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German Pages 142 Year 2010
Gregor Paul
Konfuzius und Konfuzianismus
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.d-nb.de abrufbar.
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ISBN 978-3-534-23523-0
Inhalt Vorwort
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Sinn und Zweck einer weiteren Konfuzius- und Konfuzianismus-Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Der Name „Konfuzius“
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Die Bezeichnung „Konfuzianismus“
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Die Zeit des Konfuzius. Soziopolitische Voraussetzungen seiner Einstellungen, Überzeugungen und Lehren . . . . . . . . . . . .
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Die höchsten Ziele des Konfuzius . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Menschlichkeit (ren) und eine friedliche, sichere und harmonische Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die ideale Persönlichkeit: der Edle (junzi) . . . . . . . . . . Die Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Kritik, Bildung und Vorbildlichkeit als Instrumente der Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Lernbereitschaft (hao xue) als Instrument der Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Wissenserwerb und Wissensinhalte: Das Studium von Geschichte, Literatur und Musik . . . . . . . . . . . . 6.4 Offenheit für Kritik und Bereitschaft zur Kritik . . . . . 6.5 Treffende, unmissverständliche und konsistente Redeweise . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Übereinstimmung von Wort und Tat . . . . . . . . . . 6.7 Vorbildlichkeit in Denken und Handeln . . . . . . . . 6.8 Menschlichkeit und Goldene Regel . . . . . . . . . . 6.9 Li: traditionelle Sittlichkeit, kultiviertes und konventionelles Miteinander sowie ritualisiertes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Der Konfuzius des Lunyu: Beispiel einer vorbildlichen Persönlichkeit . . . . . . . . . . . .
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Konfuziusbild und Konfuzianismus (rujia) in der Geschichte Chinas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Konkurrierende Lehren und Schulen in der Zeit der Streitenden Reiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Konfuziusbild und Konfuzianismus des Menzius und dessen klassische und neokonfuzianische Rezeption . . . . . . . .
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Inhalt
8.3 Konfuziusbild und Konfuzianismus des Xunzi und dessen klassische und legalistische Rezeption . . . . . . . . . . . 8.3.1 Das Xunzi als polemischer Text. Die Charakterisierung des Konfuzius und des ,Konfuzianismus‘ in der Auseinandersetzung mit anderen Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Die Philosophie des Xunzi als systematischer Konfuzianismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Konfuzius, Lunyu, Menzius und Xunzi . . . . . . . 8.4 Ansätze und Blüten der Legendenbildung . . . . . . . . . 8.5 Konfuziusbilder im Spannungsfeld von Philosophie, Ideologie und Macht der Fakten . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Marksteine des klassischen Konfuzianismus in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10 Und am Ende: Konfuzius als politisches Instrument, Kultfigur und Anlass für Tourismus und Familienausflüge . . . . . . . . . . . .
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Zeittafel zur Geschichte der konfuzianischen Philosophie in China
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Verzeichnis der erwähnten und zitierten Lunyu-Stellen nach der Zählung von Moritz und Lau . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Karten der Frühlings-und-Herbst-Epoche und der Streitenden Reiche
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Register mit Bedeutungserklärungen und Glossar chinesischer Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ausgewählte Literatur
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Zeitlose Relevanz und sinnstiftender Charakter konfuzianischer Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Aktualität und Relevanz nach 2000 Jahren und in ,fremden Kulturen‘? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Marksteine der europäischen Rezeption seit der jesuitischen Mission: Von der Berufung auf Konfuzius und Konfuzianismus als rationale Korrektive religiösen Streits und Wahns über ihre Diskreditierung als Sammelsurium der Banalitäten bis hin zur Empfehlung als moderne Alternative zum ,westlichen Rationalismus‘ . . . 9.3 Zufriedenheit, Glück und Lebenssinn . . . . . . . . . . . 9.4 Die Menschenrechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort Viele der in deutschen Massenmedien präsentierten China-Bilder lassen an zwei Scherzgedichte denken: „In dem Lande der Chinesen bin ich zwar nicht selbst gewesen, aber meiner Mutter Bruder Sohn hat in seiner Jugend schon mal gelesen, dass einer wär’ beinah dort gewesen.“ „Es gibt zwei Sorten Chinesen: die guten und die beesen. Die guten gehen niemals aus. Die beesen bleiben nie zuhaus. Das Fazit ist stets gleich gewesen: Tut man von Chinesen lesen, so gewöhnlich nur von beesen.“ Im Spiegel Nr. 16 vom 15. April 2002 war auf S. 188 zu lesen: „Konfuzius lehrte […] seine Landsleute die Wonnen der Unterwerfung.“ Zahlreiche China-Artikel und Sendungen deutscher Massenmedien suggerieren, dass es geradezu das Wesen des Chinesischen und der Chinesen ausmache, rücksichtslos zu herrschen und rücksichtslose Herrschaft zu erdulden, Individualität zu unterdrücken oder in kollektivem Einerlei auf sie zu verzichten. Das mag ein wenig überzeichnet sein, doch spricht das Zitat ja auch für sich. Dabei ist die Tendenz massenmedialer „Information“ durch eine Jahrhunderte alte Verachtung chinesischer Kultur mitbestimmt. Seinerzeit insbesondere von Hegel zum Ausdruck gebracht, lebt sie in mancher Schule westlicher China-Wissenschaft des 21. Jahrhunderts fort, und sei es auch im Gewand bloßer Tatsachenbehauptungen. In Wirklichkeit lehrte Konfuzius freilich, unmenschliche Herrscher „anzugreifen“ oder sich ihnen „zu widersetzen“, und dies war wohl auch der Grund für den Hass, der ihm im Maoismus entgegenschlug. Dem historischen Konfuzius mag sich vieles andichten lassen – die wenigen halbwegs zuverlässigen Informationen erlauben nur einen Schluss: ein Freund der Unterwerfung, des bedingungslosen Gehorsams, des Herdentriebs und des Verzichts auf Selbstachtung war er nicht. Um sich davon zu überzeugen, braucht man natürlich nicht in China gewesen zu sein. Ehrliches Interesse und die Bereitschaft, sich sachkundig zu machen, sind jedoch unumgänglich. Neben den üblichen Voraussetzungen, wie sie Allgemeinbildung und Common sense mit sich bringen,
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Vorwort
sind dies auch die einzigen Anforderungen, die der Band an den Leser stellt. Gegen Vorurteile, Klischees, Mystifizierung und Exotisierung gerichtet, ist er vor allem für ein breiteres Publikum bestimmt, berücksichtigt jedoch neueste sinologische Beiträge. Das soll nicht nur der argumentativen Qualität dienen. Auf diese Weise sollen auch professionelle Sinologen und Kulturwissenschaftler angesprochen werden. Im Übrigen lassen sich auch ohne kulturrelativistische, ideologische oder politische Vorlieben unterschiedliche Konfuzius-Bilder zeichnen. Grob gesagt, sehe ich Konfuzius und dessen Lehre als eine Person bzw. eine Philosophie, die auch im 21. Jahrhundert Aktualität und Relevanz besitzen. Sowohl ihre Besonderheiten als auch ihre vertraut erscheinenden Züge sind prinzipiell geeignet, Denken und Handeln aller Menschen voranzubringen. Unprätentiöse kritische und selbstkritische Orientierung an allgemeinmenschlicher Erfahrung, Bemühen um Konsistenz und Konsequenz, ohne in Prinzipienreiterei zu erstarren – solche Eigenschaften können überall und jederzeit überzeugen. Dabei verleiht das Spezifische, das Person und Lehre auszeichnet, manchen scheinbar selbstverständlichen Einsichten besonderen Nachdruck. Forderungen nach Offenheit für Kritik und Kritikbereitschaft, nach Übereinstimmung von Wort und Tat und nach Vorbildlichkeit verlieren jeden banalen oder gar trivialen Anstrich und kommen überzeugend zur Geltung. Sinn und Sinnerfüllung eines autonomen, souveränen Lebens als Mensch unter Menschen werden in überraschender Weise evident. Entsprechend verstehe ich mit dem Namen Konfuzius verbundene Lehren als eine rationale Philosophie, die eine Menschlichkeit fordert, welche sich selbstbestimmt und kultiviert als persönliche Integrität und verantwortungsbewusstes gesellschaftliches Engagement äußert. Dies wird auch auf Widerspruch stoßen. „Welch ein Eurozentrismus!“ wird es wie so oft heißen. Doch solch ein Vorwurf ist unhaltbar. Ähnliche Interpretationen sind von Chinesen entwickelt worden, und zwischen 1600 und 1945 haben viele Japaner den Konfuzianismus gar als Doktrin des Umsturzes, des Widerstands, der Disharmonie, des Eigensinns und eben der Rationalität verurteilt. Sie waren weder Europäer noch durch europäisches Gedankengut beeinflusst. Bleibt eine Bitte an die geschätzten Rezensenten, die das Buch nichtsdestoweniger als eurozentrisch ablehnen: es vorher auch zu lesen und ihre Ablehnung unter Berücksichtigung des Gelesenen zu begründen. Konfuzius soll sich gewünscht haben, dass man seine Lehren in die Tat umsetze. Ideen wie die vom Primat der Moral sind freilich zeitlos, und um sie im 21. Jahrhundert ins Spiel zu bringen, braucht nicht auf ,Altchinesisches‘ zurückgegriffen zu werden. Das nichtsdestoweniger zu tun, verleiht entsprechenden Forderungen jedoch zusätzliche Überzeugungskraft. So wird es im Kontext konfuzianischer Ethik und vor der Folie historisch-kultureller Kontraste geradezu augenfällig, dass selbst Demokratie und Rechtsstaat des moralischen Korrektivs bedürfen. Sie brauchen den moralisch selbstbestimmten, der Selbstachtung verpflichteten Bürger und integeren Politiker, die sich auch dann jeder Inhumanität widersetzen, wenn sie regierungsamtlich verordnet ist, und die sich auch dann nicht korrumpieren lassen, wenn ihre Demokratie zu einem Parteienstaat verkommen ist.
Vorwort
Bleibt mir noch, den Bochumer und Taipeher Kollegen Heiner Roetz und LEE Ming-huei sowie der Lektorin Stephanie von Liebenstein für wichtige Hinweise und der Stuttgarter Architekturstudentin Astrid Paul für die Gestaltung der Karten zu danken.
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1 Sinn und Zweck einer weiteren Konfuziusund Konfuzianismus-Darstellung
Gängige Ansätze zum Verständnis von Person und Lehre des Konfuzius
Textgeschichte und innere Heterogenität des Lunyu
Es gibt viele Darstellungen von Leben, Lehren und Wirken des Konfuzius (551–479 v. u. Z.). Auch die Zahl der deutschen Darstellungen dürfte in die Dutzende gehen. Die Sparsamkeit, Unbestimmtheit und Unsicherheit der historischen Daten ließ und lässt dabei Spielraum für unterschiedlichste Interpretationen. Dazu kommt, dass Konfuzius schon einige Jahrzehnte nach seinem Tod zur Legende geworden sein dürfte. So stehen zum Teil unvereinbare Konfuzius-Bilder nebeneinander. Und in der Tat kann selbst das Lunyu, die „Gesammelten Worte“, der wohl zuverlässigste Text, der Äußerungen des Konfuzius und Ereignisse seines Lebens wiedergeben soll, Anlass für gegensätzliche Deutungen bieten. Konfuzius kann als rationaler, nüchterner, ironischer und diesseitsgewandter Aufklärer verstanden werden. Er lässt sich als Traditionalist begreifen. Man mag in ihm einen Agnostiker sehen – oder eben doch jemand, der dem Himmel (tian) eine Verehrung entgegenbrachte, wie man sie transzendenten Mächten bezeugt. Manche verstehen ihn auch als Vermittler einer intuitiven, eher der Ästhetik als der Logik verpflichteten östlichen Weisheit, die eine Alternative zum angeblich westlichen Rationalismus und Logozentrismus bietet. Außerdem kann man sozusagen verschiedene Komponenten des Themas ,Konfuzius‘ darstellen. Man kann vor allem das äußere Leben zum Gegenstand machen. Man kann eine Art innerer Biographie, eine psychologische Spekulation, liefern. Oder man kann sich auf eine Interpretation der Auffassungen des Konfuzius konzentrieren, die dann einmal als Philosophie, einmal als schlichte Lebensweisheit, ein anderes Mal gar als Trivialität charakterisiert werden mögen. Im China des 20. Jahrhunderts und insbesondere in der Zeit der Kulturrevolution (1966–1976) schwankte sein Bild wie nie zuvor: in der Tat „von der Parteien Hass und Gunst verzerrt“. Grob gesagt, sah man in Konfuzius einerseits einen der Menschlichkeit verpflichteten Wegbereiter einer besseren Welt und andererseits einen Verteidiger einer Sklavenhalter-Gesellschaft. Die Unterschiedlichkeit der Interpretationen ist Reflex der inneren Heterogenität des Lunyu selbst. Der Text ist aus Sammlungen erwachsen, die erst nach Konfuzius’ Tod entstanden. Er ist das Werk verschiedener Anhänger aus verschiedenen Zeiten. Sie huldigten bereits ihren jeweils eigenen Konfuzius-Bildern. In den gängigen 20-Kapitel-Versionen geht er weithin auf eine im 3. Jh. konzipierte Fassung zurück, die ihrerseits eine Art Fazit aus drei je 20, 21 bzw. 22 Kapitel langen Kompilationen darstellt, die 300 bis 400 Jahre nach Konfuzius’ Tod vorlagen und die nur noch partiell rekonstruierbar sind (Simson 2006, insbes. S. 153 und 221). Wie angedeutet, ist überdies zwischen älteren und jüngeren Text-Komponenten zu unterscheiden. Vor allem die Kapitel 3 bis 9 werden den ältesten Teilen zugerechnet, während insbesondere die Kapitel 10 und 16–20 als spät gelten (Brooks/ Brooks: 65, 202, Lau 1992: 263–275, Moritz: 176 ff.). Freilich ist damit nicht gesagt, dass Letztere keinerlei verlässliche Informationen erhielten.
1 Sinn und Zweck einer weiteren Konfuzius-Darstellung
Zitierweisen Das Lunyu ist im Allgemeinen nach der Übersetzung von Ralf Moritz zitiert. Doch sind alle im Literaturverzeichnis angegebenen Übersetzungen und verschiedene Ausgaben chinesischer Versionen berücksichtigt, so dass auch Abweichungen vorkommen. Um der Lesbarkeit willen bleiben sie weithin unkommentiert. Auch die Abschnittszählung – römische Ziffern bezeichnen ,Kapitel‘, arabische Ziffern ,Absätze‘ – folgt der Ausgabe von Moritz. So bezieht sich IX:2: 50 auf Moritz’ Nummerierung und Übersetzung des neunten ,Kapitels‘, und da des zweiten ,Absatzes‘ seiner Ausgabe. 50 gibt die Seitenzahl der Ausgabe an. Wer andere Ausgaben bzw. Übersetzungen benutzt, wird mitunter auch andere AbschnittsZählungen feststellen. Im Übrigen folgen die meisten Zitate dem Schema ,Autorenname Erscheinungsdatum: Seitenangabe‘. „Hucker 1966: 15“ bezieht sich also auf Huckers 1966 erschienene Untersuchung The Censorial System in Ming-China und dabei auf Seite 15. Aussprachehilfen zur Umschrift des Chinesischen A in ian, yan und yuan etwa wie ä bzw. e in jap. „Yen“, ai etwa wie der Diphtong ai, ei etwa wie eh, eng etwa wie öng, i wird nach c, ch, r, s, sh, z und zh nahezu ,verschluckt‘, iong etwa wie jung, ong etwa wie ung, u nach j, q, x und y etwa wie ü, ui etwa wie engl. way, c etwa wie tz, ch etwa wie stimmloses tsch, h etwa wie ch in „Buch“, j etwa wie dßj, q etwa wie tch, r zwischen r und franz. j in „je“, s etwa wie stimmloses s bzw. ß, sh etwa wie sch, ue etwa wie getrenntes ü und e, x etwa wie ßch, z etwa wie stimmhaftes ds, zh etwa wie stimmhaftes dsch.
Bei allem Bemühen, differenziert darzustellen, wird auch im Folgenden nur ein Konfuzius-Bild unter anderen geboten. Aber das mag seine Vorteile haben, nimmt doch so gut wie jeder, der sich in seriöser Weise für Konfuzius interessiert, mehrere Konfuzius-Bilder zur Kenntnis. Und er sollte dies auch tun. Im Übrigen aber ist eine weitere Konfuzius- und KonfuzianismusDarstellung mindestens genauso selbstverständlich und sinnvoll, wie es weitere Kant-Biographien und Kant-Interpretationen wären. Unstrittig ist, dass der Konfuzius des Lunyu, wie es im Deutschen heißt, innere Gesinnung über Äußerliches stellte, Moral über positives Recht erhob und für eine Haltung und Lebensführung warb, die eher moralischer Integrität, Mitmenschlichkeit und einer in Frieden und Sicherheit lebenden Gesellschaft verpflichtet war als einer Erfüllung materieller Bedürfnisse oder einem Streben nach Glück (IV:11: 22, XV:32: 104 u. a.). Es gelte, so ein pointiertes Fazit, sich um moralische Integrität und kulturelle, zivilisatorische Bildung zu bemühen und entsprechend zu reden und handeln. Der Grundsätzlichkeit halber sei es noch einmal anders gesagt: In moralischem Verhalten, Wissen und kultivierter Umgangsform Vorbild zu sein und so auch zu Kultur und Wohlergehen seiner Mitmenschen beizutragen, ist eine der zentralen Lehren des Konfuzius. Nach dem Lunyu versuchte er, ihr auch selbst gerecht zu werden und so mit gutem Beispiel voranzugehen – übri-
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1 Sinn und Zweck einer weiteren Konfuzius-Darstellung
gens eine Wendung, die den mehrfach im Lunyu gebrauchten Ausdruck xian, „[in vorbildlicher Weise] vorangehen“ (XIII:1: 78), assoziieren lässt.
Relevanz konfuzianischer Auffassungen
Argumentative Gültigkeit, Sachrelevanz und historische Angemessenheit: vereinbare Komponenten der Auseinandersetzung
Wichtigstes Ziel des Bandes ist es, zu zeigen, dass bestimmte Konfuzius zugeschriebene Auffassungen auch im 21. Jahrhundert sachliche und existentielle Relevanz besitzen. Vor allem sollen die angesprochenen Konzepte der Vorbildlichkeit in moralischer Integrität, Wissen und kultiviertem Verhalten nachgezeichnet und in ihrer bleibenden Bedeutung explizit gemacht werden. Zu den Schlüsselbegriffen gehören in diesem Kontext Aufrichtigkeit und Vertrauenswürdigkeit (xin), die wie wenige andere den festen Zusammenhang charakterisieren, der nach dem Konfuzius des Lunyu zwischen Erkenntnis, Einsicht in das moralisch Gebotene und verbalen Äußerungen einerseits sowie eigenem Verhalten und Handeln andererseits bestehen sollte. Konfuzius soll auf diese Weise als eine Gestalt gezeichnet werden, die die sogenannte Einheit zwischen Theorie und Praxis oder zwischen Wissen und Handeln forderte und vorzuleben suchte. Diesen Vorstellungen auf den Grund zu gehen und zu zeigen, welch spezifische, differenzierte und präzise Bedeutung sie in einer Interpretation des Lunyu gewinnen, wie sie motiviert sind, in welcher Weise sie in der Tat Lebenssinn und Menschlichkeit stiften können und wie weit sie dabei von platten, klischeehaften Einheitsvorstellungen – insbesondere den Vorurteilen, dass solche Vorstellungen etwas ,spezifisch Östliches‘ seien – entfernt sind, ist ein leitendes Interesse der Darstellung. Historische Details bleiben bei dieser Zielsetzung weithin außer Acht. Um die eine oder andere Besonderheit zu verstehen, muss man zwar um bestimmte historische Voraussetzungen wissen. Aber auch dabei kann man auswählen. Man braucht keine Flut von Personennamen und Jahreszahlen. Außerdem existieren genug entsprechende Darstellungen (wie z. B. die von Creel; Brooks/Brooks; Lau 1992; Moritz und Chin). Entscheidend für die Gültigkeit der im Lunyu formulierten Auffassungen sind ohnehin deren Konsistenz und Erfahrungsgehalt. Im Folgenden werden deshalb primär die historischen Bedingungen zur Sprache kommen, die Konsistenz und Erfahrungsgehalt – empirischen Gehalt – der konfuzianischen Lehren erzwangen oder doch mit herbeiführten. Sie sind es auch, die zu dem gehören, was letztlich und prinzipiell alle Menschen angeht. Die Einwände gegen eine radikal an Fragen argumentativer Gültigkeit und sachlicher Relevanz orientierten Darstellung sind bekannt. Der spezifische historische Kontext werde vernachlässigt. Wichtig sei, was in China große Wirkung gezeitigt habe; nicht, was Geltung besitze. Denn Ersteres allein gebe Aufschluss über das ,spezifisch Chinesische‘, dem ja unser hauptsächliches Interesse zuteil werden müsse. Nur so lasse sich Fremdes verstehen, ohne es zu vereinnahmen. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Sich auf Fragen der Gültigkeit, des Arguments und sachlicher Relevanz zu konzentrieren, besagt nicht, historische Kontexte und spezifische Wirkungsgeschichte zu leugnen oder zu ignorieren und deren faktische Macht zu bestreiten. Es bedeutet lediglich, zwischen Gültigkeit einerseits und Herkunft, historischer Akzeptanz und Faktizität andererseits zu unterscheiden bzw. davon auszugehen, dass die Gültigkeit einer Auffassung weder von deren Genesis (Ort, Zeit und Autorschaft) noch vom Grad der Zustimmung oder
1 Sinn und Zweck einer weiteren Konfuzius-Darstellung
Ablehnung abhängt. Im Falle von Vorschriften und insbesondere ethischer oder moralischer Normen ist außerdem zu beachten, dass sie nicht einfach deshalb gelten oder gelten sollten, weil sie bestehen. Anders gesagt, folgt aus bloßer Existenz – eingeschlossen die Existenz einer alten Tradition – nicht, dass, was besteht, überhaupt bestehen sollte oder gar erhaltenswert sei. Eine in Kraft gesetzte Verkehrsregel gilt auch dann in Mannheim, wenn sie in Hamburg von einem Verkehrsexperten aus der Türkei entwickelt wurde und häufig verletzt wird. Die bloße Tatsache, dass es sie gibt und dass sie bereits 50 Jahre alt ist, impliziert freilich nicht, dass sie nicht geändert werden dürfte. Konzentration auf Fragen der Gültigkeit ist auch keine Blütenlese. Sie ist keine ,subjektive‘ und einseitige Auswahl dessen, was einem besonders attraktiv erscheint oder ganz persönlich interessiert, sondern vielmehr eine sachlich gerechtfertigte Entscheidung. Der wichtigste Grund, sich mit dem auseinanderzusetzen, was prinzipiell die Zustimmung aller Menschen beanspruchen kann, liegt darin, dass das gültige Argument letztlich der einzige gewaltfreie Weg ist, sich zu einigen, wo man sich einigen kann, und Toleranz nahezulegen und zu rechtfertigen, wo dies nicht gelingt. Dies gilt ungeachtet der notorischen Schwäche auch des gültigen Arguments. Wir handeln, und dies beklagte schon Konfuzius, nur allzu gern und oft ,wider besseres Wissen‘.
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2 Der Name „Konfuzius“
Das traditionelle Curriculum kultivierter Gelehrsamkeit
Konfuzius soll von 551 bis 479 vor unserer Zeitrechnung gelebt haben. Diese Daten gelten als einigermaßen sicher. Dagegen ist über Konfuzius’ Leben selbst recht wenig bekannt. Zu den zuverlässigsten Informationen dürften noch bestimmte Stellen aus dem Lunyu zählen. Dieser Text ist auch mehrfach ins Deutsche übertragen worden. Bekannte Titel der deutschsprachigen Versionen sind „Kongfutse (oder Konfuzius): Gespräche“ (Wilhelm 1989; Moritz) und „Gespräche des Meisters Kung“ (Schwarz 1985). Der gängige chinesische Name des Konfuzius ist Kong(fu)zi. Diese Bezeichnung wird im Allgemeinen mit „Meister Kong“ übersetzt, doch ist das Wort „Meister“ irreführend. Im Deutschen beziehen wir den Ausdruck nämlich in erster Linie auf überdurchschnittliche und beispielhafte handwerkliche Fertigkeiten. Aber gerade handwerkliche Fertigkeiten sind im gegebenen Zusammenhang nicht gemeint. (Ausnahmen wie „Meister Eckhart“ fassen wir eher als einen einheitlichen Namen auf denn als eine Verbindung von Titel und Name.) Das lateinische „Magister“ kommt zwar der chinesischen Bedeutung von zi näher; denn es bezeichnet gewisse, durch Studium und institutionelle Prüfungen erworbene und bestätigte intellektuelle und wissenschaftliche Kompetenzen, aber einmal war zi zur Zeit des Konfuzius kein Titel, den man nach Absolvierung eines Curriculums bzw. einer Art Hochschulstudium erhielt, und zweitens schiene eine Übersetzung wie „Magister Konfuzius“ allzu seltsam. Nichtsdestoweniger charakterisierte das zi in Namen wie Kongzi Männer, die sich soviel Bildung und Kultur – zivilisierte, geschliffene Umgangsformen – angeeignet hatten, dass sie aufgrund überlegenen Wissens, überlegener Fähigkeiten und – idealiter – vorbildlichen Verhaltens als eine Art Lehrer wirkten. Sie hatten ihre Fähigkeiten im Allgemeinen unter Anleitung von Privatgelehrten oder Privatlehrern erworben. Bildung bestand dabei vor allem in moralischer, literarischer, musikalischer, historischer, gesellschaftlicher sowie politischer und womöglich militärischer Bildung. Letztere schloss Künste wie Bogenschießen und Wagenlenken ein (IX:2: 50). In traditionellen Listen ist genauer, aber vielleicht auch irreführenderweise, von sechs Künsten (liu yi) die Rede: den Riten, der Musik, Bogenschießen, Wagenlenken, Schreiben und Rechnen. Was Konfuzius angeht, so wird seine Persönlichkeit vor allem mit zivilen Formen der Bildung in Verbindung gebracht. Er galt und gilt als Beispiel moralischer Integrität, als feiner Kenner und überzeugter Befürworter von Literatur und Musik (I:15: 8 f.; VII:14: 40; VIII:8: 47; XVII:9 und 10: 115), als ein Muster schönen konventionsgerechten Umgangs und schließlich als kompetenter politischer Berater. Dagegen soll er merkliche Zurückhaltung in Fragen ,militärischer Künste‘ gezeigt haben (IX:2: 50, XII:7: 73; XV:1: 98). All diese Züge lassen sich aus dem Lunyu herauslesen, doch charakterisieren sie eine Persönlichkeit, die eher als Ideal denn als historische Gestalt erscheint.
2 Der Name „Konfuzius“
Obwohl Konfuzius seine Auffassungen kaum durchsetzen oder verwirklichen konnte und insbesondere politisch eher erfolglos war, sind es seine moralischen und politischen Lehren gewesen, die in der Geschichte Chinas, vor allem aber in der Geschichte der Moral-, Staats- und Gesellschaftsphilosophie in China Bedeutung gewannen. „Lehrmeister“ ist gewiss ein angemessenerer Ausdruck als „Meister“. Doch besser als jede explizite Übersetzung des zi erscheint im Allgemeinen die Verwendung des Namens Konfuzius, der latinisierten Form von Kongfuzi. Entsprechendes gilt für die Namen anderer herausragender chinesischer Gestalten wie Menzius bzw. Mengzi (372?–289?), Xunzi (313–238), Mozi (468?–376?), Sunzi (5. Jh. v. u. Z.) oder Han Feizi (280?–233), die allesamt als zi bezeichnet wurden. Bei der Verwendung des chinesischen Namens sollte freilich klar sein, dass zi Persönlichkeiten meint, die vor allem aufgrund von Bildung, Verhalten und öffentlichem (politischem) Engagement als Vorbild, Lehrer und Mentor angesehen und geachtet wurden.
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3 Die Bezeichnung „Konfuzianismus“ Missverständlichkeit der Bezeichnung „Konfuzianismus“ „Schule der Gelehrten“: eine bessere Übersetzung von rujia als „Konfuzianismus“ Gewaltlosigkeit als Utopie der frühen rujia
Besonders irreführend ist das Wort „Konfuzianismus“. Es insinuiert eine Einheitlichkeit der als ,konfuzianisch‘ bezeichneten Strömungen, Schulen und Lehren, die nie bestand und die auch heute nicht besteht. Im klassischen Chinesisch gab es kein entsprechendes Wort. Es war nie von einem ,Konfuzianismus‘ die Rede, und selbst im 21. Jahrhundert ist die gängige Bezeichnung immer noch rujia, „Schule der Gelehrten“. Die sogenannten Konfuzianer aber wurden einfach als ru, „Gelehrte“, bezeichnet. Ru soll ursprünglich so etwas wie „Weichling(e)“ und „Sanftmütige(r)“ bedeutet haben (Köster: 69). Wenn dem so ist, so waren mit ru wohl Männer gemeint, die eher auf Gewaltlosigkeit, auf Erziehung vermittels Rede und Vorbild bzw. auf Menschlichkeit, Bildung und Lernfähigkeit setzten denn auf Zwang, Gewalt und Strafen. Vielleicht hatte das Wort ru anfangs auch einen ironischen Beiklang: als Hinweis auf eine gewisse Weltfremdheit. Nach einer anderen Rekonstruktion soll es jedoch eher „Lehrer“ bedeutet haben (Lu 1998: 154). Wenn ich im Folgenden nichtsdestoweniger immer wieder von Konfuzianismus spreche, so als Zugeständnis an eine eingefahrene Konvention. Dabei sollte man sich freilich der skizzierten Problematik bewusst bleiben.
Klassischkonfuzianische Vorbehalte gegen die Berechtigung und die Wirksamkeit von Strafen
Außerordentlich beeindruckend ist die konfuzianische Tradition, die vor der Todesstrafe warnt. Konfuzius dürfte bereits auf ältere Überlieferung zurückgegriffen haben, als er selbst seine Vorbehalte aussprach. Und diese Überlieferung blieb auch nach ihm lebendig. Stellen aus dem Shujing, dem „Klassiker der Urkunden“, dem Lunyu, dem Kongzi jiayu, den „Schulgesprächen des Konfuzius“, und anderen Texten belegen es. Im Shujing (V:27, Legge III: 591 f.) heißt es: „Im Volk der Miao nutzten sie nicht die Macht des Guten, sondern Abschreckung durch Strafen. Sie machten die Fünf [Körper]strafen zu Mechanismen der Unterdrückung, sie Gesetze nennend. Sie schlachteten die Unschuldigen dahin, und sie waren die Ersten, die beim Abschneiden von Nasen, Abschneiden von Ohren, Kastration und Brandmarkung bis zum Exzess gingen. Alle, auf die diese Strafen angewendet werden konnten, wurden in derselben Weise behandelt, ohne Unterschied zugunsten jener, die eine [strafmildernde] Erklärung anbieten konnten. Nach und nach prägte dies die Menge des Volkes […] Man setzte nicht länger auf Aufrichtigkeit, sondern brach Eide und Übereinkommen. Die Massen, die unter dieser Schreckensherrschaft litten und (Gefahr liefen,) umgebracht zu werden, erklärten dem Himmel ihre Unschuld. Der Herr in der Höhe [shangdi] überblickte das Volk, und kein Wohlgeruch stieg von ihm auf, sondern nur der Gestank (grausamer) Strafe.“
3 Die Bezeichnung „Konfuzianismus“
Zu den Konsequenzen, die das Shujing zieht, gehört auch das Prinzip der Unschuldsvermutung: „[…] Bestehen Zweifel, ob eine der Fünf (Körper)strafen angewendet werden sollte, so sollte auf die Anwendung verzichtet werden.“ (Legge III: 604. Vgl. auch 388 ff., 412) Der Abschnitt über den Strafvollzug der Miao und die anschließenden Reflexionen (Legge III: 591–611) gelten zwar als Texte der späten Zhou-Zeit (771–221), werden aber bereits im Mozi (Schmidt-Glintzer 1975a: 121) zitiert. Zumindest der Inhalt dieser als „[Überlegungen des Prinzen] Lü über die Strafe“ betitelten Passagen dürfte deshalb älteren Datums sein. Mit den ihm zugeschriebenen einschlägigen Äußerungen hätte Konfuzius jedenfalls unmittelbar an das Shujing anschließen können: „Will man Gehorsam durch Gesetze und Ordnung durch Strafe, dann wird sich das Volk den Gesetzen und Strafen zu entziehen versuchen und alle Skrupel verlieren. Regiert man es dagegen durch Tugend und schafft Ordnung durch Sitten und Riten, so hat das Volk nicht nur Skrupel, sondern es wird aus Überzeugung folgen.“ (II:3: 9; Roetz 1992: 287) Und zu einem Fürsten gewandt: „Wozu müsst ihr töten, wenn ihr regiert? Ihr selbst müsst das Gute nur wirklich wollen, dann wird auch das Volk gut werden.“ (XII:19: 76; vgl. auch II:20: 13) Nach dem Kongzi jiayu (Wilhelm 1981a: 23 f.) soll Konfuzius unter Berufung auf das Shujing betont haben: die Todesstrafe einzusetzen, ohne selbst Vorbild rechten Denkens und Handels gewesen zu sein und ohne entsprechend belehrt und vor Verfehlungen gewarnt zu haben, sei unbillig, ungerechtfertigt, ja hart und grausam. Es komme der Tötung Unschuldiger gleich. Eine ähnliche Stelle findet sich im Xunzi (XXVIII, Köster: 367), und auch das Menzius schließt entsprechende Abschnitte ein. Das Kongzi jiayu, von Wang Su (195–256) kompiliert und ediert, enthält – vermutlich auf vor-Han-zeitliche Texte zurückgehende – Passagen, die mit zentralen Stellen des Lunyu bestens vereinbar sind, ja sie zu stützen und zu explizieren scheinen. So vermag es wichtige Auffassungen und Worte des Lunyu verständlicher zu machen. Es schließt aber auch Stellen ein, die z. B. unbestreitbar daoistischen Charakter besitzen oder Züge des Han-zeitlichen (206 v. u. Z.–220 u. Z.) Synkretismus zeigen. Sie gelten vielfach als Fälschungen Wangs. Solche Passagen bleiben im Folgenden außer Acht. Im gegebenen Zusammenhang zählen vor allem die Maximen, eher durch Belehrung, Bildung und Vorbild denn durch Einschüchterung zu wirken und keine Verhältnisse zu schaffen oder zuzulassen, die Menschen sozusagen in illegale und verbrecherische Handlungen treiben, insbesondere aber, keine Unschuldigen zu töten. Freilich bleibt zu beachten, dass auch Konfuzius die Todesstrafe nicht völlig abgelehnt haben dürfte. Die Anekdote jedoch, der zufolge er unmittelbar nach einem Amtsantritt jemanden hinrichten ließ (Xunzi XXVIII, Köster: 366; Kongzi jiayu, Wilhelm1981a: 21 ff.), ist unglaubwürdig. Sie weicht
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3 Die Bezeichnung „Konfuzianismus“
nicht nur zu sehr von allen anderen Informationen über Konfuzius’ Einstellung zur Todesstrafe ab. Sie hält auch philologisch-historischer Kritik nicht stand (Creel: 37 f., 218 f. und 300; Lau: 232–239; Loewe/Shaughnessy: 757 f.). Im Lunyu kommt sie ohnehin nicht vor. Sie mag von legalistisch gesinnten Köpfen – d. h. Gelehrten und Politikern, die harsche Strafgesetze befürworteten – lanciert worden sein, die die konfuzianische Idee der Menschlichkeit für zu ,weich‘ oder für unrealistisch hielten. Vielleicht sollte mit ihr auch Konfuzius für die Doktrin reklamiert werden, dass jeder hinzurichten sei, dessen rhetorische Brillanz und ,Demagogie‘ einen Herrscher gefährden könnten. Oder man wollte Konfuzius als unaufrichtig, als Heuchler oder einfach als jemand hinstellen, der mit seinem schönen, aber weltfremden Gerede zwangsläufig an der Wirklichkeit scheitern musste.
Philosophischer Konfuzianismus, Staatskonfuzianismus und volkstümlicher Konfuzianismus
Lixue: die „Schule des Prinzips“
Ein Ausdruck wie „Schule der Gelehrten“ (rujia) ist allgemein genug, um in selbstverständlicher Weise unterschiedlichste Richtungen und Doktrinen zu bezeichnen. Das Wort „Konfuzianismus“ dagegen täuscht, um es erneut zu sagen, eine Uniformität vor, die es nie gab. Wie angedeutet, widersprechen sich manche ,konfuzianischen‘ Lehren schon im Grundsätzlichen. Selbst die Kritik an vorschnellen und ungerechten Strafen ist nicht für ,den Konfuzianismus‘ überhaupt repräsentativ, sondern steht nur für eine Orientierung unter anderen. Zunächst ist zwischen philosophischem Konfuzianismus, Staatskonfuzianismus und volkstümlichem Konfuzianismus zu unterscheiden. Dabei zerfällt der philosophische Konfuzianismus wieder in zahlreiche Strömungen und Lehren. Sehr grob gesagt, sollte zumindest zwischen klassischem Konfuzianismus (rujia), Neokonfuzianismus (xin rujia) und neuzeitlichem Konfuzianismus (dangdai xin rujia; xiandai xin rujia; dangdai xin ruxue) differenziert werden. Der klassische Konfuzianismus ist in den Texten Lunyu, Menzius (oder Mengzi) und Xunzi formuliert. Ihm ist auch die Tradition zuzurechnen, die am entschiedensten für Bildung, Belehrung, Mahnung und Großzügigkeit statt Strafen eintritt. Zählt man freilich alles, was sich in den zwei Jahrhunderten nach Konfuzius’ Tod als ,Konfuzianismus‘ begriff oder später als ,Konfuzianismus‘ bezeichnet wurde, zum klassischen Konfuzianismus, so wäre auch zwischen konkurrierenden Richtungen konfuzianischer Klassik zu unterscheiden. Aus Gründen sachlicher Kohärenz und begriffspragmatischer Effizienz wird im Folgenden ein engerer KlassikBegriff verwendet. Sonst verlöre der Begriff zu sehr an Informationsgehalt. In ihrem Eklektizismus, ihren metaphysisch-spekulativen Zügen, dem für sie charakteristischen mechanistischen Ritualismus oder ihrem unkritischen Lob des Altertums weichen viele dieser Richtungen zu sehr von der unprätentiösen, Common sense und Diesseits verpflichteten Ethik, Staats- und Gesellschaftsphilosophie von Lunyu, Menzius und Xunzi ab. Sie werden genannt, aber dabei explizit in ihrem Charakter als separate – nicht-klassische – Strömungen angesprochen. Die Zahl der rivalisierenden neokonfuzianischen Philosophien geht gewiss in die Dutzende. Das bekannteste Beispiel ist die im Wesentlichen von Zhu Xi (1130–1200) geprägte lixue, die „Schule des Prinzips“ (Chan 1969, 1967, 1986; Shimada; Ommerborn 2008; Ommerborn/Paul/Roetz; u. a.). In ihrer ontologisch-spekulativen Ethik, ihren dualistischen Zügen und ihrer
3 Die Bezeichnung „Konfuzianismus“
Gefühlskritik unterscheidet sie sich fundamental von der nüchtern-rationalen Ethik etwa des Lunyu. Zhu Xi behauptet nämlich, dass es genau zwei Grundlagen oder Faktoren alles Seienden gebe: li, „Prinzip“ oder „Struktur“ (neben „Prinzip“ sind je nach Kontext andere Übertragungen sinnvoll), und qi, „stoffliche Kraft“ oder „Äther“. Li ist auch Fundament alles Guten und insbesondere auch Basis der ursprünglichen und in ihrem Ursprung guten Natur des Menschen (benxing). Alles, was böse ist, geht auf qi zurück. In ähnlich dualistischer Weise wie Plato (427–347) das Körperliche als Feind des Geistigen ansah, sah Zhu Xi qi damit vor allem als gegen li gerichtete Kraft. Entsprechend erklärte er die von ihm ausnahmslos verurteilten Begierden (yu) und fast alle Gefühle (qing) als von qi verursachte Trübungen der ursprünglichen Natur. Wie leicht zu erschließen, soll der Name lixue auf die zentrale Rolle und den hohen Wert hinweisen, die Zhu Xi li zusprach. Neben Lunyu und Menzius erhob Zhu Xi zwei weitere Texte zu grundlegenden ,konfuzianischen‘ Büchern. Gerade weil er damit auch eigener philosophischer Neigung folgte, schließen sie markante Abweichungen von den beiden Klassikern ein. Zhongyong, „Maß und Mitte“, wie – wenn auch in sehr viel geringerer Weise – Daxue, die „Große Lehre“ (Übers. in Wilhelm 1981b und in Die Lehren des Konfuzius), die beide letztlich ebenfalls vor-Qin-zeitlichen Ursprungs sein dürften, formulieren metaphysische Lehrstücke, die dem Lunyu geradezu wesensfremd sind. Die vier Grundtexte der lixue wurden als die „Vier Bücher“ (sishu) zu einer Art neokonfuzianischem Kanon. Neben der lixue war eine vor allem von Wang Yangming (1472–1529) inaugurierte Form des Neokonfuzianismus einflussreich (Chan 1963, 1967; Shimada; Kern 2010; u. a.). Im Gegensatz zu Zhu Xi betonte Wang eher die Einheit von Verstand, Gefühl und Willen und entwickelte gar eine Doktrin der Einheit von Erkennen, oder Einsicht, und Handeln (zhi xing he yi ). Erkennen sei der Beginn des Handelns und Handeln die Vollendung der Erkenntnis. Auch Wangs Lehre hat metaphysisch-spekulativen Charakter, besitzt aber nicht die dualistischen und emotionskritischen Züge der lixue. Wegen ihrer Charakterisierung des „Herzens“ (xin) als einheitlichen und (potentiell) alles einschließenden Vermögens der Erkenntnis, des Willens und einer in sich begründeten, nach Außen gerichteten Aktivität wird Wangs Philosophie auch xinxue, „Schule des Herzens“, genannt. In Darstellungen wird sie oft als „idealistisch“ bezeichnet. Dies ist freilich insofern unzutreffend und irreführend, als Wang keinen ontologischen Idealismus vertritt. Er behauptet ganz und gar nicht, dass das fundamental Seiende immateriellen Charakter besitze. Während wichtige Züge des Neokonfuzianismus Resultat einer Auseinandersetzung mit buddhistischer Metaphysik sind, die seit dem 2. Jahrhundert in merklichem Umfang Eingang in China gefunden hatte (erste Spuren des Buddhismus finden sich bereits im 1. Jahrhundert), bildete sich der neuzeitliche Konfuzianismus, wie er sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelte, in mancher Hinsicht als Reaktion auf westliche Philosophie heraus. Der Staatskonfuzianismus entstand in der Han-Zeit (206 v. u. Z.–220 u. Z.). Im Grunde handelt es sich bei ihm um eine Ideologie der Herrschenden. Statt der klassisch-philosophischen Konzepte kritischer Loyalität und
Der neokonfuzianische Kanon: shishu, die „Vier Bücher“
Xinxue, die „Schule des Herzens“
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kritischer kindlicher Ergebenheit propagiert er eher unbedingten Gehorsam. Außerdem bildet er ein eklektizistisches Gemisch aus Lehren, die dem klassischen Konfuzianismus zum Teil sogar entgegenstanden. Genannt seien nur der Daoismus, der Legalismus und die Yin-Yang-Doktrinen. In seinen philosophischen Zügen steht er dem Neokonfuzianismus nahe. Die wohl einflussreichste Figur in der Gestaltung seiner Grundlagen war Dong Zhongshu (180–115, Gassman; Chan 1969: 271–288; De Bary 1960: 162–171). Der volkstümliche Konfuzianismus geht ebenfalls bis in die Han-Zeit zurück. Er ist am besten als populärer Konfuzius-Kult charakterisierbar. Im 21. Jahrhundert äußert er sich vor allem in Wochenendausflügen zu KonfuziusSchreinen. Besonders beliebt sind Familienreisen und Ausflüge zum Schrein in Qufu, Konfuzius’ Geburtsort im damaligen Staate Lu in der heutigen Provinz Shandong. Dort kann man das Bild des Weisen auf Löffeln, Servietten, Handtüchern, Puderdosen, in Hologrammen und anderen Devotionalien mehr bewundern. Man erhält eine handliche Ausgabe des Lunyu, die gerade einmal 7 mal 3,5 Zentimeter misst. Oder man kann kleine KonfuziusStatuetten erwerben. Es gibt eine Unzahl von Hotels und Gaststätten. Kurz, Qufu ist längst ein nationales Tourismuszentrum.
4 Die Zeit des Konfuzius. Soziopolitische Voraussetzungen seiner Einstellungen, Überzeugungen und Lehren Konfuzius lebte in der Zeit der Zhou-Dynastie (11. Jh.–221), und zwar in der Epoche der Östlichen Zhou (770–221), die auf die Herrschaft der Westlichen Zhou (11. Jh.–771) folgte. Die Bezeichnungen verweisen auf die entsprechenden geographischen Zentren der Macht. Die Jahre zwischen 770 und 481 heißen dabei auch Frühlings- und Herbstzeit. 481 begann dann die Epoche der Streitenden Reiche. Sie endete im Jahr 221 vor unserer Zeitrechnung mit der vom Qin-Fürsten Qin Shihuangdi (–210 v. u. Z.), dem „Ersten Kaiser der Qin[-Dynastie]“ (221–207), nach langen, grausamen Kriegen erzwungenen Reichseinigung. Dieser Kaiser ist auch einer breiteren deutschen Öffentlichkeit bekannt geworden. Vor allem Ausstellungen und Bildbände der Terrakotta-Soldaten und Terrakotta-Pferde, die sich in seiner riesigen Grabanlage in der Nähe von Xi’an finden, haben uns mit ihm vertraut gemacht. Die Dynastie der Östlichen Zhou, die Frühlings- und Herbstzeit und die Zeit der Streitenden Reiche waren Epochen mehr oder weniger kontinuierlichen Niedergangs der nominellen Zentralmacht und schließlich auch der einzelnen chinesischen Reiche. Grob gesagt, waren es Jahrhunderte kriegerischer Auseinandersetzungen, die stetig an Umfang und Intensität zunahmen. Dies musste zumindest bei jenen, die sich als Opfer verstanden, den Wunsch, wenn nicht gar die Sehnsucht nach Frieden und Sicherheit wecken und wachsen lassen. Eine gewissermaßen natürliche Lösung allen Streits bot dabei die Hoffnung auf eine einheitliche, zentrale Herrschaft über die gesamte näher bekannte Welt, über „Alles unter dem Himmel“ (tian xia); denn sie bedeutete ja das Ende der Kriege zwischen den lokalen Mächten. Doch wie war sie auf friedlichem Wege zu erreichen? Theoretisch lag es nahe, den Weg über Argumente und dabei näherhin über historische und moralische Argumente zu gehen. Dabei mussten diese Argumente der Frage nach der Legitimität von Herrschaft besonderes Gewicht beimessen. Klar war freilich auch, dass Argumente allein kaum ausreichten, um Frieden und Sicherheit herzustellen. Bei allem zur Schau getragenen Optimismus wussten auch die chinesischen Gelehrten der Zhou-Zeit, und mehr noch die Mächtigen jener Zeit, um die Kluft zwischen Einsicht und Handeln. Auch das Lunyu enthält entsprechende Belege (V:27: 31; VII:3: 38; VII:33: 44; IX:24: 55). Kriege, Mord, Totschlag, Lüge und Betrug sind Erscheinungen, mit denen universale Moral und traditionelle, Ordnung stiftende Sittlichkeit außer Kraft gesetzt werden. Sie sind Ursache und Wirkung großer ethischer und sittlich-konventioneller Krisen. Das galt damals wie heute. Die Zeit der Streitenden Reiche reflektierte insbesondere eine Krise feudaler Ordnung und Moral. Zeitliche und räumliche Distanzen hatten ehemals bestehende
Kriege zwischen chinesischen Reichen und Reichseinigung
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4 Die Zeit des Konfuzius
Der Gelehrte als fahrender und streitbarer politischer Ratgeber: ein Opfer von Kriegen, Machtkämpfen, despotischer Willkür, Intrige, Sinnkrise und eigener Macht- und Mittellosigkeit
persönliche Bindungen wirkungslos gemacht. Am Ende aller Auseinandersetzungen musste eine eher traditionelle, an persönliche Nähe, Dankbarkeit und Verpflichtung gebundene Ethik einer abstrakteren, allgemeineren Ethik weichen. Für chinesische Gelehrte gab es damals wohl nur eine halbwegs realistische Wahl. Sie ähnelte, allgemein gesprochen, Platos Eintreten für den Philosophenstaat, seinem Konzept, dass es letztendlich allein die Philosophen seien, die einen idealen Staat schaffen und regieren könnten (Paul 1987: 64–71, und 1990: 68–75). Chinesische Gelehrte der Zhou-Zeit mussten ihr Heil in einer Tätigkeit als politische Berater suchen. Sie mussten sich um Funktionen bei mächtigen lokalen Herrschern bemühen, auf die sie dann entsprechend ihren Auffassungen und Lehren einwirken konnten. Dies wiederum musste dazu führen, die Ratgeberfunktion selbst als eine Hilfe auszuweisen, die für die einzelnen Herrscher schier unverzichtbar war, wenn diese denn ihre Macht sichern und ausbauen wollten. Auch im Lunyu findet sich eine entsprechende Stelle. Nach XIII:15 (S. 83) soll ein lokaler Herrscher Konfuzius gefragt haben: „Gibt es ein Wort, das einem Land den Untergang bringen könnte?“ Und Konfuzius soll geantwortet haben: „Ein einziges Wort vermag dies [wohl] nicht. Aber man sagt: ,Ich habe nicht die geringste Lust, Herrscher zu sein; es sei denn, keiner widerspricht (wei ) mir.‘ Falls das, was ein Herrscher sagt, gut ist, und keiner widerspricht, gut. Aber falls, was er sagt, nicht gut ist, und ihm keiner widerspricht, handelt es sich dann nicht um ein Wort, das einem Land den Untergang bringen könnte?“ Das Gemeinte ist klar. Herrscher, die Fehler machen und dennoch keinerlei Offenheit für Kritik zeigen, sind letztlich zum Untergang verurteilt. Da jedoch jeder Mensch und damit auch jeder Herrscher prinzipiell fehlbar ist, folgt, dass jeder Herrscher kritischer Ratschläge bedarf, wenn er denn sein Wohl und seine Macht erhalten will (XIV:19: 91 f., XIV:22: 92; und Kongzi jiayu, Wilhelm 1981a: 80, 83 und 99 f.). Die beiden anderen klassisch-konfuzianischen Texte, das Menzius und das Xunzi, entwickelten regelrechte Theorien der Unverzichtbarkeit politischer Ratgeber. Nur die Kompetenz und kritische Loyalität solcher Ratgeber, so die Botschaft, garantiere die Macht des Herrschers bzw. eine humane Herrschaft, wie sie unabdingbar sei, um Frieden und Sicherheit zu gewährleisten. Im Menzius (IV:2:3, Wilhelm 1982: 124) heißt es: „Menzius sprach: ,Man muss nach dem Rat [der Staatsdiener] handeln, auf ihre Worte hören, so dass Wohltaten niedergehen auf das Volk […]‘.“ Das Xunzi enthält die Passagen (XXV, Köster: 321 und 330): „Nehmt die weisen Männer ernst! / Denn niemals kommt Ordnung in einen Staat, in welchem ein beschränkter / Geist für sich allein alles bestimmen will, / In welchem der Herrscher misstrauisch ist und rücksichtslos immer überlegen erscheinen will. / Wenn dann in der Schar der Beamten keiner zu widersprechen (jian) wagt, / Dann gibt es unvermeidlich Unglück.“
4 Die Zeit des Konfuzius
„Der Grund, warum die Könige You [reg. 781–771] und Li [reg. 857–842] der Zhou-Dynastie so schmählich endeten, / Ist der, dass sie nicht auf die Regeln und Warnungen achteten.“ Das letzte Argument soll in exemplarischer Form auf einen als gesetzmäßig begriffenen historischen Zusammenhang aufmerksam machen: Herrscher, und insbesondere despotische Herrscher, die keinerlei Kritik duldeten, gingen zwangsläufig zugrunde. Wohl noch eindrucksvoller ist freilich eine Passage aus dem Jiayu, die ihrerseits an eine Stelle aus dem Shiji, den berühmten „Aufzeichnungen des Historikers“ Sima Qian (145?–86?) erinnert. Wichtig ist dabei Folgendes: die meisten Gelehrten und politischen Ratgeber der unterschiedlichsten Schulen der Streitenden Reiche dürften in der Tat darin übereingestimmt haben, dass jede Herrschaft des kritischen Rates bedarf. Selbst Herrscher dürften diese Ansicht vertreten haben, und dies gerade deshalb, weil sie allenthalben Verrat und Betrug witterten. Die unten (S. 26 f.) zitierte Stelle aus dem legalistischen Han Feizi ist auch in diesem Kontext zu sehen. Die vielleicht einzige Ausnahme bildeten die Daoisten, die Rat und Argumentation überhaupt ablehnten (wiewohl auch sie argumentierten), und sei es auch nur, um sich nicht selbst zu gefährden. Die Konfuzius im Kongzi jiayu (Wilhelm 1981a: 83) zugeschriebene Passage lautet: „Eine gute Arznei schmeckt dem Munde bitter, aber sie ist gut für die Krankheit. Loyale [!] Worte (zhong yu) widerstreben dem Ohre, aber sie kommen dem Handeln zugute. Die Könige Tang und Wu [die Begründer der Shang- und Zhou-Dynastien] sind durch ,Aber, aber‘ zum Erfolg gelangt, die Tyrannen Jie und Zhou Jin [die von Tang und Wu gestürzten letzten Herrscher der Xia und Shang] sind durch ,Ja, ja‘ zugrunde gegangen. Es ist noch nie vorgekommen, dass ein Fürst ohne Diener, die ihm widersprechen (cheng), ein Vater ohne Sohn, der ihm widerspricht, ein älterer Bruder ohne jüngeren Bruder, der ihm widerspricht, ein Gebildeter ohne Freund, der ihm widerspricht, frei von Fehlern blieben. Darum heißt es: Was der Fürst übersieht, findet der Diener, was der Vater übersieht, findet der Sohn, was der ältere Bruder übersieht, findet der jüngere, was ein Mann übersieht, findet sein Freund heraus. Dann kommt das Reich (guo) nicht in Gefahr des Untergangs, das Haus nicht in Gefahr der Verwirrung, zwischen den Angehörigen kommen keine Missverständnisse auf, und Freundschaften gehen nicht in die Brüche.“ Es ist der erste Satz, der an eine Wendung aus dem Shiji erinnert. In einer Auseinandersetzung mit dem Legalisten Shang Yang (390–338) zitiert der Sprecher Konfuzius und gibt dadurch eine gewisse Nähe zu dessen Position zu erkennen. Er sagt dann weiter, dass König Wu sein Wohl offenen Ratgebern verdankt und Zhou seinen Untergang durch Unterdrückung jeder Kritik herbeigeführt habe. Sima Qian legt Shang Yang darauf die Worte in den Mund: „Klare Worte sind Blumen. Wahre Worte sind Früchte. Ermahnung ist Medizin. Schmeichelei bewirkt Krankheit.“ (Yang/Yang: 131 f.) Letztlich freilich ist die Theorie, dass legitime Herrschaft Menschlichkeit voraussetze und ihr Erhalt von kritikbereiten Ratgebern und für Kritik of-
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Konfuzius als Gründer und Leiter einer ,Lehranstalt‘?
