Kommunales EU-Beihilfenrecht [1 ed.]
 9783428554737, 9783428154739

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Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer

Band 234

Kommunales EU-Beihilfenrecht Herausgegeben von

Wolfgang Weiß

Duncker & Humblot · Berlin

Wolfgang Weiß (Hrsg.)

Kommunales EU-Beihilfenrecht

Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Band 234

Kommunales EU-Beihilfenrecht

Herausgegeben von Wolfgang Weiß

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH Printed in Germany ISSN 2197-2842 ISBN 978-3-428-15473-9 (Print) ISBN 978-3-428-55473-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-85473-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Das Europäische Beihilfenrecht ist ein Querschnittsrechtsgebiet in alleiniger unionaler Zuständigkeit und stellt deutsche Verwaltungsträger vor immer größere Herausforderungen. Auch die Kommunen sind verpflichtet, bei ihren Maßnahmen die Anforderungen des EU-Beihilfenrechts einzuhalten. Daher waren und sind kommunale Fragen der Anwendung des EU-Beihilfenrechts immer wieder Gegenstand der Speyerer Europarechtstage. Die in diesem Band versammelten Beiträge geben die kommunalrelevanten Vorträge auf den 9. Speyerer Europarechtstagen zu aktuellen Fragen des EU-Beihilfenrechts wieder. Weitere Beiträge wurden hinzugenommen, um monographisch ein möglichst umfassendes Bild des kommunalen EU-Beihilfenrechts zu zeichnen. An dieser Stelle sei den Beitragenden für ihre Termintreue, meiner Sekretärin Frau Bub-Eitelmann für die gewohnt zuverlässige Manuskriptbearbeitung und meinen Mitarbeitern Ass. iur. Felix Stern und RRef Lorenz Rubner und meiner Mitarbeiterin Frau RRefin Christina Roll für ihre Mitwirkung bei der Fahnendurchsicht gedankt. Der KPMG Law sei Dank gesagt für ihre fortlaufende Unterstützung der Tagungen. Speyer, im Februar 2018

Wolfgang Weiß

Inhaltsverzeichnis Wolfgang Weiß Kommunales EU-Beihilfenrecht: Substanz und Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Hans Arno Petzold Kommunale Unternehmen und Beteiligungen im Lichte des EU-Beihilfenrechts  . 21 Joachim Erdmann Kommunale Bürgschaften und andere Garantien im Spiegel des Europäischen Beihilfenrechts  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Tobias Traupel und Claudia Byczynski Krankenhausfinanzierung und Beihilfenrecht  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Tanja Struve Kulturförderung: Spielräume des Beihilfenbegriffs und der AGVO  . . . . . . . . . . . . . . 67 Stefan Meßmer Beihilfen im Tourismusmarketing  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Carsten Jennert und Robert Böttner EU-beihilfenrechtliche Risiken der Auslastung kommunaler Infrastrukturen  . . . . . 101 Autorenverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Kommunales EU-Beihilfenrecht: Substanz und Verfahren Wolfgang Weiß Kommunales EU-Beihilfenrecht: Substanz und Verfahren

I.  Einleitung: Kommunen und EU-Beihilfenrecht Das EU-Wettbewerbsrecht der Art. 101 ff. AEUV ist der klassische Politikbereich, in dem sich mit als erstes eine zentrale, unionale Eigenverwaltung herausgebildet hat. Auf diesem Politikfeld nimmt die Europäische Kommission die traditionelle Rolle einer Verwaltungsbehörde ein, die gesetzliche Vorgaben – mit mehr oder minder großem Spielraum – auf den Einzelfall anwendet. Gleichwohl sind auch nationale Gerichte und Behörden, bis hinunter auf die kommunale Ebene, vom EU-Wettbewerbsrecht betroffen. Zwar obliegt der Europäischen Kommission die Entscheidungsfindung über die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts; es ist ihre Aufgabe, im EU-Kartell- und Fusionskontrollrecht unzulässiges Verhalten von Unternehmen zu ahnden oder beabsichtigte Fusionen freizugeben oder zu untersagen, oder im EU-Beihilfenrecht gemäß Art. 107 und 108 AEUV und den einschlägigen sekundärrechtlichen Regelungen1 über die Genehmigung beabsichtigter staatlicher Förderungen zu entscheiden und das bereits von Gesetzes wegen wirksame Verbot unzulässiger und unangemeldeter nationaler Beihilfen durchzusetzen. Der Vollzug des EU-Beihilfenrechts ist aber mittlerweile in nicht unerheblichem Umfang an staatliche und damit auch kommunale Stellen übertragen worden. Das früher alleinige Freistellungsmonopol der Kommission für jeden einzelnen Beihilfesachverhalt existiert schon seit längerem nicht mehr. Die Kommission hat auf der Grundlage von Ermächtigungen des Ministerrats unmittelbar wirksame und damit von jeder staatlichen Stelle auch anwendbare Freistellungstatbestände sekundärrechtlich verankert, allen voran in der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung, der sog. AGVO 651/20142, aber auch in 1 Systematisierender

Überblick über die beihilfenrechtlichen Rechtsgrundlagen bei W. Weiß, § 3 V. Das Beihilferegime, in: M. Niedobitek (Hrsg.), Europarecht – Politiken der Union, 2014, § 3, Rn. 275 ff. Eine aktuelle Textsammlung ist 2017 erschienen: C. Jennert/C. Koenig/T. Traupel, Europäisches Beihilfenrecht: EUBeihilfR, 2017. 2 VO 651/2014 der Kommission zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 AEUV, ABl. 2014 L 187/1, zuletzt geändert durch VO 2017/1084 der Kommission, ABl. 2017 L 156/1. Ihre Tatbestände sind als Ausnahmen vom Beihilfeverbot eng auszu-

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den De minimis-Verordnungen3 und dem Freistellungsbeschluss für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DawI).4 Damit sind nationale, auch kommunale Behörden verpflichtet, das EU-Beihilfenrecht nicht nur zu beachten. Der zentrale Vollzug durch die Kommission lässt die allgemeine rechtsstaatliche Verpflichtung öffentlicher Träger, das Recht zu respektieren, unberührt, zumal wenn es sich wie im EU-Beihilfenrecht um eine Materie handelt, die sich spezifisch öffentlicher Betätigung, nämlich der öffentlichen Forderung von wirtschaftlicher Tätigkeit, zuwendet und sie Regelungen unterwirft. Neben diese allgemeine Beachtensverpflichtung gerade auch für das unionale öffentliche Recht tritt auch im EU-Beihilfenrecht noch der Umstand, dass bestimmte Bereiche aus dem EU-Beihilfenrecht in die unmittelbare Anwendung überführt sind. Dies gilt überall dort, wo Freistellungen in den oben genannten Rechtsakten der Kommission festgelegt sind, insbesondere wenn die kommunale Ebene sich der Freistellungstatbestände, die die Kommission allgemein in ihrer AGVO 651/2014 geregelt hat, bedient. Die Anmeldung bei der Kommission entfällt dann zwar, doch ist die nationale Stelle darauf verpflichtet, die Regelungen genauestens zu befolgen. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Diese Beachtungs- und Vollzugspflicht, die jeder staatlichen Ebene zukommt, entfaltet spezifische Verpflichtungen, die in diesem einleitenden Beitrag näher vorgestellt werden sollen. Dazu ist hier zunächst die Bedeutung des Beihilfenrechts für die Kommunen näher zu entfalten (nachfolgend II.). Anschließend wird im Überblick auf beihilfenrelevante Sachverhalte hingewiesen, die in besonderer Weise einschlägig für Kommunen sind (nachfolgend III.). Ihrer genauen beihilfenrechtlichen Beurteilung sind die weiteren Beiträge in diesem Buch gewidmet. Abschließend wird in diesem einleitenden Beitrag auf besondere Verfahrensverpflichtungen hingewiesen, auf deren Einhaltung auch die Kommunen strikt achten sollten (nachfolgend IV.). Im Zentrum stehen dabei die Transparenz- und Publikationsanforderungen der AGVO 651/2014.

legen, so kürzlich der EuGH, Rs. C-493/14 (Dilly’s Wellnesshotel), ECLI:EU:C:2016:577 Rn. 37. 3  VO 1407/2013 der Kommission über die Anwendung der Artikel 107 und 108 AEUV auf De-minimis-Beihilfen, ABl. 2013 L 352/1; ferner die spezifische DawI-De minimis-VO 360/2012, s. nächste Fn. 4  Beschluss der Kommission 2012/21/EU über die Anwendung von Artikel 106 Absatz 2 AEUV auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zugunsten bestimmter Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, ABl. 2012 L 7/3. Dazu auch die VO 360/2012 der Kommission über die Anwendung der Artikel 107 und 108 AEUV auf De-minimis-Beihilfen an Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen, ABl. 2012 L 114/8.

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II. Bedeutung des EU-Beihilfenrechts für Kommunen: Umfangreiche Verantwortlichkeiten Die Bindung der öffentlichen Hand an das EU-Beihilfenrecht hat für die Kommunen vielfältige Bedeutung und entfaltet daher umfangreiche Prüfungs- und gegebenenfalls je nach Ergebnis der Prüfung weitere Anmelde-, Dokumentations- und Kommunikationspflichten. Allen voran ist die Kommune wie jeder Träger öffentlicher Gewalt auf die Beachtung und Einhaltung des EU-Beihilfenrechts verpflichtet. Auch die Kommunen müssen sicherstellen, dass es bei allen Sachverhalten, die ihrem Einfluss unterliegen, zu keiner Verletzung des EU-Beihilfenrechts kommt. Bereits das Grundprinzip des EU-Beihilfenrechts nach Art. 107 Abs. 1 AEUV, dass jegliche staatliche (und damit auch: kommunale) Beihilfen an Unternehmen verboten sind, entfaltet umfangreiche Prüfungspflichten, zumal die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Beihilfenbegriffs (Begünstigung, staatliche Mittel, Spezifität, Unternehmen, grenzüberschreitende Wettbewerbsbeeinträchtigung) weit ausgelegt werden5; so können auch bloße Vereine oder Stiftungen, die regelmäßig auf den ersten Blick fern von wirtschaftlichen Betätigungen scheinen, bei näherem Hinsehen doch zumindest teilweise wirtschaftliche Tätigkeiten entfalten und daher unter den Unternehmensbegriff fallen. Die Kommune muss sicherstellen, dass in ihren Beziehungen zu Unternehmen keine Beihilfen, und somit keine unzulässigen, weil nicht auf die Gewährung einer adäquaten Gegenleistung für die Kommune beruhenden Vorteile gewährt werden. Das erfasst nicht nur vertragliche Leistungsbeziehungen, die die Kommune eingeht, sondern auch ihre Beziehungen als Eigentümerin oder Teilhaberin zu ihren Unternehmen, in welcher Rechtsform auch immer. In diesen Beziehungen hat die Kommune zu kontrollieren, ob die Unternehmen von ihr durch direkte finanzielle Zahlungen und Zuwendungen, durch Garantien, Darlehen oder indirekt über andere Wege Begünstigungen erhalten. Die Kommune hat diese Kontrolle durch geeignete organisatorische Gestaltungen sicherzustellen. Werden begünstigende Wirkungen festgestellt, muss die Kommune eigenverantwortlich ihre Prüfung auf ihre rechtliche Zulässigkeit in die Wege leiten. Der sicherste Weg ist dabei die Anmeldung bei der Europäischen Kommission, die die Kommune dann zu veranlassen hat. Gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV ist die Kommission von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen zu unterrichten; das bedeutet, dass abgesehen von sekundärrechtlichen Freistellungen jeder Vorgang einer Beihilfegewährung bei der Kommission vorher anzumelden ist. Damit einher geht die aus dem Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV resultierende Pflicht der Kommune, bis zur 5 Dazu etwa B. Leippe, EU-Beihilfenrecht in der kommunalen Praxis, 3. Aufl 2017, S. 29 ff.; H. A. Petzold, Beihilfenkontrolle im Europäischen Mehrebenensystem, 2. Aufl. 2015, S. 23 ff.

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Entscheidung der Kommission die Gewährung von Beihilfen nicht durchzuführen bzw. bei bereits erfolgenden Zuwendungen dies sofort einzustellen und über Rückabwicklungsmaßnahmen zu entscheiden. Sofern die sekundärrechtlich verankerten Freistellungen wie insbesondere im Rahmen der AGVO einschlägig sein sollten, die von der Anmeldepflicht bei der Kommission befreien, hat die Kommune deren Voraussetzungen eigenständig zu prüfen und ist auch für die Einhaltung der damit einhergehenden, in Art. 9 und 11 der AGVO 651/2014 geregelten Transparenz- und Publikationspflichten verantwortlich. Gleichfalls muss die Kommune darauf achten, dass bei von der Kommission genehmigten allgemeinen Beihilferegelungen des Bundes oder des Landes deren Anforderungen nicht verletzt werden, weil dann der von der Kommission genehmigte Rahmen für Beihilfen überschritten werden könnte. Die entsprechenden Prüfungen sind zu dokumentieren, insbesondere dann, wenn auf Beihilfefreiheit erkannt wird oder die Voraussetzungen einer Freistellung in Anspruch genommen werden. Die Beachtung dieser Pflichten hat nicht nur kommunalaufsichtsrechtliche Bedeutung6 und schützt nicht nur vor der Gefahr, zum Gegenstand von Prüfungen der Kommission zu werden. Ihre Unterlassung kann auch zu unmittelbaren Rechtsstreitigkeiten mit der Kommune führen, weil das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV seit langem als eine unmittelbar anwendbare Norm anerkannt ist7, die einem von einer Beihilfe negativ betroffenen Konkurrenten ein subjektives Klagerecht gibt. Darauf gestützt kann ein Wettbewerber eines Beihilfebegünstigten direkt gegen die Kommune klagen und die Beihilfegewährung anfechten und auch Sicherungsmaßnahmen beantragen. Darauf gestützt können auch Schadensersatzansprüche von Wettbewerbern gegen die Kommune wegen infolge einer Verletzung des Durchführungsverbots als einer Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG oder nach § 823 Abs. 2 BGB eingetretener Schäden – über die Geltendmachung der Rückforderung hinaus – unter Umständen erfolgreich eingeklagt werden.8 Zwar verpflichtet das EU-Recht die Mitgliedstaaten nicht, solch eine Haftungsfolge an die Verletzung des Durchführungsverbots zu knüpfen, steht aber einer solchen Haftung nach nationalem Recht nicht entgegen.9 Die Haftung beschränkt sich wegen des notwendigen Kausalitätsnachweises zwischen der unterbliebenen Anmeldung bzw. 6  Zur Kommunalaufsicht im Kontext der Beihilfengewährung H. A. Petzold (Fn. 5), S. 91 ff. 7  Vgl. EuGH, Rs. 120/73 (Lorenz), ECLI:EU:C:1973:152 Rn. 8; Rs. 78/76 (Steinike & Weinlig), ECLI:EU:C:1977:52 Rn. 14; BVerwG, Az. 3 C 44/09 (Tierkörperbeseitigung), EuZW 2011, 269; BGH, Az. I ZR 136/09 (Flughafen Hahn) BGHZ 188, 326 Rn. 17, 19. 8  s. auch M. Bungenberg, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Band 3, 2016, 1. Teil Beihilfenrecht, VI. Rechtsschutz, Rn. 89 ff. 9  EuGH, Rs. C-39/94 (SFEI), ECLI:EU:C:1996:285 Rn. 73 – 75; M. Köhler, Private Enforcement of State Aid Law, EStAL 2012, S. 369 (375).

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voreiligen Durchführung und dem Schadenseintritt auf diejenigen Schäden, die gerade durch die vorzeitige Gewährung verursacht wurden.10 Über das Bestehen einer Haftung für solche Schäden aus der voreiligen Durchführung wurde – anders als über Rückforderungs- und Aussetzungsansprüche – national indes noch nicht letztgültig entschieden.

III. Hohe Beihilfenrelevanz kommunaler Angelegenheiten: Weite des Beihilfenbegriffs und der Allzuständigkeit Die grundsätzliche kommunale Allzuständigkeit für die örtlichen Angelegenheiten bringt komplexe Wege und Mittel der kommunalen Aufgabenerfüllung mit sich. Daher können sich auf kommunaler Ebene eine Vielzahl von Sachverhalten einstellen, die beihilfenrechtliche Relevanz aufweisen, zumal die für die Anwendung des EU-Beihilfenrechts relevanten unionsrechtlichen Begrifflichkeiten im Interesse der effektiven Wirkung des in Art. 107 Abs. 1 AEUV verankerten Beihilfeverbots weit ausgelegt werden. 1. Weite des Beihilfenbegriffs Wie schon angemerkt, erfasst der Begünstigungsbegriff jede Art von Besserstellung eines Unternehmens im Wettbewerb. Auf welche Weise diese sich einstellt, ist unerheblich. Beihilfenrelevant und damit möglicherweise als Beihilfe verboten sind nicht nur direkte Zuführungen in Form von verlorenen Zuschüssen oder Verzichte auf eigentlich zustehende Steuern, Gebühren, Beiträge oder andere Zahlungen. Selbst in vertraglichen Austauschbeziehungen können unzulässige Beihilfen stecken, nämlich wenn die Kommune für eine Leistung einen nicht marktangemessenen, überhöhten Preis zahlt oder einem Unternehmen besondere Vorrechte gewährt. Auch das Kriterium, dass die Begünstigung aus staatlichen Mitteln stammt, wird extensiv ausgelegt. Es genügt bereits eine bloß potentielle Haushaltsbelastung, wie im Fall einer Bürgschaftsstellung. Auch müssen die Mittel nicht unmittelbar aus dem staatlichen Haushalt kommen. Es genügt, dass die für die Begünstigung eingesetzten Mittel einer staatlichen, oder auch kommunalen Stelle zurechenbar sind, weil sie über deren Verwendung bestimmt. Daher sind als kommunale Beihilfen unter Umständen auch Zahlungen kommunaler Eigenbetriebe oder Unternehmen einzuordnen. Auch der Unternehmensbegriff des EU-Wettbewerbsrechts wird sehr weit konzipiert und ist völlig unabhängig von nationalen Vorstellungen über Begriff und Anforderungen an wirtschaftliche Betätigung. Wenn etwa kommunalverfas10 Wegen des Kausalitätserfordernisses zurückhaltend zu den Erfolgsaussichten J. Kühling, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2012, § 29, Rn. 79 f.

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sungsrechtliche Regelungen bestimmte soziale oder kulturelle Betätigungen oder marktgängige Leistungen wie der kommunalen Energie- oder Wasserversorgung nicht oder nicht umfassend als wirtschaftliche Betätigung einordnen (vgl. etwa § 85 Abs. 1, Ziffer 3 und Abs. 4 Gemeindeordnung Rheinland Pfalz, § 102 Abs. 4 Gemeindeordnung Baden-Württemberg, § 107 Abs. 1 Ziffer 3 und Abs. 2 Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen), ist das für das EU-Beihilfenrecht irrelevant. Unionsrechtlich ist für den Unternehmensbegriff nur entscheidend, dass eine wirtschaftliche Einheit vorliegt, die Güter oder Leistungen auf dem Markt anbietet. Damit können auch gemeinnützige Vereine erfasst werden, soweit sie als Anbieter auf einem Markt präsent sind. Es gibt daher keine vom Unternehmensbegriff per se ausgenommenen Betätigungen. Auch kulturell oder sozial motivierte Betätigungen unterfallen grundsätzlich dem Unternehmensbegriff, sofern damit eine Leistung auf dem Markt entgeltlich angeboten wird. Dass wirtschaftliche Betätigung in einer Kommune regelmäßig gar keine oder allenfalls nur sehr begrenzte Wirkungen für den zwischenstaatlichen Handelsverkehr entfaltet, führt nicht dazu, dass die Begünstigung keine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels bewirkt. Während früher diese Anforderung des Beihilfebegriffs sehr schnell angenommen wurde und in der Begünstigung schon die grenzüberschreitend zumindest potentiell relevante Wettbewerbsverzerrung erkannt wurde, ist in jüngerer Gegenwart von der Kommission der Versuch gestartet worden, die Weite dieses Merkmals zurückzuschneiden und rein lokal relevante Leistungen aus dem Anwendungsbereich des Beihilfeverbots herauszunehmen. Die Kommission hat in einigen Entscheidungen vom September 2015 und 2016 versucht, hier mehr Klarheit zu formulieren, indem sie die rein lokale Begrenztheit von Leistungen betonte. Diese Thematik wird in den Beiträgen von Meßmer und Struve noch veranschaulicht werden. Zu erinnern ist, dass die reine Lokalität eines Leistungsangebots nicht allein mit Hinweis auf die nur rein lokalen Nutzer, also den begrenzten Einzugsbereich eines Unternehmens in einer Kommune, begründet werden kann; denn es ist auch immer die Betreiberebene in den Blick zu nehmen, also danach zu fragen, ob auf der Ebene des anbietenden Unternehmens durch die Begünstigung eine Besserstellung im Vergleich zu anderen potentiellen Anbietern aus anderen EU-Staaten eintritt; die Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen den Betreibern um den Betrieb solcher Einrichtungen ist zu beachten.11

11 Vgl. Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe; ABl 2016 C 262/1, Rn. 196.

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2. Systematisierung beihilfenrelevanter kommunaler Sachverhalte Nicht nur die Weite dieser Tatbestandsmerkmale, sondern – wie schon angemerkt – auch die Fülle kommunaler Aufgaben führt zu einer außerordentlichen Vielzahl beihilfenrechtlich relevanter Sachverhalte, die näher auf das Vorliegen von EU-Beihilfen untersucht werden müssen.12 Vorangestellt sei der Hinweis, dass genuine, hoheitliche Verwaltungsaufgaben nicht unter das Beihilfenrecht fallen, weil es sich dabei nicht um wirtschaftliche Tätigkeit handelt, so dass insoweit keine Unternehmen vorliegen können. Dieser Bereich ist aber eng umgrenzt. Schon Hilfstätigkeiten wie der Erwerb von Verwaltungsmitteln oder die Beauftragung von Unterstützungstätigkeiten können Beihilferelevanz haben und sind daher auf das Vorliegen von Beihilfe zu untersuchen. Mit solchen hoheitlichen Verwaltungsaufgaben in oft engem Bezug stehen schulische, kulturelle, sportliche oder soziale und volksgesundheitliche Angelegenheiten. Kommunen sind Schulträger, unterhalten oder fördern kulturelle Einrichtungen, bieten soziale oder gesundheitliche Leistungen an, allen voran als Träger kommunaler Krankenhäuser oder Anbieter günstigen Wohnraums, und unterstützen sportliche Angebote etwa von Vereinen oder stellen selbst Sportanlagen zur Verfügung. Sich um diese örtlichen Angelegenheiten zu kümmern, ist Auftrag der Kommunen. Es ist daher völlig legitim, dass die Kommune in diesen Bereichen tätig wird, indem sie selbst Angebote schafft oder Leistungsanbieter unterstützt. Gleichwohl nimmt das diesen Bereich nicht von der Anwendung des Beihilfenrechts aus; daran können auch Regelungen wie etwa Art. 75 Abs. 2 Bayerische Gemeindeordnung nichts ändern, der die vergünstigte Nutzungsüberlassung kommunaler Vermögensgegenstände zur Sicherung preiswerten Wohnens und zur Sicherung der Existenz kleiner und ertragsschwacher Gewerbebetriebe zulässt. Denn die Begriffsbildung im Unionsrecht ist autonom. Sobald daher entgeltliche Leistungen erbracht werden, oder aber eine selbst unentgeltliche Leistung im Wettbewerb mit kommerziellen Anbietern angeboten wird, liegt eine unternehmerische Betätigung vor, so dass Zuwendungen an entsprechende kommunale oder private Einrichtungen den Beihilfebegriff erfüllen können. Auf die beihilfenrechtlichen Probleme kommunaler kultureller Angebote und der Krankenhausfinanzierung gehen die nachfolgenden Beiträge von Struve und Traupel und Byczynski ein. 12  Eine unsystematische Zusammenstellung von elf wichtigen Anwendungsfällen findet sich bei B. Leippe (Fn 5), S. 84 ff.; für einige Anwendungsfälle s. auch N. Sonder, Europäisches Beihilfenrecht in der kommunalen Praxis, KommJur 2013, S. 121. Vertieftere Darstellung der Themen Wirtschaftsförderung, Infrastrukturen, DawI, Darlehen und Bürgschaften in Hessischer Städtetag (Hrsg.), Handbuch Europäisches Beihilfenrecht, 2015 (https://publicgovernance.de/media/Handbuch_Europ_Beihilfenrecht_Hess.Staedte tag_Juli_2015.pdf).

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Ein den Kommunen zustehendes Aufgabenfeld ist der Bereich der Daseinsvorsorge. Nach Kommunalwirtschaftsrecht dürfen Kommunen – mit im einzelnen unterschiedlichen Schranken – hier wirtschaftlich tätig werden. Energie- und Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung sind typischerweise in kommunaler Hand. Anders als im Kartellrecht kann die Kommune sich für die Wasserwirtschaft der Anwendung des Beihilfenrechts nicht durch Flucht in das Gebührenrecht entziehen.13 Die Ausgestaltung der Leistungsbeziehungen bei Eigenerbringung durch ein kommunales Unternehmen oder durch Beauftragung eines privaten untersteht daher auch der beihilfenrechtlichen Kontrolle, für die die Kommission eigene rechtliche Instrumente eingeführt hat, allen voran den oben bereits angesprochenen DawI-Freistellungsbeschluss.14 Dabei kann das Beihilfenrecht unter Umständen auch Grenzen in der Kapazitätsnutzung kommunaler Infrastrukturen aufzeigen; dem geht der Beitrag von Jennert und Böttner in diesem Buch nach. Das Beihilfenrecht ist generell relevant für die kommunale wirtschaftliche Betätigung, die sich nicht durchweg auf die Daseinsvorsorge beschränkt. Die Defizitfinanzierung kommunaler Unternehmen und generell die Zuführung von kommunalem Fremd- oder Eigenkapital ist ein mittlerweile klassisches Feld, auf dem die Anforderungen des Beihilfenrechts beachtet werden müssen. Doch auch die Privatisierung kommunaler Unternehmen und die Rekommunalisierung von Unternehmen15 können im Lichte des Beihilfenrechts Probleme auslösen. Verhält sich die Kommune hier nicht wie ein privater Investor, bedarf die Finanzierung des kommunalen Unternehmens durch die Kommune einer beihilfenrechtlichen Rechtfertigung. Den beihilfenrechtlichen Fragen, die durch Kommunale Unternehmen ausgelöst werden, spürt nachfolgend der Beitrag von Petzold nach. Ein weiteres sehr beihilfenrelevantes Betätigungsfeld der Kommunen ist die lokale Wirtschaftsförderung. Die Kommunen setzen sich regelmäßig die Förderung der lokalen Wirtschaftskraft zum Ziel und bedienen sich dabei unterschiedlicher Instrumente der Standortförderung, angefangen von der Ausweisung von Gewerbegebieten über die Einrichtung von Anreizmechanismen für örtliche In13  Zugegebenermaßen wird eine beihilfenrechtliche Preiskontrolle nur greifen, falls in der Preisgestaltung eine Ungleichbehandlung zugunsten bestimmter Unternehmen vorliegt. 14 Ein einleitender Überblick über die sich daraus ergebenden Grundlagen für die beihilfenrechtssichere Finanzierung von DawI-Leistungen bei H.-P. Busson/G. Kirchhof/S. Müller-Kabisch, Beihilfenrechtskonforme Finanzierung der kommunalen Daseinsvorsorge, KommJur 2014, S. 88. 15  Zu beihilfenrechtlichen Fragen insoweit C. Correll, Probleme der Rekommunalisierung von Energienetzen, DVBl. 2016, S. 338, 342 ff.; C. Koenig, EU-beihilfenrechtliche Stolpersteine bei der Rekommunalisierung – eine Fallstudie am Beispiel der Wasserwirtschaft (Teil 1), BRZ 2017, S. 171; G. Kleve/M. Gayger, Die Rekommunalisierung in der Beihilfenrechtsfalle?, NVwZ 2018, S. 273.

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dustrieansiedlung bis hin zu punktuellen Formen der örtlichen Wirtschaftsförderung. Dabei finden Instrumente wie die Übernahme kommunaler Sicherungen und Bürgschaften, direkte Investitionszuschüsse, die vergünstigte Abgabe von Grundstücken, oder die Errichtung spezifischer Förderinfrastrukturen wie Gründerzentren zur Anwendung. Mit den beihilfenrechtlichen Fragen der Sicherungsinstrumente setzt sich der Beitrag von Erdmann auseinander. Damit zusammen hängen auch kommunale Bemühungen um eine bessere Standortbewerbung, etwa durch Tourismusmarketing. Auf die damit einhergehenden beihilfenrechtlichen Problemlagen geht der Beitrag von Meßmer ein. Quer zu diesen einzelnen sachlichen Aufgabenfeldern liegt die Problematik kommunaler Infrastrukturen. Die Förderung bzw. Errichtung von Infrastrukturen in Kommunen dient verschiedenen Politikzielen und findet daher als beihilfenrechtliche Querschnittsthematik Eingang in die beihilfenrechtliche Erörterung zu unterschiedlichen Themenfeldern. Kommunale Infrastrukturen können Zielsetzungen der Kultur-, Sport- oder der Wirtschaftsförderung oder der Daseinsvorsorge dienen und dementsprechend etwa als Museen, Sportstätten wie Fußballstadien16 oder Kletterhallen17, Straßen, Gewerbegebiete, Flughäfen18 und Häfen in Erscheinung treten. Die Thematik tritt daher in ihren jeweiligen Kontexten in den Beiträgen von Traupel und Byczynski, Struve und Jennert und Böttner auf.

IV. Beihilfenrechtliche Verfahrens- und Transparenzpflichten für Kommunen Neben der Verpflichtung, die Anmeldepflicht zu beachten und gegebenenfalls die Notifizierung in die Wege zu leiten, ist der Kommune bei der Nutzung der Freistellungstatbestände insbesondere der AGVO aufgegeben, die dortigen Mitteilungspflichten zu beachten. Diesen formalen Anforderungen kommt für die Freistellungswirkung konstitutive Bedeutung zu. Der EuGH hat das kürzlich im Hinblick auf die frühere AGVO 800/200819 festgestellt. Dort war als Bedingung für die Freistellung die Einhaltung der Transparenzverpflichtungen explizit festgelegt, so dass Einzelbeihilfenmaßnahmen einen ausdrücklichen Verweis auf die 16 

W. Kreuzer, Die öffentliche Förderung von Fußballstadien, 2011. Dazu EuG, Rs. T-162/13 (Magic Mountain Kletterhallen), ECLI:EU:T:2016:341. 18  A. Guarrata, Die Finanzierung von Flughafeninfrastruktur und das europäische Beihilfenrecht im Wandel, 2017. Eine Analyse der Kommissionspraxis in der Anwendung der Flughafenleitlinien seit 2014 geben M. Giannino/F. Romby, Operating Aids to Airports: a Review of the Commission’s Decisions on the Application of the 2014 Guidelines, EStAL 2017, S. 567. 19  VO 800/2008 der Kommission zur Erklärung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt in Anwendung der Artikel 87 und 88 EGV, ABl. 2008 L 214/3. 17 

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AGVO 800/2008 unter Angabe ihres Titels sowie die Fundstelle im Amtsblatt der Europäischen Union und der einzelstaatlichen Rechtsgrundlage enthalten mussten.20 Andernfalls genießt die Maßnahme, auch wenn sie sonst inhaltlich mit den Anforderungen der AGVO im Hinblick auf Schwellenwerte u.a. übereinstimmt, nicht den Vorteil der Freistellung, sondern unterliegt der Notifizierungs- und auch der Stillhaltepflicht nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV.21 Ein solches Zitiergebot findet sich zwar in der neuen AGVO 651/2014 nicht mehr. Allerdings verweist deren Art. 3 nach wie vor auf die Einhaltung der allgemeinen Anforderungen, was die Informationspflichten nach Art. 9 einschließt. Konkret besteht nach Art. 9 und Art. 11 AGVO 651/2014 seit dem 1. 7. 2016, und zwar auch bei Beihilfen, die auf der Grundlage von Beihilfenregelungen unter der AGVO aus der Zeit vor dem 1. 7. 2016 erfolgen, eine Veröffentlichungspflicht hinsichtlich einer Kurzbeschreibung gemäß Anhang II zur AGVO und auch des vollen Wortlauts der Beihilfenmaßnahme (oder eines Link hierzu) auf einer nationalen Website. Die Kurzbeschreibung muss den Namen des Beihilfenempfängers, seinen Sitz und die Branche, die Eigenschaft als KMU oder als Großunternehmen, die Höhe der Beihilfe, die Art der Beihilfe, das Datum der Gewährung und die Rechtsgrundlage nennen. Diese Informationen müssen über die Beihilfenstelle des jeweiligen Landes innerhalb von 20 Arbeitstagen nach Gewährung der Beihilfe veröffentlicht werden.22 Eine vergleichbare, stärker individualisierte Transparenzpflicht besteht zusätzlich auch für alle Einzelbeihilfen in Höhe von mehr als 500.000 €, die unter von der AGVO erfassten Beihilfenmaßnahmen bewilligt werden; hier müssen die entsprechenden Angaben nach Anhang III der AGVO binnen sechs Monaten, bei steuerlichen Maßnahmen binnen zwölf Monaten gemacht werden (Art. 9 Abs. 4 AGVO 651/2014). Bei steuerlichen Einzelbeihilfen wird die Wahrung des Steuergeheimnisses dadurch gewährleistet, dass die Beihilfen in Bandbreiten angegeben werden (Art. 9 Abs. 2 AGVO). Angesichts der Entscheidung des EuGH zur Zitierklausel in VO 651/2008 ist davon auszugehen, dass für die Freistellungswirkung nach AGVO 651/2014 die Einhaltung dieser Informationspflicht konstitutiv ist.23

20 

s. Erwägungsgrund 5, Art. 3 Abs. 1 AGVO 800/2008. EuGH, Rs. C-493/14 (Dilly´s Wellnesshotel), ECLI:EU:C:2016:577 Rn. 41 ff. 22 Das Verzeichnis für Deutschland findet sich unter https://webgate.ec.europa.eu/ competition/transparency/public/search/DE?resetSearch=true. Das technische Vorgehen ist auf S. 100 ff. des vom Bundeswirtschaftsministerium herausgegebenen Handbuchs über staatliche Beihilfen (Januar 2016) geschildert. Zugriff unter http://www.bmwi.de/ Redaktion/DE/Downloads/B/beihilfenkontrollpolitik-handbuch-ueber-staatliche-beihil fen.pdf?__blob=publicationFile&v=6. s. auch Hinweis im Arbeitsdokument zur Informationseingabe im Transparenzmodul, auf Deutsch erhältlich unter http://www.bmwi.de/ Redaktion/DE/Downloads/B/beihilfenkontrollpolitik-transparenzmodul-fuer-die-bewil ligung-von-staatlichen-beihilfen.pdf?__blob=publicationFile&v=8. 21 

Kommunales EU-Beihilfenrecht: Substanz und Verfahren

19

Der AGVO 800/2008 vergleichbare – gleichfalls für konstitutiv erachtete24 – Zitiergebote finden sich in anderen Beihilfenregelungen, etwa in den beiden De minimis-Verordnungen (s. Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 VO der De minimis VO 1407/2013; Art. 3 Abs. 1 der DawI De-minimis VO 360/201225), wonach bei Gewährung einer De minimis-Beihilfe die Höhe der Beihilfe und die DawI-Leistung dem Beihilfenempfänger gegenüber benannt und er dabei unter ausdrücklichem Verweis auf die jeweilige Verordnung mit Angabe ihres Titels und der Fundstelle im Amtsblatt der Europäischen Union auf den Charakter als De minimis-Beihilfe hingewiesen wird. Jedoch ist diese Regelung zur Informationspflicht in der DawI De-minimis VO nicht unter den Voraussetzungen der Freistellungswirkung genannt. Art. 2 Abs. 1 VO 360/2012 fordert nur die Erfüllung der Voraussetzungen dieses Artikels. Daher kann das Zitiergebot insoweit nicht konstitutiv sein. 23

Transparenzverpflichtungen statuiert in seinem Art. 7 auch der DawI-Freistellungsbeschluss26, wenn ein Unternehmen mehr als 15 Mio. € an Ausgleichsleistungen erhält und es noch andere Tätigkeiten als die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ausübt. Dann sind im Internet oder auf sonstige Weise der Betrauungsakt oder eine Zusammenfassung und der jährliche Beihilfenbetrag zu publizieren.

23  In der Literatur war das umstritten, nunmehr wird die konstitutive Natur der Transparenzverpflichtungen der Mitgliedstaaten anerkannt, vgl. C. Rüchart/A. Hiersche, Dilly’s Wellnesshotel und der Transparenzgrundsatz im Beihilfenrecht, BRZ 2017, S. 63, 66; A. Bartosch, EU-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2016, VO 651/2014, Art. 9, Rn. 2. 24 Vgl. C. Rüchart/A. Hiersche (Fn. 23), S. 63, 66. 25  Fn. 3. Vgl. aber die Ausnahmen bei Bestehen eines umfassenden Zentralregisters in Art. 6 Abs. 2 VO 1407/2013 bzw. Art. 3 Abs. 2 VO 360/2012. 26  Fn. 4. Weitere Beihilferegelungen (AGVO Fischerei 1388/2014, ABl. 2014 L 369/37; AGVO Agrar und Forst 702/2014, ABl. 2014 L 193/1; ferner zahlreiche Leitlinien) sehen Transparenzverpflichtungen vor, die indes für die Kommunen weniger einschlägig erscheinen. Siehe dazu auch die Transparenzmitteilung der Kommission, ABl. 2014 C 198/30.

Kommunale Unternehmen und Beteiligungen im Lichte des EU-Beihilfenrechts Hans Arno Petzold Kommunale Unternehmen und Beteiligungen im Lichte des EU-Beihilfenrechts

Einleitung Das EU-Beihilfenrecht spielt in der kommunalen Praxis seit einigen Jahren eine erhebliche Rolle, nicht nur bei offensichtlichen „Förderfällen“ wie dem Investitionszuschuss für ein privates Unternehmen oder dem Bau von wirtschaftlich genutzten Infrastrukturen.1 Auch die zwei-jährlichen DawI-Abfragen der EU-Kommission 2 betreffen einen relevanten Teil kommunaler Tätigkeiten, vom Schulbus3 bis zum Schwimmbad.4 Dieser Beitrag befasst sich mit einem weiteren Themenkomplex, der unter der beihilfenrechtlichen Beobachtung steht, nämlich der Frage, ob und inwieweit für kommunale Unternehmen und Beteiligungen die Bestimmungen der Art. 107 ff. AEUV einschlägig und zu beachten sind.

