August 79 bedrohten Städte, führten ihn militärische Missionen nach Judäa, Syrien, Ägypten, Afrika, Gallien und Spanien. Daneben tat sich Plinius durch eine rege schriftstellerische Tätigkeit hervor. Zu seinen Werken zählen ebenso Abhandlungen über Kavallerietaktik und Kriegführung wie über Rhetorik und Grammatik. Die Schrift jedoch, die die größte Bedeutung und Verbreitung erlangte, war die so genannte Historia Naturalis, seine groß angelegte Naturgeschichte. Mehr als die Hälfte des 37 Bücher umfassenden Werkes widmete der Autor Beschreibungen von Heilmitteln aus dem Pflanzenund Tierreich sowie deren Wirkung. Dabei griff er ebenso auf volksmedizinische wie magische Vorstellungen und – mit einiger Kritik versehen – die klassischen Theorien der griechischen Heilkunde zurück. Während des 4. Jahrhunderts entstand aus einem überarbeiteten Auszug der Schrift die so genannte Medicina Plinii, die in ihren drei Büchern Krankheiten und deren Behandlungen vom Kopfschmerz über die Gicht bis hin zu Fieber und Hautkrankheiten beschrieb. Im Laufe des 6. Jahrhunderts erfuhr diese offenbar zunächst bei Laien zur Selbstmedikation verwendete Schrift entscheidende Erweiterungen durch Einarbeitungen aus anderen medizinischen Werken, so etwa des um 605 in Rom gestorbenen byzantinischen Arztes Alexandros von Tralleis in einer gekürzten lateinischen Übersetzung und des als Autor einer Rezeptsammlung aus dem 1. Jahrhundert bekannten Scribonius Largus. Von nun an fand sie unter dem Namen Physica Plinii – irrtümlich auch als Plinius Valerianus – Verbreitung.
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Celsus
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Pedanios Dioskurides, der aus dem kilikischen Anarzabos stammte, wirkte um die Mitte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts als Militärarzt unter den Kaisern Claudius und Nero. Sein in griechischer Sprache entstandenes und in der lateinischen Übersetzung De materia medica betiteltes Hauptwerk nennt mehr als 1000 Arzneimittel pflanzlichen, tierischen und mineralischen Ursprungs. Von Galen als richtungsweisende Grundlage anerkannt, fand die große Arzneimittelkunde des Dioskurides über rund 1600 Jahre in zahlreichen Übersetzungen, insbesondere ins Lateinische, Arabische, Hebräische und Syrische, sowie in verschiedenen Bearbeitungen und Paraphrasen Verbreitung. Erst die von dem schwedischen Botaniker und Mediziner Carl von Linné (1707–1778) aufgestellte botanische Nomenklatur verdrängte die klassische Arzneimittellehre des Dioskurides. Diätetik Diätetik ist die Lehre der gesunden Lebensordnung und -führung, die in der mittelalterlichen Medizin die theoretische Grundlage zu jeglicher Krankenversorgung bildete. Sie wird nach galenischer Auffassung gekennzeichnet durch ein Maßhalten, das der Gesundheitspflege (Hygiene) unmittelbar dient. Unabdingbar für den gesunden Lebenswandel oder die Wiederherstellung der Gesundheit ist ein rechtes Maß der so genannten sex res non naturales: Licht und Luft (lux et aer), Essen und Trinken (cibus et potus), Bewegung und Ruhe (motus et quies), Schlafen und Wachen (somnus et vigilia), Stoffwechsel (excreta et secreta) sowie Bewegungen des Gemüts (affectus animi).
Ein weiterer Zeitgenosse Plinius’ des Älteren und Dioskurides’, Aulus Cornelius Celsus, hinterließ der späteren Gelehrtenwelt ebenfalls ein Werk unter dem Titel De medicina, das zwar schon im Mittelalter berühmt war, aber erst seit der Frührenaissance verstärkt rezipiert wurde. In seinen acht
Bewahrung des klassischen Erbes
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Büchern, entstanden vor dem Jahr 37, vermittelte der Autor nicht nur ein Bild der bisherigen Medizingeschichte, sondern behandelte ausführlich die Prinzipien gesunder Lebensführung und Krankheitsvorbeugung, innere Erkrankungen, Krankheitsbehandlungen und die Chirurgie. Eine besondere Bedeutung kommt den acht Büchern des Celsus nicht zuletzt deshalb zu, weil mit ihnen die einzige vollständig erhaltene Medizinalschrift für die Zeit zwischen der Redaktion des hippokratischen Corpus und dem ersten nachchristlichen Jahrhundert und damit zugleich ein unentbehrliches Zeugnis für die Geschichte der hellenistischen Medizin vorliegt.
2. Bewahrung des klassischen Erbes zwischen christlichen Vorstellungen und magischen Konzeptionen a) Benedikt von Nursia, Cassiodor und die Rolle der Klöster Das hippokratische Corpus wie auch die Schriften Galens, Dioskurides’, Plinius’ oder anderer (spät)antiker Autoren, viele von ihnen der berühmten Schule von Alexandria zugehörig, fanden ihren Weg in die frühmittelalterliche Gesundheitspflege sowie die Heil- und Arzneimittelkunde über die Skriptorien der Klöster. Der überwältigende Teil der bis zum Ende des 5. Jahrhunderts überlieferten medizinischen Fachliteratur war in griechischer Sprache verfasst. Angesichts der weitreichenden Beherrschung des Griechischen unter den Gebildeten während der Blütezeit Roms, war die Ausformung einer eigenständigen lateinischen Medizinalliteratur weitgehend unterblieben. Das Erlöschen des weströmischen Kaisertums 476/ 480 und schließlich die siegreiche Schlacht des Frankenkönigs Chlodwig gegen den römischen Statthalter Syragius beim nordgallischen Soissons an der Aisne 486, mit der zugleich der letzte Überrest der einstigen Herrschaft beseitigt wurde, bedeuteten zugleich einen tiefen Einschnitt für Bildung und Geisteskultur im Allgemeinen wie für die Vermittlung medizinischen Wissens im Besonderen. Kaum jemand beherrschte noch das Griechische, geschweige denn vermochte die in der fremd gewordenen Sprache verfasste medizinische Literatur zu verstehen. Erst die Gründung der berühmten Schule von Salerno im 11. Jahrhundert sollte den entscheidenden Wendepunkt medizinischer Wissensvermittlung im mittelalterlichen Westen und einen Neuanfang unter Anknüpfung an die antiken Wurzeln markieren. Dieser Neubeginn war derart herausragend, dass die davor liegenden rund fünf Jahrhunderte aus der Sicht der Medizingeschichte gemeinhin als die „vorsalertanische Periode“ bezeichnet werden. Diese war geprägt von der Kultur der Klöster, der geistigen Zentren des frühmittelalterlichen Abendlandes. In ihnen und in den Kathedralschulen schickte man sich an, die überlieferten Schriften zu kopieren und das antike Erbe durch Übersetzung zu bewahren, zu interpretieren und angereichert mit christlichen Vorstellungen zu überarbeiten. Zwischen dem 5. und dem 7. Jahrhundert wurden auf diese
Medizinische Fachliteratur im Frühmittelalter
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Benedikt von Nursia
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Cassiodor
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Weise griechische Medizinalschriften in breitem Umfang rezipiert. Die daraus resultierende Entstehung medizinischer Fachliteratur in lateinischer Sprache war zunächst gekennzeichnet durch die Erstellung mehr oder weniger umfangreicher Sammelhandschriften nach griechischem Muster, in denen maßgeblich erscheinende Texte verschiedener Autoren zusammengestellt waren. Eine Technik, die – wie sich bald zeigte – dem Bedarf nach kompakter, einfacher und anschaulicher Darstellung zuwiderlief. Zuviel Theorie lastete auf den klassischen Werken. Auch im griechischsprachigen Osten war man sich dieses Problems bewusst. Deshalb entstanden dort schon im 4. und 5. Jahrhundert vor allem kleinere Schriften, die in Form von Briefen oder Dialogen einfache Anleitungen für die ärztliche Praxis boten und die zwei Jahrhunderte später in großem Umfang ins Lateinische übertragen wurden. Eine besondere Rolle bei der Bewahrung des antiken Heilwissens und seiner Nutzbarmachung nach christlichen Leitlinien spielte dabei zunächst das 529 von Benedikt von Nursia gegründete Kloster Montecassino. Der Gründer des Benediktinerordens erhob in seiner für die Mönchsgemeinschaft geschaffenen Regel, der Regula Benedicti, die Fürsorge für Kranke, Schwache und Arme nach dem christlichen Gebot der Nächstenliebe zu einer Grundlage klösterlichen Lebens. Findet sich mit der Benediktsregel das weitreichende spirituelle Grundgerüst für die Ausübung heilkundlicher und gesundheitspflegerischer Tätigkeit in den Klöstern, so sorgte wenige Jahre nach dem Tod Benedikts am 21. März 547 ein anderer Klostergründer für die umfassende Weitergabe hierzu nötigen Wissens. Der um 490 geborene römische Politiker, Gelehrte und Schriftsteller Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus verließ um das Jahr 550 seinen weltlichen Lebensweg und gründete in seiner kalabrischen Heimat nahe dem heutigen Squilace das Kloster Vivarium. In Cassiodors Mönchsgemeinschaft wurde nicht nur gemäß der benediktinischen Formel gebetet und gearbeitet. Vielmehr widmeten sich die Brüder den so genannten septem artes liberales, den sieben freien Künsten, und nicht zuletzt der Medizin. Septem artes liberales Die septem artes liberales, die sieben freien Künste, unterteilen sich in zwei Gruppen. Die erste, das so genannte Trivium, umfasst die in Verbindung mit der Sprache stehenden Wissenschaften der Grammatik, der Rhetorik und der Dialektik. Die zweite, das so genannte Quadrivium, befasst sich mit der Ordnung der Zahlen und setzt sich aus der Geometrie, der Arithmetik, der Astronomie und der Musik zusammen. Die Medizin wurde nur gelegentlich zu den Künsten gerechnet. Ausgehend von den Leitgedanken Cassiodors wurde das Modell der septem artes liberales zur Grundlage des Unterrichts an den mittelalterlichen Kloster- und Domschulen sowie der Ausbildung an den später entstandenen Universitäten.
Im Rahmen seines Institutiones betitelten Werkes gab der Klostergründer von Vivarium den Angehörigen der monastischen Gemeinschaft die programmatische Weisung, das klassische Wissen zu studieren. Besondere Sorgfalt empfahl Cassiodor in seinem Werk für das Studium der Medizin. Zugleich umriss er für jene Brüder, die in der Krankenpflege wirkten, den Kanon der Schriften, die ihm für die qualifizierte Ausübung dieser verantwortungsvollen Aufgabe unerlässlich erschienen. Wer des Griechischen
Bewahrung des klassischen Erbes nicht mächtig sei, solle die lateinische Fassung des Kräuterbuches Dioskurides’ verwenden. Ferner sollten die pflegenden Brüder die Übersetzungen Hippokrates’ und Galens Therapeutik an den Philosophen Glaukon lesen, darüber hinaus den Traktat Caelius Aurelius’ über die Medizin, den Kräutertraktat Hippokrates’ und schließlich auch andere medizinische Kompendien der klösterlichen Bibliothek. Der um das Jahr 560 geborene Enzyklopädist und spätere Bischof von Sevilla, Isidor, wies der Medizin in seiner Auseinandersetzung mit Cassiodors Artes-Modell schließlich den Platz einer secunda philosophia, einer zweiten Philosophie, zu. Diese setzte nach Isidor die Kenntnis der sieben freien Künste bereits voraus, sodass sie nicht selbst zu den artes gehören könne. Zwar verfasste Isidor von Sevilla auch einige medizinisch bedeutsame Kapitel im Rahmen seiner Werke, doch gilt die Abfassung seiner so genannten Etymologiae für die weitere Entwicklung der frühmittelalterlichen Heilkunde und Gesundheitspflege als seine wichtigste Leistung. Seinem Titel entsprechend bietet das Werk Worterklärungen unter Rückgriff auf Ableitungen und Definitionen bekannter Verfasser medizinischer Schriften, mit deren Hilfe das Verständnis der klassischen Texte erst möglich wurde. Die entscheidenden theoretischen Grundlagen waren nunmehr gelegt. Das goldene Zeitalter der zu Recht so genannten Klostermedizin war angebrochen.
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Isidor von Sevilla
b) Die Auseinandersetzung der Kirchenväter und Apologeten mit dem Erbe des griechisch-römischen Heilwissens Die Bewahrung des antiken griechisch-römischen Heilwissens durch die frühmittelalterlichen Klöster war indes alles andere als ein selbstverständlicher Prozess. Die Kirchenväter und Apologeten setzten sich ebenso intensiv wie kritisch mit den Inhalten und Konzeptionen der Schriften aus der heidnischen Vergangenheit auseinander. Im Vordergrund stand dabei zunächst die untrennbar mit der christlichen Krankheitskonzeption verknüpfte Frage, ob der Mensch nicht durch ein Studium des Körpers und Versuche zur Behandlung von Krankheiten dem göttlichen Heilsplan zuwiderhandle. Krankheit und Gesundheit waren nach dieser Auffassung keine allein rational erklärbaren Phänomene, sondern gottgewollte Zustände. Die gegensätzlichen Pole, den Körper im platonischen Sinne als erhaltenswerte göttliche Schöpfung zu betrachten und gleichzeitig Erkrankungen eine unabänderbare Funktion innerhalb des unergründlichen göttlichen Heilskonzepts zugestehen zu müssen, waren nicht leicht zusammenzuführen. Der Kirchenvater Ambrosius (340–397) war der Auffassung, die von Gott gesandte Krankheit gelte sowohl der irdischen Läuterung wie auch der Vorbereitung auf das Jüngste Gericht. Den Arzt wollte er dennoch nicht ausgeschlossen wissen. Dieser sollte mit all seinem Vermögen den Dienst an den Kranken versehen. Basileios der Große (329–379), Bischof von Caesarea und Gründer eines großen Xenodochiums, einer legendenumwobenen Einrichtung zur Betreuung Fremder, Kranker und Armer, sah in der Heilkunst ebenso eine göttliche Gabe wie in der Krankheit. Der Kirchenvater
Ambrosius, Basilios und Hieronymus
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Die Grundlagen der mittelalterlichen Medizin
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Hieronymus (348–420) propagierte das Bild vom einzig wahren heilenden und zugleich heilbringenden Arzt, dem Christus Medicus; eine Vorstellung, die für die Medizin im mittelalterlichen Abendland prägend bleiben sollte. Augustinus (345–430) schließlich billigte der Medizin zwar zu, hilfreich für die Christenheit zu wirken, doch erfüllte Krankheit in seinen Augen die Funktion einer göttlichen Ermahnung. Mit dieser Vorstellung befand er sich fest auf dem Boden der Heiligen Schrift. So heißt es darin schon bei Jesus Sirach im 15. Vers des 38. Kapitels: „Nur wer vor seinem Schöpfer sündigt, wird in des Arztes Hände überliefert.“ Entsprechend sollten die Mittel zur Krankheitsbehandlung – und dies durchaus nicht nur im übertragenen Sinne – ebenso bitter sein wie die Buße. Strikt wandte sich Antonius gegen die Anatomie, die in seinen Augen nichts dazu beigetragen habe, jene rechten Maßverhältnisse zu entdecken, auf denen die Harmonie eines Körpers beruhe. Dieser werde vielmehr nur durch seine innerliche wie äußerliche Ganzheit zu einem vollkommenen Organismus. Eine Vorstellung, die weitreichende Folgen für die Entwicklung und Rolle der mittelalterlichen Anatomie und Chirurgie haben sollte.
c) Das Lorscher Arzneibuch. Ein heilkundliches Zeugnis aus der Karolingerzeit
Einzigartiges Zeugnis
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Während des 8. Jahrhunderts, unter dem Einfluss der Karolinger, traten die von Benedikt und Cassiodor propagierten Leitlinien christlich-wissenschaftlicher Gesundheitspflege und Heilkunde unaufhaltsam ihren Triumphzug durch den christianisierten Teil des Abendlandes an. Im Jahre 743 wurde allen Klöstern innerhalb des karolingischen Herrschaftsbereiches die Annahme der Benediktsregel verordnet. Einige Jahrzehnte später verfügte Karl der Große im Rahmen seiner umfassenden Reformen des Verwaltungs- und Klosterwesens, dass der Unterricht an allen Kloster- und Kathedralschulen des Reiches künftig in Anlehnung an das Lehrmodell Cassiodors erfolgen sollte. Als ein einzigartiges Zeugnis medizinischer Lehrinhalte und Wissensvermittlung des 8. Jahrhunderts präsentiert sich das so genannte Lorscher Arzneibuch, das sich heute in der Staatsbibliothek Bamberg befindet. Um das Jahr 795, zur Regierungszeit Karls des Großen abgefasst, gelangte das in der Abtei Lorsch entstandene Buch um die Jahrtausendwende in den Besitz Kaiser Ottos III. (994–1002). Dessen Nachfolger auf dem Thron, Heinrich II. (1002–1024), übergab es der Obhut der Bamberger Dombibliothek. Das Lorscher Arzneibuch umfasst Auszüge aus zahlreichen Schriften, vor allem aus den Werken verschiedener griechischer und römischer Autoren und einen breiten Kanon der während des 5. und 6. Jahrhunderts gebräuchlichen Arzneimittelrezepte. Zumeist zweisprachige Pflanzenglossare, die Hermeneumata, und Listen, die mögliche Substanzen als Ersatz für schwer beschaffbare oder teuere Drogen durch günstigere vor Ort erwerbbare nennen, schließen sich an. Ebenso findet sich eine Übersicht der angezeigten Maße und Gewichte. Einen weiteren Annex mit diätetischen Empfehlungen bildet der so genannte Anthimus-Brief. Besonderes Augenmerk verdient die programmatische, im Sinne Cassiodors gestaltete Recht-
Bewahrung des klassischen Erbes
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fertigung der Heilkunde, die den eigentlichen medizinischen Texten voransteht. Rechtfertigung der Heilkunde im Lorscher Arzneibuch U. Stoll, Das „Lorscher Arzneibuch“, S. 49 ff.
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Ich bin genötigt, denen zu erwidern, die sagen, ich hätte dieses Buch unnützerweise geschrieben, indem sie behaupten, darin stehe nur wenig Wahres geschrieben. Jedoch wie taub hörte ich nicht auf ihre Worte (Ps 38,14), weil ich die Notlage der Hilfsbedürftigen für wichtiger ansah als den Tadel derer, die gegen mich tobten. Deshalb werde ich ihnen erwidern, nicht mit meinen eigenen Worten, sondern mit denen der Heiligen Schrift. Ist doch die menschliche Heilkunst durchaus nicht zu verschmähen, da feststeht, dass sie den göttlichen Büchern nicht unbekannt ist. Das bisher Gesagte werde als mit der Gunst des Herrn nunmehr fortgesetzt. […] Wir nehmen aber wahr, dass nicht nur die Medizin als solche in den göttlichen Büchern erwähnt wird, sondern wir finden auch Namen von Arzneisorten, aus denen sie jeweils hergestellt wird. Denn bei Jeremias liest man: „Ist denn kein Balsam in Gilead oder ist kein Arzt dort? Weshalb also ist die Narbe nicht abgeheilt.“ (Jer 8,22) Und wiederum derselbe Prophet: „Wenn du dich“, sagt er, „auch mit Natron gesäubert hast und viel Seifenkraut angewendet hast, bist du doch befleckt.“ (Jer 2,22) […] Denn aus drei Ursachen wird der Leib von Krankheit befallen: aus einer Sünde, aus einer Bewährungsprobe und aus einer Leidensanfälligkeit. Nur dieser letzteren kann menschliche Heilkunst abhelfen, jenen aber einzig und allein die Liebe der göttlichen Barmherzigkeit. Gleichwohl wurden auch sie bisweilen nicht ohne menschliche Beihilfe geheilt. Das legen wir besser dar, wenn wir einen Beleg bringen. Aufgrund von Sünde nämlich wurde Saulus mit dem Verlust des Augenlichts geschlagen, wird jedoch nur geheilt durch die Handauflegung eines Menschen (Apg 9,8–18). […]
Diese Rechtfertigung verweist deutlich auf die trotz politischer Unterstützung in der klösterlichen Umwelt noch immer keineswegs selbstverständliche Verbreitung und praktische Anwendung von Heilwissen. Untermauert wird der durchgängig hippokratische, durch christliches Gedankengut überformte Geist des Kompendiums denn auch durch eine geschickte rhetorische Ablehnung volksmedizinisch-magischer Elemente.
d) Volksmedizin und Magie Die bewusst christliche Ausrichtung des Lorscher Arzneibuchs unter konsequenter Zurückweisung von Magie und Aberglauben darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Klostermedizin als Bewahrerin der griechischrömischen Heilkunde trotz ihrer unbestreitbar weitreichenden Wirkung keinesfalls in alle Bereiche des medizinischen Alltags vordrang. Neben dieser existierte auch weiterhin eine in ihrer Tragweite aufgrund des Fehlens schriftlicher Zeugnisse kaum abzuschätzende Volksmedizin, für die – von jeglichem theoretischen Überbau unberührt – neben Erfahrung im Umgang mit Krankheiten auch magische Elemente eine Rolle spielten. Die Stab-
Merseburger Zaubersprüche und Leechbooks
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Die Grundlagen der mittelalterlichen Medizin
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reime der so genannten Merseburger Zaubersprüche, die im Einband eines Gebetbuches in der Bibliothek des Merseburger Domkapitels entdeckt wurden, werfen ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Bedeutung der Magie innerhalb des volksmedizinischen Alltags. Nicht Christus, Wodan tritt hier in einem der Reime, dessen Ursprung bis in die Abfassungszeit des Lorscher Arzneibuchs zurückreicht, als Heiler in Erscheinung. Er ist derjenige, dem unter ständiger Beschwörung die Heilung einer Verrenkung – in diesem Fall der eines Pferdes – überantwortet wird. Ein weiteres eindrucksvolles Zeugnis für die Anwendung magischer Praktiken im Rahmen der medizinischen Alltagspraxis liefert das im 10. Jahrhundert auf den Britischen Inseln entstandene Leechbook des Bald. Ein gewisser Bald, von dem nicht mehr bekannt geworden ist als sein Name, verfasste das Kompendium in der angelsächsischen Vulgärsprache und gemäß den Ausführungen der Handschrift zum Eigengebrauch. Er gehörte zu jener Gruppe von weltlichen Heilkundigen, die nicht an den Klosterschulen ausgebildet wurden und über die bis heute nur wenig bekannt ist. Die Leeches erwarben ihr Wissen in einer Art Ausbildung, die am ehesten mit einer handwerklichen Lehre verglichen werden könnte, und zogen wahrscheinlich von einem Ort zum nächsten. Einschübe in lateinischer Sprache sowie Plinius dem Älteren oder Alexander von Tralleis ( um 525–ca. 605) zugeschriebene Passagen weisen ebenso wie Empfehlungen zum Lesen einer Messe über bestimmte Heilkräuter darauf hin, dass der heilkundige Empiriker einen gewissen Bildungsstand besaß und dass ihm die klösterliche Medizin nicht fremd war. Nicht wenige Rezepte hingegen enthalten eindeutig magische Beschwörungsformeln, die einen Patienten von seinem Leiden befreien sollen. Ein weiteres Zeugnis magisch-medizinischer Natur ist das im gleichen Kulturraum im 11. Jahrhundert zusammengefügte Sammelwerk Lacnunga. In diesem Werk verschmolzen christliche Vorstellungen mit heidnischen Traditionen zur Behandlung von Krankheiten aller Art. Lateinische Gebete oder ein Stab mit den Namen der Evangelisten gehörten beispielsweise zum Fertigungsprozess einer Heilsalbe, deren Grundstoff Butter einer weißen und einer roten Kuh sein musste. Als Verursacher der Beschwerden wurden häufig Kobolde oder Elfen angesehen. Doch selbst den frühmittelalterlichen Mönchen in den Klöstern waren die Vorstellungswelten des Leechbook oder der Lacnunga keineswegs fremd. Auch sie scheuten sich nicht, in althergebrachter Weise Sprüche zur Vertreibung krankheitsverursachender Elfen zu benutzen.
e) König Lothar II. und Theutberga. Ein Beispiel zur Bedeutung der Magie in mittelalterlichen Krankheitskonzeptionen Magie vermochte nach zeitgenössischer Vorstellung nicht nur zu heilen, sie konnte auch Krankheit verursachen. Bis weit über das Mittelalter hinaus spielte die Magie eine nicht zu verkennende Rolle für die Konzeption von Krankheit. Ein Beispiel für die Wirkung dieses Motivs bieten die Auseinandersetzungen um die Ehe König Lothars II. (gest. 869) mit seiner Gattin
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Bewahrung des klassischen Erbes Theutberga. Im Jahre 855 schloss König Lothar II. die Ehe mit Theutberga aus dem Adelsgeschlecht der Bosoniden. Aus diesem höchst einflussreichen Geschlecht stammten im 9. Jahrhundert mehrere Könige von Burgund und der Provence. Trotz der unverkennbar von pragmatischen Erwägungen geleiteten Eheschließung mochte der König nicht von seiner früheren Verbindung zu einer Frau namens Waldrade lassen. Schon bald strebte er danach, den mit Theutberga geschlossenen Ehebund zu lösen und stattdessen seine inoffizielle so genannte Friedelehe mit Waldrade zu einer Vollehe zu erheben. Diese königlichen Bestrebungen führten zu einer jahrelangen Auseinandersetzung um die königliche Scheidung auf höchster politischer Ebene. Nach einem vorangegangenen Gottesurteil zugunsten Theutbergas widmeten sich gleich mehrere Synoden in Aachen der Angelegenheit. Im Zentrum der Diskussionen stand die schwer wiegende Beschuldigung, Theutberga unterhielte ein inzestuöses Verhältnis zu ihrem Bruder. Ein mit diesem gezeugtes Kind habe sie durch einen Trank abgetrieben. Um die Bedeutung von Magie für mittelalterliche Krankheitskonzeptionen zu beleuchten, ist ein Aspekt von Interesse, der im Rahmen der Auseinandersetzungen über die Auflösung von Lothars Ehe zwar eine untergeordnete, aber keineswegs bedeutungslose Rolle gespielt zu haben scheint: Aus der Ehe mit Theutberga waren keine Kinder hervorgegangen. Mit Waldrade indes hatte der Herrscher mehrere Kinder – darunter vielleicht schon 857 einen Sohn namens Hugo – gezeugt. Die Möglichkeit einer durch magische Kräfte hervorgerufenen Impotenz des Königs, ein triftiger Scheidungsgrund, wurde Gegenstand der theologischen Erörterung. Erzbischof Hinkmar von Reims, der sich entschieden gegen eine Auflösung der Ehe mit Theutberga wandte, befasste sich in einem langen Gutachten über den Fall auch mit der Frage, ob es überhaupt möglich sei, dass ein Mann aufgrund bösen Zaubers zwar zu seiner rechtmäßig angetrauten Gattin nicht in ehelichen Verkehr treten könne, anderen Frauen hingegen beizuwohnen vermöchte. Für den Erzbischof von Reims und seine Zeitgenossen stand trotz der daneben bestehenden christlich motivierten und von den griechisch-römischen Autoren entwickelten Krankheitskonzeptionen außer Frage, dass magische Einflüsse durchaus Impotenz bewirken könnten. Da die Ehe in diesem Fall aus kirchenrechtlicher Sicht nicht vollzogen werden konnte, äußerte sich Hinkmar dahingehend, dass eine Scheidung erfolgen dürfe, sofern Versuche zur Heilung des durch bösen Zauber verursachten Leidens scheiterten. Selbst in späteren Jahrhunderten beschäftigten sich Kirchenrechtler noch verschiedentlich mit der Frage der Eheauflösung wegen angehexter Impotenz. Auch sie schlossen sich – wie beispielsweise Ivo von Chartres am Beginn des 12. Jahrhunderts – dem Urteil des Hinkmar von Reims an. Unklar bleibt, welchen Anteil im Rahmen der geschilderten Scheidungsaffäre der Glaube an die Wirksamkeit solchen Schadenzaubers tatsächlich zukam. Mag die angenommene Impotenz des Herrschers auch auf einer Spekulation fußen, die sich aus den am Hof kursierenden Gerüchten nährte, so hielt es ein angesehner Theologe wie Hinkmar doch immerhin für notwendig, sich ernsthaft mit dem Problem auseinanderzusetzen. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass zeitgenössische Krankheitskonzeptionen sich nicht auf christliche oder rationale Erklärungsmodelle
II.
Impotenz durch Magie
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Die Grundlagen der mittelalterlichen Medizin
II.
beschränkten, sondern auch die Magie und insbesondere den Krankheitszauber wie selbstverständlich umfassten.
3. Einfluss und Assimilation der orientalischen Medizin im mittelalterlichen Westen a) Der Mythos von der „arabischen Medizin“ Orientalische Medizin
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Zeitgleich mit der Neuentdeckung Aristoteles’ im Abendland während des 12. Jahrhunderts begann sich auch der Kreis der medizinischen Bildungsinhalte zu schließen. Bis zum Ende des Jahrhunderts flossen durch Übersetzungen, vor allem ins Lateinische, all jene griechisch-arabischsprachigen Medizinalschriften in den Westen, die künftig zu den elementaren Bestandteilen heilkundlicher Ausbildung zählen sollten. Bevor die wesentlichen Grundzüge dieses Heilwissens skizziert und einige seiner herausragendsten Vertreter näher betrachtet werden, gilt es zunächst einen Mythos zu zerstören: Eine „arabische Medizin“, von deren Rezeption im hochmittelalterlichen Westen in vielen Geschichtswerken noch immer die Rede ist, hat es im strengen Wortsinn nie gegeben, wie Jean-Charles Sournia zuletzt 1999 im Rahmen der mehrbändigen, von Richard Toellner herausgegebenen Illustrierten Geschichte der Medizin zu Recht betont hat. Auch der von einigen Wissenschaftlern vorgeschlagene Begriff der „islamischen Medizin“ wird der Sache kaum umfassend gerecht. Die überwiegende Zahl der Heilkundigen, deren medizinische Schriften während des hohen Mittelalters in das Abendland gelangten und die den Kern orientalischer Medizin bildeten, waren keine Araber und nicht wenige von ihnen nicht einmal Muslime. Vor allem Perser, Juden, orthodoxe Griechen, syrische Christen, Berber und Tadschiken bewahrten im Orient das Erbe der griechisch-römischen Heilkunde und entwickelten diese weiter. Doch auch die wissenschaftliche Literatur in griechischer Sprache fand ihren Weg keineswegs immer direkt ins Arabische. Vielmehr diente das Altsyrische, das von den orientalischen Völkerschaften des Frühmittelalters vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf sowie von Südpalästina bis zum iranischen Hochland verstanden wurde und das im 7. Jahrhundert die höchste Blüte erlebte, wahrscheinlich als erste Sprache für eine Übersetzung der klassischen Wissenschaftsliteratur. Erst im 9. Jahrhundert setzte eine umfassende und intensive Übersetzertätigkeit wissenschaftlicher Texte ins Arabische ein, die im 10. Jahrhundert unvermindert andauerte. Zu dieser Zeit hatte sich das Arabische innerhalb des islamischen Herrschaftsbereichs längst zur Kultur- und Verkehrssprache entwickelt, in der ganz selbstverständlich jüdische und christlich-orientalische Ärzte wie auch solche nicht arabischer islamisierter Völker ihre Schriften abfassten. Das während des Hochmittelalters in den Westen gelangte Heilwissen ist in diesem Sinne als arabischsprachige oder orientalische Medizin zu bezeichnen.
Einfluss und Assimilation der orientalischen Medizin
II.
b) Die Impulse der arabischsprachigen Medizin und ihr Weg ins Abendland Ein weiteres Mal taten sich die Klöster, nunmehr flankiert von der im Geiste der Klostermedizin erschaffenen Schule von Salerno, seit dem 11. Jahrhundert als Zentren medizinischer Wissensvermittlung hervor. Untrennbar mit dem Beginn der regen Übersetzertätigkeit arabischsprachiger Medizinalschriften verbunden ist der Name Constantinus Africanus. Zwischen 1010 und 1015 unter unbekanntem Namen im nordafrikanischen Karthago geboren, erwarb er als Kräuterhändler auf seinen weiten Reisen reichhaltiges Wissen über die Heilmittel des Orients. In den 1070er-Jahren zwang ihn der Vorwurf der Zauberei zur Flucht aus seiner Heimat nach Süditalien. Dort gelangte er an die Medizinschule von Salerno, wo er sich jedoch nicht lange aufhielt. Nachdem er sich, wohl zum Christentum konvertiert, zunächst in das Kloster der heiligen Agathe von Aversa zurückgezogen hatte, führte ihn sein Weg schon bald nach Montecassino. Abt Desiderius, der spätere Papst Viktor III., nahm Constantinus dort wahrscheinlich als Laienbruder auf. In der Folgezeit unternahm er eine mehrjährige Reise, um medizinische Schriften für die salertanische Schule zusammenzutragen. Bis zu seinem Tod im Jahre 1087 in Montecassino übersetzte er alle ihm wichtig erscheinenden arabischsprachigen Werke ins Lateinische. Seine Rolle als Wegbereiter arabisch-medizinischer Übersetzungen hat ihm bisweilen gar den Titel eines „Lehrmeisters des medizinischen Abendlandes“ eingetragen. Als bedeutendster hochmittelalterlicher Übersetzer medizinischer Schriften arabischer und antiker Verfasser neben Constantinus Africanus wirkte der um 1114 geborene Gerhard von Cremona. Er übertrug unter dem Titel Canon medicine die bedeutende Lehrschrift des Ibn Sīnā (Avicenna) ebenso ins Lateinische wie die des Ar-Rāzī (Rhazes) und Galen. Jahrhundertelang bestimmten diese Werke von nun an den universitären Unterricht. Die Erweiterung des medizinischen Erkenntnishorizonts durch die Übersetzung der orientalischen Werke war beträchtlich. Die Schriften des um 850 im ägyptischen Kairo geborenen jüdischen Arztes Isaak Judaeus, die zu den ersten von Constantinus Africanus übersetzten Werken zählten, widmen sich der Fieberlehre und der Urindiagnose. Rhazes. Abū Bakr Muh ammad ibn Zakarīyā, gen. ar-Rāzī (865–925) wurde in Raiy in der persischen ˙Provinz Hurāsān geboren und entfaltete nach einem Stu¯ dium der Musik, Chemie und Medizin eine umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit. Als sein Hauptwerk gilt die so genannte Zusammenfassung der Medizin, das zahlreiche Verweise auf die antiken griechischen und frühere arabischsprachige Autoren enthält. Die größte Verbreitung erlangten daneben das neunte Buch seines Liber Almansorem sowie sein Traktat über die Pocken und Masern. Ar-Rāzī diente auch als Arzt an den Höfen zahlreicher Herrscher und leitete das Hospital seiner Geburtsstadt Raiy.
Constantinus Africanus
Pocken, Masern, Fieberlehre
E
Das Buch des nestorianischen Christen Hunain ibn Ishāq (808–873), der ˙ Einführung˙ in die Medizin zu als Arzt am Hof des Kalifen wirkte, wurde als einem der herausragendsten und beliebtesten Unterrichts- und Prüfungswerke mittelalterlicher Universitäten. Besonders hervor tat sich Hunain fer˙ ner durch seine große augenheilkundliche Abhandlung. Das Hauptwerk
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Die Grundlagen der mittelalterlichen Medizin
II.
E
Chirurgie
des um die Mitte des 10. Jahrhunderts wirkenden Alī ibn al-Abbās alMag˘ūsī, in der lateinischen Scholastik unter dem Titel Liber regius bekannt, wurde von Constantinus Africanuns unter dem Namen Liber pantegni der Schule von Salerno zugänglich gemacht. In Anlehnung an die Lehren antiker Autoren enthält es nicht nur Anweisungen zur Gesundheitspflege und Heilkunde, sondern auch Berichte über die medizinische Ausbildung in Hospitälern des Orients. Der lange Zeit als das grundlegendste Werk arabischsprachiger Heilkunde angesehene Liber pantegni wurde nach Gerhard von Cremonas Übersetzung von Ibn Sīnās monumentaler Schrift nach und nach durch diese abgelöst. Der universal gebildete Perser galt während des gesamten Mittelalters als der exponierteste Vertreter der arabischsprachigen Medizin, dessen Schriften die größte Wirkung in der abendländischen Ärzteschaft entfalteten. Avicenna. Abū Alī al-Husain ibn Abd Allāh ibn Sīnā al Qānūnī (980–1037) wurde in der persischen ˙Stadt Afsˇana geboren. Er genoss eine umfassende Ausbildung in Grammatik, Physik, islamischem Recht und Philosophie. Schon als Siebzehnjähriger wurde er vom Sultan zu medizinischen Konsultationen hinzugezogen. Als Arzt, Astronom und politischer Ratgeber wirkte er an zahlreichen Höfen. In Isfahān ließ er sich schließlich dauerhaft nieder. 1037 starb er auf einem Feldzug. Sein von mittelalterlichen Autoren vielfach rezipiertes und kommentiertes Hauptwerk unter dem Titel Al-qānūn fi-t-tibb, Die Regel der Heilkunde, trug ihm ˙ ˙ Ärzten“ (princeps medicorum) ein. die Bezeichnung eines „Fürsten unter den
Bahnbrechend für die Entwicklung der abendländischen Chirurgie wirkte schließlich das Werk des um 1010 verstorbenen Abūl-Qāsim Halāf ibn ¯ spanial-Abbās az-Zahrāwī (Abulkasis), der als Leibarzt zweier Kalifen im schen Cordoba ˙ gedient hatte. Von besonderem Interesse waren dabei neben den Anweisungen zur Durchführung der Eingriffe vor allem die detaillierten Beschreibungen und Darstellungen der chirurgischen Instrumente. In allen Teilgebieten der Medizin, so zeigen die ausgewählten herausragenden Beispiele deutlich, erfuhr die mittelalterliche Heilkunde im Abendland durch die Übersetzung der orientalischen Traktate die Vervollkommnung ihrer Grundlagen.
4. Zusammenfassung Die Schriften griechischer und römischer Autoren, insbesondere das hippokratische Corpus und die Lehren Galens, bilden die Grundlagen mittelalterlicher Gesundheitspflege und Heilkunde. Nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches gegen Ende des 5. Jahrhunderts als Kultur- und Bildungsträger werden die Kathedralschulen und Klöster zu Bewahrern wie Vermittlern des antiken Wissens. Neben der Klostermedizin existierte weiterhin eine empirisch motivierte Volksmedizin, zu deren festen Bestandteilen auch magische Praktiken zählten. Magische Einflüsse waren auch in Kreisen von Klerus und Herrschenden als Erklärungsmodell für Krankheit akzeptiert. Mit der Übernahme des griechisch-arabischsprachigen Medizinalschrifttums im 11. und 12. Jahrhundert fand das System der mittelalterlichen Heilkunde seinen theoretischen Abschluss.
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III. Die Zeit der Klostermedizin 329–379 480–550 um 820 Mitte 9. Jh. 1098–1179 1130
Basilios der Große Benedikt von Nursia Klosterplan von St. Gallen Kräuterlehre des Abtes Walahfrid Strabo Hildegard von Bingen Die Synode von Clermont untersagt Geistlichen das Studium der Medizin um 1132 Errichtung des Großen Infirmariums in Cluny unter Abt Petrus Venerabilis 1150–1160 Entstehung der heil- und naturkundlichen Werke Physica und Causae et curae Hildegards von Bingen 1163 Das Konzil von Tours untersagt Klerikern erneut die Ausübung der Heilkunst 1215 Das Vierte Laterankonzil verbietet Klerikern endgültig die Ausübung der Chirurgie
1. Stätten von Heil und Heilung a) Die Stellung der Kranken in den Ordensregeln Die Klöster des frühen Mittelalters waren als Bewahrer des antiken Heilwissens nicht allein Zentren der Gelehrtenkultur. Sie waren zugleich Orte, an denen das Gebot gegenüber Kranken, Armen und Fremden christliche Nächstenliebe zu üben selbstverständlich zum Alltag gehörte. Die Klöster verstanden sich im Einklang mit der Regel des heiligen Benedikt zugleich als Stätten des Heils wie der Heilung. Sie sorgten sich um die Seele, die cura animae, ebenso wie um den Körper, die cura corporis. Leitend wirkten dabei die wegweisenden Worte im 25. Kapitel des Matthäus-Evangeliums: „Ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet. Ich war krank und ihr habt mich besucht. […] Ich war hungrig, und ihr habt mich gespeist.“ Schon Augustinus (354–430), der Bischof von Hippo, forderte in seiner späterhin ebenfalls weite Verbreitung erfahrenden und zugleich ersten Ordensregel des Abendlandes eine Versorgung Kranker wie Bedürftiger. In jeder Gemeinschaft, die den Weisungen des Augustinus folgte, sollte für das Wohlergehen der Kranken ein Mitbruder im Sinne der Caritas Sorge tragen. Viele der zahlreichen hospitalischen Bruderschaften, die noch im 12. Jahrhundert ohne feste Regel lebten und somit der kanonischen Aufsicht entzogen waren, nahmen in Ausführung entsprechender Konzilsbeschlüsse im 13. Jahrhundert die Augustinusregel als normative Grundlage ihrer Gemeinschaft an. Die Synoden von Paris im Jahre 1212 und von Rouen 1214 und schließlich auch das vierte Laterankonzil 1215 hatten mit Nachdruck viele dieser Gemeinschaften zur Annahme einer Regel verpflichtet. Die auf die Krankenpflege spezialisierten Bruderschaften ent-
Heil von Seele und Körper
Augustinusregel
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Die Zeit der Klostermedizin
III.
schieden sich vorwiegend zugunsten der Augustinusregel, wie schon der Chronist Jakob von Vitry betonte. Treffend charakterisierte der französische Historiker Michel Mollat diese Entwicklung in seinem grundlegenden, im Jahre 1978 erschienenen Werk zur Geschichte der Armut im Mittelalter als „ein deutliches Indiz nicht nur für den Aufschwung der Armenfürsorge insgesamt, sondern auch für den Geist, von dem die Organisationen getragen wurden.“
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Die kranken Brüder. Kapitel 36 der Benediktsregel B. Frohn, Klostermedizin, S. 18 f. Die Sorge für die Kranken muss vor und über allem stehen: Man soll ihnen so dienen, als wären sie wirklich Christus; hat er doch gesagt: Ich war krank, und ihr habt mich besucht, und: Was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan. Aber auch die Kranken mögen bedenken, dass man ihnen dient, um Gott zu ehren; sie sollen ihre Brüder, die ihnen dienen, nicht durch übertriebene Ansprüche traurig machen. Doch auch solche Kranke müssen in Geduld ertragen werden; denn durch sie erlangt man größeren Lohn. Daher sei es eine Hauptsorge des Abtes, dass sie unter keiner Vernachlässigung zu leiden haben. Die kranken Brüder sollen einen eigenen Raum haben und einen eigenen Pfleger, der Gott fürchtet und ihnen sorgfältig und eifrig dient. Man biete den Kranken, sooft es ihnen gut tut, ein Bad an; den Gesunden jedoch und vor allem den Jüngeren erlaube man es nicht so schnell. Die ganz schwachen Kranken dürfen außerdem zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit Fleisch essen. Doch sobald es ihnen besser geht, sollen sie alle nach allgemeinem Brauch auf Fleisch verzichten. Der Abt sehe es als eine Hauptsorge an, dass die Kranken weder vom Cellerar noch von den Pflegern vernachlässigt werden. Auf ihn fällt zurück, was immer die Jünger verschulden.
Basiliosregel
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Inspiriert vom Geist des Augustinus gründete der Kirchenvater Basilios der Große (330–379), der ebenfalls eine jahrhundertelang für die östlichen Kirchen grundlegende Regel schuf, nach der Rückkehr vom Nil in seine kleinasiatische Heimat eine Einsiedler-Gemeinschaft nach augustinischem Vorbild. In diesem Umfeld entstand offenbar schon bald eine von den späteren Geschichtsschreibern ins Mythische verklärte Einrichtung zur Kranken- und Armenfürsorge. Dieses so genannte Xenodochium, nach der ursprünglichen Wortbedeutung eine Fremdenherberge, vor den Toren des kleinasiatische Caesarea (heute Kayseri in Ost-Anatolien) bot angeblich als ein von der Außenwelt abgeschlossenes Großhospital unterschiedliche Versorgungshäuser für Kranke, Pilger und sonstige Bedürftige. Zudem verfügte es über eine separate Unterbringungsmöglichkeit für Leprakranke sowie über eigene Unterkünfte für die Ärzte und das Dienstpersonal. Wieweit dieses in späteren Zeiten verklärte Idealbild eines Hospitals den tatsächlichen Gegebenheiten in Caesarea entsprach, ist eher fraglich. Unbestreitbar bleibt, dass sich die Einsiedler-Gemeinschaft in herausragendem Maß um die Fürsorge bemüht hatte. Ihren Durchbruch im frühmittelalterlichen Abendland erreichte die Vorstellung von der Mönchs- als einer Pflegegemeinschaft für Seele und Leib mit der Klostergründung des heiligen Benedikt von Nursia (480–547) auf dem Montecassino im Jahre 529. In seiner als Richtlinie für ein gemeinschaftliches Zusammenleben verfassten Benediktsregel nahm die Fürsorge
Stätten von Heil und Heilung für Kranke und Bedürftige einen besonderen Platz ein. In ihrem 36. Kapitel gibt der Ordensgründer umfangreiche Anweisungen für den Umgang mit den kranken Mitbrüdern (s. Quelle oben). Neben der Pflege galten für die kränklichen und schwachen Brüder besondere Ausnahmen im klösterlichen Alltag. Mit der Arbeit, der jedes Gemeinschaftsmitglied getreu der von Benedikt in seiner Regel ausgegebenen Losung „bete und arbeite“ (ora et labora) nachzugehen hatte, sollten sie nicht überfordert werden. Doch die Vorschriften der Regel widmen sich keineswegs nur der Fürsorge für die kranken Mitbrüder. Im 53. Kapitel der Regel, das sich auf die Aufnahme von Gästen bezieht, findet sich die Weisung zu besonderer Sorgfalt beim Empfang Armer und Fremder. In ihnen, so sagt es der Text, werde Christus selbst aufgenommen.
III.
Benediktsregel
b) Das Idealbild eines benediktinischen Klosters: Der Klosterplan von Sankt Gallen Die praktische Umsetzung all dieser auf die Fürsorge bezogenen Vorschriften verlangte mehr als nur religiöse Überzeugung und guten Willen. Neben baulichen Voraussetzungen, die eine Aufnahme von Gästen unterschiedlicher Art und eine separate Betreuung erkrankter Mitbrüder ermöglichten, bedurfte es pflegerisch erfahrener und arzneimittelkundiger Mitglieder der Gemeinschaft. Wie diesen Forderungen in den ersten benediktinischen Klöstern im Alltag nachgekommen werden konnte, lässt sich in Ermangelung entsprechender Zeugnisse nicht beantworten. Erst im Zusammenhang mit der Unterstützung Karls des Großen für die Reformbestrebungen des Benedikt von Aniane (um 750–821), die eine weitere Verweltlichung des Benediktinerordens abzuwenden versuchten, wird sichtbar, wie sich die benediktinischen Klöster in ihrer baulichen Anlage nach den normativen Vorgaben ausrichteten. Den Idealplan eines benediktinischen Klosters zeigt der um das Jahr 820 im Kloster der Bodenseeinsel Reichenau entstandene so genannte Klosterplan von Sankt Gallen. Am augenfälligsten erscheint zunächst die große Klosterkirche, die im Westen von zwei runden Türmen flankiert wird. Im Westen befand sich der Vorratskeller, im Südwesten die Küche. Im direkten Anschluss an den Ort der Speisenzubereitung lag das so genannte Refektorium, der Speisesaal. Vor dem Betreten des Refektoriums reinigten die Brüder ihre Hände im nahen Brunnenhaus. Östlich des Kreuzgangs fand sich das Dormitorium, der Schlafsaal der Brüder. An dessen südöstlicher Ecke war ein gemeinschaftlicher Abort eingerichtet, der über eine natürliche Wasserspülung verfügte. Der Schlafsaal lag im Obergeschoss des Gebäudes. Durch diese Aufteilung sollte vermieden werden, dass sich in dem Raum zu viel Feuchtigkeit aus dem Boden verbreitete, die der Gesundheit abträglich war. Zugleich wurde die Möglichkeit der Luftzufuhr im Dormitorium verbessert. Im Untergeschoss des Schlafsaales befanden sich häufig eine Sakristei und ein so genannter Kapitel-Saal, in dem bei den Zusammenkünften der Gemeinschaft zu festgelegten Zeiten die Regel zur Einprägsamkeit wieder und wieder verlesen wurde. All diese Räumlichkeiten bildeten den Kern der Klosteranlage, die Klausur, deren Betreten den Mitgliedern der Mönchsgemeinschaft vorbehalten war.
Kloster nach normativen Vorgaben
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Die Zeit der Klostermedizin
III.
Um diesen Kernbereich herum gruppierten sich eine Anzahl weiterer Gebäude. Neben den Wirtschaftshäusern waren dies vor allem Hospitalanlagen im Osten und Westen. Der Sankt Gallener Plan erlaubt dabei eine Unterscheidung dreier in ihrem Zuschnitt unterschiedlicher Einrichtungen. Im Südwesten befand sich das so genannte Hospitale Pauperum, in dem Arme, Pilger und sonstige Bedürftige versorgt wurden. Im Nordwesten lag das den wohlhabenderen Gästen vorbehaltene Hospitium. Hier bezogen die zu Pferde Angekommenen Quartier. Der Besitz eines Reittiers setzt diese Gruppe der Gäste deutlich von den Mittellosen ab. Schließlich findet sich das entsprechend des 36. Kapitels der Benediktsregel den kranken Mitbrüdern vorbehaltene so genannte Infirmarium im Osten des Klausurbereichs. An das Infirmarium angeschlossen waren häufig eine eigens für die Kranken bestimmte Küche mit einem Speisesaal, eine eigene Kapelle sowie Bade- und Aderlasseinrichtungen. Daneben fanden sich eine Unterkunft für den Arzt und eine Apotheke. Die Lagebezeichnungen änderten sich entsprechend in die entgegengesetzte Richtung, wenn der Kreuzgang anders als im Sankt Gallener Klosterplan im Norden der Kirche angelegt war. In diesem Fall läge das Hospitale Pauperum also im Nordwesten. Mehr als die Hälfte aller mittelalterlichen europäischen Klöster folgte diesem durch die Benediktsregel vorgegebenen Anlageschema. Als Idealplan eines Klosters geht die Sankt Gallener Grundrisszeichnung jedoch über die grobe Anlagedarstellung hinaus. Sie zeigt im Detail Zimmer für reisende Mönche am nördlichen Seitenschiff und Unterkünfte für kranke Novizen im östlich gelegenen Noviziat. Ferner existierten bisweilen Unterbringungsmöglichkeiten für Schwerkranke in der Nähe des klösterlichen Kräutergartens im Nordosten, die auf dem Plan nicht dargestellt werden. Mitunter gab es auch ein eigenes Haus zur Versorgung kranker Laienbrüder im Westen einer benediktinischen Klosteranlage. In einiger Entfernung von den gemeinschaftlichen Einrichtungen befand sich ein Gebäude zur Beherbergung Leprakranker.
c) Hospitäler in mittelalterlichen Klosteranlagen
Infirmarium von Cluny
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Es existieren heutzutage keine Klosterhospitäler aus der Entstehungszeit des Sankt Gallener Klosterplans mehr, die eine Umsetzung des Projekts als bauliche Überreste belegen. Erst Klosteranlagen aus späterer Zeit zeigen, in welcher Weise sich mittelalterliche Mönchsgemeinschaften um eine Verwirklichung solcher Idealvorstellungen bemühten. So bestand bereits in der ersten Baustufe des Klosters Cluny in Burgund zwischen 910 und 927 ein Infirmarium, das sich jedoch auf der Basis des spärlichen archäologischen Befundes kaum in seiner Größe fassen lässt. Das um 1040 entstandene so genannte Alte Infirmarium verfügte über vier Zimmer, in denen bis zu acht Bettstätten untergebracht werden konnten. Unter dem Abbatiat Hugos I. von Semur (1049–1109), des Taufpaten Kaiser Heinrichs IV., erfolgte um 1082 eine Erweiterung um 24 Betten. Die Bettenzahl erscheint als eine symbolische Anspielung auf die Zwölfzahl der Jünger Jesu. Unter dem neunten Abt von Cluny, Petrus Venerabilis (1122–1156), erfuhr das In-
Stätten von Heil und Heilung
III.
firmarium einen Ausbau auf 80 Betten und erreichte damit eine Größenordnung, die es nach Einschätzung des Medizinhistorikers Dieter Jetter in dieser Zeit zu einem der größten Spitäler des Abendlandes machte. Die Zisterzienser folgten im 12. Jahrhundert dem benediktinischen Vorbild. Auch in ihren Klöstern befanden sich Infimarienkomplexe, die in den Überresten der einstigen Anlagen – so im nördlich von Paris gelegenen Ourscamp – noch heute sichtbar sind. Und auch die Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner, die sich zu Beginn des 13. Jahrhunderts allmählich entfalteten, integrierten Infirmarien in ihre Klöster. Hospitalische Fürsorge war nach mittelalterlichen Vorstellungen jedoch selbst im Kloster nicht zu allen Zeiten ein reiner Akt der Selbstlosigkeit. Erfolgte in den frühen Mönchsgemeinschaften eine Versorgung der Bedürftigen aus dem uneingeschränkten Motiv christlicher Nächstenliebe heraus, so begann sich dieses Bild im Laufe der Jahrhunderte in erheblichem Maß zu relativieren. Seit die Cluniazenser um die Jahrtausendwende der Auffassung eines zwischen Himmel und Hölle angesiedelten Fegefeuers Vorschub leisteten, aus dessen Hitze die Seelen durch Gebet und gottgefälliges Handeln errettbar wurden, wandelte sich die Selbstlosigkeit zusehends in eine mehr oder weniger kalkulierte Jenseitsvorsorge.
d) Krankenversorgung im Kloster Zuständig für die Versorgung der Kranken war der so genannte Infirmarius. Ihm oblag die Aufsicht über das Infirmarium, in welchem er gemäß den Anforderungen der Regel gottesfürchtig und eifrig dem Wohle seiner Patienten dienen sollte. Unterstützt wurde der als Infirmarius tätige Mönch bei der Bewältigung seiner vielfältigen Aufgaben durch einen Laienbruder (famulus). Die heilkundliche Betreuung der Kranken erfolgte auf der Grundlage der Diätetik. Ein rechtes Maß an Licht und Luft, Essen und Trinken, Bewegung und Ruhe, Schlafen und Wachen, Stoffwechsel sowie Gemütsbewegung sollten demzufolge das Gleichgewicht der Körpersäfte und damit die Gesundheit wiederherstellen. In diesen Zusammenhang gehört etwa, dass die Betten der Kranken regelmäßig aufgeschüttelt werden sollten. Insbesondere aber war die Zuteilung einer ausgewogenen und reichhaltigen Kost vorgesehen. Kranken Mönchen war der ansonsten verbotene Genuss von Fleisch gestattet. Dieses kam nach der Säftelehre einer Vermehrung des als heiß und feucht geltenden Blutes zugute. Auch Wein stand auf dem Speiseplan der Kranken. Bäder durften sie sich richten lassen, soviel es ihnen gut tat – ganz im Gegensatz zu den übrigen Mönchen, die sich nach Auffassung des heiligen Benedikt beim Baden zurückhalten sollten. Während der Zeit ihrer Krankheit waren die Brüder vom übrigen Konvent getrennt. Sie nahmen nicht an den gemeinsamen Chorgebeten teil, speisten in einem eigens für sie bestimmten Refektorium und schliefen in einem gesonderten Dormitorium. In den Rahmen der Behandlungen fiel – ebenfalls in Orientierung an der Säftelehre – der Aderlass. Nicht nur die Kranken, alle Mönche eines benediktischen oder zisterziensischen Klosters
Vergünstigungen für Kranke
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Die Zeit der Klostermedizin
III.
… und Missbrauch
wurden zur Verfrischung der Säfte viermal im Jahr zur Ader gelassen. Die beiden Hochfeste Ostern und Weihnachten schieden aus religiösen Gründen als Aderlasstermine ebenso aus wie aus eher praktischen Erwägungen die Fasten- und Erntezeit. Wie in jeder größeren Gemeinschaft, waren auch die von Frömmigkeit durchdrungenen Mönche in jedem Fall von einem Missbrauch der durch den Krankenstatuts bedingten Vergünstigungen nicht gefeit. Schriftlich überlieferte Klagen aus verschiedenen Konventen über tatsächliche oder vermeintliche Simulanten in den eigenen Reihen machen dies unmissverständlich deutlich. Vor diesem Hintergrund verfügte der Abt Hugo von Semur für die cluniazensische Gemeinschaft, dass jeder Kranke seine Befindlichkeit zunächst vor der Versammlung der Mitbrüder, dem Kapitel, erklären müsse. Erst danach konnte er in den Genuss der besseren Kost und des Dispenses vom Chordienst gelangen. Die Unterschiede zu den Gesunden wurden in symbolischer Weise auch optisch deutlich gemacht. War das Einnehmen der Speise sowie das Schlafen in einem gesonderten Dormitorium von jeher mit dem Krankenstatus einhergegangen, so sollte der Patient nunmehr auch seinen Kopf stets bedeckt halten sowie einen Gehstock gebrauchen. Wer ohne fremde Hilfe wieder in der Küche arbeiten konnte, galt nach der weiterführenden Definition des Krankenstatus im Cluny des 12. Jahrhunderts als vollständig genesen. Doch nicht allein bessere Speise, Befreiung von den Aufgaben, Bettruhe und Aderlass führten zur Genesung. Die Schätze des in jedem Kloster befindlichen Kräutergartens taten, zu Heilmitteln verarbeitet, ihren Teil, um die kranken Brüder auf den Weg der Genesung zu führen.
e) Mönchsarzt und Krankenbehandlung
Medizin im Kloster
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Nicht von ungefähr wird der Abt im Rahmen der Benediktsregel mehrfach mit einem Arzt verglichen, der im übertragenen Sinne die Gebrechen der an ihrer Seele Kranken heilt, Uneinsichtige mit der quasi chirurgischen Maßnahme der Strafe behandelt und hoffnungslose Fälle durch den Ausschluss aus der Gemeinde gleich einem unheilbaren Gliedmaß amputiert. Die Medizin hatte nicht nur einen theoretischen Stellenwert in der Mönchsgemeinschaft. Mönchsärzte wirkten auch in der alltäglichen Praxis. Dies zeigt nicht allein der wahrscheinlich bekannteste Exponent der hochmittelalterlichen Klostermedizin, der Arzt Notker aus dem Kloster Sankt Gallen. Notker war nicht nur hinter den Mauern seines Klosters tätig. Vielmehr machte er sich im 10. Jahrhundert am Hof der ottonischen Herrscher durch seine reichen Erfahrungen bei der Behandlung verschiedenster Leiden und Verletzungen einen Namen. Berühmt ist eine Anekdote geworden, die Notkers herausragende medizinische Kenntnis unterstreicht. Der bayerische Herzog Heinrich I. (gest. 955), ein Bruder Kaiser Ottos des Großen, soll dieser zufolge dem gelehrten Mönchsarzt den Urin einer schwangeren Hofdame als seinen eigenen präsentiert haben. Die Harnschau, bei der die Farbe des Urins und die erkennbaren Sedimente zeitgenössischen Vorstellungen zufolge Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand erlaub-
Stätten von Heil und Heilung
III.
ten, war während des gesamten Mittelalters eines der zentralen Diagnoseverfahren. Notker fiel nicht auf das Verwirrspiel herein. Wortgewandt prophezeite er dem Herzog die Geburt eines Kindes binnen dreißig Tagen als ein göttliches Wunder. Nur wenige früh- und hochmittelalterliche Mönchsärzte sind namentlich bekannt. Noch seltener sind Zeugnisse ihrer heilkundlichen Leistungen, die sie nicht nur der Mönchsgemeinschaft zur Verfügung stellten. Die im Rahmen archäologischer Grabungen auf mittelalterlichen Klösterfriedhöfen zutage geförderten Skelette sprechen für einen guten medizinischen Kenntnisstand unter den Mönchsärzten, insbesondere im Bereich der Chirurgie. Unter den 526 auf dem Friedhof des dänischen Zisterzienserklosters Øm aufgedeckten menschlichen Gebeinen, die hier vor allem im 12. und 13. Jahrhundert beigesetzt wurden, fanden sich zahlreiche Spuren sorgsam ausgeführter Eingriffe. Der Schädel eines 40- bis 50-jährigen Mannes etwa weist am Stirnbein und dem vorderen Teil des Scheitelbeins eine 58 mm lange, zweifelsfrei durch eine Hiebverletzung mit einer Waffe hervorgerufene Öffnung auf. Die Gestalt der einstigen Wunde lässt erkennen, dass der Mann seine schwere Verletzung dank des im Kloster erfolgten medizinischen Eingriffes überlebte. Der schräge Abfall des oberen Knochenrandes deutet darauf hin, dass eine Meißelung aus therapeutischem Zweck stattgefunden hatte. Die Knochensplitter, die sich in die klaffende Wunde gesetzt hatten, müssen mit großen Geschick entfernt worden sein. Gleichzeitig wurden die Wundränder geglättet. Weitere Schädel weisen ähnliche Merkmale operativer Eingriffe auf. Doch auch die erfolgreiche Behandlung von Arm- und Beinbrüchen wird im Spiegel der Skelette von Øm deutlich. Doch nicht nur die Skelette selbst, sondern auch Funde mittelalterlicher medizinischer Instrumente belegen, dass in den Mauern des Zisterzienserklosters chirurgische Behandlungen durchgeführt wurden. Noch lange nach den im 12. und 13. Jahrhundert verfügten Einschränkungen zur Ausübung der Medizin durch Mönche finden sich Belege für das heilkundliche Wirken der Brüder. So belegt beispielsweise die chronikalische Überlieferung der westfälischen Stadt Minden an der Weser, dass dort noch im ausgehenden 13. Jahrhundert ein heilkundiger Dominikaner erfolgreich die Behandlung eines langwierigen Augenleidens bei Bischof Volkwin von Schwalenberg (1276–1293) unternahm. Der Mindener Bischof war zeitweilig mit völliger Blindheit geschlagen und erlangte durch einen nicht beschriebenen Eingriff des Bruders Burchard seine Sehkraft zurück.
f) Natürliche Heilmittel: Der Klostergarten Jedes Kloster verfügte über einen eigenen Klostergarten, in dem Arzneipflanzen und auch Gewürze zur Deckung des klostereigenen Bedarfs angebaut wurden. Bereits das Lorscher Arzneibuch zeigt, wie umfangreich auf der Grundlage des antiken Heilmittelschatzes aus der Natur die Kenntnisse der Mönchsärzte über die Wirkung der Pflanzen waren, die in ihren Gärten wuchsen. Der Sankt Gallener Klosterplan verrät auch die ideale
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Die Zeit der Klostermedizin
III.