fenen Herrschern abhänge, schon im Shujing angelegt. Sie dürfte als eine philosophische und näherhin ethische Interpretation und Rechtfertigung der gewaltsamen Umstürze entwickelt worden sein, mit denen Tang die Herrschaft Jies und Wu die Herrschaft Zhous beseitigte und ablöste. Spätestens mit Konfuzius dürfte sie zum verbindlichen Lehrstück geworden sein. Da die Berater im Allgemeinen kaum über eigene politische und militärische Macht verfügten, blieb ihnen, wie gesagt, nichts anderes, als durch Argumente und Rhetorik zu wirken, durch Überzeugung und Überredung. Und da so gut wie jeder Herrscher seine Ratgeber hatte und seine eigenen egoistischen Ziele verfolgte, waren sie zur argumentativen und rhetorischen Auseinandersetzung gezwungen. So ist im Xunzi von 100 – sprich vielen – verschiedenen Schulen der Gelehrsamkeit, und das heißt insbesondere der Moral und Politik, die Rede. Was immer Argumente und Rhetorik letztlich tatsächlich bewirkten: es empfahl sich, die besseren Argumente und die größere Überredungskraft für sich zu haben. In einem über Jahrhunderte hinweg anhaltenden Klima nicht nur kriegerischer, sondern auch intellektueller Auseinandersetzung bildeten so chinesische Gelehrte und Machthaber fast zwangsläufig ein umfassendes Repertoire und Instrumentarium differenzierter Argumentation und Rhetorik aus. Weit davon entfernt, dass zur Zeit des Konfuzius und in den nachfolgenden Jahrhunderten so etwas wie ,chinesische Intuition‘ oder gar eine Indifferenz gegenüber logischer Gültigkeit eine Rolle spielten: vor allem in der Zeit der Streitenden Reiche wurden logische Mittel bewusst und raffiniert eingesetzt, um zu überzeugen, zu überreden oder etwa, um einen Feind zu zerstören (Crump; Paul 1998c). Das Interesse chinesischer Gelehrter, als politische Berater der Mächtigen zu wirken, war freilich nicht nur moralisch oder sachlich begründet. Den meisten von ihnen bot sich auf dem damaligen ,Arbeitsmarkt‘ keine andere halbwegs attraktive Alternative. Wollten sie einigermaßen gut leben, so waren Ratgeberstellen die beste Wahl. Darauf freilich musste man auch vorbereitet sein. So entstanden, vielleicht ähnlich wie im antiken Griechenland (aber wohl anders als in Mesopotamien und in Ägypten im 3. Jt. v. u. Z., wo sich ein Schriftgelehrtentum entwickelte, das vor allem Verwaltungsaufgaben gewidmet war), die ersten Schulen oder Akademien. Hatte man keine (befriedigende) Stelle an einem Hof, so konnte man lehren. Wollte man etwas werden, so konnte man Unterricht nehmen. So wird auch Konfuzius oft als Gründer einer Art Akademie dargestellt, die überdies eine Art festes Programm eingeschlossen haben soll. Neben Schreiben, Rechnen, Musik, Literatur, Geschichte und traditioneller, zum Teil ritueller kultivierter Umgangsform gehörten Wagenlenken und Bogenschießen dazu. Konfuzius soll auch so gut wie mittellose Studenten angenommen haben (VII:7: 39). Und die ihm zugeschriebene Sentenz „Gibt es Bildung, gibt es keine Standesunterschiede“ (XV:39: 105), die vor allem besagen dürfte, dass prinzipiell jeder Anspruch auf ,Unterricht‘ habe, schmückt noch im 21. Jahrhundert viele Konfuzius-Schreine. Konfuzius gilt deshalb vielen als erster Erzieher Chinas, doch sein Hinweis, sich auch mit geringer Vergütung oder gar nur einer symbolischen Gabe zufriedenzugeben (VII:7), zeigt an, dass es seinerzeit andere gab, die Wissensvermittlung bereits als eine Art Brotberuf betrieben. Begründer eines organisierten Un-
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terrichts oder einer Lehranstalt jedenfalls dürfte er nicht gewesen sein (Creel: 29 ff., 78 ff.; Brooks/Brooks: 21–28). Die kriegerischen und politischen Auseinandersetzungen brachten es dann mit sich, dass Gelehrte gewissermaßen zu ,fahrenden‘ Beratern wurden. Sie zogen von Fürst zu Fürst und Hof zu Hof, um ihre Dienste anzubieten. Natürlicherweise suchten sie dabei nach Herrschern und Staaten, von denen sie sich besonders viel erhofften, sei es in allgemein-moralischer oder politischer Hinsicht oder einfach in eigenem, persönlichem Interesse. In der Einleitung zu seiner Ausgabe des Zhanguo ce, den „Intrigen der Strei(76–6) sinngemäß: „Es schien mir, tenden Reiche“, schreibt Liu Xiang dass die wandernden Gelehrten und Überredungskünstler der Zeit der Streitenden Reiche die Staaten, die sie anstellten, bezahlten, indem sie für deren Zwecke nützliche Ränke und Pläne austüftelten“ (Crump: 27; Simson 2000: 395). Konfuzius war einer dieser fahrenden Gelehrten. Sein Denken und Handeln ist entsprechend einzuordnen und zu verstehen. Nach dem Shiji soll er, wieder einmal unterwegs, sarkastisch bestätigt haben: „Ja, wie wahr, wie wahr, ich bin wie ein streunender Hund!“ (Yang/ Yang I: 21). So illustrativ die Stelle ist, so unsicher ist freilich ihre Historizität. Dabei ist die Zeit des Konfuzius, wenn auch nicht den Anfängen, so doch einer relativ frühen Phase der Ausbildung von Argumentationskunst und Rhetorik zuzurechnen, die ihren Höhepunkt erst etwa 200 Jahre später erreichen sollte. Immerhin zeichnen sich bereits Passagen des Lunyu durch klare logische Struktur oder respektable Rhetorik aus. Besonders beeindruckend sind freilich einige der Stellen, die Pragmatismus und Diesseitsgewandtheit zum Ausdruck bringen. Auf die Frage, wie man den Geistern der Verstorbenen dienen solle (XI:12: 65), soll Konfuzius geantwortet haben: „Wenn man nicht einmal den Lebenden dienen kann, wie soll man da den Geistern der Verstorbenen dienen können?“ Und auf die Frage nach dem Tod: „Wenn man nicht einmal das Leben versteht, wie kann man da den Tod verstehen?“ Die Antworten sind als Fragen formuliert, die aufgrund ihrer Rhetorik Wirkung zeitigen. Dabei sind die Implikationen klar: Man solle sich dringlichen, naheliegenden Aufgaben widmen, bevor man sich in schwerlich erfolgreiche Spekulationen über bestenfalls schwer zugängliche Probleme verliert. Oder: Man solle sich zunächst darauf konzentrieren, lösbare Aufgaben zu bewältigen, ehe man sich Problemen zuwendet, die vielleicht gar nicht zu lösen sind. Im Übrigen heißt es im Lunyu mehrfach (I:15: 8; VII:8: 39), dass es gelte, Anspielungen und Implikationen zu verstehen, und entsprechend sind denn auch zahlreiche Passagen formuliert. Dem Kongzi jiayu zufolge soll Konfuzius auf die Frage, ob die Toten Bewusstsein besäßen, entgegnet haben: „Wollte ich sagen, die Toten haben Bewusstsein, so wäre zu fürchten, dass ehrfürchtige Söhne und gehorsame Enkel die Lebenden zu kurz kommen ließen, um der Bestattung der Toten willen. Wollte ich sagen, die Toten haben kein Bewusstsein, so wäre zu fürchten, dass ungeratene Söhne ihre Eltern unbestattet liegen ließen.“ (Wilhelm 1981a: 44)
Argumentation, Logizität und Rhetorik in der Zeit der Östlichen Zhou Konfuzius als Agnostiker
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Der logische Gedankengang ist klar. Dabei reizt die Formulierung fast dazu, ihn zu entfalten. Darin liegt ihre rhetorische Wirkung. Eine solche Entfaltung kann dann zu der Einsicht führen, dass die Frage, ob es ein Leben nach dem Tode gebe, gänzlich außerhalb der menschlichen Erkenntnis liegt und schon deshalb nicht (weiter) verfolgt werden sollte. So lässt sich die Stelle auch als Ausdruck einer agnostizistischen Position verstehen. Ist der argumentative Charakter des Lunyu auch unverkennbar, so unterscheidet er sich doch von der Form späterer argumentativer Texte. Moderater Ton und implizite Ausdrucksweise wichen oft scharfen, expliziten Formulierungen. Herausragende Beispiele dieses Stils sind die mohistischen Werke (Schmidt-Glintzer), das daoistische Zhuangzi (Wilhelm 1976), das Xunzi, Han Feizi und das erwähnte Zhanguo ce. Niveau, Raffinesse, aber auch Gefährlichkeit argumentativer und rhetorischer Auseinandersetzungen dokumentieren die im Folgenden wiedergegebenen Stellen. Da sie am Ende einer zusammenhängenden Entwicklung stehen und unbestreitbar historischen Gehalt besitzen, dürften sie – der genannten Differenzen ungeachtet und gerade aufgrund ihrer Explizitheit – auch Einsichten in die Rolle vermitteln, die Argument und Rhetorik bereits zur Zeit des Konfuzius zukamen. Die Quellen der mohistischen Texte reichen bis ins fünfte Jahrhundert zurück, die des Zhuangzi bis ins vierte. Beide entstanden in Auseinandersetzung mit Konfuzius zugeschriebenen Auffassungen. Das Xunzi, das für Konfuzius Partei nimmt, und das Han Feizi, das Parteien, die sich auf Konfuzius berufen, scharf kritisiert, sind bereits durch mohistischen Kanon und Zhuangzi beeinflusst. Das Zhanguo ce schließlich stellt historische Ereignisse dar, die als Funktion raffinierter und logisch subtiler Formulierungen erscheinen. Verallgemeinernd gesagt, lässt sich die Zeit zwischen etwa 500 und 200 damit auch als eine Epoche charakterisieren, die durch vielfältig kontroverse Dispute gekennzeichnet war. Dabei bringt nichts die Implikationen einer hochgezüchteten Diskurskunst im Dunstkreis der Macht besser zum Ausdruck als die folgende Klage des Han Feizi über „die Schwierigkeit des Überzeugens“: „Die Schwierigkeit des Überzeugens besteht nicht darin, dass mein Wissen dazu nicht ausreichen würde. Sie liegt auch nicht darin, dass ich nicht redegewandt genug wäre, um meine Gedanken klarzumachen, oder dass es mir an Mut fehlen würde, um meine Fähigkeiten voll auszuschöpfen. Die Schwierigkeit des Überzeugens besteht darin, das Innere des zu Überzeugenden zu kennen, um ihn mit meinen Worten zu erreichen. Trachtet der zu Überzeugende nach einem ruhmvollen Namen, während ich mit großem Vorteil argumentiere, so wird er verächtlich auf mich herabschauen, mir wie einem Unwürdigen begegnen und mich aus seiner Nähe verstoßen. Trachtet der zu Überzeugende nach großem Vorteil, während ich mit Ruhm und Ehre argumentiere, so wird er in mir einen Mann ohne Verstand sehen, mich für weltfremd halten und meinen Rat nicht annehmen. Trachtet der zu Überzeugende jedoch insgeheim nach großem Vorteil, während er vorgibt, nach Ruhm und Ehre zu streben, so wird er mich öffentlich anerkennen und in Wirklichkeit von sich fern halten, wenn ich mit Ruhm und Ehre argumentiere. Spreche ich aber von
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großem Nutzen, so wird er im Stillen meinen Worten folgen und mich in der Öffentlichkeit verstoßen. All das darf man nicht außer Acht lassen. […] Ein Ratgeber begibt sich in Gefahr, wenn er fehlerhafte Neigungen des Herrschers bloßstellt, indem er von Sitte und Rechtschaffenheit spricht. […] In Gefahr ist auch derjenige, der den Herrscher zu etwas zwingt, was er nicht zu tun vermag, und von etwas abhält, was er nicht lassen kann. Spricht man mit dem Herrscher über große Männer, so wird er glauben, dass man seine eigenen Unzulänglichkeiten vertuschen will. Spricht man mit ihm über kleine Leute, so wird er meinen, dass man Einfluss erheischen will. Spricht man über etwas, was er mag, so wird er annehmen, dass man seine Gunst erschleichen will. Spricht man über das, was er hasst, so wird er denken, dass man seine Möglichkeiten prüfen will. Bringt man Argumente kurz und bündig ohne Umschweife, wird man vom Herrscher für unwissend gehalten und verstoßen. Redet man ausschweifend über die kleinsten Kleinigkeiten, wird man vom Herrscher für schwatzhaft angesehen und ferngehalten. Nennt man Fakten und bringt altbekannte Ideen vor, gilt man als unfähig und nachlässig. Geht man den Dingen auf den Grund und ist breit in seinen Argumenten, wird man für unhöflich und hochnäsig gehalten.“ (Han Feizi, Mögling: 104 ff.; vgl. auch Shiji, Nienhauser VII: 26 ff.) Diese in der Weltgeschichte vielleicht einzigartig prägnante Analyse der psychologischen Schwierigkeiten politischer Ratgeber, und insbesondere von Beratern, die der Willkür von Despoten ausgeliefert sind, ist durchaus mit den vorsichtigen, in entsprechende Richtung gehenden Hinweisen aus dem Lunyu vereinbar, ja kann als ausdrückliche Konsequenz angesichts einer Atmosphäre allgemeinen Misstrauens (III:18: 18) und sich ständig erhöhender Risiken interpretiert werden (XVIII:1: 119; XVIII:5: 120). Dem Konfuzius des Lunyu zufolge sollte man seine Gesprächspartner jedenfalls stets genau beobachten. Vor allem sollte man ihnen in die Augen sehen (XVI:6: 109). Summa summarum gesagt, sollte man sich an deren Mienenspiel und Gestik orientieren und Kritik in möglichst ansprechender Form vorbringen (Paul 2006a). Auch dies belegt: Schon der historische Konfuzius stand in einer Tradition, in der kritische Loyalität und nicht unbedingter Gehorsam gefordert wurde (XI:24: 68; XIV:12: 89; XV:9: 100; XVIII:1: 119 u. a.), in der man jedoch zugleich vor einer allzu direkten Ausdrucksweise warnte und gar poetische Anspielung empfahl (XVII:8: 114; XVIII:5: 120; VI:16: 35 u. a.). Zhong, das im Allgemeinen mit „Loyalität“ übersetzt wird, dürfte zu Konfuzius’ Zeit ohnehin eher engagierte, ehrliche Anstrengung zum Wohl des anderen bedeutet haben (Lau 1992: xvi; Ames/Rosemont: 59). Sachlich entsprechende Passagen, die sich auf Ereignisse der Jahre 771 und 523 v. u. Z. beziehen sollen, finden sich schon im Guoyu, den „Gesprächen der Staaten“ (Zhang: 270 f.; Roetz 2009: 15), und im Zuozhuan, der „Überlieferung des [Gelehrten] Zuo“ (Legge V: 684; Zhang: 271 f.; Roetz 2009: 16), zwei Geschichtswerken, deren Entstehung ins 5. Jahrhundert zurückreicht. Diese Passagen sind besonders interessant, weil sie die Behauptung einschließen, dass das ideale Verhältnis zwischen Herrschern und Ratgebern seit alters
Kritische Loyalität statt Jasagerei und Unterwürfigkeit
Harmonie statt unbedingter Einstimmigkeit
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4 Die Zeit des Konfuzius
Konfuzius: ein Berater der Mächtigen und Mentor jüngerer potentieller Amtsanwärter
her nicht durch deckungsgleiche Übereinstimmung (tong) bzw. fraglose Zustimmung von ,Ja-Sagern‘, sondern durch Harmonie (he) und damit durch ein Zusammenspiel gekennzeichnet sei, das Widerspruch einschließe. Nicht nur, dass dieser allgemeine Harmoniebegriff auch im Lunyu (XIII:23: 85) formuliert wird. Er ist auch einer systematisch-kritischen Auseinandersetzung mit der Utopie der „Harmonischen Gesellschaft“ dienlich, wie sie die kommunistische Führung Chinas zu Beginn des 21. Jhs. unter angeblichem Rückgriff auch auf Konfuzius lancierte (Roetz 2009). Die ungeachtet der Forderung nach kritischer Loyalität in Abschnitt XVIII:5 des Lunyu ausgesprochene generelle Warnung, dass es „heutzutage“ gefährlich sei, sich überhaupt „mit Politik zu befassen“, mag in Inhalt und Tenor eine daoistische Note besitzen, entspricht aber der Mahnung zur Vorsicht, die in Äußerungen anklingt, die Konfuzius zugeschrieben werden (VIII:13: 48; XIV:3: 87; XIV:12: 89). Hochkultivierte Sensibilität für feinsinnigen, indirekten Ausdruck konnte freilich, wie im Han Feizi so überzeugend dargelegt, zu prinzipiellem Misstrauen gegenüber jeder Stellungnahme und Information führen (I:3: 5; III:18: 18; V:5: 25 f.). Vor allem das Zhanguo ce dokumentiert dies. Es enthält im Übrigen zahlreiche Beispiele von Argumenten, die auf einer Anwendung des Tertium non datur fußen, das heißt des Prinzips, dass jedes S entweder ein P oder ein Nicht-P bzw. jeder Stuhl ein Huhn oder kein Huhn sei. Wie andere klassische chinesische Texte – und wie die zitierte Antwort auf die Frage nach einem eventuellen Bewusstsein der Toten – führt damit auch das Zhanguo ce die verbreitete Behauptung ad absurdum, dass der Satz von ausgeschlossenen Dritten ein ,westliches‘ Gesetz sei, welches ,im Osten‘ nicht akzeptiert werde. Eine besonders beeindruckende Stelle des Zhanguo ce (Crump: 75) berichtet von dem Versuch, einen Überläufer zu diskreditieren. Das eingeschlagene Verfahren lässt erkennen, dass es mit der Absicht gewählt ist, unfehlbar zum Ziel zu führen. Der feindlichen Macht wird ein zu diesem Zweck verfasster, an den Überläufer adressierter Brief zugespielt, der ihn unausweichlich als Spion erscheinen lässt. Er enthält die ingeniöse Formulierung: „Falls die Angelegenheit erledigt werden kann, muss sie um jeden Preis erledigt werden. Falls sie nicht erledigt werden kann, musst Du sofort zurückkehren.“ Es ist offensichtlich, dass solch eine Wendung dem skizzierten Zweck dienen soll. Ebenso evident erscheint, dass sie in ihrer raffinierten Allgemeinheit und Unbestimmtheit, die in einer durch Misstrauen, Intrigen und Verrat bestimmten politischen Welt auch psychologisch überzeugt haben dürfte, in dem Bewusstsein gewählt wurde, keine dritte Möglichkeit zuzulassen und eben (auch) deshalb als sichere Basis für die gewünschten Schlussfolgerungen zu dienen. Der Überläufer wurde denn auch hingerichtet (Paul 1998c). Um das Wichtigste der Skizze der soziopolitischen Bedingungen, unter denen Konfuzius lebte und wirkte, zusammenzufassen, sei resümiert, dass ihm sowohl politische Lage als auch persönliches Interesse kaum eine andere Wahl ließen, denn als gelehrter, gebildeter Berater der Mächtigen und als Mentor jüngerer potentieller Amtsanwärter tätig zu werden, und dass er das moralische Anliegen, Humanität, staatliche Einheit, Frieden und Sicherheit zu stiften oder zu sichern, kaum anders als mit argumentativen und rhetorischen Mitteln verfolgen konnte. Auch Konfuzius wurde so zum wan-
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dernden Gelehrten und Amt suchenden politischen Berater. Nach etwa 35 Jahren in seiner Heimat Lu führte oder verschlug es ihn nacheinander in die Staaten Chi, Wei , Song, Chen und Cai, dann wieder nach Wei und schließlich, 484, zurück nach Lu (IX:5: 51; IX:15: 53; XI:2: 63; XI:23: 67; XV:1: 98; XVIII:3: 120). Besonders einflussreiche Positionen bekleidete er kaum. Die scharfe Konkurrenz – kriegerische politische Auseinandersetzung sowie argumentative und rhetorische Angriffe anders ausgerichteter Gelehrter und Schulen –, die stets virulente Gefahr, in die er sich mit seiner Kritik an seines Erachtens illegitimen oder inhumanen Machthabern begab, dürften dabei auch ihn gezwungen haben, möglichst überzeugend und in der rhetorischen Form möglichst wirksam zu argumentieren (VI:16: 35). So sollte man die Implikationen der mitunter nur scheinbar schlichten Passagen des Lunyu nicht ohne Prüfung gering schätzen. Dessen ungeachtet gehörte Konfuzius zu jenen, die bloße, hohle Rhetorik missbilligten. Er empfahl Zurückhaltung in der Rede (I:14: 8; IV:24: 24). Er legte Wert darauf, dass das eigene Handeln nicht hinter den Worten zurückblieb (I:14: 8; IV:22: 24; XIV:27: 93 u. a.). Große Wortgewandtheit war seines Erachtens nicht unbedingt wünschenswert (V:5: 25 f.; V:25: 30; XV:11: 101; XV:27: 103). Ja, er sprach sich auch noch zugunsten ehrlicher, klarer Rede aus (XIII:3: 79; XIV:12: 89; XIV:22: 92; XVI:4: 108; XVI:6: 109; XVI:10: 109 f.; XVII:17: 116 u. a.). Dies ist nachvollziehbar, wenn man sich – erneut – bewusst macht, wie leicht und schnell die Fähigkeit, in überzeugender oder gar brillanter Form zu argumentieren, zu betrügerischen und demagogischen Zwecken genutzt werden kann. So diente und dient ja auch der Ausdruck „Sophist“, verwendet man ihn in abwertendem Sinn, dazu, jemand zu bezeichnen, der aufgrund seiner rhetorischen Gewandtheit die Worte drehen und wenden kann, wie er will oder wie es gerade opportun ist. Noch das konfuzianische Xunzi reflektiert diese Problematik. Auf der einen Seite steht die Einsicht in die Notwendigkeit, möglichst effizient und das heißt gekonnt zu argumentieren und zu überzeugen, und auf der anderen Seite das moralische Interesse, nicht in fragwürdige – wenn auch noch so brillante – Rhetorik zu verfallen. Als wandernder Gelehrter und Amt suchender politischer Berater war Konfuzius eine typische Erscheinung der damaligen Welt und nur einer unter vielen. Als Wegbereiter einer argumentativen moralischen Auseinandersetzung und Befürworter ernsthafter, aufrichtiger Rede zählte Konfuzius zu den Neuerern, nicht aber zu den Modernisten, Opportunisten und Sophisten seiner Zeit. Diese Form sozusagen kritischer Aufklärung dürfte auch für seine bleibende philosophische Relevanz verantwortlich sein. Sie gehört zu jenen unbestreitbaren Idealen, die uns ungeachtet unserer faktischen Abneigung, ihnen zu folgen, zur verbalen Zustimmung zwingen. Das Beharren darauf, selbst vorzuleben, was man fordert, trägt und trug entscheidend zur Überzeugungskraft der konfuzianischen Lehren bei.
Konfuzius: ein wandernder Gelehrter und Amt suchender politischer Berater
Konfuzius: ein Wegbereiter argumentativer moralischer Auseinandersetzung
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5 Die höchsten Ziele des Konfuzius 5.1 Menschlichkeit (ren) und eine friedliche, sichere und harmonische Welt
Menschlichkeit als bestes Mittel wünschenswerten menschlichen Daseins Menschlichkeit statt Gewalt
Ziele sind oft auch Mittel, Mittel oft auch Ziele. Eine systematische Übersicht zwingt dann zu einer Hierarchie der Ziele. Das höchste Ziel oder die höchsten Ziele zeichnen sich dabei gewöhnlich durch die Eigenschaft aus, Zweck in sich selbst zu sein. Der Konfuzius des Lunyu propagiert solch ein höchstes Ziel: das dao, den rechten Weg, oder ren , die Menschlichkeit. Beide chinesischen Wörter mag man in bestimmten Kontexten auch anders übersetzen. Dem Tenor bzw. der – wenn auch unausgesprochenen – Interpretation , des Xunzi entsprechend, dürfte dao im Lunyu jedoch vor allem ren dao den „[rechten] Weg des Menschen“, bezeichnen, während ren , „Menschlichkeit“, andererseits auch ren dao implizieren dürfte. Dabei gilt ren insbesondere deshalb als höchster Zweck oder als unbedingte moralische Norm, weil ren es selbst dann wert ist oder wert sein kann, verwirklicht zu werden, wenn es das eigene Leben kostet. Erst recht gilt dies, wenn ren ,lediglich‘ solch schmerzliche Folgen hat wie materiellen Verlust, Hunger oder den Verzicht auf Macht und Ruhm. Ren ist in bestimmter Hinsicht also auch dann ein Wert, wenn es (einem selbst) keinerlei Nutzen bringt. Konfuzius redet freilich keinem Verhalten das Wort, das etwa auf unbedachten Selbstmord hinausliefe. Bevor man sein Leben aufs Spiel setzt, sollte man alles tun, um auf andere, weniger gefährliche Weise für ren einzutreten. Außerdem muss es sich um eine moralisch wichtige Sachlage handeln. Das bekannteste Beispiel gefährlicher Intervention im Namen der Menschlichkeit bildete der bereits angesprochene Protest und Widerstand gegen grausamen Despotismus und grausame Tyrannei. Sein Leben für moralische Bagatellen zu riskieren, war nach konfuzianischer Ansicht Dummheit. Nichtsdestoweniger versteht der Konfuzius des Lunyu ren nicht nur als Ziel und Selbstzweck. Ren gilt ihm auch als Mittel, und zwar als das beste Mittel zur Herstellung und Sicherung gesellschaftlicher oder staatlicher Ordnung, friedlichen Miteinanders und letztlich menschlichen Lebens überhaupt. Wie ausgeführt, verspricht sich Konfuzius in all diesen Hinsichten mehr von ren als von Gewalt, Zwang, Einschüchterung, Drohung und selbst Strafgesetzgebung. Er setzt auf Erziehung, Selbstkultivierung und in diesem Kontext vor allem auf Menschen, die als Eltern, Freunde, Lehrer oder politische und administrative Entscheidungsträger Vorbilder der Menschlichkeit abgeben – oder jedenfalls, so Konfuzius’ Überzeugung, abgeben sollten. Die Kardinaltugend ren besitzt also, um es pointiert zu sagen, zwei wichtige allgemeine Charakteristika: sie kann Selbstzweck sein, aber auch ein Mittel bilden, um solch außermoralische Werte wie sogar ein materiell befriedigendes Leben zu realisieren. Folgende Passagen aus dem Lunyu sprechen diese Charakteristika an.
5.2 Der Edle (junzi)
„Ein entschlossener Gelehrter und menschlicher Charakter wird niemals versuchen, sein Leben auf Kosten der Menschlichkeit zu retten. Er ist sogar bereit, sein Leben für die Verwirklichung der Menschlichkeit zu opfern.“ (XV:9: 100) „Ein Menschlicher ruht (an ) in der Menschlichkeit [und findet darin sein Genügen]. Ein Kluger strebt um des Nutzens willen (li ) nach Menschlichkeit.“ (IV:2: 21; Roetz 1995: 64) Das chinesische Wort an bedeutet unter anderem „ruhen in“, „zufrieden sein mit“, „sich wohl und sicher fühlen“. Das Substantiv hat die Bedeutung „Frieden“, „Stille“. An bezieht sich auf eine Situation oder einen Zustand, in der oder dem man verharren möchte bzw. mit dem man zufrieden ist, ohne dabei etwa fauler Bequemlichkeit nachzugeben. Auch der Kluge schätzt die Menschlichkeit. Aber er tut es, weil sie von Nutzen ist, ja, weil er sie instrumentalisieren kann. Li bedeutet „gewinnen“, „Nutzen haben von“ oder „profitieren“ und im gegebenen Zusammenhang eben auch „instrumentalisieren“. Der Konfuzius des Lunyu lehnt eine solche Einstellung nicht rundweg ab, bewertet sie jedoch relativ niedrig. Jedenfalls besagt die Passage, dass ein menschlicher Charakter ren um seiner selbst willen anstrebt. Für ihn ist ren nichts, über das noch hinauszugehen wäre, und in diesem Sinn eben auch kein bloßes Mittel zum Zweck. Auch andere Stellen zeigen, dass Konfuzius ren in mancher Hinsicht als Zweck an sich und insbesondere als Wert sieht, den es unabhängig von Fragen des Eigennutzes zu verwirklichen gilt: „Der Edle (junzi) strebt nach dem dao und nicht nach Wohlstand.“ (XV:32: 104) „Reichtum und Ansehen – das wünschen sich die Menschen. Kann man jedoch nicht auf anständige Weise dazu gelangen, dann soll man sich weder um das eine noch um das andere bemühen. Armut und niedrige Stellung – das mögen die Menschen nicht. Ist es nicht auf anständige Weise zu schaffen, dann sollte man dieser Situation nicht zu entweichen suchen. Verlässt der Edle [den Boden der] Menschlichkeit – wie kann er sich dann noch einen Namen machen? Nicht einmal für die Dauer einer Mahlzeit überschreitet der Edle die [Grenzen der] Menschlichkeit.“ (IV:5: 21) „Wenn man, selbst wenn ein persönlicher Vorteil winkt, nicht vergisst, was man darf [soll] und was man nicht darf [nicht tun sollte], wenn man darüber hinaus bei Gefahr auch bereit ist, sein Leben zu geben, und wenn man schließlich stets zu seinen Worten steht, dann ist man wohl als vollendet[er Mensch] (cheng[ren]) zu bezeichnen.“ (XIV:12: 89)
5.2 Die ideale Persönlichkeit: der Edle (junzi) Wie die letzten Zitate belegen, formuliert Konfuzius sein höchstes Ziel auch als Ideal der Persönlichkeitsbildung. Zweck der Entwicklung und Selbstkultivierung eines jeden Menschen sollte eine menschliche Einstellung, ein der
Menschlichkeit vor Nützlichkeit
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5 Die höchsten Ziele des Konfuzius
Kulturheroen als Weise par excellance
Das konfuzianische dao: eine historische Errungenschaft
Weise als Virtuosen der Menschlichkeit
Ideale Persönlichkeit und kleiner, ,gemeiner‘ Mensch
Menschlichkeit verpflichtetes Denken und Handeln sein. Persönlichkeiten, die diesem Anspruch genügen, nennt Konfuzius vollendet (cheng), Weise (shengren), große Menschen (daren) oder Edle (junzi). Als Weise bezeichnet er Gestalten, die schier Unerreichbares leisten. Sie sind Ernährer und Zuflucht eines ganzen Volkes. Selbst Yao und Shun, legendäre und von Konfuzius selbst glorifizierte Herrscher, sind danach kaum als Weise einzustufen (VI:30: 37 f.). Menzius und Xunzi erweiterten diesen engen und fordernden Begriff. Dabei können insbesondere die Ausführungen im Xunzi vielleicht zu einer Klärung der Implikationen des Lunyu beitragen. Dem Xunzi zufolge sind es, wie wir sagen würden, in erster Linie die Kulturheroen, die als shengren gelten müssen. Sie haben das dao, den richtigen Weg, und damit Menschlichkeit und Kultur allerererst ,erfunden‘ oder ,entdeckt‘ bzw. etabliert. Darin liegt ihre eminente, unvergleichliche Menschlichkeit. In diesem Sinn zählen dann auch Yao und Shun dazu (VIII:18,19: 49). Weise sind, so könnte man mangels klarerer Ausdrücke sagen, eine Art moralischer, intellektueller und zivilisatorischer Genies. Ihre Leistungen sind Muster für alle Zeit. Anders als manche Interpreten behaupten, jedoch nicht, weil sie in ferner Vergangenheit erbracht wurden, sondern weil mit ihnen das dao, die bestmögliche Form (der Normen) menschlichen Denkens und Tuns, erschlossen wurde (Paul 1999). Wiewohl das dao damit einen quasi platonischen Aspekt anzunehmen scheint, dürfte eine solche Deutung irrig sein. Das dao ist eine historische Konzeption. Es wurde, so die konfuzianische Auffassung, von den legendären Herrschern der frühen Geschichte der Zivilisation entwickelt. Da historische und individuelle Erfahrungen zeigten und zeigen, dass es den unveränderlichen, konstitutiven Bedingungen menschlichen Lebens in optimaler Weise Rechnung trägt und zu optimalen Resultaten führt, ist es freilich konstant. Es gibt zum dao keine Alternative. Sind die moralischen Gesetze auch empirischen Ursprungs, so besitzen sie doch bleibende Geltung. In diesem Punkt liegt jedoch ein gewisses Problem. Denn was derart auf Erfahrung beruht, kann sich jedenfalls prinzipiell als falsch erweisen. Das Xunzi charakterisierte den shengren freilich auch als eine Art Virtuosen der Menschlichkeit, der auch neuen, unbekannten Herausforderungen gerecht wird. Nach dem Xunzi kann prinzipiell jeder „ein Yao oder Shun“ werden. Nebenbei gesagt, rückte das Xunzi damit die eigene Zeit der Frühgeschichte sachlich näher. Das Lunyu belässt es bei der Aufforderung, danach zu streben, ein großer Mensch oder ein Edler zu werden. Beide unterscheiden sich dabei vom kleinen, ,gemeinen‘ oder niedrigen Menschen (xiaoren) in einer Reihe von Merkmalen. Menschlichkeit ist die wichtigste von ihnen. Zu ihr gehören Sympathie für den Mitmenschen (ai ren, XII:22: 77), Großherzigkeit, Wohlwollen, Milde, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit (xin) (XVII:6: 113 f.), Bescheidenheit (XIII:26: 86), Lernbereitschaft, Selbstkritik, Offenheit für Kritik, ansprechende, kultivierte Umgangsformen (li ), Toleranz, öffentliches Engagement, Mut (XIV:28: 93), kritische Loyalität (zhong) und kritische Pietät (xiao). Die Art und Weise, in der das Lunyu den junzi vom niedrigen Menschen absetzt, grenzt dabei häufig an Karikaturen. Xiaoren sind danach hart, manchmal gar grausam, verlogen, Heuchler, Liebediener, Angeber, So-
5.2 Der Edle (junzi)
phisten. Sie bilden Cliquen (II:14: 12; XIII:23: 85), besitzen ,schlechte Manieren‘ und sind feige, unkritische, oft nur auf den eigenen Vorteil bedachte Jasager (IV:11: 22; IV:16: 23). Letztlich unwichtig bleiben dagegen Herkunft und Stand. Auch wenn das Wort junzi zunächst Fürsten(söhne) bezeichnete, bezieht es der Konfuzius des Lunyu fast ausschließlich auf Menschen noblen Charakters und herausragender Leistungsfähigkeit. Damit sprach er sich gegen traditionelle feudalistische Sitten und gegen starre, erblich bedingte Hierarchien aus. Zugleich trat er so für eine Meritokratie ein: Amt und gesellschaftlicher Status des Einzelnen sollten eine Frage seines Charakters und seiner Leistungen sein (XIII:2: 79; II:19: 13; XII:22: 77 f.). Wie das deutsche Wort „Edler“ dürfte freilich auch das Wort junzi entsprechende Konnotationen bewahrt haben. Warum Konfuzius das Konzept der idealen Persönlichkeit in der beschriebenen Weise fasste, ist leicht zu erschließen. Er konzipierte den junzi als radikales Gegenteil des xiaoren, da er im „gemeinen Mann“ eine der Hauptursachen für den üblen Zustand der Welt sah, den es ja zu ändern galt. Im Gegensatz zu den Fähigkeiten des Weisen sind die für den junzi bezeichnenden Einsichten und Verhaltensformen Konfuzius zufolge – wenn auch immer noch schwer genug realisierbar – eine wenigstens halbwegs realistische Option. Im Grunde steht sie jedem offen. Der junzi personifiziert sozusagen das Kontrastprogamm zur bitteren Wirklichkeit. Die Ablehnung von Liebedienerei, Heuchelei und Sophistik und die Forderung nach Selbstkritik und Offenheit für Kritik illustrieren dies erneut auch in Details. Menzius und vor allem Xunzi entwickelten Konfuzius’ Begriff des Edlen weiter. Das Xunzi bietet dabei eine systematische ausführliche und detaillierte Beschreibung der idealen Persönlichkeit als höchstem Ziel individueller Entwicklung zu einer im vollen normativen Sinne des Wortes menschrealisierenden – Gestalt (Xunzi III, Köster: 20–28). Eine Gelichen – ren sellschaft, die schließlich nur aus Edlen bestünde, käme dann der Verwirklichung der Utopie gleich: vollendeter Menschlichkeit. Konfuzius mag darauf gehofft haben. Dem Lunyu zufolge war er bei allem Vertrauen in die Bildungsfähigkeit der Menschen jedoch zu sehr Realist, um wirklich daran zu glauben. Quasi kantisch gesprochen, hatte sein Begriff des junzi wohl auch aus seiner Sicht eher regulative Funktion. Im Übrigen freilich dürften sich selbst im 21. Jahrhundert kaum Einwände gegen ein entsprechendes Konzept finden.
Der Edle (junzi): das personifizierte Kontrastprogramm zur bitteren Wirklichkeit
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6 Die Mittel 6.1 Kritik, Bildung und Vorbildlichkeit als Instrumente der Menschlichkeit
Menschlichkeit (ren) als unentbehrliches Mittel akzeptabler gesellschaftlicher Ordnung
Moralität und Gesetz
Bei aller Würdigung von ren als höchstem Ziel war Konfuzius also nicht der Meinung, dass ren keinen Nutzen bringe oder dass die Forderung, ren zu genügen, nur damit zu begründet werden könne, dass ren Selbstzweck sei. Dies wäre im Übrigen auch nicht mit dem Charakter von ren als empirischer Norm verträglich: Der Konfuzius des Lunyu rechtfertigt die Forderung nach ren auch mit dem Argument, dass ren für jede gesellschaftliche Ordnung, die Frieden und Leben sichern solle, unentbehrlich sei. In der Philosophie spricht man in solch einem Fall von einer pragmatischen Begründung, einer Rechtfertigung aufgrund nützlicher Folgen und Konsequenzen. Wortwörtlich genommen, scheint Konfuzius sogar zu glauben, dass diejenigen, die Staat, Gesellschaft und Familie beherrschen oder leiten, in ihrem Denken und Handeln lediglich mit gutem, menschlichem Beispiel voranzugehen (xian) brauchen (XIII:1: 78, Legge I: 262), um zwanglos eine ideale Gesellschaft herbeizuführen und zu gewährleisten (II:1: 9; XII:17–19: 75 ff.; XIII:4: 80; Xlll:6: 81; XIII:13: 82). Danach würde ein im Sinne von ren vorbildliches Leben auch hinreichen, um das gesetzte Ziel zu verwirklichen. Konfuzius spricht damit auch ein grundsätzliches Problem an. Gewiss können auch Gesetze und Institutionen Frieden und Sicherheit bringen und garantieren. Dass dies jedoch ohne jede Menschlichkeit möglich sein sollte, ist kaum anzunehmen. Insbesondere in einem allgemeinen Sinn dürfte Menschlichkeit in der Tat notwendige Voraussetzung jeder halbwegs akzeptablen Gesellschaft sein. Ohne eine gewisse Zahl human eingestellter Menschen und ohne ein gewisses humanes Engament dürfte keine annehmbare Gesellschaft existieren können. Wie Konfuzius selbst sagt, werden Gesetze nur allzu schnell umgangen. Ohne entsprechende moralische Überzeugung ist ihre Wirkung spürbar geringer. Außerdem ist zu entscheiden, was für Gesetze gelten sollen. Bei solchen Entscheidungen müssen notwendigerweise Normen der Menschlichkeit berücksichtigt werden, und sei es aus pragmatischen Gründen. Das Lunyu bringt derartige Überlegungen nicht explizit zum Ausdruck. Aber sie lassen sich doch in einer Art konstruktiver Interpretation zumindest als Konsequenzen identifizieren. Dies gilt umso mehr, wenn man, wie gängig und sehr plausibel, im Menzius und Xunzi Weiterführungen konfuzianischer Gedanken sieht. Immerhin findet sich im Lunyu die Wendung: „Wer ohne Menschlichkeit ist, kann es weder in Bedrängnis noch in Freude lange aushalten“ (IV:2: 21). Sie drückt aus, dass sich schon der Einzelne schwer tut, wenn ihm jede Menschlichkeit fehlt. Sehr viel wichtiger jedoch sind bestimmte implizit ar-
6.1 Kritik, Bildung und Vorbildlichkeit
tikulierte Zusammenhänge. So betont der Konfuzius des Lunyu ja – und auf diesen zentralen Punkt ist immer wieder zurückzukommen –, dass man inhumane und insbesondere grausame Herrschaft kritisieren und manchmal sogar Widerstand leisten solle. Und er weist darauf hin, dass er jedenfalls auf Widerspruch angewiesen sei, wenn er lernen und seine Persönlichkeit (weiter)kultivieren wolle. Dies darf als exemplarische Behauptung verstanden werden. Grob gesagt, läuft das konfuzianische Konzept der Selbstkritik, Kritikbereitschaft und Offenheit für Kritik darauf hinaus, deutlich zu machen, dass es ohne Korrektur durch andere so gut wie unmöglich ist, sich selbst zu entwickeln, und dass es ohne Korrektur der (nach Konfuzius wohl unausbleiblichen) Fehler der Mächtigen so gut wie unmöglich ist, überhaupt gesellschaftliche und staatliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Dabei ist solche Kritik Teil oder Ausdruck der Menschlichkeit. Denn – und dies hätte auch der Konfuzius des Lunyu fragen können – wie sollte man jemand als ren bezeichnen, der nicht gegen Folter und Mord protestiert? Nur vorläufig sei darauf hingewiesen, dass Konfuzius ren auch als eine Norm und ein Verhalten versteht, wie sie – bzw. es – die Goldene Regel anspricht. „Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu“ ist ihre in Deutschland bekannteste Version. Es dürfte keine akzeptable Gesellschaft existieren, in der dieses Prinzip keine Rolle spielt. So ergibt sich in der Tat, dass Konfuzius die Norm ren (auch) mit deren Notwendigkeit für jede gesellschaftliche und staatliche Ordnung und damit für Frieden und Lebenssicherheit rechtfertigt. Wie angedeutet, sind das Menzius und Xunzi in diesem Punkt dann explizit. „Selbst eines Yao und eines Shun Art kann ohne menschliches [ren] Regiment die Welt nicht in Ordnung bringen“, sagt das Menzius (IV:1: 1, Wilhelm 1982: 12). Eine andere, systematisch angelegte Passage lautet gar:
Selbstkritik, Kritikbereitschaft und Offenheit für Kritik als unentbehrliche Mittel und Formen der Menschlichkeit
„Wenn der Himmelssohn nicht menschlich [ren] ist, vermag er nicht, das Land zwischen den vier Meeren zu wahren. Wenn ein Landesfürst nicht menschlich ist, vermag er nicht, die Altäre des Landes und Korns zu wahren. Wenn Grafen und Adlige nicht menschlich sind, vermögen sie nicht, ihre Ahnentempel zu wahren. Wenn Ritter und Volk nicht menschlich sind, vermögen sie nicht, ihre vier Glieder zu wahren. Wer nun Tod und Untergang hasst und sich dennoch der Nicht-Menschlichkeit freut, gleicht dem Mann, der Trunkenheit hasst und sich dennoch dem Wein ergibt.“ (IV:1: 3, Wilhelm 1982: 114) Danach ist es für den einfachen Mann lebenswichtig, sich menschlich zu verhalten. Der letzte Satz darf getrost als exemplarisch-bildhafte Formulierung einer unter Umständen gar logischen Unvereinbarkeit von Selbsterhaltungstrieb und Unmenschlichkeit interpretiert werden. Dies dürfte die pointierteste Version der pragmatischen Begründung von Menschlichkeit im klassischen Konfuzianismus sein. Sie schließt, wie erkennbar geworden sein sollte, insbesondere an den Konfuzius zugeschriebenen Hinweis an, dass Herrscher, die ihr (inhumanes) Fehlverhalten nicht korrigieren, dem Untergang geweiht seien.
Menschlichkeit als letztlich lebenswichtige Tugend
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6 Die Mittel
Noch einmal: Kritik als unentbehrliches Element der Menschlichkeit
Der Konfuzius des Lunyu: ein ironisch-skeptischer, realistischer ,Moralist‘
Das Xunzi argumentiert etwas anders. Es entwickelt die im Lunyu angelegte Konzeption einer Kritik weiter, die als unentbehrlich für die Etablierung und Sicherung gesellschaftlicher Ordnung und einer letztlich humanen Welt gesehen wird. Das Xunzi charakterisiert den Menschen als von Natur aus böses, fehlbares, auf Hilfe angewiesenes, doch auch außerordentlich lernfähiges Wesen. „Von Natur aus“ heißt: in seinen dispositionell bedingten unwillkürlichen Neigungen. „Lernfähigkeit“ bezieht sich auf die Aneignung von Wissen wie auf moralische Bildung. Niemand könne alles wissen. Niemand sei fähig, sich ohne äußere Hilfe zu einer idealen Persönlichkeit zu entwickeln. So bedürfe man der Kritik von Seiten anderer und solle sie dankbar als Hilfe akzeptieren. Das Xunzi versucht so zu zeigen, dass Kritik ein unentbehrliches grundlegendes Element der Menschlichkeit bildet. Es sei an den Konfuzius zugeschriebenen Ausspruch (XI:4: 64) erinnert, dass widerspruchsloses Akzeptieren jeder Äußerung der Verweigerung einer Hilfeleistung gleichkommen könne. Außerdem soll Konfuzius es wiederholt begrüßt haben, dass, wer auf Fehler hingewiesen wird, damit die Gelegenheit erhält, sie bzw. sich zu korrigieren. Dergestalt erweist sich Kritik in der Tat als unentbehrlich für die Zwecke der Selbstkultivierung (xiu ji, XIV:42: 97; I:8: 7; IX:25: 55 u. a.), Bildung und Moral, und so als unverzichtbares Element der Menschlichkeit. Dies aber bedeutet eben (auch), dass Menschlichkeit zur notwendigen Bedingung für die Verwirklichung gesellschaftlicher Ordnung und idealer Gesellschaft wird. So richtig es jedoch sein dürfte, dass keine Gesellschaft ohne Menschlichkeit auch nur einigermaßen bestehen oder ,überleben‘ kann, so irrig ist die Annahme, dass Menschlichkeit oder das Vorbild der Menschlichkeit allein bereits eine ideale Gesellschaft möglich macht. Entsprechende Wendungen im Lunyu sollten deshalb nicht wortwörtlich genommen werden. Eine solche Interpretation wäre naiv. Sie wäre auch mit anderen Konfuzius zugeschriebenen Einstellungen und Äußerungen unvereinbar. So betont Konfuzius ja nachdrücklich, dass die Kluft zwischen Einsicht und Tun für viele unüberbrückbar ist. Schon dies impliziert, dass in vielen Fällen vorbildliches Denken und Handeln anderer nicht ausreicht, um das eigene Verhalten entsprechend zu orientieren. Außerdem bringt Konfuzius immer wieder zum Ausdruck, wie problematisch und wie schwer korrigierbar das Verhalten der Menschen tatsächlich ist – all ihren prinzipiellen Möglichkeiten zum Trotz. Die Stelle des Lunyu, die Konfuzius als Utopisten, wenn nicht gar als einen Tagträumer hinstellt, der anstrebt, was niemals machbar ist (XIV:38: 95), erscheint in diesem Licht als leicht ironisch-bösartige Unterstellung von Außen bzw. als Fremdkörper der Sammlung, dokumentiert aber eben auch die Differenz zwischen Sein und Sollen, Ethik und Welt. In der Tat wäre es methodisch fragwürdig und psychologisch implausibel, Konfuzius einen Charakter zuzusprechen, der Ironie, Skepsis, Vorsicht und nüchterne Einschätzung menschlicher Unzulänglichkeiten mit der Überzeugung verbände, allein über die Vorbildlichkeit der Herrscher, Fürsten, Ratgeber oder Väter die Welt in Ordnung bringen zu können. So darf also auch nicht buchstäblich genommen werden, was Konfuzius Mächtigen geraten und prophezeit haben soll:
6.1 Kritik, Bildung und Vorbildlichkeit
(1) „Regieren heißt, das Rechte tun. Würdet Ihr Euch an die Spitze stellen, wer würde dann wagen, anders zu handeln?“ (2) „Wäret Ihr nicht so habgierig, würde keiner rauben und plündern, selbst wenn es dafür eine Belohnung gäbe.“ (3) „Wieso müsst Ihr töten, wenn Ihr regiert? Ihr selbst müsst das Gute nur wirklich wollen, dann wird auch das Volk gut werden.“ (XII:17–19: 75 ff.) (4) „Werden oben die Regeln des Anstandes, der Sitte und Ordnung geachtet, dann wird auch unten niemand wagen, ohne Achtung und Ergebenheit zu sein.“ (XIII:4: 80) (5) „Regieren“ heiße, soll Konfuzius weiter gesagt haben, „dem Volk vorangehen (xian), ihm ein Beispiel geben und es anspornen“ (XIII:1: 78); eine Formulierung immerhin, mit der mehr gefordert wird, als nur Vorbild zu sein. (6) „Verhält man sich selbst nicht korrekt, so mag man noch so viel befehlen, die anderen gehorchen dennoch nicht.“ (Xlll:6: 81) Vielzitiert ist die Sentenz (7): „Wer gemäß der Tugend (de) regiert, gleicht dem Polarstern. Er behält seinen Platz, und die anderen Sterne umkreisen ihn.“ (II:1: 9) Danach wirkt ein idealer Herrscher mit geradezu magischer Kraft, indem er einfach seine Tugend ,strahlen‘ lässt. Wir könnten auch sagen, dass er aufgrund seines Charismas alle anderen gleichsam zwingt, sich in Orientierung an ihm in ihrer für sie bestimmten Ordnung zu bewegen. Die Passagen (5) und (6) formulieren lediglich notwendige Bedingungen moralisch geforderten Verhaltens. Aber (1) bis (4) und eben (7) geben, wortwörtlich genommen, der Auffassung Ausdruck, dass Vorbildhaftigkeit ausreicht, um die Menschen zu Moralität – und, so die wohl wichtigste Implikation – zu einer Menschlichkeit zu bewegen, die dann ihrerseits die angestrebte gesellschaftliche Ordnung ermöglicht. Wie gesagt, dürften sie jedoch kaum buchstäbliche Bedeutung haben. Sie sind als rhetorische Figuren zu verstehen und verleihen der Überzeugung Nachdruck, dass ohne vorbildliches Verhalten jedenfalls keine oder so gut wie keine Chance auf Erfolg bestehe. Dass Konfuzius dabei sogar bitter, sarkastisch und ironisch wird, verstärkt die Emphase noch. Auch ein Anklang moralischer Empörung mag im Spiel sein. Konfuzius’ Betonung der Unentbehrlichkeit vorbildlichen Denkens und Verhaltens ist leicht nachzuvollziehen. Die meisten von uns dürften sich daran erinnern, wie oft etwa unsere Eltern uns zur Beachtung von Regeln aufforderten, gegen die sie selbst verstießen, und welche Empörung sie damit in uns hervorriefen. Auch Ausdrücke wie „Heuchelei“, „doppelte Moral“, „zweierlei Maß“ oder „Doppelstandards“ verweisen darauf, wie wenig wir geneigt sind, Bitten, Befehlen und Prinzipien zu folgen, wenn die, die es von uns verlangen, sich anders verhalten. Selbst in solch umfassenden Auseinandersetzungen wie interkulturellen und internationalen Menschenrechtsdiskursen lassen sich viele gar nicht erst auf Argumente ein, wenn sie meinen, ,der anderen Seite‘ Unglaubwürdigkeit nachweisen zu können. So kann mangelnde Glaubwürdigkeit verhindern, dass es überhaupt zu sachlichen Problemlösungsversuchen kommt.
Vorbildlichkeit als notwendige Voraussetzung optimalen moralischen Wirkens
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6 Die Mittel
6.2 Lernbereitschaft (hao xue) als Instrument der Menschlichkeit Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit sind mit Sachkompetenz – Wissen und Urteilskraft – zu verbinden
Lernen: Wissenserwerb, Entwicklung des Urteilsvermögens und Charakterbildung
Kritik, Kritikbereitschaft und Offenheit für Kritik: auch unentbehrliche Bestandteile menschlichen Lernens
Um als Vorbild wirken zu können, reichen freilich bloße Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit nicht aus. Denn um es pointiert zu sagen, kann ja auch ein ,Tor‘ glaubwürdig sein. „Menschlichkeit zu schätzen (hao ren), ohne das Lernen zu schätzen (bu hao xue), dürfte zur Einfalt führen […] Aufrichtigkeit zu schätzen, ohne das Lernen zu schätzen, dürfte Schaden bringen […] Freimütigkeit zu schätzen, ohne das Lernen zu schätzen, dürfte zu Grobheit führen.“ (XVII:8: 114) Vorbildhaftigkeit setzt auch Wissen, Erkenntnis und Einsicht voraus, und folgerichtig die Bereitschaft, zu lernen (xue) und Fehler und Irrtümer zu korrigieren (ebd.; IX:24–25: 55). Es geht dabei nicht darum, ob es sich um sogenanntes theoretisches oder praktisches Wissen handelt. In beiden Bereichen kann und muss der Mensch lernen, um möglichst hinreichende Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben. Im Übrigen kann auch die richtige moralische Entscheidung oder das richtige moralische Handeln von treffender ,theoretischer‘ Erkenntnis abhängig sein. Unterschätzt man etwa die mit einem drohenden Gewitter verbundene Gefahr, weil man nicht weiß, wie man die bestehende Wetterlage beurteilen soll, so kann dies zu fehlerhaftem Handeln führen. Ohnehin ist Lernen (xue) in einem sehr allgemeinen Sinn gemeint. Es bezieht sich auf Wissenserwerb und auf Charakterbildung. Wie bereits festgehalten, gingen insbesondere Konfuzius und Xunzi davon aus, dass der Mensch lernen müsse, wenn er sich zu einer idealen Persönlichkeit (junzi) bilden wolle. Und ebenso nahmen beide an, dass jeder Mensch prinzipiell fehlbar und so gut wie niemand befähigt sei, sich alles (erforderliche) Wissen aus eigener Kraft anzueignen. Dass damit, um auch im gegebenen Zusammenhang auf diesen wichtigen Punkt aufmerksam zu machen, Kritik, Kritikbereitschaft und Offenheit für Kritik zu einem unentbehrlichen Bestandteil menschlichen Lernens werden, ist eine einfache Konsequenz. Weitere Passagen, die Konfuzius’ Wertschätzung des Lernens dokumentieren, lauten: „Lerne, als hättest du’s nicht erreicht, und dennoch fürchtend, es zu verlieren.“ (VIII:17: 49) „Einmal habe ich einen ganzen Tag nicht gegessen und eine ganze Nacht nicht geschlafen, um nachzudenken. Es hat nichts genützt. Es kommt dem Lernen [von anderen?] nicht gleich.“ (XV:31: 103) „Unter dreien ist bestimmt einer, von dem ich lernen kann. Ich suche die guten Eigenschaften heraus und folge ihnen. Ich sehe zugleich die schlechten Eigenschaften, um es besser zu machen.“ (VII:22: 41; vgl. auch VIII:5: 46) „Denken (si ) ohne zu lernen (xue ), ist verderblich“ [weil womöglich schlecht begründet, riskant usw.]. (II:15: 12) „Etwas lernen (xue) und sich darin immer wieder üben – schafft das nicht auch Befriedigung?“ (I:1: 5; vgl. auch V:28: 31)
6.3 Wissenserwerb und Wissensinhalte
Gewiss bedeutet xue oft „auswendig lernen“ und „memorieren“. Anders war ein Lernen damals auch vielfach gar nicht möglich. Soweit es in der Aneignung von Textinhalten bestand, fehlten einfach die Abschriften, um sozusagen jederzeit bequem nachschlagen zu können. Sofern es jedoch darum ging, zu lernen, wie man Wissen einsetzte, bedeutete xue auch „studieren“. Wenn der Konfuzius des Lunyu von xue shi (XVII:9: 115) spricht, würden wir davon reden, „die Lieder“ bzw. den „Klassiker der Lieder“ zu studieren; zumal, wenn zugleich beabsichtigt war, daraus in geeignetem Zusammenhang – etwa bei diplomatischen Missionen – originell und geistvoll zitieren zu können (XIII:5: 80; Lau 1992: xliif.). Und wie bereits gesagt, kann xue auch in sehr allgemeinem Sinn verwendet sein, so etwa, wenn Konfuzius behauptet, von den „guten Eigenschaften“ anderer zu lernen. Dagegen bedeutet xue nie rein mechanisches, geistloses Repetieren und Imitieren. So heißt es in II:15 (S.12) auch: „Lernen ohne zu denken, ist irritierend.“ Es fehlt dann an regelrechtem Verständnis, an Ordnung und Orientierung und damit an Urteilsvermögen.