I.   Fragestellung: Wieso sind Kommunen vom EU-Beihilfenrecht betroffen? In diesem Zusammenhang wird gelegentlich gefragt, warum die kommunale Ebene überhaupt die Vorschriften des EU-Primärrechts beachten müsse, dieses wende sich doch ausschließlich an die Mitgliedstaaten. Die Antwort ergibt sich schon aus Art. 4 Abs. 3 EUV, dem mitgliedstaatlichen Loyalitätsgebot, das für alle Hoheitsträger gleichermaßen gilt.5 Der EU gegenüber bildet der jeweilige Mitgliedstaat eine Gesamtheit, die innere Organisation oder kompetenzielle Abstufung seiner Organe oder Träger der öffentlichen Gewalt ist insofern ohne Bedeutung. Die Kommunen sind zwar nach deutschem Verfassungsverständ1  s. dazu jüngst H. A. Petzold, Kommunale Infrastrukturen und Europäisches Beihilfenrecht, KommJur 2017, S. 401, m. w. N. 2  http://ec.europa.eu/competition/state_aid/overview/public_services_en.html# reports. 3  EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), ECLI:EU:C:2003:415. 4 Kommissions-Entscheidung „Freizeitbad Dorsten“ N 258/2000, ABl. EG 2001 C 172/16. 5  C. Franzius, in: Pechstein/Nowak/Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar EUV/GRC/ AEUV, Art. 4 EUV Rn. 106.

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nis nicht „Staat“, sondern als Selbstverwaltungsorgane konstruiert (Art. 28 Abs. 2 GG), aber dennoch Hoheitsträger und somit Adressaten der Loyalitätsverpflichtung des Unionsrechts.6

II.  Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV Art. 107 Abs. 1 als Grundnorm des EU-Beihilfenrechts enthält mehrere Tatbestandsmerkmale, die kumulativ vorliegen müssen, um die Rechtsfolge des grundsätzlichen Verbots auszulösen.7 Im Zusammenhang der vorliegenden Themenstellung soll nur auf zwei dieser Merkmale eingegangen werden, die insoweit von besonderer Bedeutung sind. Hingewiesen sei hier noch darauf, dass bei kommunalen Aktivitäten häufig ein Ausschluss des Beihilfentatbestands in Betracht kommen kann, sofern eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten nicht vorliegt.8 1.  Staatliche Mittel – auch kommunale Mittel Das Merkmal „staatlich“ schränkt den Beihilfentatbestand in zweierlei Hinsicht ein. Zum einen werden Leistungen zwischen Privaten in aller Regel nicht von den Art. 107 ff. AEUV erfasst. Vielmehr muss auf der Seite des Beihilfengebers stets „der Staat“ involviert sein, zumindest als Veranlasser einer Maßnahme.9 Zum anderen werden Leistungen, die unmittelbar von der Europäischen Union gewährt werden, nicht erfasst, da sie nicht „staatlich“, also nicht einem Mitgliedstaat zuzurechnen sind. Der Begriff „Staat“ meint den jeweiligen Mitgliedstaat der Union in allen seinen Handlungs- und Organisationsformen. Einbezogen wird nicht nur die oberste Ebene des Staates, die Zentral- oder Bundesregierung, sondern auch Untergliederungen mit Staatscharakter, also etwa die deutschen Bundesländer fallen hierunter. Gleichzeitig ist aber auch, wie erwähnt, die Union gewissermaßen „blind“ 6  V. Mehde, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 80. EL Juni 2017, Art. 28 Abs. 2 GG, Rn. 11. 7  H. A. Petzold, Beihilfenkontrolle im Europäischen Mehrebenensystem, 2. Aufl. 2015, S. 23 ff.; C. Nowak, in: Pechstein/ders./Häde (Fn. 5), Art. 107 Rn. 18 ff.; je m. w. N.; s. auch Bekanntmachung der (EU-)Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe, ABl. EU 2016 C 262/1 (im Folgenden: Bekanntmachung). Sehr empfehlenswert sind die Informationen auf www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Europa/beihilfenkontrollpolitik. html, u. a. mit einem Informationspaket „Kleine Kommunen“. 8  Dazu Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 190 ff. Vgl. ausführlich V. Fiebelkorn/H. A. Petzold, Zum Begriff des „Lokalen“ im EU-Beihilfenrecht – Ist ein beihilfenrechtlicher Kompass in Sicht?, BRZ 2017, S. 3. 9  So bei parafiskalischen Abgaben, s. Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 57 ff.; C. Nowak (Fn. 7), Rn. 31 ff.; je m. w. N.

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für die Organisation in den Mitgliedstaaten, die sie vielmehr als einheitliches Ganzes ansieht. Damit werden sowohl die Handlungen der Untereinheiten mit Staatscharakter erfasst wie auch derjenigen, die nach innerstaatlichem Verständnis nicht als staatliche Organisation angesehen werden, aber funktional als Träger hoheitlicher oder staatsähnlicher Funktionen in Erscheinung treten.10 In Deutschland sind hier vorrangig diejenigen Gebietskörperschaften zu nennen, die nach Art. 28 Abs. 2 GG in kommunaler Selbstverwaltung organisiert sind, also Gemeinden (Städte) und Gemeindeverbände, auch Landkreise, sowie die von ihnen gebildeten Einrichtungen, etwa Ämter oder kommunale Zweckverbände.11 Aber auch andere öffentlich-rechtliche Körperschaften gehören dazu, wie die Träger der gesetzlichen Sozialversicherung.12 Nicht erfasst werden die sog. Unionsbeihilfen, da sie nicht (mitglied-)staatlich sind. Unter den Begriff fallen sowohl diejenigen Leistungen, die unmittelbar von den Unionsorganen gewährt werden, als auch diejenigen, die aus Unionsmitteln stammen, aber von den Mitgliedstaaten verwaltet werden, sofern diese kein eigenes Ermessen über die Gewährung an sich oder deren Höhe haben. Bei diesen Leistungen ist eine Einflussnahme eines Mitgliedstaates in die nationale Wirtschaft und auf den Binnenmarkt ausgeschlossen.13 Hingegen ist allein der Umstand, dass Gelder aus dem EU-Haushalt verwendet werden, z. B. aus den Strukturfonds EFRE und ESF, nicht geeignet, die Qualität einer Beihilfe als staatlich auszuschließen. Denn hier entscheiden die zuständigen Stellen in den Mitgliedstaaten weitgehend in eigener Verantwortung, ob und in welcher Höhe Mittel ausgezahlt werden. Die Letztentscheidung über die Gewährung einer Beihilfe liegt damit auf der mitgliedstaatlichen Ebene, auf der das Verbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV wirken soll.14 Da die Kommunen in Deutschland eben auch Träger der öffentlichen Gewalt sind, unterfallen auch von ihnen aufgrund eigenen Entschlusses gewährte Förderungen und Vorteile grundsätzlich dem Merkmal „staatliche Mittel“.15

10 

C. Nowak (Fn. 7), Rn. 30. V. Mehde (Fn. 6), Rn. 1 ff. 12  Zum Stand der Diskussion ausführlich E. Pache/J. Pieper, in: Birnstiel/Bungenberg/ Heinrich (Hrsg.), Europäisches Beihilfenrecht, 2013, Kap. 1, 1. Teil – Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 48 ff. 13  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 60; C. Nowak (Fn. 7), Rn. 10. 14  H. A. Petzold, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Fn. 12), Kap. 4, 1. Teil m. w. N. 15  Zu weiteren Einzelfragen in diesem Zusammenhang C. Nowak (Fn. 7), Rn. 30 ff. 11 

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2.  Unternehmen – wirtschaftliche Tätigkeit – auch kommunale Aktivitäten „am Markt“ Vorliegen muss in jedem Fall eine Begünstigung16 eines Unternehmens oder Produktionszweiges. Der Begriff des Unternehmens ist dabei weit auszulegen, er umfasst nach ständiger Rechtsprechung des EuGH „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“.17 Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist dabei „jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten“.18 Zugleich kommt es weder darauf an, „ob die ausübende Einrichtung privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Status hat, noch auf die Rentabilität der Tätigkeit.“19 Es muss also keine Gewinnerzielungsabsicht vorliegen. Entscheidend ist daher, ob die jeweilige Tätigkeit „auf einem … Markt“ stattfindet, auf dem mehrere Anbieter einander jedenfalls potentiell im Wettbewerb begegnen, also grundsätzlich ein gleichartiges oder vergleichbares Produkt oder eine so geartete Dienstleistung anbieten und die Nachfrager zumindest potentiell eine Auswahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Anbietern haben.20 Fehlt es hieran, scheidet eine wirtschaftliche Tätigkeit und damit die Unternehmenseigenschaft aus. Zu beachten ist allerdings, dass sich Märkte auch jederzeit durch politische Entscheidungen oder tatsächliche Umstände verändern oder neu entwickeln können. Zahlreiche Bereiche ehemals rein hoheitlichen Tätigwerdens wurden seit Beginn der 1990er Jahre ganz oder teilweise der privaten Betätigung geöffnet, etwa Krankenhäuser, Müllabfuhr oder die Versorgung mit Strom und Gas. Einen grundlegenden Wandel der tatsächlichen Verhältnisse haben die Rechtsprechung der EU-Gerichte und die EU-Kommission auf dem Gebiet der öffentlichen Infra-

16 Dazu C. Nowak (Fn. 7), Rn. 23 ff.; H. A. Petzold (Fn. 7), S. 23 ff. mit Beispielen aus der kommunalen Praxis. 17  EuGH, Rs. C-288/11 P (Flughafen Leipzig/Halle), ECLI:EU:C:2012:821, Rn. 50. 18 Ebda. 19  Ebda. Zum Verhältnis von wirtschaftlicher Tätigkeit und steuerlichem Betrieb gewerblicher Art, speziell bei Hochschulen, s. J. Schiffers, Hochschulbesteuerung: Steuerliche Implikationen der Trennungsrechnung nach EU-Beihilfenrecht, DStZ 2015, S. 271, 279 f. 20  Zur Definition des Marktes vgl. wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/4487/ markt-v14.html (Stand: 13. 12. 2017). Zur Kritik an der früheren Praxis der Kommission zur Marktabgrenzung vgl. C. Koenig/J. Kühling, Reform des EG-Beihilfenrechts aus der Perspektive des mitgliedstaatlichen Systemwettbewerbs – Zeit für eine Neuausrichtung?, EuZW 1999, S. 517, 518 f.

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25

struktur festgestellt.21 Dies betrifft sowohl die Organisation, also die Frage, wem Infrastrukturen gehören und wer sie betreibt, als auch den Wettbewerb unter ihnen. Die EU-Kommission bemüht sich mittlerweile um eine praktisch handhabbare Trennung zwischen wirtschaftlich genutzter und beihilfenfreier Infrastruktur.22 Anerkannt nicht-wirtschaftliche Einrichtungen sind etwa allgemein zugängliche touristische Anlagen, wie Wander- und Reitwege, die – nicht-selektive – Erschließung und Anbindung von Gewerbeflächen, Errichtung und Ausbau von Gewerbezentren und Einrichtungen der beruflichen Bildung sowie Kommunikationsverbindungen.23 Beihilfen für andere Infrastrukturvorhaben können unter den Voraussetzungen der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) von der Notifizierung freigestellt sein.24 Eine staatliche oder kommunale Leistung, die lediglich privaten Einzelpersonen oder Gruppen zugutekommt, stellt keine Beihilfe im hier behandelten Sinne dar, es fehlt den Empfängern jedenfalls an der Unternehmenseigenschaft. Maßnahmen zur Förderung des privaten Konsums an die Endverbraucher sind somit in diesem Zusammenhang irrelevant, soweit sie nicht mit der – rechtlichen oder faktischen – Auflage verbunden sind, bestimmte Produkte oder Dienstleistungen zu erwerben und deren Anbieter dadurch indirekt begünstigen.25

III.  Auswege Das Vorliegen eines Beihilfentatbestands erschwert häufig die (politisch?) gewünschte Fördermaßnahme oder macht sie ganz oder in Teilen unmöglich. Folgend sollen einige Wege aufgezeigt werden, wie das erstrebte Ziel dennoch EU-rechtskonform erreicht werden kann.

21  s. zuletzt EuGH (Fn. 17), Rn. 38 f. Einen knappen Überblick über die Entwicklung gibt B. H. Uhlenhut, Gemeindliche Finanzierung von Infrastrukturen und das Beihilfenverbot, Gemeindehaushalt 2015, S. 64. 22  Vgl. Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 199 ff.; Analytical grids on state aid to Infrastructure 2016 - 2017, ec.europa.eu/competition/state_aid/modernisation/notice_aid_en.html. 23  Vgl. Teil II B Ziff. 3.2 (S. 29 ff.) GRW-Koordinierungsrahmen, gültig ab 25.August 2017, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/J-L/koordinierungsrahmen-gemeinschaftsaufgabe-verbesserung-regionale-wirtschaftsstruktur-ab-25082017. pdf?__blob=publicationFile&v=6. 24  VO (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. 6. 2014, ABl. EU 2014 L 187/1, ergänzt durch VO (EU) Nr. 2017/1084 der Kommission vom 14. 6. 2017, ABl. EU 2017 L 156/1. S. dort Art. 26, 48, 52, 53, 55, 56 ff. AGVO; vgl. H. A. Petzold/M. Raguse/P. S. Stöbener de Mora, Die Reform der AGVO zu Flughäfen und Häfen – ein Ende der Rechtsunsicherheit?, EuZW 2017, S. 717; H. A. Petzold (Fn. 1); je m. w. N. 25  EuGH, Rs. C-403/10 P (Mediaset), ECLI:EU:C:2011:533, Rn. 73 ff.

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1.  Fehlen einer Begünstigung In vielen Fällen wird es sich anbieten, die Maßnahme so auszugestalten. dass es bereits an einer Begünstigung fehlt, also einem wirtschaftlichen Vorteil, der nicht den üblichen Marktbedingungen entspricht.26 Da dann schon der Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht erfüllt ist, erübrigen sich weitere Prüf- oder Verfahrensschritte. a)  Marktpreis Keine Begünstigung liegt dann vor, wenn die Kommune für die Waren oder Dienstleistungen, die sie erwerben will, den üblichen Marktpreis entrichtet.27 Dieser ist jeweils konkret zu ermitteln, wobei allein die Bezugnahme auf allgemeine Preislisten oder Verzeichnisse oft nicht ausreichend ist, da so nicht alle möglichen Preisermäßigungen, Rabatte o. ä. erkannt werden können. Daher ist in den meisten Fällen auf das Verfahren einer Ausschreibung zurückzugreifen, auch wenn ein solches nach den einschlägigen Normen des Vergaberechts28 nicht zwingend ist. Das jeweilige Haushaltsrecht29 schreibt dies schon durch die Verpflichtung zur Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Haushaltsführung vor. In vielen Fällen konkretisieren entsprechende Satzungen oder Verwaltungsvorschriften die korrespondierenden Pflichten im Einzelfall, etwa zur Einholung mehrerer Vergleichsangebote bei der Beschaffung von Verbrauchsmaterialien. Was bei den Geschäftsbeziehungen zu privaten Anbietern gilt, ist ebenso im „Innenverhältnis“ zwischen Kommunen und Kommunalunternehmen zu beachten. Lässt eine Gemeinde ihr Rathaus von Beschäftigten einer Tochtergesellschaft der eigenen „Stadtwerke AG“ reinigen, tritt diese in Konkurrenz zu privaten Gebäudereinigungsunternehmen. Dann ist der Marktpreis für die erbrachte Dienstleistung zu ermitteln, wobei allgemeine vergaberechtliche Grundsätze gelten. Eine Kalkulation der Preise unterhalb der eigenen Kosten wäre grundsätzlich wettbewerbsrechtlich unzulässig,30 insbesondere dann, wenn für die Stadtwerke-Tochter ein Ausgleich eines Betriebskostendefizits über die Mutter und damit indirekt zulasten der Gemeinde erfolgte, was wiederum eine Begünstigung und damit grundsätzlich, vorbehaltlich der Erfüllung der übrigen Tatbestandsmerkmale, eine Beihilfe darstellen würde.

26 

Vgl. die Nachweise bei Fn. 16. C. Nowak (Fn. 7), Rn. 25. m. w. N.; J. Kleine/S. Sühnel, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Fn. 12), Kap. 1, 1. Teil – Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 184 ff. 28  Insbesondere §§ 97 ff. GWB. 29  Vgl. z. B. § 75 Abs. 2 GO Schleswig-Holstein. 30  Vgl. z. B. § 16 Abs. 6 S. 2 VOL/A. 27 Dazu

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Ähnliches gilt, wenn eine Kommune eine Beteiligung an einem Unternehmen anbieten oder erwerben möchte. Hier ist durch geeignete Verfahren, etwa eine Markterkundung, ein Interessenbekundungsverfahren oder eine beschränkte Ausschreibung, der jeweils marktübliche und für die Kommune vorteilhafteste Preis zu ermitteln.31 b)  Marktteilnehmerverhalten Ganz allgemein wird eine Begünstigung nicht angenommen, wenn sich die Kommune wie ein „marktwirtschaftlich handelnder Wirtschaftsbeteiligter“ verhält.32 Dieser „Market Economy Operator Test“33 soll anhand realistischer, wenn auch regelmäßig hypothetischer, Vergleiche mit der Situation eines privaten Wirtschaftsteilnehmers ermitteln, ob sich das Handeln der öffentlichen Stelle im Rahmen des Marktüblichen bewegt, oder ob es eben eine nicht dem Marktgeschehen entsprechende Begünstigung enthält. Relativ einfach lässt dies darstellen, wenn neben der Kommune gleichzeitig ein Privater (oder mehrere) an einer Maßnahme beteiligt ist, etwa indem gemeinsam Investitionen vorgenommen oder Darlehen oder Bürgschaften gewährt werden. Hier ist darauf zu achten, dass öffentliche und private Beteiligte zu gleichen Bedingungen tätig werden („pari passu“), was im Einzelfall anhand einer umfassenden Gesamtprüfung zu ermitteln ist.34 Aufwändiger sind andere Verfahren, wie das sog. „benchmarking“,35 die Nutzung einer anerkannten Standard-Bewertungsmethode36 oder eine kontrafaktische Analyse.37 Im Fall von Krediten und Garantien, die von öffentlichen Stellen (einschließlich öffentlicher Unternehmen) gewährt werden, erwartet die EU-Kommission, in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der EU-Gerichte, noch weitere, spezifische Prüfschritte.38 Auch hier gilt grundsätzlich, dass kommunale Unternehmen wie private Begünstigte zu behandeln sind, soweit sie auf dem Markt agieren.

31 

Vgl. Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 89 ff. s. auch J. Kleine/S. Sühnel (Fn. 27). Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 73 ff.; C. Nowak (Fn. 7), Rn. 24; ausführlich J. Kleine/S. Sühnel (Fn. 27), Rn. 105 ff.; je m. w. N. 33  Zu den verschiedenen Ausdifferenzierungen Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 74 f.; ausführlich J. Kleine/S. Sühnel (Fn. 27), Rn. 105 ff.; A. Bartosch, EU-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2016, S. 28 ff.; je m. w. N. 34  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 86 ff. 35  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 98 ff. 36  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 101 ff., z. B. Internal Rate of Return – IRR oder NET Present Value – NPV. 37  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 106 f. 38  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 108 ff. 32  Vgl.

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2.  DawI Regelmäßig weniger aufwändig ist der Weg aus dem Beihilfentatbestand, wenn es um Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DawI) geht.39 Hierzu hat die EU-Kommission im sog. „Almunia-Paket“40 verschiedene Dokumente41 und einen ausführlichen Leitfaden mit zahlreichen praxisrelevanten Fragestellungen42 herausgegeben. Etliche kommunale Handlungsfelder lassen sich hier subsumieren, wobei die mitgliedstaatlichen Stellen einen breiten Spielraum zur Bestimmung der jeweiligen Aufgaben haben (Art. 1 Protokoll Nr. 26 zum AEUV). Die EU-Kommission definiert DawI als „wirtschaftliche Tätigkeiten, die dem Allgemeinwohl dienen und ohne staatliche Eingriffe am Markt überhaupt nicht oder in Bezug auf Qualität, Sicherheit, Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung oder universaler Zugang nur zu anderen Standards durchgeführt würden.“43 Dies lässt den kommunalen Entscheidungsträgern eine Vielzahl von Möglichkeiten, ihr Angebot den jeweiligen örtlichen Bedürfnissen angepasst auszugestalten. Allerdings behält sich die EU-Kommission eine Art Missbrauchs­prüfung im Einzelfall vor, auch anhand der Ergebnisse der erwähnten DawI-Abfragen, um allzu weite Anwendungen dieses Instrumentes zu unterbinden.44 3.  Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung In der AGVO45 hat die EU-Kommission eine große Zahl von Sachverhalten zusammengestellt, in denen zwar tatbestandsmäßig eine Beihilfe vorliegt, wegen deren erwartet geringer Auswirkungen jedoch von ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt ausgegangen wird.46 Damit entfällt für diese Maßnahmen die Pflicht zur Einzelnotifizierung nach Art. 108 Abs. 3 AEUV, es bestehen aber An39  Zum Begriff H. A. Petzold (Fn. 7), S. 61 ff. mit Beispielen aus der kommunalen Praxis; A. Bartosch (Fn. 33), S. 73 ff. 40  Zum Hintergrund s. z. B. C. Nowak (Fn. 7), Rn. 29; S. Storr, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Fn. 12), Kap. 1, 5. Teil – Art. 106 Abs. 2 AEUV Rn. 2393 ff.; je m. w. N.; H. A. Petzold, Das DAWI-Paket 2012 – neue EU-Regeln für gemeinwirtschaftliche Dienstleistungen, NordÖR 2012, S. 396. 41  In den Amtssprachen abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/state_aid/overview/public_services_en.html#package. s. auch Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 70. 42  Abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/state_aid/overview/new_guide_eu_ rules_procurement_de.pdf. 43  Leitfaden (Fn. 42), S. 20. 44 Leitfaden (Fn. 42), S. 22 ff. Ausführlich DawI-Mitteilung, ABl. EU 2012 C 8/4, Rn. 45 ff. 45  Fn. 24. 46  VO (EU) Nr. 651/2014 (Fn. 24), Rn. 1 ff. Ausführlich zur AGVO C. Nowak, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), WettbewerbsR, Band 3, 5. Aufl. 2016, S. 196 ff.

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zeige- und Berichtspflichten und die EU-Kommission behält sich nachgelagerte Kontrollen vor (Art. 10 – 12 AGVO). Die AGVO enthält in Abschnitt III (Art. 13 – 56c AGVO) eine Vielzahl von Tatbeständen mit teilweise sehr detailliert vorgegebenen Bedingungen für eine Freistellung. Dazu kommen Begriffsbestimmungen (Art. 2 AGVO), Schwellenwerte, die nicht überschritten werden dürfen (Art. 4 AGVO) sowie weitere allgemeine Regelungen (Art. 1, 3, 5 – 9 AGVO). Für die Praxis kommunaler Unternehmen sind insbesondere die Abschnitte 10 – 15 von Bedeutung, auf die im Zusammenhang mit einigen Fallkonstellationen noch gesondert eingegangen wird.

IV.  Einzelne Fallkonstellationen Die nachfolgend dargestellten Fallkonstellationen sollen einen Querschnitt durch diejenigen Tätigkeiten geben, bei denen erfahrungsgemäß beihilfenrechtliche Fragestellungen auf der kommunalen Ebene auftreten. Allerdings ist die Zahl der denkbaren Gestaltungen ebenso groß wie die Fantasie der Beteiligten, bestimmte Tätigkeiten unter verschiedensten Gesichtspunkten, nicht zuletzt dem des Steuerrechts, immer wieder neu und anders zu strukturieren. Daher erhebt die Darstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit; zudem sind Schnittstellen mit anderen Rechtsbereichen im jeweiligen Einzelfall individuell abzuklären.47 1.  Staatliche/kommunale Monopole Entscheidende Bedeutung kommt, wie dargelegt, der Frage zu, ob die jeweilige Tätigkeit „auf einem … Markt“ stattfindet, ob demnach mehrere Anbieter einander jedenfalls potentiell im Wettbewerb begegnen, also grundsätzlich ein gleichartiges oder vergleichbares Produkt oder eine so geartete Dienstleistung anbieten. Gleichzeitig haben die Nachfrager dann zumindest potentiell eine Auswahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Anbietern. Fehlt es grundsätzlich hieran, scheidet eine wirtschaftliche Tätigkeit aus, der Beihilfentatbestand ist nicht erfüllt. Hat sich „nur“ ein Monopol eines privaten Unternehmens entwickelt, spricht dies im Zusammenhang mit der Beihilfenkontrolle nicht gegen das Bestehen eines Marktes. Entsprechendes gilt auch, wenn eine Aufgabe durch die öffentliche Hand nur einem (internen) Anbieter übertragen wird, aber Externe ebenfalls bereitstünden.48 Anders liegt es jedoch, wenn ein rechtliches Monopol 47  Für den Bereich der Umsatzsteuer bei DawI s. schon V. Fiebelkorn/H. A. Petzold, Altmark-Trans vs. MwSt-System-Richtlinie – Scylla und Charybdis auf europäisch, BB 2008, S. 2544. s. auch A. Cloer/N. Vogel, Rückstellungen bei rechtswidrigen steuerlichen Beihilfen, IStR 2016, S. 531; C. Korn, in: Bunjes (Hrsg.), Umsatzsteuergesetz, 16. Aufl. 2017, § 10 Rn. 60 ff. 48  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 188.

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existiert, das im Einklang mit dem EU-Recht steht. Dies ist dann gegeben, wenn eine bestimmte Dienstleistung per Gesetz oder Regulierungsmaßnahme einem einzigen Dienstleister vorbehalten und allen anderen Marktteilnehmern die Erbringung dieser Dienstleistung vollständig und klar untersagt wird.49 Besteht ein solches exklusives, öffentlich-rechtliches System mit einem möglichst hoheitlich handelnden Betreiber und womöglich noch einem Anschlussund Benutzungszwang, kann von einem Markt nicht die Rede sein. Werden aber mehrere Anbieter zugelassen und haben die Nachfrager eine Auswahlmöglichkeit, gilt das Wettbewerbsrecht und damit das grundsätzliche Verbot, einen dieser Anbieter von Seiten der öffentlichen Hand durch Beihilfen zu begünstigen. Diesem Verbot kann auch nicht durch die „Flucht ins Kommunalrecht“ entgangen werden, also dadurch, dass ein Anbieter als kommunaler Eigen- oder Regiebetrieb organisiert wird.50 2.  Kommunale „Nebentätigkeiten“ – Tannenbäume vom Bauhof Praktisch häufig dienen kommunale Betriebe, unabhängig von ihrer Rechtsform, nicht nur unmittelbar den eigenen Zwecken der Verwaltung, sondern erbringen auch Leistungen für private Dritte am Markt. Typisch ist dabei die Konstellation, dass ein gemeindlicher Bauhof im Sommer Sand für Sandkisten und Gartenerde, in der Vorweihnachtszeit Tannenbäume aus einem kommunalen Forst an Ortsansässige verkauft. Derartige Tätigkeiten sind zweifellos wirtschaftlicher Natur, in aller Regel aber der Haupttätigkeit eindeutig untergeordnet. In ähnlichen Fällen bei Infrastrukturen, etwa bei Cafés in Museen oder Theatern, geht die EU-Kommission davon aus, dass solche Nebentätigkeiten oder Ergänzungsangebote keine Auswirkungen auf die Einordnung der Haupttätigkeit als nichtwirtschaftlich und auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten haben. Dabei muss die wirtschaftliche Nutzung auf höchstens 20% der jährlichen Kapazität beschränkt bleiben.51 Eine Übertragung dieses Grundsatzes auf andere Bereiche, wie die geschilderte Nutzung einer gemeindlichen Einrichtung, erscheint sachgerecht und dürfte der Intention der EU-Kommission entsprechen, denn sie wendet ihn mittlerweile eben nicht mehr nur auf Forschungsinfrastrukturen an, sondern auch auf vergleichbare andere Konstellationen. Auch wenn dieser pragmatische Ansatz bisher nicht ausdrücklich von der Rechtsprechung der EU-Gerichte übernommen 49 

Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 188 f. mit Fn. 272. H. A. Petzold (Fn. 7), S. 31. 51  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 207; s. schon Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation, ABl. EU 2014, C 198/1 Rn. 20. 50 

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wurde,52 ergibt sich hier doch eine argumentativ umfassend begründbare Möglichkeit, den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV auszuschließen. Allerdings ist darauf zu achten, dass die Nebentätigkeiten jedenfalls buchmäßig getrennt erfasst werden, allein schon um die Einhaltung der 20%-Grenze nachweisen zu können.53 3.  Stadtwerke und Marktöffnung Nach der bereits erwähnten Welle von Privatisierungen ehemals öffentlich betriebener Infrastrukturen54 ist in den letzten Jahren ein Trend zur Rekommunalisierung55 zu beobachten, der vor allem Leistungen der kommunalen Grundversorgung betrifft (Strom, Wärme, Abfall). Dies bedeutet aber nicht durchweg eine völlige Übernahme in die öffentliche Verwaltungsstruktur, sondern häufig eine Neuoder Ausgründung eines Unternehmens. Sofern dieses Unternehmen vollständig im kommunalen Eigentum bleibt, entweder direkt oder indirekt, z. B. als Tochter einer bestehenden „Stadtwerke GmbH“, gelten beihilfenrechtlich die allgemeinen Grundsätze für die Behandlung öffentlicher Unternehmen.56 In vielen Fällen einer Ausgründung werden allerdings Private an einer neuen Gesellschaft beteiligt, oder die Kommune (oder ihre 100%-Prozent-Tochter „Stadtwerke GmbH“) beteiligen sich an einer privaten Gründung. Hier sind zwei Elemente zu beachten: a)  Ausschreibung Will eine Kommune Anteile an einer – bestehenden oder neu zu gründenden – Gesellschaft an Private veräußern, hat sie hierzu regelmäßig eine Ausschreibung vorzunehmen. Sofern die Auswahl dann in einem wettbewerblichen, transparenten, diskriminierungsfreien und bedingungsfreien Verfahren erfolgt, das sich an den vergaberechtlichen Vorschriften orientiert, kann von einem marktüblichen Preis ausgegangen werden.57 Dies gilt allerdings nur sehr eingeschränkt, falls le52  Kritisch GAin J. Kokott, Schlussanträge v. 16. 02. 2017 in der Rs. C-74/16 (Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania), Rn. 81 ff.; die Entscheidung des EuGH in dieser Sache (ECLI:EU:C:2017:135, Rn. 78 ff.) verweist auf die de minimis-Schwelle von 200 T€ in drei Steuerjahren als Maßstab. 53  Vgl. Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 206, 212; Unionsrahmen (Fn. 51), Rn. 18. 54  s. oben bei Fn. 21. 55  s. z. B. IW policy paper 34/2015, https://www.iwkoeln.de/studien/iw-policy-papers/ beitrag/klaus-heiner-roehl-rekommunalisierung-251499?highlight=rekommunalisierung; http://www.bundeskartellamt.de/DE/Wirtschaftsbereiche/Energie/Rekommunalisierung/ rekommunalisierung_node.html. Dazu jüngst auch G. Kleve/M. Gayger, Die Rekommunalisierung in der Beihilfenrechtsfalle?, NVwZ 2018, S. 273. 56  Vgl. oben bei Fn. 30 f. 57  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 89 ff.

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diglich ein einziges Angebot abgegeben wird, in diesen Fällen sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich, um die Einhaltung von Wettbewerb und Marktpreis sicherzustellen.58 In Frage kommen eine erneute, ggfs. veränderte, Ausschreibung oder zusätzliche gutachtliche Feststellungen zum üblichen Preis. b)  Pari passu Von einem marktgerechten Verhalten der Kommune kann ausgegangen werden, wenn sich Private zu den gleichen Bedingungen an dem Unternehmen beteiligen. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass für gleichviele Anteile von Privaten wie von der Kommune der gleiche Preis gezahlt wird und dass Gesellschaftsanteile, Stimmrechte, Verlusthaftung und Gewinnbeteiligung einander jeweils entsprechen. Konstruktionen, nach denen die Kommunen z. B. 50 % der Anteile erwerben, 75 % der Verluste tragen, aber nur je 25 % der Stimmrechte und des Gewinns erhalten sollen, werden zwar in der Praxis zur Prüfung vorgelegt, sind aber beihilfenrechtlich (und im Zweifel auch kommunalwirtschaftsrechtlich59) unzulässig.60 Lediglich in besonderen Ausnahmefällen, in denen eine privatwirtschaftliche Beteiligung von vornherein ausgeschlossen erscheint (etwa bei dauerhaft defizitären, aber notwendigen öffentlichen Einrichtungen), kann von diesem Kriterium abgewichen werden.61 Zu nennen sind hier beispielhaft Straßenunterhaltung und Winterdienst als typische, wenngleich nicht im strengen Sinne hoheitliche, Kommunaltätigkeiten, für die auch eine Übertragung als DawI mangels interessierter Privater praktisch nicht in Betracht kommt. 4.  Kommunale Klassiker Einige typische Fälle kommunaler Betätigungen haben in der Vergangenheit bereits zu Entscheidungen der EU-Kommission und der Europäischen Gerichte geführt. Hier gibt es also Praxisbeispiele, an denen sich die Entscheidungsträger orientieren können. Allerdings ist davor zu warnen, bestimmte Konstellationen unkritisch übertragen oder imitieren zu wollen. Einerseits unterliegt das EU-Beihilfenrecht, wie schon für einen Teilbereich dargestellt, einer dynamischen Entwicklung.62 Andererseits sind viele Entscheidungen sehr spezifisch auf die Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls zugeschnitten, so dass sich allgemeine 58 

Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 93. Vgl. z. B. § 102 GO S-H; dazu „Beratungshinweise zur Änderung der Vorschriften über die wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden im Jahr 2012“, http://www.schleswigholstein.de/DE/Fachinhalte/K/kommunales/Wirtschaft/Downloads/beratungshinweise. pdf?__blob=publicationFile&v=1. 60  Vgl. Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 86 ff. 61  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 88. 62  Vgl. oben bei Fn. 21. 59 

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Aussagen oder gar dogmatische Grundsätze nur schwer oder gar nicht ableiten lassen.63 Hinzu kommt, dass nicht absehbar ist, inwieweit die Unionsgerichte bestimmte Auslegungen und Wertungen der EU-Kommission akzeptieren werden, insbesondere wenn diese von bisher dauerhaft gefestigten Auslegungen abweichen.64 Eine jeweils genaue und vertiefte Prüfung mit fachkundiger Beratung ist daher nachdrücklich zu empfehlen. a)  ÖPNV Im Bereich des ÖPNV gibt es zahlreiche Konstruktionen, nach denen diese Leistungen erbracht werden. Die komplette Übertragung auf einen vollständig Privaten stellt dabei keine besonderen Probleme, hier geben die Altmark Trans-Entscheidung65 und die DawI-Regeln66 hinreichend Orientierung. Soll der Betrieb durch ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen, also mit privater und öffentlicher Beteiligung, erbracht werden, gilt nichts Anderes. Vorsicht ist dann geboten, wenn als Betreiber ein kommunaler Eigen- oder Regiebetrieb oder eine rein kommunal gehaltene Gesellschaft (GmbH, AG) fungieren soll. Hier ist sorgfältig zu differenzieren: Zunächst sollte ermittelt werden, ob ein Markt besteht, d. h. ob überhaupt private Anbieter bereit sind, die geforderten Beförderungsleistungen zu erbringen. Dies kann nicht, wie gelegentlich in der Praxis versucht, mit dem Argument umgangen werden, der Betrieb sei ja defizitär und daher würde sich ohnehin kein Privater betätigen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass auch für einen rein kommunalen Betreiber ein auszugleichendes Defizit entstehen würde, und dieser Ausgleich ebenso an einen Privaten zu zahlen wäre, der damit zudem einen angemessenen Gewinn erwirtschaften darf.67 Sollte sich in einem entsprechenden Verfahren der Markterkundung oder auf eine förmliche Ausschreibung kein Interessent melden, kann davon ausgegangen werden, dass für die betreffende Leistung kein Markt besteht und damit Art. 107 AEUV nicht anwendbar ist. Praktisch dürfte dies eher selten vorkommen; in jedem Fall ist eine Überprüfung in gewissen Abständen (z. B. alle fünf Jahre) anzuraten, da sich auch hier die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben können.

63  Vgl. Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 3 ff.; spezifisch zum für die kommunale Praxis bedeutsamen Begriff „lokal“ vgl. V. Fiebelkorn/H. A. Petzold (Fn. 8), S. 3, 15 f. 64  Vgl. oben bei Fn. 52 zur „wirtschaftlichen Tätigkeit“ und Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 190 ff., zur „Beeinträchtigung des Handels“. 65  Fn. 3. 66  Oben bei Fn. 39 ff. 67  Vgl. DawI-Beschluss (Fn. 41), Erwägungsgründe Rn. 4, 15, 17 ff. und Art. 5; Leitfaden (Fn. 42), S. 76 f.

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Sofern ausnahmsweise festgestellt wurde, dass ein Markt nicht besteht, ist die Kommune frei, den Betrieb selbst zu organisieren. Beauftragt sie aber die Leistungen „extern“, sind die besonderen Vorschriften hierfür zu beachten.68 Diese sehen allerdings ausdrücklich vor, dass „öffentliche Personenverkehrsdienste“ selbst erbracht oder öffentliche Dienstleistungsaufträge an eine „rechtlich getrennte Einheit“ vergeben werden können. Eine solche Einheit muss dann „wie eine eigene Dienststelle“ kontrolliert werden können, ein Merkmal, das im Zusammenhang mit sog. „In-house“-Vergaben hinreichend bekannt ist.69 Bei Verkehrsbetrieben, die vollständig in kommunalem Eigentum stehen, dürfte diese Voraussetzung regelmäßig gegeben sein; die jeweilige Satzung, auch bei Kommunalunternehmen (Anstalten, z. B. § 106a GO S-H70) und Zweckverbänden (§ 5 GkZ S-H71) oder der Gesellschaftsvertrag dürfen dem nicht entgegenstehen. b)  Schwimmbad Schwimm- und Freizeitbäder waren in der Vergangenheit mehrfach Gegenstand beihilfenrechtlicher Prüfungen.72 Dabei ging es weniger um die Ausgestaltung von Trägerschaft und Betrieb, sondern um die Frage, ob eine „lokale“ Tätigkeit vorlag und damit das Tatbestandsmerkmal der Handelsbeeinträchtigung ausgeschlossen war.73 Im hier behandelten Kontext ist darauf abzustellen, ob die Kommune ihr eigenes Schwimmbad selbst betreibt oder über eine eigene bzw. eine private Gesellschaft betreiben lässt. Beim „internen“ Betrieb gelten beihilfenrechtlich keine Besonderheiten. Soll ein privater Betreiber beauftragt werden, ist regelmäßig eine Ausschreibung vorzunehmen.74 Dies gilt insbesondere dann, wenn bestimmte Verpflichtungen bestehen, etwa ermäßigte Eintrittspreise für Schulschwimmen oder reservierte Öffnungszeiten für ortsansässige Vereine oder die Ausbildung von Rettungskräften. Derartige Auflagen sind regelmäßig als DawI einzuordnen, der Betreiber wird mit ihrer Durchführung betraut und erhält einen entsprechenden Ausgleich für entgangene oder reduzierte Einnahmen 68  Insbes. VO (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 10. 2007, ABl. EU 2007 L 315/1. s. dazu M. Knauff, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Fn. 12), Kap. 3, 3. Teil – Verkehr Rn. 200 ff. 69 Vgl. Art. 28 RL 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 2. 2014, ABl. EU 2014 L 94/243; § 108 GWB 2016. Dazu E. Gurlit, in: Burgi/Dreher (Hrsg.), Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil 3. Aufl. 2017, § 108 Rn. 8 ff. 70  GVOBl. 2003, 57. 71  GVOBl. 2003, 122. 72  Kommissions-Entscheidungen „Freizeitbad Dorsten“ (Fn. 4), „Kristall Bäder AG“ SA.33045 vom 23. 7. 2014, über: http://ec.europa.eu/competition/state_aid/register/. 73  Vgl. ausführlich V. Fiebelkorn/H. A. Petzold (Fn. 8), S. 4 f. 74  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 223, 90 ff.