Pflanzenarten
Gestaltung des Klostergartens. Um ein Achsenkreuz liegen die vier- oder achteckig angelegten Beete. In den Gärten oder an deren Rand befand sich ein Brunnen für die notwendige Bewässerung der Pflanzen. Die Art und Weise, in welcher die Beete in mittelalterlichen Klöstern bepflanzt waren, lässt sich heutzutage nirgendwo mehr im Originalzustand sehen. Im Laufe der Jahrhunderte veränderte sich ebenso die Systematik der Anordnung wie der Pflanzenbestand an sich. Über die Pflanzen, die in den mittelalterlichen Klostergärten gezogen wurden, unterrichten jedoch so beredte Schriftzeugnisse wie das um die Mitte des 9. Jahrhunderts verfasste Lehrgedicht des Walahfrid Strabo, Abt des Klosters auf der Bodenseeinsel Reichenau. Sein Werk unter dem Namen Hortulus entstand in Anlehnung an die antiken Vorbilder Plinius des Älteren und Dioskurides. Dem Idealplan des mittelalterlichen Klostergartens zufolge wuchsen in 16 Beeten jeweils 16 unterschiedliche Gewächse, darunter Stangenbohnen und Bohnenkraut, Liebstöckel und Pfefferminze, Fenchel, Salbei und Rosmarin. Auch Zierblumen wurden in dem Garten gezogen, die als Schmuck für den Altar Verwendung fanden. Falls der Abt von der Reichenau, was wahrscheinlich ist, sein Werk nach der Gestalt seines eigenen Klostergartens ausgerichtet hatte, so wuchsen in dem Bodensee-Kloster noch Kürbisse, Melonen, Mohn, Kerbel und auch Rettich. Es steht außer Frage, dass die Mönchsärzte aus den im Kloster gedeihenden Pflanzen unter Zufügung weiterer Ingredienzien Arzneimittel etwa zur Fiebersenkung, zum Schweißtreiben oder zum Abführen herstellen konnten und dies gewiss auch taten. Betont sei in diesem Zusammenhang jedoch nachdrücklich, dass man sich aufgrund der kaum exakt zu bestimmenden Dosierung mit der inneren Verabreichung von Arzneimitteln während des gesamten Mittelalters zurückhielt. Heilkräftige Wirkung konnte sich bei falscher Dosierung unweigerlich in das Gegenteil verkehren.
g) Die Äbtissin Hildegard von Bingen und die letzte Blüte der Klostermedizin
Medizinische Vorstellungen
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Mit der Äbtissin Hildegard von Bingen erfuhr das faktisch bereits beendete Zeitalter der Klostermedizin noch einmal eine späte (Nach-)Blüte. Die visionäre und schreibfreudige Mystikerin hinterließ mit ihren zwischen 1150 und 1160 entstandenen Schriften Physica und Causae et curae zwei naturkundliche und medizinische Werke, denen ein langes Nachleben beschieden sein sollte. Das geschlossene Weltbild der Hildegard von Bingen, in dem sich Mikro- und Makrokosmos miteinander zu einer universellen Einheit ergänzen, spiegelt sich auch in ihrem heilkundlichen Werk wider. Die Gestalt des Menschen ist nach dieser Konzeption ein verkleinertes Abbild des Kosmos. Der Mensch erscheint eingebunden in den großen Rahmen der kosmischen Kräfte, hat jedoch die Möglichkeit, auf diese Einfluss auszuüben. Körper und Seele bilden dabei in ihrer Beziehung zueinander ebenfalls eine Einheit. Das geistig-visionäre Gerüst der Ordnung von Mikro- und Makrokosmos fand seinen Niederschlag auch in Hildegards Vorstellungen
Stätten von Heil und Heilung
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von Bau und Funktion des menschlichen Organismus, der Entstehung von Krankheit und schließlich deren effiziente Behandlung. Hildegard von Bingen (1098–1179) wurde als zehntes Kind einer wohlhabenden Familie auf dem Gut Bermersheim vor der Höhe geboren. Im Alter von acht Jahren wurde das Mädchen der von Jutta von Sponheim geführten Klause, die der Abtei Disibodenberg unterstand, zur weiteren Ausbildung übergeben. Hildegard widmete sich dem Studium der Liturgie, biblischer Texte und der sieben freien Künste. Nach dem Tod ihrer Erzieherin und Lehrerin Jutta von Sponheim im Jahre 1136 wurde Hildegard zur neuen Magistra gewählt. Zwischen 1147 und 1152 übernahm sie den Bau eines Klosters auf dem Rupertsberg nahe Bingen, dem sie 1165 ein Tochterkloster in Eibingen bei Rüdesheim zur Seite stellte. Im Mittelpunkt ihres umfangreichen schriftstellerischen Schaffens steht eine visionäre Trilogie, eine Verknüpfung aus Kosmologie und Anthropologie mit Theologie und Glaubensinhalten. Als ein Hauptwerk gilt daneben das so genannte Buch der göttlichen Werke. Daneben entfaltete Hildegard Engagement als Predigerin auf mehren Missionsreisen. 1179 starb die Äbtissin in ihrem Kloster Rupertsberg.
Triebkraft allen Gedeihens innerhalb der Natur war für sie die so genannte viriditas, ein bis dahin nicht bekannter Begriff. Diese „Grünkraft“ kam bei unterschiedlichen Lebensformen in verschiedener Weise zum Ausdruck. Auch beim Menschen zeigte sie sich als jene Lebenskraft, die sich beispielsweise durch die Möglichkeit zur Fortpflanzung manifestierte. Bei den Pflanzen indes bedingte sie nicht nur Wachstum, sondern auch die Heilkraft. Die Heilkunde der Hildegard von Bingen erstreckte sich wie die ihrer antiken Vorbilder auf pflanzliche, tierische und mineralische Arzneimittelbestandteile, deren therapeutische Wirkung sie ausführlich beschreibt. Dennoch bekräftigte auch sie im Einklang mit all ihren Zeitgenossen, dass deren Verabreichung nur durch göttlichen Willen eine Genesung des Kranken herbeiführen könne. Die Wahl des Therapiemittels erfolgte während des gesamten Mittelalters stets in der Absicht einer Wiederherstellung des Gleichgewichts der Körpersäfte. Im Gegensatz zu den orientalischen Ärzten, deren Schriften zu Lebzeiten Hildegards allmählich eine weite Verbreitung fanden, und die in Anlehnung an die galenischen Empfehlungen der Natur der Krankheit gegenüberstehende Mittel anwandten (contraria contrariis), setzte sich im christlichen Abendland die so genannte Signaturenlehre durch. Diese war geprägt von der Vorstellung, durch den Einsatz von Heilmitteln, die der Natur der Krankheit ähnelten, eine bessere Temperierung der Körpersäfte bewirken zu können. Gegen die Lepra, die nach ihrer Einordnung in das galenische Schema der Humoralpathologie als kalt und trocken galt, empfahl die heilkundige Äbtissin etwa Schwalbenkot vermengt mit Klettenkraut zu einem Pulver zu zerstoßen. Mit geschmolzenem Geier- und Storchenfett und unter Zugabe von Schwefel sollte eine Salbe bereitet werde, die im Schwitzbad mehrfach aufgetragen werden sollte. Die therapeutisch-temperierende Wirkung der Salbe begründet sie mit der Wärme des Schwefels, des Schwalbenkots sowie des Storchenfetts im Unterschied zur kalten Natur von Klettenkraut und Geierfett. Das Auftragen der Salbe sollte eine Zersetzung der fauligen, den Aussatz bedingenden Krankheitsmaterie bewirken, die von der Klette angegriffen und durch die Fette wie den Schwefel herausgelöst werden sollte. Da-
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Krankheitsursachen und Behandlungen
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Die Zeit der Klostermedizin
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rüber hinaus empfahl die Äbtissin auch eine Therapie, die sich an einem Krankheitszeichen der Lepra orientierte. Die Erhitzung des Blutes eines Leprakranken, die so genannte Seihprobe, förderte nach zeitgenössischer Vorstellung erdige Bestandteile zutage. Vor diesem Hintergrund empfahl Hildegard im Einklang mit der Signaturenlehre die sympathetische Anwendung von Blut unter Beimischung von Erde. Auf diese Weise könne man dem Aussatz widerstehen, wie ein Feind seinem Feinde, betont Hildegard. All die in ähnlicher Weise gestalteten Beschreibungen von den Krankheitsursachen und Therapien unterschiedlicher Natur finden sich in Hildegards Werk der Causae et curae, den Ursachen und Behandlungen, wieder. Grundlegend für ihre Behandlungsvorschläge ist ihr Modell von der Verteilung der vier Elemente innerhalb des Organismus. Das Feuer befand sich demnach im Gehirn und Mark, das Wasser im Blut und in den Körperflüssigkeiten, die Luft naturgemäß im Atem sowie auch in der Vernunft, die Erde schließlich saß im Gewebe und in den Knochen. Die durch das Zusammenspiel der im Körper auftretenden Elemente verursachte Kreislaufbewegung ermöglicht das Leben. Aus ihrer Beschäftigung mit Heilkunde und Gesundheitspflege erwuchsen zugleich Hildegards Vorstellungen vom idealen Arzt. Barmherzigkeit und Stärke sollten einem Heilkundigen innewohnen. Die in einem engen Lehrer-Schüler-Verhältnis gedachte ärztliche Ausbildung sollte den künftigen Arzt dazu befähigen, seiner Tätigkeit über die medizinische Betreuung hinaus ihren Platz innerhalb des göttlichen Heilsplans zuzuweisen. Wie der Priester sollte auch der Arzt sein durch den Dienst gekennzeichnetes Wirken auf die spätere Heilserfahrung ausrichten. Der größte aller Ärzte, so unterstreicht die Äbtissin in ihrem Werk, ist jedoch Christus selbst.
h) Das Ende der Klostermedizin Die Konzilsbeschlüsse des 12. und 13. Jahrhunderts setzten dem langen Zeitalter der Klostermedizin ein Ende. Zunächst untersagte 1130 die Synode von Clermont Klerikern das Studium der Medizin. Bekräftigt wurden die Beschränkungen klerikaler Ausübung der Heilkunst noch einmal rund dreißig Jahre später auf dem Konzil von Tours. Die Beschlüsse des vierten Lateranums im Jahre 1215 schließlich bereiteten der Klostermedizin endgültig ihr normatives Ende. Kleriker sollten sich nicht länger der Chirurgie widmen. Die Kirche, so lautete der Tenor der Konzilen, schrickt vor dem Blut zurück. Die Folge dieser Bestimmungen war nicht nur eine allmähliche Verlagerung der heilkundlichen Tätigkeit von den Mönchsärzten in weltliche Hände, sondern eine vorher unbekannte scharfe Trennung zwischen der Chirurgie und der theoretischen, inneren Medizin. Damit waren zugleich zwei ärztliche Professionen entstanden. Die erste, die Chirurgie, entwickelte sich in der Folge zunehmend zu einem Handwerksberuf und verschwand zeitweilig aus dem Lehrplan der Universitäten. Die zweite, gewissermaßen die theoretische Medizin, verblieb an der Universität und wurde künftig durch den akademisch gebildeten Arzt, den physicus, repräsentiert.
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Heilige Heiler und ihre Patienten Für diesen Wandel in der Haltung der höchsten Geistlichkeit gegenüber der Ausübung der Medizin durch Kleriker mögen zwei Gründe verantwortlich gewesen sein: Zum einen befürchtete man, die Geistlichen könnten ihre eigenen Pflichten über das Studium und vor allem die zeitaufwändige Ausübung der Medizin vernachlässigen. In diesem Sinne rückten die geistigen Strömungen des 12. Jahrhunderts die Pflege der Seele deutlich gegenüber der Pflege des Körpers in den Vordergrund. Einer der herausragendsten Exponenten des Mönchtums zur Mitte des 12. Jahrhunderts, der Begründer des Zisterzienserordens Bernhard von Clairvaux, war der Klostermedizin gegenüber alles andere als wohl wollend eingestellt. Er akzeptierte sie in ihrer bestehenden Form bestenfalls als ein zu duldendes Übel. Der zweite Grund, der zugleich mit der Abtrennung der Chirurgie aus dem Kreis medizinischer Betätigung zusammenhängt, basiert auf religiös-ethischen Vorstellungen. So ließ es sich kaum miteinander vereinbaren, dass ein Geistlicher möglicherweise sogar im Abstand nur weniger Stunden sowohl mit Blut in Berührung kam als auch den reinen Leib Christi in Form der Hostie zur Messfeier in Händen hielt. Erschwerend kam hinzu, dass für die wenigen anatomischen Sektionen in aller Regel auf die Leichen von Verbrechern zurückgegriffen werden musste. Und auch, wenn der Arzt den Toten gar nicht selbst berührte, sondern durch einen so genannten Prosektor öffnen ließ, haftete dem Vorgang etwas Verunreinigendes an. Immerhin wurde die Integrität eines Körpers zur Befriedigung wissenschaftlicher Neugier mit unwiderruflichen Konsequenzen für den Zustand bei der Wiederauferstehung zerstört. Deshalb hatte schon Augustinus im 5. Jahrhundert den Nutzen anatomischer Sektionen in Zweifel gezogen. Verbunden mit dem für Kleriker erlassenen Verbot zur Ausübung der Chirurgie hat sich das noch heute weit verbreitete Missverständnis entwickelt, die Kirche habe anatomische Sektionen während des Mittelalters generell untersagt. Wenngleich die Geistlichkeit aus den oben genannten Gründen auch eine kritische Haltung zu dererlei Eingriffen bezog, hat ein allgemeines Verbot derselben jedoch nie existiert.
III. Gründe der konziliären Einschränkungen
2. Heilige Heiler und ihre Patienten a) Heilige Fürsprecher gegen spezielle Krankheiten War Christus nach mittelalterlichem Verständnis der höchste aller Ärzte, so stand unter ihm die große Schar der nach göttlichem Willen zur Linderung auch gesundheitlicher Leiden wirkenden Heiligen. Sie spielten für die Behandlung von Krankheiten und die Hoffnung auf Heilung während des gesamten Mittelalters eine kaum zu hoch einzuschätzende Rolle. Besonders die hagiographischen Schriften enthalten eine Fülle von Heilungsberichten, die sowohl das Spektrum der auftretenden Gesundheitsbeschwerden als auch die Wahrnehmung der Ärzte im Hinblick auf ihre Möglichkeiten zur Wiederherstellung des Gesundheitszustandes reflektieren. Die Fähigkeit zur Heilung schwerer oder gar als unbehandelbar einge-
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Die Zeit der Klostermedizin
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Vierzehn heilige Nothelfer
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stufter Krankheiten, vor allem der Lepra, durch göttlichen Willen ist ein zentraler Aspekt in allen Schriften, die über das Wirken von Heiligen noch zu Lebzeiten oder nach ihrem Tode berichten. In solchen Viten und Mirakelberichten zeigt sich nicht selten bereits die besondere Gabe zur Heilung spezifischer Krankheitsphänomene von Augenkrankheiten über Magenbeschwerden bis hin zu Steinleiden. Und selbst bei der Überführung der Gebeine eines Heiligen an eine andere würdevolle Stätte frommer Verehrung, der so genannten Translation, ereigneten sich nicht selten zahlreiche Wunderheilungen. Ein breites Spektrum an Heiligen konnte zur Hilfe gegen und zum Schutz vor bestimmten Erkrankungen angerufen werden. Einen exemplarischen Eindruck hiervon bietet ein Blick auf die „medizinischen“ Zuständigkeiten der so genannten Vierzehn heiligen Nothelfer, deren Verehrung seit dem 9. Jahrhundert bezeugt ist. Gemäß der hagiographischen Überlieferung erbaten diese Heiligen vom Herrn vor ihrem Märtyrertod die Gnade, mit ihren Fürbitten vermittelnd zugunsten leidender Menschen wirken zu dürfen. Vor dem Hintergrund des spätmittelalterlichen Seuchengeschehens erfuhr auch die Verehrung der Vierzehn heiligen Nothelfer weiteren Auftrieb. Regensburg wurde im ausgehenden 14. Jahrhundert zum Zentrum des sich rasch weiter verbreitenden Kultes, wie noch heute in der vermutlich frühesten künstlerischen Gestaltung der Heiligengruppe im südlichen Chorfenster des Regensburger Domes deutlich sichtbar ist. Allen der zum Kreis der vierzehn Nothelfer gehörigen Heiligen kommt nach christlicher Auffassung eine unentbehrliche Fürsprechfunktion im Falle von Krankheit und herannahendem Tod zu. Zu der Gruppe zählen in der Regel der heilige Achatius, der gegen Todesangst und Zweifel angerufen wird, sowie der heilige Aegidius, der für die Ablegung einer guten Beichte zuständig war; ferner die Heiligen Barbara, als Patronin der Sterbenden, Blasius zur Linderung von Halsbeschwerden, Christophorus als Schützer vor einem plötzlichen und unvorbereiteten Tod sowie Cyriacus, der um Schutz gegen Anfechtungen in der Stunde des Todes ersucht wurde. Als weitere Nothelfer gelten die Heiligen Dionysius, der im Falle von Kopfschmerz, und Erasmus, der bei Magenschmerzen und Beschwerden des Verdauungstrakts fürsprechend intervenierte. Der heilige Eustachius wurde in allen schwierigen Lebenslagen um Hilfe gebeten, der heilige Georg unter anderem gegen Seuchen. Die heilige Katharina war zuständig für Zungenleiden und Sprachprobleme. Als Patronin der Gebärenden und Helferin gegen die Schmerzen bei der Niederkunft galt die heilige Margareta. Der heilige Vitus wurde gegen die Fallsucht, die Epilepsie, angerufen. Der Vierzehnte der heiligen Nothelfer schließlich, der heilige Pantaleon, war neben dem Brüderpaar Kosmas und Damian einer der Schutzpatrone der Ärzte. Abhängig von lokalen Gepflogenheiten können manche der Vierzehn heiligen Nothelfer durch andere Heilige ersetzt sein. So taucht anstelle des heiligen Erasmus bisweilen der heilige Nikolaus auf, statt Dionysius findet sich Papst Sixtus II. und der heilige Leonhard für den heiligen Aegidius. Die Zuordnung bestimmter Leiden zu den verschiedenen Heiligen ist keinesfalls willkürlich. Sie erfolgte zumeist in Anlehnung an die Art ihres Martyriums. Der heiligen Margareta etwa, der Patronin der Gebärenden, gelang es der hagiographischen Tradition zufolge, sich mithilfe eines
Heilige Heiler und ihre Patienten
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Kreuzzeichens aus dem Leib eines Drachens zu befreien. Das Untier, das die Heilige zuvor verschlungen hatte, zerplatzte und gab Margareta frei. Der heilige Dionysius (St. Denis), der als Fürsprecher zur Linderung von Kopfschmerzen fungierte, war gemäß der Überlieferung um das Jahr 250 mit dem Schwert enthauptet worden. Der Märtyrer, der traditionell als erster Bischof von Paris gilt, soll sein Haupt vom Richtplatz auf dem Montmartre eigenhändig zu der Stelle getragen haben, an der er bestattet werden wollte. Im Jahre 626 errichtete der fränkische König dort zu Ehren des Heiligen die Abtei von St. Denis, deren Kirche über Jahrhunderte als königliche Grablege diente. Die Werkzeuge ihrer Marter sind den Heiligen in bildlichen und plastischen Darstellungen in der Regel beigegeben. So findet sich beim heiligen Dionysius zumeist das Schwert, beim heiligen Laurentius der Bratrost. Der heilige Erasmus wurde der hagiographischen Tradition zufolge während des 3. Jahrhunderts in Antiochia, dem heute türkischen Antakya, geboren. Um das Jahr 300 wirkte er als Bischof seiner Heimatstadt Antiochia. Vor der Christenverfolgung während der Herrschaft des römischen Kaisers Diokletian floh er in die Einsamkeit der libanesischen Berge, wo er in ständigem Gebet ein Ende der Bedrückung erflehte. Während dieses sieben Jahre währenden Eremitendaseins ernährte ihn ein Rabe, der Speise zu ihm trug. Schließlich erschien Erasmus ein Engel, der ihm die Rückkehr nach Antiochia auferlegte. Dort wurde Erasmus eingekerkert, entwich seinem Gefängnis jedoch mehrfach mithilfe von Engeln. Wieder in Freiheit, soll der Heilige bis nach Illyrien gelangt sein. Abermals in Gefangenschaft geraten, unterzog man ihn zahlreichen Martern. Mit einer Seilwinde wurden die Gedärme aus seinem Leib gerissen, der in heißem Öl gesotten wurde. Einigen Traditionssträngen zufolge konnten all die Martern dem Heiligen nichts anhaben. Er wirkte zahlreiche Wunder, bekehrte zahlreiche Menschen zum Christentum und wurde schließlich vom Erzengel Michael nach Fórmia bei Gaeta in Kampanien geleitet, wo er Jahre später betagt starb. Anderen Berichten zufolge erlag er in Fórmia den Folgen der Marter. Im 9. Jahrhundert erfolgte die Translation der Gebeine des Heiligen nach Gaeta. Daneben gelangten Erasmus-Reliquien bis nach Magdeburg.
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Zu breiter Durchsetzung verhalf dem Nothelfer-Kult die legendenhafte Vision des in der oberfränkischen Zisterzienserabtei Langheim als Schäfer tätigen Hermann Leicht im Jahre 1445. Diesem offenbarten sich eine Gruppe von vierzehn Traumgestalten als die Vierzehn heiligen Nothelfer, die dem Schäfer bedeuteten, eine Kapelle solle zu ihrer Verehrung an diesem Platz errichtet werden.
b) Die Bedeutung heiliger Heiler während des hohen und späten Mittelalters Der große Kreis der Heiligen, die als Fürsprecher gegen Krankheit und für einen gnadenreichen Tod mit den Märtyrern bereits zur Verfügung standen, erfuhr im Laufe des Mittelalters eine kontinuierliche Erweiterung. Besonders Kanonisierungsakten, auf deren Grundlage die spätere Heiligsprechung erfolgte, bieten ein umfassendes Bild von den (wunder)medizinischen Tätigkeiten angehender Heiliger.
Kosmas und Damian
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Die Ärzteheiligen Kosmas und Damian in der Legenda aurea des Jacobus de Voragine Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine, aus dem Lateinischen übersetzt v. R. Benz, Gütersloh 131999. Cosmas und Damianus waren leibliche Brüder und wurden in der Stadt Aegea geboren von einer heiligen Mutter, die hieß Theodora. Sie lernten die Kunst der Ärzte und empfingen so große Gnade in der Kunst von dem heiligen Geist, dass sie alles Siechtum von Menschen und von Tieren vertrieben. Dafür nahmen sie kein Gut. […] Dieser Heiligen Leben kam vor den Landpfleger Lysias, der ließ sie vor sich bringen und fragte sie, wes Landes sie wären, wie ihre Namen und Gewerbe wären. Da antworteten die Heiligen: „Wir sind genannt Cosmas und Damianus; drei anderer Brüder haben wir, die sind genannt Antimus, Leontius und Eupreprius, Arabia ist unser Land; aber wir werben nicht nach irdischem Gut, denn wir sind Christen.“ Da hieß der Landpfleger ihre Brüder auch herbeibringen, dass sie miteinander den Göttern opferten. Da sie dies Gebot verschmähten, ließ er sie gar schwerlich peinigen an Händen und Füßen; aber sie spotteten seiner Strafen. […] Der Papst Felix, der der achte war vor Sankt Gregorio, baute in der Ehre der Heiligen Cosmas und Damianus zu Rom eine gar edle Kirche. In dieser Kirche diente ein Mann den heiligen Märtyrern, dem hatte der Krebs ein ganzes Bein gefressen. Und siehe, als er schlief, erschienen einst Sankt Cosmas und Damianus ihrem Diener und trugen Salben und ärztlich Werkzeug mit sich. Sprach der eine zum andern: „Wo sollen wir frisch Fleisch hernehmen, das Loch zu füllen, da wir das faule Fleisch müssen ausschneiden?“ Sprach der andere: „Auf dem Friedhof zu Sankt Peter ist heute ein Mohr begraben, der ist noch frisch: von dem hole, was wir für diesen brauchen.“ Also lief der eine wohl bald zu dem Friedhof und brachte des Mohren Bein; darnach schnitten sie dem Kranken den Schenkel ab und setzten des Mohren Schenkel an die Stelle, und salbten die Wunde mit Sorgfalt; das Bein des Kranken aber taten sie an des Mohren Leib. Als der Mann erwachte und keinen Schmerz empfand, griff er mit der Hand an die Hüfte und fand sie ohne Fehl. […]
Thomas Becket
Pilgerfahrten zu Heiligengräbern
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Zu einer Zeit, da die Medizin noch keine Pädiatrie kannte und die jüngsten Mitglieder der Gesellschaft durch eine Fülle von Krankheiten wie Unfällen besonders gefährdet waren, finden sich insbesondere Kinder unter den Patienten der Heiligen. Die umfangreichen Schriftzeugnisse über die Wunderheilungen am Grab des einstigen Erzbischofs von Canterbury Thomas Becket etwa, die, um seine Heiligsprechung so rasch wie möglich zu erzielen, präzise aufgezeichnet wurden, veranschaulichen die Zusammenhänge von Heiligkeit und Heilung nach zeitgenössischem Verständnis. Sie schildern die Motive einer Hinwendung Heilung Suchender an den ermordeten Erzbischof und erlauben so Einblicke in den Verlauf vorangegangener medizinischer Behandlungen. Nicht selten nahmen die Eltern kranker Kinder weite Wege auf sich, um für eine Gesundung ihrer Sprösslinge am Grab des heiligen Thomas zu beten oder gelobten im Falle einer Genesung, eine Dankeswallfahrt durchzuführen. So auch im Falle eines gewissen Ferraminus, dessen Geschichte der Mönch Wilhelm von Canterbury in seiner umfangreichen Sammlung der durch den heiligen Erzbischof bewirkten Wunder aufgenommen hat.
Heilige Heiler und ihre Patienten
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Der achtjährige Sohn des Ferraminus, der jenseits des Ärmelkanals lebte, litt aufgrund eines Blasensteins entsetzliche Pein, berichtet der Schreiber. Wasserlassen war für den Jungen bereits unmöglich geworden. Schrecklich sei es anzuschauen gewesen, wie er seinen Körper laut schreiend hin und her geworfen habe. Jeder, der den Achtjährigen in seinem Schmerz gesehen habe, sei zu Tränen gerührt gewesen, fährt der Mönch in seiner Schilderung fort. Doch, so unterstreicht er, die Heilmittel des himmlischen Arztes zeigten immer sofortige Wirkung. Nachdem nämlich der Vater und sein leidender Sohn eine Pilgerfahrt zum Schrein des Märtyrers Thomas Becket nach Canterbury gelobt hätten, sei der schmerzverursachende Stein augenblicklich zerstört worden. Allein durch das Wallfahrtsgelübde und ohne jede weitere Behandlung sei der Junge vollständig genesen, wie Wilhelm hervorhebt. Sechs Monate später traten Ferraminus und sein Sohn in Erfüllung ihres Gelübdes und in der Gewissheit, dass durch die Hilfe des ermordeten Erzbischofs die Krankheit verschwunden war, die Pilgerreise nach Canterbury an. Thomas Becket (1118–1170) wurde als Sohn eines aus der Normandie stammenden Kaufmanns in London geboren. London, Paris, Bologna und Auxerre waren die illustren Stationen seines umfassenden Bildungsweges, der ihm den raschen Aufstieg in der kirchlichen Hierarchie bescheren sollte. Zurückgekehrt in die Stadt seiner Geburt, fand er schnell Aufnahme in den Kreis um Erzbischof Theobald von Canterbury. Theobald weihte Thomas Becket zum Priester und machte ihn zu seinem Archidiakon. Im Jahre 1155 erfolgte auf Vermittlung seines erzbischöflichen Gönners die Ernennung Beckets zum Lordkanzler des englischen Königs Heinrich II. Der offenbar ebenso talentierte wie machthungrige Becket erwarb schon bald die Zuneigung des Königs, hatte großen Einfluss auf die Gestaltung der königlichen Politik und lebte im Pomp. Im Jahre 1162 erhob ihn Heinrich II. als Nachfolger Theobalds auf den Erzbischofsstuhl von Canterbury. Entgegen der königlichen Hoffnung, durch die Ernennung seines Günstlings Becket nun mehr Einfluss auf die Kirchenpolitik in seinem Reich nehmen zu können, veränderte dieser – zumindest nach der Darstellung der ihm positiv gesonnenen Chronisten – sein Leben radikal. Angeblich wurde Becket nun zum Asketen und Unterstützer der Bedürftigen. Sicher ist, dass sein Verhalten auf dem Bischofsstuhl den Unmut des Königs heraufbeschwor. Im Jahre 1164 floh der Erzbischof nach Frankreich und ersuchte bei Papst Alexander III. um die Erlaubnis, von seinem hohen Kirchenamt zurücktreten zu dürfen. Der Pontifex verweigerte dieses Ansinnen allerdings. Becket blieb zunächst in einem französischen Kloster. Nach einem Besuch Heinrichs II., mit dem ein Angebot zur Aussöhnung einherging, kehrte Becket in Erwartung von Unheil 1170 nach Canterbury zurück. Vor dem Altar seiner Kathedrale in Canterbury ermordeten ihn kurz darauf vier Getreue des englischen Königs. Nur vier Jahre nach seinem Tod sprach Papst Alexander III. Thomas Becket heilig. Heinrich II., der bereits im normannischen Avranches um Vergebung für den Mord an Becket ersucht hatte, besuchte das Grab des Märtyrers als Zeichen der Buße. Bald häuften sich Wallfahrten zum Grab Beckets, an dem sich zahlreiche Wunder ereignet haben sollen. Im Zuge der Loslösung Englands von der römischen Kirche ließ König Heinrich VIII. im Jahre 1538 den kostbaren Schrein des Heiligen zerstören.
Hunderte solcher Berichte aus allen Teilen Europas, von denen päpstliche Kanonisierungskommissionen viele nach Zeugenaussagen über die von den angehenden Heiligen bewirkten Krankenheilungen peinlich ge-
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Heilungsberichte und Hagiographie
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Die Zeit der Klostermedizin
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nau aufzeichneten, enthalten in solcher Weise gestaltete Schilderungen. Da die Absicht der Aufzeichner vor allem in der Wiedergabe der Beschreibung von Wundern bestand, handelt es sich mithin um hagiographische Berichte, deren quellentypische Eigenheiten stets zu berücksichtigen sind. Im Hinblick auf die spezifische Frage nach Aussagen über den Umgang mit Krankheiten in mittelalterlichen Gesellschaften erlauben die Berichte zahlreiche Eindrücke von der Behandlung kranker Kinder und Erwachsener. Sie nennen die Namen und häufig auch das Alter der Patienten sowie deren Herkunftsorte. Darüber hinaus geben sie Hinweise auf den Verlauf des Leidens und vorangegangene Versuche zu dessen Behandlung durch einen Arzt oder Wundarzt. In diesem Zusammenhang sei jedoch noch einmal nachdrücklich darauf verwiesen, dass sich die zeitspezifische Wahrnehmung verschiedenster Krankheiten und ihres Schweregrades erheblich von medizinischen Konzeptionen des 21. Jahrhunderts unterscheiden. Schon deshalb ist es unmöglich, Krankheiten, deren Namen im Rahmen der Aussagen gegenüber den mittelalterlichen Kanonisierungskommissionen verwendet wurden, mit heute gebrauchten Bezeichnungen eindeutig zu fassen. Dennoch erlauben die hagiographischen Texte fraglos einen entscheidenden, wenn auch fragmentarischen Eindruck von der mittelalterlichen medizinischen Kultur gerade jener Jahrhunderte, für die Umfang und Vielfalt der in spätmittelalterlichen Städten produzierten Schriftzeugnisse noch fehlen. Dies trifft auch noch für das 12. und 13. Jahrhundert zu, in denen weit verbreiteten Kulte wie der des Thomas Becket oder der der Elisabeth von Thüringen ihren Anfang nahmen. Angesichts der Fülle von Heilungsberichten konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf Heilungen von Kindern als einem Spezifikum. Im Vordergrund stehen dabei die Fragen nach dem Umgang mittelalterlicher Eltern mit einer gefährlichen Erkrankung ihrer Töchter und Söhne sowie nach der Existenz eines Bewusstseins der spezifischen Erfordernisse bei der Behandlung solch junger Patienten.
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Elisabeth von Thüringen (oder auch von Ungarn, 1207–1231) wurde als Tochter des ungarischen Königs Andreas II. und seiner Gemahlin Gertrud von AndechsMeranien wahrscheinlich im nordungarischen Sárospatak geboren. Machtpolitische Interessen des Papstes Innozenz III. führten dazu, dass die erst vierjährige Elisabeth mit dem zu dieser Zeit elfjährigen Sohn des Landgrafen von Thüringen, Hermann, verlobt wurde. Nur zwei Jahre nach der Verlobung, im Jahre 1216, starben Elisabeths Verlobter Hermann und dessen Vater. Nachdem dessen nunmehr erbberechtigter Sohn als Ludwig IV. 1218 die Nachfolge als Landgraf antrat, sollte Elisabeth in ihre ungarische Heimat zurückgeschickt werden. Doch der neue Landgraf nahm 1221 die vierzehnjährige Elisabeth selbst zur Frau. Nachdem sich die Franziskaner 1225 in Eisenach niedergelassen hatten, begann Elisabeth sich für die Ideale des Bettelordens zu begeistern. Beargwöhnt von der Familie und nur unterstützt von ihrem Gatten, häuften sich der hagiographischen Tradition zufolge die Wunderzeichen. Nach dem Tod ihres Mannes Ludwig auf dem 5. Kreuzzug 1227 vertrieb ihr Schwager Heinrich Raspe Elisabeth mitsamt ihren Kindern von der landgräflichen Wartburg. Im Jahre 1229 übersiedelte sie an den Wohnort ihres gestrengen Beichtvaters, des Prämonstratensers Konrad von Marburg. Die einstige Landgräfin entsagte der Welt und trat der Gemeinschaft der Spitalschwestern bei, um in dem von ihr im selben Jahr in Marburg gestifteten Hospital eigenhändig Pflegedienste an den Bedürftigen zu übernehmen. Im Alter von nur 24 Jahren starb Elisabeth am 17. No-
Heilige Heiler und ihre Patienten
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vember 1231 in Marburg, wo sie in dem von ihr begründeten Franziskus-Hospital ihre letzte Ruhe fand. Schon vier Jahre nach ihrem Tod erfolgte die Heiligsprechung durch Papst Gregor IX. Schnell breitete sich die Kunde von Wunderheilungen am Grab Elisabeths aus, die Marburg binnen kurzem zu einem herausragenden Wallfahrtsort werden ließen.
Zu Beginn dieser Ausführungen erscheint es jedoch notwendig, eine Definition des verwendeten Kindheitsbegriffs zu geben. In seiner umfassenden Studie über durch Krankheit und Tod gefährdete Kinder in mittelalterlichen Mirakelberichten hat nicht zuletzt Ronald Finucane 1997 darauf hingewiesen, dass sich Kindheitskonzepte in allen Teilen des mittelalterlichen Europa erheblich voneinander unterschieden und eine einheitliche Definition aus diesem Grund kein einfaches Unterfangen darstellt. Für die folgende Darstellung über den Umgang mit kranken Kindern ist in Einklang mit den unterschiedlichen Bestimmungen des heiratsfähigen Alters in normativen Texten, die in gewisser Weise den Übergang zum Erwachsenenalter markieren, eine Altersobergrenze von 14 Jahren zugrunde gelegt worden. Alle Individuen, von deren Erkrankungen und Heilung im Weiteren die Rede ist, waren dementsprechend jünger. Während die griechischen und orientalischen Vorstellungen über die Gesundheitspflege und Behandlung von Kindern in vielen medizinischen Texten im lateinischen Westen des Spätmittelalters deutlich hervorscheinen, deuten hagiographische und auch historiographische Zeugnisse darauf hin, dass ein Bewusstsein für die speziellen Bedürfnisse kranker Kinder bereits vor dem 13. Jahrhundert existierte. Bernard von Gordons (ca. 1283) Werk mit dem Titel Lilium Medicinae ist die bekannteste im Westen entstandene Medizinalschrift, die sich unter anderem auch der medizinischen Betreuung kranker Kinder widmet. Nicht wenige der zu dieser Zeit und in diesem Zusammenhang verfassten Schriften beziehen sich in der Hauptsache darauf, wie Gesundheitsgefährdungen der Jüngsten vorzubeugen sei. Spezifische Therapieempfehlungen sucht man in aller Regel ebenso vergeblich wie Ausführungen zu den Unterschieden kindlicher und erwachsener Körper. So zeigen beispielsweise hagiographische Texte, dass besonders die jungen Eltern durch ältere Familienangehörige, Nachbarn oder auch den Priester ermahnt wurden, ihre Neugeborenen niemals unbeaufsichtigt zu lassen und sie nach mittelalterlicher Manier sorgfältig in ihre Tücher zu wickeln. So sollte vermieden werden, dass die Neugeborenen sich selbst verletzen konnten. Ein mittelalterlicher Autor, der den Tod eines sechs Monate alten Kindes durch einen Unfall wegen unsorgsam gewickelter Tücher schildert, leitet seinen Bericht mit den mahnenden Worten ein: „Wo immer etwas gleichgültig gegenüber Kindern getan wird, folgt viel Unglück. Einem Kind seine Freiheit zu lassen, wendet so häufig Lachen in Tränen, Freude in Trauer, Händeklatschen in Brustklopfen.“ Philippe von Navarre, der um 1260 eine Abhandlung über die vier Lebensalter des Menschen verfasste, wies darauf hin, es sei allgemein bekannt, dass Kinder von ihrer Geburt bis zum zehnten Geburtstag in der größten Gefahr stünden, zu sterben oder Unfälle zu erleiden. In seiner Aufzählung der Gefahren, denen besonders jüngere Kinder in der mittelalterlichen Lebenswelt ausgesetzt waren, spiegelt sich teilweise die Situation von Eltern
Kranke Kinder und heilige Heiler
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Die Zeit der Klostermedizin
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wider, die die Ärzte und Heiligen um Hilfe ersuchten. Zwar konnten Eltern durch gebührende Aufsicht Unfälle verhindern, Krankheit jedoch nicht. Obwohl insbesondere die hagiographischen Berichte einige Hinweise auf auftretende medizinische Probleme geben, die Eltern zur Anrufung der Heiligen bewegten, sind die Quellen keineswegs zur Rekonstruktion eines Gesamtbildes geeignet. Unspektakuläre Erkrankungen, die durch Selbstmedikation oder nach Hinzuziehung des örtlichen Heilkundigen erfolgreich behandelt werden konnten, tauchen nicht in den Quellen auf. In allen geschilderten Fällen handelt es sich stets um unheilbare und lebensbedrohliche Krankheitsphänomene. Anhand dieser wird indes deutlich, dass die Zuflucht zur Hilfe der Heiligen nicht auf bestimmte soziale Gruppen beschränkt war. Selbst wenn der erste Anschein eine häufigere Frequentierung der heiligen Heiler durch bedürftigere Eltern nahe legt, die sich in Ermangelung finanzieller Mittel eine Konsultation eines Wundarztes oder gar Arztes ersparten, zeigt der Vergleich einer größeren Zahl von Heilungsberichten auch mächtige und betuchte Familien unter den Hilfesuchenden. Wenn es dem Arzt nicht gelang, ihre kranken Kinder zu heilen, erfolgte in der Konsequenz die Anrufung eines Heiligen. Nicht selten zeichnen die zeitgenössischen Berichte das Bild eher geldgieriger denn fähiger Ärzte. Ein Beispiel vom Ende des 12. Jahrhunderts bietet der Fall des fünfjährigen Lawrence aus Oxford. Der Sohn einer wohlhabenden Familie litt seit seiner Geburt an Blasenschmerzen. Die Krankheit verschlimmerte sich, bis der Junge schließlich Blut urinierte. Die Ärzte, die das Kind untersuchten, erkannten auf einen Blasenstein als Ursache für den Schmerz. Ein chirurgischer Eingriff war zur Behebung der Beschwerden nötig. Nachdem der Vater, so beschreibt der mittelalterliche Verfasser des Berichts, eine große Geldsumme für die Heilung seines Sohnes in Aussicht stellte, willigte ein Wundarzt in das Angebot ein. Erschreckt und ängstlich verließen die Eltern des Kindes das Haus, als der Wundarzt mit den Vorbereitungen zu der gefährlichen Operation begann. Er streckte den Jungen auf einem Tisch aus und band in fest. Danach vollführte er den Eingriff so schlecht, dass die auftretenden Blutungen nicht mehr zu stoppen waren. In Panik ließ der Wundarzt seinen jungen Patienten im Stich und floh aus der Stadt. Als die Eltern heimkehrten und ihren sterbenden Sohn vorfanden, erlitt die Mutter einen Nervenzusammenbruch. Der Vater indes betete inbrünstig um die Hilfe der heiligen Frideswide, der Schutzpatronin von Oxford. Er gelobte, seinen Sohn zu einem Diener Gottes zu machen, wenn dieser nur überlebe. Augenblicklich, so will es der Bericht, öffnete Lawrence seine Augen, aß und trank. Nachdem er sich erholt hatte, übergaben seine Eltern den Jungen den Kanonikern, um die heiligen Schriften zu studieren und in der Kirche der heiligen Frideswide zu dienen. Dieser wie auch andere zeitgenössische Berichte verweisen auf die Parallelen und Unterschiede der Behandlung durch Ärzte und Heilige. Während der Arzt finanziellen Lohn für seine Arbeit erhält, wird der Heilige auf spirituellem Wege für seine Bemühungen entlohnt. Dieser geistige Lohn bestand vor allem aus Wallfahrten zu seinem Grab, Wachsspenden, die dem Gewicht des geretteten Kindes entsprachen und anderen Votivgaben. In ganz Europa war es ein allgemeiner Brauch, Kinder für einen bestimmten Heiligen „auszumessen“ und die Maßschnur als Docht einer Kerze ein-
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Zusammenfassung zufügen, die am Grab des Heiligen entzündet wurde. Das Gelübde, bei Heilungserfolg eine Pilgerfahrt vorzunehmen oder eine Kerze zu spenden, hatte die Funktion eines Vertrages. Gab es auch keine Unterschiede zwischen den durch Fürsprache der Heiligen erfolgten Heilungen von Kindern und Erwachsenen, so stehen doch einige Gelübde in direktem Zusammenhang mit der spezifischen Situation Ersterer. Eltern entkleideten beispielsweise ihre Kinder an den Gräbern der Heiligen und ließen deren Kleider als Gabe dort, legten eine frisch geschnittene Haarlocke ihres Sohnes oder ihrer Tochter auf den Schrein oder versprachen deren Eintritt in eine religiöse Gemeinschaft. Nicht zuletzt aufgrund der ständigen Bedrohung durch Seuchen erfuhr das Spektrum der um Hilfe angerufenen Heiligen nach der Mitte des 14. Jahrhunderts eine Ausweitung. Doch nicht alle der im Laufe der Jahrhunderte als Heilige verehrten Personen lassen sich so real fassen wie Elisabeth von Thüringen oder Thomas Becket. Das vielleicht bekannteste Beispiel eines Heiligen, der möglicherweise nicht wirklich gelebt hat, ist der weit verbreitete Heilige zum Schutz vor der Pest, der heilige Rochus. Die Überlieferung zu seinem Leben stützt sich auf zahlreiche Legenden. Diesen zufolge wurde Rochus um 1295 im südfranzösischen Montpellier geboren. Früh soll er seine Eltern verloren und sein Vermögen an die Armen übergeben haben, um dem sogenannten „Dritten Orden“ beizutreten. Unterwegs auf einer Pilgerreise nach Rom, traf er angeblich auf Pestkranke, die er pflegte. Indem er das Kreuzzeichen schlug, wurden die Kranken von ihrem Leiden befreit. Auf seiner Rückreise erkrankte er selbst an der Pest und fand keine Aufnahme im Spital. Im Wald überstand er die Seuche mithilfe eines Edelmannes, der ihm Nahrung brachte. Als Spion verdächtigt, warf man ihn in seiner Heimatstadt in den Kerker, wo er am 16. August 1327 gestorben sein soll. Vor allem als volkstümlicher Heiliger erfuhr der Kult des heiligen Rochus weite Verbreitung, obwohl zu Zeiten seiner vermeintlichen Lebens- und Wirkenszeit noch kein Auftreten der „Pest“ belegbar scheint. Später gegründete Pestspitäler wurden nicht selten nach Rochus benannt. Im Jahre 1415 sollen seine Gebeine nach Venedig gelangt sein, wo zu seinen Ehren 1485 die Kirche S. Rocco errichtet wurde.
III.
Der heilige Rochus
3. Zusammenfassung Die früh- und hochmittelalterlichen Klöster erwiesen sich nicht nur als Bewahrer des antiken Heilwissens, in ihnen fanden Heilkunde und Gesundheitspflege auch praktische Anwendung. Sie verstanden sich als Stätten der Heilung und des Heils, wirkten für Körper und Geist. Die Fürsorge für die kranken Brüder war in den Ordensregeln in unterschiedlicher Form festgeschrieben. Die bauliche Anlage eines Klosters setzte im Idealfall die Forderungen der Regel durch, wie der um 820 entstandene Sankt Gallener Klosterplan zeigt. Im Klosterkomplex befand sich ein Krankenbereich für die Brüder innerhalb der Klausur, das so genannte Infirmarium. Weitere funktionale Gebäude, so die Unterkunft des Arztes und eine eigene Kapel-
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le, schlossen sich diesem an. Für die auswärtigen Gäste existierten zwei unterschiedliche Hospitäler: Eines für die Bedürftigen, eines für die wohlhabenderen und zu Pferde Ankommenden. Die Mönchsärzte wirkten nicht nur im Kloster, sondern auch an den Höfen der Herrscher und in nicht zu ergründendem Umfang zum Wohle der Bevölkerung. In den Klostergärten, die in jeder Einrichtung existierten, wurden unter anderem Pflanzen mit Heilwirkung angebaut. Archäologische Befunde bezeugen außerdem ausgereifte Kenntnisse in der Chirurgie. Während des 12. und 13. Jahrhunderts bereitete eine Reihe von Konzilsbeschlüssen, die Beschränkungen des Medizinstudiums, der Ausübung ärztlicher Tätigkeit und insbesondere der Chirurgie beinhalteten, der jahrhundertelangen Blüte der Klostermedizin ein Ende. Ihren letzten Höhepunkt erreichte die Klostermedizin durch die Äbtissin Hildegard von Bingen, die ihr ganzheitliches Konzept vom Ineinanderfließen des Mikro- und des Makrokosmos ihren heil- und naturkundlichen Schriften überordnete. Die visionäre Klosterfrau vom Rupertsberg lieferte detaillierte Beschreibungen zahlreicher pflanzlicher, tierischer und mineralischer Heilmittel nebst Therapieempfehlungen. Heilige spielten in der Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod während des gesamten Mittelalters eine herausragende Rolle. Gerade für die Jahrhunderte vor der Entstehung eines umfangreichen städtischen Schriftgutes sind es hagiographische Berichte, die Einblicke in die medizinische Kultur gewähren. Wenn die ärztliche Kunst nicht mehr weiterhalf, erfolgte die Anrufung der Heiligen. Ein Großteil der in den Wunderberichten durch himmlische Intervention geheilten Patienten waren Kinder, sodass sich aus dem Material zugleich Rückschlüsse auf den Umgang mit Erkrankungen im Kindesalter ergeben.
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IV. Die Entwicklung der medizinischen Bildung vor 1000 um 1050 1140 12. Jh. 2. Hälfte 12. Jh. Ende 12. Jh. ca. 1260–1325 13. Jh.
Anfänge der Schule von Salerno Gariopontus Medizinalordnung König Rogers II. von Sizilien Antidotarium Nicolaus’ von Salerno Ursus von Lodi Chirurgia Rogers von Salerno Heinrich von Mondeville Gesundheitsregeln von Salerno (Regimen sanitatis Salernitanum) 1219 Entstehung der medizinischen Fakultät von Bologna 1220 Entstehung der medizinischen Fakultät von Montpellier ca. 1240–1311 Arnald von Villanova 1228 Einrichtung einer medizinischen Fakultät an der Universität von Padua 1231 und 1240 Medizinalordnung Kaiser Friedrichs II. im Liber Augustalis 1274 Gründung der medizinischen Fakultät von Paris 1285 Erstmals Organisation der Chirurgen von Paris in einer Zunft (métier) Ende 13. Jh.–1368 Guy von Chauliac 1303 Gründung einer medizinischen Fakultät in Avignon 1348 Erste Universitätsgründung auf Reichsgebiet in Prag 1388 Gründung der Universität Köln
1. Die Schule von Salerno a) Die Frühzeit Der genaue Entstehungszeitpunkt der über Jahrhunderte berühmten Schule von Salerno, der einstigen römischen Hafenstadt Salernum südlich von Neapel, ist im Spiegel der Überlieferung nicht festzustellen. Schon vor dem Jahre 1000 wirkten an ihr vor allem Mönche aus den benediktischen Klöstern und dem Mutterhaus Montecassino als Lehrer und Ärzte. Als Hüterin des antiken Heilwissens, die eine umfassende Sammlung des tradierten Heilwissens zusammengetragen hatte, übte die Schule eine große Anziehungskraft auf Gelehrte der gesamten Mittelmeerregion aus. All jene, die – wie im 11. Jahrhundert der bedeutende Übersetzer Constantinus Africanus – an dieses Zentrum der medizinischen Bildung strömten, brachten Wissen aus ihrer Heimat mit nach Salerno. So verschmolzen dort schon vor der Jahrtausendwende, inspiriert von zeitgenössischem christlichen Geist, griechisches, syrisches, ägyptisches und jüdisches Heilwissen zur theoretischen wie praktischen Grundlage ärztlicher Tätigkeit im christlichen Abendland.
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Die Entwicklung der medizinischen Bildung
IV. Die Entwicklung der medizinischen Schule
Die Kompetenz der Ärzte von Salerno war ohne Frage schon in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts weit über die Grenzen Italiens hinaus hoch geschätzt. So begab sich etwa der 969 zum Erzbischof von Reims ernannte Adalbero noch im selben Jahr nach Salerno, um die dortigen Ärzte zu konsultieren. Offenbar litt der Mann unter einem schmerzhaften Steinleiden, dessen effektive Behandlung nur durch einen operativen Eingriff erfolgen konnte. Diese mit den im 10. Jahrhundert zur Verfügung stehenden Möglichkeiten in jedem Fall lebensgefährliche Behandlung wollte der Geistliche offenbar in besten Händen wissen. Die salernitanischen Ärzte hatten bekanntermaßen bereits zu dieser Zeit Erfahrung in der Ausführung von Harnblasenoperationen. Solche Ausschnitte heilkundlichen Wirkens im frühen Salerno belegen die herausragenden Kenntnis der dort wirkenden Gelehrten. Besser fassbar werden die Strukturen der bedeutenden Schule jedoch erst im 11. Jahrhundert.
b) Die Civitas Hippocratica
Ärzte in Salerno
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Nachdem die Normannen die byzantinische Herrschaft in Unteritalien 1059 abgelöst und Sizilien erobert hatten, wurde die Hafenstadt Salerno weiter aufgewertet. Einhergehend mit den politischen Veränderungen setzte sich der Aufschwung der Schule von Salerno ungehemmt fort. Im Zuge des 12. Jahrhunderts schließlich entwickelte sich das zu jener Zeit unangefochten führende geistige Zentrum medizinischer Lehre und heilkundlichen Wissens im mittelalterlichen Europa zu einer Art eigenständiger und in Anlehnung an ihr medizinisches Betätigungsfeld bisweilen gar Civitas Hippocratica genannter Gelehrtenrepublik. Sie wurde zum Modell späterer Universitätsgründungen im gesamten Abendland. Die herausragendsten der zahlreichen, nach der Jahrtausendwende an der Schule von Salerno wirkenden Ärzte sind nicht nur namentlich bekannt. Sie hinterließen auch medizinische Schriften, in denen sich die Vorstellungswelt hochmittelalterlicher Medizin und Naturwissenschaft widerspiegelt. Der von seinen Zeitgenossen als klügster und edelster Geistlicher bezeichnete Arzt Alphanus (1058–1083), seit 1058 zugleich Erzbischof von Salerno, übernahm die Behandlung des Abtes Desiderius von Montecassino. Der berühmte Patient bestieg im Jahre 1086 als Papst Viktor III. (1086–1087) den Stuhl Petri. Intensiv setzte sich der als Praktiker erfolgreiche Alphanus mit den Theorien des hippokratischen Corpus und den Lehren Galens auseinander. Auf dieser Grundlage schuf er sein Werk über die vier Säfte im menschlichen Körper, das einen wegbereitenden Platz in der Entwicklung der medizinischen Literatur im Abendland einnahm. Kurz vor Alphanus hatte sich neben dem herausragenden Übersetzer Constantinus Africanus, der der Medizinschule durch seine Tätigkeit Zugang zu den wichtigsten medizinischen Schriften in arabischer Sprache verschaffte, noch ein weiterer ärztlicher Lehrer in Salerno einen Namen gemacht. Dieser Gariopontus, der um 1050 starb, folgte den Lehren der klassischen Autoritäten, stellte im Rahmen seines heilkundlichen Wirkens jedoch auch eigene Beobachtungen an. Eindrucksvoll beschreibt er etwa
Die Schule von Salerno die Symptome von Nieren- und Blasensteinleiden wie auch die Entzündung der Blase. Der Drang zu eigener Erfahrung spiegelt sich auch in seinen medizinischen Schriften wider. Als Anhänger der galenischen Lehre ist sein Werk zwar unzweifelhaft von den Denkmodellen der klassischen Autoritäten durchzogen, doch strebte Gariopontus nach einer Erweiterung der Erkenntnis. Wie, so fragt er in seinem Werk, willst du heilen, wenn du die Ursachen nicht kennst? Als wohl bedeutendster Exponent der salernitanischen Schule während der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts schließlich wirkte der 1225 gestorbene Ursus von Lodi. Durch seine auf theologischen Grundlagen aufbauenden naturphilosophischen Lehrmodelle erwarb er sich nicht nur die Anerkennung seiner Schüler, sondern in der Nachwelt zugleich den Ruf eines der herausragendsten Vertreter naturwissenschaftlichen Denkens im mittelalterlichen Europa. Doch nicht nur Männer wirkten an der Schule von Salerno. Eine Heilkundige namens Trotula, über deren Lebensweg und -umstände keine weiteren Zeugnisse vorliegen, hinterließ zwei Werke, die sich in der mittelalterlichen Heilkunde großer Beliebtheit erfreuten. Während sich ihr Hauptwerk unter dem Titel De passionibus mulierum seu de remediis mulieribus (Über die Leiden der Frauen oder die Heilmittel für Frauen) mit gynäkologischen Fragen befasst, widmet sich ein weiteres Werk der Zusammensetzung von Arzneimitteln. Die Inhalte ihrer Traktate deuten darauf hin, dass diese an der Wende zum 12. Jahrhundert zusammengestellt worden sind. Trotula ist zwar durch ihre Schriften die bekannteste der in Salerno tätigen Frauen, sie war jedoch nicht die einzige. So verfasste eine Heilkundige namens Abella ein Werk über einen der vier Körpersäfte, die schwarze Galle. Auch der Name einer gewissen Rebecca aus der Familie Guarna findet sich unter den in Salerno wirkenden Ärztinnen. In diesem Rahmen sei auch noch die in sehr viel späterer Zeit praktizierende Calenda (1326–1382) erwähnt. Nachdem sie die Medizinschule verlassen hatte, übte sie die Heilkunde am Hof Johanns I. von Neapel aus. Rebecca Guarna war nicht das einzige Mitglied ihrer Familie, die eine medizinische Ausbildung an der Schule von Salerno genoss. Schon während des zwölften Jahrhunderts entwickelten sich in Familien wie den Guarna, den Ferrari oder den Plateari, die ihre Sprösslinge zur Ausbildung an die berühmte Schule entsandten, frühe Ärztedynastien. An der Medizinschule von Salerno prägten sich im Laufe der Zeit die Anatomie und die Chirurgie als eigene Disziplinen aus. Als deren wohl berühmtestes Werk gilt die am Ende des 12. Jahrhunderts erstellte Chirurgia Rogers von Salerno. Die in Zusammenarbeit mit vier weiteren Lehrern der Schule entstandene Schrift veranschaulicht die praktischen Erfahrungen des Chirurgen im Umgang mit dem menschlichen Körper und fand an den mittelalterlichen Universitäten später weite Verbreitung. Roger beschreibt in seinem Werk Beschwerden des Kopfes, des Rumpfes sowie der Extremitäten. Verletzungen am Haupt empfahl er mit besonderer Sorgfalt zu behandeln. Man solle dem ersten Anschein niemals trauen, rät er auf der Grundlage eigener Beobachtungen. Daneben galt sein Interesse unter anderem der Kauterisierung, dem Ausbrennen mit dem Brenneisen. Roger hatte reichlich Gelegenheit, praktische Erfahrung im Umgang mit Patienten zu
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Frauen in Salerno
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Die Entwicklung der medizinischen Bildung
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Antidotarien
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sammeln. Im Zeitalter der Kreuzzüge spielte die Hafenstadt Salerno nicht nur für den Güternachschub der christlichen Kombattanten im Heiligen Land eine wichtige Rolle. Verwundete, die die lange Schiffspassage zurück in den Westen lebend überstanden hatten, wurden in Salerno versorgt. So beschreibt Roger detailgetreu Verletzungen durch Pfeile und weist auf die Gefahren beim Entfernen der Geschosse hin. Er empfiehlt, zur Extraktion des Pfeils ein Eisenrohr um den Schaft herum in die Wunde einzuführen. Eine Prozedur, die dem Verwundeten fraglos große Schmerzen bereitet haben muss, ihm unter Umständen aber das Leben retten konnte. Auf diese Weise eingebettet, war das Risiko eines großflächigen Zerreißens von Gewebe durch das Herausziehen des Pfeils und eines dadurch bedingten größeren Blutverlusts gemindert. Zum Zwecke anatomischer Sektionen allerdings gelangten weniger Menschen denn Tiere auf die Seziertische von Salerno. Nicht von ungefähr entstand vor diesem Hintergrund eine Schrift über die Sektion von Schweinen, die Anatomia porci. In häufiger Ermangelung menschlicher Körper zum Studium der Anatomie griff man offenbar vor allem auf Schweine zurück. Bekannt ist, dass auch das große Vorbild Galen Sektionen an Tieren durchgeführt hatte. Aus der Übertragung der aus Tiersektionen gewonnenen Erkenntnisse auf den Umgang mit dem menschlichen Körper erwuchsen jedoch auch Irrtümer, die erst im Zuge einer wachsenden Zahl wissenschaftlicher Sektionen an Menschen im Laufe des 16. Jahrhunderts allmählich beseitigt werden konnten. Die allgemeine Notwendigkeit zu derlei anatomischen Studien für die Medizin war indes schon in Salerno unbestritten, worauf die so genannte Anatomia Ricardi mehr als deutlich hinwies. Neben Chirurgie und Anatomie erhielten auch die Lehren von Diätetik und Hygiene ihre festen Konturen in Salerno. Davon zeugen die weit verbreiteten Gesundheitsbücher und Regeln zu maßvollem Leben, die im Umfeld der salernitanischen Schule entstanden. Johannes von Mailand, der in seinem Lobgedicht auf die salertanische Medizin den Ruhm der Institution allerorts mehrte, stellte ebenfalls diätetische und hygienische Aspekte in den Vordergrund seiner Schrift. Der in der Folge wohl populärste diätetisch-hygienische Gesundheitsratgeber unter dem Namen Regimen sanitatis Salernitanum – einer von vielen weiteren, die besonders im späteren Mittelalter und in der frühen Neuzeit entstehen sollten – machte sich zwar die herausragende Reputation der Medizinschule zunutze, stammt jedoch nicht von dort. Er wurde in seiner ursprünglichen Form im 13. Jahrhundert im spanischen Toledo verfasst und erfuhr im Laufe der Zeit umfangreiche Ergänzungen. Doch auch die Pharmazie schwang sich unter dem Einfluss von Salerno als eigene Disziplin zu ihrer mittelalterlichen Blüte empor. Die antiken Kräuter- und Rezeptbücher, die Rezeptarien, bildeten den Grundstock für die in Salerno entstandene Grundlagenliteratur mittelalterlicher Arzneimittelkunde. Zwei so genannte Antidotarien, im wörtlichen Sinne Bücher von den „Gegenmitteln“, ragen aus diesem Kreis besonders hervor. So umfasst schon der so genannte Antidotarius magnus, eine vor dem Jahre 1100 zusammengestellte Rezeptsammlung, mehr als 1000 Rezepturen. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts präsentierte Nicolaus von Salerno den nach ihm
Die Schule von Salerno
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benannten, zu einem pharmazeutischen Standardwerk mittelalterlicher Heilkunde avancierenden Antidotarium Nicolai. Das Werk des Nicolaus nannte auch die zur Schmerzlinderung bei Operationen wichtigen Betäubungsmittel. Auf so genannte Schlafschwämme geträufelt dienten sie zur Betäubung des Patienten. Die Theorie und selbst die Tatsache, dass mit dem Antidotarium Nicolai endlich ein einheitliches Gewichtssystem zur Portionierung von Arzneimittelbestandteilen vorgeschlagen wurde, sollte jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass Chirurgen bis weit in die frühe Neuzeit hinein nur ungern auf die Möglichkeit einer noch immer riskanten medikamentösen Betäubung ihrer Patienten zurückgriffen. Aus dem so genannten Regimen sanitatis Salernitanum H. Schipperges (Hrsg.), Geschichte der Medizin in Schlaglichtern, S. 90.