6.3 Wissenserwerb und Wissensinhalte: Das Studium von Geschichte, Literatur und Musik Was aber sollte ein Mensch dem Lunyu zufolge lernen? Welches Wissen war zu erwerben, um dao und ren zur Geltung zu verhelfen? Formulierte der Konfuzius des Lunyu auch ein Curriculum? Wie angesprochen, legte Konfuzius selbst größeren Wert auf die zivilen als die militärischen Künste. Er erscheint vor allem als jemand, der weiß, worin dao und ren bestehen und welche Merkmale sie auszeichnen. Und er erscheint weiter als Kenner der Geschichte, Liebhaber der Musik und Literatur und erfahrener Beobachter kultivierter Umgangsformen, einschließlich mehr oder weniger starrer ritueller Zeremonien. Nach dem Lunyu nutzte und empfahl Konfuzius vermutlich Wissen, das die folgenden Texte vermittelten: (1) das Shijing, der Klassiker der Lieder (Legge IV), den er, zum Teil durchaus zu Recht, als Moralfibel interpretiert, den er aber auch als Katalysator der Geselligkeit, als Trost und gar als Kompendium über Pflanzen und Tiere begriffen haben soll (II:2: 9; XVII:9: 115; VII:18: 41), (2) das Shujing, der Klassiker der Urkunden, der ihn über Grundlagen der Politik informiert haben dürfte (II:21: 13 f.; VII:18: 41), (3) das Yijing, der Klassiker der Wandlungen (Wilhelm 1959), den er nach einer Version der Lunyu als Richtschnur korrekten Denkens und Handelns angesehen haben soll (VII:17: 41), und (4) mit Riten befasste Texte (VII:18: 41). Gemeinsam mit dem Liji, dem „Buch der Riten“ (Wilhelm 1981b), sowie dem vielleicht von Konfuzius selbst zusammen gestellten Chunqiu, „Frühling und Herbst“ (Legge V) – historischen Annalen des Staates Lu –, erhoben ,die Konfuzianer‘ Shijing, Shujing und Yijing später zu den „Fünf Kassikern“ (wujing). Im gegebenen Zusammenhang ist Folgendes wichtig. Auch wenn die ältesten überlieferten Editionen erst aus der Han-Zeit stammen (sollten), dürften Versionen oder Teile von Shijing, Shujing und
Wujing: die „Fünf Klassiker“
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vielleicht gar des Yijing schon zur Zeit des Konfuzius existiert haben. Doch obwohl es in der angesprochenen Fassung des Lunyu (VII:17) heißt, dass Konfuzius das Yijing studierte, ist dies unwahrscheinlich. Einmal dürfte es sich bei der fraglichen Stelle um eine fehlerhafte Schreibung (Kern 2010: 16) handeln. Zum anderen diente der Text in seinen ältesten Formen oder Versatzstücken wohl nur der Weissagung (Franke III: 163 f.). (Heutzutage ist das Yijing vor allem hilfloses Opfer phantasievoller Interpreten.) Außerdem enthalten andere Versionen des Lunyu gar keine Hinweise auf das Yijing (vgl. ebd. und z. B. Lau 1992: 61). Das Shujing dagegen muss schon früh eine Quelle des Erfahrungswissens über Charakter und Verhalten des Menschen gewesen sein, über wichtige Prinzipien humaner Einstellung und humanen Handels, über Kritik und vieles mehr, und alles sozusagen in der exemplarischen Gestalt spezifischer historischer Ereignisse. In Abschnitt VII:18 heißt es, dass Konfuzius häufiger über „die Lieder, die Urkunden und die […] Riten“ sprach. Soweit sich dies (auch) auf mit Riten (li) befasste Texte – und seien es mündlich überlieferte Formeln – bezieht, sind sie jedenfalls vom Liji zu unterscheiden; denn viele der im Liji kompilierten Texte dürften kaum bis ins 5. Jh. v. u. Z. zurückreichen. Das Chunqiu wird schon von Menzius Konfuzius zugeschrieben. Im Lunyu ist es nicht erwähnt. Und soweit Konfuzius in seinem Engagement als Lehrer oder Mentor von Texten Gebrauch machte, so wohl kaum von einem eigenen Werk. Dem Text hätte die Autorität anerkannter bewährter Überlieferung gefehlt. Zu den ältesten und interessantesten, die Menschlichkeitskonzepte des Lunyu mitbestimmenden Inhalten bzw. Passagen der Klassiker gehören vor allem Sentenzen aus dem Shujing. Es dürfte zudem den wichtigsten historischen und politischen Lernstoff geboten haben. Doch obwohl inhaltliche Einflüsse anzunehmen sind, lassen die entsprechenden Stellen nicht die sichere Konklusion zu, dass Konfuzius sie tatsächlich kannte. Zunächst sei an jene Abschnitte erinnert, die für Milde, Bildung und Selbstkultivierung plädieren und Strafgesetzgebung und insbesondere Todesstrafen eher kritisch sehen. Wie ausgeführt, sind es auch frühe Hinweise auf Ratgeber und Gelehrte – die schließlich als ru bezeichneten Personen –, die die Welt möglichst ohne Gewaltanwendung in Ordnung bringen wollten. Dabei begründet das Shujing sein Plädoyer, Staat und Gesellschaft möglichst ohne Krieg, Mord, Totschlag, Strafen und Drohungen zu regulieren, ähnlich wie später das Lunyu. Es versucht zu zeigen, dass (1) unmenschliche, grausame Herrschaft zwangsläufig zum Scheitern verurteilt ist, (2) die prinzipielle Fehlbarkeit der Herrschenden und Entscheidungsträger Rat und Ratgeber unverzichtbar macht, (3) die Loyalität der Ratgeber Kritikbereitschaft einschließt und dass (4) Herrscher und Entscheidungsträger schon im Interesse des Machterhalts offen für Kritik sein sollten. In diesem Kontext finden sich auch Stellen, die deutlich machen, dass der Mensch, und vor allem der Herrscher, keinesfalls Spielball des Himmels oder einer Gottheit ist, sondern sein Schicksal selbst zu verantworten hat. Ebenso wird klar, was das Neue im Lunyu ausmacht bzw. worin die Originalität des historischen Konfuzius bestand: in der Abschwächung oder gar Negierung der religiösen Bedeutung der traditionellen Himmelskonzepte,
6.3 Wissenserwerb und Wissensinhalte
der Infragestellung ihrer Relevanz für die Gestaltung der Welt bzw. der Betonung der Eigenverantwortlichkeit des Menschen und, sozusagen statisals höchstem, umfastisch fassbar, in der expliziten Konzeption von ren senden Ziel und optimalem Mittel einer idealen Welt. Während das umfangreiche Shujing das Wort ren einem Index zufolge lediglich fünf Mal benutzt (Legge III: 650), kommt es im schmalen Lunyu (je nach Version) etwa 100 Mal vor. Folgende Stellen aus dem Shujing versuchen, die Gesetzmäßigkeit des Scheiterns unmenschlicher, grausamer Herrschaft deutlich zu machen: „Die Tugend [de] des [letzten] Herrschers der Xia [Jie] verdunkelte sich, und dem Volk war, als sei es in Sumpf und [glühende] Kohlen gefallen. Darauf versah der Himmel [tian] König [Tang] mit Mut und Weisheit, um allen Ländern als Beispiel und Leiter zu dienen und fortzusetzen, was einst Yu tat. Du [König Tang] folgst [mit und nach der Entthronung Jies] nur dem richtigen Kurs, ehrst das Mandat des Himmels [tian ming] und gehorchst ihm. Der König von Xia handelte [dem Himmel] zuwider […] So betrachtete ihn der Herr [di] [in der Höhe] mit Ablehnung und bewirkte, dass die Shang das Mandat erhielten. […] Erneuert ein Herrscher täglich seine Tugend [de], so huldigt man ihm durch alle Länder hindurch. Ist er voll eigener Willkür, so verlassen ihn [selbst …] seine Verwandten. […] ,Wer Lehrer für sich findet, gelangt zur höchsten Herrschaft. Wer sagt, dass ihm niemand gleichkomme, geht unter. Wer bereitwillig fragt, gewinnt an Größe. Wer sich nur auf sich selbst verlässt, wird klein.‘“ (Shujing, Legge III: 178–182) „Oh, es ist schwer, sich auf den Himmel zu verlassen. Sein Mandat ist nicht dauerhaft. Doch stellt ein Herrscher sicher, dass seine Tugend andauert, wird er seinen Thron bewahren […] Der König der Xia vermochte es nicht, die Tugend seiner Vorfahren unverändert aufrecht zu erhalten, sondern verachtete die Geister und unterdrückte das Volk. Der erhabene Himmel schützte ihn nicht länger. Er suchte in allen Regionen […] nach einem Träger reiner Tugend, den er zum Herrn aller Geister machen konnte […]“ (Shujing, Legge III: 213 ff.) König Wu (reg. 1049/45?–1043?), der den letzten Herrscher der Shang, König Zhou (reg. 1086?–1045?), entthronte und in den Tod trieb, rechtfertigte nach dem Shujing die Legitimität des gewaltsamen Machtwechsels mit folgender „Großen Erklärung“: „Himmel und Erde sind Vater und Mutter aller Lebewesen. Und unter allen Lebewesen ist der Mensch das höchste. Der Ernsthafte und Aufrichtige, Intelligente, Scharfsinnige und Weitblickende unter den Menschen wird zum großen Herrscher. Der große Herrscher ist Vater und Mutter des Volkes. Gegenwärtig aber zollt Zhou, der König der Shang, dem Himmel oben keine Verehrung und bringt dem Volk unten Unheil. […] Er hat es gewagt, grausame Unterdrückung auszuüben. Mit den Verbrechern hat er all ihre Verwandten bestraft. Ämter hat er nach dem Abstammungsprinzip verliehen. Er hat es zu seiner Gewohnheit gemacht, Paläste, Türme, Pavillons, Dämme, Teiche und weitere Extravaganzen zu unterhalten, zur
Das Neue des Lunyu oder die Originalität des Konfuzius
Menschlichkeit als notwendige Voraussetzung akzeptabler Herrschaft und als Legitimation politischer Macht Pflicht, grausame Despoten letztlich auch gewaltsam zu beseitigen Tian ming, das „Mandat des Himmels“: der Auftrag, (im Namen der Menschlichkeit) zu herrschen Selbstkritik und Offenheit für Kritik
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größten Qual des ganzen Volkes. Er hat loyale und gute [Ratgeber bei lebendigem Leib] geröstet und verbrannt. Er hat schwangeren Frauen den Leib aufgeschnitten. Der erhabene Himmel zitterte vor Empörung […] Das Maß der Verstöße Shangs ist voll. Der Himmel befiehlt [tian ming] Shangs Vernichtung. Gehorchte ich dem Himmel nicht, so wäre mein Verstoß ebenso groß. […] Der Himmel hat Mitleid mit dem Volk. Was das Volk wünscht, wird der Himmel bewirken.“ (Shujing, Legge III: 283–288; vgl. auch S. 385, 427 ff., 454 ff., 475 ff. und 496 f.)
Konfuzianische Lehren: ein Beitrag zur Entmythologisierung Konfuzianische Loyalität: statt blinden Gehorsams Verpflichtung zur Kritik an inhumaner Herrschaft
Immerhin gibt es Indizien dafür, dass Konfuzius die „Große Erklärung“ Wus kannte. So schließt sie (Legge III: 292) zum Beispiel die im Lunyu (VIII:20: 49) zitierte – in allen sechs Zeichen identische – Feststellung ein, dass Wu zehn fähige Amtsträger besessen habe. Der relevante Inhalt muss Konfuzius ohnehin vertraut gewesen sein. Das Shujing stellt ihn wiederholt dar (Shujing, Legge III: 385, 427 ff., 454 ff., 475 ff. und 496 f.), und zumindest einige der Darstellungen gehen auf eine Zeit lange vor Konfuzius zurück (Loewe/ Shaughnessy: 294 f. und 313 ff.; Chen Zhi: 19 und 103). Außerdem wurde er, wenn auch in knappster Form, auf alten Bronzeinschriften überliefert. Das wohl berühmteste Beispiel ist ein Text, der sich auf einem um 980 (v. u. Z.) gegossenen Kessel findet (Loewe/Shaughnessy: 320; Schwarz 1994: 262 f.). Statt des Ausdrucks „Himmel“, tian, verwendet das Shujing auch den Ausdruck (shang) di, „Herr (in der Höhe)“, den Legge mit „Gott“ übersetzt. Wahrscheinlich wurde der Himmel auch in personifizierter Form begriffen. Dies scheint plausibel, weil auch von Geistern die Rede ist, denen Verehrung gebührt. Andererseits sind tian und (shang) di nicht als Mächte gezeichnet, die unabhängig wie der christliche Gott agieren. In manchen Passagen des Shujing scheinen sie – wie später im Xunzi – nur noch bloße Metaphern, die benutzt werden, um der Überzeugung, dass es letztendlich allein auf den Menschen selbst ankomme, rhetorischen Nachdruck zu geben. So heißt es etwa: „Es hängt von uns [allein] ab [ob unsere Herrschaft, unser ,Mandat‘ Bestand hat].“ Oder: „Dem Himmel ist nicht zu trauen.“ Und schließlich: „Die Menschen richten sich selbst zu Grunde“ und bringen so die Strafe des „Himmels“ über sich (Shujing, Legge III: 475, 477 und 610), wobei die zwei ersten Stellen schon auf die Zeit der Westlichen Zhou zurückgehen dürften (Cheng Zhi: 19, Anm. 19, und 103, Anm. 224). Der Konfuzius des Lunyu misst dann Göttern, Geistern und Himmel ersichtlich noch weniger Bedeutung bei (VI:22: 36; VII:21: 41; Lau 1992: xxvii ff.). Um die Unentbehrlichkeit loyaler, kritikbereiter Ratgeber einerseits und die Forderung nach Offenheit für Kritik andererseits geht es, wenn das Shujing ausführt: Sollte es ein Herrscher „wagen, die Worte der Weisen zu verurteilen, sich loyalen und aufrichtigen [Ratgebern] zu widersetzen, die Alten und Tugendhaften von sich fern zu halten“, dann führe das „den Staat mit Sicherheit in den Untergang“. Ratgeber, die nicht versuchten, entsprechende Fehler eines Herrschers zu korrigieren, seien denn auch zu bestrafen. (Shujing, Legge III: 196 f.) Dagegen gilt: „Der Herrscher, der Ermahnungen [jian] folgt, wird weise“ (Shujing, Legge III: 253). Gerade dann, wenn ein Herrscher höre, was sei-
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nen eigenen Überzeugungen und Wünschen entgegenkomme, müsse er sich fragen, ob es auch richtig sei. Ohne angestrengte Reflexion sei kaum Großes zu erreichen (Shujing, Legge III: 211). „Gute wie schlechte Herrschaft hängen von der Art der Amtsträger ab. Ämter sollten […] nur aufgrund von Fähigkeiten verliehen werden. […] [Der Herrscher] sollte sich seiner Fehler nicht schämen und sie damit zu Verbrechen machen [sondern sie eingestehen und korrigieren].“ (Shujing, Legge III: 256 f.) Dem Herzog von Zhou, einem Bruder des Königs Wu und Regenten (1042?–1036?) und Ratgeber von dessen Nachfolger, Wus Sohn König Cheng (reg. 1042/35?–1006?), werden die folgenden Äußerungen zugeschrieben. Viel spricht dafür, dass der Herzog die in ihnen ausgedrückten Überzeugungen tatsächlich vertrat (Cheng Zhi: 19 und 103). „Fürst Shi [Cheng]! In früherer Zeit beobachtete der Herr in der Höhe (shangdi) die Tugend König Wens [des Vaters von König Wu, reg. 1099/ 56?–1050?] in den Feldern von Zhou. Er betraute ihn mit dem großen Mandat, weil König Wen außerordentlich befähigt war, uns, den Xia [den ,Chinesen‘], Kultur und Harmonie [und damit auch Frieden] zu bringen, aber auch, weil es (Männer) gab wie Hong Yao, San Yisheng, Tai Dian und Nangong Kuo […] Ohne ihr Kommen und Gehen und ihre Lehren hätte König Wen keine Tugend besessen, die auf das Volk hätte niedergehen können […] Es waren auch diese (Männer), die das Mandat der Yin [Shang] erhalten hatten […] Es waren diese vier Männer, die [später auch] König Wu Erhellung und Glanz brachten […]“ (Shujing, Loewe/ Shaughnessy: 315 f.; Legge III: 480 ff.) Danach war der Herzog von Zhou der Meinung, dass das Mandat des Himmels nicht nur an einzelne Herrscher ergehe, sondern ebenso an ihre Berater (Shujing, Loewe/Shaughnessy: 314 ff.). Dies mag dann eine Erklärung dafür liefern, warum Konfuzius gerade den Herzog von Zhou so hoch schätzte. Obwohl im Lunyu nur als Gegenstand vager Bewunderung erwähnt (VII:5: 39; VIII:11: 48), könnte ihn Konfuzius so gesehen haben; denn die Auffassung des Herzogs entspricht in frappierender Weise dem Versuch des Lunyu, die Bedeutung der politischen Ratgeber zu betonen. Dass der Herzog zudem dazu aufforderte, nicht dem Himmel, sondern vielmehr eigener „Tugend“ zu vertrauen, und dass er für Meritokratie eintrat (Shujing, Legge III: 475 ff.), sind aus der Perspektive des Lunyu weitere wahrscheinliche Gründe. Und schließlich erscheint er im Licht der allgemeinen Darstellungen des Lunyu geradezu als Ideal kritischer Loyalität. Am Ende des Shujing findet sich dann freilich auch die – Herzog Mu von Qin (reg. 659–621) zugeschriebene – Feststellung: „So ist es mit allen Menschen. Meistens lieben sie ihre Ungestörtheit. Andere zu kritisieren (ze ), ist nicht schwierig. Aber Kritik entgegenzunehmen und ihr freien Lauf zu lassen: das ist schwierig!“ (Shujing, Legge III: 627)
Das psychologische Grundproblem der Kritik
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6 Die Mittel Das Shujing: eine wichtige Quelle des Konfuzius
Das Shijing: eine weitere Quelle des tian-ming-Konzepts und des Begriffs kritischer Loyalität
Um eine Art Fazit zu ziehen: Das Shujing dürfte Konfuzius – und über Konfuzius dessen Anhängern und ,Schülern‘ – das historische, politische, aber eben auch ethische und staats- und gesellschaftsphilosophische Wissen vermittelt haben, das gewissermaßen zu einem kanonischen Lerninhalt wurde. Die wichtigsten Passagen dürfte man einfach auswendig gelernt und in entsprechenden Kontexten als Belege zitiert haben. Das gilt insbesondere für das Lehrstück, dass legitime Macht – das „Mandat des Himmels“ – Funktion der Menschlichkeit sei und dass Unmenschlichkeit zwangsläufig den Verlust der Legitimation mit sich bringe bzw. zum Mandatsverlust führe, sowie für die mit diesem Lehrstück verbundenen Konzepte von Rat und Kritik. Ähnlich wie der ,schulische Einsatz‘ des Shujing dürfte der Umgang mit dem Shijing und anderen überlieferten Texten ausgesehen haben. Dabei spielten freilich die Lieder des Shijing in zweierlei Hinsicht eine Sonderrolle. Einmal, und das kann gar nicht genug betont werden, vermittelten auch sie das Lehrstück des „Klassikers der Urkunden“. Sie taten es zwar nicht in dessen Ausführlichkeit und Explizitheit, doch nichtsdestoweniger in unmissverständlicher Weise. Zhou, Wen und Wu sowie You und Li sind wiederholt Gegenstand von Darstellung, Lob und Kritik (Shijing, Strauß: 306–325, 389–409, 432 ff., Legge IV: 307–343, 427–367, 505–510). Frühe Formulierungen des tian-ming-Konzepts und des Begriffs legitimer Herrschaft bieten die folgenden Stellen: „Groß der Herr in der Höhe (shangdi), der Herrscher des Volkes Unten. Schrecklich der Herr in der Höhe: sein Mandat (ming) ein großes Gebot. Der Himmel (tian) gibt dem Volk das Leben, [doch] das Mandat (ming) ist niemals sicher. Frei von Mängeln [stets] der Anfang, [doch] selten so das Ende. […] König Wen sprach: ,Wehe! Weh Dir, [Zhou von] Yin und Shang! Nicht der Herr hoch oben (shangdi) schuf diese [böse] Zeit. [Du] verwendest nicht das Alte. Da sind keine würd’gen und vollkomm’nen Männer. Gibt es auch Gesetz und Recht, Du hörst nicht darauf. Das große Mandat (daming) endet so im Umsturz (qing ). […] Ein Spiegel für [Euch] Yin ist gar nicht fern. Die Zeit des [letzten] Xia-Herrschers [Jie] gibt ihn ab.‘“ (Legge IV: 505–510; Opitz: 25 f.) Statt „würd’gen“ heißt es, wortwörtlich genommen, „alten“. Aber das Wort bringt im Deutschen eine unfreiwillige Komik ins Spiel. Qing bedeutet näherhin „überwerfen“, „umgestürzt werden“ und „zusammenbrechen“. Im gegebenen Zusammenhang bezeichnet es also unmissverständlich ein gewaltsames Ende durch Aufruhr, Krieg und Tod. In einem Lied, das den Zhou-König You und dessen wohl mächtigsten Berater kritisiert, heißt es:
6.3 Wissenserwerb und Wissensinhalte
„Man lasse Edle (junzi) [in die Ämter] Und des Volkes Herz fänd Ruhe. Man lasse Edle rechtens wirken, Und Streit und Zorn wären vorbei. […] [Unser König (wo wang)] will sein Herz nicht ändern, Umsonst die Mühe, ihn zu korrigieren (zheng ).“ (Legge IV: 312 f.) In einem anderen Lied findet sich die Sentenz: „Das ganze Reich ist ohne Herrschaft. [Denn] die Guten werden nicht [dafür] verwendet.“ (Legge IV: 321) Lied- und Lyrikcharakter, Rhythmus, Metrum und Reim dürften die Defizite gebundener Sprache mehr als ausgeglichen haben. Schönheit und Eingängigkeit der Form ließ diese Verse damals, in einer Zeit knappen und schwer handhabbaren Schreibmaterials, zu idealen Informations- und Tradierungsmitteln auch philosophisch-politischer Lehrstücke werden. Keine Frage also, dass sie geeignete Lehrmittel bildeten. (Wer mit der politischen Spruchdichtung etwa Walthers von der Vogelweide vertraut ist, mag leicht eine Vorstellung von der Effizienz der politischen Lieder des Shijing gewinnen.) Dazu kam – und dies machte die zweite Besonderheit im Umgang mit dem Shijing aus –, dass man sie auch rezitierte und sang, Zitate als Anspielungen benutzte und überdies einfach zur Gestaltung kultivierter Geselligkeit verwendete. Musikalische Unterhaltung mag vergleichbare Funktionen besessen haben. Geht es um eine möglichst treffende Rekonstruktion der Verhältnisse, unter denen Konfuzius seine Auffassungen entwickelte und vermittelte, so ist das Shijing vielleicht eine noch zuverlässigere Quelle als das Shujing; denn das hohe Alter vieler seiner Texte (Chen Zhi 2007) und Konfuzius’ Vertrautheit mit ihnen dürften kaum sinnvoll zu bezweifeln sein. Da ein Vergleich zwischen Shijing und Lunyu die Ergebnisse der Interpretation des Shujing auf eindrucksvolle Weise bestätigt, gewinnen dann freilich auch sie an weiterer Plausibiltät. Insbesondere wird sozusagen überdeutlich, dass das ren -Konzept des Lunyu in der Tat eine Art originelle Leistung des Konfuzius gewesen sein dürfte. Nach einem Index des Shijing kommt das Zeichen ren nur viermal vor (Legge IV: 685). Und dass das Lunyu den Ausdrücken und Begriffen tian und shangdi vergleichsweise wenig bzw. keine Relevanz zumisst, dürfte nach den Shijing-Zitaten klar sein. Eine andere Differenz darf freilich auch nicht verschwiegen werden. Gerade ein Durchgang durch das Shijing lässt deutlich werden, dass das Lunyu das Konzept legitimen, ja gebotenen Umsturzes zwar teilt, aber nur implizit anspricht. Gewaltsamer Umsturz und Tyrannenmord erscheinen als eine ultima ratio, die besser gar nicht erst erwähnt wird. Vielmehr betont das Lunyu entschieden die Optionen von Rat, Mahnung und Kritik; so wie es überhaupt durch eine gewisse Vorsicht und Milde in Ton und Tenor auffällt. Neben Ethik, Lesen und Schreiben, Geschichte, Literatur und Musik soll Konfuzius auch Rechnen, Bogenschießen und Wagenlenken in seinen ,Unterricht‘ eingeschlossen haben. Wie weit das tatsächlich der Fall war und wie es dann im Einzelnen aussah, sei dahingestellt.
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6.4 Offenheit für Kritik und Bereitschaft zur Kritik
Ideale Loyalität ist kritische Loyalität
Arten und Regeln der Kritik
Unmissverständlich sind die Konfuzius zugeschriebenen Äußerungen über den Wert der Kritik (Paul 2006a). Obwohl wiederholt angesprochen, lohnt es sich, sie im Wortlaut zu zitieren. Besonders deutlich ist eine Bemerkung über Yan Hui, der traditionellerweise als Konfuzius’ Lieblingsschüler bezeichnet wird: „Was ich auch sage, Yan Hui ist sofort damit einverstanden. So hilft er mir nicht.“ (XI:4: 64). Konfuzius bringt damit zum Ausdruck, dass es schwieriger sei, zu lernen, wenn einem gar nicht widersprochen werde, als wenn man – wenigstens ab und zu – auf Kritik stoße. Freundschaft, ja Liebe und Verbundenheit schließen nach Konfuzius geradezu ein, dass man den anderen „stets zum Guten ermahnt“ (XIV:7: 88). Loyalität gegenüber einem Herrscher besteht darin, ihn „niemals [zu] täuschen“, ja sich ihm, wenn erforderlich, „offen [zu] widersetzen“ (XIV:22: 92). Das, so die damit artikulierte Ansicht, ist wahre, selbstlose Hilfestellung. So lobt Konfuzius auch jene Ratgeber, die um der Menschlichkeit willen Kritik wagten und dafür ihr Leben einbüßten (XVIII:1: 119). Wie oben gesagt, kann es dem Lunyu zufolge freilich nicht darum gehen, bedenkenlos das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Mitunter sind etwa der Rückzug aus dem Staatsdienst (V:2: 25; XI:24: 68) oder ein Leben als Einsiedler jeder expliziten Kritik vorzuziehen. Dies gilt zumal, weil auch so ein Verhalten als Kritik gemeint sein und begriffen werden konnte. Ist mündliche Kritik unumgänglich, dann ist sie in möglichst vorsichtiger und ansprechender Weise vorzubringen. Abgesehen davon, dass dies dem Selbstschutz dient, hat solch eine Kritik auch größere Aussicht auf Erfolg als jede verletzende und bloßstellende Form, mag sie von der Sache her noch so gerechtfertigt erscheinen. Der Konfuzius des Lunyu steht damit in der bereits im Shujing dokumentierten Tradition, die mitunter gar empfiehlt, Kritik in Gedichtform zu äußern – eine Empfehlung übrigens, die viel später, im 9. bis 11. Jahrhundert, selbst im ,sinisierten‘ Japan befolgt wurde. Zur Vorsicht gehört es auch, vorab das Vertrauen des Gesprächspartners zu gewinnen (XIX:10: 126). Dieser einem ,Schüler‘ zugeschriebene Hinweis ist jedenfalls mit Konfuzius’ Forderungen nach Glaubwürdigkeit und Moderatheit bestens vereinbar. Äußert man sich dann (kritisch), so sollte man auf das Mienenspiel des anderen achten (XVI:6: 109). Ansprechende Form fordert eine Beachtung auch der ästhetischen Seite der Konventionen und vor allem auch der li im engeren Sinn, der Riten. Bei all dem muss Kritik freilich auch verständlich bzw. identifizierbar sein. Damit kommt eine besonders wichtige Auffassung der im Lunyu Konfuzius zugesprochenen Überzeugungen ins Spiel, das Konzept der Richtigstellung der Bezeichnungen bzw. treffender Bezeichnungen (zheng ming).
6.5 Treffende, unmissverständliche und konsistente Redeweise Wie vielleicht fast immer in politischen und moralischen Auseinandersetzungen, und wie jedenfalls auch im Europa des 21. Jahrhunderts, verwendet man Bezeichnungen oft in einem Sinn, den sie zunächst nicht hatten oder
6.5 Treffende und konsistente Redeweise
den sie von der Wortbedeutung her nicht haben sollten. Ein extremes Beispiel ist das Wort „Verteidigungsministerium“, das de facto häufig „Kriegsministerium“ bedeutete. Insbesondere wenn Politiker von „Friedensmissionen“ sprechen, ist Skepsis geboten. Wendungen wie „das Wohl des Volkes“ sind vielfach nur Worthülsen. Und was wird nicht alles unter so verheißungsvoll klingenden Ausdrücken wie „Sicherheit“, „Frieden“, „Harmonie“ oder „Einheit“ verborgen. „Chaos“ wird beschönigend „bereichernde Vielfalt“ genannt, das Resultat totalitärer Unterdrückung als „Frieden und Sicherheit“ bezeichnet. Ein derartiger Missbrauch von Wörtern muss notwendigerweise Verständnis- und Orientierungsschwierigkeiten verstärken. Dies kann, um es zu betonen, besonders gravierende Konsequenzen haben, wenn es sich um Wörter handelt, die dazu dienen, Normen menschlichen Verhaltens und moralische Urteile zu formulieren. Das Lunyu enthält drei berühmte Passagen, in denen es um die Richtigstellung der Bezeichnungen geht. Auf die Frage, was er zuerst tun würde, wenn er mit der Regierung des Staates Wei betraut würde, soll Konfuzius geantwortet haben: „Unbedingt die Bezeichnungen richtigstellen (zheng ming). […] Stimmen die Bezeichnungen und Begriffe nicht, so ist die Sprache konfus. Ist die Sprache konfus, so entstehen Unordnung und Misserfolg. Gibt es Unordnung und Misserfolg, so geraten Anstand und gute Sitten in Verfall. Sind Anstand und gute Sitten in Frage gestellt, so gibt es keine gerechten Strafen mehr. Gibt es keine gerechten Strafen mehr, so weiß das Volk nicht, was es tun und was es lassen soll. Darum muss der Edle die Begriffe und Bezeichnungen korrekt benutzen und auch richtig danach handeln können. Er geht mit seinen Worten niemals leichtfertig um.“ (XIII:3: 79) Worum es geht, kommt exemplarisch in der Forderung zum Ausdruck: „Der Herrscher sei Herrscher, der Untertan Untertan, der Vater Vater, der Sohn Sohn.“ (XII:11: 74) Dies ist nicht nur Formulierung eines rollenethischen oder hierarchischen Konzepts. Ja, nicht einmal in erster Linie. Denn sonst wäre moralisches Verhalten letztlich Funktion familiärer, freundschaftlicher oder gesellschaftlichstaatlicher Positionen und Beziehungen. Konfuzius, Menzius und Xunzi zufolge sind jedoch dao und ren die höchsten Normen humanen Denkens und Handelns. Die zitierte Stelle besagt vielmehr, dass sich ein jeder so verhalten solle, wie es dao und ren verlangen, wenn er dem Konzept bzw. der Bezeichnung „Herrscher“ oder etwa „Vater“ gerecht werden will. Insbesondere sollte kein Despot oder Tyrann „Herrscher“ genannt werden. Da er sich, anders als es das normative Begriffswort „Herrscher“ ausdrückt, nicht um das Wohl seines Volkes bemüht, ist er faktisch gar kein Herrscher. Die erwähnte, seit dem Shujing gebräuchliche, und vor allem im Menzius und Xunzi systematisch entwickelte Erklärung, dass ein Despot das „Mandat des Himmels“ (tian ming) verliere (weil er eben gar kein Herrscher sei), würden wir mit den Worten ausdrücken, dass ihm die Legitimation entzogen würde. Einen solchen ,Unmenschen‘ zu kritisieren, anzugreifen, zu entmachten, ja notfalls zu beseitigen, kann deshalb auch gar keine Illoyalität (mehr) sein. Das Verhalten wendet sich ja nicht (mehr) gegen einen Herrscher. Es richtet
Wortmissbrauch und Etikettenschwindel: gängige Mittel politischer Irreführung und Manipulation
Das Gegenmittel zheng ming, die „Richtigstellung der Bezeichnungen“: das Bestehen auf treffender, unmissverständlicher Ausdrucksweise
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sich, wie es dann im Menzius und Xunzi explizit heißt, gegen einen Schurken und Verbrecher. Das im Lunyu formulierte Konzept der Richtigstellung von Bezeichnungen besitzt also eminent moralische und politische Implikationen und wurde auch entsprechend verstanden und gebraucht. Erneut im Zusammenhang der Regeln für eine Erfolg versprechende Kritik gesehen, lehrt die zheng-ming-Doktrin, dass man die Wörter in ihrer anerkannten konventionellen Form benutzen solle, um sich so (möglichst) unmissverständlich auszudrücken und nicht etwa Verwirrung zu stiften und Missbrauch zu begünstigen. Mit der empört-sarkastischen Äußerung „Ein viereckiges Gefäß ohne Ecken – was für ein sonderbares viereckiges Gefäß ist das“ (VI:25: 36) bringt Konfuzius drastisch zum Ausdruck, dass nicht nur Normen, sondern selbst die einzelnen Bezeichnungen klar sein sollten. In der Tat würde es auch seltsam anmuten, wenn wir etwa ein – ja beinloses – Sitzkissen als „Stuhl“ bezeichneten. Selbstverständlich kann sich die Bedeutung von Wörtern in sozusagen akzeptabler Weise ändern. Dies dürfte auch Konfuzius eingeräumt haben (IX:3: 50). Aber dass das Insistieren auf möglichst eindeutigem Wortgebrauch durchaus sinnvoll und berechtigt ist, illustriert etwa die im deutschsprachigen Raum, und auch in der philosophischen Szene, mittlerweile fast gängige laxe Verwendung solcher Ausdrücke wie „Logik“. So ist von einer „östlichen Logik“ die Rede, deren Eigentümlichkeit gerade darin bestehen soll, dass sie formallogische Grundprinzipien wie das Tertium non datur nicht gelten lässt. Selbst solche Hypothesen haben fatale politische Implikationen. Sie stützen zum Beispiel die irrige Auffassung, dass kulturell bedingte ,Denkweisen‘ sich so stark voneinander unterscheiden, dass man sich selbst über fundamentale Menschenrechte nicht verständigen könne. Wie verfehlt solche Überzeugungen sind, ist indes leicht zu zeigen (Paul 1998c, 2008c, 2009).
6.6 Übereinstimmung von Wort und Tat
Charakter und Funktion des guten Beispiels
Schließlich kann die zheng-ming-Doktrin auch als ein Aspekt der allgemeineren, vom Konfuzius des Lunyu immer wieder betonten Forderung interpretiert werden, in Wort und Tat, Äußerung und Verhalten übereinzustimmen. Am Ende führt dann die Rekonstruktion der Mittel erforderlicher Kritik erneut auf die Normen der Aufrichtigkeit, Vertrauenswürdigkeit und schließlich der Vorbildlichkeit. Ohne Aufrichtigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Vorbildlichkeit, so der konzeptionelle Zusammenhang, (auch) keine erfolgversprechende Kritik. Oder anders gewendet: um möglichst erfolgreich für dao und ren zu wirken, muss man mit gutem, überzeugendem Beispiel vorangehen. Dazu gehört, im eigenen Tun nicht hinter der eigenen Kritik zurückzubleiben. Man muss den eigenen Worten gerecht werden, und dies auch gerade dann, wenn man andere kritisiert. Das Englische bietet eine ingeniöse Übersetzung des chinesischen xin: „to live up to one’s words“. Wichtige Passagen im Lunyu lauten: „Früher vertraute ich [Konfuzius] den Menschen, wenn ich nur ihre Worte hörte. Heute hingegen höre ich die Worte der Menschen, betrachte aber zugleich auch ihre Taten.“ (V:10: 27)
6.6 Übereinstimmung von Wort und Tat
„Wer in seinen Worten nicht maßvoll ist, von dem ist kaum zu erwarten, dass er handelt, wie er spricht.“ (XIV:20: 92) „Der Edle ist bescheiden in seinen Worten. Er ist aufrichtig in seinem Verhalten.“ (XV:18: 102) „Dem Edlen missfällt es, wenn man seine wahren Absichten nicht äußert, sondern sich stattdessen Vorwände ausdenkt.“ (XVI:1: 106) „[Der Edle achtet] im Reden auf Ehrlichkeit.“ (XVI:10: 110) „In alten Zeiten [hatten] die Leute […] Skrupel, dass sie hinter ihren eigenen Worten zurückbleiben könnten.“ (IV:22: 24) „Ernste Ermahnungen – wer würde ihnen nicht zustimmen? Aber Zustimmung allein genügt nicht. Das Verhalten zu ändern und Fehler zu korrigieren – darauf kommt es an.“ (IX:24: 55; vgl. auch I:8: 7 und IX:25: 55) „[…] wenn man […] stets zu seinen Worten steht, dann ist man wohl […] als vollkommen zu bezeichnen.“ (XIV:12, S. 89) Besonders verächtliche Spielarten unaufrichtiger Rede sind Sophismen, hohle Rhetorik, Heuchelei, Liebedienerei und Schmeichelei. Sie vor allem sind verantwortlich, wenn eine mehr oder weniger allgemeine Atmosphäre des Misstrauens geschaffen und so die Überzeugungskraft (fast) jeder Äußerung prinzipiell beeinträchtigt wird. Der Konfuzius des Lunyu lehnt sie entschieden ab. Und nicht nur spätere ,Konfuzianer‘, sondern selbst ein Legalist wie Han Feizi sollten ihm darin folgen. Dies belegen seine Reflexionen zur „Schwierigkeit, zu überzeugen“. Im Lunyu selbst heißt es: „Glatte Worte und heuchlerische Miene – da ist es mit der Menschlichkeit [ren] meist nicht weit her.“ (I:3: 5) „[…] schöne Worte, eine einschmeichelnde Miene und Liebedienerei [sind] peinlich.“ (V:25: 30) Und doch war eben auch Konfuzius bewusst, dass Überzeugungskraft auch eine gewisse – ästhetische – rhetorische Qualität erfordern kann. Auch ihm war die fast dilemmaartige Problematik vertraut, sich ansprechend äußern zu müssen, ohne dabei der Schmeichelei verdächtigt zu werden. So soll Konfuzius gesagt haben: „Mag man auch die Schönheit (mei) Song Zhaos besitzen: ohne die Zungenfertigkeit Tuos wird man in der Welt von heute schwerlich bestehen können.“ (VI:16: 35; Wilhelm 1989, VI:14) Und: „Wenn man einem Herrscher dient und sich dabei streng an die Etikette hält, dann wird das von den Menschen für Schmeichelei gehalten.“ (III:18: 18) In einer Atmosphäre allgemeiner Unaufrichtigkeit und allgemeinen Misstrauens, in der Ratgeber bemüht sind, ihre Dienstherren durch Schmeichelei und Schönrednerei für sich einzunehmen, rechnet man kaum mit ehrlichem Verhalten. Wer dann versucht, sich gemäß den Konventionen eleganter, ansprechender und respektvoller Rede zu äußern, wird gleichsam automatisch der Liebedienerei verdächtigt. Denkbar, dass Han Feizi auch an eine solche Feststellung anknüpfte.
Besonders verächtliche Spielarten unaufrichtiger Rede: Sophismen, hohle Rhetorik, Heuchelei, Liebedienerei und Schmeichelei
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6.7 Vorbildlichkeit in Denken und Handeln
Merkmale der Vorbildlichkeit
Wie gezeigt, nützen laut Konfuzius normalerweise das beste Argument und die berechtigtste Forderung nichts, wenn man sich nicht selbst entsprechend verhält. Wie Recht er hat, weiß auch im 21. Jahrhundert buchstäblich jedes Kind. Die Diskrepanz, das Messen mit zweierlei Maß wird als ungerecht empfunden und ruft moralische Empörung hervor. Oder ist willkommener Anlass, sich gar nicht erst auf die angesprochenen Sachfragen einzulassen, sondern dem Gegenüber die Anwendung doppelter Standards vorzuwerfen und, wie es umgangssprachlich heißt, darauf herumzureiten. Diese Reaktion hat die unterschiedlichsten Dimensionen. Sie kommt von Kindern, die sich gegen ihre Eltern wehren. Sie ist aber auch bezeichnend für den zwischenstaatlichen Streit um die Menschenrechte. Im ersten Fall mag sie sich auf den Protest „Ihr tut es doch auch!“ beschränken. Im zweiten – extremen – Fall kann sich die Diskussion auf eine scharfe, kritische Analyse der kompletten Außen- und Innenpolitik eines Staates durch einen anderen Staat ausweiten, ohne dass auch nur ein Satz darüber fiele, ob der in Rede stehende Vorwurf, Menschenrechte zu verletzen, wahr, treffend oder stichhaltig ist. Der Konfuzius des Lunyu geht ja in seinen Überlegungen noch weiter. Wenn er auch nicht geglaubt haben dürfte, dass die Vorbildlichkeit der Mächtigen und ,Entscheidungsträger‘ etc. allein den Frieden bringen oder auch nur eine akzeptable Gesellschaft schaffen könne, so war er doch davon überzeugt, dass sie große Wirkung zeitige. Doch wie lässt sich diese Vorbildlichkeit nach allem bisher Gesagten prägnant beschreiben? Und warum eigentlich soll sie nach Konfuzius so wirksam sein? Klar ist, dass es letztlich um ein Verhalten geht, das beispielgebend für das dao, den rechten Weg, und für ren, Menschlichkeit, ist. Worin beide bestehen, wurde ebenfalls zu erläutern versucht. In einem anderen Zusammenhang ist das Gesagte jedoch zu ergänzen. Formal gesehen, schließt Vorbildlichkeit die Einheit von Wort und Tat, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Konsistenz, möglichst klare Ausdrucksweise und ansprechende, gewinnende Umgangsformen ein. Menschen, bei denen Reden und Handeln stets übereinstimmen, sind erkennbar darum bemüht, ,nichts Falsches zu sagen‘, keine falschen Versprechen abzugeben und nicht voreilig und unbesonnen zu agieren. Sie handeln wohlüberlegt und wecken auch in dieser Hinsicht Vertrauen. Aufrichtigkeit zeigt sich vor allem in Selbstkritik, Lernbereitschaft, kritischer Loyalität und kritischer kindlicher ,Pietät‘. Sie schließt Angebertum, Heuchelei, Schmeichelei, Liebedienerei, Sophismen und Haarspaltereien aus. Zuverlässigkeit äußert sich insbesondere im Einlösen von Versprechen. Ist all das mit einer ansprechenden, gewinnenden Form verbunden, so fällt es nicht leicht, sich der Wirkung einer solchen Persönlichkeit zu entziehen. Vor allem jedoch mag Vorbildlichkeit deshalb so große Wirkung zu zeitigen, weil sie das vielleicht überzeugendste Beispiel für Gerechtigkeit und Fairness ist. Ist man oft enttäuscht worden und bewegt sich zudem in einem Umfeld von Heuchelei, Intrige, Lug und Trug, verheißt sie entlastende Ehrlichkeit und Sicherheit. Sie gestattet endlich Unbefangenheit, Offenheit, zwingt nicht zur Selbstverleugnung und löst keine Angst (mehr) aus. Auch
6.7 Vorbildlichkeit in Denken und Handeln
die schlichte Tatsache, dass der Fordernde grundsätzlich nichts verlangt, was er nicht selbst bietet oder zu bieten bereit ist, trägt zur Wirkung bei. Sie verhindert oder mindert Zorn und erzwingt Respekt und Achtung. Vorbildlichkeit ist in all diesen Hinsichten das Gegenteil von Doppelzüngigkeit und doppelter Moral. So groß die Empörung über Letztere, so groß die Zufriedenheit, wenn man es mit Menschen zu tun hat, die in der Tat nur das fordern, was sie selbst zu leisten gewillt sind, und die nicht einmal dies und ein ander Mal jenes verlangen. Eltern, die ohne gültigen Grund von einem ihrer Kinder die Handlung A und vom anderen die Handlung Nicht-A fordern, würden wir nicht als Vorbilder betrachten. Auch Konfuzius hätte das nicht getan. Bei aller Flexibilität müssen Denken und Handeln doch prinzipiell konsistent sein. Die Norm, nicht mit zweierlei Maß zu messen, ist auch von daher zu rechtfertigen. Moralische Empörung ist ja in solch einem Fall nicht bloßer Gefühlsausbruch. Sie äußert sich auch in der Frage, warum man bei in entscheidender Hinsicht identischen Voraussetzungen einmal A und ein anderes Mal das Gegenteil fordere, befürworte oder für richtig halte. Unbewusst spielt der Ärger über die Widersprüchlichkeit und das Unerklärliche des Verhaltens mit. Oft wird die Relevanz nicht gesehen, die Konsistenz für ein vorbildliches Denken und Handeln besitzt. Noch seltener dürfte sie uns bewusst sein. Doch wie können wir jemand vertrauen, der unter den gleichen Bedingungen einmal A und einmal Nicht-A sagt, tut oder verlangt? Treffend bezeichnen wir ein solches Verhalten als Willkür. Es erscheint uns, um es noch einmal anders zu formulieren, unbegründet und unberechenbar, ja, kommt einer Verletzung logischer Grundgesetze gleich, gehen wir doch zurecht davon aus, dass aus denselben Prämissen dieselben Folgerungen zu ziehen seien. Auf Menschen, deren Entscheidungen wir nicht einmal ahnen können, verlassen wir uns nicht. Wir wären auch dumm, wenn wir es täten. Im Deutschen sprechen wir davon, dass jemand konsequent sein müsse. Konsequenz gilt als intellektuelle wie moralische Tugend. Konsequenz ist sozusagen die Verhaltensebene logischer Konsistenz. Und noch eins: Ohne eine gewisse Konsistenz menschlichen Verhaltens würden wir dem Zufall zuviel Raum geben. Schließlich impliziert auch die Goldene Regel Vorbildlichkeit. Wer ihr folgt, der gibt – und sei es unbeabsichtigt und unbewusst – faktisch ein Vorbild ab. Natürlich beruht auch die Goldene Regel in mancher Hinsicht auf einem Konsistenzprinzip. Konfuzius dürfte Vorbildlichkeit durchaus in ähnlicher Weise begriffen haben, wie sie die Skizze beschreiben soll. Das Lunyu enthält viele Stellen, die entsprechende Interpretationen nahelegen. Manche der einschlägigen Zitate sind bereits angeführt. Weitere lauten: „Wer […] selbst nicht zum richtigen Verhalten fähig ist – wie sollte der wohl andere bessern?“ (XIII:13: 82). Und: „Zigong hatte die Angewohnheit, andere zu kritisieren. Darum sprach Konfuzius zu ihm: ,Bist du etwa selbst schon so gut? Ich würde mich zuerst um mein eigenes Verhalten kümmern, so dass ich dafür keine Zeit hätte.‘“ (XIV:29: 94). Oder: Konfuzius lehrte, „treu und standhaft [auch Aspekte der Konsequenz und Konsistenz] und aufrichtig und glaubwürdig zu sein“ (VII:25: 42). Und schließlich: „Aufrichtigkeit schafft Vertrauen“ (XVII:6: 113).