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bzw. erhöhte Kosten.75 Um diesen Ausgleich, der aus öffentlichen Mitteln gezahlt wird, so gering wie möglich zu halten, ist der Anbieter zu ermitteln, der zu den geringsten Kosten arbeitet, also den niedrigsten Zuschuss verlangt.76 Wird, soweit vergaberechtlich zulässig,77 nicht ausgeschrieben, sondern z. B. an eine eigene Bäder-GmbH oder eine Untergesellschaft der Stadtwerke vergeben, ist gleichwohl über ein geeignetes Verfahren eine Preisvergleichsberechnung vorzunehmen.78 Dabei ist auf ein durchschnittliches, gut geführtes, angemessen mit Sachmitteln ausgestattetes Unternehmen abzustellen.79 Ein derartiger Vergleich hat alle Spezifika der Einrichtung und Auflagen der Betrauung zu berücksichtigen und ist, für den Fall einer Prüfung, umfänglich und nachvollziehbar zu begründen. Zudem hat in jedem Fall der Betreiber die übrigen Anforderungen bei einer Betrauung zu erfüllen, insbesondere eine Trennungsrechnung vorzuhalten, nach der DawI- und andere, rein wirtschaftliche Tätigkeiten (etwa ein Bistro oder der Verkauf von Badebekleidung) getrennt voneinander erfasst werden, um eine Quersubventionierung in diese Bereiche auszuschließen.80 c)  KITA Kommunale Kinderbetreuungseinrichtungen gleich in welcher Rechtsform, die überwiegend oder ausschließlich aus öffentlichen Mittel finanziert werden, fallen als nichtwirtschaftliche Tätigkeiten nicht in den Anwendungsbereich des EU-Beihilfenrechts.81 Soweit die Finanzierung allerdings „weitgehend von Eltern oder Schülern oder aus kommerziellen Einnahmen“ erfolgt, gilt dies nicht mehr.82 Dann sind Zuschüsse aus kommunalen Kassen als Beihilfen zu behandeln und bedürfen einer entsprechenden Rechtfertigung. Der Begriff „kommerzielle Einnahmen“ wird nicht näher erläutert; Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft oder solche, die von anerkannten Wohlfahrtsorganisationen (mit-)betrieben werden, dürften hier nicht gemeint sein. Das gilt dann auch für Gemeinschaftseinrichtungen, an denen neben den gerade genannten auch kommunale Träger oder Gesellschaften beteiligt sind.

75 

s. die Nachweise oben Fn. 39 f. Vgl. DawI-Mitteilung (Fn. 44), Rn. 62 ff. 77  Vgl. zu Fn. 69. 78  DawI-Mitteilung (Fn. 44), Rn. 69 ff. 79  DawI-Mitteilung (Fn. 44), Rn. 70. 80  Art. 5 Abs. 9 DawI-Beschluss, DawI-Rahmen Rn. 44 (je Fn. 41). 81  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 29. 82  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 30. „Weitgehend“ ist entsprechend der englischen Fassung „predominantly“ als „überwiegend“ zu verstehen. 76 

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d)  Kultur Theater, Museen und ähnliche, oft kommunal betriebene Kultureinrichtungen fallen, jedenfalls nach Auffassung der EU-Kommission, nur in Ausnahmefällen überhaupt in den Anwendungsbereich des Beihilfenrechts, nämlich dann, wenn sie nicht überwiegend öffentlich finanziert werden83 und es sich zudem um große und renommierte Einrichtungen bzw. Veranstaltungen handelt, für die intensiv außerhalb ihres regionalen Einzugsgebiets in dem betreffenden Mitgliedstaat geworben wird.84 Damit dürfte der weitaus größte Teil kommunaler Betätigungen auf diesem Gebiet beihilfenfrei erfolgen. Dies gilt auch für die üblicherweise erbrachten Zusatzleistungen bei städtischen Theatern und Museen, wie kleine Geschäfte, Restaurationen oder bezahlte Parkplätze.85 Es führt dann nicht jeder kleine Souvenirladen in einem Heimatmuseum zur Anwendung des Beihilfenrechts. Sollte diese „Nebentätigkeit“ allerdings eigenständige wirtschaftliche Bedeutung erhalten, etwa durch den Vertrieb von Andenken, Büchern u. ä. über das Internet, müsste eine entsprechende Trennungsrechnung eingerichtet werden und dürfte insoweit kein öffentlicher Zuschuss erfolgen.86 Für diejenigen Kulturbetriebe, die als wirtschaftlich anzusehen sind, bietet Art. 53 AGVO umfangreiche Möglichkeiten der vereinfachten Förderung. nach dieser Vorschrift können in erheblichem Umfang Investitions- und Betriebsbeihilfen für die verschiedensten „kulturellen Zwecke und Aktivitäten“ (Art. 53 Abs. 2 AGVO) gewährt werden, ohne dass eine Einzelnotifizierung erfolgen muss. Neben den klassischen Kulturbetrieben Museen und Theater werden hier auch Denkmäler, historische Stätten und Gebäude und förmlich anerkannte Naturerbestätten87 freigestellt. Auch die Förderung von Brauchtum und Handwerk, Festivals und Tätigkeiten im Bereich der kulturellen und künstlerischen Bildung wird hier aufgeführt. Die Schwellenwerte, unterhalb derer lediglich eine Anzeige nach Art. 11 AGVO erforderlich ist, wurden im Rahmen der Ergänzung der AGVO durch die VO (EU) Nr. 2017/108488 um jeweils 50 % auf 150 Mio. €/ Projekt bei Investitionen und 75 Mio. €/Jahr für Betriebsbeihilfen erhöht (Art. 4 Abs. 1 lit. z) AGVO). Somit bestehen hier insgesamt erhebliche Spielräume für die Förderung der Kultur im weitesten Sinne.

83 

Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 34 f. Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 197 lit. b). 85  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 37 mit Fn. 50 und Rn. 207. 86  Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 37. s. auch V. Fiebelkorn/H. A. Petzold (Fn. 8), S. 11 f. 87  Zu diesem Bereich ausführlich K. Odendahl/H. A. Petzold, Denkmalschutz und europäisches Beihilfenrecht, NWVBl. 2016, S. 221 m. w. N. 88  Fn. 24. 84 

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e)  Wirtschaftsförderung Die Stadt Kiel gründete 2011 ein Wirtschaftsbüro Gaarden in Form einer GmbH, das im Eigentum der Stadt Kiel steht und das mit der Aufgabe betraut wurde, interessierten Privatpersonen, neugegründeten Unternehmen und KMU unentgeltlich Informationen, Beratung und sonstige Unterstützung bereitzustellen. Ziel der Maßnahmen ist es letztlich, die lokale Attraktivität und Entwicklung und die Wirtschaftstätigkeit in Kiel-Gaarden, einem benachteiligten Stadtteil mit einem hohen Anteil von Migranten, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und schweren sozialen Konflikten,89 zu fördern.90 In ihrer Entscheidung beurteilte die Kommission den vorliegenden Sachverhalt allein anhand des Tatbestandsmerkmals „Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten“.91 Mit Blick auf die „absehbaren Auswirkungen der Maßnahme“92 differenzierte sie nach dem geografischen Gebiet93 einerseits und den Auswirkungen auf grenz­überschreitende Investitionen/Niederlassung94 andererseits. Die Tätigkeit der Gesellschaft ist nach Ansicht der Kommission beschränkt auf einen „… überaus kleinen, lokalen Markt, nämlich in einem Teil der Stadt Kiel …“95. Sie richtet sich – so die Kommission weiter – ausschließlich an sehr kleine Unternehmen und werde mit sehr wenigen Mitarbeitern erbracht. Hinsichtlich der grenzüberschreitenden Investitionen bzw. grenzüberschreitenden Niederlassung merkte die Kommission an, dass es für „… grundlegende Beratung sehr kleiner Unternehmen in sozial benachteiligten Stadtgebieten …“96 keine Belege für derartige grenz­überschreitende Absichten gäbe. Damit gibt die EU-Kommission einen Orientierungspunkt für die Tätigkeit kommunaler Wirtschaftsförderungsgesellschaften, zeigt aber gleichzeitig auf, wo die beihilfenrechtlichen Grenzen zu verorten sind. Denn eine „WiFö-GmbH“, die auf internationalen Messen und mit einer mehrsprachigen Internetseite konkrete Grundstücke in einem neu erschlossenen Gewerbegebiet anbietet, handelt sowohl wirtschaftlich wie grenzüberschreitend und ist damit insofern beihilfe-

89  Entscheidung SA.33149, Rz. 9, über http://ec.europa.eu/competition/state_aid/regis ter/. s. Pressemitteilung vom 29. 4. 2015, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_ IP-15 – 4889_de.htm. 90  SA.33149 (Fn. 89), Rz. 5, 9 und 12 zu den einzelnen Beratungs- und Unterstützungsleistungen. 91  SA.33149 (Fn. 89), Rz. 16 ff. 92  SA.33149 (Fn. 89), Rz, 18f. 93  SA.33149 (Fn. 89), Rz. 21. 94  SA.33149 (Fn. 89), Rz. 22. 95  SA.33149 (Fn. 89), Rz. 21. 96  SA.33149 (Fn. 89), Rz. 22.

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relevant.97 Eine genauere Abgrenzung ist allerdings nicht möglich, es mangelt insofern an Entscheidungen der EU-Kommission bzw. der Gerichte; zudem sind die Aufgabenkataloge der jeweiligen Gesellschaften sehr unterschiedlich.98 Deutschland hat im Rahmen der DawI-Berichterstattung für die Jahre 2012 und 2013 auch die Betrauung von Wirtschaftsförderungstätigkeiten (i.d.R. durch Kommunen) gemeldet.99 Den Betrauungen liegt der Gedanke zugrunde, dass es sich bei diesen Tätigkeiten kommunaler Gesellschaften (z. B. Standortmarketing; Planungen und Maßnahmen zur Verbesserung des Wirtschaftsstandorts; Gewerbe- und Industrieansiedlungen; Förderung der Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft) um solche von offenkundiger „Allgemeinwohlorientierung“100 handelt. Dem ist die EU-Kommission allerdings mit der Begründung entgegengetreten, diese Leistungen zielten insbesondere „darauf ab, die Wirtschaft zu fördern und verfolgen nicht den Zweck einer Dienstleistung von allgemeinem Interesse, d.h. eine Dienstleistung anzubieten, die im Vergleich zu rein kommerziellen Tätigkeiten besondere Merkmale aufweist und sich direkt an Bürger wendet und im Interesse der Gesellschaft insgesamt ist.“ Allerdings hält sie in dieser vorläufigen Einschätzung bestimmte Leistungen, etwa allgemeine Standortwerbung, für nicht-wirtschaftlich und damit auch nicht beihilfenrelevant.101 Eine genauere Einordnung dürfte damit frühestens nach Abschluss der derzeit102 laufenden Untersuchung der EU-Kommission zu den von Deutschland gemeldeten Fällen, in denen kommunale Wirtschaftsförderungsgesellschaften als DawI eingestuft und betraut wurden, möglich sein. f)  Erschließung von Gewerbegebieten Ein Teil der Tätigkeit kommunaler Wirtschaftsförderung besteht in der Erschließung von Gewerbegebieten, meist durch Erwerb und Herrichtung von Grundstücken und deren Anschluss an Ver-, Entsorgungs- und Verkehrsinfrastrukturen. Derartige Maßnahmen sind nicht beihilferelevant, sofern die Grundstücke anschließend zum Marktpreis veräußert werden und die Verkehrsinfra97  Vgl. das Beispiel im „Leitfaden DAWI und Infrastrukturfinanzierung“ (Stand: Dezember 2016), http://wm.baden-wuerttemberg.de/publikationen, S. 57 f. 98  So auch „Leitfaden DAWI und Infrastrukturfinanzierung“ (Fn. 97), S. 57. 99 DawI-Bericht der Bundesregierung 2012 – 2014, http://ec.europa.eu/competition/ state_aid/public_services/2012_2014/germany_de.pdf, S. 16 f. 100 „Leitfaden DAWI und Infrastrukturfinanzierung“ (Fn. 97), S. 56. Vgl. auch C. Danker, Wirtschaftspolitische Gestaltungsspielräume der Mitgliedstaaten im Bereich kommunaler Infrastrukturen und Dienstleistungen, DVBl. 2017, S. 340, 344 f. 101  Schreiben der EU-Kommission an die Bundesrepublik Deutschland vom 8. 6. 2017, SA.44264 (2016/MX) – Beihilfe im Bereich der Wirtschaftsförderung. 102  Der Beitrag wurde im März 2018 abgeschlossen.

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struktur allgemein nutzbar ist. Dazu sind weitere Bedingungen einzuhalten, wie die vergaberechtlich einwandfreie Auswahl von Erschließungsunternehmen. Auch soweit hierfür keine Mittel aus der von Bund und Ländern getragenen Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) eingesetzt werden, empfiehlt es sich doch, die dort festgelegten103 und von der EU-Kommission als beihilfenfrei akzeptierten104 Fördervoraussetzungen einzuhalten. 5.  Breitbandausbau Der Ausbau von Breitbandinfrastrukturen als solcher unterliegt verschiedenen beihilfenrechtlichen Regelungen.105 In vielen Fällen beteiligen sich Kommunen an solchen Projekten, z. B. über ihre Stadtwerke, mittels Breitbandzweckverbänden oder durch Anteile an sog. Bürger-Breitband-Netzgesellschaften. Neben der notwendigen Einhaltung der spezifischen Förderregeln für den Ausbau sind dabei die Grundsätze zu beachten, die allgemein für wirtschaftliche Betätigungen oder die Teilnahme an solchen gelten, also vor allem die Ermittlung des Marktpreises für den Verkauf oder den Erwerb von Gesellschaftsanteilen und die „pari passu“Regel.106 6.  Flughäfen und Häfen Flughäfen und Häfen gehören zu dem großen Bereich der Infrastruktur, die in Deutschland, wie in den meisten anderen Mitgliedstaaten der EU, jahrzehntelang in öffentlicher Trägerschaft gehalten und betrieben wurde. „Öffentliche Finanzhilfen für Infrastrukturen stellen in der Regel keine Beihilfen, sondern allgemeine Maßnahmen dar, die der Staat aufgrund seiner Souveränität in Fragen der Wirtschaftspolitik, Raumordnung und Entwicklung beschließt.“107 Auf dieser Basis wurde der Bau oder Ausbau von Infrastrukturanlagen lange Zeit nicht als

103 

GRW-Koordinierungsrahmen (Fn. 23), Teil II B 3., S. 28 ff. vom 27. 3. 2014, http://ec.europa.eu/competition/state_aid/cases/248011/ 248011_1534287_254_2.pdf. 105  Art. 14 Abs. 10, 52 AGVO (Fn. 24); Bundesrahmenregelung zur NGA-Breitbandversorgung, http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/B/beihilfenkontrollpolitikrahmenregelung-brd-unterstuetzung-auf bau-nga-breitbandversorgung.pdf ?_ _blob= publicationFile&v=4. Zudem sind verschiedene regionale und kommunale Förderrichtlinien ergangen. 106  Vgl. oben III.1. und 3. 107  KOM, XXV. Bericht über die Wettbewerbspolitik (1995), KOM (1996) 126, S. 85. Vgl. auch Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 201 ff. 104  Schreiben

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eine wirtschaftliche Tätigkeit angesehen,108 womit kein Unternehmen vorlag und so ein Tatbestandsmerkmal des Art. 107 I AEUV fehlte.109 Dies änderte sich im Zuge der weitgehenden Privatisierung ehemals hoheitlich wahrgenommener Aufgaben, zunächst am deutlichsten sichtbar im Bereich der Verkehrsflughäfen.110 Bezog sich diese Entwicklung zunächst nur auf den – wettbewerblichen – Betrieb einer Infrastruktur, wird seit der EuGH-Entscheidung Flughafen Leipzig/Halle111 das Merkmal „wirtschaftlich“ auch auf den Bau einer später wirtschaftlich betriebenen Infrastruktur angewandt.112 Bereits in Erwägungsgrund 1 der AGVO hatte die EU-Kommission deshalb angekündigt, „bis Dezember 2015 Kriterien für Hafen- und Flughafeninfrastrukturen zu entwickeln“.113 Nach einem längeren Entwurfs- und Konsultationsprozess114 beschloss die EU-Kommission am 17. Mai 2017 dann die Änderungsverordnung,115 mit der u. a. die Art. 56a – c AGVO eingeführt wurden.116 Ein Flughafen ist nach der Definition in Art. 2 Nr. 146 AGVO eine „Einheit oder Gruppe von Einheiten, die als wirtschaftliche Tätigkeit Flughafendienstleistungen für Luftverkehrsgesellschaften erbringt“. Dabei werden in Art. 56a AGVO keinerlei ausdrückliche Vorgaben dahingehend gemacht, ob etwa der Betrieb einer Flughafeninfrastruktur (Art. 56a Abs. 12 und 2 Nr. 144 AGVO) oder eine Konzession für diesen ausgeschrieben werden muss. Für Häfen sehen demgegenüber die Art. 56b Abs. 7 und 56c Abs. 6 AGVO vor, dass die Erteilung von „Konzessionen oder Aufträge[n] für den Bau, die Modernisierung, den Betrieb oder die Anmietung einer durch eine Beihilfe geförderten Hafeninfrastruktur durch Dritte … zu wettbewerblichen, transparenten, diskriminierungsfreien und auflagenfreien Bedingungen“ zu erfolgen hat. 108  KOM, Leitlinien zur Anwendung der Art. 92 und 93 des EG-Vertrages … auf staatliche Beihilfen im Luftverkehr, ABl. EG 1994 C 350/5, Rn. 12. 109  M. Bungenberg, in: Birnstiel/ders./Heinrich (Fn. 12), Kap. 1, 1. Teil – Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 29 f.; J.-O. Schrotz, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Hrsg.) (Fn. 12), Rn. 650 ff.; je m. w. N. 110 Vgl. H. A. Petzold (Fn. 7), S. 30 ff.; A. Bartosch (Fn. 33), Rn. 59 ff., je m. w. N.; Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 202 ff. 111  EuGH, Rs. C-288/11 (Flughafen Leipzig-Halle), ECLI:EU:C:2012:821. 112  Vgl. Bekanntmachung (Fn. 7), Rn. 202 ff. 113 Das Thema der Infrastrukturbeihilfen war auch schon in den Sitzungen der EU-Kommission mit den Mitgliedstaaten zur Beihilfenmodernisierung (SAM-Prozess), an denen Verf. in den Jahren 2011 – 13 als Vertreter des Bundesrates beteiligt war, lebhaft diskutiert worden. 114  s. auf http://ec.europa.eu/competition/state_aid/modernisation/index_en.html unter „General Block Exemption Regulation“. 115  VO (EU) Nr. 2017/1084 (Fn. 24). 116 Dazu im Einzelnen H. A. Petzold/M. Raguse/P. S. Stöbener de Mora (Fn. 24) m. w. N.

Kommunale Unternehmen und Beteiligungen im Lichte des EU-Beihilfenrechts

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Daraus kann aber nun nicht gefolgert werden, dass insoweit bei Flughafeninfrastrukturen nicht die allgemeinen Grundsätze des Beihilfenrechts anzuwenden sind. So wies schon die deutsche Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zur ersten Konsultation der AGVO-Ergänzung117 darauf hin, dass die entsprechenden Absätze in den Art. 56b und c AGVO wegen der Vorschriften in den einschlägigen Richtlinien zur Konzessions- und Auftragsvergabe118 rein deklaratorischer Natur seien. Die Unterscheidung im Text zwischen den Vorschriften für Flughäfen und denen für See- und Binnenhäfen ist daher rein redaktionell und ohne praktische Bedeutung. Im hier behandelten Kontext ist vor allem der Begriff „Dritte“ von Bedeutung, dem der Betrieb der jeweiligen Infrastruktur übertragen werden soll. Zu Art. 56 Abs. 4 AGVO, der entsprechenden Vorschrift für „lokale Infrastrukturen“, hat die EU-Kommission in einer (nicht veröffentlichten) Antwort vom 9. 2. 2017 auf eine Frage aus der Bundesrepublik Deutschland ausgeführt, Dritte seien nicht solche Einheiten, an die Aufträge nach den Kriterien der sog. „In-house“-Vergabe119 erteilt werden können.120 Dies entspricht der Ausnahme in Art. 17 der allgemeinen Konzessions-Richtlinie 2014/23/EU121 und den Regelungen beim ÖPNV.122 Eine Übertragung auf die anderen in der AGVO behandelten Infrastrukturen ist demnach zwanglos und systemkonform zulässig und zweckmäßig. Damit kann eine Kommune eine ihr gehörende, geförderte Hafeninfrastruktur selbst oder durch eigene Einheiten oder Gesellschaften betreiben. Nach den vergaberechtlichen Grundsätzen gilt dies dann allerdings nicht bei gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaften, über die keine Kontrolle „wie bei eigenen Einheiten“ besteht.123 Soll eine gemischte Gesellschaft zum Betrieb einer Infrastruktur genutzt oder gegründet werden, sind die dargestellten allgemein gültigen Grundsätze einzuhalten: Gesellschaftsanteile wie Betriebskonzession müssen ausgeschrieben werden, eine freihändige Vergabe des Betriebs an eine solche Gesellschaft dürfte regelmäßig unzulässig sein und neben dem Vergabe- auch zu einem Beihilfenverstoß führen.

117 s. http://ec.europa.eu/competition/consultations/2016_gber_review/replies/ms/de_ germany_de.pdf, S. 8. 118  RL 2014/23 – 25/EU, ABl. EU 2014 L 94/1 ff. 119  Vgl. oben bei Fn. 69. 120  Wörtlich: „We can confirm that an in-house operator under the EU public procurement rules would not qualify as a ,third party‘ for the purposes of Article 56(4) GBER.“ 121  Fn. 118. 122  Vgl. oben III.4.a). 123  So ausdrücklich Art. 17 Abs. 1 Satz 1 RL 2014/23/EU (Fn. 118).

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7.  Ladesäulen Art. 56 AGVO „Lokale Infrastrukturen“ beinhaltet einen Auffangtatbestand für solche Infrastrukturvorhaben, die einen lokalen Charakter124 haben und nicht unter andere Freistellungsnormen der AGVO fallen.125 Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist, auch wegen der Schwellenwerte in Art. 4 Abs. 1 lit. cc) AGVO von 10 Mio. €/Beihilfe bzw. 20 Mio. €/Projektkosten, begrenzt. Gefördert werden können allerdings die Investitionen in Ladesäulen für Elektrofahrzeuge, die zunehmend von Kommunen und kommunalen Betrieben aufgestellt werden.126 Für den Betrieb solcher Ladesäulen gelten dann die allgemeinen Regeln des Beihilfenrechts, d.h. es ist insbesondere darauf zu achten, dass nicht etwa Unternehmen in den Genuss staatlich (kommunal) verbilligten Stroms für ihre Fahrzeuge kommen. Die Nutzung für den eigenen kommunalen Fuhrpark oder die Öffnung für Private, etwa Besucher des Rathauses, sind weitestgehend unproblematisch, zumal auch selten eine konkrete Wettbewerbssituation bestehen dürfte. Soll eine kommunal errichtete Ladestation extern privatwirtschaftlich betrieben werden, ist allerdings eine Ausschreibung angezeigt (Art. 56 Abs. 4 AGVO).

V.  Fazit Auch für kommunale Unternehmen und Beteiligungen gelten die Regeln des EU-Beihilfenrechts. Dies mag auf den ersten Blick oft verwirrend erscheinen und als Hindernis für wünschenswerte Gestaltungen und Aktivitäten empfunden werden. Bei näherer Betrachtung ergibt sich aber, dass die meisten anzuwendenden Vorschriften und Grundsätze konstruktiven Lösungen nicht im Wege stehen und im Gegenteil durch den Zwang zur Reflexion häufig zu letztlich effizienteren, bürgerfreundlichen und Ressourcen schonenden Ergebnissen führen können. Eine differenzierte Beratung ist allerdings im Vorwege angezeigt und anzuraten, ebenso eine Offenheit bei den kommunalen Akteuren, hergebrachte Strukturen und Handlungsweisen in Frage zu stellen. Die häufig geäußerte Befürchtung, durch die Regeln des EU-Beihilfenrechts würden kommunale Projekte und Betätigungen verhindert, lässt sich aus der Praxis nicht bestätigen – verändert wurden Vorhaben jedoch schon, aber das war gewöhnlich auch nicht zu ihrem Nachteil.

124  Zu den Schwierigkeiten mit diesem Tatbestandsmerkmal vgl. V. Fiebelkorn/H. A. Petzold (Fn. 8), S. 4 f., 14 ff.; H. A. Petzold (Fn. 1), S. 403 f. 125  Ausführlich zu dieser Vorschrift C. Nowak (Fn. 46), S. 752 ff. 126  Unveröffentlichte Antwort der EU-Kommission vom 29. 1. 2016 auf eine Anfrage aus Tschechien.

Kommunale Bürgschaften und andere Garantien im Spiegel des Europäischen Beihilfenrechts Joachim Erdmann Kommunale Bürgschaften und andere Garantien im Spiegel des Europäischen Beihilfenrechts

Beim europäischen Beihilfenrecht handelt es sich neben der öffentlichen Auftragsvergabe um einen zentralen Bereich kommunaler Betroffenheit durch EU-Rechtssetzung. Kaum eine Kommune kann dem ausweichen; denn es erstreckt sich auf wesentliche Aspekte kommunaler Aufgaben und Kompetenzen. Qualität und Quantität der zu beachtenden Vorschriften in einem Beihilfenverfahren stellen namentlich die Kommunen in Bezug auf die Gewährung von Bürgschaften oder anderen Sicherungsinstrumenten vor nicht geringere Herausforderungen. Der Beitrag widmet sich nicht nur diesen Anforderungen im Allgemeinen, sondern gibt auch Hinweise zur Berechnung einer angemessenen Avalprovision.

I.  Einleitung Die jüngsten Verfahren der Kommission zur kommunalen Wirtschaftsförderung1 etwa zu Förderung von Kongresszentren, Stadthallen und Technologiebzw. Gründerzentren belegen überdeutlich, dass sich kommunale Wirtschaftsförderung den Anforderungen des EU-Beihilfenrechts zu stellen hat.2 Dabei kommt den gemeindlichen Bürgschaften und ähnlichen Sicherungs­ instrumenten eine besondere Bedeutung zu.3 So betrifft die Besicherung von Darlehen nicht nur die Ansiedlung und Erweiterung von Unternehmen, sondern auch Kreditgeschäfte kommunaler Unternehmen durch Bürgschaften der kommunalen Anteilseigner. Kommunen übernehmen häufig Garantien zugunsten ihrer Beteiligungsgesellschaften. Erlangen kommunale Unternehmen Bürgschaften seitens 1 

Entscheidungen der KOM zu DAWi-Einrichtungen, SA. 44264. auch H.A. Petzold, Kommunale Infrastrukturen und Europäisches Beihilfenrecht, KommJur 2017, S. 401, 403 f.; U. Soltész/T. Pflock, Die „Wiederentdeckung“ der beihilferechtlichen Zwischenstaatlichkeitsklausel – vom Schattendasein ins Scheinwerferlicht?, EuZW 2017, S. 207, 209 ff. 3 Grundlegend D. Rüdiger, Kommunale Bürgschaften und vergleichbare Sicherungsinstrumente als Beihilfen im Spiegel des Europarechts, 2011, S. 25 ff., 266; vgl. C. Jennert/ M. Pauka, EU-Beihilfenrechtliche Risiken in der kommunalen Praxis (Teil 1), KommJur 2009, S. 321, 324; C. Jennert/T. Manz, Kommunalbürgschaften und EU-Beihilferecht, ZKF 2009, S. 217. 2  Vgl.

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ihrer Träger, gelangen die kommunalen Unternehmen in den Genuss deutlich günstigerer Konditionen, nämlich der bekannten kommunalen Kreditkondition.4 Führt man sich vor Augen, dass die kommunalen Behörden – auch gelegentlich als lokale Stellen („local authorities“) bezeichnet – namentlich in der wichtigen Bürgschaftsmitteilung vom 20. 06. 2008 als Adressat des Beihilfenrechts benannt werden, liegt die Bedeutung zum Erkennen der einzelnen Anforderungen etwa in Bezug auf die richtige Berechnung einer Bürgschaftsprämie (Avalprovision) auf der Hand.5 Überdies muss beachtet werden, dass nach der Judikatur des Bundesgerichtshofs verschiedene Verstöße gegen die Notifizierungspflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV jedenfalls im Kausalverhältnis zur Nichtigkeit der Verträge nach § 134 BGB führen.6 Überdies kommen auch solche Betriebe in den Genuss der kommunalen Bürgschaften und ähnlicher Sicherungsinstrumente, den die Refinanzierung von Krediten am freien Kapitalmarkt mit Blick auf ihre wirtschaftliche Lage andernfalls Schwierigkeiten bereiten würde. Die möglichen Wettbewerbsverzerrungen ergeben sich daraus, dass Unternehmen am Markt bleiben, anstatt umstrukturiert oder aufgelöst zu werden, indem sie kommunale Garantien in Fällen der Zahlungsschwierigkeit erhalten. Dies wirft schwierig zu lösende Fragen im Dreiecksverhältnis zwischen Kreditgeber, Kreditnehmer und Bürgen bzw. Sicherungsgeber auf.7 In Bezug auf den maßgeblichen Zeitpunkt muss beachtet werden, dass bereits die Ausreichung der Bürgschaftsurkunde beihilfenrechtliche Relevanz hat. Denn entsprechend dem Satz „Beihilfekontrolle beginnt mit einer Selbsthilfeeinschätzung“ müssen sich die Kommunen vor der Entscheidung zur Gewährung einer Bürgschaft oder anderen Garantie mit den EU-beihilfenrechtlichen Bestimmungen befassen.8

4  C. Jennert/M. Pauka (Fn. 3), S. 324; vgl. W. Kreuzer, Die öffentliche Förderung von Fußballstadien, 2011, S. 37 f., 45 ff. 5  D. Rüdiger (Fn. 3), S. 93 ff.; C. Jennert/T. Manz (Fn. 3), S. 219 ff. 6 Grundlegend: BGH v. 4.  4. 2003, Az V ZR 314/02, dem nachfolgend BGH v. 24. 10. 2003, AZ V ZR 48/03; BGH v. 5. 7. 2007, Az IX ZR256/06, zuletzt: BGH v. 10. 2. 2011, AZ I ZR 136/09 und I ZR 213/08, BRZ 2011, S. 89. 7  G. Quardt, Rechtsfolgen für eine staatliche Bürgschaft bei Verstoß gegen das beihilfenrechtliche Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 AEUV, BRZ 2012, S. 3 ff.; A. v. Bonin, EuGH, 08. 12. 2011 - C-275/10: Unwirksamkeit eines nationalen Bürgschaftsvertrags bei Rückabwicklung einer unionsrechtswidrigen staatlichen Beihilfe, EuZW 2012, S. 106. 8  C. Jennert/M. Pauka (Fn. 3), S. 324.

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II.  Europarechtliche Vorgaben für kommunale Sicherungsgeschäfte Bei kommunalen Sicherungsgeschäften, namentlich kommunalen Bürgschaften, stellt sich zunächst die Frage, ob und in welchem Umfang diese den Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen. 1.  Der Kommune zurechenbare Sicherungsgeschäfte Was die vielfach behandelten Tatbestandsmerkmale „staatlich oder aus staatlichen Mitteln“9 betrifft, so sind diese im Zusammenhang mit kommunalen Sicherungsaktivitäten nur dann auszuschließen, wenn die Unterstützungsmaßnahme unmittelbar von anderen privaten Bürgschaftsteilnehmern stammt und keine Belastung des kommunalen Haushalts vorliegt. Nur dann ist die Bürgschaft der Kommune auch im weiteren Sinne nicht zurechenbar. Maßgeblich ist danach die Formulierung in der Bürgschaftsmitteilung, wonach Garantien, die von kommunalen Behörden kontrollierten Einrichtungen gewährt werden, den öffentlichen Behörden zurechenbar sind.10 Eine Belastung kommunaler Haushalte erfolgt dann, wenn diese Mittel unmittelbar durch die Kommune an den Beihilfeempfänger übertragen werden und dadurch das Budget der Kommune betroffen werden kann. Die Möglichkeit des tatsächlichen Zugriffs auf die für die streitigen Maßnahmen verwendeten Geldmittel reicht also aus. Es handelt sich um schuld­ rechtliche Verpflichtungen, in denen durch den Bürgschafts- bzw. Garantievertrag eine akzessorische Haftungsverpflichtung neben dem schuldnerischen Unternehmen übernommen wird. Diese sind von der Kommune buchhalterisch als Eventualverpflichtung anzugeben und als Rückstellungen zu berücksichtigen.11 Die Einzelheiten insbesondere zu den Zurechenbarkeitskriterien in Bezug auf Finanzierung, Organisation und Rechtsformneutralität sind in instruktiver Weise der Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – kurz notion of aid (NOA) zu entnehmen.12 9  Vgl. hierzu U. Soltész, in: Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar, Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, Band 3, 1. Aufl. 2011, Art. 107 AEUV, Rn. 239 ff.; A. Bartosch, EU-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2016, Art. 107 AEUV, Rn. 20 ff.; D. Wiemer, Anm. zu EuGH Rs. T-102/07 und T-120/07, BRZ 2010, S. 162 ff. 10  Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Art. 87 und 88 des EG-Vertrages auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften (Bürgschaftsmitteilung), Abl. EU 2008 C 155/10, 2.1. 11  D. Rüdiger (Fn. 3), S. 66. 12  Bekanntmachung der KOM zum Begriff der staatlichen Beihilfe, ABl. EU 2016 C 262/1, Rn. 39 ff.; vgl. auch P. Stöbner de Mora, Überall Beihilfen? – Die Kommissionsbekanntmachung zum Beihilfebegriff, EuZW 2016, S. 685.

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2.  Wirtschaftliche Begünstigungen In Anlehnung an die EuGH-Rechtsprechung13 ist der Begriff „Begünstigungen“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV für die kommunalen Garantien weit zu interpretieren und immer dann zu bejahen, wenn das Unternehmen eine Leistung ohne angemessene marktübliche Gegenleistung erlangt.14 Entsprechend dem Verständnis, dass der Vorteil für den Empfänger nach den wirtschaftlichen Wirkungen einzustufen ist,15 wird die Bandbreite bis hin zur Übernahme von Garantien bzw. Bürgschaften deutlich. Bei administrativen Einzelakten müssen diese zu verbilligten Konditionen oder unentgeltlich gewährt werden, um einen Begünstigungscharakter anzunehmen. Kommunale Garantien wirken dann begünstigend, wenn sie zu marktunüblichen Konditionen gewährt werden. Dabei ist auch auf das Leistungsentgelt, das für die Übernahme der Bürgschaft gezahlt wird, also auf die sogenannte Avalprovision – gelegentlich auch Bürgschaftsprämie genannt – abzustellen.16 In der Gewährung einer kommunalen Bürgschaft kann aber auch eine mittelbare Begünstigung gegeben sein, wenn infolge der Bürgschaft das Darlehen gegenüber dem Unternehmen zu vergünstigten Konditionen gewährt wird.17 Dabei sind die Zielrichtung der Gewährung und Hintergründe namentlich sozial- und strukturpolitischer Art ohne Bedeutung. Allein die Wirkung ist maßgeblich.18 Als mögliche Beihilfeempfänger kommen die Unternehmen, worunter auch kommunale Regie- und Eigenbetriebe zählen, aber auch das Kreditinstitut als solches in Betracht. 3.  Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten, sogenannte Zwischenstaatlichkeitsklausel Das aktuell den größten Herausforderungen ausgesetzte Tatbestandsmerkmal im Beihilfebereich betrifft die sogenannte Zwischenstaatlichkeitsklausel.19 Die Kommission hat entsprechend dem Grundsatz „big on big, small on small“ neue Kriterien für sogenannte lokale Maßnahmen aufgestellt, anhand der sie die Be13  Vgl. hier EuGH, Rs. C-303/88 (Alfa Romeo), ECLI:EU:C:1991:136, Rn. 18 ff.; Kommission v. 12. 2. 2001, ABl. EU L 137, S. 1 (Charleroi); Kommission v. 20. 10. 2004, ABl. EU L 307 (West LB), S. 22. 14  C. Arhold, in: Säcker (Hrsg.) (Fn. 9), Art. 107 Rn. 107 ff.; A. Heratsch/C. König/ M. Pechstein, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 1068. 15  C. Arhold, in: Säcker (Hrsg.) (Fn. 9), Rn. 109; M. Bungenberg, in: Birnstiel/ders./ Heinrich (Hrsg.), Europäisches Beihilfenrecht, 1. Aufl. 2013, S. 187 ff. 16  D. Rüdiger (Fn. 3), S. 68 f. mwN. 17 Vgl. M. Heidenhain, Mittelbare Beihilfen, EuZW 2007, S. 623 ff. 18  C. König/J. Kühling, BGH, 16. 1. 2001 - XI ZR 113/00: Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsschluss – heimliche Schmiergeldzahlung, NJW 2001, S. 1065, 1066. 19  U. Soltész/T. Pflock (Fn. 2), S. 207 ff.