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Willst du dich tüchtig erhalten, gesund, so höre, was wir die künden itzund: Fort mit den drückenden Sorgen: Zorn ist, oh glaub’ mir, gemein: Nimmst du nur kargen Imbiss, hüt’ dich vor starkem Wein: Hast du gespeist, so erhebe dich gern; halte den Schlaf dir um Mittag fern! Halte den Harn zurück nicht zu lang, regt sich’s im Darm, so folge dem Drang. […] Welcherlei, was und wann / wie viel und wie häufig man / wo man sie gebe, die Speisen / der Arzt muss es lehren und weisen. […] Aufgewärmte Speise / Ärzte, die nicht weise / und die bösen Weiber / sind Gesundheitsräuber! […] Allen mein Wort also rät: Bleib bei gepfolg’ner Diät! Denn der Gesundheit Gebot ist: Wechsle nicht, außer wenn Not ist. So Hippokrat! Wer darwider, dem folget der Seuche Hyder. Strenge Diät sich nennt der Heilkunst Fundament. So du sie nicht observierst, wie ein Tropf du reagierst, wie ein Pfuscher kurierst. […] Nützlich ist, Ruhe zu pflegen/und mäßiger Trunk bringt Segen. Hier ist Salernos Weisung zu End.
Als der Staufer König Manfred von Sizilien (1258–1266) alle Schulen seines Königreichs schloss, um die 1224 eingerichtete Universität von Neapel zu fördern, blieb die altehrwürdige Medizinschule von Salerno von dieser Maßnahme verschont. Ihr Stern war jedoch unweigerlich im Sinken begriffen. Im Zuge der Universitätsgründungen verlor das einst hoch gerühmte Salerno rasch den Anschluss und verschmolz allmählich mit der neu gegründeten Universität von Neapel.
c) Die Medizinalgesetzgebung König Rogers II. von Sizilien und Kaiser Friedrichs II. Bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts existierten im Abendland keine weltlichen Rechtsnormen im Hinblick auf die heilkundliche Ausbildung und die innere Organisation des Medizinalwesens. Im Jahre 1140 erließ der Normanne Roger II. (1130–1154), König von Sizilien, nach islamischen Vorbildern erstmals jurisdiktionelle Vorschriften über die Ausübung der Heilkunde in seinem Herrschaftsbereich. Da der König – wohl nicht zu Unrecht –
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Liber Augustalis
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eine Gefährdung seiner Untertanen durch Behandlungen unerfahrener Ärzte befürchtete, bestimmte er für alle angehenden Heilkundigen die verpflichtende Prüfung ihrer Fähigkeiten vor einem kundigen königlichen Gremium. Fortan sollte jegliche ärztliche Betätigung ohne Bestätigung dieser eingesetzten Autorität eine Kerkerhaft sowie den Verlust des gesamten Vermögens nach sich ziehen. Rund einhundert Jahre später, im so genannten Liber Augustalis (III, 44– 47), griff der Stauferkaiser Friedrich II. (1198–1250) 1231 bzw. 1240 die grundlegenden Anstöße zu einer Regelung des Medizinalwesens auf und verfügte eine umfassende Ordnung. Diese legte vor allem die Leitlinien der ärztlichen Ausbildung fest, wobei die Autoritäten von Salerno eine nicht unwesentliche Rolle für die Feststellung ärztlichen Vermögens spielen sollten (s. Quelle). Aus den Medizinalstatuten Kaiser Friederichs II. E. S. u. G. Rösch: Kaiser Friederich und sein Königreich Sizilien, Sigmaringen 21996, S. 140 f. Weil die Wissenschaft von der Heilkunst niemals ohne gewisse Vorkenntnisse der Logik verstanden werden kann, bestimmen Wir, dass niemand Medizin studieren darf, wenn er nicht vorher mindestens drei Jahre lang der Wissenschaft von der Logik obliegt. Wenn er will, darf er nach drei Jahren zum Studium der Heilkunst übergehen, dem er sich fünf Jahre widmen soll, wobei er die Chirurgie, welche ein Zweig der Medizin ist, innerhalb der vorerwähnten Zeit mitlernen muss. Nachdem er sich einer Prüfung entsprechend der Bestimmung des Hofes unterzogen und außerdem über die genannte Studienzeit ein diesbezügliches Zeugnis von den Magistern erhalten hat, darf ihm anschließend – und nicht vorher – die Bestallung zur Ausübung des Heilberufs erteilt werden. Ein solcher Arzt soll schwören, er wolle die bislang geltende Vorschrift des Hofes einhalten, wobei hinzuzufügen ist, er wolle dem Hof Meldung machen, falls zu seiner Kenntnis gelangen sollte, dass irgendein Apotheker minderwertige Heilmittel herstellt, und er werde Armen seinen Rat unentgeltlich erteilen. […]
Angehenden Ärzten legte die Ordnung ein langes Studium auf. Erst nach drei Jahren Logik folgte die eigentliche ärztliche Ausbildung. Diese sollte nicht weniger als fünf Jahre betragen, an deren Ende eine Prüfung abzulegen war und Zeugnisse der Lehrer vorgelegt werden mussten. Die Chirurgie gehörte zum Studium verpflichtend dazu. Wer sich auf das Gebiet der operativen Medizin spezialisieren wollte, musste auch in diesem Falle verbriefte Spezialkenntnisse nachweisen können (s. Quelle). Darüber hinaus wurde den Heilkundigen die kostenlose Versorgung der Bedürftigen auferlegt. Friedrichs Ordnung regelte jedoch mehr als nur Ausbildung und Spezialisierung auf einen bestimmten Zweig der Medizin. Sie löste zugleich die Pharmazie aus dem unmittelbaren Betätigungsfeld der Mediziner heraus. Der Arzt sollte vielmehr die Oberaufsicht über die Zubereitung der Arzneien durch einen Apotheker führen. Selbst eine Apotheke leiten sollte er jedoch nicht. Vollzog sich mit den Konzilien des 12. und frühen 13. Jahrhunderts die Trennung von Chirurgie und innerer Medizin, so bedingten die Bestimmungen Friederichs II. das Ausscheren des pharmazeutisch Geschulten, des Apothekers, aus dem Kreis der Ärzte.
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Die Medizin an den mittelalterlichen Universitäten Aus den Medizinalstatuten Kaiser Friederichs II. E. S. u. G. Rösch: Kaiser Friederich und sein Königreich Sizilien, Sigmaringen 21996, S. 140 f.
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Nach Abschluss der fünfjährigen Ausbildung soll ein Mediziner gleichwohl nicht selbstständig, sondern ein volles Jahr lang nur unter Anleitung eines erfahrenen Arztes den Heilberuf ausüben dürfen. Die Magister indessen müssen während dieser fünf Jahre in den Vorlesungen anhand der echten Werke des Hippokrates wie des Galen sowohl in der theoretischen als auch in der praktischen Heilkunst unterrichten. Ferner bestimmen Wir mit dieser nützlichen Konstitution, dass ein Chirurg nur dann die Bestallung zur Berufsausbildung erhält, wenn er schriftliche Zeugnisse von an der medizinischen Fakultät lesenden Magistern beibringt, dass er wenigstens ein Jahr lang den Zweig der Heilkunde studiert hat, welcher die Kenntnis der Chirurgie vermittelt, und dass er besonders die Anatomie menschlicher Körper in den Vorlesungen erlernt hat und in demjenigen Zweig der Medizin ausgebildet worden ist, ohne den Operationen weder mit Aussicht auf Erfolg vorgenommen noch nach ihrer Ausführung ausgeheilt werden können.
Bis sich die Medizinalgesetzgebung Kaiser Friedrichs II. allerorts im deutschsprachigen Reichsgebiet durchgesetzt haben sollte, vergingen Jahrhunderte. Zahlreiche Städte nördlich der Alpen besaßen bis in die frühe Neuzeit hinein ein gänzlich ungeordnetes Medizinalwesen. Die große Hansestadt Soest etwa, mit einer geschätzten Zahl von bis zu 20 000 Einwohnern im späten Mittelalter, erhielt erst im 17. Jahrhundert eine Medizinalordnung. Bis dahin kam es mitunter vor, dass der Arzt zugleich auch die Apotheke führte.
2. Die Medizin an den mittelalterlichen Universitäten Das Ende des 12. Jahrhunderts war geprägt von einem Aufblühen des Geisteslebens in den Zentren der Bewegung um die Neuentdeckung der aristotelischen Schriften, allen voran in der Kathedralschule von Chartres. Diese Entwicklung führte schließlich an der Wende des 13. Jahrhunderts auch zu einer Welle von Gründungen medizinischer Fakultäten an den Universitäten und läutete die Hochzeit der Scholastik ein. Seit dem späten 11. Jahrhundert entstanden aus den Zusammenschlüssen von Magistern und Scholaren, den universitären Lehrern und ihren Schülern, die sich unabhängig von kirchlichen Institutionen und frei der Einflussnahme weltlicher und geistlicher Herren ihren Studien widmen wollten, erste Universitäten in Bologna (1088), Paris (1200) und Oxford (vor 1214). Bald erhielten die neu gegründeten Stätten der Bildung medizinische Fakultäten. Im Jahre 1219 bestätigte Papst Honorius III. offiziell die Gründung einer medizinischen Fakultät an der bereits im 11. Jahrhundert entstandenen Universität von Bologna Weitere Einrichtungen zur medizinischen Ausbildung folgten rasch, so etwa 1220 in Montpellier, 1228 in Padua, 1229 in Toulouse, 1274 in Paris, 1303 in Avignon, 1305 in Orléans und 1339 in Grenoble.
Gründung medizinischer Fakultäten
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Chirurgie
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Den Kern des universitären Lehrstoffs in der Medizin bildeten neben übersetzten Fassungen des hippokratischen Corpus und den Lehren Galens vor allem Abschnitte aus den Werken des Isaak Judaeus, des ar-Rāzi und des Ibn Sīnā oder des Hunain ibn Ishāq. In Auszügen fanden diese auch ˙ ˙ Articella , der Einführungs- und PrüfungsVerwendung in der so genannten schrift an den Universitäten. Der Kanon der im Rahmen des Unterrichts behandelten Schriften war reglementiert. Um den antiken und nicht christlichen Schriften ihre nach zeitgenössischer Auffassung potenziellen Gefahren einer geistigen Vergiftung zu entziehen, erfolgte eine Interpretation in christlichem Sinne. Die Scholastik lieferte hierfür den geeigneten Weg, die neu entdeckte Naturphilosophie des Aristoteles mit den Lehren der Mutter Kirche zu vereinbaren. Medizinisch-philosophische Theorie, nicht etwa der praktische Umgang mit Patienten, stand im Vordergrund des Wissenserwerbs an mittelalterlichen Universitäten. Der Vortrag des Lehrmeisters (lectio) wurde anschließend durch den Vortragenden selbst im Hinblick auf unterschiedliche Auffassungen unter Verweis auf die großen medizinischen Autoritäten diskutiert (disputatio) und auch die in diesem Rahmen aufgeworfenen Fragen beantwortete der Lehrmeister schließlich selbst (solutio). Das deutschsprachige Reichsgebiet stand bei der Entwicklung universitärer Institutionen, vor allem medizinischer Fakultäten, weit hinter den Entwicklungen in Italien, Frankreich und auf der Iberischen Halbinsel zurück. Erst Kaiser Karl IV. gründete in seiner Residenzstadt Prag 1348 die erste Universität des Reichsgebiets. Köln, die rheinische Metropole, deren medizinische Fakultät im ausgehenden Mittelalter weithin ausstrahlen sollte, erhielt 1388 eine Alma Mater. Zu dieser Zeit bestanden in Italien bereits 15, in Frankreich 8, auf der Iberischen Halbinsel 6 und auf den Britischen Inseln die berühmten Universitäten von Oxford und Cambridge. Die Medizin hatte im universitären Lehrplan im Vergleich zur Theologie oder der Jurisprudenz jedoch nicht immer einen leichten Stand. In Oxford war man wenig darauf erpicht, möglicherweise häretische Tendenzen durch die im Rahmen des medizinischen Unterrichts behandelten Schriften zu fördern. Die Gründungsstatuten des Merton College etwa verboten ein Studium der Medizin. Die am Studium der Heilkunde Interessierten umgingen das Verbot, indem sie die medizinischen Studien kurzerhand unter dem Deckmantel der Philosophie betrieben. Eine Strategie, die einmal mehr die im Mittelalter gegebene Nähe zwischen beiden Disziplinen unterstreicht. Besondere Probleme bereitete an den Universitäten wegen der religiösen Forderung nach der Unversehrtheit des Körpers der Unterricht in der Chirurgie. Die Trennung von innerer und operativer Medizin, die bereits durch die Konzilsbeschlüsse des 12. und 13. Jahrhunderts vollzogen worden war, tat ihr übriges, die Chirurgie zeitweilig und bisweilen sogar ganz aus dem Lehrplan zu verbannen. Dennoch kam es besonders in Montpellier phasenweise zu einer hohen Blüte der Chirurgie, die ihren Ausdruck vor allem in den Werken Heinrichs von Mondeville (ca. 1260–1325) und Guys von Chauliac (Ende 13. Jh.–1368) fand. Der wahrscheinlich aus dem normannischen Emondeville im heutigen Département Manche stammende Heinrich von Mondeville, der in Paris studierte und ab 1298 als Leibarzt des französischen Königs Philipp IV., des Schönen, (1268–1314) diente,
Zusammenfassung
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lehrte Medizin, Chirurgie und Anatomie in Montpellier. Ab 1306 wirkte er an der Universität von Paris. Seine Schrift, die Chirurgia, spiegelt profunde empirische Erfahrungen in der Wundbehandlung wider. Der als Leibarzt des Papstes dienende Guy von Chauliac, den sein Studium ebenfalls nach Montpellier geführt hatte, verfasste einige Jahrzehnte später mit seiner Chirurgia parva und der Chirurgia magna die maßgeblichen Schriften der spätmittelalterlichen wie frühneuzeitlichen Wundarznei. Ihnen war eine breitere Rezeption beschieden als dem Werk seines Vorgängers Heinrich von Mondeville. Im 14. und 15. Jahrhundert fand die universitäre Medizin ihren Ausdruck vor allem in breit angelegten Kompendien, die die weitere Ausrichtung der spätmittelalterlichen Heilkunde maßgeblich beeinflussten, so etwa den Werken Arnalds von Villanova oder Bernhards von Gordon (geb. um 1283). Arnald von Villanova (ca. 1240–1311) wurde vermutlich in Katalonien geboren. In seiner Kindheit von Dominikanern erzogen, widmete er sich ab 1260 dem Studium der Medizin und der Theologie an den Universitäten von Montpellier und Neapel. Nach Abschluss seines Studiums ließ er sich 1276 als Arzt in Valencia nieder. Arnald avancierte rasch zum Leibarzt der aragonensichen Könige. Er behandelte Peter III. und Jakob II. Im Jahre 1291 kehrte er an den Ort seiner Ausbildung zurück und lehrte in Montpellier, wo seine medizinischen Hauptwerke entstanden. Wegen seiner theologischen Schriften (z. B. De adventu Antichristi) geriet er mehrfach in den Verdacht der Häresie. Zu Berühmtheit gelangte Arnald durch seine erfolgreichen Therapien gegen Nierensteine. Ein Schiffbruch vor Genua am 6. November 1311 kostete den Arzt das Leben.
Resultat dieser Grundhaltung war, dass nur vergleichsweise wenige Studenten in der Medizin promovierten. Während in Oxford im Laufe des 15. Jahrhunderts nicht weniger als 500 Studenten ihren Doktorhut in der Theologie erwarben, waren es lediglich 40 in der Medizin. Solch geringe Zahlen in der Medizin wirkten sich zwangsläufig auf die medizinischen Strukturen aus, die verglichen mit denen im Süden Frankreichs oder auf der Iberischen Halbinsel nur schwach ausgebildet blieben. Eine Feststellung, die es in negativer Hinsicht auch für das spätmittelalterliche Reichsgebiet zu treffen gilt.
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Stellenwert der Medizin
3. Zusammenfassung Die noch vor der Jahrtausendwende entstandene Medizinschule von Salerno wurde mit ihrem Lehrgerüst zum Vorbild der mittelalterlichen Universitäten. Im Zuge des 12. Jahrhunderts entwickelte sich die Institution zu einer Gelehrtenrepublik (Civitas Hippocratica), deren Ärzte die Glanzlichter heilkundlichen Wissens und ärztlicher Praxis verkörperten. Unter dem Einfluss der salernitanischen Schule entwickelten sich Anatomie, Chirurgie und Pharmazie zu eigenen Disziplinen. Diätetik und Hygiene erhielten durch zahlreiche Schriften zu gesunder Lebensordnung ein festes Programm. Roger II. von Sizilien erließ im Jahre 1140 die erste Medizinalordnung, die die Ausübung der Heilkunde reglementierte. Im Liber Augustalis
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Die Entwicklung der medizinischen Bildung
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Kaiser Friedrichs II. erfuhren die Statuten Rogers eine wesentliche Ergänzung. Geregelt wurden Medizinstudium und Approbation, Spezialisierung und Apothekenaufsicht. Im 13. Jahrhundert gelangte die Medizin an die Universitäten, die jedoch trotz ihrer Freiheitserklärungen an normativen Vorgaben festhielten. Den Lehrstoff bildeten noch immer die klassischen Schriften, die unter dem Einfluss neuer geistiger Strömungen wie der Scholastik ihre zeitspezifische Deutung erfuhren.
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V. Der Umgang mit Krankheit im hohen und späten Mittelalter Zur Entwicklung der großen Hospitalorden vor 1080 Stiftung des Hospitals von Jerusalem nahe der Abtei Sa. Maria Latina um 1099 Beginn der Ausbildung des Hospitaliter- oder Johanniterordens 1119/20 Anfänge der Templer vor 1130 Pflegebruderschaft der Antoniter um 1130 Regel des Johannitermeisters Raymond von Le Puy 1154 Erhebung der Hospitaliter-Bruderschaft zum Orden um 1140 Entstehung der Leprosenbruderschaft des Heiligen Lazarus zu Jerusalem 1182 Hospitalstatuten Rogers von Moulins 1189/1190 Anfänge des späteren Deutschen Ordens 1247 Erhebung der Antoniusbruderschaft zum Orden durch Papst Innozenz IV. 1291 Fall der Hafenstadt Akko 1309 Die westpreußische Marienburg wird neuer Hochmeistersitz des Deutschen Ordens 1318/1319 Die Lazariter werden unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt Gründungen mittelalterlicher Hospitäler 399 Errichtung eines Xenodochiums in Rom 816 Aachener Regel 6./7. Jh. Hospitalgründungen in Arles, Lyon, Chalon-sur-Saône und Merida vor 1181 Sint Jans Hospital von Brügge vor 1287 Heilig-Geist-Hospital in Lübeck 1332 Heilig-Geist-Hospital von Nürnberg
1. Die großen Hospitalorden a) Die Hospitaliter oder Johanniter Gerade zu dem Zeitpunkt, als der Stern der Klostermedizin infolge der gegen eine Ausübung der Heiltätigkeit gerichteten Konzilsbeschlüsse unaufhörlich zu sinken begann, entfaltete sich die Institutionalisierung mittelalterlicher caritas zu voller Blüte. In wachsender Zahl nahmen sich allerorts in Europa zumeist von wohlhabenden Stiftern in Sorge um ihr Seelenheil gegründete Einrichtungen der Pflege Bedürftiger an. Das karitative Institutionsgefüge, dessen Organisationsstrukturen sich zunehmend verfeinerten, erhielt dadurch insgesamt eine größere Beständigkeit. Es passte sich allmählich an die Maßgaben der sich insbesondere durch das Aufblü-
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Das Hospital des Heiligen Johannes in Jerusalem
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hen des Städtewesens wandelnden Sozialstrukturen und des gesteigerten Geldumlaufs an, ohne seinen grundlegenden Charakter zu verändern. Mit den Kreuzzügen zeigten sich neue Perspektiven und Anforderungen für das im institutionellen Umbruch begriffene karitative Gesamtgefüge. Trotz der restriktiven Bestimmungen der Konzilen war die Zeit zur Ausbildung neuer religiöser Gemeinschaften gekommen, die im Laufe ihrer Entwicklung zu Orden zwei von Grund auf gegensätzliche Pole miteinander verbinden sollten: Die Pflege der Kranken und den Kampf gegen die Muslime. Die Templer, die im Gegensatz zu den anderen, später zu Orden erhobenen Gemeinschaften von Beginn an eine militärische Ausrichtung hatten und sich nicht in der Krankenpflege betätigten, müssen hier als ein institutionelles Vorbild für die spätere Herausbildung der geistlichen Ritterorden der Vollständigkeit halber genannt werden. Als die wohl bedeutendste und im Hinblick auf ihre krankenpflegerischen Strukturen wegweisendste der um die Wende des 12. Jahrhunderts im Heiligen Land entstandenen Gemeinschaften gilt die Krankenpflegebruderschaft des Hospitals vom heiligen Johannes in Jerusalem. Sie wirkte in dem Spital, das vor 1080 in der Heiligen Stadt von Kaufleuten aus dem italienischen Amalfi zur Beherbergung und Versorgung bedürftiger Pilger gestiftet worden war. Die Anfänge der Bruderschaft, die zum Zeitpunkt der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer im Sommer 1099 angeblich unter Führung ihres sagenumwobenen ersten Meisters Gerhard von Tenque stand, sind in der historischen Forschung immer wieder Gegenstand der Diskussion geworden. Fest steht, dass die Quellen aus der Frühzeit der Gemeinschaft äußerst spärlich sind. Erst nach der Wende zum 12. Jahrhunderts gewinnt das Gesicht der krankenpflegenden Brüder allmählich an Kontur. Um 1130 erhielt die Gemeinschaft ihren ersten Regeltext von ihrem Meister Raymond von Puy (1125–1153). Ausführliche Bestimmungen zur Gestalt der Krankenpflege in ihrem Hospital, die sich an den Vorbildern der Krankenpflegeeinrichtungen in der islamischen Welt orientierten, verfügte der Johannitermeister Roger von Moulins im Jahre 1182 (s. Quelle). Die Bestimmungen waren einzigartig für diese Zeit. Im Hospital von Jerusalem sollten vier kundige Ärzte zur Diagnose der Beschwerden die Harnschau vornehmen, den Befund mit den Kranken erörtern und entsprechend des Leidens einen Therapievorschlag unterbreiten. Auch die Größe der Betten war geregelt. Sie war so bemessen, dass die im Sinne der diätetischen Vorstellungen nötige Ruhe von den Kranken gefunden werden konnte. Bedürftigen Müttern, die im Hospital ihr Kind gebaren, wurden Wiegen neben ihren Betten zur Verfügung gestellt. Dieses aus dem Kreis anderer mittelalterlicher Hospitäler in jeglicher Hinsicht herausragende Spital verfügte zeitgenössischen Quellen zufolge über eine beachtliche Größe. Wenngleich eine Zahl von 1000 Betten deutlich übertrieben scheint, so übertrafen die Aufnahmekapazitäten des jerusalemitanischen Johanniterspitals gewiss alle hospitalischen Einrichtungen des christlichen Abendlandes. Die Anleihen aus der islamischen Welt zur Gestaltung der Hospitalstatuten Rogers liegen auf der Hand. Dort allerdings scheint die Organisation diejenige in Jerusalem noch weit übertroffen zu haben.
Die großen Hospitalorden Aus der Hospitalordnung Rogers von Moulins Cartulaire Général de l’ordre des Hospitaliers de S. Jean de Jérusalem 1100– 1300, hrsg. von J. Delaville le Roulx, Paris 1894–1905, Bd. 1, S. 627.
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Ich befehle, dass die Vorschriften der Gemeinde und die Vorteile der Armen alle Tage ohne irgendeinen Verstoß eingehalten und gewahrt werden. […] Zum Zweiten bestimmen wir, dass vier weise und gelehrte Ärzte im Spital seien, die Kenntnisse über den Urin haben und über die zahlreichen Krankheiten der Kranken, dass sie sie beraten und entsprechend der Krankheit Arznei geben. Zum Dritten setzen wir fest, dass die Betten der Kranken in solcher Länge und Breite (gefertigt) sein sollen, dass sie darin ruhen können und jedes Bett soll mit seinem Tuch, das dazu gehört, ausgestattet sein. Zum Vierten gebieten wir, dass ein jeder Kranker im Spital einen Pelz zum Anziehen hat und Filzschuhe, um zur Verrichtung seiner Notdurft zu gehen, und ein (schaf)wollenes Häubchen. Weiterhin bestimmen wir, dass man den Kindern der Frauen, die in großer Armut ihre Kinder gebären, Wiegen gebe, dass sie nicht mit ihren Kindern liegen und die Kinder Schaden haben durch die Mutter. Darnach gebieten wir, dass die Toten eine Bahre im Spital haben wie die Brüder und mit einem roten Tuch mit weißem Kreuz bedeckt werden.
Im Adūdī-Hospital in Bagdad standen zur gleichen Zeit angeblich vier˙ undzwanzig Ärzte, darunter auch Wund- und Augenärzte für die Versorgung der Kranken bereit. Die Patienten des Nūrī-Hospitals im syrischen Damaskus wurden täglich von einem Arzt mit seinen Schülern und Helfern zur Visite aufgesucht. Über die Behandlungen der Kranken wurden schriftliche Protokolle erstellt. Auch der medizinische Unterricht fand im Hospital statt, das über eine eigene Bibliothek verfügte. Die beträchtlichen Unterschiede in der Qualität arabischer und abendländischer Heilkunst während der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts unterstreicht der syrische Geschichtsschreiber Usāma ibn Munqid in seinem autobiographischen ¯ „ein Beispiel für die seltsamen Werk. „Hier“, so beginnt er seinen Bericht, Heilverfahren der Franken.“ Auf Bitten des Herrn von Munaitira hatte Usāmas Onkel einen christlichen Arzt zu den Franken geschickt. Nach nur zehn Tagen kehrte dieser bereits zurück. Befragt nach den Gründen seiner raschen Rückkehr erzählte der Heilkundige von seinen Erfahrungen mit der Behandlung zweier Kranker. Einem Ritter mit einem Abszess am Bein legte er einen Breiumschlag an, worauf sich das Geschwür besserte. Einer von Auszehrung befallenen Frau verordnete er eine Diät und führte ihren Körpersäften Feuchtigkeit zu. Ein fränkischer Arzt, der die Therapie des Arabers argwöhnisch beobachtete, habe daraufhin den beiden Patienten versichert, dieser verstehe nichts von der Heilkunst. Der kranke Ritter, den der fränkische Arzt fragte, ob er lieber mit einem Bein leben oder aber mit zwei Beinen sterben wolle, willigte angesichts einer solchen Alternative in die Amputation seines Beines ein. Mit einer Axt trennte der Franke das Bein ab und der vertrauensselige Patient starb. Der Frau aber ließ der fränkische Arzt unter der Beteuerung, der Teufel sei in sie gedrungen, die Haare scheren. Danach schnitt er ihr mit einem scharfen Messer ein Kreuz in den Kopf und zog die Haut in der Mitte ab. Auf die nunmehr sichtbar gewordenen Schädelknochen rieb der Behandler Salz, worauf die so Traktierte starb. Trotzdem versicherten die Franken, sie bedürften der Dienste des
Arabische Medizin im Zeitalter der Kreuzzüge
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arabischen Heilkundigen nicht mehr und deshalb sei er nun in seine Heimat zurückgekehrt, schließt der anschauliche Bericht. Im Jerusalemer Spital mochte man auf die arabische Heilkunst indes nicht verzichten. Weniger fränkische denn christlich-arabische Ärzte übten dort ihre medizinische Tätigkeit aus. Angesichts dieses Fortschritts erscheint es umso verwunderlicher, dass die Johanniter eine medizinische Krankenversorgung nur in ihrem Hospital in Jerusalem etablierten. In den anderen Niederlassungen ihres weitreichenden europäischen Netzwerks, den Komtureien, beschränkten sie sich lediglich auf eine Beherbergung der Bedürftigen sowie die Gabe von Kleidung und Nahrung. Manche Häuser verzichteten gar ganz auf die karitative Tätigkeit. Ihre Funktion bestand darin, den Nachschub für den Heidenkampf im Heiligen Land zu erwirtschaften.
b) Die Lazariter Besonderheit der Bruderschaft
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Um 1140, einige Jahrzehnte nach den Johannitern, entstand im Leprosenhaus vor den Toren Jerusalems die wohl ungewöhnlichste religiöse Pflegegemeinschaft des Mittelalters: Die Leprosenbruderschaft vom Heiligen Lazarus. Sie widmete sich seit Beginn ihrer Gründung nicht nur der Pflege Aussätziger. Vielmehr bekleideten die Kranken selbst die bedeutendsten Posten in der Bruderschafts- und späterhin der Ordenshierarchie. Die ältesten, nicht überlieferten Bestimmungen der Gemeinschaft sahen vor, dass das Oberhaupt der Gemeinschaft stets ein Leprakranker sein sollte. Wie die Johanniter entfalteten auch die Lazariter ein größeres Netzwerk in Europa, zu dessen Aufbau zurückkehrende Kreuzfahrer wesentlich beitrugen. Desgleichen vollzog sich in der Gemeinschaft der Lazariter eine Entwicklung zum Ritterorden, der durch eine Bestimmung der Templerregel Vorschub geleistet wurde. Dieser zufolge sollten leprakranke Templer in den Orden des Heiligen Lazarus zu Jerusalem eintreten. Die Militarisierung führte zugleich zum Strukturwandel der Gemeinschaft. Als 1253 kein leprakranker Lazariter zur Bekleidung der statutenmäßig einem Aussätzigen vorbehaltenen Meisterwürde mehr zur Verfügung stand, weil alle kranken Mitglieder des jerusalemitanischen Hauses im Kampf gefallen waren, wandte man sich zwecks Änderung der Statuten an den Papst. Künftig stand ein gesunder Meister dem Verband vor. Nach dem Fall des Heiligen Landes wurde die Niederlassung Boigny in der Nähe von Orléans zum Haupthaus der schon 1262 von Urban IV. als Ritterorden (ordo militiae) angesprochenen Lazariter. Innerhalb des deutschsprachigen Reichsgebiets verfügte der Orden über Filialen im thüringischen Gotha, in Schlatt im Breisgau und Seedorf in der Schweiz wie über einige kleinere oder schon früh aufgegebene Häuser. Um die Versorgung der Leprakranken, die zentrale Aufgabe der Gemeinschaft, kümmerten sich die Lazariter nicht in all ihren Niederlassungen. Ob in den lazaritischen Leprosorien Versuche zur Therapierung der als unheilbar geltenden Krankheit vorgenommen wurden, ist fraglich. Fest steht, dass in den Seedorfer Statuten des 13. und 14. Jahrhunderts mehrfach Bezug auf die besonderen Bedürfnisse Leprakranker genommen wird. So sollte ein leprakranker Bru-
Die großen Hospitalorden
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der zwei Bettstätten besitzen. Der Umstand, dass manche der Niederlassungen in der Nähe als heilkräftig geltender Quellen lagen, gibt zu der Vermutung Anlass, dass möglicherweise Bäder zu Therapiezwecken bereitet wurden.
c) Die Antoniter Die Antoniter sind ohne Zweifel der älteste spezialisierte Krankenpflegeorden. Gemäß der Überlieferung gelangten um das Jahr 1070 die angeblichen Reliquien des heiligen Einsiedlers Antonius aus Byzanz in den kleinen Ort La-Motte-aux-Bois in der Dauphiné, der in der Folgezeit seinen Namen in Saint-Antoine ändern sollte. Das kleine Gotteshaus mitsamt der wertvollen Antoniusgebeine kam 1083 durch eine Schenkung in den Besitz der nahe dem südfranzösischen Arles gelegenen Benediktinerabtei St. Pierre in Montmajour. Wie zuvor an andere Heiligengräber, strömten Hilfesuchende nunmehr in großer Zahl zur letzten Ruhestätte des berühmten ägyptischen Mönchsvaters. Bereits zu dieser Zeit wirkte in Saint-Antoine eine Laienbruderschaft, die sich mit christlicher Hingabe der Versorgung von Pilgern und der Krankenpflege annahm. Noch vor dem Jahre 1130 kam es zur Gründung eines Hauses, das Antoniuspilgern Obdach gewährte. Zugleich spezialisierten sich die Brüder auf die Behandlung der durch das Antoniusfeuer verursachten Leiden. Da Saint-Antoine am Rande eines vielbenutzten Weges zum berühmten Wallfahrtsort Santiago de Compostela liegt, verbreitete sich die Kunde über die Behandlungen der Antoniter rasch weiter. Schon bald entstanden weitere Niederlassungen. So zunächst in Gap, Chambéry und Besançon. Um 1200 führten die Antoniter bereits Spitäler in Flandern, Oberitalien, Spanien, im deutschsprachigen Reichsgebiet und in Rom. Auf dem Höhepunkt ihrer Ausbreitung unterhielt die Gemeinschaft, die Papst Innozenz IV. im Jahre 1247 zum Orden erhob, in einem europaweiten Netz mehr als 370 Häuser. Die Bezeichnung „Heiliges Feuer“ war unterdessen dem Namen „Antoniusfeuer“ gewichen (vgl. Kap. IV., zum Krankheitsbild vgl. Kap. VI.7.a). Im Orden selbst fand dieser Begriff indes nie Gebrauch. Die Antoniter nannten die Vergiftungserscheinung, mit deren Therapierung sie am besten vertraut waren, das „Höllenfeuer“. Den Ruf der Antoniter begründete eine effiziente Therapie im Kampf gegen das Heilige Feuer. Grundlage antonitischer Heilbehandlungen war ein unbedingtes Zusammenspiel des Glaubens an die Kraft des heiligen Antonius und der therapeutischen Maßnahmen. Der Erfolg einer Anwendung konnte nach antonitischem Verständnis allein durch den Beistand des Heiligen zum Erfolg führen. Unmittelbar nach ihrer Aufnahme in das Antoniterspital erhielten die Kranken gutes Brot, das frei war vom Gift des Mutterkornpilzes, danach den so genannten Antoniuswein. Dieser war mit einer Reliquie des Heiligen in Berührung gebracht und mit zahlreichen Kräutern versetzt worden. Die Wahl der Heilkräuter zielte genau auf die Symptombekämpfung der Krankheit ab. Sie wirkten gegen die Vergiftungserscheinungen. Der Flügel des berühmten Altars, den der Meister Matthias
Behandlungsmethoden
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Grünewald am Beginn des 16. Jahrhunderts für das Antoniterhaus im elsässischen Isenheim fertigte, zeigt 14 dieser im Rahmen der Behandlungen verwendeten Heilkräuter. Unter diesen lassen sich insgesamt vier Wirkgruppen erkennen. Drei Gruppen spielten eine Rolle für die Zubereitung von Antoniuswein und -wasser. So wirken einige der Kräuter harntreibend und abführend. Sie sollten die rasche Entgiftung des Patienten bewirken. Andere verhindern eine weitere Verengung der Blutgefäße durch ihre gefäßerweiternde Wirkung. Zur dritten Gruppe zählen betäubende und schmerzstillende Heilstoffe. Die Pflanzen der vierten Gruppe schließlich haben antibakterielle, blutstillende und wundschließende Wirkung. Diese fanden bei der Zubereitung des so genannten Antoniusbalsams Verwendung, der auf brandige Wunden oder zur besseren Wundheilung nach unvermeidlichen Amputationen aufgetragen wurde. Vor der Behandlung stand zunächst die Beichte. Diese ging nicht nur in den antonitischen Spitälern der medizinischen Therapie voraus. Vielmehr empfahl die Schule von Salerno bereits im 12. Jahrhundert, Kranken vor der Behandlung zunächst die Beichte abzunehmen. Das IV. Laterankonzil 1215 verpflichtete Ärzte bei Strafe des Kirchenausschlusses, die Beichte des Patienten vor die Behandlung zu stellen. Vor der Aufnahme in das Antoniterspital stand noch ein weiterer Schritt: Die ärztliche Beschau der Kranken. Im oberschwäbischen Memmingen, wo sich eine bedeutende Niederlassung des Ordens befand, nahmen während des 15. Jahrhunderts drei Wundärzte diese Untersuchung im Beisein aller Kranken des Spitals vor. Die erhaltenen Rechnungsbücher sprechen für die Gründlichkeit, mit der die Krankenschauen durchgeführt wurden. So wurde eine in dem Dokument nicht namentlich genannte kranke Frau aus Woringen trotz der Empfehlung des örtlichen Pfarrers nicht im Memminger Spital zugelassen. Spätestens im 15. Jahrhundert standen in den Ordensspitälern Wundärzte zur Verfügung, die im Bedarfsfall Amputationen brandiger Gliedmaßen vornahmen. Augenscheinlich bedingte die Qualität der in den antonitischen Spitälern durchgeführten Amputationen, dass auch Patienten, die keine Aufnahme in das Haus suchten, den schmerzhaften und risikoreichen Eingriff dort vornehmen ließen. So wurde beispielsweise ein Knecht aus Colmar, der von einem Fuhrwerk überfahren worden war, zur Amputation des verletzten Gliedes zum Antoniterspital nach Isenheim geschickt. Wie eine solche am Ende des 15. Jahrhunderts vor sich ging, zeigt der vermutlich von Hans Wächtlin gefertigte Holzschnitt in Hans von Gersdorffs 1517 in Straßburg gedrucktem Werk Feldbuch der Wundtarzney. Der 1455 geborene Wundarzt Hans von Gersdorff, genannt Schylhans, war an der Wende zum 16. Jahrhundert lange Jahre am Straßburger Antoniterspital tätig. Amputationen, die er und seine Standeskollegen in den Häusern der Antoniter vornahmen, mussten die Patienten zumeist ohne Betäubungsmittel über sich ergehen lassen. Rezepte zur Anfertigung eines so genannten Schlafschwammes waren zwar bekannt, doch waren ihre unkalkulierbaren Nebenwirkungen gefürchtet. Wer die Qualen des Heiligen Feuers verkrüppelt überlebte, fand bis zu seinem Lebensende Versorgung und therapeutische Betreuung in den Spitälern der Antoniter (s. Lebenslange Betreuung Überlebender).
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Die großen Hospitalorden Lebenslange Betreuung Überlebender Eine regelmäßige ärztliche Betreuung lässt sich anhand der Rechnungsbücher beispielsweise in Memmingen nachweisen. In den Jahren 1494 und 1495 brachte der Arzt Gebhard Kräpelin täglich Arzneien ins Antoniterspital und sorgte sich um die Behandlung der Kranken. Allerdings waren die Aufnahmekapazitäten dieser ältesten Einrichtungen einer spezialisierten Krankenpflege zumeist gering. Die größten unter ihnen boten kaum mehr als 20 Patienten beiderlei Geschlechts eine dauerhafte Bleibe. Einzig das Mutterhaus konnte eine größere Zahl Hilfebedürftige beherbergen. Trotz ihres großen Bedarfs an ärztlichen Dienstleistungen stellten die Antoniter keine eigenen Heilkundigen an, sondern griffen auf die in der Stadt ansässigen Ärzte und Wundärzte zurück.
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Die Erfolge des Ordens bei der Bekämpfung des Heiligen Feuers waren unübersehbar, wurden ihnen jedoch zugleich zum Verhängnis. Seit dem späten Mittelalter gingen Erkrankungen am Antoniusfeuer spürbar zurück. Nicht zuletzt die veränderten Ernährungsgewohnheiten hatten diesen Rükkgang bewirkt. Damit jedoch verlor der Orden allmählich seine Aufgabe.
d) Der Deutsche Orden Aus der Pflegebruderschaft eines Feldlazaretts vor den Toren der belagerten Stadt Akko (Akkon) an der levantischen Küste 1189/1190 entwickelte sich rasch der Orden der Ritter des deutschen Hauses Unserer lieben Frau zu Jerusalem, kurz der Deutsche Orden genannt. Im Unterschied zu den anderen Pflegebruderschaften gehörten zu dieser Gemeinschaft vor allem Brüder aus dem deutschsprachigen Reichsgebiet. Mit dem Fall des Heiligen Landes 1291 bezog der Deutsche Orden sein neues Hauptquartier zunächst in Venedig, um dieses 1309 ein weiteres Mal in die westpreußische Marienburg zu verlegen. Der Deutsche Orden verfügte wie die anderen Ritterorden über ein Netz abendländischer Niederlassungen, in denen in angeschlossenen Hospitälern Bedürftige versorgt wurden. Das Hauptspital des Deutschen Ordens im Heiligen Land war kleiner als das der Johanniter. Zwar dienten auch dort Ärzte zur Behandlung Kranker, doch legten die Statuten der Deutschordensregel die Zahl der Heilkundigen nicht fest. Entgegen der statuarischen Zielsetzung gab es auch in den abendländischen Niederlassungen des Deutschen Ordens keine eigenen Heilkundigen für den Dienst an den Kranken. In Preußen verfügte der Orden während des 14. und 15. Jahrhunderts phasenweise nicht einmal über Ärzte zur Behandlung der Würdenträger und Brüder. Nachdem etwa der Hochmeister Konrad von Erlichshausen am 7. November 1449 gestorben war und sein Leibarzt nach dessen Tod die Marienburg verlassen hatte, stand dem im Haupthaus erkrankten Komtur von Elbing kein ärztlicher Beistand mehr zur Verfügung.
Niederlassungen
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2. Mittelalterliche Hospitäler a) Die Entwicklung des Hospitalwesens im mittelalterlichen Abendland
Stiftungen und Seelenheil
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Die ersten Einrichtungen, die sich nach den Grundsätzen christlicher Nächstenliebe außerhalb der Klöster um Bedürftige kümmerten, waren zunächst einfache Pilgerherbergen, so genannte Xenodochien. Sie boten Obdach, Nahrung und Kleidung. Schon um 399 bestand ein solches, von Pilgern eingerichtetes Haus in Rom. Weitere solcher Institutionen entstanden allmählich entlang der Hauptpilgerstraßen. Auch an den Bischofssitzen entwickelten sich bereits im frühen Mittelalter hospitalische Einrichtungen, doch ist die Gestalt dieser Häuser wie auch die der Xenodochien in Ermangelung von Quellen nur äußerst fragmentarisch zu erschließen. Seit ihrem ersten Entstehen im 4. Jahrhundert erfuhren die hospitalischen Einrichtungen zahlreiche Veränderungen und sehr unterschiedliche Ausformungen. Hervorzuheben ist, dass es „das“ Hospital zu keiner Zeit gegeben hat. Zu unterschiedlich gestaltete sich die Gruppe der Empfänger wohltätiger Gaben nach Ort und Zeit – trotz eindeutiger Vorgaben, diese auf Waisen, allein stehende Frauen, Arme, Pilger und Kranke festzuschreiben. Es wäre deshalb treffender, wertungsfrei von hospitalischen Einrichtungen zu sprechen, deren grundlegende Strukturen im Folgenden beleuchtet werden. In Anknüpfung an die so genannte Aachener Regel von 816, die der Institutionalisierung mittelalterlicher caritas endgültig zum Durchbruch verhalf, entstanden allmählich hospitalische Einrichtungen in großer Zahl. Als Stifter traten sowohl Kleriker als auch weltliche Große in Erscheinung. Einhergehend mit dem Aufblühen des Städtewesens im 13. und 14. Jahrhundert erreichten auch die Hospitalstiftungen ihren Höhepunkt. Zugleich wechselten häufig die Zuständigkeiten. Die Räte übernahmen nun zusehends die Verwaltung ihrer neu gegründeten, städtischen Hospitäler. Stellvertretend für die Vielzahl der Institutionen sei das 1287 gegründete Heilig-Geist-Hospital in Lübeck genannt, das heute noch nahezu in seiner ursprünglichen Gestalt besteht. Das Heilig-Geist-Patrozinium ist innerhalb einer bunten Vielfalt von Patrozinien für die Hospitäler des deutschen Sprachgebiets – insbesondere in Norddeutschland – das am häufigsten gewählte. Als Stifter spätmittelalterlicher Spitäler traten nun vor allem betuchte Bürger in Erscheinung. Der augenscheinliche Akt christlicher Nächstenliebe war jedoch, wie Brigitte Pohl-Resl 1996 in ihrer Untersuchung über das Wiener Bürgerspital festhielt, vor allem ein „Rechnen mit der Ewigkeit“. Durch größere oder kleinere milde Gaben sorgten sie für ihr Seelenheil im Jenseits vor. Die Gebete der Empfänger dieser Leistungen, der Hospitalinsassen, wirkten als nicht materielle Gegenleistung. Der Aspekt des Totengedenkens, der memoria, ist ein ebenso integraler wie zentraler Bestandteil des mittelalterlichen Hospitalwesens. Das Leben der Insassen in den Spitälern war durch eine Hausordnung streng geregelt. Gebete und Messen, nahezu wie in einer klösterlichen Ge-
Mittelalterliche Hospitäler
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meinschaft, bestimmten den Tagesablauf. Die Ordnungen regelten zudem den zentralen Punkt der Aufnahme ins Hospital und die Art der erbrachten Leistungen. Zuständig für die Verwaltung der Einrichtungen war neben einem Hausverwalter, den zumeist die städtischen Obrigkeiten bestellten, Vertreter des Rates, die so genannten Provisoren. Sie kontrollierten die Rechnungsunterlagen und repräsentierten das Haus bei seinen Rechtsgeschäften. Trotz ihres festen Stiftungsauftrages entwickelten sich im Verlauf ihres Bestehens nicht wenige hospitalische Einrichtungen zu Versorgungsanstalten für betuchte Bürgerinnen und Bürger, die sich ihren dauerhaften Unterhalt durch das Haus durch Übertragung eines gewissen Besitzes sicherten. Die Bedürftigen verschwanden allmählich ganz aus solchen Einrichtungen, die nur noch nominell Hospitäler waren. Die Aufnahmekapazitäten der meisten Häuser waren nicht sehr groß und reichten gerade in kleineren Hospitälern für kaum mehr als zehn bis zwanzig Insassen. In zahlreichen Städten wurden im Laufe der mittelalterlichen Jahrhunderte – und auch noch in der frühen Neuzeit – mehrere hospitalische Einrichtungen gegründet. Einige der Häuser waren dann zumeist auf einen bestimmten Kreis von Anspruchsberechtigten festgelegt, etwa wie im westfälischen Münster, wo es ein Hospital für ehemalige Bedienstete der Domkellnerei gab.
b) Spezielle Fürsorgeeinrichtungen Einige Bedürftige konnten aufgrund ihrer körperlichen Verfassung trotz Bedürftigkeit keine Leistungen, die so genannte Pfründe, in einem gewöhnlichen Hospital erhalten. Zuerst sind hier die Leprakranken zu nennen. Die für diese Gruppe errichteten Häuser, die Leprosorien (vgl. Kap VI. 6. d und e), waren rechtlich getreu dem biblischen Wort, die Kranken zu heilen und die Aussätzigen zu reinigen, streng voneinander getrennt. Darüber hinaus fanden auch Geisteskranke keine Aufnahme in einem gewöhnlichen Hospital. Solange sie sich unauffällig verhielten und nach allgemeiner Einschätzung keine Gefahr bedeuteten, konnten sie sich frei in der Stadt bewegen. Stufte man ihren Zustand jedoch als gefährdend oder Anstoß erregend ein, wurden sie in der Regel in einem der Stadttürme oder gar in Kästen vor der Stadt eingesperrt. Wegbereitend für die hospitalische Versorgung Geisteskranker wurden Städte der Iberischen Halbinsel. Schon in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts existierte ein spezielles Haus für ihre Unterbringung in Barcelona. Weitere Einrichtungen folgten 1409 in Valencia, 1425 in Saragossa, 1436 in Sevilla und 1483 in Toledo. Nahezu zeitgleich finden sich auch in Köln die ersten Anfänge einer öffentlichen Versorgung Geisteskranker. Die Stiftung von 1000 Goldgulden durch Johann Rinck legte 1462 den Grundstein für ein Hospital zur Versorgung „wahnsinniger Leute“, wie es in der Bestimmung heißt. Eine spezialisierte hospitalische Einrichtung findet sich auch mit dem 1254 von dem französischen König Ludwig IX., dem Heiligen (1226– 1270), in Paris gegründeten Hospital Quinze-Vingts zur Versorgung Blinder.
Leprakranke, Blinde, Geisteskranke
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Weitere Einrichtungen mit festgelegtem Aufgabengebiet waren neben den Spitälern der Antoniter zur Versorgung der am Antoniusfeuer Leidenden Häuser zur Aufnahme Seuchenkranker (vgl. Kap. VI., 1. h).
c) Hospitalische Versorgung ohne Medizin: Obdach, Nahrung, Kleidung. Einblicke in den Alltag spätmittelalterlicher Fürsorgeinstitutionen
Hospitäler in Südfrankreich
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Die mittelalterlichen Hospitäler, die hinsichtlich ihrer Ausrichtung eine erstaunliche Vielfalt entwickelten, waren keine Krankenhäuser im modernen Sinn. Die Medizin hatte im mittelalterlichen Hospital keinen Platz. Auch die Kranken waren nur eine der Gruppen, die in den hospitalischen Einrichtungen unterschiedlicher Couleur untergebracht waren. Bisweilen führte ein Haus lediglich noch den Titel Hospital, versorgte jedoch schon längst keine Bedürftigen mehr. Stattdessen hatte sich die Einrichtung in eine Anstalt zur Beherbergung Gutbetuchter entwickelt, die ihren lebenslangen Anspruch auf Versorgung mehr oder weniger teuer erkauft hatten. Der Leistungskanon, ob für Bedürftige aller Art oder betuchte Insassen, beschränkte sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auf eine Gewährung von Obdach, Nahrung und Kleidung. Ein Vergleich des Leistungsangebots in Hospitälern unterschiedlicher Regionen Europas zeigt, dass dieses trotz großer Unterschiede in der Ausprägung des Medizinalwesens ähnlich war. Vorab sei ausdrücklich betont, dass die in hospitalischen Institutionen geleistete Krankenpflege mit ihrer Ausrichtung auf die sex res non naturales und insbesondere die Aufstellung des Speiseplans nach zeitgenössischen diätetischen Gesichtspunkten fraglos bereits medizinisch-therapeutische Aspekte enthielt. Die Regeln verschiedener Hospitäler unterstreichen diesen Aspekt. Die 1265 beispielsweise für das Hôtel-Dieu im nordfranzösischen St. Pol verfügten Bestimmungen setzten fest, dass ein von seiner Krankheit Genesener zur Vorbeugung vor Rückfällen noch weitere sieben Tage im Haus verbleiben solle. Verglichen mit den übrigen Regionen Frankreichs, lässt sich – abgesehen von Paris – im Dreieck zwischen Montpellier, Avignon und Toulon vom Beginn des 12. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts ununterbrochen die mit weitem Abstand größte Dichte an Ärzten, Wundärzten und Barbieren nachweisen. Für den herausragenden Entwicklungsstand des Medizinalwesens in diesem Gebiet zeugt neben einer Vielzahl dort gefertigter Übersetzungen arabischer und hebräischer Fachprosa nicht zuletzt die überregionale Bedeutung der medizinischen Fakultät der Universität von Montpellier (vgl. Kap. IV., 2). Nicht wenige Herrscher vertrauten ihre Gesundheit Ärzten an, die ihr Wissen an der Universität von Montpellier erworben hatten. Wenngleich ihrer Heilkunst bisweilen Grenzen gesetzt waren, spricht doch ihre Reputation für die überdurchschnittlichen Fertigkeiten der in Montpellier ausgebildeten Ärzte. In diametralem Gegensatz zu Dichte und Entwicklungsstand der regionalen Medizinalstrukturen stehen Grad und Umfang ärztlicher wie wundärztlicher Krankenversorgung in den Hospitälern. In den wenigsten Einrichtungen lässt sich seit dem 14. Jahrhundert eine mehr oder weniger regelmäßige Behandlung kranker
Mittelalterliche Hospitäler Insassen durch Ärzte, Wundärzte oder Barbiere nachweisen. Ob bereits in früherer Zeit vereinzelte Heilkundige gelegentlich Krankenbehandlungen in Hospitälern übernahmen, muss angesichts der Quellensituation offen bleiben. Ohnehin ist ein leidlich kontinuierliches Wirken Heilkundiger in hospitalischen Institutionen lediglich für Marseille belegt. Im Hôpital du Saint-Esprit, dem Hôpital du Saint-Jacques-de-Galice, dem Hôtel-Dieu und – sofern man dieses trotz seiner von den Hospitälern unterschiedenen Rechtsstellung und Zielgruppe in den Kreis einbeziehen will – dem Leprosorium ist zwischen 1331 und dem Ende des 15. Jahrhunderts die Tätigkeit von acht Ärzten, acht Wundärzten und vierzehn Barbieren durch die Quellen bezeugt. Während sich der kleinere Teil dieser Heilkundigen mittels Vertrag für einen gewissen, zumeist nicht länger als einjährigen Zeitraum an eine Einrichtung band, leistete der überwiegende Teil nur gelegentlich seine Dienste im Hospital. In Nîmes finden sich für den gleichen Zeitraum die Spuren von fünf Medizinalpersonen, in Avignon die von vieren, in Montpellier hingegen nur die eines einzigen. Trotz deutlich dichterer Medizinalstrukturen unterschied sich das medizinische Leistungsangebot in den Hospitälern der meisten Städte in diesem Raum damit nicht von dem in anderen Regionen Frankreichs. Die Quellen, zumeist Rechnungsbücher, geben nur selten Auskunft über die behandelten Krankheiten oder die Art der Behandlung in den hospitalischen Einrichtungen. Die Abrechnungen weisen zumeist auf chirurgische Eingriffe, vornehmlich die Behandlung von Brüchen und Amputationen hin. Auch über die Heilkundigen verraten die Zeugnisse bis auf wenige Ausnahmen kaum mehr als die Namen. Einer der wenigen Gelehrten der Universität von Montpellier, der sich angeblich schon im 13. Jahrhundert im dortigen Hôpital du Saint-Esprit betätigt haben soll, war Wilhelm von Congenis, der Verfasser einer weit verbreiteten Schrift über die Chirurgie und Leibarzt Simons von Montfort. Fest steht jedoch, dass seine späteren Standeskollegen jedenfalls nicht die Krankenlager in den Hospitälern Montpelliers aufsuchten. Das Hôpital du Saint-Esprit und das Hôpital du Saint-Jacques-de-Galice in Marseille beschäftigten hingegen seit dem 14. Jahrhundert regelmäßig Ärzte und Wundärzte zur Versorgung der Kranken. So verpflichtete sich beispielsweise der Marseiller Arzt Guillaume Long 1338 gegen eine Bezahlung von 3 Livres und 15 Sous ein Jahr lang zur täglichen Visite und Behandlung der Kranken im Hôpital du Saint-Esprit. Um die Versorgung sicherzustellen, garantierte er ferner, im Falle seiner Abwesenheit einen Vertreter zur Übernahme seiner Aufgaben zu stellen. Einen ähnlichen Vertrag hatte sechs Jahre zuvor auch der Barbier Guillaume Debaras geschlossen, der als Vertreter der so genannten niederen Heilberufe jedoch nur 2 Livre und 15 Sous für seine alltäglichen Leistungen erhielt. Mindestens drei der im Hôpital du Saint-Esprit wirkenden Heilkundigen waren Juden. So tauchen 1357/1358 die jüdischen Chirurgen David und 1435 Darnot auf, der für ein Jahresgehalt von 3 Livre vier Sous seine Dienste an den Kranken verrichtete. Im Jahre 1398 weisen die Dokumente ferner das Wirken des jüdischen Arztes David auf, wobei es sich auch bei ihm wahrscheinlich um einen Chirurgen gehandelt haben dürfte. Gleich mehrere Jahre stand der Wundarzt Giraud de Belluec in den Diensten des Hospi-
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Ärzte in südfranzösischen Hospitälern
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Der Umgang mit Krankheit im hohen und späten Mittelalter
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tals, dessen Bezahlung sich zwischen 1333 und 1338 von anfangs 2 Livre 15 Sous auf 3 Livre 10 Sous erhöhte. Eine nahezu fünfjährige Dienstzeit leistete 1408/1409 und zwischen 1416 und 1418 auch der Chirurg Guillaume Mathola. Trotz der mehr oder weniger regelmäßigen Anstellung eines Arztes oder Wundarztes durch das Hôpital du Saint-Esprit scheint in einigen Jahren die Beschäftigung eines Heilkundigen unterblieben zu sein. Im Jahre 1498 etwa nahm die Einrichtung nur einmal die Hilfe eines Arztes in Anspruch. Jean von Narbonne wurde zur Behandlung eines Kindes, dessen Gebrechen nicht erwähnt wird, in das Hospital gerufen und erhielt für seine Leistungen eine Bezahlung in Höhe von 1 Livre 12 Sous. In dem nämlichen Jahr waren dies die einzigen Aufwendungen für die Kosten ärztlicher Behandlung im Hospital. Offenbar unregelmäßiger und erst im 15. Jahrhundert, aber noch immer vergleichsweise häufig, bediente sich das Marseiller Hôpital du SaintJacques-de-Galice heilkundlicher Leistungen. Im Jahre 1479 etwa versah dort der in Barcelona geborene Baccalaureus der Medizin Juan Boadel den Dienst an den Kranken. Angesichts der überlieferten Angaben zu seinem Wirken muss der Katalane zu dieser Zeit das fünfzigste Lebensjahr bereits überschritten haben. Vor diesem Hintergrund lässt sich mit Blick auf die übrigen in den Marseiller Hospitälern tätigen Heilkundigen vermuten, dass die Anstellung in einer solchen Einrichtung vor allem zu Beginn und am Ende einer medizinischen Laufbahn stand. Das Hôpital du Saint-Jacquesde-Galice rekrutierte seine Ärzte, Wundärzte und Barbiere bisweilen auch für besondere Aufgaben. So war im Jahre 1480, während einer Epidemie, der Barbier Guillaume für die Versorgung der Kranken gewonnen worden. In gleicher Funktion war 1467/1468 im Hôpital Sainte-Marthe von Avignon der Arzt Jacques Josselini de Cruce angestellt worden, der aus Mailand stammte. Auch de Cruce scheint zu dieser Zeit den Zenit seines ärztlichen Wirkens bereits überschritten zu haben und stand bereits im letzten Jahrzehnt seines Lebens. Seine Tätigkeit hatte ihm bis dahin reichliche Einkünfte beschert. In Avignon besaß er mehrere Häuser. Welche Dienste er indes an den ihm anvertrauten Kranken im Hospital verrichtete, bleibt im Dunkeln. Diese Feststellung gilt leider auch in Bezug auf Etienne Guiscard, genannt La Vache, den der Rat von Nîmes 1480 für die Behandlung der Kranken in den Spitälern der Stadt mit 2 Livre entlohnte. Die Liste der in hospitalischen Institutionen tätigen Heilkundigen ließe sich in gleicher Weise noch fortsetzen. Ärzte in Hospitälern des deutschsprachigen Reichsgebiets
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Die Medizinalstrukturen innerhalb des deutschsprachigen Reichsgebiets waren im 14. und 15. Jahrhundert ungleich schwächer entwickelt als im Süden Frankreichs. Einige Regionen, wie etwa das Territorium von Bayreuth oder der Rheingau, blieben während des gesamten Spätmittelalters ohne einen universitär gebildeten Physicus. Ärzte und Wundärzte, die seit dem 14. Jahrhundert in steigender Zahl von den Obrigkeiten in städtische Dienste genommen wurden, hatten mitunter auch Verpflichtungen in benachbarten Gemeinwesen zu übernehmen, die über keinen eigenen Heilkundigen verfügten. So wurde etwa der Stadtarzt von Frankfurt am Main im 15. Jahrhundert von den Ratsvertretern zu Behandlungen nach Gießen, Marburg, Wetzlar und Bacharach gerufen. Ähnlich gestalteten sich die Ver-
Mittelalterliche Hospitäler hältnisse in Braunschweig und im heutigen Niedersachsen. Erst mit dem 16. Jahrhundert beginnen Ärzte und Wundärzte im Hospitalwesen allmählich eine bedeutendere Rolle zu spielen. Unter dem Eindruck der so genannten Franzosenkrankheit, der Syphilis, und anderer Infektionskrankheiten waren sie, so etwa in Augsburg, zu einer körperlichen Untersuchung der in den Spitälern aufzunehmenden Kranken gehalten, um einer Ausbreitung ansteckender Krankheiten vorzubeugen. Nicht nur in Augsburg, auch in Ulm, das über ein ähnlich florierendes Medizinalwesen verfügte, sowie in den kleineren Städten der Region stand eine ausreichende Zahl von Heilkundigen zur Verfügung, ohne dass jedoch eines der Hospitäler mehr als nur gelegentlich auf deren Dienste zurückgegriffen hätte. So zählte etwa in Ravensburg, wo sich die städtischen Obrigkeiten 1431 mit Berthold Buol erstmals nachweislich einen universitär gebildeten Arzt leisteten, die Behandlung Kranker in den Spitälern der Reichsstadt im 15. Jahrhundert zu den vertraglich festgelegten Pflichten des Stadtphysicus. Keines der Ravensburger Spitäler verfügte jedoch über einen eigenen Heilkundigen. In Biberach an der Riß taucht 1464 ebenfalls ein Hinweis auf ärztliche oder wundärztliche Verrichtungen im Hospital auf. Eine regelmäßige Behandlung der Spitalinsassen scheint jedoch auch dort nicht erfolgt zu sein. Die überlieferten Rechnungsbücher des Memminger Unterspitals, um noch ein weiteres Beispiel zu nennen, führen trotz der nachweisbaren Aufnahme Kranker in der Einrichtung hingegen keine Zahlungen für die Inanspruchnahme wundärztlicher Leistungen auf. Regelmäßig griff man lediglich auf die Dienste eines Baders zurück, der den Spitalinsassen nach den Bestimmungen eines Erbrechtsbriefes von 1377 nicht nur ein kostenloses Bad anrichten, sondern sie auch scheren, schröpfen und massieren musste. Darüber hinausgehende Leistungen, etwa die Versorgung kleinerer Verletzungen, waren gesondert zu entrichten. Eine regelmäßige medizinische Krankenversorgung durch Ärzte oder Wundärzte, so bleibt festzuhalten, hat es in oberschwäbischen Spitälern während des Spätmittelalters nicht gegeben. Im Gegensatz zu Oberschwaben blieben in Rheinland-Westfalen die Medizinalstrukturen mit Ausnahme der rheinischen Metropole Köln bis weit in die frühe Neuzeit hinein nur schwach ausgeprägt. Selbst die bevölkerungsreiche und bedeutende Hansestadt Soest verfügte zwischen dem 14. und dem Ende des 16. Jahrhunderts nur phasenweise über einen Heilkundigen – zumeist einen Wundarzt – in obrigkeitlichen Diensten. Bis in das 17. Jahrhundert hinein blieb das Soester Medizinalwesen derart ungeordnet, dass mancher der bestallten Mediziner in Personalunion die Apotheke führte. Eine ärztliche oder wundärztliche Betreuung Kranker lässt sich in keinem der Soester Hospitäler nachweisen. Das traditionsreiche Hohe Hospital etwa, dessen Anfänge in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts zurückreichen und das sich um 1320 zu einem reinen Pfründnerhaus für betuchte Soesterinnen gewandelt hatte, lehnte später gar die Aufnahme standesgemäßer, aber zu krank erscheinender Damen ab. Meisterin und Konventualinnen forderten den Rat unmissverständlich auf, einem entsprechenden Gesuch nicht stattzugeben, da man sich zu einer medizinischen Versorgung Kranker außerstande sehe. Weitgehend offen bleibt, wie sich die Verhältnisse in den Einrichtungen
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Rheinischwestfälische Medizinalstrukturen
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Der Umgang mit Krankheit im hohen und späten Mittelalter
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Das Nürnberger Heilig-Geist-Spital
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Münsters gestalteten. Der Großteil des spätmittelalterlichen Ratsschriftgutes ist im Zuge der Wiedertäuferherrschaft den Flammen zum Opfer gefallen und auch die Rechnungsbücher der münsterischen Hospitäler liegen erst seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts vor. Dem überlieferten Eid der städtischen Wundärzte zufolge waren die medizinischen Handwerker jedoch schon im 15. Jahrhundert auch in Münster gehalten, Arm und Reich gleichermaßen zu dienen und sich der Kranken in den Hospitälern anzunehmen. Die dauerhafte Anstellung eines Spitalarztes lässt sich indes nicht nachweisen. Eine unzureichende Quellenlage verstellt auch den Blick auf die Situation in Westfalens einziger Reichsstadt Dortmund. Keine der mittelalterlichen Spitalrechnungen ist erhalten und auch das obrigkeitliche Verwaltungsschriftgut fehlt weitgehend, sodass sich über das Wirken von Ärzten und Wundärzten kaum verlässliche Aussagen treffen lassen. Den überlieferten Stadtrechnungsfragmenten des 15. Jahrhunderts lässt sich zumindest entnehmen, dass sich die Rekrutierung eines städtischen Wundarztes in Anbetracht des Mangels an Medizinalpersonen bisweilen schwierig gestaltete. Im Jahre 1461 entsandte der Rat seinen Boten Rotger nach Soest, um den Wundarzt Mattheus zu fragen, wann dieser endlich seinem Versprechen gemäß nach Dortmund kommen wolle. Eine regelmäßige Krankenbehandlung in Hospitälern scheint in Rheinland-Westfalen einzig in Köln stattgefunden zu haben, das im Spätmittelalter über ein genügend großes Angebot an Heilkundigen verfügte. Die aus der Mitte des 15. Jahrhunderts erhaltenen Dienstverträge mit den städtischen Wundärzten Reinhard von Monheim und Hermann Karben von Marckburch zeigen, dass sich die Obrigkeiten spätestens zu diesem Zeitpunkt um eine medizinische Versorgung in den Spitälern der rheinischen Metropole sorgten. Verträge zwischen einzelnen Hospitälern und Heilkundigen finden sich dagegen erst im 16. Jahrhundert. In RheinlandWestfalen und selbst in Köln erfolgte die Behandlung Kranker in den Hospitälern nur gelegentlich und keinesfalls regelmäßig. Das Spektrum der behandelten Krankheiten erstreckt sich, soweit die Kölner Dokumente andeuten, vornehmlich auf das klassische Aufgabenfeld der Wundärzte, wobei sich jedoch keine Erkenntnisse über die mögliche Entwicklung der Behandlungsmethoden gewinnen lassen. Aus dem großen Kreis spätmittelalterlicher Hospitäler ohne geregelte ärztliche Krankenversorgung sticht das Nürnberger Heilig-Geist-Spital heraus. Trotz der wie in Augsburg so auch im ähnlich prosperierenden Nürnberg gut ausgebildeten Medizinalstrukturen verfügte das Hospital während der ersten einhundertundfünfzig Jahre nach seiner Stiftung 1339 durch Konrad Groß, den einflussreichen Geldgeber Ludwigs des Bayern, noch nicht über einen fest angestellten Arzt oder Wundarzt. Lediglich die Tätigkeit eines Baders, der den Spitalinsassen im Einklang mit den 1343 durch den Stifter Konrad Groß verfügten Bestimmungen alle 14 Tage ein Bad anrichtete, lässt sich bereits in den ersten Jahren nach der Gründung des Heilig-Geist-Spitals fassen. Zwei Jahrzehnte später verfügte die Institution über ausreichende Geldmittel, allwöchentlich die Kosten für das Bad zu tragen. Erst 1468 aber konnten die Testamentsvollstrecker Jörg Keypers – Hans Gärtner, Sebald Schreyer, Hans Ingram und Hans Münzmeister von Bamberg – aus den Mitteln seiner Hinterlassenschaft auch die ärztliche Versor-
Mittelalterliche Hospitäler
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gung der Kranken im Spital sicherstellen. Mit dem jährlichen Stiftungsertrag von 70 Gulden Ewigzins sollte ein ebenso verständiger wie bewährter Doktor der Arznei angestellt werden, der im Hospital praktizieren und zugleich dort Wohnung nehmen sollte. Sofern die Einrichtung nicht genügend Raum für eine Wohnung böte, konnte mit einem Quartier in der Nähe der Wirkungsstätte Vorlieb genommen werden. Der „Tisch“, der Ort der praktischen Anwendung also, sollte jedoch möglichst im Hospital beibehalten werden. Der Pfleger war gehalten, den Arzt seiner Pflichten gegenüber den Kranken zu gemahnen, damit er diese nach all seinem Können behandele und zur Gesundung bringe. Sofern die Stiftung durch weitere Almosen und Gaben einen finanziellen Zuwachs erhielte, war vorgesehen, neben dem Arzt noch einen Wundarzt zu beschäftigen und gegebenenfalls auch eine Apotheke einzurichten, in der die Heilkundigen die benötigen Arzneien beziehen konnten. Eid des Apothekers im Nürnberger Heilig-Geist-Spital U. Knefelkamp, Das Heilig-Geist-Spital in Nürnberg vom 14.–17. Jahrhundert, S. 386. (Übertragung ins Neuhochdeutsche: K. P. Jankrift.)