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Einige Anekdoten beschreiben ein Verhalten Konfuzius’, das auf den ersten Blick inkonsistent und inkonsequent erscheint und deshalb sofort Kritik und Widerspruch hervorruft. Konfuzius entkräftet die Vorwürfe in der einzig möglichen Weise: er legt offen, dass er unter verschiedenen – und nicht unter gleichen – Voraussetzungen und eben deshalb auch unterschiedlich redete und handelte. Die Anekdoten belegen, dass intellektuelle und praktische Konsistenz und Konsequenz als selbstverständliche Norm galten. „Zilu fragte […], ob er das, was er über die Grundsätze des rechten, sittlichen Handels gehört habe, auch sofort anwenden solle. Konfuzius antwortete ihm. ,Du hast doch Eltern und Brüder. Wie kannst du also sofort danach handeln wollen?‘ Ranqiu fragte […], ob er das, was er über die Grundsätze rechten, sittlichen Verhaltens gehört habe, auch sofort anwenden solle. Ihm aber antwortete Konfuzius: ,Führe aus, was du gehört hast.‘ Gongxi Hua stellte verwundert fest, dass Konfuzius die Frage […] höchst unterschiedlich [(scheinbar) widersprüchlich] beantwortet hatte. ,Das verwirrt mich [da es unerklärlich scheint]!‘ sprach er. ,Darf ich um Erläuterung bitten?‘ Konfuzius erwiderte: ,Ranqiu ist ein Mensch, der sich nur zögernd zum Handeln entschließt. Deshalb ermutige ich ihn. Zilu ist ein Draufgänger. Deshalb halte ich ihn zurück.‘“ (XI:22: 67) In der Tat zeichnen Lunyu und Kongzi jiayu Zilu als eine Art Draufgänger. Er erscheint mitunter als vorschnell und tollkühn. Als er gar nur auf die Praxis zu setzen scheint, zeigt ihm Konfuzius, dass etwas Theorie, wie wir sagen würden, der Praxis zugute kommt. Er fordert ihn auf, zu lernen, um so auch seine praktischen Fähigkeiten zu verbessern (Jiayu, Wilhelm 1981a: 100). Gongxi Hua ist ein anderer Name für Zihua (VI:4: 32). Eine weitere Anekdote lautet: „Bixi [ein rebellischer Beamter im Staate Jin, wie Moritz, S. 114, erklärt] wollte Konfuzius in seine Dienste nehmen. Konfuzius war nicht abgeneigt, dem Ruf zu folgen. Doch Zilu sprach: ,Früher habe ich Euch reden hören, der Edle lasse sich nicht mit Menschen ein, die Unrechtes tun […]. Wie könnt ihr da jetzt die Absicht haben, seinem Ruf zu folgen?‘ Konfuzius erwiderte: ,Ja, das habe ich gesagt. Aber heißt es nicht auch: ›Wenn etwas wirklich hart ist, dann mag es noch so sehr geschmirgelt werden, es schleift sich nicht ab. Wenn etwas wirklich weiß ist, dann kann man es noch so sehr schwärzen wollen: es gelingt nicht.‹ Bin ich denn ein Kürbis, den man aufhängen und ansehen kann, ohne ihn zu essen?‘“ (XVII:7: 114) Danach sah sich Konfuzius offenbar gegen Versuchungen gefeit wie ein Weiß, das gegen Verschmutzung immun ist. Außerdem meinte er, wirken zu sollen. Letztendlich jedoch nahm Konfuzius das angebotene Amt nicht an. Konfuzius erkannte auch, dass menschliches Miteinander ohne Bemühen um Konsistenz und Konsequenz erschwert würde, weil zu viele Zufälle ins Spiel kämen. Unaufrichtigkeit als Mangel an Orientierung oder an Berechenbarkeit und Konsistenz begreifend, formulierte er diese Einsicht folgendermaßen:
6.8 Menschlichkeit und Goldene Regel
„Ich kann es nicht verstehen, wie ein Mensch ohne Aufrichtigkeit sein kann. Das ist, als wäre die Deichsel eines Wagens ohne Querstange für das Anspannen der Zugtiere. Wie könnte sich ein solcher Wagen überhaupt fortbewegen?“ (II:22: 14) Oder: „Das Leben des Menschen gründet sich auf Geradheit und Aufrichtigkeit. Ohne sie ist es abhängig von glücklichen Zufällen.“ (VI:19: 35)
6.8 Menschlichkeit und Goldene Regel Das Lunyu schließt mehrere Formulierungen der Goldenen Regel ein. Viele Darstellungen widmen ihnen besondere Aufmerksamkeit. Dabei begreifen sie die Goldene Regel als einen besonderen Ausdruck von ren, der von Konfuzius vertretenen Norm der Menschlichkeit. Dies dürfte treffend sein und soll im Folgenden explizit gemacht werden. Die Goldene Regel verdient freilich auch eine allgemeinere Erörterung. Varianten dieses Prinzips wurden unabhängig voneinander in verschiedenen Kulturen formuliert. Obwohl ein empirisches Indiz, dürfte schon das für die faktische Universalität der Goldenen Regel sprechen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Sie findet sich in der Bibel, wiederholt im buddhistischen Pali-Kanon (des 3. oder 2. Jahrhunderts v. u. Z.), in Werken der griechischen Antike und eben auch im Lunyu. Außerdem kommt sie in vielen anderen letztlich vor-Han-zeitlichen Texten vor (Unger: 22–26). Wie erwähnt, ist sie in Deutschland vor allem in der Form „Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu“ verbreitet. Auf die Frage nach (den Merkmalen) der Menschlichkeit antwortete Konfuzius dem Lunyu zufolge unter anderem: „Was du selbst nicht wünschst, das tue auch anderen nicht an“ (XII:2: 71). Das Gewicht dieser Bestimmung wird deutlich, wenn es heißt: „Zigong [ein Anhänger des Konfuzius] fragte Konfuzius: ,Gibt es ein Wort, das ein ganzes Leben lang als Richtschnur des Handels dienen kann?‘ Konfuzius antwortete: ,Das ist ,gegenseitige Rücksichtnahme [shu]‘. Was du selbst nicht wünschst, das tue auch anderen nicht an‘“ (XV:24: 102). Demselben Zigong legt das Lunyu an anderer Stelle die Worte in den Mund: „Was man mir nicht antun soll, will ich auch anderen nicht antun“ (V:12: 28). Die Goldene Regel setzt damit in wichtiger Hinsicht die Gleichheit aller Menschen voraus. In den zitierten Formulierungen geht sie davon aus, dass wir alle bestimmte Abneigungen und Einstellungen teilen: insbesondere solch elementare Abneigungen wie die gegen Schmerz, Armut, Hunger und Durst, aber auch gegen Beleidigung und Erniedrigung. Dahinter wiederum steht die Überzeugung, dass alle Menschen von Natur aus gleich seien und sich erst aufgrund unterschiedlicher Umwelteinflüsse voneinander entfernten (XVII:2: 112). Ein solches Prinzip der ,Einheit der Menschheit‘ ist eine wichtige Grundlage jeder universalen Ethik – als deren Reflex eben auch die Goldene Regel zu begreifen ist. Sie appelliert aber auch an unser Einfühlungsvermögen, unsere Bereitschaft zur Sympathie und Mitmenschlichkeit. Das mag zu ihrer Wirksamkeit
Merkmale der Goldenen Regel: (1) Sie ist in zahlreichen Kulturen formuliert
Merkmale der Goldenen Regel: (2) Sie setzt in wichtiger Hinsicht die Gleichheit aller Menschen voraus
Merkmale der Goldenen Regel: (3)
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6 Die Mittel Sie appelliert an unser Einfühlungsvermögen und unser Gefühl der Mitmenschlichkeit Merkmale der Goldenen Regel: (4) Sie ist ein Prinzip der Gegen- und Wechselseitigkeit
beitragen. Sie ist kein rein intellektuelles Prinzip, sondern spricht auch unmittelbar an. Das Wort shu kann auch mit „Nachsicht“, „Reziprozität“ und „Gegenseitigkeit“ übersetzt werden. Auch „Fairness“, die dem andern zubilligt, was man für sich selbst beansprucht, kann gemeint sein (Roetz 2006: 71). Vor allem aber impliziert shu, sich selbst „als Maß“ zu nehmen, um andere einzuschätzen (Unger: 108, Lau 1992: xvi, Anm. 5, und S. 155), und setzt damit erneut die Gleichartigkeit aller Menschen voraus. Dem Lunyu zufolge bildet shu, die Norm der Wechselseitigkeit oder gegenseitigen Rücksichtnahme, sogar das einigende Band, das dem konfuzianischen dao Zusammenhang und Zusammenhalt verleiht. Konfuzius, so heißt es (IV:15: 23), stellte fest: „Es ist Eines, das meinen Weg durchzieht.“ Oder in freier Paraphrase: „Eines zieht sich wie ein roter Faden durch meinen Weg.“ Und einer seiner Anhänger erläutert: „Zhong, shu und sonst nichts“ (IV:15). Auch an dieser Stelle kann zhong nicht „persönliche“ oder „unbedingte Loyalität“ bedeuten; denn sonst könnten zhong und shu keine Einheit bilden. Ja, nicht einmal „kritische Loyalität“ ist akzeptabel; denn dann würde sich das dao auf das Verhalten gegenüber Fürsten und anderen höher Stehenden beschränken. Dies wäre nicht der ganze Weg. Umgekehrt erscheint mir auch eine Übersetzung wie „Wohlwollen“ (Roetz 2006: 71 und 77 f.) zu eng. Sie würde letztlich eine von oben nach unten gerichtete Einstellung charakterisieren. Wenn das konfuzianische dao tatsächlich als einheitliches Ganzes begriffen werden soll, dann ist zhong etwa als „sich mit ganzem Herzen dem [Wohl des] anderen zuwenden“ zu verstehen. Auch Ausdrücke wie „treu gegenüber den Menschen“ und „anderen treu verbunden [so dass man sie belehrt und zum Guten ermahnt]“ (XIII:19: 84; XIV:7: 88) dürften das Wichtigste treffen. „Sein Bestes zu tun“ (Lau 1992: xvi; Ames/Rosemont: 59) und selbst „sein Bestes für andere tun“ (Graham 1989: 21) sind in diesem Zusammenhang zu vage. Prägnant als zhong shu zhi dao, das „dao von zhong und shu“, formuliert, bestünde der konfuzianische Weg somit darin, engagiert dem Wohl des anderen zu dienen und sich in ihn hineinzuversetzen, um festzustellen, was im spezifischen Fall zu tun und zu lassen ist. Dies wiederum käme einer Verbindung der in XII:22 (S. 77; vgl. auch XVII:4: 113) gegebenen Erklärung der Menschlichkeit als „Liebe zu den (Mit)menschen“ (ai ren) und ihrer Erklärung als ,Verhalten gemäß der Goldenen Regel‘ (XII:2: 71) oder shu nahe oder liefe gar darauf hinaus – eine Übereinstimmung, die für die Plausibiltät der gegebenen Interpretation spricht. Ai, „Liebe“, dürfte dabei im Sinne von „Zuneigung“, „Anteilnahme“ und „Engagement für“ gemeint sein. Bedenkenswert sind freilich auch Legges (I: 170) und Creels (S. 131) Übersetzungen des Ausdrucks zhong shu (in IV:15). Legge überträgt frei: „getreu den Prinzipien unserer Natur und ihres großherzigen Einsatzes im Umgang mit anderen“, Creel prägnant „Integrität und Wechselseitigkeit“. Zhong bedeutet dabei so etwas wie „sich selbst [in seiner Verpflichtung auf ein menschliches Verhalten] treu zu bleiben“. Auch so wird zhong shu zum zentralen Beleg dafür, das Fazit konfuzianischer Ethik überhaupt als Maxime der „Integrität und Integration“ (Roetz 2006: 91) zu fassen. Als ausführliche Erläutung mag dann die im Vorwort gewählte Explikation gelten: Menschlichkeit,
6.8 Menschlichkeit und Goldene Regel
welche sich selbstbestimmt und kultiviert als persönliche Integrität und verantwortungsbewusstes gesellschaftliches Engagement äußert. Mit der Forderung nach zhong oder ai ren – oder, ganz allgemein, nach Menschlichkeit – verknüpft, werden Goldene Regel und shu zu einer moralischen Norm, die Trivialisierung und egoistische Inanspruchnahme ausschließt. In der Tat können nach dem Lunyu weder Goldene Regel noch shu noch ihre Verbindung Menschlichkeit garantieren, wenn sie auch wie kaum andere Merkmale zu ihrer ausführlichen Bestimmung geeignet sind. Neben der Mitmenschlichkeit, an die die Goldene Regel appelliert, dürfte der wichtigste Grund für ihre Beliebtheit und Wirksamkeit darin liegen, dass sie unverkennbar Gerechtigkeit bzw. Gleichbehandlung verlangt. Es ist nun einmal nicht akzeptabel, wenn jemand, der mir in jeder relevanten Hinsicht gleicht und dessen Lage sich in keiner relevanten Hinsicht von meiner Situation unterscheidet, besser behandet wird, als ich es werde. Wie angesprochen, ist dies schon aus rein logischen Gründen nicht nachvollziehbar. Gerechtigkeit im Sinne einer Gleichbehandlung ist deshalb (fast) allen Menschen ein tiefes Bedürfnis. Bezeichnenderweise sahen nicht nur Konfuzius, Menzius und zahlreiche Konfuzianer, sondern auch viele westliche Philosophen in ihr die neben Menschlichkeit – oder Humanität, Wohlwollen, Mitleid oder Sympathie – wichtigste Tugend, unter ihnen David Hume – der von benevolence und righteousness sprach – und Arthur Schopenhauer. Außerdem wird jeder, der der Goldenen Regel folgt, anderen als rücksichtsvoll, taktvoll, ja integer erscheinen und so ihrer Zuneigung so gut wie sicher sein können. Das Verhältnis der Kardinaltugenden Menschlichkeit (ren) und Gerechtigkeit (yi), wie sie sich mit der konfuzianischen Goldenen Regel verbinden, zu kommunitaristischen – d. h. primär am Gemeinwohl orientierten und als Rollenfunktion begriffenen – Tugenden bedarf jedoch weiterer Klärung. Dies gilt, zumal zahlreiche Darstellungen behaupten, dass Konfuzius vor allem Loyalität (zhong) – und dies sogar im Sinn von bloßem Gehorsam – und kindliche Ehrerbietung oder Liebe (xiao) gelehrt habe. In der Tat finden sich neben den zitierten Gegenbeispielen im Lunyu auch Stellen, die solche Interpretationen zu rechtfertigen scheinen. So wird einem Anhänger des Konfuzius die Äußerung zugeschrieben: „Es gibt selten Menschen, die ihren Eltern mit Ehrfurcht, ihren älteren Brüdern mit Achtung begegnen, und die trotzdem gegen die Obrigkeit rebellieren wollen. […] Ehrfurcht gegenüber den Eltern und Achtung gegenüber den älteren Brüdern – das sind wohl die Wurzeln der Menschlichkeit (ren).“ (I:2: 5). Ähnlich lauten Äußerungen anderer Anhänger oder Schüler (I:7: 6; I:9: 7). Konfuzius selbst soll gesagt haben: „Ein junger Mensch soll in der Familie ehrfürchtig und gehorsam gegenüber seinen Eltern sein. Außer Haus begegne er den Menschen so, wie sich ein jüngerer Bruder gegenüber seinem älteren verhält, mit Achtung und Aufrichtigkeit; er sei durchdrungen von Liebe zu allen und eng mit ren verbunden.“ (I:6: 6) Dies Zitat macht freilich deutlich, dass das Verhalten gegenüber dem älteren Bruder einem sozusagen äußeren moralischem Kriterium folgen sollte, also nicht einfach rollenbedingt ist. Es sollte zum Beispiel aufrichtig sein. Dies aber könnte Gehorsam ausschließen. Dem scheint freilich eine andere Forderung des Konfuzius entgegenzustehen:
Die Verbindung von Goldener Regel und der Forderung nach Menschlichkeit konstituiert eine moralische Norm Merkmale der Goldenen Regel: (5) Sie ist ein Prinzip der Gerechtigkeit Merkmale der Goldenen Regel: (6) Sie gründet u. a. auf dem Prinzip logischer Widerspruchsfreiheit Merkmale der Goldenen Regel: (7) Ihre Beachtung erwirbt Respekt und Zuneigung
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„Zu Lebzeiten des Vaters folge seinem Willen; nach seinem Tode orientiere dich an seinen Taten. Wenn du drei Jahre nicht vom Weg des Vaters abweichst, kann man sagen, dass du dich pietätvoll verhältst.“ (I:11: 7) Eine der schönsten Passagen lautet: „Wenn man gegenüber den Eltern keine Ehrfurcht hat – welcher Unterschied besteht dann zwischen der Sorge um den Unterhalt der Eltern und der Aufzucht von Hunden und Pferden?“ (II:7: 11; vgl. auch II:6: 10; IV:18–21: 24) Eine konsistente Interpretation aller Lunyu-Stellen, die kindliche Ehrfurcht oder ,Liebe‘ zu den Eltern und Loyalität fordern, zwingt dazu, sie in der Hierarchie der im Text verlangten Tugenden niedriger als die Orientierung am dao und niedriger als Menschlichkeit (ren) und Gerechtigkeit (yi) einzustufen. Das dürfte insbesondere die im Lunyu nachweisbare Charakterisierung von ren als in mancher Hinsicht unbedingter Tugend deutlich machen. Aber auch eine Passage (XV:36: 105), die die Orientierung an ren über die Orientierung am eigenen Lehrer stellt, geht in diese Richtung, und entsprechende Explikationen im Menzius und Xunzi lassen gar keine andere Interpretation zu. Unmissverständlich ist das Xunzi, in dem es mehrfach heißt: „Dem dao zu folgen, nicht dem Fürst, yi zu folgen, nicht dem Vater: das ist des Menschen großer Gang.“ (Xunzi XXIX, Köster: 372) Eine viel zitierte Stelle des Lunyu scheint dem freilich zu widersprechen. Auf die Worte eines Präfekten aus dem Staat Chu: „Hier sind die Menschen wahrhaft aufrichtig. Der eigene Sohn bringt es zur Anzeige, wenn sein Vater ein Schaf gestohlen hat“ soll Konfuzius geantwortet haben: „Bei uns ist das anders. Bei uns deckt der Vater den Sohn, und der Sohn deckt den Vater. Auch darin liegt eine Art Aufrichtigkeit.“ (XIII:18: 83 f.) Doch diese Passage ist gar nicht so problematisch, wie es oft behauptet wird. Sie belegt einen zu allen Zeiten mehr oder weniger alltäglichen Konflikt zwischen verschiedenen moralischen Regeln oder moralischen Tugenden. Manchmal sind eben Freundschaft, Liebe und Familienzusammenhalt höhere Werte als Wahrheit, mag Kant es auch entschieden anders beurteilt haben. Zumindest aber handelt es sich um ein Grundproblem der Ethik, das in seinem (fast) dilemmaartigen Charakter verschiedene – gleichermaßen (un)befriedigende – Lösungen zulässt. Eine Frage ist, ob Konfuzius auch dann verlangt hätte, dass der „Sohn den Vater decke“, wenn der Vater grausam gemordet oder sich jedenfalls ,unmenschlich‘ verhalten hätte. Die vom Präfekten gepriesene „Aufrichtigkeit“ dürfte selbst aus unserer Sicht eher als Denunziation erscheinen. Einen Sohn, der ehrlich auf das Wohl seines Vaters bedacht ist, dem aber krass entgegenhandelt, würden auch wir kaum „aufrichtig“ nennen. Sinn und Zweck der Anekdote liegen vielleicht in der – falls die Anekdote alt ist, erstaunlich frühen – anti-legalistischen Kritik: eben in einer gewissen Verachtung für denunziatorische politisch-gesellschaftliche Systeme, die über Angst, Strafen und Misstrauen Friedhofsruhe erzwingen. In diese Richtung geht auch eine Interpretation (Brooks/Brooks: 102 und 228, vgl. auch Ess: 22 f.), die Kapitel XIII insgesamt auf etwa 322 vor unserer Zeit
6.8 Menschlichkeit und Goldene Regel
datiert. Die gegebene Deutung wurde freilich gänzlich unabhängig von ihr entwickelt. Doch mag die Übereinstimmung damit umso entschiedener für die Plausibiltät der Einschätzung sprechen. Bei später Datierung stellt sich natürlich auch die ,Authentizitätsfrage‘ mit besonderer Schärfe. Oft glaubt man, zwischen einer ,westlich-universalistischen‘ und einer ,chinesisch-gruppenorientierten‘ Ethik unterscheiden zu können, indem man ,Westler‘ und Chinesen fragt, ob sie einen Freund durch einen – nicht nachweisbaren – Meineid vor einer Strafe retten würden, wenn sich diese Möglichkeit böte. Aber die Frage ist problematisch; denn welcher ,Freund‘ würde dies erwarten oder gar fordern. (Zudem mögen befragungserprobte ,Westler‘, in solcher Weise auf die Probe gestellt, der öffentlichen Erwartung gehorchen, um nichtsdestoweniger den Freund durch Falschaussagen zu schützen.) Man beachte im Übrigen die Symmetrie in der zitierten Anekdote: auch der Vater würde danach den Sohn schützen. Was, wenn es zu einer Klage von Außen käme, die den Sohn, wollte er seinen Vater „decken“, in Schwierigkeiten brächte? Und noch ein wichtiger Gesichtspunkt ist ins Spiel zu bringen. Angenommen, das Lunyu wäre in seinen Ausführungen über das Verhältnis von allgemeiner Tugendethik zu einer Rollenethik tatsächlich inkonsistent. Diese Sicht könnte man vielleicht durch einen Hinweis auf eine Stelle des Menzius (VII:1:35, Wilhelm 1982: 193) stützen, die besagen mag, dass ein guter Sohn seinen üblen Vater auch vor verdienter Strafe schützen sollte. Dann wäre dies nichtsdestoweniger für die Frage nach der Gültigkeit und systematischen Relevanz konfuzianischer Ethik belanglos. Wir gewinnen selbst aristotelischer Ethik noch etwas ab, und dies, obwohl sie die Sklaverei rechtfertigt. Geht es um die (Re)konstruktion gültiger Theorien, wird man selten ohne Streichungen und Ergänzungen auskommen. Summa summarum bleibt die abschließende Interpretation des Lunyu wohl eine Frage der Gewichtung; denn folgt man den zahlreichen Argumenten, nach denen die Sammlung für den Primat einer allgemeinen Ethik eintritt und sieht die zitierte Passage aus dem Xunzi als Bestätigung, so braucht man die Hypothese inkonsistenter Ausführungen nicht in Betracht zu ziehen. Viele hielten und halten die im Lunyu gewählte negative Formulierung der Goldenen Regel für weniger fruchtbar oder leistungsfähig als die positiven Formulierungen der Bibel. Danach soll man anderen begegnen, wie man es von ihnen erwartet und erhofft. Doch letztlich dürften beide Artikulationen praktisch gleichwertig sein (Roetz 2006: 72). Außerdem findet sich im Lunyu auch eine spezifisch auf Menschlichkeit bezogene adäquate affirmative oder positive Form: „[…] indem der Menschliche in der Welt bestehen möchte, verhilft er anderen dazu. Indem er ans Ziel gelangen möchte, verhilft er anderen dazu. Die Fähigkeit, das Naheliegende [sich selbst] als Beispiel zu nehmen [um andere einzuschätzen], kann als Methode der Menschlichkeit bezeichnet werden“. (VI:30: 38; Unger: 25; Wilhelm 1989: 80; Lau 1992: 55; Roetz 2006: 72) , eines Nicht-Konfuzianers (aus dem 4. Jh. Eine Formulierung Shizis v. u. Z.?) darf als Beleg für die, wie angedeutet, in der Zeit der Streitenden
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Reiche weithin einheitliche Auffassung der Goldenen Regel gelten. Sie macht die oft nur implizite affirmative Komponente der Goldenen Regel explizit. In Ton und Tenor steht sie dabei in völligem Einklang mit den Formulierungen im Lunyu: „Gegenseitigkeit (shu): das ist, die eigene Person zum Maß(stab) machen. Was man selbst nicht wünscht, das füge man andern nicht zu; verabscheut man es an anderen, dann beseitige man es bei sich selbst; wünscht man es bei anderen, dann suche man es bei sich selbst: das ist Gegenseitigkeit.“ (Unger: 25) Kantische Kritik an der Goldenen Regel: trifft die konfuzianische Ethik nicht
Nach dem Konfuzianismus hat jeder Mensch auch ,Pflichten gegen sich selbst‘
Merkmale der Goldenen Regel: (8) Verallgemeinerungsfähigkeit und Allgemeingültigkeit
Wer sich mit der kantischen Ethik auseinandergesetzt hat, weiß, wie sehr Kant die Goldene Regel kritisierte. Sein eigenes Konzept eines allgemeinen und für alle Menschen gültigen moralischen Gesetzes, der von ihm sogenannte Kategorische Imperativ, soll von den Mängeln der Goldenen Regel frei sein. Meistens formulierte Kant dieses ,unbedingte Gebot‘ jedoch so umständlich und abstrakt, dass den Fassungen jedenfalls die Eingängigkeit der Goldenen Regel fehlt. Die einzige Ausnahme bildet die oft als „Zweckimperativ“ bezeichnete Version, dass kein Mensch nur als Zweck gebraucht werden dürfe. Zu ihr aber findet sich eine Art eingeschränkter spezifischer Entsprechung im Lunyu, und zwar die normative Feststellung, dass der Edle kein „Gerät“ sei (II:12: 12). Sie mag jedoch auch darauf zielen, den Edlen nicht als eine Art Fachmann für besondere Handwerkstätigkeiten anzusehen. Kants Vorwurf, dass die Goldene Regel die Pflichten, die jeder Mensch sich selbst gegenüber habe, außer Acht lasse, aber wiegt nicht schwer, wenn man einen Text wie das Lunyu als Ganzes berücksichtigt. Denn das Lunyu zählt eine Reihe derartiger Pflichten auf, insbesondere eben die Verpflichtung zur Selbstkultivierung. Der Mangel an formaler Allgemeinheit wird damit erneut durch Anschaulichkeit, Eingängigkeit und Wirksamkeit ausgeglichen. Kant legte mit gutem Grund großen Wert auf die Rechtfertigung des Allgemeingültigkeitsanspruchs seines Kategorischen Imperativs. Was in gültiger Weise gerechtfertigt werden kann, das sollte in der Tat auch Anerkennung finden. Aber wie ja auch im Lunyu beklagt, klafft eben ein Abgrund zwischen Einsicht und Tat. So wichtig die Rechtfertigungsproblematik auch sein mag, vergleichbar wichtig bleibt die Wirksamkeit einer moralischen Norm. So spricht Pragmatismus erneut für die Goldene Regel. Kaum stichhaltig ist auch der Vorwurf, es sei unklar, auf wen sich die Goldene Regel beziehe. Die Goldene Regel des Konfuzius lässt sich schwerlich als Prinzip einer individuellen Gruppe oder Klasse interpretieren. Sonst wäre sie Tugenden wie kindlicher Ehrfurcht nicht übergeordnet. Sie ist ihrem Wortlaut nach mit den Anspruch formuliert, für alle Menschen zu gelten. Sie ist zudem eine Regel der Menschlichkeit und dabei durch zhong spezifiziert. Bestenfalls ließe sich darüber streiten, ob Konfuzius Frauen, Schwerverbrecher und ,Unbelehrbare‘ eingeschlossen hätte. Aber dies sind eher historische Fragen. Jedenfalls ging Konfuzius nicht so weit wie Aristoteles, der – wie gesagt – in Sklaven gar keine Menschen sah. Dabei enthält – wie ebenfalls angesprochen – selbst die aristotelische Ethik bleibend relevante systematische Ansätze wie das Konzept der rechten Mitte. Konfuzius’ Auffassung, dass alle Menschen sich von Natur aus glichen (XVII:2: 112) und Menzius’ und Xunzis in dieselbe Richtung weisende Bemerkungen
6.8 Menschlichkeit und Goldene Regel
sprechen jedenfalls eher dafür, dass die Überzeugung von der biologischen Gleichheit und gleichem ethischen Potential aller Menschen vor-Qin-zeitliches konfuzianisches Gemeingut war. So heißt es im Menzius: „Alle Dinge, die zur selben Art gehören, sind einander ähnlich. Warum sollte man das allein beim Menschen bezweifeln?“ (VI:1: 7, Wilhelm 1982: 164 f.; II:1: 6, Wilhelm 1982: 74 und VI:1: 6, Wilhelm 1982: 163 f.). Und im Xunzi: „Die Natur [xing] des Menschen, [der legendären, moralisch exemplarischen Herrscher] Yao und Shun, [des Despoten] Jie und [des Räubers] Chi, ist ein und dieselbe [yi]“ (Xunzi XXIII, Köster: 309; vgl. auch Köster: 26, 34, 308 f. und 310 f.). Kant kritisiert die Goldene Regel auch mit der Bemerkung, dass ein „Verbrecher“ sie nutzen könne, um „gegen seine strafenden Richter zu argumentieren“ (Kant, BA: 66 ff.). Aber selbst dieser Einwand ist problematisch; denn er lässt außer Acht, dass die Goldene Regel zumindest implizit angemessene Vergleichbarkeit voraussetzt. Natürlich dürften sich nur wenige Verbrecher eine Strafe wünschen. Aber wer z. B. einen Mord begangen hat, der sollte sich der Goldenen Regel folgend ja auch in die hinein versetzen, die Vergeltung verlangen und für gerecht halten. Er sollte ihnen das ermöglichen, was er sich in ihrer Lage wünschen würde. Im Kontext des Lunyu kommt erneut hinzu, dass die Anwendung der Goldenen Regel prinzipiell dem dao folgen, der Norm der Menschlichkeit (ren) genügen und der mit zhong geforderten Gesinnung entsprechen sollte. Um es noch einmal anders zu sagen: Das Lunyu begreift die Goldene Regel nicht als hinreichendes Prinzip moralisch akzeptablen Verhaltens. Mangelnde Vergeltung ist eben in bestimmten Fällen ungerecht. Sadismus und Masochismus sind grundsätzlich inakzeptabel. Spricht kein gewichtiges Argument dagegen, so ist zunächst Toleranz gefordert. Und so fort. Schließlich betont Kant, dass als moralisch nur gelten sollte, was um der Moralität willen geschieht. Womöglich nur zufällige Übereinstimmung mit dem „moralischen Gesetz“ reicht seines Erachtens dazu nicht aus. Und in der Tat kann ja, wer der Goldenen Regel folgt, einfach auch seiner Neigung nachgeben. Selbst dieser Vorbehalt Kants würde freilich die vom Konfuzius des Lunyu formulierte Ethik nicht ohne Weiteres treffen. Charakterisiert man sie mit üblichen philosophischen Termini, so ist sie ja, wie zu zeigen versucht, Gesinnungsethik. Konfuzius unterstreicht mehrfach, dass es auf die richtige, der Menschlichkeit verpflichtete Einstellung und nicht auf Äußerlichkeiten ankomme. Im Übrigen ist die konfuzianische Ethik komplex. In der Betonung einzelner Tugenden wie Menschlichkeit (ren), Gerechtigkeit (yi), Aufrichtigkeit (xin), Vorbildlichkeit (xian), Kultiviertheit (wen), kritischer Loyalität (zhong), kindlicher Ehrfurcht (xiao) und Toleranz (kuan) ist sie Tugendethik (XVII:6: 113; III:26: 20). Ihr Konzept der Goldenen Regel (bzw. shu) verleiht ihr eine regelethische Komponente. Soweit dao und ren unbedingte Normen charakterisieren, besitzt sie deontologischen Charakter. Sofern es um Wirkungen geht, kommen teleologische und selbst utilitaristische Momente ins Spiel. Konfuzianische Ethik derart zu beschreiben, macht Sinn. Die Verbindung der Komponenten ist kein willkürlicher Mischmasch. Metaethische Analysen zeigen, dass etwa ,rein deontologische‘ oder ,rein teleologische‘ Ethiken
Komplexität der konfuzianischen Ethik
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– Lehren, die nur unbedingte oder nur an Zweck und Folgen orientierte Prinzipien formulieren – unzureichend sind. Die Ethik des Lunyu ist deshalb komplex, weil die Wirklichkeit kompliziert und die Frage, wie der Mensch entscheiden und handeln solle, schlichtweg nicht einfach zu beantworten ist. Dem Konfuzius des Lunyu waren insbesondere der Transzendentalismus und Apriorismus Kants fremd. Vergleiche haben das Ziel, bewusst zu machen, dass die Goldenen Regel Teil eines größeren theoretischen Zusammenhangs und gar nicht so ,archaisch‘ oder unzureichend ist, wie es aus der Sicht kantischer Philosophie scheinen mag. Anders ausgedrückt, sollen sie etwas von der philosophischen Qualität des Lunyu deutlich machen, die so leicht unterschätzt wird. Innerhalb des Kommunitarismus ist sie denn auch zu neuen Ehren gekommen; und zwar durchaus auch im, und sei es noch so vagen, Rückgriff auf Konfuzius. So erschien 1997 Etzionis Buch The New Golden Rule. Wie freilich zu zeigen versucht, dürfte der Konfuzius des Lunyu kein Kommunitarist gewesen sein; waren für ihn dao und ren doch höhere Normen als Rollenbindungen und Orientierung an Gemeinschaftlichkeit.
6.9 Li: traditionelle Sittlichkeit, kultiviertes und konventionelles Miteinander sowie ritualisiertes Verhalten Viele charakterisieren Konfuzius und insbesondere ,die Konfuzianer‘ als Ritualisten und Traditionalisten. Schon Mozi und die Legalisten äußerten sich entsprechend. Und ähnlich urteilten schließlich auch die Maoisten der Kulturrevolution. Während sie dabei entschieden kritische Absichten verfolgten, rühmen seit etwa 1990 Anhänger ,asiatischer Werte‘, Kommunitaristen und Verteidiger ,kultureller Identität‘ den, wie sie meinen, kontextualistischen – Zusammenhängen und ihren Besonderheiten Rechnung tragenden –, spezifischen oder konkreten Charakter ,konfuzianischer Ethik‘. Vor allem in ihren extremen und undifferenzierten Formen sind all diese Darstellungen verfehlt (Paul 2008b). Konfuzius selbst war weder ein engstirniger, allem Neuen abholder Vertreter des Althergebrachten noch ein Verteidiger elaborierter umständlicher Zeremonien, womöglich gar um des Zeremoniellen selbst willen. Jede textkritische und halbwegs konsistente Interpretation des Lunyu schließt dies aus. Nach Konfuzius’ Tod dürften sich freilich unter den ru Gruppen gebildet haben, die die mohistische Kritik verdienten. Ja, vor ihm und zu seinen Lebzeiten mag es ,Ritualisten‘ – mehr oder weniger an bloßen Äußerlichkeiten orientierte Konventionalisten und Zeremonienmeister – gegeben haben, die als ru bezeichnet wurden oder die sich als ru verstanden. Nach dem Lunyu (VI:13: 34; Wilhelm 1989, VI:11) unterschied sogar schon Konfuzius selbst zwischen junzi ru und xiaoren ru, edlen und minderwertigen ru. Und später gab es gewiss genug Gelehrte und Beamte, die sich als ,Konfuzianer‘ begriffen, aber kaum mehr als starre Formalisten waren. Dies heißt nicht, dass der Konfuzius des Lunyu die li – kultivierte konventionelle Sittlichkeit
6.9 Li: traditionelle Sittlichkeit
und zeremonielles Ritual – nicht für wichtig gehalten hätte. Für ihn waren sie unentbehrliche Mittel der Harmoniebildung, der gesellschaftlichen Ordnung sowie wünschenswerten Gefühlslebens und Gefühlsausdrucks. Sie waren in diesem Sinn auch unentbehrliche Komponenten der Menschlichkeit, die, wie deutlich geworden sein sollte, sich nicht in moralischem Verhalten erschöpfte, sondern eben auch Kultiviertheit, ja Interesse am Schönen einschloss. Die li waren für Konfuzius jedoch keine rein äußerlichen, hohlen Formen. Dass jede Orientierung an den li so gut wie wertlos sei, wenn die entsprechende innere Einstellung fehle, bringen etwa folgende Passagen zum Ausdruck: „Ein Mensch ohne ren: was kann der [schon] mit [den] li anfangen?“ (III:3: 15). Gründen formvollendetes Verhalten und insbesondere Zeremoniell und Ritus nicht in einer menschlichen Haltung oder Gesinnung, so taugen sie nichts. Und weiter: Jemand „fragte nach den Grundlagen der li. Konfuzius antwortete: ,In der Tat eine große Frage! Die li sollten eher schlicht als prunkvoll sein. Beim Begräbnis ist echte Trauer wichtiger als minutiöse Beachtung zeremonieller Details‘.“ (III:4: 15). Anders als es Mozi tat, ist jedenfalls dem Konfuzius, dem diese Feststellung zugeschrieben wird, kein Hang zu überflüssigem Luxus vorzuwerfen. Selbst die vielzitierte Forderung nach einer dreijährigen Trauerzeit beim Tod der Eltern (XVII:21: 117) dürfte kaum Konfuzius’ Überzeugung zum Ausdruck bringen, sondern frühestens ab Mitte des 4. Jahrhunderts v. u. Z. eine Rolle gespielt haben (Brooks/Brooks: 165 und 123). Die Stelle (XIV:40: 96), in der von einem Herrscher die Rede ist, der drei Jahre schweigend (!) in einem eigens dafür bestimmten Zelt um seinen Vorgänger trauerte, während sein Kanzler die Regierung führte, überzeugt schon wegen ihrer inneren Unwahrscheinlichkeit kaum. Unvorstellbar ist auch, dass ein (Krieg führender!) Fürst wie der von Konfuzius geschätzte König Wu drei Jahre um seinen Vater, König Wen, trauerte, von einem entsprechenden Trauerzelt nicht weiter zu reden. Das aber wäre vorauszusetzen, wenn Konfuzius die dreijährige Trauerzeit tatsächlich für moralisch so gut wie unabdingbar gehalten hätte. Oder unter einer „dreijährigen Trauer“ wäre ,im Normalfall‘ ein Verhalten zu verstehen, wie es z. B. unserem Tragen einer Trauerbinde entspräche. Davon abgesehen, geht es erneut eher um aufrichtiges Empfinden als um äußere Form. Das bestätigt denn auch Abschnitt III:26 (S. 20). „Wie soll ich mir das mit ansehen?“ fragt sich Konfuzius, wenn die Menschen „den Bräuchen bei Begräbnis und Trauer ohne inneren Schmerz nachkommen“. In seltsamen Kontrast dazu steht freilich Kapitel X. Es vermittelt ein fast groteskes Bild eines pedantischen Formalisten. Sätze wie „Im Bette lag [Konfuzius] nicht steif wie eine Leiche“ (X:24: 62) erscheinen lächerlich. Genauere Lektüre mag dieses Bild vielleicht korrigieren. Dessen ungeachtet ist das Kapitel in dem Sinn als unecht einzustufen, als es nicht zu den ältesten Teilen des Lunyu gehört und kaum ein treffendes Bild des historischen Konfuzius abgeben dürfte (Brooks/Brooks: 220; Lau 1992: 274 f.; Moritz: 148). Worin aber sah der Konfuzius des Lunyu, im Detail betrachtet, dann Funktion und Wirkung der li als unentbehrlicher Mittel von Harmonie, gesellschaftlicher Ordnung und persönlichem Gefühlsausdruck? Zum Beispiel darin, gebotene Achtung nicht in Unterwürfigkeit, Vorsicht nicht in Angst,
Ren und innere Einstellung wichtiger als li und äußere Form
Akzeptable li nach Konfuzius nichts rein Äußerliches
Funktion und Wirkung der li
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Mut nicht in Dreistigkeit und Aufrichtigkeit nicht in Unbeugsamkeit abgleiten oder ausufern zu lassen (VIII:2: 45), also in einer diszplinierenden, zivilisierenden Kraft. Die li erlauben danach nicht nur unbeanstandetes, ja aufgrund seines ansprechenden Charakters willkommenes öffentliches Verhalten. Sie dienen auch dem Selbstschutz. Als Faktoren der Selbstkultiverung führen sie – wie es dann das Xunzi im systematischen Anschluss an das Lunyu expliziert – zur Habitualisierung eines gesellschaftlich wie individuell, moralisch wie emotional erwünschten Verhaltens. Kultiviertheit (wen) gehört nach dem Konfuzius des Lunyu zu den notwendigen Merkmalen des Edlen (junzi), der idealen Persönlichkeit. Sie gibt seinen natürlichen Anlagen und Neigungen erst ,den richtigen Schliff‘, darf aber dabei auch nicht zum gefühlstötenden Mechanismus werden (VI:18: 35). In einem weiteren Sinn gehörten zu den li auch mehr oder weniger standardisierte Formen der Geselligkeit, die dann etwa den Vortrag und Austausch von Gedichten, Liedern und Musik einschlossen. So wie sie Konfuzius verstanden haben dürfte, dienten die li auch dazu, gesellschaftliche Positionen zu charakterisieren und zu stabilisieren, und dies in sehr einfacher Weise. Beispiele sind Kleiderordnungen, Ausstattung mit Wagen und Pferden, Rangordnungen und die Durchführung von Riten im engeren Sinn. Dieses Moment findet sich übrigens auch im Deutschland des 21. Jahrhunderts. Um ein schlichtes Beispiel zu geben: Viele Oberbürgermeister behalten sich das Recht vor, Eintragungen ihrer Ehrengäste ins Goldene Buch selbst zu leiten. Diese nur scheinbar äußerliche Funktion der li kann wichtig sein. Schleichende Usurpation der Macht vollzog sich in der Zeit der Streitenden Reiche oft auch derart, dass man einfach Insignien und Riten von Mächtigeren übernahm, um so eigene Ansprüche anzumelden oder nach (rücksichtslos) vollendeter (Un)tat höheren Status zu dokumentieren (III:1–2: 15; XVII:18: 116). Auch die in der Rezeptionsgeschichte vielzitierte Stelle, derzufolge Konfuzius gesagt haben soll: „Das Selbst überwinden und zu den Riten zurückkehren (ke ji fu li), heißt Menschlichkeit“ (XII:1: 71; Ames/Rosemont: 249 f., Anm. 188; Brooks/Brooks: 89; Lau 1992: 109), ist ähnlich zu verstehen. Ke ji bedeutet, seinen Gefühlen und Neigungen nicht einfach freien Lauf zu lassen, oder eigener Bequemlichkeit nicht einfach nachzugeben und träge im Zustand mangelnder Bildung und Zivilisation zu verharren. Die Gefühle sollen dabei nicht ausgerottet, sondern kultiviert werden. Ke ji fu li ist danach eine Form der Selbstkultivierung. Nach dem Lunyu darf, ja soll der Edle solch kultivierte Gefühle empfinden. Zu ihnen zählen dann auch ,moralische‘ Gefühle wie eine starke Abneigung etwa gegenüber Verleumdern (XVII:24: 118 f.). Problematisch scheint der Begriff fu, „zurückkehren“; denn er scheint zu implizieren, dass die li in früheren Zeiten (stärkere) Beachtung fanden und dass diese Zeiten deshalb menschlicher waren. Doch selbst wenn dies gemeint ist, belegt es keinen blinden Traditionalismus. Die „Rückkehr“ wird nicht um einer Wiederbelebung des Alten um des Alten willen, sondern eben um der Menschlichkeit und insbesondere gesellschaftlicher Stabilität und Sicherheit willen gefordert. Außerdem ändert es nichts daran, dass die li dabei als Mittel und nicht als Zweck der Menschlichkeit begriffen werden. Die im Kontext des Lunyu wegen ihrer Konsistenz wohl überzeugendste spezifische Interpretation geht jedoch dahin, dass ke ji for-
6.9 Li: traditionelle Sittlichkeit
dere, die – womöglich gerade im Zuge der eigenen Selbstkultivierung aufgekommene – Neigung zu überwinden, sich nur sich selbst zu widmen, und fu ji verlange, sich in einer erneuten, reflektierten Entscheidung für li (aufs Neue) im öffentlichen Leben zu engagieren (Roetz 2006: 88 und 1992: 305). Resümierend sei noch einmal unterstrichen, dass der historische Konfuzius ren weit über li gestellt haben dürfte. Zahlreiche Äußerungen sprechen ja dafür, dass er in ren die Kardinaltugend bzw. den normativen Begriff überhaupt sah und dass er ren für wichtiger hielt als li (III:3). Auch ist keine andere konsistente Relation zwischen ren und li denkbar. Des Weiteren dürften die meisten der auf ren bezogenen Lunyu-Passagen älter sein als die meisten Stellen, in denen li zur Sprache kommt. Das gilt insbesondere, wenn man (wie Brooks/Brooks) der Meinung ist, dass Kapitel IV besonders alt sei. Und schließlich ist zu bedenken, wie selten li im Shujing verwendet und erörtert wird (Legge III: 702), während das Werk die Bedeutung von ren trotz nur fünfmaliger expliziter Nennung ausführlich charakterisiert. Analysen der Lunyu-Begriffe von ren und li geben schließlich auch keinen Anlass, ren mit „authoritative person“, „autoritativer, maßgebender Persönlichkeit“, zu übersetzen. Die Begründung, dass Konfuzius den li als Reflex des Kontextuellen, Situativen, Konkreten und Kulturspezifischen außerordentliche Relevanz beimesse und Begriffswörter wie „benevolence“, „Wohlwollen“, und „humanity“, „Humanität“, deshalb zu eng seien, um die volle Bedeutung von ren einigermaßen wiedergeben zu können (Ames/ Rosemont: 48–51), ist irrig. Selbst Wörter wie „humanity“ und „Humanität“ beziehen sich nicht nur auf Moralität, sondern auch auf Zivilisiertheit und Kultiviertheit. Assoziiert man die Konnotationen, die der Begriff „Menschlichkeit“ als traditionelles philosophisches Konzept besitzt, so schwindet die (scheinbare) Problematik gänzlich. Nicht nur Kant sprach davon, dass „der Mensch nur Mensch“ werde „durch Erziehung“ und gab damit der Überzeugung Ausdruck, dass Menschsein eine Norm darstelle, die auch Bildung und Kultiviertheit verlange. Ähnlich dürfte, wie gesagt, der historische Konfuzius Bildung und Kultiviertheit für integrale Merkmale von ren gehalten haben, ohne damit doch ren als allgemeine und allgemeinverbindliche moralische Norm relativieren zu wollen. Dass er dabei auch zivilierte, konventionelle Umgangsformen und die Anerkennung und Beobachtung bestimmter Riten im engeren Sinn verlangte, ist, so gesehen, nur selbstverständlich.
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7 Der Konfuzius des Lunyu: Beispiel einer vorbildlichen Persönlichkeit Problematik eines historisch treffenden Konfuzius-Bildes
Die dargestellten Überzeugungen und Lehren des Konfuzius charakterisieren natürlich auch dessen Persönlichkeit. Dabei ist freilich erneut daran zu erinnern, dass sie nicht unbedingt Aufschluss über die historische Gestalt, „wie sie leibte und lebte“, geben. Das Alter der einzelnen Textpassagen ist nicht mit Sicherheit auszumachen, mögen auch die Kapitel III bis IX und XI bis XV tatsächlich die ältesten Schichten bilden (Brooks/Brooks: 202; Lau 1992: 263–275). Konsistenz ist kein unfehlbares Kriterium; denn jeder Mensch ändert sich im Laufe seines Lebens (II:4: 10), und spätere Anekdoten mögen gerade deshalb die überlieferte Form haben, weil sie als Bestätigung älterer Traditionen dienen sollten oder weil mit ihnen eigene Interpretationen und Stellungnahmen als Althergebrachtes ,verkauft‘ werden sollten. Angenommen, vor allem Kapitel IV reflektierte wirklich Auffassungen des historischen Konfuzius (Brooks/Brooks). Dann wäre er feudalem Denken und unbeirrbarer, ungeschmückter Aufrichtigkeit stärker verhaftet gewesen, als gemeinhin angenommen. Außerdem ergäbe sich erneut, dass Konfuzius viel weniger ,Ritualist‘ war, als es die meisten ,Konfuzianer‘ waren. Bei aller Differenziertheit ist freilich auch die Erweiterungs-Theorie („accreation theory“), als deren Kern die ,Kapitel-IV-Hypothese‘ formuliert ist, im ein oder anderen Punkt fragwürdig. Abgesehen von philologischen Problemen (Simson 2000) geht sie zu sehr von einer Systematik der Kapitelordnung(en) und von historischen Veränderungen aus, die fast Zäsuren gleichkommen. Die Entwicklung des Textkorpus zu rekonstruieren, indem man radikale geschichtliche Einschnitte unterstellt, kann in die Irre führen. Insbesondere ist nicht einzusehen, warum das Dilemma, erfolgreich zu überzeugen und zu überreden und deshalb auch ansprechend zu formulieren, ohne dabei der Schmeichelei, Heuchelei, Lüge und Schönrednerei verdächtigt zu werden, nicht schon zur Zeit des jungen Konfuzius bestanden haben soll und ihm bewusst war. Implizit wird dies sogar eingeräumt (Brooks/Brooks: 35). Man sollte deshalb keine zu hohen Ansprüche an die Historizität eines Konfuzius-Bildes stellen. Die Kapitel X, XIX und XX und vergleichbar fragliche Einzelstellen ausgenommen, lässt sich freilich ein überzeugendes, relativ geschlossenes ,Konfuzius-Bild‘ identifizieren, das über Jahrtausende wirkte, ohne doch Konfuzius-Legende oder Mythos zu sein – Vorstellungen, die selbstverständlich auch große Wirkung zeitigten, aber kaum philosophisch-systematisches Interesse verdienen. Es ist das Bild einer Persönlichkeit, die für Menschlichkeit (ren) eintrat: die lernen wollte, selbstkritisch und offen für Kritik war, die kultiviert und engagiert sein wollte und der daran lag, nicht hinter den eigenen Worten zurückzubleiben. In Wort und Tat wollte Konfuzius Einfluss nehmen. Er wollte dabei weder heucheln, schmeicheln noch kriechen, wenn er auch genauso weit davon entfernt war, einfach und direkt heraus-
7 Der Konfuzius des Lunyu
zusagen, wonach ihm der Sinn stand oder was er für wahr und geboten hielt. (Selbst)Ironie, Sarkasmus und mitunter gar eine gewisse Bitterkeit im Ton reflektieren seinen politischen Realismus und eine fast durchgängige Nüchternheit. Seine skeptische und agnostische Haltung verbindet sich mit einem diesseitsgewandten Pragmatismus. Statt über entlegene und allgemein menschlicher Erfahrung oder Erkenntnis entzogene Fragen zu spekulieren, zieht er es vor, sich den unmittelbar bevorstehenden Aufgaben zuzuwenden (V:13: 28; VII:21: 48). Spekulation kann auch Ablenkung und Flucht sein. Was vielleicht besonders beeindruckt, ist Konfuzius’ nüchterne, (selbst-) ironische Einschätzung der Fähigkeiten und Grenzen des Menschen, und insbesondere seiner selbst. Er weiß, wie schwer es uns fällt, tatsächlich unserer Einsicht gemäß zu handeln. Ihm ist nur allzu bewusst, dass wir ungern Fehler eingestehen und kaum geneigt sind, sie zu korrigieren. Er weiß um unsere Neigung, die Fehler erst einmal bei anderen zu suchen. Er kennt die Versuchungen, die äußerer und materieller Erfolg darstellen. Und ihm ist klar, wie problematisch ein Eintreten für Menschlichkeit sein kann, wenn man sich damit der Willkür der Mächtigen ausliefert. In weniger dramatischem Kontext gesehen, dürfte ihm – wie später Han Feizi und vielen anderen – bitter bewusst gewesen sein, wie schwer es ist, andere von der Gültigkeit und Aufrichtigkeit einer Auffassung zu überzeugen, wenn Egoismus, Abneigung, Misstrauen, Missgunst und gar Intrige die Szene beherrschen. Dennoch sieht Konfuzius keine Alternative zum Leben unter und mit den Menschen. Die daoistische Entscheidung für eine einsame Existenz abseits der Zivilisation kommt für ihn einer Abkehr von Kultur – einer Degeneration – und einer Verweigerung ethisch geforderten Engagements gleich (XVIII:6: 121). So ergibt sich das Bild einer Persönlichkeit, die sich im Bewusstsein der eigenen Grenzen anstrengt, selbst den Forderungen gerecht zu werden, die sie erhebt: ein Vorbild, das überzeugend und erreichbar und doch bewunderswert scheint, da frei von ,aufgesetzem‘ Verhalten, Heuchelei und Pomp. Die kontrollierte Zurückhaltung, die Konfuzius in Fragen der Metaphysik und vor allem ontologischer und epistemologischer Spekulation zeigt, mag zudem Respekt abverlangen. Den Konfuzius des Lunyu gering zu schätzen, weil seinen Auffassungen die explizite, umfassende und differenzierte Systematik der ,neokonfuzianischen‘ Spekulation Zhu Xis oder traditioneller europäischer spekulativer Metaphysik fehlt, wäre in der Tat ein höchst ahistorischer und eurozentrischer Standpunkt. Davon abgesehen, dürfte ohnehin strittig bleiben, was metaphysische Spekulation wert ist. So wenig wie umfassende und differenzierte Systematik ist sie ein Wert an sich. Zumindest sind einzelne Fälle zu unterscheiden. Denn auch den Hexenhammer (Sprenger/Institoris), eine theoretische Grundlage von Hexenverfolgung, Folter und Verbrennung, zeichnete beachtliche metaphysisch-spekulative Systematik aus. Die für den Konfuzius des Lunyu charakteristische Orientierung an allgemeinmenschlicher Erfahrung und der für ihn charakteristische Versuch, drängende aktuelle Probleme mit den allgemein zugänglichen Mitteln dieser Welt, und in dieser Welt, zu lösen, ist dagegen ein zeitlos gültiger und respektabler philosophischer Ansatz.
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7 Der Konfuzius des Lunyu
Gilt das Interesse vor allem dem Menschen Konfuzius, so dürfte freilich eine gewisse Unzufriedenheit bleiben. Die überlieferten historischen Daten bieten nur wenig sichere Informationen. Und jeder Versuch, Konfuzius im Spiegel seiner Lehren zu sehen und entsprechend darzustellen, bleibt wegen des Unpersönlichen einer solchen Konstruktion sozusagen blutleer. Dabei drängt sich die Frage nach der historischen Persönlichkeit nichtsdestoweniger auf. Man will ja wissen, ob bzw. worin die ungeheure Wertschätzung, die Konfuzius in der Geschichte Chinas erfuhr, begründet ist. Lässt sich die Mythen- und Legendenbildung als Reaktion auf einen überragenden persönlichen Charakter erklären? Ist überhaupt eine historische Persönlichkeit unabhängig von Mythen und Legenden identifizierbar? Hier bleibt wohl nur Spekulation, und auch sie muss sich am Lunyu orientieren. Vielleicht liegt ja eine der Erklärungen für die Bewunderung, die man für Konfuzius empfinden mag, darin, dass das Lunyu zu Spekulationen einlädt, die zu plausiblen positiven Konfuzius-Bildern führen. So kann man die Größe des Konfuzius in dessen sehr spezifischer Souveränität sehen. Er machte keine ,Karriere‘. Seine Fähigkeiten fanden nicht die ihnen gebührende Anerkennung. Seine Ziele waren kaum in die Tat umzusetzen. Er geriet öfter in Schwierigkeiten. Einige Zeitgenossen dürften ihn deshalb auch milde belächelt haben. Konfuzius muss all das bewusst gewesen sein. Er kommentierte es teils sarkastisch, teils ironisch, teils selbstironisch. Gerade auch die Einsicht in die eigene Fehlbarkeit und Unzulänglichkeit ermöglichte es ihm, in reflektierter Form von der Gültigkeit seiner Auffassungen und der Integrität seines Handelns überzeugt zu sein, Selbstachtung zu empfinden und sich in ihr nicht beirren zu lassen. Er erscheint als ,Mensch unter Menschen‘, der gewissermaßen schulterzuckend auch dann darauf beharrt, das eigene Leben unbeeindruckt von Außen führen und, weil ,richtig‘, auch als befriedigend zu empfinden zu dürfen, wenn andere diese reflektierte Einstellung gar nicht wahrnehmen. Ein Spekulation also, die das Bild einer durchaus weltzugewandten, aber moralisch und deshalb auch emotional autonomen Persönlichkeit entwürfe.
8 Konfuziusbild und Konfuzianismus (rujia) in der Geschichte Chinas 8.1 Konkurrierende Lehren und Schulen in der Zeit der Streitenden Reiche Die im Lunyu formulierten Überzeugungen machten nur einige der in der Ära von Frühling und Herbst und vor allem der Epoche der Streitenden Reiche vertretenen Positionen aus. Wie darzustellen versucht, waren es ja Zeiten scharfer intellektueller Auseinandersetzung um den „rechten Weg“ zu Menschlichkeit, Reichseinheit, Frieden und Sicherheit. Zhuangzi (XXXIII, Graham 1981: 275) und Xunzi (Köster) sprechen bereits von 100 – d. h. von zahlreichen – Schulen. Ingeniös wie kein anderer bringt der Titel Disputers of the dao – „Disputanten des dao“ (Graham 1989) – den gemeinten Sachverhalt zum Ausdruck. So wurden auch die Lehren des Lunyu sehr bald Gegenstand intellektuellen Streits. Die wichtigsten kritischen Alternativen artikulierten dabei Vertreter jener Schulen und Richtungen, die als Mohismus (mojia), Schule der Kriegskunst (bingjia), Daoismus (daojia), Schule der Bezeichnungen (mingjia), Legalismus (fajia), Lehre Yang Zhus, Schule der Fünf Elemente (wuxingSchule), Yin-Yang-Schule und Schule der Ackerbauer (nongjia) bekannt geworden sind. Die (gebräuchliche) Übersetzung „Schule“ (für jia) ist freilich insofern irreführend, als sie allzu sehr an nach außen abgegrenzte, in sich organisierte Einheiten denken lässt. Außerdem kaschieren die allgemeinen Namen interne (,innerschulische‘) Differenzen. Sie reflektieren eine Gliederung des Historikers Sima Tan (bis 110 v. u. Z.) – des Vaters von Sima Qian –, der die seines Erachtens wichtigsten Strömungen und Lehren unter ,Schul‘namen zusammenfasste. Wenn ich im Folgenden weiterhin von Schulen spreche, so sollte man sich der angesprochenen Vorbehalte bewusst bleiben. Im gegebenen Zusammenhang interessiert weniger die historische Seite. Es geht eher um die systematische Relevanz, die die Reaktionen auf den frühen ,Konfuzianismus‘ besitzen, und die den Alternativen eignet, die zu ihm formuliert wurden. Dennoch wird der frühe ,Konfuzianismus‘ damit nicht nur in systematischem, sondern auch in historischem Kontext gesehen. Um wenigstens einigermaßen differenziert darzustellen, soll die Einordung zudem genutzt werden, um einzelne unterschiedliche Ansätze und Lehren des Lunyu noch prononcierter in ihren Gegensätzlichkeiten explizit zu machen. Die Reaktionen auf den frühen ,Konfuzianismus‘ geben nämlich weiteren Aufschluss darüber, welche Lehrstücke des Lunyu eher Konfuzius und welche eher späteren Anhängern zuzuschreiben sind. Dabei verdienen vier Faktoren besondere Aufmerksamkeit: erstens die Möglichkeit, dass eine Schule im Sinne einer Lehranstalt erst nach Konfuzius’ Tod etabliert wurde (Brooks/Brooks: 27), zweitens die Wahrscheinlichkeit, dass der im Lunyu formulierte Ritualismus, ein Mechanismus der li im engeren Sinn (Brooks/
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8 Konfuziusbild in der Geschichte Chinas
Mozi und der Mohismus (mojia)
Brooks: 67), den späteren Textschichten angehört, drittens der Hinweis des Han Feizi, dass sich die rujia schon bald nach Konfuzius’ Tod in acht voneinander abweichende Richtungen aufspaltete (Han Feizi, Mögling: 564), und viertens die Tatsache, dass Texte wie Lunyu, Zhongyong, Daxue, Menzius und Xunzi, die sich in wichtigen Inhalten radikal voneinander unterscheiden, allesamt als ,konfuzianisch‘ – bzw. als Texte der rujia – gelten. Dass das Xunzi, also ein unstrittig konfuzianischer Text selbst, noch vor dem Han Feizi zwischen verschiedenen sogenannten Konfuzianern und konfuzianischen Gruppierungen unterschied und etwa von „ordinären“, „kultivierten“ und „großen“ ru (Xunzi VIII, Köster: insbes. 83 f.; Knoblock II: 79 f.) sprach, mehrere unmittelbare Schüler des Konfuzius scharf angriff, und auch Menzius kritisierte, lässt vermuten, dass Han Feizi nur allzu Recht hatte. Nach dem Xunzi sind zahlreiche ru der Streitenden Reiche definitiv keine ,Konfuzianer‘ gewesen. All diese Differenzierungen sind deshalb so wichtig, weil sie es erleichtern, festzustellen, welche – nach unserer Terminologie – anti-konfuzianische Kritik sich überhaupt auf Konfuzius und nicht vielmehr auf fälschlich konfuzianisch genannte, meist spätere Doktrinen bezog oder beziehen konnte. Immerhin geht es bei aller Problematik auch darum, ein möglichst plausibles Konfuzius-Bild zu bieten. Die vielleicht älteste Kritik, die von außen an den ru geäußert wurde, kam von Mo Di oder Mozi (468–376), dem Begründer des Mohismus (Schmidt-Glintzer). Sie richtete sich gegen die Forderung nach aufwendigen Riten, elaborierten Begräbnissen und pompöser Musik, aber auch gegen Atheismus, Anstiftung zu Aufruhr und (ungerechtfertigter) Kritik sowie gegen einen unkritischen Traditionalismus. Nach dem Lunyu zu urteilen, dürfte Konfuzius selbst freilich kaum für aufwendige Zeremonien eingetreten sein. So dürfte die Kritik weniger Konfuzius, sondern Zeitgenossen treffen, die zwar zu den ru zählten oder sich als ru begriffen, die aber nicht als ,konfuzianisch‘ gelten können. Entsprechendes ließe sich gegen den Traditionalismus-Vorwurf einwenden. Die Vorwürfe des Atheismus und der Anstiftung zu Aufruhr dagegen sind, folgt man den oben entwickelten Interpretationen, eher nachvollziehbar, dürften aber über’s Ziel hinausschießen. Hinter der erstgenannten Kritik Mozis steht die Überzeugung, dass Kultur und Kultiviertheit zwar wichtig sein mögen, aber nicht so viel kosten dürfen, dass sie die Befriedigung von Grundbedürfnissen gefährden. Sie sind als friedens- und sicherheitsstiftende Faktoren unentbehrlich, sollten aber zu keinem (elitären) Luxus führen, der das legitime Interesse der großen Zahl der anderen unberücksichtigt lässt. Letztendlich geht es um Fragen der Gleichheit und Gerechtigkeit, die der Mohismus in dieser Hinsicht entschiedener zugunsten einer egalitären Gesellschaft beantwortet als seinerzeit einflussreiche Gruppen der ru. Dem entspricht, dass sich der Mohismus vor allem in folgendem grundsätzlichen Punkt von den im Lunyu Konfuzius zugeschriebenen Auffassungen unterschied: Er plädierte für eine (fast) unterschiedslose ,Liebe‘ zu allen Mitmenschen, während Konfuzius wohl zwischen verschiedenen Stufen legitimer Zuneigung – zum Beispiel der zu Eltern und Fremden – sprach. Der Konfuzianismus räumte sozusagen dem Privaten größere Rechte ein. Aber es mag sein, dass diese Differenz erst im
8.1 Konkurrierende Lehren und Schulen
Menzius scharf formuliert ist. Mozi wandte sich auch gegen jeden Angriffskrieg, wohingegen Konfuzius zumindest Kriege billigte, mit denen etwa der Mord an Herrschern vergolten – nicht gerächt – werden sollte. Auch darin kommen prinzipiell unterschiedliche Auffassungen über staatliche und gesellschaftliche Ordnung stiftende Wege zum Ausdruck. Interessant ist schließlich auch, dass Mozi explizit für einen Gottes- oder Geisterglauben eintrat, während Konfuzius in dieser Frage bestenfalls als Skeptiker gelten kann, wenn er nicht gar einen Agnostizismus vertrat. (Ihn als Atheisten zu bezeichnen, ginge wohl zu weit.) Wie viele religiöse Menschen überhaupt war Mozi davon überzeugt, dass ein Gottesglaube für die Etablierung und Aufrechterhaltung von Moral und damit schließlich auch von Frieden und Sicherheit unentbehrlich ist (Schmidt-Glintzer 1975b: 95), während Konfuzius eher eine Ablenkung von den Aufgaben dieser Welt und eine Vernachlässigung dieser Aufgaben befürchtet haben dürfte. Solche Differenzen wiegen in historischen Kontexten sehr schwer. Doch ist erneut daran zu erinnern, dass Konfuzius wie Mozi dasselbe Ziel – Menschlichkeit, Frieden, Sicherheit – anstrebten und dass sie es, wie andere Schulen auch, im dao, dem [rechten] Weg sahen, den sie eben auf spezifischer Ebene unterschiedlich verstanden. Die einschlägigen Texte der „Schule der Kriegskunst“, der bingjia (Ames; Leibnitz), die durch Sunzi (5. Jh. v. u. Z.) begründet worden sein soll, dokumentieren eine gewisse ethische oder moralische Indifferenz. Aber auch sie sind prinzipiell dem Ideal der Friedenssicherung verpflichtet. Vielleicht sahen die Vertreter dieser Schule den besten Weg dazu in einem Ende der Vielstaaterei bzw. einer staatlichen Einheit. Jedenfalls formuliert gerade das Sunzi Maximen, die schlichtweg militärischen Erfolg und damit letztendlich eine einheitliche Herrschaft sichern sollen. Doch rät es selbst dabei eher von Gewalt ab. Gewaltfreiheit gilt als der bessere Weg, aber es fehlt das für Konfuzius bezeichnende Vertrauen in den Erfolg von vorbildlichem Verhalten, Bildung und Selbstkultivierung. Das Zhuangzi (Wilhelm 1976; Chang; Graham 1981) und das Daode jing (Debon 1979; Lau 1963), die dem Philosophen Zhuangzi (369–286) und dem legendären Laozi zugeschriebenen Texte des klassischen philosophischen Daoismus, kritisieren vor allem die konfuzianische Bewertung von Kultur und Zivilisation. Danach ist es keinesfalls der Mangel an Kultur oder der Abfall von den Idealen und Konzepten der Kulturheroen, welche sie einst begründeten, die für die Unmenschlichkeit und die kriegerischen Auseinandersetzungen der Zeit verantwortlich sind. Es ist im Gegenteil gerade die Etablierung von Kultur und Zivilisation selbst. Oder Kultur und Zivilisation sind Dokumente und Katalysatoren des Verfalls einer ursprünglichen, natürlichen, einheitlichen oder harmonischen Ordnung, den sie – eine fatale Fehleinschätzung – aufhalten sollten. Man hätte, so die daoistische Position, nicht so gewaltsam in den natürlichen, gleichsam spontanen und sich selbst regulierenden Gang der Dinge eingreifen dürfen. Mit all den Unterscheidungen, die die Einrichtung moralischer und sozialer Hierarchien konstituierte, habe man das Böse erst regelrecht in die Welt gesetzt. Wer gebe einem das Recht, das dao, das doch ursprünglich ungeteilt gewesen sein muss, so aufzuspalten? Gerade der Versuch, durch differenzierte normative Sprache und staatliche Institutionen menschliches Zusammenleben zu ordnen, habe dem
Bingjia, die „Schule der Kriegskunst“
Zhuangzi, Daode jing und Daoismus
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Die mingjia, die „Schule der Bezeichnungen“
Fajia, der „Legalismus“
Übel Tür und Tor geöffnet. Ohne Wörter wie „böse“, so eine extrem zugespitzte Erklärung, wäre das Bewusstsein für Böses gar nicht erst geweckt und eine entsprechende Option gar nicht erst angeboten worden. Die mingjia, die „Schule der Bezeichnungen“ (Schleichert/Roetz), galt dem Konfuzianer Xunzi als moralisch verderbliche Gruppe von Haarspaltern und Wortverdrehern. Er folgte damit letztlich Konfuzius’ Kritik an einer bloß auf Überredung zielenden sprachlichen Brillanz und im Übrigen fruchtloser Differenzierung. Die mingjia ist vielleicht das exemplarische ,akademische‘ Produkt ihrer Zeit überhaupt: eben ein Resultat des unabweisbaren Bedürfnisses, rhetorische Fähigkeiten zu entwickeln, die wie keine andere sprachliche Form sonst geeignet waren, die eigene Überzeugung oder das eigene Interesse durchzusetzen. Dabei dürfte freilich die Intelligenz ihrer Vertreter und das Interesse an der Sache – der Sprache und dem Sprechen – oft so groß gewesen sein, dass pragmatische Ziele faktisch zweitrangig wurden. Mohisten (Graham 1978) und mingjia entwickelten auch Konzepte logischer Konsistenz, die von bleibender Relevanz sind. Sie befanden sich damit im Grundsätzlichen keinesfalls im Widerspruch zu Konfuzius oder zu Konfuzianern wie Menzius und Xunzi. Alle befürworteten entschieden widerspruchsfreie Argumentation. Die Differenz lag im Interesse mancher Mohisten und mingjia, selbst äußert spezifischen logischen und argumentationstheoretischen Fragen nachzugehen, und dies in einer Weise, die Konfuzius, Menzius und vor allem Xunzi deshalb als spitzfindig, abwegig und praktisch nutzlos, ja schädlich begriffen, weil sie praktisch irrelevant schienen und dem rhetorischen Betrug Tür und Tor öffneten. Den herausragenden Vertretern des Legalismus, Shang Yang (390–338) [Duyvendak] und Han Feizi (280–233) [Liao; Mögling], zufolge vernachlässigten ,die Konfuzianer‘, dass veränderte Zeiten veränderte Wege verlangten. Sie warfen ihnen vor, sich auf Altes und Vergangenheit zu berufen, um Gegenwart und Zukunft zu diskreditieren. Anders gesagt, galt ihnen ,der Konfuzianismus‘ als zu traditionalistisch. Außerdem waren sie überzeugt, dass Friede und Sicherheit, ja selbst Humanität, nicht über moralische Appelle zu erreichen seien. Vielmehr müsse man mit harten Strafen und attraktiven Belohnungen arbeiten. Qin Shihuangdi folgte in seiner Politik legalistischen Maximen. Sein Kanzler Li Si (bis 208 v. u. Z.) war selbst überzeugter Legalist. Wie Han Feizi hatte er übrigens zum Kreis um Xunzi gehört. Es ist eine der bitteren Lektionen der Weltgeschichte, dass alle drei Legalisten, Shang Yang, Han Feizi und Li Si, Opfer ihrer eigenen Doktrin wurden: sie starben eines gewaltsamen Todes, weil man die von ihnen proklamierten Regeln rücksichtslosen Misstrauens und grausamer Strafe – oder jedenfalls so verstandene Regeln – auf sie selbst anwandte. Weder Konfuzius, Menzius noch Xunzi waren wirklich Traditionalisten. Keiner von ihnen wollte das Bestehende um seines bloßen Bestehens willen, das Althergebrachte um seiner bloßen Überlieferung willen erhalten (Paul 1999). Entgegen einer verbreiteten Meinung ist dies letztlich kaum zu bezweifeln. Sonst hätte Konfuzius dao und ren nicht als höchste Norm und Tugend auffassen können. Galt ihm Altes als erhaltenswert, dann nicht, weil es alt, sondern weil es Realisation von dao und ren war. Andernfalls hätte er ja auch für den Erhalt jeder alten Tradition eintreten müssen. Als reiner oder konsequenter Traditionalist hätte er zudem auf die kulturlosen Anfänge der
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Menschheit und die Zeit vor Auftreten der Kulturheroen zurückgehen müssen. Unmissverständlich sind einschlägige Stellen aus dem Xunzi: „Die Tugend [de] des Volkes besteht darin, das Gute im Befolgen der allgemeinen Gebräuche zu sehen […] [und ist in seiner unreflektierten Traditionsgebundenheit eine relativ niedrige Form der Orientierung]. […] Als Weiser aber gilt nur derjenige, der […] so schnell wie man bis zwei zählt, den veränderten Situationen seiner Zeit angemessen entspricht […].“ (VIII, Köster: 78) Und noch deutlicher ist die oben zitierte Aufforderung, eher dao und yi, dem Weg und der Gerechtigkeit, als Fürst und Vater zu folgen (XXIX, Köster: 372). Soweit es unter den ru Traditionalisten gab, sind sie zu den weniger bekannten Figuren, vielleicht vor allem zu den ,Ritualisten‘ zu rechnen. Der Streit mit den Legalisten mag dazu beigetragen haben, dass sich die gegensätzlichen Positionen verhärterten und verschärften. Schließlich ging es ja nicht einfach um intellektuelle Dispute, sondern um politische Macht. Wahr oder nicht wahr: die von Sima Qian im Shiji präsentierte Diskussion zwischen dem ,Konfuzianer‘ Chunyu Yue und dem Kanzler des Reichseinigers Qin Shihuang, Li Si, aus dem Jahr 213 v. u. Z. belegt dies in überzeugender Weise. Diese Diskussion in Gegenwart des Kaisers war in erster Linie ein erbitterter Streit um Macht und Einfluss. „[Der ru Chunyu Yue betonte:] ,Noch nie habe ich von einem Vorhaben gehört, das nicht dem Beispiel des Altertums gefolgt und dennoch lange Zeit Bestand gehabt hätte! Und Zhou Qinghengs Schmeichelei [das eben geäußerte übertriebene Lob eines dem Kaiser ergebenen Sprechers] wird dich [Erhabener] in die Irre führen. Er ist kein loyaler Diener.‘ […] Der Kanzler Li Si entgegnete: ,Die Fünf [legendären] Kaiser [Huangdi, Zhuanxu, Ku, Yao und Shun] ahmten einander nicht nach. Die Drei Dynastien [Xia, Shang und Zhou] setzten die Wege der anderen nicht fort. Dennoch zeichneten sich alle durch gute Regierung aus. Nicht, dass sie einander abgelehnt [oder widersprochen] hätten, aber die Zeiten hatten sich geändert. Nun hat der Erhabene dies große Unternehmen in Gang gesetzt und ein Verdienst gewonnen, das 10.000 Generationen überdauern wird. Das ist nichts, was ein einfältiger ru [,Konfuzianer‘] begreifen könnte. Chunyu Yue hat von den Drei Dynastien gesprochen. Aber warum sollten sie beispielgebend sein? In früheren Zeit kämpften die einzelnen [Landes-]Fürsten gegeneinander und lockten wandernde Gelehrte an. Heute jedoch herrscht in der Welt Frieden. Gesetze und Verordnungen haben [nur] einen Ursprung. […] Doch statt sich der Gegenwart zuzuwenden, studieren die Gelehrten nun das Altertum, um ihre eigene Zeit zu kritisieren, so dass sie die Schwarzhaarigen [das Volk] in die Irre führen und verwirren. Als Kanzler muss sich dein Diener Li Si offen äußern, mag es auch sein Leben kosten. In der Vergangenheit war die Welt zerrissen und befand sich im Chaos, und niemand war fähig, sie zu einen. Deshalb erhoben sich die einzelnen [Landes-]Fürsten und beriefen sich auf die Vergangenheit, um die Gegenwart zu diskreditieren, hohle Rhetorik nutzend, um die Tatsachen zu ver-
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tuschen. […] Männer, stolz auf ihre eigenen Lehren, wandten sich gegen die Maßnahmen, die von Oben erlassen wurden. Nun hat der Erhabene die Welt geeint, Schwarz und Weiß unterschieden und eine einzige [einheitliche] Quelle aller Autorität etabliert. Aber diese eigensinnigen Gelehrten rotten sich zusammen, um die Gesetze zu verhöhnen. Jeden neuen Erlass beurteilen sie im Licht ihrer eigenen Lehre. Am Hof verleugnen sie ihn im Herzen. Außerhalb diskutieren sie ihn auf den Straße. Sie halten es für ruhmreich, dem Herrscher Widerstand zu leisten, betrachten es als Erhabenheit, abweichende Meinungen zu vertreten, und verführen ihre Anhänger dazu, Lügen und Beleidigungen zu verbreiten. Wird so etwas nicht verboten, dann wird die Autorität des Herrschers bei den oberen Schichten Schaden leiden, und die unteren Schichten werden sich zu Gruppen zusammenschließen. Deshalb sollte es verboten werden! Ich empfehle darum, alle historischen Annalen außer denen des Staates Qin zu verbrennen. Ausgenommen die Hofgelehrten, die sie benötigen, hat jeder auf der Welt sämtliche Exemplare der Lieder, der Urkunden oder der Texte der Hundert Schulen, die er noch besitzt, dem örtlichen Gouverneur oder Kommandanten zu übergeben, auf dass sie verbrannt werden. Ein jeder, der es wagt, die Lieder oder Urkunden zu diskutieren, werde auf dem Marktplatz hingerichtet. Ein jeder, der sich auf die Vergangenheit beruft, um die Gegenwart zu diskreditieren, werde mitsamt seiner Familie hingerichtet. Jeder Beamte, der entsprechende Verletzungen beobachtet oder kennt, ohne sie mitzuteilen, wird ebenso bestraft. […]‘“ (Shiji, Watson 1993: 54 f., Nienhauser I: 147 f., Yang/Yang: 353 ff.)