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einträchtigung des Handels zwischen den EU-Mitgliedstaaten verneint.20 Auch die Ausdehnung der allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) erlaubt die Konzentration auf größere und wichtigere Maßnahmen, zu der auch die Einschränkung des Beschwerdebegriffs gehört. Mit ihrem neuen Ansatz nimmt die Kommission eine rein lokale Maßnahme an, wenn – der Beihilfeempfänger Güter und Dienstleistungen nur in einem biografisch begrenzten Gebiet in einem Mitgliedstaat anbietet und wahrscheinlich keine oder nur eine zu vernachlässigende Anzahl ausländischer Kunden anzieht und – die Maßnahme allenfalls marginale Auswirkungen auf die Bedienung für grenzüberschreitende Investitionen oder die grenzüberschreitende Niederlassung haben würde.21 Für den Zusammenhang von kommunalen Garantiemaßnahmen muss allerdings nach wie vor berücksichtigt werden, dass zum einen Dienstleistungen, die rein lokal in Anspruch genommen werden, schon deshalb selten sind, weil durch Internetauftritte eine überregionale Wirksamkeit festzustellen ist.22 Zum anderen ist die Finanzierung von vorgeblich lokaler Infrastruktur schon deshalb Kritikansätzen ausgesetzt, weil EuGH und Kommission vielfach deutlich gemacht haben, dass Beihilfen zugunsten lokaler Unternehmen unabhängig von der geografischen Grenznähe wettbewerbsverfälschende Wirkung haben, weil sie Wettbewerbern aus anderen Mitgliedstaaten den Marktzugang „vor Ort“ erschweren.23

III.  Entfallen der Beihilfeneigenschaft nach der Bürgschaftsmitteilung Für die Gewährung kommunaler Sicherheiten ist die genannte Bürgschaftsmitteilung vom 20. 06. 2008 das Maß aller Dinge. Dieser Mitteilung ist als Rechtsakt eigener Art eine gewisse normative Bindung beizumessen; sie hat den Zweck, gerade auch kommunalen Sicherungsgebern Auslegungsleitlinien und Berechnungsmethoden zur Verfügung zu stellen.

20  Pressemitteilung vom 29. 04. 2015, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15 – 4889 _de.htm; und vom 21. 09. 2016, http.//europa.eu/rapid/press-release_IP-16 – 3141_de.htm. 21 Instruktiv U. Soltész/T. Pflock (Fn. 2), S. 207 ff. 22  D. Rüdiger (Fn. 3), S 79. 23 EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), ECLI:EU:C:2003:415, Rn. 76 ff. = NVwZ 2003,1101 = EuZW 2003, 496 = NZBau 2003, 508; EuG, Rs T-214/95 (Vlaamse Gewest), Rs T-214/95, Rn. 46, 49; Europäische Kommission, Entscheidung 2003/193/EG (Steuerbefreiungen und Vorzugsdarlehen für Unternehmen der Daseinsvorsorge mit öffentlicher Mehrheitsbeteiligung), ABl. EU L 77, S. 21, Rn. 65, Fn. 38.

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1.  Pflicht zur Einzelbewertung Nach Auffassung der Kommission ist der Ansatz wichtig, dass in Anlehnung an die Entscheidungspraxis in mehreren Beihilfesachen Garantieregelungen das Verlustrisiko für jede einzelne Maßnahme bewerten müssen und im Interesse der Transparenz und Gleichbehandlung je nach Bonitätseinstufung der Unternehmen unterschiedlich Mindestentgelte (sogenannte Safe-Harbour-Prämien) Anwendung finden 24. Sie gelten für alle Wirtschaftszweige einschließlich Landwirtschaft, Fischerei und Verkehr, jedoch auf Export-Kreditgarantien. 2.  Voraussetzungen der Bürgschaftsmitteilungen Die Bürgschaftsmitteilung umfasst nicht nur Garantieregelungen, also Maßnahmen, die ohne weitere Durchführungsakte ermöglichen, Garantien für Unternehmen zu übernehmen, sondern auch Einzelgarantien. a)  Einzelgarantien Um die Marktüblichkeit von Einzelgarantien zu beurteilen, hat die Kommis­ sion folgende vier Voraussetzungen aufgestellt: – Der Kreditnehmer befindet sich nicht in finanziellen Schwierigkeiten. – Der Umfang der Garantie kann zum Zeitpunkt ihrer Übernahme ermittelt werden. Dies bedeutet, dass die Garantie an eine bestimmte finanzielle Transaktion geknüpft, auf einen festen Höchstbetrag beschränkt und von begrenzter Laufzeit sein muss. – Die Garantie deckt höchstens 80% des ausstehenden Kreditbetrages und der sonstigen ausstehenden finanziellen Verpflichtungen und – für die Garantie muss ein – individuell zu bestimmendes – marktübliches Entgelt (Avalprovosion, Bürgschaftsprämie) gezahlt werden.25 Für die in der Praxis besonders wichtige vierte Voraussetzung, also die Aval­provision ist Voraussetzung, dass sie in einem Verhältnis zu anderen vergleichbaren Prämien gesetzt wird. Von Bedeutung sind die Finanzlage, der Geschäftsbereich und andere Prognosen, mithin die Auswahlwahrscheinlichkeit des begünstigten Unternehmens. Hinzu kommen die für eine Garantie charakteristischen Merkmale des Betrages, der Laufzeit der Transaktion sowie die Bereitstellung weiterer Sicherheiten.26 24 

Bürgschaftsmitteilung der Kommission (Fn. 10), 1.1. Bürgschaftsmitteilung der Kommission (Fn. 10), 3.2. 26  D. Rüdiger (Fn. 3), S. 93 f.; M. Schütte, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), 25 

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Fehlt es an einem Vergleichsmarkt bzw. vergleichbaren Sachverhalten, sind die gesamten Finanzierungskosten des garantierten Kredits einschließlich der Kreditzinsen und der Garantieprämie mit dem marktüblichen Entgelt für einen entsprechenden, nicht garantierten Kredit zu vergleichen.27 Der Vorteil dieser Methode, wonach der Unterschiedsbetrag mit der Anzahl der Laufzeit der Bürgschaft bzw. des entsprechenden Darlehensvertrags zu multiplizieren und der Barwert der jährlichen Zuschussäquivalenz abzuzinsen 28 war, liegt darin, dass damit feste Zinssätze bestehen. Auch hat die Kommission die beschriebene Methode zur Berechnung der Reverenz- und Abzinsungssätze festgelegt.29 Insbesondere der Ansatz, dass bei fehlenden Vergleichsmaßstäben der Zinssatz durch einen vom Rating oder einer etwaigen sonstigen Besicherung des Darlehens abhängigen Aufschlag (Marge) auf den Ein-Jahres-Ibor-Zinssatzes zu ermitteln ist, bringt erhebliche Schwierigkeiten mit sich.30 Einigkeit besteht darin, dass die Avalprovision individuell „angemessen“ gewonnen werden muss.31 Damit sind Pauschale, für alle Bürgschaften erhobene Avalprovisionen von etwa 0,5 % der Bürgschaftssumme, wie sie vielfach in der kommunalen Praxis anzutreffen waren, nicht als marktübliche Avalprovision darzustellen.32 Maßgeblich sind in Bezug auf das Auswahlrisiko vielmehr individuelle Voraussetzungen, die von den konkreten Umständen des jeweiligen Kredits wie Zinssatz, Verwendungszweck und der Person des Kreditnehmers insbesondere dessen Bonität abhängig sind.33 Ein Problem eigener Art stellt die Frage dar, ob bei der Bemessung der marktüblichen Avalprovision in Bezug auf das Rating bei kommunalen Unternehmen auf das jeweilige Unternehmen selbst oder auf die kommunale Gesellschaft und/oder etwaige Mutter-Tochtergesellschaft abzustellen ist. Eine kommunal freundliche Auslegung sollte sich dabei auf den hinter den jeweiligen kommunalen Unternehmen stehenden Gesellschafter, also die kommunale Gebietskörperschaft als solche ausrichten.34 Für die finanzielle Lage des Darlehensnehmers reicht es aus, dass ein Bankrating der darlehensgewährenden Bank vorliegt.

Band 3, Art. 107 Rn. 109; C. Jennert/M. Pauka (Fn. 3), S. 325; C. Jennert/T. Manz (Fn. 3), S. 220. 27  Bürgschaftsmitteilung der Kommission (Fn. 10), 3.1 d). 28  D. Rüdiger (Fn. 3), S. 94. 29  D. Rüdiger (Fn. 3), S. 94. 30  C. Jennert/T. Manz (Fn. 3), S. 221 f. 31  Bürgschaftsmitteilung der Kommission (Fn. 10), 1.3, 32; D. Rüdiger (Fn. 3), S. 93 ff. 32  C. Jennert/M. Pauka (Fn. 3), S. 325. 33  D. Rüdiger (Fn. 3), S. 94. 34  C. Jennert/T. Manz (Fn. 3), S. 221.

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Für die kommunale Praxis ist es förderlich, dass es zur Bestimmung der Markt­üblichkeit der Avalprovision ausreicht, wenn der kommunale Sicherungsgeber mehrere Angebote verschiedener Banken für entsprechende Garantien bzw. Bürgschaften für den betreffenden Kredit ohne/mit Kommunalbürgschaft abfragt.35 Damit wird nicht nur dem Market Economy Operator Principle Rechnung getragen, sondern bei Beachtung gleicher Wettbewerbsvoraussetzungen wie Rating, Ausfallwahrscheinlichkeit der Transparenz Genüge getan.36 Beihilfenrechtliche Probleme entstehen dann nicht, wenn die Kommunen wie dargestellt eine Anpassung der bisher erhobenen Avalprovision an die im beschriebenen Wege ermittelten marktüblichen Sätze vornehmen.37 Dies birgt nicht nur den Vorteil beihilfenrechtlicher Konformität, sondern bringt zugleich mit sich, dass die Bezahlung höherer Darlehenszinsen an den Kreditgeber vermieden wird.38 b)  Garantieregelung Bei abstrakt-generellen Vorgaben, also bei Garantieregelungen für welche auch die kommunal abgaberechtlichen Vorgaben sprechen,39 legt die Bürgschaftsmitteilung 2008 über die drei Voraussetzzungen, welche aus den Vorgaben für Einzelbürgschaften bekannt sind, hinaus Folgendes fest: – Die Marktüblichkeit muss sich aus Bedingungen ergeben, die sich auf eine realistische Risikobewertung stützen; die Prämien müssen sowohl die Risiken als auch die Verwaltungskosten abdecken. – Die Garantieregelung muss sich aufgrund der von dem Begünstigten gezahlten Prämien aller Wahrscheinlichkeit nach finanziell selbst tragen.40 Diese Tatsache und die einer angemessenen Risikoorientierung sind für die Kommission Hinweise darauf, dass die nach der Regelung zu errichtenden Garantieprämien marktkonform sind. Dies hat zur Folge, dass bei jeder neuen Garantie, also auch bei einer Prolongation, eine Risikobewertung aufgrund aller maßgeblichen Faktoren (Bonität des Kreditnehmers, Sicherheiten, Laufzeit der Garantie usw.) vorgenommen werden muss.41 Mit Blick auf diese Risikobewertung werden Risikoklassen festgelegt, die Garantie muss einer der Risikoklassen 35 

C. Jennert/T. Manz (Fn. 3), S. 221. D. Rüdiger (Fn. 3), S. 93 f.; T. Lübbig/A. Martin-Ehlers, Beihilfenrecht der EU, 2. Aufl. 2009, Rn. 392. 37  D. Rüdiger (Fn. 3), S. 92 ff. 38  C. Jennert/T. Manz (Fn. 3), S. 221. 39  C. Jennert/M. Pauka (Fn. 3), S. 325; W. Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Rn. 223. 40  Bürgschaftsmitteilung der Kommission (Fn. 10), 1.3, 2.1, 3.4. 41  C. Jennert/M. Pauka (Fn. 3), S. 325 f. 36 

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zugeordnet werden und für den garantierten bzw. rückgarantierten Betrag ist die entsprechende Garantieprämie in Rechnung zu stellen.42 Außerdem muss beachtet werden, dass einmal jährlich anhand der tatsächlichen Ausfallquote der Regelung über einen aus wirtschaftlicher Sicht angemessenen Zeitraum Überprüfungen stattfinden.43 Dies bedeutet für die Kommunen ein Bürgschaftsmanagement bzw. Sicherheitscontrolling.44 Überdies müssen die Avalprovisionen, um als marktkonform zu gelten, nicht nur die mit der Gewährung verbundenen normalen Risiken, die Verwaltungskosten, abdecken, sondern auch die jährliche Vergütung eines angemessenen Kapitalbetrags erfassen, selbst wenn dieses Kapital gar nicht oder nicht teilweise hinterlegt wird.45 Die beschriebenen abzudeckenden Verwaltungskosten sollen mindestens die Kosten für die anfängliche Risikobewertung sowie für die Risikoüberwachung und das Risikomanagement umfassen, die mit der Mittelübernahme und der Verwaltung der Garantie verbunden sind.

IV.  Besonderheiten bei KMU durch „Safe-Harbour-Klausel“ Da kleinere und mittlere Unternehmen, also Unternehmen, die weniger als 250 Personen beschäftigen, einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens 43 Mio. Euro aufweisen, besonderen Schwierigkeiten bei der Kreditwährung ausgesetzt sind,46 enthält die Bürgschaftsmitteilung vom 20. 06. 2008 für diese Unternehmen Sonderregelungen. Sie wird damit der Bedeutung gerecht, die KMU als Faktor sozialer Stabilität und wirtschaftlicher Dynamik haben. Handelt es sich um KMU, kann die Kommission abweichend von den beschriebenen Vorgaben zu Einzelgarantien bzw. Garantieregelungen eine vereinfachte Methode zur Prüfung der Marktkonformität heranziehen. Zu den drei dargestellten Grundvoraussetzungen reicht es aus, wenn die in einer Tabelle aufgeführten jährlichen Mindestprämien („Safe-Harbour-Prämien“) angewandt werden. Sie setzen bei höchster Bonität von dann AAA) eine jährliche Safe-Harbour-Prämie von 0,4 % fest.47 Für KMU, die keine Bonitätsgeschichte und kein auf einem 42 

D. Rüdiger (Fn. 3), S. 94 f. Bürgschaftsmitteilung der Kommission (Fn. 10), 3.4 e), S. 95. 44  C. Jennert/T. Manz (Fn. 3), S. 322. 45  D. Rüdiger (Fn. 3), S. 95. 46  C. Lintschinger/I. Pellech, Problemstellungen bei der Einstufung von Unternehmen als KMU und Lösungsvorschläge, BRZ 2009, S. 103 ff.; C. Koenig/ J. Kühling, Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) unter Berücksichtigung der geplanten EG-Verordnung für KMU, DVBl. 2000, S. 1025, 1027. 47  Bürgschaftsmitteilung der Kommission (Fn. 10), 3.3, 3.5; D. Rüdiger (Fn. 3), S. 97. 43 

Joachim Erdmann

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Bilanzansatz basierendes Rating haben, wie etwa Projektgesellschaften und Start-up-Unternehmen wird die Safe-Harbour-Prämie auf 3,8 % festgesetzt.48

V.  Tatbestandsausschluss nach der De-minimis-Verordnung Bei der Ausreichung kommunaler Sicherheiten erscheint auf den ersten Blick die von der Europäischen Kommission erlassene, keineswegs auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse – dafür gibt es eine Sonderverordnung – beschränkte De-minimis-Verordnung hilfreich zu sein. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch der enge Anwendungsbereich für die kommunalen Sicherungsgeschäfte.49 Der Höchstbetrag der Gewährung einer Beihilfe nach der De-minimis-Verordnung beträgt 200.000 Euro je Unternehmen im Drei-Steuerjahreszeitpunkt. Dabei gilt eine Bürgschaftsregelung nur dann als transparent, d. h. als in Bezug auf den Bruttosubventionsäquivalenzwert im Voraus ohne eine umfangreiche Risikobewertung ermittelbar, wenn der verbürgte Darlehensbetrag weniger als 1,5 Mio. Euro beträgt. Denn dieser Wert multipliziert mit der maximalen Ausfallwahrscheinlichkeit von 13,33 % ergibt wiederum den Bürgschaftshöchstwert von 200.000 Euro. Hinzu kommt, dass die Verbürgung nicht mehr als 80 % des zugrundeliegenden Darlehensvertrages umfassen darf. Entscheidet sich die Kommune für höhere Darlehensbeträge als 1,5 Mio. Euro, die sie verbürgen will, ist dies dann zulässig, wenn eine von der Europäischen Kommission gebilligte Berechnungsmethode verwendet wird und diese Methode expressis verbis auf die Art der Garantie und die Art der zugrundeliegenden Transaktion Bezug nimmt.50 Sind die Voraussetzungen auch in einer Bürgschaftsregelung erfüllt, ist von ihrer Transparenz auszugehen.

48 

Bürgschaftsmitteilung der Kommission (Fn. 10), 3.5 (Fn. 10). C. Jennert/M. Pauka (Fn. 3), S. 324; C. Jennert/T. Manz (Fn. 3) S. 219. 50 Genehmigte Berechnungsmethoden liegen für Investitionsmittelkredite, für Betriebsmittelkredite und für Spezialfinanzierungen vor, siehe Entscheidung der Kommis­ sion v. 25. 9. 2007, Staatliche Beihilfe N 197/20007; Entscheidung v. 28. 11. 2007, Staatliche Beihilfe N 541/2007; Entscheidung v. 17. 06. 2008, Staatliche Beihilfe N 762/2007. 49 Ebenso

Krankenhausfinanzierung und Beihilfenrecht Tobias Traupel und Claudia Byczynski Krankenhausfinanzierung und Beihilfenrecht

In den Blick des europäischen Beihilfenrechts gerät zunehmend die Frage finanzieller Zuwendungen des Staates an Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft, die insbesondere auch in Gestalt von Defizitausgleichen gewährt werden. Dies sehen insbesondere die nicht bezuschussten privaten Krankhäuser kritisch, obwohl sie gleichsam Dienstleistungen von allgemein wirtschaftlichem Interesse („DawI“) erbringen.

I.  Grundsätze Gemäß § 1 KHG sind die Länder verpflichtet, eine qualitativ hochwertige, patienten- und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen und eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern zu gewährleisten. Das hierfür erforderliche Mittel ist zunächst die Bedarfsermittlung durch die Länder. Diese Bedarfsermittlung fließt in die Erstellung von Landeskrankenhausplänen ein, in die grundsätzlich trägerunabhängig kommunale, freigemeinnützige und private Krankenhäuser aufgenommen werden. Dabei ist eine solche Trägervielfalt ebenfalls in § 1 Abs. 2 S. 1 KHG gesetzlich vorgegeben. Einen besonderen Passus enthält § 1 Abs. 2 S. 2 KHG, wonach eine Privilegierung freigemeinnütziger und privater Krankenhäuser erfolgt. Der Entstehungshistorie ist zu entnehmen, dass mit dieser Regelung Wettbewerbsnachteile gegenüber kommunalen Krankenhäusern verringert werden sollten.1 Sie haben ihren wesentlichen Grund in den öffentlichen Finanzierungsvorteilen und -garantien zu Gunsten kommunaler Krankenhäuser. Daher kann aus der Vorschrift abgeleitet werden, dass bei der Aufnahme in die Landeskrankenhauspläne freie gemeinnützige und private Krankenhäuser den Vorrang genießen, auch wenn sie – bei grundsätzlicher Erfüllung der Wirtschaftlichkeit – im Einzelfall weniger leistungsfähig sind als öffentliche Krankenhäuser. Demnach besteht nach dem Gesetz keine Rechtfertigung für kommunale Krankenhäuser, soweit der Bedarf durch freigemeinnützige und private Krankenhäuser gedeckt werden kann.

1 

F. Stollmann/M. Quaas/O. Dietz, PdK Bund, 59. Lieferung 2017, H 10 IV.1.

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II. Finanzierung „Drei-Säulen-Modell“ Die Krankenhausfinanzierung erfolgt über das „Drei-Säulen-Modell“, welches Investitionskosten, Betriebskosten und die Defizitfinanzierung kommunaler Krankenhäuser durch den Träger umfasst. Die Krankenhäuser haben gemäß § 8 Abs. 1 KHG Anspruch auf eine Investitionskostenförderung. Als Investitionskosten sind Zuschüsse auf der Grundlage der Krankenhauspläne durch die Länder zu verstehen, entweder durch Pauschalförderung (dies stellt in Nordrhein-Westfahlen den Regelfall dar) oder durch Einzelförderung. Zu berücksichtigen ist dabei, dass alle „Plankrankenhäuser“ einen Anspruch auf gleiche Förderung haben. Insoweit handelt es sich um eine trägerneutrale Gewährleistung. Die Betriebskosten stellen die Vergütung der Krankenhausleistungen dar. Diese Finanzierung erfolgt durch die Krankenversicherungen.2 Dabei wird zwischen allgemeinen Leistungen, für die sowohl für gesetzliche als auch für private Krankenversicherte der gleiche Maßstab gilt, und Wahlleistungen nach individueller Vereinbarung unterschieden. Die Defizitfinanzierung kommunaler Krankenhäuser durch den Träger stellt darüber hinaus den brisantesten beihilfenrechtlichen Finanzierungspunkt dar. Erfolgt eine solche Defizitfinanzierung bei kommunalen Krankenhäusern, liegt grundsätzlich eine aus staatlichen Mitteln resultierende Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der privaten und freien gemeinnützigen Krankenhäuser vor.3

III. Beihilfenrechtliche Bewertung 1. Unternehmen und Wettbewerbsverfälschung Eine beihilfenrechtliche Bewertung im Hinblick auf Krankenhäuser ist insoweit nur erforderlich, als auch eine wirtschaftliche Betätigung der Krankenhäuser anzunehmen ist. Dies ist heutzutage nicht mehr zu bestreiten. Krankenhäuser sind Unternehmen, denn sie bieten Gesundheitsleistungen gegen Entgelt an und stehen im Wettbewerb mit anderen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten4.5

2 Vgl. C. Koenig/J. Paul, Ist die Krankenhausfinanzierung ein pathologischer Fall für EG-beihilfenrechtliche Transparenz- oder sogar für Entflechtungsmaßnahmen?, EuZW 2009, S. 844. 3 Vgl. W. Cremer, Europäisches Beihilfenrecht und seine Auswirkungen auf das deutsche Krankenhauswesen, ZIAS 2008, S. 198, 208 f. 4  C. Koenig/P. Vorbeck, Die Finanzierung von Krankenhäusern in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft aus EG-beihilfenrechtlicher Perspektive, GesR 2007, S. 359 f.

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Anders ist dies nur dort, wo (z. B. in Spanien) jeder Patient die Möglichkeit hat, Krankenhausleistungen unentgeltlich in Anspruch zu nehmen, so dass die Gesundheitsversorgung auf dem Solidaritätsprinzip beruht. Isoliert betrachtet unzweifelhaft wirtschaftlich sind darüber hinaus Annexleistungen, insbesondere der Kantinenbetrieb, ein Café, der Verkauf von Zeitschriften etc. Diese Annexleistungen haben, soweit sie mit vorhandenen Ressourcen und in geringem Umfang betrieben werden, grundsätzlich keine selbständige Bedeutung und ändern daher den sich aus der Haupttätigkeit abgeleiteten beihilfenrechtlichen Charakter nicht.6 Zudem betreiben Krankenhäuser sonstige wirtschaftliche Tätigkeiten. Dies umfasst insbesondere das Angebot von Leistungen gegenüber Dritten (z. B. Partyservice, Wäscherei), die beihilfenrechtlich gesondert zu beurteilende unternehmerische Tätigkeiten darstellen. 5

2. Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten Es gilt der Grundsatz, dass Krankenhäuser, die nur auf den lokalen Bedarf ausgerichtet sind, den zwischenstaatlichen Handel nicht beeinträchtigen und daher öffentliche Zuwendungen von vornherein keine Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen. Diese rein lokalen Fälle versucht die Kommission in jüngerer Gegenwart, zuletzt in einer Reihe von Beschlüssen vom 21. 9. 2016, näher zu definieren.7 Die Bestätigung dieser Linie durch den EuGH steht noch aus.8 Dabei ist richtigerweise für die beihilfenrechtliche Beurteilung zwischen Nutzerund Betreiberebene zu unterscheiden. Die Beihilfenfreiheit aufgrund fehlender Zwischenstaatlichkeit kann hinsichtlich der Nutzer von Krankenhäusern, also bei Betrachtung der Patientenkreise, nur angenommen werden, wenn der weit überwiegende Teil der Patienten im betroffenen Mitgliedstaat ansässig ist. Die Definition des weit überwiegenden Teils ist dabei umstritten. In den Entscheidun5  Vgl. Kommission, Mitteilung vom 25. 8. 2010, CP 6/2003, Rn. 59; W. Cremer, Krankenhausfinanzierung im europarechtlichen Kontext – Zum Verbot von Verlustausgleichszahlungen zugunsten öffentlicher Krankenhäuser, GesR 2005, S. 337, 340. 6  Die Annahme fehlender eigenständiger Beihilferelevanz von untergeordneten Nebentätigkeiten findet sich im Hinblick auf Infrastrukturen explizit in der Mitteilung der Europäischen Kommission zum Beihilfebegriff, ABl. EU 2016 C 262/1, Tz. 207. Dort wird im Kontext wirtschaftlicher Nutzung von nichtwirtschaftlichen Forschungsinfrastrukturen von einem 20%-Grenzwert ausgegangen. Gleiches wendet die Kommission in Bezug auf Nebenleistungen in Museen u.ä. an, ebda. Tz. 37, Fn. 50. Allerdings geht die Kommission für die dort genannten Fälle von fehlender Beihilferelevanz aus, während im Kontext der Krankenhausfinanzierung nur eine eigenständige beihilfenrechtliche Betrachtung unterbleibt. 7  Vgl. dazu die Pressemitteilung der Europäischen Kommission IP/16/3141 8  Kritisch daher A. Bartosch, Die Entscheidungspraxis der Kommission zur Zwischenstaatlichkeit im EU-Beihilfenrecht – Sind die 7 Zwerge auch die 7 Weisen?, EWS 2017, Heft 5.

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gen der EU-Kommission wurden jedenfalls 99 Prozent als weit überwiegender Teil anerkannt.9 Als Gegenspiel ist hier aber auch eine andere Entscheidung der Kommission zu einem Brüsseler Krankenhaus anzuführen, wonach die Internationalität der Patienten bereits aus der Internationalität der Großstadt Brüssel folgte.10 Ein Indiz dafür, dass der weit überwiegende Teil der Patienten im betroffenen Mitgliedstaat ansässig ist, ist insbesondere das Fehlen fremdsprachlicher Hinweise und kultureller/sprachlicher Eigenheiten. Als wichtiger Punkt ist auf Betreiberebene das nachweisbare Ansiedlungsinteresse aus einem anderen Mitgliedstaat zu prüfen; denn dann kann die Gewährung eines Zuschusses an ein Krankenhaus beihilferelevant sein, weil der grenzüberschreitende Wettbewerb zum Nachteil eines ausländischen Krankenhausbetreibers beeinflusst wird, der in dieser Region ein Krankenhaus betreiben möchte. Dabei ist anzunehmen, dass die Kommission immer dann von einer möglichen Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Wettbewerbs durch die Förderung eines Krankenhauses ausgeht, wenn ein solches Interesse nachweisbar ist. Hier ist jedoch zu beachten, dass die Kommission ein derartiges Interesse nicht per se unterstellen darf. Insoweit ist eine positive Feststellung eines grenzüberschreitenden Ansiedlungsinteresses durch die Kommission erforderlich.11 Darüber hinaus darf die Förderung eines Krankenhauses auch den grenzüberschreitenden Wettbewerb auf vor- oder nachgelagerten Märkten nicht verzerren. Sie darf daher allenfalls marginale Auswirkungen auf die Bedingungen für grenz­übergreifende Investitionen oder grenzübergreifende Niederlassung haben. Ein wichtiges Indiz hierfür ist, dass die Krankenhausförderung die Auswahlmöglichkeit der Patienten gegenüber alternativen Angeboten nicht nennenswert beeinflusst.12 Spezialkrankenhäuser und solche mit einer nennenswerten Nachfrage von Patienten aus anderen Mitgliedstaaten sind hingegen regelmäßig beihilfenrelevant, da hier Patienten aus anderen Regionen Europas besondere Leistungen in Anspruch nehmen.

9  Vgl. Kommission, Entscheidung vom 29. 4. 2015, SA.37432 (Öffentliche Krankenhäuser Hradec Krolove). 10 Kommission, Beschluss vom 5.  7. 2016, SA.19864 – 2014 (IRIS-Krankenhäuser Brüssel). 11  Kommission, Entscheidung vom 29. 4. 2015, SA.37432 (Öffentliche Krankenhäuser Hradec Krolove); KOM, Entscheidung vom 7. 11. 2012, SA.34576 (Jean-Piaget/Nord-Osten); Kommission, Entscheidung vom 18. 6. 2014, SA.38920 (SCMT). 12 Kommission, Entscheidung vom 29.  4. 2015, SA.38035 (Landgrafen-Klinik Bad Bentheim); KOM, Entscheidung vom 29. 4. 2015, SA.37904 (Ärztehaus Durmersheim).

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3. Investitionskosten a) Grundlagen Grundsätzlich können alle Krankenhausträger in einen Krankenhausplan aufgenommen werden und erhalten so die gleiche Förderung. Dies stellt insoweit eine allgemeine Maßnahme dar, so dass die für eine Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV nötige Spezifität fehlt; allgemeine Maßnahmen stehen allen Betreibern zur Verfügung und stellen keine spezifische Begünstigung für ein Krankenhaus dar. Die Krankenhausträger haben dabei jedoch keinen gebundenen Anspruch sondern einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Auswahl. Eine solche Ermessensentscheidung führt grundsätzlich dazu, dass Zweifel an der allgemeinen Maßnahme bestehen, weil über den Umweg der Behördenentscheidung eine selektive Begünstigung möglich ist. Für die Aufnahme in den Krankenhausplan wird diese Ermessensentscheidung von qualitativen Kriterien (u.a. eigenverantwortlich, leistungsfähig) aber auch vom Vorrang freigemeinnütziger oder privater Träger geprägt. Nur bei nicht abgedecktem Bedarf besteht ein Anspruch jedes eigenverantwortlichen und leistungsfähigen Krankenhausträgers auf Aufnahme in den Krankenhausplan. Hier besteht eine Ermessensreduzierung auf Null. Bei einem Überangebot besteht hingegen nur ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. b) Selektivität Bei Vorliegen eines Überangebots führt die Aufnahme bestimmter Krankenhäuser und nicht aller zu einer spezifischen, selektiven Begünstigung; es liegt dann gerade keine allgemeine Maßnahme vor. Dies folgt bereits daraus, dass in einer Situation des Überangebots ein Auswahlermessen zugunsten der aufgenommenen Häuser ausgeübt wird. Soweit der Bedarf an Krankenhausversorgung nicht vollständig abgedeckt ist, ist demgegenüber eine allgemeine Maßnahme wegen Vorliegen eines gebundenen Ermessens hinsichtlich der Förderungsentscheidung denkbar, weil und wenn dann alle Träger begünstigt werden. Jedoch können qualitative Kriterien in der Auswahl des zu bezuschussenden Krankenhausträgers wieder zum Vorliegen von Selektivität im Verhältnis der Krankenhausträger zueinander führen. Soweit mit Investitionskostenzuwendungen auch Leistungen im Wettbewerb (z. B. mit niedergelassenen Ärzten) angeboten werden, liegt ohnehin eine selektive Begünstigung der bezuschussten Krankenhäuser vor. c) Begünstigung Im Rahmen der beihilfenrechtlichen Bewertung ist stets zu berücksichtigen, ob durch die Investitionskostenförderung eine Begünstigung vorliegt. Ein verlo-

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rener Zuschuss hat grundsätzlich begünstigenden Charakter. Die Begünstigung ist aber ausgeschlossen, wenn die Maßnahme alle vier „Altmark-Trans“-Kriterien erfüllt. Nach diesem Urteil des EuGH liegt bereits begrifflich keine Beihilfe vor, sofern vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, die eine formelle Betrauung mit einer Leistung im Allgemeininteresse, die vorherige Benennung objektiver Parameter zur Zuordnung der Ausgleichsleistungen, das Fehlen einer Überkompensation und die Orientierung der Kosten an einem objektiven Maßstab, etwa an den Kosten eines durchschnittlich gut geführten Unternehmens oder die Ermittlung der Kosten durch ein Ausschreibungsverfahren, erfordern.13 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Betrieb eines Krankenhauses eine gemeinwohlbezogene Tätigkeit darstellt. Daher dient die Investitionskostenzuwendung der durch die Einnahmen nicht gedeckten Sicherung des Versorgungsauftrages. Nach § 8 Abs. 1 S. 3 KHG konkretisieren Feststellungsbescheide den Versorgungsauftrag (detaillierte Vorgaben erfolgen nach Landesrecht, z. B. § 16 Abs. 1 S. 2 KHGG NRW), so dass sie als zulässige Betrauungsakte bezeichnet werden können. Zur Erfüllung der Altmark-Trans-Kriterien ist darüber hinaus eine Vorabbestimmung der Ausgleichsparameter erforderlich. Eine solche ist nicht bereits im Feststellungsbescheid enthalten. Bei der Einzelförderung können die Parameter in den Förderbescheiden festgelegt werden. Schwieriger ist dies bei der Pauschalförderung umzusetzen. In NRW können die jährlich ermittelten Fallwertpauschalen, PauschKHFVO NRW, als Parameter angesehen werden. Eine gewisse Unschärfe der Parameter ist nach der Rechtsprechung des Gerichts14 wegen der Komplexität von Ausgleichsmaßnahmen im Gesundheitswesen zulässig. Darüber hinaus darf keine Überkompensation vorliegen. Dieses Merkmal ist insbesondere bei der Pauschalförderung problematisch, kann aber durch Einräumung von Rückforderungsmöglichkeiten bei fehlendem Nachweis der Zweckverwendung erfüllt werden. Das vierte Altmark-Trans-Kriterium verlangt ein wettbewerbliches Verfahren zur Ermittlung der geringsten Kosten für die Allgemeinheit. Das hierfür am besten geeignete Ausschreibungsverfahren findet schon wegen des Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Aufnahme in den Krankenhausplan nicht statt. Allerdings erfolgt wie oben dargelegt (z. B. gemäß § 16 Abs. 1 S. 2 KHGG NRW) ein Auswahlverfahren für den Feststellungsbescheid aufgrund qualitativer Kriterien. Diese qualitativen Kriterien, die in den Krankenhausplan aufgenommen werden, enthalten über das Merkmal der Leistungsfähigkeit hinaus zugleich Wirtschaftlichkeitskriterien. Daher lässt sich vertreten, dass dieses Auswahlverfahren mit 13  Vgl. EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), ECLI:EU:C:2003:415, Rn. 93 ff. Dazu etwa W. Weiß, in: Niedobitek (Hrsg.), Europarecht – Politiken der Union, 2014, § 3, Rn. 305 f. 14  EuG, Rs. T-289/03 (BUPA), ECLI:EU:T:2008:29.

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einer Ausschreibung vergleichbar ist. So kann die Investitionskostenförderung, soweit sie nicht bereits eine allgemeine Maßnahme darstellt und deshalb schon aus dem Beihilfenbegriff herausfällt, jedenfalls nach den „Altmark-Trans“-Grundsätzen als Maßnahme ohne begünstigenden Charakter angesehen werden. Für die Praxis verbleibt bei einer solchen Lösung jedoch wegen der aufgezeigten Analogieschlüsse ein nicht unerhebliches beihilfenrechtliches Risiko. Daher bietet sich der rechtssichere Weg der Rechtfertigung einer Begünstigung durch die Erfüllung der Voraussetzungen des DawI-Beschlusses15 an. Die Einzelheiten dieses Verfahrens werden im Zusammenhang mit der beihilfenrechtlichen Rechtfertigung der Defizitfinanzierung im Kapitel 5.a) dargestellt. 4. Betriebskosten Das Finanzierungssystem der Betriebskosten gestaltet sich im Vergleich zu den Investitionskosten anders. Betriebskosten werden durch Vergütungsvereinbarungen für Krankenhausleistungen geregelt. Dies umfasst zum einen allgemeine Leistungen und zum anderen Wahlleistungen. Allgemeine Leistungen sind im Zusammenhang mit gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) über die Budgetvereinbarung (Pflegesatzverfahren, § 18 KHG) zwischen Krankenhausträger und Sozialleistungsträger abgedeckt. Im Zusammenhang mit privaten Krankenversicherungen (PKV) stellen die allgemeinen Leistungen die Einbeziehung in die Vereinbarungen zum pauschalierenden Entgeltsystem für DRG-Krankenhäuser im Sinne des § 17b KHG dar. Insoweit gilt der gleiche Vergütungsmaßstab wie bei der GKV. Wahlleistungen erfolgen demgegenüber auf der Grundlage von krankenhausindividuellen Vereinbarungen zwischen dem Patienten und dem Krankenhausträger. Wahlleistungsentgelte werden dabei – auch bei privat versicherten Patienten – nicht individuell berechnet, sondern folgen einheitlichen Sätzen des Krankenhausträgers auf der Grundlage des Gebührenrechts (GOÄ). Im Rahmen der beihilfenrechtlichen Bewertung von Betriebskosten sind die unterschiedlichen Kassenmodelle zu berücksichtigen. Die privaten Kassen finanzieren sich aus privaten Beiträgen. Bei der Kontrahierung der Privatkassen mit Krankenhäusern werden daher keine staatlichen Mittel eingesetzt. Somit fehlt es hier am Beihilfecharakter, so dass für die Finanzierung von Krankenhausleistungen über die PKV jede Beihilferelevanz von vornherein ausscheidet. Anders ist dies bei der gesetzlichen Krankenversicherung zu bewerten. Die gesetzlichen 15  Kommission, Beschluss vom 20. 12. 2011 über die Anwendung von Art. 106 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zugunsten bestimmter Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, ABl EU 2012 L 7/3. s. auch den DawI Leitfaden der Kommission, SWD(2013) 53 final/2.