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Des Apothekers im Neuen Spital Pflicht Ein jeder Apotheker, der im Neuen Spital angenommen wird, soll sich dem Pfleger des besagten Spitals zur Treue verpflichten und darauf zu Gott schwören, dass er die Apotheke mit Fleiß führen, beim Einkauf der Materialien und alles anderen aufs genaueste sein und handeln wolle; doch soll er selbst und sein Lehrjunge rechte und gute frische Waren kaufen, so viel ihm möglich ist, die gebrauchten Wasser, Säfte und anderes, das in der Apotheke ist und gemacht wird und ziemlich viel kostet, sorgfältig behandeln und nicht unnütz damit umgehen und zerbrechen, noch dieselben verderben lassen.
Vor der Einstellung eines universitär gebildeten Arztes scheint sich jedoch zunächst ein Wundarzt der medizinischen Betreuung der Kranken im Heilig-Geist-Spital angenommen zu haben. Der Chirurg, dessen Bestallung im Falle ausreichender Geldmittel in der Stiftung Jörg Keypers ausdrücklich vorgesehen war, sollte sich der Krüppel, Beinbrüchigen, Erfrorenen, Verbrannten und anderen, von äußeren Schäden Geplagten annehmen und ihnen die zur Gesundung nötigen Medikamenten reichen. Im Jahre 1487 wurde zu diesem Zweck Meister Konrad bei dem Weißen Turm angenommen, der neben der Wundbehandlung auch die Anrichtung des Bades übernahm. Unterstützt wurde er dabei von einem Badeknecht und einer Magd. Für seine Dienste erhielt er ein Jahresgehalt von 23 Gulden. Zu den gleichen Bedingungen fand Meister Konrad Kaiser, Bader im Sonnenbad, 1490 Anstellung im Heilig-Geist-Hospital, 1496 Meister Stephan Eberhard, ebenfalls Bader im Sonnenbad. Erst vier Jahre später findet sich erstmals ein Beleg für die Verpflichtung eines universitär gebildeten Arztes. Am 19. August 1500 wurde Doktor Johann Lochner für die Dauer von zunächst zwei Jahren als Spitalarzt angenommen. Jeden Tag sollte er sich eine Stunde am Vormittag und nötigenfalls auch zu anderen Zeiten bei der Küsterin und ihren Helferinnen kundig darüber machen, welcher der Spitalinsassen seiner Hilfe benötigte. Dann sollte er die Harnschau, das
Die Stiftung des Jörg Keyper
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klassische Aufgabenfeld universitär gebildeter Ärzte, durchführen und mit geeignet erscheinenden Arzneien eine Behandlung des Patienten vornehmen. Für seine Mühen sicherte ihm sein Dienstvertrag eine Entlohnung von 40 Gulden zu. Sofern er Wohnung im Spital bezog, reduzierte sich diese Summe auf 32 Gulden. Im Einklang mit den Medizinalstatuten Friedrichs II. war er ferner gehalten, Aufsicht über die Apotheke zu führen. Darüber hinaus verpflichtete er sich, nicht ohne Erlaubnis des Pflegers die Stadt zu verlassen. Die Entwicklung der Ärztegehälter am Heilig-Geist-Hospital veranschaulicht, dass die Beschäftigung eines eigenen akademisch gebildeten Heilkundigen große Finanzmittel verlangte. Schon vor der Mitte des 16. Jahrhunderts erhalten im Heilig-Geist-Hospital tätige Ärzte Entlohnungen von 80 Gulden und mehr. Das Spektrum der in der Einrichtung behandelten Krankheiten wird in seiner ganzen Breite erst in späterer Zeit fassbar. Wie eine entsprechende Aufstellung in der 1989 erschienen Studie von Ulrich Knefelkamp zeigt, erstreckte es sich von allerlei Verletzungen, vor allem der Extremitäten, über Brüche, Brandwunden und Erfrierungen bis hin zu Leibschmerzen, Wassersucht und Fiebererkrankungen. Wenngleich die Qualität der Behandlungen wieder einmal nicht zu ergründen ist, verdeutlicht Jörg Keypers Stiftung ärztlicher Hilfe vor allem zwei Dinge: Zum einen waren sich die Zeitgenossen – und dies gewiss nicht nur in Nürnberg – des Bedarfs an ärztlicher Versorgung in hospitalischen Institutionen, die Kranke zuließen, durchaus bewusst. Zum anderen war die Aufnahme medizinischer Behandlungen in das allgemeine Leistungsangebot solcher Häuser zu kostspielig, um aus den gewöhnlich zur Verfügung stehenden Mitteln bestritten zu werden. Hierzu bedurfte es spezieller Zuwendungen in beträchtlicher Höhe. So blieb die Situation in Nürnberg eine Ausnahme.
3. Ärzte, Heilkundige und Patienten in spätmittelalterlichen Städten
Medizinische Versorgungsstrukturen
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Die Struktur und Funktionsweisen des Medizinalwesens spätmittelalterlicher Städte, in dessen Rahmen die unterschiedlichen Hospitäler nur eine untergeordnete Rolle spielen, erschließt sich am deutlichsten bei der vergleichenden Betrachtung seiner Protagonisten sowie ihrer spezifischen Aufgaben und Handlungen im praktischen Alltag der Krankenbehandlung. Dies zeigt exemplarisch Robert Jüttes detailreiche Studie von 1991 über den medizinischen Alltag im frühneuzeitlichen Köln. Ausdrücklich muss betont werden, dass die medizinischen Versorgungsstrukturen in spätmittelalterlichen Städten der unterschiedlichen Regionen Europas erheblich variierten. Die im Folgenden zur Veranschaulichung geschilderten Beispiele aus zwei hinsichtlich der Dichte ihres Angebots an medizinischen Leistungen bereits sehr unterschiedlich ausgeprägten Gebieten des deutschen Reichsgebiets erfüllen nicht einmal ansatzweise Kriterien einer Allgemeingültigkeit. Keine Region und keine Stadt nördlich der Alpen vermochte mit den Angeboten des – modern gesprochen – medizinischen Marktes in den größeren Städten Südfrankreichs, Italiens oder der Iberischen Halbinsel zu konkurrieren. Die Förderung medizinischer Bildung, insbesondere durch eine größere Zahl an Universitäten mit den be-
Ärzte, Patienten und Heilkundige in mittelalterlichen Städten
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rühmtesten Lehrkräften ihrer Zeit, wirkte sich unweigerlich auf die Zahl des zur Verfügung stehenden medizinischen Personals und seiner fachlichen Qualifikationen aus.
a) Ärztemangel in Soest oder: Einblicke in die medizinischen Strukturen einer westfälischen Großstadt Trotz einer Bevölkerungszahl von bis zu 20 000 Einwohnern im späten Mittelalter und einer herausragenden handelspolitischen Bedeutung des mittelalterlichen Soest blieben die medizinischen Versorgungsstrukturen der Hansestadt bis in die frühe Neuzeit hinein schwach ausgeprägt. In den ansonsten reichhaltigen Quellen fließen Hinweise auf ein Wirken Heilkundiger nur spärlich. Zumeist sind es nur die Namen, die überliefert sind und die ohne einen erkennbaren Bezug zu ihrer medizinischen Tätigkeit auftauchen. Der Arzt war zu allen Zeiten auch Privatmann. Er kaufte und verkaufte Haus oder Grund, trat als Zeuge eines Rechtsgeschäfts auf oder erhielt Wein vom Rat zum Geschenk. Wie Heilkundige indes ihre Patienten behandelten und wie sich ihr professioneller Alltag gestaltete, ist nur selten und bruchstückhaft im Spiegel der Zeugnisse zu erfahren. Schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts findet sich erstmals die Erwähnung eines Arztes in Soest. Der als Physicus, streng genommen also als universitär gebildeter Arzt, bezeichnete Meister Hermann stellte sein Haus am Patroklimünster für die Abwicklung eines Rechtsgeschäfts zur Verfügung. Conrad von Rüdenberg übereignete dem Kloster Welver in der auf den 2. Februar 1265 ausgestellten Urkunde sechs Morgen Land bei Klotingen, die Nicolaus Berstraten dem Kloster verkauft hatte. Ob Meister Hermann allerdings tatsächlich, wie der im Dokument verwendete Titel Physicus nahe legt, seine medizinischen Kenntnisse an einer Universität erworben hatte, bleibt fraglich. Wenn dem so war, muss er an einer der medizinischen Fakultäten im Ausland studiert haben, bevor ihn sein Weg in die westfälische Hansestadt führte. Die gleiche Feststellung gilt für den 1297 bezeugten Johannes, genannt Judeus, medicus von Soest. Dessen Sohn, ebenfalls ein Arzt namens Johannes, tätigte am 19. Februar dieses Jahres zusammen mit seinem Bruder Hermann vor dem Rat des sauerländischen Brilon eine Güterschenkung an das Kloster Welver. Der Umstand, dass sowohl der Vater als auch sein vermutlich ältester Sohn in derselben medizinischen Profession tätig waren, deutet an, dass sich auch in Westfalen vereinzelt Beispiele für familiäre Kontinuitäten in der Ausübung ärztlicher Tätigkeit finden lassen. Über die ärztliche oder besser wundärztliche Praxis im Soest des ausgehenden 13. Jahrhunderts findet sich ein interessanter Hinweis. Im Jahre 1298 soll eine Frau gemäß der Überlieferung unter schwierigen Bedingungen ein Kind zur Welt gebracht haben. Das offenbar missgestaltete Neugeborene konnte nur mithilfe der lokalen Medizinalpersonen auf die Welt geholt werden. Details des Eingriffs verschweigt die kurze Notiz. Mutter und Kind starben kurz nach der unter einigen Mühen erfolgreich beendeten Geburt. Geburtshilfe war zu dieser Zeit keine Angelegenheit für Ärzte oder Wundärzte. Sie betrachteten sich nicht zuständig für die engeren Belange
Soester Ärzte und Wundärzte im 13. und 14. Jh.
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Soester Medizinalwesen im 15. Jh.
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der Frauenheilkunde. Sobald diese im weitesten Sinne operative Eingriffe erforderte, trat der Wundarzt auf den Plan. Sofern eine Hebamme schwierige Geburten nicht allein bewältigen konnte, stand er ihr zur Seite. Dabei gingen die Heilkundigen nicht immer behutsam zur Sache. Nicht selten verbluteten bei solchen Eingriffen – wie wohl auch im vorliegenden Beispiel – die Mutter und ihr Neugeborenes. Bis zur zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts findet sich keine weitere Nachricht über Medizinalpersonen in der westfälischen Hansestadt. Erst im Jahre 1366 taucht erneut die Spur eines Wundarztes namens Lambert auf. Er erscheint in der Zeugenliste einer Schenkungsurkunde. Ein weiterer Wundarzt – ebenfalls außerhalb eines professionellen Zusammenhangs – wird im Jahre 1395 genannt. Der Chirurg Meister Johannes befindet sich unter den Zeugen, die aussagen, dass in den vergangenen vierzig Jahren zu Oestinghausen kein Gericht gehalten wurde. Danach klafft für das 15. Jahrhundert, nach geläufiger Definition das letzte der mittelalterlichen Jahrhunderte, eine breite Überlieferungslücke. Mehr als Namen finden sich nicht. Nachweisbar ist in den Soester Quellen während des 15. Jahrhunderts lediglich Meister Hunolt von Plettenberch, der als Doktor der Medizin bezeichnet wird. Auch er tritt außerhalb seines beruflichen Betätigunsfeldes in Erscheinung. Am 30. April 1454 bezeugte er den Verzicht der Brüder Ritter Goswin und Rutger Ketteler auf ihren Hof zugunsten des Klosters Sankt Walburgis. Die vergleichsweise geringe Zahl der in Westfalen zu dieser Zeit praktizierenden Ärzte und Wundärzte machte diese begehrt. Es kam vor, dass eine Stadt der anderen ihre Heilkundigen abwarb. So zeigt beispielsweise eine Stadtrechnung der nahe gelegenen Reichsstadt Dortmund im Frühling 1461 eine Zahlung an einen Stadtboten mit dem bezeichnenden Namen Rotger Soest. Dieser war zu dem Arzt Meister Matthaeus nach Soest geschickt worden, um sich zu erkundigen, wann der Heilkundige gemäß seiner Zusage nach Dortmund kommen wolle. Kein Soester Schriftzeugnis erwähnt den nachgefragten Meister. So lässt sich nicht klären, wie lange er bereits dort wirkte und ob es ausschließlich die Qualität seiner Behandlungen war, die Begehrlichkeiten bei den Dortmunder Obrigkeiten weckte. Die ungeduldige Nachfrage aus Dortmund deutet darauf hin, dass sich der Heilkundige mit der Erfüllung seiner Zusage Zeit ließ. Ob er dieser überhaupt nachkam, verraten die Quellen nicht. Für das Jahr 1476 verzeichnet die Soester Rentkammerrechnung die Bezahlung eines Wundarztes, der das Bein eines gewissen Kestin erfolgreich behandelt hatte. Der Behandelte war in Diensten für die Stadt in einen Aushub gefallen und hatte sich dabei verletzt. Da der Zwischenfall in städtischer Dienstverpflichtung geschah, übernahm die Stadtkasse pflichtbewusst die Behandlungskosten. Vergleichsweise früh griffen die Stadtoberen von Soest für die Leichenbeschau gewaltsam zu Tode Gekommener auf Wundärzte zurück. Im Oktober 1419 wurde die Frau Johan Sures tot in ihrem Hause aufgefunden. Zur Feststellung der Todesursache beauftragte der Rat Wundärzte die Leiche zu untersuchen. Ein solches Vorgehen war am Beginn des 15. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum noch keineswegs die Regel. Erst im 16. Jahrhundert fanden obrigkeitlich verordnete Leichenschauen zu ge-
Ärzte, Patienten und Heilkundige in mittelalterlichen Städten richtsmedizinischen Zwecken in größerer Zahl statt. Der Befund der Chirurgen legte als Todesursache Gewaltanwendung nahe. Die Untersuchung beschränkte sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach nur auf eine äußere Untersuchung der Leiche. Leichensektionen zu gerichtsmedizinischen Zwecken, wie sie etwa ein Hamburger Barbier schon 1350 durchführte, blieben noch lange eine Ausnahme. Erst nach der Wende zum 16. Jahrhundert scheinen Ärzte oder zumeist Wundärzte fest in städtischen Diensten gestanden zu haben. Im Jahre 1510 findet sich in dieser Position ein jüdischer Meister namens Salomon. Über die Ausbildung solcher jüdischen Heilkundigen im deutschsprachigen Reichsgebiet liegen bisher keine gesicherten Erkenntnisse vor. Wahrscheinlich griffen sie vor allem auf tradiertes Wissen und empirische Beobachtung zurück. Ähnlich wie ihre christlichen Standeskollegen begaben sie sich möglicherweise in die Ausbildung bei einem bereits erfahrenen jüdischen Heilkundigen. Die Trennlinie zwischen Chirurgie und innerer Medizin dürfte dabei weniger scharf gewesen sein als im Bereich der medizinischen Ausbildung christlicher Heilkundiger. Salomon stand bei seinen Dienstherren in hohem Ansehen und verfügte auch über einen gewissen Einfluss. Allerdings gestattete man einem jüdischen Heilkundigen in Soest nicht, sich außerhalb seiner heilkundlichen Tätigkeit in städtische Belange einzumischen. Als Salomon zugunsten einiger Glaubensgenossen, die ohne Geleitschein Soester Territorium passiert hatten und daraufhin festgesetzt worden waren, beim Soester Rat intervenierte, kamen die Gefangenen frei. Der Preis, den Meister Salomon jedoch dafür zu zahlen hatte, war hoch. Die Stadtväter verpflichteten nun den Arzt, seine Tochter und seinen Knecht zum Tragen eines gelben Ringes auf dem Gewand, von dem diese bislang befreit waren. Seine ärztliche Kunst hatte ihn und seine Familie bisher vor offener Diskriminierung geschützt. Doch jetzt galt für ihn die gleiche Kennzeichnungspflicht wie für all jene auswärtigen Juden, die sich länger als einen Tag in Soest aufhielten. Zu dieser Zeit war Salomon jedoch nicht der einzige Heilkundige in der westfälischen Stadt. In der Korrespondenz des Rates findet im gleichen Jahr ein Wundarzt namens Gort Erwähnung. Er hatte bereits vor einiger Zeit im nahe gelegenen Neheim die Wunde von Johann Smedes Tochter behandelt, wartete jedoch noch immer vergeblich auf seine vereinbarte Bezahlung. Der Soester Rat wandte sich daraufhin in einem Schreiben an die Stadtoberen Neheims, damit Meister Gort zu seinem Recht komme. Immerhin hätte er die junge Frau mit großen Mühen vor dem Tode bewahrt (s. Quelle). Aus dem Schreiben des Rates von Soest an den Rat von Neheim in der Angelegenheit des Wundarztes Meister Gort, 1510 Stadtarchiv Soest, A HS 82, S. 31. (Freie Übertragung ins Neuhochdeutsche: K. P. Jankrift; Quelle im Original s. Anhang, 1.)
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Jüdische Heilkundige in Soest
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Meister Gort, unser Stadtwundarzt, hat uns zur Kenntnis gebracht, dass er auf Bitten Eures Mitbürgers Johann Smedes Tochter ein Bein, das zu dieser Zeit eine todbringende Wunde hatte und sie vom Tod schon umfangen wurde, mit großer Angst und Arbeit geheilt, gelöscht und so ihren Leib und ihr Leben mit Hilfe Gottes gerettet habe.
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Die Schulden des Dr. Portfleyth
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Wie der Streitfall ausging, lässt sich im Spiegel der Soester Überlieferung nicht klären. Im Jahre 1513 – Meister Salomon hatte der Stadt anscheinend bald nach dem für ihn so unerfreulichen Zwischenfall den Rücken gekehrt – bemühten sich die Soester um eine Anstellung Pauls van der Velt als Stadtarzt. Doch dem Arzt erschien das Angebot der Soester wenig lukrativ. Aufgrund der geringen Bezahlung, die die Stadtoberen ihm anboten, lehnte van der Velt ab. Unklar bleibt, ob die Soester sich nun an einen anderen Mediziner wandten oder ob die Stelle des Stadtarztes auf längere Zeit vakant blieb. Fest steht, dass im September 1518 der Arzt Doktor Johannes Portfleyth auf zunächst vier Jahre in städtische Dienste genommen wurde. Eidlich verpflichtete er sich, Reichen wie Armen mit all seinem medizinischen Wissen behilflich zu sein. Zu seinen Aufgaben gehörte nicht allein die Versorgung der Kranken, sondern auch die Aufsicht über den Apotheker. In Soest tauchte diese schon im 13. Jahrhundert von Kaiser Friedrich II. bestimmte Verpflichtung nun erstmals auf. Auch die Nachfolger Doktor Portfleyths wurden zur Kontrolle der Apotheker sowie der Qualität ihrer Waren angehalten. Entgegen der Verfügungen im Liber Augustalis kam es jedoch in Soest bisweilen vor, dass ein Stadtarzt in Personalunion die Führung einer Apotheke übernahm. Solches also hatte die Medizinalordnung Friedrichs II. ausdrücklich ausgeschlossen. Für seinen Dienst bekam Portfleyth ein Jahresgehalt von 40 Goldgulden, einen Malter Roggen, einen Malter Gerste und freie Unterkunft. Zum ersten Mal blieb nun ein Stadtarzt längere Zeit in Soest. Noch 1528 war er als Stadtarzt tätig, wie aus einem Schreiben des Soester Rates an die Stadt Köln zu ersehen ist. Das Schreiben gibt zugleich Aufschluss über die Ausbildung Portfleyths. Er hatte 1484 in Köln studiert und schuldete einem gewissen Andries von Sittard noch immer Geld. Andries von Sittard, in dem Brief als „Apotheker“ bezeichnet, war vielleicht ein Mitglied der Kölner medizinischen Fakultät. Immerhin findet sich dort zur nämlichen Zeit ein namensgleicher Arzt, der als vermögend galt und in Geldgeschäften tätig war (s. Quelle). Antwortschreiben des Soester Rates an Köln betreffend die Schulden des Stadtarztes Portfleyth, 1528 Stadtarchiv Soest, A HS 82, S. 333. (Freie Übertragung ins Neuhochdeutsche: K. P. Jankrift; Quelle im Original s. Anhang, 2.) Wir schreiben mit inliegender Supplikation des ehrsamen Meisters Andries van Sittard, die wir erhalten haben, zu melden, den hochgelehrten Joh. Portfliet Doktor dazu zu veranlassen, ihn zu bezahlen. Dies haben wir demselben vorgehalten, der uns darauf geantwortet hat, er bedauere, dem genannten Apotheker so lange schuldig geblieben zu sein, wobei der meiste Teil der Schulden noch immer auf ihm laste, zumal er nicht zu Geld habe kommen können, um die Zahlungsverpflichtung zu leisten. Auch nun vermöge er nicht mehr, als ihm sein gütliches Begehr zu gestatten, eine Hälfte zum nächsten Weihnachtsfest und die andere zu nächst folgendem Mitfasten zu bezahlen, wie er uns berichtet hat.
Dies ist die letzte Erwähnung Johannes Portfleyths. Vielleicht fiel er der großen Seuche des Jahres 1529 zum Opfer, vielleicht auch beim Rat in Un-
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Ärzte, Patienten und Heilkundige in mittelalterlichen Städten gnade. Im folgenden Jahr wird jedenfalls der Wundarzt Bernt Breckenfeld als Stadtarzt erwähnt, 1536 Johannes Wesselink. Die meisten Heilkundigen hielt es nicht lange in Soest. 1540 bescheinigten Bürgermeister und Rat Nicolaus Stratius, er habe der Stadt als Doktor seine Zeit treu gedient und sich aufrichtig gehalten. Aus Krankheitsgründen nahm er seinen Abschied. An seine Stelle trat abermals ein jüdischer Heilkundiger. Sein Name Benedictus erscheint stets in der latinisierten Form des hebräischen Baruch, der Gesegnete. Im Herbst 1540 nahmen ihn die Stadtoberen unter Gewährung einer freien Wohnung auf zehn Jahre an. In seinem Haus durfte er auf eigene Kosten eine Apotheke im Wert von 100 Goldgulden einrichten. Strikt wurde er jedoch darauf vereidigt, keinen Handel zu treiben. Nur seiner Heilkunst sollte er sich zum Lebenserwerb bedienen. Auch das Schlachten durfte er nicht selbst besorgen. Sofern er den jüdischen religiösen Geboten entsprechend koscheres Fleisch benötigte, sollte er dies bei auswärtigen jüdischen Schlachtern erwerben dürfen. Doch auch dieser Arzt kehrte der westfälischen Stadt bald den Rücken. Schon im April des Jahres 1545 verließ er Soest wieder. Die Gründe seines vorzeitigen Ausscheidens aus städtischen Diensten werden in keinem der erhaltenen Dokumente genannt. Der Rat stellte ihm ein gutes Zeugnis aus. Er habe sich, so heißt es, nach seinem Wesen und Stand stets wie ein frommer Jude gehalten und durch seine Heilkunst Frau und Kinder ernährt. Nur Gutes könne man über ihn berichten. Benedikt war für lange Zeit der letzte jüdische Heilkundige in Soest. Die im Jahre 1613 erstmals aufgestellte Medizinalordnung von Soest verbot Juden ausdrücklich das Betreiben der Heilkunde in der Stadt. Erst 1564 lässt sich wieder ein Stadtarzt in Soest nachweisen. In diesem Jahr schrieb der Rat in der Angelegenheit Johannes Bisskamps an die Stadt Werl. Wie einige Jahrzehnte zuvor der Wundarzt Gort hatte auch Bisskamp die zugesagte Entlohnung für seine Dienste noch nicht erhalten. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts bekleideten noch mehrere Ärzte, stets nur für kurze Zeit, die Stadtarztstelle in Soest. Für 1570 ist Peter Mol bezeugt. Im selben Jahr erscheint auch der Chirurg Meister Hans Iseken, der bei der Stadt um Erstellung eines Abschiedszeugnisses bat. Gleiches tat 1575 auch Magister Radolphus vom Velte, der nach siebenjähriger Tätigkeit Soest verlassen wollte. Einige Jahre blieb die Stadt ohne Stadtarzt. Stattdessen wurde der Apotheker Sebastian Jakobi mit der Vertretung des fehlenden Mediziners betraut. Erst am 26. November 1578 stellte der Rat erneut einen Stadtarzt an. Auch dieser, Petrus Clericus, übte sein Amt nicht lange aus. Wie einem Ratsprotokoll zu entnehmen, starb er schon 1579. Man gewährte seiner Witwe gnadenhalber noch die Zahlung eines Anteils seiner ursprünglichen Entlohnung. Dieses Mal währte die Vakanz nicht lange. Im Jahre 1580 wurde der Göttinger Arzt Conrad Hinrichs zunächst auf ein halbes Jahr bei einer Besoldung von 12 Talern in Dienst genommen und wie schon seine Vorgänger wurde auch er zur besonderen Aufsicht über die Apotheke ermahnt. Während der Pest des Jahres 1580 zeigte sich Hinrichs als pflichtbewusster Arzt. Er verfasste einen nicht erhaltenen Traktat, den er den Stadtoberen widmete. Am 30. November 1580 entschied der Rat, ihm deswegen eine
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Henker, Quacksalber und Scharlatane
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Belohnung zukommen zu lassen. Doch die Anerkennung des Rates war auch Hinrichs nicht von Dauer beschieden. Als er 1583 eine Erhöhung seines Gehalts forderte, beschloss man, ihn schnellstens zu entlassen. In der letzten Dekade des 16. Jahrhunderts standen den Soestern zur Linderung ihrer Leiden keine geschulten Mediziner mehr zur Verfügung. Der Bedeutungsverfall der Stadt hatte sich auch auf die Medizinalstrukturen ausgewirkt. Nur noch Wundschneider, Okkulisten und Scharlatane produzierten sich in Soest. Erst 1599 war die Stadtarztstelle wieder besetzt: Der neue Amtsinhaber Johannes Kattenbusch begründete eine bis dahin nicht gekannte Amtskontinuität. Fünfundzwanzig Jahre, bis zu seinem Tod im Jahre 1623, stand er in städtischen Diensten. Betrachtet man den häufigen Wechsel der Stadtärzte und die langen Vakanzen, so war die medizinische Versorgung der Soester Bevölkerung keineswegs je ausreichend. Zudem scheint die Qualität der Behandlung bisweilen höchst fragwürdig gewesen zu sein, denn die Heilkundigen genossen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit lange uneingeschränkte Freiheiten. Eine Gilde der Barbiere und Wundärzte, wie sie sich in anderen Städten bisweilen ausbildete, existierte in Soest nie. Keine Spuren finden sich in der westfälischen Stadt über die weit verbreitete Ausübung heilkundlicher Basisversorgung durch die Scharfrichter. Vielerorts spielten die Vollstrecker des Rechts eine gewisse Rolle innerhalb des städtischen Medizinalwesens. Nach erfolgter Tortur mussten sie in der Lage sein, den geschundenen Körper – abgesehen von Narben – wieder leidlich in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Durch ihre grausame Tätigkeit verfügten sie über gute Kenntnisse körperlicher Befindlichkeiten. Der Gefolterte durfte unter der Tortur nicht sterben. Im Anschluss an die Folter renkte der Scharfrichter Gliedmaßen wieder ein und versorgte Brandwunden. Letzteres oftmals mit eigens hergestellten Salben. Erwähnt werden muss auch, dass der Körper eines Hingerichteten nach volksmedizinischem Verständnis außerordentlich interessant war. Körperteile des Delinquenten konnten zu „Heilmitteln“, dem Mumia, verarbeitet werden, dem eine nahezu magische Heilwirkung zugeschrieben wurde.
b) Heilkundige in München oder: Konkurrenzkampf auf dem „medizinischen Markt“ einer süddeutschen Residenzstadt Ein derartiger Mangel an Heilkundigen wie in Westfalen herrschte im Süden des deutschsprachigen Reichsgebiets nicht. Die Anwesenheit von Heilkundigen ist in der Reichsstadt Augsburg, in deren Schatten die wittelsbachische Residenzstadt München stand, seit dem 13 Jahrhundert belegt. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts war das Angebot an Heilkundigen in der prosperierenden Stadt offensichtlich groß und renommiert genug, dass andere Städte – allen voran München – Wundärzte und Ärzte aus Augsburg rekrutierten. Einige, wie der jüdische Heilkundige Wolf von Augsburg 1411, traten in die Dienste der wittelsbachischen Herzöge. Im Jahre 1362 lässt sich in Augsburg erstmals die Anstellung eines Stadtarztes auf Lebenszeit nachweisen.
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Ärzte, Patienten und Heilkundige in mittelalterlichen Städten Die Kämmereirechnung desselben Jahres deutet an, dass die Obrigkeiten zu dieser Zeit bereits zwei Medizinalpersonen – einen Physicus und einen Wundarzt – beschäftigten. Zahlungen erfolgten zum einen an „Magister Hartmannus medicus“ und an „Maister Herman cirurgicus“. Die zahlreichen erhaltenen Anstellungsverträge vermitteln einen Eindruck von der Entlohnung und den Aufgaben der städtischen Ärzte und Wundärzte. So wurde etwa der aus Büdingen stammende Doktor der Medizin Johann Herdlin im Jahre 1475 zunächst für drei Jahre bei einem jährlichen Sold von 50 Gulden in städtische Dienste genommen. Er verpflichtete sich, nach bestem Wissen und für angemessene Bezahlung seine Heilkunst auszuüben, dem Rat treu zu dienen und die Stadt, in der er Wohnung beziehen musste, nicht ohne Erlaubnis der städtischen Obrigkeiten zu verlassen. Herdlins Dienstzeit wurde in der Folgezeit mehrfach verlängert. Zwanzig Jahre wirkte er als Stadtarzt in Augsburg. Während sich die medizinischen Leistungen des akademisch gebildeten Physicus vornehmlich auf die Mitglieder des Rates und ihre Familien erstreckten, sollten die städtischen Wundärzte spätestens seit dem 15. Jahrhundert nicht nur allen Stadtbewohnern gleichermaßen ihre Heilkunst angedeihen lassen, sondern auch die Kranken im Heiliggeistspital und im Findelhaus versorgen. Über einen fest angestellten Arzt oder Wundarzt verfügte indes keine der hospitalischen Institutionen in Augsburg. So wurden auch hier die Kranken in den Hospitälern allenfalls gelegentlich medizinisch behandelt. Dicht gestalten sich auch die Medizinalstrukturen im nahe gelegenen, ungleich kleineren München. Ließen sich in Soest lediglich Ansätze zur Ausbildung einer familiären Tradition in der Ausübung der Heilkunde erkennen, steht sie in München in vollendeter Form gegenüber. Am Beginn des 14. Jahrhunderts bereits wirkte mit Konrad Tömlinger (1318–1362) der erste Angehörige dieser Familie neben dem Physicus Meister Perchtold als Stadtarzt von München. In der Folge bildeten die Tömlinger eine Art mittelalterlicher Ärztedynastie aus und bekleideten die Ämter des städtischen Arztes, Wundarztes oder des Apothekers über Generationen. Die Münchener Obrigkeiten konnten im Gegensatz zu den Soestern aus einem weit größeren Angebot universitär gebildeter Ärzte von jenseits der nahe gelegenen Alpen schöpfen. Schon zur Mitte des 15. Jahrhunderts findet sich ein Physicus aus der Lombardei, Bonaventura de Lombardia (1345). Er blieb nicht der einzige Arzt mit Ausbildung an einer der hoch angesehenen italienischen Universitäten, die auch aus dem süddeutschen Raum zum Studium aufgesucht wurden. Mit Peter, genannt Lamparter, von Mailand findet sich 1436 ein weiterer Vertreter der italienischen Universitätsmedizin. Er war, wie andere Heilkundige auch, aus dem nahe gelegenen Augsburg an die Isar übergesiedelt. Offenbar hatte er an seiner früheren Wirkungsstätte einen guten Eindruck hinterlassen, denn nicht wenige seiner Patienten suchten ihn weiterhin zu Konsultationen in München auf, darunter auch der Augsburger Bürgermeister. Lamparter, der adeliger Abstammung war, stiftete bei seinem Ableben in der Frauenkirche eine Messe und vermachte dem Minoritenkloster seine gesamten medizinischen Bücher. Nicht weniger populär wirkten die Meister Sigmund Walch, genannt Gotzkircher, und Dr. Hans Ruland in der Residenzstadt an der Isar. Im Gegensatz zu Soest unterhielten die Mün-
V. Augsburger und Münchener Ärzte im 15. Jh.
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chener Stadtväter kontinuierlich einen universitär gebildeten Arzt und einen Wundarzt in ihren Diensten. Der medizinische Markt war indes zu dieser Zeit bereits außerordentlich dicht. Die Konkurrenz bekam auch der Augsburger Wundarzt Ulrich Prunning zu spüren, der kurz nach seiner Übersiedlung an die Isar mit der üblen Nachrede konfrontiert wurde, eine Amputation unnötigerweise ausgeführt und seinen Patienten vernachlässigt zu haben. Auch über die Ausübung der Hebammenpraxis lässt sich in München Näheres erfahren. Die weisen Frauen hatten sich dort auch um die alles andere als ungefährliche Entbindung Schwangerer in den Pestzeiten des 14. Jahrhunderts gesorgt.
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Empfehlungsschreiben des Apothekers Niclas von Augsburg an den Münchener Rat für den Wundarzt Ulrich Prunning, 1453 Stadtarchiv München, Historischer Verein, Urk. 5443 1/2. (Freie Übertragung ins Neuhochdeutsche: K. P. Jankrift; Quelle im Original s. Anhang, 3.) Den ehrsamen, vorsichtigen und weisen lieben Herren meinen willigen und bereiten Dienst. Wisse Eure Weisheit allezeit zuvor lieben Herren, dass der ehrbare Meister Ulrich Prunning, Stadtwundarzt zu Augsburg, mir gesagt hat, dass er sich euch angeboten hat, Euer Stadtwundarzt in München zu sein. Nun ist der Meister Ulrich gar ein ehrbarer redlicher Mann und guter Arzt, der sich wohl auf die Dinge versteht. Also bitte ich Euch Euer Weisheit mit besonderem Fleiß ernstlich, Ihr wollt ihn um meinen willigen Dienst willen als solchen gnädiglich aufnehmen und Euch freundlich gegen ihn zeigen. Zumal ich Euch wohl vertraue und dies von ganzem Herzen von Euch und den Euren auch gern verdienen will, da mir kein Zweifel daran ist, dass der ehrsame Meister Ulrich Eurer Ehrsamkeit zu gefallen sei und Euch wohl dienen werde, da mit Arm und Reich ein Leib zu ihm gehen soll.
Jüdische Heilkundige in Diensten der bayerischen Herzöge
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Eine Anwesenheit jüdischer Heilkundiger lässt sich auch in München belegen. Hoher Wertschätzung erfreuten sie sich am Herzogshof. So taucht im Jahre 1358, knapp ein Jahrzehnt vor der Wiederzulassung einer jüdischen Ansiedlung in München nach den Pestpogromen, der Heilkundige Meister Sun in den Dokumenten als Leibarzt des wittelsbachischen Markgrafen Ludwig des Brandenburgers auf. Der jüdische Arzt Sun erhielt offenbar aus Dankbarkeit für einen Heilerfolg ein Pferd zum Geschenk. Ebenfalls noch vor der Wiederansiedlung weiterer Juden in der Stadt findet sich der bekannte Arzt Jakob von Landshut, der in München mindestens ein Haus besaß und nachweislich des Öfteren in der Residenzstadt weilte, als Leibarzt Herzog Stephans des Älteren. Im Gegensatz zu seinem späteren Soester Glaubensgenossen beschränkte Jakob sein Wirken nicht allein auf seine Heiltätigkeit, sondern war wiederholt in größere Finanztransaktionen involviert. Im Jahre 1368 erhielt er unter anderem die stolze Summe von 200 Gulden aus dem Guthaben des verstorbenen Münchener Bürgers Hans Krug zugesprochen. Im gleichen Jahr taucht er auch in einer Schuldverschreibung Herzog Stephans an seinen Sohn auf, in der unter anderem bestätigt wird, dass der Sohn die Schulden in Höhe von 80 Pfund Regensburger Pfennigen bei dem herzoglichen Leibarzt Jakob ausgelöst hatte. Im Unterschied zu den meisten seiner mittelalterlichen jüdischen Standes-
Ärzte, Patienten und Heilkundige in mittelalterlichen Städten kollegen lassen sich einige Stationen auf dem Lebensweg Jakobs nachvollziehen. Wohl um 1350 in Schwäbisch Gmünd geboren, gelangte er auf nicht rekonstruierbaren Wegen in das wittelsbachische Herzogtum, wo er offenbar schon als recht junger Mann ärztliche und finanzielle Karriere machte. Um 1370 unterhält der wohl die meiste Zeit in Landshut ansässige Arzt intensive Kontakte nach Regensburg. Nach der Wiederzulassung der Ansiedlung von Juden in München zwischen 1365 und 1375 scheint Jakob intensiv in den Wiederaufbau institutioneller Gemeindestrukturen involviert gewesen zu sein. Im August 1380 erhielten die Juden an der späteren Juden- oder Gruftgasse ein Grundstück zur Errichtung einer Synagoge, deren Bau im Herbst 1381 offenbar vollendet war. Zur gleichen Zeit plante man zumindest auch die Einrichtung eines Hekdesh, eines Spitals. Ob dieser Plan, von dem in einem Schreiben der Münchener an die jüdischen Gemeindeoberen in Straßburg die Rede ist, je zur Ausführung kam, bleibt ungewiss. Überschattet wurden die Bemühungen zur Wiederetablierung nämlich von einem Finanzskandal großer Tragweite, in welchem auch der zu dieser Zeit in München weilende Arzt Jakob empfindliche Finanzeinbußen hinnehmen musste. Ende 1380 oder Anfang 1381 floh der in München lebende Jude Isaak ha-Zarfati, der Beiname deutet auf seine französische Herkunft hin, mit zahlreichen Pfändern aus der Stadt. Stammte der Löwenanteil aus eigenen Darlehensgeschäften, so bestand dennoch ein beträchtlicher Teil aus Gemeinschaftsdarlehen, die er mit anderen Juden – unter anderem Meister Jakob – vergeben hatte. Von Pappenheim, wo es der Gemeinde nicht gelang, den Flüchtigen mithilfe des dortigen Rabbiners Mendel festzusetzen, begab sich Isaak nach Straßburg. Auf Drängen des Herzogs, der drohte, sich an der Gemeinde schadlos zu halten, wandte sich die Münchener Judenschaft in einem Schreiben an die Straßburger Gemeinde mit der Bitte, den Flüchtigen zur Herausgabe der Pfänder zu bewegen. Welche Auswirkungen der Finanzskandal auf die weitere Entwicklung der institutionellen Planungen hatte, lässt sich in Ermangelung geeigneter Zeugnisse nicht rekonstruieren. Angesichts der geringen Größe der Münchener Gemeinde – 1381 lassen sich nur neun geschäftsfähige Männer nachweisen, rund zehn Jahre später 23 Familien – stellt sich die Frage, warum die Judenschaft überhaupt die Einrichtung eines Hekdesh plante. Welchen Anteil Meister Jakob von Landshut an diesem Plan gehabt haben mag, ist nicht zu ergründen. Vor dem Hintergrund eines immer wieder auftretenden Seuchengeschehens, in dem durch Tod Familien- und damit Pflegebande zerrissen wie auch durch die Migration auswärtiger Juden könnte die Einsetzung einer hospitalischen Institution durchaus als Notwendigkeit erachtet worden sein. Ohnehin dürfte es sich bei der Einrichtung wohl nur um ein Spital mit geringer Aufnahmekapazität – besser vielleicht eine Krankenstube – gehandelt haben. Jakob von Landshuts Tätigkeit als Arzt schlug sich unter anderem in einem weit verbreiteten Rezept zur Behandlung von Kopf-, Ohrenschmerz und Taubheit nieder. Jakobs Ausführungen zufolge sollte der Wurm, der nach zeitgenössischer Auffassung derartige Leiden verursachen konnte, mithilfe eines nassen Apfels aus der Körperöffnung gelockt werden. Des Weiteren finden sich Rezepte zur Behandlung etwa von Erfrierungen oder
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Jakob von Landshut
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Anleitungen zur Bereitung von Bädern. Wenngleich die Effekte der Ohrwurmaustreibung zweifelsohne zu wünschen übrig gelassen haben dürften, scheint Jakob einige heilkundliche Fertigkeit besessen zu haben. Nach dem Ableben Stephans des Älteren ist der jüdische Heilkundige auch als Leibarzt Herzog Albrechts III. bezeugt, der ihn 1392 an sein Krankenlager nach Straubing kommen ließ. Die Behandlung Jakobs zeigte Erfolg und der jüdische Arzt erhielt für seine Bemühungen den stolzen Lohn von insgesamt 13 Pfund Pfennigen. Weit weniger erfolgreich als Jakob von Landshut scheinen seine späteren Glaubensgenossen versucht zu haben, sich am wittelsbachischen Hof zu behaupten. Meister Moys, der 1405 in herzoglichen Zeugnissen genannt wird, wurde die praktische Betätigung offenbar verwehrt. Ebenso erging es zwanzig Jahre später dem jüdischen Heilkundigen Veifl, der 1425 kein Schutzgeld entrichtete und unverrichteter Dinge wieder abziehen musste. Die christlichen Heilkundigen Münchens pflegten bisweilen einen regelmäßigen Wissens- und Schriftentausch untereinander – einige der Werke aus ihrem Besitz sind in der Staatsbibliothek erhalten.
4. Zusammenfassung Die vor allem im 12. Jahrhundert im Heiligen Land entstandenen Hospitalorden brachten neue Impulse für das karitative Institutionsgefüge mit sich. Sie errichteten in Europa ein weites Netz von Niederlassungen, die teilweise über hospitalische Einrichtungen verfügten. Nur in Jerusalem existierte im Johanniter- und Deutschordensspital – in Anlehnung an arabische Vorbilder – eine medizinische Versorgung der Kranken. Die mittelalterlichen Hospitäler waren keine Krankenhäuser im modernen Sinne. Medizinische Leistungen erbrachten sie, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nicht. Zu ihrem Programm gehörten vielmehr die Bereitstellung von Nahrung und Kleidung sowie die Gewährung von Obdach. Nicht in allen Hospitälern fanden sich tatsächlich Bedürftige. Manche Einrichtungen beherbergten nur noch Betuchte, die sich eine lebenslange Leistungsgarantie durch das Hospital erkauft hatten. Zum Leben im Hospital gehörte eine Hausordnung, die den Charakter der Hausgemeinschaften religiös färbte. Rechtlich unterschied sich das Hospital streng vom Leprosenhaus, in dem Leprakranke untergebracht waren. Im späten Mittelalter erfolgten zahlreiche Stiftungen von und Schenkungen an Hospitäler durch wohlhabende Bürger, die sich durch das Gebet der Insassen ihr Seelenheil gewissermaßen erkauften. Die medizinischen Strukturen in spätmittelalterlichen Städten unterschieden sich erheblich voneinander. Der exemplarische Blick auf die Beispiele München und das westfälische Soest zeigen deutliche Unterschiede in der Zahl der Heilkundigen und der Qualität ihrer Tätigkeit.
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VI. Die großen medizinischen Bedrohungen der mittelalterlichen Gesellschaft: Pest, Lepra und andere Geißeln Der schwarze Tod und die Pest 541 Beginn der Justinianischen Pest 6. Jh.–8. Jh. Die Pest bleibt in Europa endemisch 1347–1350 Schwarzer Tod 1348 Pesthauchmodell des Gentile da Foligno 1348 Pariser Pestgutachten 1374 Einführung der Quarantäne in Venedig 2. H. 14.– Größere Pestausbrüche in fast jedem Jahrzehnt 1. H. 18. Jh. Die Lepra 549
Das Konzil von Orléans verpflichtet die Bischöfe zur Versorgung Leprakranker mit Nahrung und Kleidung 583 Das Konzil von Lyon schränkt die Freizügigkeit der Leprakranken ein 6./7. Jh. Entstehung der ersten Häuser zur Versorgung Leprakranker in Chalon-sur-Saône, Metz und Verdun 643 Der langobardische Edictus Rothari verfügt, dass Leprakranke rechtlich als gleichsam tot zu behandeln und aus ihrem Haus zu vertreiben sind 757 Die Synode von Compiègne gestattet die Ehescheidung von einem leprakranken Partner 789 Das Dritte Kapitular Karls des Großen verbietet Leprakranken, sich im Bereich der karolingischen Pfalzen unter die Gesunden zu mischen um 1140 Das Decretum Gratiani verbietet die Scheidung von einem leprakranken Partner 1179 Das III. Laterankonzil schreibt fest, dass Leprakranke nicht gemeinsam mit Gesunden leben dürfen. Die Beschlüsse bestimmen den Kranken ein Haus für ein gemeinschaftliches Leben mit eigenem Gotteshaus und Friedhof 13./14. Jh. Durchseuchungsmaximum und Entstehung eines dichten Netzes von Versorgungseinrichtungen vor den Städten des deutschen Reichsgebiets 1320/1321 Verfolgung von Leprakranken und Juden in Aquitanien
Das Antoniusfeuer 856 Erste Erwähnung des Antoniusfeuers im deutschsprachigen Reichsgebiet 10./11. Jh. Massenhaftes Auftreten der Krankheit 1070 Translation der angeblichen Reliquien des heiligen Einsiedlers Antonius aus Byzanz nach La-Motte-aux-Bois, dem späteren Saint-Antoine in der Dauphiné
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Die großen medizinischen Bedrohungen
VI.
um 1130 1247
Einrichtung einer Pilgerunterkunft am Grab des heiligen Antonius Papst Innozenz IV. erhebt die Bruderschaft vom heiligen Antonius zum Orden
1. Mittelalterliche Seuchenphänomene und die Definitionen der Gegenwartsmedizin Infektionskrankheiten als ständige Bedrohung
Annäherung an mittelalterliche Krankheitsbilder
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Gefährliche Infektionskrankheiten stellten bei weitem die größte medizinische Bedrohung der mittelalterlichen Gesellschaft dar. Zeigte sich deren unheilvolle Wirkung vereinzelt bereits im Frühmittelalter, führte das Aufblühen des Städtewesens zu einem stark gehäuften Auftreten verheerender Seuchen. Die dicht bevölkerten Städte boten mit ihren überwiegend unhygienischen Verhältnissen einen idealen Nährboden für die Verbreitung von Infektionskrankheiten aller Art. Gerade für Erreger mit kurzen Inkubationszeiten, so etwa die Pest, waren die Zustände in den mittelalterlichen Städten förderlich. Sie garantierten zugleich, dass sich diese über Jahrhunderte auf endemischem Niveau halten und in gewissen Zeitabständen immer wieder Epidemien hervorrufen konnten. In kleinen Lebensgemeinschaften vermögen sich solche Erreger nicht über einen langen Zeitraum zu halten. Seuchen waren somit zwar nicht ausschließlich, aber doch vorrangig ein städtisches Problem. Welche Krankheitsphänomene sich jedoch hinter den höchst vagen Beschreibungen zeitgenössischer Schriftquellen tatsächlich verbergen, lässt sich mit den in der gegenwärtigen Medizin verwendeten Definitionen letztlich nicht befriedigend klären. Krankheitserreger unterliegen natürlicherweise der biologischen Evolution. Im Laufe von Jahrhunderten haben sich ihre Eigenschaften und ihr Erscheinungsbild ebenso wie ihre Wirkung in kaum zu ergründendem Maß verändert. Allwinterlich führt die Grippe uns noch heute vor Augen, wie vergleichsweise schnell wandelbar sich vor allem manche Viren verhalten. Zum ersten Mal in einer Population auftretende Infektionskrankheiten, die so genannten virgin soie epidemics, wirken sich in besonderem Maße verheerend aus. Dies zeigt beispielsweise das erste Auftreten der Syphilis im deutschsprachigen Herrschaftsgebiet am Ende des Mittelalters. Die Wandelbarkeit der Erreger legt die Vermutung nahe, dass auch die Übertragungswege und besonders die an so genannte Vektoren, Zwischenstationen zur Weiterverbreitung, gebundenen Infektionsketten seit dem Mittelalter nicht unverändert blieben. Dementsprechend kann etwa die im Jahre 1898 von Paul-Louis Simond (1858 – 1947), einem Schüler Louis Pasteurs (1822–1895), auf der Basis von Feldstudien in Indien nachgewiesene Infektionskette der Pest, in der Ratte und Rattenfloh die entscheidende Rolle spielen, im mittelalterlichen Europa durchaus anderer Art gewesen sein. Jüngsten Erkenntnissen zufolge könnte die Rolle des Menschenflohs bei der Übertragung des Pesterregers weit größer gewesen sein als bislang angenommen. Auch scheint das Pestbakterium, dessen DNA inzwischen durch Befunde von mittelalterlichen Skelettfunden (Zahnpulpa) entschlüs-
Mittelalterliche Seuchenphänomene
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selt ist, aggressiver gewesen zu sein als die heute bekannte Form. Damit wird zugleich aber auch deutlich, dass die durch das Bakterium Yersinia pestis hervorgerufene, gegenwärtig Pest genannte Erkrankung wie auch andere, heute als Pocken, Lepra, Syphilis, Dysenterie oder Fleckfieber bezeichnete Infektionen, höchstwahrscheinlich und trotz aller Ähnlichkeiten mit den von Zeitgenossen manchmal verwendeten Begriffen nicht unbedingt mit Seuchenphänomenen des vormikrobiologischen Zeitalters identisch sind. Es gilt zu unterstreichen, dass jeder Versuch einer so genannten retrospektiven Diagnose, vor allem unter anachronistischer Rückprojizierung gegenwärtiger medizinischer Erkenntnisse auf Befunde in historischen Schriftzeugnissen, ein höchst fragwürdiges Unterfangen darstellt. Dennoch bietet eine historische Deutung von Seuchen, die zeitspezifische Denkmuster berücksichtigt, Möglichkeiten, sich mittelalterlichen Krankheitsphänomenen zu nähern. Seuche Als Seuche wird nach medizinischer Definition die plötzliche Erkrankung zahlreicher Menschen an einer Infektionskrankheit bezeichnet. Abhängig von der zeitlichen Gebundenheit und geographischen Ausdehnung einer Seuche wird unterschieden in Endemie, Epidemie und Pandemie. Während der Begriff der Endemie ständig präsente Erkrankungen in einem begrenzten geographischen Gebiet fasst, handelt es sich bei der Epidemie um ein deutlich gehäuftes, zeitlich und örtlich begrenztes Auftreten von infektiösen Erkrankungen. Als Pandemie wird schließlich die Ausbreitung einer Infektionskrankheit über großflächige geographische Gebiete wie Länder und Kontinente bezeichnet.