Der Egoismus und ,Hedonismus‘ Yang Zhus
So kam es in den Jahren 213 oder 212 v. u. Z. zu jenen Ereignissen, die als „Verbrennen von Büchern und lebendiges Begraben von Konfuzianern“ – von Konfuzianern, die sich den Anordnungen Qin Shihuangs widersetzt hatten – in die chinesische Geschichte eingingen. Spätere Konfuzianer sahen in ihm ein exemplarisches Beispiel für kulturfeindliche Unmenschlichkeit, die – wie jeder grausame Despotismus – zwangsläufig zum Verlust des himmlischen Mandates führt. Wollten sie kultivierte humane Herrschaft einklagen, so verwiesen sie denn auch fast automatisch auf die Bücherverbrennung. Insbesondere während der Anti-Konfuzius-Kampagne der Kulturrevolution freilich stellte man die Geschichtstreue der Shiji-Darstellung in Frage (Schickel; Nienhauser I: 148). Ähnlich alt wie die Kritik der Mohisten, wenn auch selten ausführlich erörtert, dürfte die Kritik gewesen sein, die angesichts der Gefährlichkeit öffentlichen Engagements und insbesondere eines Engagements als kritisch-loyaler Ratgeber der Mächtigen an den ru geübt wurde. Frühe Spuren sind bereits im Lunyu dokumentiert. Eine als „Hedonismus“ oder „Egoismus“ bezeichnete Form ist die dann später im Menzius scharf angegriffene Position Yang Zhus (Schleichert/Roetz), der die Wahrung körperlicher Unversehrheit und jedenfalls das eigene Leben über den als potentielles Opfer begriffenen Dienst an Staat und Gesellschaft stellte. Diese Kritik, die im gegebenen Zusammenhang nur allgemein thematisch sein kann, ist leicht nachzuvollziehen. In der Tat mag man sich fragen, ob oder wieweit öffentliches Wohl privates Risiko rechtfertigt oder gar verlangt. Da es andererseits jedoch evident ist, dass
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ohne jedes öffentliches Engagement gar kein Gemeinwesen funktionieren und damit auch kein optimales individuelles Leben möglich wäre, bleibt der im Lunyu empfohlene Mittelweg zwischen unbedachtem, vorschnellem oder gar sinnlosem Engagement einerseits und kritischem Einsatz für dao und ren anderseits, auf eine allgemeine Ebene gehoben, wohl zeitlos gültig. Ähnlich alt und grundsätzlich dürfte auch eine andere Kritik sein, die – was das Prinzipielle angeht – ebenfalls schon im Lunyu dokumentiert ist, aber erneut erst im Menzius ausdrücklich zurückgewiesen wurde, das sich dabei gegen die nongjia, die Schule der Ackerbauer (Graham 1986) wandte. Es ist der Vorwurf, dass der Edle (junzi) letztendlich eine Art Parasit sei. Insbesondere beherrsche er keine lebenspraktischen Fähigkeiten: keine handwerklichen, haushälterischen und landwirtschaftlichen Fertigkeiten. Im Gegenwartsdeutsch ausgedrückt: er sei ein nutzloser Generalist, der der Hände Arbeit scheue. Auch diese Kritik ist leicht nachvollziehbar. Sie erwächst aus einem Gerechtigkeitssinn, der auf radikale Gleichheit zielt. Warum sollen nur einige schwer arbeiten? Warum sollte der eine von der Arbeit des anderen profitieren? Wäre es nicht wünschenswert, wenn jeder für sich selbst sorgte? Die Kritik trifft die – im Lunyu, Menzius, und Xunzi nachhaltig verteidigten – Konzepte, erstens, einer Stratifizierung der Gesellschaft nach ordnungsgestaltenden und handwerklich und landwirtschaftlich tätigen Menschen und, zweitens, einer Arbeitsteilung überhaupt. Aber auch in diesen beiden Fällen gilt, dass der klassisch-konfuzianische Ansatz zeitlose Gültigkeit besitzen dürfte. Für ihn sprechen die überzeugenderen Argumente. Je größer eine Gesellschaft, umso unentbehrlicher nämlich gesellschaftliche Ordnung. Wer Ordnung gestaltet, übt jedoch Macht aus. Je größer sein Einfluss auf die staatlich-gesellschaftliche Ordnung, umso größer seine Macht. So ergibt sich zwangsläufig eine entsprechende Hierarchie. Man mag sie minimieren und kontrollieren. Ob im alten China oder im Marxismus-Kommunismus erahnt, erträumt oder erstrebt: die Utopie einer klassenlosen Gesellschaft bleibt eine unlösbare Aporie. Sie ist fast schon aus logischen Gründen zum Scheitern verurteilt. Dies überdies auch deshalb, weil jede Gesellschaft auf Arbeitsteilung angewiesen ist und auch sie machtrelevante Organisation erfordert. Wer jede Arbeitsteilung ablehnt, der, so bereits das Menzius, dürfte (fast) zwangsläufig einem performativen Widerspruch erliegen, und sei es auch nur, dass er seine Kleidung nicht gänzlich allein hergestellt hätte. Auf unterschiedliche Weise verfolgte also die Mehrzahl der „Hundert Schulen“ und der fahrenden Gelehrten der Streitenden Reiche dieselben Ziele wie Konfuzius, Menzius und Xunzi: staatliche Einheit, Frieden und Sicherheit und, letztendlich, auch Humanität. Selbst der Legalismus verlor das Ziel einer menschlichen Welt nicht völlig aus dem Blick. Er wollte durch schwere Strafen abschrecken, um schließlich jede Strafe überflüssig zu machen. So stritten in der Tat fast alle um den als unteilbar und alternativlos begriffenen einen „richtigen Weg“, das dao. Die wichtigsten Differenzen bestanden in Fragen, die wohl stets zu den grundsätzlichen Problemen jeder Staats- und Gesellschaftstheorie zählen werden: (1) Wer soll regieren? Gute oder Mächtige? Oder sollte Herrschaft jedem offenstehen? Oder ist diese ,klassische‘ – etwa auch für Plato bezeichnende – Frage falsch gestellt?
Nongjia, die „Schule der Ackerbauer“
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(2) Wie lässt sich Machtmissbrauch vermeiden oder eindämmen? Durch eine Herrschaft der ,Kompetenten‘ und ,Guten‘ bzw. durch gültige Argumente und Berufung auf Moral? Oder durch Institutionen wie Gesetze und Gewaltenteilung? Oder durch beides? (3) Welcher Umfang und Grad ist elitären, hierarchischen und egalitären Momenten in einer Gesellschaftsordnung einzuräumen? (4) Welche Funktion sind Moral und (gesetztem) Recht zuzubilligen? (5) Welche Funktion besitzen Kultur, Zivilisation, traditionelle Sitte, Umgangsform und sozusagen Natürlichkeit in der Etablierung und Sicherung von Staat und Gesellschaft? Wieweit kann und soll man auf Erziehung und Bildung, wieweit auf ,Gewalt‘ – Einschüchterung etwa durch Strafandrohung – setzen? (6) Gibt es Grenzen der Freiheit politischer Rhetorik? Lässt sich demagogische Brillanz verbieten? (7) Wann sollten Traditionen korrigiert werden? Und wie? Unter welchen Bedingungen ist eine ,kulturelle Identität‘ erhaltenswert? (8) Wie ist das Verhältnis von privatem und öffentlichem Interesse und Handeln zu regeln? (9) Wie sollte man sich öffentlich äußern, um möglichst erfolgreich im Sinne der Humanität zu wirken? Aber auch Fragen wie die, wie man die eigene Persönlichkeit formen und sein Leben gestalten solle, waren Gegenstand des Streits. Dabei beeindruckt, dass der Konfuzius des Lunyu in der Tat in der einen oder anderen Form alle gegnerischen Einstellungen berücksichtigt und in gewisser Weise eine ausgleichende oder vermittelnde Sicht vertritt. Besonders deutlich wird das in seiner Kritik an Strafgesetzgebung und Strafe, die er zwar nicht völlig ablehnt, aber nur als ergänzendes oder letztes Ordnungsmittel zulassen möchte. Doch auch in Fragen der Kultur und des Luxus oder der Tradierung und Neuerung tritt Konfuzius für differenzierte Positionen ein. Die Grundzüge der im Lunyu angelegten Theorie des Gesprächs, der Argumentation und der Kritik schließlich dürften zeitlos gültig sein. Denn was ließe sich gegen die Forderungen prinzipieller Aufrichtigkeit, Bescheidenheit, Aufmerksamkeit, Selbstkritik, Klarheit, Konsistenz und taktvoller, ansprechender Ausdrucksweise einwenden? Auch die Unausweichlichkeit der mit den Etiketten ,öffentliches – sprich, politisches – Engagement‘, ,Stratifizierung der Gesellschaft‘ und ,Arbeitsteilung‘ angesprochenenen ordnungs- und menschlichkeitsgestaltenden Faktoren dürfte, wie zu zeigen gesucht, bereits konfuzianische Einsicht sein.
8.2 Konfuziusbild und Konfuzianismus des Menzius und dessen klassische und neokonfuzianische Rezeption Will man dem Ausdruck „klassischer Konfuzianismus“ einen halbwegs präzisen, konsistenten Sinn abgewinnen, so ist er, wie skizziert, zunächst auf die Lunyu, Menzius und Xunzi gemeinsamen grundlegenden Doktrinen zu beschränken. Von einer Analyse dieser Texte ausgehend, lassen sich dann
8.2 Konfuziusbild und Konfuzianismus des Menzius
ähnliche Inhalte anderer Texte einbeziehen. Wie das Lunyu werfen freilich auch das Menzius und Xunzi eine Reihe textkritischer Fragen auf. Doch gilt das Menzius als der zuverlässigste Korpus letztlich vor-Han-zeitlicher Texte. Im Folgenden müssen Einzelheiten außer Acht bleiben. Das Werk nennt Konfuzius etwa 30 Mal (Legge II: 510). Dabei lässt es keinen Zweifel daran, dass Konfuzius für Menzius das Vorbild schlechthin war, dass er das dao des Konfuzius für den einzig richtigen Weg hielt, und dass er für sich in Anspruch nahm, es insbesondere gegen Lehren wie die Mozis und Yang Zhus verteidigen und (wieder) zur Geltung bringen zu müssen (II:1:2, Wilhelm 1982: 71; III:2:9, Wilhelm 1982: 107–109; VII:2:38, Wilhelm 1982: 208, Legge II: 501 f.). Was die Überlieferung des dao angeht, so sieht das Menzius Konfuzius in eben der Tradition, in der er auch nach einem Vergleich von Shujing, Shijing und Lunyu zu sehen ist und in die ihn dann auch das Xunzi einordnet. Er gilt als letzte überragende Persönlichkeit in der Reihe der (legendären) Kaiser Yao, Shun und Yu, der weisen Könige Tang, Wen und Wu und solch exemplarischer Ratgeber, wie es die von Konfuzius selbst geschätzten Yi Yin, ein Berater Tangs (XII:22: 78), und der Herzog von Zhou (VII:5: 39; VIII:11: 48) waren. Konfuzius’ herausragende, Yus Eindämmung der Überflutungen vergleichbare Leistung bestand dem Menzius zufolge im Verfassen des Chunqiu, der „[Annalen von] Frühling und Herbst“ (III:2:9, Wilhelm 1982: 108 f.). Das einzig richtige dao ist nach dieser historisch-systematischen Einordnung der Weg der Menschlichkeit (ren), die es über die Wahrung des himmlischen Mandates (tian ming) und das heißt insbesondere über Rat, Kritik, Widerstand gegen Grausamkeit und, falls nicht anders möglich, die gewaltsame Beseitigung einer Schreckensherrschaft zu sichern gilt. So stellt das Menzius fest: „König Xuan von Qi fragte und sagte: ,Hat Tang wirklich Jie verbannt, und König Wu [den] Zhou vernichtet?‘ Menzius antwortete: ,So steht es in den Berichten‘. [Der König] sagte: ,Darf ein Minister [also] seinen Herrscher zum Tode verurteilen?‘ [Menzius] sagte: ,Wer sich gegen die Menschlichkeit (ren) empört, heißt ein Räuber, wer sich gegen die Rechtlichkeit (yi) empört, heißt ein Rohling. Räuber und Rohlinge nennen wir isolierte [allein gelassene] Kerle. Ich habe gehört, dass man dem isolierten Kerl Zhou den Kopf abschlug, aber ich habe nichts davon gehört, dass ein Herrscher ermordet worden wäre.‘“ (I:2:8; Wilhelm 1982: 58 f., Roetz 1992: 123) Und in einer Verurteilung von Machthabern, die jede Kritik ablehnen, heißt es: „Heutzutage werden die Ermahnungen (jian) eines Ministers nicht befolgt, und auf seinen Rat wird nicht gehört, so dass keine Wohltaten auf das Volk niedergehen. Wenn er aus irgendeinem Grund das Land verlässt, versucht der Prinz [d. h. der Landesfürst], ihn zu ergreifen und gefangen zu setzen. Außerdem bringt er ihn in dem Land, in das er gegangen ist, in äußerste Bedrängnis, und noch am Tag seiner Abreise nimmt er ihm Felder und
Menschlichkeit als notwendige Bedingung legitimer Herrschaft
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Haus. Diese Behandlung zeigt den Prinzen als das, was wir ,einen Räuber und Feind‘ nennen. Welche Trauerkleidung kann man für einen Räuber und Feind tragen?“ (IV:2: 3, Wilhelm 1982: 124) Die wichtigsten Lehrstücke des klassischen Konfuzianismus
Zusammenfassende Abgrenzung gegen konkurrierende Schulen
In diesem Konzept der Menschlichkeit, menschlicher Herrschaft, korrekten und korrigierenden Sprachgebrauchs (zheng ming) und der Kritik liegt das für den klassischen Konfuzianismus kennzeichnende distinktive Merkmal. Auch nach dem Menzius – und Xunzi – kann damit weder von Traditionalismus noch Ritualismus noch Untertanengeist oder blinder kindlicher Ergebenheit die Rede sein. So wird erneut deutlich, wie sehr etwa die legalistische Polemik den klassischen Konfuzianismus verfehlte. In der Tat unterschied sich der klassische Konfuzianismus grundsätzlicher von den konkurrierenden Schulen, als es gemeinhin dargestellt wird, und wie es auch ein weithin der Konvention verpflichteter Überblick wie die obige Skizze suggerieren mag. Legalisten, Kriegstheoretiker und Daoisten glaubten nicht an die Macht der Moral. Außerdem hielten die Legalisten Kritik eher für zersetzend. Ihres Erachtens wirkte sie ungeteilter Herrschaft und damit der staatlichen Einheit und schließlich gar Frieden und Sicherheit entgegen. Umsturz lehnten die Legalisten, die im Allgemeinen aus der Perspektive der Herrschenden im Interesse des Machterhalts argumentierten, erst recht ab. Auch die Mohisten setzten wenig Vertrauen in die Möglichkeiten von Kritik und Umsturz. Sie meinten, Übereinstimmung, Frieden, Sicherheit und Wohl ließen sich leichter durch von oben nach unten wirkende Macht erreichen. Dabei mussten sie freilich voraussetzen, dass gerade die höchste Macht, wie wir sagen würden, moralisch war. ,Egoisten‘, ,Individualisten‘ oder Gelehrte wie der von Menzius kritisierte Yang Zhu (III:2: 9, Wilhelm 1982: 109; Graham 1990), die letztlich die Unversehrtheit von (eigenem) Leib und Leben als höchstes Gut betrachteten, wandten sich ebenfalls gegen die Prinzipien der Menschlichkeit und Kritik. Aber anders als die Mohisten und Legalisten einfach deshalb, weil sie jedes nennenswerte Engagement in Staat und Gesellschaft als schädlich ansahen: sei es für sie als Individuen oder für die Menschen überhaupt. Was schließlich die mingjia angeht, so dürften einige ihrer Vertreter über ihr Interesse an raffinierter Argumentation die Frage nach der Relevanz des Inhalts aus dem Blick verloren haben. Jedenfalls glaubten weder Konfuzius, Menzius noch Xunzi, dass ihre diffizilen Analysen sprachlicher und logischer Strukturen der Menschlichkeit dienten oder dienen könnten. Über gültiges, relevantes und doch ansprechendes Argument verwirklichte Menschlichkeit: dies Konzept erweist sich auch in einer Analyse des Menzius als ein Kern der Philosophie, die Konfuzius mit Grund zugeschrieben werden darf. Es charakterisiert eine Art Mittelweg zwischen der prinzipiellen Ablehnung kritischer Argumentation als ordnungsbildendem Instrument einerseits und einem Interesse an bloßer Argumentation oder beliebig einsetzbarer Rhetorik andererseits. Die Wendung „prinzipielle Ablehnung“ bedarf dabei vielleicht noch einer ausdrücklichen Klärung. Die einschlägigen mohistischen, daoistischen und legalistischen Texte bedienten sich selbst des Mittels kritischer Argumentation, um eben diese Ablehnung zu formulieren und zu begrün-
8.2 Konfuziusbild und Konfuzianismus des Menzius
den. Ihre Autoren sahen sich also in Ausnahmepositionen. Normale Amtsträger, Gelehrte und gewöhnliche Menschen sollten auf Kritik verzichten oder gar zum Verzicht gezwungen werden. Moderner ausgedrückt, lässt sich natürlich auch zwischen einem faktisch akzeptierten kritischen Diskurs über Kritik und der mit diesem Diskurs angegriffenen Kritik unterscheiden. Ist die gebotene Analyse des Menzius treffend, so erweist sich das Philosophem ,Kritik im Dienst der Menschlichkeit‘ definitiv als integraler Teil einer intellektuellen Entwicklung, die von Shijing und Shujing über das Menzius bis zum Xunzi und darüber hinaus reicht. In diesem Kontext ist schließlich auch explizit festzuhalten, dass wichtige Komponenten des ,Konfuzianismus‘ bereits 400 Jahre vor Konfuzius existiert haben dürften. Im Übrigen bestätigt das Menzius auch einige einfache Informationen, die das Lunyu bietet. Dazu gehört, dass Konfuzius amtsuchend von Staat zu Staat zog (III:2: 3, Wilhelm 1982: 102). Mit ihrem Konzept legitimen Umsturzes fassten Menzius und Xunzi die entsprechenden Ansätze des Lunyu so unmissverständlich und kompromisslos, dass sich jeder Chinese, der gegen Niedertracht, Grausamkeit und Terror protestierte, von da an auf Konfuzius berufen konnte. Ungeachtet des moderaten und zurückhaltenden Tons, der das Lunyu kennzeichnet, wurde Konfuzius so auch als Kämpfer für eine menschlichere Welt begriffen. Angesichts der Radikalität, mit der das Menzius Schreckensherrschaft anprangert, verdient es besonderes Interesse, dass es auch für Rezeptionslinien mitverantwortlich war, die staatliche Unterdrückung ideologisch stützen konnten und stützten. Dies lag nicht in seiner Absicht. Aber seine Ansätze zu einer Ontologisierung der Ethik – zu einem Verständnis des Guten als Form oder Manifestation von ursprünglich oder wahrhaft Seiendem – implizierten solch ideologische Möglichkeiten. In den einschlägigen Ausführungen zeichnet das Menzius denn auch ein Konfuziusbild, das ein wenig von dem des Lunyu abweicht. Wie deutlich werden soll, hat deshalb so mancher Kaiser ein zweispältiges Verhältnis zum Menzius entwickelt. In seinen Auseinandersetzungen wurde Menzius mit den Fragen nach den Gründen für den moralischen Optimismus der ,Konfuzianer‘ und nach einem zeitgerechten Fundament für eine Ethik und Politik der Menschlichkeit konfrontiert. Sie ergaben sich zum Beispiel auch aus konkurrierenden Positionen, denen zufolge (a) der Mensch von Natur aus weder gut noch böse, (b) mehr oder weniger beliebig formbar, oder nach denen (c) der eine von Natur aus gut, der andere böse sein sollte (VI:1: 6, Wilhelm 1982: 163 f.). Ihnen begegnete Menzius mit seiner berühmten Doktrin von der guten Natur des Menschen. Er behauptete, allen Menschen seien vier Anlagen ) angeboren, die sich bei ungehinderter Entwicklung zu vier, (siduan wie wir sagen würden, Kardinaltugenden ausbildeten. Jeder Mensch sei von ), Scham und Abscheu (xiu wu ), AchNatur aus zu Mitleid (ce yin ) – oder wie es an anderer Stelle heißt, „Höflichkeit und tung (gong jing ) – und zu Bejahung und Verneinung (shi fei Bescheidenheit“ (ci rang ) fähig. Daraus erwüchsen schließlich Menschlichkeit (ren), Gerechtigkeit (yi), Schicklichkeit (li) sowie Wissen und Einsicht (zhi) (VI:1: 6, Wilhelm 1982: 163 f., II:1:6, Wilhelm 1982: 74 f., Roetz 1992: 322 f.). Menzius be-
Die Ontologisierung der Ethik: vom Menzius zum Neokonfuzianismus
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8 Konfuziusbild in der Geschichte Chinas
Die Problematik jeder Ontologisierung der Ethik
ließ es nicht bei der bloßen Behauptung. Er versuchte, seine Auffassung zu begründen. Im ganzen sinoasiatischen Raum bekannt wurde sein Beispiel eines kleinen Kindes, das aufgrund seiner Unerfahrenheit und Unachtsamkeit Gefahr läuft, in einem Brunnen zu fallen. Nach Menzius empfindet prinzipiell jeder, der dies sieht, Angst um das Kind und kommt spontan zu Hilfe. Eigene Interessen würden dabei keinerlei Rolle spielen. Angst um andere – durchaus eine Form des Mitleids – gehe so schließlich in Menschlichkeit über. Im gegebenen Zusammenhang ist freilich Folgendes wichtiger. Menzius versucht, für seine Lehre von der guten Natur des Menschen oder, treffender, der Doktrin von dessen angeborenen Anlagen zum Guten, Konfuzius’ Autorität in Anspruch zu nehmen (VI:1: 6, Wilhelm 1982: 163 f.). Da sich im Lunyu jedoch keine Stellen finden, die als entsprechende Belege hinreichten, dürfte diese Lehre eine ,konfuzianische‘ Neuerung darstellen. Wenn es dann später immer wieder hieß und als unerschütterliche Wahrheit galt, dass die Lehre von der guten Natur des Menschen (auch) auf Konfuzius zurückgehe, so war das wohl – wenn auch philosophische – Legende. Menzius’ Konzept von den „vier Anlagen“ (siduan) – den Gefühlen Mitleid, Scham und Empörung, Achtung sowie Zustimmung bzw. Ablehnung – und der menschlichen Anlage zum Guten wurde in der Tat zum mehr oder weniger festen Bestandteil des späteren ,Konfuzianismus‘ und insbesondere der lixue. Doch blieb es nicht bei der anthropologischen Verankerung, die Menzius damit seiner Ethik gegeben hatte. Das Konzept wurde letzendlich metaphysisch und ontologisch ,begründet‘. Die gute Natur des Menschen wurde als Funktion und Manifestation eines allumfassenden Prinzips von Sein und Seiendem, des li , interpretiert. Als benxing, als „urspüngliche Natur“, ist sie dieser Interpretation zufolge reines li und deshalb (noch) ungetrübt von allem Bösen und Üblen, das überhaupt erst durch Beimischung oder Einfluss des qi, des Äthers oder der materiellen Energie, Teil eines Menschen wird. So besteht Menschlichkeit (ren) in letzter Konsequenz in der Realisation oder Aktualisierung des an sich guten Konstituens alles Seienden (li) und damit der „ursprünglichen Natur“ (benxing), als die es jedem Menschen eignen muss. Die Struktur von Ontologie und Anthropologie der lixue ähnelt der des Platonismus und dessen Unterscheidung zwischen allgemeiner Idee und besonderer, Körperlichkeit einschließender Existenz, die über die Seele – dem Analogon zur benxing – an der Idee Teil hat. Sie ähnelt weiter dem Brahmanismus und dessen Differenzierung zwischen brahman, a¯tman und konkretem Individuum und schließlich der buddhistischen Distinktion zwischen der Soheit (tathata¯) und der jedem eigenen Buddha-Natur. Gut zu sein, besteht in all diesen Fällen darin, die eigene ursprünglich gute Natur (benxing, Seele, a¯tman, Buddha-Natur) zu realisieren oder aktualisieren, um damit das allgemeine und gute Seiende (li, Idee, brahman, tathata¯) zur Geltung zu bringen, welches sie konstituiert und ,eigentlich‘ ausmacht. Um das gesetzte Ziel zu erreichen, müssen benxing, Seele, a¯tman und BuddhaNatur von dem Übel, das ihnen ja ursprünglich fremd und das dem qi, der Körperlichkeit und der Individualisierung anzulasten ist, gereinigt werden. Genauer ausgedrückt, sind sie von Befleckungen, Egoismus, ,Eigensinn‘, Neigungen, Begierden und so fort zu ,befreien‘.
8.2 Konfuziusbild und Konfuzianismus des Menzius
Bezeichnenderweise interpretierte Zhu Xi ke ji, „das Selbst überwinden“ , als „Auslöschen menschlicher (XII:1: 71) denn auch als mie ren yu Begierden“ (Kubin: 89; Paul 1990: 159). Die erläuternde Übersetzung „Sich selbst überwinden, die eigenen Wünsche und Begierden bezwingen“ (Moritz: 71) ist erkennbar Zhu Xis Deutung verpflichtet. Selbstverständlich ist die lixue kein ontologischer Idealismus; denn li ist kein abstraktes, körperloses Seinsprinzip. Der ontologische und anthropologische Dualismus, die Entgegensetzung von li und qi, die die lixue kennzeichnet, ist auch längst nicht so scharf und radikal wie die platonische Konfrontation von Idee und körperlich Seiendem. Zumindest Zhu Xi versuchte, real Existierendes auch als notwendige Funktion des qi zu konzipieren. Platonische Ideen aber existieren als abstrakte immaterielle Entitäten. Doch all dies ändert nichts an den skizzierten strukturellen Übereinstimmungen. Vor allem aber ändert es nichts an den fatalen Konsequenzen einer Ethik, in der man alles ,Gute‘, und insbesondere auch das Gute jeder faktischen Entscheidung und Handlung, in einer Deutung von Begriffen ermitteln muss, die sich prinzipiell jeder intersubjektiven Erkenntnis entziehen. Festzustellen, was ,gut‘ ist, bleibt dann der Willkür der Mächtigen und Eingeweihten überlassen. Eine zweite fatale Konsequenz ergibt sich aus der hohen Bewertung des Allgemeinen. Sie liefert das Instrumentarium, um auch legitime Individualität und legitime eigene Meinung als Abweichungen – vom wie immer gerade bestimmten Guten – zu brandmarken. Ontologischer und anthropologischer Dualismus schließlich sind einfach körper- und sinnenfeindlich. Sie geben damit ein zusätzliches Instrument der Unterdrückung ab. In der Tat haben alle vier skizzierten Systeme entsprechende Wirkungen gezeitigt. Alle dienten immer wieder als Mittel politischer Oppression und als ideologische Rechtfertigung von Forderungen nach Askese und Opferbereitschaft. Der Hinweis auf die strukturellen Übereinstimmungen soll dazu beitragen, die Wirkungen als Systemkonsequenzen zu identifizieren, und nicht etwa als Missbrauch reiner Lehren abzutun. Außerdem ist er geeignet, Eurozentrismus-Vorwürfe zu entkräften. Denn die Kritik, die die ,chinesische‘ lixue trifft, trifft den Platonismus erst recht. ,Eurozentrisch‘ kann die Kritik freilich auch deshalb nicht sein, weil es auch chinesische Gegner der lixue gab. Zu ihnen gehörte der dem klassischen Konfuzianismus nahe stehende Dai Zhen (1723–1777), der sie in aller Schärfe als abstruses Instrument der Unterdrückung, ja gar als Mittel, Menschen umzubringen, anprangerte (Chin/Freeman). Bewunderer Zhu Xis und der lixue versuchten und versuchen immer wieder, lixue als extrem differenzierte systematische Philosophie auszuweisen, die durch derartige Einwände nicht zu treffen sei. Aber diese Versuche sind derart verstiegen, dass sich Konfuzius und Xunzi ob solcher Haarspaltereien wohl im Grabe umgedreht hätten. Auf Details braucht im gegebenen Zusammenhang nicht weiter eingegangen zu werden. Zusätzliche Informationen und eine ausführliche und ins Einzelne gehende Kritik der lixue liefern andere Darstellungen (wie Paul 1990: 120–164). Nur sofern es darum geht zu zeigen, was Konfuzius und dessen Konfuzianismus charakterisiert, und was nicht – und werde es noch so oft ,konfuzianisch‘ genannt –, und sofern es darum geht, Verantwortlichkeiten zu klären, ist (auch) die lixue zu erör-
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Die Ambivalenz des Menzius: Stärkung des Menschlichkeitskonzeptes und Ansätze zur Ontologisierung der Ethik
tern. Aufgrund ihrer unüberprüfbaren metaphysischen und überdies soziopolitisch gefährlichen Spekulationen ist die lixue ohnehin inakzeptabel. Geht es um Fragen der Gültigkeit konfuzianischer Konzepte, so verdient sie kaum weiteres Interesse. Inhalt und Systematik des Menzius weisen also zwei klar unterscheidbare Komponenten auf. Sie führten zu zwei ebenso klar unterscheidbaren Rezeptionslinien. Einerseits expliziert, bewahrt, ja stärkt der Text das ältere konfuzianische Konzept der Menschlichkeit überhaupt (ren), stellt dabei heraus, dass Menschlichkeit notwendige Bedingung legitimer Herrschaft – des himmlischen Mandates (tian ming) – sein muss, und betont, wie unentbehrlich kritische Loyalität (zhong) für die Förderung der Menschlichkeit ist. Andererseits bereitete er den Weg für eine dem Machtmissbrauch förderliche Ontologisierung der Ethik. Insbesondere die vehemente Rechtfertigung des Tyrannenmordes – oder, allgemeiner, der gewaltsamen Beseitigung despotischer Herrschaft – als letztem Mittel zur Rettung des Menschlichen fand bei den Machthabern von Qin- (221–207) bis Qing-Zeit (1644–1911) wenig Gegenliebe. Die klassische konfuzianische Philosophie der Menschlichkeit und menschlicher Regierung überlebte zwar. Sie war auch nie völlig wirkungslos. So kam es im kaiserlichen China zur Einrichtung des Zensorats, einer Behörde, zu deren erklärtem Ziel auch die Ermahnung von Kaisern und Ministern gehörte (Hucker). Mit Xunzi, Wang Chong (27–97; Forke 1962), Dai Zhen und zahlreichen anderen hatte sie auch nach Konfuzius und Menzius philosophische Vertreter. Und sie war Botschaft vieler Romane und Erzählungen sozusagen subversiven Inhalts. Doch ihr theoretisches Potential der Gestaltung einer humanen Welt wurde in der chinesischen Politik wohl nie auch nur annähernd ausgeschöpft. Dies hatte und hat nichts mit ,chinesischer Mentalität‘ zu tun. Auch im ,Westen‘ blieb die politische Wirklichkeit hinter den philosophischen Utopien der Humanität zurück. Erst mit der seit etwa 1990 weltweit geführten Diskussion um die Menschenrechte wurden Relevanz und Brisanz des klassischen Konfuzianismus wirklich akut. Dies zumal, weil sich die ideologische und kulturalistische Berufung auf asiatische Werte faktisch nie auf ihn, sondern – etwa – auf neokonfuzianische Gehorsams- und Totalitätsbzw. Gleichschaltungskonzepte bezog. So musste sich, wer den klassischen Konfuzianismus kannte, geradezu zu dessen ,Ehrenrettung‘ provoziert fühlen. Im Kontext von Systematik und Wirkungsgeschichte des klassisch-konfuzianischen Menschlichkeitskonzepts erscheint im Übrigen folgender Hinweis geboten. Mao Zedongs Ablehnung des Konfuzianismus dürfte in Maos Aversion gegen die Konzepte der Kritik und der kritischen Loyalität begründet gewesen sein. Anders als von Mao verkündet, war jedenfalls der klassische Konfuzianismus keinerlei unmenschlicher Unterdrückung förderlich. Indem Mao die klassischen Konzepte pervertierte, machte er sie sich sogar zunutze. De facto nahm er sie in der Kulturrevolution wieder auf, um mit ihnen Formen der Selbstkritik und Kritik zu erzwingen, die in Selbstzerstörung münden mussten. Soweit das Menzius nicht einfach Menschlichkeit bis hin zum gewaltsamen Widerstand gegen Despotie forderte, sondern die Ontologisierung der Ethik im Neokonfuzianismus vorbereitete (wenn natürlich auch nicht ver-
8.3 Konfuziusbild und Konfuzianismus des Xunzi
trat), war es nichtsdestoweniger ein Ausgangspunkt der Rezeptionslinie, die schließlich selbst politische Unterdrückung ideologisch rechtfertigte. Vielleicht dominierte diese Linie sogar die offizielle und offiziöse Menzius-Rezeption. Wie gesagt, musste sie den Machthabern sympathischer sein als die menzianischen Rechtfertigungen von Protest und Umsturz. Mehr noch als alle theoretisch-analytischen Reflexionen illustrieren freilich ein paar Zitate, wie wenig der ontologische Menschlichkeitsbegriff der lixue mit dem Menschlichkeitskonzept des Lunyu gemein hat. So definiert Zhu Xi ren als „Herz von Himmel und Erde zur Schaffung der Dinge“, und stellt fest: „Alles, was einen Menschen ausmacht, sind tian li [himmlisches Prinzip, das die ursprüngliche Natur, benxing, konstituiert …] und ren yu [menschliche Begierden].“ „Falls tian li fehlt, toben sich die ren yu aus.“ Und: „Wenn das Herz nicht ruhig ist, indem es völlig still und begierdelos ist, wie kann man dann mit den wechselnden Dingen umgehen und eins werden mit den Aktivitäten der Welt?“ (zit. nach Paul 1990: 125 und 132) Im Licht der durchgeführten Analysen dürfte klar sein, worin die Problematik eines so gefassten spekulativ-metaphysischen und ontologischen ren-Begriffs liegt. Details finden sich, wie gesagt, an anderer Stelle.
8.3 Konfuziusbild und Konfuzianismus des Xunzi und dessen klassische und legalistische Rezeption 8.3.1 Das Xunzi als polemischer Text. Die Charakterisierung des Konfuzius und des ,Konfuzianismus‘ in der Auseinandersetzung mit anderen Positionen Ähnlich wie das Mengzi geht auch das Xunzi davon aus, dass das konfuzianische dao der einzig richtige Weg sei. Und ähnlich unterscheidet es auch zwischen konfuzianischem und nicht-konfuzianischem dao. Dabei ist das Xunzi insofern noch radikaler, als es auch Lehren angreift, die sich selbst als konfuzianisch verstanden oder von anderen zum ,Konfuzianismus‘ gezählt wurden. Von allen ,Schülern‘ habe lediglich Zigong Konfuzius’ Lehren korrekt übermittelt. In Erinnerung zu rufen ist freilich erneut, dass der Text selbst von ru, „Gelehrten“, spricht. Sogar Menzius wird kritisiert. Die Doktrin, dass der Mensch von Natur aus gut sei, wird mit einer Reihe von Argumenten zurückgewiesen, die das Gegenteil zeigen sollen. Der Mensch, so heißt es, sei von Natur aus böse. Die Unterschiedlichkeit der Positionen ist in mancher Hinsicht nicht so gravierend, wie Xunzi meinte. Denn die Übereinstimmung in vielen grundsätzlichen Fragen bleibt von ihr unberührt. So sind sich ja Mengzi und Xunzi darin einig, dass ein jeder lernen müsse und könne, jeder der Bildung und Selbstkultivierung bedürfe und fähig sei und dass prinzipiell jeder ein „Yao oder Shun“ werden könne. Andererseits jedoch mag Menzius’ Position eher zu Großzügigkeit und Wohlwollen bewegen als die Ansicht Xunzis, die ,Strenge‘ begünstigen mag. Aber auch das ist kaum zu entscheiden. Die
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Xunzis „Kritik an zwölf Philosophen“
Xunzis Unterscheidung „echter“, „gemeiner“ und „ordinärer“ ru Menschlichkeit als notwendige Bedingung legitimer Herrschaft Unmissverständlichkeit der Sprache (zheng ming) Kritik an der Lehre von den Fünf Kräften und an der Yin-Yang-Doktrin
Kritik am Traditionalismus
Überzeugung, dass der Mensch von Natur aus böse sei, könnte ja auch Verständnis wecken und Nachsicht fördern. Auf weitere Aspekte der Differenz ist unten zurückzukommen. Wichtiger bleibt die generelle Feststellung, dass das Xunzi die ru als keine einheitliche, in sich geschlossene und dergestalt gegen andere Schulen absetzbare Gruppierung verstand. Und wichtiger als der Streit um die menschliche Natur sind andere Unterschiede, die es als distinktive Differenzen formuliert. In seiner „Kritik an zwölf Philosophen“ greift das Xunzi selbst Zisi an, einen Enkel des Konfuzius und mittelbaren Lehrer des Menzius, den es denn dabei auch ähnlich wie Zisi abweichender Lehren zeiht. Zizhang, Zixia und Ziyou und Anhängern dieser Konfuzius-,Schüler‘ wird, wie wir sagen würden, ebenfalls ,unkonfuzianisches Denken‘ angekreidet. Während das Xunzi die ru, die ihm zufolge in der Tradition von Konfuzius und Zigong stehen, als „echte“ und „große ru“ (Xunzi VII, Köster: 71 f. und 83 f.), Edle (junzi), ja Weise (shengren) bezeichnet (Xunzi VI, Köster: 56 f., Nr. 8–10), kritisiert es Zisi und Menzius als „konfuse und gemeine ru“ und Gelehrte wie Zizhang, Zixia und Ziyou als „ordinäre ru“ und „Faulenzer“ (Xunzi VI, Köster: 55 f., Nr. 7, und 61, Nr. 17; Knoblock I: 52 und 213–229). Konfuzius und Zigong stehen dabei für die konfuzianische Lehre der Menschlichkeit und insbesondere menschlicher Herrschaft, das Recht, ja die Pflicht zur gewaltsamen Beseitigung grausamer Macht (tian ming), für kritische Loyalität (zhong), Selbstkultivierung, rationalen Diskurs über den richtigen Weg, unmissverständliche, klare Ausdrucksweise (zheng ming) und eine Habitualisierung der Moral über den Weg li -gerechten Verhaltens, eine Art ästhetischer Erziehung also. Zisi und Menzius dagegen gelten als frühe Repräsentaten der Doktrin von den Fünf Kräften oder Elementen (wuxing) Holz, Wasser, Metall, Erde und Feuer, die in Verbindung mit den Yin-Yang-Lehren zu einem (fast) integralen Element des später dominanten ,Konfuzianismus‘ werden sollte. Bereits im 2. Jh. v. u. Z. war diese Entwicklung fixiert. Wenn es auch fraglich bleibt, ob Zisi und Menzius tatsächlich wuxing-Theorien anhingen, so ist doch die sachliche Trefflichkeit des Xunzi-Urteils unbestreitbar. Bei allen mechanisch-systematischen Ansätzen einer frühen Naturwissenschaft waren und bleiben wuxing- und Yin-Yang-Lehren „recht sonderbar und [was ihren Sinngehalt angeht] systemlos, mysteriös dunkel und kaum erklärlich [… ja] geradezu unverständlich“ (Xunzi IV, Köster: 55). Insbesondere in der für sie kennzeichnenden Spekulativität und Irrationalität haben sie nichts mehr mit dem Konfuzianismus des Lunyu gemein. Im Übrigen mag Xunzi insofern wahrheitsgetreu darstellen, als er andeutet, dass Zisi, Menzius oder doch deren Nachfolger dem Druck intellektueller Mode nachgaben und deshalb meinten, das Ansehen Konfuzius’ und Zigongs zu steigern, wenn sie sie als frühe Vertreter der wuxing-Lehre reklamierten. Was die Schule Zizhangs angeht, so wirft ihr Xunzi im Grunde Überheblichkeit und Angeberei vor. Die Schule Zixias rückt er in die Nähe der mingjia. Sie ergehe sich zu sehr in nutzloser Diskussion und Kritik. Der Schule Ziyous wird Faulheit und Elitedenken vorgeworfen. Ihre Mitglieder dünkten sich für anstrengende Arbeit zu schade. Generell kritisiert das Xunzi „ordinäre ru“ auch wegen ihres blinden bedingungslosen Traditionalismus und ihres unkritischen Festhaltens an den
8.3 Konfuziusbild und Konfuzianismus des Xunzi
„Regeln der Schicklichkeit“ (li) (Xunzi VIII, Köster: 83). Es ist eine der Passagen im ,Buch‘ über die ru (VIII), in der das Xunzi sich gegen Konventionalität um ihrer selbst willen wendet. Gerade aufgrund ihrer steten Orientierung am dao sind „große ru“ oder Weise (shengren) dem Xunzi zufolge sogar Virtuosen der Neuerung (VIII, Köster: 82 und 78). Das Xunzi betont und würdigt damit eine Fähigkeit, die der Konfuzius des Lunyu in sehr spezifischen Formen für sich in Anspruch nehmen wollte: flexibel zu bleiben, ohne prinzipienlos zu werden (IX:4: 51; XIV:32: 94). Andere Gelehrte, die Xunzi nicht zu jenen ru zählte, die gemeinhin als ,Konfuzianer‘ gelten, griff er noch entschiedener an. Er brandmarkte, was seines Erachtens der Aufforderung gleichkam, einfach den eigenen Neigungen und Begierden zu folgen. Solche Unkultiviertheit, davon war Xunzi überzeugt, würde in gesellschaftliche und staatliche Unordnung und schließlich in Unmenschlichkeit münden (Xunzi VI, Köster: 53). Aber auch das andere Extrem, Askese und Puritanismus, verwarf er. Realist, der Xunzi war, war er davon überzeugt, dass Triebe, Neigungen und Gefühle nicht auszurotten sind, sondern vielmehr angemessenen Ausdruck verlangen (VI, Köster: 54). Davon und von entsprechenden Ansätzen im Lunyu ausgehend, entwickelte er seine li-Theorie ästhetischer Erziehung. Auch Mozi kritisierte er wegen einer seines Erachtens zu puritanischen, kulturfeindlichen Einstellung (ebd. und X, Köster: 119). Vor allem jedoch lehnte er den mohistischen Utilitarismus – das Prinzip, alles an „Nutzen und Brauchbarkeit“ zu messen – und Egalitarismus ab (VI, Köster: 54). Sollte Xunzis Kritik in diesen Punkten berechtigt sein, so sprach sie in der Tat fundamentale Unterschiede an. Wie dargestellt, war ja der Konfuzius des Lunyu alles andere als bloßer Utilitarist. Er war zumindest ebenso Gesinnungsethiker, Deontologe und Tugendlehrer, und wie Menzius folgte ihm Xunzi darin ohne Einschränkungen. Auch im zweiten Punkt dürfte die Distanzierung nicht unbegründet gewesen sein. Obwohl der Mohismus durchaus auf sozialen – und vor allem nach Stufen der Macht gegliederten – gesellschaftlichen Schichtungen bestand, zeigte er insbesondere in seinem Konzept scheinbar unterschiedsloser ,Liebe‘ zu allen Menschen egalitäre Züge, die nach Konfuzius, Menzius und Xunzi soziale Ordnung und Gerechtigkeit gefährdeten. Legalisten verurteilte Xunzi wegen ihrer Überschätzung der Relevanz von Gesetz (fa) und Strafe (VI, Köster: 54 f.). Wie Konfuzius und Menzius bezweifelte auch Xunzi die Wirkungsmöglichkeit von Gesetzen als solchen, und wie jene stand er dem Konzept häufiger und schwerer Strafe ablehnend gegenüber (X, Köster: 122 ff.). Nach Xunzi müssen Gesetze dem dao genügen (XI und XII, Knoblock II: 150 und 176; Paul 1999: 91). Wir würden sagen, positives Recht muss moralisch begründet sein. Über Gesetze muss deshalb auch diskutiert werden dürfen (IX, Köster: 91). Die Grausamkeit von Unrechtsstaaten (mit inhumaner Gesetzgebung) und die Diskussion um die Menschenrechte haben die zeitlose Relevanz dieser Einsicht erneut klar und nachhaltig bestätigt. Und schließlich wandte sich Xunzi auch gegen die mingjia und all jene Sprachphilosophen und Logiker, die sich nach seiner Meinung in Analysen und Disputen ergingen, die zwar in mancher Hinsicht brillant waren, sich letztlich aber in nutzloser Haarspalterei, Wortverdreherei oder gar betrüge-
Für Neuerung und Flexibilität ohne Prinzipienlosigkeit
Xunzis li-Theorie ästhetischer Erziehung
Gegen mohistischen Puritanismus, Utilitarismus und unterschiedslose ,Liebe‘
Gegen legalistische Forderungen nach einem harten Strafrecht und für eine moralisch begründete Gesetzgebung
Gegen die mingjia, aber für sachliche, kultivierte Diskussionen moralisch relevanter Fragen
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8 Konfuziusbild in der Geschichte Chinas
Das Bild des idealen Konfuzianers im Xunzi
rischer Rhetorik und blenderischer Demagogie erschöpften (VI, Köster: 55). Dabei war Xunzi überzeugt, dass „das Herz des Edlen in der Diskussion“ , V, Köster: 48). Aber er verstand darunter Ausliege (junzi xin bian einandersetzungen, die am Zweck der Menschlichkeit orientiert waren, bei der Sache blieben, klar und konsistent waren und die in ihrer kultivierten Form jeden unangenehmen Streit – von Handgreiflichkeiten gar nicht weiter zu reden – ausschlossen. So forderte er auch, eigene Auffassungen zu begründen oder zu erklären, um nicht unverständlich zu bleiben und so Ärger und Streit zu provozieren (IV, Köster: 30). Auch wir wissen, wie empörend es sein kann, wenn unsere Fragen nach Gründen für Behauptungen und Forderungen einfach unbeantwortet bleiben. Xunzi entwickelte seine ausführliche und detaillierte Gesprächstheorie im Rahmen seiner – erneut an den Konfuzius des Lunyu anschließenden – Lehre von der Richtigstellung der Bezeichnungen (zheng ming), die ihre eigene Darstellung verdiente. Fasst man zusammen, was nach der referierten Kritik des Xunzi für Konfuzius und ,Konfuzianismus‘ charakteristisch ist, so ergibt sich das Bild eines Edlen oder „echten“, wenn nicht gar „großen ru“, der um die Unumgänglichkeit und den Wert des Lernens und der Selbstkultivierung weiß. Er zeigt Bereitschaft zur Selbstkritik, hält am dao und damit der Norm der Menschlichkeit fest, bleibt aber offen für historisch bedingte Neuerungen, stellt Menschlichkeit über positives Recht, Legalität und Strafgesetzgebung und ist gern bereit, über dao und ren zu diskutieren. Dabei dienen seine klaren, sachgerechten, konsistenten und ansprechenden Äußerungen dem Zweck der Menschlichkeit. Dessen ungeachtet ist der Edle ein Mensch, der durchaus Wünsche und Interessen haben und befriedigen darf. Ja, er sollte es sogar; denn eine Unterdrückung von Neigungen und Begierden ist nicht nur einfach ,unmenschlich‘, sondern auch gesellschaftsschädigend. Da ein sozusagen blindes Ausleben von Begierden freilich ebenso problematisch ist, folgt der Edle den li, die ihm einen kultivierten und dennoch befriedigenden Ausdruck seiner Interessen und Gefühle ermöglichen. All diese Charakteristika des Edlen sind mit entsprechenden Ausführungen und Ansätzen des Lunyu und weitgehend auch des Menzius vereinbar. Ja, vielfach lassen sie sich sogar als Explikation der beiden Texte verstehen. Letzteres wird deutlicher, wenn im Folgenden die zentralen Doktrinen des Xunzi in ihrer systematischen Form wiedergegeben werden.
8.3.2 Die Philosophie des Xunzi als systematischer Konfuzianismus Das höchste Ziel des Menschen, so das Xunzi, muss darin liegen, dem ren , dem „Weg des Menschen“, zu folgen. Dies Ziel ist wichtiger als dao selbst der Schutz des eigenen Lebens. Es ist auch wichtiger, als es beispielsweise Gehorsam gegenüber Fürst und Vater und als es Amt, Wohlstand und äußeres Ansehen sind. Dabei ist ren dao nicht nur Selbstzweck. Es ist letztlich auch das einzige Mittel, um gesellschaftliche und staatliche Ordnung und damit schließlich ren , Menschlichkeit, selbst zu etablieren und zu erhalten. So wurde der „Weg des Menschen“ auch von den Kulturheroen geschaffen oder entdeckt, um das ursprünglich Böse im Menschen zu kon-
8.3 Konfuziusbild und Konfuzianismus des Xunzi
trollieren und einen grausamen, dem Leben wilder Tiere vergleichbaren ,Naturzustand‘ durch Kultur und Zivilisation (wen) zu zügeln. Von seinem Konzept ,menschlicher Natur‘ abgesehen, unterscheidet sich das Xunzi dabei durch eine weitere Besonderheit von Lunyu und Menzius. Es trennt sehr viel schärfer zwischen ren dao und tian dao. Der „Weg des Himmels“ ist nur noch bloße Metapher für den Bereich naturgesetzlicher Ereignisse. Ren dao ist der davon unabhängige Weg des Menschen. War Konfuzius Skeptiker oder Agnostiker, Menzius vielleicht sogar voll religiöser Ehrfurcht vor dem „Himmel“, so war Xunzi Atheist. Er glaubte weder an Götter noch Geister. Auch „der Himmel“ bildete für ihn keine irgendwie sakrale Entität. Gebete, Opfer, ja Riten und Zeremonien überhaupt waren seines Erachtens nicht in der Lage, den Gang der Natur und so das Schicksal des Menschen zu beeinflussen. Ihre Funktion sah er vielmehr in der Habitualisierung kultivierten menschlichen Miteinanders; ähnlich wie viele von uns bestimmte ursprünglich religiöse Konventionen sehen. Mit seiner klaren Trennung naturgesetzlicher und politisch-sozialer Welt eröffnete oder stärkte das Xunzi das Wissen um die Möglichkeiten des Menschen, sein Leben, Gesellschaft und Staat selbst zu gestalten. An die Stelle von Hoffnung und Furcht, des Glaubens an die Abhängigkeit von der Macht „des Himmels“, von Göttern und Geistern konnte das Bewusstsein treten, selbst Herr des eigenen Schicksals zu sein. Das Xunzi trug damit wie kaum ein anderes Werk in der Geschichte Chinas zur sogenannten Entmythologisierung bei. Ungeachtet des angesprochenen Unterschieds zum Lunyu ist freilich auch festzuhalten, dass es damit einen Ansatz des Lunyu, ja noch weiter zurückliegender Anfänge ausgestaltete. Um nun dem ren dao folgen zu können, muss der Mensch lernen, so gut er nur kann. Wie gesagt, ist ja ren dao nichts Naturgegebenes, sondern zivilisatorische und kulturelle Leistung oder Errungenschaft. Dazu kommt erneut, dass es jedem darum gehen muss, seine ,böse Natur‘ zu kontrollieren. Da zudem prinzipiell jeder fehlbar ist, ist auch von daher Lernen unumgänglich. Und schließlich ist im Grunde auch niemand fähig, sich alles für ihn Erforderliche allein anzueignen. Lernen verlangt deshalb auch, entsprechende Hinweise anderer zu akzeptieren. So werden Selbstkritik und Offenheit für Kritik unentbehrlich. Statt Ärger zu empfinden, ist berechtigte Kritik dankbar als Hilfe anzunehmen. Lernbereitschaft, Selbstkultivierung, Bildung und Erziehung sind also unabdingbar, um das ren dao überhaupt erst kennen zu lernen und sich schließlich an ihm zu orientieren. „Die es unternehmen zu lernen, werden Menschen; die es vernachlässigen [zu lernen], werden wie wilde Tiere“, sagt das Xunzi (I, Köster: 6, Knoblock I: 139). Und: „Erst im Tode hört das Lernen auf.“ (I, Köster: 6) „Wer dich zurechtweist und dabei Recht hat, gelte dir als Lehrer. Wer dir zustimmt und dabei Recht hat, gelte dir als Freund. Wer dir schmeichelt und sich dir anbiedert, gelte dir als Übeltäter. Deshalb schätzt der Edle seine Lehrer, traut seinen Freunden und verachtet Übeltäter. Er wird nicht müde, das Gute zu schätzen. Er akzeptiert Tadel (jian) und lässt ihn sich zur Warnung dienen. So kommt er voran, selbst wenn er es nicht wollte.“ (I, Köster: 11 f., Knoblock I: 151 und Roetz 1992: 358)
Der humane Atheismus des Xunzi
Lernbereitschaft, Selbstkultivierung, Bildung und Erziehung als unentbehrliche Mittel des „menschlichen Weges“
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Regeln idealer Diskussion
Nur eine der Menschlichkeit verpflichtete Herrschaft ist legitim
Dabei ist das ren dao nicht nur Ziel, sondern auch Maßstab des Lernens. „Lernen kann man nicht von sich selber […] Ein Stück Holz, das kerzengerade ist, kann man biegen, bis ein Rad daraus wird, so dass seine Biegung mit dem Zirkel übereinstimmt.“ (I, Köster: 1). „Nichts Wunderbares (shen) ist so groß wie die Wende (hua ) [des Menschen] zum dao.“ (I, Köster: 2). Soweit man von anderen lernt oder – im Bestreben, andere auf den „Weg des Menschen“, das ren dao, zu führen – zu deren Bildung beiträgt, sind bestimmte Gesprächs- oder Kommunikationsregeln zu beachten. Man sollte beim Thema, eben dem dao, bleiben. Das heißt erneut auch, bereitwillig zu akzeptieren, was im Interesse der Menschlichkeit liegt, und zu kritisieren, was ihm entgegensteht. Im Übrigen sollte man auf Obskurantismus, Paradoxien, unerklärte unkonventionelle Wendungen, Haarspaltereien und hohle Rhetorik verzichten und sich unmissverständlich und konsistent ausdrücken. Dies sollte in ansprechender Form geschehen. Unerquicklicher Streit ist zu vermeiden. Hört man zu, so sollte man Lernbereitschaft zeigen. Belehrt man, so nicht von oben herab. Achtung vor dem Gesprächspartner und der Wunsch, dessen Aufnahmebereitschaft zu sichern, zwingen dazu, sich stets auf die Besonderheit der Situation einzustellen, vor allem aber, sich am Mienenspiel des Gesprächspartners zu orientieren (I, Köster: 8 f.; Paul 2006a). Wer all diesen Regeln folgt, ist ein Edler, wenn nicht gar ein Weiser. Beeindruckend ist die Konsequenz, mit der das Xunzi sein allgemeines Konzept des ren dao und der Bildung, des Lernens und der Kommunikation auf die Frage nach der Herrschaftsform anwendet. So lässt es nicht den geringsten Zweifel daran, dass letztlich nur die Herrschaft legitim ist, die dem ren dao folgt. „Denn ob jemand ein Himmelssohn ist“, heißt es, „hängt allein davon ab, was für ein Mensch er ist.“ (gu tianzi wei qi ren , XVIII, Köster: 227). Anders gesagt, ob bzw. wieweit er menschlich regiert. Herkunft oder Stand spielen keine Rolle. Fehlt jede Menschlichkeit, so ist er bereits dem Begriff nach kein Herrscher mehr. Gegebenenfalls ist er einfach ein Verbrecher, den es zu beseitigen gilt. Wie im Menzius kommen auch hier das tian-ming- und zheng-ming-Konzept zur Anwendung. Da auch der „Himmelssohn“ (tianzi) ein Mensch und deshalb prinzipiell fehlbar ist, braucht auch er Hilfe. So fordert auch das Xunzi, dass Machthaber die Unterstützung geeigneter Ratgeber in Anspruch nehmen und deren berechtigten Mahnungen folgen. Diese wiederum müssen sich nicht nur kritisch-loyal, d. h. kritikbereit zeigen, sondern in ihrer Kritik auch an die gültigen Gesprächsregeln halten. Ohne geeignete Ratgeber und ohne Offenheit für Kritik, so das Xunzi entschiedener als das Lunyu und selbst das Menzius, seien Herrscher und Reich zum Untergang verurteilt. Despoten aber würden dabei ebenso sicher, und zu Recht, mit Gewalt beseitigt. Das Xunzi führt mehrere – auch historische – Beispiele an, um seine Theorie legitimer Herrschaft sozusagen empirisch zu begründen. Insbesondere möchte es zeigen, dass Herrschaftsverlust einer gewissermaßen moralisch-historischen Gesetzmäßigkeit folgt. So erwähnt auch es die Fälle von Jie und Zhou und ihr gewaltsames Ende durch Tang und Wu. Wie das Lunyu und Menzius nennt es zudem weitere unstrittig historische Personen (XXVIII, Köster: 370 f. u. a.). Darunter sind Ratgeber, die ihre kritische Loyalität mit dem Tode büßten und deren uneinsichtige Herrscher darauf zu-
8.3 Konfuziusbild und Konfuzianismus des Xunzi
grunde gingen, aber auch Persönlichkeiten wie der Herzog von Zhou, deren Leistungen zur Sicherung und Legitimation der Macht ihrer Fürsten beitrugen (VIII, Köster: 69 ff.). Besonders beeindruckend ist die Stelle: „[…] nur wem die ganze Welt (von Herzen) zugetan ist, den nenne ich [Xunzi] einen König, (wang). Denjenigen, von dem alle Welt abfällt, betrachte ich als dem Untergang verfallen. Weil sich also die ganze Welt von Jie und Zhou fernhielt, ist nachgewiesen, dass Tang und Wu keine Königsmörder waren. Während Tang und Wu den Völkern Vater und Mutter waren, erwiesen Jie und Zhou sich als Schrecken und Feinde der Völker. Höchst unheilvoll ist es daher, wenn es heutzutage Menschen gibt, die behaupten, Jie und Zhou seien Herrscher gewesen und Tang und Wu ihre Mörder […] Denn ob einer ein Himmelssohn ist, hängt allein davon ab, was für ein Mensch er ist.“ (XVIII, Köster: 226 f.) Abgesehen von der in ihm formulierten Lehre von der ursprünglich bösen Natur des Menschen, dem in ihm artikulierten Atheismus und der radikalen Unterscheidung zwischen ren dao und tian dao folgt das Xunzi also Lunyu und Menzius oder ist doch mit deren Konzepten vereinbar. Das gilt insbesondere für jene Lehrstücke, die stichwortartig mit ren, tian ming, jian (Mahnung und Kritik) und zheng ming angesprochen werden können. Wichtig ist auch, dass sie dabei allesamt Normen moralischer Autonomie implizierten. In seiner allgemeinen Struktur ist das Konzept, das eigene Verhalten letztlich am dao auszurichten, Kants Bestimmung moralischer Autonomie als freiwilliger Unterwerfung (!) unter das moralische Gesetz vergleichbar. In beiden Fällen liegt die Selbstbestimmung darin, sich letztlich nicht von Egoismus, Zu- und Abneigung und Beziehungen leiten zu lassen, sondern vielmehr einem für alle Menschen verbindlichen Gesetz oder „Weg“ zu folgen. Besonders zu beachten ist dabei, dass die mit „Selbstbestimmung“ gemeinte Freiheit nicht nur nach Xunzi, sondern auch nach Kant Wahlfreiheit ausschließt. Noch einmal anders und pointiert gesagt, sind es keine Personen, sondern Gesetz und dao, die in moralisch relevanten Fragen entscheiden. Entsprechend irrig kann es sein, im ,östlichen Gemeinsinn‘ eine Alternative zum ,westlichen Individualismus‘ zu sehen. Der Vergleich zwischen kantischer und konfuzianischer Ethik sollte nicht missverstanden werden. Xunzi war kein Kantianer. Im Gegensatz zur kantischen Philosophie war sein System z. B. kein Apriorismus, ja, es besaß keinerlei metaphysischen Charakter. Auch die Art und Weise, in der die zwei Systeme das Konzept der Selbstbestimmung als eine Norm fassen, die sich der Mensch selbst gegeben hat, unterscheidet sich damit. Doch bleibt die angesprochene Übereinstimmung davon unberührt. Sie bezieht sich auf isolierbare Theorie-Ausschnitte einer hinreichend allgemeinen Ebene. Dabei ist sie inhaltlich belangvoll und systematisch relevant. Ferner ist zu betonen, dass der Atheismus Xunzis das Konzept legitimer Beseitigung einer Schreckensherrschaft noch verschärfte; denn den Machthabern war damit ja nun wirklich alles Numinose und Überirdische genommen.