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Krankenversicherungsträger sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und werden durch parafiskalische Abgaben finanziert. Diese parafiskalischen Abgaben gelten nach dem Beihilfenrecht als staatliche Mittel, da sie letztlich staatlich verwaltet und verteilt werden. Im Bereich der Betriebskostenfinanzierung durch gesetzliche Krankenversicherungen liegen somit staatliche Transferleistungen vor. Nach der „Stardust Marine“-Rechtsprechung16 des EuGH ist für den Fall, dass der Staat sich wie ein Privater verhält, anerkannt, dass aus dem Umstand, dass es sich um staatliche Mittel handelt, nicht auch automatisch folgt, dass eine staatliche Beihilfe vorliegen muss. Dies setzt jedoch ein marktübliches Verhalten voraus. Der klassische Fall von „Stardust Marine“ und entsprechenden Folgeentscheidungen ist stets, dass der Staat sich wie ein Privater verhält. Dies ist vorliegend nicht der Fall, denn die gesetzliche Krankenversicherung ist ein solidarischer Sozialversicherungsträger und das gesamte Ausgleichssystem ist nicht wirtschaftlich- sondern bedarfs- und patientenorientiert ausgerichtet. Aus diesem Grund ist das entgeltliche Verhältnis zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und Krankenhausträger nicht als privatwirtschaftlich zu betrachten, sondern letztlich auch als ein Verhältnis aus hoheitlichen Mitteln. Darüber hinaus ist fraglich, ob in Bezug auf Betriebskosten eine Begünstigung anzunehmen ist. Letztlich sind die Pflegeleistungssätze und die Wahlleistungsentgelte eine Gegenleistung für Dienstleistungen. Die Krankenkasse zahlt den Krankenhäusern das, was notwendig ist, damit ein Patient behandelt und gepflegt werden kann. Insoweit liegt ein klassisches Austauschverhältnis vor. Somit ist im Grundsatz keine Begünstigung anzunehmen. Andererseits ist zu hinterfragen, ob den Krankenhausträgern durch das System der gesetzlichen Krankenversicherung das Insolvenzrisiko der Leistungsempfänger abgenommen wird. Bei strenger Betrachtung ist insoweit ein zusätzlicher Vorteil der Krankenhausträger nicht auszuschließen. Allerdings sollte dieser fernliegende Umstand hier im Ergebnis schon deshalb nicht zur Annahme einer Begünstigung verleiten, weil die Krankenhausträger im Gegenzug zur „Abnahme des Insolvenzrisikos“ verpflichtet sind, auf Grundlage der Aufnahme in den Krankenhausplan alle Patienten unbeschadet ihrer Bonität aufzunehmen. Hinsichtlich der Frage des Vorliegens einer allgemeinen Maßnahme, die zum Entfallen des Beihilfenbegriffs führt, ist zu beachten, dass gemäß § 108 SGB V grundsätzlich der gleiche Anspruch auf Ausgleich aller zugelassenen Träger besteht. Selbst bei Annahme eines Begünstigungscharakters durch das eben beschriebene Insolvenzrisiko trifft dieses alle zugelassenen Träger gleichermaßen. Nicht zugelassene Träger, mithin solche, die nicht im Krankenhausplan aufgenommen wurden und keine Versorgungsverpflichtung gegenüber Sozialleistungsträgern haben, können ihr Insolvenzrisiko entsprechend planen. Sie sind 16 

EuGH, Rs. C-482/99 (Stardust Marine), ECLI:EU:C:2002:294.

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daher bei der Bewertung des selektiv wirkenden Charakters einer Maßnahme mangels Vergleichbarkeit nicht in die Betrachtung einzubeziehen. Im Ergebnis führt die beihilfenrechtliche Bewertung der Finanzierung der Betriebskosten von Krankenhäusern durch Bezahlung der Leistungen aus dem Krankenversicherungssystem zur Erkenntnis, dass diese beihilfenfrei erfolgt. 5. Defizitfinanzierung als Beihilfe Gleichwohl bleibt die Frage nach der Beurteilung der zuallermeist kommunalen Defizitfinanzierung als Beihilfe, da die Leistungen der Kassen für die Deckung der Betriebskosten der Krankenhäuser regelmäßig nicht genügen. Hieraus ergibt sich der beihilfenrechtlich brisanteste Aspekt der Problematik. Soweit kommunale Krankenhäuser neben den Investitions- und Betriebskostenmitteln zusätzliche Finanzierung benötigen, kommen verschiedene Finanzierungsarten in Betracht, insbesondere Zuschuss, Eigenkapital, Darlehen oder (häufiger) kommunale Bürgschaften. Solche Maßnahmen sind dann keine Beihilfen, wenn sie marktüblich sind. Dies ist im Hinblick auf die Defizitfinanzierung kommunaler Krankenhäuser jedoch in der Regel nicht der Fall, da die Krankenhäuser die marktübliche Gegenleistung (Eigenkapitalverzinsung, Darlehenszinsen, Bürgschaftsprämien etc.) nicht erbringen können. Auch die Möglichkeit, sich beihilfenfrei im Rahmen der De-minimis-Grenzen17 zu bewegen, hilft nicht wirklich weiter, da die De-minimis-Grenzen selbst im DawI-Bereich (derzeit 500.000 € in drei Steuerjahren) zu gering sind. Soweit kommunale Träger anders als private Krankenhäuser ihre Defizite stets von der öffentlichen Hand ausgeglichen erhalten, liegt eine selektive Begünstigung eindeutig vor. Private Häuser müssen zumindest mittelfristig ihre Defizite über ihre Patienten und deren Versicherungen refinanzieren. a) Beihilfenrechtliche Rechtfertigung der Defizitfinanzierung Die Defizitfinanzierung lässt sich beihilfenrechtlich aufgrund des DawIFreistellungsbeschlusses 2012/2118 rechtfertigen. Ist im Hinblick auf eine konkrete Maßnahme der öffentlichen Hand – wie hier im Falle eines Defizitausgleichs – das Vorliegen einer Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV anzunehmen, haben Unternehmen, die mit DawI betraut sind, über die Bereichsausnahme des Art. 106 Abs. 2 AEUV die Möglichkeit einer Freistellung von der in Art. 108 17  Vgl. die VO (EU) 360/2012 der Kommission vom 25. 4.2012 über die Anwendung der Art. 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen an Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen, ABl EU 2012 L 114/8. 18  s. bereits oben Fn. 9.

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Abs. 3 S. 3 AEUV grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Anmeldung bei und Genehmigung durch die Kommission vor Gewährung der Beihilfe (sog. Notifizierungspflicht). Diese Bereichsausnahme soll dazu dienen, das Interesse der Mitgliedstaaten an der Erfüllung nicht rentabler Aufgaben des Gemeinwohls mit dem Gebot fairer Wettbewerbsregeln in Einklang zu bringen.19 Grundlage für diesen Verzicht der Anmeldung einer Maßnahme ist der von der Kommission auf der Grundlage des Art. 106 Abs. 3 AEUV erlassene Beschluss (sog. Freistellungsbeschluss) über die Anwendung des Art. 106 Abs. 2 AEUV auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichszahlungen zugunsten bestimmter Unternehmen, die mit der Erbringung von DawI betraut sind.20 Dieser Freistellungsbeschluss – der am 31. 01. 2012 in Kraft getreten ist – löst die von der Kommission im Jahr 2005 verabschiedete Freistellungsentscheidung ab21 und schafft eine beihilfenrechtlich zulässige Ausgleichsmöglichkeit in den Fällen, in denen das vierte „Altmark-Trans“-Kriterium nicht erfüllt ist. Der Freistellungsbeschluss erfasst staatliche Krankenhausfinanzierungsmaßnahmen in privilegierter Form anders als sonstige Daseinsvorsorgemaßnahmen unabhängig von ihrer Höhe.22 Gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. b) des Freistellungsbeschlusses 2012/21/EU gilt dieser für Ausgleichsleistungen für die Erbringung von DawI durch Krankenhäuser, die medizinische Versorgung leisten, einschließlich Notdiensten; der Erbringung von Nebendienstleistungen, die unmittelbar mit der Haupttätigkeit verbunden sind, steht der Anwendung vorgenannter Bestimmung jedoch nicht entgegen. Auf den Altmark-Trans-Kriterien aufbauend erklärt der Freistellungsbeschluss staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichszahlungen für die Erbringung von DawI mit dem Binnenmarkt für vereinbar und nimmt diese entsprechend von der Pflicht zur Anmeldung bei der Kommission aus, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: – Es muss gemäß Art. 4 und Art. 6 Freistellungsbeschluss ein Betrauungsakt vorliegen, d.h. das begünstigte Unternehmen muss tatsächlich mit der Erfüllung von Gemeinwohlverpflichtungen betraut worden sein. Dabei müssen in dem Betrauungsakt eine Beschreibung des Zahlungsmechanismus sowie Parameter für die Berechnung, Überwachung und Änderung der Zahlungsleistungen festgelegt sein sowie Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Rückforderung 19 

Vgl. EuGH, Rs. C-159/94, ECLI:EU:C:1997:501. Kommission, Beschluss vom 11. 1. 2012, 2012/21/EU, Abl. EU L 7, S. 3. 21 Kommission, Entscheidung vom 28. 11. 2005, 2005/842/EG über die Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen, die bestimmten mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmen als Ausgleich gewährt werden, ABl. EU L 312/67 vom 29. 11. 2005. 22  Vgl. Erwägungsgrund 11 Freistellungsbeschluss 2012/21/EU. 20 

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von Überkompensationszahlungen definiert und ein Verweis auf den Freistellungsbeschluss enthalten sein. – Gemäß Art. 5 Freistellungsbeschluss muss die Ausgleichszahlung strikt auf den Betrag begrenzt sein, der für die Erbringung von DawI unter Berücksichtigung einer angemessenen Rendite erforderlich ist. – Nach dem in Art. 5 Abs. 3 lit. B) und Abs. 9 Freistellungsbeschluss enthaltenen Transparenzgebot dürfen nur die Kosten herangezogen werden, die der DawI zugerechnet werden können. – Zur Vermeidung von Quersubventionierung darf das Krankenhaus gemäß Art. 5 Abs. 9 Freistellungsbeschluss die Ausgleichszahlung ausschließlich für die DawI-Finanzierung einsetzen. Im Unterschied zu den Altmark-Trans-Kriterien können hier die gesamten angefallenen DawI-Kosten erstattet werden, da insoweit eine Effizienzprüfung im Sinne des vierten Altmark-Trans-Kriteriums nicht erfolgt.23 Die Kommission und der BGH haben die Frage aufgeworfen, ob eine Defizitfinanzierung kommunaler Krankenhäuser unabhängig davon, ob die DawI-Voraussetzungen erfüllt sind, im Hinblick auf die hiervon nicht profitierenden privaten und freien gemeinnützigen Einrichtungen gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot (vgl. Art. 21 GrCh) verstoße und daher unzulässig sei. Jede Beihilfenmaßnahme muss letztlich auch dem allgemeinen Europarecht entsprechen. Ein solcher Verstoß wird grundsätzlich sowohl vom BGH als auch von der Kommission mit der Begründung abgelehnt, dass der öffentliche Sicherstellungsauftrag gerade nur bei ausschließlich öffentlichen Krankenhäusern vorliege.24 Ob dies eine Diskriminierung anderer Plankrankenhäuser ausschließt, ist fraglich. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass alle Plankrankenhäuser gemäß § 5 Abs. 2 KHEntgG einen Anspruch auf einen Sicherstellungszuschlag haben. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH und die Entscheidungen der Kommission ist dieser Punkt in der Praxis jedoch vernachlässigbar. Die Beauftragung mit der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausleistungen (§ 1 KHG) ist betrauungsfähig. Dabei bezieht sich der Gemeinwohlauftrag nach BGH und Kommission nicht nur auf die Leistungen, die zu Marktkonditionen nicht erbracht bzw. finanziert werden können, sondern auch auf solche Leistungen, die isoliert betrachtet sehr wohl marktfähig sind, soweit sie von der Sicherstellungsverpflichtung für alle Krankenhausleistungen (trotz u.U. ausreichendem privaten Angebot) erfasst werden.25 Dies gilt etwa für 23 

Vgl. Kommission, Mitteilung (Fn. 5), Rn. 17. Urteil vom 24. 3. 2016, I ZR 263/14 (Kreiskliniken Calw); KOM, Mitteilung (Fn. 5). 25  BGH (Fn. 24); KOM, Beschluss (Fn. 10). 24  BGH,

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Ambulanzfahrten, aber auch für Kantinen, Wäscherei, den Betrieb von Krankenhausshops, die Vermietung von Telefon- oder Fernsehzugängen etc. Bei den Parametern zur Berechnung der für diesen Gemeinwohlauftrag auszugleichenden Kosten, die im Betrauungsakt im Voraus festgelegt werden müssen, muss sichergestellt sein, dass sie so detailliert sind, dass zweckwidrige Verwendung und Überkompensation ausgeschlossen ist.26 Ein pauschaler Defizitausgleich ist insoweit möglich, wenn alle Aktivitäten des Krankenhauses DawI-Leistungen sind.27 Zur Vermeidung von Überkompensation ist der übliche Nachweis im Drei-Jahres-Zeitraum erforderlich. b) Beihilfenkonforme Defizitfinanzierung Im Hinblick auf den Betrauungsakt muss nicht jede einzelne medizinische Tätigkeit benannt sein, um von einer beihilfenkonformen Defizitfinanzierung auszugehen. Es genügt, wenn die medizinischen Versorgungsleistungen der Grund- und Regelversorgung, Notfalldienste und damit verbundene Nebenleistungen 28 genannt sind.29 Der Zeitraum der Betrauung beträgt grundsätzlich bis zu zehn Jahre. In der Rechtsprechung bisher ungeklärt ist die Frage des Zusammenfallens von Investitions- und Betriebsförderung, wenn die Investition einen längeren Amortisierungszeitraum hat.30 Ungeklärt ist insoweit, ob in diesem Fall die Amortisationsdauer der Investition zu einer die Betriebskosten umfassenden Laufzeit von mehr als zehn Jahren führt oder ob eine Differenzierung zwischen Betriebsförderung (bis zu zehn Jahren) und Investitionsförderung (mehr als zehn Jahre möglich) erforderlich ist. Im Rahmen der Parameter ist der Ausgleich der Nettokosten im DawI-Bereich die übliche Vorgehensweise. In der IRIS-Krankenhäuser-Entscheidung der Kommission wurden auch Nebenleistungen, wie z. B. der Kantinenbetrieb, Café, Verkauf von Zeitschriften in geringem Umfang, als nettokostenrelevant angesehen.31 Folgt man dieser Entscheidung, entfällt in vielen Fällen die nach den beihilfenrechtlichen Vorgaben für den Ausgleich von DAWI-Leistungen grundsätzlich erforderliche getrennte Buchführung. Gleichwohl sollte sie zur Risikominimierung und aus Transparenzgründen durchgeführt werden. Technisch erfolgt die Aufnahme der Parameter nach den jeweiligen Betrauungsmodi. Im süddeutschen Modell werden die Parameter durch die Integration 26 

Kommission, Mitteilung (Fn. 5). Kommission, Beschluss (Fn. 10); a.A. BGH (Fn. 24). 28  Kommission, Beschluss (Fn. 10), Rn. 41 und 155. 29  BGH (Fn. 24). 30  Vgl. Erwägungsgrund 12 und Art. 2 Abs. 2 des DawI-Beschlusses (Fn. 9). 31  Str.: Kommission, Beschluss (Fn. 10), Rn. 221 und Fn. 262. 27 

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des Jahreswirtschaftsplans im Betrauungsakt abgebildet, im Düsseldorfer Modell sind die Parameter bereits im Antrag auf Zuwendung enthalten und unter Bezugnahme zum Gegenstand der Bewilligung gemacht. Der vom DAWI-Beschluss geforderte Mechanismus zum Ausschluss von Überkapazitäten wird in der Kommissionspraxis häufig bereits aus dem Nachweis des Vorliegens eines Dauerdefizits geschlossen. Darüber hinaus enthält der Beschluss mit der Möglichkeit, eine Überschreitung von 10% in den Folgejahren abzubauen, flexible Regelungen. Schließlich hat das Gericht für die Praxis ein Problem geschlossen, das sich aus der „Altmark-Trans“-Vorgabe, mit der Ausgleichsleistung die Erbringung des Gemeinwohlauftrags sicherzustellen, ergeben könnte. Aus dieser Vorgabe könnte geschlossen werden, dass der Beihilfengeber eine in jedem Fall auskömmliche Förderhöhe gewährleisten muss. Diesen (Fehl-)Schluss hat das Gericht jedenfalls für das Gesundheitswesen beseitigt, indem es ausdrücklich festgestellt hat, dass eine Vollkompensation der Verluste nicht erforderlich ist.32 6. Wettbewerb zu niedergelassenen Ärzten Traditionell knüpft die staatliche Finanzierung primär an stationäre medizinische Dienstleistungen, vgl. § 2 Nr. 2 und § 4 Nr. 1 KHG. Aus § 114 SGB V und § 95 SBG V folgt hingegen ebenfalls, dass Krankenhäuser auch zur ambulanten Erbringung bestimmter medizinischer Dienstleistungen berechtigt sein können. Somit können Krankenhäuser auch im Wettbewerb zu niedergelassenen Ärzten stehen. Eine besondere Stellung haben in diesem Zusammenhang medizinische Versorgungszentren (MVZ), § 95 Abs. 1 SGB V. Diese können ihre Leistungen anbieten, ohne die Investitionskosten der Praxis vollständig abdecken zu müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass aufgrund einheitlicher Tarife zwar kein Preiswettbewerb besteht, aber ein Qualitätswettbewerb möglich ist. Durch geringere Kosten können modernere Apparate und modernere Diagnosemethoden angeboten werden und dadurch ein größerer Umsatz generiert werden als bei niedergelassenen Ärzten, die über solche Möglichkeiten nicht verfügen. Daraus folgt im Ergebnis zwingend, dass ein Krankenhausträger, der ein solches medizinisches Versorgungszentrum plant, das MVZ in der Trennungsrechnung aussondern und die darauf entfallenden Kosten den jeweiligen Mietern übertragen muss. Nur so kann eine Verzerrung zu anderen Anbietern ausgeschlossen werden. Zugunsten des medizinischen Versorgungszentrums darf mithin keine nicht auf die Nutzer abgewälzte Investitionsförderung und kein Defizitausgleich erfolgen. Dieser Grundsatz ist auch auf sonstige wettbewerbliche Tätigkeiten anwendbar, soweit

32 

EuG (Fn. 14).

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es sich nicht um Nebenleistungen handelt, z. B. Wellnessanwendungen, Schönheitsoperationen und Annextätigkeiten wie Partyservice, Wäschereinigung etc.

IV. Fazit Die Krankenhausfinanzierung wirft auf der Grundlage des weiten Unternehmensbegriffs des europäischen Wettbewerbsrechts zahlreiche beihilfenrechtliche Fragen auf, die aber durch beihilfenrechtliche Sekundärnormen, vor allem zur Rechtfertigung von Ausgleichsleistungen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse und durch ergänzende Klarstellungen der Kommission sowie der europäischen und nationalen Gerichte konstruktiv beantwortet werden können. Auf dieser Basis gelingt es, wenn auch mit teils erheblichem Begründungs- und Beratungsaufwand, sachgerechte Lösungen zu finden, die das Gemeinwohlinteresse an einer qualitativ und quantitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung für alle Bevölkerungskreise zu erschwinglichen Konditionen sichern. Zugleich wird durch die beihilfenrechtlichen Vorgaben die Struktur eines gemischtwirtschaftlichen Krankenhauswesens mit öffentlichen und privaten Trägern gesichert und der wettbewerbliche Erkenntnisprozess zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen und Finanzierung des technischen Fortschritts offengehalten.

Kulturförderung: Spielräume des Beihilfenbegriffs und der AGVO Tanja Struve Kulturförderung: Spielräume des Beihilfebegriffs und der AGVO

„In Vielfalt geeint“ – das offizielle Motto der EU definiert den Kern europäischer Kultur und unterstreicht, wie wichtig eine vielfältige Kulturlandschaft für die Union ist, die sich nicht nur als wirtschaftliche Zweckgemeinschaft, sondern auch und vor allem als kulturell-politische Wertegemeinschaft versteht. Die Kultur und das Kultur­ erbe erfreuen sich in diesem Jahr besonderer Aufmerksamkeit, denn die Europäische Union hat das Jahr 2018 zum „Europäischen Jahr des Kulturerbes“ ausgerufen. Auch der Vertrag von Lissabon räumt der Kultur einen großen Stellenwert ein. Die EU ist schon in ihren Zielen der Wahrung des Reichtums ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt sowie dem Schutz des kulturellen Erbes Europas verpflichtet. Ihre Kompetenzen sind in diesem Bereich hingegen begrenzt. Die primäre Zuständigkeit für die Kulturpolitik liegt bei den Mitgliedstaaten. Allerdings darf die EU kulturrelevante Rechtsakte aufgrund anderer Kompetenzen des Vertrages erlassen. Dazu gehört auch das Beihilfenrecht. Dieses muss ebenfalls den kulturellen Aspekten zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen („allgemeines Kulturförderungsziel“) Rechnung tragen. Der vorliegende Beitrag stellt ausgehend von den primärrechtlichen Grundlagen zur Kultur die Spielräume des Beihilfebegriffs für die Kulturförderung dar. Dabei wird deutlich, dass der neuerlich von der Kommission für die Kulturförderung eingeschlagene Teilrückzug aus dem Beihilfenrecht das allgemeine Kulturförderungsziel weitergehend realisiert.

I.  Einleitung Das Hauptanliegen des Beihilfenrechts ist der Schutz des Wettbewerbs im europäischen Binnenmarkt. Mit dem Beihilfenrecht soll ein Subventionswettlauf zwischen den Mitgliedstaaten vermieden werden, zu dem es kommt, wenn sich Mitgliedstaaten gegenseitig in der Subventionierung einheimischer Unternehmen überbieten und dadurch den zwischenstaatlichen Wettbewerb in der Europäischen Union verzerren. Inwiefern in diesem Zusammenhang auch die öffentliche Kulturförderung betroffen ist, erschließt sich nicht nur dem kommunalen Rechtsanwender mit Blick auf die in der EU anerkannte große Bedeutung der Kulturvielfalt nicht sofort. Der folgende Beitrag stellt ausgehend von dem Kulturbegriff und den primärrechtlichen Grundlagen für die Kultur und das kulturelle Erbe im Vertrag von Lissabon die prüfungsrelevantesten Tatbestandsmerkmale einer

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Beihilfe im Bereich der Kulturförderung dar. Anschließend wird ausgeführt, inwiefern die Kommission den Beihilfengebern bei der öffentlichen Kulturförderung in ihrer neueren Entscheidungspraxis zu größeren Handlungsspielräumen verhilft.

II.  Kulturbegriff Die Vereinbarkeit von Kultur und Markt ist seit jeher umstritten.1 Die erste Schwierigkeit zeigt sich bereits bei der Frage, was unter dem Kulturbegriff zu verstehen bzw. was darunter zu subsumieren ist. Zunächst gilt es festzustellen, dass auf EU-Ebene keine Legaldefinition für die Kultur existiert.2 Ebenso fällt die Abgrenzung zwischen den Förderzielen Kultur und Erhaltung des kulturellen Erbes aus Art. 107 Abs. 3 lit. d Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) schwer.3 Zur Erhaltung des kulturellen Erbes gehört neben der Heimat- und Brauchtumspflege vor allem der Denkmalschutz.4 Letztlich ist eine Trennung aber unerheblich, da die Rechtsfolgen im Beihilfenrecht für beide Förderziele identisch sind.5 Aufgrund des Marktversagens im Kultursektor ist die staatliche Subventionierung aber unumstrittenerweise unverzichtbar und somit ein klassisches Betätigungsfeld der Mitgliedstaaten, und zwar auch in Zeiten knapper Kassen. Die Kulturförderung ist letztlich nicht nur eine tatsächlich wahrgenommene staatliche Aufgabe, sondern im Sinne von Schutzpflichten sogar verfassungsrechtlich geboten.6 Die Kulturförderung hat zur Vermeidung einer Verödung der Kulturlandschaft eine besondere Bedeutung, aber auch mit Blick auf die „Integration“ der Bürger, denn die Kultur stärkt den geistig-ethisch-kulturellen Zusammenhalt der Bürger7 untereinander. Ebenso hat sich Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker in seiner vielbeachteten Rede zur Lage der Union am 13. 9. 2017 vor dem 1  M. Schröder in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Hrsg.), Kommentar Europäisches Beihilfenrecht 2013, Art. 107 Abs. 3 AEUV, Rn. 2076. 2  M. Schröder in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, (Fn.1), Rn. 2085; V. Fiebelkorn/H.A. Petzold, Zum Begriff des „Lokalen“ im EU-Beihilferecht – Ist ein beihilfenrechtlicher Kompass in Sicht? BRZ 2017/1, S. 3, 11. 3  M. Schröder in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Fn. 1), Rn. 2084. 4  J. Kühling in: Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 107 AEUV, Rn. 133; K. Odendahl/H.A. Petzold, Denkmalschutz und europäisches Beihilfenrecht, NWVBl. 2016, S. 221 ff., 221, die aufzeigen, dass zwar eine indirekte beihilfenrechtliche Harmonisierung des deutschen Denkmalförderungsrechts stattgefunden hat, diese aber insofern als geglückt einzustufen ist, als den Denkmalschutzbelangen ausreichend Rechnung getragen wurde. 5 Vgl. M. Schröder in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Fn. 1), Rn. 2084. 6  M. Schröder in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Fn. 1), Rn. 2076. 7 Ebenda.

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Europäischen Parlament in Straßburg der Kultur und des kulturelles Erbes bedient, um das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen europäischen kulturellen Raum zu stärken.8 Im Zusammenhang mit den Errungenschaften der Europäischen Union hat er die große Bedeutung der Kultur und des Kulturerbes betont und dazu aufgerufen, dass das europäische Kulturerbejahr 2018 „ein Fest der kulturellen Vielfalt“ werden solle. Mit diesem Themenjahr fordern auf Vorschlag der Kommission das Europäische Parlament und der Rat9 auf, dazu beizutragen, Europa den Europäern wieder ein Stück näher zu bringen. Im Fokus des Kulturerbejahres steht das Gemeinschaftliche und Verbindende der Europäischen Kultur.10 Die Förderung der Kultur hat damit auch eine europäische Dimension und zwar zur europäischen Integration der Bürger. In diesem Zusammenhang ist der Aufruf des Kommissionspräsidenten zu sehen, der nicht zuletzt für die neuere beihilfenrechtliche Behandlung der Kulturförderung und der Förderung des kulturellen Erbes seitens der Kommission eine wesentliche Bedeutung hat, wie noch gezeigt werden soll. Die Kommission hat in ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Abs. 1 AEUV (der sogenannten Notion of Aid, NoA),11 die Kultur sehr allgemein, aber damit auch weitreichend beschrieben als Träger von Identitäten, Werten und Bedeutungen, die unsere Gesellschaften in der Union widerspiegeln und formen. Es würden davon eine Vielzahl von Zielsetzungen und Aktivitäten erfasst, unter anderem im Zusammenhang mit Museen, Archiven, Bibliotheken, Kunst- und Kulturzentren oder -stätten, Theatern, Opernhäusern, Konzerthäusern, archäologischen Stätten, Denkmälern, historischen Stätten und Gebäuden, traditionellem Brauchtum und Handwerk, Festivals und Ausstellungen sowie Tätigkeiten im Bereich der kulturellen und künstlerischen Bildung. Daneben würden Europas reiches Naturerbe sowie die Erhaltung

8 

Die autorisierte Fassung der Rede des Kommissionspräsidenten ist auf der Internetseite der Kommission: Die Lage der Union 2017 unter folgendem Link abrufbar: http:// europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-17 – 3165_de.htm. 9  Beschluss (EU) 2017/864 des EP und des Rates über ein Europäisches Jahr des Kulturerbes (2018), Abl. EU 2017 L 131/1. 10  In Deutschland koordiniert die Geschäftsstelle des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz die Durchführung dieses Themenjahres in Abstimmung mit Bund, Ländern und Kommunen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übernimmt die Schirmherrschaft für SHARING HERITAGE und würdigt damit die Umsetzung des deutschen Beitrages zum Europäischen Kulturerbejahr außerordentlich. Die Mitwirkung am Kultur­ erbejahr ist für alle öffentlichen und privaten Träger, Bewahrer und Vermittler des kulturellen Erbes möglich. 11  Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 C 262/1.

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der biologischen Vielfalt, der Lebensräume und der Arten große Vorteile für die Gesellschaften in der EU bieten.12 Auf den Bereich Sport- und Freizeiteinrichtungen soll in diesem Beitrag nicht eingegangen werden, obwohl es gewisse Ähnlichkeiten zwischen den Bereichen Kultur und Sport gibt. Auch der Sport hat eine besondere gesellschaftliche Funktion und in vielen Bereichen des Sportsektors ist ebenfalls ein gewisses Marktversagen festzustellen.13 Auch die Kommission unterscheidet in der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO)14 zwischen einem Freistellungstatbestand für die Kultur und die Erhaltung des kulturellen Erbes, auf den noch einzugehen sein wird, und einer allerdings auf die Förderung von Infrastrukturen konzentrierten Freistellung für Sport- und multifunktionale Freizeiteinrichtungen. Die vorliegenden Ausführungen konzentrieren sich mithin auf den Bereich der Kultur im eigentlichen Sinne.

III.  Primärrechtliche Grundlagen Bevor die für die Kultur wesentlichen Tatbestandsmerkmale des Beihilfenbegriffs im Einzelnen behandelt werden, sollen zunächst die primärrechtlichen Grundlagen im Bereich Kultur dargestellt werden. Diese machen einerseits deutlich, welchen großen Stellenwert der Vertrag von Lissabon der Kultur einräumt, andererseits wie beschränkt die Kompetenzen der EU in diesem Bereich sind. Dies spielt auch für die beihilfengerechte Kulturförderung eine nicht zu unterschätzende Rolle. 1.  Allgemeine Bestimmungen Die in Art. 2 EUV genannten gemeinsamen Werte der Union gründen sich bereits laut der Präambel des Vertrages über die Europäische Union auf das „kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas“. Ebenso gehört zu den Zielen der EU gemäß Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 EUV die Wahrung des Reichtums „ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt“ sowie die Sorge „für den Schutz des kulturellen Erbes Europas“. Der Vertrag misst der Kultur damit eine hohe Bedeutung zu.

12  Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe (Fn. 10), Rn. 33. 13  M. Schröder in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Fn. 1), Rn. 2105. 14  VO (EU) Nr. 651/2014 der Kommission, ABl. EU 2014 L 187/1; siehe dazu unter V. in diesem Beitrag.

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Die der EU von den Mitgliedstaaten übertragenen Kulturkompetenzen sind hingegen ausgesprochen begrenzt15, denn sie sind in Art. 167 AEUV i. V. m. Art. 6 lit. c lediglich als Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungskompetenzen ausgestaltet. Art. 167 AEUV begründet daher keine „Kulturkompetenz“ der EU, sondern verpflichtet die EU lediglich, einen „Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes“ zu leisten.16 Entsprechend stellt Art. 2 Abs. 5 Unterabs. 1 AEUV klar, dass die primäre Zuständigkeit für die Kulturpolitik bei den Mitgliedstaaten verbleibt.17 Die Mitgliedstaaten sind daher in erster Linie dafür zuständig, zu definieren, was sie unter dem Kulturbegriff verstehen und haben eine gewisse Einschätzungsprärogative in Bezug darauf, was sie als Kultur betrachten.18 Dies ist auch für die beihilfenrechtliche Beurteilung von Bedeutung. Zudem setzt das in Art. 167 Abs. 4 AEUV verankerte sog. „allgemeine Kulturförderungsziel“ oder „Kulturverträglichkeitsklausel“ der EU bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestimmungen der Verträge zugunsten der Kultur Grenzen. Denn die EU muss demnach bei ihrer Tätigkeit „den kulturellen Aspekten (…) insbesondere zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen“ Rechnung tragen. Die Tätigkeit der EU aufgrund anderer Bestimmungen kann durchaus auch ein Tätigwerden aufgrund der Beihilfevorschriften sein. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bestätigt, dass die EU kulturrelevante Rechtsakte aufgrund anderer Vertragsbestimmungen erlassen darf – und damit auch beihilfenrechtliche Bestimmungen. Allerdings dürfen die nationalen Kulturpolitiken dadurch nur in untergeordneter oder nachrangiger Weise betroffen sein.19 Bei der Abwägung gegenläufiger Interessen haben die EU-Organe jedoch laut EuGH einen weiten Beurteilungsspielraum.20 Damit muss auch oder vielmehr gerade im Beihilfenrecht den kulturellen Aspekten zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen genüge getan werden.21

15  K. Odendahl/H.A. Petzold bezeichnen die Kulturkompetenzen der EU in diesem Zusammenhang sogar als rudimentär (Fn. 4), S. 221. 16  M. Schröder in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Fn. 1), Rn. 2077. 17  M. Niedobitek in: Streinz (Fn. 4), Art. 167 AEUV, Rn. 42; K. Odendahl/H.A. Petzold (Fn. 4), S. 221. 18  M. Schröder, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Fn. 1), Rn. 2085. 19  Vgl. EuGH, Rs. C-42/97 (Parlament/Rat), ECLI:EU:C:1999:81, Rn. 40 ff., 62. 20  Vgl. EuGH, Rs. C-233/94 (Deutschland/Rat), ECLI:EU:C:1997:231, Rn. 56. 21  Teilweise wird sogar eine Anwendung des Beihilfenrechts in favorem culturae eingefordert: C. Koenig/J. Kühling, Mitgliedstaatliche Kulturförderung und gemeinschaftliche Beihilfekontrolle durch die EG-Kommission, EuZW 2000, S. 197, 202.

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2.  Beihilfenrechtliche Bestimmungen Art. 107 Abs. 1 AEUV enthält verschiedene Tatbestandsmerkmale, die kumulativ erfüllt sein müssen, damit eine Beihilfe im Sinne des AEUV vorliegt. Diese sind eine Begünstigung, mit staatlichem Ursprung oder aus staatlichen Mitteln, selektiv zugunsten bestimmter Unternehmen oder Branchen, mit Verfälschung des Wettbewerbs und Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Von besonderer Bedeutung für die beihilfenrechtliche Beurteilung der Kulturförderung ist Art. 107 Abs. 3 lit. d AEUV, der mit dem Vertrag von Maastricht in das Primärrecht eingeführt wurde und verdeutlicht, dass der Kultursektor grundsätzlich als Markt angesehen wird, für den das Wettbewerbsrecht und damit das Beihilfenrecht gilt. Die Aufnahme in den Vertrag hat vor allem die Bedeutung, dass Kulturbeihilfen gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV grundsätzlich notifizierungsbedürftig sind.22 Gleichzeitig sieht Art. 107 Abs. 3 lit. d AEUV Ausnahmen für „Beihilfen zur Förderung der Kultur und des kulturellen Erbes“ vor. Tatbestandliche Beihilfen, die diesen Zwecken dienen, können von der EU-Kommission also für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden, soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen nicht in einem Maße beeinträchtigen, das dem Unionsinteresse zuwiderläuft (sog. Vereinbarkeitsklausel im Kulturbereich). Die Auslegung des Art. 107 Abs. 3 lit. d AEUV muss dabei im Lichte des beschriebenen allgemeinen Kulturförderungsziels in Art. 167 Abs. 4 AEUV erfolgen.23 Die Kommission hat diesen Artikel in der Vergangenheit sehr häufig angewandt und ist dem allgemeinen Kulturförderungsziel demnach regelmäßig und nachdrücklich nachgekommen. Sie hat Kulturbeihilfen in den unterschiedlichsten Kulturbereichen nach Art. 107 Abs. 3 lit. d AEUV für vereinbar erklärt.24 22 

M. Schröder in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Fn. 1), Rn. 2078. J. Kühling in: Streinz (Hrsg.), Art. 107 AEUV, Rn. 133; nach M. Schröder in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich ist Art. 107 Abs. 3 lit. d AEUV sogar richtigerweise als Konkretisierung des Kulturförderungsziels für den Bereich staatlicher Beihilfen zu sehen (Fn. 1) Rn. 2079. 24 Vgl. N1/2010, C(2010) 2540 (Baskisches Museum), Rn. 34; SA.36361 (2013/N), C(2013) 9670 endg. (Tschechisches Kulturerbe und Gegenwartskunst), Rn. 52; SA.45735 (2017/N), C(2017) 3340 (Dänische Beihilferegelung für die Entwicklung, Produktion und Förderung kultureller und pädagogischer digitaler Spiele), Rn. 65; SA.45797 (2016/N), C(2016) 6812 endg. (Slowenische Beihilferegelung für die Co-Finanzierung der Errichtung von Medienprogrammen), Rn. 15; SA.44681 (2016/N), C(2016) 1982 endg. (Kroatische Beihilferegelung für Buchverlagsprogramm 2017 – 2022), Rn. 6; SA.45811 (2016/N), C(2016) 5506 endg. (Niederländische Beihilferegelung für Natur und Landespflege), Rn. 22 f.; SA.48021 (2017/N), C(2017) 4566 endg. (Italienischer Steuerfreibetrag für Filmproduktionsunternehmen), Rn. 24; SA.43130 (2016/N), C(2016) 1684 endg. (Französischer Steuerfreibetrag für Kino und den audiovisuellen Sektor), Rn. 30; SA.47892 (2017/N9, C(2017) 3146 endg. (Französischer Steuerfreibetrag zugunsten der Errichtung von Video23 

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Voraussetzung für die Anwendung des Art. 107 Abs. 3 lit. d AEUV ist aber zunächst die Erfüllung des Tatbestandes einer staatlichen Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV.

IV.  Beihilfenbegriff Die beihilfenrechtlich prüfungsrelevantesten Tatbestandsmerkmale einer Kulturfördermaßnahme sind der Unternehmensbegriff und die Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Die Darstellung beschränkt sich daher auf diese beiden Kriterien. 1.  Unternehmensbegriff Ein Unternehmen ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von der Art ihrer Finanzierung“.25 Die wirtschaftliche Tätigkeit ist das entscheidende Kriterium. Wirtschaftliche Tätigkeit ist dabei „jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten“.26 Zugleich kommt es weder darauf an, „ob die ausübende Einrichtung privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Status hat, noch auf die Rentabilität der Tätigkeit“.27 Auch die Organisation als unmittelbarer Teil der staatlichen oder Gemeindeverwaltung28 schließt die Anwendung des Unternehmensbegriffs nicht aus (z. B. Stiftungen des öffentlichen Rechts, Eigenbetriebe). Die Rechtsform der Einrichtung ist also beihilfenrechtlich gleichgültig. Es muss auch keine Gewinnerzielungsabsicht vorliegen.29 Damit können grundsätzlich auch Kultur- und Kulturerbeeinrichtungen in kommunaler Trägerschaft unter den europarechtlichen Unternehmensbegriff fallen. a)  Wirtschaftliche Tätigkeit Unter wirtschaftliche Tätigkeit für den Bereich der Kulturförderung fallen zunächst einmal Tätigkeiten, die nicht der Schaffung, Ausübung oder Darbietung spielen), Rn. 26; C(2016) 5551 endg. (Deutsche Beihilferegelung zur Förderung der Filmproduktion), Rn. 63. 25  Zuletzt EuGH, Rs. C-288/11 P (Flughafen Leipzig/Halle/Kommission), ECLI:EU:C:2012:821, Rn. 50. 26 Ebenda. 27 Ebenda. 28  EuGH, Rs. C-41/90 (Höfner und Elser), ECLI:EU:C:1991:161, Rn. 22. 29 N 393/2007, C(2007) 6903 endg. (niederländische Förderung NV Bergkwartier), Rn. 22, 34; N 293/2008, C(2008) 7040/2 endg., (Kulturförderung für multifunktionale kommunale Kulturzentren, Museen, öffentliche Bibliotheken), Rn. 23.