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Sofern mittelalterliche oder frühneuzeitliche Quellen überhaupt Angaben zu Erscheinung und Wirkung einer Krankheit liefern (Nosologie), orientieren sich diese ebenso wie Ausführungen zu den Ursachen der Erkrankungen (Ätiologie) an Erklärungsmodellen, die von zeitgenössischen Krankheitskonzeptionen geprägt sind. Zumeist jedoch begnügten sich die medizinisch nicht gebildeten Chronisten oder städtischen Schreiber mit dem Hinweis auf eine pestilencia oder ein groet sterff. Ihnen ging es nicht um die exakte Wiedergabe medizinisch relevanter Beobachtungen. Im Vordergrund stand vielmehr die Überlieferung eines durch auffallend hohe Sterblichkeit gekennzeichneten Ereignisses, das weitreichende Folgen für den Alltag mit sich brachte. Welche Seuchen sich hinter den uniformen Begrifflichkeiten mittelalterlicher Schriftzeugnisse tatsächlich verbergen, bleibt in aller Regel unklar. Selbst das medizinische Fachschrifttum folgte naturgemäß der Intention, Krankheitserscheinungen in die geläufigen medizinischen Modelle einzuordnen. Es liegt mithin auf der Hand, dass Angaben zur Nosologie und Ätiologie diesen entsprechend gestaltet sind. Noch der im Jahre 1607 verfasste „kurze […] Bericht wie sich ieder Mensch in jetzt schwebenden Sterbensleufften gegen die gifftige Pestilentz verwahren und so er damit angegriffen widerumb curieren solle“ des im westfälischen Soest wirkenden Stadtarztes Johann Kattenbusch beispielsweise, schließt wie selbstverständlich mit den bezeichnenden Worten: „Medicin hilffet wann Gott es will, wan nicht da ist des Todes viel.“
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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2. Das „große Sterben“. Der schwarze Tod und die Pest a) Das Erscheinungsbild der Pest Das klinische Bild
Krankheitsverlauf
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Unter allen Geißeln, die die mittelalterliche Menschheit heimsuchten, wirkten der so genannte schwarze Tod und die oftmals im Rhythmus von nur wenigen Jahren nachfolgenden Pestepidemien mit Abstand am verheerendsten. Zum besseren Verständnis der weiteren Ausführungen scheint zuvor ein Blick auf die Ursachen und Infektionswege sowie das klinische Bild der Pest im Spiegel der gegenwärtigen Medizin unerlässlich. Dem Schweizer Alexandre Yersin (1863–1943), ein Schüler Pasteurs, und – wohl nur wenige Tage vor ihm – dem Japaner Shibasaburo Kitasato (1852–1931) gelangen im Juni 1894 während eines Pestausbruchs in Hongkong die Entdeckung des Pesterregers Yersinia Pestis in den Leistenlymphknoten Erkrankter. Yersin glückte eine Züchtung des Erregers in Reinkultur. Einem weiteren Schüler Pasteuers, Paul-Louis Simond (1858 – 1947), gelang es 1898, den Übertragungsweg des Bakteriums entgültig aufzuklären. Am Beginn der Infektionskette steht der Floh Xenopsylla Cheopis Roth. Ein Pfropfen aus Bakterien und Blut verstopft beim infizierten Pestfloh den so genannten Proventrikel, eine kleine Tasche der Speiseröhre. Beißt der Floh zur Nahrungsaufnahme seine bevorzugten Wirtstiere, vor allem bestimmte Rattenspezies, wird der hochinfektiöse Pfropf dabei in die Blutbahn des Bissopfers ausgestoßen. Auf diese Weise wird die Krankheit rasch von bereits infizierten Ratten auf ihre noch gesunden Artgenossen weiter übertragen. Sofern der Erreger Wanderratten befällt, hält sich die Pest zumeist endemisch. Wird jedoch eine Hausratte mit Yersinia pestis infiziert, deren Lebensraum sich mit dem des Menschen unmittelbar berührt, kann es zur Katastrophe kommen. Nach dem Tod der Rattenpopulation sucht sich der Floh mit dem Menschen einen neuen Wirt. Eine so genannte Epizootie, ein massives Tiersterben, unter den Nagern geht in aller Regel einer Pestepidemie voraus. Etwa dreißig Tage kann der Floh ohne einen Wirt in Kleidern, Betten und Spalten überleben. Bei einer Temperatur, die unter 10° C liegt, fällt der Floh in eine vorübergehende Kältestarre. Daraus folgt, dass sich die Form der Pest, für deren Ausbreitung der Floh als Vektor dient, in den kälteren Wintermonaten langsamer ausbreitet. Auch der Menschenfloh (Pulex irritans) vermag die Krankheit zu verbreiten, spielt hierfür jedoch eine deutlich untergeordnete Rolle. Neben einem Flohstich oder der Infektion mit dem Kot des Ungeziefers über Läsionen der Haut kann der Erreger auch über den Weg des Nasen-Rachen-Raumes mittels Tröpfcheninfektion übertragen werden. Dabei bedingt der Übertragungsweg die unterschiedliche Form der Krankheit. Infiziert sich das Opfer über die Haut, erkrankt es an der so genannten Beulen- oder Bubonenpest. Ihr Name leitet sich ab von der für diese Erscheinungsform der Pest charakteristischen Schwellung der Lymphknoten in der Leistengegend, unter den Achseln oder am Hals. Die Inkubationszeit ist kurz. Zwischen einer Ansteckung und dem sichtbaren Auftreten der ersten Krankheitssymptome vergehen unter Umständen kaum mehr als 48 Stun-
Der schwarze Tod und die Pest
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den. Zwischen dem ersten und sechsten Tag der Infektion verfärbt sich die Einstichstelle des Flohbisses aufgrund einer Nekrose bläulich-schwarz. Zwei bis drei Tage später beginnen die Lymphknoten stark anzuschwellen. Je nach individuellem Krankheitsverlauf schließen sich weitere Symptome wie Fieberschübe, unerträgliche Kopfschmerzen, Blutungen unter der Haut und Halluzinationen an. Zumeist stirbt der Erkrankte äußerst rasch durch eine Blutvergiftung (Septikämie) oder nach Delirium und anschließendem Koma. Noch schneller und aggressiver als die Bubonen- wirkt die hochinfektiöse Lungenpest. Sie ist wie ein gewöhnlicher Schnupfen durch Tröpfcheninfektion über den Nasen-Rachen-Raum direkt von Mensch zu Mensch übertragbar. Nach nur 24 bis 48 Stunden manifestieren sich Symptome wie Herzrasen, Bluthusten und Atemnot. Eine Nervenlähmung und Zerstörung des Lungengewebes führen zum qualvollen Erstickungstod, der unter Umständen bereits wenige Stunden nach den ersten Anzeichen einer Erkrankung eintritt. Kommt es zum Ausbruch einer Epidemie, ist es lediglich eine Frage der Zeit und der jeweils herrschenden lokalen Gegebenheiten, bis beide Formen der Pest nebeneinander auftreten. Eine Beulenpest kann stets in die gefährlichere Lungenpest übergehen, da gerade bei alten Menschen, jüngeren Kindern oder vorgeschädigter Gesundheit stets die Möglichkeit eines Lungenbefalls durch den Erreger gegeben ist.
b) Mittelalterliche Wahrnehmungen der Pest und zeitgenössische Erklärungsmodelle Selbst zur Erklärung der Pest griffen mittelalterliche Ärzte zumindest in gewissem Maß auf die von den antiken Autoritäten vorgeschlagenen Konzepte der Säftelehre zurück. So konnte diesen zufolge ein Übermaß des nach seiner Eigenschaft als warm und feucht klassifizierten Blutes zu einer gefährlichen Fäulnis der inneren Organe, der Pest, führen. Vor allem durch verdorbene Luft, aber auch durch bestimmte Speisen gelangte die verhängnisvolle Fäulnis in den Körper. Leicht verderbliche Lebensmittel mit starker Geruchsentwicklung, etwa Fisch und verschiedene Obstsorten, standen in besonderer Weise in Verdacht, der Erkrankung Vorschub zu leisten. Schlechte Ausdünstungen, die Miasmen, etwa aus Leichen und den Kadavern verendeten Viehs oder von verunreinigten Straßen und Gewässern, sorgten bereits nach antiker Auffassung für eine gesundheitsgefährdende, epidemische Erkrankungen hervorrufende Verderbnis der Luft. Diese so genannte Miasmentheorie sollte sich zur Erklärung für die Ausbreitung von Seuchen von der klassischen Antike bis zur Entdeckung der Erreger in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu unverändert halten. Das Klima spielte nach zeitgenössischen Vorstellungen ebenso eine Rolle für die Entwicklung von Miasmen wie die Windrichtung. Nicht ganz zu Unrecht wurde auch der Hauch Erkrankter für überaus gefährlich angesehen. Eine Auffassung, die durch empirische Beobachtung ihre Bestätigung fand. Auf der Grundlage der antiken Miasmentheorie entwickelte der umbrische Arzt Gentile da Foligno im Angesicht der Bedrohung durch den
Pesthauchmodell und Pariser Pestgutachten
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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Rezepte gegen die Pest
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schwarzen Tod 1348 sein Modell vom Pesthauch. Krankheitserregende Ausdünstungen waren demnach von Land und Wasser emporgestiegen, um sich in verhängnisvoller Weise wieder auf der Erde niederzuschlagen. Den Beginn dieses unheilvollen Prozesses markierte nach den Ausführungen da Folignos die ungünstige Konjunktion von Mars, Jupiter und Saturn einige Jahre vor dem Ausbruch des schwarzen Todes. Die Verknüpfung von Gestirnskonstellationen mit dem Seuchengeschehen war nach zeitgenössischem Verständnis alles andere als ungewöhnlich. Nicht nur die Astronomie, auch die Astrologie galt als Wissenschaft und hatte ihren festen Platz im Rahmen der mittelalterlichen Heilkunde. Zur Bestimmung des idealen Termins für den Beginn einer Heilbehandlung oder eines chirurgischen Eingriffs bediente man sich selbstverständlich ihrer an der Konstellation der Himmelsgestirne ausgerichteten Empfehlungen. Der giftige Pesthauch, der auf die Erde zurückgelangt war, wurde nach da Folignos Theorie von den Menschen eingeatmet. In Herz und Lunge verdichtete er sich zu einer wahrhaft gefährlichen Giftmasse und griff die inneren Organe an. Über den Atem des Erkrankten konnte die Krankheit jedoch auch an Kontaktpersonen weitergegeben werden. Die Therapieempfehlungen galten konsequenterweise einer Stärkung der besonders exponierten Organe und der Eindämmung der inneren Fäulnis. Arzt und Obrigkeiten sollten durch geeignete Maßnahmen eine Ausbreitung der Seuche verhindern und sich nach Kräften um die Erkrankten kümmern. Ein Ratschlag, dem der Arzt selbst derart beherzt nachkam, dass er im Juni 1348 in Perugia dem schwarzen Tod zum Opfer fiel. Da Folignos Modell fand seinen Widerhall in dem während des Spätsommers 1348 im Auftrag des französischen Königs Philipp VI. (1328– 1350), dem ersten Herrscher aus dem Haus Valois, erstellten Pariser Pestgutachten. Die zur Fertigung des Gutachtens herangezogenen ärztlichen Autoritäten empfahlen im Einklang mit den Ratschlägen antiker Autoren vor allem die rechtzeitige, weite Flucht aus dem verseuchten Gebiet und eine möglichst späte Wiederkehr. Diejenigen, die dennoch am Ort des Seuchengeschehens ausharrten, sollten ihre Fenster nur in Richtung der gesunden Nordwinde öffnen und die Luft in ihren Häusern zusätzlich durch das Verbrennen wohlriechender Substanzen reinigen. Jegliche körperliche Anstrengung sollte vermieden werden. Eine Ernährungsweise, die leicht verderbliche Nahrungsmittel konsequent vom Speiseplan verbannte, unterstützte im Sinne der Diätetik eine Pestprophylaxe. Doch auch die Einnahme vorbeugender Mittel, vor allem des universell gebrauchten so genannten Theriak, wie das dauerhafte Einatmen stark riechender Stoffe sollten angeblich vor der Pest schützen. Die Empfehlungen des Pariser Pestgutachtens verbreiteten sich über ganz Europa. Sie bildeten die Grundlagen der zahllosen, im Laufe der Jahrhunderte und infolge des häufigen Auftretens der Pest von Ärzten verfassten Ratgeber im Umgang mit der Seuche, die so genannten Pestconsilia oder -regimina. Der Aderlass etwa zählte zu den Standardempfehlungen, um der Pest vorzubeugen. Nach zeitgenösssischer Auffassung reinigte er das Blut von krankmachenden Substanzen. Danben kursierte ein ebenso breiter wie häufig kopierter Kanon zur Zubereitung prophylaktisch wirkender Arzneien (s. Quelle).
Der schwarze Tod und die Pest Theriak Theriak ist ein aus zahlreichen pflanzlichen, tierischen und mineralischen Bestandteilen zusammengesetztes Arzneimittel. Seit der Antike fand er zur Prophylaxe und Behandlung einer breiten Palette von Erkrankungen Verwendung. Die grundlegende Rezeptur zur Herstellung des Theriaks wird Androchmachus, dem Leibarzt des römischen Kaisers Nero (54–68 n. Chr.) zugeschrieben. Der von ihm bereitete Theriak bestand aus 66 Bestandteilen, unter anderem dem Fleisch von Vipern, die in einem aufwändigen Herstellungsprozess zu einer Latwerge verarbeitet wurden. Vipernfleich gehörte zwingend zum echten Theriak. Da die Schlange in Nordeuropa jedoch nicht heimisch ist und die Beschaffung teuer war, wurde für die Zubereitung eines für jedermann erschwinglichen Theriaks auf günstigere Ersatzstoffe zurückgegriffen. Ein Rezept zur Vorbeugung gegen die Pest Aachen, Domarchiv, XVIII. Heilmittel und Recepte zur Reinigung des Blutes, wenn die Pest regiert, Nr. 3, undatiert. (Freie Übertragung ins Neuhochdeutsche: K. P. Jankrift; Quelle im Original s. Anhang, 4.)
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Einen Trank zu machen, wenn die Pest naht Man nehme Goldwurzelkraut (Goldblumen sind ebenso gut) […], Weihrauch, von jedem eine Hand voll, siedet das mit einem Viertel guten Weins zunächst halb bedeckt. Danach durch ein Tuch wringen, dann in ein Glas [geben]. In die Sonne zum Destillieren setzen. Wenn einen dann die Krankheit befällt, soll man eine haselnussgroße [Portion] einnehmen und den Trank darauf trinken. Dieser Trank hält sich ein Jahr. Für das Dienstvolk um der kleineren Kosten willen eine Hand voll Feigen, große Nüsse und Weinrauch auch jeder eine Hand voll, Theriak 6 Lot. Das soll man zerstoßen und morgens reichlich einnehmen.
c) Die Justinianische Pest Die erste und massivste Seuchenkatastrophe, die über die frühmittelalterliche Gesellschaft hereinbrach, war die so genannte Justinianische Pest. Im Jahre 541, zur Herrschaftszeit des byzantinischen Kaisers Justinian (527– 565), brach in Ägypten die Pest aus. Rasch verbreitete sie sich weiter ostwärts bis in die Häfen der Levante. Spätestens im Frühjahr 542 erreichte sie nach den Ausführungen des Chronisten und Augenzeugen Prokop von Caesarea die oströmische Hauptstadt Konstantinopel. Bis zum Winter 543 hatte sich die Seuche im gesamten Reichsgebiet ausgedehnt, war im Osten bis nach Aserbaidschan und im Westen über Nordafrika bis nach Spanien vorgedrungen. Selbst die weit nördlich des ursprünglichen Seuchenherdes gelegenen Bischofsstädte Reims und Trier hatten ihre verheerende Wirkung bereits erfahren müssen. Allerorts forderte die Pest einen hohen Tribut an Menschenleben. Politisches wie öffentliches Leben lagen danieder. In seinem großen Geschichtswerk, den Zehn Büchern fränkischer Geschichte, schildert der merowingische Chronist und Bischof Gregor von Tours eindrucksvoll die Auswirkungen der Seuche und die Angst, die ihr Auftreten verursachte. Einzig die Hinwendung zu Gott und seinen Heiligen, so be-
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tont er bewusst in seinen Ausführungen, vermochte dem Schrecken Einhalt zu gebieten (s. Quelle).
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Der Heilige Gallus und die Justinianische Pest Gregorii Episcopi Turonensis Historiarum X. Edidit B. Krusch et W. Levison (= Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. I), Hannover 1951, S. 138. Dt. Übersetzung: Zehn Bücher Fränkischer Geschichte vom Bischof Gregorius von Tours. Übersetzt v. W. Giesebrecht, 2 Bde. (= Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. VI. Jahrhundert, Bd. 4 u. 5) Berlin 1851, S. 155. Zur Zeit dieses Bischofs verheerte jene ansteckende Krankheit, welche die Drüsenpest genannt wird, viele Gegenden von Frankreich und ganz besonders die Provence von Arles. Der heilige Gallus war aber nicht so sehr um seine Person besorgt und ängstlich, als er für das ihm anvertraute Volk in Furcht und Sorge schwebte. Tag und Nacht flehte er zum Herrn, er möchte ihn nicht erleben lassen, dass er sein Volk von der Pest hingerafft sehe. Und es erschien ihm in einem nächtlichen Gesicht der Engel des Herrn, dessen Haar und Gewand war weiß, wie der Schnee, und er sprach zu ihm: „Du tust wohl, o Bischof, dass du so zum Herrn für dein Volk flehest, denn dein Gebet ist erhört worden und siehe, du wirst mit deiner Gemeinde von der Pest verschont bleiben und bei deinem Leben wird niemand in dieser Gegend der Seuche zum Opfer fallen. Fürchte dich also jetzt nicht, nach acht Jahren aber ist es Zeit zur Furcht.“ Diese letzten Worte zeigten klar und deutlich, dass er nach acht Jahren aus der Zeitlichkeit abscheiden sollte. Als Gallus aber erwachte, dankte er dem Herrn für den Trost, den er ihm durch einen himmlischen Boten zugesprochen hatte, und richtete öffentliche Bettage ein: um Mitfasten sollte man zu Fuß unter Chorgesang nach der Kirche des heiligen Julianus ziehen. Man macht aber auf diesem Wege gegen 360 Stadien. Es fanden sich damals plötzlich, wie man hinschaute, die Wände der Kirchen und Häuser bekreuzt, weshalb der heilige Julianus von den gemeinen Leuten der Tau-Schreiber genannt wurde. Und während die Pest die andren Gegenden, wie wir gesagt haben, verheerte, verschonte sie kraft der Fürbitte des heiligen Gallus die Stadt Arvern. Und ich halte es für eine große Gnade, dass er, als Hirte bestellt, nicht zu sehen brauchte, wie seine Schafe umkamen, da der Herr selbst sie schützte.
Erscheinungsbild
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Die Seuche verbreitete sich vor allem über die Hafenstädte und entlang der an den Flussläufen gelegenen Handelszentren. Die Beschreibung ihres Erscheinungsbildes in den Ausführungen Prokops und des am Ende des 6. Jahrhunderts als Sekretär des Patriarchen von Antiochia tätigen Evagrios lassen deutliche Parallelen zur Nosologie der Pest erkennen. So berichten die Geschichtsschreiber sowohl von den mit Lähmungen, Umnachtung und fürchterlichen Alpträumen einhergehenden Fieberschüben wie auch von Blutungen unter der Haut, Schwellungen der Drüsen und Gelenkschmerzen. Zudem zeigen die Berichte deutlich, dass die Krankheit tatsächlich in ihren beiden Formen – der Bubonen- wie der Lungenpest – auftrat. So beobachtete Prokop nach eigener Aussage sowohl den Tod von Infizierten innerhalb weniger Stunden als auch über mehrere Tage andauernde, tödlich endende Erkrankungen. Obwohl Kaiser Justinian die Pestwelle im März 544 für beendet hielt, sollte sich die Krankheit bis zum 8. Jahrhundert auf endemischem Niveau in ganz Europa halten. Im Abstand von zehn bis fünfzehn Jahren flammte
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sie epidemisch auf und forderte eine große Zahl an Opfern. Nach ihrem äußerst vehementen Ausbruch in Italien im Jahre 750 sollte sie jedoch aus bis heute ungeklärten Gründen zunächst für sechs Jahrhunderte wieder aus Europa verschwinden.
d) Der schwarze Tod Der so genannte schwarze Tod zur Mitte des 14. Jahrhunderts bildete den infernalischen Auftakt zu einer langen Reihe verheerender Pestepidemien. Er verursachte ein Massensterben zuvor unbekannten Ausmaßes, das die Ordnung der spätmittelalterlichen Gesellschaft in allen Lebensbereichen in ihren Grundfesten erschüttern sollte. Der Begriff schwarzer Tod, der in der heutigen historischen Forschung zur Bezeichnung der größten Seuchenkatastrophe in der mittelalterlichen Lebenswelt allgemein Verwendung findet, ist jedoch von den Zeitgenossen nie verwendet worden. Erstmals taucht er mit eindeutigem Bezug auf die spätmittelalterliche Pandemie während des späten 16. Jahrhunderts in Skandinavien auf. Seit dem 17. Jahrhundert begann er sich allmählich durchzusetzen. Schwarz galt als Synonym für das „Furchtbare“ und „Schreckliche“. Zugleich bot sich ein direkter Bezug zu einem markanten Symptom der Krankheit, den blau-schwärzlichen Blutungen unter der Haut. Unter dem Eindruck der Cholera verfasste der deutsche Arzt Justus Friederich Karl Hecker eine Abhandlung, die den Titel „Der schwarze Tod im vierzehnten Jahrhundert“ trug. Heckers breit rezipiertes Werk trug entscheidend zur Weiterverbreitung des Begriffs in der Forschung bei. Durch Übersetzungen und das etwa zeitgleich entstandene, mehrfach neu aufgelegte Schulbuch zur englischen Geschichte von Elizabeth Cartwright Penrose fand die Bezeichnung ihren Einzug in den angelsächsischen Kulturkreis. Den Durchsetzungsprozess des neuen Begriffs zeigt unter anderem die 1880, vierzehn Jahre vor Entdeckung des Erregers, von Bernhard Maximilian Lersch primär als Übersicht für Ärzte verfasste Kleine PestChronik. Dort ist die Rede vom „schwarzen Tod, wie man die Epidemie jetzt [!] zu nennen pflegt“. Der Ursprung der Pandemie, der zwischen 1347 und 1350 wahrscheinlich ein Drittel der Bevölkerung Europas zum Opfer fiel, lag im Gebiet des zentralasiatischen Balchaschsees. Schon in den 30er-Jahren des 14. Jahrhunderts war es archäologischen Befunden zufolge zu einer deutlich erhöhten Sterblichkeit unter den Bewohnern der Region gekommen. Entlang der Handelsroute der Seidenstraße verbreitete sich der schwarze Tod rasch weiter. Über Transoxanien gelangte die Seuche ostwärts nach Indien und China. Doch auch nach Westen drang sie immer weiter vor. Im Jahre 1346 hatte sie das Kaspische Meer, das Don-Gebiet, das Asowsche und schließlich auch das Schwarze Meer erreicht. Im Frühjahr 1347 brach sie mit weitreichenden Folgen in der genuesischen Handelsniederlassung Caffa, dem heutigen Feodosia, auf der Krim aus. Seit Monaten wurde die Stadt bereits von den Tartaren belagert, als sich unter den Belagerern plötzlich ein mysteriöses Massensterben ereignete. Die Hoffnungen auf ein Ende der
Ursprung
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Belagerung erwiesen sich jedoch als trügerisch. Tartarische Kriegsmaschinen schleuderten die Leichen der Seuchenopfer in die eingeschlossene Stadt. Das Resultat war verheerend. In Caffa ging der Tod um und es gab keine Rettung (s. Quelle).
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Bericht des Gabriele de Mussis über den Ausbruch des Schwarzen Todes in Caffa 1347 K. Bergdolt, Die Pest in Italien, S. 20 f. Zu diesem Zeitpunkt befiel die Seuche die Tartaren. Ihr ganzes Heer geriet in Panik, und täglich starben Tausende. Den Eingeschlossenen erschien es, ob Rachepfeile vom Himmel flögen, um den Übermut der Feinde zu zügeln. Diese zeigten nämlich nach kurzer Zeit charakteristische Symptome an ihren Körpern, nämlich verklumpte Körpersäfte an den Gelenken und Leisten. Folgte dann das Fäulnisfieber, starben sie, denn die Ärzte konnten ihnen weder Rat noch Hilfe bieten. Als die nunmehr von Kampf und Pest geschwächten Tartaren bestürzt und völlig verblüfft zur Kenntnis nehmen mussten, dass ihre Zahl immer kleiner wurde und erkannten, dass sie ohne irgendeine Hoffnung auf Rettung dem Tod ausgeliefert waren, banden sie die Leichen auf Wurfmaschinen und ließen sie in die Stadt Caffa hineinkatapultieren, damit dort alle an der unerträglichen Pest zugrunde gehen sollten. Man sah, wie sich die Leichen, die sie auf diese Weise hineingeworfen hatten, zu Bergen türmten. Die Christen konnten sie nämlich weder wegschaffen noch vor ihnen fliehen. Eine Rettung schien nur dadurch möglich, dass man die herabstürzenden Leichen, soweit es möglich war, in den Fluten des Meeres versenkte. Bald war jedoch die ganze Luft verseucht und ebenso das Wasser durch die krankmachende Fäulnis vergiftet. Es breitete sich ein solcher Gestank aus, dass von Tausenden nur noch einer in der Lage war, das Heer zu verlassen und die Flucht zu wagen. Auch er trug die Pest mit sich und brachte ihr Gift überall zu den Menschen, wobei er allein durch seinen Anblick Orte und ihre Bewohner infizierte.
Ausbreitung
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Weite Teile des östlichen Mittelmeeres wurden zu dieser Zeit bereits von der Seuche heimgesucht. Der Schilderung Gabriele de Mussis’ zufolge, gelangte die Pest an Bord der Schiffe aus dem verseuchten Caffa schließlich auch nach Italien. In den folgenden Monaten entvölkerte der schwarze Tod die blühenden und reichen Städte des Landes. Unter der Einwirkung der Seuche brach das öffentliche Leben vollständig zusammen. Panik prägte die Stimmung. Sterbende wurden von ihren Angehörigen sich selbst überlassen. Städtische Obrigkeiten waren aufgrund der Verluste in ihren eigenen Reihen kaum mehr in der Lage, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes an Ordnung zu veranlassen. Notare nahmen keine Testamente mehr auf. Geistliche weigerten sich aus Furcht, die Sterbesakramente zu spenden. Selbst die Ärzte befolgten angesichts ihrer Hilflosigkeit in der Konfrontation mit dem schwarzen Tod nur allzu oft die Empfehlung der antiken Autoritäten, sich möglichst rasch vom Ort des Seuchengeschehens zu entfernen. Die Bestattung der massenhaften Leichen war ein gefährliches Unterfangen, für das sich kaum jemand freiwillig bereit fand. Die mächtige Seerepublik Venedig stemmte sich mit aller Macht gegen die Seuche. Im Gegensatz zu anderen Städten bestimmte dort anscheinend nicht ausschließlich das Vertrauen auf die Zuverlässigkeit ärztlicher Theo-
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rien und göttlicher Gnade, sondern empirische Beobachtung das Handeln. Die Venezianer schenkten der Vorstellung eines aus der Lagune emporsteigenden Pesthauchs weit weniger Glauben, als der Auffassung, dass die Seuche über die einlaufenden Schiffe in die Stadt gelangt war. Doch erst 1374 isolierte man die Besatzungen ankommender Schiffe mitsamt ihren Waren für eine Periode von zunächst dreißig, später vierzig Tagen. Dreißig Jahre nach dem schwarzen Tod war damit die so genannte Quarantäne geboren. Bevor sich ein solches Prinzip allerdings allgemein durchsetzte, sollten noch Jahrhunderte vergehen. Wie in Italien, so hinterließ der schwarze Tod auf seinem Triumphzug durch Europa allerorts ein Bild des Grauens. Ganze Landstriche wurden entvölkert. Niemand brachte die Ernte ein. Der Handel brach zeitweilig zusammen. Die Reaktionen auf den schwarzen Tod waren überall dieselben. Fassungsloses Entsetzen und Hilflosigkeit bestimmten die Szenerie. Rätselhaft ist bis heute, warum manche Städte, wie etwa die kaiserliche Residenzstadt Prag, vom Ansturm der Seuche zwischen 1347 bis 1350 verschont blieben. Im Frühjahr 1348, ein Jahr nach ihrer Ankunft im Süden Europas, hatte die Pest das deutschsprachige Reichsgebiet erreicht. Über den Brennerund Reschenpass sowie das Pustertal schob sich die Seuche weiter nach Bayern und Tirol vor. Nachdem die Pandemie auch hier ihren Blutzoll gefordert hatte, zeigte sich der schwarze Tod im Sommer 1349 am Oberrhein. Doch wenngleich das Massensterben in den deutschen Landen keinesfalls anders wirkte als im restlichen Europa, gesellten sich vor allem hier schon bald zwei unheilvolle Begleiterscheinungen der Pest hinzu: Blutige Judenpogrome und die Züge der Geißler. Geißler Geißler oder Flagellanten bildeten bereits zur Mitte des 13. Jahrhunderts beiderseits der Alpen eine Bewegung, deren Inhalte der symbolische Nachvollzug der christlichen Passion und asketische Bußübungen, vor allem die namengebende Selbstgeißelung, für die menschliche Sündhaftigkeit waren. Zentren der Bewegung waren Nord- und Mittelitalien. Hatten sich noch im Laufe des 13. Jahrhunderts Anhänger der Geißler zu fest organisierten Bußbruderschaften zusammengeschlossen, so erlebte die Bewegung unter dem Eindruck der Endzeitstimmung im Angesicht des schwarzen Todes den größten Auftrieb. Zumeist von Klerikern angeführt, zogen sie in Gruppen mit Geißeln in der Hand und barfuß über Land, um in den Kirchen mit Bußgesängen und -gebeten göttliche Gnade zu erflehen. Mit Bezug auf die Lebensjahre Christi dauerte für jeden einzelnen Geißler seine Teilnahme an einem solchen Zug 33,5 Tage. Währenddessen galten strenge Verhaltensregeln. So sollte jeder Teilnehmer über so viel Geld verfügen, dass er täglich mindestens vier Pfennige ausgeben konnte. Niemand durfte mit Frauen reden, nach dem Betreten einer Stadt Forderungen stellen oder ein Haus betreten. Die Größe einer solchen Gruppe, in der sich Adelige und Kleriker ebenso wie Bürger und Bauern zusammenfanden, variierte, doch scheinen Züge mit mehreren Tausend Teilnehmern vorgekommen zu sein. Eine französische Chronik beziffert die Größe der Bewegung gar mit unwahrscheinlichen 800 000 in Flandern und dem Hennegau. Am 20. Oktober 1349 verbot Papst Clemens VI. das Geißeln und autorisierte das obrigkeitliche Einschreiten gegen die als ketzerisch angesehene Bewegung. Zu den päpstlichen Vorwürfen gegen die Geißler zählten vor allem der Aufruf zum Mord an Juden und Christen sowie persönliche Bereicherung.
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VI. Papstbulle gegen Judenpogrome
Machte man in Italien und andernorts vor allem die Miasmen für das Wüten der Seuche verantwortlich, so verbreitete sich im deutschsprachigen Reichsgebiet das Gerücht, die Juden hätten die Brunnen vergiftet und auf diese Weise das Massensterben hervorgerufen. Papst Clemens VI. (1342–1352) hatte bereits am 26 September 1348 verboten, Zwangstaufen an Juden vorzunehmen, diese zu ermorden und sich widerrechtlich ihrer Habe zu bemächtigen. Die päpstliche Bulle verwies unmissverständlich darauf, dass die Seuchensterblichkeit unter den Juden ebenso hoch sei wie unter den Christen. Trotzdem zeitigte die Intervention des Heiligen Stuhls nur begrenzte Resultate. In Avignon und im Kirchenstaat unterblieben Ausschreitungen gegen die Juden. Doch in Nordfrankreich und vor allem im deutschsprachigen Reichsgebiet kam es trotz päpstlichen Verbots zu den weitreichendsten und blutigsten Judenpogromen, die erst durch die Katastrophe der Shoah, des Holocaust, im 20. Jahrhundert an Ausmaß und Barbarei übertroffen wurden. Dabei fanden, wie bereits Frantisˇ ek Graus in seiner grundlegenden, 1994 in dritter Auflage erschienenen Studie zu den Zusammenhängen zwischen Pest, Geißlerbewegung und Pogromen feststellte, die Morde an der jüdischen Bevölkerung statt, noch bevor der schwarze Tod die Stadt überhaupt erreicht hatte.
e) Exkurs I: Der schwarze Tod in Köln Judenmorde
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Ein exemplarischer Blick auf die Situation in Köln, zu jener Zeit mit einer geschätzten Zahl von bis zu 40 000 Einwohnern die größte Stadt im Norden des Reichsgebiets, veranschaulicht den Ablauf der Ereignisse. Am 12. Januar 1349 übersandte der Kölner Rat ein Schreiben an den Magistrat der oberrheinischen Stadt Straßburg. Darin ersuchte er die Straßburger Stadtväter, der aufrührerischen Stimmung in der Bevölkerung entgegenzuwirken, damit sich diese nicht in einer „Niedermetzlung der Juden und anderem Übel“ entlade. Der Brief der Kölner Obrigkeiten war vor allem von der Sorge geprägt, gewaltsame Ausschreitungen gegen die Juden könnten auf ihre eigene Stadt übergreifen. Diese Befürchtung war nicht aus der Luft gegriffen. In den vorangegangenen Monaten war es infolge des Gerüchts von der jüdischen Brunnenvergiftung in Städten der Deutschschweiz und Oberdeutschlands bereits zum Mord an der jüdischen Bevölkerung gekommen. Seit August 1348 kursierten auch in Köln die verleumderischen Nachrichten, die Juden hätten das Massensterben verursacht. Derweil blieb das kölnische Ersuchen an den Straßburger Rat fruchtlos. Nur wenige Wochen nach der Abfassung des Kölner Sendschreibens wurden die Juden der elsässischen Stadt auf dem Scheiterhaufen verbrannt. In den folgenden Monaten zeigte sich, dass die bösen Vorahnungen des Kölner Rates begründet waren. Die Stimmung gegen die Juden wurde immer aufgeheizter. Doch damit nicht genug. Am 15. August 1349 starb der Kölner Erzbischof Walram von Jülich (1332–1349) in Paris. Die Kölner Juden, die sowohl dem Kirchenfürsten als auch dem Rat unterstanden, waren nun eines ihrer wichtigsten Schutzgaranten beraubt. Schon bald nach dem Tod Erzbischof Wal-
Der schwarze Tod und die Pest rams kam es in Köln zu gewalttätigen Übergriffen auf die Juden. Am Bartholomäus-Tag, dem 24. August, so notieren die Annalen, hätten sich die Juden eigenhändig verbrannt. Anders stellt der anonyme Verfasser der so genannten Koelhoffschen Chronik den Sachverhalt dar. Seinem Bericht zufolge starben die Juden nicht nur in ihren eigenen Häusern aus Verzweiflung den selbstgewählten Feuertod, sondern wurden in großer Zahl ermordet. Diese Sicht des Geschehens wird von der Kölner Weltchronik (1273/88 – 1376) gestützt, die von einem erbarmungslosen Gemetzel spricht, bei dem selbst Neugeborene nicht verschont wurden. Der Autor der Koelhoffschen Chronik führt als Grund der Ausschreitungen das weit verbreitete Brunnenvergiftungsgerücht an. Die Juden, so führt er aus, hätten allerorts das Wasser und die Brunnen vergiftet. Wo man dieser Tat gewahr geworden sei, habe man sie getötet und vertrieben. Welche Rolle die Geißlerzüge für das gewaltsame Vorgehen gegen die jüdischen Einwohner Kölns spielten, lässt sich im Spiegel der überlieferten Quellen nicht beantworten. Die lokalen Schriftzeugnisse erwähnen das Auftreten der Geißler für das Jahr 1349 nur am Rande. Nicht zu ermitteln ist, wann die Flagellanten in der Stadt eintrafen und wie sie sich dort verhielten. Die Chronologie der in den Quellen geschilderten Ereignisse legt die Vermutung nahe, dass die Geißler vor der Ermordung der Kölner Juden in die Stadt kamen und möglicherweise die antijüdische Stimmung zusätzlich anheizten. Der Chronist Levold von Northof stellt jedenfalls einen Zusammenhang zwischen dem Geißlerzug und dem Judenpogrom in der Domstadt her. Seinen Ausführungen zufolge wurden die Kölner Juden ermordet, als sich die Geißler in der Stadt befanden. Welche Bedeutung einer Angst vor der vermeintlichen Brunnenvergiftung für die Ermordung der jüdischen Bevölkerung tatsächlich zukam, bleibt Spekulation. Der Vorwurf, durch die Vergiftung von Gewässern und Brunnen gefährliche Krankheiten und den Tod von Christen verursachen zu wollen, war nicht neu. Drei Jahrzehnte vor dem Erscheinen des schwarzen Todes hatte er ohne konkreten Anlass 1321 in Teilen Frankreichs zur Ermordung von Juden und Leprakranken geführt. Vor dem Hintergrund einer abstrusen Komplotttheorie hatte man ihnen zur Last gelegt, gemeinsam mit den Muslimen von Granada, die Christenheit mit dem Aussatz infizieren zu wollen. Ebenso stereotyp wie die Feindbilder war die Ausgangslage im Köln des Sommers 1349. Schon Monate bevor der schwarze Tod die Stadt erreichte, wurden die Morde an den jüdischen Einwohnern verübt. Der Ausbruch der Seuche kann somit in keinem Fall den Anstoß zu der Mordaktion gegeben haben. Obgleich sich die Motivation zu den Gewalttaten nicht allein auf eine rationale Handlungsebene reduzieren lässt, ist die vorrangige Bedeutung materieller Interessen nicht von der Hand zu weisen. Schuldner jüdischer Geldverleiher sahen sich mit einem Schlag ihrer Rückzahlungsverpflichtung entledigt. Damit nicht genug, wurde die Hinterlassenschaft der Ermordeten nach Kräften geplündert. Am 23. September 1350, nachdem der schwarze Tod über Köln hinweggebrandet war, drängte der neue Erzbischof Wilhelm von Gennep (1349–1362) den Rat, über den Verbleib des jüdischen Habes zu entscheiden. Der Kölner Magistrat erließ für sämtliche Ratsmitglieder das Verbot, sich in den Besitz jüdischen Eigentums zu bringen. Trotz solch klarer Richtungsweisung verlief die Entschei-
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Streit um den geraubten Besitz
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dungsfindung schleppend. Erst am 24. Februar 1352, drei Jahre nach der Ermordung und Plünderung der Juden, entschied das zum Zwecke der Schlichtung des Streits zwischen Rat und Erzbischof mittlerweile eingesetzte Gremium, den Forderungen Wilhelms von Gennep zu entsprechen. Das geraubte Gut sollte dem Kölner Oberhirten komplett überantwortet werden. Die Häuser der Getöteten und Vertriebenen wurden verpachtet. Die Folgen der antijüdischen Gewalttaten waren nachhaltig. Über zwanzig Jahre wurde Juden die Wiederansiedlung in Köln verweigert. Erst 1372 wurden sie wieder in der Stadt aufgenommen. Das lokale Seuchengeschehen wird in der Überlieferung durch die Schilderungen des Massakers an den Juden und der späteren Besitzverteilung trotz seiner vorauszusetzenden Heftigkeit in den Hintergrund gedrängt. Wie groß die Sterblichkeit in Köln gewesen sein muss, lässt eine päpstliche Urkunde vom 29. Juli 1351 erahnen. Kraft dieser überstellte Clemens VI. dem Kölner Domkapitel die Pfarrkirche zu Glehn. Er begründet diesen Akt damit, dass wegen der großen Sterblichkeit infolge der Pest, die in diesem Gebiet vor kurzem gewütet habe, die Einkünfte des Domkapitels deutlich geschmälert worden seien. Die Konfrontation anderer Städte mit dem schwarzen Tod verlief allerorts nach ähnlichem Muster. Zumeist verstellt jedoch die mehr oder weniger ausführliche Schilderung der unheilvollen Begleiterscheinungen von Judenpogrom und Geißlerbewegung den Blick auf die Entwicklung des Seuchengeschehens sowie auf eventuelle Reaktionen von Obrigkeiten und Bevölkerung. Lokale Nuancen lassen sich dennoch vielerorts erkennen. Für manche der niederrheinischen Städte wird beispielsweise deutlich, dass diese intensiv Nachrichten über die vermeintliche Gefahr der Brunnenvergiftung durch Juden sowie das Unwesen der Geißler untereinander austauschten. Dies zeigt exemplarisch eine Betrachtung der Vorgänge in der Krönungsstadt Aachen.
f) Exkurs II: Der schwarze Tod in Aachen Geißler und Judenverfolgung
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Noch bevor der schwarze Tod um den Jahreswechsel zu 1350 die Reichsstadt Aachen erreicht hatte, traf dort ein Bote des Brüsseler Rates ein. Dieser überbrachte den Aachener Stadtvätern ein Schreiben, das eine Warnung vor der jüdischen Brunnenvergiftung enthielt. Der genaue Wortlaut des Schriftstückes ist nicht überliefert. Sein Inhalt ist nur aus einem Fragment der Stadtrechnung von 1349 zu rekonstruieren, die mit deutlichem Hinweis auf den Gegenstand und den Absender des Schriftstücks eine Zahlung an den Boten aus Brüssel ausweist. Unbekannt bleibt, wie die Aachener Stadtväter auf die Warnung reagierten. Wahrscheinlich ist, dass die Aachener Juden das gleiche Schicksal ereilte wie ihre Kölner Glaubensgenossen. In den wenigen lokalen Zeugnissen finden sich hierüber keinerlei Aussagen. Sofern die nicht datierten Einträge des Stadtrechnungsfragments eine chronologische Ordnung aufweisen, überbrachte kurz nach dem Eintreffen der Warnung aus Brüssel ein Bote des Bischofs von Lüttich, zu dessen Diö-
Der schwarze Tod und die Pest zese Aachen gehörte, ein Schreiben gegen die Geißler. Auch dieser Text ist leider nicht erhalten. Der bischöfliche Brief steht aber wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem von Papst Clemens VI. am 20. Oktober 1349 verkündeten Verbot der Geißlerbewegung. Mit dem Verbot ging die allgemeine Einsetzung einer Bittmesse und der Aufruf zur Förderung einer Verehrung des heiligen Sebastian einher, dessen Kult als Pestheiliger sich in Rom schon um 680 etabliert hatte. Vor allem der deutsche König hatte den Papst zu einem harten Vorgehen gegen die Geißler gedrängt. Als Karl IV. im Juli 1349 zu seiner zweiten Krönung an den traditionellen Krönungsort nach Aachen gekommen war, hatte er zu seiner größten Empörung einige Tage auf den Einzug in die Stadt warten müssen. Aachen war zu diesem Zeitpunkt überfüllt mit Flagellanten. In vielen Städten der Diözese Lüttich waren im Laufe des Jahres 1349 große Geißlerscharen aufgetaucht. Radulph von Rivo, der Abt von Tongern, beschreibt in seinen Gesta pontificum Leodiensium, den Taten der Lütticher Bischöfe, ausführlich ihr Erscheinungsbild. Die Schilderung Radulphs, der um 1344/1345 in Breda geboren wurde und die Schrecken des schwarzen Todes in früher Kindheit erlebt hatte, ist in wesentlichen Aspekten mit den umfangreicheren Ausführungen der Limburger Chronik und dem Geschichtswerk des Dominikaners Heinrich von Herford identisch. Der Abt äußerte unverhüllt seine Abneigung gegen die Geißler. Ohne rechtmäßiges Haupt sei die Sekte (secta) umhergezogen. Halb nackt und in einer Hand das Kreuz tragend, hätten sie sich gegeißelt und dabei ketzerische und verdächtige Lieder gesungen. Die Abfolge der Geschehnisse gleicht der bereits in Köln beobachteten. Auf den Durchzug der Geißlerscharen Ende Juli dürfte infolge der Warnung aus Brüssel irgendwann zwischen August und dem Frühherbst die Vernichtung oder Vertreibung der Aachener Juden erfolgt sein. Sofern das Sendschreiben des Lütticher Bischofs in Bezug auf die Geißler tatsächlich im Zusammenhang mit dem päpstlichen Verbot der Bewegung stand, kann es nur nach dem 20. Oktober 1349 in Aachen eingegangen sein. Obgleich die Geißlerhorden bereits im Sommer aufgetreten waren, sah der Rat offenbar noch immer Handlungsbedarf im Umgang mit dem Problem gegeben. Immerhin reagierten die Stadtväter auf das Sendschreiben aus Lüttich, indem sie zugleich Vorkehrungen gegen die Einschleppung der Seuche in die Stadt trafen. Zu einem aufgrund fehlender Datierung nicht exakt bestimmbaren Zeitpunkt des Jahres 1349 oder 1350 erließen sie eine Verordnung gegen das Geißeln in der Stadt und zur Einschränkung auswärtiger Kontakte (s. Quelle). Das für den Nordwesten Deutschlands einzigartige Zeugnis für eine obrigkeitliche Reaktion auf den schwarzen Tod spiegelt zugleich die zeitspezifische Wahrnehmung der Seuche wider. Um des Glaubens an die Heilige Kirche und um des päpstlichen Verbotes willen, so heißt es darin, solle sich weder ein Einheimischer noch ein Fremder in der Stadt und dem Reich Aachen geißeln. Die Strafen für Verstöße gegen den Erlass waren hart. Einwohnern drohte bei Zuwiderhandlung eine befristete Ausweisung aus der Stadt und dem Reich von Aachen. Die Wiederaufnahme musste vom Rat beschlossen werden. Körperliche Strafen erwarteten auswärtige Geißler. Wer sich entgegen der obrigkeitlichen Anordnung in Aachen geißle, dem solle unverzüglich die Hand abgeschlagen werden, bestimmt der Erlass.
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Erlass wider das Geißeln
Obrigkeitliche Reaktion auf die Seuche
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Erlass des Aachener Rates gegen das Geißeln und zur Verhinderung der Seucheneinschleppung 1349/1350 Stadtarchiv Aachen, RAI R. I, Nr. 8 (undatiert). (Freie Übertragung ins Neuhochdeutsche: K. P. Jankrift; Quelle im Original s. Anhang, 5.) Der Rat von Aachen ist zum gemeinen Besten einträchtig darin übereingekommen, dass, sofern Fremde Menschen, sie seien Mann oder Frau, die mit dieser neuen Seuche beladen sind, nach Aachen kämen, nicht länger als einen Tag und eine Nacht in der Stadt bleiben sollten; und bliebe jemand darüber hinaus in der Stadt, dem soll der Richter die Hand abschlagen lassen. Und [dies] ist zu halten und zu tun, wie der Rat bestimmt hat. Beherbergte ein Bürger oder eine Bürgerin einen Fremden länger als was man verkündet hat, die sollen, sie wären Mann oder Frau, für ein Jahr aus der Stadt und dem Reich von Aachen gewiesen werden und nicht wieder hineinkommen und sollen dies bessern, ehe sie wieder hineinkommen dürfen, wie dies der Rat bestimmt hat. Ferner sollen alle Bürger, Bürgerinnen und Eingesessene von Aachen, die mit der neuen Seuche beladen wären, dort bleiben, wo sie wohnen, ihren Schmerz dort gütlich zu leiden. Und wenn jemand der Notdurft durch das Gebrechen leide, so soll der Rat sich um die Linderung der Notdurft kümmern. Ferner hat der Rat im Glauben an die Heilige Kirche und aufgrund des Gebots unseres geistlichen Vaters, des Papstes, beschlossen, dass kein Mensch, er sei einheimisch oder fremd, sich weder in der Stadt noch dem Reich von Aachen geißeln solle. Bricht jemand dieses Verbot, wer auch immer er sei, der soll aus der Stadt und dem Reich von Aachen für ein ganzes Jahr vertrieben werden und dies richten, wie der Rat beschlossen hat, wenn dieser wiederkehren will. Ferner soll kein Fremder nach Aachen kommen, um sich zu geißeln. Käme dem [Verbot] entgegen jemand nach Aachen, dem solle der Richter unverzüglich die Hand abschlagen lassen und dies halten und tun, wie vom Rat beschlossen.
Die übrigen Verfügungen der Ratsverordnung sind Verhaltenmaßregeln im Umgang mit dem schwarzen Tod. Die Formulierungen lassen keinen Zweifel daran, dass die fürchterliche Wirkung der Krankheit durch Berichte über die Ereignisse an anderen Orten bereits bekannt, die Seuche in Aachen selbst aber noch nicht ausgebrochen war. Die erste Verfügung bezieht sich denn auch auf Auswärtige, die Einlass in die Stadt begehrten. Sofern diese mit der neuen Seuche beladen seien, durften sie höchstens einen Tag und eine Nacht in der Stadt bleiben. Auch in diesem Fall wurden Zuwiderhandlungen drakonisch mit dem Abschlagen der Hand bestraft. Einwohner, die auswärtigen Kranken über die verordnete Frist hinaus Obdach gewährten, wurden für die Zeit von mindestens einem Jahr aus der Stadt verwiesen. Die Ausführungen des Ratserlasses und das Strafmaß veranschaulichen, dass die herannahende Seuche als eine ebenso neue wie große Bedrohung empfunden wurde. Zugleich ist zu vermuten, dass die Aachener Obrigkeiten selbst noch keine praktische Erfahrung mit der schnellen Ausbreitung der Krankheit und ihrer außerordentlich rasch todbringenden Wirkung gemacht hatten. Ihr Handeln wird von der tiefen Überzeugung geleitet, die verordneten Maßnahmen bedeuteten zumindest einen gewissen Schutz gegen die Ausbreitung der Seuche in der Stadt. Doch dürfte der Natur des Erregers entsprechend schon der eintägige Aufenthalt eines am schwarzen
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Der schwarze Tod und die Pest Tod Erkrankten genügt haben, um die Seuche mit verheerenden Konsequenzen nach Aachen einzuschleppen. Jede Bestrafung aufgrund von Zuwiderhandlung gegen die Begrenzung der Aufenthaltsdauer dürfte sich in aller Regel aufgrund der körperlichen Verfassung eines Übeltäters erübrigt haben, vorausgesetzt, dieser war überhaupt noch am Leben. Auch die Bewegungsfreiheit erkrankter Einwohner wurde durch den Erlass eingeschränkt. Jeder sollte in seinem eigenen Haus und Wohnort seinen Schmerz geduldig ertragen, heißt es darin. Im Gegenzug sicherten die Obrigkeiten zu, für die Notdurft der Kranken zu sorgen. In welcher Form sie dieses zu organisieren gedachten, wird in dem Dokument indes nicht erwähnt. In Ermangelung weiterer zeitgenössischer Schriftzeugnisse des Rates bleibt ebenso offen, wie sich die Verordnung der Stadtväter nach Ausbruch der Krankheit in der Praxis bewährte. Den Ausführungen des Abtes Radulph von Rivo zufolge forderte der schwarze Tod in der Nachbarschaft Aachens – in Lüttich, Flandern und Brabant – zahlreiche Opfer. Über den Verlauf des Seuchengeschehens in der Stadt liegen indes keine Berichte vor. Eine im weitesten Sinne medizinische Betreuung der Erkrankten in eigens zu diesem Zweck genutzten Einrichtungen existierte 1350 noch nicht. Die in der älteren Literatur verschiedentlich geäußerte Auffassung, die vor dem Adalbertstor gelegene Schervielsburg habe bereits während des schwarzen Todes als Pesthaus gedient, gehört in den Bereich lokalhistorischer Mythen. Für die angebliche Versorgung Pestkranker in der Wasserburg vor den Toren Aachens durch vier Brüder der Celliten, die sich später Alexianer nannten, findet sich kein Beleg. Sicher ist hingegen, dass Begarden im Jahre 1349 bereits in Aachen ansässig waren. Das bereits angeführte Fragment der Kämmereirechnung von 1349 verzeichnet eine städtische Zuwendung zu ihren Gunsten, der angesichts der besonderen Situation ein bemerkenswerter Zusatz beigegeben ist: Damit sie für die Stadt beten sollen. Alexianer Alexianer sind nach dem Heiligen Alexios (gest. 417) benannte, während des 14. Jahrhunderts entstandene Laiengemeinschaften. Die bisweilen auch als Brotbegarden oder – wie die Aachener Schwesterngemeinschaft – als Christenserinnen sowie als Celliten, Roll- oder Lungenbrüder bezeichneten Alexianer taten sich in besonderer Weise durch die Pflege Pestkranker und das Begräbnis von Seuchenopfern hervor. Papst Gregor XI. stellte sie 1377 unter den besonderen Schutz des Heiligen Stuhls. Bonifaz IX. erneuerte diese Schutzgarantie 1394 ebenso wie Eugen IV. im Jahre 1431. Verbreitung fanden die Alexianer vor allem in Flandern und am Niederrhein. Weitere Niederlassungen waren Straßburg, Hamburg und Braunschweig. Im Jahre 1469 legten die Aachener Alexianer erstmals Gelübde ab. Papst Sixtus IV. gewährte der Gemeinschaft 1472 die Augustinusregel. Die Kleidung der Alexianer ist ein schwarzer Habit mit Ledergürtel.
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Die Alexianer
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Existierte in Aachen auch noch keine institutionelle Versorgung Pestkranker, so verfügte die Reichsstadt immerhin über grundlegende medizinische Strukturen. Schon vor dem schwarzen Todes standen sowohl Ärzte als auch Wundärzte in städtischen Diensten. So erwähnt beispielsweise die Stadtrechnung des Jahres 1346 eine Zahlung von 100 Mark für den Medicus Meister Nikolaus. Lediglich ein Viertel dieser beträchtlichen Summe erhielt der Wundarzt. Spätestens seit 1338 wirkte in der Stadt auch ein niederge-
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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lassener Apothecarius. Im Fragment der Ausgaberechnung für 1349 wird der Medicus Meister Nikolaus an erster Stelle unter den städtischen Bediensteten genannt, gefolgt vom Apotheker Theodoricus. Ein Wundarzt findet sich hingegen nicht mehr. Da die Rechnungsunterlagen für 1350 fehlen, lässt sich nicht erschließen, ob Meister Nikolaus im Angesicht des schwarzen Todes zum Wohle der Kranken wirkte, der Seuche zum Opfer fiel oder den Empfehlungen des Pariser Pestgutachtens gemäß aus der verseuchten Stadt geflohen war.
g) Exkurs III: Der schwarze Tod in Dortmund Judenpogrome
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Noch bevor der schwarze Tod weiter nordwärts in die einzige westfälische Reichsstadt Dortmund vorgedrungen war, begannen auch hier die Ausschreitungen gegen die Juden. Dem Bericht des Dominikaners Johann Nederhoff zufolge wurden die jüdischen Einwohner Dortmunds jedoch nicht getötet, sondern der Stadt verwiesen. Die Dortmunder, so betont der Chronist, verbrannten die Juden weder noch töteten sie sie, sondern vertrieben sie aus der Stadt. Sie seien verdächtigt worden, die Quellen und Brunnen vergiftet zu haben. Als sie diese Tat gestanden hätten, seien sie in ganz Deutschland verbrannt worden. Der urkundliche Befund stützt die Darstellung Nederhoffs, dem allerdings die Chronologie der Vorfälle durcheinander geraten ist: Den Seuchenausbruch verlegt er ohne direkten Bezug auf die Situation in Dortmund in das Jahr 1349, Judenpogrom und Geißlerdurchzug indes in das Jahr 1351. Für eine genaue zeitliche Einordnung der Geschehnisse in der westfälischen Reichsstadt ist die Chronik des Dominikaners mithin ungeeignet. Der erst im 16. Jahrhundert entstandene Bericht des städtischen Schreibers Dietrich Westhoff trägt aufgrund seines noch weiteren Abstands zum Berichtsgeschehen ebenso wenig zur Klärung des Sachverhalts bei. Er verlegt die Vertreibung der Dortmunder Juden sogar in das Jahr 1348. Obwohl Westhoff den größten Teil seiner Informationen über den schwarzen Tod wortgetreu der Chronik des Johann Nederhoff entnimmt, präsentiert er doch eine eigene Erklärung für den Ausbruch des schwarzen Todes. Von den Juden, so führt er aus, habe sich ein großer und gefährlicher Dampf erhoben. Die Vorstellung von den krankheitserregenden Miasmen für die Ausbreitung der Seuche tritt an dieser Stelle deutlich zutage. Interessanterweise zeugen die Formulierungen Westhoffs zugleich von der Entwicklung, die das Motiv der vermeintlichen Brunnenvergiftung im Laufe von rund zweihundert Jahren nahm. Doch weder Nederhoff noch Westhoff erwähnen, dass die Dortmunder Juden von ihrem Schutzherren, dem Grafen Engelbert III. von der Mark, und den städtischen Obrigkeiten all ihrer Habe beraubt wurden, bevor sie aus der Stadt vertrieben wurden. Ein Blick in die Urkunden verrät den Gang der Ereignisse. Die Juden in Dortmund fielen ganz offensichtlich nicht einem Ausbruch spontaner und unkontrollierter Gewalt aus der Bevölkerung zum Opfer, sondern dem von langer Hand vorbereiteten und gut geplanten Vorgehen des Landesherren und der städtischen Obrigkeiten. Am 28. Juni des Jahres 1350 einigten sich
Der schwarze Tod und die Pest der Graf von der Mark und die Vertreter der Stadt über die Aufteilung des eingezogenen jüdischen Besitzes. Ganz im Gegensatz zu den Versicherungen der Dortmunder Chronisten deutet die Urkunde darauf hin, dass es innerhalb der jüdischen Gemeinschaft doch Todesopfer zu beklagen galt. Aus dem Schriftstück geht zudem hervor, dass man die Juden zum Zeitpunkt der Übereinkunft bereits in Kerkerhaft genommen hatte und sogar weitere Verhaftungen nicht ausschloss. Es ist möglich, dass die Obrigkeiten ein solches Vorgehen als Maßnahme zum Schutz der übrigen Stadtbevölkerung vor dem jüdischen Gift propagiert haben mögen. In aller Deutlichkeit tritt jedoch hervor, dass nicht die Angst vor dem schwarzen Tod, sondern persönliche Habgier bei der Behandlung der jüdischen Einwohner Dortmunds im Vordergrund standen. Trotz allen Eifers in dieser Angelegenheit nahm die Verteilung des geraubten Besitzes doch einige Zeit in Anspruch. Erst am 11. November bestätigte Engelbert von der Mark die Übergabe von 350 Mark durch die Dortmunder Obrigkeiten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stammte dieses Geld aus dem konfiszierten Gut. Ein halbes Jahr später, am 4. April 1351, setzte sich der Landesherr abermals mit der Reichsstadt über das Vermögen der Juden auseinander. In der aus diesem Anlass ausgestellten Urkunde bestätigt Engelbert von der Mark, dass seine bestehenden Ansprüche an der Dortmunder Habe der vertriebenen Juden abgegolten sei. Dies gelte jedoch nicht im Hinblick auf das Vermögen Dortmunder Juden in Köln. Das auf Habgier gegründete Bündnis führte zur Exkommunizierung des Grafen von der Mark und der Stadt Dortmund durch den Kölner Erzbischof Wilhelm von Gennep, der damit seine Rolle als Diözesanherr wahrnahm. Erkennbare Folgen erwuchsen hieraus allerdings weder Engelbert noch den städtischen Obrigkeiten. Der Lütticher Domherr und einstige Erzieher Engelberts von der Mark, Levold von Northof, verteidigt in seiner Chronik seinen früheren Zögling, den er nach eigenen Worten auch die Grundsätze künftiger Regierungs- und Menschenführung zu lehren bemüht war. In seiner wortgewandten Darstellung erscheint die unrechtmäßige Bereicherung des Grafen von der Mark nahezu als ein Gerücht. Levold schreibt, es werde gesagt, der Graf von der Mark habe viel Reichtum aus dem Gut der Dortmunder Juden genommen, doch dürfe man nicht glauben, dass alles ihm zu seinen Nutzen zugekommen sei. Wie in Köln dauerte es auch in Dortmund rund zwanzig Jahre, bis sich Juden wieder in der Stadt ansiedeln durften. Der Landesherr, der zuvor bereits so guten Gewinn aus der Vertreibung gezogen hatte, ließ sich auch die von den Stadtvätern erbetene Erlaubnis zur Wiederansiedlung mit klingender Münze bezahlen. Nicht weniger als 1300 Gulden musste die Stadt dem Grafen von der Mark 1372 für sein Wohlwollen entrichten. Lassen sich die Hintergründe der Ausweisung und Wiederaufnahme der Dortmunder Juden gut rekonstruieren, so fehlen in der Überlieferung Hinweise auf die Vorgänge in der Stadt während des Seuchensterbens. Die Schilderung Nederhoffs ist zu allgemein gehalten, um aus ihr konkrete Rückschlüsse auf die Situation in der Reichsstadt ableiten zu können. Der dominikanische Chronist berichtet von einer schweren Pest, die so vehement gewesen sei, dass die Lebenden kaum die Toten begraben konnten und vielerorts nur ein Drittel der Menschen überlebt habe. Der Zeitpunkt des Seuchenausbruchs in Dortmund lässt sich nicht mit Bestimmtheit er-
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Verteilung der jüdischen Habe
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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mitteln. Einen Hinweis könnten jedoch die Urkunden über die Verteilung des jüdischen Besitzes liefern. Da dieser Ende Juni beschlagnahmt worden war und eine Einigung über die Verteilung bereits stattgefunden hatte, Engelbert III. aber nicht vor November eine Zahlung aus seinem Anteil erhielt, ist zu vermuten, dass das einsetzende Seuchengeschehen der Grund für die Verzögerung war. Daraus folgt, dass der schwarze Tod irgendwann zwischen Anfang Juli und Anfang November 1350 in Dortmund ausbrach. Anders als in Aachen erlaubt die unzureichende Quellenlage keine Einblicke in das Verhalten der Obrigkeiten während des Seuchensterbens. Ebenso wenig gibt es Zeugnisse, um zu dieser Zeit einen Arzt oder Wundarzt in städtischen Diensten nachzuweisen.
h) Die Auseinandersetzung mit dem schwarzen Tod im deutschsprachigen Reichsgebiet und seine Folgen
Maßnahmen zur Eindämmung
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Die Auseinandersetzung mit dem schwarzen Tod fand im deutschsprachigen Reichsgebiet, wie zumeist auch anderswo, vor allem im religiös-spirituellen Rahmen statt. Bittmessen und -prozessionen wurden abgehalten, um göttliche Gnade zu erflehen. Zugleich wandte man sich verstärkt den Heiligen zu, wie etwa dem von Pfeilen durchbohrten Sebastian oder der Jungfrau Maria, die als Vermittler beim Allerhöchsten eine Abwendung des Übels erwirken sollten. Die Abnahme der zur individuellen Vorbereitung auf den Tod wichtigen Beichte wurde zum Problem. Kleriker waren vor Angst nicht gefeit und diejenigen, die die Todkranken doch an ihren Sterbebetten aufsuchten, ereilte häufig genug selbst der Tod. Beeindruckend sind jene zeitgenössischen Berichte, die ein Ableben des Beichtvaters nach Verrichtung seiner Pflicht noch am Bett des Kranken schildern. Besonders die Angehörigen der Bettelorden gingen ihren spirituellen Aufgaben mit Pflichteifer nach und zahlten für ihren Einsatz zum Seelenheil der Seuchenkranken einen hohen Blutzoll. Weltliche Maßnahmen zur Eindämmung des schwarzen Todes scheinen hingegen weitgehend unterblieben zu sein. Zumindest einige Städte, wie das Beispiel Aachen zeigt, versuchten sich durch die Einschränkung der Außenkontakte im Vorfeld des Seuchenausbruchs zu schützen. War der schwarze Tod erst einmal in den Mauern der Stadt, lähmte das Massensterben die Handlungsfähigkeit der Obrigkeiten nahezu vollständig. Durch Tod und Flucht lichteten sich die Reihen der Amtsträger, sodass die Koordinierung möglicher Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahr – etwa Verhaltenverordnungen für die Bevölkerung – unmöglich wurde. Eine Einführung der Quarantäne fand noch nirgends im Reichsgebiet statt. Ebenso wenig lassen sich bereits zur Mitte des 14. Jahrhunderts Initiativen zur Einrichtung von Institutionen zur Versorgung Pestkranker finden. Wie sich schließlich die medizinischen Empfehlungen über den Umgang mit dem schwarzen Tod in der alltäglichen Praxis niederschlugen, bleibt für die Städte des deutschsprachigen Reichsgebiets aufgrund einer spärlicheren Quellenlage als in Italien (s. Quellen) überwiegend im Dunkeln. Ein Grund hierfür ist nicht zuletzt, dass es um die Mitte des 14. Jahr-
Der schwarze Tod und die Pest
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hunderts in Italien und Frankreich weit mehr universitär gebildete Ärzte gab als nördlich der Alpen. Besonders im Norden des deutschen Reichsgebiets waren die medizinischen Strukturen zu dieser Zeit noch immer nur schwach ausgeprägt. Zwei italienische Zeugnisse ärztlichen Wirkens aus der Zeit des schwarzen Todes K. Bergdolt, Die Pest in Italien, S. 115: Ich kann dies bezeugen: Mich ließ ein Mann zur Ader. Das Blut, das herauslief, spritzte ihm ins Gesicht. Und am gleichen Tag wurde er krank und starb am darauf folgenden. Ich kam freilich durch Gottes Gnade davon.