Moralische Autonomie als Orientierung an selbstgegebenen moralischen Normen
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Ähnlich wie das Mengzi wurde denn auch das Xunzi recht unterschiedlich rezipiert. Seine rationale Theorie des ren dao fand im Allgemeinen wenig echte offizielle Anerkennung, blieb aber dennoch nicht ohne – insbesondere ,subversive‘ – Wirkung. Das gilt erneut vor allem für Romane und Erzählungen. Andererseits dürfte die Tatsache, das Han Feizi und Li Si ,Studenten‘ Xunzis waren oder sich zumindest in seinem Kreis aufhielten, dazu geführt haben, dass seine radikalen Forderungen nach Standards und Klarheit und seine antitraditionalistischen Äußerungen eine dezidiert legalistische Wendung erhielten: ein fatales Missverständnis. 8.3.3 Konfuzius, Lunyu, Menzius und Xunzi In seinem Konfuzius-Bild weicht das Xunzi vielleicht nur in zwei Punkten signifikant von der Darstellung des Lunyu ab. Einmal ist wie im Menzius eine Art Überhöhung identifizierbar. Konfuzius wird sogar als Weiser gesehen, wenn auch keinesfalls verleugnet wird, dass er bei seinen Versuchen, seine Ethik in die Praxis umzusetzen, an den Umständen scheiterte. Aber Weisheit, so das Xunzi, hänge eben nicht unbedingt vom Erfolg ab. Und der zweite Punkt: Während der Konfuzius des Lunyu kein Interesse erkennen lässt, die Frage, ob der Mensch von Natur aus gut oder böse sei, auch nur aufzuwerfen, widmet ihr das Xunzi sehr viel Raum. Zwar verzichtet es darauf, die eigene Auffassung Konfuzius zuzuschreiben, aber die prononcierte Absicht, den Lehren des Konfuzius treu zu bleiben, legt entsprechende Interpretationen nahe. Dominant wurde die menzianische Auffassung, die sich freilich genauso wenig dem Konfuzius des Lunyu zuschreiben lässt. Das Menzius genoss eben die Förderung Zhu Xis. Außerdem kam es dem Jahrhunderte lang auch unter Konfuzianern verbreiteteten Interesse an buddhistischer Ontologie entgegen. Seine Antwort auf die Frage nach Ursprung und Grundlagen der Moral schien vielen überzeugender als die Lösung des Xunzi. Ist Menschlichkeit von Natur aus in uns angelegt, so erscheint sie leichter zu entwickeln, als wenn sie ,gegen unsere Natur‘ ausgebildet werden muss. Außerdem befriedigte die im Xunzi gegebene Erklärung der ,Erfindung‘ oder ,Entdeckung‘ von Menschlichkeit und Kultur nicht. Wie bzw. aufgrund welcher Voraussetzungen, so fragte man sich, sei sie den Kulturheroen überhaupt möglich gewesen? Doch sind, wie ausgeführt, all diese Reflexionen über menschliche Natur dem Konfuzius des Lunyu gewissermaßen wesensfremd. Menzius und vor allem Xunzi werden ihm jedoch auf einer allgemeineren Ebene wieder gerecht. Allen drei Werken zufolge ging Konfuzius jedenfalls davon aus, dass alle Menschen von Natur aus gleich, mit demselben Potential ethischer Entwicklung ausgestattet und prinzipiell lernfähig seien. Auf eine dritte Abweichung ist schon aufmerksam gemacht. Wie deutlicher werden soll, ist sie freilich bei weitem nicht so gravierend, wie sie auf den ersten Blick scheint. Der Vollständigkeit halber sei aber auch sie noch einmal genannt: Anders als das Lunyu formulieren Menzius und Xunzi ein explizites Konzept des Rechts, ja der Pflicht zu Umsturz und Tyrannenmord.
8.4 Ansätze und Blüten der Legendenbildung
8.4 Ansätze und Blüten der Legendenbildung Vielleicht schon 100 Jahre nach seinem Tod zeitigte die Legendenbildung bleibende Resultate: Konfuzius wurde auch zu einem Mythos. Ansätze finden sich bereits in einer späten Stelle des Lunyu, die Konfuzius mit „Sonne und Mond“ vergleicht (XIX:24: 129). Im Zhongyong, „Maß und Mitte“, heißt es dann: „[Konfuzius] nahm Yao und Shun als seine Ahnen, die er fortsetzte, und nahm Wen und Wu als Gesetz, nach dem er richtete. Dem Himmel droben lauschte er seine Zeiten ab und dem Wasser und der Erde drunten ihre Geheimnisse. So gleicht er Himmel und Erde, die alles halten und tragen und alles schirmen und decken, gleich wie die vier Jahreszeiten, die im Wechsel einander folgen, wie Sonne und Mond, deren Licht abwechselnd scheint.“ (Wilhelm 1981b: 42) Wie das gesamte Zhongyong haben Inhalt, Ton und Tenor dieser Passage wenig mit dem klassischen Konfuzianismus gemein. Obwohl in erheblich milderer Form, gilt Ähnliches auch für Teile der Daxue, der „Großen Lehre“. Sollte die Überlieferung, der zufolge Zisi das Zhongyong verfasst hat, stimmen (was freilich mehr als fraglich erscheint), so würde dies Xunzis Kritik an dessen Obskurantismus bestätigen. Jedenfalls ist das von Zhu Xi zu einem der Vier Bücher erhobene Werk nach Form und Inhalt weit von der Rationalität insbesondere des Lunyu und Xunzi entfernt. Die zitierte „Apotheose“ ist freilich das extremste Beispiel. In eine andere Richtung geht die Würdigung Sima Qians im Shiji. Sie dürfte den Zweck verfolgen, Konfuzius über seine Herkunft zu ,adeln‘. Im Vergleich zu der Verherrlichung im Zhongyong nimmt sie sich bescheiden und vorsichtig aus. Sima Qian lässt einen sterbenden Minister des Staates Lu ausführen, dass Konfuzius von „Weisen“ (shengren) abstamme, überhaupt veritabler Abstammung und als Nachkomme von Weisen selbst ein Weiser sei (Yang/Yang I: 1 ff.). Neben den für Zhongyong und Shiji kennzeichnenden Ansätzen der Verklärung – ,Apotheose‘ oder Kosmologisierung und Andichtung einer erlesenen Herkunft – kam als dritte Komponente die Erfindung wunderbarer Ereignisse ins Spiel, die Konfuzius’ Leben begleitet haben sollen. Alle drei verschmolzen schließlich zu jenem populären und wirkungsmächtigen Mythos, wie er etwa im Holzschnittwerk Shengji tu, den „Bildern zu den Taten des Weisen“ (Stumpfeldt), eine exemplarische und eingängige Darstellung fand. Es war denn auch dieser Mythos, der den volkstümlichen Konfuzius-Kult prägte. Das späte, erst im 15. Jahrhundert gedruckte Shenji tu zitiert und paraphrasiert eine große Zahl von Konfuzius-Darstellungen. Auch Lunyu (Stumpfeldt, Nr. 27 u. a.), Menzius, Xunzi (op. cit. Nr. 27, 30), Zhongyong und Shiji (op. cit., Nr. 5, 8, 40 u. a.) gehören zu seinen Quellen. Selbst Zhu Xi wird zitiert. Besonders auffällig ist freilich die Nennung der Fabelwesen Einhorn (Nr. 2, Nr. 65) und Drachen (Nr. 3). Außerdem soll Konfuzius bei seiner Geburt 49 wunderbare Körper-Male besessen haben, und auf seiner Brust sollen sich die Worte „Mit seinen Schriften ordnet er die Welt“ gefunden haben (Nr. 4).
KonfuziusApotheose im Zhongyong
Erhöhung des Konfuzius im Shiji
Der KonfuziusMythos des Shengji tu
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8 Konfuziusbild in der Geschichte Chinas
Die Mythen- und Legendenbildung um Konfuzius verdiente eigene, umfassende Untersuchungen. Gewiss gibt es mehr oder weniger allgemeine Faktoren, die dazu beitragen, dass ein Mensch zur Legende wird. Einzusehen ist auch, dass sich eine Gestalt wie Xunzi weniger zur Legendenbildung eignete. Aber letztendlich läuft alles Interesse erneut auf die Frage hinaus, was an der historischen Persönlichkeit selbst Ursache und Anlass dafür war, sie zum Mythos zu machen. Dass Konfuzius 72 herausragende Schüler gehabt haben soll – in Wirklichkeit dürften es weniger gewesen sein, und dies zumal, weil die Zahl 72 hier wohl auch Ergebnis numerologischer Manipulation war (Moritz: 166 f.) –, wäre zum Beispiel keine befriedigende Antwort. Zu erklären wäre vielmehr, warum sie sich ihm und nicht anderen anschlossen, und dies trotz seiner relativen Macht- und Erfolglosigkeit und seines unsicheren Wanderlebens. Diese Frage wird wohl nie hinreichend beantwortet werden können. Und so kann sich denn auch die Legendenbildung weiter aus ihr selbst speisen.
8.5 Konfuziusbilder im Spannungsfeld von Philosophie, Ideologie und Macht der Fakten
Konfuzianisches China: ein irreführender Begriff
Die politisch-gesellschaftliche Wirklichkeit des traditionellen China: „äußerlich konfuzianisch, innerlich [aber] legalistisch“
Bezeichnenderweise nennt man das kaiserliche China, das China bis 1911, auch traditionelles oder konfuzianisches China. Man will damit sagen, dass bis zu diesem Jahr Politik, Kultur und selbst Alltag ,konfuzianischen‘ Charakter besaßen oder doch ,konfuzianisch‘ geprägt waren. Danach wäre ,der Konfuzianismus‘ über zwei Jahrtausende hinweg eine Homogenität und Identität bildende Macht gewesen. Fragt man sich jedoch, worin dabei ,das Konfuzianische‘ bestand, so wird klar, dass es sich bestenfalls um ein Klischee handelt. (Dies wiederum wirft die Frage auf, warum es sich so lange hielt und weiter hält.) Der klassische Konfuzianismus jedenfalls spielte nur eine eingeschränkte, sehr spezifische Rolle. Spricht man vom ,konfuzianischen China‘, so bezieht man sich eher auf Neokonfuzianismus und Staatskonfuzianismus. Das heißt zum Beispiel, eher auf Gewaltherrschaft denn auf Menschlichkeit, und eher auf Normen unbedingten Gehorsams denn auf den klassischen Begriff kritischer Loyalität. Sehr allgemein gesagt bedeutet dies, dass die Gültigkeit der Klassik weithin Opfer von Ideologie und Macht der Fakten wurde. In gewisser Weise handelte es sich damit auch um einen Sonderfall der oft, und etwa auch in Europa, beklagten Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit. Auch Chinesen, und insbesondere Gelehrte, Amtsträger und selbst Kaiser waren sich dieser Differenz bewusst, die ihren prägnantesten, fast sprichwörtlichen Ausdruck in der Sentenz wai ru nei fa fand. In der Tat bringt sie den wichtigsten Aspekt der politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit des traditionellen China auf den Punkt: „äußerlich konfuzianisch, innerlich [aber] legalistisch“ gewesen zu sein. Lippenbekenntnisse und Schein machten ,das Konfuzianische‘ aus, während legalistische Interessen und Methoden des Machterhalts die Realität bestimmten und kennzeichneten. Neben diesem legalistischen Faktor trugen der Einfluss von Kosmologien, Doktrinen von Yin, Yang und den Fünf Kräften, Ontologisierungen der Ethik und unklare, ja verunklarende Formulierungen moralischer und politischer
8.5 Philosophie, Ideologie und Macht der Fakten
Normen dazu bei, die Gültigkeit und die argumentative Qualität des klassischen Konfuzianismus in Frage zu stellen. Daran ist zu erinnern. Wie weit also war das traditionelle China wirklich ,konfuzianisch‘? Und in welcher Weise war es das? Wie, falls überhaupt, lässt es sich systematisch und begriffspragmatisch rechtfertigen, von einem ,konfuzianischen‘ China zu sprechen? Welche Konfuziusbilder kamen bei all dem ins Spiel? Und die wichtigste Frage: Warum wurden auch in China Gültigkeit und Argumentation weithin zum Opfer von Ideologie und Macht der Fakten? Um eine halbwegs umfassende und detaillierte Antwort geben zu können, ist zu rekapitulieren, worin die gültigen und ungültigen Komponenten des klassischen Konfuzianismus und insbesondere des Konfuzianismus des Lunyu liegen. Zu den gültigen und wohlbegründeten Lehrstücken gehören unter anderem folgende Auffassungen: (1) Staat, Gesellschaft und positives Recht sollten auch auf Menschlichkeit bzw. Moralität gründen. (2) Oberste Richtschnur für moralisch wichtige Entscheidungen ist ren, dao oder ren dao. Insbesondere sollten moralisch wichtige Entscheidungen nicht, oder nicht primär, in Orientierung an Fürst, Vater, Freund, spezifischer Konvention, Erfolg oder Misserfolg gefällt werden. Der Mensch ist letztlich moralisch autonom. (3) Menschlichkeit genügt unter anderem der Goldenen Regel. (4) Argumente und Kritik sind unentbehrliche Mittel der Menschlichkeit. Sie sind in möglichst sachgerechter, unmissverständlicher, konsistenter und dabei doch ansprechender Form vorzutragen. (5) Unmenschlichkeit muss beseitigt werden. Widerstand gegen sie kann Pflicht sein. Versagen dabei alle gewaltfreien Mittel, so kann auch Gewalt legitim sein. (6) Selbstachtung oder, wie wir sagen, Würde sind letztendlich höhere Werte als das Leben. (7) Leben ist ein sehr hoher Wert. (8) Alle Menschen sind in bestimmter Hinsicht von Natur aus gleich. Sie gehören zur selben biologischen Art. Und sie haben prinzipiell dasselbe moralische Potential. (9) Verdienst, Leistung und Charakter sind wichtiger als Herkunft und Klassenzugehörigkeit. (10) Strafen dürfen nur dann vollzogen werden, wenn die Schuld zweifelsfrei erwiesen ist. Keine ,Sippenhaftung‘. Im Übrigen gilt die Unschuldsvermutung. Dagegen ist die klassisch-konfuzianische Überzeugung, dass es darauf ankomme, wer Macht ausübe, nicht unproblematisch. Wie Karl Popper gezeigt hat, kann schon die Frage. „Wer soll herrschen?“ falsch gestellt sein. Sie war übrigens auch für Platon bezeichnend. Noch in der Volksrepublik China ist sie bestimmend geblieben. Nur lautet die Antwort nicht mehr: „Die Menschlichen und Edlen“, sondern: „Die Partei“. Der Ansatz, die Macht in die Hände ,der Guten‘ zu legen, um Machtmissbrauch zu vermeiden, hat sich als illusorisch erwiesen. Die Versuchung der Macht ist so groß, dass ihr im Allgemeinen auch die Guten nachgeben. Vielmehr ist mittlerweile klar und unstrittig, dass es gilt, Macht und Machtkontrolle so zu
Gültige Komponenten des klassischen Konfuzianismus
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Marksteine der positiven Wirkungsgeschichte des klassischen Konfuzianismus Das Zensorat
Das Prinzip der Meritokratie
Grundsatz der Unschuldsvermutung
institutionalisieren, dass damit Machtmissbrauch so weit wie möglich ausgeschlossen wird, und zwar unabhängig davon, wer an die Macht kommt. Gewaltenteilung und Demokratie sind dabei anscheinend die besten Mittel. Auch von daher ist übrigens die Frage nach der Natur des Menschen als philosophisches Problem mehr oder weniger obsolet geworden. Andererseits zeigt freilich gerade die Entwicklung in den ,westlichen‘ Demokratien auch, in welchem Grad und Umfang sie zum leeren Schein verkommen können. In Wahlkämpfen kann Geld eine entscheidende Rolle spielen; eine Demokratie kann zu einem Parteienstaat degenerieren; die Legislative zum Vollzugsorgan der Exekutive herabsinken; eine kleine politische Clique vermag immer noch so viel Macht auszuüben, dass sie Kriege vom Zaun bricht. Im Lichte solcher Entwicklungen erscheint die Forderung nach moralisch integeren Politikern wieder gerechtfertigt. Demokratische Institutionen und Kriterien der Moralität sind miteinander zu verbinden. Konfuzianischer ,Moralismus‘ gewinnt so verblüffende Relevanz. Selbst wenn die Machthaber eines Unrechtsstaates oder totalitären Systems ganz und gar nicht gewillt sind, eine auf Moralität gegründete Demokratie einzuführen, geben sie sich im Übrigen gern den Anschein moralischer und rechtlicher Legitimität. Und soweit Moralität nicht stört, wird sie auch gern geduldet und gefördert. Verbrechen wie Folter werden als Konsequenz höherer moralischer Interessen hingestellt. Und so fort. Man weiß um die, wenn auch noch so geringe, Wirkung moralischer Rechtfertigung und fürchtet den Ausbruch ungebändigter moralischer Empörung. So spielten die aufgelisteten klassisch-konfuzianischen Lehrstücke auch im kaiserlichen Staat eine gewisse offizielle Rolle. Die ersten vier, die die Grundsätzlichkeit und Priorität des ren dao und die Unentbehrlichkeit kritisch-argumentativer Auseinandersetzung charakterisieren, waren mitverantwortlich für die Einrichtung des Zensorats. Dessen Konzept freilich, eine institutionalisierte Möglichkeit zu einer prinzipiell gefahrfreien Kritik an Regierung und Kaiser zu eröffnen, um so dem Machtmissbrauch entgegenzuwirken, scheiterte weithin. Viele Zensoren wurden ein Opfer ihrer kritischen Loyalität. Dem Schein wurde dann oft Genüge getan, indem man sie später rehabilitierte. Die Schuld an ihrer Hinrichtung wurde etwa irgendwelchen schurkischen Ministern zugeschoben. Sie hätten den Kaiser getäuscht. In der Tat war dies oft der Fall. Die Opfer selbst gaben andererseits öffentliche Beispiele für die anhaltende Wirkung der klassischkonfuzianischen Norm ab, ren und Selbstachtung über das eigene Leben zu stellen. (Hucker 1966 und 1974) Das Prinzip der Meritokratie setzte sich mit der Einrichtung des Prüfungssystems durch. Dabei war es auch ein Reflex der Auffassung von der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen. Andererseits unterlag es eben doch den Einschränkungen von Herkunft, Macht und Geld. Außerdem trieb es seltsame Blüten. Mancher Mann versuchte fast sein ganzes Leben lang vergebens, über das Prüfungssystem zu Amt und Würden zu kommen. Eine ungemein lesenswerte Darstellung der Nachteile und grotesken Seiten des Systems bietet der Roman Rulin waishi, „Inoffizielle Geschichte der Gelehrten“ oder eben „[…] der Konfuzianer“. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung ging, mitunter in sehr beeindruckender Form, in das Strafrecht ein, dürfte aber auch zu der sehr fragwür-
8.5 Philosophie, Ideologie und Macht der Fakten
digen Konsequenz beigetragen haben, die Folter als Mittel der Wahrheitsfindung einzusetzen. So sollte sichergestellt werden, dass nur der verurteilt würde, der auch ein Geständnis abgelegt hatte. In der ein oder anderen Form bestimmten also fast alle angeführten klassisch-konfuzianischen Lehrstücke die Strukturierung des Kaisertums als Herrschaftsform mit. Die einzige Ausnahme bildete die Lehre vom Recht oder gar der Pflicht zum Tyrannenmord. Doch blieb ja auch die Wirkung der anerkannten Komponenten schwach. Wie schon mehrfach angesprochen, überlebte der klassische Konfuzianismus, und dies gilt nun gerade auch für die tian-ming-Doktrin, in uneingeschränkter Form nur als schmale philosophische Tradition, in großen Romanen und als Rechtfertigung erfolgreicher Umstürze, insbesondere der gewaltsamen Ablösung von Dynastien. So entwickelte der klassische Konfuzianismus seine Kraft vielleicht vor allem als subversive Doktrin. Drei Beispiele mögen illustrieren, wie die philosophischen und literarischen Einlassungen aussahen, die die Tradition des klassischen Konfuzianismus fortführten. Im Übrigen ist auf die einschlägige Literatur zu verweisen (De Bary 1993; Paul 1999; u. a.). Huang Zongxi (1610–1695), den man als eine Art unabhängigen ,Konfuzianer‘ bezeichnen kann, betonte: „Ohne das geringste Mitgefühl sagt der Fürst: ,Ich richte lediglich einen Besitz [den Staat] für meine Nachkommen ein.‘ Hat er ihn jedoch eingerichtet, presst der Prinz noch das letzte Mark aus den Knochen der Leute und nimmt ihnen Söhne und Töchter, auf dass sie seinen Ausschweifungen dienen […] Wer den größten Schaden in der Welt verursacht, ist niemand anders als der Fürst. […] In alten Zeiten unterstützten die Menschen ihren Fürsten gern. Sie verglichen ihn mit einem Vater und mit dem Himmel […] Jetzt hassen die Menschen ihren Fürsten, betrachten ihn [Menzius folgend] als einen ,Todfeind‘ und nennen ihn [wie Shujing und Menzius] ,einen isolierten Kerl‘. […] Aber kleingeistige Gelehrte haben pedantisch darauf bestanden, dass ,die Pflicht des Untertanen gegenüber seinem Prinzen‘ keinerlei Ausflucht zulasse, und dies so weit gehe, dass Tang und Wu nicht einmal Tyrannen wie Jie und Zhou hätten hinrichten dürfen […] Als ob sich das Fleisch und Blut der zahllosen Familien, die von solchen Tyrannen vernichtet wurden, nicht von ,Rattenkadavern‘ unterscheide! […] So war König Wu in der Tat ein Weiser, und Menzius’ Worte waren die Worte eines Weisen. […] Bestenfalls lässt sich [der erworbene Besitz] ein paar Generationen in der Familie [des Fürsten] bewahren. Manchmal geht er schon zu seinen Lebzeiten verloren. Früher oder später kommen das Blutvergießen und der Verlust der Menschenleben über seine Nachkommen […] Wird jedoch verstanden, worin die Aufgabe des Fürsten besteht, wie es in den Zeiten von Yao und Shun der Fall war, dann würde ein jeder das Amt sogleich weiterreichen […]“ (De Bary 1993: 92 f.) Schon Huang drückt sich klar genug aus. Unübertroffen eingängig dürften freilich die folgenden Passagen aus einem beliebten Ming-zeitlichen
Der klassische Konfuzianismus als subversive Doktrin
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(1368–1644) Roman sein, in dem es um das Ende des Shang-Tyrannen Zhou geht. „Großtutor Wen [der Lehrer und einflussreichste Ratgeber Zhous] war äußerst erregt. ,Warum herrscht im Staat Unordnung? Warum rebelliert der Adel? Du [Zhou] hast deine Pflichten ihnen gegenüber verletzt! Du regierst ohne Menschlichkeit und hörst nicht auf sie. Du machst dich mit den Speichelleckern gemein und hältst dich von den Loyalen fern. Du ergibst dich Tag und Nacht Alkohol und Weibern. Du lässt die Menschen unter riesigen Bauvorhaben leiden. Du selbst bist die Ursache der Rebellion!‘ […] ,Ich möchte Ihrer Majestät ein Memorandum vorlegen.‘ Großtutor Wen trat vor. König Zhou legte es vor sich auf den Tisch und las es sorgfältig. Es verzeichnete seine Fehler und enthielt zehn Vorschläge: (1) Vernichte die Glücksterrasse [einen Ort luxuriöser Ausschweifungen des Königs], um das Volk friedlich zu stimmen. (2) Zerstöre die brennenden Säulen [Foltervorrichtungen], um die Minister zu ermutigen. (3) Fülle die Schlangengrube [ein Ort grausamer Hinrichtungen] auf, um den Palast von seinen Übeln zu befreien. […] (6) Lass Fei Zhong und You Hun [liebedienerische ,Ratgeber‘] köpfen, um Schmeichler abzuschrecken. (7) Öffne die Getreidespeicher, um die Armen und vom Hungertod Bedrohten zu retten. […] (10) Fördere die Redefreiheit, gib jedem Gelegenheit, seine Meinungen öffentlich und ohne Furcht zu äußern (na zhong jian, da kai yu lu, shi , , ). […] tian xia wu yong sai zhi bi [Großtutor Wen] reichte den Becher Huang Feihu: ,[… Während ich unterwegs bin,] überlasse ich dir die Staatsangelegenheiten. Ich bitte dich, über alles Unrechte frei zu reden. Seinen Mund geschlossen zu halten, ist nicht der Weg eines loyalen Ministers.‘“(Gu I: 298–303) Besonders interessant ist die 10. Forderung, die Gu frei und – bedenkt man Ort und Datum der Veröffentlichung, nämlich Beijing 1990 – fast provokativ mit „Encourage freedom of speech, let everyone have the chance to voice opinions publicly without fear“ übersetzt. Aber auch, wenn man sich um eine genauere Übertragung bemüht, schließt sie die von Gu formulierte Bedeutung zumindest als Konnotation ein; denn Zhou hätte danach „loyale/ engagierte/ehrlich gemeinte [scharfe] Kritik willkommen zu heißen und die Avenue der Worte/Rede weit zu öffnen“, so dass „unter dem [ganzen] Himmel“ keinerlei Hindernis [der Redefreiheit] bestehe. Man mag sich überhaupt fragen, warum Beijing den Roman übersetzen ließ bzw. eine Übersetzung duldete; denn Roman wie Übertragung ließen und lassen sich gar nicht anders lesen denn auch als scharfe Kritik am eigenen Regime. Am Ende wird König Zhou in den eigenen Tod getrieben. Dabei werden ihm zehn schwere Vergehen vorgeworfen: „Du warst kein Herrscher, wie er sein soll. Wie kannst du erwarten, dass wir dir als König huldigen! […]
8.5 Philosophie, Ideologie und Macht der Fakten
Loyale hohe Minister sind der Stumpf und die starken Zweige eines Staates, […] aber du hast sie an den roten brennenden Säulen grausam hingemordet. […] Das ist dein viertes schweres Vergehen. […] Natürliche Reserven und Staatsgüter sind stets begrenzt. Sie sollten nicht verschwendet werden. Aber du bestandest darauf, hohe Türme, Terrassen, einen Weinteich und einen Fleischwald zu bauen. Der Staatsschatz und die Besitztümer des Volkes sind geplündert. […] Das ist dein siebentes schweres Vergehen. […]“ Und schließlich ertönt der Ruf: „Dieser Tyrann muss sterben.“ Und dann noch einmal eine zusammenfassende Begründung: „Er ist ein Tyrann und von Himmel und Erde verlassen. Jeder hat das Recht, ihn zu verfluchen und anzugreifen. Wie könnten wir dem Willen des Himmels nicht gehorchen?“ (Gu II: 422–425) Die Zitate sollten freilich auch kein Missverständnis hervorrufen. Das Konzept des Tyrannenmords oder des legitimen gewaltsamen Umsturzes war gewiss nicht das zentrale Lehrstück des klassischen Konfuzianismus. Vor allem aber ließ sich der Konfuzius des Lunyu kaum als derart radikaler Befürworter des Konzepts verstehen, wie es Menzius, Xunzi und die zitierten Gelehrten waren. Daran ist erneut zu erinnern. Dass es nicht leicht war, Konfuzius selbst für das Konzept zu reklamieren, mag auch dazu beigetragen haben, dass es offiziell eben keine so große Rolle spielte und dass sich die tatsächliche politische Wirkung in Grenzen hielt. Andererseits waren – und sind – die in den Texten artikulierte moralische Empörung und der spürbare Appell an die Menschlichkeit durchaus im engen Sinne konfuzianisch. Ersichtlich sind sie weder mohistisch, daoistisch, legalistisch, yin-yangistisch, buddhistisch, metaphysisch noch neokonfuzianisch. Im gegebenen Zusammenhang kommt es denn auch vor allem darauf an, dies bewusst zu machen. Dass es sich um ein vergleichsweise allgemeines Moment handelt, tut dabei seiner Relevanz keinen Abbruch. Auch die erkenntnistheoretische Kritik und die Ideologiekritik, wie sie vor allem an Zhu Xis Lehren geübt wurden, waren dem klassischen Konfuzianismus verpflichtet. Der bereits genannte Dai Zhen wandte sich in aller Schärfe gegen lixue und Song-,Konfuzianismus‘ und gab damit ein exzellentes Beispiel der Kritik an obskurer und elitärer Ethik und Moral. Er wies darauf hin, dass jede Interpretation des li der lixue Ausdruck persönlicher Vorurteile sein müsse und dass die Diskreditierung der Begierden empirisch unhaltbar und unmenschlich sei. „Seit der Song-Zeit hat es die Praxis, voneinander zu lernen, Menschen zur Gewohnheit werden lassen, li als etwas vom Himmel empfangenes und ursprünglich im Herzen Gegebenes anzusehen. Infolgedessen werden persönliche Meinungen als li betrachtet. So können jene, die sich auf ihr Imponiergehabe verlassen oder Vorteile aus ihrer Position und Autorität schlagen und zudem rhetorisch geschickt sind, ihre [Version] von li zur Geltung bringen, während jene, die schwach, unentschlossen und unfähig sind, überzeugend zu argumentieren, ihre [Version] aufgeben müssen.“
Konfuzianische Kritik an der Ontologie und Gefühlsfeindlichkeit Zhu Xis
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„Da gibt es Menschen, welche meinen, dass man erst dann ein junzi werden kann, nachdem man die Begierden ausgerottet hat, während der kleine, engstirnige Mann bleibt, was er ist: klein und engstirnig, und dabei gierig und pervers. Jene, die obstinat an dieser Idee festhalten und sich junzi dünken, sagten deshalb: ,Was nicht li entspringt, entspringt Begierden, und was keiner Begierde entspringt, entspringt li.‘. Und sie sprechen über li, als sei es ,etwas vom Himmel Empfangenes und ursprünglich im Herzen Existierendes‘. Deshalb gibt es keinen junzi, der seine persönliche Meinungen nicht für li hielte. […] Wer nicht erkennt, dass persönliche Meinungen oft voreingenommen sind und nicht als li gelten können, ist dazu bestimmt, stur seine persönliche Meinung aufrechtzuerhalten, und wenn jemand denkt, diese Meinung sei falsch, so wird er sagen, dass jener sich von li abgetrennt habe. So kann die Unterscheidung zwischen li und Begierden zu einem bequemen und nützlichen Mittel für eine grausame Form zu töten werden.“ „Wann immer Gefühle von Hunger und Kälte, Angst und Ablehnung, das Bedürfnis nach Essen und Trinken, Beziehungen zwischen Männern und Frauen, universale Empfindungen und geheime Neigungen Erwähnung fanden, betrachteten [die Song-Konfuzianer] sie als menschliche Begierde, als Angelegenheiten ohne Konsequenz. Und in ihrem Unternehmen, zu diskreditieren, was sie für unwichtig hielten, sagten sie: ,Unsere Wertschätzung gilt tian li, dem himmlischen Prinzip, das einen unparteilichen Sinn der Rechtmäßigkeit abgibt.‘ Schöne Worte sind das. Aber wollte man sie beim Regieren anwenden, so würde dies eine Katastrophe über das Volk bringen.“ „Song-Konfuzianer […] schreiben alles – Hunger und Kälte, Angst und Ablehnung, Essen und Trinken, Beziehungen zwischen Männern und Frauen, universale Gefühle und geheime Neigungen – menschlichen Begierden zu, und so finden sie ihr Leben lang, dass Begierden nur schwer zu zügeln sind. So ist li, auf dessen Bewahrung sie bestehen, nichts als ein leerer Name und läuft letztlich auf nicht mehr als die Ausrottung der Impulse von Gefühlen und Begierden hinaus. Aber wie können solche Impulse ausgerottet werden?“ „Es ist eben diese Art Theorie, die li und Begierden voneinander trennt, die geeignet ist, alle Menschen in Wichtigtuer und Heuchler zu verwandeln.“ (Chin/Freeman: 74, 174, 174, 173 und 175) Diese Zitate zeigen erneut, dass die Anerkennung der prinzipiellen Gültigkeit des klassisch-konfuzianischen Menschlichkeitskonzepts und die Ablehnung des lixue-Konzepts keinerlei Eurozentrismus zu entspringen brauchen. Noch wichtiger aber ist, dass solche Zitate einen überzeugenden Eindruck von der Stärke des klassisch-konfuzianischen Interesses an der Menschlichkeit vermitteln können. Dies ist insbesondere dann von Relevanz, wenn keine ausführliche Darstellung gegeben werden kann. Zeiten des Aufruhrs und des Umsturzes ausgenommen, waren radikale Stellungnahmen wie die Huang Zongxis und Dai Zhens freilich selten. Auch gleich gerichtete Kritik wurde im Allgemeinen moderater vorgebracht. Wie mehrfach betont, hätte der Konfuzius des Lunyu ihre Form auch kaum
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gebilligt. Doch war das natürlich nicht die Hauptursache für ihre eingeschränkte Wirkung in der chinesischen Geschichte. Sie ist, wie gesagt, in Faktoren wie dem Einfluss des Legalismus zu sehen. Deren wichtigste Komponente wiederum dürfte das menschliche Interesse an der Macht gewesen sein. Viele, wenn nicht die meisten Menschen, streben nach Macht und Einfluss. Wer Macht hat, gibt sie nur ungern freiwillig auf. Die berühmte Sentenz „Macht korrumpiert, und totale Macht korrumpiert total“ kennzeichnet überzeugend ein Moment der Versuchung der Macht. Da Macht der Schlüssel zur Erfüllung eigener Wünsche ist, ist es leicht zu begreifen, dass sie gefällt und ,genossen‘ wird. Und da Mächtige andere, die gern an der Macht teilhätten, anziehen wie Motten das Licht, ist es zu verstehen, wenn man seine Macht ,kultiviert‘ und eigene Entscheidungen als Gunsterweise empfunden sehen möchte. Im Zhanguo ce findet sich der bittere Kommentar: „Als ich arm war, wollten mich selbst meine Eltern nicht. Aber im Reichtum begegnet mir meine ganze Familie mit Ehrfurcht und Angst. Kann da noch irgendein Mensch auf Erden Macht geringschätzen und Reichtum verachten?“ (Crump: 87) Und in einer vielschichtigen Stellungnahme aus dem Mozi, mit der in erster Linie der kritischen Skepsis begegnet werden soll, dass sich die (mohistische) Idee der universalen Menschenliebe nicht verwirklichen lasse, heißt es – erneut mit bitterem Unterton –, dass die Menschen die abwegigsten Ideen in die Tat umsetzten, wenn es darum ginge, den Mächtigen zu gefallen. Das Mozi will damit die Vorbehalte entkräften, die man ins Spiel bringt, wenn man moralische Normen mit dem Argument zurückweist, dass sie zwar schön klängen, aber unrealisierbar seien: ein Vorwurf, mit dem ja auch Konfuzius konfrontiert war, und der in der Diskussion um Ethik und Politik stets virulent ist. Die einschlägigen Passagen sprechen die Attraktivität an, die vom Dunstkreis der Macht ausgeht, und die Bereitwilligkeit zu absurdem, groteskem Verhalten, wenn man so ,dazu gehören‘ kann. Sie sollen zeigen, dass eine ,moralische Erziehung‘ – und sei es eine furchteinflößende Indoktrination der Moral – sehr wohl möglich ist. Übersehen wird dabei, dass die Mächtigen nur selten an einer Menschlichkeit interessiert sind, die auch für sie verbindliche Norm ist, und dass die, die sich im Dunstkreis der Macht sonnen dürfen, den Übrigen gegenüber soviel Privilegien genießen, dass sie kaum bereit sind, im Interesse größerer Gleichheit darauf zu verzichten. Mächtige können die etwas weniger Mächtigen leicht als Bundesgenossen gewinnen, wenn sie sie nur hinreichend profitieren lassen. Im Mozi heißt es unter anderem: „Die Gelehrten [also insbesondere auch ,Konfuzianer‘ …] der heutigen Zeit mögen sagen: ,Diese allumfassende Liebe ist schon etwas Schönes, allein, sie ist die schwierigste Aufgabe der Welt.‘ – Mozi sagt dazu: ,[…] In alter Zeit liebte König Ling […] bei seinen Beamten schlanke Taillen. Daher machten die Minister und Beamten des Königs Ling ein einmaliges Mahl zur Regel, und sie atmeten aus, wenn sie sich die Gürtel umlegten. Sie mussten sich an der Wand festhalten, um aufzustehen, und binnen eines Jahres hatten die Leute bei Hofe beängstigend aschfahle Farbe. Was
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war der Grund dafür? Der Fürst hatte es angeordnet, und die Untergebenen waren ihm gefolgt.‘ […] ,Mangel an Nahrung, schlechte Kleidung und für den Ruhm eines Fürsten zu sterben, das ist, was für die Menschen im Reiche alle schwierig ist. Aber wenn der Fürst es ihnen befiehlt, dann wird die Menge in der Lage sein, es auszuführen. Um wieviel eher die gegenseitige Unterstützung, was ja etwas ganz anderes ist. Denn wer andere liebt, den werden auch die anderen lieben, und wer anderen nützt, dem werden auch die anderen nützen. Wer andere hasst, den werden auch die anderen hassen, und wer andere schädigt, den werden auch die anderen schädigen. Was ist daran so schwierig? Doch nur, dass die Fürsten nicht ihre Regierung und die Beamten nicht ihr Handeln danach richten.‘“ (Schmidt-Glintzer 1992: 108 f.) In den Passagen zu Theorie und Praxis der allgemeinen Menschenliebe heißt es auch, dass es zwar unmöglich sei, den Berg Tai zu verrücken, nicht aber, die Idee universaler wechselseitiger Anteilnahme und Hilfe zu verwirklichen. Sehr allgemein und modern ausgedrückt, besagt das Mozi zusammengefasst, dass weder Naturgesetze noch logische Prinzipien noch moralische oder moralisch-pragmatische Argumente, sondern allein oder hauptsächlich psychologische Probleme einer allgemeinen Menschlichkeit entgegenwirkten. Dass die Geschichte Chinas seit der Qin-Zeit in signifikanter Weise durch Menschen bestimmt wurde, die über sehr viel Macht verfügten, trug also schon für sich zur Stabilisierung der Machtherrschaft bei. Shang Yang, Han Feizi und Li Si boten chinesischen Machthabern und schließlich Qin Shihuangdi die Argumente und Instrumente, die zur Etablierung, Sicherung und Festigung einer Alleinherrschaft, ja einer totalitären Alleinherrschaft geeignet waren. Das wurde auch von den meisten ihrer Nachfolger sowie von deren Kritikern erkannt. Genauso klar sahen freilich auch viele Kaiser, dass die Grausamkeit des Qin-Regimes kaum im eigenen Interesse war. Im Hanshu, der „Geschichte der Han[-Dynastie]“, ist ein Gespräch zwischen dem Kaiser Xuan (reg. 74–49) und dessen Sohn, dem Thronfolger Xiao Yuan, dargestellt, das wohl als Beleg interpretiert werden darf: Wang dao, „Weg der Könige“ und der Menschlichkeit versus ba dao, „Weg der Hegemonen“ und der Gewalt
„In ergebener Haltung sagte [der Thronprinz]: ,Ihre Majestät ist streng in der Anwendung der Gesetze. Es wäre angemessen, konfuzianische Beamte (ru) einzustellen.‘ Kaiser Xuan wechselte die Gesichtsfarbe und entgegnete: ,Die Han-Dynastie hat ihre eigenen Institutionen und Gesetze, die teilweise zum Weg der Hegemonen [Weg der Gewalt], teilweise zu dem der Könige [Tang, Wen, Wu] [ba wang dao] gehören. Wie könnte ich mich allein auf rein moralische Belehrung verlassen und die [moralisch bestimmte] Herrschaftsform der Zhou[-Dynastie] verwenden? Außerdem verstehen die vulgären Konfuzianer (ru) nicht, was einer Zeit angemessen ist. Sie lieben es, das Alte zu bejahen, um das Gegenwärtige abzulehnen […] Wie wären sie geeignet, Verantwortung zu übernehmen?‘ Er seufzte und sprach: ,Es wird der Thronfolger sein, der meine Dynastie in Verwirrung stürzt.‘“ (Dubs II: 300 f.) Noch viele der mit Qin, Legalismus und ba dao, dem „Weg der Hegemonen“, sympathisierenden Historiker der VR China sahen die Dinge ähnlich wie Kaiser Xuan. Fan Wenlan schrieb 1978:
8.5 Philosophie, Ideologie und Macht der Fakten
„Unter den Kaisern der Dynastien, die nach der Qin- und Han-Zeit folgten, florierten die Staaten derjenigen, die wussten, wie sie den Konfuzianismus äußerlich einsetzten, während sie innerlich [eine dem Legalismus verwandte Form des] Daoismus nutzten, [so] den Weg der weisen Könige mit dem Weg der Hegemonen [ba dao] verbindend. Die Staaten, die einen Niedergang erfuhren, waren die derjenigen, die dazu nicht befähigt waren.“ (Zit. nach Fu Zhengyuan: 62) Dagegen kritisierten Konfuzianer (ru), die sich dem klassisch-konfuzianischen Anspruch auf ein Moral-bestimmtes Verhalten und insbesondere einer Moral-bestimmten Herrschaft verpflichtet fühlten, ba dao besonders scharf. Vielleicht in Verallgemeinerung der Rede vom „Weg Wens und Wus“ (XIX:22: 128) verwendeten bereits Menzius und Xunzi wang dao, „Weg der Könige [Tang, Wen und Wu]“, und ba dao, „Weg der Hegemonen“, fast synonym für (,konfuzianische‘) menschliche Herrschaft und (,unkonfuzianische‘) Gewaltherrschaft. Das Xunzi verurteilte die „Hegemonen“ (ba), die einflussreichsten Herrscher der Frühlings-und-Herbst-Epoche, aufs Entschiedenste (Xunzi VII, Köster: 63 f.). Dem schlossen sich andere und auch Zhu Xi an. Ähnlich freilich wie in seiner rigoristischen lixue zeigt er dabei wenig Sinn für Fragen der Realisierbarkeit. So hat nach seiner Meinung keiner der Kaiser seit der Han-Zeit den wang dao, den Weg der der Menschlichkeit verpflichteten Könige, beschritten oder in gerechter Weise geherrscht. Vielmehr hätten sie einfach vermittels ihrer Macht regiert. Dabei spricht Zhu Xi von ba dao. Er greift etwa Han Gaodi bzw. Gao Zu (reg. 202–195) und Tang Taizong (reg. 626–649) an. Letzerer habe „unter dem Deckmantel von ren und yi seinen Egoismus verfolgt“ und die Menschen zu seinen egoistischen Zwecken benutzt. Zhu Xi stellt auch fest, dass die in der Qin-Dynastie verordneten Bestimmungen beibehalten wurden, weil sie den Herrschenden dienten (Yu Feng: 154 f.; Fu Zhenyuan 1993: 62 f.; Huang 1994: 189 f.). Er ist damit ein Beispiel für all jene, die sich der Differenz zwischen wai und nei – dem ,Deckmantel [der Menschlichkeit]‘ und den tatsächlichen, verdeckten inneren Machtinteressen – sehr bewusst waren und auch ihre Ursachen – Egoismus und Machtgier – kannten. Als Cao Pi (reg. 220–226) höchster Minister in Wei wurde, zwang er den letzten Kaiser der Han, zu seinen Gunsten abzudanken. Dieser Kaiser war nur noch nomineller Herrscher. In Wirklichkeit war er eine Marionette der Cao-Familie und musste stets fürchten, von ihr umgebracht zu werden – so, wie die Caos auch eine seiner Gattinnen ermorden ließen. Cao Pi ging bei seiner Thronübernahme in einer Weise vor, die geradezu als Illustration des Prinzips wai ru nei fa gelten kann. Er zwang den Kaiser, ihn mehrfach schriftlich um die Übernahme der Herrschaft zu bitten. Dabei musste der Kaiser ausführen, dass sein Mandat des Himmels zu Ende gegangen sei, weil er – und die Han – den damit verbundenen Aufgaben nicht mehr gerecht würden. Cao Pi sei derjenige, dem in dieser Situation aufgrund moralischer Integrität und politischer Kompetenz das Mandat zustehe. Um auch in Details den ,konfuzianischen‘ Schein zu wahren, lehnte Cao Pi drei ,Gesuche‘ des Kaisers ab, um dann erst beim vierten Mal zuzustimmen (Leban).
Schein und Sein in der chinesischen Geschichte politischer Herrschaft
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Ein weiteres Beispiel für die Art und Weise, in der ein Herrscher nach außen hin den Schein einer konfuzianischen Einstellung zu wahren suchte, während er tatsächlich inhuman regierte, liefert Ming Taizu (reg. 1368–98). „Kaiser Ming Taizu (reg. 1368–98) […] bietet eines der besten Exempel ideologischer Umstrukturierung des Konfuzianismus. […] er war extrem kritisch zu Menzius eingestellt […]: ,Falls der alte Knabe heute lebte, würde er hart bestraft.‘ Später befahl er die Veröffentlichung einer gekürzten Fassung des Menzius. Er tilgte solch offensive Passagen wie: ,Das Volk ist das Wichtigste, dann kommt der Staat, der Herrscher kommt zuletzt.‘ […] ,Ich habe gehört, dass man dem Kerl Zhou den Kopf abschlug, aber ich habe nichts davon gehört, dass ein Herrscher ermordet worden wäre.‘ So wurden 85 von den 260 Kapiteln des Menzius gestrichen. […] Kaiser Ming Taizu befahl außerdem, dass seine eigenen Darlegungen, die in vier Bänden zusammengestellt waren, neben den konfuzianischen Klassikern als Textbücher in allen öffentlichen Schulen dienten.“ (Fu Zhengyuan: 60)
Ursachen und Gründe der relativen Wirkungslosigkeit klassisch-konfuzianischer Ethik
Ming Taizu unternahm auch andere Schritte, die der Stärkung seiner Macht dienen sollten. So schaffte er die Position des Kanzlers ab, um sich so der wichtigsten – wenn auch letztlich nur moralischen – Kontrolle zu entziehen. Außerdem versuchte er, den Vollzug bestimmter, Konfuzius gewidmeter Riten einzuschränken und mehr oder weniger dem Kaiser allein vorzubehalten. Obwohl dies wie eine besondere Huldigung Konfuzius’ scheint, war es in Wirklichkeit ein Schritt, der Gelegenheiten zum Ausdruck moralischer Kritik beseitigen sollte. Er reflektierte also beides: wai ru und nei fa. 1372 ordnete Ming Taizu an, die Tafel des Menzius aus den KonfuziusSchreinen zu entfernen. Aufgrund massiver Proteste höherer Beamter hielt er es freilich für opportun, diesen Schritt rückgängig zu machen. Obwohl er bei Todesstrafe verboten hatte, ihn in Frage zu stellen, protestierte ein Minister öffentlich. Er erschien vor dem Kaiser und brachte dabei gleich seinen Sarg mit. Dem psychologischen Effekt dieses Auftritts konnte sich auch Ming Taizu nicht entziehen (Fu Zhengyuan: 60). Gewiss ließen sich noch zahlreiche andere Beispiele angeben. Selbst die Charakterisierung des Singapurer Politikers Lee Kuan Yew als „Machiavellist mit konfuzianischer Maske“ dürfte in gewisser Hinsicht dazu gehören (Lee 1997: 54). Aber die Exempel – die Feststellung Kaiser Xuans, Cao Pis Usurpation des Throns, die Kritik Zhu Xis und die Politik Ming Taizus – sollten ausreichen, einen Eindruck von der Doppelstruktur traditioneller chinesischer Herrschaft zu vermitteln. Dies zumal, da die Gängigkeit der Formeln wai ru nei fa und ,wang dao oder ba dao‘ außer Frage steht. Es war und ist also weitverbreitete chinesische – und nicht (nur) ,westliche‘ – Einschätzung, dass Herrschaft im traditionellen China beklagenswerte Gewaltherrschaft war. Und so war sie denn auch kein Reflex einer kulturell besonderen ,chinesischen‘ Einstellung zur Macht, geschweige denn Reflex mehrheitlichen Einverständnisses. Auch in diesem Kontext besteht Anlass, gegen Klischees einer ,chinesischen Mentalität‘ anzugehen. Im gegebenen Zusammenhang heißt das, die Gründe zu rekapitulieren, zu ergänzen und systematisch zusammenzustellen, die dazu beitrugen, die Wirksamkeit des konfuzianischen ren-Konzeptes bzw. des klassisch-konfuzianischen ren dao und wang dao so einzuschränken, dass es im politischen
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System des ,konfuzianischen‘ China kaum zur Geltung kam, und ungetrübt ohnehin nur in seltenen Extremfällen: in todesbereiter – und tödlicher – kritischer Loyalität, in Phasen politischen Aufruhrs und Umsturzes und in subversiver Literatur. Zunächst dürften angeborene Bequemlichkeit, individuelle Neigungen und persönliche Interessen dazu beigetragen haben, eventuell vorhandene Widerstandsbereitschaft zu schwächen. Zweitens ist die notorische Wirkungslosigkeit von Argumenten in Rechnung zu stellen. Es sei in diesem Zusammenhang auch an Konfuzius’ Klage über die Kluft zwischen Einsicht und Tun und an die Äußerungen des Han Feizi „Über die Schwierigkeiten zu überzeugen“ erinnert. Drittens gibt es so etwas wie eine menschliche Disposition zu aggressivem Verhalten. Sie kann leicht zu einem Katalysator grausamen Handelns werden. Wie sonst wäre es zu erklären, dass totalitäre Systeme so leicht so viele Folterknechte finden? Dass christliches Mittelalter, Stalinismus, Nazismus, Maoismus, Rote Khmer, Bürgerkriege auf dem Balkan und Kriege in Afrika, Afghanistan und Irak entsätzliche Gräuel mit sich bringen konnten – bei allen unleugbaren Unterschieden, die bestehen? Viertens sind bestimmte politische Systeme in der Lage, viele Menschen so einzuschüchtern, dass sie sich in ihrer Angst einfach fügen. Das gilt insbesondere für totalitäre und autoritäre Systeme. Auch dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Und selbstverständlich hat nicht nur etwa der Nationalsozialismus, sondern auch so mancher chinesische Kaiser Beamte und Untertanen einfach soweit eingeschüchtert, dass sie taten, was von ihnen verlangt wurde. Autoritäre Systeme und Teilsysteme wie etwa militärische Organisationen können, fünftens, eine Kultur des Gehorsams entwickeln, in der sich die Vollzugsorgane schließlich einfach auf ihre Gehorsamspflicht bzw. die Pflicht, Befehle ausführen zu müssen, berufen. Solche Verhältnisse dürfte auch Huang Zongxi im Blick gehabt haben, als er die „Pedanterie“ „kleingeistiger“ Amtsträger kritisierte. Vor allem autoritäre Systeme sind, sechstens, in der Lage, Kinder und Jugendliche so zu indoktrinieren, dass viele von ihnen unerschütterlich glauben, was sie glauben sollen. Das gilt insbesondere, wenn solche Systeme lange bestehen. Wie gesagt, trug der lange Bestand der Dynastien in China gewiss dazu bei, die Momente des nei fa und ba dao zu stabilisieren. Da der Anfang dieser Entwicklung in der Han-zeitlichen Verbindung legalistischer bzw. Macht-bestimmter und im Vergleich zur legalistischen Qin-Dynastie humaner Herrschaft, also im ba wang dao, zu sehen sein dürfte, existierte das kaiserliche China schließlich über 2000 Jahre. Das ist zwar eine makro-analytische Betrachtung. Aber sie erscheint insofern überzeugend, als die Han-Dynastie in einem Bürgerkrieg begründet und das heißt zunächst durch Gewalt etabliert wurde und werden musste. Außerdem war sie nicht nur ihrem expliziten Anspruch nach, sondern auch tatsächlich weniger grausam als die Qin-Dynastie und behauptete sich auch deshalb. Die in der Han-Dynastie übernommenen legalistischen und insbesondere antifeudalistisch-zentralistischen Herrschaftstechniken und eine systematische Erziehung bzw. Indoktrination im Interesse einer unantastbaren Zentalherrschaft und eines streng hierarchischen Denkens entwickelten sich dann zu
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einem sich selbst erhaltenden System. Da die Frühe Han-Zeit (206 v. u. Z. – 8 n. u. Z.) zwei Jahrhunderte bestand, konnte in ihr ein kaum zu erschütternder ideologischer und institutioneller Grund gelegt werden. Und da es auch den Herrschern bzw. Regierungen der folgenden Dynastien bewusst war, dass der Erhalt der Han-zeitlichen Herrschaftsform im Interesse ihrer Macht lag, waren sie im Allgemeinen darauf aus, sie weiter zu festigen. Siebtens sind viele Ethiken und Morallehren leicht zu missbrauchen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie stark metaphysische oder religiöse Komponenten besitzen, die überdies hochspekulativen Charakter haben. Wenn sie zudem eine asketisch orientierte Tugend predigen, die einer höheren Bestimmung des Menschen entsprechen soll, fällt der Missbrauch noch leichter. Oft ist es sogar falsch, einfach von einem Missbrauch zu reden. Derartig dunkel-spekulativ-asketische ,reine Lehren‘ sind geradezu darauf angelegt, Inhumanität zu fördern. Ähnlich wie der Platonismus in Europa übte die lixue in China eine bedenkliche Wirkung aus. Ganz allgemein gesagt, sind die weitaus meisten der seit der Han-Zeit in China offiziell favorisierten Ethiken erheblich dunkler und spekulativer als die meisten vor-Qin-zeitlichen Ethiken. Achtens gilt, dass sich keine noch so humane Ethik in die Tat umsetzen lässt, wenn entsprechende juristische Institutionen fehlen. Ohne institutionalisierte Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle, ohne institutionalisierte legale Formen des Machtwechsels usw. bleibt der gebotene Erfolg aus. Wie angesprochen, lag hierin freilich auch die größte Schwäche des klassischen Konfuzianismus selbst. Er setzte ja auf Moralität und nicht auf Institutionalisierung und Gesetzgebung, auf eine Herrschaft der Guten und Edlen und nicht des Gesetzes. Nur sehr selten vertraten ,Konfuzianer‘ andere Positionen. Huang Zongxi gehörte zu diesen raren Ausnahmen. An neunter Stelle, und abschließend, ist erneut die Versuchung der Macht zu nennen. Soweit Konfuzius und klassischer Konfuzianismus ,scheiterten‘, scheiterten sie also nicht an einer besonderen ,chinesischen Mentalität‘. Keiner der neun genannten Gründe und keine der Ursachen ist spezifisch chinesischer Art. Von der langen Dauer des kaiserlichen China abgesehen, ist nicht einmal ihre Verbindung einzigartig. Vielleicht stärker noch als das traditionelle autoritäre China charakterisiert sie regelrecht totalitäre Systeme. Und sie war denn auch für die Zeit der Kulturrevolution kennzeichnender als für das vergleichsweise dann in der Tat ,konfuzianische‘ traditionelle China. Kein Wunder, dass in der Kulturrevolution Legalismus und Qin Shihuang, sprich Gewalt, offiziell höher gehalten wurden als Konfuzius und Menschlichkeit. Im Rückblick erscheint die Rolle des Konfuzius im nach-kaiserlichen China denn fast ein wenig paradox und seltsam. Versuchte man, sich nach 1911 vom ,Konfuzianismus‘ zu distanzieren, dann, weil man glaubte, sich damit auch vom kaiserlichen China abzusetzen. Da Konfuzius selbst gewiss kein Revolutionär gewesen sein dürfte, war er, vereinzelten Versuchen zum Trotz, auch schwerlich als Symbol radikalen Wandels brauchbar. Ein fast tragischer Irrtum bestand jedoch in der impliziten Identifikation von Staatskonfuzianismus und klassischem Konfuzianismus bzw. Konfuzius. Initiatoren der chinesischen Moderne beraubten sich damit einer Quelle und eines
8.6 Klassischer Konfuzianismus in Japan
Potentials ethischer Grundlegung ihres neuen Staates. Zwar gab es immer wieder Gegenstimmen. Einer der bekanntesten Befürworter einer Art konfuzianischer Reform war dabei Kang Youwei (1858–1925), doch letztlich setzte sich die kaiserliche Tradition, Chinesisch gesprochen, das ba (wang) dao, durch: gerade das also, dem man, wie man jedenfalls sagte, solange man keine Macht besaß, ein Ende hatte machen wollen (Louie; Paul/Woesler; Schickel; Staiger u. a.). Als besonders infam erscheint im Rückblick freilich die maoistische AntiKonfuzius-Kampagne. Dabei lag das Infame nicht darin, dass ,der Weise‘ verunglimpft oder ,ein Idol besudelt‘ wurde. Es lag darin, Gewalt und intendierten Terror über die Diskreditierung universal gültiger Moral, wie sie der klassische Konfuzianismus für sich in Anspruch nehmen durfte, zu lancieren und zu rechtfertigen. Wenn Mao sich selbst mit Qin Shihuang verglich, dann hatte er jedenfalls auch insofern Recht, als er seine Politik gegen ,echte Menschlichkeit‘, ren, durchsetzen musste. Wie Qin Shihuang trug damit auch Mao dazu bei, den Mythos Konfuzius weiter zu steigern Rückblickend erscheint schließlich auch folgendes Moment interessant. Wie angedeutet, hätten gerade die nach ihrem Selbstverständnis radikalen Neuerer des 20. Jahrhunderts Konfuzius für sich reklamieren können. An Menzius und Xunzi anknüpfend, hätten sie seine tian-ming- und zhengming-Konzepte als Rechtfertigungen revolutionärer Änderungen interpretieren können. Dass sie dies nicht oder jedenfalls nicht gerade auffällig taten, lässt letztlich nur zwei Erklärungen zu. Entweder sie kannten die konfuzianische Klassik nicht zur Genüge, oder sie begriffen sie als Gefahr für sich selbst. Ersteres war sicherlich oft der Fall. Zumal dann, wenn man gelehrte Gegenstimmen gar nicht erst zur Kenntnis nahm. Letzeres aber ist auch nicht auszuschließen. In Wahrheit dürften viele ,Neuerer‘ eher Macht als Menschlichkeit angestrebt haben. So waren und bleiben der Umgang mit Konfuzius und der Entwurf von Konfuzius-Bildern in der Tat Prüfsteine chinesischer Politik, mag es auch nie ein Konfuzianisches China mit großem K gegeben haben.