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von Kultur, sondern ihrer Vermarktung dienen. Dazu gehören beispielsweise der Verkauf von Bildern, Skulpturen etc. in kommerziellen Galerien, Buchläden, Musikproduktionen, Konzert- und Tourneeagenturen, Filmproduktion und Filmvertrieb. Die Schulung und Fortbildung im Kulturbereich fallen grundsätzlich nicht unter den Kulturbegriff wie beispielsweise eine private Ausbildungseinrichtung im Kulturbereich, etwa von Galerie- und Konzertmanagern. Allerdings wird in diesen Fällen eine Beihilfe zu verneinen sein, wenn es sich um eine Fördermaßnahme für eine Bildungseinrichtung handelt, die zur innerhalb eines nationalen Bildungssystems organisierten öffentlichen Bildung gehört und vom Staat finanziert und überwacht wird.30 Denn durch die Errichtung und Erhaltung eines solchen staatlichen Bildungssystems erfüllt nach dem Europäischen Gerichtshof der Staat auf sozialem, kulturellem und bildungspolitischem Gebiet seinen staatlichen Bildungsauftrag gegenüber seinen Bürgern und nimmt keine gewinnbringende Tätigkeit auf.31 Auch kulturelle Tätigkeiten, die nur bestimmten Unternehmen und nicht der Allgemeinheit zugutekommen, stuft die Kommission in der Regel als wirtschaftlich ein, wie beispielsweise die Restaurierung eines historischen Gebäudes, das von einem Privatunternehmen genutzt wird.32 b)  Nichtwirtschaftliche Tätigkeit Privatpersonen, die eine Förderung erhalten, üben keine wirtschaftliche Tätigkeit aus und sind keine Unternehmen, beispielsweise Eigentümer von denkmalgeschützten und eigengenutzten Gebäuden.33 Wenn Kommunen als Begünstigte oder gemeinnützige Organisationen eine Förderung erhalten, damit sie die ihnen gesetzlich auferlegten Gemeinwohlaufgaben zum Schutz und zur Förderung des Kulturerbes erfüllen, ist dies ebenso nichtwirtschaftliche Tätigkeit.34 Im Fall der tschechischen Bibliotheken35 waren diese beispielsweise aufgrund eines nationalen Gesetzes zur Bücher- und Katalogdigitalisierung verpflichtet. Die Bibliotheken sind in einem Bibliotheksregister gelistet, werden kostenlos zur Verfügung gestellt und helfen dem Staat bei der Erfüllung seines staatlichen Bildungs- und 30  Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Beihilfevorschriften der Europäischen Union auf Ausgleichsleistungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (sog. DAWI-Mitteilung) ABl. EU 2012 C 8/4 ff., Rn. 26. 31 EuGH, Rs. C-318/05 (Kommission/Bundesrepublik Deutschland), ECLI:EU: C:2007:495, Rn. 68. 32  Fn. 11, Rn. 35. 33  SA.36873 (2013/N), C(2013) 5507 (Regionalentwicklungsprogramm Ungarn), Rn. 14. 34  N 123/2005, C(2005) 2707 (Beihilferegelung zur Bewahrung des Kulturerbes und Förderung des Tourismus in Ungarn), Rn. 13. 35 SA.35529 (2012/N), C(2013) 1893 (Nationale Verpflichtung zur Bücher- und Katalog­digitalisierung für tschechische Bibliotheken), Rn. 27.

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Kulturauftrags, der sie von anderen Bibliotheken unterscheidet, die nicht gelistet sind. Entscheidungsrelevant war hier außerdem, dass die Bildungsfunktion öffentlicher Bibliotheken mit kulturellen und sozialen Aktivitäten einhergeht, die sich auf die örtlichen Belange konzentrierten (wie die Organisation von Treffen mit örtlichen Berühmtheiten, Fotoausstellungen über die Geschichte der Kommune, Autoren-Lesungen oder Bildungskurse für von sozialer Ausgrenzung bedrohte Gruppen wie ältere Menschen etc.).36 Die Vorgabe zur Digitalisierung hatte hier nicht den Zweck, den universalen Zugang zu digitalen Büchern zu ermöglichen, was wiederum für die Annahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit gesprochen hätte. Diese Vorgabe sollte hier vielmehr den Bibliotheksbestand insgesamt schützen.37 Im Zusammenhang mit kulturellen Förderungen zugunsten von Kirchen nahm die Kommission bisher an, dass sie nicht unternehmerisch tätig sind und daher keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, es sei denn in Einzelfällen werden andere Hinweise vorgelegt (widerlegbare Vermutung).38 Die europäische Rechtsprechung wendet das Beihilfenrecht allerdings neuerdings im Grundsatz auf öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften an mit der Begründung, dass Religionsgemeinschaften auch andere Aufgaben ohne religiöse Zwecke wahrnehmen und differenziert im Einzelfall nach der konkreten, in Rede stehenden Tätigkeit.39 Schließlich sind nach Ansicht der Kommission auch objektiv nicht-substituierbare Tätigkeiten nichtwirtschaftlich, da in diesen Fällen kein echter Markt bestehen kann (z. B. Führen öffentlicher Archive mit einzigartigen Dokumenten).40 c)  Neuer Ansatz der Kommission In ihrer Bekanntmachung zum Beihilfenbegriff hat die Kommission nunmehr neue Kriterien für die Unterscheidung wirtschaftlich/nichtwirtschaftlich im Bereich der Kulturförderung festgelegt und damit im Sinne eines allgemeinen Befreiungsschlages die öffentliche Kulturförderung wesentlich erleichtert. Somit kommt sie nicht zuletzt auch dem allgemeinen Kulturförderungsziel aus Art. 167 Abs. 4 AEUV („Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen“) nach, dem sie auch im Beihilfenrecht verpflichtet ist.41

36 

Ebenda, Rn. 28. Ebenda, Rn. 31. 38 SA.36361 (2013/N), C(2013) 9670 endg. (Tschechisches Kulturerbe und Gegenwartskunst), Rn. 49. 39  EuGH, Rs. C-74/16 (Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania), EU:C:2017: 496, Rn. 43 f. 40  Fn. 11, Rn. 36. 41  Siehe unter III. 1. in diesem Beitrag. 37 

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Kulturelle Aktivitäten, die der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich gemacht werden, erfüllen demnach reine soziale und kulturelle Zwecke und sind nichtwirtschaftlich. Kulturelle Aktivitäten, die der Öffentlichkeit zugänglich, aber mit Erhebung eines Entgeltes von den Teilnehmern verbunden sind (wie bei Theatern, Konzerten, Opern etc.), das lediglich einen „Bruchteil“ der tatsächlichen Kosten abdeckt, werden nicht als echte Vergütung angesehen und sind ebenfalls nichtwirtschaftlich.42 Wenn kulturelle oder für die Erhaltung des kulturellen Erbes bestimmte Tätigkeiten hingegen vorwiegend aus Besucher- bzw. Benutzerentgelten oder durch andere kommerzielle Mittel finanziert werden, werden diese nach Ansicht der Kommission als wirtschaftliche Tätigkeiten eingestuft.43 Dazu gehören kommerzielle Ausstellungen, Kinovorführungen, kommerzielle Musikaufführungen, Festivals und vorwiegend aus Studiengebühren finanzierte Kunstschulen. Aus dem Umkehrschluss, dass eine vorwiegend oder überwiegend44 aus Teilnehmerentgelten finanzierte kulturelle Aktivität als wirtschaftlich einzustufen ist, ergibt sich, dass bis zu 50 Prozent der Kosten zulässigerweise durch Teilnehmerentgelte abgedeckt werden können. Bei einer öffentlichen Förderung von 50 Prozent oder mehr liegt somit keine wirtschaftliche Tätigkeit und keine tatbestandliche Beihilfe vor. Diese konkret bezifferte Zahl ergibt sich weder aus der Bekanntmachung noch aus der Entscheidungspraxis der Kommission. Sie wird allerdings mittlerweile von Kommissionsbeamten selbst und in Beihilfenkreisen allgemein so vertreten.45 Ein Anwendungsfall für den neuen Ansatz der Kommission dürften beispielsweise die nunmehr als nichtwirtschaftlich zu betrachtenden Musikschulen darstellen. Musikschulen gehören zu dem sog. Bereich der „kulturellen Bildung“. Nach der Eigendarstellung des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) sind Musikschulen öffentliche gemeinnützige Einrichtungen der musikalischen Bildung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die einen öffentlichen Bildungsauftrag erfüllen. Musikschulen könnten daher wie beschrieben46 dem öffentlichen Bildungsauftrag zugeordnet werden, was bereits eine wirtschaftliche Tätigkeit ausschließen würde. Überwiegend werden Musikschulen jedoch eher dem Be42 

Fn. 11, Rn. 34. Fn. 11, Rn. 35. 44  Beide Begriffe sind bedeutungsgleich, die Kommission verwendet an dieser Stelle den Begriff vorwiegend (vgl. Fn. 42), an anderen den Begriff überwiegend, vgl. Fn. 11, Rn. 197 a) und g), 210. 45 Was an dieser Stelle mit „andere kommerzielle Mittel“ gemeint ist, erläutert die Kommission nicht weiter. Ob privates Unternehmenssponsoring, das zahlreiche auf kommunaler Ebene durchgeführte Festivals oder Konzerte zu mehr als 50 Prozent finanzieren dürfte, als kommerzielles Mittel anzusehen wäre, bleibt offen. Letztlich ist dies aber unerheblich, da es in solchen lokalen Fällen zumindest an dem Kriterium der Handelsbeeinträchtigung zwischen Mitgliedstaaten fehlen dürfte, siehe in diesem Beitrag unter IV. 2. a). 46  Siehe in diesem Beitrag unter IV. 1. a). 43 

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reich Kultur zugeordnet. Zum 1. 1. 17 gab es bundesweit 930 Musikschulen. Die Finanzierung ist gemischt, Kommunen und Länder übernehmen den überwiegenden Teil, der verbleibende Teil wird über Gebühren (Kursgebühren der Eltern für ihre Kinder) finanziert. Dies ist je nach Bundesland sehr unterschiedlich ausgestaltet. Teilweise sind die Gebühren zudem einkommensabhängig strukturiert, was den sozialen Zweck verdeutlicht und außerdem die Einstufung als nichtwirtschaftliche Tätigkeit unterstreichen dürfte.47 d)  Kulturelle Einrichtungen gemischter Natur Bei Einrichtungen gemischter Natur, die verschiedene Tätigkeiten sowohl nichtwirtschaftlicher als auch wirtschaftlicher Natur erbringen, ist nach Auffassung der Kommission nur die mit der wirtschaftlichen Tätigkeit verbundene öffentliche Finanzierung beihilferelevant (funktionaler Unternehmensbegriff).48 In diesen Fällen muss in der Regel eine getrennte Buchführung (Trennungsrechnung) erfolgen, um die beiden Bereiche sauber voneinander abzugrenzen und sicherzustellen, dass keine Quersubventionierung der wirtschaftlichen Tätigkeiten mit den Zuwendungen für die nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten erfolgt. Hierfür reicht es nach Ansicht der Kommission aus, die öffentliche Finanzierung auf die Nettokosten (einschließlich der Kapitalkosten) der nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten zu begrenzen.49 Übliche Zusatzleistungen hingegen wie beispielsweise der zu einem Museum gehörende kostenpflichtige Parkplatz, die kostenpflichtige Garderobe oder das Museumsrestaurant, Café oder der Museums-Shop, die in Verbindung mit der nichtwirtschaftlichen kulturellen Tätigkeit erbracht werden, sind i.d.R. unbeachtlich, wenn diese keine eigenständige Anziehungskraft auf Kunden ausüben.50 Dies dürfte regelmäßig der Fall sein, da ein Museum nicht wegen seines Parkplatzes oder seines Restaurants besucht wird. e)  Kulturelle Infrastruktureinrichtungen Auch für die Finanzierung des Baus, der Unterhaltung und des Betriebs von Einrichtungen, die für kulturelle Aktivitäten genutzt werden (multifunktionale Infrastruktureinrichtungen sind nicht erfasst), stellt sich die Frage nach der wirtschaftlichen Tätigkeit. In der Regel sind diese Maßnahmen nicht beihilfenrelevant, wenn die kulturellen Aktivitäten, für die die Infrastruktur genutzt wird, nichtwirtschaftlich sind.51 Keine wirtschaftliche Tätigkeit liegt vor, wenn keine 47 

Vgl. Fn. 36. Fn. 11, Rn 37. 49  Fn. 11, Rn. 206. 50  Fn. 11, vgl. dort Fn. 50. 51  Vgl. Fn. 11, Rn. 203. 48 

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kommerzielle Nutzung besteht, d.h. die Einrichtung für die Öffentlichkeit kostenlos zugänglich ist. Bei Nutzung der Infrastruktur für gemischte Aktivitäten (z. B. Organisation von Konferenzen und kommerziellen Veranstaltungen in Museen oder Kulturzentren) ist eine Beihilfenrelevanz zu verneinen, wenn die wirtschaftliche Nutzung eine reine Nebentätigkeit (bis zu 20 Prozent der Nutzung der Gesamtkapazität der Infrastruktur) darstellt.52 Bei gemischter Nutzung ist wie beschrieben auch hier eine getrennte Buchführung erforderlich, um Quersubventionierung der für nichtwirtschaftliche Tätigkeit erhaltenen Förderung zu vermeiden. 2.  Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten Das zweite für die Kulturförderung relevante Tatbestandsmerkmal des Art. 107 Abs. 1 AEUV ist die Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Jede auf dem Gemeinschaftsmarkt tätigen Unternehmen gewährte Beihilfe kann Verfälschungen des Wettbewerbs hervorrufen und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Nach ständiger Rechtsprechung müssen nicht tatsächliche Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten festgestellt werden, sondern lediglich, ob sie potentielle Auswirkungen haben könnten.53 Die Auswirkungen können jedoch nicht bloß hypothetischer Natur sein oder vermutet werden. Vielmehr muss auf der Grundlage der vorhersehbaren Auswirkungen der Maßnahme festgestellt werden, warum die Maßnahme den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht und warum sie Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten haben könnte.54 a)  Bisherige Entscheidungspraxis der Kommission Die bisherige Entscheidungspraxis der Kommission zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten im Kulturbereich zeigt, dass klare und einheitliche Abgrenzungskriterien fehlen. Insbesondere ist die Grenznähe kein abschließendes Entscheidungskriterium für die grundsätzliche Annahme von Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel. Ebenso ist die Entscheidungspraxis zu sog. sprachgebundenen Fördermaßnahmen, die nur einer begrenzten Sprachgruppe zugutekommen, uneinheitlich. Sprachbarrieren schließen potentielle Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel zumindest nicht durchgehend aus. 52 

Fn. 11, Rn. 207 i. V. m. dortiger Fn. 305. EuGH, Rs. C-518/13 (Eventech/The Parking Adjudicator), ECLI:EU:C:2015:9, Rn. 65; verbundene Rechtssachen C-197/11 und C-203/11 (Libert u. a.), ECLI:EU:C:2013:288, Rn. 76. 54  Verbundene Rechtssachen EuG Rs. T-447/93, T-448/93 und T-449/93 (AITEC u.a./ Kommission), ECLI:EU:T:1995:130, Rn. 141. 53 

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Bei der Beihilfenregelung für baskische Museen und Kunstsammlungen55 entschied die Kommission, dass trotz der geringen Höhe der Förderung (ca. 620.000 EUR) nur weniger Beihilfenempfänger (11 – 50 Begünstigte) und der geografisch sehr beschränkt genutzten baskischen Sprache nicht auszuschließen sei, dass bestimmte Kunstausstellungen im Baskenland grenzüberschreitend Touristen anziehen könnten. Sie ging daher davon aus, dass potentielle Auswirkungen auf den Binnenmarkt nicht auszuschließen seien und bejahte das Kriterium der zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung. Im Kulturförderprogramm für die tschechische Stadt Zlín 2014 – 2018 waren die meisten Aktivitäten auf das Territorium der Stadt begrenzt und bestimmte Kunstformen (wie Theateraufführungen und Literatur-Lesungen) wegen Sprachbarrieren nur für Einheimische interessant. Dennoch nahm die Kommission hier eine potentielle Handelsbeeinträchtigung an und zwar aufgrund der Grenznähe zur Slowakei, Polen und Österreich (15 Prozent ausländische Besucher). Ein weiteres Argument für die Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel waren die mit dem Programm geförderten kulturellen Aktivitäten im Ausland.56 Das Kulturprogramm für Kulturdienstleistungen der tschechischen Stadt Ostrava war ebenso darauf ausgerichtet, im Wesentlichen gemeindliche bzw. lokale Kulturaktivitäten mit lediglich regionaler Bedeutung zu fördern. Eine Beeinträchtigung des Handels war demnach nicht wahrscheinlich. Dennoch hat die Kommission eine potentielle Beeinträchtigung angenommen, mit der Begründung, dass das Programm auch der Unterstützung der Kandidatur für Europäische Kulturhauptstadt 2015 diene und die Stadt außerdem in Grenznähe zu Polen und der Slowakei liege, was Teilnehmer aus diesen Mitgliedstaaten nicht ausschließe.57 Für die Förderung von Kulturaktivitäten in der Gemeindehalle Prerov entschied die Kommission wiederum anders. Trotz der Grenznähe zur Slowakei und Polen nahm sie hier keine Anziehungskraft für ein internationales Publikum und damit keine handelsbeeinträchtigende Wirkung an, weil Aufführungen nur in tschechischer Sprache stattgefunden hätten und zudem die regionale Bedeutung der Aktivitäten in der Gemeindehalle begrenzt gewesen sei.58 Eindeutig wurde eine handelsbeeinträchtigende Wirkung bisher lediglich im Bereich der internationalen Ausstellungen angenommen, wenn die ausgestellten Kunstobjekte und Gemälde bereits eine grenzüberschreitende, wenn nicht sogar internationale Ausstrahlungskraft hatten.59 Auch mögliche Museumskooperatio-

55 

N 1/2010, C(2010) 2540, Rn. 22 f. SA.37292 (2013/N), C(2014) 2533 endg., Rn. 84 f. 57  SA.34675 (2012/N), C(2012) 5932 endg., Rn. 61 f. 58  N 497/2006, C(2006) 6685 endg., Rn. 13. 59  V. Fiebelkorn /H. A. Petzold (Fn. 2), S. 12. 56 

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nen und der Einsatz dieser Art von Ausstellungen zur zielgerichteten Anziehung von Touristen aus aller Welt begründeten eine grenzüberschreitende Wirkung.60 b)  Neuer Ansatz der Kommission Aus diesem Grund war es lange überfällig, dass die Kommission neue Kriterien zum Tatbestandmerkmal der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels entwickelt. In ihrer Bekanntmachung zum Beihilfenbegriff sowie ihren Entscheidungspaketen vom 29. 4. 201561 und 21. 9. 201662 hat sie eine neue Formel für rein lokale Sachverhalte (sog. lokale Maßnahmen) geschaffen, in denen anhand von Kriterien die zwischenstaatliche Handelsbeeinträchtigung abzulehnen ist.63 Die Prüfung des „lokales Charakters“ einer Maßnahme verortet die Kommission dabei beim Tatbestandsmerkmal der zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung und nicht beim Unternehmensbegriff. Wenn daher eine kulturelle Tätigkeit bereits als nichtwirtschaftlich eingestuft werden kann, erübrigt sich die weitere Prüfung der Handelsbeeinträchtigung. Die Hintergründe für die neue Formel sind allerdings nicht nur rein beihilfenrechtlicher Natur oder der Suche nach einer einheitlicheren Entscheidungspraxis geschuldet. Sie entsprechen vielmehr dem allgemeinen politischen Ziel der Juncker-Kommission und der Initiative zur Modernisierung des Beihilfenrechts (State Aid Modernisation – SAM), sich auf Fälle mit den größeren binnenmarktrelevanten Auswirkungen zu konzentrieren und sich bei kleineren, weniger bedeutenden Verfahren in Zurückhaltung zu üben. Dies hat der Kommissionspräsident in seiner Rede zur Lange der Union 2017 unter der Überschrift einer handlungsfähigeren Wirtschafts- und Währungsunion erneut betont: „Wir sollten die Bürger Europas nicht mit Regelungs-Klein-Klein nerven, nicht pausenlos neue Initiativen vom Zaun brechen und Befugnisse, dort wo es sinnvoll ist, an die Nationalstaaten zurückgeben“. Im Hinblick auf die Rückgabe von Befugnissen an die Nationalstaaten lobte Juncker „die hervorragende Arbeit“ von Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager mit der Verlagerung von 90 Prozent der staatlichen Beihilfeentscheidungen auf die regionale und kommunale Ebene. Nicht unerwähnt sollte dabei bleiben, dass die Kommission letztlich auch das Ziel verfolgt, den Verwaltungsaufwand bei Behörden und auch bei sich selbst zu reduzieren. 60  NN 50/2007, K (2007) 4322 endg. (Übernahme staatlicher Haftungen für österreichische Bundesmuseen), Rn. 22. 61  Pressemeldung IP/15/4889 der Kommission vom 29. 4. 2015. 62  Pressemeldung IP/16/3141 der Kommission vom 21. 9. 2016. 63  Mit der Annahme eines lokalen Sachverhalts hatte die Kommission bereits in ihrer Entscheidung zum Freizeitbad Dorsten das Kriterium der zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung abgelehnt, Nr. N 258/00, SG(2001) D/ 285046 (Freizeitbad Dorsten), S. 5.

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Nach der neuen Formel der Kommission liegt keine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels vor, wenn der Beihilfenempfänger Güter und Dienstleistungen nur in einem geografisch begrenzten Gebiet in einem Mitgliedstaat anbietet und wahrscheinlich keine oder nur eine zu vernachlässigende Anzahl ausländischer Kunden anzieht (sog. Kundenseite) und (kumulativ) die Maßnahme allenfalls marginale Auswirkung auf die Bedingungen für grenzüberschreitende Investitionen oder die grenzüberschreitende Niederlassung haben würde (sog. Anbieterseite).64 Nach Auffassung der Kommission ist hingegen bei Zuwendungen an große und renommierte Kultureinrichtungen und -veranstaltungen, die wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben und für die intensiv außerhalb ihres regionalen Einzugsgebietes in dem betreffenden Mitgliedstaat geworben wird, der Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.65 Das Entscheidungspaket der Kommission vom 21. 9. 2016 enthält zwei Anwendungsfälle aus dem Kulturbereich, in denen die Kommission die neue Formel anwendet und Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel entsprechend verneint. Mittlerweile ist eine weitere Entscheidung vom Mai 2017 hinzugekommen. Bei allen drei Entscheidungen handelt es sich um die sog. Sprachenfälle, die gerade mit Blick auf die bisher entschiedenen Verfahren zeigen, dass die Kommission nunmehr eine neue Entscheidungspraxis einleitet. Im Fall der Förderung der baskischen Sprache in lokalen Printmedien (Zeitschriften und Kooperationsprojekte in ausschließlich baskischer Sprache in der Provinz Guipúzcoa) verneinte die Kommission Auswirkungen auf den Handel aufgrund des auf die baskische Sprache sprachlich und geografisch begrenzten Marktes, der Größe der betroffenen Unternehmen (Kleinstunternehmen) und der geringen Höhe der öffentlichen Unterstützung.66 Im Fall der Unterstützung von Print- oder digitalen Medien in valencianischer Sprache zur Förderung der Minderheitensprache argumentierte sie ähnlich, dass die Nachrichtenmedien aus sprachlichen und geografischen Gründen nur ein lokal begrenztes Publikum erreichten, lediglich der lokale Markt in der Region Valencia bedient werde und es sich schließlich ebenfalls um eine Förderung geringer Höhe handele.67 Gleichermaßen argumentierte die Kommission in dem zwischenzeitlich entschiedenen Fall der Förderung der baskischen Sprache in digitalen Nachrichten.68

64 

Fn. 11, Rn. 196. Fn. 11, Rn. 197. Praxisrelevant dürften hierfür lediglich große Konzerte mit internationalen Künstlern oder etwa der Pariser Louvre sein. 66  SA.44942 (2016/N), C(2016) 4971 endg., Rn. 20 ff. 67  SA.45512 (2016/N), C(2016) 4865 endg., Rn. 13 ff. 68  SA.47448 (2017/N), C(2017) 3161 endg., Rn. 27 ff. 65 

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V.  Vereinbarkeit von Beihilfen nach der AGVO Mit der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) werden gemäß Art. 108 Abs. 4 AEUV bestimmte staatliche Beihilfemaßnahmen als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt und von der Notifizierungspflicht bei der Kommission ausgenommen, weil durch diese Maßnahmen keine Wettbewerbsverfälschungen zu befürchten sind. Dieses Instrument bietet den Mitgliedstaaten daher die Möglichkeit, Beihilfenmaßnahmen ohne vorherige Genehmigung der Kommission durchzuführen, soweit die in der AGVO genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Sie müssen der Kommission nur nach Inkrafttreten angezeigt werden. Die Kommission behält sich eine nachträgliche Überprüfung allerdings ausdrücklich vor. Nach Angaben der Kommission werden mit diesen Vorschriften derzeit rund 90 Prozent der von den Mitgliedstaaten durchgeführten staatlichen Beihilfen (mit jährlichen Ausgaben von insgesamt rund 28 Mrd. EUR) freigestellt. Die Anwendung der AGVO setzt allerdings das Vorliegen einer tatbestandlichen Beihilfe voraus. Wie erläutert, wird der Anwendungsbereich der AGVO für den Bereich der Kulturförderung sehr gering sein. Die Förderungen werden weit überwiegend keine tatbestandlichen Beihilfen darstellen. Die AGVO ist am 14. 6. 2017 überarbeitet worden und zwar auch in Bezug auf Anmeldeschwellen für Beihilfen für Kultur und die Erhaltung des kulturellen Erbes.69 Die Gruppenfreistellung für Kultur und die Erhaltung des kulturellen Erbes in Art. 53 AGVO ist nicht neu. Sie war bereits in der bisherigen Fassung70 mit einer umfassenden Liste von freigestellten kulturellen Zwecken und Aktivitäten verankert. Für die Freistellung müssen allerdings umfangreiche Voraussetzungen des Kapitels I und Art. 53 Abs. 2 – 5 AGVO erfüllt sein. Freigestellt sind sowohl Investitionsbeihilfen als auch Betriebsbeihilfen. In der neuen Fassung der AGVO sind die Anmeldeschwellen für Kulturbeihilfen erhöht worden (übrigens auch für Beihilfen für Sportinfrastrukturen und multifunktionale Freizeitinfrastrukturen). Die Anmeldeschwellen liegen für Investitionsbeihilfen nunmehr bei 150 Mio. EUR pro Projekt (bisher 100 Mio. EUR pro Projekt) und für Betriebsbeihilfen bei 75 Mio. EUR pro Unternehmen und Jahr (bisher 50 Mio. EUR pro Unternehmen und Jahr). Dies bedeutet eine Erhöhung um 50 Prozent. Den Hintergrund für die erhebliche Erhöhung stellen die begrenzten negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb von Beihilfen für Kultur und die Erhaltung des kulturellen Erbes dar. Bei verbleibender Unsicherheit über das Vorliegen einer tatbestandlichen Beihilfe kann die AGVO mit ihren erhöhten Anmeldeschwellen eine Erleichterung 69  70 

VO (EU) Nr. 2017/1084 der Kommission vom 14. 6. 2017, ABl. EU 2017 L 156/1. VO (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. 6. 2014, ABl. EU 2014 L 187/1.

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darstellen. Eine Pflicht zur Notifizierung besteht künftig nur noch für sehr große Beihilfen im Kulturbereich oberhalb der Anmeldeschwellen.

VI.  Fazit: Licht und Schatten Als Fazit lässt sich festhalten, dass die neue Kommissionslinie im Kulturbereich sowohl Licht- als auch Schattenseiten beinhaltet. Dabei nehmen die Licht­ seiten die eindeutig zahlreicheren Aspekte für sich in Anspruch. Ein deutlich positives Signal ist, dass die Kommission mit der neuen Linie zum Beihilfenbegriff für die Kulturförderung einen Teilrückzug aus dem Beihilfenrecht antritt. Sollte eine kulturelle Tätigkeit nicht zu mehr als 50 Prozent öffentlich gefördert und damit als wirtschaftlich einzustufen sein – und dies dürfte bereits nur wenige Maßnahmen betreffen – wird eine tatbestandliche Beihilfe in den weitaus meisten Fällen aus Gründen des nicht erfüllten Kriteriums der zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung zu verneinen sein. Die Kulturförderung, die bisher gemäß Art. 107 Abs. 3 lit. d AEUV (Vereinbarkeitsklausel im Kulturbereich) oder aber nach der AGVO als vereinbare Beihilfe galt, wird nunmehr im Ergebnis weitgehend beihilfenfrei sein. Die neue Entscheidungspraxis der Kommission eröffnet damit für die öffentliche Kulturförderung große Spielräume, die einem Befreiungsschlag gleichkommen. Indem sie Förderungen kultureller Tätigkeiten aus beihilfenrechtlicher Sicht gegenüber ihrer bisherigen Praxis weitaus erleichtert, trägt die Kommission mithin nicht zuletzt dem allgemeinen Kulturförderungsziel gemäß Art. 167 Abs. 4 AEUV Rechnung. Ob dies neben ihren dargestellten politischen Beweggründen eine Motivation für den Richtungswechsel war, kann hier dahinstehen. Es könnte allerdings bei der noch ausstehenden Würdigung durch die Europäischen Gerichte eine Rolle spielen. Eine Folge dieser neuen Praxis ist außerdem, dass AGVO-Anzeigen im Bereich der Kulturförderung insgesamt nur noch in sehr begrenztem Umfang und für sehr große Beihilfen erforderlich sind. Daneben wird der Beurteilungsspielraum für Fragen der Kulturförderung noch weiter auf die Ebene der Mitgliedstaaten, Länder und insbesondere der Kommunen verlagert. Den Beihilfengebern auf der kommunalen Ebene obliegt nunmehr stärker als bisher die Beurteilung und Entscheidung über das Vorliegen einer tatbestandlichen Beihilfe und damit ebenso die Verantwortung für einen korrekten Umgang mit dem Beihilfenrecht. Denn trotz der neuen Kriterien der Kommission ist weiterhin die Überprüfung jeder Maßnahme im Einzelfall durch die fördernde Behörde erforderlich. Der Prüfungsaufwand insbesondere für kommunale Behörden ist auch bei Anwendung des neuen Maßstabs damit nicht unerheblich. Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Bestätigung des Kommission­ansatzes für lokale Maßnahmen durch die Europäischen Gerichte noch aussteht,

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denen die rechtsverbindliche Auslegung des Beihilfenbegriffs in Art. 107 AEUV obliegt.71 Nationale deutsche Gerichte hingegen wenden die neuen Maßstäbe der Kommission in ihrer Rechtsprechung bereits an.72 Dies betrifft allerdings bislang nicht den Kulturbereich, sondern den Krankenhaus- bzw. Pflegedienstsektor. Abschließend muss darauf hingewiesen werden, dass trotz neuer großer Spielräume für Beihilfengeber bis zur Bestätigung durch die EU-Gerichte eine gewisse Rechtsunsicherheit im Umgang mit der Kulturförderung verbleibt. Dies sollte aber kommunale Behörden im Bereich ihrer öffentlichen Kulturförderung nicht abhalten, den neuen Maßstab der Kommission selbstbewusst anzuwenden.

71 Eine Beihilfenentscheidung aus dem Entscheidungspaket vom 21.  9. 2016 (vgl. Fn. 53), in der die Kommission die zwischenstaatliche Handelsbeeinträchtigung für lokale Pflegedienste und damit eine tatbestandliche Beihilfe abgelehnt hatte, SA.38920 (2014/ NN), C(2016) 5054 endg. (Santa Casa da Misericórdia de Tomar, Portugal), ist beim Europäischen Gericht anhängig, EuG Rs. T 813/16 (Abes/Kommission). Die Entscheidung wird in Beihilfenkreisen mit großem Interesse erwartet. 72  OLG Stuttgart, Urteil vom 23. 3. 2017, Rs. 2 U 11/14 (Kreiskliniken Calw) auf den vorausgegangenen Prüfungshinweis des BGH, Urteil vom 24. 3. 2016, Rs. I ZR 263/14; OLG Nürnberg, Urteil vom 21. 11. 2017, Rs. 3 U 134/17 (Defizitausgleich städtischer Alten- und Pflegeheime; bisher nicht veröffentlicht).

Beihilfen im Tourismusmarketing Stefan Meßmer Beihilfen im Tourismusmarketing

I. Was ist Tourismusmarketing? Ausgangspunkt der Thematik Die Frage der beihilfenrechtlichen Einordnung von finanziellen Maßnahmen zu Gunsten von Tourismusmarketing-Organisationen lässt sich nur sinnvoll klären, wenn zunächst festgestellt wird, was sich hinter dem Begriff „Tourismusmarketing“ verbirgt. Folgende Definition lässt sich dem Gabler Wirtschaftslexikon entnehmen: „alle ziel- und wettbewerbsorientierten Maßnahmen von Tourismusunternehmen und Tourismusorganisationen, um gegenwärtige und zukünftige Kundenpotenziale unter Einsatz planender, steuernder, koordinierender und kontrollierender (formale Seite) sowie marketingpolitischer Instrumente (materielle Seite) auszuschöpfen. Besonderheiten des touristischen Marketing sind angebotsseitig das Werben mit immateriellen und i. d. R. hochemotionalen Dienstleistungsprodukten sowie nachfrageseitig zunehmend „hybride“ Kaufverhalten mit einer Vielzahl differenter Reisearten“.1

Diese Definition ist für eine beihilfenrechtliche Einordnung allerdings für sich genommen noch nicht hinreichend, vor allem weil der Bereich der Tourismuswirtschaft und insbesondere des Tourismusmarketing nicht homogen ist: So gibt es verschiedene Anbieter aus dem privaten Sektor, die keine staatlichen Mittel erhalten und somit nicht dem Anwendungsbereich des Beihilfenrechts unterliegen. Dies gilt für Beherbergungsbetriebe (z. B. Hotels), Reiseveranstalter, Fremdenführer, Marketingagenturen, Eventmanager oder Buchungsplattformen. Alle diese Anbieter aus dem privaten Sektor arbeiten als wirtschaftliche Unternehmen, die sämtliche mit ihrer Geschäftstätigkeit verbundenen Risiken selbst tragen und denen – jedenfalls im Grundsatz – keine staatlichen Mittel gewährt werden. Besondere Konstellationen im Tourismusbereich betreffen die Förde-

1  Definition nach Springer Gabler Verlag (Hrsg.), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: „Tourismusmarketing“, im Internet abrufbar unter: http://wirtschaftslexikon.gabler. de/Archiv/90234/tourismusmarketing-v7.html, zuletzt abgerufen am 12. 01. 2018.

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rung von Bäderbetrieben2, von Skigebieten und Skiliften3 sowie von Hotels und Freizeiteinrichtungen4.

Gleichzeitig gibt es im Bereich des Tourismusmarketing allerdings auch eine Vielzahl sog. „öffentlicher Tourismusorganisationen“, die vollständig oder jedenfalls überwiegend von der öffentlichen Hand getragen werden. Deren Kennzeichen ist jeweils, dass sie nicht primär bzw. schwerpunktmäßig als Erbringer touristischer Leistungen agieren, sondern dass sie die touristische Erschließung und „Vermarktung“ bestimmter Gebiete (Städte, Gemeinden, Regionen, Bundesländer etc.) steuern und koordinieren. Im Hinblick auf solche öffentlichen Tourismusorganisationen gibt es weder hinsichtlich ihrer Größe noch ihres Tätigkeitsspektrums ein einheitliches Erscheinungsbild, da deren Organisation und Tätigkeiten vom jeweiligen individuellen Zuschnitt und jeweiligen Bedarf abhängen. Letztlich gibt es einen Spannungsbogen von rein lokal tätigen Organisationen über regionale Organisationen hin zu auf der Ebene einzelner Bundesländer agierender öffentlicher Tourismusorganisationen. Auch im Hinblick auf ihre rechtliche Struktur lässt sich bei den öffentlichen Tourismusorganisationen kein einheitliches Bild festmachen: Teilweise werden Tourismusorganisationen in Rechtsformen des öffentlichen Rechts (z. B. als Zweckverband oder Anstalt des öffentlichen Rechts o.ä.) oder des Privatrechts (als Verein, als GmbH oder in einer anderen Gesellschaftsform) geführt. Teilweise sind solche Tourismusorganisationen sogar im (Verwaltungs-)„Innenbereich“ der öffentlichen Hand angesiedelt und werden als Eigen- oder Regiebetriebe geführt. Ausgehend von der vergaberechtlichen Diskussion über die Sicherstellung der sog. „Inhouse-Fähigkeit“ von öffentlichen Tourismusorganisationen insbesondere im Vorfeld der Vergaberechtsreform im April 20165 rückte parallel zunehmend die Frage der beihilfenrechtlichen Zulässigkeit der Mittelgewährung an öffentliche Tourismusorganisationen in den Vordergrund, die Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist. Dies hatte insbesondere auf der Ebene der öffentlichen Tourismusorganisationen eine deutliche ansteigende Sensibilität im Hinblick auf die Beihilfenrechtskonformität der Finanzierung durch öffentlich-rechtliche Stellen zur Folge.6 2 

SA.33045 [2013/NN] [ex 2011/CP], KOM (2014) 5077 endg. – Kristall Bäder AG. der Kommission an die Mitgliedstaaten und andere Beteiligte über die staatliche Beihilfe N 376/01 (Beihilferegelung zugunsten von Seilbahnen), ABl. EU 2002 C 172/2; vgl. auch H. Heinrich, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Hrsg.), Europäisches Beihilfenrecht, 1. Aufl. 2013, Kapitel 1 Rn. 270 m. w. N. 4  EuG, Rs. T-162/13 (Kletterzentren des Deutschen Alpenvereins), ECLI:EU:T:2016:341. 5  Vgl. hierzu K. Kayser, Reform des Vergaberechts, Tourismus-Aktuell 02/2016, 24. 6 Vgl. S.  Meßmer, Tourismus im Focus des EU-Beihilfenrechts, Tourismus Aktuell 01/2016, S. 30; ders., Beihilfenrecht und Tourismusmarketing, Die Gemeinde (BWGZ) 3  Mitteilung

Beihilfen im Tourismusmarketing

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II. Beihilfenrechtliche Einordnung des Tourismusmarketings bis zum Jahr 2016 In der Vergangenheit standen das Tourismusmarketing und dementsprechend auch öffentliche Tourismusorganisationen nicht im Fokus der Europäischen Kommission. Auf Ebene des EU-Rechts und v.a. des Beihilfenrechts gab und gibt es bislang keine Sonderregelungen für den Tourismusbereich. Die vom Vergaberecht ausgehende zunehmende Sensibilisierung für das EU-Recht und damit auch das Beihilfenrecht führte sogar dazu, dass zwei Beihilfenbeschwerden gegen deutsche Tourismusmarketinggesellschaften bei der Europäischen Kommission erhoben wurden. Diese richteten sich zum einen gegen die Erfurt Tourismus- und Marketing GmbH7 und zum anderen gegen den Zweckverband Tourismusverband Holsteinische Schweiz8. Unter Zugrundelegung der klassischen Definitionen der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Beihilfentatbestands im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV ging jedenfalls die weit überwiegende Auffassung in der beihilfenrechtlichen Praxis bis in das Jahr 2017 hinein davon aus, dass die Tätigkeiten öffentlicher Tourismusorganisationen dem Beihilfenverbot unterliegen bzw. dies jedenfalls nicht vollständig ausgeschlossen werden konnte: 1. Vorliegen eines „Unternehmens“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV

Nach der Definition des Unternehmens liegt ein Unternehmen vor, wenn eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird. Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist jede Tätigkeit, die im Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem Markt besteht. Die rechtliche Ausgestaltung des „Unternehmens“ und seine Finanzierung sind dabei unerheblich.9 Zieht man diese Definition heran, so ist zunächst festzustellen, dass öffentliche Tourismusorganisationen sehr vielschichtige und inhomogene Tätigkeitsfelder aufweisen. Zum einen betreiben sie klassisches Imagemarketing. Zum anderen werden Leistungen erbracht, die ein eindeutig wirtschaftliches Gepräge aufweisen: Dies betrifft beispielsweise die entgeltliche Vermittlung und den Verkauf von Tickets für Stadtführungen, Konzerte, Gästekarten und sonstige Eintrittskarten, den Verkauf von Reiseliteratur, Ansichtskarten, Wanderkarten, Radtourenkarten oder Souvenirs und schließlich die Organisation und Vermitt2016, S. 425. 7  Vgl. KOM, SA. 41158 – Erfurt Tourismus- und Marketing GmbH. 8  Vgl. KOM, SA. 41373 – Zweckverband Tourismusverband Holsteinische Schweiz. 9  Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 C 262/1, Rn. 7.