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K. Bergdolt, Der schwarze Tod in Europa, S. 115: Im Monat Juni stellte der ehrwürdige Magister [Anm. d. Verf.: Gentile da Foligno] Rezepte für Pillen zusammen, die man dreimal in der Woche nehemen soll. Daraufhin erkrankte Gentile selbst, weil er sich zu sehr um die Pestkranken gekümmert hatte. Dies geschah am 12. Juni. Er lebte noch sechs Tage und starb dann. Seine Seele ruhe in Frieden. Dies ereignete sich 1348. Und ich, Franceso aus Foligno, war zugegen, als er krank war und verließ ihn nicht mehr, bis er starb und in Foligno bei der Eremitenkirche beerdigt wurde.
Aderlass und die Gabe von Arzneimitteln dürften indes auch in den Städten des deutschsprachigen Reichsgebiets zum Repertoire der Heilkundigen gehört haben. Wie viele Ärzte und Wundärzte bei ihrem Bemühen um die Kranken ihr eigenes Leben ließen, lässt sich nicht feststellen. Die Folgen des schwarzen Todes waren unverkennbar. Der hohe Verlust an Menschenleben führte zu einem Durchbrechen des sozialen Gesellschaftsgefüges in den Städten. Heiraten, die vor dem Massensterben als nicht standesgemäß angesehen worden wären, waren nun möglich. Zugleich bedeutete die hohe Sterblichkeit nicht selten das Ende der Großfamilie als Lebensform. Alternde Hinterbliebene, die keine Angehörigen zu ihrer Versorgung mehr hatten, waren in steigendem Maße auf institutionelle Versorgungsstrukturen angewiesen. Im Herrschaftsgebiet des Herzogtums Geldern beispielsweise lässt sich nach dem schwarzen Tod eine Gründungswelle von Hospitälern in kleineren Städten nachweisen, die unmittelbar als Folge der vorausgegangenen Massensterblichkeit erscheint. Doch auch Handel, Gewerbe und Landwirtschaft hatten durch den hohen Verlust an Menschenleben erheblich gelitten. Die Landflucht in die entvölkerten Städte beispielsweise, die auf den schwarzen Tod folgte, führte zu einem Anstieg der Getreidepreise. Auswirkungen zeitigte der schwarze Tod jedoch auch auf die bildende Kunst. So entstanden einige Dekaden später vielerorts die so genannten Totentänze. Diese Bilderzyklen veranschaulichten plastisch die Erfahrung, die die Menschen fortan über Jahrhunderte mit der Pest machen sollten: Der Tod fordert Kaiser und Papst, Mönch und Ritter, Bauer und Kaufmann unterschiedslos zum letzten Tanz.
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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i) Die Pest im späten Mittelalter Häufige Seuchenausbrüche
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Pesttraktate
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Nach dem Ende des schwarzen Todes in Europa wurde die Pest für Jahrhunderte endemisch. In Abständen von mitunter nur wenigen Jahren flammte sie immer wieder epidemisch auf und verursachte eine massive Sterblichkeit, erreichte jedoch nie mehr die Intensität des schwarzen Todes. Judenpogrome und Geißlerzüge blieben ebenfalls auf dieses erste Auftreten der spätmittelalterlichen Pest beschränkt. Die zeitgenössischen Schriftzeugnisse belegen, dass noch in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mindestens vier weitere Pestepidemien in den Städten des Reichsgebiets auftraten und stets zahlreiche Opfer forderten. Eine jüngst abgeschlossene vergleichende Regionaluntersuchung zeigt, dass verschiedene westfälische und niederrheinische Städte in einer Zeitspanne von 250 Jahren – zwischen der Mitte des 14. und dem Ende des 16. Jahrhunderts – durchschnittlich mehr als 30-mal von einer Epidemie heimgesucht wurden. So erlebten etwa das im Mittelalter zu den Großstädten zählende Soest 37, Dortmund und Münster je 36, Köln 27 und Wesel 21 quellenmäßig gesicherte Seuchenausbrüche bis zum Jahre 1600. Die Quellen erwecken dabei den Eindruck, als habe sich das Auftreten von Seuchen kontinuierlich gehäuft. Ein Befund, der angesichts einer im 16. Jahrhundert zusehends dichter werdenden Überlieferung nicht die realen Verhältnisse wiedergeben muss. Dieses allgemeine Anwachsen der Informationen bedingt zugleich eine Häufung der Nachrichten über das Seuchengeschehen. Seuchen könnten dieser Erkenntnis zufolge in der zweiten Hälfte des 14. und während des 15. Jahrhunderts sogar noch häufiger ausgebrochen sein, als die erhaltenen Zeugnisse verraten. Die in erzählenden Quellen bisweilen angegebenen Opferzahlen gehen über die tatsächlichen zumeist weit hinaus. Sie veranschaulichen indes, welchen Eindruck das Massensterben auf die Zeitgenossen machte. Die Pest und andere gefährliche Infektionskrankheiten verursachten zweifelsfrei die größte Mortalität unter der Bevölkerung mittelalterlicher Städte. Mortalität Mortalität bezeichnet das Verhältnis der Sterbefälle zur durchschnittlichen Größe der Bevölkerung, während die Morbidität die absolute Krankheitshäufigkeit innerhalb einer Population beziffert. Die Letalität wiederum beschreibt in Form der so genannten Letalitätsrate die Tödlichkeit einer Krankheit im Verhältnis zu den aufgetretenen Erkrankungsfällen.
Die in ihrem Detailreichtum einzigartigen persönlichen Aufzeichnungen des Kölners Hermann von Weinsberg (1518–1598) zeigen, dass der Ratsherr im Laufe seines gut achtzigjährigen Lebens nicht weniger als 25 Prozent seiner Familienangehörigen durch die Einwirkung der Pest verlor. Eine Größenordnung, die sich ohne jeden Zweifel auch auf die Situation der vorangegangenen zwei Jahrhunderte übertragen lässt. Angesichts der stetigen Wiederkehr der Pest entwickelten die Städte im Laufe der Zeit neben allgemeinen und kontinuierlich anzutreffenden Verhaltensmustern lokale Strategien in der Konfrontation mit dem Problem. Zählten die Flucht vor der Seuche und Formen einer religiösen Bewälti-
Der schwarze Tod und die Pest
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gung stets zu den grundlegenden Handlungsmustern, so ergeben sich in der Auswertung der Quellenbefunde durchaus örtliche Unterschiede bezüglich des obrigkeitlichen Reaktionsspektrums. Im vormikrobiologischen Zeitalter vermochten die Heilkundigen auch weiterhin keine effektive Hilfe gegen die Pest anzubieten. Dennoch wurden insbesondere in städtischen Diensten stehende Ärzte nicht müde, den Stand der bisherigen Erkenntnisse und Empfehlungen im Rahmen einer großen Zahl von Pestschriften zusammenzufassen und mit mehr oder weniger neuen Prophylaxe- oder Behandlungshinweisen anzureichern. Seit dem 15. Jahrhundert entstanden in einigen Städten des deutschsprachigen Reichsgebiets spezielle Einrichtungen zur Versorgung Seuchenkranker. Im westfälischen Münster beispielsweise erfolgte die Stiftung der ersten dieser in der Stadt „Elenden“ genannten Einrichtungen im Jahre 1473. Im Laufe von einhundert Jahren wurden in der Bischofsstadt noch drei weitere solcher Häuser gegründet, die über die Kirchspiele verteilt waren. Initiatoren waren dabei vor allem private Stifter. Doch auch der Rat trug durch Mitfinanzierung oder Einflussnahme auf die Verwaltung seinen Teil zur Umsetzung der Stiftungsverfügungen bei (s. Quelle). Auszug aus der Bestätigung der Stiftung der Aegidii-Elende durch Bürgermeister und Rat der Stadt Münster am 6. März 1475 Stadtarchiv Münster, Elende Aegidii, Urk. 3a. (Freie Übertragung ins Neuhochdeutsche: K. P. Jankrift; Quelle im Original s. Anhang, 6.)
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Im Namen und zu Ehren und zum Dienste Gottes Barmherzigkeit. Wir, Bürgermeister und Rat der Stadt Münster, tun allen Leuten kund, wie uns vorgebracht worden ist, dass Machorius Veghesack, seligen Andenkens, aus gütlichem Mitleid armer, elender Knechte und Mägde, die mit der Pestilenz oder anderen beklebenden Seuchen in unserer Stadt befallen sind, einen Teil seines Besitzes dazu bestimmt hat, dass man eine Herberge, Zuflucht und Wahrung für solche Kranken zu ewigen Zeiten in guter Obhut haben möchte nach unserer und desselben Machorius Handgetreuen Conrad Pohlman, Bernd Hagedorn, Johan Plonies und Johan Totter, unseren Bürgern, die von ihm bestimmt wurden, Verbesserung und Rat. Auch hat er verfügt, dass solange die Handgetreuen leben, es in unserer Macht und Aufsicht stehe, dass bei Strafe keinem solcher Kranken, die da kommen, Wahrung oder Trost verweigert würden, so wie wir und sie meinen, dass es seiner Seele und den Kranken dienlich sei.
Im gleichen Jahr wie in Münster entstand auch in Braunschweig mit dem St.-Alexius-Haus erstmals eine Einrichtung zur Beherbergung Pestkranker. Später als in Münster oder Braunschweig sorgte man sich in der rheinischen Metropole Köln um die Gründung von Häusern zur Pflege pestkranker Universitätsangehöriger. Vorreiter war hier die Universität. So griffen die Senioren der Artistenfakultät angesichts eines neuerlichen Pestausbruchs in der Domstadt 1494 ihren bereits rund dreißig Jahre zuvor geäußerten Gedanken wieder auf, eine eigene Einrichtung zur Versorgung pestkranker Fakultätsmitglieder zu schaffen. Nachdem 1487 auch ein zweiter Anlauf zur praktischen Umsetzung des Plans gescheitert war, wurde am 13. Mai 1494 beschlossen, dass jede Burse – also jede Einrichtung, die Studenten Kost und Logis bot – ein Haus für die Unterbringung erkrankter Stu-
Pesthäuser in Köln und Münster
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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denten anmieten sollte. Die Wahl der Einrichtung, in der sie versorgt werden wollten, überließ man jedoch den Kranken. Dieses Mal gelang der Plan. Am 24. März 1495 einigten sich die Fakultätsvertreter darauf, die Anmietung fortzusetzen. Gleichzeitig ermahnten sie all jene Bursen, die dem Beschluss bisher noch nicht Folge geleistet hatten, Vorsorge für den Ernstfall zu treffen. Am 17. November 1496 fasste die Fakultätsversammlung den Entschluss, das Versorgungsangebot zu zentralisieren und zu diesem Zwecke eigene Häuser anzukaufen. Die Ärzte Dietrich Adrians von Dordrecht und Adrian von Breda führten die Verhandlungen zum Erwerb geeignet erscheinender Objekte. Diese zogen sich erheblich in die Länge. Gleich zweimal scheiterten ihre Bemühungen zum Kauf der in Frage kommenden Anwesen. Am 6. Februar 1500 kauften sie schließlich ein in der Gereonstraße gelegenes Haus, das Rubea porta oder roeden Portzen, das Haus zur roten Tür, genannt wurde. Bis dort jedoch die ersten Pestkranken versorgt werden konnten, sollten aufgrund noch bestehender Wohnrechtsverhältnisse weitere Jahre vergehen. Während im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts in weiteren Städte eine oder – wie in Münster – mehrere Einrichtungen zur Beherbergung und Versorgung Seuchenkranker ins Leben gerufen wurden, kam es in anderen trotz eines ebenso intensiven Seuchengeschehens nie zur Gründung einer speziellen Versorgungsinstitution. Gemessen am hohen Bedarf waren die Kapazitäten der bestehenden Einrichtungen im Falle eines Seuchenausbruchs fraglos zu klein. Die größte der vier Münsteraner Elenden verfügte einem Inventar zufolge 1523 über nicht mehr als 28 Betten, das 1529 gegründete Haus im Lamberti Kirchspiel über elf. Selbst in der Metropole Köln waren die Aufnahmemöglichkeiten für Pestkranke sehr begrenzt. Waren in den ursprünglichen Plänen von 1466 noch 11 Betten in einem Haus zur Versorgung kranker Universitätsangehöriger vorgesehen, verfügte die später betriebene Rubea porta tatsächlich nur über 5 bis 7 Bettstätten. Das Kölner Hospital von St. Revilien, das eine eigene Pestkammer innerhalb des Hauses besaß, hielt lediglich vier Betten zur Betreuung Seuchenkranker bereit. Selbst wenn die Größe der Betten nicht genannt wird, eine Belegung mit mehreren Patienten erfolgte und der rasch eintretende Tod für eine hohe Fluktuation sorgte, waren die Kapazitäten demnach alles andere als ausreichend. Zur Prophylaxe oder weitreichenden Eindämmung der Seuchengefahr waren die Einrichtungen ohnehin ungeeignet. Sie alle lagen innerhalb der Stadt. Dies bedeutete, dass die Patienten und die Leichen der Verstorbenen durch bewohnte Straßen und Gassen transportiert werden mussten. Ein Umstand, der im Zusammenhang mit der Gründung der letzten Münsteraner Elende im Martini-Kirchspiel 1573 ausdrücklich Erwähnung fand. Darüber hinaus war der Kreis der aufzunehmenden Kranken bisweilen eng umgrenzt. Einige Einrichtungen beschränkten sich auf die Aufnahme von Angehörigen aus dem Kirchspiel, anderen war bereits vom Stifter eine Betreuung armer Knechte und Mägde, Scholaren oder Kleriker bestimmt worden.
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j) Beispiele für den Umgang städtischer Obrigkeiten mit der Pest im 15. und 16. Jahrhundert: Wesel und Köln Anhand exemplarischer Betrachtungen der Reaktionen auf zwei Pestepidemien des 15. und des 16. Jahrhunderts werden Kontinuität und Wandel verschiedener Verhaltensmuster im Umgang mit der Pest ebenso deutlich wie die allmähliche Ausprägung lokaler Strategien in der Auseinandersetzung mit dem Seuchenproblem. Im Winter 1493 war die Pest abermals am Niederrhein ausgebrochen. Mitte Dezember hatte sie Wesel und dessen Umland erreicht und begann sich auf den Nachrichtenaustausch in der Region auszuwirken. Am 13. Dezember notierte das Weseler Ratsprotokoll, dass die beiden von dem Stadtarzt Meister Herman ausgesandten Boten wegen der Seuche bereits Umwege in Kauf nehmen mussten, um verseuchten Orten auszuweichen. Die Weseler Obrigkeiten hatten im Zuge der zahlreichen Seuchenausbrüche nach dem schwarzen Tod inzwischen ein nahezu schematisches Handlungsmuster entwickelt, dass sich in leicht abgewandelter Form bei jedem neuen Auftreten einer Epidemie wiederholen sollte. Im Gegensatz zu Vertretern anderer Städte, die ihren Maßnahmenkatalog neben einer möglichst raschen Flucht der Amtsträger auf Bittmessen und -prozessionen beschränkten, sahen sie dem Seuchengeschehen nicht tatenlos zu. Als sich kurz nach dem Jahreswechsel die Situation in Wesel offenbar zugespitzt hatte und die Zahl der Erkrankungen gestiegen war, beschloss der Rat, man solle mit dem Wundarzt Meister Thys am Klostertor verhandeln, um ihm die Betreuung der Pestkranken zu überantworten. Wie schon während des vorangegangenen Seuchenausbruchs sollte der Apotheker mit der Zubereitung von Medikamenten das Wirken des Heilkundigen unterstützen. Welche Rolle neben dem eigens für die Behandlung Pestkranker rekrutierten Wundarzt Meister Thys der Stadtarzt Meister Herman spielte, ist nicht überliefert. Es scheint, als sei der Medicus – vielleicht in Ausübung seiner Heilkunde – selbst zum Opfer der Seuche geworden. Welche Anwendungen Meister Thys seinen pestkranken Patienten angedeihen ließ, lässt sich im Spiegel der Überlieferung nicht genau ermitteln. In der Abrechnung für die Dienstleistungen des Wundarztes ist von einem Verbinden der Kranken die Rede. Diese Formulierung erfüllt jedoch eher die Funktion einer summarischen Dienstbeschreibung in Anlehnung an das klassische Betätigungsfeld eines Wundarztes denn eine reale Beschränkung auf allein diese Tätigkeit. Dem Ratsprotokoll zufolge sollte Thys die Kranken in ihren Häusern besuchen und wohl auch behandeln. Ohne Zweifel erfüllte er seine Pflicht zur Zufriedenheit der Stadtväter und überlebte seine gefährliche Aufgabe. Der Weseler Rat zeigte sich durch gute Entlohnung erkenntlich. Am 24. September 1494 beschloss dieser, Thys zehn Rheinische Goldgulden zukommen zu lassen. Das Datum markiert zugleich als wahrscheinliches Ende des Seuchensterbens den Spätsommer. Wie die Kölner Obrigkeiten ein halbes Jahrhundert später angesichts eines neuerlichen Seuchenausbruchs in der rheinischen Metropole verfuhren, wird im Spiegel einer inzwischen deutlich dichteren Überlieferung
Pestjahr 1493
Die Pest 1540 in Köln
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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Ratserlasse in Pestzeiten
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sichtbar. Im Sommer des Jahres 1540 wurde Köln einmal mehr von einem lang anhaltenden Massensterben heimgesucht. Ein detailliertes Bild von den Auswirkungen des Seuchenausbruchs zeichnet insbesondere der Augenzeugenbericht Hermanns von Weinsberg. Seinem Bericht zufolge litten die Menschen während des Auftretens der Pest bereits unter der außergewöhnlich heißen und trockenen Witterung. Diese hatte zwar einen vorzüglichen Wein wachsen, die übrigen Feldfrüchte jedoch verdorren lassen. Auch das Vieh fand infolge der Dürre nicht mehr genug Nahrung. Viele der Tiere verendeten. Hitzegeplagte Bewohner Kölns zerrieben sich nach den Worten Weinsbergs ihre Gesichter, sodass sie wie Aussätzige aussahen. Den Seuchenausbruch führt der Berichterstatter in Anlehnung an die Miasmentheorie auf Witterungseinflüsse zurück. Er unterstreicht, die Hitze habe nicht wenig zum Auftreten der Epidemie beigetragen, zumal die Gossen von Kot und Unrat gestunken hätten. Die Kölner Ratsprotokolle zeigen, dass die städtischen Obrigkeiten während der Sommermonate einige Anstrengungen auf die Eindämmung der gefürchteten Miasmen verwendeten. Doch bevor sich der Rat seit der zweiten Julihälfte verstärkt hygienischen Belangen zuwandte, sorgte er sich traditionellen Verhaltensmustern entsprechend um die Koordinierung der religiösen Bewältigung der Seuchengefahr. Am 7. Juli erging der Erlass, dass in allen Klöstern der Stadt drei Tage lang Bittmessen abgehalten und Gebete gesprochen werden sollten, um Gottes Zorn abzuwenden, der in Gestalt von Trockenheit und Pest die Einwohnerschaft bedrohe. Eine ähnliche Verfügung galt für die Pfarrkirchen. Unterdessen hatte die Seuche in der Stadt bereits Opfer gefordert und war auch an den Familien der Ratsmitglieder nicht spurlos vorbeigegangen. Als die neugewählten Bürgermeister am 12. Juli als Zeichen ihres Amtes die Stäbe in Empfang nahmen, wurde mit Rücksicht auf den Ratsherrn Arnt Bruwilre auf den üblichen Umritt verzichtet. Dieser trauerte um seine unmittelbar zuvor verstorbene Gattin. Zugleich zeitigte die Epidemie bereits erste Auswirkungen auf das Strafvollzugswesen. Der Greve des Hochgerichts, Hylger von Spiegell, hatte in Anbetracht des Seuchensterbens seinen Amtssitz auf die Schaafenstraße verlegt. Am 16. Juli gab der Rat seinem Ersuchen nach, Gefängnis und Stock ausnahmsweise außerhalb der alten Mauer beizubehalten. Mit der Begründung, dass diese Regelung gegen alte Gewohnheiten verstoße, war diese Erlaubnis auf zwei Monate befristet. Drei Tage später wurden die städtischen Obrigkeiten erstmals in Bezug auf die Miasmengefahr aktiv. Weinsberg selbst hatte den althergebrachten Rat zur Flucht aus der Stadt beherzigt und hielt sich inzwischen in Bonn auf. Seinen Ausführungen zufolge zog es ihn aufgrund des Sterbens vorerst nicht zurück nach Köln. Am 19. Juli kam der Rat darin überein, Gerhart vamme Wasservas als Verwalter des Rentmeisteramtes die Sorge für eine Reinigung der Pfuhle, der Sickergruben, zu überantworten. Knapp drei Wochen später wiesen die Obrigkeiten die Gewaltrichterdiener an, freilaufende Schweine von den Straßen zu entfernen. Die guten Tiere sollten geschlachtet und das Fleisch unter den Findelkindern verteilt werden, während das übrige Borstenvieh zum Verkauf freistand. Zugleich versuchte man, dem Problem streunender Hunde zu begegnen. Gegen Urfehde wurde der in Turmhaft verwahrte Scharfrichterknecht freigelassen und mit
Der schwarze Tod und die Pest der rohen Aufgabe des Hundeschlagens betraut. Zwölf Tage später erneuerten die Stadtväter noch einmal ihre Beschlüsse zur Schweinehaltung und fügten weitere Bestimmungen hinzu. Inwieweit die Obrigkeiten zur Umsetzung solcher Anordnungen angesichts der Größe der rheinischen Metropole tatsächlich in der Lage waren, bleibt fraglich. In den Beschlüssen des Magistrats zur Verbesserung der katastrophalen hygienischen Bedingungen zeigt sich wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Dies zeigt der beispielhafte Fall einer Frau namens Grietgen von Halvern, die am 15. November vom Rat aufgefordert wurde, aufgrund der öffentlichen Geruchsbelästigung ihren Abort zu reinigen. Untragbare Zustände hatten die Stadtväter offenbar genötigt, in die in mittelalterlichen Städten gemeinhin als Privatangelegenheit behandelte Entsorgung des häuslichen Unflats einzugreifen. Während sich die städtischen Vertreter darum bemühten, die Ordnung in der verseuchten Stadt weiter aufrechtzuerhalten, setzte sich das Peststerben über den Jahreswechsel hinaus fort und nahm dem Bericht Hermanns von Weinsberg zufolge an Intensität weiter zu. Gemäß seiner Wahrnehmung forderte die Seuche an manchen Tagen bis zu 200 Opfer in Köln. Hatte die Pest während des vorangegangenen Jahres nach den Ausführungen der Ratsprotokolle zu schließen den städtischen Alltag noch nicht gänzlich zum Erlahmen gebracht, kam es nun zu der häufig auf dem Höhepunkt einer Epidemie zu beobachtenden Lähmung des öffentlichen Lebens. Zahlreiche Obrigkeitsvertreter kostete ihr Ausharren in der Stadt das Leben. Allein sechs Schöffen des Hochgerichts wurden von der Pest hingerafft. Außerdem hatten die Kölner den Tod gleich dreier Bürgermeister zu beklagen. Die Herren Aloff Rynk, Gerhart vamme Wasserfass und Jacob Rodenkirchen, alle drei im Kirchspiel von St. Columba wohnhaft, waren nach den Ausführungen des Ratsprotokolls vom 30. September 1541 im Laufe eines Monats der Seuche zum Opfer gefallen. Es ist unschwer zu erahnen, dass der Rat infolge des Sterbens in seinen eigenen Reihen erheblich an Handlungsfähigkeit eingebüßt haben dürfte. Auch unter der Kölner Geistlichkeit hielt der Tod reiche Ernte. Nachdem bereits zahlreiche Priester sowie Angehörige der Kölner Klöster und Stifte durch die Pest ihr Leben gelassen hatten, starb Ende Oktober auch Hermann von Weinsbergs Schwester Agnes, die Konventualin zu Maria in Bethlehem gewesen war. Als die Epidemie im Spätsommer 1541 ihren Höhepunkt erreicht hatte, gingen die Kölner Obrigkeiten angesichts ihrer Hilflosigkeit von der anfänglichen Strategie einer Eindämmung des Pestgeschehens durch verstärkte Anstrengungen zur Vermeidung von Miasmen und der Schließung öffentlicher Einrichtungen zu anderen Maßnahmen über. Um das wahre Ausmaß des Seuchensterbens zu verschleiern, wurde am 31. August des Jahres eines Beschränkung des Totengeläuts auf eine halbe Stunde zur Mittagszeit festgesetzt. Gleichzeitig suchten die Stadtväter verstärkt Zuflucht zu religiösen Bewältigungsstrategien. Im Oktober 1541 wandte sich der Rat einmal mehr um gezielte Hilfe an die Geistlichkeit, die eine Prozession durchführen sollte. Gerichte und Bursen waren bereits seit dem Beginn des großen Sterbens geschlossen und auch die Universität hatte ihren Lehrbetrieb eingestellt. Hermann von Weinsberg, der zur Zeit des Seuchengeschehens als Student
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Der Bericht des Hermann von Weinsberg
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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Pestprophylaxe
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in der sich allmählich durch Flucht leerenden Kronenburse logierte, beschreibt ausführlich sein persönliches Verhalten im Angesicht der Pest. Zunächst hatte er in Köln ausgeharrt und spazierte jeden Abend durch die menschenleeren Straßen der Stadt. Zusehends packte ihn jedoch das Grauen, da er aus vielen Häusern das Stöhnen der Kranken und Sterbenden vernahm. Hinzu kamen täglich Nachrichten über den Tod von Nachbarn und Freunden. Als sich die Situation zu Pfingsten noch weiter zuspitzte, entschloss sich schließlich auch Weinsberg seiner Heimatstadt vorübergehend den Rücken zu kehren. Der Berichterstatter und seine Gefährten aus der Kronenburse suchten Zuflucht im Prämonstratenserkloster Knechtsteden, westlich von Dormagen. Als sie einige Monate später nach Köln zurückkehren wollten, vergewisserten sie sich zuvor beim Abt, dass im Bedarfsfall eine Rückkehrmöglichkeit in das Ordenshaus existierte. Eine Garantie, die für die Konventsangehörigen aufgrund der Gefahr einer Pesteinschleppung alles andere als ungefährlich war. Da die Epidemie in Weinsbergs Heimatstadt im Spätherbst jedoch spürbar abgeflaut war, bestand zur Wahrnehmung dieser Option keine Notwendigkeit mehr. Nun herrschte stattdessen – wahrscheinlich eingeschleppt durch Pestflüchtlinge aus Köln – die Seuche in Dormagen. Detailliert schildert Hermann von Weinsberg das Ableben seines an der Pest erkrankten Onkels Johann Kort, des Schultheißen von Worringen, und dessen persönliche Auseinandersetzung mit dem Tod. Bereits erkrankt und seinen herannahenden Tod spürend, begab sich Kort auf den Friedhof. Dort schaute er auf seine Grabstätte, in der er bereits seine Ehefrau und zahlreiche seiner Kinder zur letzten Ruhe gebettet hatte. Anschließend kümmerte er sich um die Anfertigung seines eigenen Sarges. Nachdem er eigenhändig Maß genommen hatte, sah er zu, wie die Totenkiste gefertigt wurde. Versehen mit den Sterbesakramenten, erlag der Schultheiß von Worringen im Alter von vierzig Jahren am 1. Oktober 1541 der Pest. In seinen letzten Stunden erfuhr Johann Kort Beistand von seinem Bruder Wilhelm und seinem Freund Wilhelm Koppen. Trotz der Ansteckungsgefahr, wichen diese nicht von seiner Seite. Die brüderliche Zuneigung war offenbar stärker als die Furcht: Als der Tote in den Sarg gelegt worden war, trat Wilhelm Kort heran und kämmte seinem Bruder ein letztes Mal den Bart. Der Bericht Hermanns von Weinsberg über die Epidemie des Jahres 1541 wirft zugleich ein Schlaglicht auf Formen individueller medizinischer Pestprophylaxe gemäß zeitgenössischen Vorstellungen. Weinsberg hielt sich an die in den Pesttraktaten gegebenen ärztlichen Ratschläge. Um seine Person vor der Krankheit zu schützen, scheute er weder Kosten noch Mühen. Besonders häufig unterzog er sich in den Zeiten des Massensterbens dem Aderlass. In Anlehnung an die zeitgenössische Säftelehre betont er, der Eingriff diene der Auffrischung seines Blutes. Die finanzielle Belastung für diese therapeutische Maßnahme hielt sich in einem für jedermann erschwinglichen Rahmen. Weinsbergs Aufwendungen für Räucherwerk und Arzneien verlangten indes einen gut gefüllten Geldbeutel. Der spätere Ratsherr trug Sorge dafür, seine Gemächer stets mit Wachholder und anderen stark riechenden Substanzen zu räuchern. Auch erstand er zahlreiche Mittel zur inneren Anwendung wie Theriak und Pestilenzpillen, über deren Zusammensetzung er jedoch keine Angaben macht. Letztlich
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aber, so war sich auch Weinsberg im Einklang mit seinen Zeitgenossen gewiss, hing der Erfolg jedweder Maßnahme allein vom göttlichen Willen ab. Dies betont er in seinem Resümee der Ereignisse von 1541. Der Blick auf die Pestepidemie in Wesel 1494 und in Köln 1540/1541 zeigt Parallelen und Unterschiede im Umgang mit der Seuche. Letzten Endes blieben vor dem Hintergrund zeitgenössischer Erkenntnis- und durch die Säftelehre beeinflusster Wahrnehmungshorizonte die Möglichkeiten einer medizinischen Auseinandersetzung mit der gefährlichen Krankheit im weitesten Sinne begrenzt. Bis ins 18. Jahrhundert hinein und trotz der Einführung von Gesundheitspässen oder ähnlichen Maßnahmen, forderte die Pest vielerorts immer wieder zahlreiche Opfer.
3. Der Blutfluss – Tödliche Infektionserkrankungen des Magen-Darm-Trakts a) Der Blutfluss im 9. und 10. Jahrhundert In der mittelalterlichen Gesellschaft waren infektiöse, epidemisch auftretende Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts ein häufig wiederkehrendes Übel. Bevor die Pest nach der Mitte des 14. Jahrhunderts in scheinbar immer dichterer Folge massenhaft ihre Opfer forderte, zählten die verschiedenen Formen der Dysenterie zu den gefürchtetsten Infektionskrankheiten. Welche der unterschiedlichen Erreger die schweren, nicht selten gar blutigen Durchfälle mit Todesfolge hervorriefen, lässt sich heute kaum mehr nachvollziehen. Die Epidemien, die sie immer wieder auslösten, lassen sich nicht am Ausmaß des schwarzen Todes oder der Cholera des 19. Jahrhunderts messen. Dennoch steht außer Frage, dass auch sie zahlreiche Menschenleben forderten. Hauptinfektionsquelle war stets verunreinigtes Trinkwasser. Im Unterschied zu den Choleraepidemien der Neuzeit, die mit besonderer Härte die städtischen Unterschichten heimsuchten, trafen die von mittelalterlichen Geschichtsschreibern Ausfluss des Bauches, Blutfluss und bisweilen gar Dysenterie genannten Darminfekte unabhängig von Vermögen und sozialer Stellung jeden gleichermaßen. Dysenterie Dysenterie ist in der Definition der gegenwärtigen Medizin die synonyme Bezeichnung für die von Amöben oder Bakterien vom Typ Shigella ausgelöste Ruhr. Da die Existenz bakterieller oder viraler Krankheitserreger im Mittelalter gänzlich unbekannt war, verstanden zeitgenössische Autoren unter dissenteria wohl alle schwer verlaufenden Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts, beispielsweise Salmonellosen.
Dies mussten offenbar schon die ungestümen Wikinger erfahren, unter deren Beutezügen die Küstenregionen und Ansiedlungen entlang der Flussläufe im 9. Jahrhundert häufig zu leiden hatten. Im Oktober 865 hatte ein Trupp Wikinger das Kloster von Saint-Denis nahe Paris überfallen und dessen reiche Schätze geplündert. Schenkt man der Schilderung des Chronisten und Erzbischofs Hinkmar von Reims Glauben, so blieb die Untat nicht
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Otto der Große
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ohne Folgen. Bald nach der Plünderung, so erzählt er, wurden die Übeltäter von vielfältigen Krankheiten geplagt. Manch einer verlor den Verstand. Andere wurden vom Aussatz befallen. Wieder andere aber starben, als ihnen alle Eingeweide mit dem Stuhlgang abgingen. Die mit einem solch elenden Tod verbundene Schreckensvision führt der Verfasser seiner Leserschaft deutlich vor Augen. Das Bild des elenden Kranken, den ein andauernder Durchfall schließlich tötete, war den Zeitgenossen demzufolge gut vertraut. Ob allerdings die Plünderer tatsächlich auf solche Weise ihr Ende fanden, bleibt zumindest in diesem Fall fraglich. Vielmehr spiegelt sich in der Schilderung des Reimser Erzbischofs ein Motiv wider, das für mittelalterliche Auffassungen von Krankheitsursachen – insbesondere im Hinblick auf den Aussatz – eine gewichtige Rolle spielte: Krankheit als göttliche Strafe infolge von Sünde. Hinkmar von Reims ging es im Rahmen seines Berichts vor allem darum, zur erbaulichen Belehrung seiner Leser die gerechte Strafe für ein sündhaftes Leben aufzuzeigen. Das göttliche Gericht repräsentierte einen Teil des göttlichen Heilsplans. Wie häufig todbringende Durchfallerkrankungen während des Hochmittelalters auftraten, belegt eine Vielzahl einschlägiger Schilderungen. Im Jahre 876 versuchte Karl der Kahle unter Übergehung seiner Neffen das Erbe seines Bruders Ludwig des Deutschen anzutreten. Der Widerstand gegen diese Unternehmung war erbittert. Nach der verlorenen Schlacht bei Andernach am Rhein waren Karls Bestrebungen zur Wiedervereinigung des einstigen karolingischen Großreichs gescheitert. Auch aus Italien musste er sich im Sommer 877 angesichts der überlegenen Streitmacht seines Neffen Karlmann wieder zurückzuziehen. Den Rückmarsch jedoch überlebte Karl nicht. Am 6. Oktober 877 starb er in Avrieux in Savoyen. Die Annalen von Fulda, die ihn als feigen Tyrannen darstellen, enthalten einen Bericht über die Umstände seines Todes (s. Quelle). Sie erzählen, Karl sei auf dem Weg von Italien an der Dysenterie erkrankt und jammervoll gestorben. Der Versuch seiner Gefolgsleute, Karls sterbliche Überreste in die vorgesehene Grablege ins Kloster St.-Denis bei Paris zu überführen, scheiterte. Der Weg dorthin erwies sich als zu weit, denn der Leichengeruch war inzwischen unerträglich geworden. In einem burgundischen Kloster fand der tote Karl seine letzte Ruhe. Eine solche oder ähnliche Durchfallerkrankung kostete ein knappes Jahrhundert später möglicherweise auch Kaiser Otto den Großen (936–973) das Leben. In den – allerdings in erheblichem Zeitabstand zum Berichtsgeschehen verfassten – Annalen von Pöhlde wird das Ableben des Ottonen-Kaisers mit einem geheimnisvollen Traumgesicht in Verbindung gebracht. Anfang Mai des Jahres 973 erblickte der schlafende Kaiser im Traum die Erscheinung einer Frau, die über den Baumwipfeln schwebte. Angstgeschüttelt wandte sich Otto an die geisterhafte Gestalt und fragte nach ihrem Namen und Begehr. Daraufhin antwortete diese, ihr Name sei Ausfluss des Bauches und sie komme, um in seinen Bauch zu fahren. Nicht genug damit, prophezeite die Traumgestalt noch sieben weiteren Fürsten ein gleiches Schicksal. Gemäß dem Bericht der Pöhlder Annalen trat die verhängnisvolle Verheißung bald darauf ein. Einer nach dem Anderen wurde durch die Dysenterie hinweggerafft, so auch Kaiser Otto I. am 7. Mai 973 in Memleben.
Der Blutfluss Der Tod Karls des Kahlen 877 Annales Fuldenses sive Annales regni Francorum orientalis, hrsg. v. F. Kurze (= Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum in usum scolarum, Bd. 7), Hannover 1891, S. 89. Dt. Übersetzung: Die Jahrbücher von Fulda, in: Die Jahrbücher von Fulda und Xanten. Übersetzt v. C. Rehdantz. 2. Aufl. neu bearb. v. W. Wattembach. Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Bd. 23, Leipzig 21889, S. 83.
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Karl, der Tyrann Galliens, zog im Sommer mit Heeresmacht nach Italien und machte in Ticinum (Pavia) Halt, wo er eifrig danach trachtete, wie er dem heranziehenden Karlmann den Eingang in diese Provinz verwehren möchte. Aber Karlmann rückt mit einer starken Mannschaft Noriker und verschiedener Slaven in Italien ein in der Absicht, gegen Karl zu kämpfen. Auf die Kunde hiervon trat Karl sogleich nach seiner Gewohnheit die Flucht an, denn alle Tage seines Lebens, wo es nötig war, den Gegnern Widerstand zu leisten, pflegte er entweder öffentlich den Rücken zu wenden oder ohne Wissen seines Heeres zu entweichen; und auf diesem Marsche von der Dissinteriekrankheit ergriffen, starb er in großem Jammer. Seine Trabanten wollten den Körper in das Begräbnis schaffen, welches er sich selber bei dem heiligen Dionys bereitet hatte, aber wegen allzu großen Gestankes des verfaulten Leichnams, durch welches das Heer belästigt wurde, begruben sie ihn in Burgund in einem Kloster.
b) Ende eines Feldzuges. Die Dysenterie im Heerlager Friedrich Barbarossas 1167 In einem Fiasko endete die Belagerung Roms durch das Heer Friedrich Barbarossas im August 1167. Die überlieferten Schriftzeugnisse deuten mit einiger Sicherheit darauf hin, dass das plötzlich unter den Belagerern der Ewigen Stadt ausbrechende Massensterben auf die Auswirkung einer Form der Dysenterie zurückzuführen ist. Sie, und nicht, wie lange Zeit vermutet, die Malaria, forderte den Tod zahlreicher Knappen und Ritter und verschonte weder weltliche noch geistliche Würdenträger. Der vierte Italienzug des rotbärtigen Kaisers geschah in der Absicht, das durch den Sturz Papst Alexanders III. hervorgerufene Schisma zu beenden. Weiteres Ziel der kriegerischen Unternehmung war ein Angriff auf das süditalienische Normannenreich. Aus der Lombardei kommend, stieß der Kaiser nach fruchtloser Belagerung Anconas im Mai 1167 schließlich nach Rom vor, wo er mit seinem Heer am 24. Juli eintraf und Stellung auf dem Monte Mario bezog. Nicht allein strategische Erwägungen gaben den Ausschlag für die Wahl des Lagerplatzes. Entsprechend zeitgenössischer Vorstellungen sammelten sich an tief gelegenen Örtlichkeiten krankheitsbegünstigende, schlechte Dünste. Besonders in der sommerlichen Hitze Roms boten die mückenverseuchten Niederungen des Tiber fraglos einen idealen Nährboden für die Verbreitung der gefürchteten Malaria. Als der Kaiser in Rom eintraf, hatten seine Kampfgefährten die ersten Gefechte bereits geschlagen. Doch auch ein siegreiches Gefecht wie das am 29. Mai am Monte Porzio endete für die Sieger nicht ohne Verluste an Menschenleben und Verwundete in den eigenen Reihen. Die Verletzten wurden notdürftig im Feldlager versorgt. Manche starben. Diese Situation trug einen gewichtigen Teil zu einer Verschärfung der gefährlichen hygieni-
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schen Situation bei. Noch aber schien das Schicksal dem Kaiser günstig gestimmt zu sein. Er drängte die Römer über den Tiber in die Altstadt zurück. Nun wurde um die Engelsburg und St. Peter gekämpft, bis ihre Verteidiger am 29. Juli schließlich den Widerstand aufgaben. Alexander III. war bereits aus der umkämpften Stadt entkommen. Nur einen Tag nach dem Ende der letzten Kampfhandlungen wurde der Gegenpapst Paschalis III. in der Peterskirche eingesetzt. Dort erfolgte am 1. August die feierliche Krönung des Kaisers und seiner Gemahlin. Und noch immer schien die gesamte Unternehmung von Erfolg gekrönt. Das Zustandekommen einer vertraglichen Einigung mit den Römern bedeutete, dass Barbarossa sein erstes Ziel vollends erreicht hatte und ohne weitere Verluste gen Süden würde marschieren können. Doch nun wendete sich das Geschick. Besonders plastisch illustriert die Chronik von St. Peter zu Erfurt, was sich im Folgenden ereignete, und weist das Massensterben gleichsam als göttliches Strafgericht aus (s. Quelle). Augenzeugen der Begebenheit teilen nicht unbedingt die Sichtweise der Chronik von St. Peter, schildern die Ereignisse jedoch nicht weniger dramatisch. Nachdem ein schweres Unwetter mit heftigen Regengüssen um die Mittagszeit des 2. August über der Stadt niedergegangen war, brach im Heer und unter der Bevölkerung Roms eine rasch tötende Pestilenz aus. Der wolkenbruchartige Regen führte aller Wahrscheinlichkeit nach dazu, dass das Trinkwasser verseucht wurde. Immerhin waren die Straßen voll Unrat und Leichen der Getöteten, die die Regenflut wegschwemmte. Durch den Kontakt mit erkrankten Personen und Fäkalien sowie durch verschmutztes Wasser und verunreinigte Lebensmittel breitete sich die Seuche rasant aus. Das Massensterben im Heer Friedrichs I. Barbarossa 1167 vor Rom Cronica Sancti Petri Erfordensis moderna, in: Monumenta Erphesfurtensia saec. XII. XIII. XIV., hrsg. v. O. Holder-Egger (= Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum XLII), Hannover 1899, S. 220 f. Dt. Übersetzung: Chronik von Sanct Peter zu Erfurt. Übersetzt v. G. Grandaur. Neu eingeleitet v. W. Wattembach (= Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Bd. 52), Leipzig 21893, S. 38 f. Aber Gott, welcher von der Höhe herab alles sieht, ließ die der Mutter des höchsten Königs und dessen Stellvertreter, dem heiligen Petrus, zugefügten Unbilden keineswegs ungestraft. Im Augenblick nämlich machte ein giftiger und stinkender Nebel fast das ganze Heer krank, ergriff zunächst den Erzbischof von Köln, mehrere Bischöfe und Herzoge und einige Mächtigere im Heere und tötete sie sofort; und dieselbe todbringende Seuche verfolgte den König, welcher sich mit den Übrigen gleichsam derselben ausweichend, zurückzog, und entseelte bald diese, bald jene und wieder andere, wobei nach wunderbarem göttlichen Strafurteil bei jedem ein gewisses schwarzes Zeichen zwischen den Schultern erschien.
Gottfried von Viterbo beschreibt in seinem Bericht die Symptome der Krankheit. Diese äußerte sich mit Schmerzen des Kopfes, der Eingeweide und der Beine. Ein unerträglicher, alles umfassender Gestank sei sowohl von den Kranken wie den Pferden ausgegangen. Eine für die bakterielle
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Ruhr typische Erscheinung. Die Bakterienruhr verursacht bei Infizierten anhaltende Durchfälle mit 25 und mehr Darmentleerungen am Tag. Als Reaktion auf die gespenstische Szenerie ordnete Friedrich den Abtransport der Erkrankten an. Hierzu wurden Tragen benötigt, doch war nicht genug Holz für deren Fertigung vorhanden. Ebenso fehlte es an Heilkundigen, von Heilmitteln ganz zu schweigen. Noch bevor der Tod auch unter den Großen zuzuschlagen begann, trat der Kaiser seinen Rückzug an. Am 6. August 1167 verließ er den Monte Mario und zog nordwärts. Kurz darauf begann das Sterben unter den geistlichen und weltlichen Führern des Italienzuges. Zwischen dem 9. und dem 14. August starben der Kölner Erzbischof Rainald von Dassel sowie die Bischöfe Daniel von Prag, Alexander II. von Lüttich und Hermann von Verden. Später erlagen offenbar auch noch die Bischöfe Eberhard von Regensburg und Gottfried von Speyer der Seuche. Auf dem Rückmarsch starb in der Toskana zudem der Sohn König Konrads III., Friedrich von Schwaben. Zwei Tage später ereilte der Tod seinen Vetter Berengar von Sulzbach. Am 12. September erlag der letzte Welfenspross Welf VII. der Seuche und auch die Grafen Heinrich von Nassau, Burchard von Hallermund, Ludolf I. von Dassel, ein Bruder des Kölner Erzbischofs, Heinrich von Lippe, Heinrich von Tübingen, Markward von Leuchtenberg und der böhmische König Diethold kostete die Dysenterie das Leben.
c) Die Dysenterie als Begleiterin des Heeres Das Heer Friedrich Barbarossas war indes nicht das einzige, das Erfahrungen mit der ungünstigen Konstellation von unhygienischem Lagerleben und für eine Verbreitung von Darminfekten förderlichen Wetterverhältnissen machte. Schon das Heer Karls des Dicken hatte im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzung mit den Normannen im Sommer 882 die Dysenterie als todbringende Begleiterin kennen gelernt. Mit seiner Streitmacht aus Alemannen, Franken, Thüringern, Sachsen, Lombarden und Bajuwaren war der Karolinger gegen das befestigte Normannenlager in der Nähe von Elsloo an der Maas vorgerückt. Am 21. Juli 882, nach zwölftägiger Belagerung, brach ein Hagelsturm über die Gegner herein. Die Hitze des Sommers besorgte den Rest. So schildern die Annalen von Fulda, infolge der Verwesung der zahlreichen Schlachtopfer seien Belagerer wie Belagerte von Krankheit heimgesucht worden. Nach dem Abzug des bajuwarischen Heereskontingents in die Heimat begann die Seuche in voller Härte auch dort zu wüten. Die verheerende Wirkung der Krankheit unterstreichen die Jahrbücher häufig mit dem Hinweis darauf, gleich zwei Leichen seien in einem Grab beigesetzt worden. Auch Ludwig IX., den später heilig gesprochenen König von Frankreich, seinen Sohn Johann-Tristan und viele seiner Begleiter ereilte auf dem Kreuzzug vor Tunis im August 1270 ein den glücklosen Belagerern Roms ähnliches Schicksal. Die Liste der Herrscher, deren Ableben durch infektiöse Darmerkrankungen verursacht wurde, ist durchaus beeindruckend und ließe sich fortsetzen. Der erst kurz zuvor zum König gewählte Landgraf von Thüringen, Heinrich,
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verstarb gemäß den Ausführungen der Chronik von St. Peter noch im Wahljahr 1247 am Ausfluss des Bauches. Auch Kaiser Friedrich II. traf die Dysenterie. Am 13. Dezember 1250 erlag er der Krankheit im apulischen Castel Fiorentino.
d) Der Blutfluss in den Städten des Spätmittelalters Blutfluss in nordwestdeutschen Städten
Bericht des Chronisten Florenz von Wevelinghoven
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Dysenterien blieben keineswegs auf Heere im Feld und Herrscherhöfe beschränkt. Auch die spätmittelalterlichen Städte erlebten des Öfteren die todbringende Wirkung des Blutflusses. Nachdem die große Hungersnot der Jahre 1315 bis 1318 zu einer Sterbewelle in den Städten geführt hatte, die möglicherweise auf Darminfekte zurückzuführen ist, folgte im Jahre 1341 unter ähnlichen Umständen eine zweite infektionsbedingte Sterbewelle. Abermals waren es schlechte Witterungsverhältnisse, Überschwemmungen und Hunger, die einem Seuchenausbruch Vorschub leisteten. Der Dominikaner Heinrich von Herford beschreibt als Augenzeuge das Ausmaß der Überflutungen in seiner westfälischen Heimatstadt Minden. Etwa vier Fußbreit, so heißt es in dem Bericht, habe die gesamte Stadt selbst am Dom und dem Marktplatz unter Wasser gestanden. Diese von anhaltenden Regenfällen verursachten Überschwemmungen in der Mitte des Sommers bedeuteten nicht nur eine Katastrophe für die Ernte und damit unweigerlich die nächste Hungersnot. Sie verschärften zugleich die ohnehin unzulängliche hygienische Situation in der Stadt an der Weser. Angesichts der allgemeinen Praktiken zur Entsorgung fester wie flüssiger Abfallstoffe in nordwestdeutschen Städten des 14. Jahrhunderts lassen sich der Zustand überfluteter Straßen und Gassen wie die gesundheitsgefährdenden Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung unschwer erahnen. Dem entspricht auch das Bild, das der Chronist von der Situation in der überfluteten Stadt entwirft. So trieben seinen Ausführungen zufolge neben allerlei Hausrat auch Schweine, Rinder, Schafe und Pferde in den Fluten der Weser. Eine noch größere Gefahr für die Gesundheit der Stadtbevölkerung ging indes von den Kirchhöfen aus. Auf diesen innerstädtisch gelegenen und häufig überbelegten Bestattungsplätzen richtete das Wasser beträchtlichen Schaden an. Von einem Friedhof im nahen Lemgo, so weiß Heinrich seinen Bericht detailreich auszuschmücken, wurde gar der Kadaver eines Mannes von den Wassermassen mitgerissen. Diese Situation lässt keine Zweifel darüber aufkommen, dass es in der überschwemmten Stadt zwangsläufig zu einer gesundheitlichen Katastrophe kommen musste. Der dominikanische Geschichtsschreiber führt nicht aus, inwieweit sich Infektionskrankheiten in der Stadt ausbreiteten. Andere zeitgenössische Autoren beschreiben jedoch unmissverständlich den Zusammenhang zwischen den Überschwemmungen und dem Ausbruch von Seuchen. Der Chronist Florenz von Wevelinghoven, 1364–1378 Bischof des westfälischen Münster und ebenfalls Augenzeuge der Ereignisse, hebt hervor, dass im Anschluss an die unablässigen Regenfällen zwischen Ende Juli und Anfang November plötzlich ein großes Sterben einsetzte und allerorts Hunger herrschte. Die Seuche identifiziert er als fluctus sanguinis, den
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Blutfluss. Welches Ausmaß die augenscheinlich durch blutige Durchfälle gekennzeichneten Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts in Münster annahmen und welche weiteren Symptome sich möglicherweise hinzugesellten, verschweigen die Ausführungen des spätmittelalterlichen Chronisten. Hingegen geht aus dem Bericht hervor, dass die Seuche eine hohe Zahl an Opfern forderte und unvermittelt anhob. Der zweite Hinweis spricht deutlich für eine Beteiligung von Erregern mit kurzen Inkubationszeiten. Die Art der Darstellung spricht ferner dafür, dass Dysenterien in der geschilderten Weise durchaus keine unbekannten Phänomene waren. Im Gegensatz zu Schilderungen des wenige Jahre später hereinbrechenden schwarzen Todes finden sich im Bericht des Münsteraner Bischofs (s. Quelle) keinerlei Attribute, die den Blutfluss als neu oder außergewöhnlich qualifizieren. Zudem erachtete es der Verfasser offensichtlich für unnötig, weitere Erläuterungen zum Erscheinungsbild der von ihm erwähnten Krankheit hinzuzufügen. Die Bezeichnung fluctus sanguinis muss demzufolge für die Zeitgenossen des Chronisten bereits mit dem Bild eines bestimmten Krankheitskomplexes verbunden gewesen sein. Reaktionen auf das infektionsbedingte Massensterben bleiben im Bericht Florenz’ von Wevelinghoven unerwähnt. Sofern der Rat spezielle Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche getroffen haben sollte, sind diese ebenso wenig überliefert wie das Handlungsspektrum der betroffenen Stadtbevölkerung. Der Blutfluss in Osnabrück 1341 Die niederdeutsche Bischofschronik bis 1553. Beschrivinge sampt den handelingen der hoichwerdigen bisschopen van Ossenbrugge. Uebersetzung und Fortsetzung der lateinischen Chronik Ertwin Ertmans durch Dietrich Lilie (= Osnabrücker Geschichtsquellen 2), Osnabrück 1894, S. 91. (Freie Übertragung ins Neuhochdeutsche: K. P. Jankrift)
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Zur Zeit Bischof Gottfrieds von Osnabrück war eine Dunkelheit und große Wasserflut vom Fest des heiligen Jakob an bis zu Allerheiligen und ein großes Sterben. Es sind viele an dem Blutgang gestorben, viele Städte, Bürger, Höfe und Dörfer in dem Wasser untergegangen und danach im Jahre 1342 um Jacobi herum kam nach einer großen Trockenheit, die ohne Regen war, in kurzer Zeit eine ungeheure Flut aus der trockenen Erde geflossen und geborsten, wodurch viele Städte, Bürger und Dörfer untergegangen sind, wie nun auch im Jahre 1484 beim Hegertor auf dem Weg, der nach Münster führt, geschehen.
Der Bericht Florenz’ von Wevelinghoven fand Eingang in die bis 1553 von Dietrich Lilie fortgeführte und ins Niederdeutsche übertragene Osnabrücker Bischofschronik. Die Masse der Opfer des darin geschilderten Blutflusses, der in der Folge einer Überflutungskatastrophe, die die Stadt zwischen dem Fest des heiligen Jakobus, dem 25. Juli, und Allerheiligen heimgesucht hatte, bleibt im Gegensatz zu den bekannten Herrschern, die im Laufe des Jahrhunderts von der Dysenterie dahingerafft wurden, für immer namenlos.
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VI. 4. Die Grippe Die Virusgrippe
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Während der Wintermonate des Jahres 877 äußerte sich möglicherweise zum ersten Mal eine Virusgrippe in todbringender Form in Europa. Anders als die altbekannten und allwinterlich auftretenden Erkältungsbeschwerden ging die Krankheit mit hohem Fieber und einem ungewöhnlich starken Husten einher. Die Annalen von Fulda bezeichnen das Krankheitsphänomen als das italische Fieber. Karlmann, der Sohn Ludwigs des Deutschen, hatte es offenbar mit seinem zurückkehrenden Heer aus Italien eingeschleppt. Die Bewohner der Rheinlande waren durch die Grippe besonders hart getroffen. Mit dem Husten, so schildern die Annalen beredt, hauchten viele ihre Seele aus. Rasch verbreitete sich die Infektionskrankheit weiter und kehrte nach ihrem Abflauen mit steter Regelmäßigkeit wieder. Schon 889 forderte das italische Hustenfieber abermals zahlreiche Opfer. Zu Massenerkrankungen mit Todesfolge kam es möglicherweise auch während der Jahre 927 und 1105. Im strengen Winter von 1011 brach dem Bericht der Quedlinburger Annalen zufolge ebenfalls die echte Virusgrippe aus und raffte viele dahin. Die lang anhaltende Kälte hatte viele Menschen derart geschwächt, dass Pestilenz und Massensterben die Folge waren. Besonders schwer suchte das Hustenfieber im Winter des Jahres 1173 das deutschsprachige Reichsgebiet heim. Die Geschichtsschreiber lassen in ihren Schilderungen keinen Zweifel daran aufkommen, dass unheilvolle Vorzeichen der Katastrophe vorausgingen (s. Quelle). Die Grippeepidemie des Jahres 1173 Annales Palidenses, hrsg. v. G. H. Pertz (= Monumenta Germaniae Historica. Scriptores XVI), Hannover 1859, S. 94. Dt. Übersetzung: Die Jahrbücher von Pöhlde. Übersetzt v. E. Winkelmann, Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 11, Leipzig 1863, S. 106 f. Im Jahre des Herrn 1173 am 11. Februar erschien ein Zeichen am Himmel, indem im Norden bis Mitternacht ein helles Licht erschien. Der Kaiser hielt in der Osteroctave [15. April] Hof in Goslar. Unerwartet fiel Schnee am Feste des heiligen Servatius [13. Mai], welches der Mittwoch in der Pfingstwoche war, und dieser Schnee hatte mehrere Wald- und Fruchtbäume zerbrochen, auch das stehende Getreide niedergedrückt. In demselben Jahr entstand eine schwere Krankheit bei den Menschen, sodass viele durch heftigen Husten die Seele aushauchten.
Bereits am 11. Februar war am Himmel ein Zeichen erschienen. Während die Magdeburger Annalen von einer roten Wolke erzählen, sprechen die Annalen von Pöhlde von einem hellen Licht. Erstaunlicherweise fiel Mitte Mai Schnee. Zugleich litt das Land unter einer ungewöhnlichen Dürre. Um den 1. Dezember setzte das Sterben ein. In Anlehnung an die zeitgenössische Miasmentheorie berichten die Magdeburger Annalen von dichtem Nebel, der aus der Erde emporgestiegen sei. Dieser habe den Menschen einen gefährlichen Husten gebracht. Die Kölner Königschronik gibt einen Hinweis auf das Verbreitungsgebiet dieser Grippe. Sie schildert, das ganze deutschsprachige Reichsgebiet und Frankreich seien von der un-
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Die Pocken
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erhörten Hustenkrankheit heimgesucht worden, die massenhaft Alte, Jünglinge und Kinder getötet habe. Die Annalen von Magdeburg verweisen darauf, besonders Schwangere seien der Epidemie zum Opfer gefallen. Einig sind sich die Schriftzeugnisse darin, dass der Husten den Bischof von Münster, Ludwig von Wippra, das Leben kostete. Wie oft und in welchem Ausmaß die echte Grippe die mittelalterliche Gesellschaft heimsuchte, lässt sich aufgrund der vieldeutigen Begrifflichkeiten zeitgenössischer Quellen lediglich vermuten. Es ist nicht auszuschließen, dass sie in ihren virulenten Formen eine durchaus nicht zu verkennende Rolle innerhalb des hochmittelalterlichen Seuchengeschehens spielte.
5. Die Pocken Ob, wann und in welchem Ausmaß die in der gegenwärtigen Medizin als Pocken bezeichnete hochansteckende Infektionskrankheit bereits in Antike und Mittelalter auftrat, ist noch immer Gegenstand wissenschaftlicher Kontroversen. Die Seuchenschilderungen mittelalterlicher Schriftzeugnisse wie etwa der Bericht des Gregor von Tours und die vereinheitlichende Verwendung der Bezeichnung „Pestilenz“ erscheinen zu vieldeutig, um die Präsenz der Pocken zweifelsfrei bestimmen zu können. Der Tod Kaiser Ottos III. 1002 nach dem Bericht Thietmars von Merseburg Thietmari Merseburgensis episcopi chronicon. Post editionem Ioh. M. Lappenberg. Recognovit Fridericus Kurze (= Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum 54), Hannover 1889, S. 37. Dt. Übersetzung: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Übersetzt von J. C. M. Laurent und J. Strebitzky. Neu bearbeitet v. W. Wattenbach (= Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Bd. 39), Leipzig 1892, S. 121.
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Seinem herannahenden Tode gingen manche Widerwärtigkeiten vorher. Denn unsre Herzöge und Grafen machten nicht ohne Mitwissen der Bischöfe viele Pläne gegen ihn, wozu sie bei Herzog Heinrich [von Baiern], seinem nachmaligen Nachfolger, um Hilfe anhielten. Dieser aber, der letzten Mahnungen seines Vaters, der, wie er, Heinrich hieß und in Gandersheim starb und begraben liegt, eingedenk und stets dem Kaiser in jeder Beziehung treu, gab ihnen durchaus kein Gehör. Der Kaiser, der dies sofort erfuhr und mit geduldigem Sinne ertrug, erkrankte in Paterno, indem Pusteln die inneren Teile seines Körpers besetzten und hin und wieder hervorbrachen. Heiteren Aussehens schied er, ausgezeichnet treu im Glauben am 24. Januar aus dieser Welt; er, die Zierde des römischen Reiches, die Seinen in unverwindlicher Trauer hinterlassend, denn niemand war zu seiner Zeit freigebiger und milder als er. Der da ist das A und das O (Offenb. 1, 8) erbarme sich seiner; er verleihe ihm für das Kleine das Große, für das Zeitliche das Ewige.
Die ersten medizinischen Schriften, die sich mit dem Erscheinungsbild der bis weit in das 20. Jahrhundert hinein gefürchteten Pocken und deren Behandlung befassten, entstammten der arabischsprachigen Fachliteratur. Es waren Rhazes (ca. 865–925) und Haly Abbās (2. Hälfte des 10. Jahrhunderts), die sich erstmals mit der hochansteckenden Infektionskrankheit auseinandersetzten. Zwar fanden ihre Werke wie die anderer orientalischer
Rhazes
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Autoren durch Übersetzungen bald ihren Weg in den Westen, von den möglichen Auswirkungen der Pocken auf die mittelalterliche Gesellschaft des Abendlandes fehlen jedoch eindeutige Spuren.