8.6 Marksteine des klassischen Konfuzianismus in Japan Spätestens die in den 1990er Jahren geführten Diskussionen um ,asiatische Werte‘ und ,asiatisches Wirtschaftswunder‘ dürften auch jenen, die wenig Interesse für China und Chinesisches empfinden, bewusst gemacht haben, welch großer geographischer Raum dabei als kulturelle Einheit ins Spiel gebracht wurde. Politiker, Ökonomen und Journalisten sprachen von einer ,konfuzianischen Welt‘. In den Massenmedien war von China, Hongkong, Macao, Taiwan, Singapur, Japan, Korea, aber auch Malaysia als modernen konfuzianischen Staaten die Rede. Oder doch von Staaten, in denen traditioneller konfuzianischer Einfluss stark sein soll. Man ging so weit, die wirtschaftlichen Erfolge dieser Staaten (auch) als Leistung des Konfuzianismus zu erklären, geriet dabei jedoch spätestens mit Beginn der „asiatischen Wirtschaftskrise“ im Jahr 1997 in Erklärungsnot. Auch Repräsentanten der
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Staaten selbst stellten sich und ihre Länder gern als ,konfuzianisch‘ dar. Besonders bekannt wurden die kulturalistischen und ideologischen Einlassungen Lee Kuan Yews, der ,konfuzianische Werte‘ für wirtschaftlichen Erfolg verantwortlich machte, autoritäre oder doch patriarchalische Politik als legitimen Ausdruck konfuzianischer Identität rechtfertigte und ,den Konfuzianismus‘ zur Alternative zum ,westlichen Individualismus und Materialismus‘ stilisierte (Lee 1997). Der ,Konfuzianismus‘ und die ,Werte‘, um die es bei all diesen Darstellungen und Auseinandersetzungen ging, waren, sofern überhaupt ,konfuzianisch‘, staatskonfuzianische Ideologie, wobei so fragwürdiges Verhalten wie bedingungsloser Gehorsam und Verzicht auf moralische Autonomie und eigene Meinung als Kardinaltugend galt. Dem Spiegel vom 15. April 2002 (S. 188) zufolge lehrte Konfuzius ja seine Landsleute sogar „die Wonnen der Unterwerfung“ – ein freilich seltenes Beispiel von Ignoranz oder Lüge. Große Bedeutung wurde auch Sekundartugenden wie Fleiß und Genügsamkeit zugeschrieben. Das Ganze war bestenfalls mit neokonfuzianischer Philosophie versetzt. Klassischer Konfuzianismus spielte in den medienwirksamen Mitteilungen erst spät und dann nur in vergleichsweise geringem Umfang eine Rolle. In der Tat war die ganze Diskussion lange nur in einer Hinsicht informativ. Sie hob, wie angesprochen, die Tatsache in ein allgemeineres Bewusstsein, dass ein großer sinoasiatischer Kulturraum existiert, zu dessen Herausbildung und – wenn auch nur partiellen – Einheitlichkeit neben der chinesischen Schrift auch chinesische Philosophie und Ideologie und dabei auch konfuzianische Lehren beigetragen hatten. Im Bereich des heutigen Japan und Korea spielte chinesische Sprache und Schrift über mehr als 1000 Jahre hinweg eine ähnliche Rolle wie Latein im mittelalterlichen gelehrten Europa. In Japan schrieben Gelehrte besonders lange Chinesisch. Und viele chinesische Klassiker dürften überhaupt erst nach 1800 ins Japanische übersetzt worden sein. Erste Abschriften klassischer philosophischer Texte aber fanden spätestens im 5. Jahrhundert Eingang, und das Japan des 8. Jahrhunderts verfügte bereits über Tausende von Manuskripten der philosophischen, historiographischen und buddhistischen chinesischen Klassik. Zahlreiche andere Abschriften dieser Texte waren dabei noch früher auf die koreanische Halbinsel gelangt. Im gegebenen Zusammenhang gilt das Interesse Geschichte und Einfluss der konfuzianischen Klassik. Auch zu dieser Frage existiert eine umfangreiche Literatur (De Bary 1958; Brüll; Kodansha Encyclopedia of Japan; Paul 1993; Pörtner/Heise; Hamada; Lu 1997; Leaman; Yao 2003; Ommerborn/ Paul/Roetz). Im Folgenden sei nur auf einige Marksteine hingewiesen. Spätestens im 7. Jahrhundert waren Gelehrte in ,Japan‘ – um einer besseren Verständlichkeit willen bei diesem Ausdruck zu bleiben, der freilich nur als geographische Information verstanden werden sollte – mit der konfuzianischen Klassik vertraut. Ihre Zahl mag gering gewesen sein, aber dies ist eine andere Frage. Diese Gelehrten hatten Zugang zu Han-zeitlichen Versionen des Lunyu, Menzius und Xunzi – in sinojapanischer Lesung Rongo, Mo¯shi und Junshi – oder doch zu Textausschnitten der Werke. Dazu kamen unter anderem eine gewisse Kenntnis der Fünf Klassiker, insbesondere des Shijing, und die Kenntnis des Shiji.
8.6 Klassischer Konfuzianismus in Japan
Wir wissen das vor allem, weil es auch aus einem der ältesten überlieferten japanischen Geschichtswerke, dem 720 abgeschlossenen Nihongi, den „Annalen Japans“, hervorgeht. Das Werk ist dabei selbst ein Resultat chinesischen Einflusses, und zwar chinesischer – und partiell ,konfuzianischer‘ – Historiographie. Letzeres insofern, als das Nihongi Machtbesitz und Machtverlust auch ähnlich wie Shijing, Shujing, Lunyu, Menzius und Xunzi darstellt und erklärt. Das heißt, anders gesagt, dass es das ,Schicksal‘ der frühen Machthaber Japans in Orientierung am klassischen tian-ming- (jap. temmei-) Konzept rekonstruiert. Es leitete damit auch eine Entwicklung ein, die erst mit der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg ein Ende fand. In der Tat dürfte der wohl wichtigste Aspekt des Einflusses, den der klassische Konfuzianismus in Japan ausübte, in der mehr oder weniger kontinuierlichen Auseinandersetzung um die Gültigkeit und Anwendbarkeit des tian-ming-Konzepts auf ,japanische Verhältnisse‘ liegen. Die Grundfrage lautete, ob auch in Japan die ,chinesische‘ Theorie gelte, derzufolge allein Menschlichkeit Machtausübung legitimiere. Insbesondere wenn nationalistische Interessen ins Spiel kamen, spitzte sie sich dann weiter zu. War auch der Tenno¯, der ja lebender Gott war, zur Menschlichkeit verpflichtet, wenn er seine Herrschaft nicht verlieren wollte? Durfte man einem Tenno¯, einem Gott, überhaupt Widerstand leisten, von einer Revolution gegen ihn gar nicht weiter zu reden? Diese Fragen ließen sich zu dem allgemeineren Problem bündeln, wie weit Herrschaft in Japan den wang dao – japanisch o¯do¯, den „Weg der Könige [und der Menschlichkeit]“ – gehen solle, oder doch dem ba (wang) dao folgen dürfe, ja müsse (Maruyama; Paul 2006b, 2008e; Ommerborn/Paul/Roetz). Selbst wenn man berücksichtigt, dass das Nihongi auch erfindet, verklärt und ,parteiisch‘ darstellt, vermittelt es den Eindruck, dass das klassisch-konfuzianische Konzept von Menschlichkeit, legitimer Herrschaft und Kritik in den Jahren um die Taika-Reform, Taika no kaishin, 645–648, der Etablierung einer an China ausgerichteten Kaiserherrschaft, tatsächlich eine Rolle spielte. Zumindest muss es für die Initiatoren dieser Reform einen großen intellektuellen Reiz gehabt haben. Einige von ihnen hatten zuvor auch einige Jahre in Chang’an, der Hauptstadt des Tang-zeitlichen China, gelebt und studiert. Mit ihrem Erfolg, der Machtübernahme, mögen sich ihre Sympathien freilich wieder geändert haben (Paul 1993). Spätestens Ende des 9. Jahrhunderts war das Konzept dann faktisch fast bedeutungslos geworden; und dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die nominellen Herrscher, die Tenno¯, kaum noch politische Macht ausübten. Sie war in die Hände großer Familien übergegangen. Und daran sollte sich bis 1868, als mit der Einsetzung Meiji-Tenno¯s die japanische Moderne auch nominell begann, kaum etwas ändern. Ungeachtet der faktisch relativ geringen Bedeutung des Konzepts von Menschlichkeit, legitimer Herrschaft und Kritik blieb es, wie gesagt, freilich Gegenstand philosophischer und ideologischer Auseinandersetzung. Dabei wurde die menzianische Rechtfertigung des Tyrannenmords oft als ,fremdländisch‘ – und schon deshalb als ,schlecht‘ oder doch ungeeignet – und, wollte man es auf den Tenno¯ beziehen, als blasphemisch verurteilt. Selbst eine Novelle, ein Werk Ueda Akinaris (1734–1809), eines Anhängers der kokugaku, der „Schule der Heimat [Japan]“, spricht dieses Urteil aus. In breiten Kreisen wirksam bis Ende des Zweiten Weltkriegs blieb das Verdikt des brillanten kokugaku-Wegbereiters Motoori Norinaga
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(1730–1801) [Paul 2006b], der Menzius als illoyalen Verbrecher, weil egoistischen Aufrührer und Umstürzler brandmarkte. Norinaga verstand den Konfuzianismus überhaupt als harmoniefeindlich und (zu) rational und lehnte ihn deshalb als unjapanisch ab – und er war gewiss kein Eurozentriker. Wenngleich selten, gab es jedoch auch Philosophen, die das menzianische tian-ming-Konzept für allgemeingültig erklärten. Das bedeutendste Beispiel ist Ito¯ Jinsai (1627–1705) [Tucker 1998; Paul 2008d]. Als sich in der Meiji-Zeit (1868–1912) die gelehrte Auseinandersetzung mit ,dem Westen‘ intensivierte und es dabei auch zu einer ausführlichen Diskussion um Demokratie und Menschenrechte kam, sahen denn auch gerade einflussreiche Intellektuelle in der Lehre des Menzius einen wertvollen ,eigenen‘, weil ,östlichen‘, Beitrag zur Entwicklung akzeptabler und moderner Gesellschafts- und Staatsstrukturen. Dies war und ist insofern ein interessantes kulturpsychologisches Phänomen, weil damit das, was Jahrhunderte lang vor allem zur Abgrenzung gegen das Fremde, nämlich China, gedient hatte, über eine Identifikation mit eben diesem China wieder zum Mittel eigener Identitätsbildung wurde. Es war dieselbe Form kultureller Selbstwertbestätigung wie einst zur Zeit der Taika-Reform. Ab etwa 1890 gewannen jedoch nationalistische Interessen und Auffassungen erneut an Einfluss. Am Ende dieser Entwicklung stand dann ein imperialistischer und militaristischer Chauvinismus, der Japan schließlich auch in den Zweiten Weltkrieg und in die Niederlage führte. Es braucht nicht betont zu werden, dass dies eine Phase der japanischen Geschichte war, in der Zustimmung zur klassischen tian-ming-Doktrin geradezu als Hochverrat gelten musste (Paul 2006b; Ommerborn/Paul/Roetz). Anders als das Menzius war das Lunyu nie Mittelpunkt solch öffentlicher oder gar offizieller Auseinandersetzung. Nichtsdestoweniger übte es beträchtlichen Einfluss aus. Einmal wurde es zur Pflichtlektüre in der bereits um 700 gegründeten und ein Jahrhundert lang durchaus wichtigen Hochschule (daigaku). Zum zweiten aber wurde es, zumindest partiell, Pflichtteil zahlreicher anderer Curricula. Und dies wiederum galt bis 1868. Über den, seit dem 17. Jahrhundert massiven, Einfluss der lixue, die in Japan unter dem Namen shushigaku, „Lehre Zhu Xis“, Verbreitung fand, war es auch als eines der Vier Bücher gängiger Lehr- und Lernstoff. Als sich im 18. Jahrhundert Ito¯ Jinsai (1627–1705) und Ogyu¯ Sorai (1666–1728) [Tucker 2006] kritisch gegen die ,unkonfuzianischen‘ Züge der shushigaku wandten, kam es im gelehrten Japan gar zu einer philologisch wie philosophisch interessanten Neubewertung von Lunyu, Menzius und Xunzi. Wie angedeutet, stellte dabei insbesondere Jinsai das für das Lunyu charakteristische Konzept der Menschlichkeit und die Rationalität der Lunyu-Lehren heraus und trat als einer der wenigen Gelehrten in der Geschichte Japans auch für das menzianische Konzept des ,Tyrannenmordes‘ ein (Tucker 1998; Paul 2008d). Die shushigaku griff er in ähnlicher Weise an, wie es oben skizziert ist (De Bary 1958: 410–422; Paul 1989). Sorai war vielleicht stärker vom Xunzi beeinflusst (De Bary: 422–433; Lidin 1970). Ito¯ und Sorai wurden damit zu den wichtigsten Vertretern der kogakuha, der „Schule der alten [konfuzianischen] Lehre“. Neben shushigaku und kogakuha und zahlreichen sozusagen individualistisch-unorthodoxen Formen des ,Konfuzianismus‘ entwickelte sich in Japan
8.6 Klassischer Konfuzianismus in Japan
auch eine Variante der auf Wang Yangming zurückgehenden xinxue. Nach ¯ Yo¯mei wird sie als yo¯meider sinojanischen Lesung des Gründernamens O gaku, „Lehre [Wang] Yangmings“, bezeichnet. In einer prononcierten Aufnahme menzianischer Konzepte sie wurde u. a. zu einem Rechtfertigungsgrund politischer Aufstände (Ommerborn/Paul/Roetz). Ein wieder anderes auffälliges Charakteristikum der Konfuzius-Rezeption war der elaborierte Konfuzius-Kult, der schon früh entstand und bis 1868 gepflegt wurde. Er nahm jedoch nie den Umfang und die Intensität buddhistischer Zeremonien an. Im 20. und 21. Jahrhundert äußert er sich noch als Tourismus. So wird etwa gern der – freilich erst aus dem 19. Jahrhundert stammende – Konfuzius-Schrein Nagasakis besucht. Und ein Reflex eines populären Interesses, das der Gestalt des Konfuzius (jap. Ko¯shi) noch im 20. und 21. Jahrhundert gilt, sind Konfuzius-Ausstellungen, romanhafte Biographien wie die des berühmten Schriftstellers Inoue Yasushi (1907–1991), Bücher über Konfuzius und Management und die unzähligen Devotionalien, die die Konfuzius-Schreine zum Verkauf anbieten. Der ,Konfuzianismus‘ fand zunächst über die Koreanische Halbinsel Eingang nach Japan. Schon im 5. Jahrhundert dürften einzelne ,koreanische‘ Gelehrte erste Abschriften konfuzianischer Klassiker mit nach Japan gebracht haben. Jedenfalls existiert eine durchaus plausible Überlieferung, der zufolge der Text des Lunyu bereits damals nach Japan gelangte (Paul 1993). Die Nähe ,Koreas‘ zu China hatte es mit sich gebracht, dass konfuzianische Lehren und Schriften dort noch einige Jahrhunderte früher als in Japan bekannt geworden waren. Es führte zu weit, die Geschichte des Konfuzianismus auch in Korea zu skizzieren. Es muss ausreichen, darauf aufmerksam zu machen, dass auch jener Raum auf eine sehr lange sinoasiatische und ,konfuzianische‘ Kultur zurückblicken kann. Dabei nahm ,der koreanische Konfuzianismus‘ in vielerlei Hinsicht durchaus spezifische Gestalt an. Ausgehend von der chinesischen lixue, entwickelte man einen noch schärferen, radikalen li-qi-Dualismus, der dann seinerseits auch die Formierung der japanischen shushigaku mitbestimmte. Jedenfalls war der Einfluss ,des Konfuzianismus‘ im traditionellen gelehrten Korea gewiss nicht geringer als in Japan oder in China selbst. Noch im 21. Jahrhundert existiert in Seoul eine angesehene Universität, die durchaus als ,konfuzianische Hochschule‘ bezeichnet werden kann. Einen ersten knappen und klaren Überblick der Geschichte des Konfuzianismus bietet eine UNESCO-Veröffentlichung über „koreanisches Denken“ (Main Currents of Korean Thought: 60–81). Etwas weiter führt Chois A Modern History of Korean Philosophy, das freilich vor allem die koreanische lixue behandelt. Die bislang wohl instruktivste Darstellung in einer westlichen Sprache dürfte jedoch Yaos RoutledgeCurzon Encyclopedia of Confucianism (2003) einschließen, und dies ungeachtet ihres Lexikonformates. Über Auswanderungen und Kriege wurden chinesische Kultur und ,Konfuzianismus‘ schließlich noch weit über den koreanischen und japanischen Raum hinaus verbreitet. So dürfte zum Beispiel die Flucht loyaler Ming-Anhänger vor den Mandschu bzw. der Ching-Dynastie mitbestimmend, wenn nicht gar entscheidend dafür gewesen sein, dass sich auf Taiwan eine ,neokonfuzianische‘ Kultur durchsetzte (Paul 1990: 153, Anm. 61). In anderen Staaten Südostasiens – wie insbesondere in Singapur, Malaysia und auf den
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Phillipinen – aber bildeten sich jene ,China towns‘ und großen chinesischen Kommunen, die Ende des 20. Jahrhunderts zu den Trägern wirtschaftlichen Aufschwungs gehörten. Ihre Erfolge, fälschlich ,dem Konfuzianismus‘ zugeschrieben, und der Neid, auf den sie damit stießen, ließen sie ja zum Thema auch deutscher Massenmedien werden.
9 Zeitlose Relevanz und sinnstiftender Charakter konfuzianischer Lehren 9.1 Aktualität und Relevanz nach 2000 Jahren und in ,fremden Kulturen‘? Es ist Teil der Schematik so gut wie jeder Auseinandersetzung mit prägenden Gestalten der Menschheit, nach ihrer Aktualität zu fragen. In gängigen Konfuzius-Darstellungen reicht das Spektrum dabei vom Feld individueller Lebenshilfe bis zur Weltpolitik. Aber überfordern wir da Konfuzius nicht? Zumal wir ihn kaum kennen? Und was vermag ein Werk wie das Lunyu, dessen Inhalt bis ins 6. Jahrhundert v. u. Z. zurückgeht und das aus ,einer anderen Welt‘ stammt, Europäern des 21. Jahrhunderts zu bieten? Ich habe die Fragen oben (S. 91 f.) beantwortet: Zeit und Ort der Herkunft ungeachtet, sind viele Lehrstücke des Lunyu schlichtweg von universaler oder potentiell universaler Gültigkeit und Relevanz. Aber wie ist dies bei der großen zeitlichen und räumlichen Distanz zu erklären? Neben den wiederholt betonten Merkmalen der Lunyu-Lehren wie insbesondere ihrer Konsistenz, Empirizität und allgemeinmenschlichen Humanität verdienen weitere Gründe besondere Beachtung. Platonismus und lixue sind zum Beispiel ungeeignet, eine entsprechende Aktualität wie der klassische Konfuzianismus zu gewinnen. Einmal sind manche ihrer Lehrstücke einfach ungültig. Zweitens sind sie zu spezifisch und zu spekulativ. Drittens tragen sie gerechtfertigten menschlichen Interessen und Neigungen nicht hinreichend Rechnung. Viertens, und dies trifft erneut Aspekte der ersten drei Punkte, sind sie einfach zu radikal. Dabei besitzen sie auch fundamentalistische Züge. Fundamentalismus ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass er es nicht zulässt, ein spezifisches Lehrstück zu verallgemeinern und dennoch wirksam werden zu lassen. So kommt es etwa einem tiefgläubigen Muslim darauf an, an Allah und nicht nur an einen einzigen Gott zu glauben. Heilsrelevant ist nach seiner Überzeugung allein sein spezifischer Glaube und nicht einfach ein Monotheismus. Dagegen lässt sich Aristoteles’ Konzept der rechten Mitte durchaus auf alle Menschen ausdehnen. Aufgrund seiner Methodik, seiner Formulierungen und seiner Konzentration auf das unmittelbare menschliche Leben und nicht etwa auf eine Existenz in einem jenseitigen Paradies gehört das Lunyu zu jenen Werken, deren Lehren, sofern nicht ohnehin allgemein, so doch zumeist außerordentlich leicht zu verallgemeinern sind, ohne dabei vage zu werden. Auch dies wirft ein bezeichnendes Licht auf den vorsichtigen, moderaten Ton des Textes und die für seine Doktrinen charakteristische Verbindung von Grundsätzlichkeit und Flexibilität. Und konsequenterweise auch auf den – sofern damit fassbar – historischen Konfuzius. Ein weiteres Merkmal des Fundamentalismus ist Intoleranz. Dem Lunyu fehlt die scharfe Polemik des Menzius und Xunzi. Soweit der Ton kritisch
Das Lunyu: das Gegenteil eines fundamentalistischen Textes
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ist, ist er meist ironisch oder sarkastisch. Anders als das Xunzi, dass doch selbst emphatisch Toleranz fordert, verlangt das Lunyu kaum harte Strafen für ,Andersdenkende‘, die keine Belehrung annehmen wollen. Die Frage der Beseitigung einer Schreckensherrschaft gehört dabei in eine eigene Kategorie. Falls der Ton die Musik macht, so erscheint der Konfuzius des Lunyu bei aller Forderung nach Selbstkultivierung und ren eher nachsichtig, tolerant, duldsam oder einfach uninteressiert. Der Versuch, die rujia-Lehren zu identifizieren, die sich als allgemeingültig ausweisen lassen und die dabei mit Überzeugungen vereinbar sind, welche mit guten Gründen dem historischen Konfuzius zugeschrieben werden können, zwingt dazu, die folgenden Doktrinen auszuschließen. Mythen, Legenden und exotisierende Interpretationen sind dabei gar nicht erst genannt. (1) Die in Kapitel X des Lunyu implizierte Ritentheorie, die auf eine – mitunter lächerliche und groteske – Pedanterie hinausläuft. (2) Die Idee einer strikten dreijährigen (aufreibenden) Trauerzeit, die Söhne für ihre verstorbenen Eltern einzuhalten hätten. (3) Die Idee, dass Familienbande, Freundschaften und politische Hierarchien prinzipiell höhere moralische Normen konstituierten als dao oder ren. (4) Die Befürwortung unbegründeter, grausamer Strafe, wie sie in einem Konfuzius zugeschriebenen Todesurteil zum Ausdruck kommt – einem Urteil allerdings, das das Lunyu gar nicht erwähnt und dessen Historizität auch aus anderen Gründen strittig ist. (5) Die Idee, dass religiöse Werte über säkularen moralischen (oder ethischen) Werten stünden. Bei allen fünf Ideen oder Lehrstücken handelt es sich freilich um Vorstellungen, die dem historischen Konfuzius kaum mit guten Gründen zugeschrieben werden können. Wie zu zeigen gesucht, sprechen vor allem philologische (textgeschichtliche) Argumente, Konsistenzkriterien und empirische Implausibilität dagegen. Wie eingeräumt, ist diese Sicht jedoch nicht unumstritten. Einzelne Interpreten schreiben die ein oder andere Auffassung auch dem historischen Konfuzius zu. So hält etwa Ann-ping Chin (2009) die mit 1, 3 und 4 angesprochenen Überlieferungen für glaubwürdig, und insbesondere christliche Missionare verstanden das unter Punkt 5 angesprochene tian- bzw. Himmels-Konzept als Begriff göttlicher Autorität und höchster moralischer Instanz. Um einer systematischen Vollständigkeit halber sei einmal angenommen, sie hätten recht – so implausibel das auch sein mag. Dann beeinträchtigte dies die vorgeschlagene (Re)konstruktion konfuzianischer Lehren als gültiger Philosophie – oder als Konstituenten einer gültigen Philosophie – in keiner Weise; denn Geltung ist nur einmal unabhängig von Genesis. Selbst Vorwürfe wie die, dass die Rekonstruktion dem historischen Konfuzius nicht gerecht werde, da er in seiner spezifischen Situation sozusagen nicht anders hätte denken und handeln können, als er es tat, und Gültigkeitserwägungen deshalb unangemessen seien, wären belanglos. Sie wären einfach unzutref-
9.2 Marksteine der europäischen Rezeption seit der jesuitischen Mission
fend; denn wie zu zeigen versucht, hatte Konfuzius ja Alternativen. Wie die Mohisten hätte er sich z. B. noch entschiedener, als er es nach dem Lunyu tat, gegen einen übertriebenen Ritualismus wenden, wie sein im Lunyu genannter Gesprächspartner klar gegen bedingungslose kindliche Ergebenheit Stellung nehmen und wie zeitgenössische Atheisten deutlich gegen einen Gottesglauben (den Glauben an einen göttlichen Himmel) argumentieren können. Es war nun einmal eine Zeit konkurrierender Philosophien. Wie auch kaum anders vorstellbar, ist ein Kontextualismus, der auf Unvergleichbarkeit zielt und Gültigkeitsfragen als unzulässig erweisen will, zum Scheitern verurteilt.
9.2 Marksteine der europäischen Rezeption seit der jesuitischen Mission: Von der Berufung auf Konfuzius und Konfuzianismus als rationale Korrektive religiösen Streits und Wahns über ihre Diskreditierung als Sammelsurium der Banalitäten bis hin zur Empfehlung als moderne Alternative zum ,westlichen Rationalismus‘ Europa lernte den Konfuzianismus zunächst in neokonfuzianischer Gestalt oder doch neokonfuzianischer Interpretation kennen. Im 17. Jahrhundert vermittelten jesuitische Missionare die ersten umfassenderen und detaillierten Informationen. Bahnbrechend war dabei Matteo Ricci (1552–1610), die überragende Figur der jesuitischen China-Mission überhaupt. Um 1600 übersetzten er und Michele Ruggieri (1543–1607) die Vier Bücher ins Lateinische. Lange Zeit sollen Abschriften in Gebrauch gewesen sein. Und wenn auch keine von ihnen erhalten blieb oder nach Europa gelangte, so machte die Arbeit doch Epoche. Sie wurde zur Grundlage des Confucius Sinarum Philosophus, das schließlich 1687 in Paris erschien und eine kommentierte Übertragung von Lunyu, Zhongyong und Daxue einschloss (Mungello 1989: 247 ff.; Malek 1998 II: 1141 ff.). Wie andere Aufklärer, die enge Kontakte zu den Jesuiten pflegten, um möglichst viel über chinesische Philosophie zu erfahren, erwarb auch Leibniz (1646–1716) noch im selben Jahr ein eigenes Exemplar. Sein Interesse resultierte in eigenen Studien. Die Wichtigsten waren die Novissima Sinica, „Das Neueste von China“, und der Discours sur la Théologie naturelle Chinoise, „Der Diskurs über die natürliche Theologie der Chinesen“ (Leibniz 1979 und 1968). Die erste Schrift verfasste Leibniz 1697. Die zweite entstand in seinem Todesjahr als Teil eines Briefes (der nicht mehr abgeschickt wurde). Der Jesuit François Noël (1651–1721) veröffentlichte 1711 in Prag eine erweitere, überarbeitete Sammlung von Übersetzungen, die dann auch das Menzius und außerdem das Xiaojing, den „Klassiker kindlicher Pietät“, und die Xiaoxue, „Lehren für Jüngere“, einschloss (Mungello 1989: 258). Neben
Jesuitische China-Mission, Leibniz und Wolff
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Konfuzianische Kritik am christlichen Gottesglauben
vielen anderen war in der Folge auch Leibniz’ Schüler Wolff an chinesischer Philosophie interessiert. Unter dem Titel Oratio de Sinarum philosophica practica, „Rede über die praktische Philosophie der Chinesen“, widmete er ihr 1721 sogar seine Rektoratsvorlesung (Wolff; Paul 2008a). Zumindest das gelehrte Europa der frühen Aufklärung beurteilte Konfuzius äußerst positiv. Zugleich war es auch eine Zeit der Chinoiserien. Die Literatur zu dieser Rezeptionsphase ist unübersehbar (Leibniz; Wolff; Creel: 254 ff.; von Collani; Mungello; Malek; u. a.). Im gegebenen Zusammenhang kann nur auf die wichtigsten Charakteristika der Aneignung hingewiesen werden. Sie sind fast zu erschließen. Nach den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) und des religiösen Wahns musste man ,den Konfuzianismus‘ und ,die Lehren des Konfuzius’ geradezu als rational, vernünftig und eben auch als ,human‘ empfinden. Die Jesuiten, allen voran Ricci, hatten versucht, die ,konfuzianischen‘ Klassiker ähnlich wie etwa die Werke Platos auch als frühe, undeutliche Artikulation eines prinzipiell allen Menschen zugänglichen Vernunftglaubens an ,den einen Gott‘ – tian, (shang)di – zu interpretieren. Kritisch gegenüber der lixue, bezogen sie sich dabei bezeichnenderweise vor allem auf Shujing und Shijing, die sie ja als Werke des Konfuzius auffassten (Mungello 1989: 56–58). Soweit überhaupt noch verhanden, richtete sich nach 1648 auch das philosophische theologische Interesse außerhalb der Kirchen auf die Frage nach einer rationalen oder natürlichen Theologie. Oder es galt Konzepten einer Art einfacher natürlicher Religiosität. Und schließlich begriff man ,den Konfuzianismus‘, wie in gewisser Weise etwa Voltaire (1694–1778), als gültige und überzeugende atheistische, agnostizistische und jedenfalls religionskritische Sicht. Eben das wurde dann auch Wolff zum Verhängnis, der seine Rede mit dem Verlust seiner Professur und der Ausweisung aus Preußen büßte. König Friedrich Wilhelm I. (reg. 1713–1740), der Vater Friedrichs ,des Großen‘ (reg. 1740–1780), hatte sich dem Vorwurf des Atheismus angeschlossen und Wolff unter Androhung der Todesstrafe aufgefordert, das Land zu verlassen. Friedrich der Große gab Wolff dessen Professur freilich wieder zurück. Die generell zustimmende, ja bewundernde (gelehrte) Einschätzung der religionskritischen und allgemeiner Menschlichkeit verpflichteten Züge des Konfuzianismus kommt besonders gut in einem Text zum Ausdruck, den Friedrich 1760 veröffentlichte. In einem fiktiven Brief lässt er einen Chinesen die katholische Eucharistie und Inquisition beschreiben, wie sie sich ihm – aus unbefangener, rationaler chinesischer Sicht – darstellen: „Wenn [die Christen in der Verwandlung von Brot und Wein] einen Gott gemacht haben, essen sie ihn auf. Einen so seltsamen Gottesdienst hätte der große Konfutse lästerlich und anstößig empfunden.“ Die katholische Überzeugung, dass die Rettung der ewigen Seele eines Ketzers dessen Hinrichtung erforderlich machen könne, kommentiert der Briefschreiber mit den Worten: „O Konfutse, Konfutse! […] Was würdest du sagen, wenn du solche Ruchlosigkeiten hörtest!“ (Zit. nach Zotz: 111). Chinesische und japanische Gelehrte schon des 17. Jahrhunderts, gleich ob ,Konfuzianer‘ oder ,Buddhisten‘, kritisierten den Katholizismus in der Tat auch auf solche Weise (Kern 1992; Elison).
9.3 Zufriedenheit, Glück und Lebenssinn
Einige Jahrzehnte später schlug diese Einschätzung der gelehrten Aufklärung in ihr Gegenteil um (Roetz 1984: 1–66, insbes. 15–66; Lee 2002; Lühmann; u. a.). Ansätze finden sich schon bei Kant (1724–1804), der die konfuzianischen Lehren als Banalitäten abtat. Hegel (1770–1831) urteilte ähnlich, und kreidete ,dem Konfuzianismus‘ zudem an, hinter der Entwicklung der Philosophie zurückgeblieben zu sein, ja aufgrund seiner Beschaffenheit gewissermaßen als Denken des Stillstands notwendig im Status quo zu verharren. Entscheidend für die Geringschätzung aber dürfte gerade das gewesen sein, was vielen Aufklärern als Vorzug galt: nüchterne, diesseitsgewandte Rationalität, der jedenfalls das spekulative Interesse an Ontologie und Metaphysik abging, dem der ,Deutsche Idealismus‘ erlag. Die Befunde und Aspekte der Hegel’schen Kritik wirken bis in 21. Jahrhundert nach. Nur schlug schließlich die Geringschätzung erneut in Bewunderung um: im Zuge von Metaphysik-Kritik, Post-Modernismus und der Diagnosen eines verderblichen ,westlichen Rationalismus‘ entdeckte man Konfuzius und Konfuzianismus als ästhetische Alternative zum westlichen Logozentrismus (Hall/Ames). Wie sehr eine solche Bewertung die Philosophie von Lunyu, Menzius und Xunzi verfehlt, sollte klar geworden sein. Europa lernte und lernt also tatsächlich von Konfuzius und Konfuzianismus. Genauer gesagt, gelang es seit dem 17. Jahrhundert immer wieder, die Auseinandersetzung mit konfuzianischen Lehren zur Entwicklung von Einsichten oder Überzeugungen zu nutzen, mit denen man als Mängel und Fehler begriffene Erscheinungen korrigieren wollte. Dass dabei die Interpretationen mitunter extrem weit auseinandergingen, lag gewiss auch daran, dass für treffendere Urteile hinreichende Kenntnisse fehlten.
9.3 Zufriedenheit, Glück und Lebenssinn So leicht es fällt, geschichtliche Entwicklungen in gewissermaßen makroskopischer Form und über die Formulierung von Marksteinen zu rekonstruieren, so unbefriedigend ist dies in mancher Hinsicht. Man mag sich fragen, wie sich denn die ganze jesuitische und aufklärerische ,Konfuzianismus-Rezeption‘ tatsächlich auf das Leben von Menschen, die vielleicht nie den Namen Konfuzius hörten, auswirkte oder auswirken konnte. Dass sie nicht wirkungslos blieb, ist zwar leicht einzusehen. Man denke nur an solch extreme Fälle wie den Marxismus und dessen Geschichte. Es ist gewiss auch dem Marxismus zu verdanken, dass wir, wenn auch am Ende einer langen Entwicklung und vielfach vermittelt, in den Genuss sozialer Errungenschaften kommen, die selbst unser Alltagsleben zu Hause prägen. Im Falle des Konfuzianismus liegen die Dinge nicht so einfach. Aber prinzipiell dürfte es möglich sein, individuelle Beispiele zu identifizieren und darzustellen, die seinen historischen Einfluss auch im ,mikroskopischen Bereich‘ demonstrieren. Problematischer ist es zu zeigen, dass jedenfalls der klassische Konfuzianismus auch insofern bleibende existentielle Relevanz besitzt, als er eine beeindruckende Antwort auf die ,Sinnfrage‘ anbietet. So scheiden sich die Geister faktisch bereits an der Frage, ob man sein Leben (auch) religiös ausrichten solle.
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9 Zeitlose Relevanz und sinnstiftender Charakter Klassischer Konfuzianismus: keinem Gottesglauben förderlich
Eine konfuzianische Antwort auf die Sinnfrage
Sinnbestätigung ohne Religion: Selbstachtung sowie Anerkennung durch andere Verächtlich: Liebedienerei, Strebertum und Orientierung an rein äußerlichem Erfolg
Unprätensiöser, alltäglicher Heroismus
Die Relevanz von Konsistenz, Ästhetik, und Kultur
Ungeachtet der Versuche der Jesuiten und der Bemühungen Leibniz’ dürfte nicht zu bestreiten sein, dass Lunyu, Menzius und Xunzi kaum als Empfehlungen für einen Gottesglauben lesbar sind, und sei dieser Glaube noch so rational. Das Xunzi vertritt einen Atheismus. Im Menzius und Lunyu besitzt der Ausdruck tian, „Himmel“, zwar noch so etwas wie eine numinose Konnotation. Aber es bleibt eine kühne und angesichts möglicher Alternativen implausible Hypothese, ihn als unbestimmte Bezeichnung für einen und womöglich gar ,den einzigen Gott‘ zu interpretieren – wie es, seinen missionarischen und christlichen Interessen erliegend noch Richard Wilhelm tat (VII:23: 42, XI:9: 64, Wilhelm 1989: 86 und 114). Beschränkt man sich im Wesentlichen auf eine Reflexion der konfuzianischen Einstellung, die das Lunyu zeichnet, so ist von einer skeptischen oder agnostizistischen Haltung auszugehen. Die zeitlos aktuelle existentielle Relevanz dieser Position ist dann freilich fassbar. Ist man davon überzeugt, dass man sein Leben in Orientierung an den Erfordernissen dieser Welt, und womöglich allein an den Erfordernissen dieser Welt zu führen hat, dann stellt sich die Sinnfrage mit besonderer Schärfe. Ob bewusst und absichtsvoll oder nicht, bleibt einem dann letztlich, vielleicht gar faktisch, nur eine Sinnbestätigung, die Selbstachtung und Anerkennung durch andere miteinander verbindet. Eine solche Verbindung wiederum ist überhaupt nur möglich, wenn man in entsprechend problematischen Situationen moralisch autonom denkt und handelt. Selbstachtung kann schon dann leiden, wenn man einem Vorgesetzten schmeichelt. Und dies ist nur ein harmloses Beispiel. Wenige Verhaltensweisen kritisiert der Konfuzius des Lunyu so scharf wie Liebedienerei, Strebertum und Orientierung an rein äußerlichem Erfolg, und zwar auch deshalb, weil man im Grunde selbst damit kaum einverstanden sein kann, mag man sich auch Zufriedenheit oder Glücksgefühl vorgaukeln. Man gibt mit solchen Verhaltensweisen prinzipiell unverzichtbare Möglichkeiten der Selbstbestimmung aus der Hand. Andererseits mag der äußere Erfolg tatsächlich ausbleiben. Oder man mag angegriffen, beleidigt und lächerlich gemacht werden. Dann kann uns das kritische Bewusstsein, nichtsdestoweniger richtig zu denken und zu handeln, die Selbstachtung und Souveränität geben, die es uns gestatten, zufrieden und glücklich zu sein, uns selbst zu belächeln, mitzulachen, mit den Schultern zu zucken und letztlich selbst dann unbekümmert zu bleiben, wenn andere glauben, wir seien noch dümmer als zunächst vermutet. Der Konfuzius des Lunyu blieb gelassen, als er Hunger litt. Er glaubte an die Resistenz moralischer Autonomie, als er bedroht wurde. Dabei war er sich der Ironie eines Weltverbesserertums wohl bewusst. Er war bemüht, sich nicht über eigene Schwächen hinwegzutäuschen und den Fehler eher bei sich als bei anderen zu suchen. Nach dem Shiji konnte er mitlachen, als man ihn mit einem streunenden Hund verglich: eine Episode übrigens, die zu den populären Zügen des traditionellen Konfuzius-Bildes zählt. Konfuzius’ Art des unprätentiösen alltäglichen Heroismus hat damit etwas ungemein Modernes an sich. Weit davon entfernt, als Alternative zum ,westlichen Rationalismus‘ reklamiert werden zu können, trat er überdies entschieden für klares und konsistentes Reden und Handeln ein. Dass er damit nicht für Grobheit und Un-
9.3 Zufriedenheit, Glück und Lebenssinn
geschliffenheit plädierte, sondern für ansprechende Formen argumentierte, relativiert dies in keiner Weise. In der Tat gewinnen Ästhetik, schöne Form, Kultur und Zivilisation an Wert und entwickeln sinnbildende Kraft, wenn es um ein Leben in dieser Welt geht. Letztliches Beharren auf moralischer Autonomie darf nicht mit der Unterdrückung von Gefühlen gleichgesetzt werden. Vielmehr ist es möglichst mit Gefühlen zu verbinden. Insbesondere das moralische Gefühl der Selbstachtung, aber auch etwa Stilempfinden sind ihm förderlich. Schon für sich genommen, kann kultiviertes, zivilisiertes Miteinander eine Quelle zumindest der Zufriedenheit und sogar der Lebensfreude sein. Schöne Konventionen werden im Allgemeinen nur dann zu einer Belastung, wenn sie lediglich äußeren Zwecken – der Sicherung eines Geschäfts oder einfach der Annahme einer unabweisbaren Einladung – dienen und damit einen gezwungenen Charakter annehmen. Sie sind dann freilich auch nicht mehr ,schön‘. Das im Lunyu angelegte und im Xunzi ausgeführte Konzept einer ästhetischen Erziehung, die über die Habitualisierung ästhetisch befriedigenden Verhaltens zum moralischen Verhalten führt, ist gewiss nur eingeschränkt realisierbar. Schiller, der dieses Konzept in Europa ausarbeitete, betonte, dass die Umsetzung eine Befriedigung der Grundbedürfnisse voraussetze. Wer hungert und obdachlos ist, zeigt kaum ästhetisches Interesse. Konfuzius dürfte ähnlich gedacht haben. Lebt man jedoch im Wohlstand, so besitzt das Konzept Relevanz. Im Übrigen aber können Konventionen einfach entlasten und stabilisieren. Doch drängt sich die Frage auf, ob die existentielle Relevanz, die Konzept und Vorbild eines unprätentiösen alltäglichen Heroismus und eines kultivierten Miteinanders besitzen mögen, nicht allzu bescheidener Art sei. Und weiter, ob es zu ihrer Feststellung überhaupt einer Inanspruchnahme des klassischen Konfuzianismus bedürfe. Während die erste Frage zu verneinen ist, ist die zweite zu bejahen. Gewiss gab es auch in Europa zahlreiche Philosophien, Aphorismensammlungen, Sentenzen und Lebensweisheiten, die sich in nüchterner und unmissverständlicher Form auf ein Leben hier und jetzt bezogen bzw. beziehen. Dazu gehören insbesondere Lehren der Stoa – die die Jesuiten denn auch oft zitierten, wenn sie gelehrten chinesischen Freunden die Verwandtschaft ihrer Überzeugungen mit konfuzianischen Auffassungen demonstrieren wollten, wobei sie im Übrigen gern die ,europäische‘ wie ,konfuzianische‘ Norm ins Spiel brachten, dass Freundschaft frei von Schmeichelei, aber offen für kritischen Austausch sein sollte (Malek/Zingerle: 185 ff.). Auch Texte wie Gracians (1601–1658) Handorakel oder Lichtenbergs (1742–1799) Aphorismen zählen dazu. Und selbst Agnostizismus und Atheismus sind unabhängig von ihren Formen in China auch in Europa formuliert und vertreten worden. Der klassische Konfuzianismus gewinnt seine Relevanz vor allem aufgrund zweier Besonderheiten. Ersterns rechtfertigt er seine Lehren in weithin Metaphysik-freier und dennoch differenzierter Weise. Zweitens konnte er von vielen Menschen über viele Jahrhunderte hinweg tatsächlich gelebt werden. Anders als vergleichbare, in Europa entwickelte Konzeptionen, die wegen ihrer relativen Rarität zweifelhaft scheinen mögen, ist seine sozusagen existentielle Relevanz bewiesen.
Das klassischkonfuzianische Konzept ästhetischer Erziehung
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Es ist bezeichnend, dass eine intensive akademische Auseinandersetzung mit dem klassischen Konfuzianismus zu einer erneuten Aufwertung etwa der Stoa führt (Rappe). Darauf hinzuweisen, ist keine Abschweifung, sondern ein Indiz dafür, dass das, was tatsächlich allgemein und zeitlos relevant ist, sich schließlich vielleicht doch zur Geltung bringen lässt oder zur Geltung kommt, ob nun über Lebenserfahrung oder akademische Untersuchungen. Nun gibt es freilich auch im 21. Jahrhundert genug Menschen, die auf ihren Glauben und insbesondere ihren Glauben an einen Gott nicht verzichten wollen. Wer dabei nur seinen eigenen spezifischen Glauben für heilsrelevant hält, wird dem klassischen Konfuzianismus, treffend verstanden, wenig abgewinnen können. Er mag einige Sentenzen als isolierbare Alltagsweisheiten anerkennen. Wer allerdings wie einst Ricci davon überzeugt ist, dass der Gott, an den er glaubt, sich in den unterschiedlichsten Formen und in den verschiedensten Kulturen offenbarte, der mag den jesuitischen Weg radikal weitergehen. Am Ende stünde allerdings ein Gottesglaube, der, um nur zwei Bespiele zu geben, weder christlich noch muslimisch, sondern bestenfalls allgemein philosophisch zu nennen wäre. Einige christliche Theologen haben diesen Weg tatsächlich beschritten. Mit ihrer, wie sie sagen, „pluralistischen Theologie der Religionen“ vertreten sie die Hypothese, dass bestimmte Formen des Gottesglaubens – wie zum Beispiel Christentum und Islam – prinzipiell dieselbe Heilsrelevanz besäßen (SaThZ). Wird der Versuch gemacht, den klassischen Konfuzianismus einzubeziehen, so dürfte freilich schon die Annahme eines persönlichen Gottes zu einem Problem werden. Abgesehen davon, stellte sich die begriffspragmatische Frage nach der Berechtigung, das Lunyu einen (auch) religiösen Text und Konfuzius gottgläubig zu nennen – wiewohl mancher Ansatz auch in diese Richtung geht. Vereinzelte Versuche, grundsätzliche Übereinstimmungen von ,Konfuzianismus‘ und Christentum nachzuweisen, die über die Kongruenz ethischer Grundprinzipien und Normen wie zum Beispiel der Goldenen Regel hinausgehen (Ching), bleiben fraglich. Beschränken sie sich jedoch auf die Feststellung solch rein ethischer Übereinstimmungen, so bringen sie ja gar keine (christlich-)religiösen Faktoren ins Spiel.
9.4 Die Menschenrechtsfrage Im Zuge der Menschenrechtsdiskussion der 1990er Jahre wurde ,der Konfuzianismus‘ auch zum Gegenstand öffentlicher Außenpolitik und zum Thema der Massenmedien. Der damalige deutsche Außenminister Klaus Kinkel sprach von einem „konfuzianischen Menschenrechtsverständnis“, das sich vom „abendländischen Verständnis“ unterscheide, und gab damit zumindest Anlass zu kulturrelativistischen Interpretationen. Sein Ansatz stieß deshalb auch auf Kritik (Paul 1998b). Im Kontext der Auseinandersetzung um ,asiatische Werte‘ ging es ebenfalls weithin um die Menschenrechtsfrage (Paul 2008b). Doch wurde die Diskussion dabei auch durch andere Faktoren geprägt. Es sei nur an Samuel Huntingtons Hypothese vom „clash of civilizations“, dem „Zusammenstoß der Kulturen“ erinnert (Hun-
9.4 Die Menschenrechtsfrage
tington). Nach Ende des Kalten Krieges, so Huntington, gehe die größte Gefahr für den Frieden von den schier unüberbrückbaren kulturellen Unterschieden aus, wie sie etwa zwischen dem ,christlichen Westen‘ und dem ,Konfuzianismus‘ bestünden. Grob gesagt, wurde die Diskussion auf vier Ebenen und dabei einmal in engerem und einmal in weiterem Kontext geführt. Und dies ist auch über die Wende zum dritten Jahrtausend hinaus so geblieben. Es gab – und gibt – Menschenrechts- und Werte-Diskurse auf philosophischer, juristischer, politischer und massenmedialer Ebene. Während politische und massenmediale Auseinandersetzungen lange Zeit fast ausnahmslos gängige Klischees über ,den Konfuzianismus‘ und dessen (angebliche) Normen der Gehorsamkeit und Gruppenautorität kolportierten, führten die philosophischen Auseinandersetzungen zu einer differenzierten Rekonstruktion des ,Konfuzianismus‘ und dabei vor allem zu einer Erkenntnis der humanen Ressourcen des klassischen Konfuzianismus. Dies war und ist weder eine neue noch eine ,eurozentrische‘ Einsicht. Sie fand sich, um daran zu erinnern, etwa bei Huang Zongxi, Dai Zhen und Ito¯ Jinsai. Und sie wurde auch im modernen China (seit 1912) immer wieder artikuliert, aber freilich auch immer wieder missachtet, unterdrückt oder schlichtweg aIs Ideologie der herrschenden Klassen diskreditiert. Das Neue, das die philosophischen Analysen und Einschätzungen des klassischen Konfuzianismus seit etwa 1990 auszeichnet, ist ihre, gemessen an der Vergangenheit, relativ große Verbreitung und Wirksamkeit. Die philosophische Diskussion wird weltweit und international geführt. Sie findet in Australien, Japan, Europa, Amerika und selbst der Volksrepublik China statt. Und da sie sich schnell als relevant auch für die politische Auseinandersetzung um die Menschenrechte erwies, wurden ihre Ergebnisse, wie angedeutet, schließlich gar in Massenmedien vermittelt. Wie gewöhnlich sind die philosophischen Resultate nicht einheitlich. Doch dürfte die folgende Hypothese die größte Plausibilität für sich haben. Wiewohl er selbst keine Menschenrechtstheorie einschließt, gibt der klassische Konfuzianismus danach eine systematisch-historische Grundlage für eine Formulierung der allgemein gültigen Menschenrechte ab, oder ist doch zumindest so interpretierbar, dass er ihnen nicht widerspricht (De Bary/Tu 1998; Paul 1998a, 1999, 2005b; Paul/Robertson; Ommerborn/Paul/Roetz; u. a.). Die meisten Gründe für diese Einschätzung lassen sich aus den Darstellungen vor allem der ersten Kapitel erschließen. Nichtsdestoweniger seien sie explizit aufgelistet und, wo erforderlich, ergänzt. Wichtig ist dabei Folgendes: Die Berufung oder ,Rückbesinnung‘ auf Konfuzius und klassischen Konfuzianismus kann ein fruchtbares Mittel der Gestaltung aktueller Politik sein. (1) Sie widerlegt all die, die wie Lee Kuan Yew behaupten, dass ,der Konfuzianismus‘ eine ,chinesische‘ Anerkennung ,westlicher‘ Menschenrechte ausschließe. Sie widerlegt sie insbesondere auch insofern, als der klassische Konfuzianismus ein Beispiel für etwas ,ursprünglich Chinesisches‘ ist. Ihn zu akzeptieren, heißt keinesfalls, ,westlichem Kulturimperialismus‘ nachzugeben. Ein Ausdruck wie „ursprünglich chinesisch“ ist im Übrigen kulturrelativistischer Jargon. Streng genommen gibt es nichts ,ursprünglich Chinesisches‘. Wenn man jedoch mit einem Konzept kultureller konfuzianischer Identität
Es gibt nichts ,ursprünglich Chinesisches‘
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Menschenrechtsrelevante Normen: Selbstachtung, moralische Autonomie, Achtung vor dem Leben, Gleichheit und Menschlichkeit
Menschlichkeit schließt Traditionalismus um seiner selbst willen aus
arbeitet, dann, so lässt sich etwa gegen Lew Kuan Yew sagen, ist es plausibler, dabei den klassischen Konfuzianismus ins Spiel zu bringen‘, als sich auf den Neokonfuzianismus zu beziehen. Denn der ist nicht nur späteren Datums. Er ist auch stark durch buddhistische Metaphysik, sprich – und dies ist erneut der Jargon des Kulturrelativisten selbst – durch ,Indisches‘ und damit ,Fremdes‘ geprägt. (2) Die Berufung auf Konfuzius dokumentiert, dass fundamentale ethische Normen keine Funktion von Kultur und Geographie sind. Zurückhaltend formuliert, schließen kulturelle und geographische Abstände nicht aus, dass Menschen in fundamentalen ethischen Fragen übereinstimmen. Damit eröffnet sich Raum für unbefangene interkulturelle Diskurse. Wieweit eine Berufung auf den historischen Konfuzius Gültigkeit besitzt, muss zwar vielfach offen bleiben. Die ungeheure Wirkungsmächtigkeit des Mythos Konfuzius freilich findet nach der Aufklärung ihre zweite internationale Bestätigung. Bezieht man sich in der Menschenrechtsdebatte auf die klassischen Texte, so ist die Lage recht gesichert. Vor allem die folgenden Begriffswörter bezeichnen bereits im Lunyu formulierte menschenrechtsrelevante Normen: Selbstachtung, moralische Autonomie, Achtung vor dem Leben, Gleichheit und Menschlichkeit. Selbstachtung äußert sich insbesondere darin, die Verteidigung von (ren) dao über den Erhalt des eigenen Lebens zu stellen. Moralische Autonomie dokumentieren Entscheidungen, die letztlich in Orientierung an ren (dao) und nicht – etwa – in Orientierung an Neigung, Nutzen und persönlichen Kontakten und Konstellationen gefällt werden oder gefällt werden sollen. Dass Leben (auch) nach dem Lunyu ein sehr hoher Wert ist, steht außer Frage. Dass alle Menschen ,von Natur aus gleich‘ sind, gehört zu den expliziten Feststellungen des Lunyu. Herkunft und sozialer Status an sich rechtfertigen danach weder Privilegien noch Benachteiligung. Dabei sei auch an die Forderungen nach Gerechtigkeit und Gleichbehandlung erinnert, die aus Goldener Regel und shu resultieren. Menschlichkeit (ren) aber schließt ganz einfach Grausamkeit aus. Zwar wechselten und wechseln die Konzepte der Grausamkeit. In China war und ist man geneigt, dem Menschen – sich und den anderen – mehr zuzumuten, als im Europa des 21. Jahrhunderts. Aber eine gemeinsame Basis bleibt davon unberührt. Auch die Gesetzgebung der Volksrepublik China verbietet die Folter. Dies gilt ungeachtet der Missachtungen des Verbotes. Andererseits wird auch im Namen von Demokratie und Freiheit gefoltert und tritt eine Mehrheit der US-Amerikaner für die Todesstrafe ein, die in den USA denn auch entsprechend häufig vollstreckt wird. Ein konsequent angewandtes Prinzip der Menschlichkeit schließt auch Traditionalismus aus. Wann immer neue Erkenntnisse und neue Mittel es erlauben, die Welt menschlicher zu gestalten, als man es bis dahin für möglich hielt, sind sie einzusetzen. Dies kann signifikante Änderungen traditioneller Lebensformen mit sich bringen. Solch eine Art ,social engineering‘, ,Sozialtechnik‘, erfordert zwar Rücksichtnahme und Behutsamkeit. Eine Gesellschaft darf nicht ,zu ihrem Glück gezwungen‘ werden. So kann man Menschen, die 50 Jahre in tropischen Regenwäldern gelebt haben, nicht einfach in einen Wolkenkratzer stecken, und sei man noch so sehr davon
9.4 Die Menschenrechtsfrage
überzeugt, dass sie es dort bequemer hätten. Allgemein gesagt, darf das Interesse an einer menschlichen Welt nicht dazu führen, bestehendes Leid noch zu vergrößern. Es gilt das Prinzip des kleineren Übels. Doch braucht diese Einsicht eine prinzipiell traditionskritische Haltung nicht zu beeinträchtigen. Auch wenn die Menschenrechte also dem ,konfuzianischen Kulturkreis‘ ursprünglich fremd waren – wie sie ja auch Plato und noch Thomas von Aquin fremd waren –, so wäre er aufgrund seines Menschlichkeitskonzeptes und des ihm impliziten traditionskritischen Momentes doch prinzipiell für sie offen. Sachlich gesehen, lassen sich die referierten Ansätze des Lunyu sogar zu einem philosophischen Konzept allgemein gültiger Menschenrechte entfalten oder erweitern. (Dieses Konzept kann dann seinerseits als eine Grundlage und Rechtfertigung juristischer Formulierungen betrachtet werden, wie sie etwa die Menschenrechts-Deklarationen der Vereinten Nationen und Europas darstellen.) Es schlösse die Unantastbarkeit menschlicher Würde, moralische Autonomie und eine dem entsprechende Freiheit und Meinungsfreiheit, die Respektierung menschlichen Lebens und den Schutz vor Grausamkeiten wie insbesondere das Verbot der Folter ein. Es bedeutete außerdem, dass das Interesse an der Verwirklichung der Menschenrechte dem Interesse an der Wahrung einer kulturellen Identität um ihrer selbst willen übergeordnet ist. Wegen seiner weithin aphoristischen, impliziten und im Ton moderaten Formulierungen ist die Rolle, die das Lunyu in der Menschenrechtsdiskussion spielt, relativ beschränkt geblieben. Die Auseindersetzung mit dem Text ist einfach zu kompliziert. Faktisch konzentrierte und konzentriert sich der Diskurs auf die Relevanz des Menzius (De Bary/Tu; Roetz 1998 und 2008; Huang 2001, 2009; Huang/Paul/Roetz; Paul 2005b; Ommerborn/ Paul/Roetz). Lunyu und Xunzi wurden und werden im Allgemeinen vom Menzius ausgehend thematisch. Die Deutlichkeit, ja Entschiedenheit, mit der das Menzius Widerstandsrecht und Widerstandspflicht gegen Grausamkeit und Schreckensherrschaft formuliert, ist dabei der offensichtlichste Grund. Andere Gründe liegen in folgenden Punkten: (1) Das Menzius formuliert ein deutliches Konzept menschlicher Würde. Danach hat „der Himmel“ jedem Menschen seinen eigenen inneren Wert verliehen. Er besteht vor allem in der unauslöschlichen Befähigung zur Menschlichkeit. Im Gegensatz zu ,Amt und Würden‘ kann einem dieser „himmlische Rang“ von niemand und insbesondere keinem Fürsten genommen werden. Das menzianische Würdekonzept lässt sich damit als eine Art Naturrechtskonzept begreifen. (Menzius VI:1: 16–17, Wilhelm 1982: 169 f.; Roetz 1998 und 2008; Paul 2005b) (2) Selbst ein vom Hungertod Bedrohter zieht es dem Menzius zufolge vor, Unterstützung abzulehnen, wenn sie mit Verachtung einhergeht. Anders gesagt, sind wir dem Menzius zufolge nicht nur mit Würde ausgestattet. Wir sind uns unserer Würde auch bewusst. Der Mensch sollte denn auch, so der Sinn der Stelle, die Integrität seiner Würde über sein bloßes Überleben stellen. (Menzius VI:1: 10, Wilhelm 1982: 166 f.) (3) Erneut klarer als das Lunyu betont das Menzius den hohen Wert menschlichen Lebens.
Das Menzius: ein menschenrechtsrelevanter Text
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(4) Das Menzius formuliert zudem eine Art protodemokratisches Konzept. Danach ist die Bevölkerung zwar nicht Machthaber, aber doch Grundlage der Macht. Herrschaft müsse dem entsprechend zum Wohle der Bevölkerung ausgeübt werden. In der Diskussion um die Menschenrechte, die um 1900 in Japan geführt wurde, unterschied man unter Beund minshushugi rufung auf Menzius zwischen mimponshugi , Herrschaft auf der Grundlage des Volkes bzw. für das Volk, und Volksherrschaft bzw. Demokratie. In dem vom Menzius übernommenen Konzept des mimponshugi glaubte man, die ,östliche‘, ,konfuzianische‘ Herrschafts- und Staatsform gefunden zu haben. Insbesondere meinte man, sie auch mit dem Tenno¯ismus, der ,ingeniös japanischen‘ Herrschaftsform, vereinbaren zu können, die es verlangte, dass die Herrschaft letztlich in der Hand des ,göttlichen‘ Tenno¯ verblieb. (5) Schließlich formuliert das Menzius Ideen der moralischen Autonomie und der Meinungsfreiheit (im Interesse der Menschlichkeit) sowie ein Recht auf Widerstand und Umsturz in radikaler Klarheit. Wie dargestellt, stieß das klassisch-konfuzianische Konzept legitimer Revolution und legitimen Tyrannenmordes in der Geschichte Chinas auf den Widerstand der Herrschenden. In Japan wurde es zumeist als ,eigentümlich chinesisch‘ abgelehnt. Widerstandsrecht gegenüber dem Tenno¯ begriff man häufig als Gotteslästerung. Das Konzept der Menschenwürde ausgenommen, äußerst sich das Xunzi in ähnlicher, ja mitunter noch präziserer Form als das Menzius (Paul 1999). Dem Würdekonzept des Xunzi fehlt vielleicht das Merkmal der Unantastbarkeit. Nach dem Menzius bleibt selbst dem Verbrecher sein „himmlischer Rang“ als moralisches Potential erhalten. Das Xunzi, das von einer „bösen Natur“ des Menschen ausgeht, charakterisiert die Würde dagegen als Errungenschaft und Leistung. Das Menzius, und selbst das Lunyu, dürften damit eher eine Grundlage für eine von Vertrauen geleitete Politik bieten. Hierin lag das wirkungsgeschichtlich positive Moment der von Menzius konzipierten anthropologischen Variante der Ethik. Andererseits ist es auch nach dem Xunzi prinzipiell jedem möglich, „ein Yao oder Shun“ zu werden. Dies gilt logischerweise auch für Gesetzesbrecher. Daneben sind weitere Fragen zu berücksichtigen, so die erkenntnistheoretische und logische Problematik naturrechtlicher Würdekonzepte. Woher wissen wir, dass wir von Natur oder Geburt aus Würde besitzen? Und dazu gehört auch die Frage, ob die Forderung nach Unantastbarkeit der Würde überhaupt erfüllbar ist. Wird sie nicht etwa im Strafvollzug zwangsläufig verletzt? Solche Fragen aufzuwerfen, impliziert nicht, das Konzept der Unantastbarkeit menschlicher Würde abzulehnen. Denn dies lässt sich auch als unumgängliche konventionelle Norm optimaler Verteidigung der Menschenrechte begründen und so eben auch mit den wichtigsten Prinzipien des Xunzi vereinbaren (Paul 1999, 2008c). Konfuzius, der Mythos Konfuzius, Lunyu, vor allem aber die konfuzianische Klassik überhaupt sind seit etwa 1990 zu immer klarer erkennbaren Katalysatoren eines konvergierenden Menschenrechtsdiskurses geworden. Die unzähligen akademischen Studien und Konferenzen, wie sie seit 1998 im Übrigen auch in der Volksrepublik selbst durchgeführt werden, zeigen spürbare Wirkung auch in Politik und Massenmedien, wenn auch in nach
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wie vor unzureichender Art. Selbst der Mythos Konfuzius, der so viele Interessen und Engagements nährt, sorgt so nicht nur für Missverständnisse, sondern auch für eine kontinuierliche Verbesserung ,interkulturellen‘ Verstehens. Sicherlich beeinträchtigt die notorische Ohnmacht der Argumente auch die Menschenrechtsdiskussion. Gewiss sind Eurozentrismus und ,Kulturimperialismus‘ zu vermeiden. Selbstverständlich sollte Fremdes nicht einfach vereinnahmt werden. Und schließlich verlangt jede akzeptable Interpretation der zeitlich und räumlich so fernen konfuzianischen Klassik Sachkompetenz und Sensibilität. All dies ist zuzugestehen. Dessen ungeachtet bleibt es angesichts der Lehren von Lunyu, Mengzi und Xunzi unbegreiflich, wie man im klassischen Konfuzianismus gewissermaßen eine Art ,östlicher Alternative‘ zu einem ,westlichen Menschenrechtskonzept‘ zu sehen vermag. Entweder man bezieht sich dabei gar nicht auf die Klassik. Dies dürfte in der Tat der häufigste Fall sein und gilt gewiss für chinesische Politiker wie Lee Kuan Yew. Doch drängt sich dann die Frage auf: Aus welchen Gründen? Aus Ignoranz und Bequemlichkeit, sich zu informieren? Oder aus ideologischem Interesse? Oder aus beiden Gründen? Oft auch aus einem Missverständnis heraus, das die Klassik vor allem als Traditionalismus, Ritualismus und Kommunitarismus begreift. Denn wie zu zeigen versucht, sind ja Eurozentrismusvorbehalte und methodologische Bedenken haltlos. Insbesondere gilt, dass Erkenntnis und Problemlösungsversuche in ,West‘ und ,Ost‘ denselben formallogischen und empirischen Gesetzmäßigkeiten folgen. Nach der Klassik sind Gruppenautorität, primäre Orientierung an Form und Wohl der Familie, Kommunitarismus, blinder Gehorsam und traditionelle Sittlichkeit keine besonders hohen Werte. Selbst ethnische und kulturelle Identität sind keine Grundwerte. Andererseits ist ein mit der Idee der Menschlichkeit vereinbares Streben nach Amt und Würden, öffentlichem Ansehen und materiellem Wohl nichts Unanständiges. So lässt sich die Klassik auch nicht gegen ,westlichen Individualismus und Materialismus‘ ausspielen. Ist nämlich mit ,Individualismus‘ Egoismus gemeint, so verurteilt ihn auch ,westliche‘ Ethik. Und Entsprechendes gilt, wenn ,Materialismus‘ für so etwas wie Profitgier stehen soll. Ist mit ,Individualismus‘ ein unkontrolliertes Ausleben eigener Neigungen gemeint, so wäre dies nur ein anderer Ausdruck für Egoismus. Im Übrigen aber ist die konfuzianische Klassik weit davon entfernt, dem Menschen ein Recht auf individuelles Gefühlsleben abzusprechen. Sie mag in diesem Sinn eher für einen ,Individualismus‘ eintreten als so manche ,europäische‘ Lehre. Wie klar geworden sein sollte, steht sie zum Beispiel Schillers Konzept ästhetischer Erziehung näher als Kants Pflichtethik. Doch geht der ,klassische Individualismus‘ andererseits auch nicht so weit, dass er sich zu einer Alternative ,westlicher Rationalität‘ hochstilisieren ließe. Er tritt für (selbst)kritische, unmissverständliche und konsistente Argumentation als Problemlösungsmittel ein. Und schließlich sollte man bei aller Hochschätzung gruppenbestimmter Moral nicht vergessen, dass Gruppenegoismus gefährlicher ist als individuelle Eigensucht. Dem klassischen Konfuzianismus Individualismus und Rationalität zuzusprechen, ist im Übrigen auch aus einem Grund, der der Wiederholung wert ist, keine eurozentrische Interpretation: über Jahrhunderte hinweg taten dies japanische Gelehrte der kokugaku in erheblich radikalerer Form.
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Bewusst oder nicht: die Vorstellung, dass kulturelle Identität eine Art Wert an sich sei, an dem jedes ,Fremdverstehen‘ seine Grenze finde oder finden müsse, dürfte fast zwangsläufig in einen inhumanen Obskurantismus münden, der sich dann auch kaum noch von einer Überzeugung ethnischer Werthaftigkeit unterscheidet. In seinem Gedicht „Die Wahlesel“ bringt Heinrich Heine (1797–1856) dies in brillanter, wohl unübertrefflicher Form zum Ausdruck. Ist von Menschenrechten und kultureller Identität die Rede, so verdient es, stets aufs Neue zitiert zu werden: „[…] Du bist ein Verräter, es fließt in dir Kein Tropfen vom Eselsblute; Du bist kein Esel, ich glaube schier, Dich warf eine welsche Stute. Du stammst vom Zebra vielleicht, die Haut, Sie ist gestreift zebräisch; Auch deiner Stimme näselnder Laut Klingt ziemlich ägyptisch-hebräisch. Und wärst du kein Fremdling, so bist du doch nur Verstandesesel, ein kalter; Du kennst nicht die Tiefen der Eselsnatur, Dir klingt nicht ihr mystischer Psalter. Ich aber versenkte die Seele ganz In jenes süße Gedösel; Ich bin ein Esel, in meinem Schwanz Ist jedes Haar ein Esel. […] O Welche Wonne, ein Esel zu sein! Ein Enkel von solchen Langohren! Ich möcht es von allen Dächern schrein: Ich bin als ein Esel geboren. Der große Esel, der mich erzeugt, Er war von deutschem Stamme; Mit deutscher Eselsmilch gesäugt Hat mich die Mutter, die Mamme. Ich bin ein Esel, und will getreu, Wie meine Väter, die Alten, An der alten, lieben Eselei, Am Eseltume halten.“
10 Und am Ende: Konfuzius als politisches Instrument, Kultfigur und Anlass für Tourismus und Familienausflüge Als die Volksrepublik China und Taiwan noch in erbittertem ideologischen Streit lagen, bildete Konfuzius die Identifikations- und Feindfigur überhaupt. Während in der Volksrepublik die Anti-Konfuzius-Kampagne lief und Konfuzius-Schreine zerstört oder doch zumindest dem Verfall überlassen wurden (Schickel; Staiger; Louie), wurde sein Andenken in Taiwan gepflegt und gestärkt, so gut es nur ging. Konfuzius-Schreine wurden gebaut oder restauriert. Konfuzianische Zeremonien wurden zelebriert. War es noch 1985 schwierig, in Beijing eine Lunyu-Ausgabe zu kaufen, so war sie in Taipei ohne Weiteres zu erhalten. Ja, in Taiwan brachte der mit Blick auf ausländische Touristen gezielt und bewusst als „Confucius Publishing Co.“ bezeichnete Verlag schon, oder gerade, auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution zweisprachige Ausgaben der wichtigen konfuzianischen Klassiker und anderer traditioneller Werke heraus. Beide Seiten wollten, dass man sie aufgrund ihrer Einstellung zu Konfuzius identifizierte, verstand und bewertete. In der Volksrepublik trieb man die seit den Anfängen des modernen China immer wieder artikulierte Kritik auf die Spitze. Forderte die Bewegung des 4. Mai 1919 „Zerschlagt den Konfuzius-Laden!“, so wurde Konfuzius in der Kulturrevolution gar als Schwerstverbrecher beschimpft und von Kindern als „faules Ei“ verhöhnt. Gelehrten oder Politikern, die man unfehlbar diskreditieren oder vernichten wollte, wurde konfuzianisches Denken vorgeworfen oder angedichtet. Auf Taiwan dagegen festigte Chiang Kai-shek (1887–1957) seine Position, indem er Sun Yatsens (1866–1925) positive Haltung zu Konfuzius herausstrich und sie gewissermaßen als konstitutiv für die Guomindang, die „Nationale Volkspartei“, und die Republik hinstellte. Es dürfte kaum übertrieben, ja, nicht einmal eine Vereinfachung sein, wenn man die offiziellen Positionen wie folgt wiedergibt: Den einen stand der Name Konfuzius für Unmenschlichkeit, den anderen für Menschlichkeit. Es ist immer wieder erstaunlich, was Politik und Ideologie aus der Wirklichkeit machen können. Aber es gehörte und gehört einiges dazu, den Konfuzius des Lunyu derart zu radikalisieren. Wirklichkeitsblindheit? Infamie? Demagogie? In den meisten Fällen gewiss auch schlichte Ignoranz. Vielleicht noch erstaunlicher war die Effizienz der Radikalisierungen. Selbst Sinologen in Deutschland sympathisierten mit der Anti-Konfuzius-Kampagne. So mancher 1968er glaubte, sie gebe auch seinen Idealen Ausdruck. Und in Taiwan führte die schlichte Entgegensetzung dazu, in der Volksrepublik geradezu den Hort des Bösen zu sehen. Urteilt man auch nur halbwegs sachlich, so wird man feststellen, dass jedenfalls das Lunyu kaum Anlass, geschweige denn Grund für ideologische Radikalisierungen gibt. Fast genauso bedenklich wie die Instrumentalisierung des Namens und Mythos’ Konfuzius zum Zwecke der Identitäts- und Feindbildformierung ist
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10 Konfuzius als politisches Instrument und Kultfigur
die seit Ende der Kulturrevolution und im Zuge der Öffnung Chinas gängige Instrumentalisierung zum Zwecke der Identitätsbildung und ,Völkerverständigung‘. Dies zumal, weil sich beide Ziele nicht leicht miteinander vereinbaren lassen. Aber es verblüfft, wie aus dem Schwerverbrecher Konfuzius innerhalb kürzester Zeit wieder ein Heros der Humanität wurde, mit dem man in aller Welt um Zustimmung werben konnte. Einflussreiche Konfuzianismus- und Konfuzius-Gesellschaften entstanden. Die großen KonfuziusSchreine wurden restauriert. Die Konfuzius-Akademie in Qufu wurde zu einer geschätzten Hochschule. Die Klassiker wurden wieder aufgelegt. Das Lunyu kam als kleines handliches Buch auf den Markt. Selbst unmittelbar nach der Tragödie am Tiananmen, dem „Platz des himmlischen Friedens“, 1989 führten Regierung und Kommunistische Partei Chinas einen internationalen Konfuzius-Kongress in Beijing durch (Confucius 1989). In den nächsten Jahrzehnten folgten zahlreiche ähnliche Veranstaltungen, und 2009 fand erneut ein großer internationaler Konfuzius-Kongress statt. Sinologen, Philosophen und andere Kulturwissenschaftler der Volksrepublik sind längst häufige Teilnehmer der auf allen Kontinenten üblich gewordenen Konfuzianismus-Tagungen. Vielleicht gab es 1999, im Jahr seines 2550. Geburtstags, keine historische Gestalt, der weltweit mehr akademische Symposien gewidmet wurden als Konfuzius. Dazu kommt seit 2004 eine wachsende Zahl von Konfuzius-Instituten – auswärtigen Kultur- und Sprachinstituten, in Namensgebung und Konzeption durch die deutschen , der von Goethe-Institute inspiriert. Die Idee kam von Lu Qiutian 1997 bis 2001 Botschafter der VR China in Deutschland war. Auch der Konfuzius-Kult hat neue Nahrung erhalten. Wenngleich er als offizielle Zeremonie nach wie vor kaum auf größeres Interesse stoßen dürfte, äußert er sich umso unverkennbarer in profanen Formen. Sie sind dem Treiben an europäischen Tourismuszentren und um katholische Wallfahrtsorte vergleichbar. Qufu ist ohne Zweifel eines der Ausflugsziele schlechthin auch der Chinesen und chinesischen Familien. Ein Durchgang durch die konfuzianischen Stätten – Schrein; Anwesen; Konfuzius-Hain, die Begräbnisanlage der Kong; und die Gedenkstätten berühmter Anhänger und des Herzogs von Zhou – vermittelt die Aura alter ,konfuzianischer‘ Kultur und ,chinesischer‘ Identität. Immer wieder fällt der Blick auf Tafeln mit konfuzianischen Sentenzen oder Ehrenbezeichnungen. Dabei kann man Bewunderung und Stolz durchaus mit einem Picknick verbinden. Vor allem aber gibt es alles zu kaufen, was sich ein guter Tourist und Verehrer nur wünscht. Ausgaben der Klassiker, interessante Studien und beeindruckende (Kopien von) Steinabreibungen gehören zu den seriösen Angeboten. Auch schmale Bände wie die ungemein lesenswerte Autobiographie Kong Demaos, einer Nachfahrin des Konfuzius und zeitweisen Vizepräsidentin der chinesischen Konfuzius-Gesellschaft, aus dem Jahr 1984 (Kong Demao/Ke Lan), der kleine Reiseführer A Visit to Confucius’ Home Town (Cai), der Bildband Portraits of Confucius, illustrierte Biographien des Konfuzius, ,Konfuzius-Kalender‘ und Pläne des alten Qufu sind zu haben. Daneben kann man Statuetten und Hologramme des Weisen erwerben, vor allem aber Handtücher, Kaffeelöffel, Aschenbecher, Porzellan, Postkarten, Stempel und was sonst noch das Bildnis des „ungekrönten Königs“ ziert. Zumindest ausländischen Freunden schenkt man ja auch gern etwas, das sichtbar
10 Konfuzius als politisches Instrument und Kultfigur
,konfuzianischen‘ Anstrich besitzt. Nicht ganz zu Unrecht mag man dabei freilich auch in Rechnung stellen, dass der Ausländer gern ,Chinesisches‘ mit ,Konfuzianischem‘ gleichsetzt. Die (Schein-),Re-Konfuzianisierung‘ der Volksrepublik ist umfassend: 2010 kam der Film „Konfuzius“ mit der Rekordzahl von 2500 Kopien in die Kinos. Vielleicht ist es zu bedauern, dass Konfuzius so vielen so viel zu bieten hat. Denn leider interessieren wir uns im Allgemeinen stärker für einen Konfuzius, der „mit Sonne und Mond vergleichbar“ ist (XIX:24: 129), „Himmel und Erde“ gleicht (Zhongyong, Wilhelm 1981: 42), den „Ersten Lehrer Konfuzius“ (Kong Demao/Ke Lan: 68), den „ungekrönten König der Zhou“ (Shengji tu, Stumpfeldt Nr. 2), „Vater Ni, den Weisen der Kultur“ der Nördlichen Wei, den „Kultur verbreitenden König“ der Tang-Herrscher, den „Weisesten Kultur verbreitenden König“ der Song, den „Großen Vollendeten, Weisesten Kultur verbreitenden König“ der Yuan-Zeit, den „Weisesten Ersten Lehrer“ der Ming, den „Großen Vollendeten, Weisesten Kultur verbreitenden Ersten Lehrer“ der Mandschu, den „Hellsten Stern des Großen Bären“ und den „Lehrer und das Beispiel unzähliger Welten“, „fähig wie Geister und groß wie der Himmel“ (Chen: 12–19; Kong Demao/Ke Lan: 2 f. und 192; Confucius: 199 ff.) als für das – simple, ein wenig dröge? und unbequeme? – Vorbild, das der Konfuzius des Lunyu abgibt. Denn so etwas ist uns ja nicht östlich genug.
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Zeittafel zur Geschichte der konfuzianischen Philosophie in China Zeit
Dynastie
21.–16. Jh.
Xia
16.–11. Jh.
Shang
11. Jh.–221
Zhou
11. Jh.–771
Xizhou (Westliche Zhou)
770–256
Dongzhou (Östliche Zhou)
770–481
Chunqiu (Frühling und Herbst)
Philosophen
Bronze-Inschriften
Texte, die in einzelnen Inhalten bis auf in die Zeit der Westlichen Zhou zurückgehen und die später als wujing , die „Fünf Klassiker“, bezeichnet wurden. Guanzi
481–221
Zhanguo (Streitende Reiche)
Wichtige Texte
(?–645)
Guanzi (späteren Datums)
Kongzi (Konfuzius) (551–479)
Lunyu
Sunzi
(5. Jh.)
Sunzi bingfa „Sunzis Kriegskunst“
Mozi
(468?–376?)
Mozi Zuozhuan , die „Überlieferung des [Gelehrten] Zuo“
Shang Yang (390?–338)
, Shangjun shu „Das Buch des Fürsten Shang“
Yang Zhu Nongjia Mengzi (Menzius) (372?–289?)
Mengzi
Zhuangzi (369?–286?)
Zhuangzi
Mingjia Yin
-Yang -wuxing -Schule
,
Zeittafel Zeit
Dynastie
Philosophen Xunzi
Wichtige Texte
(313?–238?) Xunzi Daode jing
Han Feizi (280?–233)
Han Feizi Lüshi chunqiu , „Herrn Lüs [Annalen von] Frühling und Herbst“
221–207
Qin
206 v. Chr. – Han 220 n. Chr.
Dong Zhongshu (180–115)
Chunqiu fanlu , „Üppiger Tau [der Annalen] von Frühling und Herbst“
206 v. Chr. – Xihan (Westli24 n. Chr. che Han) 25–220
Donghan (Östli- Wang Chong (27–97) che Han)
220–280
Sanguo (Drei Reiche)
265–420
Jin
386–581
Beichao (Nördliche Dynastien)
420–589
Nanchao (Südliche Dynastien)
581–618
Sui
618–907
Tang
907–960
Wudai (Fünf Dynastien)
960–1279
Song
Han Yu
Zhu Xi (1130–1200)
Lunheng , „Abwägende Diskurse“
(768–824) Yuan dao , „Der Ursprung des dao“
Jinsilu , „Aufzeichnungen von Reflexionen über Naheliegendes“ Sishu zhangju jizhu , „Gesammelte Kommentare zu den Vier Büchern“
916–1125
Liao
1115–1234
Jin
127
128
Zeittafel Zeit
Dynastie
1271–1368
Yuan (Mongolen)
1368–1644
1644–1911
1912–1949
Philosophen
Wichtige Texte
Ming
Wang Yangming (1472–1529)
Chuanxi lu , „Aufzeichnungen zur Einübung des Übermittelten“
Qing (Mandschu)
Wang Fuzhi (1619–16928)
Du sishu daquan shuo , Wang Fuzhis Kommentare zu den „Vier Büchern“
Huang Zongxi (1610–1695)
Mingyi daifang lu , Huangs Lehren von Herrschaft, Staat und Gesellschaft
Dai Zhen (1723–1777)
Mengzi ziyi shuzheng , „Über die Bedeutungen der Begriffe im Menzius“
Kang Youwei (1858–1927)
, Datongshu „Buch von der Großen Gemeinschaft“
Liang Shuming (1893–1988)
Dongxi wenhua ji qi zhexue
Zhonghua minguo (Republik China)
, „Östliche und westliche Kulturen und ihre Philosophien“ Sun Yat-sen / Sun Yixian (1866–1925) Mao Zedong (1893–1976)
seit 1949
Zhonghua renmin gongheguo (VR China)
Fung Yu-lan / Feng Youlan (1895–1990)
A History of Chinese Philosophy (Übers. D. Bodde) Texte des dangdai xin bzw. rujia xiandai xin rujia oder dangdai xin ruxue des „Neukonfuzianismus der Gegenwart“
Verzeichnis der erwähnten und zitierten Lunyu-Stellen nach der Zählung von Moritz und Lau Sofern die Zählung Legges, Wilhelms, Waleys und Schwarz’ davon abweicht, ist sie in Klammern ergänzt. I:1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I:2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I:3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28, 49 I:6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I:7. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I:8. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36, 49 I:9. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I:11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 I:14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I:15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14, 25 II:1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34, 37 II:2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II:3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II:4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 II:6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II:7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II:12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 II:14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II:15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 f. II:19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II:20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II:21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II:22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 III:1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 III:2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 III:3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 III:4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 III:18 . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 f., 49 III:26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59, 61 IV:2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31, 34 IV:5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 IV:11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11, 33 IV:15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 IV:16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 IV:18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 IV:19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 IV:20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 IV:21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 IV:22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29, 49 IV:24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
V:2 (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 V:5 (4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 f. V:10 (9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 V:12 (11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 V:13 (12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 V:25 (24) . . . . . . . . . . . . . . . . 29, 49 V:27 (26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 V:28 (27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 VI:4 (3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 VI:13 (11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 VI:16 (14) . . . . . . . . . . . .27, 29, 49 VI:18 (16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 VI:19 (17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 VI:22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 VI:25 (23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 VI:30 (28) . . . . . . . . . . . . . . . 32, 57 VII:3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 VII:5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43, 75 VII:7. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 VII:8. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 VII:14 (13). . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 VII:17 (16). . . . . . . . . . . . . . . . . 39 f. VII:18 (17). . . . . . . . . . . . . . . . . 39 f. VII:21 (20). . . . . . . . . . . . . . . 42, 65 VII:22 (21). . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 VII:23 (22). . . . . . . . . . . . . . . . . 114 VII:25 (24). . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 VII:33 (32). . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 VIII:2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 VIII:5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 VIII:8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 VIII:11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43, 75 VIII:13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 VIII:17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 VIII:18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 VIII:19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 VIII:20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 IX:2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 IX:3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
IX:4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 IX:5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IX:15 (14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IX:24 (23) . . . . . . . . . . . .21, 38, 49 IX:25 (24) . . . . . . . . . . . .36, 38, 59 X:24 (16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 XI:2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 XI:4 (3) . . . . . . . . . . . . . . . . . 36, 46 XI:9 (8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 XI:12 (11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 XI:22 (21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 XI:23 (22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 XI:24 (23) . . . . . . . . . . . . . . . 27, 46 XII:1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 XII:2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53, 54 XII:7. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 XII:11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 XII:17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34, 37 XII:18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34, 37 XII:19 . . . . . . . . . . . . . . .17, 34, 37 XII:22 . . . . . . . . . . . . . . . . 32 f., 54 XIII:1 . . . . . . . . . . . . . . . .12, 34, 37 XIII:2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 XIII:3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29, 47 XIII:4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34, 37 XIII:5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 XIII:6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34, 37 XIII:13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34, 51 XIII:15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 XIII:18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 XIII:19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 XIII:23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28, 33 XIII:26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 XIV:3 (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 XIV:7 (8) . . . . . . . . . . . . . . . . 46, 54 XIV:12 (13) . . . . . . . 27–29, 31, 49 XIV:19 (20) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 XIV:20 (21) . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
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Verzeichnis der Lunyu-Stellen XIV:22 (23) . . . . . . . . . . .22, 29, 46 XIV:27 (29) . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 XIV:28 (30) . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 XIV:29 (31) . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 XIV:32 (34) . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 XIV:38 (41) . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 XIV:40 (43) . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 XIV:42 (45) . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 XV:1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14, 29 XV:9 (8) . . . . . . . . . . . . . . . . . 27, 31 XV:11(10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 XV:18 (17). . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 XV:24 (23). . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 XV:27 (26). . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
XV:31 (30). . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 XV:32 (31). . . . . . . . . . . . . . . 11, 31 XV:36 (35). . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 XV:39 (38). . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 XVI:1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 XVI:4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 XVI:6 . . . . . . . . . . . . . . . .27, 29, 46 XVI:10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29, 49 XVII:2 XVII:4 XVII:6 XVII:7 XVII:8
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 53, 58 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32, 51 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27, 38
XVII:9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14, 39 XVII:10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 XVII:17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 XVII:18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 XVII:21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 XVII:24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 XVIII:1. . . . . . . . . . . . . . . . . . 27, 46 XVIII:3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 XVIII:5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 f. XVIII:6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 XIX:10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 XIX:22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 XIX:24 . . . . . . . . . . . . . . . . . 89, 125
Karten der Frühlings-und-Herbst-Epoche und der Streitenden Reiche
Register mit Bedeutungserklärungen und Glossar chinesischer Zeichen Agnostizismus. Insbes. die erkenntnistheoretische Position, dass man nicht erkennen könne, ob es einen Gott gebe oder nicht 10, 25 f., 65, 68, 85, 112, 114 f. Anthropologie 78 f., 120 Aristoteles (384/83–322/21) 57 f., 109 Asiatische Werte 60, 80, 103, 116 Atheismus. Auffassung, dass es keine Götter gebe 68 f., 85, 87, 111 f., 114 f. Äther, materielle Energie. & qi. a¯tman. Ich, Selbst. Manifestation des brahman im Individuum 78 Aufrichtigkeit. & xin. „Aufzeichnungen des Historikers“. & Shiji. Autonomie, moralische 66, 87, 91, 104, 114 f., 118–120 („Hegemon“). Bezeichnung für die jeweils ba mächtigsten Landesfürsten der Frühlings-undHerbst-Epoche. Eine Art „Erste unter Gleichen“ und nominelle Repräsentanten der so gut wie machtlosen Zhou-Könige 98 f. („Weg der Hegemonen“). Konfuzianiba dao sche Bezeichnung für Gewaltherrschaft, wie sie nach konfuzianischer Auffassung von den Hegemonen ausgeübt wurde 98–101, 103 . & Mensch. benxing („Schule der Kriegskunst“) 67, 69, 76 bingjia brahman. Allgemeines, umfassendes Seiendes. Grundlage oder Substanz alles Seienden 78 Brahmanismus 78 Buch der Riten. & Liji. Buddha-Natur 78 Buddhismus 19, 53, 78, 88, 104, 107, 112, 118
(„Neukonfuzianisdangdai xin ruxue mus der Gegenwart“) 18 („Weg“) 30–32, 39, 47, 50, 54–56, 67, 69 f., dao 73, 75, 81, 83 f., 87, 91, 110 („Klassiker des Wegs und seiner Daode jing Kraft“) 69 Daoismus 17, 20, 23, 26, 65, 67, 69, 76, 99 („großer Mensch“) 32 daren („Große Lehre“) 19, 68, 89, 111 Daxue Demokratie (und Gewaltenteilung) 92, 102, 106, 118, 120 (180–115). Han -zeitliDong Zhongshu cher Theoretiker. Formulierte Grundlagen des Staatskonfuzianismus 20 Dualismus (anthropologischer und ontologischer) 18 f., 79
(reg. 220–226). Erster Kaiser der Wei Cao Pi Dynastie 99 ( ). Dritter König der Zhou (reg. Cheng (wang) 1042/35?–1006?) 43 Chiang Kai-shek (1887–1957) 123 Christentum 42, 101, 110, 112, 114, 116 („Frühling und Herbst“). Eine Chronik Chunqiu des Staates Lu , der Heimat des Konfuzius 39 f., 75
Edler. & junzi. Egoismus 55, 65, 72, 76, 78, 87, 99, 106, 121 Entmythologisierung 42, 85 Erkenntnistheorie. Lehre von den Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkenntnis 95, 120 Erziehung, ästhetische 82, 83, 115, 121 Ethik – deontologische. Theorie, nach der eine Norm (ein Prinzip) unbedingt, ohne Ausnahme und insbesondere ohne jede Rücksicht auf praktische Konsequenzen zu befolgen ist 59, 83 – Gesinnungsethik. Theorie, nach der die innere moralische Einstellung wichtiger ist als die äußerliche Übereinstimmung einer Handlung mit der Moral und als der Erfolg einer Handlung 59, 83 – teleologische. Zweckethik. Theorie, nach der das Handeln der Verwirklichung bestimmter (inhaltlicher) Zwecke wie insbesondere der Verwirklichung eines höchsten Guts dienen sollte 59 – Tugendlehre 41, 43, 55–59, 63, 77, 83 – utilitaristische. Theorie, nach der die Zweckmäßigkeit und/oder die (möglichen) Konsequenzen einer Handlung darüber entscheiden sollten, ob die Handlung ausgeführt wird oder nicht 83 Eurozentrismus 8, 65, 79, 96, 106, 117, 121
Dai Zhen (1723–1777). Kritischer, unabhängiger ,Neokonfuzianer‘ 79 f., 95 f., 117 („Neukonfuzianismus dangdai xin rujia der Gegenwart“) 18
(„Legalismus“) 18, 20, 23, 56, 60, 67, fajia 70–76, 83, 88, 90, 97–99, 101 f. Freiheit 74, 87, 94, 118 f. Freundschaft 23, 46 f., 56, 110
Register und Glossar Frieden 11, 21 f., 28, 34 f., 43, 47, 67–70, 73, 76, 117 Friedrich ,der Große‘ (reg. 1740–1780) 112 Friedrich Wilhelm I. (reg. 1713–1740) 112 „Frühling-und-Herbst-Annalen“. & Chunqiu. Fundamentalismus 109 f. „Fünf Klassiker“. & wujing. Fünf Kräfte. & wuxing. Gerechtigkeit. & yi. Goldene Regel 35, 51, 53–60, 91, 116, 118 Gott 40, 42, 69, 85, 105, 109–112, 114, 116, 120. & auch shangdi und tian. Großer Mensch. & daren. („Gespräche der Staaten“). Im 5. oder 4. Guoyu Jh. v.u.Z. kompilierte Darstellung von Ereignissen der Frühlings-und-Herbst-Epoche und der Zeit der Streitenden Reiche 27 (280?–233). Legalist 15, 23, Han Feizi 26–28, 49, 65, 67 f., 70, 88, 98, 101 (reg. 202–195) 99 Han Gaodi , Lernbereitschaft 38 f. hao xue Harmonie. & he. Harmonische Gesellschaft. Seit etwa 2000 proklamiertes, angeblich konfuzianischer Tradition verpflichtetes Ziel der chinesischen Führung, mit der ein Ausgleich zwischen Regierung und Regierten, Reich und Arm, Stadt und Land, Han-Chinesen und Minderheiten, ja China und dem Ausland erreicht werden soll 28 („Harmonie“) 27 f., 43, 106 he Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831) 7, 113 Heine, Heinrich (1797–1856) 122 Herr in der Höhe. & shangdi. Herz. & xin. Herzog von Zhou (Regent von 1042?–1036?). Bruder Wus. Exemplarisches Beispiel für einen idealen politischen Berater, dessen Ziel eine humane Herrschaft ist 43, 75, 87, 124 Himmel. & tian (1610–1695). Kritischer Huang Zongxi ,Konfuzianer‘ 93, 96, 101 f., 117 Hume, David (1711–1776) 55 Idealismus (ontologischer). Die Theorie, dass nur Geistiges, Immaterielles wahrhaft existiere oder dass es doch wichtigste Grundlage alles Seienden und in diesem Sinn wertvoller als alles Körperliche oder Materielle sei 19, 79, 113 Identität, kulturelle 74, 106, 117, 119, 121 f. Individualismus 7, 76, 79, 87, 104, 121 (1627–1705). Kritischer japaniIto Jinsai scher Konfuzianer 106, 117 Jesuiten und jesuitische China-Mission 111–116 22, 42, 75, 85, 87, 94. & auch Kritik. jian
und exemplariJie . Letzter Herrscher der Xia sches Beispiel für einen verbrecherischen Despoten, der zwangsläufig sein eigenes gewaltsames Ende herbeiführt 23 f., 41, 44, 59, 75, 86 f., 93 („Edler“) 31–33, 38, 45, 60, 62, 73, 82, junzi 84–86, 96 103 Kang Youwei (1858–1925) Kant, Immanuel (1724–1804) 11, 56, 58–60, 63, 87, 113, 121 („das Selbst überwinden und zu Ke ji fu li den Riten zurückkehren“) 62, 79 Kindliche Ergebenheit, Zuneigung. & xiao. „Klassiker der Lieder“. & Shijing. „Klassiker der Urkunden“. & Shujing. „Klassiker der Wandlungen“. & Yijing. Kleiner, gemeiner Mensch. & xiaoren. („Schule der alten Lehre“). Am kogakuha klassischen Konfuzianismus orientierte japanische Tradition 106 („Schule der Heimat [Japan]“). I. kokugaku A. nationalistisch ausgerichtete Orientierung, die sich dem Verständnis altjapanischer Texte und Geschichte und einer Auszeichnung ,japanischen Wesens‘ widmete 105, 121 Kommunitarismus. Ethik, der zufolge vor allem Gemein- und Guppenwohl sowie Rollenfunktionen menschliches Handeln bestimmen sollten 55, 60, 121 , Kongzi 551–479). Konfuzius (Kongfuzi & auch Lunyu. – Historische Gestalt 10–12, 14 f., 17 f., 21, 24 f., 27–29, 61 f., 64–66, 90, 110 – als Lehrer 14, 24, 39–45, 67 – Kult 20, 107, 124 f. – Mythos und Legende 66, 89 f., 103, 118, 121, 123, 125 Konfuzianismus 16–20 – in Japan 103–108, 120 f. – in Korea 104, 107 – in Südostasien 103 f., 107 f. – klassischer 12, 16–20, 22, 35, 73–75, 76, 80, 90–103, 109, 114, 117, 121 – Neokonfuzianismus 18 f., 65, 78–81, 90, 95 f., 118 – Neukonfuzianismus der Gegenwart 18 f. – philosophischer 18, 93 – Staatskonfuzianismus 18–20, 90, 102, 104 – volkstümlicher 18, 20, 89 („Schulgespräche des KonfuKongzi jiayu zius“) 16 f., 22 f., 25, 52 Kontextualität 60, 63, 67, 69, 111 Kritik 22–24, 27 f., 32, 35 f., 38, 40–43, 46, 48, 64, 76 f., 80, 85 f., 91 f., 94, 105 Kulturrevolution (1966–1976) 10, 60, 72, 80, 102, 123 ). & Konfuzius Kungfutse (Kongfuzi
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Register und Glossar Laozi . Legendärer Daoist. Traditionell als Verfasser des Daode jing angesehen 69 Lee Kuan Yew (geb. 1923) 100, 104, 117 f., 121 Legalismus. & fajia Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716) 111 f., 114 Lernen. & xue („Prinzip“, „Struktur“) 19, 78 f., 95 f. li (Riten, Schicklichkeit, Sittlichkeit, kultivierte li Konvention) 14, 32, 39 f., 46, 60–63, 77, 82 f. („Buch der Riten“) 39 f. Liji (bis 208 v. u. Z.). Legalist und Kanzler Qin Li Si Shihuangdis 70, 71, 88, 98 Li (wang) ( )/ ( ) (reg. 857–842). Zhou-König und exemplarisches Beispiel eines schlechten Herrschers. Im Jahr 842 ins Exil getrieben 23, 44 („Sechs Künste“, das ,Curriculum‘ der Erliu yi ziehung und des Unterrichts z. Z. des Konfuzius) 14 („Schule des Prinzips/der Struktur“) 18 f., lixue 78–81, 95, 99, 102, 106, 109 Logik 24 f., 28, 48, 51, 55, 70 Logozentrismus. Übertriebene, unflexible Orientierung an Problemen und Regeln logischer Korrektheit. Fixierung auf logische Korrektheit. Überbewertung des Logischen 10, 113 Loyalität. & zhong 124 Lu Qiutian („Gesammelte Worte [des Konfuzius]“) Lunyu 10–12, 14, 17 f., 20–22, 24 f., 27, 30, 32–36, 39–43, 45, 47, 54, 60, 63, 65 f., 68, 73, 75, 77, 83, 85, 88, 104, 106 f., 109–111, 118, 123.& auch 129 f. Macht 22, 24, 26, 40 f., 44, 62, 71, 73–76, 80 f., 86 f., 91 f., 97–102, 120 Mandat des Himmels. & tian ming (1893–1976) 80, 103 Mao Zedong Maoismus 60, 101, 103 „Maß und Mitte“. & Zhongyong Meister Kong/Kung. & Konfuzius . & Menzius Mengzi Mensch (ursprüngliche Natur des Men– benxing schen) 19, 78, 81 – Gleichheit der Menschen 53, 58 f., 68, 81, 88, 91, 118 – menschliche Natur 36, 77 f., 81 f., 84 f., 88, 92 Menschenrechte 37, 48, 50, 80, 83, 106, 116–122 Menschenwürde 91, 119 f. Menschlichkeit (ren ) 30–41, 45, 47, 49 f., 53–64, 76 f., 80, 84, 86, 91, 94, 98, 105, 118 , 372?–289?). Klassisch-konfuMenzius (Mengzi zianischer Philosoph. Seine Auffassungen sind im Buch Mengzi wiedergegeben 15, 17 f., 22, 32–35, 55–59, 68, 72–81, 86, 88, 93, 99 f., 103–107, 109, 111, 119 f.
Meritokratie 33, 43, 91 f. Metaphysik 18 f., 65, 78, 80, 87, 102, 113, 115, 118 („Schule der Bezeichnungen“) 67, 70, mingjia 76, 82 f. (reg. 1368–98). Ming-Kaiser 100 Ming Taizu . & Mozi Mo Di ) 26, 67–70, 76, 97 f. Mohismus (mojia . & Mohismus mojia (1730–1801). EinflussMotoori Norinaga reichster Wegbereiter der kokugaku 105 f. (Mo Di, 468?–376?). Begründer des MoMozi hismus. Seine Auffassungen sind im Mozi wiedergegeben 15, 17, 60 f., 68 f., 75, 83, 97 f. . Herzog Mu von Qin (reg. 659–621) Mu Gong 43 Nihongi („Annalen Japans“) 105 Noël, François (1651–1721), jesuitischer Übersetzer chinesischer Klassiker 111 („Schule der Ackerbauer“) 67, 73 nongjia . Dynastie 386–534 125 Nördliche Wei (Beiwei) Obskurantismus. Dunkle, unklare und verunklarende Schwerverständlichkeit 86, 89, 122 (1666–1728). Jap. Vertreter Ogyu Sorai der kogaku(ha) 106 Ontologie. Seinstheorie, Lehre vom Sein und Seienden, den Grundlagen, Bausteinen und Gesetzen alles Seienden 18 f., 65, 78, 88, 95, 113 Ontologisierung der Ethik. Die Auffassung, dass gut oder moralisch zu sein, darin und nur darin besteht, wahrhaft oder ursprünglich Seiendes zu aktualisieren oder zu verwirklichen. Glaubt man z. B., dass nur Geistiges, Körperloses wahrhaft existiert, so sollte man seinen körperlichen Neigungen und Bedürfnissen möglichst wenig nachgeben 18 f., 77 f., 80, 90 Plato (427–347) 19, 22, 32, 73, 78, 79, 91, 102, 109, 112, 119 Popper, Karl Raimund (1902–1994) 91 Prinzip, Struktur. & li („Äther“, „materielle Energie“) 19, 78 f. qi (bis 210 v. u. Z.). Erster Qin Shihuangdi Kaiser der Qin-Dynastie. Reichseiniger 21, 70–72, 98, 102 f. Rede- und Meinungsfreiheit 74, 94, 119 f. ren. & Menschlichkeit („Weg des Menschen“) 30, 84–88, ren dao 100, 118 Ricci, Matteo (1552–1610). Jesuitischer Gelehrter und China-Missionar 111 f., 116 Richtigstellung der Bezeichnungen. & zheng ming
Register und Glossar Riten. & li („Weichlinge“, „Sanftmütige“, „Lehrer“, „Geru lehrte“, „Konfuzianer“) 16, 40, 60, 68, 71 f., 81–84, 98 f. Ruggieri, Michele (1543–1607). Jesuitischer Gelehrter und China-Missionar 111 (u. a. „Schule der Gelehrten“), normalerrujia weise mit „Konfuzianismus“ übersetzt 16, 18, 68, 110 Schicklichkeit, Sittlichkeit. & li Schiller, Friedrich (1759–1805) 115, 121 Schopenhauer, Arthur (1788–1860) 55 Schule der Ackerbauer. & nongjia Schule der Bezeichnungen. & mingjia Schule der Kriegskunst. & bingjia Schule des Prinzips/der Struktur. & lixue Schulen der Streitenden Reiche, philosophische 67–74 Selbstachtung 8, 66, 91 f., 114, 118 Selbstkultivierung 35 f., 38, 58, 62 f., 81 f., 85 (390?–338). Legalist 23, 70, 98 Shang Yang („Herr in der Höhe“, Gott) 16, 42–45, shangdi 112 („Bilder zu den Taten des Weisen Shengji tu [Konfuzius]“) 89, 125 („Weiser“) 32, 71, 82 f., 86, 89 shengren („Aufzeichnungen des Historikers [Sima Shiji ]“) 23, 25, 27, 71 f., 89, 114 Qian („Klassiker der Lieder“) 39 f., 44 f., 72, Shijing 75, 77, 112 („Klassiker der Urkunden“) 16 f., 24, Shujing 39–47, 63, 72, 75, 77, 112 (u. a. „Gegen- und Wechselseitigkeit“). Eine shu Art Inbegriff der Goldenen Regel 53 f., 58 f., 118 Shun . Kulturheros. Exemplarisches Vorbild eines weisen, menschlichen Herrschers 32, 35, 59, 71, 75, 81, 89, 93, 120 . Jap. Form der lixue 106, 107 shushigaku („Vier [naturgegebene] Anlagen [zum siduan Guten]“, ein Konzept des Menzius) 77 f. (145?–86?). Historiker und VerfasSima Qian ser des Shiji 23, 67, 71, 89 (bis 110 v. u. Z.) Historiker. Vater Sima Tan von Sima Qian 67 Sippenhaftung 41, 91 („Vier Bücher“). Die von Zhu Xi zu kanosishu nischen Texten erhobenen Bücher Lunyu, Mengzi, Zhongyong und Daxue 19, 89, 111 Stoa. Griechisch-römische Philosophenschule(n), die u. a. eine moralische und intellektuelle Vervollkommnung des Menschen lehrte(n) 115 f. Strafe und Strafrecht 16 f., 30, 34, 40, 47, 73 f., 83, 91, 118 (1866–1925) 123 Sun Yatsen
(5. Jh. v. u. Z.). Vertreter der Schule der Sunzi Kriegskunst. Seine Auffassungen sind im Sunzi wiedergegeben 15, 69 Taika-Reform. An konfuzianischen Lehren und Tangzeitlicher Politik orientierte Reform, die in der Mitte des 7. Jhs. in Japan durchgeführt wurde 105 f. (17. Jh. v. u. Z.). Erster Herrscher der Shang Tang oder Yin und exemplarisches Beispiel für einen menschlichen Fürsten. Stürzte Jie 23 f., 41, 75, 86 f., 93, 98 (reg. 626–649). Kaiser der Tang Taizong Tang-Zeit 99 Tenno¯ 105, 120 Tertium non Datur oder Satz vom ausgeschlossenen Dritten 28, 48 („Himmel“) 10, 41 f., 44 f., 85, 96, 110, 112, tian 114, 119 („Weg des Himmels“) 85, 87 tian dao („Mandat des Himmels“). Auch Betian ming zeichnung für das im Menzius, Xunzi, aber auch im Lunyu artikulierte Lehrstück, nach dem Herrschaft ausschließlich durch Menschlichkeit legitimiert werden kann. Unmenschliche Machthaber sind zu ermahnen und zu kritisieren. Bleibt jeder gewaltlose Widerstand erfolglos, so sind sie schließlich gewaltsam abzulösen und notfalls zu beseitigen. Letztere Konsequenz im Lunyu nur implizit 41–44, 47 f., 72, 75, 80, 82, 86 f., 93, 99, 105 f. Toleranz 13, 32, 59, 109 f. Tradition, Traditionalismus und Traditionskritik 10, 13, 40 f., 46, 60 ff., 68, 70 f., 74, 76, 82 f., 88, 90, 118 f., 121 Tyrannenmord 30, 45, 47, 75 f., 80, 82, 86–88, 93–95, 100, 105 f., 120. & auch tian ming (1734–1809). Literat, VertreUeda Akinari ter der kokugaku 105 Unschuldsvermutung 17, 91–93 Utilitarismus. & Ethik „Vier Bücher“. & sishu Voltaire (1694–1778) 112 Vorbildlichkeit 8, 12, 14–17, 30, 34–38, 48, 50–53, 64 f., 69, 115, 125 („äußerlich konfuzianisch, inwai ru nei fa nerlich legalistisch“) 90, 99–101 (27–97). Kritischer ,Konfuzianer‘ Wang Chong 80 („Weg der Könige“). Konfuzianische wang dao Bezeichnung für den Weg menschlicher Herrschaft, wie ihn insbesondere die Könige Tang, Wen und Wu gingen 98–103, 105
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Register und Glossar Wang Su (195–256). Verfasser des Kongzi jiayu 17 (1472–1529). HauptvertreWang Yangming ter der neokonfuzianischen xinxue 19, 107 Weiser. & shengren Wen (wang) ( ). Erster König der Zhou (reg. 1099/ 56?–1050?) und exemplarisches Beispiel eines menschlichen Herrschers 43 f., 61, 75, 89, 98 Wolff, Christian (1679–1754) 111 f. Wu (wang) ( ). Sohn König Wens. Zweiter König der Zhou (reg. 1049/45?–1043?) 23 f., 41, 42, 43, 44, 61, 75, 86 f., 89, 93, 98 („Fünf Klassiker“): Shijing , Shujing wujing , Yijing , Liji , Chunqiu 39, 104 (Fünf Elemente, Kräfte). Wasser, Feuer, wuxing Holz, Metall [Gold] und Erde. Als Ontologie ist die Lehre von den wuxing prinzipiell den altgriechischen Theorien der Grundfaktoren und/oder Grundelemente alles Seienden vergleichbar 67, 82, 90 xian („[mit gutem Beispiel] vorangehen“) 12, 34, 37 („Neukonfuzianismus xiandai xin rujia der Gegenwart“) 18 („kindliche Ergebenheit, Zuneigung“) 23, xiao 32, 55 f., 111 („kleiner, gemeiner Mensch“) 32 f., 60 xiaoren („Aufrichtigkeit“, „Wahrhaftigkeit“, „Zuverxin lässigkeit“) 12, 32, 38, 48, 50 f., 53, 56 xin („Herz“) 19 („Neokonfuzianismus“) 18 xin rujia („Lehre vom Herzen“) 19 xinxue („Selbstkultivierung“) 36 xiu ji („Lernen“) 38 f., 85 f. xue (313?–238?). Klassisch-konfuzianischer Xunzi Philosoph. Seine Auffassungen sind im Buch Xunzi wiedergegeben 15, 17 f., 22 f., 24, 26, 29 f., 32–36, 38, 42, 47, 56–59, 62, 67–71, 73, 75, 77, 80–89, 99, 103 f., 109, 120 (5.–4. Jh. v. u. Z.?). Vertreter der AufYang Zhu fassung, dass individuelles Leben und körperliche Unversehrtheit ein größeres Gut seien als (gefährliches) Engagement für Menschlichkeit in Staat und Gesellschaft 72, 75 f. Yao . Kulturheros. Exemplarisches Vorbild eines weisen, menschlichen Herrschers 32, 35, 59, 71, 75, 81, 89, 93, 120 („Gerechtigkeit“) 50, 55 f., 71, 75, 77, 118 yi („Klassiker der Wandlungen“) 39 f. Yijing und yang 20, 82, 90. & auch wuxing yin
, Anfang der Shang-Zeit. Zu einem Ideal Yi Yin eines politischen Beraters stilisiert 75 („Lehre [Wang] Yangmings“ in yo¯meigaku Japan) 107 (reg. 781–771). Letzter König der Westlichen You Zhou-Dynastie und exemplarisches Beispiel für einen verbrecherischen Herrscher. Fiel feindlichem Angriff zum Opfer 23, 44 Yu . Kulturheros und legendärer Begründer der XiaDynastie. Dämmte Überflutungen ein. Exemplarisches Vorbild eines weisen, menschlichen Herrschers 41,75 Zensorat. Kaiserliche Behörde, zu deren erklärten Aufgaben auch die Identifikation und Kritik von Fehlern der Regierung und des Kaisers gehörte 80, 92 („Intrigen der Streitenden Zhanguo ce Reiche“) 25 f., 28, 97 („Richtigstellung der Bezeichnunzheng ming gen“). Lehrstück von Lunyu, Xunzi, aber auch Mengzi, dem zufolge Ausdrücke treffend, unmissverständlich und, sofern ethisch relevant, normativ verbindlich sein sollten 46–48, 76, 82, 84, 86 f. (u. a. „Loyalität“). Bedeutet im klassischen zhong Konfuzianismus „mit ganzem Herzen dem Wohl des anderen ergeben sein“ und/oder „kritische Loyalität“. Im herrschaftsstützenden Staatskonfuzianismus unbedingter Gehorsam 19 f., 23, 27 f., 32, 40, 42, 44, 46 f., 54 f., 80, 82, 86 f., 92, 94 , das „dao von zhong zhong shu zhi dao und shu“ 54 („Maß und Mitte“). Eines der sishu Zhongyong 19, 68, 89, 111, 125 ( ) [reg. 1086–1045]. Letzter HerrZhou (Xin) scher der Shang oder Yin und exemplarisches Beispiel für einen verbrecherischen Despoten, der zwangsläufig sein eigenes gewaltsames Ende herbeiführt 23 f., 41, 44, 75, 86 f., 93 f., 100 (369–286). Ihm zugeschriebene AufZhuangzi fassungen sind im Zhuangzi wiedergegeben 26, 67, 69 (1130–1200). Hauptvertreter der neoZhu Xi konfuzianischen lixue 18 f., 65, 79, 81, 88 f., 95, 98 f., 106 . Enkel des Konfuzius 82, 89 Zisi („Überlieferung des [Gelehrten] Zuozhuan Zuo“). Aus dem 5. oder 4. Jh. v. u. Z. Ausführliche Darstellung der im Chunqiu aufgelisteten Ereignisse 27
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