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lung von Reiseleistungen (gegen Gebühr oder Provision) oder den Betrieb von Buchungsportalen.10 Vor diesem Hintergrund konnte in vielen Fällen ein wirtschaftliches Handeln der öffentlichen Tourismusorganisationen jedenfalls nicht vollständig ausgeschlossen werden. Ob der Schwerpunkt auf dem wirtschaftlichen oder dem nicht-wirtschaftlichen Bereich liegt, ist dabei eine Frage des Einzelfalls. Eine erste Hilfestellung für die Einordnung bestimmter Tätigkeiten als nicht-wirtschaftlich gab die Europäische Kommission bereits im Jahr 2014 im Rahmen eines sog. „Comfort Letter“.11 Dieser betraf allerdings in erster Linie Infrastruktureinrichtungen für den Tourismusbereich. Nach diesem „Comfort Letter“ ist die Bereitstellung der folgenden touristischen Infrastruktureinrichtungen keine wirtschaftliche Tätigkeit: – Wander-, Rad- und Reitwege, – Lehr-, Erlebnis- und Naturpfade, – unentgeltliche Park-/Rastplätze, – öffentliche Toiletten, – unentgeltliche Informationszentren und ähnliche Einrichtungen, – Promenaden, – Seebrücken, – Skiloipen, – Kurparks, – unentgeltliche Bootsanlegestellen und Wasserwanderrastplätze, – Schwimmsteganlagen, – Badestellen und Naturbühnen, – Gradierwerke, – Wassertretanlagen,

wenn sichergestellt ist, dass sie 1. nicht wirtschaftlich betrieben werden und 2. der Bezug zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit völlig ausgeschlossen ist. 3. Zudem müssen die Infrastrukturen im öffentlichen Interesse errichtet sowie jederzeit offen und allgemein zugänglich sein. 10 Vgl. S. Meßmer, Beihilfenrecht und Tourismusmarketing, Die Gemeinde (BWGZ) 2016, S. 425, 426. 11  „Comfort Letter“ der Europäischen Kommission zur Förderung touristischer Infrastrukturen aus der Gemeinschaftsaufgabe, Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur vom 24. 04. 2014, SA.37755 – Kommunale wirtschaftsnahe Infrastruktur – Tourismus. Download etwa unter https://beihilfenblog.files.wordpress.com/2015/04/comfort-letterder-kom-zur-touristischen-infrastrukturfc3b6rderung.pdf.

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Weiter wird in dem „Comfort Letter“ ausgeführt, dass auch die folgenden einnahmeschaffenden touristischen Infrastrukturen als beihilfefrei anzusehen sind:

– entgeltliche Wasserwanderrastplätze, – Freizeitinfrastrukturen für schlechtes Wetter, – örtliche kleine Museen und lokale Heimatmuseen, wenn der lokale Charakter der Infrastrukturen gewahrt ist.12 Soweit diese Ausnahmen nicht eingreifen, ist jedenfalls in vielen Fällen davon auszugehen (gewesen), dass ein wirtschaftliches Handeln nicht ausgeschlossen werden kann. 2. Weitere Tatbestandsmerkmale des Beihilfenverbots

Soweit öffentlich-rechtliche Gesellschafter öffentlichen Tourismusorganisationen jährlich finanzielle Mittel bereitstellen, damit diese in der Lage sind, die ihnen obliegenden Aufgaben zu erfüllen, ist das Tatbestandsmerkmal der Gewährung staatlicher Mittel unproblematisch zu bejahen.13 Dasselbe gilt für das Tatbestandsmerkmal der selektiven Begünstigung. Eine solche Begünstigung ist auch dann zu bejahen, wenn an den öffentlichen Tourismusorganisationen private Gesellschafter beteiligt sind, da die Gesellschaftsanteile und Leistungsverpflichtungen der privaten Gesellschafter einerseits und der staatlichen Gesellschafter andererseits in der Regel stark asymmetrisch ausgestaltet sind und die öffentlichen Tourismusorganisationen in der Regel ohne die Zuführung finanzieller Mittel durch die staatlichen Gesellschafter nicht dauerhaft wirtschaftlich überlebensfähig wären.14 Weiter war auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH15 davon auszugehen, dass das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsverfälschung bzw. der Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels bei Tourismusorganisationen im Zweifel zu bejahen ist, da diese gerade darauf abzielen, Nutzer aus anderen EU-Mitgliedstaaten anzuziehen und dabei auch im Wettbewerb zu an12  Vgl. Comfort Letter (o. Fn. 11); in der Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe (o. Fn. 9) werden solche Infrastrukturen in Rn. 33 ff., 207 gesondert behandelt, vgl. hierzu auch S. Meßmer, Die neue Bekanntmachung der Europäischen Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe – Schluss mit der Verwirrung?, KommJur 2017, S. 1, 6 f.; A. Petzold, Kommunale Infrastrukturen und Europäisches Beihilfenrecht, KommJur 2017, S. 401. 13  Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe (o. Fn. 9), Rn. 48. 14  Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe (o. Fn. 9), Rn. 83 ff., insbes. Rn. 87. 15  EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), ECLI:EU:C:2003:415 Rn. 76 ff.; EuGH, Rs. C-197/11, C-203/11 (Libert), ECLI:EU:C:2013:288, Rn. 76 – 82.

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deren Tourismusorganisationen in anderen Mitgliedstaaten stehen.16 Dies galt jedenfalls vor den „Entscheidungspaketen“ der Europäischen Kommission zur Zwischenstaatlichkeit.17 Schließlich sind auch die Schwellenwerte nach der „De-minimis-Verordnung“18 bei öffentlichen Tourismusorganisationen in aller Regel überschritten. In den meisten Fällen liegt bereits der jährliche Finanzbedarf über dem zulässigen Schwellenwert von maximal EUR 200.000 brutto innerhalb von drei Steuerjahren. 3. Betrauung von Tourismusorganisationen als Ausweg Da das Vorliegen einer Beihilfe jedenfalls nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden konnte, griff die kommunale Praxis in den vergangenen Jahren – sozusagen als „Ausweg“ – auf eine Betrauung öffentlicher Tourismusorganisationen mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinen wirtschaftlichen Interesse (DAWI) zurück.19 In den vergangenen Jahren wurden solche Betrauungsakte auf der Grundlage des „Freistellungsbeschlusses“ der Europäischen Kommission vom 20. Dezember 201120 bei sehr vielen Tourismusorganisationen umgesetzt. Dabei traten verschiedene Diskussionspunkte und praktische Probleme zu Tage, etwa im Hinblick auf die Einordnung der verschiedenen Tätigkeiten der Tourismusorganisation als wirtschaftlich, nicht-wirtschaftlich und als DAWI, das Erfordernis

16 

S. Meßmer (Fn. 10), 426. Pressemitteilung IP/15/4889 der Kommission vom 29. 04. 2015 und Pressemitteilung IP/16/3141 der Kommission vom 21. 09. 2016; vgl. zu dieser Thematik C. Herrmann, Wann sind Beihilfen auf lokaler Ebene (nicht) geeignet, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen?, KommJur 2016, S. 201; T. Soltész/U. Pflock, Die „Wiederentdeckung“ der beihilfenrechtlichen Zwischenstaatlichkeitsklausel – vom Schattendasein ins Scheinwerferlicht?, EuZW 2017, S. 207. 18  Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission v. 18. 12. 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen, ABl. L 352/1 v. 24. 12. 2013; vgl. dazu S. Meßmer, Aktuelles im Beihilfenrecht – die Novellierung der „De-minimis-Verordnung“, Die Gemeinde (BWGZ) 2014, S. 322. 19  S. Meßmer (Fn. 10), S. 428 f., vgl. auch das Muster von S. Meßmer/J. Bernhard, „Nationales Subventionsrecht“ und „Europäisches Beihilfenrecht“, in: Eiding/HofmannHoeppel (Hrsg.), Verwaltungsrecht, Schriftsatzmuster und Erläuterungen, 2. Aufl. 2017, § 45 Rn. 23. 20  Beschluss der Kommission über die Anwendung von Art. 106 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zu Gunsten bestimmter Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, ABl. EU 2012 L 7/3. 17  Vgl.

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der Einführung einer Trennungsrechnung21 und die Einführung und Umsetzung einer Betrauung insbesondere bei solchen öffentlichen Tourismusorganisationen, die durch eine Vielzahl von Gesellschaftern gekennzeichnet sind, da eine Betrauung entsprechende Gremienbeschlüsse von sämtlichen Gesellschaftern erfordert. Dies wird häufig als unangemessener Aufwand und als „Stolperstein“ bei der Umsetzung einer ordnungsgemäßen Betrauung empfunden. Von der Europäischen Kommission wurde eine solche Betrauung im Bereich öffentlicher Tourismusorganisationen bislang nicht ausdrücklich anerkannt. Zwar lassen sich Äußerungen der Behörde in der Vergangenheit so interpretieren, dass die Europäische Kommission eine Betrauung im Tourismusbereich in der Vergangenheit jedenfalls dem Grund nach gebilligt hatte. Dies gilt beispielsweise für die Bereitstellung von Informationen und die Förderung der touristischen Entwicklung einer Region.22 Daraus wurde der Schluss gezogen, dass die klassische Prospektwerbung, die Erstellung von Unterkunftsverzeichnissen, entsprechende Websites oder die Netzwerkbildung der Tourismusanbieter einer Region als „förderfähige“ DAWI eingeordnet werden können.23 Mangels ausdrücklicher Fallpraxis der Europäischen Kommission zu öffentlichen Tourismusorganisationen bestand allerdings insoweit Rechtsunsicherheit. In den letzten Jahren ließ sich aber – jedenfalls im Rahmen inoffizieller Äußerungen von Vertretern der Europäischen Kommission im Rahmen von Tagungen und Seminaren – eine eher restriktive und ablehnende Haltung der Behörde im Hinblick auf eine mögliche Betrauung öffentlicher Tourismusorganisationen erkennen, ohne dass dies dogmatisch näher begründet wurde.

III. Aktuelle Argumentations- und Lösungsansätze für öffentliche Tourismusorganisationen nach Maßgabe des BMWi-Schreibens vom 18. Mai 2017 Die zunehmende Unruhe und Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die beihilfenrechtliche Einordnung öffentlicher Tourismusorganisationen hatte im Herbst 2016/Anfang 2017 eine von Deutschland getragene Initiative zur Einführung eines gesonderten Freistellungstatbestands für öffentliche Tourismusorganisati21 Stellungnahme des Ministeriums für Justiz und für Europa Baden-Württemberg vom 26. 09. 2016, LT-Drucks. 16/640, S. 3 f. 22  Vgl. Schreiben der Europäischen Kommission vom 24. 03. 2006 in der Beihilfen­ sache CP/178/2004, n. v., zitiert in EuG, Urt. v. 09. 06. 2009, T-152/06, ECLI:EU:T:2009:181, Rn. 8. 23  Vgl. Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg, Leitfaden EU-Beihilfenrecht, Band 3, DAWI und Infrastrukturfinanzierung, Dezember 2016, S. 55 f. mit einem Praxisbeispiel; ebenso Stellungnahme des Ministeriums für Justiz und für Europa Baden-Württemberg vom 26. 09. 2016, LT-Drucks. 16/640, S. 3.

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onen im Zusammenhang mit der „kleinen“ Reform der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) zur Folge.24 Hierfür legte die Bundesrepublik Deutschland einen Entwurf eines gesonderten Freistellungstatbestands vor.25 Die AGVO wurde schließlich Ende des ersten Halbjahrs 2017 novelliert und ergänzt.26 Die Initiative Deutschlands war allerdings insoweit erfolglos, als die Europäische Kommission keinen gesonderten Freistellungstatbestand für öffentliche Tourismusorganisationen in die AGVO aufnahm. Als Teilerfolg konnte aber verbucht werden, dass die Europäische Kommission mit den Mitgliedstaaten in einen Dialog zur Schaffung beihilfenrechtlich tragfähiger Argumentationsansätze zur Einordnung öffentlicher Tourismusorganisationen eintrat. Anfang Mai 2017 wies die Europäische Kommission sodann die beiden Beihilfenbeschwerden gegen die Erfurt Tourismus- und Marketing GmbH sowie den Zweckverband Tourismusverband Holsteinische Schweiz zurück.27 Nach Mitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (nachfolgend „BMWi“) wurden die Beschwerden unter Hinweis auf die Erbringung „nicht-wirtschaftlicher“ bzw. „rein lokaler“ Tätigkeiten durch die beiden öffentlichen Tourismusorganisationen zurückgewiesen. Die Europäische Kommission setzte sich hingegen – soweit bekannt – nicht damit auseinander, dass die beiden öffentlichen Tourismusorganisationen jeweils zugleich mit der Erbringung von DAWI auf der Grundlage eines Betrauungsakts betraut worden waren. Die Erkenntnisse aus den beiden Beihilfenbeschwerdeverfahren sowie dem Dialog zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten zur 24  Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. 06. 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2014 L 187/1. 25 Vgl. Stellungnahme Deutschlands zur Reform der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung, AGVO (HAT.4691) vom 23. 5. 2016, Anlage 2 (http://ec.europa.eu/ competition/consultations/2016_gber_review/replies/ms/de_germany_de.pdf) mit einem Entwurf einer Definition des Begriffs der „Tourismuseinrichtungen“ und dem Entwurf einer Definition eines Freistellungstatbestands für das „Destinationsmarketing und -management im In- und Ausland auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene“ in Form von Regelbeispielen. 26  Verordnung (EU) 2017/1084 der Kommission vom 14. 06. 2017 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 in Bezug auf Beihilfen für Hafen- und Flughafeninfrastrukturen, in Bezug auf Anmeldeschwellen für Beihilfen für Kultur und die Erhaltung des kulturellen Erbes und für Beihilfen für Sportinfrastrukturen und multifunktionale Freizeitinfrastrukturen sowie in Bezug auf regionale Betriebsbeihilfenregelungen für Gebiete in äußerster Randlage und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 702/2014 in Bezug auf die Berechnung der beihilfefähigen Kosten, ABl. EU 2017 L 156/1. 27 KOM, Entsch. SA.41158 – Erfurt Tourismus- und Marketing GmbH und KOM, Entsch. SA.41373 – Zweckverband Tourismusverband Holsteinische Schweiz; die Entscheidungen sind jeweils nicht veröffentlicht.

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beihilfenrechtlichen Einordnung öffentlicher Tourismusorganisationen fasste das BMWi in einem Rundschreiben vom 18. Mai 2017 im Einzelnen zusammen.28 Dieses Schreiben enthält in prägnanter und knapper Form die nun geltenden beihilfenrechtlichen Leitlinien für öffentliche Tourismusorganisationen. 1. Handeln eines Unternehmens („wirtschaftliche Tätigkeit“)

In dem BMWi-Schreiben wird zu diesem Tatbestandsmerkmal ausgeführt: „Etliche Aktivitäten von öffentlichen Tourismusorganisationen seien bereits nicht-wirtschaftlich und daher nicht beihilferelevant. […] Auch das für uns sehr wichtige und übliche allgemeine Destinationsmarketing sei als beihilfenfrei zu werten.“ Der Begriff des „allgemeinen Destinationsmarketings“ wird dabei in diesem Schreiben nicht definiert. Im Zusammenhang mit der „kleinen“ AGVO-Reform 2017 haben das BMWi und der Deutsche Tourismusverband e.V. (DTV) im Zuge des Vorschlags für eine Sonderregelung für Tourismusorganisationen diesen Begriff wie folgt definiert: „Allgemeines Imagemarketing (Imageprospekt, Website mit Imagewerbung, Messeteilnahme, Gästeinformation in der Tourist-Information etc.) im Sinne des Neutralitätsprinzips (keine Leistung für einen fest definierten Nutzerkreis)“. Nach dieser Definition sind somit sämtliche Leistungen, die dem allgemeinen Destinationsmarketing zuzurechnen sind, bereits als nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten anzusehen. Dabei wird erkennbar auf das überkommene „Angebot“ sog. Tourist-Informationen abgestellt. Alle Tätigkeiten, die von solchen Einheiten „vorgehalten“ werden, sollen somit per se keine „wirtschaftliche Tätigkeit“ darstellen. Dieser Ansatz ist aber nicht zweifelsfrei und auch nicht zwingend. Schließlich ist es nicht ausgeschlossen, dass jedenfalls Teile der unter dem Begriff „Allgemeines Imagemarketing“ verstandenen Leistungen auch von anderen Anbietern auf dem Markt erbracht werden könnten, beispielsweise durch Marketingagenturen und sonstige Dienstleister, welche die Touristen vor Ort beraten, über verschiedene Möglichkeiten der Urlaubs- und Freizeitgestaltung informieren und spezifische Leistungen erbringen. Insofern besteht weiterhin eine gewisse Rechtsunsicherheit und ein Risikopotenzial für öffentliche Tourismusorganisationen. Gleichwohl ist dieser Ansatz aus Sicht der öffentlichen Tourismusorganisationen hilfreich und führt zu einem sehr weiten Bereich von Leistungen, die bereits auf der Ebene des Unternehmens-Begriffs vom Beihilfenverbot ausgenommen werden.

28  Schreiben des BMWi vom 18. 05. 2017 an den Verteiler EA6 (Bund, Länder, kommunale Spitzenverbände) mit dem Titel „Finanzierung öffentlicher Tourismusorganisationen und EU-Beihilferecht“.

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Als (rein) „wirtschaftliche“ Tätigkeiten verbleiben allerdings in jedem Fall Leistungen wie – Ticketverkauf, – Buchungsservice, – entgeltliche Vermittlung von Angeboten Dritter, – Verkauf von Reiseliteratur und Souvenirs, – Radverleih, – Verkauf von Übernachtungen und Reisen, – Werbedienstleistungen für Dritte etc.29

Das BMWi stellt in seinem Rundschreiben weiter dar, dass sich die Handlungsoptionen von Tourismusorganisationen durch diesen Ansatz deutlich erweitern. Setzt eine Tourismusorganisation eine „Trennungsrechnung“ zwischen dem nicht-wirtschaftlichen Bereich einerseits und dem wirtschaftlichen Bereich andererseits um und ordnet die jeweiligen Einnahmen und Ausgaben diesen Tätigkeiten sachgerecht zu (einschließlich einer hinreichenden Aufschlüsselung der Gemeinkosten), so können die verbleibenden wirtschaftlichen Tätigkeiten, die grundsätzlich dem Beihilfenverbot unterliegen, möglicherweise über die „De-minimis“-Verordnung erfasst werden, sofern der jeweilige Schwellenwert nicht überschritten ist.30 Interessanterweise wird der in dem BMWi-Schreiben dargestellte Ansatz der Europäischen Kommission auch von der EFTA-Überwachungsbehörde in einer Entscheidung vom 4. November 2015, die erst im Juni 2017 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, geteilt.31 In dieser Entscheidung führt die EFTA-Überwachungsbehörde im Wesentlichen Folgendes aus: – Die allgemeine Förderung des Tourismus (in Norwegen) in Form des Marketings und der Bewerbung allgemeiner Inhalte zu Norwegen, allgemeiner Informationen zu den Nordlichtern, zum Wetter oder zu geographischen Merkmalen des Landes ist keine wirtschaftliche Tätigkeit.32 – Die Zurverfügungstellung spezifischer touristischer Inhalte, etwa die Bewerbung von Hotels, Restaurants oder anderer Unternehmen ist dagegen eine wirtschaftliche Tätigkeit (auch wenn damit „Wirtschaftsförderung“ betrieben werden soll).33 29  Vgl. Stellungnahme des Ministeriums für Justiz und für Europa Baden-Württemberg vom 26. 09. 2016, LT-Drucks. 16/640, S. 3. 30  Vgl. BMWi-Schreiben (o. Fn. 28). 31 EFTA-Überwachungsbehörde, Entsch. v. 04.  11. 2015, Nr. 469/15/COL, ABl. EU 2017 L 166/58. 32  EFTA-Überwachungsbehörde (vgl. o. Fn. 31), Rn. 94. 33  EFTA-Überwachungsbehörde (vgl. o. Fn. 31), Rn. 94.

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– Erforderlich für die Abgrenzung zwischen nicht-wirtschaftlichen und wirtschaftlichen Tätigkeiten ist eine Trennungsrechnung durch ein geeignetes Kostenrechnungssystem mit Ausweisung der Kosten und Erlöse entsprechend der unterschiedlichen Dienstleistungen.34 Diese Entscheidung der EFTA-Überwachungsbehörde und die Ausführungen im BMWi-Schreiben vom 18. Mai 2017 bieten somit – vorbehaltlich abweichender Entwicklungen in der Entscheidungspraxis der europäischen und der nationalen Gerichte – hinreichende Entscheidungsgrundlagen für die Einordnung verschiedener Leistungen von Tourismusorganisationen als nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten, auf die in der Praxis zurückgegriffen werden kann und mit denen man auch in vielen Fällen zu sachgerechten Ergebnissen gelangen kann. 2. Beauftragung öffentlicher Tourismusorganisationen auf der Grundlage marktüblicher Konditionen In dem BMWi-Schreiben nicht gesondert angesprochen wird eine weitere beihilfenrechtskonforme Handlungsoption, nämlich die Beauftragung öffentlicher Tourismusorganisationen auf der Grundlage marktüblicher Konditionen.35 In diesem Fall wäre zwar ein Tätigwerden als „Unternehmen“ möglicherweise zu bejahen. Allerdings würde ein möglicher „Vorteil“ (im Sinne einer Begünstigung) für die öffentliche Tourismusorganisation entfallen, vorausgesetzt, eine entsprechende Beauftragung wäre vergaberechtlich möglich. Hauptproblem in diesem Fall ist die Führung des Nachweises, dass die Konditionen tatsächlich marktüblich sind. Ein solcher Nachweis kann am besten auf der Grundlage eines durchgeführten wettbewerblichen Verfahrens (Ausschreibung) oder auf der Grundlage eines Benchmarkings oder anderer Vergleichsmethoden geführt werden.36 3. Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels Im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „Zwischenstaatlichkeit“ wird in dem BMWi-Schreiben ausgeführt: „In vielen anderen Fällen könnte zudem – dies stellt eine deutliche Abkehr von früheren Aussagen für den Tourismusbereich dar – davon ausgegangen werden, dass diese nicht geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.“37 Damit knüpft die Europäische Kommission auch für Tourismusorganisationen an ihre gewandelte Entscheidungspraxis im Hinblick auf dieses Tatbestandsmerkmal an. 34 

EFTA-Überwachungsbehörde (vgl. o. Fn. 31), Rn. 123 ff., insbes. Rn. 130 – 132. Stellungnahme des Ministeriums für Justiz und für Europa Baden-Württemberg vom 26. 09. 2016, LT-Drucks. 16/640, S. 4. 36  Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe (o. Fn. 9), Rn. 89 ff., 98 ff. 37  Vgl. BMWi-Schreiben (vgl. o. Fn. 28). 35  Vgl.

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Solange die europäischen Gerichte diese gewandelte Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission nicht wieder korrigieren,38 ist es somit auch für öffentliche Tourismusorganisationen möglich, zu argumentieren, dass finanzielle Maßnahmen ihrer Gesellschafter nicht geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen. Insoweit ist eine bloße Behauptung der fehlenden Zwischenstaatlichkeit allerdings nicht ausreichend. Vielmehr ist zu prüfen, ob der Empfänger der staatlichen Mittel seine Waren oder Dienstleistungen nur in einem geographisch begrenzten Gebiet in einem einzigen Mitgliedstaat anbietet und er wahrscheinlich keine anderen Kunden aus anderen Mitgliedstaaten anzieht (nutzerbezogene Betrachtung) und weiter, ob die Maßnahme keine – oder höchstens marginale – vorhersehbaren Auswirkungen auf grenzüberschreitende Investitionen in dem Sektor bzw. die Gründung von Unternehmen im EU-Binnenmarkt hat (anbieterbezogene Betrachtung). Wesentlich ist dabei in jedem Fall eine sorgfältige Dokumentation der Prüfung dieser beiden Kriterien, etwa durch eine Analyse des Einzugsgebiets o.ä.39 Für den Bereich der öffentlichen Tourismusorganisationen ist dabei insbesondere zu prüfen, wie erfolgreich das „Auslandsmarketing“ ist, d.h. ob und in welchem Umfang es zu Buchungen ausländischer Gäste kommt. Dabei ist weiter zu prüfen, worauf diese Buchungen ausländischer Gäste zurück zu führen sind, insbesondere ob diese auf Angebote ausländischer Leistungsträger zurückgreifen, die in Deutschland investiert haben, oder auf Angebote inländischer Leistungsträger. Dies verdeutlicht, dass die beihilfenrechtliche Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Zwischenstaatlichkeit gerade bei Tourismusorganisationen weiterhin ein gewisses Spannungsverhältnis bzw. Konfliktpotential birgt: Tourismusorganisationen sind per se darauf ausgerichtet, möglichst viele Besucher aus anderen Regionen und Mitgliedstaaten der Europäischen Union in das jeweilige Gebiet anzuziehen, das von der jeweiligen Tourismusorganisation betreut wird. Die Ausführungen in dem BMWi-Schreiben stellen insoweit für Tourismusorganisationen zwar eine positive Momentaufnahme dar. Ob insoweit allerdings das „letzte Wort“ bereits gesprochen ist, ist vor dem Hintergrund des anhängigen Verfahrens vor dem EuG fraglich.

38  Zwischenzeitlich ist auch in einem der Verfahren, bei denen die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Pressemitteilung vom 21. September 2016 (IP/16/3141) dargestellt hat, dass es an der Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels fehlt, ein Verfahren vor dem EuG anhängig, vgl. EuG, Rs. T-813/16 (Abes/Kommission). 39  Vgl. etwa OLG Stuttgart, Urt. v. 22. 03. 2017, 2 U 11/14 (Kreiskliniken Calw).

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IV. Betrauung von Tourismusorganisationen als weitere Option Wie bereits ausgeführt, sind viele öffentliche Tourismusorganisationen in den vergangenen Jahren mit der Erbringung von DAWI im Tourismusbereich betraut worden. DAWI sind marktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden. Dabei kommt den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen zu. Letztlich handelt es sich bei DAWI um Leistungen, die von privaten Anbietern auf dem Markt entweder gar nicht oder jedenfalls nicht so (d.h. zu anderen wirtschaftlichen Konditionen) wie von dem „betrauten“ Unternehmen angeboten und erbracht werden (Fälle des Marktversagens).40 Dem betrauten Unternehmen muss eine über die Tätigkeit anderer Unternehmen hinausgehende besondere Aufgabe übertragen werden, die ohne die Gewährung eines finanziellen Ausgleichs nicht erfüllt würde. Die besondere Aufgabe muss sie von der Tätigkeit der ohne diese Unterstützung am Markt tätigen Unternehmen unterscheiden.41 Damit ist grundsätzlich eine Einzelfallprüfung erforderlich, ob Leistungen als DAWI eingeordnet werden können oder nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Europäische Kommission den DAWI-Begriff generell zunehmend restriktiv einordnet.42 Im BMWi-Schreiben wird ausgeführt, dass die Europäische Kommission im Hinblick auf eine mögliche Betrauung von ihren früheren, kategorisch ablehnenden Aussagen abgekehrt sei. Wörtlich heißt es: „Es seien, wenngleich in engen Grenzen und im Einzelfall zu prüfen, grundsätzlich auch Finanzierungen auf Grundlage der DAWI-Regelungen (also insb. des DAWI-Beschlusses und der DAWI-De-minimis-Verordnung) denkbar.“43 Eine Betrauung ist somit nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Offen bleibt allerdings, in welchen Fallkonstellationen eine Betrauung im Ergebnis realistischerweise in Betracht kommt. Denkbar und weitgehend rechtssicher umsetzbar wäre dies beispielsweise bei der Förderung von Jugendherbergen und -gästehäusern. Andere Fallkonstellationen bleiben hingegen unklar. Festzuhalten ist jedenfalls, dass eine „generelle“ (d.h. flächendeckende) Betrauung öffentlicher Tourismusorganisationen aus Sicht der Europäischen Kommission nicht mög-

40  Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Beihilfevorschriften der Europäischen Union auf Ausgleichsleistungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, ABl. EU 2012 C 8/4, Rn. 47 f. 41  BGH, Urt. v. 24. 03. 2016, Az. I ZR 263/14, Rn. 41 (Kreiskliniken Calw). 42  Vgl. das laufende Verfahren KOM, SA.44264 (2016/MX) – Beihilfe im Bereich der Wirtschaftsförderung. 43  Vgl. BMWi-Schreiben (vgl. o. Fn. 28).

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lich ist, sondern dass eine restriktive Handhabung einer Betrauung von öffentlichen Tourismusorganisationen im Einzelfall angezeigt ist. Zudem hat die Umsetzung des neuen Ansatzes der Europäischen Kommission im Hinblick auf die Auslegung verschiedener Tätigkeiten als wirtschaftlich bzw. nicht-wirtschaftlich zur Folge, dass für eine Betrauung in vielen Fällen kein Raum bleibt, wenn die entsprechenden Leistungen zuvor bereits als nicht-wirtschaftlich eingeordnet werden. Da rein wirtschaftliche Tätigkeiten nicht Gegenstand eines Betrauungsakts sein können, sondern über eine Trennungsrechnung getrennt von den DAWI erfasst und behandelt werden müssen, führt der Ansatz der Europäischen Kommission dazu, dass für den Freistellungsbeschluss faktisch nur ein geringer oder gar kein Anwendungsbereich verbleibt. Denkbar wäre es allerdings, vorsorglich eine Betrauung einer öffentlichen Tourismusorganisation vorzunehmen für den Fall, dass der neue Ansatz der Europäischen Kommission, wie er im BMWi-Schreiben dargestellt wird, durch die Rechtsprechung nicht bestätigt werden sollte.

V.  Weitere Entwicklungen Die Europäische Kommission und das BMWi machten den Akteuren auf Seiten öffentlicher Tourismusorganisationen gewisse Hoffnungen auf weitergehende Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Diese Hoffnungen haben sich zwischenzeitlich allerdings zerschlagen: Die Europäische Kommission hatte im Herbst 2017 zwar – wie angekündigt – einen ersten Entwurf für ein sog. „Working paper“ („paper on tourism“) für die beihilfenrechtliche Behandlung öffentlicher Tourismusorganisationen erarbeitet und den verschiedenen Mitgliedstaaten zur Konsultation zugeleitet.44 Am 6. Oktober 2017 fand auch eine erste Diskussion des Entwurfs dieses Arbeitsdokumentes in der SAM-Arbeitsgruppe mit den einzelnen Mitgliedstaaten statt. Der vorgelegte Entwurf war allerdings offenbar innerhalb der Europäischen Kommission nicht hinreichend abgestimmt. Eine Rückfrage beim BMWi hat ergeben, dass das „Working paper“ im Entwurfsstadium verbleiben und jedenfalls einstweilen keine weitere Diskussion der beihilfenrechtlichen Aspekte der Förderung öffentlicher Tourismusorganisationen auf europäischer Ebene mehr erfolgen wird. Damit ist die weitere Diskussion des Arbeitsdokuments und eine mögliche Verabschiedung eines „Handlungsleitfadens“ für die Praxis gescheitert. Dies bedeutet, dass es – jedenfalls zunächst – keine weitere Klarstellung oder Handlungsleitlinie unmittelbar von der Europäischen Kommission für den Bereich öffentlicher Tourismusorganisationen geben wird. 44 

Dieses „working paper“ ist nicht veröffentlicht.

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VI.  Fazit und Ausblick Der neue Ansatz der Europäischen Kommission und die Hinweise des BMWi führen im Ergebnis zu klaren Handlungsanweisungen und deutlich größeren Argumentations- und Handlungsmöglichkeiten für öffentliche Tourismusorganisationen, die auch in der Praxis umsetzbar sind. Allerdings besteht weiterhin Rechtsunsicherheit, da es keine verbindlichen „Aussagen“ der Europäischen Kommission zu diesem Thema gibt und viele Fragen weiterhin ungeklärt sind. Damit besteht das Risiko abweichender Entscheidungen der europäischen Gerichte und auch eines erneuten Wandels in der Beurteilung der Finanzierung der öffentlichen Tourismusorganisationen durch die Europäische Kommission in der Zukunft. Es mag in vielen Fällen unbefriedigend sein, dass sich öffentliche Tourismus­ organisationen auf die in dem BMWi-Schreiben enthaltenen Inhalte und Handlungsoptionen verlassen müssen, ohne eine ausdrückliche Handreichung unmittelbar von der Europäischen Kommission zu erhalten, die für die Auslegung des Beihilfentatbestands ausschließlich zuständig ist. Eine weitergehende Klärung ist allerdings mit den zur Verfügung stehenden Mitteln für die meisten Tourismusorganisationen nicht möglich. Eine Betrauung mag im Einzelfall – wie bereits dargestellt – weiterhin eine Option darstellen, um die Rechtssicherheit für öffentliche Tourismusorganisationen zu erhöhen. Dies gilt insbesondere bei bekannten Regionen und größeren Tourismusorganisationen.

EU-beihilfenrechtliche Risiken der Auslastung kommunaler Infrastrukturen Carsten Jennert und Robert Böttner EU-beihilfenrechtliche Risiken der Auslastung kommunaler Infrastrukturen

I.  Zielsetzungen des Beihilfenrechts Als eine der Zielstellungen der Europäischen Union wird die Errichtung eines Binnenmarktes genannt (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV), der nach dem – gleichsam primärrechtlich verbindlichen – Protokoll Nr. 27 ein System umfasst, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt. Erreicht werden soll dies unter anderem durch die Wettbewerbsregeln der Art. 101 ff. AEUV, die neben den Grundfreiheiten eine Säule des Binnenmarktrechts bilden1 und wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen von Unternehmen oder Mitgliedstaaten entgegenwirken sollen. So wird denn auch anhand der Art. 107 – 109 AEUV über staatliche Beihilfen geprüft, ob finanzielle Zuwendungen der öffentlichen Hand mit dem Binnenmarkt vereinbar sind. Die klassische ratio legis des europäischen Beihilfenrechts war bislang ausschließlich der Schutz des unverfälschten Wettbewerbs. In dieser Konstellation haben die Beihilfenregeln einen subjektiv-drittschützenden Charakter.2 Die Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre hat indes das wirtschaftliche und politische Umfeld verändert. Dies gefährdet die Integrität des Binnenmarktes und erhöht das Risiko wettbewerbsverfälschender Maßnahmen, weil die Mitgliedstaaten geneigt sein können, zur Förderung der wirtschaftlichen Erholung stärker in das Marktgeschehen einzugreifen. Gleichzeitig stellen die wirtschaftlichen und finanziellen Turbulenzen die Mitgliedstaaten unter den Zwang der haushaltspolitischen Konsolidierung und des effizienteren Einsatzes öffentlicher Mittel.3 Die Europäische Kommission trug dieser Situation bei der Modernisierung des Beihilfenrechts Rechnung,4 indem sie die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und die Erhöhung der Effizienz der öffentlichen Ausga1  H.-J. Blanke/R. Böttner, Binnenmarkt, Rechtsangleichung, Grundfreiheiten, in: Niedobitek (Hrsg.), Europarecht, Bd. 2: Politiken der Union, 2014, Rn. 269. 2  So z. B. BGH, EuZW 2003, S. 444 (445). 3 So die Feststellung der Europäischen Kommission, s. COM (2012) 209 final v. 8. 5. 2012, Rn.  3. 4  Mitteilung der Kommission zur Modernisierung des Beihilfenrechts, COM (2012) 209 final.

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ben als weitere Aufgaben des Beihilfenrechts postulierte. Damit fand neben dem subjektiv-drittschützenden Ziel eines unverfälschten Wettbewerbs erstmals eine objektiv-regulierende Zielsetzung Eingang in das Beihilfenrecht. Damit stehen sich nunmehr zwei Zielkomplexe mit unterschiedlicher Stoßrichtung gegenüber. Es nimmt nicht wunder, dass darin auch Potenzial für Zielkonflikte liegt. Deutlich wird dies bei der Nutzung öffentlicher Infrastrukturen und Daseinsvorsorgeleistungen und der Antwort auf die Frage, wie mit den Kosten umzugehen ist, die aus Leerkapazitäten solcher Infrastrukturen entstehen. Konkret geht es darum, wie die Kosten für kommunale Infrastrukturen (etwa Abfallentsorgungsanlagen oder Kongresszentren) beihilfenrechtskonform verteilt werden können, wenn dort – etwa aufgrund erforderlicher Kapazitätsreserven oder von Fehlplanungen – mehr Kapazitäten bestehen, als für die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe in der Regel benötigt werden.

II.  Infrastrukturen und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Aufgrund des unterschiedlichen gesetzlichen Regelungsrahmens sind dabei drei Konstellationen zu unterscheiden: Zum einen gibt es Infrastrukturen, die keine Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse darstellen. Dies gilt – nach Auffassung der Kommission – etwa für Flughäfen oder für Seehäfen. Zum anderen gibt es eine Reihe von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, für die keine oder nur eine geringe Infrastruktur, etwa Büro oder Personal, benötigt wird. Dazu zählen beispielsweise Schuldnerberatungen oder Basisbankdienstleistungen. Schließlich gibt es eine dritte Gruppe von Dienstleistungen, die sowohl eine Infrastruktur als auch Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse darstellen. In diese Gruppe fällt etwa die Abfallbeseitigung. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sind wirtschaftliche Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erforderlich sind, zumeist aber nicht wirtschaftlich erbracht werden können und deshalb von privaten Anbietern nicht oder jedenfalls nicht in der erwünschten Art und Weise bereitgestellt werden (Marktversagen).5 Unter einer Infrastruktur versteht man gemein-

5  Vgl. Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Beihilfevorschriften der Europäischen Union auf Ausgleichsleistungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, ABl. 2012 C 8/4 („DawI-Mitteilung“), Rn. 45 ff.; Leitfaden zur Anwendung der Vorschriften der Europäischen Union über staatliche Beihilfen, öffentliche Aufträge und den Binnenmarkt auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, SWD(2013) 53 final/2 („DawI-Leitfaden“), Ziff. 2.