6. Die Lepra a) Das medizinische Bild der Lepra Lepra – ein Einzelschicksal
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Die Lepra ist zwar eine Infektionskrankheit, erfüllt aber nach der Definition der gegenwärtigen Medizin nicht die Kriterien einer Seuche. Selbst in Zeiten des Durchseuchungsmaximums im deutschsprachigen Reichsgebiet während des 13. und 14. Jahrhundert traf die Lepra wahrscheinlich nur einige Promille der mittelalterlichen Bevölkerung. Sie war damit das Los einzelner Menschen und nicht das plötzliche Schicksal vieler. Während die Lepra mit Ausnahme weniger eingeschleppter Fälle in Deutschland heute nahezu unbekannt ist, stellt sie jedoch mit mehreren Millionen registrierten Kranken besonders in den Ländern der so genannten Dritten Welt heute noch immer ein beachtliches Problem dar. Ein Bakterium, das Mycobacterium leprae, ruft die Krankheit hervor. Entdeckt wurde dieser nahe Verwandte des Tuberkuloseerregers 1873 von dem Norweger Gerhard Henrik Armauer Hansen. Kennzeichnend für das Erscheinungsbild der Lepra ist eine große Formenvielfalt. Ein intaktes Immunsystem wehrt den Erreger in der Regel ab. Eine Infektion mit dem Bakterium erfolgt durch Tröpfchen- oder Schmutzinfektion zumeist über den Nasen-Rachen-Raum. Mangelnde Hygiene begünstigt eine Verbreitung des Erregers. Kommt es zu einer Erkrankung, kann die Lepra etwa in ihrer so genannten tuberkuloiden Form auftreten. Charakteristisch ist dabei der wiederholt auftretende Befall von Haut- und Nervengewebe. Dieser äußert sich in de- oder hyperpigmentierten, manchmal geröteten und stets gefühllosen Hautflecken. An Nacken und Gliedern kommt es zu knotenartigen Aufreibungen der Nervenstränge (Lepra nervosa). Weist der Infizierte eine niedrige Resistenz gegen den Erreger auf, die zugleich an eine verzögerte oder gar gänzlich ausbleibende Immunreaktion gekoppelt ist, bricht die Lepra in ihrer virulenteren, der so genannten lepromatösen Form aus. Ungebremst vermehrt sich der Erreger im Organismus und vor allem in den Nervenscheiden, wobei dessen Zahl die von keiner anderen Infektionskrankheit erreichte Zahl von 1015 erreichen kann. Vornehmlich im Gesicht bilden sich bereits in frühem Krankheitsstadium knotige Infiltrate und braunrote, gefühllose Flecken. Bei Fortschreiten der Krankheit verschmelzen die Knoten im Gesicht zur charakteristischen facies leonina, dem Löwengesicht. Der Erkrankte verliert seine Augenbrauen. Der Befall von Knochen und Knorpelgewebe führt zu einem Einfallen der Nase, was die voranschreitende Entstellung verstärkt. Geschwüre bilden sich auf den Schleimhäuten des Nasen-Rachen-Raumes. Zugleich verändert sich der Kehlkopf derartig, dass die Stimme einen rauen und kratzigen Ton bekommt. Innere Organe werden durch den Einbruch der Erreger in die Blutbahn in Mitleidenschaft gezogen. Ein Resultat der Gefühllosigkeit mehr oder weniger großer Haut-
Die Lepra partien ist, dass Verletzungen häufig unbemerkt bleiben. Dies führt zu einer fortschreitenden Zerstörung des Gewebes und zu Entzündungen. Diese wiederum bedingen bei beiden Hauptformen der Lepra eine Verstümmelung der Extremitäten, neurologische Störungen wie beispielsweise die so genannte Krallenhand und Erblindung. Die Lepra hebt sich noch durch zwei weitere Besonderheiten aus dem Kreis der übrigen Infektionskrankheiten ab. Der Krankheitsverlauf ist äußerst chronisch und führt nicht direkt zum Tode. Durch seine schwache Virulenz, die nach den jüngsten Erkenntnissen der Genforschung aus einer evolutionären Reduzierung der Erbinformation des Erregers auf ein Minimum resultiert, lässt das Mycobacterium leprae sehr lange Inkubationszeiten zu. Diese liegen zwischen wenigen Monaten bis hin zu 40 Jahren. In seinem parasitären Verhalten ist der Erreger ausschließlich für den menschlichen Organismus pathogen, was selbst die moderne Arzneimittelforschung vor Probleme stellt. Bis heute ist es nicht gelungen, das Bakterium in vitro zu kultivieren.
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Chronische Krankheit
b) Die mittelalterliche Wahrnehmung Leprakranker Der Blick auf die Lepra im Spiegel der heutigen Medizin erweckt einen Eindruck von der Dimension des Schreckens für den mittelalterlichen Menschen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass sich die Erscheinungsform der Krankheit im Laufe der Jahrhunderte in einem nicht zu ergründenden Maße gewandelt haben mag. Wie im Falle der Pest, mögen mittelalterliche Zeitgenossen verschiedene Krankheitsphänomene, besonders Hautkrankheiten, unter dem Oberbegriff der Lepra gefasst haben. Die erhebliche Spannbreite der Erscheinungen, die als Lepra wahrgenommen werden konnten, zeigen die seit dem späten 15. Jahrhundert erhaltenen Protokolle der von den Ärzten der medizinischen Fakultät der Kölner Universität durchgeführten Untersuchungen an Lepraverdächtigen. Bis zu dieser Zeit war die Diagnosetechnik bereits so weit ausgereift, dass die Heilkundigen offenbar recht treffende Urteile fällten. Die hochmittelalterliche Deutung der Lepra basierte auf der Ätiologie des hippokratischen Corpus und den Lehren Galens. Diesen zufolge war ein Übermaß an schwarzer oder gelber Galle und Schleim die Ursache für eine Lepraerkrankung. Der übermäßige Genuss solcher Speisen, die den Fluss dieser Körpersäfte zu sehr vermehrten, galt dabei als Hauptgrund. Schnecken und Eselsfleisch, aber auch Linsen galten als förderlich für einen Ausbruch der Krankheit. Die Liste solcher als melancholisch geltender Nahrungsmittel variierte und wurde von den Ärzten des Hoch- und Spätmittelalters stets weiter ergänzt. Bezeichnenderweise stellte die Säftelehre für die Heilkundigen keinen Widerspruch zu der offenkundigen Übertragbarkeit der Lepra dar. Neben dem Einatmen schlechter Ausdünstungen aus den Körpern der Kranken oder deren Hauch kam dabei insbesondere der schon in der Antike propagierten Theorie einer Übertragung auf geschlechtlichem Wege höchste Bedeutung zu. In der Übersetzung von al-Mag˘ūsīs großem Werk durch Constantinus Africanus fand die Theorie Verbreitung, die Samen kranker El-
Lepra und Sünde
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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tern seien für ein Ungleichgewicht der Körpersäfte des Neugeborenen verantwortlich. Diese Ausführungen leisteten der Auffassung Vorschub, dass die Lepra eine Erbkrankheit sei. Ansteckungsrisiko ersten Ranges war jeg liches sexuelle Verhalten wider die biblischen Gebote. In diesem Zusammenhang stigmatisierte seine Krankheit den Leprakranken zugleich als Sünder. Seine Unreinheit war damit nicht nur physisch, sondern entsprechend dem levitischen Sinne auch kultisch aufgefasst. Dieses Stigma verlieh dem Leprakranken in den Augen seiner gesunden Umwelt die negativsten Attribute. So galten die Kranken als hinterhältig und listig, sexuell triebhaft und verbrecherisch sowie stets auf eine Ansteckung Gesunder bedacht. Das aus diesen Vorstellungen erwachsende Verhältnis der gesunden zu ihren leprakranken Zeitgenossen war von Ambivalenz geprägt und Schwankungen unterworfen. Galten die Kranken zum einen als Sinnbild des armen Lazarus und Verkörperung der Leiden Christi, die bereits während des irdischen Lebens ihre Sünden abbüßten, dominierte im fortschreitenden Mittelalter zusehends die negative Wahrnehmung als gefährliches und heimtückisches Übel.
c) Der normative Umgang mit den Kranken Im Gegensatz zu der bisweilen in der Literatur noch immer anzutreffenden Auffassung, die Lepra sei erst im Gefolge der Kreuzzüge im 12. Jahrhundert ins Abendland eingeschleppt worden, war die Krankheit sowohl archäologischen Befunden als auch den Schriftquellen zufolge bereits im frühen Mittelalter in Europa endemisch. Schon kurz vor der Mitte des 6. Jahrhunderts sah man sich erstmals genötigt, Regeln zur Versorgung Leprakranker zu definieren. Die Beschlüsse des Konzils von Orléans im Jahre 549 markierten den Ausgangspunkt eines im Laufe der Jahrhunderte kontinuierlich erweiterten normativen Gefüges im Umgang mit der Lepra und ihren langsam dahinsiechenden Opfern. Der Konzilsbeschluss verpflichtete zunächst die Bischöfe zur Versorgung der Kranken mit Nahrung und Kleidung. Das Konzil von Lyon bestätigte 583 diese Verfügungen und schränkte zugleich die Bewegungsfreiheit der mit der Krankheit Infizierten grundlegend ein. Diese sollten künftig nicht mehr die Erlaubnis zur Wanderung in andere Ansiedlungen erhalten. Im Laufe des weiteren Normierungsprozesses durchdrangen sich allmählich geistliche und weltliche Rechtsvorschriften in Bezug auf die Leprakranken. Das so genannte Edikt des Langobardenkönigs Rothar, erlassen im Jahre 634, bildete den ersten Schritt auf dem Weg zu einem säkularen Leprosenrecht. Seine Bestimmungen sahen vor, den Kranken aus seinem Haus zu vertreiben und ihn fortan wie einen Toten zu behandeln. Der „lebende“ Leichnam verlor dadurch jegliche besitzrechtliche Handlungsfreiheit sowie alle sonstigen Rechte. Die Familien waren allerdings verpflichtet, ihr erkranktes Familienmitglied aus dem gewissermaßen vorzeitig fällig gewordenem Erbe bis zu seinem tatsächlichen physischen Ableben zu unterhalten. Rund einhundertundfünfzig Jahre später, 789, setzte das dritte
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Die Lepra Kapitular Karls des Großen fest, dass sich Leprakranke im Bereich fränkischer Pfalzen nicht unter die Gesunden mischen sollten. Aussätzige Bettler auf den Märkten und an den großen Wegkreuzungen, die auf eine milde Gabe hofften, dürfte diese Regelung ebenso betroffen haben. Einen Kernpunkt leprosenrechtlicher Bestimmungen bildeten jene, die sich mit eherechtlichen Fragen auseinandersetzten. Die Synode von Compiègne legte im Jahre 757 fest, dass eine Ehe im Falle der Lepraerkrankung eines der beiden Ehepartner geschieden werden durfte. In späteren Jahrhunderten trat die universelle Vorstellung von der Unauflösbarkeit der Ehe in den Vordergrund. Das Decretum Gratiani verbot eindeutig die Scheidung von einem leprakranken Partner. Gleich mehrere Päpste, so Alexander III. (1159–1181), Urban III. (1185–1187) wie auch Gregor IX. (1227– 1241) unterstrichen das ausdrückliche Verbot der Eheauflösung. Welche Diskrepanzen sich im Alltag zwischen Norm und Praxis ergeben haben mögen, zeigen exemplarisch die diesbezüglichen Bestimmungen des um 1240 in den Kreuzfahrerstaaten entstandenen Rechtskodex Livre des Assises des Bourgeois. Seine für die breite Schicht der nicht adeligen Franken, der burgenses, erlassenen Verfügungen erlaubten grundsätzlich die Scheidung von einem leprakranken Ehepartner unter kirchlicher Einwilligung. Anders verfuhr man jedoch mit den lehensfähigen Kranken. Während der leprakranke Mann nach den Ausführungen des an der Wende zum 13. Jahrhundert entstandenen so genannten Livre au Roi, das vor allem lehensrechtliche Fragen behandelt, in den Orden des heiligen Lazarus von Jerusalem eintreten sollte, musste seine gesunde Ehefrau den Rest ihres Lebens in der Zurückgezogenheit eines Klosters verbringen. Diese Maßnahme galt nach zeitgenössischer Auffassung offenbar als probates Mittel zur Vorbeugung gegen eine mögliche Ausbreitung der Krankheit. Die Vorstellung, eine Frau, die sexuellen Umgang mit einem Leprakranken gehabt hatte, könne die Krankheit ohne selbst zu erkranken auf weitere Sexualpartner übertragen, entsprach den Lehren von der unterschiedlichen Natur der beiden Geschlechter. So galt nach der Säftelehre die Grundbefindlichkeit eines Mannes als heiß und trocken, die einer Frau hingegen als kalt und feucht. Die für den weiteren Umgang mit Leprakranken im mittelalterlichen Europa weitreichendsten Beschlüsse wurden im Jahre 1179 während des Dritten Laterankonzils getroffen. Seine Bestimmungen, die als Summe aller zuvor in Bezug auf die besitz- und eherechtliche Angelegenheiten der Infizierten getroffenen Verfügungen gelten können, legten den sozialen Statuts der Aussätzigen über Jahrhunderte fest. Leprakranke können mit den Gesunden nicht leben, heißt es darin unzweideutig. Weder Kirchen noch Friedhöfe sollten sie mit diesen teilen. Stattdessen sollten sich die Kranken zu einem gemeinschaftlichen Leben zusammenschließen und eigene Gotteshäuser und Begräbnisplätze haben. Zugleich wurden die Gemeinschaften von der Zahlung des Zehnten befreit. Das Konzil von London bekräftigte im Jahre 1200 die Dekrete des Dritten Lateranums, die in den Verfügungen Papst Gregors IX. schließlich ihren gemeinrechtlichen Niederschlag fanden. Mildernde Tendenzen hinsichtlich des Besitz- und Erbrechts begannen sich jedoch mit der Schaffung einer großen Zahl von Häusern zur Beher-
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Eherechtliche Bestimmungen
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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bergung der Leprakranken, den so genannten Leprosorien, ab der Mitte des 13. Jahrhunderts allmählich durchzusetzen. Den Ausschlag hierfür gaben die unterschiedlichen Ordnungen dieser Einrichtungen, die für ihr wirtschaftliches Funktionieren auf ein Mindestmaß an Handlungsfreiheit ihrer Insassen angewiesen waren.
d) Die Entstehung der Leprosorien Leprosorien vor den Ansiedlungen
Aufnahmekriterien
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Die ersten Häuser zur Aufnahme Leprakranker existierten lange bevor das Dritte Lateranum 1179 ein gemeinschaftliches Leben in einer solchen Einrichtung zur allgemeinen Pflicht erhob. Obgleich zu dieser Zeit noch die meisten der vom Aussatz Befallenen als so genannte Feldsiechen in einfachen und abgelegenen Behausungen ihr Dasein fristeten, entstanden die ersten Leprosorien bereits um 550 in Chalon-sur-Saône, um 636 in Metz und 656 in Verdun. Während in Frankreich bis zum 12. Jahrhundert bereits zahlreiche solcher Institutionen gegründet worden waren, war die Entstehung eines weitreichenden Netzes von Leprosenhäusern im deutschsprachigen Reichsgebiet an das Aufblühen des Städtewesens im 13. und 14. Jahrhundert gekoppelt. Davor finden sich Leprosorien nur in kleiner Zahl, so etwa das um 1180 bereits erwähnte Kölner Melatenhaus. Die Leprosorien wurden auf kirchliche, städtische oder private Initiative hin gegründet. In Anlehnung an das alttestamentarische Gebot, das der Aufenthaltsort eines Leprakranken außerhalb des Lagers sein müsse, lagen die Häuser stets vor den Stadtmauern. Hinzu kamen eine Reihe weiterer charakteristischer Standortfaktoren. In der Regel befand sich das Haus in der Nähe größerer Wegkreuzungen, zu einem Wasserlauf und bisweilen auch zu einer Hochgerichtsstätte. Im deutschen Sprachgebiet fanden sich lokal und regional unterschiedliche Bezeichnungen für die Einrichtungen. Der Begriff Kinderhaus erscheint in Ableitung der Vorstellung von den Kindern Gottes. Der Name Melatenhaus wiederum ist zurückzuführen auf die altfranzösische Bezeichnung der Lepra als mal ladre, Krankheit des Lazarus. Auf das Gutleutehaus stößt man vermehrt im süddeutschen Raum. Die zugehörigen Kapellen waren einem heiligen Patron geweiht, dessen Name häufig zur Bezeichnung des Hauses in den Quellen auftaucht. In romanischen Ländern wurde nahezu ausschließlich der heilige Lazarus als Patron gewählt. Im deutschen Reichsgebiet begegnet uns indes eine breite, von lokalen oder individuellen Vorlieben der Stifter geleitete Palette an Heiligenpatrozinien. In Norddeutschland findet sich besonders häufig der heilige Georg bzw. St. Jürgen. Aber auch die heilige Gertrud, Johannes der Täufer, die heilige Elisabeth und sogar die Heiligen Drei Könige fungierten als Patrone. Von einer Internierung der mittelalterlichen Leprakranken in den Leprosorien zu sprechen, ist falsch. Entgegen der normativen Bestimmungen, dass alle mit dem Aussatz Behafteten sich in das Leprosenhaus begeben sollten, war die Wirklichkeit eine grundlegend andere. Die Aufnahmekapazitäten der Einrichtungen waren zu gering, um zu allen Zeiten ausreichend Platz für die Kranken zu bieten. Abgesehen von dem großen Kölner Mela-
Die Lepra
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tenhaus, in dem vielleicht dreißig und mehr Aussätzige Obdach finden konnten, lagen die möglichen Aufnahmezahlen der meisten Institutionen unter zehn Personen. Schriftzeugnisse aus zahlreichen Städten belegen, dass dieses Angebot den Bedarf keinesfalls immer deckte und dass Aufnahmewillige abgewiesen werden mussten. Daneben existierte eine Reihe von Aufnahmebeschränkungen, die in der Regel bereits bei der Gründung des Hauses festgelegt wurden. Kriterien waren dabei unter anderem die Zugehörigkeit zu einem der städtischen Kirchspiele, der Besitz der Bürgerschaft über einen bestimmten Zeitraum, die Möglichkeit zur Einbringung einer so genannten Eintrittsschenkung zugunsten der Einrichtung oder bestimmten Hausrats und nicht zuletzt eine Bestätigung des Lepraverdachts durch eine anerkannte Instanz. Doch nicht nur solche Aufnahmebestimmungen verhinderten, dass alle Leprakranken tatsächlich in den Genuss institutioneller Versorgung kamen. Bereits in der Einrichtung befindliche Personen, die in gravierender Weise gegen die mitunter strengen Statuten der Hausordnung verstoßen hatten, konnten befristet oder dauerhaft aus dem Haus gewiesen werden. Hinzu kamen all jene, die sich erfolgreich einer Überstellung ins Leprosorium entzogen. Einer beschränkten Zahl von Leprakranken, die institutionell versorgt waren, stand mithin eine kaum zu beziffernde Größe zur Wanderschaft verurteilter Aussätziger gegenüber. Die Aufnahme in ein Leprosorium bedeutete das Privileg von Obdach, lebenslanger Versorgung mit Nahrung und Kleidung sowie den Schutz der Gemeinschaft. Diese Aussicht war offenbar so verlockend, dass sich immer wieder Personen, die keinen Anspruch auf einen Platz im Leprosorium hatten, dennoch eine der begehrten so genannten Pfründen zu verschaffen versuchten. Bereits das Konzil von Paris sah sich im Jahre 1212 genötigt, auf die Zweckentfremdung der den Leprakranken zugedachten Almosen durch eine Zahl Gesunder in den Leprosorien hinzuweisen, die gar jene der Aussätzigen übertreffe.
e) Der Weg ins Leprosorium: Die Schauuntersuchung Der Weg ins Leprosorium bedeutete einen tiefen Einschnitt in das Leben des Betroffenen und seiner Familie. Der Eintritt in die auf der Grundlage einer strengen Ordnung nahezu klösterlich lebende Gemeinschaft der Leprakranken hieß, das bisherige Leben ohne Möglichkeit zur Rückkehr hinter sich zu lassen. Dem Eintritt in das Haus ging jedoch stets die Anzeige des Lepraverdachts voraus. Diese erfolgte in der Regel vor dem Rat. Die spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Ratsprotokolle, in denen die erste Vorstellung eines oder einer Lepraverdächtigen vor den städtischen Obrigkeiten aufgezeichnet wurden, verdeutlichen die Umstände der Anzeige. Nicht selten waren es die Verdächtigen selbst, die sich – gedrängt von Familie, Freunden oder Nachbarn – mit einem Gesuch zur Überprüfung ihres Zustands an die Stadtväter wandten. Selbstverständlich konnten aber auch Ehefrauen oder -männer, Nachbarn und Freunde eigenmächtig in dieser Angelegenheit tätig werden. Bader, Wundärzte und – soweit in der Stadt überhaupt tätig – Ärzte waren ebenso wie Geistliche bei Androhung der
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Feste institutionelle Strukturen
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Exkommunizierung zur Anzeige eines Aussatzverdachts verpflichtet. Nach erfolgter Vorstellung des Lepraverdächtigen fertigte der Rat ein Schreiben, das an die Instanz gerichtet war, die nunmehr für die Überprüfung des Verdachts durch eine Untersuchung, die so genannte Lepraschau, zuständig war. Dieser Brief wurde dem zu Untersuchenden ausgehändigt, der sich in Begleitung eines städtischen Bediensteten zur Schauuntersuchung zu begeben hatte. Zwischen der Vorsprache beim Rat und der Durchführung der Schau lagen in der Regel einige Wochen. In den meisten Fällen zog die Anweisung, sich der Leprauntersuchung zu unterziehen, eine längere Reise nach sich. Nicht immer erfolgte diese nur für eine Person. In manchen Städten, so im niederrheinischen Wesel, wurden zu mehreren Terminen im Jahr Gruppen von bis zu zwölf Aussatzverdächtigen zur Untersuchung ins Kölner Melatenhaus gebracht. Bis zum späten Mittelalter hatten sich im deutschsprachigen Reichsgebiet feste institutionelle Strukturen für den weiteren Umgang mit Lepraverdächtigen entwickelt. Im Rahmen der Schau wurde der Lepraverdächtige auf eindeutige Anzeichen der Krankheit untersucht. Bereits zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert waren vergleichsweise verlässliche Diagnosemethoden zur Feststellung des Aussatzes von den Ärzten entwickelt worden. Die Ausführungen berühmter Ärzte wie Arnald von Villanova (ca. 1240–1311), Bernhard von Gordon (ca. 1283) und Guy von Chauliac (ca. 1300–1368) bildeten die theoretische Grundlage spätmittelalterlicher Leprauntersuchungen. Bereits im 12. Jahrhundert hatte man die für die Krankheit typischen Sensibilitätsstörungen entdeckt und vermochte darauf aufbauend bald zwischen so genannten „sicheren“ und „unsicheren“ Anzeichen zu unterscheiden. Die Untersuchung beruhte auf fünf verschiedenen Proben. Mit Hilfe der Nasenprobe, wobei die Nase des Lepraverdächtigen mit einem Kolben gespreizt wurde, suchte man nach Geschwüren in den Nasengängen. Die Nadelprobe diente der Feststellung von Sensibilitätsstörungen. Veränderungen des Kehlkopfes wurden mit einer Singprobe überprüft. Die intensive Untersuchung des Daumens konnte zeigen, ob sich bereits ein Muskelschwund eingestellt hatte. Die Seih- oder Blutprobe schließlich sollte eine Auffindung erdiger Rückstände im Seihmaterial, dem Aderlassblut der Leprakranken erlauben. Nicht wenige der im Spätmittel alter erstellten Schauordnungen weisen darauf hin, dass die Untersuchung nur bei hellem Tageslicht durchgeführt werden sollte. Eher eine Ausnahme bildet hierbei eine französische Schrift, die eine Besehung im hellen Mondlicht empfiehlt. In diesem erscheine die Haut eines Erkrankten wie Marmor. Trotz solch theoretischer Grundlagen waren es keineswegs nur Ärzte, die eine Untersuchung Lepraverdächtiger vornahmen. In einigen Gebieten, so in Rheinland-Westfalen, begannen Wundärzte und Ärzte erst im späten 15. Jahrhundert allmählich eine Rolle für die Schauuntersuchungen zu spielen. Zuvor waren es vor allem die Leprakranken selbst, die die Prüfung der vor ihnen erschienenen Verdächtigen vornahmen. Über die allmähliche Entwicklung dieses Systems bis zum späten Mittelalter fehlt jegliches Schriftzeugnis. Wahrscheinlich wurde anfangs in der Heimatstadt selbst die Probe von Wundärzten oder Leprakranken im Beisein städtischer Vertreter als Zeugen durchgeführt. Erst für das 14. und 15. Jahrhundert lässt sich die
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Organisation des Lepraschauwesens detaillierter nachvollziehen. Zu dieser Zeit fanden Untersuchungen in aller Regel nicht mehr im örtlichen Leprosenhaus statt. Manche der Einrichtungen, zumeist die ältesten und größten, die sich nicht selten in Bischofsstädten befanden, erreichten eine überregionale Bedeutung als Lepraschauzentren. Die leprakranken Prüfmeister des großen Kölner Melatenhauses führten Schauuntersuchungen für Lepraverdächtige aus ganz Rheinland-Westfalen durch. Von überregionaler Bedeutung für das Lepraschauwesen waren auch die Häuser in Konstanz am Bodensee, Nürnberg, Straßburg, Wien, Lüttich und dem niederländischen Haarlem. Großes Ansehen an Main und Mittelrhein genoss die Frankfurter Schaukommission. Daneben bildeten sich eine Reihe hierarchisch untergeordneter Schauzentren heraus, die besonders im Zuge des 16. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen zu haben scheinen. Für Westfalen waren dies beispielweise das Leprosenhaus auf dem Daberg in Hamm, dem der Rat 1524 ausdrücklich das Recht zur Durchführung der Schauuntersuchungen verbriefte. Die Untersuchungen waren keineswegs kostenlos. So wurde dem Hammer Privileg gleichzeitig auch eine Gebührensatzung beigefügt, die Tarife für Auswärtige und Einheimische genau regelte. Dort wie auch anderswo schlossen sich Leprakranke im ausgehenden Mittelalter zu bislang von der historischen Forschung noch kaum untersuchten Gilden zusammen, die eigene Regeln besaßen und deren Mitglieder die Schauuntersuchungen gewissermaßen als ein Gewerbe ausübten. Die an Vorbilder aus dem Handwerk angelehnte Organisationsform lässt zugleich vermuten, dass die Kranken durch einen solchen Zusammenschluss ihrer Marginalisierung entgegenzuwirken versuchten. Als weitere untergeordnete Schauorte in Westfalen galten die Häuser in Herford und, ebenfalls seit dem 16. Jahrhundert, in Paderborn. Privilegien wie sie der Hammer Rat an sein Leprosorium vergab, wurden den Kranken auch von den Obrigkeiten in anderen Städten verliehen. In Lübeck, Göttingen oder Braunschweig beispielsweise besaßen die Leprakranken ebenfalls das von ihren Stadtvätern gewährte Recht zur Schauuntersuchung. Zusammensetzung und Größe der Kommissionen waren je nach Ort unterschiedlich und konnten im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen sein. Am Kölner Melatenhaus sollten einer Schauordnung zufolge, die in einer undatierten Redaktion des 16. Jahrhunderts überliefert ist, die sechs ältesten Insassen der Einrichtung – drei Frauen und drei Männer – als Prüfmeisterinnen und Prüfmeister dienen (s. Quelle). Auszug aus der Lepraschauordnung des Kölner Melatenhauses J. Asen, Eine Leprosenordnung von Melaten bei Köln aus dem 16. Jahrhundert, in: Lepra. Bibliotheca Internationalis 14, 2 (1913), S. 70 ff. (Freie Übertragung ins Neuhochdeutsche: K. P. Jankrift)
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Ordnung der Provisoren zu Groß-Melaten außerhalb Kölns die Probe betreffend. Wir Provisoren wollen, wie uns billig erscheint, dass unsere Prüfherren(kommission) zu den großen Melaten besetzt werden soll zum mindesten mit drei Frauen und drei Männern als Prüfmeistern und dass jeder, der zur Probe zugelassen wird, sich nach Form des Eides und guten Gewissens unsträflich in allen Sachen erweisen soll, die die Probe berühren.
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VI. Lepraschau in Köln
Das Schicksal des Johan Joist
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Sie verpflichteten sich durch einen Eid, die Untersuchung gewissenhaft vorzunehmen und sich bei ihrem Urteil durch nichts als den tatsächlichen Befund leiten zu lassen. Geschenke anzunehmen, war ihnen bei Strafe des Pfrundentzuges verboten. Zumindest noch in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ist eine Beteiligung von Wundärzten bei der Lepraschau durch die Schriftquellen gesichert. Allmählich scheinen diese jedoch von den leprakranken Prüfmeistern des Melatenhauses verdrängt worden zu sein. Im Jahre 1451 bezeichnete der Kölner Rat die Schaukommission zu Melaten als die oberste des Landes. Doch ist die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts ebenso geprägt von einem lang anhaltenden Kompetenzstreit zwischen dem Melatenhaus und der medizinischen Fakultät der Universität Köln. Rund dreißig Jahre nachdem die Stadtväter dem größten ihrer vier Leprosenhäuser seine herausragende Stellung als Schauinstanz versichert hatten, erklärte der Magistrat das Urteil der Ärzte der medizinischen Fakultät 1478 als zuverlässiger. Dennoch rissen die Streitigkeiten nicht ab. Noch 1530 beschwerte sich die Fakultät beim Rat über die Beschneidung ihres Schauprivilegs durch das Melatenhaus und betonte, man solle dem Urteil der Kundigen mehr Glauben schenken als dem der Unkundigen. Erhärtet wurde dieser Disput gewiss durch die eindeutige Forderung mancher Aufnahmebestimmungen der Leprosenhäuser in unterschiedlichen Städten, die für einen Eintritt in die Institution einzig das Urteil der Leprakranken zu Melaten gelten ließen. In der Tat verlief die von den Leprakranken vorgenommene Schau trotz aller Regeln und Eide keinesfalls immer im Rahmen der vorgegebenen Normen. Nicht zuletzt um Missbräuchen vorzubeugen, wurden etwa im moselländischen Trier oder in den Städten Metz, Toul und Verdun Untersuchungen von Medizinalpersonen durchgeführt, die zumindest in der Frühzeit der Untersuchungen dem Klerus angehörten. In Frankfurt führten zwei Wundärzte sowie der Stadtarzt die Prüfungen durch. Allerorts wurde über den Befund ein schriftliches Zeugnis, der so genannte Schaubrief, ausgestellt. Das Urteil lautete auf rein (mundus) oder unrein (immundus et leprosus). In unsicheren Fällen wurde der Untersuchte innerhalb einer festgelegten Frist ein weiteres Mal zur Prüfung gebeten, um die Veränderungen seines Zustandes erkennen zu können. Bestanden weiterhin Zweifel, konnte der Verdächtige so lange vorgeladen werden, bis die Kommission zu einem eindeutigen Urteil gelangte. Ratsprotokolle und die zur Veranschaulichung zeitgenössischer Wahrnehmung einzigartige Quelle der Untersuchungsprotokolle der Kölner medizinischen Fakultät belegen, dass in seltenen Fällen Lepraverdächtige in der Tat mehr als zweimal vorstellig wurden. Zwischen den Untersuchungen konnten Monate, aber auch Jahre vergehen. Die Kosten der Lepraschau hatte der Untersuchte selbst zu tragen, dieser wurde aber bisweilen aus der städtischen Kasse unterstützt. Gegen das Urteil konnte an einer übergeordneten Instanz Berufung eingelegt werden. Die in diesem Rahmen erneut auszuführende Probe war in jedem Fall von dem Appellanten selbst zu zahlen. Ein exemplarisches und zugleich herausragendes Beispiel für einen solchen Widerspruch gegen das Urteil der Schaukommission im Kölner Melatenhaus dokumentiert der Fall des niederrheinischen Künstlers Johan Joist. Im Jahre 1484 war er des Aussatzes verdächtigt und zur Untersuchung von
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den Obrigkeiten der Stadt Wesel nach Köln geschickt worden. Die Prüfmeister am Kölner Melatenhaus hatten ihn für unrein befunden. Der Künstler zeigte indes keine Bereitschaft, sich in sein Schicksal zu fügen. Er erklärte, bereits während der Untersuchung habe es unterschiedliche Meinungen über seinen Gesundheitszustand gegeben. Freunde Joists intervenierten erfolglos beim Weseler Rat, die Schau wiederholen zu lassen. Daraufhin begab sich Joist auf eigene Faust zu einer erneuten Untersuchung in das niederländische Haarlem. Wenig später kehrte er in Begleitung des Haarlemer Stadtboten und mit einem Reinheitszeugnis nach Wesel zurück. Nun erkundigte sich der Weseler Rat doch in Köln nach dem Zustandekommen des Urteils, das die dortige Schaukommission jedoch nicht revidieren wollte. Joist wurde kein zweites Mal in Köln untersucht. Im Anschluss an das Kölner Urteil verfügten die Weseler Obrigkeiten, der Künstler solle die Stadt verlassen. Auch nachdem sich Joist am 27. Oktober 1484 ein weiteres Mal in die Domstadt begeben hatte, blieben die Prüfmeister bei ihrem Befund. Nun blieb ihm nur noch der Weg dahin, wo sein Reinheitszeugnis anerkannt wurde: Im Jahre 1519 starb Johan Joist in Haarlem. Undatiertes Muster eines Schaubriefs des Haarlemer Leprosenhauses J. Asen, Eine Leprosenordnung von Melaten bei Köln aus dem 16. Jahrhundert, in: Lepra. Bibliotheca Internationalis 14, 2 (1913), S. 72. (Frei Übertragung ins Neuhochdeutsche: K. P. Jankrift)
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Kundig sei allen Leuten, dass meine gemeinen Geschworenen der St.-JakobsKapelle außerhalb Haarlems mit aller Gründlichkeit einen Mann namens Michael von der Hove geprüft und besehen haben, den wir nun zu dieser Zeit als aussätzig angeben und mit der Krankheit des Lazarus befallen. Darum soll er umhergehen mit einem Gewand, das die Klapper auf der Brust zeigt, einen schwarzen Hut auf dem Kopf tragen, mit einem weißen Band – keinem anderen – und dieser Brief ist gültig für vier Jahre. In Kenntnis der Wahrheit haben wir diesen Brief geschrieben und mit unserem gemeinen Siegel besiegelt in Jahr, Tag und Monat.
Die von den Ärzten der medizinischen Fakultät der Kölner Universität durchgeführten Untersuchungen wurden gewissenhaft protokolliert. Zwischen 1491 und 1664 sind nicht weniger als 178 Lepraschauverfahren aufgezeichnet worden, die deutlich zeigen, welche Merkmale einen Lepraverdacht bei gesunden Zeitgenossen erregen konnten. Im Mai 1492 etwa bescheinigte die ärztliche Schaukommission der Kölnerin Elseken Boelghens, zwar frei von der Lepra zu sein, verzeichnete jedoch die grässliche Entstellung ihres Gesichts durch eine Fehlstellung der Augen. Der Franziskaner Heinrich Stijchus, den die Prüfer ebenfalls für rein befanden, hatte eine absonderliche Gesichtsform und zudem bereits mehrere seiner Zehen verloren. Bei Henrich to Wald hingegen, der 1519 zum zweiten Mal vorstellig wurde, befand man das Gesicht für vollständig von den Zeichen der Lepra entstellt. Mit diesem Befund musste er nun vor den Rat seiner Heimatstadt treten. Sofern im örtlichen Leprosenhaus genügend Platz vorhanden war und der Kranke die übrigen Aufnahmekriterien erfüllte, erfolgte nun sein Abschied aus der Welt der Gesunden. In einigen Gebieten Ostfrankreichs
Lepraschauen der Kölner medizinischen Fakultät
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wurde diese Trennung mit sehr drastischen Ausschlussriten begleitet. Der Kranke nahm an seiner eigenen Totenmesse teil. Anschließend wurde er auf den Friedhof geleitet und stieg in eine Grube hinab, wo ihm symbolisch Erde auf den Kopf gestreut wurde. Symbolisch war der Tod damit vollzogen. Nun wurde der Kranke mit der im Leprosorium für alle Bewohner vorgeschriebenen Kleidung ausgestattet. In der Regel gehörte hierzu ein weiter Umhang und ein Hut sowie ein Bettelsack. Alles war in dunklen Farben gehalten. Dazu kam die obligatorische Klapper, mit deren Hilfe der Kranke außerhalb des Hauses bei der Annäherung an Gesunde auf seine Präsenz aufmerksam machen konnte. In manchen Gegenden wurde statt der Klapper ein Horn oder ein Glöckchen gebraucht. Der Priester ermahnte abschließend den für tot Erklärten unter anderem, nie wieder die Kirchen der Gesunden zu betreten, sich von Quellen und Wassern fern zu halten, keine Speisen auf den Märkten mit der Hand zu berühren und sein Schicksal mit Geduld zu tragen. Der rituelle Ausschluss war damit vollzogen.
f) Der Alltag der Leprakranken
Hausordnung
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Vielerorts unterrichtet ein mehr oder weniger reichhaltig überliefertes Schriftgut über den Alltag in den spätmittelalterlichen Leprosorien. Oblag die geistliche Versorgung der Kranken in der dem Leprosorienkomplex angeschlossenen Kapelle stets der kirchlichen Rechtsgewalt, so lag die Verwaltung der Häuser in aller Regel in der Gewalt der städtischen Obrigkeiten. Aus den Reihen der Ratsmitglieder wurden je nach Größe der Kommune eine oder mehrere Personen als so genannte Provisoren für eine festgelegte Dauer bestimmt, die vor allem für die Kontrolle der Rechnungsführung und die Repräsentation des Hauses bei der Tätigung von Geschäften zuständig waren. Da die Provisoren nicht im Haus lebten und dieses nur gelegentlich aufsuchten, bedurfte es zur Aufrechterhaltung der täglichen Ordnung weiterer Personen. In manchen Einrichtungen bestimmten die Kranken aus ihren eigenen Reihen einen Meister, der die Einhaltung der Hausordnung überwachte. Kontrollfunktion übernahmen aber auch die Geistlichen der Leprosenhauskapellen oder eigens bestellte Spitalverwalter, die für die Rechnungslegung und ordnungsgemäße Zuteilung der so genannten Pfründen, der Natural- und Geldzuwendungen durch die Einrichtung, verantwortlich waren. Jede Einrichtung verfügte über eine Hausordnung (s. Quelle), die den Tagesablauf regelte, die Aufnahmebestimmungen enthielt und die das Strafmaß für Verstöße gegen das gemeinschaftliche Leben festsetzte. Das Leben in den Leprosorien war nahezu klösterlich geordnet. Die Insassen kleideten sich einheitlich. Wie in den Hospitälern war ihr Tagesablauf in der Hauptsache durch Gebete zum Seelenheil der Stifter und Almosengeber bestimmt. Die Kranken lebten nach Geschlechtern getrennt. Unkeuschheit mit einem anderen Insassen oder dem Dienstpersonal zog in allen Einrichtungen eine zumindest befristete Ausweisung aus dem Haus nach sich. Singen, Scherzen, Spiele oder sonstige Aktivitäten, die der Zerstreuung dienten, waren durch die strenge Hausordnung zumeist verboten.
Die Lepra Neue Ordnung des Leprosenhauses von Soest, 14. Jahrhundert Stadtarchiv Soest, A 9363. (Freie Übertragung ins Neuhochdeutsche: K. P. Jankrift; Quelle im Original s. Anhang, 7.)
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Kundig sei allen Leuten, die diesen Brief hören, dass wir, Bürgermeister und Rat von Soest einträchtig übereingekommen sind, dass derjenige, welcher durch Gottes Verhängnis vom Aussatz befallen ist, sich in das Marbekehaus außerhalb von Soest begeben soll, um dort mit den anderen Kranken zu wohnen und zu bleiben. Und weil diese Krankheit Arme wie Reiche gleichermaßen befällt, so soll ein jeder, reich oder arm, bei seinem Eintritt in das Haus für seinen Dienst sechs Schillinge und ein Pfund Kerzenwachs sowie zwei Pfennige dem Priester geben, der dort zur Zeit singt. Gibt jemand mehr als dies verordnete Geld, so soll man dieses nicht unter den Armen aufteilen, sondern dem Hofmeister der vorgenannten Kranken übergeben, damit er es zum gemeinen Nutz verwende. Auch setzten wir fest, dass man Arme, die kein Gut haben, darin aufnehmen soll, sofern sie zu einem der Soester Kirchspiele gehören. Die Reichen darf man nicht in das Haus aufnehmen, es sei denn, dass sie so viel mit einbringen, dass sie sich in Freundschaft der Hofmeister und der armen Kranken ihr Lebtag davon unterhalten können. Auch soll man niemanden aufnehmen, er sei reich oder arm, der nicht in eines der Soester Kirchspiele gehört, es sei denn durch Gnaden des Rates und des Vormundes der vorgenannten kranken Leute. Darüber hinaus sollen alle Kranken, die nicht bettlägerig sind, täglich ihre Messe haben und sollen keine Entschuldigung [für eine Versäumnis] haben, es sei denn, die Arbeit für des Hauses Wohl. Wer dies nicht tut und seine Messe des Tages nicht hört, so soll man ihm seine Pfründe an dem Tag nicht geben. Wäre es der Fall, dass jemand dagegen verstoße und dessen beschuldigt würde und dies nicht besserte, soll er nach Beschluss des Vormundes und des Priesters, der da sitzt, seiner Pfründe solange entbehren, bis er den Missstand gebessert hat. Verstirbt ein Kranker, so ist das, was er an Korn oder anderem Gut nachlässt, dem Haus gemein und soll nicht unter den Kranken verteilt werden.
Beim Eintritt in das Haus wurde dem Neuankömmling die Ordnung ebenso vorgelesen wie zu bestimmten Zeiten des Jahres, vor allem an den Hochfesten, der gesamten Leprosengemeinschaft. Die Normen wurden im Laufe der Jahrhunderte in jeder Einrichtung vor dem Hintergrund konkreter Bedürfnisse verändert, ergänzt oder gekürzt. In den Rechnungsunterlagen oder – in besonders schweren Fällen – gar in Gerichtsprotokollen spiegeln sich die Aspekte des praktischen Alltags jenseits der Hausordnung wider. Übertretungen gegen das Gebot der Keuschheit waren vergleichsweise häufig. Auch der befristete Entzug der Pfründe wegen Ungehorsams gegen den Meister oder tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Hausbewohnern tauchen in den Schriftzeugnissen auf. Im Soest des 16. Jahrhunderts findet sich gar ein Insasse des Hauses auf der Marbeke unter Zaubereiverdacht in Haft. Die Palette der Verstöße, die es für jedes Haus eigens zu untersuchen gilt, zeigt deutlich die Konflikte, die aus einem lang andauernden Zusammenleben einer Krankengemeinschaft unter einem Dach erwachsen konnten. Unterschiedlich sind die Haltungen der Ordnungen in der Frage der Bewegungsfreiheit der Kranken außerhalb des Hauses. Während einige Statuten zu festgelegten Zeiten ein Verlassen des Leprosoriums vorsahen und
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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die Insassen zur Aufbesserung der Einkünfte zum Betteln anhielten, verboten andere derartige Freiheiten weitestgehend. Die Besitzverhältnisse der Häuser gestalteten sich ebenso unterschiedlich. Die großen Einrichtungen verfügten über so viel Besitz, dass sie Kapital verleihen konnten. Andere waren nur unzureichend ausgestattet. Diejenigen Kranken, die aufgrund der Aufnahmebestimmungen keinen Platz im Leprosorium gefunden hatten oder die aufgrund eines Verstoßes aus der Gemeinschaft verbannt worden waren, mussten Kleidung und Nahrung stets erbetteln. Sie zogen von Ort zu Ort und konnten in den lokalen Leprosorien Herberge für ein oder zwei Nächte finden. Für die geistliche Versorgung der wandernden Kranken war in ländlichen Gegenden durch die so genannten Hagioskope an der Außenwand der Kirchen gesorgt. Durch diese unterschiedlich gestalteten Öffnungen, die den Blick auf den Altar freigaben, konnten sie an der Messe teilhaben und vom Priester die Hostie empfangen. Die Lepra hielt sich entgegen einer in der historischen Literatur noch immer geäußerten Auffassung in einigen Gebieten bis weit über das Durchseuchungsmaximum des 13. und 14. Jahrhunderts hinaus endemisch. Ratsprotokolle und Rechnungsbücher der Häuser zeigen, dass mitunter noch im ausgehenden 16. Jahrhundert nicht genügend Platz zur Beherbergung aller Kranken zur Verfügung stand. Hinzu kommen die noch nach der Mitte des 16. Jahrhunderts vor dem Hintergrund eines bestehenden Bedarfs erfolgten Neugründungen von Leprosorien.
7. Das Antoniusfeuer a) Das klinische Bild des Antoniusfeuers und seine zeitspezifische Wahrnehmung Aus dem Rahmen der bisher betrachteten bedeutsamen Infektionskrankheiten des Mittelalters fällt das Antoniusfeuer in zweierlei Hinsicht heraus. Bei der Krankheit handelt es sich nicht um eine epidemisch wirkende Infektionskrankheit und damit nicht um eine Seuche. Dennoch verursachte sie gemäß den Aufzeichnungen der Geschichtsschreiber vor allem zwischen dem 9. und dem 12. Jahrhundert in vielen Teilen Europas mehrfach Massenerkrankungen mit tödlichem Verlauf. Diese bemerkenswerten Häufungen von Krankheitsfällen waren das Resultat massenhafter Vergiftungen, ausgelöst durch den Verzehr von so genanntem Mutterkorn. Als solches bezeichnet man die Dauerform eines Schlauchpilzes, der vor allem den Roggen befällt. Die Übereinstimmungen zwischen dem von mittelalterlichen Chronisten beschriebenen Symptomkomplex und den beiden Formen der in der gegenwärtigen Medizin als Ergotismus bekannten Krankheit sind überdeutlich. Getreide war in ganz Europa das Hauptnahrungsmittel der mittelalterlichen Gesellschaft. Die Ärmeren mussten jedoch vor allem mit dem für sie erschwinglichen Roggen Vorlieb nehmen. Gerade für sie, die die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten, war ein erhöhtes Erkrankungsrisiko vorgegeben. Die Gefahr wurde durch den unheilvollen Umstand gesteigert, dass ungünstige Witterungsverhältnisse für das Getreidewachstum gleichzeitig ein verstärktes Auftreten der Mutterkornpilze begünstigten. Ge-
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Das Antoniusfeuer rade in Jahren schlechter Ernteerträge gelangten große Mengen des giftigen Pilzes in das Mehl. Über den Mutterkornanteil im Mehl liegen für das Mittelalter keine Angaben vor, doch lassen die für das 17. und 18. Jahrhundert ermittelten Anteile von bis zu einem Drittel am Gesamtvolumen erahnen, dass sich die Situation in der vorangegangenen Zeit kaum besser gestaltet haben dürfte. Unmittelbar nach Einbringung der neuen Ernte, auf die man gerade in Notzeiten wartete, entfaltet der Giftstoff seine stärkste Kraft. Beim Ergotismus lassen sich zwei Formen unterscheiden. Die erste ist gekennzeichnet durch Krampfanfälle, die zweite durch den Brand. Die Anfangssymptome der Vergiftung sind bei beiden Verlaufsformen identisch. Beide beginnen mit Würgereiz, Erbrechen, Kopfschmerzen und einem unangenehmen Kribbeln, das den gesamten Körper überzieht. Auch die Halluzinationen, die die Vergifteten heimsuchen, treten in beiden Fällen auf. Erst der weitere Krankheitsverlauf gestaltet sich unterschiedlich. Bei der ersten Form des Ergotismus kommen zu den anfänglichen Symptomen nun schmerzhafte Kontraktionen von Muskelgruppen, insbesondere an Armen und Beinen. Am Ende stehen Muskelschwund und andauernde Krampfzustände. Zwischen den Anfällen werden die Vergifteten von einem unstillbaren Durst- und Hungergefühl gequält. Darüber hinaus kann es zu irreversiblen Schädigungen zentraler Nervenbahnen, veitstanzähnlichen Anfällen und Demenz kommen. Bei der zweiten Form des Ergotismus dominiert als Leitsymptom eine massive Verengung der Blutgefäße, die bis zur Unterbindung der Blutzirkulation führen kann. Dabei entstehen zunächst Blasen auf der Haut. Anschließend werden die nicht mehr durchbluteten Gliedmaßen durch den Brand schwarz und fallen am Ende ab. Die brennenden Schmerzen, die dieses Krankheitsgeschehen unablässig begleiten, gaben dem Phänomen seinen mittelalterlichen Namen: Das Heilige Feuer.
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Das Erscheinungsbild des Heiligen Feuers
b) Massensterben durch Vergiftung Im Jahre 856 zeigte sich den Xantener Annalen zufolge eine große Plage mit anschwellenden Blasen unter dem Volk und verzehrte es in derart abscheulicher Fäulnis, dass sich Gliedmaßen ablösten und vor dem Tod abfielen. Der Bericht ist das erste bekannte Zeugnis über das massenhafte Wirken des Heiligen Feuers, das auch in den folgenden Jahrhunderten immer wieder eine Vielzahl von Opfern forderte. Während die Geschichtsschreiber des 9. bis 11. Jahrhunderts die Krankheit noch ignis sacer, das Heilige Feuer, nannten, bezeichneten spätere Zeitgenossen sie zumeist als Antoniusfeuer. Nachdem die verheerende Wirkung des Heiligen Feuers sich 856 insbesondere im Rheingebiet manifestiert hatte, ging elf Jahre später abermals die Furcht vor einem Massensterben um. Wieder sind es die Xantener Annalen, die Hinweise auf die Ereignisse geben. Diesen zufolge befahlen die Könige im Herbst 867 ein dreitägiges Fasten, um die drohende Hungersnot und Pestilenz abzuwenden. Dieser Schritt unmittelbar nach dem Einbringen der Ernte weist auf einen möglicherweise schlechten Ertrag hin. Die Er-
Erstes Auftreten im Rheinland
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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Der heilige Abt von Cluny und das Antoniusfeuer
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fahrung hatte schon häufiger gezeigt, dass dem Hunger nicht selten Krankheit folgte. Eines der zu erwartenden Übel war in diesem Zusammenhang das Heilige Feuer. Tatsächlich forderten den Ausführungen der Fuldaer Annalen zufolge Hunger und Pestilenz schon 874 in ganz Gallien und Germanien erneut einen hohen Blutzoll. Im 10. Jahrhundert trat das Heilige Feuer mit besonderer Kraft immer wieder in Teilen Frankreichs auf. Im Jahre 912 suchte es die Ile-de-France heim. Im Jahre 945 traf es wiederum das Zentrum Frankreichs sowie die Champagne. Eine zweite Welle des Heiligen Feuers erlebte das Land am Ende des Jahrhunderts. Zuvor hatten sich wieder einmal die Mißernten gehäuft. Zwischen 993 und 994 flammte das Heilige Feuer unter anderem im Limousin, Angoumois und Périgord auf. Zeitgleich loderte es in zahlreichen Regionen des deutschsprachigen Reichsgebietes, das bereits zuvor unter Hunger und außergewöhnlich hoher Sterblichkeit zu leiden gehabt hatte. Am Ende des 10. Jahrhunderts mangelte es noch an medizinischen Kenntnissen, um die Zusammenhänge zwischen der Aufnahme verseuchten Getreides und dem massenhaften Auftreten der Krankheit mehr als nur ansatzweise zu vermuten. Auch existierten noch keine wirksamen Therapieempfehlungen oder gar institutionelle Strukturen zur Versorgung der Erkrankten. Wie die Auseinandersetzung mit Seuchen, so wurde auch die mit der Massenvergiftung zunächst auf einer religiösen Ebene geführt. Hilfesuchend wandten sich die Erkrankten den Heiligen zu, von deren vermittelnder Fürsprache beim Allerhöchsten sie sich eine Erlösung von ihren Leiden erhofften. Bevor im späten 11. Jahrhundert der Eremit Antonius nach der Translation seiner Gebeine aus Byzanz in die Dauphiné sich allmählich zum herausragenden Heiligen im Kampf gegen das Heilige Feuer entwickelte, galt die Verehrung im Norden Frankreichs zunächst der Jungfrau Maria, im Südwesten dem heiligen Martial. Frömmigkeitsbezeigungen blieben indes nicht auf den klassischen Kreis der Heiligen beschränkt. Die Suche nach neuen Hoffnungsträgern trug maßgeblich dazu bei, der aufstrebenden Klostergemeinschaft im burgundischen Cluny einen heiligen Abt zu bescheren. Im Frühling 994 machte sich der alte Cluniazenserabt Maiolus, der bereits seit vier Jahrzehnten der Gemeinschaft vorstand, auf seine letzte lange Reise. Zweck dieser Reise nach Paris, zu der ihn der französische König unaufhörlich gedrängt hatte, waren Gespräche über die Reform des Königsklosters Saint-Denis. Maiolus erreichte die Stadt an der Seine nicht mehr. Am 11. Mai 994 starb er in Souvigny. Die cluniazensische Gemeinschaft begann sofort, ihren langjährigen Abt als Heiligen zu verehren. Bald ging die Kunde von Wundern, die sich an seinem Grab zutrugen. Cluniazensische Schriften schilderten sein von Heiligkeit geprägtes Leben. Sie leisteten damit einer Verehrung des Maiolus weiter Vorschub. Als das Heilige Feuer im Jahre 997 wieder aufgetaucht war, zogen der Darstellung des burgundischen Mönchs Rodulf Glaber zufolge Scharen von Menschen in der Hoffnung auf Heilung zum Grab des Maiolus. Dort wie auch an den Grabstätten des heiligen Martin in Tours und des 993 heilig gesprochenen Bischofs Ulrich von Augsburg ereigneten sich nach den Worten Glabers viele Wunderheilungen. Ein solches Geschehen konnte nicht ohne Folgen bleiben und schon wenig später scheint dem verstorbe-
Syphilis und Englischer Schweiß
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nen Cluniazenserabt seine Kanonisation zuteil geworden zu sein. Obwohl keine Schriftzeugnisse seiner Heiligsprechung die Zeiten überdauert haben, bezeichnet ihn eine päpstliche Urkunde vom 22. April 998 bereits ausdrücklich als den heiligen Maiolus. Nach der Jahrtausendwende folgten bereits die nächsten Missernten. Im Jahre 1006 herrschte nach dem Bericht der Hildesheimer Annalen allerorts großer Hunger. Der bereits zitierte Rodulf Glaber fügt hinzu, die Not sei derart groß gewesen, dass die Hungernden nicht vor dem Verzehr ihrer eigenen Angehörigen zurückgeschreckt seien. Auch der benediktinische Mönch Sigebert von Gembloux verweist in seinem Geschichtswerk auf eine Hungersnot und eine anschließende krankheitsbedingte Massensterblichkeit. Rund achtzig Jahre später sollte er Augenzeuge massenhafter Mutterkornvergiftungen in Lothringen werden, die er eindringlich beschreibt. Das Jahr 1089 sei besonders im westlichen Teil Lothringens ein Jahr der Pest gewesen, hebt sein Bericht an. Nach seinen Worten verfaulten dort viele, deren Inneres das Heilige Feuer verzehrte, an ihren zerfressenen und schwarz wie Kohle werdenden Gliedern. Entweder starben die Unglückseligen elendig oder setzten ein noch elenderes Leben fort, nachdem ihre verfaulten Hände und Füße abgetrennt waren. Zahlreiche Kranke wurden von nervösen Krämpfen gequält. Der Berichterstatter erlebte die gespenstische Szenerie indes 1089 nicht zum letzten Mal. Nur fünf Jahre später loderte das Heilige Feuer ein weiteres Mal auf und zeitigte die gleiche erschreckende Wirkung. Massenhafte Mutterkornvergiftungen mit hohen Opferzahlen kamen auch noch im 12. Jahrhundert vor. Im Jahre 1128/1129 ereignete sich eine hohe Sterblichkeit in und um Paris. Allmählich jedoch erfuhren die Strukturen der Auseinandersetzung mit dem Heiligen Feuer einen grundlegenden Wandel. Die Bruderschaft des Heiligen Antonius, gegründet in dem kleinen Dorf LaMotte au-Bois in der Dauphiné, nahm sich nun der Leidenden an.
8. Zwei neue Infektionskrankheiten: Syphilis und Englischer Schweiß Das medizinische Mittelalter endete weder mit der Entdeckung der neuen Welt im Jahre 1492 noch mit dem Beginn der Reformation. Die hygienische Situation in den Städten blieb auch weiterhin unverändert. Die bedrohlichen Infektionskrankheiten stellten nach wie vor die gleichen Herausforderungen an die Gesellschaft. Zwei neue Infektionskrankheiten tauchten zwischen dem Ende des 15. und der Mitte des 16. Jahrhunderts erstmals im Reichsgebiet auf.
a) Die Syphilis Im gleichen Jahr habe sich in diesen Landen eine zuvor nicht gesehene Krankheit gezeigt, die man St. Jobs Krankheit nenne, berichtet die so genannte Koelhoffsche Chronik unter den Ereignissen des Jahres 1496. Ob-
Ausbreitungswege
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Die großen medizinischen Bedrohungen
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Behandlung
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wohl zahlreiche Menschen von der neuen Krankheit befallen wurden, seien doch nur wenige an ihr gestorben, fährt die Schilderung fort. Gleiches vermeldet – zweifelsohne gestützt auf seine Kölner Vorlage – der Dortmunder Chronist Dietrich Westhoff. Bei ihm jedoch trägt das zuvor unbekannte Phänomen den Namen, den ihm die Zeitgenossen bald nach seinem ersten Auftauchen zuerkannt hatten: der Franzosen krenckde. Die „Französische Krankheit“, später nach dem unglückseligen Protagonisten eines Lehrgedichts des Veroneser Arztes und Humanisten Girolamo Fracastoro (ca.1478–1553) auch Syphilis genannt, war wahrscheinlich von der Schiffsbesatzung des Columbus aus der Neuen Welt eingeschleppt worden. In Europa bislang unbekannt, bahnte sie sich innerhalb einer von Resistenzen noch freien Population in einer für die so genannten virgin soil epidemics typischen Weise schnell ihren Weg. Ins deutschsprachige Reichsgebiet war die Geschlechtskrankheit offenbar durch zurückkehrende Landsknechte gelangt, die im Gefolge des französischen Königs Karl VIII. den Feldzug nach Italien begleitet und sich im Heerlager vor Neapel mit der neuen Seuche infiziert hatten. Sie nannten die Krankheit daher Mal de Naples, doch für den deutschsprachigen Raum wurde sie die Französische Krankheit, die die Landsknechte aus Frankreich nach Deutschland getragen hätten. Jedoch erst nach der Mitte des 16. Jahrhunderts war allgemein bekannt, dass es sich bei dieser neuen Seuche um eine vor allem auf geschlechtlichem Wege übertragbare Krankheit handelte. Die autobiographischen Aufzeichnungen des Kölners Hermann von Weinsbergs belegen, dass sich um die Jahrhundertmitte die Erkenntnis über die direkten Zusammenhänge zwischen Syphilis und Geschlechtsverkehr tatsächlich durchgesetzt hatten. So erzählt der Autor, er habe 1537, im Alter von 21 Jahren, seine ersten sexuellen Erfahrungen bei einer Prostituierten namens Trein Hoestirne gesammelt. Auch später habe er noch vier- oder fünfmal in trunkenem Zustand mit Huren verkehrt. Ganz ohne Furcht geschah die Befriedigung seines Triebes allerdings nicht. Da doch die Franzosenpocken oder die spanische Krankheit noch immer gewaltig regierten, so unterstreicht er, und sich viele durch ihre sexuellen Vergnügungen infizierten, habe er dem Allmächtigen dafür gedankt, dass er ihn vor der Seuche bewahrt hätte. Andernfalls sei er kaum unbeschadet davon gekommen. An den Abschluss seines Berichts stellt er die Mahnung an alle Eltern, sorgsam Obacht auf den Wandel ihrer Kinder zu haben, damit sich diese nicht leichtfertig in Gefahr begäben. Die Verbindung zwischen sündhaftem Tun und gerechter göttlicher Strafe, die in Weinsbergs Worten anklingt, charakterisiert in treffender Weise die allgemeine Auffassung der Zeitgenossen über die Natur der Syphilis. Adelige Kreise, in denen die Syphilis offenbar besonders weit verbreitet war, tauschten vermeintlich probate Therapieempfehlungen untereinander aus. So schickte beispielsweise Herzog Wilhelm von Jülich-Berg am 21. Januar 1497 ein Rezept zur Behandlung der nuwen krenckte, der neuen Krankheit, an den Junker von Wied. Auch die Geistlichkeit war gegen die Syphilis nicht gefeit. Im Fürstbistum Minden fiel ihr gar der exponierteste Vertreter des Klerus Bischof Heinrich III. aus dem Hause Schaumburg (1473–1508) zum Opfer. Der Mindener Chronist und Ratsherr Heinrich
Syphilis und Englischer Schweiß
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Piel bemerkt zu dem Vorfall unter anderem, die Krankheit sei erst kürzlich aus Spanien über Frankreich nach Deutschland gekommen und werde auch die bosen pochen genannt. In der Stadt an der Weser verfügte man zu dieser Zeit offenbar noch nicht über medizinische Kenntnisse zur Behandlung der Krankheit geschweige denn wie in manchen süddeutschen Städten über eigene Einrichtungen zur Versorgung der Infizierten. Die Ärzte, so hebt der Autor hervor, hätten noch keine Arznei gegen die neue Krankheit gekannt. Neben Ärzten und Wundärzten suchte auch die Bevölkerung nach geeigneten Heilmitteln gegen die Geschlechtskrankheit. Dabei machte mancher Zeitgenosse auch vor makaberen Zubereitungen nicht halt. Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt, wie ein Fall aus dem Köln des Jahres 1504 zeigt. Mithilfe des zu Pulver verbrannten Körperteils eines Gehenkten versuchte eine gewisse Beyll Schincken die Behandlung der französischen Pocken. Als die Beschaffung dieser „Substanz“ scheiterte, wurde das benötigte Gliedmaß durch das Ausgraben einer Leiche beschafft. Die Behandlung mit dem vermeintlichen Heilmittel hatte der Patientin jedoch laut Aussage des Verhörprotokolls unsägliche Schmerzen bereitet. Ebenso schmerzhaft und gefährlich, wenngleich weniger spektakulär, verlief im 16. Jahrhundert die von Wundärzten durchgeführte Syphilisbehandlung mit Quecksilber. Obwohl die Therapie trotz der mit ihr verbundenen Qualen bisweilen durchaus effizient gewesen zu sein scheint, überstanden nicht alle Patienten die Behandlung lebend. Langwieriger und kostspieliger, wenngleich nicht allein für gutbetuchte Patienten erschwinglich, war eine Behandlung mit dem von dem selbst an der Syphilis erkrankten Ritter Ulrich von Hutten hoch gepriesenen Guajakholz. Das Verhörprotokoll des Kölner Baders Diederich von Wylich, der Behandlungen Syphiliskranker vornahm, gibt einen Eindruck von den Bedingungen der Kur unter ärmlichen Verhältnissen. Mehrere Patienten mussten sich ein Bett teilen. Die Dauer der Kur betrug zwischen zwei und drei Wochen, während derer Wylich dreimal täglich einen Sud aus verschiedenen Hölzern verabreichte. Diese hatte er in der Apotheke erstanden. Heiß zu sich genommen, wirkte die Mixtur schweißtreibend. Auf diese Weise, so versicherte der Verhörte, könne man auf den Gebrauch von Salben gänzlich verzichten, da die Franzosenpocken durch die Anwendungen von allein abfielen.
b) Der Englische Schweiß Im Sommer des Jahres 1529 brach in Mittel- und Nordeuropa eine epidemische Krankheit aus, die noch nie zuvor aufgetreten war. Sie war 1485 im Heer Heinrichs von Richmond, des späteren Königs Heinrich VII., erstmals aufgetreten und hatte 1507 und ein weiteres Mal 1518 in England zahlreiche Opfer gefordert. Auf Irland oder gar das europäische Festland hatte sie noch nicht ausgegriffen. Die offenbar hochinfektiöse und rasch tötende Krankheit äußerte sich zeitgenössischen Berichten zufolge nach einer Inkubationszeit von ein bis zwei Tagen durch Schüttelfrost, hohes Fieber, Herzrasen, Magenkrämpfe und schließlich das Ausbrechen eines übelriechenden Schweißes.
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VI. Einfallstor: Hafen
Über das Einfallstor der Hafenstadt Hamburg erreichte die nach ihrem Ursprungsort und einem ihrer Leitsymptome Englischer Schweiß oder sudor anglicus benannte Seuche den Kontinent. Vermutlich von einer aus England zurückkehrenden Schiffsbesatzung eingeschleppt, wurde die Schweißseuche am 25. Juli erstmals in der Hansestadt spürbar. In der Folgezeit verbreitete sie sich schnell über das ganze deutschsprachige Reichsgebiet, die niederländischen Gebiete, das Elsass, Skandinavien und das Baltikum. Die betroffenen Städte sandten Botschafter in die Umgegend aus, die über die Erfahrungen im Umgang mit der Seuche berichteten. Indem man die Befallenen mit allerlei Martern wie etwa Nadelstichen und Schlagen mit Ruten am Einschlafen hinderte und das Fieber zu senken versuchte, konnten nach Beobachtung der Betroffenen Erkrankungen überlebt werden. Dieses Wissen wurde nicht allein in Sendschreiben anderen Gemeinwesen mitgeteilt. Bisweilen, so im niederrheinischen Wesel, fanden sich auch Personen aus solchen Städten, die den Englischen Schweiß bereits überstanden hatten, zur Hilfe in anderen Kommunen bereit. Der Englische Schweiß forderte zahlreiche Opfer. Er war jedoch eine der wenigen gefährlichen Infektionskrankheiten, gegen die Obrigkeiten und Bevölkerung wirkungsvoll mit den zur Verfügung stehenden Mitteln vorgehen konnten. Nach ihrem verheerenden Zug durch das Reichsgebiet im Jahre 1529 brach die Seuche nie mehr außerhalb Englands aus. Dort trat sie 1551 noch einmal auf und verschwand danach aus bis heute ungeklärten Gründen für immer.
9. Zusammenfassung Epidemisch wirkende gefährliche Infektionskrankheiten, insbesondere die aufgrund ihrer Letalität alle anderen weit übertreffende Pest, verursachten mit Abstand die größte Mortalität unter der mittelalterlichen Bevölkerung. Die größte Massensterblichkeit löste um die Mitte des 14. Jahrhunderts der schwarze Tod aus. Im vormikrobiologischen Zeitalter griff man zur Erklärung der massiven Sterblichkeit auf die Grundlagen der Säftelehre und die Miasmentheorie, die Vorstellung von krankheitserregenden schlechten Ausdünstungen, zurück. Das 1348 entwickelte Pesthauchmodell des italienischen Arztes Gentile da Foligno stellte die Miasmen ebenso in den Mittelpunkt seiner Erklärung für den Ausbruch des schwarzen Todes wie das Pariser Pestgutachten. Die medizinische und gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit der Pest war im vormikrobiologischen Zeitalter vor allem von Hilflosigkeit geprägt. Eine zentrale Rolle spielte die religiöse Bewältigung des Massensterbens. Die städtischen Obrigkeiten entwickelten gemeinsame, aber auch individuelle Strategien im Umgang mit der Seuche. Herausragendes Beispiel ist die Einführung der Quarantäne in Venedig. Wirksame Mittel zur Behandlung standen nicht zur Verfügung. Die Flucht galt in Anlehnung an die Empfehlungen der antiken Autoritäten als einzig probate Maßnahme. Die Lepra hielt sich jahrhundertelang endemisch und rief die umfas-
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Zusammenfassung
VI.
sendste institutionelle Reaktion hervor. Im Gegensatz zur Pest und anderen Seuchen, die allerorts Leichenberge hinterließen, blieb sie das Schicksal Einzelner. Das Heilige Feuer oder Antoniusfeuer ist keine Infektionskrankheit, sondern eine Vergiftung mit Mutterkorn. Zwischen dem 9. und dem 12. Jahrhundert kam es jedoch zu Massenvergiftungen mit zahlreichen Todesopfern. Zwischen dem Ende des 15. und der Mitte des 16. Jahrhunderts zeigten sich erstmals zwei neue Infektionskrankheiten, die epidemisch auftraten: Die auf geschlechtlichem Wege übertragene Syphilis und der Englische Schweiß. Der Englische Schweiß trat auf dem europäischen Festland in einer einzigen Welle 1529 auf. Die Syphilis wirkte als virgin soil epidemic zunächst aggressiv und in epidemischem Ausmaß, wurde aber in der Folgezeit endemisch. Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln war mit Einschränkungen eine wirksame Behandlung beider Krankheiten möglich.
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VII. Quellenanhang 1. Aus dem Schreiben des Rates von Soest an den Rat von Neheim in der Angelegenheit des Wundarztes Meister Gort, 1510 Stadtarchiv Soest, A HS 82, S. 31. Mester Gort unse stadt wuntartzede hewen uns tor kennen gegewen, wo hey durch bede Juwes medeborgers Johann Smedes dochter eyn beyn dat ir heer byster ton doide gewundet und sie em ganz umbfenget was, mit groter anxt und arbet geheylet geleschet und so er lyfft und leben mit hulpe godes geredtet hatte. 2. Antwortschreiben des Soester Rates an Köln betreffend die Schulden des Stadtarztes Portfleyth, 1528 Stadtarchiv Soest, A HS 82, S. 333. Wij schrifft mit ingelachter supplication des ersamen Meyster Andries van Sittard aptiker melden, den wendtigen hogelerten Joh. Portfliet doctor to vermögen, em betalinge doin wille, an uns gesamt, hebn wy entfangen und denselben vorgehalden de uns dar to hewet geantwort, he were vermoidens geweyst, dem genannten apticker so lange nicht schuldich syn wertligen, to deyle seyn immerhin noch mighten deyls bey em un were bruykt Syit u. Sist nicht to gelde heb moigen kommen, gegen betalinge doin konnen, als he auch nach nicht vermoige, dan gutlichen begern mit em to verleyden to vertruwet em genslich de eyn helffth up negst kommen kristmeysse und de andere up midfasten dair negst volgend to betalen, wij he uns also berichtet huwet, wij J.E. de got almechtich in aller warheit uns gunstlich begern, dass to gutlichen antword nicht hebn wullen verhalden, dem genandten Andries wert vor to halden, sich solange zu dulden. 3. Empfehlungsschreiben des Apothekers Niclas von Augsburg an den Münchener Rat für den Wundarzt Ulrich Prunning, 1453 Stadtarchiv München, Historischer Verein, Urk. 5443 1/2. Ersamen fursichtigen und weysen lieben herren mein willig und berait dienst. Wiss ewer weyshait allezit zuuor lieben herren der Erber maister ulrich prunning/statt wundartzt zu Augspurg hat mir gesagt wie das er an euch geworben hat, das er gern Euer Statt wundarzt zu münchen sein wolt. Nu ist der selb maister ulruich gar ain Erber redlich man und ein guter arzt der sich der ding wol verstet. Also bitt ich euch euer weyshait mit sunderm fleiß ernstlich, Ir wolt in umb meiner willigen dienst willen zu solichem gnediklichen ufnemen und euch so fruntlich gen Im zu beweysen. Als ich euch das wol getrau und mit gantzen willen vun euch und die euern auch gern verdienen will dann mir nit zweivelt der selb maister ulrich euer Ersamkeit zu gevallen sein und wol dienen, da mit Arm und Reich ain lieb zu Im beschen sol.
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Quellenanhang 4. Ein Rezept zur Vorbeugung gegen die Pest Aachen, Domarchiv, XVIII. Heilmittel und Recepte zur Reinigung des Blutes, wenn die Pest regiert, Nr. 3, undatiert. Einen drank zu machen wan einem die pest ahn stait Man sol nhemen Golt wuertzel kraudt (golt blomen seindt eben gudt), […], weinrauch, van eders ein handt woll, sieden das mitt ein quardt guden wein erstlich woll zu gedeckt bis auff die helfft. Darnach durch ein doich gewrongen, dan in ein glahs. In die son zu distelieren gesatzt. Wan einem dan die kranckheit ahnkumpt, sol so groiß alß i hasenuss innhemen, und des dranks in roemerung her waren, drauff drinken. Dieser drank helt sich ein jair. Vur das dienst volck umb kleiner kosten ein handtvol viegen, groeß nuss und weinraus auch jeters ein handtvoll deriackell vi loidt. Diß sol man widerum stoißen und morgens groiß in nhemen. 5. Erlass des Aachener Rates gegen das Geißeln und zur Verhinderung der Seucheneinschleppung 1349/1350 Stadtarchiv Aachen, RAI R. I, Nr. 8, undatiert. Der raoid von Aoighen hait sich eyndreichtlich uysgedragen umb gemeyns besten wille, dat so willich vreymde mynsche, hee sij man off wijff, de mit diesser nuewer suechden beladen were, zuo Aoighen queme, die en seulden dao niet langer bliven dan eynen dagh ind eyne naicht; ind bleve yeman dar en baoven in der stat, an die seulde als vort der richter die hant sloin ind die halden ind dao mede doen, als der raid des overdragen hait. Huoysde off hoevede sij eynich burger off burgerse langer, dat man gemeisschen off fvernemen kuonde, de off die seulden sij weren man off wijff, eyn gantz joir, die stat ind dat rijch van Aoighen verloeren haven, niet dar bynnen ze coemen, ind seulden dar zuo dat besseren ee sij widder incoemen moechten, gelijch der raoid des overdragen hait. Vort alle die burgere, burgerese off ingesessen lude van Aoighen, die mit diesser nuewen suechden beladen were, die sullen mallich in der graoschaff bliven, dao hee in gesessen ind woenatich were, ir pyne dao bynnen guetlich zu lyden, ind were yeman van diessen, de gebrech van syme noetart leede, dat sall der raoid doen bestellen, dat die ir notart hedden ind unverderplich blyven. Vort hait sich der raoid umb des gelouven der heilligen kirchen ind overmitz verbot unss geistlichen vaders des poifs uysgedragen, dat egein mynsche, hee sij heymsche off vreymde, sijch bynnen der stat nocht in deme rijche van Aoighen geysselen en sall; ind breche dat yeman, he were we hee were, de seulde uysser stat in das rijch van Aoighen eyn gantz jair sijn ind dat richten, als der raoid des overdragen hait, es sij widder in coemen moechten. Vort en sall egein vrymde man zuo Aoighen coemen sijch zu geysselen; ind queme yeman dar boeven zuo Aoighen, an die seulde als vort unverzoicht der richter die hant sloin in die halden, dao mede doen, als der raoid des overdragen hait.
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Quellenanhang 6. Auszug aus der Bestätigung der Stiftung der Aegidii-Elende durch Bürgermeister und Rat der Stadt Münster am 6. März 1475 Stadtarchiv Münster, Elende Aegidii, Urk. 3a. In den namen und to eren und to denste Godes barmherticheit. Wy borgermestere und raid der stad Munster doet kundich allen luden, so uns vorgebracht is, dat Machorius Veghesack seliger dechtnisse uth gotliker medelydent der armen ellenden knechte und meghede, de in pestilencien off ander bekleyveden zuken in unser stad befallen, dar to geschicket hevet en deil van synen gude, dat man eyn herberghe, tovlucht und waringe mochte hebn vor soliche krancken to ewighen daghen in guder hoede, na unser und des solven Machorii hantgetruwen Conradi Polmans, Berndz Haghedorn, Johan Plonyeß und Johan Totters, unser borgern, van em ghesat, verbeteringe und raide. Ock mede hevet beghert, so lange der hantgetruwen welick levet, dat in unser und erer macht to blyven und to besorghen, dat de ghene, de dar in dat hus to wonen qwemen, solcher krancken, als dar in qwemen, nyner waringe off troestes weighere, by underscheide und peene, so wy und ze meynen, syner zele und den krancken dat aller prosytlickt sy. 7. Neue Ordnung des Leprosenhauses von Soest, 14. Jahrhundert Stadtarchiv Soest, A 9363. Kondich sy allen luden, dar disse breyf ankomet, dat wij, Burg[er]meiste[re] und Rade van Soest /, eyndrechtlichen eyns geworden synt, dat dey geyne, dey van godes verhenkenisse mit der malatzer / zucht beuangen is, inghan sal der marbekerhuys bute[n] Soest, dar mit den ande[re]n kranke[n] to wonede / und to bliuene. Und winte dese krankheit arme[n] und riken lijk an kome[n] mach und ((k))omet, so sal / eyn juwelich, rijk eder arme, wan hey irst in dat huys komet, geue[n] vr syne[n] deynst ses schillinge / und I pu[n]t wasses to geluchte und ij d deme p[re]ste[re], dey dar tor tyt singet. Geue dey ghene wat / boue[n] dit vrg[erorde] gelt, des ensoldeme[n] under den armen nicht de[e]len, me[e]r me[n] soldet dem ho[e]fmeiste[re] / der vrg[erorden] kranke[n] lde antworden in gemeyne nt to kerene. Och so sette wij, dat me[n] arme[n], / dey neyn gt en hebben, dar in sal neme[n], und de riken, dey en darf me[n] dar nicht inneme[n], et / en sy dat sij so veil mit en{e}n bringe[n] dat et sij in vru[n]tschapen der ho[e]fmeiste[re] und der armer lude, / also dat he sin leue dage sich dar van behalden und vo[e]den moge. Ouch so ensalme[n] dar nymant / in neme[n], he sey rijk eder ar[e]m, dey in dey kerspele van Soest nicht enhor[e]t, et ensij, dat he dat / hebben moge van genade[n] des Rades und des vormunder[e]s der vurg[erorden] kranke[n] lude. Vortmer / alle dey kranke[n], dey nicht to bedde enligge[n], dey solen io [sic!] des dages ere misse hore[n] und ensole[n] / dar neyn vorder beschuddinge to hebbe[n], et enwe[re], dat siji in arbeyde umbnt wille[n] des huyses / wer[en]; anders neynewijs solen sey sich schuldegen. Wey dez nicht endede[n], dat sij dez dages ere / misse nicht enho[e]rden, so en sal me[n] eme sine proende dez dages nicht geue[n]. Were aer, dat / wey dar ume misdede und dar umbe beschuldiget und verwonne[n] worde, wolde des
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Quellenanhang nicht / betere[n] na rade des vormu[n]ders und dez p[re]sters, dey dar sete, so solde he sijnre prouende / enberen asle lange, winte he dat beterede na Rade dez vormu[n]ders und des p[re]sters. Vur / storue ouch der kranker lude willich, wat dey acht[er] lete an korne efte an andere[n] gude, dat is / des hses int gemeyne und dat ensalme[n] under den kranke[n] nicht delen.
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Auswahlbibliographie Nachschlagewerke Eckart, W.U./Gradmann, C. (Hrsg.): Ärztelexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin/Heidelberg ²2001. Kleiner, kompakter Band, der Daten über die wichtigsten Ärzte liefert sowie Quellen und weiterführende Literatur nennt. Eckart, W. U.: Geschichte der Medizin, Berlin/Heidelberg ³1998. Komprimierte, epochenübergreifende Einführung in die Medizingeschichte. Jacquart, D.: Le milieu médical en France du XIIe au XVe siècle. En annexe 2e supplément au «Dictionnaire» d`Ernest Wickersheimer, Genf 1981 (Hautes études médiévales et modernes 46). Statistische Auswertung des von dem elsässischen Medizinhistoriker Ernest Wickersheimer zusammengetragenen biographischen Datenmaterials über Heilkundige im mittelalterlichen Frankreich (s. u.) nebst zweiter Fortsetzung dieses Werkes. Koren, N.: Jewish Physicians: A Biographical Index, Jerusalem 1973. Biographisches Verzeichnis jüdischer Heilkundiger. Nicht allein auf das Mittelalter beschränkt. Porter, R.: The Cambridge Illustrated History of Medicine, Cambridge 1996. Mit zahlreichen Abbildungen versehener Überblick der Medizingeschichte. Schipperges, H. (Hrsg.): Geschichte der Medizin in Schlaglichtern, Mannheim/Wien/Zürich 1990. Kompakte, epochenübergreifende Gesamtdarstellung der Medizingeschichte mit umfangreichem Glossar und zahlreichen Abbildungen. Talbot, C.H./Hammond, E.A.: The Medical Practitioners in Medieval England, London 1965. Biographisches Wörterbuch zu den Heilkundigen im mittelalterlichen England. Toellner, R. (Hrsg.): Illustrierte Geschichte der Medizin, 6 Bde., Augsburg 2000. Deutsche Bearbeitung des französischen Werkes von Jean Charles Sournia, das reich bebildert eine gute Einführung in alle Bereiche der Medizin von der Antike bis in die Gegenwart liefert. Wickersheimer, E.: Dictionnaire biographique des médecins en France au Moyen Age. Nouvelle édition sous la direction de G. Beaujouan, Genf 1979 (Hautes études médiévales et modernes 34/1,2). Neudruck des 1936 in Paris erschienenen Klassikers, der Informationen über Hunderte von Heilkundigen im mittelalterlichen Frankreich bietet – darunter auch Medizinstudenten aus dem deutschsprachigen Reichsgebiet.
Wickersheimer, E.: Supplément, hrsg. v. D. Jacquart, Genf 1979 (Hautes études médiévales et modernes 35). Erster Supplementband zum umfassenden biographischen Wörterbuch von Wickersheimer. Überblickswerke Baader, G./Keil, G. (Hrsg.): Medizin im mittelalterlichen Abendland, Darmstadt 1982. Aufsatzsammlung, die verschiedene Aspekte der mittelalterlichen Medizin beleuchtet. Getz, F.: Medicine in the English Middle Ages, Princeton 1998. Studie zur Gestalt des Medizinalwesens im mittelalterlichen England mit zahlreichen Fallbeispielen. Jankrift, K.P.: Mit Gott und Schwarzer Magie. Medizin im Mittelalter, Darmstadt 2005. Reich bebilderter Band, der den Kranken in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt und dessen Leiden vom Kindes- bis zum Greisenalter anhand von Quellen nachzeichnet. Metzler, I.: Disability in Medieval Europe. Thinking about Physical Impairment during the High Middle Ages, c. 1100-1400, London 2006. Grundlegende Studie über den Umgang mit chronisch und Schwerstkranken im Mittelalter. Ohler, N.: Sterben und Tod im Mittelalter, Düsseldorf 2004 München. Kompakte Übersicht über die Vorbereitung mittelalterlicher Menschen auf den Tod und Aspekte der Bestattung, die zahlreiche Hinweise auf den Umgang mit Krankheit enthält. Reddig, W. F.: Bader, Medicus und Weise Frau. Wege und Erfolge der mittelalterlichen Heilkunst, München 2000. Einführung in die mittelalterliche Medizin mit zahlreichen Abbildungen. Rawcliffe, C.: Medicine and Society in Later Medieval England, Stroud ²1997. Behandelt unter sozialgeschichtlichen Gesichtspunkten die Entwicklung des Körperbildes und der heilkundlichen Praxis im spätmittelalterlichen England. Scheutz, M. u. a. (Hrsg.), Europäisches Spitalwesen in Mittelalter und Früher Neuzeit, Wien 2008 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Ergänzungsband 51). Sammelband mit Handbuchcharakter. Schipperges, H.: Die Kranken im Mittelalter, München ³1993. Gut lesbare Einführung, die eine Erläuterung der mittelalterlichen Krankheitskonzeptionen und Wege der Behandlungen in den
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Auswahlbibliographie Mittelpunkt stellt sowie einen Akzent auf die Medizin im islamischen Kulturraum setzt. Schipperges, H.: Der Garten der Gesundheit. Medizin im Mittelalter, München 1990. Einführung in die Grundlagen mittelalterlichen Medizinverständnisses. Shatzmiller, J.: Jews, Medicine and Medieval Society, Berkeley 1994. Kompakte Darstellung zur Rolle jüdischer Heilkundiger in der mittelalterlichen Gesellschaft mit den Schwerpunkten Iberische Halbinsel, Südfrankreich und Italien. Siraisi, N.G.: Medieval and Early Renaissance Medicine, Chicago 1990. Spannend zu lesender Überblick zur Entwicklung des mittelalterlichen Medizinalwesens. Quellen Arnaldi de Villanova Opera medica omnia, 15 Bde., Barcelona 1975 ff. Gesamtausgabe der medizinischen Schriften Arnalds von Villanova. Bein, T. (Hrsg.): Wider allen den suhtin. Deutsche medizinische Texte des Hoch- und Spätmittelalters. Eine Anthologie, Stuttgart 1989. Kleine Auswahl medizinischer Texte mit Kommentar. Bergdolt, K. (Hrsg.): Die Pest in Italien 1348. 50 zeitgenössische Quellen, Heidelberg 1989. Auswahl von Quellen zum schwarzen Tod in Italien in deutscher Übersetzung. Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, 5 Bde, bearb. v. K. Höhlbaum [Bd. 1 u. 2], F. Lau [Bd. 3 u. 4], J. Stein [Bd. 5], Leipzig/Bonn 1886 – 1926 [Neudruck Düsseldorf 2000] (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 2, 3 u. 16). Aufzeichnungen des Kölner Ratsherrn Hermann Weinsberg (1518 – 1598) mit zahlreichen Hinweisen auf Erkrankungen und Behandlungen. Hans von Gersdorff, Feldbuch der Wundarznei, Osnabrück 1981 (Literaturdenkmäler der Medizinund Pharmaziegeschichte). Neudruck des 1517 in Straßburg erstmals gedruckten „Feldtbuchs“. Hildegard von Bingen: Heilkunde. Das Buch von dem Grund und Wesen der Heilung der Krankheiten. Übersetzt und erläutert von H. Schipperges, Salzburg 1957. Hildegard von Bingens zentrales medizinisches Werk in deutscher Übersetzung mit Kommentar. Joubert, L. (Hrsg.): Chirurgia magna Gvidonis de Gauliaco, Lyon 1585. Neudruck Darmstadt 1975, mit einem Vorwort von G. Keil. Guy von Chauliacs weit verbreite „Große Chirurgie“. Keil, G.: Die Cirurgia Peters von Ulm. Untersuchungen zu einem Denkmal altdeutscher Fachprosa mit kritischer Ausgabe des Textes, Ulm 1961 (For-
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schungen zur Geschichte der Stadt Ulm 2). Exemplarische Edition eines mittelalterlichen Textes zur Wundarznei. Le Grand, L.: Statuts d Hôtels-Dieu et de léproseries, Paris 1901. Auswahl mittelalterlicher Statuten französischer Hospitäler und Leprosorien. - -ı (Rhazes). Über die PoOpitz, K. (Hrsg.): Ar-R az cken und Masern, Leipzig 1911. Deutsche Über- ıs - bedeutender Schrift. setzung von ar-Raz Scheutz, M. (Hrsg.), Quellen zur europäischen Spitalgeschichte in Mittelalter und Früher Neuzeit, Wien 2010 (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 5). Umfangreiche Quellenauswahl. Stoll, U.: Das Lorscher Arzneibuch. Ein medizinisches Kompendium des 8. Jahrhunderts (Codex Bambergensis Medicinalis 1). Text, Übersetzung und Fachglossar, Stuttgart 1992 (Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte, Beiheft 28). Vorbildliche kritische Textausgabe des bedeutenden Arzneibuches. Literatur zu einzelnen Kapiteln
I. Im Spiegel der Quellen Jones, P. M.: Heilkunst des Mittelalters in illustrierten Handschriften, Stuttgart 1999. Sammlung herausragender Bildquellen mit erläuterndem Kommentar. Manchester, K./Roberts, C.: The Archaeology of Disease, Bradford/New York 1983. Stellt die Rolle der Archäologie für die Erforschung von Krankheitserscheinungen in vergangenen Gesellschaften anschaulich dar. Quellen zur Geschichte der Medizin in der Reichsstadt Köln. Ein sachthematisches Inventar für vier Jahrhunderte (1388 – 1798), bearb. v. M. B. Rößner-Richarz nach Vorarbeiten von U. Simon, I. Tietz-Lassotta und J. Ziese, Köln 1998 (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv Köln 78). Einzigartiges und in deutschen Archiven bisher einziges Findmittel seiner Art, das aufgrund seiner Systematik die Suche nach Archivalien zur Geschichte von Krankheit und Heilkunde im Historischen Archiv der Stadt Köln ausgesprochen erleichtert.
II. Die Grundlagen der mittelalterlichen Medizin Aumüller, G. u. a. (Hrsg.): Der Dienst am Kranken. Krankenversorgung zwischen Caritas, Medizin und Ökonomie vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Geschichte und Entwicklung der Krankenversorgung im sozioökonomischen Wandel, Marburg 2008. Versammelt Studien zur Krankenpflege mit
Auswahlbibliographie besonderem Blick auf das Wirken der Heiligen Elisabeth und die Hohen Hospitäler in Hessen. Baader, G.: Galen im mittelalterlichen Abendland, in: Galen. Problems and Prospects. A Collection of Papers Submitted at the 1979 Cambridge Conference, hrsg. v. V. Nutton, London 1981, S. 213 – 228. Setzt sich erläuternd mit der Galen-Rezeption auseinander. Grmek, M. D. (Hrsg.): Die Geschichte des medizinischen Denkens. Antike und Mittelalter, München 1996. Zeigt in chronologisch geordneten Aufsätzen vor allem die Entwicklung theoretischer Lehrmodelle auf. Jankrift, K. P.: Kräfte zwischen Himmel und Erde. Magie in mittelalterlichen Krankheitskonzeptionen, in: Hexerei und Krankheit. Historische und ethnologische Perspektiven, hrsg. v. W. Bruchhausen, Münster 2002; S. 23 – 46 ( Medizin und Kulturwissenschaft. Bonner Beiträge zur Geschichte, Anthropologie und Ethik der Medizin 1). Setzt sich mit der Bedeutung der Magie in Krankheitskonzeptionen zwischen dem frühen und späten Mittelalter überblicksartig anhand von Fallbeispielen auseinander. Kieckhefer, R.: Magie im Mittelalter, München 1992. Mit zahlreichen Verweisen auf angehexte Krankheiten und magische Behandlungen auf den Britischen Inseln. Künzl, Ernst: Medizin in der Antike, Stuttgart 2002. Neues Werk, das die Entwicklungen der hellenistischen und römischen Medizin gut verständlich aufzeigt. Schipperges, H.: Die Benediktiner in der Medizin des frühen Mittelalters, Leipzig 1964. Untersucht u. a. die Bedeutung benediktinischer Klöster für die Rezeption antiker Lehren. Schipperges, H.: Die Assimilation der arabischen Medizin durch das lateinische Mittelalter, Wiesbaden 1964 (Sudhoffs Archiv, Beihefte 3). Das Standardwerk zur Frage des Einflusses medizinischer Werke in arabischer Sprache auf das lateinische Mittelalter. Sigerist, H. E.: Anfänge der Medizin. Von der primitiven und archaischen Medizin bis zum Goldenen Zeitalter in Griechenland, Zürich 1963. Klassische Einführung in die antiken Grundlagen der mittelalterlichen Medizin. Strohmaier, G.: Die Rezeption und die Vermittlung. Die Medizin in der byzantinischen und in der arabischen Welt, in: Die Geschichte des medizinischen Denkens. Antike und Mittelalter, hrsg. v. M. D. Grmek, München 1996, S. 151 – 181. Beschreibt die Rezeption hellenistischer Werke in Byzanz und der arabischen Welt und die Weiterentwicklung medizinischer Theorien. Strohmaier, G.: Arabisch als Sprache der Wissen-
schaft in den frühen medizinischen Übersetzungen, in: Mitteilungen des Instituts für Orientforschung 15 (1969), S. 77 – 85. Greift philologische Aspekte der Rezeption arabischsprachiger Werke im Abendland auf. Strohmaier, G.: Avicenna, München 1999. Biographie des bedeutenden Mediziners.
III. Die Zeit der Klostermedizin Duft, J.: Notker der Arzt. Klostermedizin und Mönchsarzt im frühmittelalterlichen St. Gallen, St. Gallen 1972. Das Standardwerk zum Wirken Notkers von St. Gallen. Finucane, R. C.: The Rescue of the Innocents. Endangered Children in Medieval Miracles, New York 1997. Umfassendes Werk über Heilungen kranker Kinder in mittelalterlichen Mirakelberichten. Frohn, B.: Klostermedizin, München 2001. Kompakte, übersichtliche Einführung. Hecht, K.: Der St. Galler Klosterplan, Sigmaringen 1983. Umfassende Erörterung des im Kloster Reichenau entstandenen Idealplanes. Isager, K.: Krankenfürsorge des dänischen Zisterzienserklosters Øm. Cara Insula MCLXXII – MDLX. Eine archäologisch-paläopathologische Untersuchung zur Kenntnis der mittelalterlichen Pathologie und Chirurgie und des Klosters als Heil- und Pflegestätte, Kopenhagen 1941. Gründliche Studie, die anhand der paläopathologischen Befunde den medizinischen Kenntnisstand im Kloster aufzeigt. Müller, I.: Die pflanzlichen Heilmittel bei Hildegard von Bingen, Salzburg 1982. Behandelt in seriöser Weise Hildegards Beschreibungen von Behandlungen mit Heilpflanzen. Schipperges, H.: Hildegard von Bingen, München 1995. Biographie der heilkundigen Äbtissin. Semmler, J.: Die Sorge um den kranken Mitbruder im Benediktinerkloster des frühen und hohen Mittelalters, in: Der kranke Mensch in Mittelalter und Renaissance, hrsg. v. P. Wunderli, Düsseldorf 1986, S. 45 – 59 (Studia Humaniora. Düsseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance 5). Behandelt die Umsetzung der Vorschriften der Benediktsregel im Kontext der Klöster. Stoffler, H.-D.: Der Hortulus des Walahfrid Strabo. Aus dem Kräutergarten des Klosters Reichenau, Sigmaringen 2000. Das neueste Werk zum berühmten Klosterkräutergarten.
IV. Die Entwicklung der medizinischen Bildung Baader, G.: Die Schule von Salerno, in: Medizinhistorisches Journal 3 (1978), S. 124 – 145. Gute Einführungsübersicht.
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Auswahlbibliographie Corner, G. W.: Salernitan Surgery in the Twelfth Century, in: British Journal of Surgery 25 (1937), S. 84 – 99. Erläutert anhand von Beispielen den Stand der Chirurgie im Salerno des 12. Jahrhunderts. Dulieu, L.: La médecine à Montpellier, Bd.1: Le Moyen Age, Avignon 1975. Behandelt zentral auch die medizinische Fakultät der Universität. Fried, J. (Hrsg.): Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, Sigmaringen 1986 (Vorträge und Forschungen 30). Aufsatzsammlung mit Beiträgen u. a. über deutsche Scholaren in Frankreich, das Verhältnis von Kirche und Universität oder die Verbreitung der Lese- und Schreibfähigkeit. Jacquart, D.: Die scholastische Medizin, in: Die Geschichte des medizinischen Denkens. Antike und Mittelalter, hrsg. v. M. D. Grmek, München 1996, S. 216 – 259. Ein kompakter, gelungener Überblick von der Gründung der Schule von Salerno bis zu den geistigen Strömungen des 15. Jahrhunderts. Jankrift, K.P./Steger F. (Hrsg.): Gesundheit – Krankheit. Kulturtransfer medizinischen Wissens von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit , Köln, Wien, Weimar 2004 (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 55). Versammelt grundlegende Studien zum Transfer medizinischen Wissens und medizinischer Konzeptionen. Nicoud, M., Les règimes de santé au Moyen Âge. Naissance d´une écriture médicale en Italie et en France (XIIIe – XVe siècle), 2 vol., Rom 2007(Bibliothèque des Écoles françaises d’Athenes et de Rome. Première série, 333). Standardwerk zur Entwicklung der Regimina-Literatur. Schwinges, R. C.: Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert, Stuttgart 1986. Grundlegende Studie über Studenten aus dem deutschsprachigen Reichsgebiet an den Universitäten. Siraisi, N. G.: Changing Concepts of the Organization of Medical Knowledge in the Italian Universities. Fourteenth to Sixteenth Centuries, in: La diffusione delle scienze islamiche nel Medio Evo europeo, Rom 1987, S. 291 – 321. Thematisiert den Einfluss neuen Wissens aus dem Orient für den universitären Lehrplan in Italien.
V. Der Umgang mit Krankheit im hohen und späten Mittelalter Bulst, N./Spieß, K.-H., Sozialgeschichte mittelalteralterlicher Hospitäler, Ostfildern 2007 (Vorträge und Forschungen 65). Sammlung herausragender Studien zur Sozialgeschichte des mittelalterlichen Hospitalwesens.
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García Ballester, L., La busqùeda de la salud. Sanadores y enfermos en la España medieval, Barcelona 2001 (Historia, ciencia, sociedad 321). Grundlegende Untersuchung zum Gesundheitswesen im mittelalterlichen Spanien. Gros, B. S.: Das Hohe Hospital in Soest (ca. 1178 – 1600). Eine prosopographische und sozialgeschichtliche Untersuchung, Münster 1999 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission Westfalens XXV). Monographie zur Geschichte des Soester Hohen Hospitals mit umfassenden prosopographischen Anhängen. Hiestand, R.: Kranker König – Kranker Bauer, in: Der kranke Mensch in Mittelalter und Renaissance, hrsg. v. P. Wunderli, Düsseldorf 1986, S. 61 – 77 (Studia Humaniora. Düsseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance 5). Widmet sich anhand zahlreicher Beispiele dem Umgang mit Krankheit in verschiedenen sozialen Schichten. Jankrift, K. P.: Leprose als Streiter Gottes. Institutionalisierung und Organisation des Ordens vom Heiligen Lazarus zu Jerusalem von seinen Anfängen bis zum Jahre 1350, Münster 1996 (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter). Zeichnet die institutionelle und organisatorische Entwicklung der Gemeinschaft von den 1130er-Jahren bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Jetter, D.: Das europäische Hospital. Von der Spätantike bis 1800, Köln 1986. Kompaktes, vor allem baugeschichtlich orientiertes Übersichtswerk. Jütte, R.: Zur Funktion und sozialen Stellung jüdischer „Gelehrter“ Ärzte im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Deutschland, in: Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hrsg. v. R. C. Schwinges, Berlin 1996, S. 159 – 179. Grundlegende Studie zur Rolle jüdischer Heilkundiger im spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Deutschland. Jütte, R.: Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit, München/Zürich 1991. Grundlegendes Werk zur medizinischen Alltagskultur am Beispiel des spätmittelalterlichfrühneuzeitlichen Köln mit zahlreichen Fallbeispielen. Jütte, R.: Bader, Barbiere und Hebammen. Heilkundige als Randgruppen, in: Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft, hrsg. v. B.-U. Hergemöller, Warendorf ²1994, S. 89 – 120. Sozialgeschichtliche Studie über Vertreter der so genannten niederen Heilberufe. Kintzinger, M.: Status medicorum. Mediziner in der ständischen Gesellschaft des 14. bis 16. Jahrhun-
Auswahlbibliographie derts, in: Städtisches Gesundheits- und Fürsorgewesen vor 1800, hrsg. v. P. Johanek, Köln/Wien/ Weimar 2000, S. 63 – 91 (Städteforschung, A50). Grundlegende Darstellung der Stellung von Ärzten und Wundärzten besonders anhand von Beispielen aus Augsburg. Knefelkamp, U.: Das Heilig-Geist-Spital in Nürnberg vom 14. – 17. Jahrhundert. Geschichte, Struktur, Alltag, Nürnberg 1989 (Nürnberger Forschungen 26). Profundes Porträt der Einrichtung unter akribischer Auswertung unedierten Quellenmaterials. Knefelkamp, U.: Das Gesundheits- und Fürsorgewesen der Stadt Freiburg im Breisgau im Mittelalter, Freiburg 1981 (Veröffentlichungen aus dem Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau 17). Exemplarische Darstellung der Entwicklung eines städtischen Medizinalwesens. Militzer, K.: Von Akkon zur Marienburg. Verfassung, Verwaltung und Sozialstruktur des deutschen Ordens 1190 – 1309, Marburg 1999. Überblickswerk zur Frühgeschichte des deutschen Ordens mit Verweisen auf die Hospitaltätigkeit. Miller, T.S.: The Birth of the Hospital in the Byzantine Empire, Baltimore 1985. Übersichtswerk zur Entstehung hospitalischer Einrichtungen im Byzantinischen Reich. Mischlewski, A.: Grundzüge der Geschichte des Antoniterordens bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts. Unter besonderer Berücksichtigung von Leben und Wirken des Petrus Mitte de Caprariis, Köln/Wien 1976 (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte 8). Das Standardwerk zur Geschichte der Antoniter. Nolte, C. (Hrsg.), Homo debilis. Behinderte, Kranke, Versehrte in der Gesellschaft des Mittelalters, Korb 2009. Grundlegender Tagungsband zum Umgang mit chronisch und Schwerstkranken Pauly, M.: Peregrinorum, pauperum et alienorum transeuntium receptaculum. Hospitäler zwischen Rhein und Maas im Mittelalter, Stuttgart 2007 (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte 190). Tiefgreifende, quellengestützte Studie zur Entwicklung des Hospitalwesens in regionaler Perspektive mit ausgezeichnetem Kartenteil. Pohl-Resl, B.: Rechnen mit der Ewigkeit. Das Wiener Bürgerspital im Mittelalter, Wien 1996 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 33). Exemplarische Studie, die das Wechselspiel zwischen Stiftung und Memoria in den Mittelpunkt stellt. Riha, O. (Hrsg.), Heilkunde im Mittelalter, Berlin 2005 (Das Mittelalter 10). Zeitschrift mit Aufsätzen zu verschiedenen Aspekten der mittelalterlichen Heilkunde.
Probst, Ch.: Der Deutsche Orden und sein Medizinalwesen in Preußen. Hospital, Firmarie und Arzt bis 1525, Bad Godesberg 1969 [Neudruck: Marburg 1994] (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 29). Grundlegend für die Medizingeschichte des Deutschen Ordens. Reicke, S.: Das deutsche Spital und sein Recht im Mittelalter, 2 Bde, Stuttgart 1931/1932 (Kirchenrechtliche Abhandlungen 111 – 114). Trotz ihres Alters noch immer das Standardwerk zu den rechtlichen Grundlagen des mittelalterlichen Hospitalwesens. Riley-Smith, J.: Hospitallers, the History of the Order of St. John, London 1999. Neubearbeitung von Riley-Smiths Standardwerk zur Geschichte der Hospitaliter aus dem Jahre 1967.
VI. Die großen medizinischen Bedrohungen der mittelalterlichen Gesellschaft: Pest, Lepra und andere Geißeln Aussatz – Lepra – Hansen-Krankheit. Ein Menschheitsproblem im Wandel, 2 Bde., Ingolstadt 1982/ Würzburg 1986 (Kataloge des Deutschen Medizinhistorischen Museums, Beihefte 1 u. 4). Katalog und Essayband der gleichnamigen Ausstellung im Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt mit Beiträgen, die alle Felder des komplexen Themas berühren. Bergdolt, K.: Der Schwarze Tod in Europa. Die große Pest und das Ende des Mittelalters, München ²1995. Gut lesbares, kompaktes Übersichtswerk zum schwarzen Tod. Bériac, F.: Histoire des lépreux au Moyen Age. Une société d exclus, Paris 1988. Wichtiges Übersichtswerk zur Geschichte der Lepra und der Leprakranken in Frankreich. Biraben, J. N.: Les hommes et la peste en France et dans le pays européens et mediterranéens, 2 Bde., Paris/Den Haag 1975/1976 (Civilisations et Sociétés 35 u. 36). Umfassendes Werk zum Thema Pest mit nicht immer zuverlässigen chronologischen Listen zum Auftreten der Seuche. Bulst, N./Delort, R.: Maladies et société (XIIe – XVIIe siècles). Actes du colloque de Bielefeld, Novembre 1986, Paris 1989. Tagungsband mit grundlegenden Beiträgen zu Aspekten von Pest, Lepra, Antoniusfeuer, Englischem Schweiß, Syphilis und Malaria. Dinges, M./Schlich, T.: Neue Wege in der Seuchengeschichte, Stuttgart 1995 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte. Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Beiheft 6). Epochenübergreifende Sammlung von Beiträgen vor allem sozialgeschichtlichen Ansatzes.
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Auswahlbibliographie Fahlenbock, M.: Der Schwarze Tod in Tirol. Seuchenzüge-Krankheitsbilder-Auswirkugen, Innsbruck 2009. Gelungene regionalgeschichtliche Studie zur Pest. Herde, P.: Die Katastrophe von Rom im August 1167. Eine historisch-epidemiologische Studie zum vierten Italienfeldzug Friedrichs I. Barbarossa, Stuttgart 1991 (Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt am Main 27,4). Grundlegende Diskussion zum Ausbruch der Dysenterie im Heer Barbarossas. Kupferschmidt, H.: Die Epidemiologie der Pest. Der Konzeptwandel in der Erforschung der Infektionsketten seit der Entdeckung des Pesterregers im Jahre 1894, Aarau 1993 (Gesnerus Supplement 43). Preisgekrönte, auch für Nicht-Mediziner verständliche Studie. Leven, K.-H.: Die Justinianische Pest, in: Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung 6 (1987), S. 137 – 161. Kompakter Überblick. Müller, C.: Lepra in der Schweiz, Zürich 2007. Gelungener Überblick zum Auftreten der Lepra in der Eidgenossenschaft. Nutton, V. (Hrsg.): Pestilential Complexities. Understanding Medieval Plague, London 2008. Historiker, Mikrobiologen, Archäologen und Paläopathlogen präsentieren die neuesten Erkenntnisse über die Pest Püschel, E.: Der Englische Schweiß des Jahres 1529 in Deutschland, in: Sudhoffs Archiv 42 (1958), S. 160 – 181. Eine der wenigen Studien zu diesem Thema.
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Riha, O. (Hrsg.): Seuchen in der Geschichte: 1348 – 1998. 650 Jahre nach dem Schwarzen Tod. Referate einer interdisziplinären Ringvorlesung im Sommersemester 1998 an der Universität Leipzig, Aachen 1999. Versammelt Beiträge zur Pest (und Lepra), die sich als Einführung in das Thema eignen. Ruffié, J./Sournia, J.-C.: Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, München 1992. Überblickswerk zur Einführung. Sarris, P.: The Justinianic Plague. Origins and Effects, in: Continuity and Change 17 (202), S. 169 – 182. Diskutiert anhand papyrologischer, jurisdiktioneller und numismatischer Befunde Ursprung und Auswirkung der Justinianischen Pest. Stein, C.: Die Behandlung der Franzosenkrankheit in der Frühen Neuzeit am Beispiel Augsburgs, Stuttgart 2002 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte. Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Beihefte 19). Zeigt exemplarisch den Umgang mit „Syphilis“-Patienten. Touati, F. O. : Lépre, lépreux et leproseries dans la province ecclésiastique de Sens jusqu au milieu du XIV e siècle, Paris 1992. Voluminöse, beispielhafte Regionalstudie, die akribisch Quellen auswertet. Uhrmacher, M.: Lepra und Leprosorien im rheinischen Raum vom 12. bis zum 18. Jahrhundert (Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte 8, Publications du CLVDEM 36), Trier 2011. Quellengesättigte, sorgfältige Regionalstudie.
Personen- und Sachregister Abkürzungen: Bf. = Bischof, Chron. = Chronist, Ebf. = Erzbischof, Gf. = Graf, Hzg. = Herzog, Kg. = König, Ks. = Kaiser, P. = Papst, bayr. = bayrisch, böhm. = böhmisch, byz. = byzantinisch, dt. = deutsch, engl. = englisch, fränk. = fränkisch, frz. = französisch, gew. = gewählt, hl. = heilig, jüd. = jüdisch, röm. = römisch. Die hervorgehobenen Seitenzahlen verweisen auf ein thematisch einschlägiges Insert. Wenn der Name oder Begriff auch im Text behandelt wird, sind die Seitenzahlen zweifach aufgeführt. Abella 43 Abulkasis (Abūl-Qāsim Halāf ibn al-Abbās ¯ az-Zah rāwī) 7, 20 Adalbero,˙ Ebf. 42 Aderlass 25, 82, 104, 120 Adrian von Breda 100 Albrecht III., bayr. Hzg. 76 Alexander II. von Lüttich, Bf. 109 Alexander III., P. 35, 107 f., 117 Alexander von Tralleis 10, 16 Alexianer 93, 93 Aloff Rynk 103 Alphanus 42 Ambrosius 13 Amputation 53, 56, 61 Anatomie 14, 31, 43, 44, 49 Andries von Sittard 70, 70, 134 Antoniter 55 ff. Antonius, hl. 21 f., 31, 55 Antoniusfeuer (Heiliges Feuer) 55 ff., 77, 126–129, 132 Apotheke 46 Archäologie 5, 27, 40 Aristoteles 18, 48 Arnald von Villanova 41, 49, 49, 120 Augenleiden 27, 32 Augustinus 14 Averroes (Abūl Walīd Muhammad ihn Ahmad ibn ˙ ˙ Rušd) 7 Avicenna (Abū Alī al-Husain ibn Abd Allāh ibn ˙ Sīnā al Qānūnī) 7, 20, 20, 48 Barbara, hl. 32 Basileios der Große 13, 21 f. Benedict, jüd. Stadtarzt 71 Benedikt von Aniane 23 Benedikt von Nursia 12, 14, 21, 25 Benediktsregel 12, 14, 21 f., 22, 23 f., 26 Berengar von Sulzbach 109 Bernhard von Clairvaux 31 Bernhard von Gordon 37, 49, 120 Bernt Breckenfeld 71 Berthold Buol 63 Beyll Schincken 131
Blasius, hl. 32 Blinde 59, 115 Blut 38, 44, 104 Blutgefäße 56 Bonaventura de Lombardia 73 Bonifaz IX., P. 93 Brandwunde 66, 72 Bruch 61, 66 Calenda 43 Cartwright Penrose, Elizabeth 85 Cassiodor 7, 12 ff. Celsus 7, 10 Chirurgie 3, 11, 14, 20 f., 26, 30 f., 40, 43, 46, 48 f., 61, 68 Chlodwig, fränk. Kg. 11 Cholera 105 Christophorus, hl. 32 Claudius, röm. Ks. 10 Clemens VI., P. 87 f., 90 f. Cluniazenser 25, 128 f. Commodus, röm. Ks. 8 Conrad Hinrichs 71 Constantinus Africanus 7, 19 f., 41 f., 115 Cyriacus, hl. 32 Daniel von Prag, Bf. 109 Darnot, jüd. Wundarzt 61 David, jüd. Wundarzt 61 Deutscher Orden 51, 57, 76 Diätetik 9, 10, 25, 44, 49, 60, 82 Diederich von Wylich 131 Diethold, böhm. Kg. 109 Dietrich Adrians von Dordrecht 100 Dietrich Lilie, Chron. 111 Dietrich Westhoff, Chron. 94, 130 Dionysius, hl. 32 f. Dioskurides 7, 9, 10, 11, 13 Dominikaner 25, 27 Dysenterie (Ruhr) 78, 105–111, 105, 108 Eberhard von Regensburg, Bf. 109 Elisabeth von Thüringen, hl. 36, 36 f., 39, 118 Elseken Boelghens 123
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Personen- und Sachregister Engelbert III., Gf. von der Mark 94 f. Englischer Schweiß 70, 131 ff. Epilepsie 32 Erasmus, hl. 22, 32 Erfrierung 66, 75 Ertwin Ertman 111 Etienne Guiscard 62 Evagrios, Chron. 84 Fieber 10, 19, 28, 66, 131 Fleckfieber 78 Florenz von Wevelinghoven, Bf. u. Chron. 110 f. Franziskaner 25, 36, 39 Frauenheilkunde 68 Frideswide, hl. 38 Friedrich I. Barbarossa, Ks. 107–109, 108 Friedrich II., Ks. 41, 46 f., 46 f., 50, 63, 66, 110 Friedrich von Schwaben, Sohn Kg. Konrads III. 109 Gabriele de Mussis 86, 86 Galen 7 f., 8, 11, 13, 20, 44, 115 Gallus, hl. 84 Gariopontus 41 ff. Gebhard Kräpelin 57 Geburtshilfe 67 Geißler 87, 87, 89 ff., 92, 134 Geisteskranke 59 Gentile da Foligno 77, 81, 97, 132 Georg, hl. 118 Gerhard von Cremona 7, 19 f. Gerhard von Tenque 52 Gerhart vamme Wasserfass 103 Gertrud von Nivelles, hl. 5, 118 Geschlechtskrankheit 131 Gewebe 44 Gicht 2, 10 Giraud de Belleuec 61 Girolamo Fracastoro 130 Gort, Soester Wundarzt 69, 69, 134 Gottfried von Osnabrück, Bf. 111 Gottfried von Speyer, Bf. 109 Gottfried von Viterbo 108 Gregor IX., P. 37, 117 Gregor XI., P. 93 Gregor von Tours, Bf. u. Chron. 83, 113 Grippe 78, 112 f. Guajakholz 131 Guillaume Debaras 61 Guillaume Long 61 Guillaume Mathola 62 Guy von Chauliac 41, 48 f., 120 Haly Abbās (Alī ibn al-Abbās al-Magˇūsī) 7, 20, 113, 115 Hans Gärtner 64
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Hans Ingram 64 Hans Iseken 71 Hans Krug 74 Hans Münzmeister von Bamberg 64 Hans Ruland 73 Hans von Gersdorff 56 Hans Wächtlin 56 Hansen, Gerhard Henrik Armauer 114 Harnblase 38, 42 f. Harnschau 19, 26, 52, 65 Hartmann, Stadtarzt 73 Hautkrankheiten 10 Hebamme 68, 74 Hecker, Justus Friederich Karl 85 Heilige, Heiliger 1 f., 5, 31, 38 ff., 55 Heinrich I., bayr. Hzg. 26 Heinrich II., engl. Kg. 35 Heinrich II., Ks. 14 Heinrich III. von Schaumburg, Bf. 130 Heinrich IV., Ks. 24 Heinrich VII., engl. Kg. 131 Heinrich VIII., engl. Kg. 35 Heinrich Raspe, gew. röm.-dt. Kg. 36 Heinrich von Herford, Chron. 110 Heinrich von Lippe, Gf. 109 Heinrich von Mondeville 41, 48 Heinrich von Tübingen, Gf. 109 Henrich to Wald 123 Herman, Stadtwundarzt 73 Herman, Weseler Stadtarzt 101 Hermann Judeus 67 Hermann Karben von Marckburch 64 Hermann von Weinsberg 98, 102–105, 130 Hermann, Arzt in Soest 67 Hermann von Verden, Bf. 109 Herz 82, 131 Hieronymus 14 Hildegard von Bingen 21, 28 f., 29, 40 Hinkmar von Reims, Ebf. u. Chron. 17, 105 Hippokrates von Kos 7 f., 13 Honorius III., P. 47 Hospitaliter (Johanniter) 51, 54, 76 Hugo I. von Semur, Abt von Cluny 24 Hunain ibn Ishāq 7, 19, 48 ˙ ˙ Hunolt von Plettenberch 68 Hygiene 44, 49 Impotenz 17 Infektionskrankheiten 78, 129, 133 Infirmarium 21, 24 f., 39 Innozenz IV., P. 51, 55, 78 Isaak ha-Zarfati 75 Isaak Judaeus 7, 19, 48 Isidor von Sevilla 7, 13 Ivo von Chartres 17
Personen- und Sachregister Jacob Rodenkirchen 103 Jacobus de Voragine, Chron. 34 Jacques Josselini de Cruce 62 Jakob von Landshut 74 ff. Jakob von Vitry, Chron. 22 Johann Bisskamp 71 Johann Herdlin 73 Johann Joist 122 f. Johann Kort, Schultheiß von Worringen 104 Johann Lochner 65 Johann Nederhoff, Chron. 94 f. Johann Rinck 59 Johannes Kattenbusch 71, 79 Johannes Portfleyth 70, 70, 134 Johannes Wesselink 71 Johannes, gen. Judeus 67 Jörg Keyper 64 ff. Justinian, byz. Ks. 83 f. Jutta von Sponheim 29 Karies 6 Karl der Dicke 109 Karl der Große, Ks. 14, 23, 77 Karl der Kahle 106, 107 Karl IV., Ks. 48, 91 Karl VIII., frz. Kg. 130 Karlmann 106, 112 Kathedralschule 11, 20, 47 Kauterisierung 43 Kehlkopf 114, 120 Kitasato, Shibasaburo 80 Klostergarten 27 f., 40 Knochen 114 Knorpel 114 Konrad bei dem Weißen Turm 65 Konrad Groß 64 Konrad Kaiser 65 Konrad Tömlinger 73 Konrad von Marburg 36 Konrad von Erlichshausen 57 Kopfschmerzen 32, 43, 75, 127 Kosmas und Damian, hl. 32 f., 34 Laurentius, hl. 33 Lazariter 51 f., 117 Lazarus, hl. 4, 118 Leichenschau 68 Lepra 6, 8, 22, 29 f., 32, 59, 76, 78, 105, 114–126, 132 Lepraschauuntersuchung 121–124, 121, 123 Lersch, Maximilian 85 Levold von Northof, Chron. 89, 95 Linné, Carl von, schwed. Botaniker u. Med. 10 Lorscher Arzneibuch 7, 14 f., 15, 27 Lothar II., Kg. 16
Ludolf I. von Dassel, Gf. 109 Ludwig der Bayer, Ks. 64 Ludwig der Brandenburger, Markgf. 74 Ludwig der Deutsche 106, 112 Ludwig IX., frz. Kg. 59, 109 Lunge 82 Machorius Veghesack 99, 99, 134 Magenbeschwerden 32, 131 Magie 17, 19 f. Maiolus, hl., Abt von Cluny 128 f. Malaria 107 Manfred, Kg. von Sizilen 45 Marc Aurel, röm. Ks. 8 Margareta, hl. 32 Markward von Leuchtenberg, Gf. 109 Martial, hl. 128 Martin, hl. 128 Masern 19 Mattheus, Soester Arzt 65 Matthias Grünewald 56 Maurilius von Cahors, Bf. 2 Merseburger Zaubersprüche 16 Miasmen 81, 102 f., 132 Miracula 2, 32 Møller-Christensen-Syndrom 6 Moys, jüd. Arzt 76 Mumia 72 Muskeln 127 Nase 120 Nero, röm. Ks. 10 Niclas von Augsburg 74, 134 Nicolaus Stratius 71 Nicolaus von Salerno 44 Nikolaus, Aachener Stadtarzt 94 Nikolaus, hl. 32 Notker von Sankt Gallen 26 f. Otto I., Ks. 26, 106 Otto III., Ks. 14, 113 Paläopathologie 5 f., 27 Pantaleon, hl. 32 Pariser Pestgutachten 77, 81 f., 94, 132 Pasteur, Louis 78, 80 Pathologie 9, 9 Paul van der Velt 70 Perchtold, Stadtarzt 73 Pest 39, 78–85, 98–105, 132 Peter Lamparter 73 Peter Mol 71 Petrus Clericus 71 Petrus Venerabilis, Abt von Cluny 21, 24 Pharmazie 44, 46, 49
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Personen- und Sachregister Philipp IV., frz. Kg. 48 Philipp VI., frz. Kg. 82 Philippe von Navarre 37 Physiologie 9, 9 Plinius d. Ältere 7, 9 ff., 16 Pocken 19, 78, 113 Prokop, Chron. 83 f. Quarantäne 77, 87, 132 Quecksilber 131 Radolphus vom Velte 71 Radulph von Rivo, Chron., Abt von Tongern 91 Rainald von Dassel, Ebf. 109 Raymond von Le Puy, Johannitermeister 51 f. Rebecca Guarna 43 Regimen sanitatis Salernitanum 44, 45 Reinhard von Monheim 64 Rhazes (Abū Bakr Muhammad ibn Zakarīyā, gen. ˙ ar-Rāzī) 7, 19, 19, 48, 113 Rochus, hl. 39 Rodulf Glaber, Chron. 128 f. Roger II., Kg. von Sizilien 41, 45 Roger von Moulins, Johannitermeister 51 f., 53 Roger von Salerno 41, 43 Rotger, Bote aus Dortmund 64 Rothar, Langobardenkg. 116 Säftelehre 7 f., 25, 29, 104, 115, 132 Salerno, Schule von 11, 19 f., 41 Salomon, jüd. Stadtarzt 70 Sankt Gallener Klosterplan 27, 39 Scholastik 47 f., 50 Schwarzer Tod 77, 81 f., 85–98, 105, 132 Scribonius Largus 10 Sebald Schreyer 64 Sebastian Jakobi 71 Sektion 31, 44, 68 Septem artes liberales 12 f., 12 Septikämie 81 Seuche 78 f., 79 Sigebert von Gembloux, Chron. 129 Sigmund Walch, gen. Gotzkircher 73 Signaturenlehre 30 Simond, Paul Louis 78 Simulanten 26 Sixtus II., P. 32 Steinleiden 32, 35, 38, 42 f.
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Stephan der Ältere, bayr. Hzg. 74, 76 Sun, jüd. Arzt in München 74 Syphilis 63, 78, 129 ff., 133 Syragius, röm. Statthalter 11 Taubheit 75 Templer 51, 54 Theobald von Canterbury, Ebf. 35 Theodoricus, Aachener Apotheker 94 Theriak 82, 83, 104, 134 Thietmar von Merseburg, Chron. 113 Thomas Becket, Bf., hl. 34 ff., 35, 39 Thys, Weseler Wundarzt 101 Translatio 2, 32 Trotula 43 Ulrich Prunning 74, 74, 134 Ulrich, hl. 128 Universität 30, 41 f., 45, 47–50, 60, 66, 99 f., 103, 123 Urban III., P. 117 Urban IV., P. 54 Ursus von Lodi 41 Veifl, jüd. Arzt 76 Vergiftung 127 ff. Vierzehn heilige Nothelfer 32 f. Viktor III., P. 42 Vita 2, 32 Vitus, hl. 32 Volkwin von Schwalenberg, Bf. 27 Walahfrid Strabo 21, 28 Walram von Jülich, Ebf. 88 Wassersucht 66 Welf VII. 109 Wilhelm von Canterbury 34 Wilhelm von Congenis 61 Wilhelm von Gennep, Ebf. 89 f., 95 Wilhelm von Tyrus, Ebf. u. Chron. 2 Wilhelm, Hzg. von Jülich-Berg 130 Wolf von Augsburg 72 Xenodochium 13, 22 Yersin, Alexandre 80 Zähne 6 Zisterzienser 27, 33
2 Überblick über alle Aspekte: Krankheiten Seuchen Heilkunde und Anrufung der Heiligen
Ob Kaiser oder Papst, Kaufmann, Bauer oder gar Arzt, ob Frau oder Mann, jung oder alt – Krankheit und Tod kann niemand entgehen. Wie gingen die Menschen des Mittelalters mit diesen zentralen Konstanten menschlicher Existenz um, welche Auswirkungen hatten z. B. Seuchen auf die Gesellschaften, welche Folgen der plötzliche Tod eines Herrschers? Auf der Basis interdisziplinärer Forschungen gibt Kay Peter Jankrift einen konzisen Überblick: Einleitend skizziert er, welche besonderen Informationen die verschiedenen Quellengattungen bieten. Die theoretischen Grundlagen der mittelalterlichen Medizin, wesentliche Entwicklungslinien abendländischer Heilkunde, die Bedrohungen, die für mittelalterliche Gesellschaff ten von Krankheiten wie Pest oder Lepra ausgingen sowie das Verhältnis von Ärzten und Patienten zueinander stehen im Mittelpunkt der folgenden Kapitel. Abschließend handelt er vom zeitgenössischen Umgang mit dem Tod. Zusätzliche Attraktivität erhält die Darstellung dadurch, dass hier einige bisher nicht gedruckte Quellenauszüge erstmals ediert sind. „Jankrift ist es gelungen, einen kompetenten Einblick in die mittelalterliche medizinische Theorie und Praxis zu geben. (…) Gerade für die Reihe ›Geschichte kompakt‹ kann sein Band als ein Gewinn angesehen werden, da er in einem flüssigen Stil Geschichte durch Geschichten erzählt. Die Vielzahl seiner angeführten Beispiele, die oftmals durch den Abdruck von Originalquellen ergänzt werden, geben einen nahezu lebendigen Einblick in das medizinische Treiben im Mittelalter. Insofern erscheint der Band gerade auch für die akademische Lehre sehr geeignet.“ www.sehepunkte.historicum.net Kay Peter Jankrift, geb. 1966, studierte in Münster und Tel Aviv Mittlere und Neuere Geschichte, Semitische Philologie und Islamwissenschaft. Promotion 1995, Habilitation 2002. Bei der WBG erschien von ihm zuletzt der Band „Europa und der Orient im Mittelalter“ (2007). www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-24678-6