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hin den notwendigen wirtschaftlichen und/oder organisatorischen Unterbau als Voraussetzung für die Versorgung eines bestimmten Gebiets.6 Wichtig ist die Unterscheidung deshalb, weil (nur) für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ein spezieller, privilegierender Rechtsrahmen gilt. Nach Art. 106 Abs. 2 AEUV – der systematisch zwar außerhalb des Abschnitts über staatliche Beihilfen (Art. 107 – 109 AEUV) liegt, als Teil des Wettbewerbsrechts auf diesen aber angewendet wird – gelten für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, die Vorschriften der Verträge (insbesondere die Wettbewerbsregeln) nämlich nur insoweit, als die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Diese vergleichsweise abstrakte Regelung hat die Kommission auf der Grundlage von Art. 106 Abs. 3 AEUV durch das sog. Almunia-Paket konkretisiert. Nach dem DawI-Freistellungsbeschluss7 als wichtigstem Regelungsakt dieses Almunia-Pakets gelten staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar und sind von der Pflicht zur vorherigen Anmeldung und Genehmigung gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV befreit, wenn die Erbringung dem entsprechenden Unternehmen mit einem Betrauungsakt übertragen wurde (Art. 4) und die Höhe der Ausgleichszahlungen 15 Mio Euro pro Jahr nicht überschreitet (Art. 2 Abs. 1 lit. a). Der Höhe nach unbegrenzt gilt dies sogar unter anderem für medizinische und soziale Dienstleistungen (Art. 2 Abs. 1 lit. b und c). Für andere Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gelten erleichterte Genehmigungsbedingungen unter dem DawI-Rahmen.8 Für Infrastrukturen (etwa Flughäfen oder Seehäfen9), die nicht zugleich DawI sind, kommt dagegen (nur) eine Freistellung nach den Vorschriften der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung10

6 www.duden.de/rechtschreibung/infrastruktur. 7  Beschluss der Kommission 2012/21/EU v. 20. 12. 2011 über die Anwendung von Artikel 106 Absatz 2 [AEUV] auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zugunsten bestimmter Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, ABl. 2012 L 7/3 („Dawi-Beschluss“). 8  Mitteilung der Kommission, Rahmen der Europäischen Union für staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen (2011), ABl. 2012 C 8/15 („DawI-Rahmen“). 9  Zu den Seehäfen s. C. Jennert/S. Eitner, EU-Beihilferecht und Seehafeninfrastruktur, EuZW 2013, S. 414 und S. Eitner/C. Jennert, Seehafenkonzessionen und Hafennutzungsgebühren im Lichte des EU-Beihilferechts, EuZW 2014, S. 172. 10  Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission v. 17. 6. 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV], ABl. 2014 L 187/1 i.d.F. der Verordnung (EU) 2017/1084 der Kommission v. 14. 6. 2017, ABl. 2017 L 156/1.

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(Art. 56a – 56c) oder eine Genehmigung nach den entsprechenden Leitlinien11 in Betracht.12

III.  Problemstellung: Finanzierung der Leerkosten und Überkapazitäten von Infrastrukturen Eine Problemstellung bei der Finanzierung von Leerkosten von Infrastrukturen ergibt sich nur dann, wenn diese Finanzierung den Beihilfentatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt. Dies ist nicht der Fall, wenn es sich um einen rein lokalen Sachverhalt handelt, also der Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt wird und somit keine Wettbewerbsverfälschung zu befürchten ist.13 Aufgrund der fehlenden Tatbestandsmäßigkeit ist es dann auch irrelevant, ob die entsprechenden staatlichen Zahlungen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gewährt werden. Im Bereich der DawI zählen dazu etwa Schwimmbäder,14 örtliche Krankenhäuser,15 örtliche Museen16 oder lokale Kulturveranstaltungen,17 bei denen jeweils die Wahrscheinlichkeit einer überregionalen Nutzung sehr gering ist. Keine Beihilfen im Sinne des Artikels 107 AEUV sind darüber hinaus solche Zuschüsse, die unter die sog. Dawi-Deminimis-Verordnung der Kommission fallen (max. 500.000 € in drei Steuerjahren).18 Keine staatlichen Beihilfen stellen darüber hinaus solche Ausgleichsleistungen für öffentliche Dienstleistungen dar, die mit den vom EuGH in der Rechtssache Altmark Trans19 aufgestellten Voraussetzungen übereinstimmen. Liegt tatbestandlich eine Beihilfe vor, ist diese unter gewissen Voraussetzungen aus dem 11 Mitteilung der Kommission, Leitlinien für staatliche Beihilfe für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften, ABl. 2014 C 99/3 („Flughafen-Leitlinien“). 12  s. dazu auch R. van der Hout, Von Flughäfen, Freizeitbädern und Fußballstadien – Europäische. Beihilfenkontrolle als Ersatzstrukturpolitik, ZEuS 2015, S. 391. 13 DawI-Mitteilung, Rn. 37 ff.; s. dazu etwa Beschluss der Kommission SA.36105 (2013/N) v. 2. 10. 2013, Fußballstadion Chemnitz, C(2013) 5839 final. 14  Entscheidung der Kommission N 258/00, Freizeitbad Dorsten, ABl. 2001 C 172/16. 15  Entscheidung der Kommission N 543/01, Steuerliche Abschreibung für Krankenhäuser (Irland), ABl. 2002 C 154/4. 16  Entscheidung der Kommission N 630/03, Unterstützung für örtliche Museen in Sardinien, ABl. 2005 C 275/3. 17 Entscheidung der Kommission N 257/07, Zuschüsse für Theaterproduktionen im Baskenland, ABl. 2007 C 173/2. 18  Verordnung (EU) Nr. 360/2012 der Kommission vom 25. April 2012 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] auf De-minimis-Beihilfen an Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen, ABl. 2012 L 114/8. 19  EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), ECLI:EU:C:2003:415, Rn. 87 – 93.

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DawI-Beschluss dennoch mit dem Binnenmarkt vereinbar (und somit anmeldefrei) oder kann unter dem DawI-Rahmen nach Anmeldung als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden. Wie die Kommission allerdings selbst anerkennt, hat der Staat ein berechtigtes Interesse daran, im Sinne der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte den staatlichen Zuschuss so gering wie möglich zu halten. Dabei bietet es sich an, Überkapazitäten bei zur Erbringung von Diensten der kommunalen Daseinsvorsorge bestehenden Infrastrukturen durch Dritte gewerblich nutzen zu lassen, um dadurch zusätzliche Einnahmen zu generieren und so den Verlustausgleich oder die Gebührenhöhe zu reduzieren. Bei einer solchen zusätzlichen Vermarktung handelt es sich dann allerdings nicht mehr um Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Gemäß Art. 5 Abs. 9 des DawI-Beschlusses muss ein Unternehmen in diesen Fällen in seiner Buchführung die Kosten und Einnahmen in Verbindung mit der Erbringung der betreffenden Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse von allen anderen Tätigkeiten getrennt ausweisen (Gebot der Trennungsrechnung20). Außerdem ist anzugeben, nach welchen Parametern die Zuordnung der Kosten und Einnahmen erfolgt. Als Kosten, die nicht der Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zugerechnet werden können, gelten alle unmittelbaren Kosten sowie insbesondere auch ein angemessener Beitrag zu den Gemeinkosten und eine angemessene Kapitalrendite. Für die Kosten dieser sonstigen, kommerziellen Tätigkeiten darf kein Ausgleich gewährt werden. Eine Quersubventionierung durch öffentliche Mittel der nicht zu den DawI gehörenden Tätigkeiten darf also nicht erfolgen.21 Die Problemstellung, die sich hieraus ergibt, liegt darin, dass bei der Ermittlung der Preise, zu denen kommerzielle Tätigkeiten vermarktet werden dürfen, die Gemeinkosten, zu denen insbesondere auch die Fixkosten der Infrastruktur wie Abschreibungen zählen, sowie eine angemessene Kapitalrendite zu berücksichtigen sind. Dies führt häufig zu Preisen, zu denen die jeweilige Tätigkeit am Markt nicht absetzbar ist. Im Ergebnis würde das Beihilfenrecht somit die Vermarktung von Leistungen oberhalb der variablen Kosten aber unterhalb der Vollkosten (= Erwirtschaftung von Deckungsbeiträgen) zu Gunsten des unverfälschten Wettbewerbs verbieten und so eine entsprechende Entlastung der öffentlichen Haushalte und der Gebühren- bzw. Steuerzahler verhindern. Die folgenden Beispiele sollen diese Problemlage verdeutlichen:

20 

s. dazu auch § 3 TranspRLG v. 16. 8. 2001, BGBl. I S. 2141. s. dazu auch A. Bartosch, EU-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2016, Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 56 f. 21 

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• Beispiel 1: Kommunale Abfallbehandlungsanlagen Eine Kommune betraut eine Gesellschaft per Betrauungsbeschluss mit der DawI-Aufgabe „Verwertung des kommunalen Abfalls“. Die MüllverwertungsGmbH („MVG GmbH“) verwertet den in der Kommune anfallenden Abfall der Einwohner, die zur Überlassung bzw. Entsorgung verpflichtet sind, in ihren Anlagen zur Abfallbehandlung bzw. Abfallverbrennung (ABA/AVA). Die Einwohner zahlen dafür Entsorgungsgebühren auf Grundlage des jeweiligen Kommunalabgabengesetzes. Die Verwertung des kommunalen Abfalls lastet die MVG GmbH nun aber lediglich zu 70 % aus. Die verbleibenden freien Verwertungs-Kapazitäten können auf einer Fehlplanung bei der Errichtung der Anlage beruhen (echte Überkapazität) oder sich erst im Laufe der Zeit ergeben, etwa durch einen Rückgang der Abfallmenge infolge gesetzlicher Regulierung (unechte Überkapazität). Die Kommune hat nun – vorbehaltlich gebührenrechtlicher Vorgaben22 – die Wahl, die Überkapazitäten ungenutzt bestehen zu lassen und die entsprechenden Leerkosten entweder aus dem Gebührenhaushalt über eine Anhebung der Abfallgebühren oder über einen Verlustausgleich zugunsten der MVG GmbH aus dem kommunalen Haushalt zu finanzieren. In beiden Fällen tragen letztlich die Bürger die Kosten der ungenutzten Kapazität. Alternativ kann die MVG GmbH die überschüssigen Kapazitäten vermarkten und an Drittkunden, etwa gewerbliche Abfallbesitzer (sogar aus dem Ausland), verkaufen und die Einnahmen in den Gebührenhaushalt einstellen. Dabei stellt sich mit Blick auf das oben erläuterte Verbot der Quersubventionierung kommerzieller Tätigkeiten die Frage, zu welchen Preisen diese Kapazitäten vermarktet werden dürfen, also konkret, ob dies nur zu Vollkosten oder auch lediglich zu anteiligen Gemeinkosten und Kapitalrenditen (Deckungsbeiträgen) zulässig ist. • Beispiel 2: Kommunales Kongresszentrum Als weitere Illustration kann der Betrieb eines kommunalen Kongresszentrums dienen. Hier stellt sich zunächst die Frage, ob die angebotenen Dienstleistungen überhaupt Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und damit zuschussfähig sind. Voraussetzung dafür23 ist einerseits ein öffentliches Interesse, wozu der EuGH auch Aspekte der Wirtschaftsförderung und der Verbraucherinformation zählt24, sowie ein Marktversagen für die konkrete 22 

Aufgrund einer echten Überkapazität entstandene Leerkosten sind nicht gebührenfähig, weil der Umfang solcher Kosten durch den kommunalabgaberechtlichen Grundsatz der Erforderlichkeit begrenzt ist. Siehe etwa VGH Mannheim, Urteil v. 22. 10. 1998, Az. 2 S 399/97 = VBlBW 1999, S. 219; OVG Lüneburg, Urteil v. 20. 01. 2000, Az. 9 K 2148/99 = NVwZ-RR 2001, S. 124; VG Gießen, Urteil v. 27. 09. 2012, Az. 8 K 554/11.GI = DVBl. 2013, 63. s. demgegenüber VG Göttingen, Urteil v. 23. 02. 2011, Az. 3 A 170/09 – juris; OVG Lüneburg, Urteil v. 08. 08. 1990, Az. 9 L 182/89 = DÖV 1991, S. 338. 23  Siehe EuG, Rs. T289/03 (BUPA), ECLI:EU:T:2008:29; DawI-Mitteilung, Rn. 46, 50.

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Veranstaltung, weil es im Einzugsbereich kein privates, in Raumgröße, technischer Ausstattung und dergleichen vergleichbares Angebot25 gibt. Werden in der Kongresshalle nur Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbracht, also Veranstaltungen, für die kein privates Raumangebot – etwa in Hotels – existiert, so geschieht dies häufig nicht kostendeckend und es entsteht ein Zuschussbedarf in bestimmter Höhe. Die Gründe für die fehlende Kostendeckung sind vielfältig: Infolge des Überangebots an öffentlichen Kongressund Veranstaltungszentren können Veranstaltungen häufig nur noch über nicht kostendeckende Preise akquiriert werden. Hinzu kommen häufig eine zu geringe Auslastung infolge regionaler Gegebenheiten, Fehler in der Bedarfsplanung (Überdimensionierung, fehlende kleinere Räume für Workshop-Konzepte) sowie schlicht der Umstand, dass der Bau für die Abhaltung einer geringen Zahl großer, aber erforderlicher Veranstaltungen der örtlichen Gemeinschaft notwendig geworden war, gerade weil für derlei Veranstaltungen kein privates Raumangebot existiert. Nun bleibt es wiederum der Kommune überlassen, sich auf die Erbringung von Diensten der kommunalen Daseinsvorsorge zu beschränken und den anfallenden Zuschussbedarf aus dem Haushalt beizusteuern. Sie kann die Kongresshalle aber auch zu Preisen unterhalb der Vollkosten vermieten und mit den so erwirtschafteten Deckungsbeiträgen den öffentlichen Haushalt entlasten, weil der Zuschussbedarf geringer ausfällt. 24

Beide Szenarien, insbesondere das letzte, verdeutlichen den Kern des Problems: Die staatliche Seite tritt durch eine mit öffentlichen Geldern gebaute und finanzierte Infrastruktur in den Wettbewerb mit privaten Anbietern und berechnet dabei Preise, die deutlich unter dem liegen, die der private Anbieter berechnen muss, weil dieser seine vollen Kosten auf seine Preise umlegen muss. Das zugrundeliegende beihilfenrechtlich relevante Problem ist dabei, ob durch die Höhe der geforderten Entgelte oder Gebühren dem Unternehmen ein (selektiver) wirtschaftlicher Vorteil zukommt. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind vom Begriff des „Vorteils“ nicht nur positive Leistungen wie z. B. Subventionen umfasst, sondern auch Maßnahmen, die die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat, und die somit den positiven Leistungen nach Art und Wirkung gleichstehen.26 24  EuGH, verb. Rs. C- 223/99 und C260/99 (Agorà und Excelsior), ECLI:EU:C:2001:259, Rn. 33 f.; GA Trstenjak, Schlussanträge v. 4. 6. 2009 in der Rs. C536/07 (Messe Köln), Rn. 81; GA Alber, Schlussanträge v. 11. 6. 2002 in der Rs. C18/01 (Korhonen), Rn. 53, 62, 88; für die deutsche Rechtsprechung: KG Berlin, Beschluss v. 27. 7. 2006, 2 Verg 5/06. 25 Siehe die – allerdings nicht nach dem DawI-Rahmen erlassene – Entscheidung SA.35606 der Kommission v. 17. 7. 2013, International Congress Centre in Katowice, Rn. 2, 17, 37. 26  EuGH, Rs. 30/59 (De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg), ECLI:EU:C:1961:2; Rs. C200/97 (Ecotrade/AFS), ECLI:EU:C:1998:579, Rn. 34; Rs. C6/97 (Italien/Kommission), ECLI:EU:C:1999:251, Rn. 15.

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Hier tritt der eben skizzierte Konflikt zutage, einerseits den Wettbewerb zu schützen und nicht mit subventionierten Infrastrukturen in den Wettbewerb zu treten, andererseits aber das gegenläufige Interesse der öffentlichen Hand, den anfallenden Verlustausgleich durch Vermarktung der freien Kapazitäten – ggf. auch zu nicht kostendeckenden Preisen – so gering wie möglich zu halten. Die sich nun stellende Frage ist, wie man beihilfenrechtlich mit dieser Problemlage umgehen soll, insbesondere, ob eine Vermarktung der freien Kapazitäten zu Vollkosten beihilfenrechtlich zwingend erforderlich ist oder ggf. eine Erwirtschaftung von Deckungsbeiträgen (inkrementelle Kosten) genügt.

IV. Lösungsansätze der Kommission für eine beihilfenrechtskonforme Finanzierung von Infrastruktur-Leerkosten 1. Lösungsansätze Aus den Bekanntmachungen und Entscheidungen der Kommission ergeben sich insgesamt fünf unterschiedliche Lösungsansätze:

• Eine Lösung wäre, dass eine Vermarktung von Überkapazitäten grundsätzlich nur zu Vollkosten stattfinden darf. Das bedeutet, dass die Preise, für die im privaten Bereich verkauft wird (Mieten, Verbrennungskapazität) die variablen Kosten, alle anteiligen Fixkosten zuzüglich eines dem unternehmerischen Risiko angemessenen Gewinnaufschlags enthalten müssen.27 Dies stellt den Idealfall dar und führt, wenn es umsetzbar ist, zu keinem beihilfenrechtlichen Konflikt.28 Von dieser Konstellation gehen auch Art. 5 Abs. 9 des DawI-Beschlusses und Art. 4 der Transparenz-Richtlinie29 aus. • Daneben wäre denkbar, dass die privatwirtschaftliche Tätigkeit der kommunalen Unternehmen lediglich eine Annextätigkeit zur nichtwirtschaftlichen Tätigkeit bzw. zu den Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse darstellt. Nach Ansicht der Kommission kann die Finanzierung einer gemischt genutzten Infrastruktur aus dem Anwendungsbereich der Beihilfenvorschriften herausfallen, wenn sie fast ausschließlich für eine nichtwirtschaftliche 27  Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 [AEUV], ABl. 2016 C 262/1, Rn. 86 ff. 28 s. dazu Entscheidung 1999/646/EG der Kommission v. 25. 11. 1998, InfraLeuna, K(1998) 3840; Entscheidung 2002/14/EG der Kommission v. 12. 7. 2000, Scott/KimberlyClark, K(2000) 2183; Eröffnungsbeschluss der Kommission v. 27. 10. 2010, Propapier, K(2010) 7262, Rn. 69. 29  Richtlinie 2006/111/EG der Kommission v. 16. 11. 2006 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen, ABl. 2006 L 318/17.

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Tätigkeit genutzt wird und die wirtschaftliche Nutzung unmittelbar mit dem Betrieb der Infrastruktur verbunden und dafür erforderlich ist oder in untrennbarem Zusammenhang mit der nichtwirtschaftlichen Haupttätigkeit steht. Die Kommission geht dabei von einem Anteil von höchstens 20% der jährlichen Gesamtkapazität der Infrastruktur aus.30 Indes ist diese Grenze bislang vom Europäischen Gerichtshof nicht bestätigt worden. Dies ist zwar grundsätzlich eine Lösung, in der Praxis liegt der Anteil der wirtschaftlichen Tätigkeit indes regelmäßig über der Grenze von 20%. • Die dritte Möglichkeit besteht in der Ausschreibung des Betriebs. Die entstehenden Kosten werden dann in das Betriebsführungsentgelt eingepreist. Auf der Ebene des Betriebs der Infrastruktur kommt man damit zwar zu einer marktwirtschaftlichen Lösung, weil aufgrund der Ausschreibung der Wettbewerbspreis angesetzt wird. Das kaschiert allerdings nur das Problem auf die dritte Ebene im Verhältnis zum Endkunden, weil die dort kalkulierten Defizite natürlich vorher in das Betriebsführungsentgelt eingepreist werden und somit letztlich doch wieder ein Zuschussbedarf aufseiten der Kommune entsteht. Für die Kommune sinkt aber zumindest der Zuschussbedarf, weil die Bieter infolge des Wettbewerbsdrucks sowohl auf der Umsatzseite (Akquisition von Abfall/Veranstaltungen) als auch auf der Kostenseite Optimierungspotentiale ausschöpfen werden. Zudem reduziert sich die wettbewerbsverfälschende Wirkung auf ein verhältnismäßiges und damit in der Regel genehmigungsfähiges Niveau, weil alle Unternehmen die Chance haben, den Auftrag zu erhalten und der Kostenausgleich bzw. die Beihilfe infolge des Ausschreibungsdrucks auf ein Minimum reduziert wird.31 • Weiterhin gibt es einen Ansatz der Kommission dahingehend, zu Referenzpreisen zu vermarkten. Dabei wird ermittelt, welche Preise oder Mieten für die Nutzung einer vergleichbaren Infrastruktur von vergleichbaren privaten Betreibern in einer vergleichbaren Lage verlangt werden (sog. Benchmarking).32 Wenn sich die für die Nutzung der kommunalen Infrastruktur verlangten Preise in diesem Bereich bewegen, kann von marktüblichen Preisen ausgegangen werden. Beihilfenrechtlich stellen sich dann ebenfalls keine Probleme. Diese Entscheidungspraxis ist vorrangig zu Fußballstadien und 30  Bekanntmachung zum Beihilfebegriff, Rn. 207. Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 lit. b DawIBeschluss. 31  Bekanntmachung zum Beihilfebegriff, Rn. 89 ff. S. dazu auch Beschluss der Kommission SA.35135 (2012/N) v. 20. 3. 2013, Multifunktionsarena Erfurt, C(2013) 1517 final; Beschluss der Kommission SA.35606 (2013/N) v. 17. 7. 2013, International Congress Centre Katowice, C(2013) 4413 final; Beschluss der Kommission SA.42545 (2015/N) v. 07. 04. 2017, Congress Center Hamburg, C(2017) 2202 final. 32 Vgl. Bekanntmachung zum Beihilfebegriff, Rn. 227; Flughafen-Leitlinien, Rn. 54 ff.

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Multifunk­tionshallen ergangen.33 Indes sind dies alle Genehmigungsentscheidungen, d. h. erforderlich ist auf jeden Fall ein Notifizierungsverfahren (Art. 107 Abs. 3 AEUV). Die Kommission erwähnt diese Option zwar in der Bekanntmachung zum Beihilfenbegriff,34 schränkt sie aber gleichzeitig dahingehend ein, dass Benchmarking unter Umständen keine geeignete Methode zur Ermittlung von Marktpreisen sei, wenn die verfügbaren Benchmarks nicht aus marktwirtschaftlichen Überlegungen heraus festgestellt wurden oder die bestehenden Preise durch staatliche Eingriffe erheblich verzerrt sind.35 Dies betrifft jedoch gerade subventionierte Märkte, wie etwa Flughäfen oder die Abfallentsorgung. • Schließlich gibt es die Alternative der Vermarktung auf Basis der sogenannten inkrementellen (variablen) Kosten auf Grundlage einer Ex-ante-Rentabilitätsanalyse.36 Das bedeutet, dass die Leistung zu Deckungsbeiträgen vermarktet wird, d. h. es erfolgt keine anteilige Umlage der vollen Fixkosten und keine Berücksichtigung einer Kapitalrendite, sondern lediglich der variablen Kosten sowie ggf. eines geringen Teils der Fixkosten, der nicht dem Anteil an der Erbringung der Leistung entspricht. Bei den inkrementellen Kosten existiert eine Infrastruktur als Ausgangslage. Nun wird ermittelt, welche Kosten ein zusätzlicher Kunde verursacht. In aller Regel sind dies nur die Personalkosten, gegebenenfalls Energiekosten, nicht jedoch die Fixkosten aus der Anlage, da diese ohnehin bestehen. Dies ermöglicht es, dass die Leistung am Markt zu noch attraktiveren Konditionen angeboten werden kann. Ein gegebenenfalls verbleibender Verlust muss von der Kommune dennoch ausgeglichen werden. Voraussetzung ist dabei stets, dass die Infrastruktur allen Nutzern offensteht. Unabhängig von der Umsetzbarkeit der einzelnen Finanzierungsmodelle bleibt festzuhalten, dass lediglich die Vermarktung zu Vollkosten beihilfenrechtlich unbedenklich ist. Nur diese Alternative erlaubt einen verlustfreien Betrieb der jeweiligen Infrastruktur, der vollständig durch eigene Einnahmen gedeckt ist. Alle anderen Optionen erfordern einen Ausgleich entstehender Verluste durch den öffentlichen Eigentümer der Infrastruktur und lösen somit einen beihilfenrechtlichen Rechtfertigungszwang aus.

33  s. Beschluss der Kommission SA.35135 (2012/N) v. 20. 3. 2013, Multifunktionsarena Erfurt, C(2013) 1517 final, Rn. 12; vgl. auch Beschluss der Kommission SA.36147 v. 1. 10. 2014, Propapier, C(2014) 6847 final, Rn. 174. 34  Bekanntmachung zum Beihilfebegriff, Rn. 98 ff. 35  Bekanntmachung zum Beihilfebegriff, Rn. 100. 36  Vgl. Bekanntmachung zum Beihilfebegriff, Rn. 228; Flughafen-Leitlinien, Rn. 61 ff.; s. auch Beschluss der Kommission SA.36147 v. 1. 10. 2014, Propapier, C(2014) 6847 final, Rn. 176 ff.

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2. Würdigung Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Kommission in ihrer Entscheidungspraxis im Wesentlichen drei dieser fünf Lösungsansätze akzeptiert: Eine Vermarktung zu Vollkosten, eine Vermarktung zu Referenzpreisen und eine Vermarktung zu inkrementellen Kosten. Im Eröffnungsbeschluss zu Propapier konstatierte die Kommission, dass zur Bestimmung der Kosten, die „ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat“, grundsätzlich mehrere Möglichkeiten bestehen: „Einbeziehung sämtlicher Kosten […]; Einbeziehung des Preises, den ein privater Anbieter […] in Rechnung stellen würde; Einbeziehung eines Referenzpreises, der üblicherweise […] erhoben wird“.37 Interessanterweise tauchen im konkreten Fall im abschließenden Beschluss nur noch zwei Möglichkeiten auf, nämlich der „Vergleich des […] gezahlten Preises mit einem Referenzpreis, der üblicherweise […] erhoben wird“ und „eine Ex-ante-Rentabilitätsanalyse, die zeigt, dass ein privater Anbieter Gebühren in derselben Höhe erhoben hätte“.38 Ohne weitere Begründung wird der Vollkostenansatz nicht mehr erwähnt. Nimmt man den Privatinvestorenansatz (private investor approach) ernst, wird man feststellen, dass ein privater Investor auf Dauer nicht anders operieren kann als unter Zugrundelegung der Vollkosten. Werden nur Deckungsbeiträge erwirtschaftet, droht früher oder später die Insolvenz. Dies ist aber anscheinend nicht das, was die Kommission meint. Vielmehr versteht sie unter der Ex-ante-Rentabilitätsanalyse, dass „bei Infrastrukturen, die allen Nutzern offen stehen, der Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers als erfüllt betrachtet werden [kann], wenn die Nutzer der Infrastruktur von einem Ex-ante-Standpunkt aus betrachtet inkrementell zur Rentabilität des Betreibers beitragen“.39 Mit anderen Worten geht die Kommission davon aus, dass es wirtschaftlichem Denken entspricht, wenn ein privatwirtschaftlicher Versorger bei Überkapazitäten dazu übergeht, seinen Überhang auch ohne vollständige Kostendeckung abzusetzen. Auch dies entspricht also – zumindest kurzfristig – der Ratio eines marktwirtschaftlich handelnden Wirtschaftsteilnehmers. Interessanterweise kommt die Kommission hier bei der Anwendung des Private-Investor-Grundsatzes zu unterschiedlichen Ergebnissen, indem sie unterschiedliche Ausgangsszenarien unterstellt – zum einen eine Situation, in der die Infrastruktur (und damit deren Fixkosten) noch nicht existiert, und zum anderen eine Situation, in der dies der Fall ist. In letzterem Fall führt die Kom37 Eröffnungsbeschluss der Kommission v. 27.  10. 2010, Propapier, K(2010) 7262, Rn. 68. 38  Beschluss der Kommission SA.36147 v. 1. 10. 2014, Propapier, C(2014) 6847 final, Rn. 173. 39  Beschluss der Kommission SA.36147 v. 1. 10. 2014, Propapier, C(2014) 6847 final, Rn. 176; s. auch Flughafen-Leitlinien, Rn. 63.

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mission also einen Private-Investor-Test unter den vorgegebenen Bedingungen durch. Spannend wird dieser Gegensatz im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Die Entscheidungsfreiheit, die die Kommission etwa in Propapier zugrunde gelegt hat, existiert hier nämlich gerade nicht. Hier gibt es einen gesetzlichen Rahmen, der vorschreibt, wie mit kommerziellen Leistungen umzugehen ist. Wie bereits oben erwähnt, besagt Art. 5 Abs. 9 des sog. DawI-Beschlusses, dass ein Unternehmen, welches auch andere als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ausübt, in seiner Buchführung die Kosten und Einnahmen in Verbindung mit der Erbringung der betreffenden Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse von den Kosten und Einnahmen aller anderen Tätigkeiten getrennt ausweisen muss. Als Kosten, die nicht der Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zugerechnet werden können, gelten alle unmittelbaren Kosten, ein angemessener Beitrag zu den Gemeinkosten und eine angemessene Kapitalrendite. Für diese Kosten darf kein Ausgleich gewährt werden. Erfüllt ein Unternehmen also DawI-Aufgaben und erbringt gleichzeitig kommerzielle Dienste, so muss eine Trennungsrechnung durchgeführt werden und die Kosten im Bereich der kommerziellen Nutzung müssen anteilig umgelegt werden. Damit soll eine Quersubventionierung vermieden werden. Wenn aber eine öffentliche Infrastruktur unterhalb der anteiligen Kosten vermarktet wird, dann ist das jedoch nichts anderes als eben diese verbotene Querfinanzierung. Im – nicht formal entschiedenen – Fall eines Studentenwerks hatte die Kommission grundsätzlich auf die Einhaltung von Art. 5 Abs. 9 bestanden. Studentenwerke erfüllen zunächst den öffentlichen Zweck, Studenten preiswert mit (Mittag-)Essen zu versorgen. Dazu werden die Essenspreise subventioniert. Im konkreten Fall wollte das Studentenwerk den Verkauf von Mensa-Essen auch für Nichtangehörige der Hochschule öffnen, weil über die Versorgung der Studenten und Mitarbeiter der Hochschule hinaus Kapazitäten verfügbar waren. Würde sie dies zu Vollkosten tun, müssten Preise verlangt werden, die im Vergleich zu den umliegenden Restaurants nicht mehr konkurrenzfähig wären. Deshalb wollte das Studentenwerk auch für Gäste Preise unterhalb der Vollkosten anbieten. Dies war zunächst nicht mit Art. 5 Abs. 9 des DawI-Beschlusses vereinbar. Deshalb sollte eine Vermarktung zumindest zu inkrementellen Kosten (Deckungsbeitrag) stattfinden. Die Kommission akzeptierte dies jedoch nicht. In ihrer Stellungnahme wies sie darauf hin, dass im Bereich der Dienstleitungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse die Vermarktung zu Deckungsbeiträgen (inkrementelle Kosten) und der Ausgleich des verbleibenden Verlusts im kommerziellen Tätigkeitsbereich ohne Notifizierung nicht zulässig seien. Eine Genehmigung komme aber gemäß DawI-Rahmen in Betracht, der eine Festsetzung der anteiligen Gemeinkosten unter Berücksichtigung der erzielbaren Prei-

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se zulässt.40 Im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge, die gerade wegen der Erbringung öffentlicher Aufgaben privilegiert wird, gibt es damit eine strengere Reglementierung als für (rein) kommerzielle Infrastrukturen wie etwa Flughäfen. Dies ist ein nicht ohne Weiteres nachvollziehbarer Wertungswiderspruch.

V. Stellungnahme und Fazit Was sind nun die Argumente für und gegen eine Finanzierung von Leerkosten durch Vermarktung freier Kapazitäten auf Basis der inkrementellen Kosten? Dafür spricht zunächst das Private-Investor-Prinzip: Es ist betriebswirtschaftlich sinnvoll, bei gegebenen (Über-)Kapazitäten und Kosten zumindest Deckungsbeiträge zu erwirtschaften, indem man Überkapazitäten unterhalb der Vollkosten vermarktet. Daneben lässt sich argumentieren, dass der Schutz privater Wettbewerber in Märkten mit öffentlicher Infrastruktur nachrangig ist, weil es in diesem Bereich keine „echten“ privaten Marktteilnehmer gibt. Zwar gibt es private Betreiber etwa von Flughäfen oder Abfallentsorgungsanlagen. Diese haben die Infrastruktur aber nicht aus privatwirtschaftlicher Initiative, sondern im öffentlichen Auftrag der Kommunen geschaffen. Man kann darüber hinaus auch den Blick auf das Gebührenrecht richten. Dort wird die Vermarktung von Überkapazitäten sogar verlangt – und zwar zu Deckungsbeiträgen.41 Die Grund­ annahme ist die, dass der Gebührenzahler nicht die vollen Kosten tragen soll, wenn freie Kapazitäten vorhanden sind, durch deren Vermarktung die Kosten und damit die Gebühren reduziert werden können. Darüber hinaus ist die Problemstellung der Finanzierung von Überkapazitäten/Leerkosten in vielen Fällen nicht der öffentlichen Hand anzulasten, sondern liegt in der Natur der Sache: Zum einen werden zahlreiche Infrastrukturen aus Gründen der Daseinsvorsorge – etwa der Durchführung von kulturellen Veranstaltungen im weitesten Sinne zur Förderung der lokalen Gemeinschaft – auch dann benötigt, wenn eine Auslastung – etwa in ländlichen Gebieten – von vornherein nicht möglich ist. Zum anderen ist bei Infrastrukturen häufig eine Kapazitätsreserve von bis zu 30 % technisch erforderlich und teils auch gesetzlich vorgeschrieben. In beiden Fällen einer „gegebenen Überkapazität“ würde ein privater Investor zweifellos eine Vermarktung zu Deckungsbeiträgen anstreben. Dies entspricht dem „modifizierten“ Private-Investor-Test der neueren Kommissionspraxis. Eine Pflicht zur Vermarktung zu Vollkosten ist somit ein ordnungspolitisch motivierter Eingriff zur Sicherung des unverfälschten Wettbewerbs, der zu Mehrbelastungen des Steuerzahlers führt und insoweit dem Private-Investor-Grundsatz widerspricht. 40 

DawI-Rahmen, Rn. 31. dazu etwa OVG NRW, Urteil v. 27. 4. 2015, Az. 9 A 2813/12 = NWVBl. 2015, S. 374. 41  s.

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Das Private-Investor-Prinzip lässt sich aber ebenso für die Gegenseite anführen: Es liegt bei Anwendung der inkrementellen Kosten nämlich ein Verstoß gegen das Prinzip des privat wirtschaftenden Unternehmers vor, weil Leistungen am Markt grundsätzlich nur zu Vollkosten zuzüglich eines Gewinnaufschlags erhältlich sind. Private Wettbewerber müssen gerade zu Vollkosten anbieten und erleiden so einen Wettbewerbsnachteil. Darüber hinaus führt dieses Kostenmodell zunächst zu einem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 9 des DawI-Beschlusses, sodass auf jeden Fall eine Notifizierung vorzunehmen ist. Des Weiteren lässt sich argumentieren, dass durch das teilweise Außerkraftsetzen kostendeckenden Wirtschaftens Anreize für sparsame Kapazitäten und Kooperationen entfallen. Schließlich lässt sich auch die Abgrenzung zwischen Infrastruktur und reiner Dienstleistung nicht immer trennscharf vornehmen. Wettbewerbspolitisch vollends problematisch wird eine Vermarktung zu Deckungsbeiträgen nämlich dort, wo eine (Über-)Kapazität nicht aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen oder des Gemeinwohls erforderlich ist, sondern – wie etwa bei kommunalen Reinigungsunternehmen – aus politischen Gründen erst geschaffen wird. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Vermarktung freier Infrastruktur-Kapazitäten zu Deckungsbeiträgen (inkrementelle Kosten) zu einem Konflikt zwischen den beihilfenrechtlichen Zielsetzungen eines unverfälschten Wettbewerbs und der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte führt. Der Ansatz der inkrementellen Kosten löst das Problem freier Infrastruktur-Kapazitäten (Leerkosten) zugunsten der öffentlichen Haushalte und stimmt insoweit mit dem deutschen Gebührenrecht, wie es seinen Niederschlag in den Kommunalabgabengesetzen findet, überein. Die damit verbundene Einschränkung des unverfälschten Wettbewerbs ist vertretbar, weil ein Wettbewerb zwischen privaten Marktteilnehmern im Bereich öffentlicher Infrastrukturen in der Regel nur eingeschränkt existiert. Dies gilt umso mehr, wenn Duplikationsverbote und der Ausschluss von Betriebsbeihilfen der Entstehung weiterer Kapazitäten entgegenwirken. Soweit Infrastrukturen zugleich Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse darstellen, steht der Erbringung kommerzieller Leistungen auf Basis der inkrementellen Kosten derzeit allerdings noch Art. 5 Abs. 9 des DawI-Beschlusses entgegen. Es bedarf dann einer Notifizierung/Genehmigung nach Maßgabe des DawI-Rahmens. Die Kommission hat bereits signalisiert, die entsprechenden Fälle großzügig zu bescheiden.

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Dipl.-Jur. Robert Böttner, B.A., LL.M., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Ass. iur. Claudia Byczynski, Innenministerium Land Brandenburg, Potsdam Der Beitrag gibt ausschließlich ihre persönlichen Auffassungen wieder und bindet nicht die Institution. Prof. Dr. Joachim Erdmann, Honorarprofessor an der Universität Osnabrück und Ministerialrat im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, Hannover Der Beitrag gibt ausschließlich seine persönlichen Auffassungen wieder und bindet nicht die Institution. Dr. Carsten Jennert, LL.M., Rechtsanwalt und Partner, KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main Dr. Stefan Meßmer, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Menold-Bezler, Stuttgart Dr. Hans Arno Petzold, Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie des Landes Schleswig-Holstein, Kiel Der Beitrag gibt ausschließlich seine persönlichen Auffassungen wieder und bindet nicht die Institution. RAin Tanja Struve, Leiterin Europabüro Deutscher Landkreistag in Brüssel Der Beitrag gibt ausschließlich ihre persönlichen Auffassungen wieder und bindet nicht die Institution. Dr. Tobias Traupel, Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Der Beitrag gibt ausschließlich seine persönlichen Auffassungen wieder und bindet nicht die Institution. Prof. Dr. Wolfgang Weiß, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer