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German Pages 329 [333] Year 2023
Ralph J. Lellé Volkmar Küppers
Kolposkopie in der Praxis Lehrbuch und Atlas 3. Auflage
Kolposkopie in der Praxis
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Ralph J. Lellé Volkmar Küppers
Kolposkopie in der Praxis Lehrbuch und Atlas 3. Auflage
Ralph J. Lellé Universitätsfrauenklinik Münster, Deutschland
Volkmar Küppers Frauenärztliche Praxis, Dysplasiesprechstunde, Zytologisches Labor Düsseldorf, Deutschland
ISBN 978-3-662-66897-9 ISBN 978-3-662-66898-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2008, 2014, 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Sabine Gehrig Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
V
Vorwort zur 3. Auflage Nach einem halben Jahrhundert wurde in Deutschland das zytologiebasierte Zervixkarzinomscreening erstmals wesentlich modifiziert durch die Integration eines HPV-Tests bei über 35-jährigen Frauen. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass ein sehr effektives Vorsorgesystem noch erfolgreicher wird. Erste noch vorläufige Daten stützen diese Hoffnung. Bei dieser Neuordnung des Zervixkarzinomscreenings nimmt die Kolposkopie, genauer gesagt die Abklärungs- bzw. Differenzialkolposkopie, als Methode der Triage eine zentrale Rolle ein. Deshalb ist eine gute Ausbildung in der kolposkopischen Diagnostik, welche über die Basisanforderungen des gynäkologischen Facharztkatalogs hinausgeht, die Voraussetzung für eine effektive Prävention. Denn die Effektivität der Abklärungskolposkopie hängt ebenso wie die Effektivität der Screeningzytologie ganz wesentlich von den ärztlichen Akteuren ab. Die Arbeitsgemeinschaft für Zervixpathologie und Kolposkopie (AGCPC) hat über viele Jahre hinweg ein Ausbildungs- und Prüfungsprogramm als Voraussetzung für zertifizierte Dysplasiesprechstunden entwickelt, getestet und immer mehr verfeinert. In der vorliegenden dritten Auflage der Kolposkopie in der Praxis haben wir uns zum Ziel gesetzt, den Großteil des Unterrichts- und Prüfungsstoffs der AG-CPC anzusprechen. Anstelle der Beschreibung klinischer Szenarien wurde ein Abschnitt „Übungen zu Theorie und Praxis der Kolposkopie“ eingeführt. Bei den Kolposkopiekursen zeigen sich immer wieder besondere Probleme, zum Beispiel bei der Anwendung von Nomenklaturen. Diese Probleme wurden in der aktualisierten Auflage besonders berücksichtigt. Darüber hinaus wurde der HPV-Thematik, insbesondere zu den HPV-Test-Charakteristika, breiterer Raum gegeben als in den früheren beiden Editionen. Die Kenntnis der aktuellen Daten zur HPV-Impfung ist ebenfalls unerlässlich für den kolposkopisch tätigen Arzt/Ärztin. Denn die durchweg positiven Auswirkungen der Impfprävention werden wesentlichen Einfluss auf unsere Screeningstrategien nehmen. Ein Schwerpunkt wurde unter anderem auf die Themen Adenocarcinoma in situ der Zervix, die Rolle der interventionellen Kolposkopie sowie das Vorgehen bei Zervixstenose gelegt. Darüber hinaus wird erstmals in einem solchen deutschsprachigen Lehrbuch ein Einblick in die Vorsorgestrategien von Ländern mit geringen Ressourcen gegeben mit dem Ziel, eine globale Sichtweise der Zervixkarzinomproblematik zu stärken. Vor allem enthält die Neuauflage dieses Lehrbuches eines: viele, viele Bilder zu kolposkopischen Befunden. Wir wünschen uns, dass dieses Buch ein klein wenig dazu beiträgt, das von der Weltgesundheitsorganisation WHO ausgerufene Ziel zu erreichen, nämlich langfristig die Erkrankung Zervixkarzinom zu eliminieren! Ralph J. Lellé Volkmar Küppers
Münster und Düsseldorf im Mai 2023
Danksagung Wir danken den zahlreichen Menschen, die Anteil am Zustandekommen dieses Buches hatten. Ganz besonderer Dank an 4 Frau Alexandra Woltering vom wissenschaftlichen Sekretariat von Prof. Lellé – sie hat jeden Schritt des Entstehungsprozesses aktiv begleitet und war von unschätzbarem Wert für das Zustandekommen des Buches, 4 Herrn Willi Kramer und Frau Christiane Schliemann von der Medienzentrale des Universitätsklinikums Münster für zahlreichen Illustrationen, 4 Schwester Rita Ruland, langjährige Mitarbeiterin in der Dysplasiesprechstunde von Prof. Lellé, sowie dem Praxisteam von Herrn Priv.Doz. Dr. med. Küppers, 4 Frau Univ.-Prof. Dr. med. Gabriele Köhler, ehemalige Kommissarische Direktorin des Gerhard-Domagk-Instituts für Pathologie des Universitätsklinikums Münster, 4 Frau Birgit Konert und Frau Magdalena Marciniak vom Zytologischen Labor des Gerhard-Domagk-Instituts für Pathologie des Universitätsklinikums Münster 4 und natürlich unseren geduldigen Ehefrauen, Kindern und Großkindern.
VII
Abkürzungen ACIS
Adenocarcinoma in situ (auch AIS) AGCPC Arbeitsgemeinschaft für Zervixpathologie und Kolposkopie AIN Anale intraepitheliale Neoplasie AIS Adenocarcinoma in situ (auch AIS) CIN Cervical Intraepithelial Neoplasia, zervikale intraepitheliale Neoplasie CIN1 Leichtgradige CIN CIN2 Mäßiggradige CIN CIN3 Schwergradige CIN EFC European Federation of Colposcopy FDA Food and Drug Administration FIGO Féderation Internationale de Gynécologie et Obstétrique HPV Humane Papillomaviren IFCPC International Federation of Cervical Pathology and Colposcopy ISSVD International Society for the Study of Vulvovaginal Disease LEEP Loop Electrosurgical Excision Procedure, elektro-chirurgische Operation mit einer Hochfrequenzschlinge
PCR SIL
LSIL
HSIL
MNIII STIKO VAIN VAIN1 VAIN2 VAIN3 VIN VLP
Polymerase Chain Reaction Squamous intraepithelial Lesion, plattenepitheliale intraepitheliale Läsion Low Grade Squamous Intraepithelial Lesion, leichtgradige platteneitheliale intraepitheliale Läsion (CIN1) High Grade Squamous Intraepithelial Lesion, hochgradige plattenepitheliale intraepitheliale Läsion (CIN2/CIN3) Münchner Nomenklatur III Ständige Impfkommission Vaginale intraepitheliale Neoplasie Leichtgradige VAIN Mäßiggradige VAIN Schwergradige VAIN Vulväre intraepitheliale Neoplasie Virus-like Particle
IX
Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3 1.4
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 2.1 2.2 2.3
Normale Anatomie der Zervix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.1.8 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.4
Abnorme Befunde der Zervix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.5
Ursprung der Kolposkopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Essigsäureprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schiller’sche Jodprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Grundlagen der Zervixanatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kolposkopisches Bild der normalen Zervix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle – Normale Anatomie der Zervix . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Essigsäureprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schiller’sche Jodprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leukoplakie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Essigweiße Phänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Atypische Gefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erosion und Ulzeration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Atrophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entzündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zervikale intraepitheliale Neoplasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leichtgradige Dysplasien der Zervix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Höhergradige Dysplasien der Zervix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adenocarcinoma in situ der Zervix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zervixkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epidemiologie und Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kolposkopisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle – Abnorme Befunde der Zervix . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kolposkopische Nomenklatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nomenklatur der Zervixbefunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nomenklatur der Vaginalbefunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nomenklatur der Vulvabefunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anstehende Aktualisierung der kolposkopischen Nomenklatur der Zervix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Graduierung „minor change“ und „major change“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sichtbarkeit der Transformationszone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition von Exzisionstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neubewertung der Schiller’schen Jodprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle – Kolposkopische Nomenklatur . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 3 4 5 5 7 8 11 14 14 15 16 16 17 18 19 23 23 25 26 26 29 35 40 42 42 44 52 53 55 56 58 59 61 61 61 61 61 63 63
X
Inhaltsverzeichnis
5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.5 5.5 5.6
Gynäkologische Exfoliativzytologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6 6.1 6.2 6.3 6.4
Histopathologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 7.1 7.1.1 7.1.2 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.3
HPV-Testverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8 8.1 8.2
Indikationsstellung zur Abklärungskolposkopie . . . . . . . . . . . . .
8.3 8.4 8.5
9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.5.1 9.5.2 9.6
Zytologische Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zytologische Nomenklatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wertigkeit der Zytologie als Screeningverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dünnschichtzytologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dünnschichtzytologische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphologische Besonderheiten der Dünnschichtzytologie . . . . . . . . . . Vergleich von konventioneller Zytologie, ThinPrep® und SurePath® . . . . Computerassistierte zytologische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Derzeitiger Stellenwert der Dünnschichtzytologie – Zusammenfassung Zytologiebasierte Zusatzuntersuchungen (p16/Ki67-Doppelfärbung) Fragen zur Selbstkontrolle – Gynäkologische Exfoliativzytologie . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Histologische Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . p16-Immunhistochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuverlässigkeit der kolposkopisch gesteuerten Biopsieentnahme . . . Fragen zur Selbstkontrolle – Histopathologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Für die klinische Anwendung geeignete HPV-Testverfahren . . . . . . . . . Hybrid-Capture-2-Test (HC2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere HPV-Testverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indikationen für den HPV-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . HPV-Triage unklarer und leichtgradig dysplastischer Pap-Abstriche . . . . HPV-Test nach Zervixdysplasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . HPV-Screening . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle – HPV-Testverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Allgemeine Aspekte der Abklärungskolposkopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abklärungskolposkopie im Rahmen der deutschen Vorsorgerichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere kolposkopische Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontraindikationen der Kolposkopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle – Indikationsstellung zur Abklärungskolposkopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie . . . . . . . . . Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kolposkope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handhabung von Kolposkop und Spekulum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zytologischer Abstrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewebeentnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biopsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endozervikale Kürettage (ECC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befunddokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 67 70 73 74 75 77 79 80 81 81 84 86 89 91 93 95 97 97 99 100 101 101 102 103 103 104 106 107 109 110 110 112 112 113 113 115 116 118 119 124 124 125 126 127
XI Inhaltsverzeichnis
9.7 9.8
10 10.1 10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.3 10.4 10.4.1 10.4.2 10.5
11 11.1 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.2 11.2.1 11.2.2 11.2.3 11.2.4 11.3 11.4 11.4.1 11.4.2 11.5
12 12.1 12.2 12.3 12.3.1 12.3.2 12.3.3 12.3.4 12.3.5 12.3.6 12.4 12.5
Die kolposkopische Untersuchung Schritt für Schritt . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle – Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Interventionelle Kolposkopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133 135 137 137 137 138 139 140 141 141 142 143 144
Frühgeburtsrisiko nach operativer Dysplasiebehandlung . . . . . . . . . . . Operationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Messerkonisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hochfrequenzchirurgie (LEEP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kryochirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CO2 -Laserchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operative Behandlung des Adenocarcinoma in situ der Zervix . . . . . . Beurteilung des Operationserfolgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plattenepitheliale Dysplasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adenocarcinoma in situ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle – Interventionelle Kolposkopie . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen . . . . . . . Kolposkopie in der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwangerschaftsbedingte Veränderungen der Zervix . . . . . . . . . . . . . . . Vorgehen bei zervikaler Dysplasie während der Schwangerschaft . . . . . Konisation (LEEP) während der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiteres Vorgehen bei HSIL nach Entbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kolposkopie nach vorausgegangener Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erhaltungszustand der Zervix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalisation der Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze postoperativ . . Stenose des Zervikalkanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnose von Persistenz bzw. Rezidiv der Zervixdysplasie . . . . . . . . . . . . . Kolposkopie strahlenbedingter Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kolposkopie bei Immunsuppression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wechselbeziehung zwischen HIV und HPV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dysplasiebehandlung bei Immunsuppression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle – Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kolposkopie der Vagina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Condylomata acuminata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adenome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathogenese der VAIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VAIN bei noch vorhandener Zervix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VAIN nach Hysterektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VAIN bei immunsupprimierten Patientinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kolposkopisches Bild der VAIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapieoptionen bei VAIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vaginalkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vaginale Metastasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129 130
147 148 148 154 157 158 158 159 160 161 163 165 166 166 167 168 169 171 173 174 175 175 176 177 177 178 181 184 184
XII
Inhaltsverzeichnis
12.6
Fragen zur Selbstkontrolle – Kolposkopie der Vagina . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185 186
13 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.5.1 13.5.2 13.6 13.6.1 13.6.2 13.6.3 13.6.4 13.6.5 13.7
Kolposkopie der Vulva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
187 188 189 191 192 193 193 198 200 200 204 207 209 213 215 216
14 14.1 14.2 14.3 14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4 14.4 14.4.1 14.4.2 14.4.3 14.4.4 14.5
HPV-Impfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14.6 14.7
15 15.1 15.2 15.3
Anatomie der Vulva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstwahrnehmung der Vulva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik bei Vulvaveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nomenklatur der Vulvaerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht neoplastische Vulvaerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lichen sclerosus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lichen ruber planus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neoplastische Vulvaerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Condylomata acuminata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vulväre intraepitheliale Neoplasie (VIN/HSIL und d-VIN) . . . . . . . . . . . . . . Morbus Paget der Vulva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vulvakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Malignes Melanom der Vulva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle – Kolposkopie der Vulva . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Struktur des HP-Virus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der HPV-Impfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indikationen zur HPV-Impfung (Gardasil9®) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . HPV-Impfung von Kindern und Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . HPV-Impfung von Jungen und Männern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Catch-up“-Impfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . HPV-Impfung nach operativer Dysplasiebehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . Effektivität der HPV-Impfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Real-Life“-Effektivität der HPV-Impfstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirksamkeit der HPV-Impfung beim Adenocarcinoma in situ . . . . . . . . . . Prophylaxe von Condylomata acuminata durch Gardasil® . . . . . . . . . . . . . Langfristige Auswirkungen der HPV-Impfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nebenwirkungen der HPV-Impfung und das Risiko des „serotype replacement“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswirkungen der HPV-Impfung auf sekundäre Screeningprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle – HPV-Impfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Psychologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychische Auswirkungen einer auffälligen Screeningdiagnose . . . . . Strategien zur Stressreduktion im Rahmen der Dysplasiesprechstunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle – Psychologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
Zervixkarzinomscreening in Ländern mit geringen Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16.1 16.2
Häufigkeit des Zervixkarzinoms aus globaler Perspektive . . . . . . . . . . . HPV-Impfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
219 220 221 222 223 223 224 224 225 225 226 227 227 228 228 229 229 233 234 235 236 236
239 240 241
XIII Inhaltsverzeichnis
16.3 16.3.1 16.3.2 16.3.3 16.4 16.5 16.6 16.7
17
Sekundäre Präventionsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zytologisches Screening . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Visuelle Inspektion der Zervix (VIA und VILI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . HPV-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Behandlung HPV-assoziierter Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Behandlung des Zervixkarzinoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Selbstkontrolle – Zervixkarzinomscreening in Ländern mit geringen Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden . . . . . . . . . . . . . . 17.1.1 Zervix und Vagina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.2 Vulva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
242 242 243 244 244 245 246 247 247
249 250 250 311
1
Einführung Inhaltsverzeichnis 1.1
Ursprung der Kolposkopie – 2
1.2
Essigsäureprobe – 3
1.3
Schiller’sche Jodprobe – 4
1.4
Fragen zur Selbstkontrolle – 5 Literatur – 5
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_1
1
2
1
Kapitel 1 Einführung
Die Kolposkopie als Methode zur lupenoptischen Untersuchung des äußeren und inneren Genitales wurde 1925 von Hans Hinselmann in Bonn begründet. Während sich die Zytologie, teilweise ergänzt durch HPV-Testung, als Screeningverfahren der Wahl für das Zervixkarzinom und seine Vorstufen durchgesetzt hat, ist die Kolposkopie als „Abklärungskolposkopie“ oder „Differenzialkolposkopie“ der Goldstandard für die Abklärung auffälliger Abstrichbefunde, die sogenannte Triage. Die kolposkopische Bewertung wird ganz wesentlich ergänzt durch die Essigsäureprobe sowie die Schiller’sche Jodprobe.
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1.1
Ursprung der Kolposkopie
Im Jahr 1925 erschien in der Münchner Medizinischen Wochenschrift der Artikel „Verbesserung der Inspektionsmöglichkeiten von Vulva, Vagina und Portio“ von Prof. Dr. Hans Hinselmann, Oberarzt an der Universitätsfrauenklinik in Bonn (Hinselmann 1925). Hinselmann schrieb einleitend:
»
„Ausgehend von den Bedürfnissen der Frühdiagnose und der Aetiologie des Portiokarzinoms war ich bestrebt, die Besichtigung der Portio zu verbessern. . . . Zu diesem Zweck habe ich die Leitzsche binokulare Präparierlupe mit einer Beleuchtung versehen lassen. Auf
. Abb. 1.1 Das von Hinselmann im Jahr 1925 in der Münchner Medizinischen Wochenschrift vorgestellte Kolposkop (Hinselmann 1925)
diese Weise kann man bei großem Objektabstand und intensiver Beleuchtung Scheide und Portio ableuchten und Vergrößerungen von 3,5 an erreichen. . . . Sie gestattet uns, alle Erkrankungen der Vulva, des Vestibulums, der Scheide und der Portio in einer Weise zu studieren, wie es bisher nicht möglich war.“
Hinselmann wählte für diese Konstruktion den Begriff „Kolposkop“ (. Abb. 1.1). Damit war erstmals die Voraussetzung geschaffen, die Frühformen des Zervixkarzinoms und dessen Entwicklung aus intraepithelial gelegenen Veränderungen zu studieren. Das Kolposkop bot außerdem die Möglichkeit, Vorstufen des Zervixkarzinoms zu diagnostizieren und zu behandeln. Hinselmann konnte damals nicht absehen, dass die von ihm begründete „Kolposkopie“ bis heute eine international anerkannte und praktizierte Methode sein würde, die als Synonym für die praktische Zervixdiagnostik steht. Von der Universitätsklinik Bonn wechselte Hinselmann 1933 nach Hamburg und war dort während der Kriegsjahre als Chefarzt der Frauenklinik Altona tätig. In den vergangenen Jahren wurden zunehmend die massiven ethischen und ärztlichen Verfehlungen Hinselmanns während
3 1.2 Essigsäureprobe
der Naziherrschaft dokumentiert. Da die Person Hans Hinselmann eine bedeutende historische Rolle für die Kolposkopie innehat, wird im Folgenden hierauf eingegangen. In einem 2007 erschienen Artikel für die amerikanische Zeitschrift The Forward mit dem Titel „The deadly origins of a life-saving procedure“1 stellt die Autorin Ruth Jolanda Weinberger, eine Wissenschaftlerin des Ludwig Boltzmann Instituts für Historische Sozialwissenschaft in Wien fest, dass, soweit dies nach mehr als sechs Jahrzehnten überhaupt möglich ist, es genügend Indizien dafür gibt, dass Hinselmann über die grausamen medizinischen Experimente, welche im Konzentrationslager Auschwitz durchgeführt wurden, zumindest Bescheid wusste. Die Verbindung zwischen Hinselmann und Auschwitz basiert auf der Tatsache, dass Helmut Wirths, einer seiner Mitarbeiter der Klinik in Hamburg Altona, der Bruder von Eduard Wirths war. Dieser wiederum war ebenfalls Gynäkologe und war zum damaligen Zeitpunkt der Leitende Arzt des Konzentrationslagers Auschwitz. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ihm Hinselmann ein Kolposkop zur Verfügung gestellt hatte, um Experimente an Gefangenen des Konzentrationslagers durchzuführen. Offenbar wurden kolposkopische Aufnahmen der Zervix durchgeführt. Die Zervix wurde dann entfernt und nach Hamburg geschickt, wo sie von Hinselmann und Helmut Wirths weiter untersucht wurde. Weinberger stellt fest, dass Hinselmann nach dem Fall des Dritten Reichs von den Alliierten für schuldig befunden worden war, in seiner Klinik Zwangssterilisationen bei Sinti und Roma durchgeführt zu haben. Die Tatsache, dass er darüber hinaus über die medizinischen Experimente im Block 10 des KZ Auschwitz informiert war, müsse ebenfalls verurteilt werden. Denn diese Experimente seien möglicherweise als die größte Verletzung des Hippokratischen Eids in moderner Zeit anzusehen. Dank den Untersuchungen von Bruno Halioua aus Paris (Halioua 2010) und basierend auf den Berichten von Adélaïde Hautval (1906– 1988), einer französischen Ärztin, die in Auschwitz inhaftiert war (Halioua und Hauptmann 1
7 http://forward.com/opinion/9946/the-deadly-originsof-a-life-saving-procedure/.
2015), wurde Hinselmanns Rolle in der medizinischen Öffentlichkeit bekannt. Auch in Deutschland wurden wissenschaftliche Recherchen durchgeführt (Ebert und David 2014, Hübner 2016). Inzwischen hat sich die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) auch offiziell von ihrem früheren Ehrenmitglied Hans Hinselmann distanziert. Was die Bedeutung der Kolposkopie bei der Früherkennung des Zervixkarzinoms betrifft, gab es einen jahrzehntelangen Wettstreit zwischen Verfechtern der Kolposkopie als primärer Screeninguntersuchung und den Vertretern der von Papanicolaou begründeten Zytologie. Dieser Streit ist inzwischen beigelegt und die Zytologie ist das Screeningverfahren der Wahl, bei einem Teil der Patientinnen in Kombination mit einem HPV-Test. Die kolposkopische Untersuchung ist dagegen der entscheidende Diagnoseschritt bei auffälligem zytologischem Befund bzw. HPV-Positivität im Sinne einer Abklärungs- oder Differenzialkolposkopie und ermöglicht damit unter anderem eine differenzierte Therapieplanung vor allem bei Präkanzerosen junger Frauen, welche nicht immer ausnahmslos operativ behandelt werden sollten. Die interventionelle Kolposkopie (7 Kap. 9) ist darüber hinaus ein etablierter Teil der operativen Therapie geworden. Unter anderem können so präinvasive Läsionen der Zervix gezielt und kleinvolumig entfernt werden. > Die Kolposkopie als eine rein optische Vergrößerung der nativen Zervix wäre weit weniger praktikabel und wertvoll ohne zwei einfache, aber hocheffektive Zusatzuntersuchungen, nämlich die Essigsäureprobe sowie die Schiller’sche Jodprobe.
1.2
Essigsäureprobe
In den 20er- und 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war es mithilfe der Kolposkopie zwar möglich geworden, Zervixkarzinome in einem relativen frühen Stadium zu identifizieren. Allerdings war eine Diagnose präinvasiver oder mikroinvasiver Läsionen nicht möglich, unter anderem deshalb, weil eine normale Zervix
1
4
Kapitel 1 Einführung
ße Reaktion aus, was in der Nomenklatur (7 Kap. 4) als „major change“ bezeichnet wird. Diese sieht man häufig bereits mit bloßem Auge. Sie stellt die Grundlage für eine eigene, auf der ganzen Welt verbreitete Screeningmethode dar, welche als „visual inspection with acetic acid“ (VIA) bezeichnet wird und in ressourcenarmen Ländern zu einer signifikanten Reduktion der Zervixkarzinommortalität führen kann (7 Kap. 15).
1
. Abb. 1.2 Kolposkopische Zeichnung der Zervix bei einer 24-jährigen „Prostituierten“ mit einer präinvasiven Läsion. Man erkennt großflächige Hyperkeratosen, welche Hinselmann in der Zeit um 1927 als das entscheidende Merkmal der Präkanzerosen interpretierte. (Hinselmann 1927b)
durch Schleim bedeckt und damit der Zervixkanaleingang geschützt wird. Außerdem sind noch nicht invasive Zervixveränderungen durch einfache Kolposkopie nicht wirklich sichtbar, es sei denn, sie sind mit einer Hyperkeratose vergesellschaftet. Letztlich hat die Erkenntnis, dass eine vier- bis sechsprozentige Essigsäurelösung, welche auf die Zervix aufgetragen wird, eine „essigweiße“ Färbung verursacht und bestimmte charakteristische Gefäßmuster hervortreten lässt, die kolposkopische Zervixdiagnostik revolutioniert. Unklar ist, wer diese Essigsäureprobe erstmals an der Zervix angewandt hat. Hinselmann, der im Jahre 1925 das Kolposkop vorstellte, verwendete zunächst keine Essigsäurelösung, sondern erforschte das Phänomen der Leukoplakie, einer überschießenden Verhornung, welche auch ohne Essigsäureapplikation sichtbar ist (Hinselmann 1927a, Hinselmann 1927b, von Franqué 1927) und manchmal im Zusammenhang mit präinvasiven und invasiven Zervixbefunden beobachtet wird (. Abb. 1.2). Im Jahre 1928 beschrieb Hinselmann das Phänomen des Mosaiks, immer noch ohne Anwendung der Essigsäure (Hinselmann 1928), und wählte dafür den heute nicht mehr gebräuchlichen Ausdruck der „Felderung“. Höhergradige Präkanzerosen der Zervix zeichnen sich durch eine intensive essigwei-
1.3
Schiller’sche Jodprobe
Die Schiller’sche Jodprobe geht auf Walter Schiller (1887–1960) aus Wien zurück, der später in die USA emigrierte und in New York und Chicago tätig war. Mithilfe einer jodhaltigen Lösung, die nach Jean Guillaume Lugol (1786–1851) benannt ist (Lugol’sche Lösung), führte Schiller eine In-vivo-Färbung des Zervixepithels durch (Schiller 1928). Schiller verwendete hierfür den Begriff „Jodpinselung“ (Schiller 1929). Schiller erkannte, dass abnormale Plattenepithelzellen keine ausreichende Menge an Glykogen speichern und deshalb nicht mit der Jodlösung reagieren. Auf der anderen Seite kann bei positiver Reaktion ein präinvasiver oder invasiver Prozess an der braun oder schwarz gefärbten Stelle ausgeschlossen werden. Anfänglich verwendete Schiller seinen Test zur Orientierung für Biopsieentnahmen oder sogenannte „Abschabungen des Portioepithels“ (Schiller 1929). Zu dieser Zeit bediente sich Schiller noch nicht des Kolposkops. Heutzutage ist die Schiller’sche Jodprobe immer noch ein wichtiger Bestandteil der kolposkopischen Zervixdiagnostik. Ähnlich wie die VIA (siehe oben) kann die Jodprobe als „visual inspection with Lugol’s iodine“ (VILI) auch ohne Kolposkop – und ohne vorherigen Essigsäureprobe – als Screeningverfahren eingesetzt werden (7 Kap. 15). Im Rahmen der Diskussionen zu einer Neufassung der internationalen kolposkopischen Nomenklatur wird überlegt, die Schiller’ sche Jodprobe aufzuwerten (Reich und Pickel 2021).
1
5 Literatur
1.4
Fragen zur Selbstkontrolle
Ja 1 Der Begriff „Kolposkopie“ wurde 1925 von Hans Hinselmann von der Universität Bonn geprägt
2 Die DGGG hat sich inzwischen von der Ehrenmitgliedschaft Hans Hinselmanns distanziert
3 Ein wesentlicher Verdienst Hinselmanns ist die Einführung der Essigsäureprobe 4 Die Essigsäureprobe und die Schiller’sche Jodprobe – in beiden Fällen ohne Kolposkopie – werden in vielen Ländern der Welt als Screeningverfahren eingesetzt
5 Essigsäureprobe und Schiller’sche Jodprobe sind identisch, was ihre Aussagekraft betrifft 6 Ein positiver Ausfall der Jodprobe schließt eine Dysplasie bzw. ein Karzinom an der jeweiligen Stelle der Portio praktisch aus 7 Wenn die Jodprobe an der Zervix negativ ausfällt, besteht mit 70%iger Wahrscheinlichkeit eine höhergradige Dysplasie
Literatur Ebert A, David M (2014) Historische Behandlungsmethode. Die Erfindung der Kolposkopie. Geburtshilfe Frauenheilkd 74:631–633 von Franqué O (1927) Leukoplakie und präcanceröse Veränderung des Plattenepithels. Zentralbl Gynaecol 51:898– 899 Halioua B (2010) The participation of Hans Hinselmann in medical experiments at Auschwitz. J Low Genit Tract Dis 14:1–4 Halioua B, Hauptmann G (2015) Adélaïde Hautval (1906– 1988) : une personnalité médicale exemplaire. La Press Médicale 44:1290–1296 Hinselmann H (1925) Verbesserung der Inspektionsmöglichkeiten von Vula, Vagina und Portio. MMW 72:1733
Nein
Hinselmann H (1927a) Zur Kenntnis der präcancerösen Veränderungen der Portio. Zentralbl Gynaecol 51:901–903 Hinselmann H (1927b) Über die Methodik der Diagnose der Portioleukoplakien. Zentralbl Gynaecol 51:3162–3163 Hinselmann H (1928) Schichtungskugeln in dem Epithel der weißlichen Felder der Umwandlungszone der Portio. Zentralbl Gynaecol 52:1244–1247 Hübner J (2016) Kolposkopie ohne Menschlichkeit?! Hinselmann und die Versuche an Frauen in Auschwitz. Geburtshilfe Frauenheilkd 76:A11 Reich O, Pickel H (2021) 100 years of iodine testing of the cervix: a critical review and implications for the future. Eur J Obstet Gyn R B 261:34–40 Schiller W (1928) Zur klinischen Frühdiagnose des Portiokarzinoms. Zentralbl Gynaecol 52:1886–1892 Schiller W (1929) Jodpinselung und Abschabung des Portioepithels. Zentralbl Gynaecol 53:1056–1064
7
Normale Anatomie der Zervix Inhaltsverzeichnis 2.1
Grundlagen der Zervixanatomie – 8
2.2
Kolposkopisches Bild der normalen Zervix – 11
2.3
Fragen zur Selbstkontrolle – Normale Anatomie der Zervix – 14 Literatur – 14
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_2
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8
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Kapitel 2 Normale Anatomie der Zervix
Das Verständnis der Transformationszone im Bereich des Zusammentreffens von Plattenepithel und Zylinderepithel ist von entscheidender Bedeutung für die kolposkopische Beurteilung. Durch Transformation bzw. Metaplasie sind vielgestaltige kolposkopische Phänomene bedingt, welche von krankhaften Befunden abgegrenzt werden müssen.
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. Abb. 2.1 Uterus bicollis
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2.1
Grundlagen der Zervixanatomie
Während der Embryonalentwicklung entsteht die Cervix uteri aus der Verschmelzung der Müller-Gänge. Bleibt diese Verschmelzung aus, kommt es zu Fehlbildungen wie zum Beispiel zu einem Uterus bicollis (. Abb. 2.1). Die MüllerGänge sind von Zylinderepithel ausgekleidet. Die Vagina entsteht dagegen durch die Einstülpung der Urogenitalplatte, welche von Plattenepithel überkleidet ist. Der Berührungspunkt zwischen diesen beiden Strukturen bzw. Epithelarten stellt die originäre Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze dar. Gegen Ende der fetalen Entwicklung bzw. zum Zeitpunkt der Geburt liegt diese Grenze innerhalb des Zervikalkanals. Bei der Kolposkopie kann nur der Teil der Cervix uteri eingesehen werden, der in die Vagina hineinragt und welcher allgemein als „Portio“
. Abb. 2.2 Schema Vaginal- und Zervixepithel. Vagina und Zervix sind von mehrschichtigem Plattenepithel (gelb) ausgekleidet, welches intrazervikal in einschichtiges Drüsenepithel (rot) übergeht
bezeichnet wird (. Abb. 2.2, 2.3). Die Länge der Portio beträgt nur ca. 30–50 % der ca. 3 cm langen Zervix. Hierbei sind Anatomie und tatsächliche Länge der Zervix ausgesprochen variabel. Die zervikalen Zylinderepithelien bilden Einstülpungen oder Krypten bis zu einer Tiefe von ca. 7 mm. Die Oberfläche des Drüsenepithels vergrößert sich auf diese Weise. Der vor allem in der histopathologischen Beschreibung häufig verwendete Begriff „endozervikale Drüsen“ trifft streng genommen nicht zu, da es sich lediglich um Anschnitte der Einstülpungen handelt.
9 2.1 Grundlagen der Zervixanatomie
a . Abb. 2.3 Kolposkopisches Bild einer von originärem Plattenepithel überzogenen Portio nach Essigprobe (a) sowie nach Schiller’scher Jodprobe (b). Die Plattenepithel-
b Zylinderepithel-Grenze ist nicht vollständig sichtbar. Am Zervikalkanaleingang erkennt man eine winzige unreife Metaplasie, welche jodnegativ ist (b)
Die Lage der Plattenepithel-ZylinderepithelGrenze ist sehr variabel. Liegt diese Grenze auf der Ektozervix, also der äußeren Portio, und ist der Vorgang der Metaplasie noch nicht sehr weit fortgeschritten, so hat das einschichtige Zylinderepithel einen rötlichen Aspekt, bedingt durch die unter dem Epithel im Stroma liegenden Gefäße. Für dieses Phänomen hat sich die Bezeichnung „Ektopie“ eingebürgert (. Abb. 2.4, 2.5, 2.6). Eine große Ektopie (. Abb. 2.6) kann manchmal Schwierigkeiten bei der kolposkopischen Bewertung machen, insbesondere in der Abgrenzung zu villös wachsenden Neoplasien. > Die plattenepitheliale Metaplasie ist der entscheidende physiologische Mechanismus, der für die Entstehung intraepithelialer Neoplasien Voraussetzung ist.
Allgemein versteht man unter Metaplasie die Umwandlung von einem Zelltyp in einen anderen. Im Fall der Cervix uteri handelt es sich um die Umwandlung des einschichtigen Zylinderepithels der Endozervix in das mehrschichtige Plattenepithel der Ektozervix. Solche metaplastischen Umbauvorgänge finden im Körper nicht nur im Bereich der Cervix uteri, sondern auch in den Bronchien, den
. Abb. 2.4 Schema Ektopie. Das Drüsenepithel ist noch nicht metaplastisch umgebaut und auf der äußeren Zervix sichtbar (rechter Bildteil)
Speicheldrüsen, im Magen oder im Bereich der Analschleimhaut statt. Hierbei weist der Analkanal in seinem anatomischen Aufbau Parallelen zur Cervix uteri auf. Auch hier gibt es eine Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze, welche metaplastischen Vorgängen ausgesetzt ist. Analog zur Cervix uteri besteht im Analkanal ebenso das Risiko der Entstehung intraepithelialer Dysplasien unter HPV-Einfluss.
2
10
Kapitel 2 Normale Anatomie der Zervix
2
a
b
. Abb. 2.5 Ektopie vor (a) und nach (b, c) Essigsäureprobe. Der Plattenepithel-Zylinderepithel-Übergang liegt im Bereich der Ektozervix und ist vollständig einsehbar (durchgezogene Linie) Das noch nicht metaplastisch umgebaute Drüsenepithel erscheint rötlich. Bei 6 Uhr sieht
. Abb. 2.6 Weitgehend originäre (nicht metaplastisch umgewandelte) Ektopie, welche den größten Teil der Ektozervix einnimmt und stellenweise einen villösen Charakter hat (kolposkopische Aufnahme nach Essigprobe)
> Die Transformationszone der Cervix uteri mit ihrer gesteigerten Proliferationsaktivität ist der Ort der Cervix uteri, an dem sich eine intraepitheliale Neoplasie manifestieren kann.
Das Drüsenepithel wandelt sich nur dann metaplastisch um, wenn es im Bereich der Ektozervix, also außerhalb des Zervikalkanals, gelegen
c man eine beginnende metaplastische Überhäutung (b), welche als zart essigweißes Epithel hervortritt (Minor change). Weiter außen erkennt man Teile der ursprünglichen Transformationszone (gestrichelte Linie), welche jedoch für die kolposkopische Beurteilung weniger relevant ist
ist. Äußere Einflüsse wie mechanische Reizung, entzündliche und bakterielle Einflüsse, die Absenkung des pH-Wertes oder ein zunehmender Östrogeneinfluss sind die Auslöser des metaplastischen Umbaus. Die metaplastische Transformation geht von den Reservezellen aus, einer einreihigen Schicht kleiner Zellen, welche zwischen Drüsenepithel und Basalmembran liegen. Wenn der metaplastische Umbau vollständig abgeschlossen ist, ist das auf diese Weise entstandene Plattenepithel weder kolposkopisch noch zytologisch von originärem Plattenepithel zu unterscheiden. Lediglich auf den Gewebeschnitten ist die Metaplasie an den in der Tiefe des ausgereiften Plattenepithels gelegenen Drüsenkrypten erkennbar, da das Drüsenepithel in der Tiefe nicht vollständig durch Plattenepithel ersetzt wird. Ein Teil des Zylinderepithels in den Krypten bleibt also erhalten. Entweder verbleiben im ausgereiften Plattenepithel kleine runde, wie ausgestanzt wirkende Öffnungen oder die Plattenepithelschicht schließt sich über dem Drüsenepithel. Die weiterhin sezernierenden Drüsenzellen heben das Plattenepithel ab und führen zur Bildung zystischer Strukturen, welche bei der kolposkopischen Untersuchung deutlich zu erkennen sind. Diese Zysten werden nach dem Erstbeschreiber, dem Leipziger Professor Martin Naboth (1675–1721), „Ovula Nabothii“ genannt (Baskett 2001). Die Bezeichnung „Ovula“, also
11 2.2 Kolposkopisches Bild der normalen Zervix
Eier, geht auf Naboths Annahme zurück, es hier mit den heranreifenden Eizellen der Frau zu tun zu haben. Nach innen zu ist die Transformationszone durch das originäre Drüsenepithel begrenzt. Dies ist die „neue“ Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze. Die äußere Begrenzung ist der Übergang zum originären Plattenepithel (die „alte“ ursprüngliche Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze). Diese Grenze ist kolposkopisch nicht ohne Weiteres sichtbar, wenn das metaplastisch entstandene Plattenepithel einen hohen Ausreifungsgrad hat und kaum noch vom originären Plattenepithel zu unterscheiden ist. Lediglich die Öffnungen in die durch Zylinderepithel ausgekleideten Krypten lassen erkennen, dass es sich hier um die Umwandlungszone handelt.
T1
> Entscheidend für die kolposkopische Diagnostik ist die neu entstandene Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze und nicht die ursprüngliche Grenze, welche manchmal auch deutlich zwischen originärem Plattenepithel und der äußeren Grenze der Metaplasiezone hervortritt. Auf jeden Falls ist die neue – die für die kolposkopische Beurteilung entscheidende – Grenze üblicherweise an einem scharfen Kontrast zwischen dem mehr oder weniger ausgereiften metaplastischen Epithel und dem tief roten originär vorhandenen Zylinderepithel erkennbar (. Abb. 2.7). Wenn dieser Übergang bei der kolposkopischen Untersuchung vollständig visualisiert werden kann, gegebenenfalls durch Aufspreizen des Zervikalkanaleingangs, kann die gesamte Transformationszone eingesehen und damit der für die Entstehung der plattenepithelialen Neoplasie kritische Bereich kolposkopisch beurteilt werden.
Bei der kolposkopischen Untersuchung ist dies ein wichtiger Befund, der grundsätzlich dokumentiert wird. Laut einer Untersuchung an 3761 Patientinnen aus acht deutschen Dysplasiezentren und Dysplasieeinheiten (Luyten et al. 2015) hatten 24 % der Patientinnen eine T1-Zone, 57 % eine T2-Zone und 19 % eine T3-Zone. Bei Patientinnen, die älter als 50 Jahre waren, wurde eine T3-Zone mit 70 % am häufigsten dokumentiert.
T2
T3 . Abb. 2.7 Unterschiedliche Lokalisationen der neu gebildeten Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze bei metaplastischem Umbau (jeweils rechter Bildteil). Wenn diese neue Grenze kolposkopisch vollständig einsehbar ist, wird dies als „T1“ bezeichnet. „T2“ bedeutet, dass die Grenze durch Spreizen des Zervikalkanaleingangs sichtbar gemacht werden kann, und „T3“ bedeutet, dass diese auch bei Manipulation nicht vollständig einsehbar ist
2.2
Kolposkopisches Bild der normalen Zervix
Das Bild der normalen Transformationszone ist außerordentlich variabel. Voraussetzung für die Beurteilung der verschiedenen dysplastischen Befunde ist es daher, sich zunächst einmal mit den verschiedenen Erscheinungsformen des physiologischen metaplastischen Umbaus vertraut zu machen (. Abb. 2.8).
2
12
Kapitel 2 Normale Anatomie der Zervix
2
. Abb. 2.8 Zwei typische Phänomene einer Transformationszone (rechter Bildteil): Ovulum Nabothii sowie Drüsenöffnungen, jeweils innerhalb des metaplastisch entstandenen Plattenepithels gelegen
Unterschiedliche Farbeffekte bei der Kolposkopie lassen sich durch die unterschiedliche Menge reflektierten Lichts erklären. Das vollständig ausgereifte Plattenepithel besteht aus mehreren Zelllagen und ist dadurch nur begrenzt lichtdurchlässig. Somit wird das Licht von den im Stroma liegenden Blutgefäßen nur beschränkt reflektiert. Daher erscheint normales Plattenepithel unter dem Kolposkop rosafarben. Das originäre Drüsenepithel ist dagegen tiefrot, denn durch das einschichtige Zylinderepithel schimmern die darunter liegenden Kapillaren hindurch. Das metaplastische Gewebe der Transformationszone kann das weiße Licht des Kolposkops mehr oder weniger gut reflektieren, abhängig von seinem Ausreifestatus. Ein charakteristisches Phänomen der normalen Transformationszone sind Ovula Nabothii. Diese können in einer diskret angedeuteten Anhebung des Plattenepithels bestehen, welche einen gelblichen Farbeindruck vermittelt. Häufig treten sie multipel auf, manchmal mit einem Durchmesser von mehreren Zentimetern, sodass sie bei der vaginalen Ultraschalluntersuchung ins Auge fallen (. Abb. 2.9). Die Stromakapillaren werden durch das angestaute Sekret zur Oberfläche gedrückt. Kennzeichnend sind daher die prominenten großkalibrigen Gefäße, die auf den zystischen Gebilden ausgespannt erscheinen. Die differenzialdiagnostische Abgrenzung von atypischen Gefäßen
. Abb. 2.9 Große Ovula Nabothii. Man erkennt zahlreiche zystische Strukturen, welche bei der Aufsicht gelblich erscheinen. Diese weisen prominente, aber regelmäßige Gefäße auf. Der Gynäkologin waren bei der Ultraschalluntersuchung „unklare zystische Formationen im Bereich der Zervix“ aufgefallen, was zur Vorstellung in der Dysplasiesprechstunde Anlass gab
ist einfach, da keine Kaliberschwankungen bestehen und der Gefäßdurchmesser sich zur Peripherie hin verjüngt. Appliziert man drei- bis sechsprozentige Essigsäurelösung, hat dies nur wenig Effekt auf das normale Plattenepithel und Drüsenepithel. Bei metaplastischem Gewebe entsteht mitunter eine weiße („essigweiße“) Verfärbung. Diese ist durch die in Relation zum Zytoplasma vergrößerten Zellkerne der Metaplasiezellen bedingt. Die Essigsäure führt zu einer Dehydratation des Zytoplasmas und damit zu einer verstärkten Lichtreflexion der vorübergehend dichter zusammenliegenden Zellkerne. Nach einigen Sekunden oder Minuten klingt dieser Effekt wieder vollständig ab, da eine Rehydratation des Zytoplasmas stattfindet (. Abb. 2.10, 2.11). > Die zart essigweiße Reaktion („minor change“) bei unreifer Metaplasie, bei der die Kern-Zytoplasma-Relation in Richtung Zellkern verschoben ist, lässt sich kolposkopisch nicht von einer leichtgradigen intraepithelialen Neoplasie unterscheiden.
13 2.2 Kolposkopisches Bild der normalen Zervix
a
b
. Abb. 2.10 Metaplasie vor (a) und nach (b) Essigsäureapplikation. Das metaplastische Gewebe ist zart essigweiß. Ein solches Bild wird nach der kolposkopischen Nomenklatur als „minor change“ bezeichnet
b
a
c
. Abb. 2.11 Dynamik der Essigsäurereaktion. Das native Bild der Transformationszone (a) ist in der Übersicht gezeigt. 30 s nach Applikation der Essiglösung (b) ist an der
ventralen Muttermundlippe eine Metaplasie mit zart essigweißer plattenepithelialer Überhäutung zu erkennen. Nach 60 s ist das Epithel nur noch am Rand essigweiß gefärbt (c)
Darüber hinaus werden bei der Metaplasie vermehrt Kapillargefäße sichtbar. In der kolposkopischen Aufsicht nach Essigsäureprobe zeigt sich daher eine zarte regelmäßige Punktierung oder ein zartes regelmäßiges Mosaik. Durch diese Gefäßphänomene wird eine kolposkopische Abgrenzung zur intraepithelialen Neoplasie verhindert. Bei der geringen Spezifität der kolposkopischen Diagnose solcher Minimalveränderungen
oder „minor changes“ sollte die Indikation zur Biopsie großzügig gestellt werden, denn gelegentlich verbergen sich hinter zart essigweißen Arealen nicht nur leichtgradige, sondern auch höhergradige intraepitheliale Neoplasien. Unter Umständen ist die zytologische Verdachtsdiagnose hilfreich, welche den Anlass für die kolposkopische Untersuchung gab. Erfolgt die Vorstellung in der Dysplasiesprechstunde zum Beispiel wegen eines Abstrichergebnisses der
2
14
2
Kapitel 2 Normale Anatomie der Zervix
Pap-Gruppe IVa–p, in der die Wahrscheinlichkeit einer höhergradigen Dysplasie sehr hoch ist, sollten auch kolposkopisch weniger auffällige Areale berücksichtigt und biopsiert werden.
2.3
Fragen zur Selbstkontrolle – Normale Anatomie der Zervix
Ja
1 Unter Metaplasie versteht man die Umwandlung von Plattenepithel in einschichtiges Drüsenepithel 2 Eine Metaplasiezone bzw. Transformationszone findet sich auch intraanal
3 Wenn der metaplastische Umbau abgeschlossen ist, so bezeichnet man diesen Zustand als „Ektopie“ 4 Plattenepitheliale Präkanzerosen bilden sich bevorzugt innerhalb der Transformationszone unter dem Einfluss der HP-Viren
5 Sogenannte Ovula Nabothii im Bereich der Transformationszone sind Prädilektionsstellen für die Dysplasieentstehung 6 Entscheidend für die kolposkopische Diagnostik ist die Beschreibung der Einsehbarkeit der neu gebildeten Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze
7 Bei T1 ist die Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze nicht einsehbar 8 Bei T2 ist die Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze vollständig sichtbar
9 Bei 70 % der Frauen über 50 Jahre wird eine T3-Zone gesehen
10 Normales metaplastisches Plattenepithel ist bei der Schiller’schen Jodprobe immer positiv (schwarz-brauner Farbton)
Literatur Baskett TF (2001) On the shoulders of giants: eponyms and names in obstetrics and gynaecology. RCOG, London Luyten A, Buttmann-Schweiger N, Hagemann I, Scherbring S, Boehmer G, Gieseking F et al (2015) Utility and reproducibility of the international federation for cervical pathology and colposcopy classification of transformation zones in daily practice: a multicenter study of the German Colposcopy Network. J Low Genit Tract Dis 19:185–188
Nein
15
Abnorme Befunde der Zervix Inhaltsverzeichnis 3.1
Grundlagen – 16
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.1.8
Essigsäureprobe – 16 Schiller’sche Jodprobe – 17 Leukoplakie – 18 Essigweiße Phänomene – 19 Atypische Gefäße – 23 Erosion und Ulzeration – 23 Atrophie – 25 Entzündung – 26
3.2
Zervikale intraepitheliale Neoplasien – 26
3.2.1 3.2.2 3.2.3
Leichtgradige Dysplasien der Zervix – 29 Höhergradige Dysplasien der Zervix – 35 Adenocarcinoma in situ der Zervix – 40
3.3
Zervixkarzinom – 42
3.3.1 3.3.2
Epidemiologie und Klinik – 42 Kolposkopisches Bild – 44
3.4
Fragen zur Selbstkontrolle – Abnorme Befunde der Zervix – 52 Literatur – 53
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3
16
3
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
Nach Auftragen einer vier- bis fünfprozentigen Essiglösung auf die Zervix können Farbveränderungen sowie Gefäßphänomene sichtbar gemacht werden, welche unter anderem als Punktierung oder Mosaik bezeichnet werden. Beim Erlernen der Kolposkopie müssen die Kriterien für leichtgradige und höhergradige präinvasive Veränderungen eingeübt werden und insbesondere deren Abgrenzung von invasionsverdächtigen Prozessen. Darüber hinaus wird in diesem Kapitel auf die Beziehung zwischen präkanzerösen und invasiven Prozessen der Zervix und dem humanen Papillomavirus (HPV) eingegangen.
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3.1
Grundlagen
Bei der Kolposkopie geht es im Wesentlichen um die Erkennung zervikaler Krebsvorstufen. Krebsvorstufen oder Präkanzerosen werden auch als Dysplasie bezeichnet und in drei Schweregrade eingeteilt: leichte, mäßige oder schwere Dysplasie. Hartnäckig hält sich leider auch der missverständliche Begriff „Carcinoma in situ“ als morphologisch definierte Bezeichnung für eine schwere Dysplasie. Natürlich handelt es sich bei einem „In situ“-Befund nicht um Krebs („Carcinoma“). Mäßige und schwere Dysplasien werden außerdem unter dem Begriff „höhergradig“ zu-
sammengefasst. Ebenso gebräuchlich wie der Ausdruck „Dysplasie“ ist die Bezeichnung „zervikale intraepitheliale Neoplasie“ oder „CIN“. Die drei Schweregrade werden dann als CIN1, CIN2 und CIN3 definiert. Allgemein sind folgende Kriterien hilfreich zur Einordnung von abnormalen gegenüber normalen kolposkopischen Befunden: 4 Nach Essigsäureprobe: – Farbe des Epithels vor und nach der Applikation von Essigsäure – Randbeschaffenheit eines auffälligen Areals zur Umgebung, insbesondere ob ein scharfer oder ein unscharfer Rand vorliegt 4 Nach Schiller’scher Jodprobe: – Farbreaktion des Plattenepithels Demnach kommt der Essigsäureprobe und der Schiller’sche Jodprobe eine Schlüsselrolle bei der kolposkopischen Differenzialdiagnostik zu. Beide Verfahren werden nachfolgend besprochen.
3.1.1
Essigsäureprobe
> Die Essigprobe ist ein unverzichtbarer Bestandteil der kolposkopischen Untersuchung. Eine Beurteilung der Essigsäurereaktion mit bloßem Auge ist aussagekräftiger als eine kolposkopische Untersuchung ohne Essigsäure.
Man verwendet eine vier- bis sechsprozentige Essigsäurelösung. Hierdurch koaguliert der Zervixschleim und kann besser mechanisch entfernt werden. Auf normales ausgereiftes Plattenepithel oder auf Drüsenepithel hat die Essiglösung keinen sichtbaren Effekt. Bei einem hohen Proteingehalt des Gewebes entwickelt sich dagegen eine weißliche Verfärbung. Hoher Proteingehalt wird durch eine hohe Kerndichte verursacht, also bei einer Verschiebung der Kern-PlasmaRelation zugunsten des Kerns. Dies ist bei unreifen metaplastischen Zellen der Fall, aber auch bei zervikalen Präkanzerosen und ganz besonders bei höhergradigen Veränderungen (mäßige oder schwere Dysplasie). > Die hyperosmolare Essigsäure lässt die Zellen durch Dehydratation schrumpfen und koagu-
17 3.1 Grundlagen
. Abb. 3.1 Essigsäurewirkung auf normales (linker Bildteil) und dysplastisches Epithel (rechter Bildteil). Im dysplastischen Gewebe ist der Proteingehalt höher. Die vier- bis sechsprozentige Essigsäure bewirkt eine Dehydratation des Epithels. Die Kerne rücken näher zusammen und machen das Gewebe weniger durchsichtig. Bei der Aufsicht wirkt es weiß („essigweiß“)
liert die Kernproteine. Die Zellkerne schieben sich übereinander und machen das Epithel undurchsichtig. Hierdurch verliert es seine rosa Färbung und wird „essigweiß“ (. Abb. 3.1).
Enthalten die Zellen dagegen reichlich Glykogen, kann die Essigsäurelösung nur bis in die obersten Zellschichten vordringen. Das Epithel behält seine normale Farbe. Hoch aufgebautes normales Plattenepithel wird sich deshalb nicht weiß färben. Die stärkste Reaktion wird dagegen bei einer schweren Dysplasie ausgelöst, denn charakteristisch für das dysplastische Gewebe ist eine Vergrößerung der Zellkerne. Diese beanspruchen einen Großteil der Zelle und enthalten reichlich Protein. Das Zytoplasma dieser dysplastischen Zellen speichert kein Glykogen mehr. Zwischen leicht- und höhergradigen Dysplasien finden sich demnach Intensitätsabstufungen der essigweißen Reaktion. Während eine CIN1 eher eine zarte essigweiße Reaktion aufweist, welche noch auf dem Niveau des umgebenden normalen Plattenepithels liegt, ist schwer dysplastisches Epithel (CIN2 oder CIN3) intensiver essigweiß gefärbt. Die höhergradigen Veränderungen weisen außerdem stärkere Niveauunterschiede auf. Essigweißes Epithel ist nicht notwendigerweise dysplastisch, vor allem, wenn die An-
färbung ein zartes und transparentes Aussehen hat. Denn auch metaplastisch entstandenes, noch nicht ausgereiftes Plattenepithel besteht aus Zellen mit erhöhtem Kern-Plasma-Quotienten und besitzt damit einen hohen Proteingehalt. Die unreife Metaplasie und die leichtgradige Dysplasie lassen sich nicht mit der Essigprobe unterscheiden. Außerdem sind sowohl dysplastisches Epithel als auch unreifes metaplastisches Epithel scharf berandet. Folgende Befunde können mit vergrößerten Kernen bzw. einer verschobenen Kern-PlasmaRelation und damit einer essigweißen Reaktion einhergehen: 4 unreife Metaplasie, 4 plattenepitheliale intraepitheliale Neoplasien (bei CIN2/CIN3 ausgeprägter als CIN1), 4 Karzinome, 4 Zelltrauma/Reparation nach Infektion oder mechanischer Beanspruchung (z. B. Pessar).
3.1.2
Schiller’sche Jodprobe
Walter Schiller (1887–1960) benutzte eine ursprünglich von Jean Guillaume Auguste Lugol (1788–1851) zur Behandlung der Hauttuberkulose eingesetzte Jodlösung (. Tab. 3.1), um das glykogenhaltige Plattenepithel von Zervix und Vagina zu markieren. > Glykogenhaltiges Gewebe färbt sich dunkelbraun bis schwarz. Bei dieser Farbreaktion kann dieses Gewebe mit Sicherheit als nicht dysplastisch eingestuft werden, da im Fall einer intraepithelialen Neoplasie die Zellen grundsätzlich die Fähigkeit verlieren, Glykogen zu speichern.
Der Nachweis von jodnegativem Epithel ist nicht in jedem Fall als pathologisch anzusehen. Auch normales Drüsenepithel, eine unreife Transformationszone oder atrophisches/entzündliches Plattenepithel sind nicht glykogenhaltig und damit jodnegativ. Bei Unsicherheit, ob ein möglicherweise dysplasiebedingtes Phänomen wie Punktierung oder Mosaik vorliegt, kann der positive Ausfall der Jodprobe eine Dysplasie zuverlässig ausschließen und der Patientin die Biopsie ersparen (. Abb. 3.2).
3
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
18
. Tab. 3.1 Herstellung der Lugol-Lösung für die Schiller’sche Jodprobe (Sankaranarayanan und Wesley 2003)
3
Bestandteile
Menge
Jodkristalle
5g
Kaliumiodat
10 g
Destilliertes Wasser
100 ml
Herstellung – 10 g Kaliumiodat in 100 ml destilliertem Wasser auflösen – Langsam 5 g Jodkristalle unter Schütteln dazugeben – Filtrieren der resultierenden Lösung und Aufbewahrung in einer dicht verschlossenen braunen Flasche
a . Abb. 3.2 Jodpositives mosaikartiges Muster. Bei der 19jährigen Patientin erkennt man bei 12 Uhr ein gyriertes Muster, welches mit einem dysplasiebedingten Mosaik verwechselt werden könnte (a). Die Jodprobe bringt Klarheit und führt zu einer positiven Färbung des fraglichen Bereichs (b),
b sodass eine Dysplasie zumindest in diesem Bereich so gut wie ausgeschlossen ist. Bei 3 Uhr und unmittelbar am Zervikalkanaleingang gelegen erkennt man ein zartessigweißes Areal mit Drüsenöffnungen, welches jodnegativ ist. Hier handelt es sich um eine unreife Plattenepithelmetaplasie
Die Schiller’sche Jodprobe wird immer nach der obligatorischen Essigsäureprobe durchgeführt. Nach der bisherigen Nomenklatur gilt die Jodprobe noch als optional, und eine Untersuchung unter Verwendung der Jodlösung wird als „erweiterte Kolposkopie“ bezeichnet.
3.1.3
Leukoplakie
Als Leukoplakie bezeichnet man ein weißes Areal vor Applikation der Essigsäure. Die Leukoplakie kann sowohl innerhalb als auch außerhalb der Transformationszone liegen. Histologisch handelt es sich immer um verhornendes Plattenepithel. Die dicke Hornschicht reflektiert das auftreffende Licht vollständig und erscheint daher bei Aufsicht weiß (. Abb. 3.3).
. Abb. 3.3 Leukoplakie. Eine dicke Hornschicht liegt über dem Plattenepithel, welches lichtundurchlässig wird und daher bei der Aufsicht weiß ist
19 3.1 Grundlagen
> Bei nicht eindeutigem kolposkopischem Befund ist grundsätzlich eine Gewebeentnahme sinnvoll.
3.1.4
. Abb. 3.4 Leukoplakie ohne dysplastische Veränderungen. Der zytologische Abstrich war unauffällig und ein HPV-Test negativ
Essigweiße Phänomene
Eingangs wurde auf die Bedeutung der Essigsäureprobe für die kolposkopische Diagnostik hingewiesen. Durch das Auftragen der Essigsäurelösung kommt es vorübergehend zu mehr oder weniger transparenten oder intensiv essigweißen Veränderungen des Plattenepithels mit oft charakteristischem Gefäßmuster. Hierzu gehören Punktierung und Mosaik sowie einige pathognomonische Zeichen, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine höhergradige Dysplasie hinweisen.
Punktierung und Mosaik Eine Leukoplakie entsteht durch einen lokalen Reiz, zum Beispiel durch ein Trauma oder eine chronische Infektion (. Abb. 3.4). Besonders deutlich tritt eine Leukoplakie im Zusammenhang mit Zervixkondylomen hervor (. Abb. 3.5). Differenzialdiagnostisch muss die Leukoplakie sowohl von einer zervikalen intraepithelialen Neoplasie als auch von einem Karzinom abgegrenzt werden.
a
> Punktierung und Mosaik sind Gefäßphänomene, die durch das Auftragen von Essiglösung sichtbar gemacht werden können.
In Einzelfällen lassen sich diese Phänomene schon nativ in der kolposkopischen Vergrößerung und unter Zuhilfenahme des Grünfilters darstellen. Die Punktierung entsteht durch die in den dermalen Papillen gelegenen Gefäßschlingen,
b
. Abb. 3.5 Zervixkondylom vor (a) und nach (b) Essigsäureanwendung
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Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
3
. Abb. 3.8 Grobe und unregelmäßige Punktierung
. Abb. 3.6 Schema Punktierung. Die Punktierung wird von an die Oberfläche reichenden, in den dermalen Papillen gelegenen Gefäßschlingen verursacht, die in einem rechten Winkel zur Epitheloberfläche liegen. Dieses Phänomen tritt insbesondere, aber nicht ausschließlich, bei intraepithelialen Dysplasien auf und tritt unter dem Einfluss der Essigsäurelösung deutlich hervor
. Abb. 3.9 Schema Mosaik. Durch eine Proliferation der Kapillarstrukturen umgeben diese mehreckige bis runde dysplastische Epithelareale und erwecken so den Eindruck eines Mosaiks
. Abb. 3.7 Zarte regelmäßige Punktierung an der ventralen Muttermundlippe
die unter dem Essigeffekt deutlicher hervortreten (. Abb. 3.6). Eine Punktierung wird mit Begriffen wie „zart“ versus „grob“ und „regelmäßig“ versus „unregelmäßig“ beschrieben (. Abb. 3.7, 3.8). Häufiges Kennzeichen einer leichtgradigen Dysplasie und unter Umständen der unreifen Metaplasie ist die zarte reguläre Punktierung. Grobe und unregelmäßige irreguläre Punktierungen sieht man dagegen eher bei höhergradigen Präkanzerosen.
Ebenso wie die Punktierung ist das Mosaik – von Hinselmann ursprünglich als „Felderung“ bezeichnet – ein Gefäßphänomen. Durch eine Proliferation der Kapillarstrukturen umgeben diese mehreckige bis runde dysplastische Epithelareale, sodass der Eindruck der „Felderung“ bzw. eines Mosaiks entsteht (. Abb. 3.9). > Ein zartes Mosaik (. Abb. 3.10) ist eher mit einer leichtgradigen Läsion assoziiert, während ein grobes Mosaik (. Abb. 3.11) am ehesten einer höhergradigen Dysplasie entspricht.
Da die rote Farbe der Blutgefäße, die das Bild des Mosaiks bzw. der Punktierung bedingt, unter grünem Licht stärker hervortritt, sollte aus
21 3.1 Grundlagen
a . Abb. 3.12 Das Kolposkop lässt die Gefäßstrukturen stärker hervortreten, indem das rote Licht absorbiert wird und die dann schwarz erscheinenden Gefäße kontrastreich auf grünem Hintergrund hervortreten, wie hier im Falle eines groben unregelmäßigen Mosaiks bei schwerer Dysplasie
b . Abb. 3.10 Zartes und regelmäßiges Mosaik an der ventralen Muttermundlippe vor (a) und nach (b) Essigsäureprobe
mit einer höhergradigen Zervixdysplasie assoziiert sind. Daher ist auch der Begriff „pathognomonische“ Zeichen üblich. Gebräuchlich sind auch im Deutschen die englischen Begriffe „inner border sign“, „ridge sign“ „cuffed open glands“ und „rag sign“. Das „inner border sign“ sowie das „ridge sign“ wurden in die internationale kolposkopische Nomenklatur aufgenommen (Bornstein et al. 2012)
„Inner border sign“
. Abb. 3.11 Grobes und unregelmäßiges Mosaik an der dorsalen Muttermundlippe
diagnostischen Gründen jedes Kolposkop einen Grünfilter besitzen (. Abb. 3.12).
Weitere essigweiße Phänomene/ pathognomonische Zeichen Im Laufe der letzten Jahre wurden vier besondere essigweiße Phänomene identifiziert, welche eine hohe Wahrscheinlichkeit besitzen, dass sie
Das „inner border sign“ wurde ausführlich von Scheungraber et al. (2009) sowie Vercellino et al. (2013) beschrieben: Ein intensiv essigweißes erhabenes und scharf begrenztes Areal liegt innerhalb eines ebenfalls auffälligen, aber transparenteren Epithels (. Abb. 3.13). Wenn man von der Theorie ausgeht, dass sich höhergradige Dysplasien aus leichten Dysplasien entwickeln, dann erklärt dies das Phänomen des „inner border sign“. Scheungraber et al. (2009) identifizierten ein „inner border sign“ bei 7,6 % der Patientinnen mit einer atypischen Transformationszone. Bei 70 % dieser Patientinnen konnte eine höhergradige Dysplasie (HSIL) histologisch verifiziert werden. Letztlich besitzt das „inner border sign“ eine Sensitivität von 20 % und eine Spezifität von 97 % für das Vorliegen einer HSIL. Diese Beobachtungen wurden von Vercellino et al. (2013) bestätigt: Sensitivität 20 % und Spezifität 99 %.
3
22
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
3
. Abb. 3.14 „Ridge sign“ oder Bergrückenphänomen. Im Bereich der ventralen Muttermundlippe findet sich ein intensiv essigweißes erhabenes Areal, welches sich zungenförmig auf das Zylinderepithel zu schieben scheint. Hier liegt sehr wahrscheinlich eine höhergradige Dysplasie des Plattenepithels vor. Die kolposkopisch gesteuerte Gewebeentnahme sollte aus diesem Bereich erfolgen . Abb. 3.13 „Inner border sign“. Im Bereich der ventralen Muttermundlippe sieht man ein scharf begrenztes erhabenes intensiv essigweißes Areal und rechts und links davon jeweils einen ähnlichen kleineren Bereich. Die gezielte Gewebeentnahme ergab eine höhergradige Dysplasie
„Ridge sign“ Ein weiteres pathognomonisches Phänomen der höhergradigen Dysplasie ist das „ridge sign“ oder „Bergrückenphänomen“. Unter einem „ridge sign“ versteht man ein Areal mit intensiv essigweißem Plattenepithel, welches sich bergrückenartig bzw. zungenförmig in Richtung des Zylinderepithels vorschiebt, also unmittelbar im Bereich der Plattenepithel-ZylinderepithelGrenze liegt (. Abb. 3.14). Eine kolposkopisch gesteuerte Biopsie aus einem „ridge sign“ ergibt in 63,8 % eine CIN2 oder CIN3 (HSIL). Scheungraber et al. (2009) ermittelten eine Sensitivität von 33,1 % bei einer Spezifität von 93,1 %, während Vercellino et al. (2013) eine Sensitivität von 52,5 % und eine Spezifität von 96,4 % errechneten.
„Rag sign“ Vercellino et al. (2013) beschrieben als drittes pathognomonisches Phänomen das „rag sign“. Hierunter versteht man die mechanisch provozierte Ablösung eines Plattenepithelareals. Man geht davon aus, dass vor allem bei höhergradig dysplastisch verändertem Plattenepithel eine geringere Zellkohärenz besteht als bei normalen Plattenepithelzellen. Durch die Manipulation
. Abb. 3.15 „Rag sign“. Das atypische und essigweiße Plattenepithel wurde durch die Manipulation bei der Kolposkopie bei 4 Uhr vom Stroma abgeledert
mit einem Abstrichinstrument bei Entnahme der Zervixzytologie oder beim Auftragen von Essigsäure oder Lugol’scher Jodlösung wird diese „rag“ („Lumpen“)-artige Epithelablösung provoziert (. Abb. 3.15). Die Sensitivität für den Nachweis einer HSIL mittels kolposkopisch gesteuerter Biopsie aus einem „rag sign“ beträgt laut Vercellino et al. (2013) 38,4 % bei einer Spezifität von 96,0 %.
„Cuffed open glands“ „Cuffed open glands“ ist ein Phänomen, dessen Bedeutung für die Diagnose der höhergradigen Zervixdysplasie noch nicht systematisch untersucht wurde und auch nicht wie „inner border lesion“ und „ridge sign“ Eingang in die kolposkopische Nomenklatur gefunden hat. Dennoch
23 3.1 Grundlagen
. Abb. 3.16 Histologisch verifizierte CIN3 der dorsalen Muttermundlippe. Die Drüsenöffnungen der Transformationszone sind durch das intensiv essigweiße Epithel ringförmig umrandet
beobachtet man „cuffed open glands“ häufig im Zusammenhang mit höhergradigen Dysplasien. Es handelt sich um Drüsenöffnungen innerhalb einer atypischen Transformationszone, die von einem zirkulären Rand intensiv essigweißen Epithels umgeben sind mit elevierter Berandung (. Abb. 3.16). Ebenso wie bei den vorbeschriebenen Zeichen sollte die Gewebeprobe vorzugsweise aus dem Bereich der „cuffed open glands“ entnommen werden.
3.1.5
Atypische Gefäße
Eine reife Transformationszone kann zahlreiche prominente Blutgefäße aufweisen, insbesondere wenn das ausgereifte Plattenepithel durch Ovula Nabothii vorgewölbt ist. Im Gegensatz zu atypischen Gefäßen haben diese keine Kaliberschwankungen und verjüngen sich gleichmäßig zur Peripherie hin (. Abb. 3.17). Im Bereich eines essigweißen und unter Umständen ulzerierenden Epithels wäre ein großer Gefäßreichtum bereits suspekt. > Im Fall eines Karzinoms findet sich ein unregelmäßiges Gefäßmuster mit bizarren Formen, Kaliberschwankungen, Erweiterungen statt Verengungen zur Peripherie hin, zahlreichen Aufzweigungen in unterschiedlichem Winkel sowie kommaförmigen Gefäßabbrüchen (. Abb. 3.18).
. Abb. 3.17 Normales Gefäßmuster im Bereich einer reifen Transformationszone. Die Gefäße weisen keine Kaliberschwankungen auf und werden zur Peripherie hin schmaler
Nach Einführen eines Spekulums oder bei Berührung mit einem Wattetupfer blutet es aus diesen leicht verletzlichen Gefäßen (. Abb. 3.18, 3.19). Atypische Gefäße sind nach der internationalen kolposkopischen Nomenklatur zwar das entscheidende Merkmal der invasiven Läsion, können aber auch bei gutartigen Veränderungen vorkommen wie Granulationsgewebe, Strahlenveränderungen, Entzündungen oder bei exophytischen Condylomata acuminata. Wie oben ausgeführt, kann man Gefäßstrukturen am besten mithilfe des Grünfilters beurteilen. Allgemein wird empfohlen, die Gefäße noch vor Auftragen der Essiglösung zu beurteilen.
3.1.6
Erosion und Ulzeration
Die „echte“ Erosion (. Abb. 3.20, 3.21) ist durch ein lokales Trauma bedingt, zum Beispiel beim Einführen eines Tampons oder durch die Spekulumuntersuchung. Liegt eine höhergradige Dysplasie vor, löst sich das Epithel besonders leicht ab, da die Zahl der Desmosomen, die für die Zellkohäsion verantwortlich sind, bei intraepithelialen Dysplasien verringert ist, und es kommt zum Phänomen des bereits besprochenen „rag signs“.
3
24
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
3
a
b
c
d
e
. Abb. 3.18 30-jährige Patientin mit einem Plattenepithelkarzinom im Stadium FIGO IB vor (a) und nach (b) Essigsäureprobe sowie nach Schiller’scher Jodprobe (c).
Eine Ausschnittvergrößerung der ventralen Muttermundlippe (d, e) zeigt eine flache Ulzeration mit atypischen Gefäßen, die unter dem Grünfilter noch deutlicher hervortreten
. Abb. 3.20 Schema Erosion. Die Plattenepithelschicht ist oberflächlich abgeledert
> Die Erosion muss von der Ulzeration un. Abb. 3.19 Atypische Gefäße bei einer 29-jährigen Patientin mit Zervixhöhlenkarzinom
terschieden werden. Ulzerationen führen zu deutlich tieferen Epitheldefekten und sind immer verdächtig auf Vorliegen eines invasiven Karzinoms.
25 3.1 Grundlagen
. Abb. 3.21 Echte Erosion. Das Plattenepithel an der dorsalen Muttermundlippe ist durch Einführen und Öffnen des Spekulums teilweise abgelöst
3.1.7
Atrophie
Bei einer Atrophie des Plattenepithels sieht man bereits durch das Einführen des Spekulums typische petechiale Einblutungen, da das Epithel sehr verletzlich ist (. Abb. 3.22–3.24). Sowohl die kolposkopische als auch die zytologische Beurteilung können bei einer Atrophie so stark beeinträchtigt sein, dass keine Diagnose möglich ist. Insbesondere die Schiller’sche Jodprobe fällt regelmäßig negativ aus, weil das atrophe Plattenepithel kein Glykogen speichern kann (. Abb. 3.25). Die Patientin sollte dann jeweils abends ein Östrogensuppo-
. Abb. 3.23 Ausgeprägte Atrophie des Plattenepithels mit petechialen Einblutungen
. Abb. 3.24 Zervixatrophie bei einer 69-jährigen Patientin
. Abb. 3.22 Schema Atrophie. Plattenepithel flach und leicht verletzlich
sitorium (z. B. 0,5 mg Estriol: Ovestin® Ovula) in die Vagina einführen. Nach zwei bis drei Wochen wird die zytologische oder kolposkopische Untersuchung wiederholt. Grundsätzlich ist bei Frauen mit vorausgegangenem Mamma-, Endometrium- oder Ovarialkarzinom Zurückhaltung bei Hormontherapien geboten. Allerdings ist für die lokale Aufhellung lediglich eine kurzzeitige Hormongabe erforderlich. Auf jeden Fall ist eine sogenannte ultraniedrig dosierte Östrogengabe bei diesen Patientinnen unbedenklich (Donders et al. 2014,
3
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
26
3
a
b
. Abb. 3.25 Ausgeprägte Atrophie nach Essigprobe (a) sowie Schiller’scher Jodprobe (b). Durch das dünne Plattenepithel scheinen die Blutgefäße hindurch. Da das atrophische
Epithel kein Glykogen speichern kann, fällt die Jodprobe weitgehend negativ aus
Ortmann et al. 2019), wie zum Beispiel die Gabe von 0,03 mg Östriol (Oekolp® Ovula) dreimal pro Woche für die Dauer von vier Wochen.
3.1.8
Entzündung
Eine Entzündung des Vaginal- und Portioepithels kann ähnliche diagnostische Probleme wie eine Atrophie verursachen. Wenn die zytologische und/oder kolposkopische Beurteilung stark beeinträchtigt ist, sollte auch hier eine lokale Entzündungs- oder Östrogenbehandlung erfolgen. Bei der Entzündung treten die Stromakapillaren deutlicher hervor (. Abb. 3.26), was zu einer zarten regelmäßigen Punktierung führt (. Abb. 3.27). Manchmal gibt die leicht erhabene Gefäßstruktur der Zervix ein erdbeerartiges Aussehen (. Abb. 3.28). Da die Glykogenspeicherkapazität des entzündlich veränderten Plattenepithels beeinträchtigt ist, fällt die Schiller’sche Jodprobe ganz oder teilweise negativ aus.
3.2
Zervikale intraepitheliale Neoplasien
> Das Vorhandensein humaner Papillomaviren (HPV) aus der sogenannten High-Risk-Gruppe ist eine notwendige Voraussetzung für die
. Abb. 3.26 Schema Entzündung. Die Stromakapillaren treten deutlicher hervor
Entstehung der intraepithelialen Neoplasien der Zervix sowie verschiedener Erkrankungen und Neoplasien im Bereich des weiblichen und männlichen Genitales, des Anus und des Laropharynx.
Für die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen humanen Papillomaviren und der Entstehung des Zervixkarzinoms (zur Hausen 2009) erhielt Harald zur Hausen aus Heidelberg im Jahre 2008 den Nobelpreis für Medizin. Für die Entwicklung einer intraepithelialen Neoplasie müssen nicht notwendigerweise vollständige und replikationsfähige Viren vorhanden sein. Die DNS der HP-Viren alleine reicht aus, dass sich eine Dysplasie entwickeln kann.
27 3.2 Zervikale intraepitheliale Neoplasien
a
b
. Abb. 3.27 Kolposkopisches Bild der Entzündung bei einer 34-jähriger Patientin mit rezidivierenden Pilzinfektionen vor (a) und nach (b) Essigprobe sowie nach Schiller’scher Jodprobe (c). Das Epithel weist eine fleckige Rötung auf mit unspezifischer essigweißer Reaktion. Bei 3 Uhr erkennt man
c eine prominente, aber reguläre Punktierung. Bei 4 bis 5 Uhr findet sich eine entzündungsbedingte Erosion. Nur ein Teil der Zellen speichert Glykogen und reagiert bei der Schiller’schen Jodprobe (c) positiv
2009, Shew et al. 2013), und nichtsexuelle Übertragungswege spielen eine wichtige Rolle (Sabeena et al. 2017).
. Abb. 3.28 Zervizitis bei einer 34-jährigen HIV-positiven Patientin mit prominenten Kapillaren. Dies verleiht der entzündeten Zervix ein erdbeerartiges Aussehen
> Humane Papillomaviren werden hauptsächlich durch Sexualverkehr übertragen. Diese Tatsache wird fast immer sehr vereinfacht dargestellt und kulminiert in den objektiv falschen und diskriminierenden Schlussfolgerungen: „Nonnen können keinen Gebärmutterhalskrebs bekommen“ und „Promiskuität und Prostitution sind die typischen Risikofaktoren oder Auslöser für das Zervixkarzinom“. Vielmehr sind HP-Viren des HighRisk-Spektrums bereits zum Zeitpunkt der Geburt und im Kindesalter in einem signifikanten Prozentsatz vorhanden (Doerfler et al.
Nur bestimmte HPV-Typen, die als „High-RiskViren“ bezeichnet werden, sind an der Entstehung einer Dysplasie und letzten Endes des Zervixkarzinoms beteiligt. Hierzu gehören insbesondere die HPV-Typen 16 und 18. Vermutlich interferieren die Genprodukte der DNSAbschnitte E6 und E7 mit Steuerungsmechanismen der Apoptose (. Abb. 3.29). E6 blockiert das Tumorsuppressorprotein p53, E7 das Retinoblastomaprotein (pRB). Die bei der normalen Zellreplikation physiologischerweise auftretenden schadhaften Zellen können unter dem Einfluss von E6 und E7 nicht mehr beseitigt werden. So häufen sich Mutationen, die zu einer malignen Umwandlung der Zellen führen können. > Die durch humane Papillomaviren gestörte Zellreplikation spielt sich im Bereich der Metaplasiezone ab. Denn diese stellt einen Bereich verstärkter Proliferationsaktivität dar.
Sicher ist, dass noch weitere Faktoren hinzukommen müssen, bevor bei Vorhandensein von HPV-High-Risk-DNS eine Präneoplasien oder Krebs entstehen können. Das Immunsystem spielt sicherlich eine Rolle. Bei medikamentöser Immunsuppression zum Beispiel nach Organtransplantationen oder bei HIV-Erkrankung
3
28
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
nesfalls als „krank“ zu betrachten, und dies muss bei der Kommunikation mit der Patientin deutlich gemacht werden. Dies ist umso wichtiger, da der HPV-Test bei Frauen ab 35 Jahren Teil des Zervixkarzinomscreenings ist.
3
> HPV-High-Risk-Positivität ist keine Krankheit, sondern vielmehr ein Indikator, der die Notwendigkeit von weiteren Krebsvorsorgeuntersuchungen nach einem definierten Algorithmus unterstreicht. . Abb. 3.29 Schema des HPV-16-Genoms. Die Genprodukte der DNS-Abschnitte E6 und E7 interferieren mit Steuerungsmechanismen der Apoptose
entsteht sehr viel leichter eine Präneoplasie, und auch das Karzinomrisiko ist erhöht. Zudem ist ein statistischer Zusammenhang zwischen Rauchen und Dysplasierisiko seit Langem bekannt. Hormonelle Kontrazeptiva spielen ebenfalls eine Rolle (Lellé et al. 2019). Sie erhöhen das Risiko für die Entstehung eines Zervixkarzinoms geringfügig, aber durchaus signifikant (Smith et al. 2003, International Collaboration of Epidemiological Studies of Cervical Cancer 2007). Dies gilt sowohl für Plattenepithel- als auch für Adenokarzinome. Je länger die Hormone eingenommen werden, umso höher ist das Risiko. Nach Beendigung der Einnahme sinkt das Risiko wieder ab. Allerdings haben hormonelle Kontrazeptiva in der Summe einen signifikanten protektiven Effekt gegen andere Krebserkrankungen (Endometrium, Ovar, Kolon, Rektum) (Sasieni 2007). Auch wenn viele Aspekte der Karzinomentstehung durch die humanen Papillomaviren noch unbekannt sind, so lassen sich dennoch einige belastbare epidemiologische Aussagen treffen: Bei sexuell aktiven Frauen ist HPV-High-RiskDNS im Bereich der Zervix in einem hohen Prozentsatz vorhanden. Diese Erkenntnis geht auf Ho et al. (1998) zurück. In halbjährlichen Untersuchungen wurden bei jungen Frauen aus einer US-amerikanischen College-Population in 43 % humane Papillomaviren mittels PCR nachgewiesen. Frauen mit einem positiven HPV-High-RiskBefund sind allein aufgrund dieser Tatsache kei-
Nur ein kleiner Prozentsatz der Patientinnen mit positivem HPV-High-Risk-Testergebnis wird jemals eine Zervixdysplasie entwickeln. Außerdem dauert es mindestens drei bis vier Jahre, bis sich nach HPV-Kontakt überhaupt eine Präneoplasie der Zervix bilden kann. Auf dieser Basis wurden hocheffektive Screeningprogramme entwickelt, entweder im Sinne einer Kombination von HPV-Test und Pap-Abstrich (Petry et al. 2003) oder auf der Grundlage eines alleinigen HPV-Screenings. Fast alle Zervixkarzinome, gleichgültig ob sie vom Plattenepithel oder Drüsenepithel ausgehen, sind HPV-assoziiert. Insbesondere bei Plattenepithelkarzinomen sind HPV-negative Vorstufen und invasive Karzinome sehr selten und weisen einen anderen Mechanismus der Karzinogenese auf (Regauer et al. 2022). Im Folgenden wird auf die beiden wichtigsten Manifestationen HPV-bedingter Erkrankungen eingegangen: die leichtgradige (CIN1) und die höhergradige Dysplasie (CIN2/3). > Bei der leichtgradigen Dysplasie (CIN1) handelt es sich um eine Entität, die sich morphologisch und teilweise auch aufgrund ihrer HPV-Genese von den höhergradigen Präkanzerosen (CIN2/3) unterscheidet. Auch die klinische Vorgehensweise unterscheidet sich wesentlich.
Grundlage für das klinische Vorgehen ist die Progressions- und Regressionswahrscheinlichkeit einer zervikalen Präkanzerose. > Grundsätzlich sind alle drei Schweregrade einer zervikalen Dysplasie (CIN1 bis CIN3) rückbildungsfähig.
29 3.2 Zervikale intraepitheliale Neoplasien
Die statistischen Daten hierzu sind verständlicherweise spärlich. Denn eine Beobachtung von Zervixläsionen bis zur Entstehung eines Karzinoms ist natürlich nicht vertretbar. Östör (1993) präsentierte im Jahr 1993 eine Literaturübersicht, die bis in das Jahr 1950 zurückreicht (. Tab. 3.2). Kiviat (1996) vermuteten ähnliche Größenordnungen der Regression bzw. Persistenz: CIN1 zu CIN2/CIN3 in 10–15 %, Regression 60 %, Persistenz 30 %. Was die leichtgradige Dysplasie betrifft, ermittelten Duggan et al. (1998) eine Progressionswahrscheinlichkeit (leichte zu höhergradige Dysplasie) von 18,6 %. Desgleichen persistierten 18,6 % der Läsionen und 62,7 % bildeten sich zurück. Wie eine statistische Auswertung von Daten aus dem staatlichen britischen Gesundheitssystem gezeigt hat, entwickeln sich mindestens 80 % aller höhergradigen Zervixläsionen (CIN2/3) nicht zu Krebs (Raffle et al. 2003). Eine weitere Metaanalyse stammt von Cantor et al. (2005). Nachfolgend sind die ermittelten Daten in Form der mittleren jährlichen Übergangswahrscheinlichkeit wiedergegeben (. Tab. 3.3). Eindrucksvoll sind die Ergebnisse einer britischen Studie zum Einfluss einer zeitlichen Verzögerung der kolposkopischen Abklärung bei zytologischem Verdacht auf eine höhergradige Dysplasie: Wenn Patientinnen, die mehr als sechs Monate auf eine Kolposkopie warten mussten, mit Patientinnen verglichen wurden, die schneller untersucht worden waren, so kam es durch eine lange Wartezeit keineswegs häufiger zu Karzinomen. Vielmehr waren signifikant seltener Operationen notwendig (Fakokunde und Selo-Ojeme 2008). > Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Daten zum Verlauf unbehandelter Präkanzerosen der Zervix unterschiedlicher Schweregrade sehr spärlich sind, sodass eine wesentliche Grundlage für Empfehlungen zur klinischen Vorgehensweise fehlt.
Aus den vorhandenen Daten lässt sich zumindest ableiten, dass leichtgradige Dysplasien nur eine geringe Wahrscheinlichkeit der Entartung besitzen und sich häufiger zurückbilden, als dass sie
zu einer höhergradigen Dysplasie werden. Auch bei höhergradigen Dysplasien besteht kein sehr hohes Entartungsrisiko und selbst schwere Dysplasien können sich noch spontan zurückbilden. > Demnach werden höhergradige Dysplasien (HSIL) und insbesondere schwere Dysplasien (CIN3) in der Regel behandelt, während bei leichtgradigen Veränderungen eine Verlaufskontrolle als ausreichend angesehen wird, in der Erwartung, dass sich die Zellveränderungen spontan zurückbilden werden.
3.2.1
Leichtgradige Dysplasien der Zervix
Pathogenese Wie einleitend gezeigt, ist die leichtgradige Dysplasie („low grade intraepithelial neoplasia“ LSIL) oder zervikale intraepitheliale Neoplasie Grad 1 (CIN1) der morphologische Ausdruck einer HPV-Infektion. Die amerikanische ALTSStudie („ASCUS/LSIL Triage Study“) hat gezeigt, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle multiple HPV-Typen nachgewiesen werden (58,9 %), insbesondere aber HPV-High-RiskTypen (86,1 %) (ALTS 2000). > Es ist keine zuverlässige Vorhersage möglich, welche leichtgradigen Dysplasien sich spontan zurückbilden werden und in welchen Situationen eine CIN1 als ein erster Schritt zu einer höhergradigen Dysplasie oder sogar zu einem Karzinom gewertet werden muss. Die Gruppe der leichten Dysplasien besteht demnach aus zwei biologisch unterschiedlichen Entitäten, die mit heutigen Mitteln noch nicht unterscheidbar sind. Entscheidend ist aber, dass eine Progression zum invasiven Karzinom sehr selten ist und weniger als ein Prozent betragen dürfte.
Man geht davon aus, dass das HP-Virus in das Zervixepithel eindringen kann. Hierbei ist das mehr oder weniger ausgereifte metaplastische Epithel der Transformationszone für eine HPV-Infektion anfälliger als das originäre mehrschichtige Plattenepithel. Das Virus wird anschließend in die DNS der Basalzellen integriert.
3
30
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
. Tab. 3.2 Progressions- und Regressionswahrscheinlichkeit einer zervikalen Präkanzerose (nach Östör 1993)
3
Schweregrad
Regression (%)
Persistenz (%)
Progression zu CIN3 (%)
Invasion (%)
CIN1
60
30
10
1
CIN2
40
40
20
5
CIN3
33
Keine Angabe
Entfällt
> 12
. Tab. 3.3 Metaanalyse zu Übergangswahrscheinlichkeiten unterschiedlicher Dysplasiegrade in höhergradige oder niedriggradige Läsionen (nach Cantor et al. 2005) Schweregrad
Mittlere jährliche Übergangswahrscheinlichkeit (%)
Höhergradige Dysplasie zu Karzinom
0,74
Leichte Dysplasie zu höhergradiger Dysplasie
7,20
Höhergradige Dysplasie zu leichter Dysplasie
5,64
Leichte Dysplasie zu Normalbefund
Die HPV-Infektion alleine führt allerdings noch nicht zu den morphologisch fassbaren Veränderungen, die eine intrazervikale Neoplasie ausmachen. Die allermeisten HPV-Infektionen führen nicht zu einer Dysplasie. Bisher ist nur unzureichend klar, welche Kofaktoren erforderlich sind, um eine Aktivierung der Virus-DNS zu bewirken. Wird das HP-Virus unter dem Einfluss dieser Faktoren aktiviert, kommt es zu einer Virusreplikation in den Intermediär- und Superfizialzellen. Die Koilozytose ist der morphologische Ausdruck dieser HPV-Aktivität. Der Name „Koilozyt“ leitet sich vom griechischen „koilos“ ab, was so viel wie „hohl“ oder „ausgehöhlt“ bedeutet. Der Begriff „Koilozyt“ bzw. „koilocytotic atypia“ wurde im Jahr 1956 von Koss und Durfee geprägt, die diesen Zelltyp als „große Zellen mit relativ kleinem, aber unregelmäßigem und hyperchromatischem Kern, umgeben von einem klaren und transparenten Zytoplasma“ beschrieben (. Abb. 3.30). Bereits 1960 äußerte Ayre die Vermutung, dass Koilozyten durch eine Virusinfektion hervorgerufen werden. Nach den historischen Recherchen von Naylor (2000) waren es schließlich Meisels und Fortin, welche humane Papillomaviren als Auslöser der Zellveränderungen identifizierten. Koilozyten haben typischerweise einen unregelmäßigen Kern mit perinukleärer Aufhellung des Zytoplasmas („Halo“; griechisch „Licht-
14,80
. Abb. 3.30 Koilozyt inmitten unauffälliger Intermediärzellen des Plattenepithels: Die beiden Zellkerne sind vergrößert, entrundet und von einem hellen Zytoplasma (Halo) umgeben
hof“). Die Kern-Plasma-Relation ist zugunsten des Kerns verschoben. Die Zellen sind häufig mehrkernig. Manchmal beginnt das Zytoplasma zu zerfallen und besitzt ein fleckig eosinophiles Aussehen, sodass die Bezeichnung „Masernzelle“ gebräuchlich ist. Leichtgradige dysplastische Veränderungen treten häufiger bei jungen Frauen auf, was zumindest teilweise die hohe spontane Rückbildungsrate erklärt. Denn bei jungen Frauen können Papillomaviren – auch solche vom HighGrade-Typ – spontan eliminiert werden. Nach der bereits oben zitierten Untersuchung von Ho
31 3.2 Zervikale intraepitheliale Neoplasien
et al. (1998) bilden sich 70 % der Neuinfektionen innerhalb von acht Monaten spontan zurück. Nur bei einer persistierenden Infektion dürfte das Risiko bestehen, dass sich eine klinisch relevante höhergradige intraepitheliale Neoplasie ausbildet. Leichtgradige Dysplasien (CIN1) sind nach heutiger Vorstellung nicht behandlungsbedürftig. Nach Castle et al. (2011) stellt eine CIN1 keinen signifikanten Risikofaktor für die spätere Entstehung einer CIN3 dar.
Kolposkopisches Bild Entscheidend für die differenzialkolposkopische Bewertung ist die Essigprobe. Das Aufbringen der vier- bis sechsprozentigen Essigsäurelösung auf die Portio führt zu einer weißlichen Färbung des dysplastischen Epithels (. Abb. 3.31). Der Effekt der Essigsäure ist hierbei immer nur passager. Der Effekt klingt ab, wenn die Zellen wieder Flüssigkeit aus der Umgebung aufnehmen, also rehydriert werden. Die Stärke der essigweißen Reaktion kann bei der leichten Dysplasie sehr variabel sein. Meist handelt es sich um eine zarte essigweiße Reaktion. Das weiße Epithelareal wirkt noch geringfügig durchsichtig. Das betroffene Areal liegt hierbei im Niveau des umgebenden unauffälligen Plattenepithels.
a . Abb. 3.31 CIN1. Bei dieser 20-jährigen Patientin erkennt man im Bereich der Transformationszone bei 11– 12 Uhr eine zart essigweiße Färbung, welche im Niveau des
Im Allgemeinen wird bei der Kolposkopie davon ausgegangen, dass die Essigsäurereaktion bei leichtgradiger Dysplasie langsamer eintritt und rascher wieder abklingt als bei höhergradigen Veränderungen. Allerdings lagen hierzu keine objektiven Daten vor, bis Hilal et al. im Jahre 2020 hierzu eine systematische Untersuchung durchführten, die diese subjektiven Erfahrungen nur zum Teil bestätigte. Hilal et al. (2020) stellten fest, dass 4 die Essigsäurereaktion bei allen Schweregraden der Dysplasie sehr rasch eintritt: im Median nach 19 s bei höhergradigen Läsionen und nach 7 s bei höhergradigen Veränderungen; 4 das Maximum der essigweißen Färbung bei allen Schweregraden nach 50 s erreicht wird; 4 der Essigsäureeffekt nach einer bis drei Minuten abklingt; 4 dieser Rückgang signifikant schneller bei höhergradigen als bei leichtgradigen Veränderungen erfolgt (und nicht umgekehrt!). > Hieraus lässt sich für die kolposkopische Praxis ableiten, dass der beste Zeitpunkt für die kolposkopische Beurteilung ca. eine Minute nach Auftragen der Essiglösung gegeben ist, da nach einer Minute die diagnostische Sensitivität am höchsten ist. Länger als drei Minuten sollte nicht gewartet werden, da die
b umgebenden Epithels liegt (a). Die Lugol-Probe (b) zeigt bei 11 Uhr eine deutliche Entfärbung
3
32
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
3
. Abb. 3.32 Histologisch gesicherte CIN1 mit zartem und regelmäßigem Mosaik
Möglichkeit einer Unterschätzung der Essigsäurereaktion besteht, da die weiße Färbung insbesondere bei höhergradigen Dysplasien nach dieser Zeit rasch abklingt.
Durch das essigweiße Epithel hindurch sind die Kapillarschlingen in den Epidermispapillen
a . Abb. 3.33 CIN1 bei 25-jähriger Patientin mit zartem und regelmäßigem Mosaik. Eine leichte Dysplasie wurde durch Gewebeentnahme bei 6 Uhr histologisch gesichert. Typisch
deutlicher sichtbar. Die Stromakapillaren werden durch die Essigsäurereaktion komprimiert und reichen bis zur Epitheloberfläche. So entsteht der Eindruck einer feinen Punktierung bzw. eines zarten Mosaiks. Dieses Muster ist im Gegensatz zu höhergradigen Veränderungen regelmäßig angeordnet (. Abb. 3.32). Atypische Gefäßmuster sieht man nur selten. Das Areal einer leichten Dysplasie ist meist scharf vom umgebenden normalen Plattenepithel abgegrenzt (. Abb. 3.33). Im Gegensatz zu höhergradigen Dysplasien ist allerdings auch eine unscharfe Randbegrenzung möglich. Bei allen dysplastischen Veränderungen – auch bei leichtgradigen Dysplasien – ist zu erwarten, dass die Schiller’sche Jodprobe negativ ausfällt. Allerdings ist die Jodnegativität unter Umständen weniger homogen, wie das Beispiel einer kondylomartigen Veränderung in . Abb. 3.34 zeigt und was als Tigerfell-Muster bezeichnet wird. Hellberg und Nilsson (1990) beschrieben die folgenden kolposkopischen Merkmale bei 165 Frauen mit histologisch nachgewiesener leichter Dysplasie (CIN1): 4 essigweißes Epithel in 52,1 %, 4 Punktierung in 22,4 %, 4 Mosaik in 18,2 %, 4 atypische Gefäße in 2,4 %.
b ist die scharfe Randbegrenzung der essigweißen und jodnegativen Läsion
33 3.2 Zervikale intraepitheliale Neoplasien
a
b
c
. Abb. 3.34 Großflächig kondylomatöse Läsion der ventralen Muttermundlippe (a), teils essigweiß (b), teils jodpositiv als Tigerfell-Muster (c). Eine Biopsie des bei 7 Uhr gelegenen essigweißen (b) und jodnegativen (c) Epithels ergab eine CIN2
Eine ausschließlich auf der Kolposkopie und Essigsäureprobe beruhende Diagnose der leichten Dysplasie ist unzuverlässig. Hopman et al. (1998) fanden nur in 42,8 % der kolposkopischen Verdachtsfälle histologisch tatsächlich eine CIN1. Wenn derselbe Untersucher aufgefordert wurde, die kolposkopischen Bilder nach einem Intervall von drei Monaten erneut zu bewerten, betrug die Übereinstimmung nur 51 %. Flache Kondylome sind kolposkopisch nicht so eindeutig wie Condylomata acuminata und können mit einer leichten Dysplasie verwechselt werden. Der erhabene Rand und die intensive essigweiße Färbung mit scharfer Begrenzung zum umgebenden Gewebe können sogar eine höhergradige Dysplasie vortäuschen. Wie beispielhaft in . Abb. 3.35 gezeigt, findet man die flachen Kondylome nicht unbedingt zervikalkanalnah bzw. am unmittelbaren PlattenepithelZylinderepithel-Übergang, sondern weiter peripher gelegen. Häufiger als eine Verwechslung der leichten Dysplasie mit höhergradigen Dysplasien dürfte die Überinterpretation metaplastischer Veränderungen sein. Insbesondere noch nicht ausgereifte Metaplasiezellen weisen einen hohen Proteingehalt auf und führen zu einer essigweißen Reaktion. Darüber hinaus ist der Glykogengehalt noch nicht ausreichend, um eine Jodfärbung auszulösen. Andererseits können eine feine regelmäßige Punktierung oder ein zartes, ebenfalls regelmäßiges Mosaik vorhanden sein (. Abb. 3.36, 3.37). Die Randbegrenzung der unreifen Me-
. Abb. 3.35 Flaches Zervixkondylom. Bei der 18-jährigen Patientin sind bereits dreimal Vulvakondylome operativ behandelt worden. Nun ist auch die Zervix involviert: 12 Uhr zervikalkanalnah und 4 und 7 Uhr, jeweils peripher gelegen
taplasie ist allerdings eher unregelmäßig und unscharf. > Letztlich lassen sich leichtgradige Dysplasien und unreife Metaplasien nicht kolposkopisch unterscheiden und werden in der kolposkopischen Nomenklatur unter dem Begriff „minor change“ zusammengefasst.
3
34
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
3
. Abb. 3.36 Essigweiße Bezirke im Bereich der Transformationszone, ventral mit zartem Mosaik. Kolposkopisch kann nicht zwischen einer unreifen Metaplasie und einer leichtgradigen Dysplasie unterschieden werden
. Abb. 3.38 „Minor change“ mit regulärer Punktierung. Die 27-jährige Patientin hat keine Dysplasie. Die deutliche Punktierung ist regelmäßig, das heißt, die Kapillarpunkte sind alle ähnlich weit voneinander entfernt. Das scharf begrenzte atypische Areal bei 12 Uhr ist partiell transparent
. Abb. 3.39 „Minor change“ bei einer 17-jährigen Patientin ohne Dysplasienachweis. Das scharf berandete essigweiße Areal wirkt dünn und transparent
. Abb. 3.37 Unreife Metaplasie mit zartem Mosaik
Wird bei älteren, insbesondere postmenopausalen Frauen aufgrund kolposkopischer Kriterien der Verdacht auf eine leichte Dysplasie geäußert,
ist Vorsicht angebracht. Bei älteren Patientinnen können höhergradige Läsionen kolposkopisch weitaus weniger prominent sein und eine leichte Dysplasie nur imitieren. . Abb. 3.38 bis 3.41 zeigen weitere Beispiele für „minor change“-Veränderungen, welche sowohl einer unreifen Metaplasie als auch einer leichten Zervixdysplasie entsprechen können.
35 3.2 Zervikale intraepitheliale Neoplasien
a
b
. Abb. 3.40 Histologisch verifizierte leichtgradige Dysplasie bei einer 32-jährigen nulligraviden Patientin („minor change“). Das zart essigweiße Epithel (a) reagiert jodnegativ (b)
a
b
c
. Abb. 3.41 „Minor change“ mit einem feinnetzigen zarten Mosaik, welches nicht mit Jodlösung reagiert: vor (a) und nach (b) Essigsäureprobe sowie Schiller’scher Jodprobe (c)
3.2.2
Höhergradige Dysplasien der Zervix
Pathogenese Unter dem Begriff der höhergradigen Dysplasie werden mäßige und schwere Dysplasien (CIN2/CIN3) zusammengefasst. In der amerikanischen Bethesda-Klassifikation wird hierfür sowohl im Rahmen der zytologischen als auch der histopathologischen Nomenklatur die Bezeichnung „high grade squamous intraepithelial lesion“ (HSIL) gewählt, im Unterschied zur „low grade squamous intraepithelial lesion“ (LSIL). Der dramatische Rückgang des invasiven Zervixkarzinoms seit den frühen 1970er-Jahren in Deutschland ist vor allem auf die korrekte Erkennung und Behandlung der höhergradigen Zervixdysplasien zurückzuführen. Die in der Vergangenheit weit verbreitete Praxis einer operativen Therapie ausschließlich zytolo-
gisch diagnostizierter und damit oft leichtgradiger Veränderungen führte dagegen zu einer gewaltigen Überbehandlung, die insbesondere jungen Patientinnen mit potenziellem Kinderwunsch Schaden zufügen kann. Spätestens seit den im Jahre 2020 in Kraft getretenen Richtlinien zum Zervixkarzinomscreening ist dies nicht mehr zulässig. Nicht nur unter klinischen Aspekten ist es sinnvoll, eine klare Grenze zwischen leichtgradigen (CIN1 bzw. LSIL) und höhergradigen Veränderungen (CIN2/CIN3 bzw. HSIL) zu ziehen. Sowohl die zytologischen als auch die histologischen Unterschiede zwischen CIN2 und CIN3 sind deutlich unschärfer als die Unterscheidung zwischen LSIL und HSIL. Auch ist das Entartungspotenzial bei CIN2 und CIN3, welche beide auf den gleichen HPV-High-Risk-Typen basieren, ähnlich. Bei höhergradigen Veränderungen geht man davon aus, dass eine signifikante Gefahr der
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36
3
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
Progression zu einem invasiven Karzinom besteht. Allerdings spricht einiges dafür, dass die allein auf morphologischen Kriterien beruhende Diagnose einer CIN2/CIN3 das biologische Progressionspotenzial der Zellen nicht adäquat widerspiegelt. Bedingt durch genetische Variationen wird das individuelle Risiko, dass sich aus einer höhergradigen Dysplasie ein invasives Karzinom entwickelt, sehr unterschiedlich ausfallen. Dies schlägt sich in den oben genannten immer noch erstaunlich geringen Progressionsraten auch schwergradiger Zervixdysplasien nieder. Ähnliches gilt für das Vorhandensein von Hochrisiko-HPV-Typen bei Frauen ohne zytologisch oder kolposkopisch auffällige Befunde: Möglicherweise spielt auch hier eine bisher nicht identifizierte genetische Disposition eine entscheidende Rolle. Denn in der nachfolgenden Diskussion über Assoziation von HPV-Infektion und höhergradigen Zervixdysplasien darf nicht vergessen werden, dass bei einer Vielzahl sexuell aktiver Frauen und Männer die DNS humaner Papillomaviren im Genitalbereich nachweisbar ist. > Insbesondere junge Frauen sind in der Lage, HP-Viren zu eliminieren. Dagegen nimmt mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit einer HPV-Persistenz zu. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da die HPV-Persistenz und nicht so sehr die HPV-High-RiskInfektion selbst für die Entwicklung einer höhergradigen Dysplasie verantwortlich ist.
Aus diesem Grund fordern die deutschen Vorsorgerichtlinien die Kombination von Pap-Abstrich und HPV-Test ab einem Alter von 35 Jahren als Screeningtest und in der Altersgruppe ab 30 Jahren als Triage-Instrument bei grenzwertig auffälligen Pap-Abstrichen. Den in vielen Teilen der Welt am häufigsten vorkommenden HPV-Typen 16 und 18 kommt eine besondere Rolle zu. Möglicherweise kann der Organismus insbesondere HPV16 weniger gut als andere HPV-High-Risk-Typen spontan eliminieren (Moscicki et al. 1990). Nach der sogenannten Progressionstheorie geht eine höhergradige Dysplasie aus einem zunächst umschriebenen Herd innerhalb einer leichtgradigen Zervixdysplasie hervor. Dieser
. Abb. 3.42 Die kolposkopisch gesteuerte Biopsie bei 12 Uhr ergab bei der 24-jährigen Patientin eine mäßige (CIN2) sowie eine schwere (CIN3) Dysplasie. Nach der Abtragung mittels LEEP-Schlinge fanden sich Anteile aller drei Dysplasiegrade
Herd wird allmählich größer und ersetzt schließlich das leichtgradig dysplastische Epithel. Für diese Theorie spricht die Altersverteilung der Patientinnen mit unterschiedlichen Dysplasiegraden. Herrero et al. (2000) ermittelten für Patientinnen mit einer höhergradigen Dysplasie einen Altersgipfel zwischen 25 und 34 Jahren. Patientinnen mit einer CIN2 waren im Mittel 33 Jahre alt und Patientinnen mit einer CIN3 37 Jahre. Das mittlere Alter der Patientinnen mit invasivem Karzinom betrug 39 Jahre. Herrero et al. vermuten, dass HPV-High-Risk-positive Frauen – ebenso wie Frauen mit leichtgradiger Dysplasie – innerhalb von fünf Jahren eine höhergradige Dysplasie entwickeln können. Innerhalb von neun bis zehn Jahren entsteht möglicherweise ein Zervixkarzinom, welches klinisch noch nicht erkennbar ist. Symptome treten erst vier bis fünf Jahre später auf. Das oben beschriebene Phänomen „inner border lesion“ ließe sich ebenfalls durch die Progressionstheorie erklären. Zervixdysplasien, welche sowohl aus leichtgradigen als auch aus höhergradigen Veränderungen zusammengesetzt sind (. Abb. 3.42),
37 3.2 Zervikale intraepitheliale Neoplasien
ließen sich allerdings auch durch eine Infektion mit zwei oder mehr unterschiedlichen HPV-Typen erklären, vor allem wenn sich die Dysplasien um mehr als zwei Dysplasiegrade, CIN1/CIN2/CIN3, unterscheiden (Park et al. 1998). Folgende Kofaktoren können die Entwicklung aus einer leichten zu einer höhergradigen Dysplasie begünstigen (Brisson et al. 1994, Koutsky et al. 1992): 4 HPV-16-Infektion (relatives Risiko 8,7), 4 Rauchen (relatives Risiko 2,4), 4 hormonelle Kontrazeption (relatives Risiko 1,9), 4 wechselnde Sexualpartner (> 4 Sexualpartner: relatives Risiko 1,4 für CIN2 und 2,3 für CIN3), 4 Immunsuppression medikamentös nach Organtransplantation oder krankheitsbedingt, z. B. durch HIV-Infektion (relatives Risiko abhängig von der Grunderkrankung).
Kolposkopisches Bild Vereinfacht gesagt ist die Treffsicherheit der Kolposkopie umso höher, je höhergradig die dysplastischen Veränderungen sind. Hopman et al. (1995) fanden bezüglich der Diagnose einer schweren Dysplasie eine Reproduzierbarkeit von 70 % bei demselben Untersucher und von 76,9 % bei verschiedenen Untersuchern. Ähnliches gilt für Zuverlässigkeit und Reproduzierbarkeit der histologischen Diagnose: Eine CIN2 bzw. CIN3 lässt sich verlässlicher diagnostizieren als eine CIN1. Nichtsdestoweniger ist jede kolposkopische Diagnose nur der Versuch der Annäherung an die tatsächliche Diagnose und hat auch bei höhergradigen Veränderungen eine gewisse Subjektivität und Unschärfe. Daher sollte gegebenenfalls bei einem zytologischen Verdacht auf eine höhergradige Dysplasie auch eine weniger auffällige essigweiße Läsion biopsiert werden, um die Sensitivität der Kolposkopie zu erhöhen (Massad et al. 2009). Auf ein konkretes Beispiel bezogen bedeutet dies, dass bei einem zytologischen Befund der Pap-Gruppe IVa–p durchaus auch ein „minor change“ biopsiert werden sollte, dem möglicherweise doch eine höhergradige Dysplasie zugrunde liegt. Leichtgradige und höhergradige Veränderungen können nebeneinander vorkommen. Ziel der
. Abb. 3.43 CIN3 mit kräftiger essigweißer Färbung und prominentem Gefäßmuster
kolposkopisch gesteuerten Gewebeentnahme ist es, den höchsten Dysplasiegrad zu erkennen, damit die Patientin nicht untertherapiert wird. > Der Schweregrad einer zervikalen Präkanzerose folgt einer zentripetalen Ausrichtung. Als Faustregel kann gelten, dass die höhergradigen Läsionen eher zervikalkanalnah bzw. zur Mitte hin gelegen sind, also in unmittelbarer Nähe der Plattenepithel-ZylinderepithelGrenze. Daher sollte die Gewebeentnahme in der Nähe des Zervikalkanals entnommen werden. Falls pathognomonische Zeichen der Dysplasie zu sehen sind, insbesondere wenn „inner border lesion“, „ridge sign“ oder „rag sign“ vorhanden sind, sollten diese Bezirke bevorzugt biopsiert werden.
Die essigweiße Anfärbung hat eine andere zeitliche Dynamik als bei leichtgradigen Veränderungen: Sie tritt schneller ein und hält etwas kürzer an, mit dem optimalen Zeitfenster der kolposkopischen Beurteilung ein bis maximal drei Minuten nach Auftragen der Essiglösung (Hilal et al. 2020). Das essigweiße Epithel ist intensi-
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38
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
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a
b
. Abb. 3.44 Essigweiße Reaktion bei CIN2. Das Epithel ist undurchsichtig, ragt etwas über das Niveau des umgebenden normalen Epithels hinaus und wirkt „wie mit Deckweiß aufgetragen“
ver weiß gefärbt und vollkommen undurchsichtig, da das auftreffende Licht aufgrund der hohen Kerndichte im hochgradig dysplastischen Epithel vollständig reflektiert wird (. Abb. 3.43). Im Gegensatz zum essigweißen Epithel der leichten Dysplasie findet man bei CIN2/CIN3 eine dickere Epithelschicht, welche über das Niveau des umgebenden normalen Plattenepithels hinausragt. Das dysplastische Areal wirkt „wie mit Deckweißfarbe aufgetragen“ (. Abb. 3.44). Die Ränder der dysplastischen Läsion sind meist scharf demarkiert. Charakteristisch für die höhergradige Dysplasie sind atypische Gefäßphänomene, die durch die Essigprobe sichtbar werden. Ebenso wie bei der leichten Dysplasie treten die Gefäßschlingen der Kapillaren in den Epidermispapillen hervor und bewirken Punktierung und/oder Mosaik (. Abb. 3.45). Beide sind bei den höhergradigen Veränderungen stärker betont („grob“) und unregelmäßiger als bei der Punktierung bzw. dem Mosaik einer leichtgradigen Dysplasie (oder einer unreifen Metaplasie). Durch Einschalten des Grünfilters am Kolposkop können diese Phänomene akzentuiert werden. Nicht immer finden sich die beschriebenen atypischen Gefäßstrukturen. Auch erhabene, grob essigweiße Areale ohne erkennbare Binnenstruktur können auf eine höhergradige Dysplasie hinweisen. Kennzeichnend ist auch die Beobachtung, dass die verbliebenen Drüsen-
. Abb. 3.45 CIN3 mit grobem und unregelmäßigem Mosaik. „Unregelmäßig“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die einzelnen Mosaiksteine unterschiedlich groß sind
öffnungen der atypischen Transformationszone durch das hochgradig dysplastische Epithel wie durch einen aufgeworfenen Ring umrandet sind („cuffed glands“). > Alle diese kolposkopischen Merkmale höhergradiger Dysplasien, die durch die Essigsäu-
39 3.2 Zervikale intraepitheliale Neoplasien
a
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d
. Abb. 3.46 Bioptisch gesicherte HSIL/CIN3 bei einer 28-jährigen Patientin vor (a) und nach (b) Essigsäureprobe sowie nach Schiller’scher Jodprobe (c). Die Essigsäure führt zu einer alle vier Quadranten der Zervix umfassen-
den intensiven Essigreaktion mit deutlicher Niveaudifferenz zum umgebenden unauffälligen Gewebe. Nachdem die Essigsäurereaktion etwas abgeklungen ist (d), erkennt man das typische grobe unregelmäßige Mosaik eines „major change“
reprobe sichtbar werden, fasst man in der kolposkopischen Nomenklatur als „major change“ zusammen. Bewusst wurde hier immer der Ausdruck „höhergradige Dysplasie“ verwendet, denn bei den Kolposkopiekriterien des „major change“ kann nicht zwischen einer mäßiggradigen und schweren Dysplasie differenziert werden.
Abschließend sei nochmals hervorgehoben, dass die dysplastischen Veränderungen bei älteren, insbesondere postmenopausalen Frauen weniger prominent sein können und dadurch häufiger übersehen bzw. in ihrem Schweregrad unterschätzt werden. Überhaupt ist Zurückhaltung angebracht, was das Vertrauen in die eigenen kolposkopischen Fähigkeiten betrifft. Wie Bekkers et al. (2008) feststellen, ist auch ein hohes Maß an Erfahrung keine Garantie für eine hohe diagnostische Treffsicherheit (Bekkers et al. 2008). Letztlich kommen Bekkers et al. zu dem Schluss, dass die Rolle der Kolposkopie vor allem darin be-
. Abb. 3.46, 3.47 und 3.48 sind weitere Beispiele für die kolposkopischen Merkmale der höhergradigen Dysplasie bzw. des „major change“.
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Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
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d
. Abb. 3.47 „Major change“ bei einer 29-jährigen Patientin mit HSIL/CIN3 vor (a) und nach (b) Essigsäureprobe sowie nach Schiller’scher Jodprobe (c). Die Ausschnittver-
größerung des linken ventralen Quadranten (d) zeigt sowohl eine unregelmäßige grobe Punktierung als auch ein unregelmäßiges Mosaik
steht, die Ausdehnung und Lokalisation einer abnormen Zervixveränderung zu evaluieren, und dass sie nur bedingt geeignet ist für die Graduierung einer Veränderung. Hierzu ist auch eine Biopsie, also eine Histologie, erforderlich.
zierten Vorläuferläsion, dem Adenocarcinoma in situ, abgekürzt „ACIS“ oder „AIS“. Eine Unterteilung in drei Schweregrade wie bei den vom Plattenepithel ausgehenden Präkanzerosen gibt es für das ACIS nicht. Van der Horst et al. (2017) dokumentierten in den Niederlanden eine Zunahme sowohl des Adenocarcinoma in situ als auch des invasiven Adenokarzinoms. Zwischen 1989 und 2003 ging die Inzidenz aller Tumortypen noch zurück, blieb jedoch zwischen 2004 und 2013 auf gleichem Niveau. Gleichzeitig nahm die Häufigkeit des Adenocarcinoma in situ zu, insbesondere bedingt durch Fälle mit gleichzeitigen plattenepithelialen Präkanzerosen. In dieser Studie bestand bei 58,9 % der Patientinnen sowohl ein ACIS als auch eine CIN.
3.2.3
Adenocarcinoma in situ der Zervix
Bei einem geschätzten Anteil von etwa 20 % der Zervixkarzinome handelt es sich nicht um Plattenepithelkarzinome, welche aus einer „intrazervikalen intraepithelialen Neoplasie“ (CIN) entstehen, sondern um Adenokarzinome des endozervikalen Drüsenepithels. Adenokarzinome entwickeln sich ebenfalls aus einer HPV-indu-
41 3.2 Zervikale intraepitheliale Neoplasien
a
b
. Abb. 3.48 Histologisch verifizierte HSIL/CIN3 bei einer 32-jährigen Patientin. Das atypische Epithel umfasst die ventralen beiden Quadranten (a) und weist mehrere charak-
teristische Merkmale des „major change“ auf: irreguläres grobes Mosaik, irreguläre Punktierung und insbesondere eine „inner border lesion“ (d)
> Die zytologische und die kolposkopische Di-
Tendenziell nimmt das ACIS an Häufigkeit zu, während es aber erste Zeichen dafür gibt, dass diese Tendenz bei Frauen, die eine HPVImpfung erhalten haben, tatsächlich umgekehrt werden kann (Cleveland et al. 2019).
agnose des ACIS sowie seine Therapie verursachen eine Reihe von Schwierigkeiten im Vergleich zu den plattenepithelialen Läsionen, sodass in mehreren Kapiteln eigens auf die ACIS-Problematik eingegangen werden muss.
Pathogenese Das Adenocarcinoma in situ und das möglicherweise daraus resultierende invasive Karzinom sind ebenfalls HPV-bedingt. Daher erhöht der HPV-Screeningtest in der Kombination mit dem Pap-Test die Wahrscheinlichkeit, dass ein ACIS erkannt wird (Costa et al. 2012). Denn die Sensitivität und Spezifität der zytologischen Diagnose ist für das ACIS schlechter als für die CIN. Die Diagnosestellung wird insofern etwas erleichtert, als bei gut der Hälfte der Patientinnen zusätzlich zum ACIS eine CIN vorliegt, welche zytologisch und kolposkopisch eher erkannt wird. Teoh et al. (2020) stellen zusammenfassend fest, dass auch beim ACIS die HPV-Typen 16 und 18 am häufigsten nachgewiesen werden. Allerdings ist HPV18 überdurchschnittlich häufiger vertreten, das heißt bei 38–50 % aller ACISDiagnosen im Vergleich zu nur 8 % HPV18Positivität bei höhergradigen Plattenepitheldysplasien.
Kolposkopisches Bild Die Vorstufen des Adenokarzinoms stellen eine besondere Herausforderung für die Diagnostik dar. Zytologisch werden eher die plattenepithelialen dysplastischen Veränderungen erfasst, wenn CIN und Adenocarcinoma in situ gleichzeitig auftreten, während die alleinige Drüsenkomponente wesentlich schwieriger zu erfassen ist. > Kolposkopisch ist das Adenocarcinoma in situ eigentlich nicht zu erkennen.
Die Schiller’sche Jodprobe hat keine und die Essigprobe nur eine sehr begrenzte diagnostische Aussagekraft. Die Oberflächenkontur bei reinem ACIS dürfte kaum erkennbar verändert sein. Die dysplastischen endozervikalen Zellen liegen teilweise in den Drüsenkrypten. Punktierung und Mosaik sind ohnehin keine Merkmale eines ACIS. Daher kann dieses Kapitel auch nicht mit kolposkopischen Bildern von ACIS-Läsionen illustriert werden.
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3
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
Trotz dieser kritischen Einschätzung zur kolposkopischen Diagnose des ACIS hat V. Cecil Wright (2002) den Versuch unternommen, kolposkopische Merkmale glandulärer Veränderungen zu definieren. Wright unterscheidet drei Merkmale. Diese sind in absteigender Häufigkeit: 4 ein papilläres Muster, 4 eine flache rot-weiß gesprenkelte Zone, 4 ein oder mehrere erhabene und isoliert liegende Epithelbezirke mit essigweißer Reaktion. Die ersten beiden Phänomene haben eine gewisse Ähnlichkeit mit den Merkmalen der unreifen Transformationszone. Wie bei der zytologischen Diagnose dürften diese Kriterien mit den in etwa der Hälfte der Fälle gleichzeitig vorhandenen und einfacher zu erkennenden plattenepithelialen Veränderungen überlagert sein. Darüber hinaus ist Wright (2002) der Ansicht, dass das Vorhandensein zweier oder mehrerer plattenepithelialer dysplastischer Läsionen, welche durch ein Drüsenfeld getrennt sind, als deutlicher Hinweis auf eine glanduläre Dysplasie zu interpretieren sei. Denn plattenepitheliale Dysplasien treten normalerweise als Kontinuum und nicht als „skip lesions“ auf. Nichtsdestotrotz hat die Abklärungskolposkopie eine wichtige Funktion bei zytologi-
schem Verdacht auf ein ACIS. Denn wie bei jeder kolposkopischen Untersuchung sollte, soweit dies möglich ist, ausgeschlossen werden, dass ein invasiver Prozess vorliegt. Darüber hinaus sollte gegebenenfalls eine gleichzeitig vorhandene höhergradige plattenepitheliale Dysplasie identifiziert werden. > Letztlich bleibt aber die Kolposkopie beim Adenocarcinoma in situ unbefriedigend – eine bemerkenswerte Tatsache, da doch Drüsenläsionen in einem nicht unerheblichen Prozentsatz vorkommen.
3.3 3.3.1
Zervixkarzinom Epidemiologie und Klinik
Weltweit ist das Zervixkarzinom die zweithäufigste Krebserkrankung der Frau und in manchen Regionen der Welt sogar der häufigste Krebs (7 Kap. 15). Durch die Erfolge des zytologischen Screenings, welches allerdings nur in Ländern mit ausreichenden Ressourcen umgesetzt werden konnte, ist die Erkrankungsrate dramatisch zurückgegangen und wird dank der HPVImpfung noch weiter reduziert werden. Eine fast vollständige Eliminierung des Zervixkarzinoms
. Abb. 3.49 Zervixkarzinom. Altersstandardisierte Neuerkrankungsraten (Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner) in der Europäischen Union sowie den USA. (RKI und GEKID 2021)
Deutschland Niederlande Dänemark England Belgien1 Tschechien Schweden USA Finnland Österreich Polen Frankreich
Inzidenz Mortalität 12
Schweiz 10
8
6
4
2
0
43 3.3 Zervixkarzinom
. Abb. 3.50 Zervixkarzinom. Altersspezifische Neuerkrankungsraten in Deutschland 2017–2018 (Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner in Altersgruppen). (RKI und GEKID 2021)
Inzidenz: Frauen Mortalität: Frauen Prognose Inzidenz: Frauen
. Abb. 3.51 Zervixkarzinom. Altersstandardisierte Inzidenz und Mortalität in Deutschland 1999–2018 und Prognose der Inzidenz bis 2022 (Fälle pro 100.000 Einwohner einer Europastandardbevölkerung). (RKI und GEKID 2021)
ist hierbei durchaus ein realistisches Zukunftsszenario. Betrachtet man die altersstandardisierte Neuerkrankungsrate innerhalb der Europäischen Union, so ist die Inzidenz zwar sehr niedrig. Allerdings schneiden andere europäische Länder sowie die USA besser ab (. Abb. 3.49). Die altersspezifische Inzidenz ist in der Gruppe der 40bis 44-Jährigen am höchsten (. Abb. 3.50). Die Inzidenz des Zervixkarzinoms ist in Deutschland mit Einführung der jährlichen zytologischen Abstrichuntersuchung über die gesetzlichen Krankenversicherungen dramatisch zurückgegangen. Dieser Effekt setzt sich im Sinne eines flachen aber kontinuierlichen Rückgangs
bis heute fort, während die Mortalität des Zervixkarzinoms in den vergangenen fünfzehn Jahren gleich geblieben ist (. Abb. 3.51). Das Robert-Koch-Institut schätzt für das Jahr 2022 die absolute Zahl der Neuerkrankungen auf 4100 Fälle (RKI und GEKID 2021). Setzt man die Häufigkeit. des Zervixkarzinoms in Relation zu den unterschiedlichen Krebserkrankungen der Frau in Deutschland, so steht das Zervixkarzinom mit 1,9 % an 14. Stelle (. Abb. 3.52), dicht gefolgt von einem weiteren relativ seltenen gynäkologischen Karzinom, dem Karzinom der Vulva, an 16. Stelle mit 1,4 %. Am weitaus höchsten ist der Anteil der Mammakarzinome (30,0 %). Aber auch andere
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44
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Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
. Abb. 3.52 Prozentualer Anteil an der geschätzten Zahl der Krebsneuerkrankungen bei Frauen in Deutschland. Das Zervixkarzinom nimmt mit 1,9 % Rang 14 ein, dicht gefolgt vom Vulvakarzinom mit 1,4 % auf Rang 16. (RKI und GEKID 2021)
gynäkologische Krebserkrankungen wie Endometriumkarzinom (4,7 %) sowie Ovarialkarzinom (3,1 %) kommen sehr viel häufiger vor als Zervixkarzinome. Zweifellos ist der massive Rückgang der Inzidenz der Zervixkarzinome auf das zytologische Screening zurückzuführen. Bereits im Jahre 2007 wurde im Rahmen eines Health-Technology-Assessment-Berichts (HTA-Bericht) mittels einer systematischen Literaturanalyse klargestellt, dass die Kolposkopie der Zytologie als Screeninguntersuchung unterlegen ist, sowohl was Sensitivität als auch was Spezifität betrifft (Nocon et al. 2007). Die absolute Überlebensrate für das Zervixkarzinom beträgt 62 % nach fünf Jahren und 55 % nach zehn Jahren (RKI und GEKID 2021). Die frühzeitige Diagnose ist für die Prognose von überragender Bedeutung. Je früher das Zervixkarzinom erkannt wird, desto besser sind die Heilungsaussichten. Darüber hinaus erhöhen sich die Chancen, dass bei einer jungen Patientin der Uterus erhalten werden kann. Denn im Falle eines Mikrokarzinoms reicht unter Umständen eine Konisation als alleinige therapeutische Maßnahme aus. Bei weiter fortgeschrittenen Karzinomen kann in ausgewählten Fällen eine radikale Zervixentfernung (Trachel-
ektomie) erfolgen, unter Erhaltung des Corpus uteri und damit der Gebärfähigkeit. In Deutschland werden Zervixkarzinome überwiegend in einem frühen Stadium diagnostiziert: Stadium I 46 %, Stadium II 15 %, Stadium III 21 %, Stadium IV 18 % (RKI und GEKID 2021). Die Abklärungskolposkopie bei auffälligen Screeninguntersuchungen oder bei einer suspekten klinischen Symptomatik spielt für eine frühzeitige Diagnose des Zervixkarzinoms eine entscheidende Rolle. Die wichtigsten Ziele der Kolposkopie im Zusammenhang mit dem Zervixkarzinom sind: 4 Ausschluss einer Invasion (vor allem in der Schwangerschaft), 4 histologische Sicherung eines Karzinoms durch gezielte Biopsien, 4 kolposkopisch gesteuerte Entfernung mikroinvasiver Karzinome, 4 frühzeitige Diagnose von Rezidiven im Rahmen der Nachsorge.
3.3.2
Kolposkopisches Bild
Im Gegensatz zur schweren Dysplasie, für die leider immer noch gelegentlich der unglückliche
45 3.3 Zervixkarzinom
. Abb. 3.53 Schema Zervixkarzinom. Die Basalmembran ist durchbrochen. Das Vorliegen einer Hyperkeratose ist ein Hinweis auf ein verhornendes Plattenepithelkarzinom
. Abb. 3.55 Plattenepithelkarzinom der Zervix. Anstelle der Zervix befindet sich ein fragiler Tumor, der bei Berührung mit dem Spekulum blutig zerfällt
. Abb. 3.54 Ulzerierendes Zervixkarzinom einer 60-jährigen Patientin mit mäßig differenziertem, gering verhornendem Plattenepithelkarzinom im FIGO-Stadium IB1
Ausdruck „Carcinoma in situ“ verwendet wird, ist bei einem Plattenepithelkarzinom der Zervix die Basalmembran durchbrochen (. Abb. 3.53). Viele Zervixkarzinome, die einem Stadium FIGO IB oder höher zuzuordnen sind, sind mit bloßem Auge als solche zu erkennen. Die . Abb. 3.54 bis 3.58 zeigen, wie vielgestaltig das kolposkopische Bild in diesen Fällen sein kann.
. Abb. 3.56 Papillär imponierendes Plattenepithelkarzinom der Zervix
In jedem Fall empfiehlt es sich, gleich bei der ersten Verdachtsdiagnose eine Gewebeprobe zu entnehmen. Solche Gewebeentnahmen aus
3
46
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
3
. Abb. 3.57 Fortgeschrittenes Adenokarzinom der Zervix. Der 5 cm große Tumor wurde bei einer 24-jährigen Patientin 10 Wochen nach Sectioentbindung diagnostiziert, nachdem eine starke vaginale Blutung aufgetreten war
. Abb. 3.58 Adenokarzinom der dorsalen Muttermundlippe. Bei der 32-jährigen Patientin waren ausgeprägte Kontaktblutungen aufgetreten. Man erkennt atypische Gefäße im Bereich der deutlich vorgewölbten dorsalen Muttermundlippe
einem manifesten Karzinom sind meist nicht schmerzhaft, und die resultierende Blutung kann gut durch eine Tamponade kontrolliert werden. Der kolposkopischen Erkennbarkeit invasiver Karzinome im Bereich der Zervix sind allerdings Grenzen gesetzt. So sind kleine Karzinome und manchmal sogar weiter fortgeschrittene Tumoren der kolposkopischen Diagnose nicht zugänglich, insbesondere wenn Letztere intrazervikal lokalisiert sind (Zervixhöhlenkarzinom).
In . Tab. 3.4 werden kolposkopische Merkmale aufgeführt, die auf ein invasives Geschehen hinweisen. Die jeweils zugehörige Differenzialdiagnose macht deutlich, wie unspezifisch diese Kriterien sind. > In
scher Kriterien allein nicht zu diagnostizieren.
der kolposkopischen Nomenklatur (7 Kap. 4) wird das Vorhandensein atypischer Gefäße als Kriterium für ein invasives Karzinom in den Vordergrund gestellt. Bei weiter fortgeschrittenem Karzinom sind Ulzeration/ Nekrose und/oder exophytisches Wachstum und/oder eine markante Asymmetrie der Zervix hilfreiche Malignitätskriterien.
Laut einer Literaturübersicht von Hopman et al. (1998) wird etwa die Hälfte der mikroinvasiven Karzinome der Zervix aufgrund kolposkopischer Kriterien nicht als solche erkannt. Selbst eine zunehmende Erfahrung des Kolposkopikers verbessert die diagnostische Genauigkeit nicht.
Die . Abb. 3.59 bis 3.61 sind eine Zusammenstellung zahlreicher fortgeschrittener Zervixkarzinome, die diese Kriterien illustrieren: 4 exophytisches Wachstum: . Abb. 3.59b, 3.59c, 3.61a, 3.61f, 3.61g; 4 Gewebedefekte durch Ulzeration/Nekrose: . Abb. 3.59a;
> Eine Mikroinvasion ist aufgrund kolposkopi-
47 3.3 Zervixkarzinom
. Tab. 3.4 Differenzialdiagnose kolposkopischer Merkmale an der Zervix, die mit einer Invasion assoziiert sein können Kolposkopischer Befund
Differenzialdiagnose
Atypische Gefäße
Prominente Gefäße über Ovula Nabothii: gleichbleibender Gefäßdurchmesser, regelmäßige Gefäßverzweigungen
Exophytisches Wachstum
Condylomata acuminata der Zervix
Verhornung
Entzündlich oder kondylomatös bedingte Hyperkeratose
Besondere Verletzlichkeit des Gewebes
Entzündung, Atrophie
Gewebedefekte (Ulzeration/Nekrose)
Echte Erosion: oberflächliche Ablösung des Epithels Geburtsverletzungen: Volumendefekt ohne Blutung und ohne den charakteristischen weißlichen Belag eines invasiven Prozesses
Markante Asymmetrie der Zervix
–
4 exophytisches Wachstum in Kombination mit Gewebedefekt: . Abb. 3.59f, 3.60b, 3.60c. Weniger typische, aber doch letztlich eindeutige Befunde sind in . Abb. 3.60d, 3.61, 3.51e zu sehen. Manchmal ist die Zervix aufgrund einer ausgedehnten Blutung überhaupt nicht zu visualisieren (. Abb. 3.60e). Bei den . Abb. 3.60f und 3.61h handelt es sich bereits um Tumore im Stadium IVA mit Infiltration der Harnblase, ausgedehnter Gewebenekrose und Fistelbildung, sodass die Blasenmucosa sichtbar ist. Mikroinvasive Tumoren induzieren mit einer Infiltrationstiefe von weniger als drei Millimetern noch keine Gefäßneubildung. Denn die Tumorzellen können noch durch Diffusion aus dem umliegenden Gewebe versorgt werden. Daher sind atypische Gefäßstrukturen oder eine Ulzeration als Ausdruck der unzureichenden Gewebeversorgung bei raschem Tumorwachstum und hohem Tumorvolumen keine Merkmale der Mikroinvasion mehr. Vielmehr findet man kolposkopische Bilder, wie man sie typischerweise mit höhergradigen intraepithelialen Neoplasien assoziiert: intensiv essigweiße und jodnegative Epithelreaktionen sowie Punktierung und Mosaik. > Die reine kolposkopische Inspektion eines atypischen Zervixbefunds reicht daher nicht aus und sollte in der Regel durch eine gezielte Probeentnahme ergänzt werden. Wenn ein Invasionsverdacht im Raum steht, sind
multiple Biopsien angebracht. Bei allen invasionsverdächtigen Befunden sind destruktive Therapieverfahren wie CO2 -Laservaporisation oder Kryotherapie kontraindiziert.
Die FIGO-Klassifikation des Zervixkarzinoms (. Tab. 3.5) wurde zuletzt 2018 angepasst (Bhatla et al. 2018). Zum ersten Mal wurde festgelegt, dass neben der Kontrastmitteldarstellung der Niere weitere bildgebende Verfahren wie Computertomografie oder Kernspintomografie Einfluss auf die klinische Stadieneinteilung nehmen können. Die „S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Patientin mit Zervixkarzinom“ vom März 20211 hat allerdings die Anwendung der aktuellen FIGO-Fassung zunächst zurückgestellt, da bei mikroinvasiven Karzinomen die horizontale Ausdehnung der Tumore nicht mehr berücksichtigt werde. Hierzu gebe es keine Daten und außerdem entstünde eine Diskrepanz zur aktuellen TNM-Nomenklatur der UICC. Letztere soll zunächst weiter als Grundlage für Therapieentscheidungen dienen, bis für das Jahr 2025 auch hier eine Aktualisierung vorgesehen ist. Die überwiegende Zahl der Zervixkarzinome geht vom Plattenepithel aus. Bei ungefähr einem Fünftel handelt es sich um Adenokarzinome, wobei man im Laufe der Jahre von einem 1
7 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/ 032-033OLl_S3_Diagnostik_Therapie_Nachsorge_ Zervixkarzinom_2021-05.pdf.
3
48
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
3
b
a
c d
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f
. Abb. 3.59 Makroskopische und kolposkopische Befunde bei invasiven Plattenepithel- und Adenokarzinomen der Zervix (Teil 1)
relativen Anstieg gegenüber Plattenepithelkarzinomen ausgeht. Zuverlässige und aktuelle Angaben existieren allerdings nicht. Die FIGO-Stadieneinteilung (. Tab. 3.5) und die Behandlungsstrategien bei frühen und fortgeschrittenen Stadien unterscheiden sich
nicht zwischen Plattenepithel- und Adenokarzinomen. > Kolposkopisch unterscheiden sich Adenokarzinome und Plattenepithelkarzinome ebenfalls nicht.
49 3.3 Zervixkarzinom
a
b
c
d
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f
. Abb. 3.60 Makroskopische und kolposkopische Befunde bei invasiven Plattenepithel- und Adenokarzinomen der Zervix (Teil 2)
Ein auf die Zervix heruntergewachsenes Endometriumkarzinom kann wie ein primäres Zervixkarzinom imponieren (. Abb. 3.62).
3
50
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
3
a
b
c
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e
f
g
h
. Abb. 3.61 Makroskopische und kolposkopische Befunde bei invasiven Plattenepithel- und Adenokarzinomen der Zervix (Teil 3)
51 3.3 Zervixkarzinom
. Tab. 3.5 FIGO-Einteilung des frühen Zervixkarzinoms (Bhatla et al. 2018) und stadiengerechtes therapeutisches Vorgehen FIGODefinition Stadium
Therapie
I
Beschränkt auf die Cervix uteri (ohne Berücksichtigung einer eventuellen Ausdehnung auf das Corpus uteri)
Operation (oder primäre Radiochemotherapie)
IA
Nur mikroskopische Diagnose (nicht makroskopisch/kolposkopisch sichtbar) Stromainvasion < 5 mm
(Nicht radikale) Operation
IA1
Stromainvasion < 3 mm
Einfache Hysterektomie, wenn keine Hämangiosis und Lymphangiosis carcinomatosa vorliegen, oder Trachelektomie (bei Kinderwunsch) oder therapeutische Konisation
IA2
Stromainvasion 3 und < 5 mm
Modifiziert radikale Hysterektomie
IB
Stromainvasion 5 mm, auf die Zervix beschränkt
Radikale Hysterektomie nach Wertheim-Meigs oder primäre Radiochemotherapie
IB1
Stromainvasion 5 mm, Tumordurchmesser < 2 cm
Radikale Hysterektomie nach Wertheim-Meigs oder primäre Radiochemotherapie oder Trachelektomie (bei Kinderwunsch und Tumor 2 cm und keine Lymphknotenmetastasen)
IB2
Tumordurchmesser 2 und < 4 cm
IB3
Tumordurchmesser 4 cm
Radikale Hysterektomie nach Wertheim-Meigs oder primäre Radiochemotherapie
. Abb. 3.62 Auf die Zervix heruntergewachsenes Endometriumkarzinom, welches zu einer Ulzeration mit deutlichem Volumendefekt geführt hat
3
52
3.4
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
Fragen zur Selbstkontrolle – Abnorme Befunde der Zervix
Ja
3
Nein
1 Die Einteilung der zervikalen intraepithelialen Neoplasie in drei Schweregrade ist obsolet. Stattdessen werden lediglich leichtgradige (LSIL) und höhergradige (HSIL) Dysplasie unterschieden.
2 Von einem „Carcinoma in situ“ der Zervix spricht man, wenn die Invasionstiefe weniger als 3 mm beträgt.
3 Die Essigprobe ist ein unverzichtbarer Bestandteil der kolposkopischen Untersuchung, während die Schiller’sche Jodprobe optional ist.
4 Eine intensive essigweiße Färbung ohne Mosaik und Punktierung wird als Leukoplakie bezeichnet. 5 Punktierung und Mosaik sind Gefäßphänomene, die durch die Essigprobe sichtbar gemacht werden.
6 Eine zarte und regelmäßige Punktierung spricht für eine leichtgradige Dysplasie und nicht für eine unreife Metaplasie. 7 Ein grobes und unregelmäßiges Mosaik spricht für eine höhergradige Dysplasie.
8 Sehr erfahrene Kolposkopiker sind in der Lage, aufgrund des Ausfalls der Essigsäureprobe mit einer Spezifität von ca. 85 % zwischen CIN2 und CIN3 zu unterscheiden.
9 Ein „inner border sign“ ist in 18 % bereits mit einer Invasion assoziiert.
10 Das „ridge sign“ wird auch als „Bergrückenphänomen“ bezeichnet.
11 Das „rag sign“ hat unter den pathognomonischen Zeichen die höchste Spezifität für das Vorliegen einer höhergradigen Dysplasie. 12 Atypische Gefäße weisen Kaliberschwankungen auf.
13 Atypische Gefäße im Bereich der Zervix sind malignitätsverdächtig.
14 Mit dem Grünfilter können atypische Gefäße besser sichtbar gemacht werden.
15 Die Beurteilung der atypischen Gefäße mit dem Grünfilter erfolgt idealerweise nach Auftragen der Essigsäurelösung.
16 Im Bereich der Zervix werden die Begriffe „Erosion“ und „Ulzeration“ synonym gebraucht.
17 Bei einer Atrophie der Portio lässt sich das Plattenepithel bei der Schiller’schen Jodprobe nicht anfärben.
18 Lokale Entzündung oder Atrophie erschweren Kolposkopie sowie Zytologie und Histopathologie.
19 Humane Papillomaviren werden ausschließlich bei Sexualverkehr übertragen. 20 Bei der leichtgradigen Dysplasie (CIN1) handelt es sich um eine Entität, die sich morphologisch und teilweise auch aufgrund ihrer HPV-Genese von den höhergradigen Präkanzerosen (CIN2/3) unterscheidet.
21 Nach Östör (1993) beträgt die Regressionsrate leichtgradiger Dysplasien 10 %.
22 Nach Östör (1993) beträgt die Regressionsrate schwerer Dysplasie (CIN3) 0,5 %.
23 Koilozyten sind zytologische Zeichen eines HPV-Infektes.
24 Koilozyten werden in der Zytologie typischerweise bei höhergradigen Dysplasien gesehen. 25 Die Essigsäurereaktion tritt bei allen Schweregraden der Dysplasie schon nach wenigen Sekunden ein.
3
53 Literatur
Ja 26 Das Maximum der essigweißen Reaktion wird bei allen Schweregraden nach ca. 50 s erreicht.
27 Bei leichtgradigen Veränderungen klingt die essigweiße Reaktion signifikant schneller ab als bei höhergradigen Veränderungen. 28 Ein sogenannter „minor change“ umfasst die kolposkopische Diagnose einer leichten Dysplasie. Genauso gut kommt auch eine unreife Metaplasie in Betracht.
29 Ein sogenannter „major change“ umfasst die kolposkopische Diagnose einer mäßigen Dysplasie. Genauso gut kommt auch LSIL in Betracht. 30 Die Treffsicherheit der kolposkopischen Diagnose ist umso höher, je höhergradiger die dysplastischen Veränderungen sind.
31 Der Schweregrad einer zervikalen Präkanzerose folgt einer zentrifugalen Ausrichtung. Das heißt, höhergradige Veränderungen finden sich eher am äußeren Rand der Transformationszone. 32 Das Adenocarcinoma in situ ist die Vorstufe für ein Adenokarzinom der Zervix. 33 Das Adenocarcinoma in situ ist nur in 81 % HPV-bedingt im Vergleich zu nahezu 100 % der plattenepithelialen Präkanzerosen (CIN1 bis CIN3).
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Nein
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3
Kapitel 3 Abnorme Befunde der Zervix
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55
Kolposkopische Nomenklatur Inhaltsverzeichnis 4.1
Nomenklatur der Zervixbefunde – 56
4.2
Nomenklatur der Vaginalbefunde – 58
4.3
Nomenklatur der Vulvabefunde – 59
4.4
Anstehende Aktualisierung der kolposkopischen Nomenklatur der Zervix – 61
4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4
Graduierung „minor change“ und „major change“ – 61 Sichtbarkeit der Transformationszone – 61 Definition von Exzisionstypen – 61 Neubewertung der Schiller’schen Jodprobe – 61
4.5
Fragen zur Selbstkontrolle – Kolposkopische Nomenklatur – 63 Literatur – 63
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_4
4
56
Kapitel 4 Kolposkopische Nomenklatur
Die von der IFCPC erstellte kolposkopische Nomenklatur stammt aus dem Jahre 2011. Zusätzlich zur Nomenklatur der Cervix uteri wurden eine Nomenklatur der Vagina und der Vulva erarbeitet. Die Nomenklatur der Vulva wurde gemeinsam mit der International Society for the Study of Vulvovaginal Disease (ISSVD) erstellt.
4
i Fragen zur Wissensüberprüfung per SN Flashcards App Mit der kostenlosen Flashcard-App „SN Flashcards“ können Sie Ihr Wissen anhand von Fragen überprüfen und Themen vertiefen. Für die Nutzung folgen Sie bitte den folgenden Anweisungen: 1. Gehen Sie auf 7 https://flashcards. springernature.com/login 2. Erstellen Sie ein Benutzerkonto, indem Sie Ihre Mailadresse angeben und ein Passwort vergeben. 3. Verwenden Sie den folgenden Link, um Zugang zu Ihrem SN Flashcards Set zu erhalten: 7 www.sn.pub/A0DTec Sollte der Link fehlen oder nicht funktionieren, senden Sie uns bitte eine E-Mail mit dem Betreff „SN Flashcards“ und dem Buchtitel an [email protected].
4.1
Nomenklatur der Zervixbefunde
Im Jahre 2011 wurde auf dem 14. IFCPC-Weltkongress in Rio de Janeiro unter der Leitung von Jacob Bornstein eine vollständig überarbeitete Fassung der Kolposkopie-Nomenklatur der Cervix uteri vorgestellt und nachfolgend publiziert (Bornstein et al. 2012a, Quaas et al. 2014). Bei dieser zurzeit noch gültigen Nomenklatur, im Folgenden als „Rio 2011“ bezeichnet, werden die kolposkopischen Befunde deskriptiv in Gruppen eingeteilt (. Tab. 4.1). Zu Beginn des kolposkopischen Untersuchungsganges wird im „general assessment“ („Grundsätzliches“ siehe . Tab. 4.1) zunächst beschrieben, ob eine Kolposkopie tatsächlich adäquat möglich ist. Zunächst wird die Qualität der kolposkopischen Beurteilbarkeit der Cervix uteri bewertet. Mit dieser Beurteilbarkeit zusammenhängende eventuell störende Phänome-
ne wie Entzündungen, Atrophie, Blutungen und ähnliches werden beschrieben. Zudem wird einführend der Typ der Transformationszone (T1– T3) benannt. > Bei inadäquater Kolposkopie, zum Beispiel aufgrund einer akuten Entzündung, sollte eine Kontrolluntersuchung nach Entzündungstherapie erfolgen.
Beide Transformationszonen-Typen 1 und 2 sind so definiert, dass hier die Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze vollständig einsehbar ist. Bei T1 liegt diese vollständig ektozervikal, während bei T2 manchmal Hilfsmittel notwendig sind (z. B. Zervixspreizer nach Kogan), um die endozervikal gelegenen Areale der PlattenepithelZylinderepithel-Grenze vollständig zu visualisieren. > Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass gemäß der Nomenklatur Rio 2011 im Falle einer T3-Zone, bei der die Grenze nicht oder nur unvollständig zu visualisieren ist, die kolposkopische Untersuchung nicht als inadäquat anzusehen ist.
In der zweiten Gruppe der Nomenklatur werden Normalbefunde beschrieben: originäres Plattenepithel, Zylinderepithel, metaplastisches Plattenepithel und Deziduose in der Schwangerschaft. Beim Normalepithel wird zwischen reifem und unreifem oder atrophem Plattenepithel unterschieden. Nachvollziehbarerweise werden die Veränderungen des subepithelialen Bindegewebes in der Schwangerschaft, die Deziduose bzw. Dezidualisierung sowie die Metaplasie den Normalbefunden zugeordnet. Kritisch anzumerken ist aber, dass die Diagnose einer Metaplasie nur durch eine histologische Abklärung bewiesen werden kann. Metaplasien finden sich andererseits besonders häufig in Nachbarschaft von Ovula Nabothii und am Rand von Drüsenöffnungen des zervikalen Zylinderepithels. In der dritten Gruppe werden die abnormen Befunde beschrieben. Dabei sollen die Lokalisation des auffälligen Befundes in Bezug zur Transformationszone und der Sitz der Läsion innerhalb eines oder mehrerer Quadranten der Cervix uteri angegeben werden. Anatomisch korrekt sind die Bezeichnungen „linker/rechter
57 4.1 Nomenklatur der Zervixbefunde
. Tab. 4.1 Kolposkopische Nomenklatur der Cervix uteri der IFCPC, Rio 2011. (Nach Girardi et al. 2012) Bereich
Nomenklatur
Grundsätzliches
Adäquat/inadäquat, Begründung (z. B. Entzündung, Blutung, Narben) Zylinderepithel-Plattenepithel-Grenze vollständig/teilweise/nicht einsehbar Transformationszone (Typ 1–3)
Normale Befunde
Originäres Plattenepithel: reif, atroph Zylinderepithel: Ektopie Metaplastisches Plattenepithel: Ovula Nabothii, Drüsenausführgänge Deziduose in der Schwangerschaft
Abnorme Befunde
Lokalisation der Läsion: innerhalb/außerhalb der Transformationszone Größe der Läsion: Anzahl betroffene Quadranten, Prozent Zervix
Grundsätzliches
Grad 1 Zartes essigweißes Epithel, zartes Mosaik, zarte Punktierung „minor changes“ Grad 2 Intensiv essigweißes Epithel, grobes Mosaik, grobe Punktierung, prominente „major changes“ Drüsenausführgänge, scharfe Grenzen, „inner border sign“, „ridge sign“, rasche Essigsäurereaktion Nicht spezifisch
Leukoplakie (Keratose, Hyperkeratose), Erosion, Lugol’sche Probe (Schiller-Test)
Verdacht auf Invasion
Atypische Gefäße Zusätzliche Befunde: auf Berührung blutende Gefäße, unregelmäßige Oberfläche, exophytische Läsion, Nekrose, Ulkus, Tumor
Verschiedene Befunde
Kongenitale Transformationszone, kongenitale Anomalie, Kondylome (Papillome), Endometriose, Polypen (ekto-, endozervikal), Entzündung, Stenose, postoperative Veränderung (vernarbte Portio, Scheidenblindsack)
ventraler/dorsaler Quadrant“, auch wenn gerne die Bezeichnungen „hintere/vordere Muttermundlippe“ verwendet werden. Geringgradig verdächtiges zart essigweißes Epithel mit zartem Mosaik und zarter Punktierung (Grad 1, „minor change“) wird von den hochgradig verdächtigen Veränderungen (Grad 2, „major change“) unterschieden. Zu den „major change“-Veränderungen Befunden gehören: 4 intensiv essigweißes Epithel, 4 schnell reagierende Essigsäurereaktion, 4 prominente Drüsenausführungsgänge, 4 grobes Mosaik, grobe Punktierung, 4 scharfe Grenzen des essigweißen Epithels, 4 „inner border sign“, 4 „ridge sign“. > Wenn sich eine intensiv essigweiße Reaktion nach Auftragen der Essigsäurelösung auf die Cervix uteri sehr rasch entwickelt, wird dies ebenfalls als hochgradig auffällig („major change“) eingestuft.
Selbstverständlich ist aber auch eine langsame Entwicklung der Essigsäurereaktion den „major changes“ zuzuordnen, wenn die anderen Kriterien für einen „major change“ erfüllt sind. Besonderes Augenmerk gilt den offenen Zervixdrüsengängen („cuffed open glands“), einer prominenten Essigreaktion am Randwall der Drüsenausführungsgänge. Diese sind ebenfalls als Grad-2-Läsion/„major change“ einzustufen. Zu den nicht spezifischen abnormen Befunden zählen Ergebnisse der Schiller’schen Jodprobe. Dies unterstreicht auch die Notwendigkeit einer präoperativen Essigsäureanwendung. Die Schiller’sche Jodprobe alleine ist keine geeignete Maßnahme, die Ausdehnung einer Exzision festzulegen (Quaas et al. 2014). Auch die Leukoplakie (Keratose, Hyperkeratose) gilt als unspezifisch. In der vierten Gruppe werden alle für eine Invasion verdächtigen Phänomene aufgeführt: berührungsempfindliche Gefäße, unregelmäßige Gewebsoberfläche, exophytisches Wachstum, Nekrose, Ulzeration, Tumorbildung.
4
58
Kapitel 4 Kolposkopische Nomenklatur
. Tab. 4.2 Addendum zur Kolposkopie-Nomenklatur, Rio 2011 (nach Girardi et al. 2012) Exzisionstypen
Dimensionen des Konisationspräparates
Typ 1: „flach“
Breite: Distanz stromaler Resektionsrand zu epithelialer Oberfläche
Typ 2: „mittel“
Höhe (Länge): Distanz zervikaler zu vaginalem Resektionsrand
Typ 3: „steil“
Zirkumferenz (optional): Perimeter des geöffneten Konuspräparates
4 > Atypische Gefäße, die in früheren Nomenklaturversionen lediglich den „major changes“ zugeordnet wurden, werden grundsätzlich als invasionsverdächtig angesehen. Bei atypischen Gefäßen ist grundsätzlich eine histologische Abklärung indiziert.
In der letzten der fünf Gruppen kolposkopischer Befunde an der Zervix wird eine Reihe verschiedener Befunde zusammengefasst: 4 Kondylom, 4 Polyp, 4 Entzündung, 4 Stenose, 4 kongenitale Anomalie, 4 postoperative Veränderungen, 4 Endometriose.
Erstmals wird der Nomenklatur ein Addendum angehängt (. Tab. 4.2). Dieses beschäftigt sich mit der Qualität des Konisationspräparates. Es werden drei Exzisionstypen unterschieden. Diese Exzisionstypen, die nach der Länge des Operationspräparates sowie Höhe und Breite definiert sind, sollten vom Pathologen entsprechend bewertet werden.
4.2
Nomenklatur der Vaginalbefunde
Die kolposkopische Nomenklatur der Vagina (Bornstein et al. 2012a) ist analog zur Nomenklatur der Cervix uteri aufgebaut (. Tab. 4.3). Auch für die Kolposkopie der Vagina ist zu ver-
. Tab. 4.3 Kolposkopische Nomenklatur der Vagina der IFCPC, Rio 2011 (nach Bornstein et al. 2012a) Bereich
Nomenklatur
Allgemeine Beurteilung
Adäquat/inadäquat, Begründung (z. B. Entzündung, Blutung, Narben)
Normale Befunde
Plattenepithel: reif, atroph
Abnorme Befunde
Lokalisation der Läsion: oberes Drittel/untere Zweidrittel, anterior/posterior/lateral (rechts oder links)
Grundsätzliches
Grad 1 Zartes essigweißes Epithel, zartes Mosaik, zarte Punktierung („minor change“) Grad 2 Intensives essigweißes Epithel, grobes Mosaik, grobe Punktierung („major change“) Nicht spezifisch
Zylinderepithel (Adenose) Anfärbung mit Lugol’scher Lösung (Schiller-Test) Leukoplakie
Verdacht auf Invasion
Atypische Gefäße Zusätzliche Befunde: auf Berührung blutende Gefäße, unregelmäßige Oberfläche, exophytische Läsion, Nekrose, Ulkus, Tumor
Verschiedene Befunde
Erosion (traumatisch), Kondylome, Polypen, Zysten, Endometriose, Entzündung, Vaginalstenose, kongenitale Transformationszone
59 4.3 Nomenklatur der Vulvabefunde
merken, ob die Untersuchung „adäquat“ oder „inadäquat“ ist. Ist die Kolposkopie inadäquat, muss eine Begründung hierfür angegeben werden, wie zum Beispiel Entzündung oder Blutung. Bei der Gruppe der normalen Befunde wird zwischen reifem und atrophem Plattenepithel unterschieden. Bei den abnormen Befunden soll die Lokalisation der Läsion innerhalb der Scheide beschrieben werden. Die abnormen Befunde werden wie an der Cervix uteri in geringgradige Veränderungen („minor changes“) und in höhergradige Veränderungen („major changes“) eingeteilt. „Minor changes“ werden auch als Grad-1- und „major changes“ als Grad-2-Läsionen bezeichnet. Grad-2-Veränderungen sollten weiter abgeklärt werden. Wie bei der Nomenklatur der Zervix werden Leukoplakie und die Ergebnisse der Schiller’schen Jodprobe als „nicht spezifisch“ klassifiziert.
> Der Nachweis von Zylinderepithel in der Scheide (vaginale Adenose) zählt ebenfalls zu den unspezifischen Befunden.
Bei Verdacht auf Invasion sind neben dem Vorhandensein atypischer Gefäße weitere klinische Aspekte erwähnt, wie etwa eine Blutung bei Berührung. Den verschiedenen kolposkopischen Befunden wird die kongenitale Transformationszone zugeordnet.
4.3
Nomenklatur der Vulvabefunde
Die Nomenklatur der Vulva der IFCPC (Bornstein et al. 2012b) wurde in Zusammenarbeit mit der International Society for the Study of Vulvovaginal Diseases (ISSVD) erstellt und wird im Folgenden erläutert. Allerdings ist anzumerken, dass die ISSVD in der Folge eine Modifikation der Nomenklatur der vulvären intraepithelialen Neoplasie (VIN) herausgegeben hat (Bornstein et al. 2016).
. Tab. 4.4 Kolposkopische Nomenklatur der Vulva der IFCPC, Rio 2011 (nach Bornstein et al. 2012b) Bereich Definition
Nomenklatur Anatomie Urethra, Skenesche Drüsenausführungsgänge, Klitoris, Frenulum, Mons pubis, Labia minora, Labia maiora, Sulci interlabiales, Vestibulum, vestibuläre Drüsenausführungsgänge, Ausführungsgänge der Bartholinischen Drüse, Hymen, Perineum, Anus, Zylinder-Plattenepithel-Grenze (Linea dentata)
Normale Befunde Abnorme Befunde
Verdacht auf Invasion Verschiedene Befunde
Plattenepithel: behaart/unbehaart
Papillae genitalis, Papillosis, Talgdrüsen, vestibuläre Rötung Grundsätzliches (Größe (cm), Lokalisation)
Läsion: Fleck, Papel, Plaque, Knoten, Zyste, Bläschen, Blase, Pustel Farbe: hautfarben, rot, weiß, dunkel Morphologie: Ekzem, Lichenifikation, Exkoriation, Purpura, Narbe, Ulkus, Erosion, Fissur, Warze
Kolposkopische Befunde
Essigweißes Epithel, Punktierung, atypische Gefäße, unregelmäßige Oberfläche
Mit oder ohne weiße, graue, rote oder braune Verfärbung
Tumor, Ulzeration, Nekrose, Blutung, Exophyt, Hyperkeratose Erosion (traumatisch), Kondylome, Polypen, Zysten, Endometriose, Entzündung, Vaginalstenose, kongenitale Transformationszone (CTZ)
4
60
Kapitel 4 Kolposkopische Nomenklatur
. Tab. 4.5 Beschreibung vulvärer Läsionen
4
Begriff
Definition
Fleckchen
Kleine (< 1;5 cm) Verfärbung; kein Niveauunterschied; nicht tastbar
Fleck
Große (> 1;5 cm) Verfärbung; kein Niveauunterschied; nicht tastbar
Papel
Kleine (< 1;5 cm), erhabene und tastbare Läsion
Plaque
Große (> 1;5 cm), erhabene, flache tastbare Läsion
Knoten
Groß (> 1;5 cm), häufig halbkugelig oder schlecht begrenzt; kann oberflächlich, innerhalb oder unter der Haut liegen; zystisch oder solid
Bläschen
Klein (< 1;5 cm), mit klarer Flüssigkeit gefüllt
Blase
Groß (> 1;5 cm), mit klarer Flüssigkeit gefüllt
Pustel
Mit Eiter gefüllte Blase oder Bläschen; Inhalt ist weiß oder gelb
. Tab. 4.6 Definitionen vulvärer Läsionen Begriff
Definition
Ekzem
Gruppe entzündlicher Erkrankungen, die klinisch charakterisiert sind durch juckende, unscharf begrenzte rote Plaques mit geringer Gefäßzeichnung und/oder (häufige) Unterbrechungen der Oberfläche
Lichenifikation
Verdickung des Gewebes mit Zunahme der Hautzeichnung; Schuppen können vorkommen oder fehlen; die Lichenifikation kann hellrot, dunkelrot, weiß oder hautfarben sein
Exkoriation
Diskontinuität der Oberfläche (oft Kratzspuren) als Folge des Juckreizes bzw. des Kratzens
Erosion
Flacher Defekt der Hautoberfläche; teilweises oder gänzliches Fehlen der Epidermis bis zur Basalmembran; die Dermis ist intakt
Fissur
Dünner, gerader Defekt der Hautoberfläche
Ulkus
Tiefer Defekt; Fehlen der Epidermis und teilweise der Dermis
Die Vulva-Nomenklatur soll für alle Fachgebiete – Gynäkologie, Dermatologie, Proktologie und Pathologie – gelten, die mit Erkrankungen der Vulva befasst sind. In diesem Zusammenhang akzeptiert die IFCPC im Gegensatz zur Nomenklatur von Zervix und Vagina ausdrücklich die klinische Evaluation ohne Zuhilfenahme eines Kolposkops. Es handelt sich um eine überwiegend deskriptiv angelegte Nomenklatur (. Tab. 4.4). Zunächst werden anatomische Befunde der Vulva aufgelistet. Hierbei wird eine grundlegende Unterscheidung getroffen, ob Befunde im Bereich der behaarten oder der nicht behaarten Haut der Vulva zu finden sind. > In der Gruppe der normalen Befunde wird auf die Hirsuties papillaris (Mikropapillomatose) als physiologischen Befund hingewiesen. Es
soll verhindert werden, dass dieser Befund mit Kondylomen verwechselt wird. Ebenso wird auf die normalerweise geringe Rötung des Introitus vaginae hingewiesen. Auch hierbei handelt es sich um einen Normalbefund.
Die Essigprobe spielt bei der Kolposkopie der Vulva nur eine untergeordnete Rolle. Im Bereich des Introitus vaginae wird auch bei Normalbefunden häufig eine unspezifische essigweiße Reaktion beobachtet. In der offiziellen Nomenklatur werden unter den abnormen kolposkopischen Befunden das essigweiße Epithel, die essigweiße Punktierung, atypische Gefäße und eine unregelmäßige Oberfläche der Läsion aufgeführt. Die Schiller’sche Jodprobe hat für die Vulvadiagnostik keine Bedeutung.
61 4.4 Anstehende Aktualisierung der kolposkopischen Nomenklatur der Zervix
Abnorme Befunde werden zusätzlich deskriptiv beschrieben: Größe, Lokalisation, Art, Farbe und Morphologie. Zur Beschreibung solcher Vulvaläsionen werden einheitliche Definitionen verwendet (. Tab. 4.5, 4.6). Ein möglicher Kritikpunkt bei dieser Nomenklatur ist die Tatsache, dass keine Unterscheidung zwischen symptomatischen und asymptomatischen vulvären Krankheitsbildern gemacht wird. Dabei ist bei der differenzialdiagnostischen Abklärung von Befunden an der Vulva die Symptomatik, zum Beispiel bei der Abklärung von Ulzerationen, von entscheidender diagnostischer Wertigkeit.
4.4
Anstehende Aktualisierung der kolposkopischen Nomenklatur der Zervix
Im Gegensatz zu vielen anderen Nomenklaturen, Klassifizierungen oder Stadieneinteilungen sind die kolposkopische Nomenklatur und ihre Systematik bereits rückblickend, also vor der Nomenklatur Rio 2011, recht stabil geblieben. Auch in absehbarer Zukunft dürfte es keine durchgreifenden Veränderungen geben. Nichtsdestotrotz ist es sinnvoll, von Zeit zu Zeit Anpassungen vorzunehmen, und so steht zurzeit eine Neufassung der kolposkopischen Nomenklatur an. Auch wenn zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches die Diskussionen hierzu noch nicht abgeschlossen sind, lassen sich im Vorgriff einige Überlegungen hierzu anstellen.
4.4.1
Graduierung „minor change“ und „major change“
Die Unterscheidung von Grad-1- („minor change“) und Grad-2- („major change“) Läsionen soll bei der Neufassung der Nomenklatur beibehalten werden.
Sichtbarkeit der Transformationszone ist Teil der Nomenklatur Rio 2011. Diese Einteilung ist jedoch nicht unumstritten und wurde zum Beispiel von der American Society for Colposcopy and Cervical Pathology (ASCCP) nicht übernommen (Wentzensen et al. 2017). Stattdessen werden nur die beiden Kategorien unterschieden: [Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze] „fully visualized“ und „not fully visualized“. Auch wenn die IFCPC anerkennt, dass insbesondere die Gruppe T2 eine große individuelle Interpretationsvielfalt vor allem bei unerfahrenen Untersuchern zulässt mit einer daraus resultierenden hohen Fehlerquote, so tendiert die IFCPC dennoch dazu, die Dreiteilung beizubehalten.
4.4.3
In der aktuellen Nomenklatur sind drei Exzisionstypen definiert, basierend auf der beschriebenen Einteilung der Sichtbarkeit der Transformationszone. Diese Exzisionstypen, welche bisher durch die Tiefe der Exzision und die Breite bzw. horizontale Ausdehnung definiert sind, sollen altersabhängig modifiziert werden mit knapper Resektion der Transformationszone bei jüngeren Frauen mit Rücksicht auf mögliche geburtshilfliche Komplikationen und umfangreicheren Resektionen bei älteren Frauen mit der Intention, einen größeren endozervikalen Anteil zu entfernen, da dies möglicherweise einen günstigen Einfluss auf das Lebenszeitrisiko bewirkt, an einem Zervixkarzinom zu erkranken. Neben den bisherigen drei Exzisionstypen soll ein vierter Typ definiert werden, welcher ausschließlich für die Behandlung eines Adenocarcinoma in situ gedacht ist. Eine solche Exzision soll einerseits die kongenitale Grenze der Transformationszone einschließen und andererseits mindestens 2,5 Zentimeter tief sein.
4.4.4 4.4.2
Sichtbarkeit der Transformationszone
Die in Deutschland schon lange übliche Einteilung in T1, T2 und T3 als eine Aussage zur
Definition von Exzisionstypen
Neubewertung der Schiller’schen Jodprobe
Dies wäre die wichtigste Änderung einer neuen Nomenklaturfassung. Hierbei würde die Schiller’sche Jodprobe statt eines optionalen Abklä-
4
62
Kapitel 4 Kolposkopische Nomenklatur
. Tab. 4.7 Vorschlag für die Bewertung der Schiller’schen Jodprobe im Rahmen der Neufassung der internationalen kolposkopischen Nomenklatur (Reich und Pickel 2021)
4
Interpretation der Schiller’schen Jodprobe
Jodreaktion
Art des Epithels/der Läsion
Vorschlag zur kolposkopischen Interpretation
Jodpositivität
Verschiedene Brauntöne
Plattenepithel (glykogenhaltig)
Normalbefund
Jodnegativität innerhalb der Transformationszone
Jodgelb (ockerfarben)
HSIL
Abnormer Befund, „major change“
Jodnegativität außerhalb der Transformationszone
Jodgelb
Plattenepithel (nicht glykogenhaltig) LSIL Kongenitale Transformationszone
Abnormer Befund, „unspecific change“
rungsschrittes im Sinne der „erweiterten Kolposkopie“ zu einem integralen Bestandteil der Abklärungskolposkopie, wie dies von Reich und Pickel (2021) vorgeschlagen wird (. Tab. 4.7). Bisher unterscheidet die Nomenklatur Rio 2011 lediglich zwischen „gefärbt“ und „nicht gefärbt“. Reich und Pickel (2021) schlagen nun vor, eine weitere Differenzierung vorzunehmen, abhängig davon, ob ein jodnegativer Bereich
innerhalb oder außerhalb der Transformationszone liegt. Während eine Lokalisation außerhalb der Transformationszone (. Abb. 4.1) als „unspecific change“ angesehen werden sollte, ist die Lokalisation innerhalb der Transformationszone (. Abb. 4.2) mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer höhergradigen Dysplasie assoziiert und sollte als „major change“ klassifiziert werden.
. Abb. 4.1 „Unspecific change“ auf der Basis der Schiller’schen Jodprobe (Nomenklaturvorschlag). Das jodnegative Epithelareal liegt außerhalb der Transformationszone. Histologisch handelt es sich um normales Plattenepithel, welches kein Glykogen enthält. (Aus Reich und Pickel 2021 mit freundlicher Zustimmung von Autor und Verlag)
. Abb. 4.2 „Major change“ auf der Basis der Schiller’schen Jodprobe (Nomenklaturvorschlag). Das Epithel, welches eine jodgelbe Reaktion zeigt, liegt innerhalb der Transformationszone. Eine HSIL wurde histologisch verifiziert. (Aus Reich und Pickel 2021 mit freundlicher Zustimmung von Autor und Verlag)
4
63 Literatur
4.5
Fragen zur Selbstkontrolle – Kolposkopische Nomenklatur
Ja
1 Gemäß Nomenklatur Rio 2011 ist bei einer T3-Zone die kolposkopische Untersuchung als „inadäquat“ anzusehen. 2 Bei ausgeprägter Atrophie oder Entzündung kann die kolposkopische Untersuchung als „inadäquat“ eingestuft werden.
3 „Inner border sign“ und „ridge sign“ sind Teil der offiziellen Nomenklatur Rio 2011.
4 „Cuffed open glands“ und „rag sign“ sind Teil der offiziellen Nomenklatur Rio 2011. 5 Eine Leukoplakie wird im Rahmen der geltenden kolposkopischen Nomenklatur als „nicht spezifisch“ gewertet.
6 Atypische Gefäße sprechen mit fast 100%iger Wahrscheinlichkeit für eine Invasion. 7 Atypische Gefäße sollten immer bioptisch abgeklärt werden.
8 „Auf Berührung blutende Gefäße, unregelmäßige Oberfläche, exophytische Läsion, Nekrose, Ulkus, Tumor“ sind Zeichen der Invasion laut Nomenklatur Rio 2011.
9 Eine negative Schiller’sche Jodprobe wird laut Nomenklatur Rio 2011 als nicht spezifischer abnormer Befund angesehen.
10 Die kolposkopische Nomenklatur der Vagina Rio 2011 unterscheidet wie bei der Zervix zwischen „minor change“ (Grad 1) und „major change“ (Grad 2).
11 Bei der Vagina ist das „ridge sign“ pathognomonisch für eine vaginale intraepitheliale Neoplasie Grad 3. 12 Im Gegensatz zu Zervix und Vagina wird bei der Beurteilung von vulvären Befunden nach Rio 2011 eine Evaluation ohne Kolposkop akzeptiert.
13 Im Gegensatz zu Zervix und Vagina spielt die Essigprobe bei der Beurteilung der Vulva nur eine untergeordnete Rolle.
14 Bei der Schiller’schen Jodprobe kommt der Jodnegativität innerhalb der Transformationszone eine besondere Bedeutung zu, sodass für die Überarbeitung der Nomenklatur eine Interpretation als „major change“ diskutiert wird.
Literatur Bornstein J, Bentley J, Bosze P, Girardi F, Haefner H, Menton M et al (2012a) 2011 colposcopic terminology of the International Federation for Cervical Pathology and Colposcopy. Obstet Gynecol 120(1):166–172 Bornstein J, Sideri M, Tatti S, Walker P, Prendiville W, Haefner HK et al (2012b) 2011 terminology of the vulva of the International Federation for Cervical Pathology and Colposcopy. J Low Genit Tract Dis 16:290–295 Bornstein J, Bogliatto F, Haefner HK, Stockdale CK, Preti M, Bohl TG et al (2016) The 2015 International Society for the Study of Vulvovaginal Disease (ISSVD) terminology of vulvar squamous intraepithelial lesions. Obstet Gynecol 127:264–268 Girardi F, Tirri BF, Küppers V, Menton M, Quaas J, Reich O (2012) Neue kolposkopische IFCPC-Nomenklatur der
Nein
Cervix uteri (Rio de Janeiro 2011). Frauenarzt 53:1064– 1066 Quaas J, Reich O, Tirri BF, Küppers V (2014) Erläuterung und Anwendung der kolposkopischen Nomenklatur der IFCPC (International Federation for Cervical Pathology and Colposcopy) Rio 2011. Geburtshilfe Frauenheilkd 74:1–3 Reich O, Pickel H (2021) 100 years of iodine testing of the cervix: A critical review and implications for the future. Eur J Obstet Gyn R B 261:34–40 Wentzensen N, Massad LS, Mayeaux EJ, Khan MJ, Waxman AG, Einstein MH et al (2017) Evidence-based consensus recommendations for colposcopy practice for cervical cancer prevention in the United States. J Low Genit Tract Dis 21:216–222
65
Gynäkologische Exfoliativzytologie Inhaltsverzeichnis 5.1
Zytologische Morphologie – 67
5.2
Zytologische Nomenklatur – 70
5.3
Wertigkeit der Zytologie als Screeningverfahren – 73
5.4
Dünnschichtzytologie – 74
5.4.1 5.4.2
Dünnschichtzytologische Verfahren – 75 Morphologische Besonderheiten der Dünnschichtzytologie – 77 Vergleich von konventioneller Zytologie, ThinPrep® und SurePath® – 79 Computerassistierte zytologische Diagnostik – 80 Derzeitiger Stellenwert der Dünnschichtzytologie – Zusammenfassung – 81
5.4.3 5.4.4 5.4.5
5.5
Zytologiebasierte Zusatzuntersuchungen (p16/Ki67-Doppelfärbung) – 81
5.6
Fragen zur Selbstkontrolle – Gynäkologische Exfoliativzytologie – 84 Literatur – 86
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_5
5
66
5
Kapitel 5 Gynäkologische Exfoliativzytologie
Die Zytologie der Zervix spielt zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine zentrale Rolle bei der Prävention des Zervixkarzinoms. Aktuelle Kolposkopiekurse fordern daher zu Recht Grundkenntnisse auf dem Gebiet der Morphologie sowie der molekularbiologischen Zusatzverfahren. Im Folgenden wird das Wissen vermittelt, welches im Zusammenhang mit der Kolposkopie unverzichtbar ist.
karzinoms und seiner Vorstufen. Bei jüngeren Frauen ist der Pap-Test ohne Alternative und wird nach den gegenwärtigen deutschen Vorsorgerichtlinien ab dem 35. Lebensjahr durch einen HPV-Test ergänzt. Die kolposkopische Untersuchung mit gezielter Gewebeentnahme dient dagegen zur Triage, d. h. zur weiteren Abklärung auffälliger zytologischer Befunde.
i Fragen zur Wissensüberprüfung per SN Flashcards App
In Deutschland gab es in der Vergangenheit einen Wettstreit der Verfahren Zytologie und Kolposkopie, was das Screening betrifft. Dieser Streit ist längst beigelegt und die Zytologie hat sich international als Screeningmethode etabliert. Wie im Rahmen eines HTA-Berichtes belegt wurde, hat die Kolposkopie eine schlechtere Sensitivität für die Erkennung zervikaler Dysplasien als die Zytologie (Nocon et al. 2007; . Tab. 5.1). Im klinischen Alltag werden häufig auch Abstriche von Vagina oder Vulva entnommen. Während die Entnahme eines Scheidenabstrichs nach Hysterektomie aufgrund einer gutartigen Erkrankung nicht sinnvoll ist (Fox et al. 1999), kann eine vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN) nach Hysterektomie wegen zervikaler intraepithelialer Neoplasie auftreten und eine erste Verdachtsdiagnose durch den zytologischen Abstrich gestellt werden. Der Stellenwert der Vulvazytologie ist dagegen sehr umstritten, denn das verhornende Plattenepithel des äußeren Genitales lässt sich sehr viel schlechter abstreichen als das Epithel der Schleimhäute. Im Vulvaabstrich ist nicht nur die Zellausbeute geringer. Auch die morphologische Beurteilung der Keratozyten ist sehr viel schwieriger.
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Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf die Zervix. Die hier gemachten Aussagen lassen sich nur bedingt auf andere Bereiche des Genitaltraktes und die Analregion übertragen. > Der Portioabstrich ist zurzeit das beste Screeningverfahren zur Früherkennung des Zervix-
. Tab. 5.1 Vergleichsstudien zur Sensitivität und Spezifität von Zytologie und Kolposkopie im Rahmen des primären Zervixkarzinomscreenings. (Nach Nocon et al. 2007) Autoren
N
Sensitivität (%)
Spezifität (%)
Zytologie
Kolposkopie
Zytologie
Kolposkopie
77
88,9
72,7
98,4
95,3
Belinson et al. (2001)
1997
94,0
81,0
78,0
77,0
Schneider et al. (2000)
4761
20,0
13,3
99,2
99,3
450
77,2
55,6
98,6
79,5
Al-Alwan (2001)
Wu et al. (2005)
67 5.1 Zytologische Morphologie
> Sollte eine suspekte Läsion im Bereich der
len. Eine Verhornung findet am Zervixepithel normalerweise nicht statt. Im zytologischen Abstrich können sich mit Ausnahme der Basalzellen alle genannten Zellgruppen wiederfinden. Bei hoch aufgebautem Epithel sieht man im Abstrich hauptsächlich Superfizial- und Intermediärzellen, während bei einer Atrophie unter Umständen ausschließlich Parabasalzellen vorkommen können. Im zytologischen Befund wird der Grad der Östrogenisierung nach der Klassifikation von Schmitt angegeben: 1 D Parabasalzellen 2 D Kleine Intermediärzellen 3 D Große Intermediärzellen 4 D Superfizialzellen
Vulva gesehen werden, so ist eine Abklärung durch Stanzbiopsie sinnvoll, um bei falschnegativer Vulvazytologie nicht etwa eine Präkanzerose oder womöglich ein Karzinom zu übersehen.
5.1
Zytologische Morphologie
Das normale Plattenepithel der Zervix besteht aus Basalzellen, Parabasalzellen, kleinen und großen Intermediärzellen sowie Superfizialzel-
Ein Grad 3–4 bedeutet somit ein Vorherrschen der großen Intermediärzellen sowie der Superfizialzellen, während Grad 1 für eine ausgeprägte Atrophie steht. Unter physiologischen Verhältnissen sind die Zellen umso größer und die Kerne umso kleiner, je weiter sie von der Basalschicht entfernt sind. Superfizial- und große Intermediärzellen besitzen daher einen breiten Zytoplasmasaum mit kleinem rundem oder pyknotischem Kern. In der üblichen Papanicolaou-Färbung sind die Superfizialzellen eosinophil (rot), während die übrigen Zellen basophil (blau) sind (. Abb. 5.1). Neben den plattenepithelialen Zellkomponenten findet man im Portioabstrich endozervikale Drüsenzellen (. Abb. 5.2).
. Abb. 5.1 Unauffällige Superfizialzellen (eosinophil) und große Intermediärzellen (zyanophil) des Plattenepithels in einem konventionellen Zervixabstrich. Die Kerne sind klein mit einem breiten Zytoplasmasaum. Erythrozyten haben einen Durchmesser von ca. 7 µm und können zum Größenvergleich dienen
a
b
. Abb. 5.2 Endozervixzellen im konventionellen Zervixabstrich. In der Aufsicht (a) ergibt sich ein Honigwabenmuster. Bei seitlicher Ansicht (b) sind die Endozervixzellen palisadenförmig angeordnet
5
68
Kapitel 5 Gynäkologische Exfoliativzytologie
. Tab. 5.2 Zytologische Merkmale der drei Dysplasiegrade CIN1–3 (nach Flenker 2003 und Lellé et al. 2007b)
5
Dysplasiegrad
Leicht (CIN1, LSIL)
Mäßig (CIN2, HSIL)
Schwer (CIN3, HSIL)
Pap-Gruppe
IIID1
IIID2
IVa–p
Zytoplasma
Entsprechend einer Superfizialzelle oder großen Intermediärzelle, Koilozytose
Entsprechend einer Intermediär- Entsprechend einer Parabasalzelle zelle
Zellkern
2- bis 3-mal größer als bei großen Intermediärzellen, entrundet und hyperchrom; Chromatin noch gleichmäßig verteilt
2- bis 3-mal größer als bei großen Intermediärzellen, deutliche Verschiebung der Kern-Plasma-Relation, Entrundung der Kerne, Einkerbungen der Kernmembran, Hyperchromasie mit leicht vergröbertem oder granulärem Chromatin
Grundsätzlich wird im zytologischen Befundbericht angegeben, ob im Abstrich endozervikale Zellen oder metaplastische umgewandelte Zellen gesehen wurden. Das Vorhandensein dieser Zellen ist ein indirekter Hinweis darauf, dass der Abstrich aus dem Bereich der Transformationszone entnommen wurde. Ein solcher Abstrich ist mit größerer Wahrscheinlichkeit als repräsentativ zu bewerten als ein Abstrich, der ausschließlich Plattenepithelzellen enthält. Bei einer plattenepithelialen Dysplasie (CIN) sind sowohl Zellkern als auch Zytoplasma verändert. Vereinfacht gesagt wird mit zuneh-
. Abb. 5.3 Zellen einer leichten Dysplasie (CIN1). Es handelt sich um Superfizialzellen, deren Kerne deutlich vergrößert und entrundet sind. Das Zytoplasma färbt sich in der Papanicolaou-Färbung orangeophil. Dies ist Ausdruck einer beginnenden Verhornung
Kerne etwas kleiner als bei leichter oder mäßiger Dysplasie, sehr starke Verschiebung der Kern-Plasma-Relation, starke Verformung des Kerns mit Einkerbungen und Einstülpungen der Kernmembran, starke Hyperchromasie mit grob granulärem und verklumptem Chromatin
mendem Dysplasiegrad der Zellkern größer und weist vermehrt Chromatinveränderungen auf, während das Zytoplasmavolumen abnimmt. Damit kommt es zu einer Verschiebung der KernPlasma-Relation zugunsten des Kerns. In . Tab. 5.2 sind die Merkmale einer leichten (CIN1), mäßigen (CIN2) und schweren Dysplasie (CIN3) zusammengefasst (Flenker 2003; Lellé et al. 2007b). . Abb. 5.3 bis 5.6 zeigen Beispiele für unterschiedliche Dysplasiegrade. Hierbei sollte man sich immer bewusst machen, dass die Über-
. Abb. 5.4 Typische Koilozyten. Um die Kerne herum ist das Zytoplasma aufgehellt. Eine der beiden dysplastischen Zellen weist zwei Kerne auf. Koilozyten sind der morphologische Ausdruck einer floriden HPV-Infektion und kommen meist im Zusammenhang mit einer leichten Dysplasie (CIN1) vor
69 5.1 Zytologische Morphologie
. Abb. 5.5 Zellen einer mäßigen Dysplasie (CIN2). Neben einer Superfizialzelle mit leicht vergrößertem Kern liegen zwei von kleinen Intermediärzellen abgeleitete Dysplasiezellen mit deutlich vergrößerten entrundeten Kernen und feinkörnigem Chromatin. Die Zell-Plasma-Relation ist deutlich zugunsten des Kerns verschoben
gänge zwischen leichter, mäßiger und schwerer Dysplasie fließend sind. Es ist nicht ungewöhnlich, dass im gleichen Abstrich Zellen unterschiedlicher Dysplasiegrade nebeneinander vorkommen. Die Zuordnung zu einer Pap-Gruppe richtet sich dabei immer nach dem höchsten Dysplasiegrad. > Eine allein zytologische Diagnose eines Karzinoms ist unmöglich. Denn der sichere Nachweis eines malignen Wachstums ist nur dann
a . Abb. 5.7 Plattenepithelkarzinom der Zervix. Der Präparathintergrund ist blutig/entzündlich (Tumordiathese) (a). Darin eingebettet ist ein kohärenter Tumorzellverband (b).
. Abb. 5.6 Zellen einer schweren Dysplasie (CIN3). Im Vergleich zu der am oberen Bildrand gelegenen Oberflächenzelle sind die Dysplasiezellen sehr viel kleiner. Der Kern füllt die Zelle bis auf einen schmalen Zytoplasmasaum aus. Die Kerne sind polymorph. Die atypischen Zellen sind charakteristischerweise straßenförmig gelagert
gegeben, wenn die atypischen Zellen die Basalmembran durchbrochen haben.
Eine solche Feststellung ist naturgemäß nur anhand eines Gewebeschnittes möglich. Dagegen basiert ein zytologischer Malignitätsverdacht zum einen auf dem Vorhandensein ausgeprägter Zell- und insbesondere Kernveränderungen. Solche Zellveränderungen können aber grundsätzlich auch bei einer CIN3 vorkommen. Zum
b Die Kern-Plasma-Relation ist stark zugunsten des Kerns verschoben. Das Chromatin ist verwaschen, sodass morphologische Einzelheiten nicht abgrenzbar sind
5
70
Kapitel 5 Gynäkologische Exfoliativzytologie
5 . Abb. 5.8 Plattenepithelkarzinom der Zervix. Die großen Tumorzellkerne weisen Makronucleoli auf. Die Merkmale der Einzelzellen sind mit denen der schweren Dysplasie (CIN3) identisch (. Tab. 5.2). Der zytologische Malignitätsverdacht basiert auf einem subjektiv geprägten Gesamteindruck
anderen wird der Präparathintergrund in die Beurteilung mit einbezogen. Bei einem blutigen Abstrich mit zahlreichen Leukozyten und Zelltrümmern (Detritus) spricht man in der Zytologie von einer „Tumordiathese“. Eine Tumordiathese lässt in Zusammenschau mit anderen Zellveränderungen die Verdachtsdiagnose eines invasiven Tumors zu (. Abb. 5.7, 5.8). Die Treffgenauigkeit der zytologischen Malignitätsdiagnose ist hierbei weit entfernt von der Genauigkeit einer histologischen Beurteilung und keinesfalls vergleichbar. > Die hier gezeigten Beispiele für Dysplasie und Karzinom beziehen sich alle auf das Plattenepithel. Die zytologische Diagnose von Präkanzerosen des endozervikalen Drüsenepithels (Adenocarcinoma in situ) sowie von invasiven Prozessen (Adenokarzinom) ist dagegen sehr viel schwieriger und dürfte eine deutlich geringere Treffsicherheit aufweisen. Systematische Untersuchungen hierzu fehlen allerdings.
. Abb. 5.9 Plattenepithelkarzinom der Vulva (ThinPrep® ). Die Tumorzellen (Dyskeratozyten) weisen eine ausgeprägte Polymorphie auf, sowohl was den Kern als auch was das Zytoplasma betrifft, welches bizarre Formen angenommen hat. Die Kern-Plasma-Relation ist zugunsten des Zytoplasmas verschoben und nicht zugunsten des Zellkerns, wie dies bei plattenepithelialen Dysplasien oder Karzinomen des unverhornten Epithels beobachtet wird
Die Morphologie dieser im verhornenden Epithel der Vulva entstehenden Zellveränderungen ist weitaus schwieriger zu interpretieren als Zellveränderungen im Bereich des unverhornenden Epithels der Zervix (. Abb. 5.9). Nauth behandelt in seinem im Jahre 2013 neu aufgelegten Lehrbuch und Atlas Gynäkologische Zervixdiagnostik (Nauth 2013) die Vulvazytologie in großer Ausführlichkeit. Ansonsten ist die Literatur zur Vulvazytologie spärlich, und die Diskussion über deren Wertigkeit dauert an (Bae-Jump et al. 2007, Dennerstein 2009, Jimenez-Ayala und Jimenez-Ayala 2002, van den Einden et al. 2012). > Alle diese Überlegungen sprechen dafür, bei einem suspekten Vulvabefund grundsätzlich eine Stanzbiopsie zu entnehmen oder den klinischen Befund kurzfristig zu kontrollieren und auf eine Abstrichentnahme ganz zu verzichten.
Auf die Schwierigkeiten der morphologischen Interpretation von Vulvaabstrichen wurde bereits hingewiesen. 5.2
Zytologische Nomenklatur
> Ein zytologisches Screening der Vulva zur Erkennung von vulvären intraepithelialen Neoplasien oder frühen Vulvakarzinomen existiert nicht.
Ein zytologischer Befund wird in Deutschland traditionell einer von fünf Pap-Gruppen zugeordnet. Diese Einstufung geht noch auf Papani-
71 5.2 Zytologische Nomenklatur
colaou zurück, der die Exfoliativzytologie in den 1940er- und 1950er-Jahren begründete. In den USA sowie in einer Reihe weiterer Länder wurde das Pap-System in den 1980erJahren durch die sogenannte Bethesda-Klassifikation ersetzt (Nayar und Wilbur 2015). Anstelle von Pap-Gruppen wird hierbei Wert auf eine beschreibende morphologische Diagnose gelegt. Statt der Bezeichnungen CIN1–3 wird der Begriff „plattenepitheliale intraepitheliale Läsion“ (SIL = „squamous intraepithelial lesion“) verwendet, welcher nicht nur auf zervikale, sondern auch auf alle anderen infrage kommenden anatomischen Lokalisationen wie Vagina, Vulva und Anus anwendbar ist. Darüber hinaus wird eine SIL in leichtgradig (LSIL = „low grade squamous intraepithelial lesion“) oder höhergradig (HSIL = „high grade squamous intraepithelial lesion“) unterteilt. Diese Zweiteilung genügt sehr gut den klinischen Erfordernissen. LSIL steht demnach für eine eher kontrollbedürftige Veränderung, während eine HSIL eher behandlungsbedürftig ist. Diese Klassifikation ist gleichermaßen auf zytologische und histologische Befunde anwendbar. Im Jahre 2013 schlossen sich die Fachgesellschaften von Zytologie, Pathologie und Gynäkologie zur Koordinationskonferenz Zytologie (KoKoZyt) zusammen und verabschiedeten gemeinsam eine neue Nomenklatur, die als Münchener Nomenklatur III bezeichnet wird (. Tab. 5.3). Mit dieser Nomenklatur ist eine Korrelation mit dem Bethesda-System möglich. Ausschließlich die Pap-Gruppe I entspricht einem unauffälligen Befund, während in der Pap-Gruppe II sogenannte „Befunde mit eingeschränkt protektivem Wert“ zusammengefasst werden. Eine klare Unterscheidung zwischen dem Verdacht auf eine leichte bzw. mäßige Dysplasie wird durch die Gruppen Pap IIID1 bzw. Pap IIID2 gewährleistet. Durch Indizes wie „p“ (plattenepithelial), „g“ (glandulär/endozervikal) oder „e“ (endometrial) wird die vermutete Zellherkunft kodiert. Demnach entspricht zum Beispiel die Pap-Gruppe IVA-g dem Verdacht auf ein Adenocarcinoma in situ. Demnach versucht die Münchener Nomenklatur III im Unterschied zur Bethesda-Klassifikation eine weitere Aufteilung der zytologischen Verdachtsdiagnose einer höhergradigen Dysplasie (HSIL) in mäßiggradig (CIN2; Pap
IIID2) und schwergradig (CIN3; Pap IVa-p). Diese Dreiteilung ist durchaus umstritten, und es wird angenommen, dass es sich bei der zytologischen oder histologischen Diagnose einer CIN2 eher um eine Mischung aus leichten und schweren Dysplasien handelt (Kurman et al. 2014, WHO Classification of Tumours Editorial Board 2020). > Dennoch empfehlen die deutschen Fachgesellschaften den Versuch einer CIN2/CIN3 Differenzierung mit dem Ziel eines abwartenden Vorgehens bei CIN2 insbesondere bei jungen Frauen mit kolposkopisch gut kontrollierbarem Befund. Dies geschieht in der Hoffnung einer spontanen Rückbildung von CIN2-Läsionen, um so eine Überbehandlung im gebärfähigen Alter zu vermeiden.
Die Dreiteilung der zytologischen Verdachtsdiagnose einer Zervixdysplasie in die Pap-Gruppen IIID1, IIID2 und IVa-p führt zu einer hohen Spezifität der Pap-Gruppe IVa-p, die für das klinische Vorgehen von Bedeutung ist. Nach Hilal et al. (2015) wurde bei 22 von 25 Pap IVa-pBefunden eine CIN3 histologisch nachgewiesen (85 %). Marquardt und Ziemke (2018), die 4162 Pap-Abstriche nach der Münchener Nomenklatur III analysierten, fanden ebenfalls eine sehr hohe Spezifität der Pap IVa-p Gruppe. In 87 % wurde mindestens eine CIN3 nachgewiesen und in 98 % mindestens eine CIN2. In letzterer Gruppe fand sich bei 84 % eine CIN3, bei 0,24 % ein Adenocarcinoma in situ und bei 2,4 % ein Plattenepithelkarzinom. Grundsätzlich lassen sich viele der derzeitigen und zukünftigen Probleme einer zytologischen Nomenklatur vermeiden, wenn sowohl bei der morphologischen Beschreibung des zytologischen Befundes als auch bei dessen Interpretation die Textform stärker in den Vordergrund gerückt wird, analog zum Vorgehen bei histopathologischen Befundberichten. Ein zytopathologischer Befundbericht über einen auffälligen Befund enthält eine Empfehlung für das weitere Vorgehen wie zum Beispiel für eine lokale Entzündungsbehandlung bzw. hormonelle Aufhellung oder Indikationen zur Kolposkopie/histologischen Abklärung sowie gegebenenfalls zu weiteren Kontrollintervallen.
5
Kapitel 5 Gynäkologische Exfoliativzytologie
72
. Tab. 5.3 Münchener Nomenklatur III der zervikalen Zytologie. Die neuen Pap-Gruppen sind der BethesdaKlassifikation eindeutig zuzuordnen. (Griesser et al. 2013)
5
Gruppe Definition
Korrelat im Bethesda-System
0
Unzureichendes Material
Unsatisfactory for evaluation
I
Unauffällige und unverdächtige Befunde
NILM
II-a
Unauffällige Befunde bei auffälliger Anamnese
NILM
II
Befunde mit eingeschränkt protektivem Wert
II-p
Plattenepithelzellen mit geringergradigen Kernveränderungen ASC-US als bei CIN1, auch mit koilozytärem Zytoplasma/Parakeratose
II-g
Zervikale Drüsenzellen mit Anomalien, die über das Spektrum reaktiver Veränderungen hinausreichen
AGC endocervical NOS
II-e
Endometriumzellen bei Frauen > 40. Lebensjahr in der zweiten Zyklushälfte
Endometrial cells
III
Unklare bzw. zweifelhafte Befunde
III-p
CIN2/CIN3/Plattenepithelkarzinom nicht auszuschließen
ASC-H
III-g
Ausgeprägte Atypien des Drüsenepithels, Adenocarcinoma in situ/invasives Adenokarzinom nicht auszuschließen
AGC endocervical favor neoplastic
III-e
Abnorme endometriale Zellen (v. a. postmenopausal)
AGC endometrial
III-x
Zweifelhafte Drüsenzellen ungewissen Ursprungs
AGC favor neoplastic
IIID
Dysplasiebefunde mit größerer Regressionsneigung
IIID1
Zellbild einer leichten Dysplasie analog CIN1
LSIL
IIID2
Zellbild einer mäßigen Dysplasie analog CIN2
HSIL
IV
Unmittelbare Vorstadien des Zervixkarzinoms
IVa-p
Zellbild einer schweren Dysplasie/eines Carcinoma in situ analog CIN3
HSIL
IVa-g
Zellbild eines Adenocarcinoma in situ
AIS
IVb-p
Zellbild einer CIN3, Invasion nicht auszuschließen
HSIL with features suspicious for invasion
IVb-g
Zellbild eines Adenocarcinoma in situ, Invasion nicht auszuschließen
AIS with features suspicious for invasion
V
Malignome
V-p
Plattenepithelkarzinom
Squamous cell carcinoma
V-g
Endozervikales Adenokarzinom
Endocervical adenocarcinoma
V-e
Endometriales Adenokarzinom
Endometrial adenocarcinoma
V-x
Andere Malignome, auch unklaren Ursprungs
Other malignant neoplasms
AGC endocervical favor neoplastic atypical glandular endocervical cells favor neoplastic; AGC endometrial atypical glandular endometrial cells; AGC endocervical NOS atypical glandular endocervical cells not otherwise specified; ASC-H atypical squamous cells of undetermined significance cannot exclude HSIL, AS-CUS atypical squamous cells of undetermined significance; HSIL high grade squamous intraepithelial neoplasia; LSIL low grade squamous intraepithelial neoplasia; NILM negative for intraepithelial lesion or malignancy
73 5.3 Wertigkeit der Zytologie als Screeningverfahren
> Bei der Interpretation solcher Empfehlungen darf nicht vergessen werden, dass dem zytologischen Labor außer dem morphologischen Bild nur begrenzte Informationen über die betroffene Patientin zur Verfügung stehen. Das heißt, dass nur der Kliniker, der die Patientin persönlich betreut, letztlich über das weitere Vorgehen entscheiden kann unter Einbeziehung der Laborempfehlung.
5.3
Wertigkeit der Zytologie als Screeningverfahren
Zweifellos hat sich die gynäkologische Exfoliativzytologie als hocheffektives Screeningverfahren erwiesen, welches in Deutschland dazu geführt hat, dass die Inzidenz des Zervixkarzinoms extrem zurückgegangen ist. Dennoch ist die die Zytologie weit von einem Idealzustand entfernt. Dies wird durch Untersuchungen von Marquardt et al. (2007, 2011) illustriert. Bei 617 Patientinnen, bei denen ein Zervixkarzinom diagnostiziert wurde, wurde nachträglich die zytologische Screeninganamnese erfasst (. Abb. 5.10). Hierbei zeigte sich einerseits, dass bei den meisten Patientinnen (60 %) innerhalb der vorausgegangenen fünf Jahre keine Abstrichuntersuchung erfolgt war. Bei 31 % der Patientinnen war keine regelmäßige Untersuchung durchgeführt worden. Allerdings hatten 9 % der Patientinnen mit Karzinomdiagnose regelmäßig am jährlichen Vorsorgeprogramm teilgenommen. > Ärzte/Ärztinnen, Patientinnen, aber auch Zytolog/innen tendieren dazu, die Sensitivität der Exfoliativzytologie zu überschätzen.
Ein rein zytologisches Screening hat eine relativ geringe Sensitivität. Cuzick et al. (2006) ermittelten in ihrer Metaanalyse eine Sensitivität von 53 % bei einer Spezifität von 96 %. Die Autoren folgern hieraus, dass ein reines Zytologiescreening nur funktionieren kann, wenn zunächst zwei bis drei aufeinanderfolgende jährliche Untersuchungen durchgeführt werden, bevor das Screeningintervall verlängert wird. Denn statistisch gesehen verbessert sich die Sensitivität bei
. Abb. 5.10 Karzinomdiagnose trotz Screeningteilnahme. Alle Patientinnen in dieser Statistik waren an einem Zervixkarzinom erkrankt. Retrospektiv wurde die Screeninganamnese erfasst. Während der größte Teil der Patientinnen nicht bzw. unregelmäßig am Screening teilgenommen hatten, trat bei 9 % der jährlich untersuchten Patientinnen dennoch ein Zervixkarzinom auf. (Nach Marquardt et al. 2011)
zweimaliger Testung auf 76 % und nach dreimaligem Test auf 88 % (bezogen auf die Erkennung von CIN2+-Läsionen). Weder in den USA noch in anderen Ländern wird das in Deutschland immer wieder beschworene jährliche Screening befürwortet. Einer der Wege, um die Sensitivität der Zytologie zu verbessern, ist die Hinzunahme des HPV-Tests, wie dies im aktuellen Zervixkarzinomscreening bei Frauen ab 35 Jahren verwirklicht wurde. Dennoch bleibt die Zytologie in allen Altersgruppen das entscheidende Screeningverfahren. Aufgrund der geringen Sensitivität der zytologischen Untersuchung muss alles daran gesetzt werden, potenzielle Fehlerquellen zu minimieren. Folgende Faktoren sind Ursachen für falsch-negative zytologische Ergebnisse: 4 Abnahme an der falschen Stelle, 4 keine intrazervikale Entnahme, 4 falsche zytologische Auswertung, 4 ungenügende Übertragung der Zellen auf den Objektträger, 4 unvollständiges Ausstreichen des Abstriches, 4 Überlagerung durch Schleim, Entzündungszellen, Blut, 4 mangelhafte Fixierung. > Im Vordergrund stehen demnach Abnahmefehler und nicht Laborfehler wie die Fehlinterpretation eines Abstrichs.
5
74
5
Kapitel 5 Gynäkologische Exfoliativzytologie
Eine wesentliche Rolle für die Qualität und die Repräsentativität der Zellprobe spielt der verwendete Abstrichträger: Watteträger scheinen weniger effektiv zu sein als eine SpatelBürsten-Kombination, sodass der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen am 28.10.2005 eine Änderung der Krebsfrüherkennungsrichtlinien beschloss und im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte (Hess 2005). Hier heißt es: Der endozervikale Abstrich soll „in der Regel mithilfe von Spatel (Portio-Oberfläche) und Bürste (Zervikalkanal)“ erfolgen. In der „Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme“1 wurde dies offiziell festgeschrieben. Es heißt hierzu: „Die Abnahme des Abstrichs für die zytologische Untersuchung erfolgt in der Regel mithilfe von Spatel (PortioOberfläche) und Bürste (Zervixkanal).“ > Als Maß für die Repräsentativität einer Zellprobe wird üblicherweise das Vorhandensein einer endozervikalen Komponente bzw. einer Zellkomponente der Transformationszone (Zylinderepithel der Endozervix oder metaplastische Zellen) herangezogen.
Im Rahmen verschiedener Untersuchungen (Elias et al. 1983, Luzzatto und Boon 1996) wurde festgestellt, dass dieses Beurteilungskriterium mit der Zuverlässigkeit des Nachweises von Dysplasien korreliert, denn dysplastische Zellveränderungen entstehen im Bereich der Transformationszone, welche ganz oder teilweise innerhalb des Zervikalkanals liegen kann. Allerdings hat sich herausgestellt, dass Frauen, bei denen der Abstrich keine endozervikale Komponente enthält, in der Folge nicht häufiger zervikale Dysplasien entwickeln als Frauen mit nachweislich endozervikalen Abstrichen bzw. Abstrichen aus der Transformationszone (Bos et al. 2001, Kivlahan und Ingram 1986). Die zytologische Bethesda-Klassifikation berücksichtigt diese Erkenntnis: Zwar wird das Fehlen einer endozervikalen Komponente registriert. Andererseits führt dies nicht zur Einstufung eines Abstrichs als unzureichend („unsatisfactory“). 1
7 https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2605/ oKFE-RL-2021-07-01-iK-2022-01-01.pdf; Fassung vom 1. Januar 2022.
In Übereinstimmung mit der internationalen Literatur (Sultana et al. 2014, Jacome et al. 2018) wird dies im Rahmen der Münchener Nomenklatur III ebenso gehandhabt. Griesser et al. (2013) schreiben:
»
„Das Vorhandensein oder Fehlen von Drüsenzellen und/oder Metaplasiezellen ist bei allen Frauen mit einer Zervix anzugeben. Das Fehlen dieser Zellen der Transformationszone erlaubt jedoch nicht die Klassifizierung des Präparats als nicht ausreichend, für diese Schlussfolgerung fehlt die Evidenz. Daher ist eine Abstrich-Wiederholung allein wegen fehlender ‚endozervikaler‘ Zellen nicht indiziert.“
Wenn der zytologische Verdacht auf eine höhergradige Dysplasie (HSIL) oder auf ein Karzinom besteht, so ist das Vorhandensein oder Fehlen einer endozervikalen Komponente ohnehin irrelevant. Letztlich verfolgt die Kombination des PapTests mit einem HPV-Test, wie dies in Deutschland für Frauen ab dem 35. Lebensjahr der Fall ist, das Ziel, die Sensitivität der Screeninguntersuchungen zu verbessern.
5.4
Dünnschichtzytologie
Synonym sind für den Begriff der Dünnschichtzytologie die Bezeichnungen „Monolayer-Zytologie“ und „flüssigkeitsgestütze Zytologie“ („liquid-based cytology“, LBC) gebräuchlich. Dünnschichtzytologische Verfahren haben sich im Rahmen der gynäkologischen Exfoliativzytologie fest etabliert. Allerdings hat die Dünnschichtzytologie die konventionelle Zytologie in Deutschland nicht ersetzt. Nach wie vor ist der Direktabstrich auf den Objektträger das am häufigsten angewandte Abstrichverfahren. Der Mehraufwand der Dünnschichtzytologie wird nach wie vor nur von privaten Versicherungsträgern übernommen oder in den Praxen als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) abgerechnet. Einige große Labore sind dazu übergegangen, ihren Einsendern die Dünnschichtzytologie als Regelleistung anzubieten, und finanzieren sich aus den Folgeuntersuchungen, welche aus dem zytologischen Abnahmegefäß durchgeführt werden können.
75 5.4 Dünnschichtzytologie
Allen dünnschichtzytologischen Methoden ist gemeinsam, dass das von der Portio, Zervix oder anderen Regionen entnommene Zellmaterial nicht auf einem Objektträger ausgestrichen, sondern in ein flüssiges Medium ausgespült wird. Ziel ist es, hierdurch die Qualität der Präparate zu verbessern. Da man davon ausgeht, dass für Zwei Drittel der nicht erkannten Zervixdysplasien eine eingeschränkte Präparatqualität verantwortlich ist, können typische Fehlermöglichkeiten der konventionellen Abstrichentnahme (ungenügende Übertragung des Zellmaterials bzw. unvollständiges Ausstreichen, Überlagerung durch Blut, Schleim oder Entzündung, ungenügende Fixierung) vermieden werden. Ein unbestreitbarer Vorteil der Dünnschichtzytologie ist die Tatsache, dass aus dem Aufbewahrungsgefäß des dünnschichtzytologischen Präparats bei Bedarf weitere Zellpräparate hergestellt werden können bzw. Zusatzuntersuchungen möglich sind wie HPV-Test (HPV-Reflextestung) oder CINtecPlus® -Test.
5.4.1
Dünnschichtzytologische Verfahren
Im Laufe der Jahre wurde eine große Zahl unterschiedlicher dünnschichtzytologischer Verfahren entwickelt. Grundsätzlich kann man Filtrierungsmethoden von Dichtegradientenzentrifugations- bzw. Sedimentationsverfahren unterscheiden. In Deutschland existiert zwar ein Gesetz für Medizinprodukte. Es fehlt jedoch eine zentrale Zulassungsstelle analog zur FDA in den Vereinigten Staaten. Von allen Dünnschichtverfahren haben nur der ThinPrep® - und der SurePath® -Test eine FDA-Zulassung, da für beide Verfahren umfangreiche klinische Studien insbesondere zur Vergleichbarkeit mit der konventionellen Zytologie durchgeführt wurden. Alle anderen dünnschichtzytologischen Verfahren sind unzureichend untersucht und sollten nicht angewandt werden.
ThinPrep® Die Abstrichträger werden in einem Gefäß mit einer Fixationslösung ausgespült. Deren genaue Zusammensetzung wurde seinerzeit von der Firma Hologic nicht bekannt gegeben. Inzwischen
. Abb. 5.11 ThinPrep 2000-Prozessor®
werden nach Ablauf der Patente die passenden Entnahmegefäße, Filter und beschichteten Objektträger für ThinPrep® und SurePath® auch von Drittanbietern hergestellt (Medite, Burgdorf), was die Kosten wesentlich senkt. Erythrozyten und Schleimbestandteile werden in der Fixationslösung zum Teil aufgelöst. Die Probe wird in diesem Gefäß ins Labor transportiert und kann bei Zimmertemperatur mindestens zwölf Wochen aufbewahrt werden. Es wurden aber auch schon technisch ausgezeichnete Dünnschichtpräparate nach einer Aufbewahrungszeit von zwei Jahren und mehr angefertigt. Die Verarbeitung des Zellmaterials erfolgt im ThinPrep-Prozessor® (. Abb. 5.11). Ein spezieller haftungsbeschichteter Objektträger wird in den Prozessor eingespannt. Ein Kunststoffzylinder, der am unteren Ende mit einer Filtermembran verschlossen ist, wird über dem Entnahmegefäß fixiert. Die hierfür verwendeten Filtermembranen werden durch Neutronenbeschuss hergestellt. Unter dem Lichtmikroskop sieht man die unregelmäßig verteilten, aber immer gleich großen Poren (. Abb. 5.12). Die nun folgenden Schritte laufen automatisiert im ThinPrep-Prozessor® ab: Das Entnahmegefäß wird angehoben und in den rotierenden Membranzylinder getaucht. Auf diese Weise
5
76
Kapitel 5 Gynäkologische Exfoliativzytologie
saugt und gelangen nicht auf den Objektträger. Anschließend misst das Gerät die Relaxationszeit des Vakuums. Diese Schritte – Aspiration und Messung der Relaxationszeit – werden so lange wiederholt, bis eine ausreichende Zellmenge am Filter haftet. Der Filter wird dann auf den Objektträger aufgestempelt, sodass ein relativ gleichmäßig verteiltes Zellpräparat in einem kreisrunden Areal resultiert (. Abb. 5.13). Abschließend wird der Objektträger in die Fixierungslösung ausgeworfen und in üblicher Weise nach Papanicolaou gefärbt.
5 . Abb. 5.12 ThinPrep® -Filter nach Herstellung eines Präparats. Nach dem Aufstempeln des Filters auf den haftbeschichteten Objektträger bleiben einige Zellen auf der Filtermembran zurück. Die Filterporen wurden durch Neutronenbeschuss erzeugt und haben einen konstanten Durchmesser
werden größere Zellkonglomerate mechanisch gelöst. Anschließend wird die zellhaltige Flüssigkeit über ein im Zylinder erzeugtes Vakuum angesaugt. Ein Teil der Zellen bleibt am Zylinder haften und verschließt dessen Poren. Zellbestandteile mit geringerem Durchmesser wie einzelne Erythrozyten oder Leukozyten sowie Zelldetritus werden durch die Filterporen abge-
. Abb. 5.13 Objektträger ThinPrep® . Das kreisrunde Zellareal wird aufgestempelt. Die Ausschnittvergrößerung zeigt eine typische Zellverteilung mit zellfreien Arealen und Zellkonglomeraten. Daher ist die Bezeichnung „Monolayer-Zytologie“ eigentlich irreführend
SurePath® Im Gegensatz zum ThinPrep® -Verfahren wird bei Sure-Path® der Abstrichträger nicht nur im Entnahmegefäß ausgespült. Vielmehr wird der Kopf des Entnahmeinstruments in die Fixationslösung (Ethanol-Basis, genaue Zusammensetzung auch hier nicht bekannt) gestreift bzw. an einer Sollbruchstelle abgetrennt und im Entnahmegefäß an das Labor eingesandt. Auf diese Weise ist die Zellausbeute höher. Zur Zellanreicherung dient eine wiederholte Dichtegradientenzentrifugation mit anschließender Sedimentation. Durch einen ersten Zentrifugationsschritt werden störende Bestandteile wie Schleim, Erythrozyten und Leukozyten vom diagnostisch entscheidenden Zellmaterial abge-
. Abb. 5.14 Objektträger SurePath® . Das resultierende runde Zellareal ist kleiner als beim ThinPrep® -Verfahren. Die Zellen werden durch Sedimentation gewonnen. Dementsprechend lässt die Ausschnittvergrößerung Zellaggregate erkennen
77 5.4 Dünnschichtzytologie
. Abb. 5.15 Unauffälliges Plattenepithel beim SurePath® Verfahren. Das Ideal eines solchen Monolayers wird in der flüssigkeitsgestützten Zytologie nur ausnahmsweise erreicht
trennt und abgesaugt. Die verbliebenen Zellen werden von einem Pipettierautomaten in eine Sedimentationskammer übertragen. Dort kann sich das Material langsam auf dem Objektträger absetzen (. Abb. 5.14, 5.15). Diese Vorgänge laufen weitgehend automatisiert ab. In . Tab. 5.4 sind die Eigenschaften von ThinPrep® und SurePath® gegenübergestellt.
5.4.2
Morphologische Besonderheiten der Dünnschichtzytologie
Das mit der zytologischen Auswertung befasste Personal muss speziell geschult sein, denn es bestehen einige wichtige Unterschiede hinsichtlich der Morphologie der Zellen und deren
Begleitelemente. Diese Schulung ist ausgesprochen wichtig, damit keine Screeningfehler resultieren. Einige dieser morphologischen Besonderheiten werden nachfolgend am Beispiel des ThinPrep® -Verfahrens erläutert. Bei der ThinPrep® -Technik wird eine repräsentative und gereinigte Probe des entnommenen Zellmaterials auf den Objektträger übertragen. Hierbei handelt es sich nicht um einen „Monolayer“. Vielmehr finden sich neben einzeln liegenden Zellen mehr oder weniger große Zellkomplexe. Insgesamt sind diese jedoch meist dünner und besser zu beurteilen als in einem konventionellen Abstrich. Das Problem des unvollständigen oder zu dicken Ausstrichs, das bei konventionellen Präparaten auftreten kann, besteht bei Dünnschichtpräparaten nicht. Aufgrund der weiterhin vorhandenen Zellverbände ist dennoch eine differenzierte Beurteilung möglich. Aufgrund des oben beschriebenen Herstellungsverfahrens eines ThinPrep® -Präparats sind Zellzahl und Zelldichte reduziert. So wird sich die Diagnose einer Dysplasie unter Umständen auf eine kleine Zahl von diagnostischen Zellen stützen. Entsprechend sorgfältig und langsam müssen ThinPrep® -Präparate gescreent werden (. Abb. 5.16). Das langsamere Durchmustern wird allerdings dadurch kompensiert, dass eine kleinere Objektträgerfläche beurteilt werden muss als beim konventionellen Abstrichpräparat. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer computergestützten Auswertung. Spezifische entzündliche Veränderungen wie eine Mykose (. Abb. 5.17) oder Trichomonaden sind bei dünnschichtzytologischen Verfahren ebenso gut wie bei konventioneller Zytologie
. Tab. 5.4 Eigenschaften von ThinPrep® und SurePath® ThinPrep®
SurePath®
Hersteller
Hologic
BD (Becton, Dickinson and Company)
Informationsquelle
7 www.hologic.com
7 www.surepath.com
Technisches Prinzip
Filterung über ein rechnergesteuertes Vakuum Dichtegradientenzentrifugation und Sedimentation
Empfohlene Entnahmemethode
Abstrichträger wird im Entnahmegefäß ausgespült
Optionale Automation Teilautomatisierung (ThinPrep® Imager)
Abstrichträger wird im Entnahmegefäß belassen Vollautomatisierung (FocalPoint® Imaging)
5
78
Kapitel 5 Gynäkologische Exfoliativzytologie
5
. Abb. 5.17 ThinPrep® -Präparat mit Candida-Infektion. Die Pseudohyphen und die Sporen sind gut zu erkennen . Abb. 5.16 ThinPrep® -Präparat mit CIN3 (Pap IVa-p). Der Präparathintergrund ist vollständig sauber. Bei sorgfältiger Durchmusterung erkennt man eine kleine Zellgruppe mit basaloiden Dyskaryosen
zu diagnostizieren. Vor dem sauberen Präparathintergrund sind diese mikrobiologischen Begleitelemente unter Umständen deutlicher sichtbar als bei der konventionellen Zytologie. Erleichtert wird die Erkennung HPV-bedingter und/oder dysplastischer Veränderungen durch den guten Erhaltungszustand und die optimierte Fixierung des Zellmaterials. Dies betrifft insbesondere die Chromatinstruktur (. Abb. 5.18, 5.19). Die Zellen sind tendenziell kleiner und rundlicher als im Abstrichpräparat, bedingt durch die initiale Abrundung der Zellen bei der Aufbewahrung im flüssigen Medium. Dies führt dazu, dass Zellen einer vom Plattenepithel ausgehenden höhergradigen Dysplasie im ThinPrep® -Präparat häufiger als glandulär fehlinterpretiert werden kann (Renshaw et al. 2006). Die Proportionen von Kern und Zytoplasma, welche für die Diffe-
. Abb. 5.18 ThinPrep® -Abstrich mit Zellen einer schweren Dysplasie (CIN3). Die polymorphen Zellkerne weisen eine feingezeichnete Chromatinstruktur auf. Einige Zellen sind stark hyperchrom
renzialdiagnose wichtig ist, bleibt jedoch erhalten. Die Zytoplasmastruktur ist im Dünnschichtpräparat detailreicher. HPV-bedingte Verände-
79 5.4 Dünnschichtzytologie
. Abb. 5.19 ThinPrep® -Präparat mit einem Adenocarcinoma in situ der Zervix. Die Chromatinstruktur der atypischen Endozervixzellen ist gut erhalten. Die Kerne sind relativ hell. Neben Makronucleoli sieht man zahlreiche Chromozentren
rungen, insbesondere bei einer Koilozytose, treten deutlicher hervor. Epithelstraßen, wie sie bei einer schweren Dysplasie durch das Ausstreichen des Zellmaterials zustande kommen, sieht man im Dünnschichtpräparat nicht. Die dysplastischen Zellverbände sind jedoch umso besser erhalten. > Entgegen einer vielfach geäußerten Vermu®
tung findet sich im ThinPrep -Präparat durchaus eine Tumordiathese, die sich zwar vom konventionellen zytologischen Bild unterscheidet, aber ebenfalls diagnostisch hilfreich ist (. Abb. 5.20).
Wie bereits ausgeführt, gilt das Vorhandensein endozervikaler Zellen bzw. Metaplasiezellen als Marker für eine adäquate Abstrichentnahme aus dem Zervikalkanal und ist mit der Zuverlässigkeit des Nachweises von Dysplasien korreliert (Elias et al. 1983, Luzzatto und Boon 1996). Nach einer Untersuchung von Lellé et al. (2007a) waren in den mit dem ThinPrep® -Verfahren hergestellten Präparaten in 11,6 % keine endozervikalen Zellen vorhanden. Bei der konventionellen Methode war dies nur in 2,3 % der Präparate der Fall (p < 0;05). Ein Fehlen der endozervikalen Zellkomponente ist nicht notwendigerweise gleichbedeutend mit einer geringeren Sensitivität der Dünnschichtzytologie. Selvaggi und Guidos (2002) kamen zu dem Schluss, dass in ThinPrep® Abstrichen ohne endozervikale Komponente ge-
. Abb. 5.20 ThinPrep® -Abstrich bei einem Plattenepithelkarzinom der Zervix. Eine Tumordiathese bestehend aus zerfallenden Erythrozyten, und darin eingebettete Leukozyten und Tumorzellkonglomerate sind deutlich zu erkennen
nauso häufig Dysplasien diagnostiziert werden wie in Abstrichen, welche endozervikale Zellen enthalten. Dies gilt auch für die Erkennung glandulärer Läsionen (Ashfaq et al. 1999). Dem ThinPrep® -Verfahren wurde von der FDA sogar eine erhöhte Findungsrate abnormer Drüsenzellen bescheinigt. 5.4.3
Vergleich von konventioneller Zytologie, ThinPrep® und SurePath®
Verschiedene Studien sprechen dafür, dass durch ThinPrep® oder SurePath® höhergradige Dysplasien signifikant häufiger als durch konventionelle Zytologie identifiziert werden können und dass die Zahl unzureichender Abstriche reduziert wird. Allerdings gibt es auch kritische
5
80
5
Kapitel 5 Gynäkologische Exfoliativzytologie
Stimmen. Auf der Basis mehrerer Metaanalysen wurden diese Vorteile der Dünnschichtzytologie gegenüber der konventionellen Zytologie in Zweifel gezogen (Arbyn et al. 2008, Davey et al. 2006, Sawaya 2008, Sawaya und Sox 2007, Siebert et al. 2003). Für die spezielle Situation in Deutschland mit einem bis vor Kurzem lediglich opportunistischen Screening und einer Auswertung der Proben durch eine Vielzahl größerer und kleinerer von Gynäkologen oder Pathologen betriebenen zytologischen Labors ohne zentralisierte Qualitätskontrolle ist die Rhein-Saar-Studie von besonderer Relevanz (Klug et al. 2012). An dieser Studie nahmen insgesamt 20 gynäkologische Praxen teil. Insgesamt wurden 20.627 Frauen untersucht. In wöchentlichem Abstand wurde zwischen konventionellem Abstrich und dem ThinPrep® -Verfahren gewechselt. Bei auffälligen Befunden wurde kolposkopiert und die Detektionsraten der beiden Verfahren wurden hinsichtlich von CIN2+-Läsionen verglichen. Die relative Sensitivität der ThinPrep® -Zytologie gegenüber dem konventionellen Verfahren war mit einem Faktor von 2,74 signifikant höher. Der positive Vorhersagewert für CIN2+Läsionen betrug 38 % für die konventionelle Zytologie gegenüber 48 % für die Dünnschichtzytologie.
5.4.4
Computerassistierte zytologische Diagnostik
Computergestützte Auswertungssysteme können die Sensitivität der zytologischen Untersuchung steigern und den Zeitaufwand verringern. Solche Systeme existieren sowohl für die konventionelle Zytologie als auch für ThinPrep® und SurePath® (Ikenberg 2011). Das BD FocalPoint® GS Imaging System ist auf SurePath® ausgerichtet. Darüber hinaus ist es in der Lage, auch konventionelle Abstrichpräparate auszuwerten. Das Gerät weist die zytologischen Präparate bestimmten Gruppen zu, abhängig von der statistischen Wahrscheinlichkeit, dass ein pathologischer Befund vorliegt. Der ThinPrep-Imager® (. Abb. 5.21) wertet dagegen ausschließlich ThinPrep® -Präparate aus im Sinne eines sogenannten „location guided screening“. Hierbei markiert das System 22 Ge-
. Abb. 5.21 ThinPrep® -Imager: Durch einen Softwarealgorithmus werden 22 Gesichtsfelder markiert, welche das Gerät aufgrund der densitometrisch gemessenen Kerndichte als auffällig bewertet
sichtsfelder, die der Programmalgorithmus als am auffälligsten einstuft, basierend auf der densitometrisch erfassten Kerndichte. Der Imager stellt also keine definitive Diagnose. Die Beurteilung wird weiterhin durch das zytologische Fachpersonal vorgenommen. Sowohl das FocalPoint® GS Imaging System als auch der ThinPrep® -Imager sind mindestens genauso sensitiv wie das manuelle Screening und führen zu einem rationelleren Arbeitsablauf mit einer Entlastung des Personals. Bei beiden Systemen gibt es Hinweise auf eine höhere Sensitivität der Erkennung höhergradiger Zervixdysplasien, ohne dass gleichzeitig die Zahl unklarer Abstriche erhöht wird (Wilbur et al. 2009, Davey et al. 2007). Die bereits zitierte Rhein-Saar-Studie (Klug et al. 2012), welche eine höhere Detektionsrate von CIN2+-Läsionen durch das ThinPrep® -Verfahren zeigen konnte, schloss einen Imager-Studienarm mit ein. Eine zusätzliche signifikante Verbesserung der Detektionsrate höhergradiger
81 5.5 Zytologiebasierte Zusatzuntersuchungen (p16/Ki67-Doppelfärbung)
zervikaler Präkanzerosen (CIN2+) konnte nicht nachgewiesen werden. > Es ist zu erwarten, dass eine Computeroptimierung des zytologiebasierten Screenings von zunehmender Bedeutung sein wird, da durch den HPV-Impfeffekt die Prävalenz der Patientinnen mit zervikaler Dysplasie abnehmen wird. Mathematisch betrachtet nimmt hierdurch der prädiktive Wert des Screeningtests ab. Das heißt, dass die seltener vorkommenden dysplastischen Veränderungen leichter übersehen werden können.
5.4.5
In Deutschland haben die Dünnschichtverfahren letztlich die konventionelle Zytologie nicht verdrängen können. Die S3-Leitlinie „Prävention des Zervixkarzinoms“ von März 20202 schreibt hierzu:
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Derzeitiger Stellenwert der Dünnschichtzytologie – Zusammenfassung
Ziel dünnschichtzytologischer Verfahren ist es, die Qualität der Präparate gegenüber der konventionellen Zytologie zu verbessern: 4 Übertragung einer größeren Zellzahl vom Abstrichträger, 4 keine Beeinträchtigung der Auswertung durch unvollständiges oder zu dickes Ausstreichen, 4 keine Überlagerung durch Schleim und Blutbestandteile, 4 keine Fixierungsartefakte. Unterschiedliche dünnschichtzytologische Verfahren dürfen nicht als gleichwertig betrachtet werden. ThinPrep® und SurePath® wurden am besten untersucht und von der amerikanischen FDA zugelassen. Für andere Methoden ist die Literatur spärlich. Bei allen dünnschichtzytologischen Verfahren können mehrere Zellproben aus dem gleichen Entnahmegefäß hergestellt bzw. Zusatzuntersuchungen durchgeführt werden, wie z. B. die Untersuchung auf humane Papillomaviren („Reflextestung“). Die Überlegenheit der Dünnschichtzytologie gegenüber der konventionellen Zytologie hinsichtlich der besseren Erkennbarkeit höhergradiger Veränderungen ist in der Literatur umstritten, auch wenn das deutsche Screeningsystem eine signifikant bessere Erkennung von CIN2+Läsionen mittels ThinPrep® -Verfahren zeigen konnte (Klug et al. 2012).
„Die Dünnschicht-Zytologie ist in der überwiegenden Zahl der Studien statistisch nicht besser geeignet als die konventionelle Zytologie, um zervikale behandlungsbedürftige Präkanzerosen zu entdecken. Überlegungen, die Dünnschichtzytologie im Primärscreening einzusetzen, beruhen auf zusätzlichen Vorteilen wie einer verbesserten Probenqualität, kürzerer Mikroskopierdauer und der Möglichkeit, Zusatztests durchzuführen. Dabei müssen allerdings die deutlich höheren Kosten für Geräte und Verbrauchsmittel berücksichtigt werden.“
Bezüglich der computergestützten Zytologie kommt die Leitlinie zu dem Schluss, dass es hinsichtlich der Testgenauigkeit für CIN2+Läsionen keine Belege für einen Unterschied zwischen Dünnschichtzytologie und computergestützter Zytologie gibt. Gleiches gelte für die konventionelle Zytologie. Letztlich formuliert der Expertenkonsens: „Die Computer-unterstützte Zytologie kann im Screening eingesetzt werden.“ Im Rahmen der „Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme“3 wird die Dünnschichtzytologie akzeptiert, ohne dass ihr allerdings eine Präferenz vor der konventionellen Zytologie eingeräumt wird.
5.5
Zytologiebasierte Zusatzuntersuchungen (p16/Ki67-Doppelfärbung)
Es gibt eine Reihe von zytomorphologischen Zusatzverfahren, welche die reine morphologische Bewertung des nach Papanicolaou gefärbten zytologischen Präparats ergänzen soll. 2
3
7 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015027OLl_Praevention_Zervixkarzinom_2020-03verlaengert.pdf. 7 https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2605/ oKFE-RL-2021-07-01-iK-2022-01-01.pdf; Fassung vom 1. Januar 2022.
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82
Kapitel 5 Gynäkologische Exfoliativzytologie
Wie bereits ausgeführt, bietet hierbei die Dünnschichtzytologie Vorteile, weil zusätzliche Objektträger hergestellt werden können und keine Umfärbung des Vorsorgeabstrichs erforderlich ist. > Die Bedeutung der zytologiebasierten Zusatz-
5
untersuchungen ist stark in den Hintergrund getreten, seit die deutschen Richtlinien vorgeben, wie auffällige zytologische Befunde und positive HPV-Befunde abgeklärt werden sollen. Keine der bekannten zytologiebasierten Zusatzuntersuchungen hat Eingang in die Abklärungsalgorithmen gefunden.
Erwähnt sei zunächst die DNS-Zytophotometrie zur computergestützten Messung der Ploidie einer Zellprobe, was insbesondere durch die Arbeitsgruppe von Böcking (Böcking et al. 2004, Böcking und Nguyen 2004) propagiert wurde. Die Ploidie lässt sich mithilfe der Feulgenfärbung analysieren. Die Ploidie bzw. Aneuploidie ist ein Maß für die genetische Stabilität bzw. Instabilität der Zellen. L1-Kapsid-Bestimmung kann bei einem positiven HPV-Test zum Nachweis des viralen L1Proteins durchgeführt werden. Man geht davon aus, dass bei einem L1-positiven Befund noch eine Differenzierung der Epithelzellen bis in die obersten Zelllagen stattfindet, von wo aus die neu synthetisierten Viren freigesetzt werden. Gegen diese Viren kann der Körper noch Antikörper bilden. Bei einem L1-negativen Befund können dagegen keine Viren mehr produziert werden, da die zelluläre Dysregulation bereits zu weit fortgeschritten ist und keine adäquate Immunantwort mehr möglich ist. Mehlhorn et al. (2014) beobachteten retrospektiv einen Zusammenhang mit der Regressionswahrscheinlichkeit zervikaler intraepithelialen Neoplasien. > Am interessantesten unter den zytologiebasierten Zusatzuntersuchungen ist die p16/Ki67-Doppelfärbung (CINtecPlus® Test). Diese Untersuchung ist potenziell in der Lage, die Zahl der Kolposkopien zu verringern, wenn sie in einen Abklärungsalgorithmus integriert wird.
Hierbei handelt es sich um eine immunzytochemische Doppelfärbung. Zum einen wird der
Kern mithilfe des monoklonalen Proliferationsmarkers Ki67 markiert. Dies geschieht üblicherweise unter Verwendung der APAAP-Färbung (alkalische Phosphatase antialkalische Phosphatase). Dies führt zu einer roten Färbung der positiven Kerne. Zum anderen wird im Zytoplasma p16 nachgewiesen, ein unter physiologischen Umständen exprimierten Zellsteuerungsprotein. Mit der DAB-Färbung (Diaminobenzidin) wird das Zytoplasma p16-positiver Zellen braun markiert. Bei Ki67 handelt es sich um ein im Zellkern lokalisiertes proliferationsassoziiertes Protein, welches von allen proliferationsaktiven Zellen exprimiert wird. Da p16 unter normalen Bedingungen antiproliferativ wirkt, schließen sich die beiden Marker – Ki67/Proliferation und p16/Antiproliferation – unter physiologischen Bedingungen aus. Die Doppelmarkierung einer Zelle ist daher immer als pathologisch anzusehen und ist ein Zeichen einer gestörten Zellsteuerung, wie sie bei einer durch HPVHigh-Risk-infizierten Zelle auftritt. Denn E7, eines der beiden von HPV-High-Risk-Viren exprimierten Onkoproteine, blockiert das Retinoblastomaprotein (pRB), welches zusammen mit p16 die Zellproliferation kontrolliert. Der normale negative Rückkopplungsmechanismus zwischen pRB und p16 wird hierdurch unterbrochen, und p16 wird überexprimiert. Demnach können die durch HPV-High-Risk-veränderten Zellen unkontrolliert proliferieren, obwohl reichlich p16 vorhanden ist. > Bereits eine einzige doppelt markierte Zelle im Abstrich spricht dafür, dass eine Zellzyklusderegulation besteht bzw. eine onkogene Transformation stattgefunden hat (. Abb. 5.22, 5.23).
Darüber hinaus korreliert die Zahl der positiven Zellen mit dem Vorliegen höhergradiger Veränderungen (Yoshida et al. 2011). Wentzensen et al. (2012) führten die p167/Ki67-Doppelfärbung bei Patientinnen durch, die zu einer Abklärungskolposkopie überwiesen wurden. Es fand sich hierbei eine eindeutige Korrelation zwischen Dysplasiegrad und der Zahl der Patientinnen mit p16/Ki67positivem Ergebnis: Bei unauffälliger Histologie waren 26,8 % der zytologischen Präparate
83 5.5 Zytologiebasierte Zusatzuntersuchungen (p16/Ki67-Doppelfärbung)
a
b
. Abb. 5.22 p16/Ki67-Doppelfärbung mit positivem Ergebnis. Der zytologische Befund entspricht der Pap-Gruppe IVA (a). Die immunhistochemisch gefärbten Zellen am rech-
a
ten Bildrand sind Ki67/p16 positiv, während die Zelle links lediglich Ki67-positiv ist (b)
b
. Abb. 5.23 p16/Ki67-Doppelfärbung mit positivem Ergebnis bei CIN3. Im nach Papanicolaou gefärbten Präparat liegen basaloide Dysplasiezellen neben einer großen In-
termediärzelle (a). In der Immunfärbung (b) weisen diese atypischen Zellen eine rote Kernfärbung auf (Ki67) sowie eine braune Färbung des Zytoplasmas (p16)
positiv gegenüber 46,5 % bei CIN1, 82,8 % bei CIN2 und 92,8 % bei CIN3. Schmidt et al. (2011) konnten zeigen, dass die p16/Ki67-Doppelfärbung in der Lage ist, bei Patientinnen mit ASCUS- bzw. LSIL-Diagnose solche mit höhergradigen Zervixveränderungen zu identifizieren. Dies gelingt mit einer ähnlich hohen Sensitivität wie bei Verwendung eines HPV-Tests. Die p16/Ki67-Doppelfärbung war jedoch deutlich spezifischer als der HPV-Test. Petry et al. (2011) untersuchten die Wertigkeit der p16/Ki67-Doppelfärbung im Rahmen des Wolfsburger Modells zur Triage von Patientinnen, welche bei unauffälligem zytologischem Befund einen positiven HPV-Test hatten. Hierbei wies ein Viertel dieser Patientinnen ein positi-
ves Testergebnis auf. Bei einem Drittel ließen sich höhergradige Dysplasien nachweisen im Gegensatz zu lediglich einem Prozent CIN2+Läsionen, wenn der Test negativ ausgefallen war (. Abb. 5.24). Im Rahmen der mit dem cobas® HPV-Test durchgeführten ATHENA-Studie wurden diese Daten bestätigt (Wright et al. 2017): Die Abklärungskolposkopie bei HPV16/18-positiven Patientinnen einerseits und bei Patientinnen mit anderen HPV-High-Risk-Typen sowie positiver p16/Ki67-Triage erbrachte die höchste Sensitivität für die Erkennung von CIN3+ Läsionen (86,8 %; 95 % Konfidenzintervall 81,9–90,8 %). Wentzensen et al. (2017) untersuchten 7124 HPV-positive Frauen und identifizierten 315
5
84
Kapitel 5 Gynäkologische Exfoliativzytologie
. Abb. 5.24 Triage mittels p16/Ki67-Doppelfärbung bei positivem HPV-Test und unauffälliger Zytologie im Rahmen des Wolfsburger Screeningmodells (nach Petry et al. 2011)
5
CIN3 Läsionen. 88,9 % dieser Patientinnen waren in der p16/Ki67-Doppelfärbung positiv, wohingegen nur 55,9 % für HPV16 oder 18 positiv waren. Laut einer Metaanalyse (Sun et al. 2018) hat die Doppelfärbung eine Sensitivität für die Erkennung höhergradiger Zervixdysplasien von 88 % (95 % Konfidenzintervall 86–90 %) bei einer Spezifität von 58 % (95 % Konfidenzintervall 56–60 %). Während die Sensitivität eines HPVTests ähnlich hoch ist (95 %; 95 % Konfidenzintervall 93–96 %), ist die Spezifität jedoch niedriger (32 %; 95 % Konfidenzintervall 29–34 %). Sun et al. regen daher an, die p16/Ki67-Doppel-
5.6
färbung als primäre Screeningstrategie zu evaluieren. Ein primäres p16/Ki67-Screening wäre auch für jüngere Patientinnen interessant, für die der HPV-Test alleine keine ausreichende Spezifität besitzt. Trzeszcz et al. (2021) verglichen drei Screeningstrategien bei Patientinnen, die jünger waren als 30 Jahre: Pap-Test alleine, Pap-Test mit HPV-Reflextestung und primärer HPV-Test mit p16/Ki67-Doppelfärbung als Triage-Untersuchung. Bei p16/Ki67-Triage wurde im Vergleich zu den anderen beiden Strategien die geringste Zahl an Abklärungskolposkopien pro diagnostizierter CIN2+-Läsion benötigt.
Fragen zur Selbstkontrolle – Gynäkologische Exfoliativzytologie
Ja
1 Die Sensitivität eines kolposkopischen Zervixkarzinomscreenings ist höher als die eines zytologischen Screenings. 2 Zytologische Abstriche aus der Vagina nach Hysterektomie sind nur ausnahmsweise sinnvoll.
3 Zytologische Abstriche von der Vulva sind grundsätzlich nicht indiziert.
4 Wenn im zytologischen Befundbericht ein „Grad 1 nach Schmitt“ angegeben ist, heißt dies, dass vorwiegend Parabasalzellen vorliegen.
5 Ein „Grad 1 nach Schmitt“ spricht für einen hohen Aufbau des Plattenepithels. 6 Bei einer plattenepithelialen Präkanzerose ist der Zellkern vergrößert und die Kern-Plasma-Relation zugunsten des Kerns verschoben.
Nein
5
85 5.6 Fragen zur Selbstkontrolle – Gynäkologische Exfoliativzytologie
Ja 8 Im selben zytologischen Abstrich können Zellen unterschiedlicher Dysplasiegrade (CIN1 bis 3) gleichzeitig vorkommen.
Nein
9 Koilozyten sind ein typisches morphologisches Kennzeichen eines Carcinoma in situ der Zervix. 10 Eine allein zytologische Diagnose eines Karzinoms ist aufgrund eindeutiger morphologischer Merkmale nicht zuverlässig möglich.
11 Die sogenannte „Tumordiathese“ kann lediglich die zytologische Verdachtsdiagnose eines invasiven Prozesses untermauern.
12 Die zytologische Diagnose von Präkanzerosen und Karzinomen des endozervikalen Drüsenepithels ist schwieriger als bei plattenepithelialen Veränderungen und deshalb weniger treffsicher. 13 Eine Koilozytose sowie andere zytologische Merkmale einer HPV-Infektion sind grundsätzlich als Pap IIID1 oder höher einzustufen.
14 Eine zytologisch eindeutige Einordnung in die Gruppe V-p macht eine bioptische Abklärung zum histologischen Nachweis eines Plattenepithelkarzinoms überflüssig.
15 Knapp jede zehnte Patientin mit einem Zervixkarzinom hat regelmäßig an der empfohlenen Krebsvorsorgeuntersuchung teilgenommen.
16 Ärzte/Ärztinnen, Patientinnen, aber auch Zytolog/innen tendieren dazu, die Sensitivität der Exfolia- tivzytologie zu überschätzen. 17 Laut einer Metaanalyse beträgt die Sensitivität des zytologischen Screenings 53 % bei einer Spezifität von 96 %.
18 Hauptfehlerquelle der Screeningzytologie sind Abnahmefehler und seltener Labor- bzw. Interpreta- tionsfehler. 19 Der zytologische Abstrich sollte mit einem Watteträger (Portio-Oberfläche) und einer Bürste (Zervikalkanal) entnommen werden.
20 Wenn keine Drüsenzellen im zytologischen Abstrich enthalten sind, so sollte der Abstrich innerhalb von vier Wochen wiederholt werden.
21 Die Dünnschichtzytologie hat die konventionelle Zytologie in Deutschland weitgehend ersetzt.
22 Durch die Dünnschichtzytologie können typische Fehlermöglichkeiten der konventionellen Abstrichentnahme (ungenügende Übertragung des Zellmaterials bzw. unvollständiges Ausstreichen, Überlagerung durch Blut, Schleim oder Entzündung, ungenügende Fixierung) vermieden werden.
23 Für die Dünnschichtzytologie sollte ausschließlich das ThinPrep® - oder das SurePath® -Verfahren angewandt werden.
24 Beim ThinPrep® -Verfahren wird der Abstrichträger abgebrochen und in der Fixierungslösung belassen, um die Zellausbeute zu verbessern.
25 Dünnschichtzytologische Verfahren haben den Nachteil, dass durch die Säuberung der Zellprobe Merkmale der Malignität (Tumordiathese) schlechter zu erkennen sind.
26 Entzündungen (z. B. Candida, Trichomonaden) sind in der Dünnschichtzytologie genauso gut sicht- bar wie in der konventionellen Zytologie. 27 Keine der bekannten zytologiebasierten Zusatzuntersuchungen hat Eingang in die Abklärungsalgorithmen der Screeningrichtlinien gefunden.
28 Am interessantesten unter den zytologiebasierten Zusatzuntersuchungen ist die p16/Ki67-Doppelfärbung, da sie potenziell in der Lage ist, die Zahl der Abklärungskolposkopien zu verringern.
29 Bereits eine einzige doppelt markierte Zelle bei der p16/Ki67-Doppelfärbung spricht dafür, dass eine Zellzyklusderegulation besteht bzw. eine onkogene Transformation stattgefunden hat.
86
Kapitel 5 Gynäkologische Exfoliativzytologie
Literatur
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5
89
Histopathologie Inhaltsverzeichnis 6.1
Histologische Morphologie – 91
6.2
p16-Immunhistochemie – 93
6.3
Zuverlässigkeit der kolposkopisch gesteuerten Biopsieentnahme – 95
6.4
Fragen zur Selbstkontrolle – Histopathologie – 97 Literatur – 97
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_6
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Kapitel 6 Histopathologie
Ebenso wie für die Ausübung der Kolposkopie ein Grundverständnis der zytologischen Methoden zu fordern ist, sollten die wichtigsten Merkmale der Histomorphologie bekannt sein. Dies betrifft insbesondere die Interpretation, Wertigkeit und Zuverlässigkeit der Biopsie, der im Rahmen der kolposkopischen Triage eine zentrale Bedeutung zukommt.
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Das Problem der Repräsentativität von wenige Millimeter großen Gewebeproben hat die von Rudolf Virchow (1821–1902) begründete anatomische Pathologie von Anfang an herausgefordert. Es ist überliefert, dass sich die ersten Pathologen rundweg weigerten, Gewebebruchstücke oder Abradate zu beurteilen. Nach ihrer Ansicht war eine Diagnosestellung nur am vollständig entfernten Organ möglich. Letztlich führte Carl Ruge (1846–1926), ein Neffe Virchows, die sogenannte „Stückchendiagnostik“ ein. Carl Ruge betreute im Rahmen seiner Tätigkeit als praktischer Arzt in Berlin zahlreiche gynäkologische Patientinnen (Becker 1979) und verfasste im Jahre 1881 ein umfangreiches Lehrbuch mit dem Titel Der Krebs der Gebärmutter (Ruge und Veit 1881; . Abb. 6.1, 6.2).
. Abb. 6.1 Die Schrift Der Krebs der Gebärmutter von Ruge und Veit aus dem Jahre 1881 war weltweit die erste umfassende Monografie zum Zervixkarzinom und zu dessen histopathologischer Morphologie. (Ruge und Veit 1881)
. Abb. 6.2 Eine der ersten Darstellungen einer Biopsie aus einem Kollumkarzinom durch Carl Ruge im Jahre 1881. Ruge kommentierte dazu: „. . . man sieht das Plattenepithel (p) der Portio, welches sich nach einer kleinen Einsenkung in das Carcinom (k) fortsetzt, welches in der Tiefe schon Knoten zeigt (kn). An dem Krebsknoten sieht man unten Drüsenreste (dr).“ (Ruge und Veit 1881)
i Fragen zur Wissensüberprüfung per SN Flashcards App
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91 6.1 Histologische Morphologie
6.1
Histologische Morphologie
Die histopathologische Beurteilung und die nachfolgende Darstellung orientieren sich wesentlich an der WHO-Publikation „Female Genital Tumors“ von 2020 (WHO Classification of Tumours Editorial Board 2020). Dysplasien der Zervix werden an Hämatoxylin-Eosingefärbten Schnittpräparaten in die drei Schweregrade CIN1, CIN2 und CIN3 unterteilt. Wie bei allen solchen Graduierungen fließt ein hohes Maß an Subjektivität ein, zumal es sich um ein Kontinuum von Zell- und Gewebeveränderungen handelt. > Nach der WHO-Klassifikation ist eine Aufteilung der Dysplasie in zwei Dysplasiegrade, LSIL und HSIL, von einer höheren biologischen Relevanz und vor allem auch besser reproduzierbar als eine Dreiteilung in CIN1, CIN2 und CIN3.
Im Folgenden wird dennoch immer wieder auf die Dreiteilung der Dysplasiegrade Bezug genommen werden. Die drei Dysplasiegrade sind folgendermaßen charakterisiert: 4 LSIL (CIN1): – Proliferation der basalen/parabasalen Zellschicht bis zu maximal einem Drittel der Epitheldicke,
a
– Mitosen auf das basale Epitheldrittel beschränkt, meist nicht abnorm, – Differenzierung/Ausreifung zur Epitheloberfläche hin mit einer Zunahme des Zytoplasmas, – Atypien mit Koilozytose. 4 HSIL (CIN2 und CIN3): – geringere Differenzierung des Zytoplasmas mit Ausweitung der proliferierenden Zellen in das mittlere (CIN2) oder obere (CIN3) Drittel. – zunehmende Zahl von Mitosen, häufiger abnorm, bis in das mittlere oder obere Epitheldrittel (. Abb. 6.3). – Größenzunahme der Kerne, irreguläre Zellmembran, weiterer Anstieg der KernPlasma-Relation zugunsten des Kerns. Der Ausdruck „Carcinoma in situ“ als alternative Bezeichnung für eine besondere morphologische Ausprägung einer schweren plattenepithelialen Dysplasie wird in der offiziellen WHOKlassifikation (WHO Classification of Tumours Editorial Board 2020) leider immer noch als akzeptabel angesehen. Während die TNM-Stadiumeinteilung des Zervixkarzinoms noch ein „Carcinoma in situ“ berücksichtigt, existiert dieses in der FIGO-Klassifikation nicht (Bhatla et al. 2018). Wie bereits ausgeführt, verwendet die WHOKlassifikation alternativ zur Einteilung in drei
b
. Abb. 6.3 Schwere Dysplasie (CIN3). Das Epithel ist schichtungsgestört (a). In der Ausschnittvergrößerung (b) sind die Kerne sehr größenvariabel. Am Übergang vom mittleren zum oberen Epitheldrittel erkennt man abnorme Mitosen (Pfeile)
6
92
6
a
Kapitel 6 Histopathologie
b
c
. Abb. 6.4 Adenocarcinoma in situ der Zervix. Im Zellabstrich sieht man einen Verband atypischer Endozervikalzellen mit verwaschenem Chromatin und unscharfen Zytoplasmagrenzen neben einer unauffälligen Superfizialzelle (a).
Histologisch finden sich im Stroma atypische endozervikale Drüsen mit dicht gedrängten, teilweise übereinander gelagerten Kernen (b). In benachbarten Drüsen ist das Epithel dagegen unauffällig (c)
CIN-Gruppen die Begriffe „LSIL“ („low grade squamous intraepithelial lesion“) und „HSIL“ („high grade squamous intraepithelial lesion“), welche der amerikanischen Bethesda-Klassifikation entsprechen und hier gleichlautend für zytologische Verdachtsdiagnosen verwendet werden. Auch wenn die einzelnen Zellen einer schweren Dysplasie bereits eine ähnliche Morphologie wie bei einem invasiven Karzinom aufweisen können, was historisch gesehen zur Bezeichnung „Carcinoma in situ“ geführt hatte, so handelt es sich aber erst dann um ein Karzinom, wenn die Basalmembran durchbrochen ist und Tumorzellen das darunter liegende Stroma infiltriert haben. Ist ein Zervixkarzinom noch nicht makroskopisch sichtbar und ausschließlich mikroskopisch diagnostizierbar, spricht man von einem Mikrokarzinom, sofern die Invasionstiefe 5 mm nicht überschreitet. Dieses FIGO-Stadium IA wird nochmals in ein Stadium IA1 sowie IA2 unterteilt, je nachdem, ob die Invasionstiefe weniger als 3 mm beträgt oder zwischen 3 und 5 mm beträgt (Bhatla et al. 2018). Nach einer früheren Version der FIGO-Stadieneinteilung darf ein Mikrokarzinom eine horizontale Ausbreitung von 7 mm nicht überschreiten. Dies ist wichtig zu wissen, da die S3-Leitlinie zum Zervixkarzi-
nom vom Mai 20211 die seitliche Ausdehnung weiterhin berücksichtigt. Bei glandulären Präkanzerosen wird nur ein Schweregrad unterschieden und als Adenocarcinoma in situ (ACIS oder AIS) bezeichnet. So schwierig wie die zytologische Diagnose eines Adenocarcinoma in situ sein mag, am histologischen Präparat sind diese Läsionen in der Regel eindeutig zu erkennen (. Abb. 6.4). Hierbei sind die endozervikalen Drüsen teilweise oder vollständig durch zytologisch maligne erscheinendes Epithel ersetzt. Im Gegensatz zum Karzinom ist keine desmoplastische Stromareaktion vorhanden, und es finden sich keine neoplastisch veränderten Drüsen jenseits der am tiefsten gelegenen normalen Drüse. Bei einem invasiven Adenokarzinom werden zahlreiche Differenzierungsformen unterschieden, unter anderem muzinöse, endometriode, klarzellige oder mesonephrische Adenokarzinome. > Grundsätzlich strebt die aktuelle WHO-Klassifikation eine übergeordnete Einteilung in HPV-assoziierte Karzinome und HPV-unab1
7 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/ 032-033OLl_S3_Diagnostik_Therapie_Nachsorge_ Zervixkarzinom_2021-05.pdf.
93 6.2 p16-Immunhistochemie
Dies gilt insbesondere für die Beurteilung von kleinen und nicht sehr gut erhaltenen Zervix-
biopsien, sodass einige Pathologieinstitute dazu übergegangen sind, die p16-Immunhistochemie routinemäßig bei allen Zervixpräparaten einzusetzen. Stoler et al. (2018) konnten zeigen, dass die p16-Färbung zusätzlich zur konventionellen Hämatoxylin-Eosin-Färbung von Biopsien die Sensitivität um 11,5 % und die Spezifität um 3,0 % jeweils signifikant erhöht. Wie im Zusammenhang mit der zytologischen p16/Ki67-Doppelfärbung bereits ausgeführt, handelt es sich bei p16 um ein Zellsteuerungsprotein, welches unter dem Einfluss eines HPV-High-Risk-assoziierten Onkoproteins in HPV-transformierten Zellen überexprimiert wird. Üblicherweise wird ebenso wie im bei der p16/Ki67-Doppelfärbung die Immunperoxidasefärbung (DAB) verwendet, welche in einer braunen Anfärbung des positiven Zytoplasmas resultiert. Unter physiologischen Bedingungen sind nur ganz vereinzelte Zellen p16-positiv. Dagegen sind bei einer CIN1 nur die Zellen im basalen Epitheldrittel p16-positiv. Bei einer mäßigen Dysplasie (CIN2) ist auch das mittlere Drittel betroffen und bei einer schweren Dysplasie unter Umständen das gesamte Epithel (. Abb. 6.5). . Abb. 6.6, 6.7 und 6.8 zeigen p16-Färbebeispiele bei mäßiger und schwerer intraepithelialer Neoplasie und . Abb. 6.9 bei einem invasiven Plattenepithelkarzinom. Trotz dieser eindeutigen Bildbeispiele sollte die Diagnose keinesfalls ausschließlich auf der Basis der p16-Färbung gestellt werden. Auch das alleinige Auszählen von p16-positiven Zel-
. Abb. 6.5 Schematische Darstellung der p16-Immunfärbung bei unterschiedlichen Dysplasiegraden des Plattenepithels. Entsprechend der WHO-Definition sind bei einer CIN1
maximal die Plattenepithelien im basalen Drittel p16-positiv. Bei einer CIN2 erreichen sie das mittlere Drittel und betreffen bei der CIN3 auch das oberste Epitheldrittel
hängige Karzinome an (WHO Classification of Tumours Editorial Board 2020).
Während auch 5–7 % aller Plattenepithelkarzinom HPV-unabhängig sind und möglicherweise eine ungünstigere Prognose aufweisen, ist eine Reihe von aufgrund ihrer Morphologie differenzierbaren Adenokarzinomen ebenfalls HPVunabhängig. Hierzu gehören der gastrale Typ, das klarzellige Adenokarzinom und das mesonephrische Adenokarzinom. Bei HPV-assoziierten Adenokarzinomen der Endozervix sollten grundsätzlich Angaben zum Wachstumsmuster gemacht werden: „Pattern A“ (nicht destruierende Invasion), „Pattern B“ (frühe bzw. fokal destruierende Invasion) und „Pattern C“ (diffus destruierende Invasion). Nach der Stadieneinteilung der FIGO (Bhatla et al. 2018) gilt die Definition des Mikrokarzinoms auch für glandulär differenzierte Karzinome, auch wenn hier die Infiltrationstiefe wegen des fehlenden Bezugs zur Basalmembran schwieriger zu bestimmen ist.
6.2
p16-Immunhistochemie
> Von der Vielzahl immunhistochemischer Marker hat sich p16 (p16INK4a Protein) als sehr wertvoll für die Diagnose und Graduierung plattenepithelialer Dysplasien erwiesen.
6
94
6
Kapitel 6 Histopathologie
. Abb. 6.6 p16-Immunhistochemie bei CIN2. Eine Ausreifung des Epithels ist noch zu erkennen. Das basale sowie das mittlere Epitheldrittel sind p16-positiv
. Abb. 6.9 p16-Immunhistochemie bei invasivem Plattenepithelkarzinom. Die p16-positiven Tumorzellverbände durchziehen das Stroma netzartig
. Abb. 6.7 p16-Immunhistochemie bei CIN3. Die Differenzierung des Plattenepithels ist weitgehend aufgehoben. Das Epithel ist homogen p16-positiv
len in histologischen (oder zytologischen) Präparaten lässt keine Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Dysplasiegraden zu, auch wenn höhergradige Läsionen deutlich häufiger positiv sind als unauffällige Präparate: Nach einer Metaanalyse von Tsoumpou et al. (2009) sind unauffällige Biopsien nur in 2 % der Fälle diffus p16-positiv. Bei Vorliegen einer CIN3 sind es dagegen 82 % der Präparate. Galgano et al. (2010) untersuchten 1455 Zervixbiopsien und verwendeten am konventionellen Präparat eine Konsensusdiagnose von drei erfahrenen Pathologen als Goldstandard. Im Vergleich hierzu war die immunhistochemische Diagnose mit p16 einerseits sensitiver, andererseits weniger spezifisch, aber insgesamt ähnlich exakt wie die unter deutlich größerem Aufwand erstellte Konsensusdiagnose.
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b
. Abb. 6.8 p16-Immunhistochemie bei einer CIN3 in der 28. SSW (a). Das dysplastische Epithel, welches homogen p16positiv ist, wächst in die endozervikalen Drüsen ein (b). Dies darf nicht mit einer Stromainvasion verwechselt werden
95 6.3 Zuverlässigkeit der kolposkopisch gesteuerten Biopsieentnahme
6.3
Zuverlässigkeit der kolposkopisch gesteuerten Biopsieentnahme
Die histologische Dysplasiediagnose unterliegt einer hohen Intra- und Interobservervariabilität (Ceballos et al. 2008). Diese Ungenauigkeiten können bis zu einem gewissen Grad durch die ergänzende p16-Immunhistochemie verbessert werden. Bei der Biopsie spielen außerdem entnahmebedingte Qualitätsmängel eine Rolle. Dass mittels Biopsie (. Abb. 6.10) und ECC (. Abb. 6.11) keine hundertprozentige Verlässlichkeit zu erreichen ist, ergibt sich bereits aus dem geringen Volumen solcher Proben. Die zervikale Biopsieentnahme selbst und auch die Entnahme mehrerer Biopsien haben für die Patientin keine Nachteile. So untersuchten Castle et al. (2009), ob durch die Entnahme mehrerer Biopsien das Risiko für eine nachfolgende HPV-Infektion bei primär HPV-negativem Befund erhöht ist. Dies war nicht der Fall. Der Einfluss der Zahl der Biopsien auf die Sensitivität der Diagnose wurde unter anderem von Gage et al. (2006) untersucht. Hierfür wurden Patientinnen aus der ASCUS/LSIL-TriageStudie identifiziert, welche innerhalb von zwei Jahren eine CIN3 oder ein Karzinom entwickelten. Gage et al. ermittelten den Anteil der
. Abb. 6.10 Zervixbiopsie. Die im Rahmen der kolposkopischen Untersuchung entnommene Gewebeprobe ist nur wenige Millimeter groß und wurde in drei Schnittstufen vollständig aufgearbeitet
Patientinnen, bei denen durch die Biopsieentnahme mindestens eine CIN2 festgestellt worden war. Offensichtlich lässt sich die Sensitivität durch die Entnahme von zwei anstatt einer einzigen Biopsie der Biopsiediagnose signifikant steigern: von 68 auf 82 %. Drei oder mehr Biopsien führen jedoch nicht zu einer weiteren Sensitivitätsverbesserung (. Abb. 6.12). Nach Gage et al. (2006) erzielt ein kolposkopisch erfahrener Untersucher mittels einer einzigen Biopsie keine besseren Ergebnisse als kolposkopisch weniger versierte Untersucher. Dies zeigte ein Vergleich zwischen speziell ausgebildeten Pflegenden, allgemeinen Gynäkologen, gynäkologischen Onkologen in Ausbildung und zertifizierten gynäkologischen Onkologen. > Offenbar stimmt ein Drittel der in einer einzigen Biopsie ermittelten Diagnosen nicht mit dem tatsächlichen Befund nach LEEP-Resektion bzw. Konisation überein.
Dies wurde durch weitere Untersuchungen bestätigt: Nach Stoler et al. (2011) wurde eine CIN2+-Läsion sogar in 60 % der Patientinnen unterschätzt, wenn eine einzige Biopsie entnommen wurde, gegenüber lediglich 28 % bei zwei oder mehr Biopsien. Zuchna et al. (2010) ermittelten eine Sensitivität von 52 % bei einer Biopsie und 65 % bei zwei Biopsien. Eine
. Abb. 6.11 Endozervikale Kürettage mittels Stiefel-Kürette. Die geringe Gewebemenge stellt einen wesentlichen Faktor für die geringe Sensitivität der Methode dar
6
96
Kapitel 6 Histopathologie
6 . Abb. 6.12 Sensitivität der kolposkopischen Triage in Abhängigkeit von der Zahl der Biopsien. Wenn zwei Biopsien entnommen werden, erhöht sich die Sensitivität für die Erkennung einer CIN2+-Läsion signifikant im Vergleich zur Entnahme einer einzigen Biopsie. Durch mehr als zwei Biopsien lässt sich die Sensitivität allerdings nicht mehr steigern. (Nach Gage et al. 2006)
dritte Biopsie führte nicht mehr zu einer weiteren Verbesserung der Sensitivität. Daten aus Deutschland fallen ähnlich aus (Stubbe et al. 2011): Bei 240 Korrelationen zwischen Biopsie und Konisationsergebnis fand sich nur bei 67 % der Patientinnen eine exakte Übereinstimmung. Pretorius et al. (2012) berichteten, dass bei 61 von 295 CIN3+-Läsionen (21 %) die Diagnose CIN2+ nach zufälliger Biopsie und/oder ECC gestellt wurde. > Bei der endozervikalen Gewebeentnahme bzw. Kürettage (ECC) handelt es sich eigentlich immer um eine blinde Biopsie. Die Genauigkeit der ECC ist daher deutlich schlechter als die unter kolposkopischer Sicht entnommene Probe.
Nach den aus der ALTS-Studie (ASCUS/LSIL Triage) abgeleiteten Daten (Driggers und Zahn 2008) wurde die Diagnose CIN2+ nur bei 3,7 % der Patientinnen mittels ECC gestellt und bei
21,7 % der Patientinnen durch Biopsie (Solomon et al. 2007). Hieraus errechnete sich für die ECC eine Sensitivität von 12,2 % gegenüber 72,5 % für die Biopsie. Der relative Beitrag der ECC zur Diagnose einer CIN2+-Läsion war umso höher, je älter die Patientinnen waren: 13,0 % bei über 40Jährigen gegenüber 2,2 % bei jüngeren Frauen. Bei einigen wenigen Konstellationen ist eine Art „See-and-Treat“-Strategie ohne vorherige Biopsie vertretbar (Massad 2006), so zum Beispiel bei Frauen jenseits des gebärfähigen Alters, bei denen der zytologische Verdacht auf eine CIN3 besteht. Auf die hohe Spezifität der der Pap IVa-p-Diagnose von 90 % und mehr wurde bereits hingewiesen. Folgende Schlussfolgerungen lassen sich ziehen: 4 Eine kolposkopisch gesteuerte Biopsie als alleiniges Diagnosekriterium ist unzuverlässig und weicht bei einem Drittel der Patientinnen von der definitiven Diagnose ab. 4 Die Entnahme von zwei (aber nicht mehr als zwei) Biopsien erhöht die Genauigkeit signifikant. 4 Die endozervikale Kürettage besitzt nur einen geringen negativen Vorhersagewert. 4 Das Ergebnis von Biopsie und ECC stellt nur eines von mehreren Entscheidungskriterien dar, und deren Interpretation muss die diesen Methoden inhärente Fehlerquote berücksichtigen. > Vor einer kolposkopischen Therapieentscheidung ist eine Gesamtbewertung aller verfügbarer Befunde sinnvoll unter Berücksichtigung von: 4 Alter, 4 etwaigem Kinderwunsch, 4 bisherigen zytologischen Befunden, 4 kolposkopischem Gesamteindruck („minor change“ versus „major change“), 4 Risikofaktoren (Immunsuppression), 4 psychischer Verfassung der Patientin.
6
97 Literatur
6.4
Fragen zur Selbstkontrolle – Histopathologie
Ja
Nein
1 Die Bezeichnung LSIL fasst CIN1 und CIN2 zusammen. HSIL entspricht CIN3 sowie Carcinoma in situ. 2 Im Gegensatz zu plattenepithelialen Präneoplasien wird bei glandulären Präkanzerosen nur ein einziger Schweregrad (ACIS, AIS) unterschieden.
3 Die WHO-Klassifikation der Histopathologie von 2020 teilt Zervixneoplasien in HPV-assoziiert und HPV-unabhängig ein.
4 Die Definition des Mikrokarzinoms der Zervix gilt auch für glandulär differenzierte Karzinome, auch wenn hier die Infiltrationstiefe wegen des fehlenden Bezugs zur Basalmembran schwieriger zu bestimmen ist.
5 Bei p16 handelt es sich um ein Zellsteuerungsprotein, welches unter dem Einfluss eines HPV-High- Risk-assoziierten Onkoproteins in HPV-transformierten Zellen überexprimiert wird.
6 Der immunhistochemische Nachweis einer p16-Überexpression ist beweisend für ein invasives Karzinom der Zervix. 7 Wenn eine zweite kolposkopisch gesteuerte Zervixbiopsie entnommen wird, steigert dies die Sensi- tivität für die Erkennung einer CIN2+-Läsion signifikant.
8 Die Sensitivität der kolposkopisch gesteuerten Zervixbiopsie beträgt 95 %. 9 Die Sensitivität der endozervikalen Kürettage für die Erkennung einer CIN2+-Läsion beträgt 12 %.
10 Für eine kolposkopische Therapieentscheidung ist eine Gesamtbewertung aller verfügbaren Befunde sinnvoll.
Literatur Becker V (1979) Carl Ruge: 100 Jahre Stückchen-Diagnose. Arch Gynecol 227:193–204 Bhatla N, Aoki D, Sharma DN, Sankaranarayanan R (2018) Cancer of the cervix uteri. Int J Gynaecol Obstet 143(Suppl.3):22–36 WHO Classification of Tumours Editorial Board (2020) Female Genital Tumours. IARC, Lyon Castle PE, Wentzensen N, Wheeler CM, Rydzak G, Schiffman M (2009) Effect of the number of biopsies on the subsequent acquisition of new human papillomavirus infections. Obstet Gynecol 114:1057–1062 Ceballos KM, Chapman W, Daya D, Julian JA, Lytwyn A, McLachlin CM et al (2008) Reproducibility of the histological diagnosis of cervical dysplasia among pathologists from 4 continents. Int J Gynecol Pathol 27:101–107 Driggers RW, Zahn CM (2008) To ECC or not to ECC: the question remains. Obstet Gynecol Clin North Am 35:583–597 Gage JC, Hanson VW, Abbey K, Dippery S, Gardner S, Kubota J et al (2006) Number of cervical biopsies and sensitivity of colposcopy. Obstet Gynecol 108:264–272
Galgano MT, Castle PE, Atkins KA, Brix WK, Nassau SR, Stoler MH (2010) Using biomarkers as objective standards in the diagnosis of cervical biopsies. Am J Surg Pathol 34:1077–1087 Massad LS (2006) More is more: improving the sensitivity of colposcopy. Obstet Gynecol 108:246–247 Pretorius RG, Belinson JL, Azizi F, Peterson PC, Belinson S (2012) Utility of random cervical biopsy and endocervical curettage in a low-risk population. J Low Genital Tract Dis. https://doi.org/10.1097/lgt. 0b013e3182480c18 Ruge C, Veit J (1881) Der Krebs der Gebärmutter. Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart Solomon D, Stoler M, Jeronimo J, Khan M, Castle P, Schiffman M (2007) Diagnostic utility of endocervical curettage in women undergoing colposcopy for equivocal or low-grade cytologic abnormalities. Obstet Gynecol 110:288–295 Stoler MH, Wright TC, Sharma A, Apple R, Gutekunst K, Wright TL et al (2011) High-risk human papillomavirus testing in women with ASC-US cytology: results from the ATHENA HPV study. Am J Clin Pathol 135:468– 475 Stoler MH, Wright TC, Ferenczy A, Ranger-Moore J, Fang Q, Kapadia M et al (2018) Routine use of adjunctive
98
Kapitel 6 Histopathologie
p16 immunohistochemistry improves diagnostic agreement of cervical biopsy interpretation: results from the CERTAIN study. Am J Surg Pathol. https://doi.org/10. 1097/pas.0000000000001072 Stubbe M, Broschewitz U, Kramm G, Schmidt W, Radtke A (2011) Analyse der Konisationen im Zeitraum von 2005–2009 in Rostock. Geburtshilfe Frauenheilkd 71:187–193 Tsoumpou I, Arbyn M, Kyrgiou M, Wentzensen N, Koliopoulos G, Martin-Hirsch P et al (2009) p16(INK4a)
6
immunostaining in cytological and histological specimens from the uterine cervix: a systematic review and meta-analysis. Cancer Treat Rev 35:210–220 Zuchna C, Hager M, Tringler B, Georgoulopoulos A, CiresaKoenig A, Volgger B et al (2010) Diagnostic accuracy of guided cervical biopsies: a prospective multicenter study comparing the histopathology of simultaneous biopsy and cone specimen. Am J Obstet Gynecol 203:321.e1– 321.e6
99
HPV-Testverfahren Inhaltsverzeichnis 7.1
Für die klinische Anwendung geeignete HPVTestverfahren – 100
7.1.1 7.1.2
Hybrid-Capture-2-Test (HC2) – 101 Weitere HPV-Testverfahren – 101
7.2
Indikationen für den HPV-Test – 102
7.2.1
HPV-Triage unklarer und leichtgradig dysplastischer PapAbstriche – 103 HPV-Test nach Zervixdysplasie – 103 HPV-Screening – 104
7.2.2 7.2.3
7.3
Fragen zur Selbstkontrolle – HPVTestverfahren – 106 Literatur – 107
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_7
7
100
Kapitel 7 HPV-Testverfahren
HPV-Testverfahren spielen eine wichtige Rolle, vor allem als primäre Untersuchung im Rahmen des Zervixkarzinomscreenings oder wie in Deutschland in Kombination mit der Zytologie. Darüber hinaus dient der HPV-Test als Triagemethode bei grenzwertig auffälligen zytologischen Befunden und letztlich im Rahmen von Nachuntersuchungen als sogenannter „test of cure“.
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7.1
Für die klinische Anwendung geeignete HPV-Testverfahren
Die sehr hohe Sensitivität der HPV-Testverfahren bei der Erkennung von Zervixdysplasien ist der entscheidende Vorteil gegenüber der Abstrichzytologie. Grundsätzlich geht eine hohe Sensitivität mit einer geringen Spezifität einher. Im Falle der HPV-Testung heißt dies, dass es viele falsch-positive Befunde gibt. > In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung zwischen analytischer Sensitivität und klinischer Sensitivität eines HPV-Tests wichtig.
Hat ein HPV-Test eine hohe analytische Sensitivität, dann bedeutet das, dass noch eine sehr geringe Zahl von Viruskopien nachgewiesen werden kann. Dies ist beim Screening nicht unbe-
dingt erwünscht, da die hohe analytische Sensitivität eine geringe Spezifität mit sich bringt. Eine hohe klinische Sensitivität bezieht sich dagegen auf die Fähigkeit des Tests, klinisch relevante Zervixdysplasien (CIN2+) mit hoher Effektivität zu identifizieren. Dies ist für das Screening von entscheidender Bedeutung. Der Hybrid-Capture-2-Test (HC2), der nachfolgend separat beschrieben wird, stellt eine Art Goldstandard für die nachfolgenden Testgenerationen dar, weil die meisten klinischen Studien auf dem HC2-Test basieren. Neuere Testverfahren sollten mindestens so effektiv sein wie HC2. Dazu müssen diese kalibriert werden. Die Nachweisgrenzen werden hierbei bewusst angehoben. Eine übersensitive Detektion von HPV-Infektionen ist für die meisten klinischen Anwendungen nicht sinnvoll (de Thrurah et al. 2018) und führt unter anderem zu einer unnötigen Zunahme der Abklärungskolposkopien (Kinney et al. 2010). Im ersten Moment mag es verwirrend erscheinen, dass die Ergebnisse unterschiedlicher Screening-HPV-Tests nicht notwendigerweise konkordant sind, solange bei höhergradigen Zervixdysplasien eine ausreichende Übereinstimmung der HPV-Testergebnisse besteht. Robolj et al. (2016) untersuchten vier verschiedene HPV-Assays und fanden insgesamt nur eine Übereinstimmung der Testergebnisse von 29 %. Wurden jedoch ausschließlich CIN2+-Läsionen berücksichtigt, war die Übereinstimmung mit 84 % wesentlich höher. > HPV-Testverfahren, welche in der Klinik verwendet werden, insbesondere für das Zervixkarzinomscreening, müssen folgende Minimalanforderungen erfüllen (Stoler et al. 2007, Meijer et al. 2009): 4 Der Test sollte in der Lage sein, die folgenden 13 HPV-High-Risk-Typen zu erkennen: 16, 18, 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59 und 68. 4 Die Sensitivität zur Erkennung von CIN2+-Läsionen sollte mindestens 90 % eines etablierten und klinisch validierten HPV-Testverfahrens betragen. 4 Die Spezifität zur Erkennung von CIN2+Läsionen sollte mindestens 98 % eines etablierten und klinisch validierten HPVTestverfahrens betragen.
101 7.1 Für die klinische Anwendung geeignete HPV-Testverfahren
Der „Hybrid-Capture-Test“ der 2. Generation (HC2) der Firma Quiagen ist am weitesten verbreitet und hat eine hohe praktische Relevanz, da zahlreiche Indikationen für die HPV-Testung im Rahmen von Studien unter Verwendung dieses Testverfahrens etabliert wurden. Dieser Test wird daher ausführlicher besprochen. > Auf jeden Fall muss immer das HPV-Testverfahren im Befundbericht benannt sein, um das Ergebnis im klinischen Kontext einordnen zu können.
7.1.1
Hybrid-Capture-2-Test (HC2)
ren Antikörper spezifisch an DNS-RNS-Hybride binden. Die eigentliche Nachweisreaktion erfolgt durch das Prinzip der Chemolumineszenz. Ein spezielles Reagenz dient als Substrat der alkalischen Phosphatase. Durch die enzymatische Reaktion wird Licht emittiert, in einem sogenannten Luminometer gemessen und als „relative light units“ (RLU) angegeben. Durch Vergleich mit einer positiven und einer negativen Probe als Standard wird ermittelt, ob der HPVTest für Low-Risk- und/oder High-Risk-VirusDNS positiv ausgefallen ist. > Die Nachweisgrenze des HC2 liegt bei 1 pg DNS. Dies entspricht ca. 5000 Viruskopien.
Bei dem HC2-Test handelt es sich um ein signalamplifizierendes Hybridisierungsassay zum qualitativen Nachweis der DNS humaner Papillomaviren. Das Assay kann zwei HPV-Gruppen unterscheiden: Mittels der Sonde A werden die Low-Risk-HPV-Typen 6, 11, 42, 43 und 44 identifiziert und mittels der Sonde B die HighRisk-HPV-Typen 16, 18, 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59 und 68. Die HPV-Low-Risk-Bestimmung ist allerdings nicht sinnvoll, denn nur der HPV-High-Risk-Nachweis ist von klinischer Relevanz. Das Probenmaterial wird während der gynäkologischen Untersuchung mit einem speziellen konusförmig zulaufenden Bürstchen von der Zervix bzw. aus dem hinteren Scheidengewölbe entnommen. Die Bürste wird in einem Röhrchen mit Transportmedium ins Labor versandt. Dort erfolgt zunächst eine Denaturierung des Abstrichmaterials mittels einer verdünnten Natriumbicarbonatlösung. Die aus den Zellen freigesetzte DNS wird anschließend mit spezifischen HPV-RNS-Sonden (A und B) hybridisiert. In diesem zweiten Schritt entstehen DNS-RNSHybride, falls die Probe die HPV-DNS-Zielsequenzen enthält. Die nächste Phase beinhaltet den sogenannten „Capture-Schritt“, bei dem die DNS-RNSHybride an der Oberfläche einer Mikrotiterplatte gebunden werden. Jede Vertiefung dieser Mikrotiterplatte enthält auf ihrer Oberfläche Anti-RNS-DNS-Antikörper, welche die Hybride fixieren. Anschließend werden Antikörper hinzugegeben, welche mit alkalischer Phosphatase konjugiert sind und ebenso wie die stationä-
Der RLU wird auf manchen Befundberichten mit ausgegeben, hat jedoch für die klinische Bewertung des Testergebnisses, welche rein qualitativer Natur ist, keinen Einfluss.
7.1.2
Weitere HPV-Testverfahren
Insgesamt fünf Testverfahren wurden von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) nach umfangreicher Evaluation zugelassen: 4 Hybrid Capture 2 High Risk HPV DNA Test (Qiagen). HPV-Typen 16, 18, 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59, 68 (Antigen: DNS, vollständiges Genom) 4 Cobas® HPV Test (Roche Diagnostics). HPV-Typen 16/18 (Genotypisierung), 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59, 66, 68 (Antigen: DNS, L1) 4 Cervista® HPV HR and Genfind DNA Extraction Kit (Hologic). HPV-Typen 16, 18, 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59, 66, 68 (Antigen: DNS, E6/E7/L1) 4 APTIMA® HPV Assay (Hologic). HPV-Typen 16, 18, 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59, 66, 68 (Antigen: RNS, E6/E7) 4 BD Onclarity® HPV Test (Becton Dickinson). HPV-Typen 16, 18, 3, 45, 51, 52; 33– 58; 56–59–66; 35–39– 68 (Antigen: DNA, E6/E7) Die Liste der in Deutschland empfohlenen und akzeptierten HPV-Testverfahren ist umfangrei-
7
Kapitel 7 HPV-Testverfahren
102
. Tab. 7.1 HPV-Testverfahren, welche die Minimalanforderungen für das Zervixkarzinomscreening erfüllen (S3Leitlinie „Prävention des Zervixkarzinoms“ von März 2020, 7 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015027OLl_Praevention_Zervixkarzinom_2020-03-verlaengert.pdf) Test
HPV-Typen
Testsystem
Digene Hybrid Capture 2 High-Risk HPV DNA Test (Qiagen Gaithersburg, Inc.)
16, 18, 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59, 68
DNS: Whole genome
Cobas® HPV Test (Roche Diagnostics)
HPV16/18 Genotypisierung und 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59, 66, 68
DNS: L1
Cervista® HPV HR and GenfindTM DNS Extraction Kit (Hologic)
16, 18, 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59, 66, 68
DNS: E6/E7/L1
APTIMA® HPV Assay (Hologic)
16, 18, 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59, 66, 68
RNA: E6/E7
Abbott RT High-Risk HPV Test
HPV16/18 Genotypisierung und 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59, 66, 68
DNS: L1
BD Onclarity® HPV Test
16, 18, 31, 45, 51, 52; 33–58; 56–59–66; 35–39–68
DNS: E6/E7
Papillocheck HPV Test
16, 18, 31, 33, 35, 39, 45, 51, 52, 53, 56, 58, 59, 66, 68, 70, 73, 82, 6, 11, 40, 42, 43, 44
DNS: E1
7
cher und orientiert sich an der S3-Leitlinie „Prävention des Zervixkarzinoms“ vom März 20201 (. Tab. 7.1). Insgesamt werden sieben HPVTestverfahren aufgeführt. Gleichzeitig empfiehlt die Leitliniengruppe „eine regelmäßige unabhängige Bewertung der auf dem Markt befindlichen HPV Tests für die Eignung zum Screeningverfahren“, sodass der Liste weitere Assays hinzugefügt werden können.
selben Gefäß wie die Zellprobe, nachdem die zytologische Probe entnommen wurde. Somit ist kein separates Entnahmeset für den HPV-Test erforderlich. Falls ein separates Entnahmeset verwendet wird, sollte die HPV-Probe erst nach Gewinnung des zytologischen Abstrichs erfolgen. Fixierung und Lagerung der Proben ist hierbei wesentlich weniger kritisch als bei der Zytologie.
> Eine typenspezifische HPV-Typisierung ist bei den HPV-Typen 16 und 18 relevant (siehe unten). Zwei von sieben der aufgeführten Testverfahren haben dies in ihr Analysesystem integriert: der Cobas® HPV Test sowie der Abbott RT High-Risk HPV Test. Beim HC2-Test existieren zusätzliche Sonden für HPV16 und 18, die in einem weiteren Testdurchlauf eine Differenzierung der zwei HPV-Typen erlauben. Ähnliches gilt für den Cervista® HPV HR Test.
Falls eine Dünnschichtzytologie durchgeführt wird, ist eine HPV-Reflextestung möglich. Das heißt, die HPV-Bestimmung erfolgt aus dem1
7 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015027OLl_Praevention_Zervixkarzinom_2020-03verlaengert.pdf.
7.2
Indikationen für den HPV-Test
HPV-Testverfahren spielen eine wichtige Rolle bei aktuellen Konzepten des Zervixkarzinomscreenings (Arbyn et al. 2012). In den USA und einigen anderen Ländern gibt es ein HPVScreening ab einem Alter von 30 Jahren. In Deutschland wurde 2020 das kombinierte Papund HPV-Screening ab einem Alter von 35 Jahren eingeführt. Neben dem primären HPV-Screening sind HPV-Testverfahren bei der Triage von unklaren Abstrichen und leichtgradigen Veränderungen nützlich, sofern die Patientinnen mindestens 30 Jahre alt sind, wenn ein HPV-Nachweis eine ausreichende Spezifität für das Vorliegen einer höhergradigen Dysplasie hat. Darüber hinaus
103 7.2 Indikationen für den HPV-Test
werden HPV-Tests im Rahmen der Nachkontrolle nach Operation einer Zervixdysplasie als „test of cure“ eingesetzt.
7.2.1
HPV-Triage unklarer und leichtgradig dysplastischer Pap-Abstriche
Mithilfe eines HPV-Tests lässt sich bei Patientinnen mit zytologisch unklaren bzw. LSILBefunden die Zahl der Abklärungskolposkopien verringern (Solomon 2003). Dies gilt insbesondere für unklare Abstriche der ASCUS-Gruppe der Bethesda-Klassifikation, welche am ehesten der Pap-Gruppe II-p entspricht, während dies bei CIN1-Verdacht weniger effektiv ist (Arbyn et al. 2012). Andererseits stellten Kyrgiou et al. (2016) fest, dass eine sofortige Kolposkopie bei zytologischem LSIL-Befund die Erkennungsrate höhergradiger Dysplasien nicht steigert. Problematisch ist allerdings die Tatsache, dass die Compliance der Patientinnen bei Aufschieben der Abklärungskolposkopie abnimmt. Im Rahmen der deutschen Screeningrichtlinien sind diese Überlegungen inzwischen praktisch umgesetzt (7 Kap. 8): HPV-Testverfahren dienen zur Triage unklarer Abstriche (Pap-Gruppe II-p oder II-g) sowie bei zytologischem Verdacht auf eine leichtgradige Dysplasie (LSIL; Pap-Gruppe IIID1). Dies gilt für Patientinnen zwischen dem 30. und 34. Lebensjahr, während ab dem 35. Lebensjahr ohnehin eine Co-Testung stattfindet. Besondere Sorgfalt ist angebracht, wenn vonseiten der Zytologie der Verdacht auf das Vorliegen glandulärer Atypien geäußert wird. Bei der Pap-Gruppe III-g wird zwar in allen Altersgruppen ohne weitere Triage-Schritte eine Abklärungskolposkopie empfohlen. > Allerdings wird der HPV-Triage bei der Gruppe Pap II-g eine relativ hohe Bedeutung beigemessen und erst bei HPV-Positivität nach einem 12-Monats-Intervall kolposkopiert. Dies ist problematisch.
Denn eine Metaanalyse von Verdoodt et al. (2016), welche Bethesda-Kategorien mit auffälligem endozervikalem Epithel einschloss, ergab unabhängig vom HPV-Status bei 19,8 % der
Patientinnen ein Adenocarcinoma in situ und/ oder eine höhergradige Dysplasie (CIN2+). Falls gleichzeitig atypische plattenepitheliale Zellen vorlagen, stieg dieser Anteil sogar auf 55,7 %. > Aufgrund dieses hohen Anteils klinisch signifikanter Präkanzerosen bei atypischen endozervikalen Drüsenzellen empfehlen die Autoren keine HPV-Triage und sehen vielmehr eine unmittelbare Indikation zur Abklärungskolposkopie.
Hinzu kommt, dass sich bei Frauen in der Altersgruppe ab 50 Jahren in 18 % eine extrazervikale Neoplasie fand, ausgehend von Endometrium, Tube oder Ovar.
7.2.2
HPV-Test nach Zervixdysplasie
Verschiedene Studien haben den Nutzen des HPV-Tests in der Nachsorgephase nach operativer Behandlung einer Zervixdysplasie gezeigt (Alonso et al. 2006, Bae et al. 2007, Prato et al. 2007). Denn der HPV-Test wird nach erfolgreicher Dysplasiebehandlung häufig negativ. Wenn dies der Fall ist, dann wurde die Zervixdysplasie mit hoher Wahrscheinlichkeit vollständig entfernt. > Hierbei hat ein negatives HPV-Testergebnis einen höheren prädiktiven Wert als der histologische Nachweis eines freien Resektionsrandes zum Zeitpunkt der Operation oder die Ergebnisse der Pap-Abstriche, die im Rahmen der Nachsorge entnommen werden (Verguts et al. 2006).
Nach einer Metaanalyse (Arbyn et al. 2012) ist die Genauigkeit („summary accuracy estimates“) des HPV-Tests sechs Monate nach operativer Behandlung signifikant höher als die der Zytologie (. Abb. 7.1). Umgekehrt ist die Erkenntnis wichtig, dass ein positiver HPV-Test nicht notwendigerweise eine Persistenz einer Dysplasie anzeigt. Von den Patientinnen, die innerhalb eines Beobachtungszeitraums von zwei Jahren kein Rezidiv entwickelten, blieben 23 % anhaltend HPV-positiv (Verguts et al. 2006).
7
Kapitel 7 HPV-Testverfahren
104
1
High-Risk-HPV-Test mit HC2 oder PCR
0
.2
Sensitivität .4 .6
.8
Zytologie
1
7
.8
.6 .4 Spezifität
.2
0
. Abb. 7.1 Statistischer Vergleich der Sensitivität und Spezifität des HPV-Tests gegenüber der Zytologie im Rahmen der Nachuntersuchung nach operativer Therapie der Zervixdysplasie zur Vorhersage von Rezidiv bzw. Persistenz nach sechs Monaten. Es handelt sich um sogenannte „summary accuracy estimated“, zum einen für den HPV-Test (ausgefüllter orangefarbener Kreis) und die Zytologie (ausgefülltes graues Quadrat). Die elliptischen Figuren repräsentieren jeweils das 95 % Konfidenzintervall. Laut dieser Metaanalyse ist der HPV-Test der Zytologie als Nachsorgeuntersuchung signifikant überlegen. (Nach Arbyn et al. 2012)
Da bei einem Adenocarcinoma in situ die Nachsorgezytologie noch weniger aussagekräftig ist als bei plattenepithelialen Dysplasien, ist der HPV-Test besonders nützlich. Costa et al. (2007) ermittelten eine diagnostische Sensitivität von 90 % und eine Spezifität von 50 % bei einer Co-Testung (Zytologie mit HC2-Test) im Rahmen der Nachsorge nach Adenocarcinoma in situ.
7.2.3
HPV-Screening
> Die wichtigste Indikation für die Durchführung eines HPV-Tests ist das Zervixkarzinomscreening bei Frauen, die 30 Jahre oder älter sind.
Im Gegensatz zur Zytologie kann die HPVTestung vollständig automatisiert werden und bedarf keiner ausgefeilten Infrastruktur mit spe-
ziell qualifiziertem Personal und ständiger Fortbildung und Qualitätskontrolle. Selbst das Abnahmeverfahren könnte optimiert werden: Eine Metaanalyse hat gezeigt, dass die Abnahme einer Probe für den HPV-Test zu einer signifikanten Verbesserung der Screeningteilnahme führt (Yeh et al. 2019). Nach den Empfehlungen der WHO ist das HPV-basierte Screening die Methode der Wahl speziell in Ländern mit hohen Ressourcen (Sundström et al. 2021), wo der zunehmende ausgesprochen positive Effekt der HPV-Impfung zu einer geringeren Prävalenz des Zervixkarzinoms führt. Daher ist eine Steigerung der Sensitivität erforderlich, wie dies am besten durch das HPV-Screening erreichbar ist (Mayrand et al. 2007, Naucler et al. 2007). Gleichzeitig können die Screeningintervalle verlängert werden. Denn schon lange ist bekannt, dass HPV-negativ getestete Frauen ein minimales Risiko für die Entwicklung einer hochgradigen Zervixdysplasie haben im Vergleich zu HPV-positiven Frauen (Sherman et al. 2003). Im Jahre 2021 hat das American College of Obstetrics and Gynecology (ACOG) seine Empfehlungen zum Zervixkarzinomscreening angepasst und empfiehlt altersabhängig mehrere Screeningstrategien einschließlich eines alleinigen HPV-Tests mit einem Intervall von fünf Jahren (. Tab. 7.2). Karl-Ulrich Petry und Kollegen setzten bereits vor über 20 Jahren eine umfangreiche klinische Studie zum Ko-Testing Zytologie/HPVTest in Deutschland um (Petry et al. 2003), das sogenannte Wolfsburger Modell (. Abb. 7.2). Petry konnte die hohe Effektivität dieser Strategie nachweisen: Das Programm ist kosteneffektiv durch die Verlängerung der Untersuchungsintervalle, und unnötige Operationen werden vermieden (Luyten et al. 2009). Langfristig wird sowohl die CIN3+-Inzidenz als auch die Inzidenz des Zervixkarzinoms in der auf HPV getesteten Population reduziert (Horn et al. 2019). Eine Genotypisierung aller HP-Viren ist nicht erforderlich, da die klinische Sensitivität hierdurch nicht gesteigert würde. Allerdings haben Patientinnen mit HPV16- und/oder HPV18Nachweis ein signifikant höheres Risiko, in den darauffolgenden Jahren eine CIN3 oder ein
105 7.2 Indikationen für den HPV-Test
. Tab. 7.2 Empfehlungen des American College of Obstetrics and Gynecology (ACOG) zum Zervixkarzinomscreening (7 https://www.acog.org/clinical/clinical-guidance/practice-advisory/articles/2021/04/updated-cervical-cancerscreening-guidelines). Eine der Optionen für Frauen zwischen 30 und 65 Jahren ist der alleinige HPV-Test (FDAzertifiziert), der in einem Intervall von fünf Jahren durchgeführt wird Population
Empfehlung
Jünger als 20 Jahre
Kein Screening
21–29 Jahre
Zytologie alle 3 Jahre
30–65 Jahre
Eine der drei folgenden Alternativen: Zytologie alle 3 Jahre HPV-Test alle 5 Jahre HPV-Test/Zytologie Co-Testung alle 5 Jahre
Älter als 65 Jahre
Kein Screening – falls adäquate negative Screeningergebnisse in der Vergangenheit
Hysterektomie mit Entfernung der Zervix
Kein Screening – falls anamnestisch keine HSIL bzw. kein Zervixkarzinom
. Abb. 7.2 Wolfsburger Modell der Krebsvorsorge für Frauen 30 Jahre (mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. Dr. Karl-Ulrich Petry, Wolfsburg)
Karzinom zu entwickeln (Khan et al. 2005; . Abb. 7.3). Huh et al. (2015) stellten die Forderung auf, diesen Umstand in den amerikanischen Screeningalgorithmus zu integrieren. Hierbei bezogen sie sich auf die großen HPV-Screeningstudien mit dem cobas® Test der Firma Roche (Wright et al. 2015). Hier betrug die kumulative CIN3+-Inzidenz über einen Zeitraum von drei Jahren 21,16 % (95 % Konfidenzintervall 18,39–24,01 %) bei HPV16/18-positiven Frauen gegenüber von nur 5,4 % (95 % Konfidenzin-
tervall 4,5–6,4 %) bei Frauen, bei denen andere HPV-High-Risk-Viren nachgewiesen worden waren. Rijkaart et al. (2012) ermittelten analoge Ergebnisse: 26,1 % versus 6,6 %. > Daher sollte eine HPV-Typisierung von HPV16/18 bei allen HPV-High-Risk-positiven Frauen im Rahmen des Zervixkarzinomscreenings durchgeführt werden. Falls einer oder beide dieser Risikotypen nachweisbar sind, ist eine unmittelbare Überweisung zur Abklärungskolposkopie sinnvoll.
7
106
Kapitel 7 HPV-Testverfahren
7 . Abb. 7.3 Kumulative Inzidenzrate für die Entstehung einer CIN3 in Abhängigkeit von einer HPV-Infektion. Bei einer HPV-16- oder HPV-18-Infektion ist die Wahrschein-
7.3
lichkeit am höchsten, dass im Laufe der Zeit eine schwere Dysplasie entsteht. (Nach Khan et al. 2005)
Fragen zur Selbstkontrolle – HPV-Testverfahren
Ja
Nein
1 Ein HPV-Test, der für das Zervixkarzinomscreening verwendet wird, sollte so sensitiv wie möglich sein, das heißt, auch eine sehr geringe Zahl von Viruskopien erkennen können. 2 Im Zusammenhang mit dem Zervixkarzinomscreening ist für einen HPV-Test eine hohe klinische Sensitivität wichtiger als eine hohe analytische Sensitivität.
3 Bei CIN2+-Läsionen beträgt die Übereinstimmung unterschiedlicher HPV-Testverfahren 84 %.
4 Der Hybrid-Capture-Test (HC2) ist ein Typisierungsassay, welches die Identifizierung von 13 HPVHigh-Risk-Typen ermöglicht.
5 Ein wesentlicher Nachteil des HC2-Tests ist die Tatsache, dass mit radioaktiven Reagenzien gearbeitet werden muss.
6 Die Nachweisgrenze des HC2-Tests liegt bei 1 pg DNS entsprechend ca. 5000 Viruskopien.
7 Die deutschen Screeningrichtlinien des GBA haben festgelegt, dass nur HPV-Testverfahren eingesetzt werden dürfen, welche die strengen Zulassungskriterien der amerikanischen FDA erfüllt haben. 8 Wird ein zytologisches Dünnschichtverfahren verwendet, ist ein separater HPV-Abstrich nicht erforderlich.
9 Wird ein separater HPV-Test entnommen, darf die Kühlkette (5 Grad C) bis zur Bearbeitung im Labor nicht unterbrochen werden. 10 Ein HPV-Test bei Frauen jünger als 30 Jahre ist in der Regel nicht indiziert.
11 Nach den deutschen Screeningrichtlinien dienen HPV-Testverfahren zur Triage unklarer oder leichtgradig dysplastischer Pap-Abstriche bei Patientinnen zwischen 30 und 34 Jahren.
7
107 Literatur
Ja 12 In Deutschland ist die bei Weitem wichtigste Indikation für die Durchführung eines HPV-Tests das alle 3 Jahre stattfindende Zervixkarzinomscreening bei Frauen, die 35 Jahre oder älter sind.
13 Ein HPV-Test ist in der Nachsorgephase nach operativer Behandlung einer Zervixdysplasie von Nutzen im Sinne eines „test of cure“.
Nein
14 Falls der HPV-Test 6 Monate nach operativer Behandlung einer Zervixdysplasie immer noch positiv ist, muss nachoperiert werden. 15 Für die Erkennung der Persistenz oder eines Rezidivs einer Zervixdysplasie hat ein HPV-Test einen höheren prädiktiven Wert als die Zytologie oder der histologische Nachweis eines freien Resektionsrandes zum Zeitpunkt der Operation. 16 In Ländern mit ausreichenden Ressourcen ist nach den Empfehlungen der WHO das HPV-basierte Screening die Methode der Wahl, weil die HPV-Impfung zu einer geringeren Prävalenz des Zervixkarzinoms führt. 17 Eine Genotypisierung sämtlicher HP-Viren ist nicht erforderlich, da die klinische Sensitivität hierdurch nicht gesteigert werden kann.
18 Patientinnen mit HPV16- und/oder HPV18-Nachweis haben ein signifikant höheres Risiko, in den darauffolgenden Jahren eine CIN3 oder ein Karzinom zu entwickeln.
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108
7
Kapitel 7 HPV-Testverfahren
Petry KU, Menton S, Menton M, van Loenen-Frosch F, Gomes H, Holz B et al (2003) Inclusion of HPV testing in routine cervical cancer screening for women above 29 years in Germany: results for 8466 patients. Br J Cancer 88:1570–1577 Prato B, Ghelardi A, Gadducci A, Marchetti I, Cristofano CD, Coscio GD et al (2007) Correlation of recurrence rates and times with posttreatment human papillomavirus status in patients treated with loop electrosurgical excision procedure conization for cervical squamous intraepithelial lesions. Int J Gynecol Cancer 18:09–94 Rebolj M, Bonde J, Preisler S, Ejegod D, Rygaard C, Lynge E (2016) Differential detection of human Papillomavirus genotypes and cervical Intraepithelial neoplasia by four commercial assays. J Clin Microbiol 54:2669–2675 Rijkaart DC, Berkhof J, van Kemenade FJ, Coupe VMH, Rozendaal L, Heideman DAM, Verheijen RHM, Bulk S, Verweij W, Snijders PJF, Meijer CJLM (2012) HPV DNA testing in population-based cervical screening (VUSA-Screen study): results and implications. Br J Cancer 106:975–981 Sherman ME, Lorincz AT, Scott DR, Wacholder S, Castle PE, Glass AG, Mielzynska-Lohnas I, Rush BB, Schiffman M (2003) Baseline cytology, human papillomavirus testing, and risk for cervical neoplasia: a 10-year cohort analysis. J Natl Cancer Inst 95:46–52 Solomon D (2003) Chapter 14: Role of triage testing in cervical cancer screening. J Natl Cancer Inst Monografs 31:97–101 Stoler MH, Castle PE, Solomon D, Schiffman M (2007) The expanded use of HPV testing in gynecologic practice per
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109
Indikationsstellung zur Abklärungskolposkopie Inhaltsverzeichnis 8.1
Allgemeine Aspekte der Abklärungskolposkopie – 110
8.2
Abklärungskolposkopie im Rahmen der deutschen Vorsorgerichtlinien – 110
8.3
Weitere kolposkopische Indikationen – 112
8.4
Kontraindikationen der Kolposkopie – 112
8.5
Fragen zur Selbstkontrolle – Indikationsstellung zur Abklärungskolposkopie – 113 Literatur – 113
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_8
8
110
Kapitel 8 Indikationsstellung zur Abklärungskolposkopie
Die Kolposkopie dient im Wesentlichen zur Triage bei auffälligem zytologischem Zervixabstrich und/oder positivem HPV-Test bei Patientinnen über 30 Jahre. Darüber hinaus gibt es einzelne Indikationen unabhängig vom zytologischen Befund.
i Fragen zur Wissensüberprüfung per SN Flashcards App Mit der kostenlosen Flashcard-App „SN Flashcards“ können Sie Ihr Wissen anhand von Fragen überprüfen und Themen vertiefen. Für die Nutzung folgen Sie bitte den folgenden Anweisungen: 1. Gehen Sie auf 7 https://flashcards. springernature.com/login 2. Erstellen Sie ein Benutzerkonto, indem Sie Ihre Mailadresse angeben und ein Passwort vergeben. 3. Verwenden Sie den folgenden Link, um Zugang zu Ihrem SN Flashcards Set zu erhalten: 7 www.sn.pub/A0DTec
8
Sollte der Link fehlen oder nicht funktionieren, senden Sie uns bitte eine E-Mail mit dem Betreff „SN Flashcards“ und dem Buchtitel an [email protected].
8.1
Allgemeine Aspekte der Abklärungskolposkopie
Die Indikation zur Kolposkopie im Sinne einer Inspektion des unteren Genitales unter starker lupenoptischer Vergrößerung sollte großzügig gestellt werden. Die Kolposkopie verfolgt grundsätzlich drei Ziele: 4 die Beurteilung von Vulva, Anus, Vagina und Cervix uteri im Sinne einer Screeninguntersuchung mit kolposkopisch gesteuerten Biopsien sowie die Nachuntersuchung von Patientinnen, die wegen einer Dysplasie behandelt wurden, 4 die Durchführung von Operationen unter kolposkopischer Sicht (siehe 7 Kap. 10), 4 die Differenzialdiagnose dermatologischer und infektiöser Erkrankungen des unteren Genitales einschließlich der Entnahme gezielter Biopsien.
Am häufigsten wird die Kolposkopie zur Beurteilung der Zervix eingesetzt, wenn eine intraepitheliale Neoplasie vermutet wird. Hier sollte der Versuch einer Graduierung („minor change“ versus „major change“) entsprechend der kolposkopischen Nomenklatur durchgeführt werden mit einer Beschreibung von Lokalisation und Ausdehnung des abnormen Befundes. Hierdurch und durch die Beschreibung der Transformationszone (T1–T3) kann eine angemessene Therapie geplant werden. Einzelne Parameter, die bei der kolposkopischen Untersuchung erhoben werden, korrelieren nicht unbedingt mit der Diagnose nach LEEP oder Konisation. Nach Huh et al. (2014) liegt die Sensitivität der Kolposkopie zwischen 30 und 70 %. Die Sensitivität konnte um ca. 20 % durch eine zufällige Biopsie gesteigert werden, wenn bei adäquaten Untersuchungsbedingungen keine Auffälligkeit zu sehen ist. Dies galt insbesondere bei Patientinnen mit normaler Zytologie und HPV16/18-positivem Test. > Die Abklärungskolposkopie stellt eine Annäherung an den tatsächlichen Befund dar. Klinische Entscheidungen basieren auf der Gesamtschau aller erhobenen Befunde.
8.2
Abklärungskolposkopie im Rahmen der deutschen Vorsorgerichtlinien
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat aktualisierte Richtlinien für das Zervixkarzinomscreening formuliert, die am 19. Oktober 2018 in Kraft getreten sind. Damit wurde erstmals seit 1971 von der Empfehlung abgewichen, dass Frauen jedes Alters eine jährliche zytologische Abstrichuntersuchung erhalten sollten. Zwar gilt dies weiterhin für die Altersgruppe zwischen 20 und 34 Jahren. Jedoch wird bei Frauen ab 35 Jahren zusätzlich ein HPV-Test durchgeführt, und bei unauffälligen Befunden beträgt das Screeningintervall nun drei Jahre. Neu ist auch die Tatsache, dass statt eines sogenannten opportunistischen Screenings nun eine Einladung der anspruchsberechtigten Frauen erfolgt. Diese Einladungsschreiben werden von den Krankenkassen alle fünf Jahre ver-
111 8.2 Abklärungskolposkopie im Rahmen der deutschen Vorsorgerichtlinien
. Abb. 8.1 Abklärungsalgorithmus bei Frauen zwischen 20 und 34 Jahren nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme (in Kraft getreten am 1. Ja-
nuar 2022, 7 https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2605/ oKFE-RL-2021-07-01-iK-2022-01-01.pdf). Das Screening erfolgt jährlich
schickt, beginnend mit dem 20. Lebensjahr. Die letzte Einladung erfolgt zum 65. Lebensjahr. Die Formulierung dieser Einladungsschreiben mit den zu übermittelnden medizinischen Informationen ist in der Richtlinie genau vorgegeben. Hierdurch erhofft man sich eine weitere Steigerung der Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen. Das Vorgehen zur Abklärung auffälliger Befunde wird von der Vorsorgerichtlinie im Detail vorgegeben und ist hier in zwei Algorithmen zusammengefasst (. Abb. 8.1, 8.2). Im Gegensatz zur internationalen Literatur und dem Vorgehen in anderen Ländern, die sich für ein primäres HPV-Screening entschieden haben, beginnt das HPV-Screening in Deutschland erst mit dem 35. und nicht mit dem 30. Lebensjahr. Jedoch wird der HPV-Test bei Frauen in der Altersgruppe 30–34 Jahre als Triage für die Pap-Gruppen II-p, II-g und IIID1 eingesetzt (. Abb. 8.1). Der HPV-Test erfolgt nicht als Reflextestung, sondern wird erst nach einem Intervall von 6–12 Monaten durchgeführt, während jüngere Patientinnen nach dem gleichen Intervall zytologisch nachuntersucht werden.
> Bei unauffälliger Zytologie und HPV16- und/ oder HPV18-Positivität sollte eine Abklärungskolposkopie durchgeführt werden ohne weitere Triage aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer höhergradigen Zervixdysplasie. Diese Risikokonstellation ist in der aktuellen Fassung der Richtlinie nicht berücksichtigt.
Die Richtlinie berücksichtigt ausschließlich Patientinnen, bei denen noch eine Zervix vorhanden ist. Zur Situation nach Hysterektomie, insbesondere wenn anamnestisch eine höhergradige Zervixdysplasie bekannt ist, werden keine Aussagen gemacht. Bei Patientinnen nach suprazervikaler Hysterektomie wird natürlich weiter nach der Richtlinie verfahren. Bei der Abklärungskolposkopie werden zwei Dringlichkeitsstufen unterschieden: eine Untersuchung innerhalb von drei Monaten und bei den Pap-Gruppen IV und V eine „unverzügliche“ Kolposkopie. Die Richtlinie befasst sich nicht mit der Art und Häufigkeit der Nachbetreuungsuntersuchung bei Patientinnen nach operativer Behandlung einer Zervixdysplasie. Laut der S3-Leitlinie
8
112
8
Kapitel 8 Indikationsstellung zur Abklärungskolposkopie
. Abb. 8.2 Abklärungsalgorithmus bei Frauen ab 35 Jahren nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme (in Kraft getreten am 1. Januar 2022). Das Screening erfolgt al-
le drei Jahre. Bei unauffälliger Zytologie und HPV16-und/ oder HPV18-Positivität sollte eine Abklärungskolposkopie durchgeführt werden ohne weitere Triage
„Prävention des Zervixkarzinoms“1 soll nach 6, 12 und 24 Monaten nachuntersucht werden mittels Zytologie und HPV-Test. Falls mindestens ein Testverfahren positiv ist, sollte kolposkopiert werden. Wenn die Untersuchungen immer unauffällig sind, kann die Patientin nach zwei Jahren wieder am regulären Screening teilnehmen.
Eine wichtige Aufgabe der Kolposkopie ist die Überwachung von histologisch verifizierten höhergradigen Zervixläsionen, wenn man sich für eine konservative Behandlung entschieden hat in der Hoffnung, dass sich eine Dysplasie spontan zurückbildet und man einer jungen Patientin ein potenzielles Schwangerschaftsrisiko ersparen kann. Dies sind insbesondere einzelne Patientinnen mit histologisch gesicherter CIN2 bei vollständig einsehbarer Transformationszone sowie Patientinnen, die 24 Jahre oder jünger sind bei kolposkopisch gut beurteilbarer CIN3 (7 Kap. 10). Eine besonders wichtige Funktion hat die Kolposkopie außerdem bei der Überwachung einer Dysplasie in der Schwangerschaft (7 Abschn. 11.1).
8.3
Weitere kolposkopische Indikationen
Neben der Abklärungskolposkopie im Rahmen des organisierten Zervixkarzinomscreenings sollte die Indikation zur Kolposkopie bei jedem auffälligen Befund an der Zervix durchgeführt werden. > Postkoitale Blutungen bzw. Kontaktblutungen sind ebenfalls eine häufige Indikation für die kolposkopische Untersuchung.
1
7 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015027OLl_Praevention_Zervixkarzinom_2020-03verlaengert.pdf.
8.4
Kontraindikationen der Kolposkopie
Bei der kolposkopischen Untersuchung gibt es keine absoluten Kontraindikationen. Allerdings sollte man immer berücksichtigen, dass die Kolposkopie für die meisten Patientinnen eine
8
113 Literatur
körperliche und psychische Belastung darstellt (O’Connor et al. 2017). Doch können manche Operationen mithilfe der Kolposkopie vermieden werden. Relative Kontraindikationen der Kolposkopie sind Atrophie und Entzündung. Auch eine Menstruationsblutung stellt eine relative Kon-
8.5
traindikation dar, abhängig von der konkreten klinischen Situation. Bei leichter oder abklingender Regelblutung ist eine adäquate Kolposkopie gegebenenfalls möglich. Bei azyklischen Blutungen muss eine maligne Erkrankung im Bereich der Zervix und Vagina ausgeschlossen werden.
Fragen zur Selbstkontrolle – Indikationsstellung zur Abklärungskolposkopie
Ja
Nein
1 In der Altersgruppe 20–34 Jahre wird jährlich ein zytologischer Abstrich empfohlen in Kombination mit einem HPV-Test.
2 Ab 35 Jahren wird das Abklärungsintervall auf 5 Jahre verlängert.
3 Die Patientinnen werden alle 5 Jahre zum Zervixkarzinomscreening schriftlich eingeladen.
4 Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen die Beiträge der Patientinnen erhöhen, die zweimal hintereinander nicht am Zervixkarzinomscreening teilgenommen haben.
5 Die deutschen Abklärungsalgorithmen haben Leitliniencharakter, sodass bei entsprechender Begründung problemlos davon abgewichen werden kann.
6 Für gegen HPV-geimpfte Frauen gelten verlängerte Vorsorgeintervalle: Abstrichuntersuchung alle 2 Jahre statt jährlich wie bei ungeimpften Frauen.
7 In der Altersgruppe 30–34 Jahre wird bei einer Pap-Gruppe II-p, II-g oder IIID1 innerhalb von 2 Wochen ein HPV-Test zur Triage durchgeführt.
8 Bei einer Pap-Gruppe IVa-p wird eine „unverzügliche“ Abklärungskolposkopie empfohlen, unabhängig von Alter und HPV-Status.
9 Bei einer Pap-Gruppe V ist keine Abklärungskolposkopie sinnvoll. 10 Bei Frauen ab 35 Jahren ist bei einer Pap-Gruppe II-p, II-g oder IIID1 eine Abklärungskolposkopie sinnvoll, wenn der HPV-Test gleichzeitig positiv ausfällt.
11 Bei Frauen ab 35 Jahren mit normalem Vorsorgeabstrich (Pap-Gruppe I) und einem HPV16- und/ oder HPV18-Nachweis sollte kolposkopiert werden, da das Risiko für eine CIN2+-Läsion mehr als 10 % beträgt.
12 Postkoitale Blutungen bzw. Kontaktblutungen sind ebenfalls eine häufige Indikation für die kolposkopische Untersuchung, unabhängig von Zytologie und HPV-Testergebnis.
Literatur Huh WK, Sideri M, Stoler M, Zhang G, Feldman R, Behrens CM (2014) Relevance of random biopsy at the transformation zone when colposcopy is negative. Obstet Gynecol 124:670–678
O’Connor M, O’Brien K, Waller J, Gallagher P, D’Arcy T, Flannelly G et al (2017) Physical after-effects of colposcopy and related procedures, and their interrelationship with psychological distress: a longitudinal survey. BJOG 124:1402–1410
115
Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie Inhaltsverzeichnis 9.1
Anamnese – 116
9.2
Kolposkope – 118
9.3
Handhabung von Kolposkop und Spekulum – 119
9.4
Zytologischer Abstrich – 124
9.5
Gewebeentnahmen – 124
9.5.1 9.5.2
Biopsie – 125 Endozervikale Kürettage (ECC) – 126
9.6
Befunddokumentation – 127
9.7
Die kolposkopische Untersuchung Schritt für Schritt – 128
9.8
Fragen zur Selbstkontrolle – Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie – 129 Literatur – 130
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_9
9
116
Kapitel 9 Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie
Zur Kolposkopie gehört zunächst die Erhebung einer ausführlichen Anamnese. Die zytologische Abstrichentnahme wird in diesem Zusammenhang ebenfalls erläutert, auch wenn sie nicht Teil der Abklärungskolposkopie ist. Schließlich folgt die kolposkopisch gesteuerte Biopsie/Biopsien vom Punctum maximum eines auffälligen Befundes. In diesem Kapitel werden zudem die Verwendung des kolposkopischen Instrumentariums beschrieben sowie die technischen Abläufe in der Praxis Schritt für Schritt dargestellt.
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Sollte der Link fehlen oder nicht funktionieren, senden Sie uns bitte eine E-Mail mit dem Betreff „SN Flashcards“ und dem Buchtitel an [email protected].
9.1
Anamnese
Am Anfang steht eine sorgfältige Anamnese. Die Indikation für die Abklärungskolposkopie sollte klar definiert sein. Kopien von zytologischen Befunden, des HPV-Tests mit Angabe des Untersuchungsverfahrens und Voroperationen im Bereich des unteren Genitales sollten vorliegen. In der Praxis ist dies nicht immer der Fall, sodass im ersten Gespräch die Vorbefunde von der Patientin erfragt werden müssen. Weitere wichtige Punkte der Anamnese sind vorausgegangene Operationen, insbesondere solche, die einen unmittelbaren Bezug zur kolposkopischen Untersuchung haben, wie Konisation oder Hysterektomie. Außerdem muss nach schwerwiegenden internistischen Erkran-
kungen gefragt werden, insbesondere nach solchen, die eine Immunsuppression bewirken (7 Abschn. 11.4). Der HPV-Impfstatus und in welchem Alter und mit welchem Medikament die Impfung erfolgte wird ebenfalls dokumentiert. Bei einer Zervixdysplasie bestehen keine Beschwerden, auch wenn eine besorgte Patientin das eine oder andere Symptom damit in Zusammenhang bringt. Kontaktblutungen und Schmerzen können dagegen bereits Ausdruck einer malignen Erkrankung sein. Kontaktblutungen können auch bei einer großen Ektopie auftreten. Zwischenblutungen können unter Umständen ebenfalls auf einen malignen Prozess hinweisen. Intraepitheliale Neoplasien der Vulva können bei einem Teil der Patientinnen Juckreiz und brennende Schmerzen verursachen. Bei einem Lichen ruber planus von Vulva oder Vagina können Mundschleimhaut und Kopfhaut mitbetroffen sein. Nach solchen Beschwerden sollte gezielt gefragt werden. Über das Vorhandensein einer Intrauterinspirale sollte man sich vor der kolposkopischen Untersuchung ebenso informiert haben wie über einen eventuellen Nuva-Ring® . Die Spirale mit ihren Fäden beeinträchtigt die kolposkopische Untersuchung nicht. Ein Nuva-Ring® wird vor der Kolposkopie entfernt und sollte innerhalb von drei Stunden wieder eingesetzt werden, um die kontrazeptive Wirkung nicht zu beeinträchtigen. Es ist wünschenswert, eine Sexualanamnese zu erheben. Inwieweit dies möglich und sinnvoll ist, hängt von der individuellen Situation ab. Bei den häufig bereits bestehenden negativen Assoziationen zwischen Dysplasie, HPV-Infektion und sexueller Aktivität muss vermieden werden, eventuelle Schuldgefühle zu verstärken. In der Regel wird der Einfluss der Sexualität von Patientinnen und Ärzten/Ärztinnen eher überschätzt. Des Weiteren sollte nach den Rauchgewohnheiten gefragt werden. Letztlich sollte auf den ungünstigen Einfluss des Rauchens auf zervikale und insbesondere vulväre Neoplasien hingewiesen werden. Im Zusammenhang mit der Familienanamnese sollte die Patientin darauf hingewiesen werden, dass im Gegensatz zu einer Reihe von anderen gynäkologischen Malignomen (insbesondere Karzinome von Mamma, Endometrium
117 9.1 Anamnese
. Tab. 9.1 Anamnese im Rahmen einer Dysplasiesprechstunde Gründe für die Vorstellung in der Dysplasiesprechstunde
Indikationsstellung im Rahmen der Abklärungsalgorithmen auf der Basis von Zytologie und ggf. HPV-Testergebnis Andere Indikationen (makroskopisch auffällige Befunde an Vagina, Vulva oder Anus, Kontaktblutungen)
HPV-Impfanamnese
Impfstoff (Gardasil® , Cervarix® , Gardasil9® ) Zeitpunkt der Impfung Bezug zur Kohabitarche
Beschwerden
Ausfluss (entzündlich, blutig) Zwischenblutungen Schmierblutungen Kontaktblutungen Schmerzen, Juckreiz/auffällige Hautareale (auch im Bereich von Mundschleimhaut, Kopfhaut)
Kontrazeption/ Hormoneinnahme
Hormonelle Kontrazeptiva (einschließlich NuvaRing® ) Intrauterinspirale (mit oder ohne Hormonausschüttung) Hormonersatztherapie Topische Östrogenanwendung Kondome
Sexualanamnese
Kohabitarche Sexuelle Orientierung Sexualpartner Sexuelle Praktiken (vaginal, oral, anal) Sexuell übertragbare Erkrankungen (auch des Partners, einschließlich medikamentöser oder operativer Kondylomabtragung)
Rauchen
Menge Zeitdauer
Schwangerschaften
Aktueller Kinderwunsch Vorausgegangene Schwangerschaften/Entbindungen, Entbindungsmodus Fertilitätsbehandlungen
Operationen
Gynäkologische Operationen, insbesondere – Konisation – Sterilisation von Patientin oder Partner – Hysterektomie (Indikation)
Internistische Erkrankungen
Schwerwiegende Erkrankungen, insbesondere mit Beeinträchtigung des Immunsystems (entzündliche Darmerkrankungen, Transplantationen, rheumatische Gelenkerkrankungen, HIV-Infektion etc.) Regelmäßige Medikamenteneinnahmen (Steroide und andere Immunsuppressiva; gerinnungshemmende Substanzen)
Allergien
Jodallergie
Kolposkopische Voruntersuchungen
Schmerzen beim Platzieren des Spekulums Schmerzen bei der Essigsäureprobe Schmerzen oder vermehrte Blutung bei der Biopsie Kreislaufreaktion
und Ovar) bei Präkanzerosen und manifesten Krebserkrankungen der Zervix kein signifikantes genetisches Risiko besteht. Ganz wichtig ist die Frage, ob zum Zeitpunkt der Vorstellung in der Dysplasiesprechstunde Kinderwunsch besteht. Gegebenenfalls ist ein Schwangerschaftstest vor der Kolposkopie sinn-
voll. Wenn die Patientin keine hormonelle Kontrazeption durchführt, sollte man einen Schutz durch Kondome empfehlen, bis die kolposkopische Diagnostik und eine eventuell erforderliche operative Therapie abgeschlossen sind. Bei einem Teil der Patientinnen wird bereits eine Kolposkopie durchgeführt worden sein.
9
118
Kapitel 9 Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie
Hier sollte man fragen, ob besondere Beschwerden auftraten wie Schmerzen beim Platzieren des Spekulums, Schmerzen bei der Essigsäureprobe, Schmerzen oder vermehrte Blutung bei der Biopsie, Kreislaufreaktionen. In . Tab. 9.1 sind wichtige Stichpunkte zur Anamnese zusammengefasst.
9.2
9
Kolposkope
Seit Hinselmann 1925 erstmals eine Präparierlupe auf einem Stativ befestigen ließ, hat sich am prinzipiellen Aufbau eines optischen Kolposkops nichts verändert. Ein klassisches Kolposkop der Firma Leisegang (. Abb. 9.1) ermöglicht eine stufenweise Vergrößerung von 3,75fach, 7,5- bis 15-fach. Optional ist eine Vergrößerung bis zu 30-fach möglich. Üblicherweise ist die Brennweite der Geräte so bemessen, dass der Arbeitsabstand ca. 30 cm beträgt. Bei einem Videokolposkop wird auf eine okulare Optik vollständig verzichtet (. Abb. 9.2). Man blickt wie bei der Laparoskopie auf einen Monitor und führt auf diese Weise alle Untersuchungsschritte einschließlich der Gewebeentnahmen durch. Diese Geräte haben gegenüber den optischen Geräten eine Reihe von Vorteilen, unter anderem was die Foto- oder Videodokumentation der Befunde betrifft. Die Zweidimensionalität ist weniger störend, wenn das Videokolposkop eine hohe Auflösung besitzt. Vulvabefunde sollten nicht ausschließlich am Monitorbild beurteilt werden, da die Farbdarstellung üblicherweise nicht genormt ist. Zweifellos ist es ein Vorteil, wenn die Patientin die Möglichkeit hat, die kolposkopische Untersuchung über einen Videomonitor mit zu verfolgen. Dies unterstützt die Kommunikation mit der Patientin. Allerdings konnte unter Studienbedingungen keine signifikante Angstreduktion bei den Patientinnen festgestellt werden (Hilal et al. 2017). Ein nächster Entwicklungsschritt der Kolposkopie ist bereits absehbar:
. Abb. 9.1 Klassisches Leisegang-Kolposkop mit einer Vergrößerung von 3,75-, 7,5- und 15-fach. Mit der modifizierten Kamera wurden dreidimensionale Diapositive gemacht. Das dargestellte Kolposkop wird in fast unveränderter Form gebaut
In Ländern mit geringen Ressourcen sind die Vorteile hochmobiler preisgünstiger Geräte zweifellos von hohem Wert (Søfteland et al. 2021). Darüber hinaus ist mit Smartphone-Aufnahmen eine automatisierte visuelle Evaluation möglich (Xue et al. 2020). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine „Smartphone-Kolposkopie“ allerdings noch nicht erlaubt, und die Vorsorgerichtlinie des GBA1 schreibt vor: „Apparative Ausstattung (Kolposkop mit mindestens 7- bis 15-facher Vergrößerung sowie Lichtquelle, gynäkologischer Stuhl)“.
> Aktuelle Smartphones sind in der Lage, traditionelle Kolposkope in der Diagnostik zu ersetzen, wie eine Vergleichsuntersuchung mit der konventionellen optischen Kolposkopie zeigte (Aydin et al. 2021).
1
7 https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2605/ oKFE-RL-2021-07-01-iK-2022-01-01.pdf.
119 9.3 Handhabung von Kolposkop und Spekulum
. Abb. 9.2 Videokolposkop von Schmitz u. Söhne GmbH & Co. KG, Wickede integriert in einem gynäkologischen Untersuchungsstuhl
9.3
Handhabung von Kolposkop und Spekulum
Das Kolposkop sollte vor Beginn der Sprechstunde auf die individuellen Bedürfnisse der untersuchenden Ärztin/Arztes eingestellt werden. Zunächst wird der Augenabstand eingestellt, der auf einer Skala am Okular in Millimetern angegeben ist. An den Okularen wird gegebenenfalls eine Brillenkorrektur durchgeführt. Ist das Kolposkop mit einer zusätzlichen Kamera ausgestattet, wird zunächst ein Objekt in der schwächsten kolposkopischen Vergrößerung auf dem Bildschirm scharf gestellt, indem das Kolposkop nach vorn oder hinten bewegt wird. Dann fixiert man dieses Objekt durch das Okular, zunächst das eine, dann das andere Auge, und dreht so lange am Okular, bis das Bild scharf ist. Das Videokolposkop ist noch einfacher zu bedienen. Die Autofokusfunktion stellt die Schärfe in einem definierten Objektabstand automatisch ein. Hierfür darf der Objektabstand nicht zu groß und nicht zu klein sein. Nötigen-
falls kann man die Schärfe per Hand einstellen. Die kolposkopische Untersuchung beginnt mit einer Inspektion der Vulva und der Perianalregion. Manchmal findet man auch bei asymptomatischen Patientinnen, die sich wegen eines zervikalen Dysplasieverdachts in der Sprechstunde vorstellen, Hinweise auf eine vulväre oder anale intraepitheliale Neoplasie. Des Weiteren sollte die Vagina sorgfältig inspiziert werden. Der obere Teil der Vagina kann zusammen mit der Portio evaluiert werden. Die übrige Scheide untersucht man am besten beim Zurückziehen des Spekulums. Das halb geschlossene Spekulum wird hierbei rotiert, um die ventralen und dorsalen Partien der Vagina beurteilen zu können. Falls der Verdacht auf eine vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN) besteht, wird die Schiller’sche Jodprobe durchgeführt. Als Spekulum verwendet man anstelle der in deutschen Kliniken gängigen zweiteiligen Spekula (vorderes Blatt nach Seidl und hinte-
9
120
Kapitel 9 Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie
9 . Abb. 9.3 Spekula nach Cusco. Ein breites Spekulum ist für die Untersuchung besser geeignet, damit die seitlichen Vaginalwände ausreichend entfaltet sind
res Blatt nach Kristeller) ein Cusco-Spekulum. Nach dem Einführen wird es mit einer Rändelschraube fixiert, sodass beide Hände frei sind. Das ebenfalls verbreitete Grave-Spekulum ist vom Spekulum nach Cusco abgeleitet und besitzt zusätzlich zu seinem Klappmechanismus die Option, die Valven noch weiter auseinander zu schieben. > Das gewählte Spekulum muss ausreichend groß und adäquat geformt sein. Häufig ist nicht die Größe des Spekulums schmerzhaft, sondern vielmehr ein ungeschicktes Einführen. Ist das Spekulum zu klein und vor allem zu schmal, sind die seitlichen Scheidenwände nicht ausreichend aufgefaltet und eine adäquate kolposkopische Untersuchung ist nicht möglich.
Bewährt haben sich Spekula, die „entenschnabelförmig“ am Ende breit auslaufen (. Abb. 9.3).
Falls sich die Scheidenwände durch das Spekulum nicht optimal entfalten lassen, was aufgrund von Schwangerschaftsveränderungen häufiger der Fall ist, kann man sich mit einem Kondom behelfen. Dieses wird über das Spekulum gezogen und distal gefenstert (. Abb. 9.4). Die Oberschenkelinnenseite wird mit dem Handrücken leicht berührt, damit die unmittelbare Berührung der Vulva mit dem Spekulum die Patientin nicht erschreckt. Mit der linken Hand werden die kleinen Schamlippen gespreizt. Dann wird das Spekulum in komplett geschlossenem Zustand unter kräftigem Druck zum Damm hin eingeführt. Entsprechend der Achse des Scheideneingangs wird es vor dem Einführen um 90 Grad gedreht und erst in der Scheide wieder zurückrotiert. Nach dem Öffnen muss das Spekulum etwas hin- und herbewegt werden, um die Portio am Scheidenende aufzufinden. Schließlich wird der Feststellmechanismus justiert. Beim Cusco-Spekulum ist dies eine Rändelschraube.
121 9.3 Handhabung von Kolposkop und Spekulum
. Abb. 9.4 Spekulum nach Cusco mit einem Kondom zum Ausspannen der seitlichen Vaginalwände bei schwangerschaftsbedingter Ausweitung der Scheidenhaut
Eine richtige Technik zum Einführen und Entfernen des Spekulums ist wichtig, um unnötige Schmerzen zu vermeiden (. Abb. 9.5, 9.6). Nach Einsetzen des Spekulums wird die Position des Untersuchungsstuhls dem Kolposkop angepasst und nicht umgekehrt. Die Patientin liegt typischerweise in leichter Kopftieflage bei angehobenem Becken. Das Kolposkop wird auf die schwächste Vergrößerung eingestellt, da so die Fokussierung am einfachsten gelingt. Alle folgenden Schritte werden nun unter direkter Sicht durch das Kolposkop ausgeführt. Nun kann mit einem trockenen Tupfer Zervixschleim oder Blut vorsichtig abgestreift werden, und eine erste Beurteilung ist möglich, ob es sich um adäquate oder nicht adäquate Untersuchungsbedingungen handelt, wie dies im Rahmen der Nomenklatur Rio 2011 dokumentiert werden sollte. Wahlweise kann die Portio nun mit dem Grünfilter betrachtet werden. Hierbei treten Gefäßstrukturen deutlicher hervor, welche unter dem Filter schwarz erscheinen und einen besseren Kontrast zur Umgebung haben. Weißliche Epithelareale, die vor der Essigsäureprobe sichtbar sind (Leukoplakien), werden dokumentiert. Falls ein zytologischer Abstrich entnommen wird, ist nun der günstigste Zeitpunkt. Danach wird mit Wattetupfern eine vier- bis sechsprozentige Essiglösung aufgebracht. Bei dieser Konzentration der Essigsäure treten nor-
malerweise keine Beschwerden auf. Manchmal kommt es zu einem brennenden Gefühl, falls eine lokale Entzündung besteht. Für die Essigsäureprobe sollte man sich Zeit lassen und die Wirkung der Essiglösung genau beobachten. Auf die von Hilal et al. (2020) unter Studienbedingungen untersuchte Dynamik der Essigsäureprobe wurde in 7 Kap. 3 eingegangen. Wichtig ist nun die Feststellung, ob die Grenze zwischen Plattenepithel und Drüsenepithel vollständig einsehbar ist (T1 oder T2) oder nicht (T3). Durch Spreizen des Zervikalkanals mit dem endozervikalen Spekulum nach Kogan kann in vielen Fällen eine knapp intrazervikal gelegene Übergangszone sichtbar gemacht werden (. Abb. 9.7). Alternativ kann man die Zervix mithilfe von zwei Wattetupfern spreizen oder mit einer Pinzette oder Kornzange den äußeren Muttermund aufspreizen. Sind abnorme Befunde vorhanden (u. a. essigweißes Epithel, Punktierung, Mosaik), wird aufgrund der bereits beschriebenen Merkmale eine Graduierung vorgenommen: „minor change“ versus „major change“. Da Punktierung und Mosaik Gefäßphänomene sind, können diese auch gut mit dem Grünfilter beurteilt werden. Bisher ist die Schiller’sche Jodprobe ein optionaler Schritt der Abklärungskolposkopie im Sinne einer erweiterten Kolposkopie. Allerdings
9
122
Kapitel 9 Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie
a
b
c
d
9
e
123 9.3 Handhabung von Kolposkop und Spekulum
. Abb. 9.5 Einführen des Cusco-Spekulums. Die Labien werden mit der linken Hand gespreizt (a). Da die Achse des Vulvaeingangs vertikal verläuft, wird das Spekulum zunächst um 90 Grad im Gegenuhrzeigersinn gedreht und dann mit etwas Druck nach dorsal eingesetzt (b und c), da die dor-
sale Vulva sehr viel weniger schmerzempfindlich ist als der ventrale Bereich mit der Klitoris. Das geschlossene Spekulum wird schließlich wieder um 90 Grad im Uhrzeigersinn gedreht (d), dann geöffnet und nach Zentrierung der Portio mit der Rändelschraube fixiert (e) J
a
b
c
d
. Abb. 9.6 Entfernen des Cusco-Spekulums. Die Rändelschraube wird vollständig aufgedreht (a). Dann wird das Spekulum erneut um 90 Grad gedreht (b) und dann mit leichtem Druck nach dorsal entfernt (d und d)
ist der zusätzliche Zeitaufwand zu vernachlässigen, und es ergeben sich unter Umständen wertvolle zusätzliche Erkenntnisse für die Graduierung von dysplasieverdächtigen Arealen (7 Abschn. 4.4.4). Die Lugol’sche Jodlösung wird großzügig auf Portio und proximale Vagina aufgetragen, nachdem man sich vorher versichert hat, dass
keine Jodallergie bekannt ist. Indraccolo et al. (2009) präsentierten eine Kasuistik einer 53jährigen Patientin, bei der im Rahmen der Abklärungskolposkopie eine anaphylaxieähnliche Reaktion auftrat. Nun werden gegebenenfalls eine oder mehrere Biopsien entnommen bzw. eine endozervikale Kürettage durchgeführt (7 Abschn. 9.5).
9
124
Kapitel 9 Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie
. Abb. 9.7 Kogan-Spekulum zur Darstellung der Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze. Ein gestieltes Ovulum Nabothii wird mit dem Instrument zur Seite geschoben und die obere Begrenzung der Transformationszone wird sichtbar (T2)
9
9.4
Zytologischer Abstrich
> Eine Wiederholung des zytologischen Abstrichs im Rahmen der Abklärungskolposkopie ist normalerweise nicht erforderlich.
Falsch-negative Abstrichergebnisse bei kurzem Intervall zwischen zwei zytologischen Entnahmen sind nicht ungewöhnlich und das Problem ist schon lange bekannt (Drescher et al. 1983, Meisels 1990). Eine Studie von Kolben et al. (2017) ergab dagegen keine statistisch signifikante Falschnegativrate, wenn zwei in kurzer Folge entnommene Abstriche miteinander verglichen wurden. Gegen die Abstrichentnahme im Rahmen der Abklärungskolposkopie spricht jedoch die Tatsache, dass allenfalls 1–2 % solcher Wiederholungsabstriche Einfluss auf das weitere Vorgehen haben (Panos et al. 2001). Lediglich eine Untersuchung beschrieb einen Vorteil durch Wiederholungsabstrich im Fall eines LSIL-Verdachts (Zardawi und Rode 2002). > Entscheidet man sich dennoch für einen Wiederholungsabstrich, sollte dieser vor Applikation der Essigsäure entnommen werden.
Andernfalls ist die Zellausbeute signifikant geringer und die Rate falsch-negativer oder un-
zureichender Abstriche signifikant erhöht (Griffiths et al. 1989, Cronje et al. 1997). Als praktikable Abstrichmethode hat sich folgendes Verfahren bewährt: Die Ektozervix wird durch eine kreisförmige Bewegung mit einem Plastikspatel nach Ayre abgestrichen. Der endozervikale Abstrich erfolgt mit einer Bürste. Dieser zweite Abstrich kann auf einen zusätzlichen Objektträger übertragen werden. Alternativ werden beide Abstrichträger nach einem dünnschichtzytologischen Verfahren weiterverarbeitet (7 Abschn. 5.4).
9.5
Gewebeentnahmen
Die Gewinnung von ein oder mehreren Zervixbiopsien sowie die endozervikale Kürettage sind integraler Bestandteil der Abklärungskolposkopie im Rahmen der Dysplasiesprechstunde. Denn die kolposkopisch/visuelle Beurteilung alleine ist nicht ausreichend spezifisch, auch nicht bei sehr erfahrenen Untersuchern. Die Patientin sollte hierüber aufgeklärt werden wie vor jedem operativen Eingriff. Wenn die Patientin entspannt und vertrauensvoll zur Untersuchung geht, wird sie die Maßnahmen als weniger unangenehm empfinden. Dies gilt für die gesamte Untersuchung, besonders aber für die Gewebeentnahme. Ebenfalls entscheidend ist, dass die assistierende Person bestens mit den
125 9.5 Gewebeentnahmen
Abläufen vertraut ist und zu einer ruhigen Atmosphäre beiträgt. Im Rahmen der Sprechstundenorganisation muss sichergestellt sein, dass die histopathologischen Befunde zeitnah interpretiert und sowohl an die Patientin als auch an den überweisenden Gynäkologen/Gynäkologin übermittelt werden, nicht zuletzt um die psychologische Belastung der Patientin zu reduzieren.
9.5.1
Biopsie
Die kolposkopisch gesteuerte Biopsie wird meist ohne lokale Betäubung durchgeführt, da ein Großteil der Patientinnen keine oder nur geringfügige Schmerzen empfinden. Allerdings zeigt eine prospektiv-randomisierte Studie von Kiviharju et al. (2017), dass die Gewebeentnahme unter Lokalanästhesie signifikant weniger schmerzhaft ist. Auch forciertes Husten zum Zeitpunkt der Entnahme hat einen signifikanten Einfluss auf das Schmerzempfinden (Akavia et al. 2018). > Gewebeproben werden immer unter Sicht durch das Kolposkop entnommen. Entscheidend ist, dass die Biopsien von den auffälligsten Stellen der Portio entnommen werden. Tendenziell liegen diese eher zervikalkanalnah als peripher. Außerdem sollten pathognomonische Phänomene der HSIL wie „inner border lesion“, „ridge sign“ und „rag sign“ bevorzugt biopsiert werden.
Für die Knipsbiopsie ist die Biopsiezange nach Tischler gebräuchlich (. Abb. 9.8). Darüber hinaus stehen Modelle nach Eppendorfer, Kevor-
. Abb. 9.8 Biopsiezange nach Tischler
kian und Burke zur Verfügung, deren Zangenköpfe jeweils unterschiedlich geformt sind. Die Größe des Zangenkopfes ist hierbei nicht entscheidend. Es ist nicht notwendig, die gesamte Schneidefläche auszunutzen. Für die histologische Beurteilung reicht eine wenige Millimeter große Probe aus. Um das Abgleiten der Biopsiezange von einer derben und glatten Portiooberfläche zu verhindern, kann die Portio mit einer Kugelzange oder einem scharfen Häkchen fixiert werden. Wird die Gewebeprobe zu oberflächlich entnommen, findet sich unter Umständen nur schwer dysplastisches, vom Stroma vollständig losgelöstes Epithel. Bei einem solchen Präparat kann eine Invasion nicht ausgeschlossen werden. Falls ein ulzerierendes Karzinom vorliegt, sind unter Umständen multiple Biopsien aus dem Randbereich des Tumors erforderlich, damit nicht nur nekrotisches Gewebe entfernt wird, welches keine eindeutige Diagnose zulässt. Prinzipiell ist es möglich, im Rahmen der Dysplasiesprechstunden Biopsien mithilfe einer Hochfrequenzschlinge unter lokaler Betäubung zu entnehmen. Hierfür verwendet man am besten die kleinste zur Verfügung stehende Schlinge (. Abb. 9.9). Unter kolposkopischer Sicht lassen sich so exakt gesteuerte Probeentnahmen durchführen. > Diese LEEP-Biopsie hat außerdem den Vorteil, dass kleine Läsionen vollständig entfernt werden können im Sinne einer „See-andTreat“-Strategie.
Das Problem des Abgleitens der Biopsiezange bei derber glatter Portio stellt sich ebenfalls
9
126
Kapitel 9 Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie
. Abb. 9.9 Kleine LEEP-Schlinge zur Biopsie. Hiermit können im Rahmen der Dysplasiesprechstunde gezielt wenige Millimeter große Gewebeproben entnommen werden
nicht, da die Schlinge ohne Druck und ohne Widerstand in das Gewebe eindringt.
9
> Die Portio ist sehr gut durchblutet, und das Ausmaß der Blutung bei einer kleinen Knipsbiopsie kann für den Ungeübten erschreckend sein. Daher ist es wichtig zu wissen, dass eine signifikante Nachblutung aus einer Biopsiestelle bei normalen Gerinnungsverhältnissen praktisch nicht vorkommt.
Nötigenfalls wird ein großer Tampon oder eine nicht allzu straffe Tamponade in die Scheide eingeführt, welche die Patientin zu Hause selbst entfernt. Außerdem gibt es effektive Methoden der Blutstillung, die praktisch immer erfolgreich angewandt werden können. Selbst wenn die Scheide nur mit einer lockeren Tamponade versorgt wird, welche die Patientin zu Hause selbst entfernen kann, wird es nicht nachbluten. Für die Blutstillung ist es günstig, wenn man in einer Hand die Biopsiezange hält und in der anderen Hand einen Stieltupfer, um die Entnahmestelle gleich zu komprimieren und so die Blutung zu unterdrücken, bis die Biopsiestelle zum Beispiel mit Monsel’scher Lösung betupft worden ist. Bei der nach Léon Monsel, einem französischen Militärapotheker aus dem 19. Jahrhundert, benannten Lösung handelt es sich um Eisen-3-Sulfat. Die Monsel’sche Lösung wird dabei so angesetzt, dass sie eine zähflüssige Konsistenz aufweist und mit einem Wattetupfer aufgetragen werden kann (. Abb. 9.10). Zu-
. Abb. 9.10 Monsel’sche Lösung zur Blutstillung nach Zervixbiopsie
sätzlich wird mit einem Wattetupfer Druck auf die Biopsiestelle ausgeübt. Die Patientin sollte wissen, dass sie danach einen grünlich-schwärzlichen Ausfluss haben wird. Offenbar kommt es auch ohne Monsel’sche Lösung nicht zu einer signifikanten Nachblutung aus der Biopsiestelle. Bisher hat nur eine prospektiv-randomisierte Studie gezeigt, dass der klinische Nutzen der Monsel’schen Lösung gering ist (Hilal et al. 2016). Zwar wird die Blutung in einem Zeitraum von bis zu sechs Stunden nach der Gewebeentnahme signifikant reduziert. Jedoch sind das subjektive Schmerzempfinden und die Akzeptanz der Patientin mit oder ohne Anwendung der Monsel’schen Lösung gleich.
9.5.2
Endozervikale Kürettage (ECC)
Falls die Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze nicht einsehbar ist oder wenn der Verdacht auf eine endozervikale Atypie besteht, sollte eine endozervikale Kürettage (ECC) durchgeführt werden. Diese ist ohne Narkose möglich, weil hier das schmerzhafte Aufdehnen der Zervix wie bei der fraktionierten Abrasio entfällt. Ein solches Aufdehnen, insbesondere des inneren Muttermunds, ist nicht erforderlich, da das Gewebe unmittelbar jenseits der nicht einsehbaren bzw. der intrazervikal gelegenen Transformationszone gewonnen werden soll. Bei der endozervikalen Kürettage wird daher eine schmale Kürette verwendet, die ohne Widerstand in den Zervikalkanal eingeführt werden kann.
127 9.6 Befunddokumentation
. Abb. 9.11 Stiefel® -Kürette im Vergleich zu einem konventionellen Instrument für die endozervikale Kürettage
. Abb. 9.12 Modellierte Stiefel® -Kürette (rechts) bei engem Zervikalkanal
> Die Indikation für die endozervikale Küret-
(. Abb. 9.11). Ursprünglich wurde die Stiefel® Kürette für oberflächliche Hautabschabungen in der Dermatologie konzipiert. Auch wenn der Kürettengriff etwas kurz ist, lassen sich damit sehr gut intrazervikale Gewebeanteile entnehmen. Falls der Kürettendurchmesser für den Zervikalkanaleingang zu breit ist, kann die Kürette mithilfe einer sterilen Klemme modelliert werden (. Abb. 9.12).
tage sollte ebenso wie die Indikation zur Biopsie großzügig gestellt werden, insbesondere bei Patientinnen ab 45 Jahren (Liu et al. 2017). Lediglich in der Schwangerschaft ist eine ECC kontraindiziert.
Indikationen für die ECC sind insbesondere: 4 der zytologische Verdacht auf eine Atypie des endozervikalen Epithels bzw. ein Adenocarcinoma in situ (Pap-Gruppen II-b, III-b, IVa-b), 4 bei auffälligem Vorsorgeabstrich und kolposkopisch unauffälliger Zervix, insbesondere bei T3, 4 routinemäßig bei Operationen von Zervixdysplasien nach Entfernung des ektozervikalen Anteils, 4 im Rahmen der Nachuntersuchung nach Operationen mit positiver ECC. Eine endometriale Kürettage ist nur sinnvoll, wenn zytologisch ein entsprechender Verdacht geäußert wurde. Endometriale Kürettagen oder Hysteroskopien sind bei plattenepithelialem Dysplasieverdacht nicht indiziert und erhöhen das Risiko der Uterusverletzung. Die endozervikale Kürettage erfolgt unter kolposkopischer Sicht. Es wird eine Strichkürettage aus allen vier Quadranten gewonnen. Nach jedem „Strich“ wird die Kürette in Kochsalzlösung ausgewaschen. Empfehlenswert ist der Einsatz einer Ringkürette als Einmalinstrument (Stiefel® -Kürette)
9.6
Befunddokumentation
Die Bilddokumentation kolposkopischer Befunde ist ein wertvolles Instrument für den persönlichen Erfahrungsgewinn, indem das kolposkopische Bild und ggf. die Graduierung einer Läsion nach der Nomenklatur Rio 2011 nach Vorliegen aller Befunde einschließlich Histologie nochmals abgeglichen werden können. Für die Verlaufskontrolle bei zunächst konservativem Vorgehen im Falle einer CIN2 oder CIN3 ist eine exakte Dokumentation unverzichtbar. Eine fotografische Dokumentation ist insbesondere mit den heute vielfach üblichen Videokolposkopen problemlos möglich. Die einfachste Art der Dokumentation eines kolposkopischen Befunds ist die handschriftliche Skizze (. Abb. 9.13). Die PlattenepithelZylinderepithel-Grenze wird eingezeichnet sowie Lokalisation und Ausdehnung der auffälligen Areale. Biopsiestellen werden ebenfalls markiert.
9
128
Kapitel 9 Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie
. Abb. 9.13 Kolposkopische Befunddokumentation durch handschriftliche Skizze. Es handelt sich um einen Normalbefund mit einer Ektopie ventral und nur ventral einsehbarer
Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze („SCJ“) bei einer Patientin in Zentral-Java, Indonesien
> Die GBA-Richtlinie2 fordert „mindestens eine Skizze der klinisch relevanten Befunde“.
9
9.7
2
Die kolposkopische Untersuchung Schritt für Schritt
Schritt 1
Allgemeine und spezielle Anam- s. . Tab. 9.1 nese
Schritt 2
Aufklärung der Patientin und Einwilligungserklärung
Durch die Beschreibung des Ablaufs einer kolposkopischen Untersuchung und die Beantwortung von Fragen (insbesondere zu Fertilität, Krebsgefahr, Hysterektomie) können Ängste vor der Untersuchung selbst und dem zu erwarteten Befundergebnis abgebaut werden.
Schritt 3
Beschriftung der Probegefäße
Durch die Beschriftung vor Beginn der Untersuchung ist eine Verwechslung von Präparaten weniger wahrscheinlich.
Schritt 4
Inspektion von Vulva und Anus
HPV-assoziierte Erkrankungen können im Bereich des unteren Genitales multizentrisch auftreten.
Schritt 5
Einführen des Spekulums
Ein ausreichend breites Cusco-Spekulum wird verwendet (siehe . Abb. 9.3) Beim Einführen des Spekulums dient bereits das Kolposkop als Lichtquelle (siehe . Abb. 9.5, 9.6)
Schritt 6
Handschuhwechsel
Ab jetzt werden nur noch Kolposkop und Instrumente berührt.
Schritt 7
Anpassen der Position des UnDas Kolposkop wird in eine bequeme Arbeitsposition gebracht und tersuchungsstuhls und Einstellen die Lagerung der Patientin auf dem Untersuchungsstuhl entsprechend des Kolposkops angepasst.
Schritt 8
Inspektion von Zervix und proxi- Nun beginnt ggf. die Fotodokumentation der Befunde. Die Inspekmaler Vagina tion geschieht in aufsteigender Vergrößerung. Der Grünfilter wird eingesetzt.
7 https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2605/ oKFE-RL-2021-07-01-iK-2022-01-01.pdf.
9
129 9.8 Fragen zur Selbstkontrolle – Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie
9.8
Schritt 9
Entnahme eines zytologischen Abstrichs
Ggf. vorheriges Entfernen von Zervixschleim mit einem Wattetupfer. Zur Indikation der Zytologie im Rahmen der Abklärungskolposkopie siehe 7 Abschn. 9.4.
Schritt 10
Essigsäureprobe
Das Auftupfen der vier- bis sechsprozentigen Lösung erfolgt mehrfach und reichlich.
Schritt 11
Erneute Inspektion von Zervix und proximaler Vagina
Dies ist der wichtigste Schritt der Abklärungskolposkopie. Die kolposkopische Bewertung sollte zwischen einer Minute und drei Minuten nach Auftragen der Essiglösung erfolgen. Ggf. erneuter Einsatz des Grünfilters; ggf. Aufspreizen des Zervikalkanals (z. B. mit Kogan-Spekulum).
Schritt 12
Fotodokumentation
Nach GBA-Richtlinie ist mindestens eine handschriftliche Skizze gefordert.
Schritt 13
Schiller’sche Jodprobe
Die Lugol’sche Lösung wird im gesamten Gesichtsfeld auf Zervix und proximale Vagina aufgetragen (zurzeit noch optional, in Zukunft möglicherweise obligat).
Schritt 14
Gewebeentnahme und/ oder endozervikale Kürettage
Alle auffälligen Stellen werden biopsiert, ggf. auch ein „minor change“. Dieser Schritt erfolgt grundsätzlich unter kolposkopischer Sicht.
Schritt 15
Blutstillung
Die Monsel’schen Lösung kann aufgetragen werden. Ggf. wird ein großer Tampon oder eine nicht zu straffe Tamponade eingelegt.
Schritt 16
Inspektion der Vagina
Beim Zurückziehens und Rotierens des Spekulums unter kolposkopischer Sicht wird das mittlere und distale Drittel der Vagina inspiziert. Wenn eine vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN) vermutet wird, wird das gesamte Vaginalepithel mit der Jodlösung betupft.
Schritt 17
Kontrolle der Kreislauf- Vasovagale Reaktionen sind auch ohne deutliche Vorzeichen möglich. Hierauf verhältnisse sollte man vorbereitet sein.
Schritt 18
Schriftliche Befunddokumentation und Information der Patientin
Dies ist ein weiterer wichtiger Faktor, um die Ängste der Patientin zu reduzieren.
Schritt 19
Abschließender Befundbericht mit Therapieempfehlung
Dieser Schritt sollte zeitnah erfolgen. Die Patientin sollte den Befundbericht auch erhalten.
Fragen zur Selbstkontrolle – Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie
Ja 1 Kontaktblutungen, Zwischenblutungen und Schmerzen können Ausdruck einer malignen Erkrankung sein.
Nein
2 Im Zusammenhang mit der Familienanamnese sollte die Patientin darauf hingewiesen werden, dass im Gegensatz zu einer Reihe von anderen gynäkologischen Malignomen (insbesondere Karzinome von Mamma, Endometrium und Ovar) bei Präkanzerosen und manifesten Krebserkrankungen der Zervix kein signifikantes genetisches Risiko besteht. 3 Videokolposkope sind optischen Kolposkopen qualitativ unterlegen und für das Zervixkarzinomscreening nicht zugelassen.
130
Kapitel 9 Praktische Umsetzung der Abklärungskolposkopie
Ja
4 Nach GBA-Richtlinie darf statt eines optischen Kolposkops oder eines Videokolposkops eine Smartphone-Kamera für die Abklärungskolposkopie verwendet werden. 5 Das gewählte Spekulum muss ausreichend groß sein. Häufig ist nicht die Größe des Spekulums schmerzhaft, sondern vielmehr ein ungeschicktes Einführen.
6 Ein Cusco-Spekulum wird während des Einführens in die Vagina um 180 Grad rotiert.
7 Während der kolposkopischen Untersuchung wird das Cusco-Spekulum von einer Hilfsperson gehalten und ggf. nachzentriert.
8 Das Spekulum nach Kogan ist für adipöse Patientinnen besser geeignet als das Cusco-Spekulum.
9 Die Wiederholung des zytologischen Abstrichs im Rahmen der Abklärungskolposkopie ist in der Regel nicht sinnvoll.
10 Falls man sich im Rahmen der Abklärungskolposkopie für einen Wiederholungsabstrich entscheidet, sollte dieser unmittelbar nach Applikation der Essigsäure entnommen werden. 11 Die Gewinnung von ein oder mehreren Zervixbiopsien sowie die endozervikale Kürettage sind integraler Bestandteil der Abklärungskolposkopie im Rahmen der Dysplasiesprechstunde.
12 Die Entnahme von Zervixbiopsien im Rahmen der Abkärungskolposkopie im Rahmen der deutschen Vorsorgerichtlinien ist obligat.
9
Nein
13 Pathognomonische Phänomene der HSIL der Zervix wie „inner border lesion“ und „ridge sign“ sollten bevorzugt biopsiert werden.
14 Tendenziell liegen höhergradige Veränderungen der Zervix eher in der Nähe der PlattenepithelZylinderepithel-Grenze und eher nicht peripher.
15 Vor einer Zervixbiopsie muss immer eine lokale Betäubung durchgeführt werden. 16 Die Portio ist sehr gut durchblutet, sodass es nach einer Zervixbiopsie sehr stark bluten kann.
17 Nachblutungen nach Portiobiopsie treten häufig auf, wenn keine adäquate Blutstillung mittels Monsel’scher Lösung erfolgt ist.
18 Die endozervikale Kürettage erfolgt immer auch in Verbindung mit einer Strichkürettage des Endometriums.
19 Die Vorsorgerichtlinie des GBA fordert „mindestens eine Skizze der klinisch relevanten Befunde“.
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131 Literatur
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Panos JC, Jones BA, Mazzara PF (2001) Usefulness of concurrent Papanicolaou smear at time of cervical biopsy. Diagn Cytopathol 25:270–273 Søfteland S, Sebitloane MH, Taylor M, Roald BB, Holmen S, Galappaththi-Arachchige HN et al (2021) A systematic review of handheld tools in lieu of colposcopy for cervical neoplasia and female genital schistosomiasis. Int J Gynaecol Obstetrics 153:190–199 Xue Z, Novetsky AP, Einstein MH, Marcus JZ, Befano B, Guo P et al (2020) A demonstration of automated visual evaluation of cervical images taken with a smartphone camera. Int J Cancer 147:2416–2423 Zardawi IM, Rode JW (2002) Clinical value of repeat Pap smear at the time of colposcopy. Acta Cytol 46:495–498
9
133
Interventionelle Kolposkopie Inhaltsverzeichnis 10.1
Frühgeburtsrisiko nach operativer Dysplasiebehandlung – 135
10.2
Operationsverfahren – 137
10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4
Messerkonisation – 137 Hochfrequenzchirurgie (LEEP) – 137 Kryochirurgie – 138 CO2 -Laserchirurgie – 139
10.3
Operative Behandlung des Adenocarcinoma in situ der Zervix – 140
10.4
Beurteilung des Operationserfolgs – 141
10.4.1 10.4.2
Plattenepitheliale Dysplasien – 141 Adenocarcinoma in situ – 142
10.5
Fragen zur Selbstkontrolle – Interventionelle Kolposkopie – 143 Literatur – 144
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_10
10
134
Kapitel 10 Interventionelle Kolposkopie
Der Begriff „interventionelle Kolposkopie“ bezieht sich auf den Einsatz des Kolposkops bei der Behandlung von Präkanzerosen des unteren Genitaltraktes. Streng genommen fällt hierunter auch die kolposkopisch gesteuerte Gewebeentnahme (7 Kap. 9). Im Folgenden wird auf das Frühgeburtsrisiko nach Operationen an der Zervix eingegangen, auf verschiedene Operationstechniken und letztlich auf die Überprüfung des Operationserfolgs.
i Fragen zur Wissensüberprüfung per SN Flashcards App
10
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Unter dem Begriff „interventionelle Kolposkopie“ versteht man den Einsatz des Kolposkops bei der ablativen oder destruktiven Behandlung der zervikalen, vaginalen, vulvären und analen Präkanzerosen. Der Einsatz des Kolposkops ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass das betroffene Gewebe vollständig und gleichzeitig schonend ohne allzu großen Gewebeverlust beseitigt wird. Demnach müssen die Operateure kolposkopisch geschult sein. Operationen an der Zervix unter kolposkopischer Sicht führen zu einer gezielteren Resektion und signifikant kleineren Resektaten bei gleichbleibendem Therapieerfolg (Heineman et al. 2016). Eine prospektive randomisierte Studie (Hilal et al. 2018) hat gezeigt, dass durch die interventionelle Kolposkopie das Resektatvolumen signifikant kleiner ist. Gleichzeitig betrug
die Rate histologisch belegter vollständiger Resektionen mehr als 80 %. > Nach wie vor ist die Standardtherapie der zervikalen Präkanzerosen operativ (ablativ und/ oder destruktiv).
Die elektrochirurgische Resektion mittels LEEP-Schlinge hat sich durchgesetzt, ggf. mit CO2 -Laservaporisation der peripheren Befunde, die häufiger mit leichtgradigen Dysplasien assoziiert sind. Die IFCPC hatte Vorschläge zu bestimmten Resektionstypen gemacht in Anlehnung an die Klassifikation der Transformationszone T1, T2 und T3 (Bornstein et al. 2012; 7 Kap. 4). Letztlich existieren aber keine prospektiv-randomisierten Studien zur optimalen Technik, insbesondere nicht, was das genaue Ausmaß der Resektion bei jüngeren Frauen betrifft. Eine prospektiv-randomisierte Studie von Kolben et al. (2019) musste aufgrund der schleppenden Rekrutierung vorzeitig abgebrochen werden. Dennoch ergaben sich Hinweise, dass eine begrenzte Resektion ebenso effektiv ist wie die Behandlung der kompletten Transformationszone. > Das Medikament Imiquimod (Aldara® ), welches zur topischen Behandlung von Condylomata acuminata eingesetzt wird, kann ausnahmsweise für die Behandlung zervikaler Dysplasien eingesetzt werden.
Grimm et al. (2012) fanden eine Regression schwerer Dysplasien von 73 % gegenüber 39 % in der Plazebogruppe. Van de Sande et al. (2018) behandelten junge Patientinnen mit rezidivierender CIN dreimal pro Woche mit fünfprozentiger Imiquimod-Creme für einen Zeitraum von 16 Wochen. Letztlich musste das Konzept der prospektiv randomisierten Studie in eine offene Studie umgewandelt werden, da die meisten Patientinnen eine Randomisierung ablehnten (Koeneman et al. 2017). Letztlich war die Behandlung bei 59 % der Patientinnen erfolgreich im Vergleich zu 95 % bei operativer Behandlung. Unter Imiquimod berichteten alle Patientinnen über Nebenwirkungen, vorwiegend Kopfschmerzen und Müdigkeit. Fonseca et al. (2021) führten eine Phase-IIStudie durch. Im Behandlungsarm erhielten Pa-
135 10.1 Frühgeburtsrisiko nach operativer Dysplasiebehandlung
tientinnen mit CIN2 oder CIN3 eine wöchentlich Behandlung mit Imiquimod für die Dauer von zwölf Wochen. Das Medikament wurde unter direkter Sicht vom Arzt/der Ärztin aufgetragen. Danach wurde eine LEEP durchgeführt, ebenso wie in der Kontrollgruppe. Die Regressionsrate betrug 61 % im Vergleich zu 23 % in der Kontrollgruppe. 74 % der Patientinnen klagten über Nebenwirkungen, vor allem über leichte abdominale Schmerzen. Eine therapeutische HPV-Impfung existiert noch nicht und trotz einiger klinischer Studien ist die Zulassung eines Impfstoffs nicht absehbar. > Trotz einer gewissen Unschärfe, was die histopathologische Abgrenzung zwischen CIN2 und CIN3 betrifft, definiert die S3-Leitlinie „Prävention des Zervixkarzinoms“1 die schwere Dysplasie (CIN3) als die Zielläsion, die im Rahmen der sekundären Prävention entfernt werden soll, und definiert Kriterien für ein abwartendes Verhalten unter kolposkopischer Überwachung in der Erwartung, dass sich ein Teil der Dysplasien spontan zurückbildet.
Für die niedrigeren Dysplasiegrade wird im Sinne eines Expertenkonsenses Folgendes empfohlen: „Bei histologisch gesicherter CIN1 soll abgewartet und die Patientin nach 6 Monaten wieder evaluiert werden.“ „Ist bei histologisch gesicherter CIN2 durch komplettes Einsehen der Platten-Zylinderepithelgrenze die gesamte Läsion beurteilbar, soll abgewartet und die Patientin nach 6 Monaten wieder untersucht werden.“ > Für sehr junge Patientinnen bis zu einem Alter von 24 Jahren empfiehlt die Leitlinie, dass bei CIN2 („soll“) und CIN3 („kann“) konservativ vorgegangen werden kann.
Voraussetzung ist, dass die Läsion vollständig kolposkopisch überwachbar ist. Eine glanduläre Komponente darf natürlich auch nicht vorhanden sein aufgrund der besonderen Problematik eines möglichen Adenocarcinoma in situ. Weiter heißt es: „Bei Persistenz der CIN2 für mehr als 1
7 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015027OLl_Praevention_Zervixkarzinom_2020-03verlaengert.pdf.
24 Monate bzw. der CIN3 für mehr als 12 Monate oder Ausdehnung der Läsion nach endozervikal sollte eine Therapie erfolgen. Die Therapie soll gewebeschonend durchgeführt werden.“ 10.1
Frühgeburtsrisiko nach operativer Dysplasiebehandlung
Zweifellos besteht ein signifikant erhöhtes Frühgeburtsrisiko nach operativer Intervention im Bereich der Zervix. So haben Kyrgiou et al. (2006) gezeigt, dass alle ablativen Therapieverfahren – mit Ausnahme der alleinigen CO2 -Laservaporisation – zu einer signifikant erhöhten Rate an Frühgeburten führen. Danach beträgt das relative Risiko für eine vorzeitige Geburt vor der 37. Schwangerschaftswoche 2,59 nach Messerkonisation und 1,70 nach Resektion mit der Zervixschlinge. Arbyn et al. (2008) kamen ebenfalls zu dem Schluss, dass durch Konisationen mit dem Messer und vermutlich auch mittels Laser oder durch ausgedehnte elektrochirurgische Maßnahmen die perinatale Mortalität erhöht wird. Nach Ortoft et al. (2010) erhöht eine einmalige Konisation das Risiko der perinatalen Mortalität auf das 2,8-Fache, denn die Wahrscheinlichkeit einer extremen Frühgeburt vor der 28. Schwangerschaftswoche steigt um das 4,9-Fache an. Bei 37 Patientinnen in dieser Untersuchung waren zwei Konisationen vorausgegangen. Hier war die Wahrscheinlichkeit für eine Frühgeburt im Vergleich zu Patientinnen ohne vorausgegangene Konisation sogar um das Zehnfache erhöht (. Tab. 10.1). Insbesondere ab einer Konuslänge von 1 cm besteht ein statistisch signifikant erhöhtes Frühgeburtsrisiko (Simoens et al. 2012). Nach Poon et al. (2012) lässt sich das Frühgeburtsrisiko durch die Messung der Zervixlänge zwischen der 20. und 24. Schwangerschaftswoche abschätzen. Welche Konsequenzen ein erhöhtes Risiko für das geburtshilfliche Vorgehen hat, ist dagegen völlig unklar (Quenby 2010). Im Rahmen des britischen Gesundheitssystems konnten Castanon et al. (2012) keine signifikant erhöhte Frühgeburtlichkeit nach Schlingenexzision feststellen und vermuten, dass dies mit dem britischen Qualitätsmanagement zu-
10
136
Kapitel 10 Interventionelle Kolposkopie
. Tab. 10.1 Frühgeburtsrisiko nach einer und zwei Konisationen (Ortoft et al. 2010) Konisation
10
Keine
Einmal
Zweimal
Frühgeburt vor 37. SSW
1 : 24
1:9
1:3
Extreme Frühgeburt vor 28. SSW
1 : 333
1 : 77
1 : 36
Perinataler Tod
1 : 1250
1 : 143
–
sammenhängt und mit der Tatsache, dass das Resektatvolumen auf ein Minimum begrenzt wird. Durch eine präoperative Abklärungskolposkopie sowie durch eine Operation unter kolposkopischer Sicht besteht die Aussicht, die Rate an Schwangerschaftskomplikationen zu reduzieren. Denn hierdurch werden signifikant kleinere Resektate erzielt (siehe oben). Loopik et al. (2021) konnten den Einfluss des Resektatvolumens auf die Frühgeburtlichkeit in einem großen Kollektiv nachweisen. Drei Gruppen wurden unterschieden: 1. Patientinnen ohne CIN-Diagnose 2. Patientinnen nach CIN-Diagnose, die nicht operiert wurden 3. Patientinnen nach Operation einer CIN In der ersten Gruppe betrug das Frühgeburtsrisiko 4,8 % und in der dritten Gruppe 9,5 %. Sind mehrfache Operationen vorausgegangen, waren es sogar 15,6 %. Aber auch bei Patientinnen, die nicht operiert worden waren, war das Risiko mit 6,9 % erhöht. Loopik et al. konnten das Frühgeburtsrisiko mit dem retrospektiv aus dem Pathologiebefund bestimmten Resektatvolumen korrelieren. Bei den CIN-Operationen waren es im median 2,40 cm3 . Bereits bei einem Resektatvolumen von 0,5 cm3 oder größer wurde ein Effekt beobachtet. Dass auch nicht behandelte Patientinnen mit CIN ein erhöhtes Frühgeburtsrisiko haben, führen Loopik et al. ebenfalls auf einen Volumenverlust der Zervix durch eine oder mehrere Biopsien zurück. Eine andere Erklärung ist jedoch ebenfalls plausibel. Niyibizi et al. (2021) konnten zeigen, dass der Nachweis von HPV16/18 während der Schwangerschaft bereits eine erhöhte Frühgeburtsrate bedingt mit einem relativen Risiko von 3,7. Auch wenn Patientinnen
nach erfolgter CIN-Behandlung von der Auswertung ausgeschlossen wurden, war das Ergebnis ähnlich. Dieser Effekt wurde nicht beobachtet, wenn eine Infektion mit einem anderen HPVHigh-Risk-Virus nachgewiesen worden war. > Nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens sollte man als Operateur alles daran setzen, das Resektatvolumen bei Patientinnen mit potenziellem Kinderwunsch so klein wie mög-
. Abb. 10.1 Messung des Resektatvolumens nach dem Archimedes’schen Prinzip. Aus einer unten verschlossenen 5-ml-Spritze wird der Kolben entfernt und teilweise mit Kochsalzlösung gefüllt. Das resezierte Gewebe wird in die Flüssigkeit eingebracht. Der Flüssigkeitsanstieg entspricht dem Resektatvolumen
137 10.2 Operationsverfahren
lich zu halten, indem grundsätzlich unter kolposkopischer Sicht operiert wird und keine Messerkonisation durchgeführt wird.
Das Resektionsvolumen kann unmittelbar nach Resektion mithilfe des Archimedes’schen Prinzips gemessen und im Operationsbericht dokumentiert werden (. Abb. 10.1). Das Prinzip aller Therapieverfahren ist gleich: Das dysplastische Epithel soll vollständig abgetragen werden. Hierbei wird grundsätzlich zwischen Resektionsverfahren und Destruktionsverfahren unterschieden. Nach den Empfehlungen der IFCPC (Bornstein et al. 2012) sollten nichtstandardisierte Bezeichnungen wie „Konisation“ oder „Schlingenexzision“ vermieden werden. Stattdessen werden die Exzisionstypen 1 bis 3 unterschieden analog zu den drei Typen der Transformationszone T1, T2 und T3.
10.2 10.2.1
Operationsverfahren Messerkonisation
Bei der klassischen Messerkonisation wird ein mehr oder weniger kegelförmiges Gewebestück aus der Zervix herausgeschnitten, entweder mit einem gewöhnlichen Skalpell oder mit einem speziellen abgewinkelten Konisationsmesser. Ziel der Operation ist die vollständige Entfernung der Transformationszone und nicht nur eines isolierten Bereichs der Zervix. Dieser relativ blutige Eingriff kann nicht unter kolposkopischer Sicht durchgeführt werden. Außerdem ist eine Allgemeinnarkose bzw. Spinalanästhesie erforderlich. Die Anfärbung mit Jod dient der groben Orientierung zur Lage der Transformationszone. Zu Beginn des Eingriffs werden bei 3 und 9 Uhr die zur Zervix verlaufenden Äste der A. uterina umstochen, um die Blutungsstärke zu vermindern. Auf das Vernähen der Restportio nach Ausschneiden des Konus wird mittlerweile verzichtet. Bei dieser klassischen Naht nach Sturmdorf wurden die Wundränder eingefaltet und damit die Wundflächen komprimiert. Dies erschwert aber die spätere Beurteilung der Transformationszone. Daher wird eine Blutstillung durch monopolare Koagulation bevorzugt.
Kalliala et al. (2007) stellten in einer Langzeitstudie über einen Zeitraum von 30 Jahren fest, dass die Messerkonisation im Vergleich zu den anderen Operationstechniken am wenigsten geeignet ist, Rezidive im Sinn schwerer Dysplasien oder gar Karzinome zu verhindern. Ein retrospektiver Vergleich der Messerkonisation mit LEEP und Kryotherapie (Santesso et al. 2016) ergab eine Rezidivrate von LEEP und Kryotherapie von 5,3 % innerhalb eines Jahres im Vergleich zu nur 1,4 % bei der Messerkonisation. > Mit Rücksicht auf das signifikant erhöhte Frühgeburtsrisiko sollte auf Messerkonisationen grundsätzlich verzichtet werden.
10.2.2
Hochfrequenzchirurgie (LEEP)
> Die gezielte Resektion der gesamten Transformationszone oder einer umschriebenen Läsion an der Zervix ist durch die Hochfrequenzchirurgie (LEEP, LLETZ) mit unterschiedlich großen Schlingen möglich (. Abb. 10.2). Dieser Eingriff wird immer unter kolposkopischer Sicht durchgeführt.
Die Resektion mit Hochfrequenzstrom wird als „loop electrosurgical excision procedure (LEEP)“ bezeichnet. In Großbritannien ist die Bezeichnung „large loop excision of the transformation zone“ (LLETZ) üblich. Für die Resektion wird der Hochfrequenzgenerator auf einen geringen Koagulationsstrom
. Abb. 10.2 Schlingen unterschiedlicher Größe zur Hochfrequenzchirurgie (LEEP) an der Zervix
10
138
Kapitel 10 Interventionelle Kolposkopie
eingestellt. Dann umfasst die Koagulationszone am Präparaterand nur wenige Zelllagen und die histologische Randbeurteilung ist nicht beeinträchtigt. Die Blutstillung wird durch monopolare Koagulation mit einer Kugelelektrode bewirkt. Es bestehen keinerlei Zweifel mehr, dass eine Schlingenresektion genauso effektiv zur Behandlung der zervikalen intraepithelialen Neoplasie ist wie eine Messerkonisation. Eine Metaanalyse von Jiang et al. (2016) zeigte, dass sich dies auf alle der untersuchten Parameter bezieht: Rezidivrate, Rate positiver Absetzungsränder, postoperative Komplikationen (Nachblutung) und das Auftreten einer Zervixstenose.
10.2.3
10
auch von nichtärztlichem Personal durchgeführt werden und ist daher die Methode der Wahl in Ländern mit geringen Ressourcen (7 Kap. 16). Nachteilig ist der unangenehme und starke Ausfluss in den Tagen nach der Behandlung. Außerdem ist die Einwirkungstiefe der Kältesonde nur unzureichend zu kontrollieren. Bei großflächigen Veränderungen, wenn die Sonde nicht den gesamten Bereich abdecken kann, ist die Kryochirurgie nicht anwendbar.
Kryochirurgie
Die Kryochirurgie gehört ebenso wie die CO2 Laservaporisation zu den destruierenden Verfahren. Bei der Kryobehandlung wird eine Sonde auf die Portio aufgesetzt, die die gesamte Transformationszone bedeckt (. Abb. 10.3, 10.4). Durch die Sonde wird Stickstoffoxid oder Lachgas aus einem Druckbehälter geleitet, was durch die Ausdehnung des Gases zu einer starken Abkühlung der Sonde führt. Bereits nach kurzem Kontakt bildet sich eine Eiskappe aus (. Abb. 10.5), und das Gewebe stirbt mit der Zeit ab. Die Kryobehandlung ist eine preiswerte Methode, die keiner Betäubung bedarf. Sie kann
. Abb. 10.4 Schema der Kryochirurgie. Die Kryosonde wird auf der Zervix platziert, sodass sie den gesamten essigweißen/dysplastischen Bereich abdeckt. Kontraindikationen sind daher zu große oder intrazervikal gelegene Veränderungen
. Abb. 10.5 Kryochirurgie der Zervix unmittelbar nach Abnehmen der Kryosonde. Es hat sich ein Eiskegel gebildet . Abb. 10.3 Kryosonde für die Kryochirurgie
139 10.2 Operationsverfahren
10.2.4
CO2 -Laserchirurgie
Der CO2 -Laserstrahl besitzt ähnliche Eigenschaften wie Licht des sichtbaren Spektrums. Der Laserstrahl wird über mehrere 90-GradSpiegel aus dem Lasergenerator in einen steuerbaren Spiegel am Kolposkop geleitet (. Abb. 10.6). Da dieser Laserstrahl nicht sichtbar ist, wird ein sichtbarer roter Laser unmittelbar in den Strahlengang eingespiegelt. Wenn der Laserstrahl fokussiert ist, dient er zum Schneiden, um zum Beispiel eine Laserkonisation durchzuführen. Mit dem mehr oder weniger defokussierten Strahl kann das Gewebe sehr gezielt destruiert werden (CO2 -Laservaporisation). Wenn die gesamte Transformationszone vaporisiert werden soll, wird diese mit dem Laserstrahl zirkulär markiert. Dann wird von dorsal nach ventral vaporisiert. Hierzu wird der Laserstrahl auf ca. 15–30 Watt eingestellt und effektabhängig defokussiert. Die Vaporisationstiefe sollte mindestens 7 mm betragen, um in den Drüsenlichtungen gelegenes dysplastisches Gewebe sicher zu erfassen (. Abb. 10.7). Destruierende Therapieverfahren wie die CO2 -Laservaporisation können nur angewandt werden, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind: 4 Der Übergang zum (originären) Drüsenepithel ist zirkulär einsehbar.
. Abb. 10.6 CO2 -Laserchirurgie im Bereich der Zervix. Der Laserstrahl wird über das Kolposkop eingespiegelt und lässt sich exakt steuern
4 Es besteht keinerlei Invasionsverdacht, weder kolposkopisch noch zytologisch noch histologisch. 4 Die dysplastische Läsion ist kolposkopisch umschrieben, eindeutig erkennbar und vollständig einsehbar. 4 Eine eindeutige histologische Diagnose aus einer oder mehreren kolposkopisch gesteuerten Biopsien liegt vor. 4 Die histologische und zytologische Diagnose sowie der kolposkopische Eindruck müssen innerhalb eines Dysplasiegrades übereinstimmen. > Die Resektion mit der Hochfrequenzschlinge (LEEP) kann mit der CO2 -Laservaporisation kombiniert werden, indem die zentralen, in der Regel stärker dysplastischen Epithelbezirke mit der LEEP-Schlinge entfernt werden, während die Peripherie mithilfe des Lasers vaporisiert wird.
. Abb. 10.7 Portio unmittelbar nach CO2 -Laservaporisation wegen einer HSIL. Die Destruktion des Gewebes sollte mindestens 7 mm tief reichen, um dysplastische Zellen innerhalb der Drüsenkrypten zu erfassen
10
140
Kapitel 10 Interventionelle Kolposkopie
10.3
Operative Behandlung des Adenocarcinoma in situ der Zervix
Alle bisher gemachten Aussagen beziehen sich auf plattenepitheliale Präkanzerosen. Die operative Behandlung eines Adenocarcinoma in situ stellt eine größere Herausforderung dar. Überlegungen zur Randbeurteilung und zur Rolle der Hysterektomie spielen eine große Rolle. > Die sicherste Behandlungsoption für Patientinnen mit einem histologisch gesicherten Adenocarcinoma in situ und abgeschlossener Familienplanung ist immer noch die Hysterektomie, insbesondere dann, wenn es sich um ein ausgedehntes und/oder multifokales ACIS handelt.
10
Für jüngere Frauen mit Kinderwunsch ist die Hysterektomie natürlich keine akzeptable Therapieoption. In Australien und zum Teil in den Vereinigten Staaten ist die Messerkonisation immer noch die Therapie der Wahl bei ACIS. Allerdings zeigte eine retrospektive Untersuchung, dass durch LEEP genauso gute Ergebnisse erzielt werden (Munro et al. 2015). Der einzige Parameter mit einem Bezug zur Rezidivwahrscheinlichkeit ist der Resektionsrand, also ob eine Läsion im Gesunden entfernt wurde oder nicht. Bei der LEEP sollte die Läsion in einem Stück entfernt werden, und idealerweise sollten die Resektionsränder negativ sein (Hopkins 2000). Hierzu wird eine angemessen große Schlinge benötigt, die nur einmal durch das Zervixgewebe gezogen wird im Sinne einer „one
Adenocarcinoma in situ histologische Diagnose
Exzision - Skalpell oder LEEP - nicht fragmentiert - mindestens 10mm lang
Ränder negativ
Ränder positiv
Fertilitätserhaltung gewünscht?
Wiederholung der Exzision durchführbar und sicher?
ja
nein
nein
ja
einfache Hysterektomie PAP + HPV + ECC alle 6 Monate für 3 Jahre danach jährlich bis zur Hysterektomie Hysterektomie nach abgeschlossener Familienplanung oder kontinuierliche Überwachung, wenn HPV anhaltend negativ . Abb. 10.8 Vorgehensweise bei Adenocarcinoma in situ der Zervix gemäß deutscher und internationaler Empfehlung. Entscheidend für eine Uteruserhaltung ist der negative Resektionsrand nach LEEP
141 10.4 Beurteilung des Operationserfolgs
pass“-Technik (van Hanegem et al. 2012). Eine Fragmentierung des Gewebes, die bei plattenepithelialen Veränderungen weniger problematisch ist, muss vermieden werden. Die deutsche Leitlinie2 und die Empfehlungen der American Society of Colposcopy and Cervical Pathology (ASCCP) (Teoh et al. 2020) sind weitgehend deckungsgleich: > Entscheidend für eine Uteruserhaltung ist eine histopathologisch verifizierte Entfernung des ACIS im Gesunden. Eine Fertilitätserhaltung wird als nicht vertretbar angesehen, wenn – ggf. durch mehrere Resektionsversuche – kein negativer Rand erzielt werden kann. Jenseits des reproduktionsfähigen Alters wird eine Hysterektomie empfohlen, es sei denn, dass der HPV-Test nach ACIS-Resektion immer negativ war.
Die Empfehlungen zur Therapie des ACIS sind in . Abb. 10.8 zusammengefasst.
10.4
Beurteilung des Operationserfolgs
Vordringliches Ziel aller operativen Behandlungsverfahren sollte sein, das dysplastische Epithel vollständig zu entfernen. Dies hat bei einem ACIS eine sehr viel größere Bedeutung als bei plattenepithelialen Veränderungen. Die beiden Entitäten werden daher im Folgenden getrennt besprochen.
10.4.1
Plattenepitheliale Dysplasien
Eine Metaanalyse von 97 Studien (Arbyn et al. 2017) ergab eine Rezidivrate von 6,6 % für CIN2+-Läsionen. Die Rezidivrate war signifikant höher, wenn die Absetzungsränder positiv waren. Es ist üblich, die histologisch freien Absetzungsränder als Maßstab für eine vollständige Entfernung anzusehen. Dies geschieht analog zur Behandlung maligner Tumoren, bei denen 2
7 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015027OLl_Praevention_Zervixkarzinom_2020-03verlaengert.pdf.
immer eine R0-Resektion angestrebt werden muss. Allerdings handelt es sich bei der Behandlung einer Präkanzerose um eine potenziell rückbildungsfähige Vorstufe. Demgegenüber besteht die eingangs beschriebene Notwendigkeit, das Resektatvolumen bei jüngeren Frauen möglichst gering zu halten. Am besten geschieht dies, indem die Resektion unter kolposkopischer Sicht erfolgt und die kolposkopisch sichtbare Veränderung zwar vollständig, aber ohne unnötig großen Sicherheitssaum abgetragen wird. Bei einer solchen Operationstechnik ist es nicht ungewöhnlich und nicht fehlerhaft, wenn Läsionen unmittelbar an den Absetzungsrand heranreichen. > Von grundlegender Bedeutung ist vielmehr, dass bei jüngeren Frauen nur so viel Gewebe wie nötig entfernt wird.
Sowohl bei der Messerkonisation als auch bei der LEEP-Methode ist es kein entscheidendes Qualitätskriterium, dass die Präparateränder nach histologischen Beurteilungskriterien frei von dysplastischem Epithel sind. Denn durch die monopolare Koagulation zum Zwecke der Blutstillung wird ein nicht unerheblicher Gewebeanteil im Randbereich der eigentlichen Resektion beseitigt. Eine Konisation mit der LEEP-Methode stellt daher keine reine Resektion dar, sondern ist immer auch ein lokal destruierendes Verfahren. Abhängig von der Anatomie einer plattenepithelialen Präkanzerose kann es sinnvoll sein, ein Resektionsverfahren wie die Schlingenabtragung mit einem destruierenden Verfahren wie der CO2 -Laservaporisation zu kombinieren. In diesen Fällen ist die histologische Randbeurteilung ohnehin nicht aussagekräftig. > Ein histologisch positiver Resektionsrand nach Operation einer plattenepithelialen Präkanzerose stellt keine Indikation für eine Nachkonisation dar.
Insbesondere bei jüngeren Frauen sollte eine Zweitkonisation vermieden werden, da diese bei zukünftigen Schwangerschaften mit einem Risiko von 1 : 36 für eine extreme Frühgeburt vor der 28. Schwangerschaftswoche einhergeht (Ortoft et al. 2010).
10
142
10
Kapitel 10 Interventionelle Kolposkopie
Wenn die Transformationszone nicht vollständig einsehbar ist (T3) und im Absetzungsrand noch leichtgradige dyplastische Veränderungen nachgewiesen werden, stellt dies keine Indikation für eine Reoperation dar. Nach den Untersuchungen von Day et al. (2008) ist es unwahrscheinlich, dass bei diesen Patientinnen noch Reste einer höhergradigen Dysplasie vorliegen. Bei Frauen mit abgeschlossener Familienplanung wird nicht selten die Hysterektomie zur Dysplasiebehandlung empfohlen. Bei dem von Schockaert et al. (2008) ermittelten Risiko von 7,4 % für die Entstehung einer höhergradigen vaginalen intraepithelialen Neoplasie ist diese Vorgehensweise kritisch zu sehen. Entscheidend für die Beurteilung, ob eine dysplastische Läsion vollständig entfernt wurde, ist die kolposkopische Untersuchung ca. drei Monate nach Konisation, wenn die Portio vollständig abgeheilt ist. Enthält das endozervikale Kürettagematerial zum Zeitpunkt der Operation dysplastisches Gewebe, dann sollte die Endozervix bei der ersten Nachkontrolle erneut kürettiert werden oder zumindest eine dezidierte intrazervikale Abstrichentnahme mit einer Bürste erfolgen. Der HPV-Test in der Nachsorge bei Frauen ab 30 Jahren ist hilfreich (Kocken et al. 2012, Legood et al. 2012). Die Autoren der S3-Leitlinie „Prävention des Zervixkarzinoms“3 präsentieren hierzu eine Metaanalyse (. Tab. 10.2).
Der HPV-Test alleine oder in Kombination mit der Zytologie ist sehr viel sensitiver als der PapTest alleine. Die deutsche Leitlinie empfiehlt daher die Co-Testung im Rahmen der Nachuntersuchungen nach 6, 12 und 24 Monaten.
10.4.2
Adenocarcinoma in situ
Die Erkennbarkeit eines Rezidives bei einem ACIS und eines sich möglicherweise daraus entwickelnden Adenokarzinoms ist deutlich schlechter als bei plattenepithelialen Läsionen. Costa et al. (2007) berichten über 42 Patientinnen nach konservativer ACIS-Behandlung und einer medianen Nachbeobachtungszeit von 40 Monaten. 17 Frauen (40,4 %) erlitten ein Rezidiv. Selbst wenn die Absetzungsränder bei der Konisation negativ waren, betrug die Rezidivrate noch 19 %. Demnach benötigen alle Patientinnen nach uteruserhaltender Therapie eines Adenocarcinoma in situ eine engmaschige Kontrolle. Hierfür ist am besten eine Kombination aus zytologischem Abstrich und HPV-Test geeignet, wobei dem HPV-Test der stärkere prädiktive Wert zukommt. Nach Costa et al. (2012) betrug die Sensitivität des Co-Tests 90,0 % und die Spezifität 50,0 % für die erste Nachuntersuchung nach sechs Monaten. Bei der zweiten Untersuchung nach zwölf Monaten lagen sowohl Sensitivität als auch Spezifität bei 100 %.
. Tab. 10.2 Metaanalyse zur Rezidivvorhersage durch Pap-Abstrich, HPV-Test oder eine Kombination beider Verfahren. KI = Konfidenzintervall (S3-Leitlinie „Prävention des Zervixkarzinoms“) Pap-Abstrich
HPV-Test
Kombination von Pap-Abstrich mit HPV-Test
3
7 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015027OLl_Praevention_Zervixkarzinom_2020-03verlaengert.pdf.
Sensitivität
72,0 % (95 % KI: 65,6–77,5 %)
Spezifität
84,6 % (95 % KI: 80,7–87,9 %)
Sensitivität
94,3 % (95 % KI: 88,4–97,3 %)
Spezifität
80,0 % (95 % KI: 74,2–84,8 %)
Sensitivität
95,3 % (95 % KI: 88,1–98,2 %)
Spezifität
69,6 % (95 % KI: 61,7–78,5 %)
10
143 10.5 Fragen zur Selbstkontrolle – Interventionelle Kolposkopie
10.5
Fragen zur Selbstkontrolle – Interventionelle Kolposkopie
Ja 1 Nach wie vor ist die Standardtherapie der zervikalen Präkanzerosen operativ.
2 Die Operation unter kolposkopischer Sicht führt nachweislich zu signifikant kleineren Resektatvolumina bei unverändert vollständiger Resektionsrate der plattenepithelialen Präkanzerosen.
3 Als Alternative zur Operation einer Dysplasie müssen alle Patientinnen über die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung mit Imiquimod aufgeklärt werden. 4 Bei intravaginaler Anwendung des Immunmodulators Imiquimod klagen drei Viertel der Patientinnen über Nebenwirkungen.
Nein
5 Patientinnen, die älter als 50 Jahre sind, sollten bei histologisch nachgewiesener CIN1 konisiert werden, während bei jüngeren Patientinnen abgewartet werden kann. 6 Für sehr junge Patientinnen bis zu einem Alter von 24 Jahren empfiehlt die Leitlinie, dass bei CIN2 („soll“) und CIN3 („kann“) konservativ vorgegangen werden darf. 7 Bei Persistenz einer CIN2 für mehr als 24 Monate bzw. einer CIN3 für mehr als 12 Monate oder Ausdehnung der Läsion nach endozervikal sollte eine operative Therapie erfolgen.
8 Nach operativer Intervention im Bereich der Zervix besteht ein signifikant erhöhtes Frühgeburtsrisiko.
9 Das Frühgeburtsrisiko nach Operation bei Dysplasie ist ausschließlich durch den Zervixdefekt bedingt, während die HPV-Infektion selbst keine Rolle spielt. 10 Mit Rücksicht auf das signifikant erhöhte Frühgeburtsrisiko sollte auf Messerkonisationen grundsätzlich verzichtet werden.
11 Eine LEEP-Resektion sollte immer unter kolposkopischer Sicht durchgeführt werden.
12 Nach LEEP-Resektion ist die Randbeurteilung des Resektats nur unzureichend möglich.
13 Die Kryochirurgie als Resektionsverfahren kann ausgesprochen schmerzhaft sein und sollte daher immer unter Vollnarkose durchgeführt werden.
14 Der CO2 -Laserstrahl besitzt ähnliche Eigenschaften wie Licht des sichtbaren Spektrums.
15 Der CO2 -Laser kann sowohl zur Resektion als auch zur Destruktion von Zervixgewebe verwendet werden.
16 Die sicherste Behandlungsoption für Patientinnen mit einem histologisch gesicherten Adenocarcinoma in situ der Zervix und abgeschlossener Familienplanung ist die Hysterektomie.
17 Bei einem Adenocarcinoma in situ der Zervix werden immer mindestens zwei Resektate gewonnen: ein äußerer und ein innerer Zylinder. 18 Bei Patientinnen mit Kinderwunsch muss ggf. ein zweites und ein drittes Mal operiert werden, um eine vollständige Resektion eines ACIS histopathologisch zu verifizieren.
19 Laut einer Metaanalyse beträgt die Rezidivrate nach Dysplasieoperationen im Bereich der Zervix 16,6 %. 20 Ein histologisch positiver Resektionsrand nach Operation einer plattenepithelialen Präkanzerose stellt keine Indikation für eine Nachkonisation dar.
21 Die Erkennbarkeit eines Rezidives bei einem ACIS und eines sich möglicherweise daraus entwickelnden Adenokarzinoms ist deutlich schlechter als bei plattenepithelialen Läsionen.
144
Kapitel 10 Interventionelle Kolposkopie
Literatur
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10
147
Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen Inhaltsverzeichnis 11.1
Kolposkopie in der Schwangerschaft – 148
11.1.1
Schwangerschaftsbedingte Veränderungen der Zervix – 148 Vorgehen bei zervikaler Dysplasie während der Schwangerschaft – 154 Konisation (LEEP) während der Schwangerschaft – 157 Weiteres Vorgehen bei HSIL nach Entbindung – 158
11.1.2 11.1.3 11.1.4
11.2
Kolposkopie nach vorausgegangener Operation – 158
11.2.1 11.2.2
Erhaltungszustand der Zervix – 159 Lokalisation der Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze postoperativ – 160 Stenose des Zervikalkanals – 161 Diagnose von Persistenz bzw. Rezidiv der Zervixdysplasie – 163
11.2.3 11.2.4
11.3
Kolposkopie strahlenbedingter Veränderungen – 165
11.4
Kolposkopie bei Immunsuppression – 166
11.4.1 11.4.2
Wechselbeziehung zwischen HIV und HPV – 166 Dysplasiebehandlung bei Immunsuppression – 167
11.5
Fragen zur Selbstkontrolle – Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen – 168 Literatur – 169
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_11
11
Kapitel 11 Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
148
Es gibt spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen, die eine besondere Herausforderung darstellen und auf die im folgenden Kapitel eingegangen wird. Allen voran ist dies die Kolposkopie in der Schwangerschaft. Hier sollte ein konservatives Vorgehen die Regel sein, ohne dass jedoch ein Zervixkarzinom übersehen wird. Gleichzeitig ist eine Abklärungskolposkopie während der Schwangerschaft schwieriger als außerhalb der Schwangerschaft. Auch nach vorausgegangenen Operationen oder nach Strahlentherapie ist das kolposkopische Bild anders zu bewerten. Und letztlich stellen Diagnose und Therapie HPV-assoziierter Erkrankungen unter Immunsuppression gleich welcher Ursache eine weitere Herausforderung dar.
i Fragen zur Wissensüberprüfung per SN Flashcards App
11
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11.1
Kolposkopie in der Schwangerschaft
Bei einem auffälligen Zervixabstrich während der Schwangerschaft ist die kolposkopische Untersuchung zum einen unverzichtbar und zum anderen besonders anspruchsvoll aufgrund der schwangerschaftsbedingten Gewebeveränderungen, welche im Folgenden dargestellt werden. > Während der ersten gynäkologischen Untersuchung in einer Schwangerschaft sollten ein
Zervixabstrich und ggf. ein HPV-Abstrich entnommen werden, wenn diese länger als ein Jahr zurückliegen. Bei einem auffälligen Ergebnis gelten dieselben Indikationen für die Abklärungskolposkopie wie außerhalb der Schwangerschaft (7 Kap. 8).
Eine Konisation bzw. LEEP-Resektion sollte vermieden werden, um die Schwangerschaft nicht zu gefährden. Eine Kolposkopie mit gezielter Biopsie ist dagegen auch während der Schwangerschaft möglich und unbedenklich (Hunter et al. 2008). > Da eine höhergradige Dysplasie nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besitzt, sich zu einem Karzinom weiterzuentwickeln, sollte die Behandlung der Dysplasie für den überschaubaren Zeitraum der Schwangerschaft aufgeschoben werden. Vordringliches Ziel der kolposkopischen Diagnostik in der Schwangerschaft ist es, ein bereits bestehendes Karzinom auszuschließen.
In diesem Zusammenhang ist die Feststellung wichtig, dass die Schwangerschaft selbst keinen Risikofaktor für die Entstehung eines Zervixkarzinoms (z. B. durch Förderung der Progression von der intraepithelialen Neoplasie zum Karzinom) darstellt. Nach Ciavattini et al. (2017) lässt sich dies mittels immunhistochemischer Untersuchungen nachvollziehen. Während bei Nicht-Schwangeren sowohl Ki67 als auch p16 signifikant häufiger exprimiert werden bei zunehmendem Dysplasiegrad, kann dieser Anstieg der Expression bei Schwangeren nicht beobachtet werden. Patientinnen mit manifestem Zervixkarzinom in der Schwangerschaft haben im Vergleich zu nicht schwangeren Patientinnen keine ungünstigere Prognose. Selbst eine gezielte Verzögerung der Karzinombehandlung bis zur Reife des Kindes scheint keinen ungünstigen Einfluss auf die Prognose zu haben (Takushi et al. 2002).
11.1.1
Schwangerschaftsbedingte Veränderungen der Zervix
Die Beurteilung der Zervix ist durch die physiologischen Gewebeveränderungen während der
149 11.1 Kolposkopie in der Schwangerschaft
Schwangerschaft erschwert. Daher muss man sich zusätzliche Bildmuster für die normalen und dysplastischen Zervixbefunde während der Schwangerschaft einprägen. > Die Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze ist während der Schwangerschaft häufig besser sichtbar als außerhalb der Schwangerschaft. Bei einem T3-Befund im ersten Trimenon ist die Übergangszone möglicherweise einige Wochen später sichtbar.
Je weiter die Schwangerschaft fortschreitet, desto schwieriger ist es, die Portio einzustellen. Gegen Ende der Schwangerschaft ist unter Umständen keine ausreichende kolposkopische Beurteilung mehr möglich. > Die folgenden schwangerschaftsbedingten Veränderungen der Zervix treten auf: 4 Hypertrophie der gesamten Zervix, 4 Verlagerung der Transformationszone auf die Ektozervix, 4 ausgeprägte Schleimsekretion, 4 „Pseudopunktierung“, 4 verstärkte Durchblutung mit prominenter Gefäßzeichnung, 4 verstärkte essigweiße Reaktion (sowohl des dysplastischen Epithels als auch einer unreifen Metaplasie), 4 intensive jodpositive Reaktion des verstärkt glykogenhaltigen Epithels, 4 häufig deziduale Umwandlung der Zervix.
. Abb. 11.1 CIN3 in der 35. SSW. Die grob essigweißen Areale der dysplastischen Transformationszone sind teilweise verdeckt, bedingt durch die ausgeprägte Schleimsekretion
Fast alle diese Veränderungen sind durch den zunehmenden Östrogeneinfluss im Lauf der Schwangerschaft bedingt und können dazu führen. dass die zervikalen Dysplasien überdiagnostiziert werden. Die Zervix wirkt hypertroph und ödematös. Das Gewebe nimmt hierdurch einen bläulichen Schimmer an. Dieser Effekt wird in der angloamerikanischen Literatur „Chadwick-Zeichen“ genannt. Chadwick und noch vor ihm Jacquemin erkannten im 19. Jahrhundert die bläuliche Verfärbung von Vulva und Vagina als schwangerschaftsbedingte Veränderung (Gleichert 1971). Das Drüsenepithel der Zervix ist in der Schwangerschaft besonders aktiv und prominent. Die Transformationszone verlagert sich zunehmend nach außen in Richtung Ektozervix. Die Drüsenzellen sezernieren eine große Menge Zervixschleim, welcher die Beurteilung erschwert (. Abb. 11.1). Das mehr oder weniger metaplastisch umgebaute Drüsenfeld kann kräftig vaskularisiert sein und die Abgren-
. Abb. 11.2 CIN3 in der 31. SSW. An der vorderen Muttermundlippe ist das partiell umgewandelte Drüsenepithel sehr prominent und wirkt polypös. Ein invasiver Prozess ist allein aufgrund des kolposkopischen Bildes nicht auszuschließen. Gegebenenfalls müssen wiederholt Gewebeproben entnommen werden
11
150
Kapitel 11 Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
. Abb. 11.3 CIN3 in der 10. SSW. In einer reifen Transformationszone sind die Drüsenöffnungen von einem grob essigweißen Epithel umgeben mit prominenter Gefäßstruktur („cuffed glands“)
11
zung von einem invasiven Prozess erschweren (. Abb. 11.2, 11.3). Durch die Hypertrophie der Stromazellen kommt es zu einer „Pseudopunktierung“. Diese sollte nicht mit der unregelmäßigen und auf essigweißem Grund gelegenen Punktierung verwechselt werden, welche mit einer Dysplasie einhergeht (. Abb. 11.4). Das dysplastische Epithel färbt sich intensiv essigweiß an (. Abb. 11.5, 11.6, 11.7, 11.8, 11.9, 11.10, 11.11, 11.12, 11.13, 11.14). Häufig liegt es deutlich über dem Niveau des normalen Epithels.
a
b
. Abb. 11.5 HSIL/CIN2 in der 18. SSW vor Essigsäureprobe (a), nach Essigsäureprobe (b), Ausschnittvergrößerung der ventralen Muttermundlippe (c). Die Zervix ist angeschwollen, bedingt durch die physiologischen Verän-
. Abb. 11.4 „Pseudopunktierung“ einer normalen Zervix in der 26. SSW. Eine solche physiologische Punktierung ist regelmäßig, und das Epithel weist keine essigweiße Färbung auf
Da auch bei einer unreifen Metaplasie die Intensität der Essigsäurereaktion zunimmt, ist aufgrund kolposkopischer Kriterien allein eine Abgrenzung zwischen leichter Dysplasie und unreifer Metaplasie ebenso wenig möglich wie außerhalb der Schwangerschaft. Der hohe Glykogengehalt der Intermediärzellen des Plattenepithels, welche aufgrund ihres Aussehens als „Navikularzellen“ bezeichnet werden, führt bei der Schiller’schen Jodprobe zu einer intensiven kastanienbraunen Färbung.
c derungen einer Schwangerschaft. Die gesamte Zervix ist intensiv essigweiß mit einem unregelmäßigen Mosaik („major change“)
151 11.1 Kolposkopie in der Schwangerschaft
. Abb. 11.8 CIN3 in der 24. SSW mit unregelmäßigem Mosaik im Bereich der dorsalen Muttermundlippe (siehe . Abb. 11.7)
. Abb. 11.6 CIN3 in der 22. SSW. Die essigweiße Färbung ist stark ausgeprägt. Das metaplastisch umgebaute Drüsenepithel hat zum Teil polypösen Charakter
. Abb. 11.9 CIN3 in der 21. SSW. Die gesamte ventrale Muttermundlippe besteht aus einem erhabenen, intensiv essigweißen Epithel („major change“)
. Abb. 11.7 CIN3 in der 24. SSW. Neben einer „Pseudopunktierung“ im Bereich der vorderen Muttermundlippe erkennt man ein erhabenes, scharf abgegrenztes essigweißes Areal an der hinteren Muttermundlippe. Der Übergang zum Drüsenepithel ist dorsal nicht sichtbar
Es kommt häufig vor, dass sich Stromazellen der Zervix dezidual umwandeln (. Abb. 11.15). Schneider und Barnes (1981) fanden in 30,8 % schwangerer Uteri zervikale Dezidua. Bei einem Drittel dieser Patientinnen ließen sich die Deziduazellen auch im zytologischen Abstrich nachweisen. Sowohl das kolposkopische Bild (. Abb. 11.16, 11.17, 11.18) als auch die Zytologie können den Verdacht auf eine höhergradige Zervixdysplasie oder ein Plattenepithelkarzinom erregen (van Diepen et al. 2015). Klarheit bringt letztlich nur die Biopsie.
11
152
Kapitel 11 Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
. Abb. 11.10 CIN3 in der 27. SSW. An der hinteren Muttermundlippe sieht man nach peripher ausladendes, deutlich erhabenes und intensiv essigweißes Epithel („major change“)
. Abb. 11.12 CIN3 in der 8. SSW. Das essigweiße Epithel hat eine grobe Punktierung und ein unregelmäßiges Mosaik. Innerhalb dieses Bereichs heben sich weitere essigweiße Bezirke ab. Aus diesen Arealen sollte Gewebe entnommen werden, da sie am ehesten die hochgradigen Epithelveränderungen repräsentieren („inner border sign“)
Eine deziduale Umwandlung ist auch außerhalb der Schwangerschaft möglich und kann dann ebenfalls mit einer höhergradigen Dysplasie verwechselt werden (. Abb. 11.19). Eindeutige Condylomata acuminata in der Schwangerschaft müssen nicht notwendigerweise bioptisch abgeklärt werden. Bei einem ausgedehnten Befall ist eine Sectioentbindung notwendig, falls es nicht gelingt, die Kondylome bis zum Erreichen der 32. SSW durch CO2 -Laservaporisation weitgehend zu beseitigen (. Abb. 11.20).
11
. Abb. 11.11 CIN3 in der 25. SSW. Das grob essigweiße Epithel hat eine unregelmäßige Oberfläche. Bei einem solchen kolposkopischen Befund sind multiple Gewebeentnahmen sinnvoll zum Ausschluss eines Karzinoms
a
b
c
. Abb. 11.13 CIN3 in der 16. SSW vor Essigsäureprobe (a), nach Essigsäureprobe (b), Ausschnittvergrößerung der ventralen Muttermundlippe (c). Das scharf begrenzte intensiv essigweiße Epithel weist eine Gyrierung auf („major change“)
153 11.1 Kolposkopie in der Schwangerschaft
a
b
c
d
. Abb. 11.14 CIN3 in der 27. SSW vor Essigsäureprobe (a), Essigsäureprobe (b), Schiller’sche Jodprobe (c), Ausschnittvergrößerung der ventralen Muttermundlippe (d). Das intensive essigweiße Epithel ist gyriert mit einem „ridge sign“ bei 12 Uhr
a
b
c
d
. Abb. 11.15 Deziduapolyp in der 32. SSW. Bei der 31jährigen Patientin erfolgte ein Jahr zuvor eine Konisation bei CIN3. Die Portio ist narbig eingezogen mit einem deutlichen Substanzdefekt (a). Bei 12 Uhr befindet sich ein kleiner
exophytischer jodnegativer Tumor (b), der in der Ausschnittvergrößerung (c) und vor allem unter dem Grünfilter (d) prominente Gefäße mit unregelmäßigen Spiralen und Schleifen aufweist
11
Kapitel 11 Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
154
. Abb. 11.16 Deziduapolyp in der 8. SSW. Das kolposkopische Bild ist nicht von einem Karzinom zu unterscheiden. Eine Biopsie ist unerlässlich
Einen Algorithmus zur Abklärung eines auffälligen Abstrichs in der Schwangerschaft zeigt . Abb. 11.21. Die Indikationen zur Abklärungskolposkopie unterscheiden sich nicht von den Indikationen außerhalb der Schwangerschaft (7 Kap. 8). Auch in der Schwangerschaft sollte großzügig biopsiert werden, insbesondere wenn eine höhergradige Dysplasie vermutet wird und insbesondere wenn die geringste Unsicherheit hinsichtlich des Vorliegens eines invasiven Prozesses vorliegt. Eine Biopsie ist zu jedem Zeitpunkt während der Schwangerschaft möglich. Vorteilhaft ist das zweite Trimenon, weil hier die Spontanabortrate sehr viel niedriger ist als im ersten Trimenon. Denn während der ersten zwölf Schwangerschaftswochen kann eher ein vermeintlicher Zusammenhang zwischen einer kolposkopisch gesteuerten Biopsie und einem Spontanabort hergestellt werden. Während der Schwangerschaft ist die Gewebeentnahme weniger schmerzhaft. Allerdings ist die Zervix wesentlich besser durchblutet. > Die Blutung aus der Biopsiestelle kann für
11 . Abb. 11.17 Deziduapolyp in der 13. SSW. Differenzialdiagnostisch kommt neben einer Neoplasie ein Abortus incipiens in Betracht. Dies lässt sich durch eine Biopsie klären
11.1.2
Vorgehen bei zervikaler Dysplasie während der Schwangerschaft
Die kolposkopische Untersuchung während der Schwangerschaft unterscheidet sich nicht wesentlich vom Vorgehen außerhalb der Schwangerschaft. Das verwendete Spekulum muss ausreichend breit sein, damit die seitlichen Vaginalwände aufgespannt werden und die gesamte Zervix sichtbar ist. > Mit einem über das Spekulum gestülpten Kondom, wie man es für die vaginale Ultraschalluntersuchung verwendet, können die Vaginalwände zur Seite gedrückt werden (7 Abschn. 9.3).
Ärztin/Arzt und Patientin scheinbar bedrohliche Ausnahme annehmen. Eine Blutstillung ist jedoch genauso effektiv möglich wie bei einer Probeentnahme außerhalb der Schwangerschaft.
Es ist vorteilhaft, die Entnahmestelle sofort mit einem bereits eingeführten Tupfer zu komprimieren. Dann wird Monsel’sche Lösung aufgetragen und die Biopsiestelle weiterhin komprimiert. Nötigenfalls wird eine lockere Tamponade eingelegt, die die Patientin zu Hause selbst entfernt. > Während die Biopsie in der Schwangerschaft unbedenklich ist, sollte auf eine intrazervikale Kürettage vorsorglich verzichtet werden, um die Fruchtblase nicht zu gefährden. Wenn die Übergangszone nicht vollständig einsehbar ist, empfiehlt es sich, die Kolposkopie einige Wochen später zu wiederholen.
Wenn sich die Diagnose einer höhergradigen Dysplasie bestätigt, sind weitere Kontrollen im Abstand von drei Monaten sinnvoll.
155 11.1 Kolposkopie in der Schwangerschaft
a
b
c
d
. Abb. 11.18 Deziduale Umwandlung sowie HSIL/CIN2 in der 24. SSW vor Essigsäureprobe (a), Essigsäureprobe (b), Schiller’sche Jodprobe (c), Ausschnittvergrößerung der ventralen Muttermundlippe (d). Bei 12 Uhr findet sich
> Eine absolute Indikation für die Gewebeentnahme während der Schwangerschaft besteht, wenn ein invasiver Prozess, beispielsweise aufgrund einer zytologischen Diagnose eines Pap IVb-a/Pap IVb-g oder Pap V-a/
ein typischer „major change“, passend zur Diagnose einer HSIL/CIN2. Weiter in Richtung Zervikalkanal befindet sich eine exophytische Läsion, welche auf Berührung blutet. Dies entspricht einer dezidualen Umwandlung
Pap V-g, vermutet wird. Das Gleiche gilt, wenn das kolposkopische Bild auffällig ist (. Abb. 11.22), insbesondere bei einer Tumorbildung, bei einer Ulzeration oder im Falle atypischer Gefäße (. Abb. 11.23).
11
156
Kapitel 11 Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
. Abb. 11.19 Deziduale Umwandlung außerhalb der Schwangerschaft, welche unter Gestageneinfluss entstanden ist. Die Gewebeentnahme bei 12 Uhr ergibt eine deziduale Umwandlung. Die Patientin verwendet zur Kontrazeption einen NuvaRing® , welcher neben Ethinylestradiol das Gestagen Etonogestrel freisetzt
11
. Abb. 11.20 Condylomata acuminata von Zervix und Vagina in der 33. SSW. Bei diesem ausgedehnten Befall ist eine Sectio caesarea unumgänglich
Indiaktion zur Abklärungskolposkopie wie außerhalb der Schwangerschaft, siehe Abb. 8.1, Abb. 8.2 Kolposkopie mit Biopsie (keine ECC)
keine Dysplasie oder CIN 1
CIN 2, CIN 3, ACIS
Karziomverdacht
Karziom
keine weiteren Kontrollen während der Schwangerschaft
Kolposkopie während der Schwangerschaft alle 3 Monate
LEEP
individuelles Vorgehen
keine Modifikation des Entbindungsmodus Kolposkopie mit Biopsie und ggf. ECC 6 bis 12 Wochen nach Entbindung . Abb. 11.21 Algorithmus bei auffälligem Screening während der Schwangerschaft, angelehnt an die S3-Leitlinie „Prävention des Zervixkarzinoms“
157 11.1 Kolposkopie in der Schwangerschaft
a
b
. Abb. 11.22 CIN3 in der 23. SSW. Bei der 29-jährigen Patientin findet sich eine große atypische und jodnegative Transformationszone mit unregelmäßiger Oberfläche und
a
b
. Abb. 11.23 Plattenepithelkarzinom in der 11. SSW; Essigsäureprobe (a), Ausschnittvergrößerung des ventral gelegenen Tumors (b), atypische Gefäße im Grünfilter (c). Bei der 36-jährigen erstgraviden Patientin bestanden kei-
11.1.3
Konisation (LEEP) während der Schwangerschaft
Eine zwingende Indikation zur Konisation bzw. LEEP-Resektion während der Schwangerschaft ergibt sich selten und besteht letztlich nur im Zusammenhang mit dem dringenden Verdacht oder dem Nachweis einer Invasion. > Die Konisation bei der schwangeren Frau verfolgt lediglich ein diagnostisches und kein therapeutisches Ziel. Denn in der Regel ist es nicht möglich, die Läsion vollständig zu entfernen.
Blutung auf Berührung. (Essigsäureprobe (a) und Schiller’ sche Jobprobe (b)) Ein invasiver Prozess muss durch Gewebeentnahmen ausgeschlossen werden
c ne Beschwerden. Der zytologische Abstrich war zu diesem Zeitpunkt unauffällig. Die ventrale Muttermundlippe ist vorgewölbt mit atypischen Gefäßen und fokaler Verhornung
Gegen eine Resektion mithilfe der LEEP-Schlinge bestehen keine Bedenken, da keine Gefährdung der Schwangerschaft durch den Hochfrequenzstrom befürchtet werden muss (Mitsuhashi und Sekiya 2000). Zunächst wird ein Cerclagebändchen vorgelegt. Bei fortgeschrittener Schwangerschaft und entsprechend großer und angeschwollener Portio trägt man das Gewebe erst von der dorsalen und dann von der ventralen Muttermundlippe ab. Anschließend wird das Cerclagebändchen geknotet, was zur Blutstillung beiträgt. Abschließend werden die Wundflächen koaguliert (. Abb. 11.24). Lässt sich die Blutung so nicht vollständig stillen, müssen zusätzlich resorbierbare Nähte gelegt werden.
11
Kapitel 11 Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
158
. Abb. 11.24 Zervix unmittelbar nach Konisation während der Schwangerschaft mit gleichzeitiger Cerclage
11.1.4
11
Weiteres Vorgehen bei HSIL nach Entbindung
Etwa acht bis zwölf Wochen nach der Entbindung kolposkopiert man erneut und die Gewebeentnahme wird wiederholt. > Selbst wenn im Laufe der Schwangerschaft eine CIN3 bzw. ein „Carcinoma in situ“ histologisch verifiziert wurde, ist eine operative Behandlung unmittelbar nach Entbindung nicht sinnvoll, wenn noch schwangerschaftsbedingte Veränderungen bestehen. Außerdem können sich selbst schwere Dysplasien nach der Geburt spontan zurückbilden.
Yost et al. (1999) berichten über eine Regressionsrate von 68 % bei CIN2-Läsionen und von 70 % bei CIN3. In dieser Studie basierte die CIN-Diagnose auf einer antepartalen Gewebeentnahme und hat damit eine höhere Zuverlässigkeit als bei Studien, in denen eine Dysplasie lediglich mithilfe eines zytologischen Abstrichs diagnostiziert wurde. Unter Einbeziehung von Kolposkopie und Biopsie ermittelten Henes et al. (2013) eine Remissionsrate von 9,3 % bei schwerer Dysplasie einschließlich ACIS. Insbesondere eine CIN1 hat während der Schwangerschaft ei-
ne höhere Rückbildungswahrscheinlichkeit als außerhalb der Schwangerschaft (Serati et al. 2008). Eine mögliche Erklärung für solche Spontanremissionen ist ein Abschilfern des dysplastischen Epithels durch das Geburtstrauma. Allerdings fanden Yost et al. (1999) ähnlich hohe Regressionsraten bei Patientinnen, die per Kaiserschnitt entbunden worden waren. Bei den Sectioentbindungen war es gleichgültig, ob diese primär oder sekundär, also vor oder nach Einsetzen der Wehentätigkeit, erfolgten. Auch Schuster et al. (2018) beobachteten dies: 15 von 40 spontanen Dysplasieremissionen nach vaginaler Entbindung und 10 von 23 Rückbildungen nach Sectioentbindung. Demnach sind noch andere Faktoren für die beobachtete postpartale Rückbildung der Dysplasien verantwortlich, zum Beispiel die Beendigung der physiologischen Immunsuppression nach der Schwangerschaft. Auch darf nicht vergessen werden, dass kleinere Läsionen durch die kolposkopisch gesteuerte Biopsie und die nachfolgenden Reparaturvorgänge vollständig beseitigt werden könnten und so eine spontane Regression nur vorgetäuscht wird. Nach den eigenen Erfahrungen liegt die Spontanregressionsrate sehr viel niedriger als die von Yost et al. (1999) berichteten 68–70 %. Dennoch sind diese Beobachtungen Grund genug, um den gesamten diagnostischen Prozess einschließlich einer kolposkopisch gesteuerten Biopsie postpartal zu wiederholen und die Dysplasie erneut histologisch zu sichern, bevor die operative Behandlung erfolgt.
11.2
Kolposkopie nach vorausgegangener Operation
Das Aussehen der Zervix wird durch die operative Behandlung einer Dysplasie wesentlich verändert. Gleichzeitig spielt die kolposkopische Beurteilung eine wichtige Rolle bei der Diagnose einer Persistenz oder eines Rezidivs einer intraepithelialen Neoplasie. > Es wäre wünschenswert, dass derjenige/diejenige, der/die die Dysplasiebehandlung vorgenommen hat, die Patientin postoperativ noch mindestens einmal sieht.
159 11.2 Kolposkopie nach vorausgegangener Operation
So kann man die eigene Technik sowohl hinsichtlich des Erfolgs der Dysplasiebehandlung als auch bezüglich der funktionellen Erhaltung der Zervix regelmäßig überprüfen. Oberstes Ziel ist die vollständige Entfernung der dysplastischen Läsion. Bei allen gebärfähigen Frauen ist es aber ebenso wichtig, dass die Portio wieder adäquat formiert ist und nicht zu viel Gewebe entfernt wurde. Die erste kolposkopische Untersuchung nach Dysplasiebehandlung erfolgt am besten erst nach zehn bis zwölf Wochen. Zu diesem Zeitpunkt kann man davon ausgehen, dass die Zervix vollständig abgeheilt und kolposkopisch optimal zu beurteilen ist. Außerdem sind keine reparativen Zellveränderungen mehr zu erwarten, die die zytologische Beurteilung erschweren können. Unmittelbar nach der Operation ist weder eine zytologische noch eine kolposkopische Diagnose möglich (. Abb. 11.25). Bei der kolposkopischen Untersuchung nach operativer Dysplasiebehandlung der Zervix sollte man sich die folgenden Fragen stellen: 4 Wie gut ist die Zervix formiert und erhalten? 4 Ist die Transformationszone vollständig einsehbar? 4 Ist der Eingang zum Zervikalkanal stenosiert? 4 Gibt es Hinweise für eine Persistenz der Dysplasie? 4 Gibt es Hinweise für eine vaginale intraepitheliale Neoplasie?
. Abb. 11.25 Zervix 7 Tage nach LEEP. Bei der 25-jährigen Patientin wurde ein Mikrokarzinom der Zervix entfernt. Die Wunde bleibt offen, da Nähte vermieden werden sollen. Eine kolposkopische oder zytologische Beurteilung zu diesem frühen Zeitpunkt ist nicht möglich und nicht sinnvoll
War die während der Operation durchgeführte endozervikale Kürettage positiv, sollte die ECC bei der Nachuntersuchung wiederholt werden. Alle kolposkopisch einsehbaren dysplasieverdächtigen Areale müssen dagegen gezielt biopsiert werden.
11.2.1
Erhaltungszustand der Zervix
Bei Frauen im gebärfähigen Alter sollte die Zervix über das Niveau der Vagina hinausragen und wie eine normale Portio formiert sein. . Abb. 11.26 zeigt ein gutes Ergebnis nach Messerkonisation, während in . Abb. 11.27 und 11.28 kaum Portiogewebe sichtbar ist. Die Öffnung des Zervikalkanals liegt im Scheidenniveau.
. Abb. 11.26 Gutes Ergebnis nach Messerkonisation der Portio. Bei der 39-jährigen Patientin wurde 8 Wochen zuvor wegen einer CIN3 operiert
11
160
Kapitel 11 Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
11.2.2
Lokalisation der Plattenepithel-ZylinderepithelGrenze postoperativ
Idealerweise sollte die Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze immer noch vollständig einsehbar sein (. Abb. 11.29, 11.30) oder zumindest durch Spreizen der Zervix sichtbar gemacht werden können (. Abb. 11.31). Dies ist nicht immer der Fall und steht nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit der Operationstechnik. Martin-Hirsch et al. (2000) konnten in einer Cochrane-Metaanalyse keine überlegene operative Behandlungsmethode identifizieren. Dies gilt auch hinsichtlich der Häufigkeit einer Zervixstenose. Lediglich bei der Laservaporisation bestand eine Tendenz zu einer sichtbaren Transformationszone und seltenerer Stenosierung. . Abb. 11.27 Flächige Portio nach LEEP. Die Operation liegt bei der jetzt 26-jährigen Patientin 3 Jahre zurück. Offenbar wurde die Ektozervix weitgehend entfernt
11
a
b
. Abb. 11.28 Zervixstenose nach drei LEEP-Resektionen bei einer 36-jährigen Patientin Essigsäureprobe (a), Schiller’sche Jodprobe (b), Spekulum nach Kogan (c). Auch mit
c dem Spekulum nach Kogan (c) lässt sich der Zervikalkanaleingang nicht ausreichend darstellen
161 11.2 Kolposkopie nach vorausgegangener Operation
a
b
. Abb. 11.29 Sichtbare Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze (T1) 6 Monate nach LEEP (Essigsäureprobe (a) und Schiller’sche Jobprobe (b))
. Abb. 11.30 Neue Transformationszone 3 Monate nach Konisation. Die Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze ist einsehbar. Es besteht ein deutlicher Volumendefekt
11.2.3
Stenose des Zervikalkanals
Eine Verengung des Zervikalkanals kann eine unerwünschte Operationsfolge sein. > Eine Stenose liegt dann vor, wenn die zytologische Abstrichbürste den Zervikalkanal nicht mehr passieren kann.
Retrospektive Daten zeigen eine hohe Stenosierungsrate nach Konisation (Hasegawa et al.
2016), vor allem bei postmenopausalen Patientinnen. Hier traten bei 59,1 % Stenosen auf im Vergleich zu 8,3 % bei prämenopausalen Patientinnen. Allerdings war der Konus bei postmenopausalen Patientinnen auch größer und länger. Nach einer Literaturübersicht von Christianson et al. (2008) traten Stenosen nach Laserkonisation bei 17 % der Patientinnen auf, nach LEEPResektion bei 4–19 % und nach Messerkonisation bei 10 % oder mehr. Wurde der Pap-Abstrich nur von ektozervikal entnommen, muss dies dem zytologischen Labor mitgeteilt werden, denn das Abstrichergebnis ist dann nur beschränkt aussagekräftig. Eine Stenose, die so ausgeprägt ist, dass sich das Menstrualblut staut und zu einer Dysmenorrhoe führt, kommt selten vor. Ist ein intrazervikaler Bürstenabstrich wegen einer Stenose nicht möglich, kann man die Untersuchung nach einigen Wochen wiederholen. Am besten wählt man hierzu einen anderen Zeitpunkt während der Periode. Idealerweise wird die Untersuchung kurz vor oder kurz nach der Periodenblutung durchgeführt. Ist der Zervikalkanal noch immer verschlossen, kann man mit der kleinen Hochfrequenzschlinge ein zylinderförmiges Gewebestück zentral entnehmen. Bei entsprechender apparativer Ausstattung lässt sich dieser Eingriff unter lokaler Betäubung im Rahmen der Dysplasiesprechstunde ausführen. Meist reicht eine oberflächliche Resektion
11
162
Kapitel 11 Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
a
b
. Abb. 11.31 11 Monate nach LEEP-Abtragung einer CIN3 (a). Mit dem Kogan-Spekulum (b) kann die PlattenepithelZylinderepithel-Grenze visualisiert werden (T2)
11
aus, um den Zervikalkanal wieder zu eröffnen und einen intrazervikalen Abstrich entnehmen bzw. gegebenenfalls eine endozervikale Kürettage durchführen zu können. Allerdings muss die Patientin darüber aufklärt werden, dass sich die Stenose neu ausbilden kann (. Abb. 11.32). Misoprostol, ein Prostaglandin-E1-Analogon, kann intravaginal oder per os zur Zervixreifung gegeben werden. Nach einer Metaanalyse von Pergialiotis et al. (2015) konnte hierdurch die Rate kolposkopischer Untersuchungen mit Visualisierung der Transformationszone erhöht werden. Die Erfolgsrate von Misoprostol lag zwischen 55,5 und 78,9 %. Allerdings sind die absoluten Zahlen zu niedrig, um definitive Schlussfolgerungen zuzulassen. > Kann die weitere Überwachung der Zervix bei Patientinnen mit einem Risikoprofil (postmenopausal, HSIL-Anamnese, HPV16/18-Positivität) nicht gewährleistet werden, kann eine diagnostische/therapeutische LEEP-Resektion und in Einzelfällen eine Hysterektomie indiziert sein.
Letztlich gibt es kein standardisiertes Vorgehen im Falle einer Zervixstenose nach operativer Dysplasiebehandlung, und die bestehenden Behandlungsempfehlungen sind unbefriedigend, da keine evidenzbasierten Algorithmen existieren (Maier et al. 2017).
. Abb. 11.32 Persistierende Zervixstenose. Bei der 39jährigen Patientin wurde 6 Jahre zuvor eine Konisation durchgeführt. Eine intrazervikale Abstrichentnahme ist nicht möglich. Der Zervikalkanal war mit einer kleinen LEEPSchlinge eröffnet worden, war jedoch 7 Monate später wieder stenosiert
163 11.2 Kolposkopie nach vorausgegangener Operation
11.2.4
Diagnose von Persistenz bzw. Rezidiv der Zervixdysplasie
Die Rezidivrate nach Behandlung einer Zervixdysplasie liegt zwischen 5 und 7 % (Arbyn et al. 2017, Santesso et al. 2016). > Ist die kolposkopische Nachuntersuchung nach Dysplasiebehandlung unauffällig, und das zytologische Ergebnis ergibt einen erneuten Dysplasieverdacht, so ist dies für die Patientin, aber auch ärztlicherseits, eine be-
a
b
. Abb. 11.33 Metaplastischer Umbau 7 Monate nach LEEP vor Essigsäureprobe (a), nach Essigsäureprobe (b), Schiller’sche Jodprobe (c). Nach Essigprobe (b) kommt es zu einer groben essigweißen Färbung mit Punktierung und
a
b
. Abb. 11.34 Neue Transformationszone nach LEEP bei CIN3 vor Essigsäureprobe (a), nach Essigsäureprobe (b), Schiller’sche Jodprobe (c). Das kolposkopische Bild mit
sorgniserregende und unbefriedigende Situation. Bei guter Compliance von Seiten der Patientin darf dies jedoch nicht zu vorschnellen operativen Maßnahmen führen.
Handelt es sich lediglich um den Verdacht auf eine leichte Dysplasie (Pap IIID1/LSIL), so reicht eine erneute kolposkopische Kontrolle nach sechs Monaten aus. Wird eine höhergradige Dysplasie vermutet (Pap IIID2/HSIL oder Pap IVa-p), so sollte die Kolposkopie nach drei
c Mosaik. Das kolposkopische Bild ist nicht von einem Rezidiv zu unterscheiden. In diesem Fall ergab die Biopsie keine Dysplasie
c grob essigweißer Färbung und Mosaikbildung, vor allem bei 12 Uhr („major change“), legt ein Rezidiv bzw. eine Persistenz der Dysplasie nahe. Die Biopsie war jedoch negativ
11
164
Kapitel 11 Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
a
b
c
. Abb. 11.35 33-jährige Patientin in der 22. SSW vor Essigsäureprobe (a), nach Essigsäureprobe (b), Schiller’sche Jodprobe (c). In der 14. SSW war eine LEEP bei ACIS durchgeführt worden. Die intensiv essigweißen Epithelver-
änderungen entsprechen einem „major change“. Die Gewebeentnahme zeigte jedoch weder eine glanduläre noch eine plattenepitheliale Dysplasie und der HPV-Test (HC2) war negativ
11
a
b
. Abb. 11.36 HSIL-Rezidiv 6 Monate nach Konisation. Bei der 31-jährigen Patientin erfolgte 6 Monate zuvor eine Konisation bei CIN3. Bei 12 Uhr sieht man ein teilweise in-
a
b
. Abb. 11.37 CIN3-Rezidiv 7 Monate nach LEEP. Bei der 38-jährigen Patientin besteht ein deutlicher Gewebedefekt. Vor allem im Bereich der ventralen Muttermundlippe er-
trazervikal gelegenes, feines, zart essigweißes Mosaik (a), welches jodnegativ ist (b). Die Gewebeentnahme mit der Stiefel® -Kürette ergab eine mäßige Dysplasie
c kennt man bereits vor Essigsäureprobe (a) eine Leukoplakie, die nach Essigsäureanwendung (b) ebenso deutlich sichtbar ist. Das jodnegative Epithel hat einen unscharfen Rand (c)
165 11.3 Kolposkopie strahlenbedingter Veränderungen
Monaten wiederholt und Gewebeproben gewonnen werden. Die kolposkopischen Beurteilungskriterien nach Dysplasiebehandlung sind ansonsten dieselben wie vor der Operation: Man achtet auf essigweiße und/oder jodnegative Bezirke, insbesondere wenn diese zervikalkanalnah gelegen sind. > Manchmal sieht man auch durch die postoperative Regeneration bedingte essigweiße und jodnegative Bezirke, welche eine Punktierung oder ein Mosaik aufweisen können, wie es für dysplastische Veränderungen typisch ist.
Solche Bilder (. Abb. 11.33, 11.34, 11.35) sind kolposkopisch nicht von tatsächlichen Rezidiven (. Abb. 11.36, 11.37) zu unterscheiden. Klarheit bringen nur eine oder mehrere gezielte Gewebeentnahmen. Falls die im Rahmen der Dysplasiebehandlung durchgeführte endozervikale Kürettage positiv war, sollte im Rahmen der ersten kolposkopischen Nachuntersuchung die Ausschabung der Zervix zusätzlich zu einem intrazervikalen Bürstenabstrich wiederholt werden. Dies gilt insbesondere, wenn der Übergang zum Drüsenepithel nicht vollständig einsehbar ist. Eine vaginale intraepitheliale Dysplasie sollte in Betracht gezogen werden, wenn eine diagnostische und nicht ausschließlich eine therapeutische Indikation zur Operation bestand
a . Abb. 11.38 Gefäßveränderungen der Vagina nach Bestrahlung. 13 Jahre zuvor war ein Zervixkarzinom durch radikale Hysterektomie entfernt worden mit anschließender Beckenbestrahlung. Vor Essigsäureprobe (a) sind bereits die
(z. B. bei Pap IVa-p ohne kolposkopisches/bioptisches Korrelat) und in den Zervixresektaten bzw. im endozervikalen Kürettagematerial keine Dysplasie nachgewiesen wurde. In diesem Fall sollte die Vagina besonders sorgfältig kolposkopisch inspiziert werden. Besonderes Augenmerk gilt dem oberen Scheidenpol. Eventuell vorhandene jodnegative Epithelareale sollten biopsiert werden, denn hinter einem solchen diskreten Befund können sich höhergradige Läsionen verbergen (7 Kap. 12). Auf die Rolle eines HPV-Tests im Rahmen der Überwachung nach Dysplasiebehandlung wurde bereits eingegangen (7 Abschn. 7.2.2). Ob eine dysplastische Läsion laut histopathologischem Befund vollständig im Gesunden entfernt wurde, hat hierbei nur eine untergeordnete Bedeutung.
11.3
Kolposkopie strahlenbedingter Veränderungen
Nach Bestrahlung von Zervix und Vagina stellt die Unterscheidung zwischen einem Tumorrezidiv und strahlenbedingten Veränderungen eine besondere Herausforderung an die Kolposkopie dar. Anlass für die Abklärungskolposkopie sind meist Pap-Abstriche, die während der Nachsorge entnommen wurden. Bei ausgeprägten Strahlenveränderungen ist eine zytologische Dignitätsbeurteilung nicht möglich.
b typischen Teleangiektasien sichtbar mit Unterblutungen der Schleimhaut, nachdem das Epithel mit einem Essigtupfer berührt wurde (b)
11
166
Kapitel 11 Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
. Abb. 11.39 Plattenepithelkarzinom der Zervix im FIGOStadium IIB. Am Scheidenende hat sich unter dem Einfluss der primären Radiochemotherapie eine große Nekrosehöhle gebildet, weil das Tumorgewebe zugrunde geht
. Abb. 11.40 Plattenepithelkarzinom des Collum uteri im FIGO-Stadium IIB. 6 Monate nach Abschluss der erfolgreich verlaufenen Radiochemotherapie ist die atrophische Schleimhaut am oberen Vaginalpol verklebt mit einem nekrotisch belegten Strahlenulkus. Der HPV-Test (HC2), der anfänglich für Hochrisiko-HPV positiv war, ist negativ geworden
11 Nach einer Bestrahlung im Bereich des Beckens – auch wenn nur eine Brachytherapie der Vagina durchgeführt wurde – verändert sich das Plattenepithel dauerhaft und die kolposkopischen Beurteilungskriterien sind nicht mehr in gleicher Weise anwendbar. Meist fällt sowohl die Essigsäureprobe als auch die Schiller’sche Jodprobe negativ aus. Im Vordergrund stehen Atrophie und Gefäßveränderungen (. Abb. 11.38). Darüber hinaus können strahlenbedingte Gewebedefekte bzw. Ulzerationen auftreten (. Abb. 11.39, 11.40). Bei der klinischen Beurteilung ist der Kontext (Anamnese, Beschwerdebild) von entscheidender Bedeutung. Manchmal hilft eine kurzfristige Verlaufskontrolle des kolposkopischen Befunds nach vier bis sechs Wochen, um strahlenbedingte Veränderungen von Rezidiven abzugrenzen. > Im Zweifelsfall sollte immer biopsiert werden. Aufgrund der meist ausgeprägten Atrophie der Vagina ist besondere Vorsicht geboten, um keine Fistel zu Harnblase oder Rektum zu provozieren.
11.4
Kolposkopie bei Immunsuppression
Patientinnen mit eingeschränkter immunologischer Abwehr bedingt durch eine HIV-Infektion, nach Organtransplantation oder aufgrund anderer Indikationen für eine immunsuppressive medikamentöse Behandlung sind anfälliger für HPV-bedingte Erkrankungen. Daher gelten für diese Patientinnengruppe spezielle Empfehlungen, was die kolposkopische Überwachung betrifft.
11.4.1
Wechselbeziehung zwischen HIV und HPV
Aufgrund der Schwächung der lymphozytären Abwehrfunktion werden bei HIV-Seropositivität häufig genitale Candidainfektionen und aszendierende bakterielle Infektionen des unteren Genitaltrakts beobachtet. Darüber hinaus haben HIV-infizierte Frauen aufgrund ihres geschwächten Abwehrsystems ein erhöhtes Risi-
167 11.4 Kolposkopie bei Immunsuppression
ko für virale Infektionen wie Herpes simplex, Zytomegalieviren (CMV) oder HP-Viren. Einerseits sind die durch HPV6 und HPV11 bedingten Condylomata acuminata häufiger als in der Normalbevölkerung. Andererseits führen HPVHigh-Risk-Typen eher zu persistierenden Infektionen und lösen eine intraepitheliale Neoplasie aus. Geht man bei jungen Frauen von einer Prävalenz der HPV-Infektion von 20–50 %, aus, so wird im zervikovaginalen Abstrichmaterial bei HIV-seropositiven Frauen häufiger HPV-DNS nachgewiesen als bei HIV-seronegativen Frauen (Palefsky et al. 1999). Hinzu kommt das besagte Risiko für eine persistierende HPV-Infektion.
multizentrischen Befall von Zervix, Scheide, Vulva und Anus mit präinvasiven neoplastischen Veränderungen gerichtet werden. Eine gründliche kolposkopische Untersuchung des gesamten unteren Genitaltrakts bei HPV-positiven HIVinfizierten Frauen ist deshalb unerlässlich. Das relative Risiko, an einem Vulva- oder Vaginalkarzinom zu erkranken, ist für HIV-positive Frauen um das Sechsfache höher als für gesunde Frauen (Frisch et al. 2000). Auch die Rate an intraepithelialen Neoplasien des Anus sowie Analkarzinomen ist deutlich erhöht (Palefsky et al. 2001).
11.4.2 > HIV-seropositive Frauen entwickeln fünfmal häufiger HPV-assoziierte Veränderungen wie Condylomata acuminata oder intraepitheliale Neoplasien (Mandelblatt et al. 1992, Williams et al. 1994, Vermund et al. 1991).
Aufgrund der Untersuchungen von Petry in den 1990er-Jahren (Petry et al. 1994, Petry et al. 1996) wird die zervikale Dysplasie als AIDSdefinierende Erkrankung anerkannt. Ein Teil der dafür verantwortlichen immunologischen Mechanismen, die vor allem den HPV16-Subtyp betreffen, wurde inzwischen identifiziert (Mbuya et al. 2021). Umgekehrt erhöht die HPVInfektion die Anfälligkeit für eine HIV-Infektion (Mbuya et al. 2020). Eine medikamentöse Therapie der HIV-Infektion (HAART = „highly active antiretroviral therapy“) verringert offenbar nicht die Inzidenz der zervikalen intraepithelialen Neoplasie (Reusser et al. 2015). Die Datenlage in Bezug auf Inzidenz und Prävalenz von vulvären, vaginalen und analen intraepithelialen Neoplasien bei HIV-infizierten Frauen ist weniger eindeutig. Die Rate an Kondylomen sowie vulvären und analen intraepithelialen Neoplasien ist um das Vierfache erhöht (Chiasson et al. 1997) bei einer Prävalenz zwischen 6 und 37 % (Spitzer 1999). Hierbei muss besondere Aufmerksamkeit auf einen möglichen
Dysplasiebehandlung bei Immunsuppression
Solange die immunsuppressive Behandlung durchgeführt wird, die nach Organtransplantation lebenslang notwendig ist, sind Untersuchungen mit Zytologie, HPV-Test (bei über 30jährigen Frauen) sowie die Kolposkopie des gesamten unteren Genitales in einem Intervall von zwölf Monaten sinnvoll. Dies gilt insbesondere für HIV-infizierte Patientinnen. > Reimers et al. (2010) kommen aufgrund ihrer Daten zu dem Schluss, dass eine CIN bei einer HIV-infizierten Patientin letztlich nicht geheilt werden kann. Die betroffenen Frauen müssen darüber aufgeklärt werden, dass eine vollständige und dauerhafte Beseitigung der CIN mit großer Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein wird (. Abb. 11.41).
Die Wirkung einer HPV-Impfung insbesondere bei HIV-Infektion ist umstritten. Lacey (2019) vermutet, dass die Impfung unter Umständen keinen Effekt hat oder zumindest weniger effektiv ist. Nach Ansicht von Garland et al. (2017) sollte dennoch eine HPV-Impfung versucht werden, da eine Immunantwort nachgewiesen werden kann, wenn auch die resultierenden Antikörpertiter niedriger sind als bei immunkompetenten Patientinnen.
11
Kapitel 11 Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
168
. Abb. 11.41 Ausgeprägte HSIL der Vulva bei einer 38jährigen HIV-positiven Patientin. Die HIV-Infektion ist seit 12 Jahren bekannt und medikamentös eingestellt. Wiederholt sind HPV-assoziierte Neoplasien im Bereich von Zervix, Va-
11.5
gina und insbesondere Vulva aufgetreten. Mehrfach wurden oberflächlich infiltrierende invasive Plattenepithelkarzinomanteile von der Vulva entfernt
Fragen zur Selbstkontrolle – Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
11 Ja
Nein
1 Bedingt durch die physiologische Immunsuppression während der Schwangerschaft hat eine CIN2+-Läsion eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, sich zu einem Karzinom weiterzuentwickeln.
2 Die Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze ist während der Schwangerschaft häufig schlechter sichtbar als außerhalb der Schwangerschaft.
3 Während der Schwangerschaft ist die essigweiße Reaktion verstärkt.
4 Dezidualpolypen während der Schwangerschaft müssen grundsätzlich biopsiert werden, da sie nicht selten mit einem Zervixkarzinom assoziiert sind. 5 Eine deziduale Umwandlung ist auch außerhalb der Schwangerschaft möglich und kann dann eben- falls mit einer höhergradigen Dysplasie verwechselt werden 6 Während die Biopsie in der Schwangerschaft unbedenklich ist, sollte auf eine intrazervikale Kürettage vorsorglich verzichtet werden, um die Fruchtblase nicht zu gefährden.
7 Eine Indikation zur Konisation während der Schwangerschaft besteht selten und in der Regel nur im Zusammenhang mit einer vermuteten oder nachgewiesenen Invasion.
8 Falls eine Konisation während der Schwangerschaft indiziert ist, so sollte diese mit dem Messer durchgeführt werden, da eine LEEP kontraindiziert ist. 9 Auch eine während der Schwangerschaft histologisch verifizierte CIN3 kann sich nach der Entbindung spontan zurückbilden. 10 Eine spontane Zurückbildung einer CIN3 nach Geburt ist nur bei vaginaler Entbindung und nicht bei Sectio caesarea möglich.
11
169 Literatur
Ja
Nein
11 Die erste Untersuchung nach operativer Dysplasiebehandlung darf nicht zu früh erfolgen, da an der sekundär verheilenden Wunde keine kolposkopische Dysplasiediagnose möglich ist. 12 Laut einer Metaanalyse tritt nach Messerkonisation bei bis zu 82 % der Patientinnen eine Zervixstenose auf, nach LEEP dagegen bei nur 13 %.
13 Nach Dysplasieoperationen tritt bei prämenopausalen Patientinnen häufiger eine Zervixstenose auf als bei prämenopausalen Patientinnen.
14 Kann die weitere Überwachung der Zervix bei Patientinnen mit einem entsprechenden Risikoprofil nicht gewährleistet werden, kann eine diagnostische/therapeutische LEEP-Resektion und in Einzelfällen eine Hysterektomie indiziert sein. 15 Nach einer Bestrahlung des Beckens ist eine kolposkopische Unterscheidung zwischen einem Tumorrezidiv und strahlenbedingten Veränderungen im Bereich von Zervix und Vagina häufig nicht möglich. 16 Nach einer Beckenbestrahlung verändert sich das Epithel dauerhaft und sowohl Essigsäureprobe als auch Schiller’sche Jodprobe fallen häufig negativ aus. 17 HIV-seropositive Frauen entwickeln 5-mal häufiger HPV-assoziierte Veränderungen.
18 Eine medikamentöse Therapie der HIV-Infektion verringert das Risiko für eine zervikale intraepitheliale Neoplasie deutlich. 19 Solange eine immunsuppressive Behandlung durchgeführt wird, zum Beispiel nach Organtransplantation, sind Untersuchungen mit Zytologie, HPV-Test ( 30 Jahre) sowie die Kolposkopie des gesamten unteren Genitales in einem Intervall von 12 Monaten sinnvoll.
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170
11
Kapitel 11 Spezielle kolposkopische Untersuchungssituationen
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171
Kolposkopie der Vagina Inhaltsverzeichnis 12.1
Condylomata acuminata – 173
12.2
Adenome – 174
12.3
Vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN) – 175
12.3.1 12.3.2 12.3.3 12.3.4 12.3.5 12.3.6
Pathogenese der VAIN – 175 VAIN bei noch vorhandener Zervix – 176 VAIN nach Hysterektomie – 177 VAIN bei immunsupprimierten Patientinnen – 177 Kolposkopisches Bild der VAIN – 178 Therapieoptionen bei VAIN – 181
12.4
Vaginalkarzinom – 184
12.5
Vaginale Metastasen – 184
12.6
Fragen zur Selbstkontrolle – Kolposkopie der Vagina – 185 Literatur – 186
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_12
12
172
Kapitel 12 Kolposkopie der Vagina
Die Kolposkopie der Vagina ist besonders wichtig zur Diagnose der vaginalen intraepithelialen Neoplasie (VAIN), welche in Analogie zur CIN als Vorstufe eines Vaginalkarzinoms angesehen wird.
tio herum vollständig entfaltet werden. Das gilt ebenfalls für Faltenbildungen am oberen Scheidenpol nach Uterusentfernung. > Entscheidend für die Beurteilung der Vagina
i Fragen zur Wissensüberprüfung per SN Flashcards App Mit der kostenlosen Flashcard-App „SN Flashcards“ können Sie Ihr Wissen anhand von Fragen überprüfen und Themen vertiefen. Für die Nutzung folgen Sie bitte den folgenden Anweisungen: 1. Gehen Sie auf 7 https://flashcards. springernature.com/login 2. Erstellen Sie ein Benutzerkonto, indem Sie Ihre Mailadresse angeben und ein Passwort vergeben. 3. Verwenden Sie den folgenden Link, um Zugang zu Ihrem SN Flashcards Set zu erhalten: 7 www.sn.pub/A0DTec Sollte der Link fehlen oder nicht funktionieren, senden Sie uns bitte eine E-Mail mit dem Betreff „SN Flashcards“ und dem Buchtitel an [email protected].
12
Im Vergleich zur Kolposkopie der Vulva und der Zervix ist die Inspektion der Vagina schwieriger und für die Patientin unangenehmer. Ohne Spekulum kann man lediglich die Schleimhaut bis zum Hymenalsaum sowie die Urethralöffnung einsehen. Wenn das CuscoSpekulum schließlich eingesetzt und die Portio dargestellt ist, ist nur ein Ausschnitt der proximalen seitlichen Vaginalwände sichtbar. Um die Vagina adäquat beurteilen zu können, muss die Arretierung des Spekulums aufgehoben und das Spekulum partiell zurückgezogen und rotiert werden. Während eine Hand zur Manipulation des Spekulums benötigt wird, wird mit der anderen Hand das Kolposkop nachjustiert und neu fokussiert. Das Spekulum muss bei der Untersuchung sehr vorsichtig bewegt werden, um unnötige Schmerzen zu vermeiden. Grundsätzlich wird die gesamte Vagina inspiziert. Besonders wichtig ist aber das proximale Drittel, da hier am häufigsten vaginale intraepitheliale Neoplasien auftreten, entweder in Verbindung mit einer CIN oder nach vorausgegangener Hysterektomie. Ist noch eine Portio vorhanden, muss die Scheidenhaut um die Por-
ist die Durchführung der Schiller’schen Jodprobe, da sich eine vaginale intraepitheliale Neoplasie meist nur als jodnegatives Gewebeareal manifestiert und die Essigsäureprobe häufig negativ ist.
Die Vagina wird wie die Zervix mit der Essigsäurelösung betupft. Auffällige Stellen werden mit einer Tischlerzange oder einem ähnlichen Instrument biopsiert. Nur wenige Frauen empfinden die vaginale Gewebeentnahme als schmerzhaft. Eine Blutstillung ist meist nicht erforderlich. Die Biopsie sollte die gesamte Epitheldicke erfassen. Bei Atrophie der Schleimhaut und/ oder vorausgegangener Strahlenbehandlung darf nicht zu tief biopsiert werden, um keine Fistel zu Harnblase oder Darm zu provozieren. Andererseits darf das Gewebe nicht zu oberflächlich entnommen werden. Nur wenn Stroma miterfasst wird, kann eine Invasion nachgewiesen oder ausgeschlossen werden. Falls sich nach Hysterektomie eine Hauttasche am proximalen Vaginalpol gebildet hat, die nicht vollständig einsehbar ist, kann jedoch ein Bürstenabstrich entnommen werden. Mit einer schmalen Kürette, am besten einer Stiefel® Kürette, kann man aus dem nicht sichtbaren Bereich Gewebe zur histologischen Untersuchung gewinnen. Vaginaltumoren kommen selten vor und sind überwiegend gutartig. Sie sind aufgrund fehlender klinischer Beschwerden meist ein Zufallsbefund. Manchmal sieht man Gartner-Gangzysten (. Abb. 12.1). Dies sind zystisch umgewandelte Reste des Gartner- bzw. Wolff’schen Gangs. Spezielle Indikationen zur Kolposkopie der Vagina sind: 4 makroskopisch auffälliger Vaginalbefund (Adenose), 4 auffälliger Abstrich bei unauffälligem kolposkopischem Befund der Zervix, 4 auffälliger Abstrich nach Behandlung einer CIN bei unauffälligem kolposkopischem Befund der Zervix, 4 auffälliger Vaginalabstrich nach Hysterektomie wegen CIN oder Karzinom,
173 12.1 Condylomata acuminata
karzinomscreening nicht mehr erstattungsfähig, auch nicht, wenn die Hysterektomie wegen einer Zervixdysplasie erfolgte. Nach Hysterektomie wegen oder nach einer CIN-Behandlung sieht die S3-Leitlinie „Prävention des Zervixkarzinoms“ allerdings noch eine Indikation zum Screening1 . > Grundsätzlich gilt: Zur Abklärungskolposkopie einer zervikalen Dysplasie gehört immer die Beurteilung der Scheide!
12.1
. Abb. 12.1 Gartner-Gangzyste der Vagina
4 auffälliger Vorsorgeabstrich bzw. CIN bei immunsupprimierten Patientinnen (Ausschluss einer multifokalen intraepithelialen Neoplasie).
Condylomata acuminata werden zwar in der Vagina nachgewiesen, jedoch sind Vulva, Anus und Cervix uteri die hauptsächlichen Lokalisationen. Patientinnen mit Condylomata acuminata der Vagina haben selten Beschwerden. Oft wird die Diagnose im Zusammenhang mit der Abklärung HPV-assoziierter Veränderungen der Zervix und Vulva gestellt (. Abb. 12.2, 12.3). > Ein besonderes Risiko der Entstehung multizentrischer Befunde nach HPV-Infektion haben immunsupprimierte Patientinnen, insbesondere bei HIV-Infektion (7 Abschn. 11.4).
Allerdings ist ein zytologischer Abstrich aus der Vagina nach Hysterektomie nach den seit 2020 geltenden deutschen Richtlinien zum Zervix-
a
Condylomata acuminata
b
. Abb. 12.2 Condylomata acuminata von Vulva (a) und Vagina (b). Bei der 16-jährigen Patientin war 8 Jahre zuvor eine Nierentransplantation durchgeführt worden 1
7 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015027OLl_Praevention_Zervixkarzinom_2020-03verlaengert.pdf.
12
174
Kapitel 12 Kolposkopie der Vagina
a
b
. Abb. 12.3 Ausgedehnte Condylomata acuminata der Scheide (a) und periurethral (b) in der 34. SSW
12.2
12
Adenome
Adenome der Vagina werden weitaus seltener als plattenepitheliale Befunde nachgewiesen. Sie entstammen embryologisch dem Gewebe des mesonephrischen und des paramesonephrischen Systems. Adenome des paramesonephrischen Systems werden als Adenosis vaginae bezeichnet (. Abb. 12.4). Sie leiten sich vom MüllerEpithel ab und zeigen bei der histologischen Betrachtung eine große Ähnlichkeit mit zervikalen Drüsen. Die Pathogenese der Adenosis vaginae ist bis heute nicht bekannt. Diskutiert werden verschiedene Ursachen, darunter mechanische und chronisch entzündliche Reizzustände. In den USA wurde die Adenosis vaginae gehäuft bei Patientinnen beobachtet, deren Mütter im ersten Trimenon der Schwangerschaft mit Stilbenderivaten wie Diethylstilbestrol (DES) behandelt worden waren. Diese Behandlung war in den 1940er-Jahren bei drohendem oder habituellem Abort in den USA weit verbreitet, in Europa dagegen nicht üblich. Daher wurde in Deutschland kein gehäuftes Auftreten beobachtet. Eine Adenosis vaginae kann allerdings auch unabhängig von einer DES-Substitution auftreten. Das führende Symptom der Adenosis vaginae ist der vermehrte Fluor vaginalis. Einige Patientinnen klagen über Dyspareunie und Fremdkörpergefühl. Bei der kolposkopischen Untersuchung imponieren isolierte kleine zystische Strukturen oder rötliche fleckförmige Verände-
. Abb. 12.4 Adenosis vaginae. Hierbei handelt es sich um Adenome des paramesonephrischen Systems
rungen. Die endophytisch wachsende Form der Adenosis vaginae wird eher zufällig diagnostiziert. Zur Bestätigung der Diagnose sind gezielte Biopsien aus der Vagina unter kolposkopischer Sicht unerlässlich. Durch die histologische Untersuchung wird der Befund bestätigt und eine Malignität ausgeschlossen. Auch wenn es sich bei der Adenosis vaginae nicht um eine prämaligne Veränderung handelt, sollte einmal jährlich
175 12.3 Vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN)
eine zytologische und kolposkopische Kontrolluntersuchung erfolgen. Bei Beschwerdefreiheit und fehlenden Malignitätskriterien kann ohne Therapie abgewartet werden. Kleine isolierte Läsionen können bei Beschwerden mittels CO2 -Laser und Hochfrequenzchirurgie oder durch konventionelle chirurgische Exzision entfernt werden. Der Verdacht auf eine maligne Entartung ist insbesondere dann gegeben, wenn Kontaktblutungen oder ein blutig tingierter Fluor vaginalis auftreten. Die Behandlung großflächiger Befunde einer Adenosis vaginae muss individuell dem Beschwerdebild und den Bedürfnissen der Patientin angepasst werden. Selten ist eine partielle oder eine totale Kolpektomie indiziert.
12.3
Vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN)
Unter den kolposkopisch fassbaren Befunden der Vagina hat die vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN) die größte klinische Bedeutung.
12.3.1
Pathogenese der VAIN
Analog zur zervikalen intraepithelialen Neoplasie der Zervix (CIN) wird der Befall des Plattenepithels der Vagina als „vaginale intraepitheliale Neoplasie“ (VAIN) bezeichnet (. Abb. 12.5). Wie aufgrund der fast identischen Pathomorphologie zu erwarten, handelt es sich auch bei der VAIN um eine HPV-assoziierte Erkrankung. Das Verteilungsmuster der verschiedenen HPVTypen weist eine große Ähnlichkeit mit jenem Muster auf, welches bei einer CIN gefunden wird. Srodon et al. (2006) gehen davon aus, dass eine engere Beziehung zwischen VAIN und CIN besteht als zwischen VAIN/CIN und VIN. Eine VAIN kann außerdem im Rahmen multizentrischer HPV-assoziierter Läsionen auftreten, also im Zusammenhang mit einer zervikalen, vulvären und/oder analen Dysplasie (Hampl et al. 2007). Hampl et al. (2006) wiesen HPV16 in sieben von elf höhergradigen VAIN-Läsionen nach. Daher wird durch die HPV-Impfung vermutlich auch ein großer Teil der vaginalen Dysplasien verhindert werden.
. Abb. 12.5 Schema der vaginalen intraepithelialen Neoplasie (VAIN)
Wie bei der zervikalen Dysplasie unterscheidet man bei der VAIN drei Schweregrade: leicht (VAIN1), mäßig (VAIN2) und schwer (VAIN3). > Eine VAIN3 ist als Vorstufe des Plattenepithelkarzinoms der Vagina anzusehen, während es sich bei einer VAIN1 sowie einer VAIN2 eher um rückbildungsfähige Läsionen mit geringer Entartungstendenz handelt. Allerdings existieren keine Daten, welche diese Vermutungen verlässlich untermauern.
Diakomanolis et al. (2002) beobachteten bei 102 Patientinnen mit VAIN ein durchschnittliches Erkrankungsalter von 44,5 bzw. 47,8 Jahren bei VAIN1 bzw. VAIN2. Das Erkrankungsalter bei Patientinnen mit VAIN3 lag dagegen mit 61,8 Jahren signifikant höher. Dies lässt ebenfalls vermuten, dass sich die biologischen Eigenschaften der schweren vaginalen Dysplasie von der einer VAIN1 oder 2 unterscheiden. Woodruff (1981) ging noch davon aus, dass vaginale intraepitheliale Neoplasien sehr selten sind, sogar noch seltener als die invasiven Plattenepithelkarzinome der Vagina. Vor allem die Diagnose einer VAIN ohne eine gleichzeitig bestehende oder bereits behandelte CIN war damals sehr selten zu beobachten. Bis heute liegen keine genauen epidemiologischen Daten zur Häufigkeit der VAIN vor. Allerdings lassen sich einige allgemeine Beobachtungen machen: Durch das bis 2020 weit verbreitete zytologische Screening nach Hysterektomie dürfte die vaginale intraepitheliale
12
176
Kapitel 12 Kolposkopie der Vagina
Neoplasie häufiger diagnostiziert worden sein als früher. > Die vaginale Dysplasie tritt häufig zeitgleich mit einer zervikalen Dysplasie (CIN) auf, oder aber eine CIN wurde in der Vergangenheit durch Konisation oder Hysterektomie behandelt.
sion zu einem invasiven Karzinom nach einem Intervall von 1–24 Jahren. Eine Literaturanalyse aus dem Jahre 2006 (Stokes-Lampard et al. 2006) konnte dagegen nur eine einzige Patientin identifizieren, die nach Hysterektomie wegen einer CIN ein Vaginalkarzinom entwickelte. > Solange das Entartungspotenzial vaginaler
12
Die Abstrichentnahme bei Frauen, deren Uterus wegen einer benignen Erkrankung entfernt wurde, ist wenig sinnvoll. Fox et al. (1999) wiesen nach, dass in einem Kollektiv von hysterektomierten Frauen, die 50 Jahre oder älter waren, die Wahrscheinlichkeit eines auffälligen Vorsorgeabstrichs um den Faktor 10 geringer war als bei Frauen, die noch einen Uterus hatten. Eine HPV-assoziierte Ätiologie der VAIN liegt schon aufgrund der großen morphologischen Ähnlichkeit zur zervikalen intraepithelialen Neoplasie nahe. Unter dem Einfluss von HP-High-Risk-Viren entwickelt sich aber offenbar deutlich seltener eine vaginale intraepitheliale Neoplasie. Dies erscheint plausibel, da eine Transformationszone im Bereich der Vagina allenfalls bei Diethylstilbestrol-exponierten Frauen vorkommt, sodass man von einer De-novoEntstehung im Bereich des originären Plattenepithels ausgehen muss. Vermutlich ist daher das Zeitintervall zwischen Infektion und neoplastischer Epitheltransformation länger. Betrachtet man die VAIN im klinischen Kontext, wird deutlich, dass es sich analog zur zervikalen Dysplasie um ein Kontinuum von Erkrankungen handelt, welche letzten Endes zu einem Vaginalkarzinom führen können. Denkbar ist, dass eine VAIN3 – normale Immunkompetenz vorausgesetzt – noch deutlich seltener als eine CIN3 zu einem invasiven Karzinom führt. Zu dieser wichtigen Frage gibt es kaum Daten. Lediglich Aho et al. (1991) präsentierten eine drei Jahre umfassende Verlaufsbeobachtung von 23 Patientinnen mit VAIN. Die Hälfte dieser Frauen hatte gleichzeitig eine zervikale oder vulväre Dysplasie. In zwei Fällen (9 %) entwickelte sich innerhalb des Beobachtungszeitraums ein invasives Karzinom, in drei Fällen (13 %) persistierten die dysplastischen Veränderungen und in 18 Fällen (78 %) kam es zur Spontanregression. Rome und England (2000) beobachteten bei 8 von 100 Patientinnen mit VAIN3 eine Progres-
Dysplasien nicht bekannt ist, müssen schwere intraepitheliale Neoplasien der Vagina als unmittelbare Vorstufe des Vaginalkarzinoms angesehen werden. Die rechtzeitige Erkennung der VAIN3 durch ein zytologisches Screening, ihre Verifizierung durch die kolposkopische Untersuchung sowie die anschließende Beseitigung der Epithelveränderungen bieten somit die Chance, die Entstehung eines Vaginalkarzinoms zu verhindern.
Man kann bei Diagnose und Therapie einer VAIN grundsätzlich die folgenden vier klinischen Szenarien unterscheiden: 4 VAIN bei noch vorhandener Zervix 4 VAIN nach Hysterektomie zwecks Behandlung einer rezidivierenden CIN 4 VAIN nach Hysterektomie bei Frauen ohne bekannte Vorgeschichte einer CIN 4 VAIN bei immunsupprimierten Patientinnen
12.3.2
VAIN bei noch vorhandener Zervix
Richtet sich bei einem auffälligen Vorsorgeabstrich die Aufmerksamkeit bei der kolposkopischen Beurteilung ausschließlich auf die Zervix, besteht die Gefahr, dass eine gleichzeitig vorhandene VAIN übersehen wird. Eine VAIN kann auch ohne simultane CIN auftreten. Auch ein fachgerecht entnommener Zervixabstrich wäre bei ausschließlich vaginaler Manifestation positiv, da das Vaginalepithel des proximalen Scheidendrittels, also der häufigsten Lokalisation vaginaler Dysplasien, in unmittelbarem Kontakt mit der Portio steht. Ist die Zervix unauffällig, nachdem im Rahmen der Vorsorge ein auffälliger Pap-Abstrich gefunden wurde, besteht der Verdacht auf VAIN. Gleiches gilt, wenn eine Konisation/LEEP die zytologisch vermutete zervikale Dysplasie nicht bestätigt.
177 12.3 Vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN)
All dies unterstreicht die Bedeutung der Kolposkopie der Vagina, auch wenn eine Zervix vorhanden ist.
12.3.3
VAIN nach Hysterektomie
Die vaginale Dysplasie wird am häufigsten beobachtet, wenn der Uterus wegen einer CIN oder wegen eines Karzinoms entfernt wurde. Nach Rome und England (2000) ist dies bei 77 % aller Patientinnen mit VAIN der Fall (. Tab. 12.1). Die Uterusentfernung zur Behandlung einer rezidivierenden zervikalen Dysplasie gilt allgemein als akzeptable Therapiemaßnahme. Jedoch beobachteten Das et al. (2005), die von über 33 Hysterektomien aufgrund persistierender oder rezidivierender zervikaler Dysplasie berichten, bei vier Patientinnen eine vaginale Dysplasie. Ist ein zytologischer Abstrich nach vorausgegangener Hysterektomie aufgrund einer solchen Indikation weiterhin auffällig oder wird erneut auffällig, stellt dies für Patientin und Arzt eine besonders frustrierende Situation dar. > Um eine gleichzeitig bestehende VAIN nicht zu übersehen, muss vor einer Hysterektomie aufgrund einer rezidivierenden zervikalen Dysplasie sehr sorgfältig kolposkopiert werden. Die Hysterektomie erschwert die Erkennbarkeit einer vaginalen Dysplasie zusätzlich, da das dysplastische Epithel durch die Vaginalnähte eingefaltet wird und der kolposkopischen Inspektion nicht zugänglich ist.
Bemerkenswert ist, dass Rome und England (2000) bei 18 % der Patientinnen auch dann eine VAIN beobachteten, wenn die Hysterektomie nicht im Zusammenhang mit einer CIN, sondern wegen einer gutartigen Erkrankung wie Uterus myomatosus oder Blutungsstörungen erfolgte. Die Hysterektomie kann in diesen Fällen sehr lange zurückliegen: nach Rome und England (2000) im Mittel 15 Jahre.
12.3.4
VAIN bei immunsupprimierten Patientinnen
Bei einer Immunsuppression stellt sich die Situation völlig anders dar, gleichgültig ob diese durch Medikamente nach Organtransplantation oder eine manifeste HIV-Infektion bedingt ist. > Das Risiko multifokaler Neoplasien ist bei einer Immunsuppression grundsätzlich erhöht. Bei auffälligem Vorsorgeabstrich sollte grundsätzlich auch an eine VAIN gedacht werden, die nicht nur das oberen Vaginaldrittel, sondern auch distale Abschnitte der Vagina befallen kann.
Natürlich muss in diesen Fällen auch eine vulväre Dysplasie ausgeschlossen werden. Es ist anzunehmen, dass in Analogie zur zervikalen Dysplasie eine erhöhte Progressionstendenz leichtgradiger Veränderungen besteht und schwere Dysplasien eine größere Entartungstendenz haben.
. Tab. 12.1 Vorgeschichte bei 72 Patientinnen mit VAIN nach vorausgegangener Hysterektomie (nach Rome und England 2000) Indikation zur Hysterektomie
N
Jahre bis zur Entstehung der VAIN (Mittelwert und Range)
Gutartige Erkrankung
13 (18 %)
15,4 (1,0–38)
CIN
22 (31 %)
5,7 (0,5–14)
Karzinom
33 (46 %)
4,2 (0,5–17)
Nicht bekannt Insgesamt
4
(6 %)
72 (100 %)
22,8 (20–30) 8
(0,5–38)
12
Kapitel 12 Kolposkopie der Vagina
178
12.3.5
Kolposkopisches Bild der VAIN
Bei einer vaginalen intraepithelialen Neoplasie gleichgültig welchen Schweregrads bestehen keine Beschwerden. Meist wird die Diagnose aufgrund eines auffälligen Vaginalabstrichs nach Hysterektomie vermutet. Das kolposkopische Bild ist sehr diskret (. Abb. 12.6, 12.7). Nur selten sieht man bereits vor Auftragen der Essiglösung weißliche leicht erhabene Epithelareale. Diese können flachen Kondylomen ähneln und – wie alle klinisch signifikanten Veränderungen – bei der Jodprobe negativ bleiben (. Abb. 12.8, 12.9). Diskrete Farbunterschiede des dysplastischen Epithels zur Umgebung oder eine leicht unregelmäßige Oberfläche werden ebenfalls gesehen. Insbesondere bei älteren Patientinnen mit atrophischer Schleimhaut wird man jedoch lediglich scharf abgegrenzte jodnegative Areale vorfinden, welche sowohl nativ als auch nach Essigprobe keinerlei weitere auffällige Merkmale aufweisen. > Bei den meisten Patientinnen ist ausschließ-
12
lich das proximale Drittel der Vagina betroffen.
. Abb. 12.7 VAIN3. Bei der 57-jährigen Patientin war 3 Jahre zuvor eine Hysterektomie bei uterinem Prolaps durchgeführt worden. Anamnestisch ist keine Dysplasie bekannt. Allerdings erfolgte eine immunsuppressive Behandlung wegen eines Morbus Crohn. Das jodnegative Gewebe am oberen Vaginalpol ist die einzige kolposkopische Manifestation der vaginalen Dysplasie
handen sind, weisen sie auf eine schwere dysplastische Veränderung (VAIN3) oder auf ein Karzinom hin. > Ein diskretes kolposkopisches Bild bedeutet keineswegs, dass es sich nur um eine leichtgradige Veränderung handelt. Auch eine VAIN3 kann sich als blandes jodnegatives Areal manifestieren. Eine kolposkopische Graduierung des vermuteten Dysplasiegrads ist im Gegensatz zur Zervix also nicht möglich.
Die fleckige Verteilung der jodnegativen Areale spricht für eine multizentrische Entstehung der VAIN. Atypische Gefäßstrukturen sieht man im Bereich der Vagina selten. Wenn diese vor-
a . Abb. 12.6 VAIN3 bei einer 34-jährigen Patientin 6 Monate nach Hysterektomie wegen einer HSIL der Zervix. Nach Auftragen der Essiglösung (a) ist der Vaginalpol noch unauf-
b fällig. Entscheidend ist der Befund nach der Schiller’schen Jodprobe (b) mit einem Muster von scharf begrenzten jodnegativen Bezirken
179 12.3 Vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN)
a
b
c
. Abb. 12.8 Rezidivierende VAIN2 bei einer 49-jährigen Patientin mit multipler Sklerose; vor Essigsäureprobe (a), Essigsäureprobe (b), Schiller’sche Jodprobe (c). Die Hysterektomie war wegen einer CIN3 3 Jahre zuvor erfolgt. Zwei
a
Therapieversuche zur Behandlung der VAIN sind bereits vorausgegangen (LEEP und CO2 -Laservaporisation). Es finden sich multiple essigweiße und jodnegative Epithelbezirke im Bereich des oberen Vaginalpols
b
. Abb. 12.9 VAIN3 bei einer 52-jährigen Patientin 16 Jahre nach Hysterektomie wegen eines Uterus myomatosus. Am oberen Vaginalpol sieht man zart essigweißes Gewebe (a),
welches mit dem negativen Ausfall der Jodprobe korreliert bei scharfer Randkontur (b)
Neben blanden jodnegativen Läsionen oder leukoplakischen Veränderungen (. Abb. 12.10) sind atrophe, erythematöse oder ulzeröse Bilder möglich (. Abb. 12.11, 12.12), was durchaus kolposkopische Zeichen des Vaginalkarzinoms sein können. Ein invasiver Prozess kann in diesem Fall nur durch Biopsie ausgeschlossen werden. Primäre Vaginalkarzinome sind fast immer Plattenepithelkarzinome, während es sich bei Adenokarzinomen meist um Metastasen handelt, welche am häufigsten von einem Endometriumkarzinom ausgehen. Das Aussehen der
invasiven Vaginalkarzinome unterscheidet sich nicht von dem der Zervixkarzinome. Benigne Befunde, welche unter Umständen mit einem invasiven Prozess verwechselt werden können, sind Granulationspolypen am oberen Vaginalpol (. Abb. 12.13) oder ein Tubenprolaps nach kürzlich erfolgter Hysterektomie. Grundsätzlich gilt, dass das kolposkopische Bild vaginaler Läsionen weniger gut mit dem histologischen Befund korreliert als bei der Kolposkopie der Zervix. Daher muss großzügig biopsiert werden.
12
180
Kapitel 12 Kolposkopie der Vagina
a . Abb. 12.10 VAIN3 mit ausgeprägter Leukoplakie; Essigsäureprobe (a), Schiller’sche Jodprobe (b). Bei der 51jährigen Patientin wurde vor 14 Jahren der Uterus von va-
b ginal entfernt. Jetzt fiel bei der Vorsorge ein Pap IVa-p auf. Die Gewebeprobe ergab eine schwere vaginale Dysplasie
12
. Abb. 12.11 VAIN3 mit ausgeprägter Atrophie. Bei der 80-jährigen Patientin wurde 5 Monate zuvor ein Plattenepithelkarzinom durch einfache Hysterektomie entfernt. Eine Nachbestrahlung war nicht erfolgt
. Abb. 12.12 VAIN3 mit Erosionen. Bei der 40-jährigen Patientin wurde aufgrund rezidivierender zervikaler Dysplasien zweimal eine Konisation und letztlich eine Hysterektomie durchgeführt. Die großflächigen Hautablösungen nach Einsetzen des Spekulums sind als „rag sign“ zu deuten
181 12.3 Vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN)
artungspotenzial der VAIN zwar nicht bekannt, scheint jedoch niedrig zu sein. Ob eine prophylaktische HPV-Impfung in der Lage ist, das Rezidivrisiko einer VAIN zu senken, ist derzeit noch nicht zu beantworten (Bryan et al. 2019).
Observation . Abb. 12.13 Granulationsgewebe der Vagina. Bei der 71jährigen Patientin war 25 Jahre zuvor eine vaginale Hysterektomie bei einem Uterus myomatosus durchgeführt worden. In der Folge entwickelte sich eine HSIL/VAIN. Nach der CO2 -Laservaporisation bildete sich Granulationsgewebe am oberen Vaginalpol
12.3.6
Therapieoptionen bei VAIN
> Für die Behandlung der VAIN existiert keine optimale Therapie. Die Behandlungserfolge sind häufig schlecht und von Persistenz und Rezidiv geprägt, auch wenn eine Progression zum Vaginalkarzinom selten ist.
Grundsätzlich stehen folgende Vorgehensweisen zur Verfügung: 4 Observation, 4 partielle Kolpektomie, 4 Kryochirurgie, 4 CO2 -Laservaporisation der Vagina, 4 topische medikamentöse Behandlung (Imiquimod), 4 Strahlentherapie. Für welches Behandlungsverfahren bzw. welche Kombination von Therapieoptionen man sich letztlich entscheidet, hängt von der individuellen Situation der Patientin ab. Die Zahl der Läsionen, deren Lokalisation und Schweregrad, etwaige Vorbehandlungen oder immunsuppressive Erkrankungen und die sexuelle Aktivität, alle diese Faktoren spielen eine Rolle bei der Therapiewahl. Die Patientin sollte von vornherein darüber aufgeklärt werden, dass in ca. einem Drittel der Fälle mit Rezidiven gerechnet werden muss (Frega et al. 2013). Dennoch sind radikale Eingriffe, wie sie bei invasiven Karzinomen notwendig sind, bei Präkanzerosen der Vagina nicht angebracht. Denn nach wie vor ist das Ent-
Bei leichtgradigen vaginalen Dysplasien (VAIN1) und eventuell auch bei mäßiggradigen Dysplasien (VAIN2), insbesondere bei Frauen unter 40 Jahren, besteht keine dringende Behandlungsnotwendigkeit. Bei guter Compliance kann die Kolposkopie alle sechs Monate wiederholt werden, unter Einbeziehung der zytologischen und histologischen Diagnoseverfahren. Bei der hohen Persistenz- und Rezidivrate vaginaler intraepithelialer Neoplasien einerseits und der niedrigen Entartungsrate andererseits kann eine zurückhaltende Indikation operativer Maßnahmen sinnvoll sein.
CO2 -Laservaporisation Die CO2 -Laservaporisation (. Abb. 12.14) ist die am häufigsten angewandte operative Therapie bei VAIN3. Die Eindringtiefe bei der CO2 -Laservaporisation kann sehr genau gesteuert werden durch 4 Modifikation der Laserleistung, 4 Fokussierung des Laserstrahls, 4 Dauer des Kontakts zwischen Laserstrahl und Gewebe. Eine Eindringtiefe von 1,5 mm ist ausreichend (Benedet et al. 1992). Bei einem von Jentschke et al. (2015) retrospektiv aufgearbeiteten Kollektiv von 65 Patientinnen waren es 46 Patientinnen (71 %). Die Rezidivrate insgesamt betrug 57 %. Eine Patientin entwickelte ein Vaginalkarzinom 22 Monate nach CO2 -Laservaporisation. Auf der Basis einer Literaturanalyse geben Indermaur et al. (2005) die Effektivität der CO2 Laservaporisation mit 70 % (zwischen 50 und 100 %) an.
Partielle Kolpektomie und „LaserSkinning“ nach Petry Etwa 80 % der VAIN-Läsionen sind im oberen Vaginaldrittel lokalisiert (Diakomanolis et al. 2002). Allerdings sind 42 % multifokal (Jentsch-
12
182
Kapitel 12 Kolposkopie der Vagina
a
12
b
. Abb. 12.14 Erfolgreiche CO2 -Laservaporisation bei VAIN. Bei der 79-jährigen Patientin war 2 Jahre zuvor eine vaginale Hysterektomie wegen einer zervikalen Dysplasie
vorausgegangen. Das Epithel der proximalen Vagina zeigt keine Essigreaktion (a) und ist vollständig jodpositiv (b). Die Hysterektomienarbe täuscht eine Zervix vor
ke et al. 2015). Indermaur et al. (2005) halten bei lokalisierter VAIN3 die partielle Kolpektomie für die Therapie der Wahl, insbesondere dann, wenn eine vorausgegangene Hysterektomie aufgrund einer zervikalen intraepithelialen Neoplasie oder eines invasiven Zervixkarzinoms durchgeführt wurde. Die Autoren berichten über 105 auf diese Weise behandelte Patientinnen. Davon wurden 52 Patientinnen im Mittel über 25 Monate nachbeobachtet. Die Rezidivrate betrug 12 %. Bemerkenswert ist, dass bei 13 Patientinnen (12 %) ein bisher okkultes invasives Karzinom entdeckt wurde. Die Möglichkeit okkulter VAIN-Läsionen in einer Hysterektomienarbe spricht ebenfalls für eine operative Exzision. Solche Läsionen könnten durch eine CO2 -Laservaporisation nicht ausreichend therapiert werden.
oder multifokaler Erkrankung ist das „LaserSkinning“ nach Petry eine geeignete Alternative (Luyten et al. 2014). Bei 33 stark vorbehandelten Patientinnen mit höhergradiger VAIN, welche zwischen 20 und 100 % der Scheidenoberfläche betraf, wurde die Vaginalhaut mittels CO2 Laser unter kolposkopischer Sicht entfernt. Die betroffene Scheide wurde in einer Tiefe von 2– 3 mm innerhalb der Lamina vasorum exzidiert. Hysterektomienarben wurden in einer Tiefe von 5–10 mm reseziert. Anschließend erhielten die Patientinnen eine lokale Östrogenbehandlung, und ein Vaginaldilatator wurde regelmäßig eingeführt. Bei zehn Patientinnen wurde histologisch eine Invasion nachgewiesen. In neun von zehn Fällen handelte es sich um eine Mikroinvasion. Der Behandlungserfolg war bei diesem Kollektiv mit vielen Risikofaktoren dennoch ausgesprochen gut: Bei 23 Patientinnen, die über einen Zeitraum von zwölf Monaten verfolgt worden waren, betrug die Erfolgsrate 87 %. Nur bei zwei Patientinnen trat eine mäßige Verkürzung der Vagina auf. Weitere zwei Patientinnen bedurften einer vaginalen Rekonstruktion.
> Vorteil der partiellen Kolpektomie ist die Möglichkeit der exakten histologischen Untersuchung des Resektats, um okkulte invasive Herde zu entdecken. Zu bedenken ist jedoch, dass die Vagina verkürzt wird, woraus eine Dyspareunie resultieren kann.
Grundsätzlich könnten isolierte Schleimhautareale mit der LEEP-Schlinge abgetragen werden (Patsner 1993). Powell und Asbery (2000) raten davon aber ab, nachdem sie eine Patientin mit Sigmaperforation und Peritonitis behandeln mussten. Eine vollständige Kolpektomie ist bei VAIN selten indiziert. Bei mehrfachen Rezidiven und/
Topische medikamentöse Behandlung In Deutschland ist derzeit kein Medikament zur lokalen medikamentösen Behandlung der vaginalen Dysplasie zugelassen. In den USA wird dagegen vielfach der Einsatz einer 5%igen 5Fluorouracil-Creme (Efudex® ) empfohlen. An fünf bis sieben aufeinander folgenden Tagen
183 12.3 Vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN)
sollen ca. 1,5–2 g in die Scheide eingeführt werden. Die Introitusschleimhaut soll gleichzeitig mit Zinkoxidsalbe vor einer lokalen Reizung geschützt werden. Nach zwölf Wochen kann der Therapieeffekt kontrolliert werden. Indermaur et al. (2005) geben eine Rezidivrate zwischen 7 und 59 % an. Häufig klagen die Patientinnen über brennende Schmerzen. Bei einigen Frauen treten Ulzerationen der Vaginalschleimhaut auf. Imiquimod (Aldara® ), ein Immunmodulator für die lokale Behandlung von Condylomata acuminata sowie Basaliomen, ist bei vulvärer intraepithelialer Neoplasie wirksam (Seters et al. 2008) und kommt auch für die Behandlung der VAIN in Betracht (de Witte et al. 2015). Im Rahmen einer kleinen prospektiv-randomisierten Studie (Tainio et al. 2016) erwies sich eine Lokalbehandlung mit Imiquimod mit einer Remissionsrate von 80 % (8 von 10 Patientinnen) als genauso effektiv wie eine CO2 -Laservaporisation. Hierbei war die HPV-Clearancerate nach Imiquimod höher. Die Patientinnen erhielten zweimal pro Woche für insgesamt 14 Wochen ein speziell von der Apotheke hergestelltes Vaginalsuppositorium mit Imiquimod. Für eine Metaanalyse zur Imiquimod-Behandlung der VAIN (Tranoulis et al. 2017) wurden 94 Patientinnen identifiziert. Bei 76,5 % kam es zu einem vollständigen Ansprechen mit einer HPV-Clearancerate von 52,5 %. Die Metaanalyse beschreibt außerdem die Nebenwirkungen der topischen Imiquimod-Be-
handlung: grippeähnliche Symptome, ein brennendes Gefühl in der Scheide und vereinzelt Bauchschmerzen, Durchfall und Hautablösungen in der Scheide. Ein Therapieabbruch kam jedoch selten vor. > In Einzelfällen ist eine topische VAIN-Behandlung mit Imiquimod „off label“ vertretbar.
Strahlentherapie Die Strahlenbehandlung ist bei einem primären Plattenepithelkarzinom der Vagina die Therapie der Wahl und ist ebenfalls bei einer VAIN3 wirkungsvoll. Graham et al. (2007) behandelten 22 Patientinnen von 37 bis 70 Jahren (median 56 Jahre) mit einer Brachytherapiedosis von 48 Gy. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 77 Monate. Drei Patientinnen entwickelten in diesem Zeitraum ein Rezidiv, davon zweimal ein invasives Karzinom. Problematisch sind allerdings die Nebenwirkungen der Strahlenbehandlung. In der Serie von Graham et al. (2007) trat zwar keine akute Toxizität auf. In fünf Fällen kam es jedoch zu einer Stenose der Vagina sowie zu Schleimhautulzerationen. > Bei therapieresistenter VAIN3 sollte die Strahlenbehandlung aufgrund der potenziellen Nebenwirkungen nur ganz ausnahmsweise eingesetzt werden.
. Tab. 12.2 Stadieneinteilung der FIGO für das Vaginalkarzinom in Anlehnung an die Stadieneinteilung des Zervixkarzinoms FIGO-Stadium
Kriterien
0
Carcinoma in situ, intraepitheliale Neoplasie Grad 3
I
Karzinom ist auf die Vaginalwand beschränkt
II
Karzinom infiltriert das subvaginale Gewebe, erreicht jedoch nicht die Beckenwand
III
Karzinom dehnt sich bis zur Beckenwand aus
IV
Karzinom dehnt sich über das kleine Becken hinaus aus oder infiltriert die Mukosa von Harnblase oder Rektum; ein bullöses Ödem rechtfertigt jedoch keine Zuordnung zum Stadium IV
IVA
Der Tumor infiltriert die Mukosa der Harnblase und/oder des Rektums und/oder direkte Ausbreitung jenseits des kleinen Beckens
IVB
Fernmetastasen
12
184
Kapitel 12 Kolposkopie der Vagina
12.4
Vaginalkarzinom
Primäre Plattenepithelkarzinome der Vagina sind selten. Sehr wahrscheinlich ist die schwere vaginale Dysplasie (VAIN3) als Vorläuferläsion anzusehen. Peters et al. (1985) berichteten von sechs Fällen, bei denen ein „Mikrokarzinom“ der Vagina mit einer Infiltrationstiefe von max. 2,5 mm festgestellt wurde. Bei allen Patientinnen war der invasive Prozess innerhalb einer In-situ-Läsion angesiedelt. In diesem frühen Stadium lag die Überlebensrate bei 100 %. Nach Schäfer et al. (1997) werden allerdings nur 43 % der Patientinnen in einem Stadium I diagnostiziert (. Tab. 12.2). Die kombinierte Bestrahlung ist die Therapie der Wahl. Eine alleinige Kolpektomie ist nur in seltenen Frühfällen angezeigt, wie sie von Peters et al. (1985) berichtet wurden. Die 5-JahresÜberlebensrate bei primärer Bestrahlung beträgt nach Schäfer et al. (1997) 41 % im Gesamtkollektiv und 62 % im Stadium I.
12.5
Vaginale Metastasen
Bei Adenokarzinomen der Vagina handelt es sich in der Regel um Metastasen, meist von einem Korpuskarzinom ausgehend (. Abb. 12.15, 12.16), denn die Vagina ist die häufigste Rezidivlokalisation endometrialer Karzinome. Gelegentlich gibt es eine vaginale Manifestation eines Ovarialkarzinoms. Während ein primäres epitheliales Ovarialkarzinom extrem selten in die Vagina hinein infiltriert, können Rezidivtumore nach Hysterektomie den Vaginalstumpf durchbrechen (. Abb. 12.17). Alle ungewöhnlichen Befunde in der Scheide werden biopsiert. Eventuell auftretende Blutungen können durch Scheidentamponade gestillt werden. Bei Verdacht auf eine Vaginalmetastase eines Chorionkarzinoms ist wegen der großen Blutungsgefahr Vorsicht angebracht.
12
. Abb. 12.16 Vaginalrezidiv nach Korpuskarzinom bei einer 78-jährigen Patientin 20 Monate nach Hysterektomie. Der obere Scheidenpol ist kraterförmig eingezogen . Abb. 12.15 Vaginalrezidiv 14 Monate nach Primärbehandlung eines Korpuskarzinoms. Bei der 77-jährigen Patientin erfolgte eine Hysterektomie aufgrund eines Korpuskarzinoms im FIGO-Stadium IC G2 mit anschließender kombinierter Bestrahlung. Nach Essigprobe erkennt man am oberen Vaginalpol eine Einziehung mit zerfließlichem Karzinomgewebe
12
185 12.6 Fragen zur Selbstkontrolle – Kolposkopie der Vagina
. Abb. 12.17 Vaginalmetastase eines Ovarialkarzinoms. Bei der 50-jährigen Patientin wurde drei Jahre zuvor ein seröses Ovarialkarzinom vom High-Grade-Typ operiert. Im Rahmen der Tumorreduktion war der Uterus entfernt worden. Nun war eine regelstarke vaginale Blutung aufgetreten
12.6
Fragen zur Selbstkontrolle – Kolposkopie der Vagina
Ja
Nein
1 80 % der vaginalen intraepithelialen Neoplasien sind HPV-assoziiert. 2 Es wird vermutet, dass eine vaginale intraepitheliale Neoplasie Grad 3 als eine Vorstufe des Plattenepithelkarzinoms der Vagina anzusehen ist in Analogie zu einer CIN3.
3 Die vaginale Dysplasie kann zeitgleich mit einer zervikalen Dysplasie (CIN) auftreten, oder aber eine CIN wurde in der Vergangenheit durch Konisation oder Hysterektomie behandelt.
4 Eine VAIN ohne gleichzeitige oder vorausgegangene CIN tritt praktisch nicht auf.
5 Anhand des zytologischen Abstrichs lassen sich Zellen einer VAIN3 und einer CIN3 morphologisch abgrenzen.
6 Patientinnen unter Immunsuppression haben ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer vaginalen intraepithelialen Neoplasie.
7 Insbesondere bei älteren Patientinnen manifestiert sich eine VAIN lediglich als scharf begrenzte jodnegative Areale, während die Essigprobe unauffällig ist.
8 Die Behandlungserfolge bei VAIN sind nicht gut und es kommt häufig zu Persistenz oder Rezidiv.
9 Eine VAIN3 entwickelt sich häufig zu einem Plattenepithelkarzinom der Vagina.
10 Eine histologisch gesicherte VAIN1 sollte durch CO2 -Laservaporisation behandelt werden. 11 Die Laser-Skinning-Operation nach Petry bei persistierender oder rezidivierender VAIN2/VAIN3 hat eine Erfolgsrate von 87 %.
186
Kapitel 12 Kolposkopie der Vagina
Ja 12 In Einzelfällen ist eine topische VAIN-Behandlung mit Imiquimod „off label“ vertretbar.
13 Bei Adenokarzinomen der Vagina handelt es sich in der Regel um Metastasen, meist von einem Korpuskarzinom ausgehend.
Literatur
12
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187
Kolposkopie der Vulva Inhaltsverzeichnis 13.1
Anatomie der Vulva – 188
13.2
Selbstwahrnehmung der Vulva – 189
13.3
Diagnostik bei Vulvaveränderungen – 191
13.4
Nomenklatur der Vulvaerkrankungen – 192
13.5
Nicht neoplastische Vulvaerkrankungen – 193
13.5.1 13.5.2
Lichen sclerosus – 193 Lichen ruber planus – 198
13.6
Neoplastische Vulvaerkrankungen – 200
13.6.1 13.6.2
Condylomata acuminata – 200 Vulväre intraepitheliale Neoplasie (VIN/HSIL und d-VIN) – 204 Morbus Paget der Vulva – 207 Vulvakarzinom – 209 Malignes Melanom der Vulva – 213
13.6.3 13.6.4 13.6.5
13.7
Fragen zur Selbstkontrolle – Kolposkopie der Vulva – 215 Literatur – 216
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_13
13
188
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
Manche Erkrankungen der Vulva lassen sich bereits mit bloßem Auge diagnostizieren. Eine systematische Untersuchung der Vulva mithilfe des Kolposkops verbessert möglicherweise die Sensitivität und Spezifität der Vulvadiagnostik.
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13.1
Anatomie der Vulva
Für die Erkennung und Beurteilung pathologischer Veränderungen der Vulva ist die Kenntnis der normalen Anatomie von grundlegender Bedeutung. Besonders zu berücksichtigen ist, dass das Epithel und die im subepithelialen Bindegewebe gelegenen Hautanhangsgebilde unterschiedlich aufgebaut sind. Im Introitus vaginae und an der Innenseite der Labia minora liegt das nicht verhornende Epithel, welches sich vom verhornenden Epithel der übrigen Abschnitte der Vulva unterscheidet. Innerhalb des verhornenden Epithels werden behaarte von nicht behaarten Bereichen unterschieden. Die Vulva wird in mehrere Areale eingeteilt (. Abb. 13.1): 4 Mons pubis 4 Labia maiora und minora 4 Klitoris mit dem Präputium clitoridis 4 Orificium urethrae externum 4 Hymen bzw. die Carunculae hymenales myrtiformes (Hymenalsaum) 4 Vestibulum vaginae Das Vestibulum vaginae wird ventral von der Klitoris, lateral von den Labia minora und dorsal
13
Ausführungsgänge der Skene-Drüsen Ausführungsgänge der Bartholini´schen Drüsen
. Abb. 13.1 Anatomie der Vulva
189 13.2 Selbstwahrnehmung der Vulva
von der hinteren Kommissur (Fourchette) begrenzt. In das Vestibulum vaginae münden 4 im vorderen Anteil die Urethra, 4 lateral der Urethra die Skene-Drüsengänge, 4 im dorsalen seitlichen Anteil die Bartholini’sche Drüsengänge und 4 zentral die Vagina. Die Labia maiora entsprechen embryologisch gesehen dem Skrotum des Mannes. Sie sind ventral miteinander verschmolzen und bilden den Mons pubis, der die Symphyse überdeckt. Nach kaudal gehen die Labia maiora in das Perineum über. Die lateralen Anteile enthalten zahlreiche Haarfollikel und apokrine Schweißdrüsen, während die Talgdrüsen überwiegend in den medialen Anteilen gelegen sind. Die Labia minora sind zwei gefäßreiche, dünne Hautfalten, die von den Labia maiora bedeckt werden. Die lateralen Anteile der Labia minora enthalten Talgdrüsen. Diese werden als kleine gelbliche Papeln sichtbar, wenn die Haut gedehnt wird. Die Labia minora besitzen weder Haarfollikel noch Fettgewebe. Ihre ventralen Anteile bilden das Präputium clitoridis. Im dorsalen Anteil bilden sie die hintere Kommissur. Die Klitoris entspricht embryologisch dem Penis. Infolge ihrer dichten Nervenversorgung durch Hauptäste des Nervus pudendus ist die Klitoris besonders sensibel und erektionsfähig. Während der unterschiedlichen Lebensphasen der Frau finden physiologische Änderungen des Erscheinungsbilds der Vulva statt. Die Entwicklungsstadien wurden von Marshall u. Tanner (1969) beschrieben. In der Pubertät entwickelt sich die Pubesbehaarung. Daneben vergrößern sich die Labien und es findet eine verstärkte Pigmentierung statt. In der Geschlechtsreife beeinflussen die zyklischen Änderungen des hormonellen Zyklus die Beschaffenheit der Vulva. Das an der Innenseite der Labia minora gelegene Epithel ist in ähnlicher Form zyklischen Änderungen des Östrogenspiegels unterworfen wie das Vaginalepithel. Vaskuläre Veränderungen, die durch den hormonellen Einfluss der Gestagene während der zweiten Zyklushälfte bedingt sind, führen zu einer Hämostase und einer damit verbundenen erhöhten Fragilität der Hautgefäße. Der zunehmende Hormonmangel während des Klimakteriums führt zu atrophischen Verän-
derungen der Vulva. Diese sind besonders gut erkennbar an den Labia minora und maiora und an der Klitoris.
13.2
Selbstwahrnehmung der Vulva
Inzwischen ist es üblich, dass insbesondere junge Frauen die Schambehaarung ebenso wie die Achselhaare regelmäßig entfernen. In einer von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geförderten Untersuchung berichten Matthiesen und Mainka (2011) über eine Befragung von 160 Jugendlichen zwischen 16 und 19 Jahren beiderlei Geschlechts. 94 % der Mädchen und 81 % der Jungen gaben an, dass sie sich die Schamhaare ganz oder teilweise entfernen. Jugendliche mit Koituserfahrung rasieren sich häufiger. Erfahrungen mit Pornografie haben dagegen keinen Einfluss auf die Häufigkeit der Intimrasur. Als Begründung für die Intimrasur gaben die meisten Jugendlichen die Hygiene an: Wer sich nicht rasiert, gelte als ungepflegt. Durch die Entfernung der Schambehaarung wird die Wahrnehmung der eigenen Vulva gesteigert. Die Anatomie der Vulva ist sehr variabel. Eine „perfekte Vulva“ existiert nicht. Die Selbstwahrnehmung kann durch Medieneinflüsse und insbesondere durch das Internet verzerrt sein (Clerico et al. 2017). Kreklau et al. (2018) haben versucht, eine „normale Vulva“ zu definieren, indem sie systematische Messungen bei insgesamt 657 Frauen im Alter zwischen 15 und 84 Jahren durchführten, die das Kantonsspital in Luzern, Schweiz, aufgesucht hatten. Die festgestellten Variationen waren erwartungsgemäß sehr groß. So betrug zum Beispiel die Länge des linken Labium minus im Durchschnitt 43 mm mit einer Spannbreite zwischen 5 und 100 mm (. Tab. 13.1). Gelegentlich wird der Wunsch nach einer Labienkorrektur geäußert. Meist sollen die Labien verkleinert werden, manchmal auch vergrößert. Nach Borkenhagen et al. (2009) sind die Vorstellungen dieser Frauen sehr stark geprägt von Darstellungen des Intimbereichs in den Medien. Nur selten bestehen aber auch objektive medizinische Gründe für eine solche „Intimchirurgie“. Aus medizinischer Sicht bieten die Intimrasur sowie die verstärkte Selbstwahrnehmung des weiblichen Genitales eine Chance für die
13
190
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
. Tab. 13.1 Vermessungen im Bereich des Genitales bei 657 Frauen im Alter zwischen 15 und 84 Jahren (Kreklau et al. 2018) Mittelwert (mm)
13
Standardabweichung
Minimum (mm)
Maximum (mm)
Breite der Klitoris
4,62
2,538
1
22
Länge der Klitoris
6,89
4,965
0,5
34
Abstand Klitoris – Urethra
22,63
7,661
3
65
Introitusöffnung
27,91
6
75
Länge des Peritoneums
21,34
3
55
Länge des rechten Labium maius
79,71
15,25
12
180
Länge des linken Labium maius
79,99
15,44
20
180
Länge des rechten Labium minus
42,1
16,35
6
100
Länge des linken Labium minus
42,97
16,29
5
100
Breite des rechten Labium minus
13,4
8,785
2
61
Breite des linken Labium minus
14,15
7,643
1
42
frühzeitige Erkennung von Vulvaläsionen, insbesondere prämaligner und maligner Natur. Intimschmuck in Form eines Piercings im Bereich der Vulva ist zunehmend verbreitet, hat aber eigentlich bereits eine jahrhundertelange Tradition (Kasten 2012). Frauen (und Männer) versprechen sich durch das Genitalpiercing eine höhere Attraktivität und gleichzeitig einen erotischen Lustgewinn. Dies gilt insbesondere für das Piercing im Klitorisbereich (. Abb. 13.2). Die Prävalenz des Genitalpiercings ist nach einer britischen Studie aus dem Jahre 2008 (Bone et al. 2008) noch relativ niedrig: 14,6 % aller erwachsenen Frauen besaßen ein Piercing außerhalb des Ohrläppchens. Die Prävalenz im Genitalbereich betrug hierbei nur 0,3 %. Genitalpiercing ist mit einer hohen Komplikationsrate assoziiert. In der bereits zitierten Studie von Bone et al. (2008) wurde insbesondere in der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen in 45 % der Fälle über Komplikationen wie Schwellung, Infektion oder Blutung berichtet. Vor elektrochirurgischen Maßnahmen sollten die meist aus Metall bestehenden Ringe oder Perlen vorübergehend entfernt werden.
10,36 8,544
. Abb. 13.2 Intimschmuck der Vulva mit Piercing durch das Corpus clitoridis
191 13.3 Diagnostik bei Vulvaveränderungen
13.3
Diagnostik bei Vulvaveränderungen
Zur Diagnosestellung dermatologischer und infektiologischer Erkrankungen der Vulva sowie zur Früherkennung des Vulvakarzinoms und seiner Vorstufen ist die sorgfältige Inspektion die wichtigste aller Maßnahmen. Diese sollte vom geübten Untersucher mithilfe eines Kolposkops durchgeführt werden. Allerdings fehlt im Vorsorgeprogramm der gesetzlichen Krankenkassen die Empfehlung, eine kolposkopische Untersuchung des unteren Genitaltrakts routinemäßig durchzuführen. Die zytologische Untersuchung hat aufgrund der oftmals schwierigen Interpretation der vulvären Läsionen nicht den Stellenwert, den sie bei der Abklärung zervikaler Läsionen hat. > Suspekte Veränderungen, insbesondere persistierende pigmentierte und nicht pigmentierte Hyperkeratosen sowie Ulzerationen, sollten zum Ausschluss einer Präneoplasie oder einer Neoplasie der Vulva großzügig durch eine Biopsie histologisch abgeklärt werden. Eine Probeentnahme kann ambulant in Lokalanästhesie durchgeführt werden.
Besonders schwierig ist die differenzialdiagnostische Bewertung von Ulzerationen und umschriebenen Hyperkeratosen bei Patientinnen mit einem Lichen sclerosus oder einer Plattenepithelhyperplasie der Vulva. Auch wenn diese Erkrankungen nicht als Präkanzerosen zu bewerten sind, beobachtet man überdurchschnittlich häufig eine assoziierte vulväre intraepitheliale Neoplasie (VIN) oder ein assoziiertes Plattenepithelkarzinom der Vulva. Die Gewebeprobeentnahme mittels einer sterilen Hautstanze (z. B. Biopsy Punch® der Stiefel GmbH) ist zu empfehlen (. Abb. 13.3). Wird ein kleiner Durchmesser der Stanze gewählt (z. B. 4 mm), muss noch nicht einmal die Wundadaptation mittels resorbierbaren Nahtmaterials erfolgen. Verwendet man größere Stanzen von 5–6 mm Durchmesser, ist ein Wundverschluss durch eine Einzelknopfnaht sinnvoll. Eine präoperative Vorbereitung der Patientin, zum Beispiel die Durchführung einer Rasur oder ein steriles Abdecken, entfällt. Der entnommene Gewebezylinder ist für den Pathologen gut ori-
. Abb. 13.3 Einmalinstrumente unterschiedlicher Größe für die Stanzbiopsie der Vulva (Stiefel GmbH, Deutschland)
entierbar und nach üblicher Formalinfixierung hervorragend zu beurteilen. > Bei der erweiterten klinischen Diagnostik kann das Auftragen von 3- bis 7%iger Essigsäure an den unverhornten, aber auch den verhornten Arealen der Vulva in Einzelfällen hilfreich sein (. Abb. 13.4). Allerdings muss berücksichtigt werden, dass – anders als bei der Cervix uteri – häufig eine unspezifische essigweiße Reaktion am nicht erkrankten Gewebe auftritt.
Bei der Probe mit Toluidinblau (Collins-Test) wird 2 %ige Toluidinblaulösung mit einem Tupfer oder einem Watteträger auf die Vulva aufgebracht und nach zwei bis drei Minuten Einwirkzeit mit verdünnter 3%iger Essigsäurelösung wieder abgewaschen. > Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen ist die Toluidinblauprobe aufgrund der bei Paraund Dyskeratosen des Epithels häufig unspezifisch blauen Reaktion wenig praktikabel.
Zudem ist bei der Interpretation des CollinsTests zu berücksichtigen, dass das unverhornte Epithel des Introitus vaginae sowie alle Epitheldefekte (Erosionen, Rhagaden) eine positive (blaue) Reaktion zeigen. Da die präinvasiven Veränderungen der Vulva eine lange Latenzzeit bis zur Entwicklung eines Karzinoms haben, ist die jährliche Vorsorgeuntersuchung ausreichend.
13
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
192
. Abb. 13.4 Schwere vulväre intraepitheliale Neoplasie (VIN) mit grobem Mosaik vor (a) und nach (b) Essigsäureprobe im Bereich des unverhornten Epithels des Introitus
> Bei suspektem Befund sollte eine Kontrolle in dreimonatigen Abständen erfolgen. Bei Befundpersistenz muss eine histologische Untersuchung gefordert werden.
13.4
13
Nomenklatur der Vulvaerkrankungen
Die kolposkopische Nomenklatur der Vulvaerkrankungen nach Maßgabe der IFCPC (Bornstein et al. 2012) findet sich in 7 Abschn. 4.3. Neben infektiösen Erkrankungen, zum Beispiel der Candida-Vulvo-Vaginitis oder dem Herpes genitalis, werden in der täglichen gynäkologischen Praxis weitere Erkrankungen gesehen, die deutliche Missempfindungen im Bereich der Vulva hervorrufen. Oftmals handelt es sich hierbei um seltenere Krankheitsbilder, die erst nach konsiliarischer Vorstellung bei einem Dermatologen oder bei einem spezialisierten Gynäkologen in einer Vulvasprechstunde diagnostiziert werden. Die Diagnostik umfasst die ausführliche Anamnese, die klinische Untersuchung, die Spekulumeinstellung, die Kolposkopie und in vielen Fällen die histologische Abklärung des Befunds.
(ISSVD) vorgenommen und ihre Nomenklatur im Laufe der Jahre immer wieder aktualisiert.
Von besonderer Bedeutung für den klinischen Alltag ist die Klassifizierung und Graduierung der neoplastischen Erkrankungen der Vulva. Bis heute wird im klinischen Alltag immer mal wieder die Einteilung in drei Schweregrade der vulvären intraepithelialen Neoplasie Grad 1–3 (VIN1, VIN2, VIN3) verwendet, obwohl die ISSVD diese Aufteilung bereits 2006 verlassen hat. Da eine VIN1 kein Progressionsrisiko zur Karzinomentwicklung hat, wurde sie mit den kondylomatösen Veränderungen der Vulva als HPV-assoziierte Läsion zusammengefasst. VIN2 und VIN3, welche histologisch nur schwer auseinander zu halten sind, werden als VIN zusammengefasst und subtypisiert. > Leider führt das Festhalten an der veralteten Nomenklatur, insbesondere das Missverständnis, dass einer „VIN1“ ein Krankheitswert zukommt, bei Behandlern und Patientinnen immer wieder zu Beunruhigung und Verwirrung.
> Eine international anerkannte Klassifizierung der Vulvaerkrankungen hat die International Society for the Study of Vulvovaginal Disease
Im Jahre 2015 wurde die ISSVD-Nomenklatur erneut aktualisiert (Bornstein et al. 2016), und es
193 13.5 Nicht neoplastische Vulvaerkrankungen
wurden drei unterschiedliche Entitäten definiert: 1. LSIL = „low grade squamous intraepithelial lesion“ oder „LSIL der Vulva“, „flaches Kondylom“, „HPV-Effekt“ 2. HSIL = „high grade squamous intraepithelial lesion“ oder „HSIL der Vulva“, „VIN usual type (uVIN)“ 3. d-VIN = „intraepithelial neoplasia, differentiated type“ Aus Sicht des Klinikers ist dies die optimale Nomenklatur. Allerdings gibt es parallel dazu die Klassifikation der WHO, welche von Patholog/innen weltweit als Referenz benutzt wird (WHO Classification of Tumours Editorial Board 2020). Diese unterscheidet sich aber nur minimal von der ISSVD-Nomenklatur. Die folgenden beiden Entitäten werden unterschieden, analog zu VIN/HSIL und d-VIN: 1. „squamous intraepithelial lesion“, HPV-assoziiert 2. „vulvar intraepitheliale neoplasia“, HPV-unabhängig
13.5
Nicht neoplastische Vulvaerkrankungen
Hier sollen die beiden in der gynäkologischen Sprechstunde am häufigsten vorkommenden Krankheitsbilder, Lichen sclerosus und Lichen ruber planus, beschrieben werden.
. Abb. 13.5 Ausgedehnter Lichen sclerosus der Vulva. Bei der 53-jährigen Patientin bestehen seit 30 Jahren massive Beschwerden. Die kleinen Labien und die Klitoris haben sich
13.5.1
Lichen sclerosus
Der anogenitale Lichen sclerosus ist eine Dermatose unklarer Ätiologie (Powell und Wojnarowska 1999, Murphy 2010). Im fortgeschrittenen Stadium werden ein Verlust der kleinen Labien, Labiensynechien und Stenosen des Introitus vaginae beobachtet (. Abb. 13.5, 13.6). Die Vagina ist nicht betroffen. Der Lichen sclerosus tritt unabhängig vom Menopausenstatus in jeder Lebensphase auf: Kindheit, Pubertät, Geschlechtsreife, Klimakterium und Senium. Typisch ist das porzellanweiße Epithel zusammen mit umschriebenen Hyperkeratosen (. Abb. 13.6). Die Veränderungen können symptomlos bleiben oder gehen mit Pruritus vulvae, seltener mit brennenden Beschwerden einher. Bei Introitusstenose und Fissurbildung an den kleinen Labien und der hinteren Kommissur der Vulva kommt es oftmals zur Dyspareunie. Ist der Perianalbereich betroffen, kann es bei der Defäkation zu schmerzhaften Hauteinrissen kommen. Das klinische Bild ist einerseits sehr vielgestaltig und variabel mit unterschiedlichen Graden von Atrophie, Hyperkeratose und Umfang der betroffenen Hautareale. Dennoch ist in der Regel eine Blickdiagnose möglich. . Abb. 13.7–13.15 geben Beispiele für den Lichen sclerosus der Vulva unterschiedlichster Ausprägung. Ein invasives Plattenepithelkarzinom der Vulva auf dem Boden eines Lichen sclerosus ist
vollständig zurückgebildet, sodass der Eindruck eines Zustands nach Vulvektomie erzeugt wird
13
194
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
. Abb. 13.7 Lichen sclerosus der Vulva. Die 71-jährige Patientin klagt seit 17 Jahren über Juckreiz. Die Atrophie ist nicht sehr ausgeprägt
. Abb. 13.6 Lichen sclerosus der Vulva bei einer 68-jährigen Patientin. Die vulväre Atrophie hat zu einer Kontraktion der Haut um den Introitus mit Introitusstenose geführt
nichts Ungewöhnliches (. Abb. 13.16). Streng genommen ist der Lichen sclerosus keine Präkanzerose wie die HPV-assoziierten vulvären intraepithelialen Neoplasien. Das Epithel des Lichen sclerosus weist keine Zellatypien auf. Allerdings ist die Karzinominzidenz bei Lichen
sclerosus mit 4–7 % signifikant höher als bei Patientinnen ohne Lichen sclerosus (Bleeker et al. 2016, Buckley und Fox 1988). Nach einer großen epidemiologischen Studie über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten bei mehr als 3000 Patientinnen mit Lichen sclerosus (Bleeker et al. 2016) stieg die Inzidenz des Lichen sclerosus zwischen 1991 und 2011 um fast 100 %. Das mediane Krankheitsalter betrug 59,8 Jahre mit einer kumulativen Karzinominzidenz von 6,7 %. Ein Alter über 70 Jahre
13
. Abb. 13.8 Lichen sclerosus der Vulva und der Perianalregion („figure of eight“) bei einer 71-jährigen Patientin
195 13.5 Nicht neoplastische Vulvaerkrankungen
. Abb. 13.9 Lichen sclerosus der Vulva bei einer 74-jährigen Patientin. Die kleinen Labien sind nicht genau abgrenzbar bedingt durch Atrophie und Synechien. Im Bereich der rechten kleinen Labie befindet sich eine schmerzhafte Rhagade
. Abb. 13.10 Lichen sclerosus der Vulva. Die 53-jährige Patientin ist seit mehr als 20 Jahren symptomatisch. Unterhalb der Klitoris befindet sich eine betonte Hyperkeratose
sowie eine für die Erkrankung typische Synechie, die bei Sexualverkehr einreißen kann
sowie eine gleichzeitige bestehend vulväre intraepitheliale Neoplasie erhöhen das Krebsrisiko signifikant. In dieser Datenbank konnte nicht exakt zwischen uVIN (aktuelle Nomenklatur: VIN/HSIL) und d-VIN unterschieden werden. Die nicht
HPV-assoziierte Variante der vulvären Präkanzerose, die sogenannte differenzierte VIN oder d-VIN, tritt in Zusammenhang mit dem Lichen sclerosus der Vulva auf. Eine d-VIN ist zwar seltener als eine uVIN. Allerdings ist die Entartungswahrscheinlichkeit deutlich höher. Thuijs
13
196
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
. Abb. 13.11 Lichen sclerosus der Vulva bei einem 5-jährigen Mädchen
. Abb. 13.13 Lichen sclerosus der Vulva bei einer 75-jährigen Patientin. Die Haut im Bereich der Klitoris ist stark verhornt und weist Hautdefekte auf, möglicherweise durch Juckreiz und Kratzen bedingt. Differenzialdiagnostisch muss bei Epitheldefekten immer auch an eine maligne Transformation gedacht werden
13
. Abb. 13.14 Lichen sclerosus der Vulva bei einer 79-jährigen Patientin mit ausgeprägter Atrophie, diffuser Leukoplakie und Epitheldefekten im Bereich des rechten Labium maius . Abb. 13.12 Lichen sclerosus der Vulva bei einer 16Jährigen. Vor allem die ventrale Vulva ist betroffen mit ausgeprägter Hyperkeratose
et al. (2021) fanden ein kumulatives Entartungsrisiko innerhalb von zehn Jahren von 50,0 % im Vergleich zu 9,7 % bei einer uVIN.
Die Diagnose wird mittels Inspektion und kolposkopischer Untersuchung gestellt. Nicht in jedem Fall ist zur Sicherung der Diagnose eines Lichen sclerosus eine Biopsie erforderlich. > Meist reicht die „Blickdiagnose“ aus, bevor eine Behandlung eingeleitet wird. Auf der an-
197 13.5 Nicht neoplastische Vulvaerkrankungen
. Abb. 13.15 Lichen sclerosus der Vulva mit subepidermalen Einblutungen und oberflächlichen Epitheldefekten, welche biopsiert werden sollten
. Abb. 13.16 Vulvakarzinom auf dem Boden eines Lichen sclerosus. Auf der rechten Seite des Introitus erkennt man eine Erythroplakie, die einem mäßig differenzierten verhornenden Plattenepithelkarzinom entspricht
deren Seite sollte ein beginnender invasiver Prozess im Verlauf frühzeitig erkannt werden. Die differenzierte VIN als Vorstufe des Lichen-sclerosus-assoziierten Karzinoms wird vermutlich unterdiagnostiziert. Daher ist die Diagnose für eine Biopsieentnahme großzügig zu stellen.
ne Kortisonbehandlung vollständig zurückbildet, handelt es sich in allen anderen Fällen um eine chronische Hauterkrankung, die lebenslang behandelt werden muss. Jahrelang wurde versucht, eine Besserung durch topische Östrogengaben zu erreichen. Sogar Testosteronsalben wurden eingesetzt (. Abb. 13.17). Diese Behandlungsansätze sind heute obsolet. Sinnvoll ist eine pflegende Feuchtigkeitscreme wie Deumavan® , die mehrfach täglich aufgetragen wird. Das wirkungsvollste Therapieprinzip des Lichen sclerosus ist aber die lokale Kortisonbehandlung mit hochpotenten Präparaten. Geeignet sind Clobetasol oder Mometason. Bei akuten Schüben der Erkrankung mit starken Beschwerden kann die Kortisonsalbe einmal täglich, in Einzelfällen sogar zweimal täglich für die Dauer von vier Wochen aufgetragen werden. Unmittelbar nach einer solchen Intensivbehandlung werden die kolposkopische Untersuchung wiederholt und ggf. nicht abheilende offene Stellen biopsiert, um ein Karzinom auf dem Boden des Lichen sclerosus auszuschließen. > Während man in der Vergangenheit maximal
Während vor der Pubertät noch Hoffnung besteht, dass sich der Lichen sclerosus durch ei-
zwölf Wochen lang mit Kortisonpräparaten behandelt hat, wird inzwischen eine Erhal-
13
198
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
. Abb. 13.17 Klitorishypertrophie. Die Anwendung einer Testosteronsalbe zur Behandlung des Lichen sclerosus der Vulva hat über einen Zeitraum von 10 Jahren zu einer deutlichen Virilisierung mit Hypertrophie der Klitoris geführt
. Abb. 13.18 Lichen ruber planus der Vulva. Bei der 66jährigen Patientin wurde die Diagnose durch eine Biopsie der Mundschleimhaut gestellt
> Die Tatsache, dass durch eine topische Lang-
13
tungstherapie empfohlen. Clobetasol und Mometason werden zwei- bis dreimal pro Woche abends vor dem Schlafengehen aufgetragen.
Lee et al. (2015) führten an 507 Patientinnen mit Lichen sclerosus eine prospektive Longitudinalstudie über einen Zeitraum von sechs Jahren durch. Die Patientinnen erhielten eine vorbeugende topische Kortisonbehandlung, um die Farbe und die Textur der Haut zu normalisieren. Die Langzeitergebnisse von Patientinnen, die diese Behandlung konsequent anwendeten, wurden mit den Verläufen von Patientinnen verglichen, die die Behandlung nicht durchführten. Die Kortisonbehandlung führte zu einer signifikanten Verbesserung der symptomatischen Kontrolle und gleichzeitig zu weniger Vernarbungen. Bei keiner der 350 langfristig mit Kortison behandelten Patientinnen trat ein Vulvakarzinom auf im Vergleich zu sieben Fällen bei 150 nicht konsequent behandelten Patientinnen (p < 0;001). Gleichzeitig kam es nur zu minimalen Nebenwirkungen durch das Kortison.
zeitbehandlung mit Kortison die Entartungswahrscheinlichkeit bei Lichen sclerosus der Vulva reduziert werden kann, ist ein weiteres Argument für eine Dauerbehandlung im Sinne einer Erhaltungstherapie auch bei Beschwerdefreiheit.
13.5.2
Lichen ruber planus
Der erosive Lichen ruber planus zeigt typischerweise an Vulva und Vagina sowie der Schleimhaut des Mundes Erosionen (. Abb. 13.18, 13.19, 13.20). Auch die Kopfhaut kann betroffen sein und mit einer Alopezie reagieren (. Abb. 13.21). Zusätzlich finden sich weniger klar abgrenzbare netzförmige weiße und violette Papeln oder Plaques. Im Vulvabereich klagen die Patientinnen oftmals über Schmerzen, Brennen, Dyspareunie und Blutungen nach dem Koitus. Bei den meisten Patientinnen breitet sich im Laufe der Erkrankung die Schleimhautveränderung auf die
199 13.5 Nicht neoplastische Vulvaerkrankungen
a
b
. Abb. 13.19 Lichen ruber planus im oberen Drittel der Vagina (a) und im Bereich der Zervix (b). Die 41-jährige Patientin wurde erfolgreich mit Pimecrolimus behandelt
. Abb. 13.20 Lichen ruber planus der Gingiva. Die Vulvaveränderungen hatten bereits 3 Jahre lang bestanden, bevor die Diagnose schließlich vom Zahnarzt gestellt wurde
Scheide aus. An Vulva und Vagina können Adhäsionen entstehen. Gelegentlich ist die Cervix uteri infolge einer im oberen Scheidendrittel gelegenen Stenose nicht einsehbar. Schmerzen an der Mundschleimhaut werden bei der Erstvorstellung nur selten angegeben, können jedoch im weiteren Krankheitsverlauf auftreten. Weitere Hautläsionen finden sich beim Lichen ruber an der Innenseite der Handgelenke und an der Vorderseite der Schienbeine: purpurrote polygonale Papeln und pruriginöse Plaques.
. Abb. 13.21 Lichen ruber planus. Der Befall der Kopfhaut hat zu einer Alopezie geführt
Die Diagnose wird mittels Inspektion und durch die kolposkopische Untersuchung gestellt. Die Sicherung der Diagnose kann durch die histologische Untersuchung erbracht werden. Ein Lichen ruber planus wird mit topischen Steroiden behandelt. Wenn die Scheide mitbetroffen ist, kann „off label“ ein Kortisonschaum eingeführt werden, zum Beispiel ein Rektalschaum mit dem Präparat Budesonid, wie er zur Behandlung entzündlicher Darmerkrankungen verwendet wird. Bei manchen Patientinnen können die Symptome mithilfe von Tacrolimus oder Pimecrolimus Creme, ebenfalls „off label“, kontrolliert werden (. Abb. 13.19).
13
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
200
> Laut Halonen et al. (2017) erhöht der Lichen ruber planus das Krebsrisiko im Bereich von Lippe, Zunge, Mundhöhle, Ösophagus, Larynx und Vulva. Für das Vulvakarzinom war die Inzidenzrate doppelt so hoch.
13.6
Neoplastische Vulvaerkrankungen
Für eine Blickdiagnostik bietet die Vulva günstige Voraussetzungen. Dass Vulvakarzinome dennoch nicht selten erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert werden, hat zumeist zwei Gründe: 4 Die Patientinnen – vor allem ältere – suchen ihren Frauenarzt erst relativ spät auf, sodass die Erkrankung oft schon über Jahre besteht und weit fortgeschritten sein kann. 4 Das Bild der präneoplastischen Befunde der Vulva ist vielfältig, vielfältiger etwa als das der pathologischen Zervixbefunde, sodass nicht selten Fehldiagnosen gestellt werden.
13
Dies ist besonders gravierend, da bei fortgeschrittenen Stadien des Vulvakarzinoms zumeist ausgedehnte Operationen erforderlich werden, die zu einer erheblichen Morbidität und zu einer großen psychosozialen Belastung führen. Der differenzierten Diagnostik der Vorstufen des Vulvakarzinoms kommt somit eine besondere Bedeutung zu.
Im Mittelpunkt der Diagnostik stehen die Inspektion, die kolposkopische Untersuchung und die histologische Abklärung suspekter Befunde durch eine Probeentnahme. Die Indikation zur bioptischen Abklärung von Erkrankungen der Vulva sollte großzügig gestellt werden. Dieses gilt insbesondere für Befunde, die nicht adäquat auf die durchgeführten Therapiemaßnahmen ansprechen, oder für solche, die chronisch persistieren. Unter den neoplastischen Veränderungen der Vulva haben die HPV-assoziierten Krankheitsbilder den größten Stellenwert. Auch Condylomata acuminata gehören zu dieser Krankheitsgruppe. 13.6.1
Condylomata acuminata
Condylomata acuminata („spitze“ Kondylome) sind die häufigsten benignen Tumore der Anogenitalregion. Bei mehr als 90 % der Kondylome lassen sich die beiden HPV-Low-Risk-Typen 6 und 11 nachweisen. Damit sind Condylomata acuminata auch die am häufigsten vorkommende HPV-assoziierte Erkrankung und gleichzeitig die häufigste Geschlechtskrankheit sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Die Übertragung von HPV ist durch Geschlechtsverkehr, durch Schmierinfektionen und durch gemeinsames Baden möglich. Unter der Geburt können HPV im Geburtskanal von der Mutter auf das Neugeborene übertragen werden. Später kann es beim Kind zur Ausbildung ge-
. Abb. 13.22 Condylomata acuminata im Kindesalter. Bei dem 11-jährigen Mädchen war das Hymen intakt. Für einen Missbrauch gab es keine Hinweise
201 13.6 Neoplastische Vulvaerkrankungen
a
b
. Abb. 13.23 Condylomata acuminata am Damm und perianal (a). Die Cervix uteri ist ebenfalls betroffen (b). Das typische Gefäßmuster ist zu sehen
nitoanaler Warzen, äußerst selten auch zur Ausbildung von Larynxpapillomen kommen. Treten Condylomata acuminata im Kindesalter auf (. Abb. 13.22), muss an einen sexuellen Missbrauch gedacht werden. Dies ist aber letztendlich in weniger als der Hälfte der Fälle der Fall. Gerade im Kindesalter stellt die Auto- bzw. Heteroinokulation, zum Beispiel ausgehend von Fingerwarzen (HPV-Typ 2), einen denkbaren Übertragungsweg dar. Die Inkubationszeit genitoanaler Warzen ist sehr variabel und liegt zwischen vier Wochen und mehreren Monaten. Den wichtigsten unabhängigen Risikofaktor stellt die Anzahl der Sexualpartner dar. Meist bestehen keine Symptome. Manchmal klagen die Patientinnen über Pruritus vulvae, Brennen und Ausfluss. Condylomata acuminata können über Monate und Jahre persistieren. In ca. 30 % der Fälle heilen die Warzen spontan ab. Die Diagnostik erfolgt durch Inspektion und kolposkopische Untersuchung, ggf. unter Anwendung der Essigsäureprobe. Wegen der Möglichkeit der Koexistenz kondylomatöser Veränderungen und intraepithelialer Neoplasien ist eine Spekulumeinstellung mit kolposkopischer Untersuchung notwendig. Condylomata acuminata sind häufig multifokal. Bei periurethralem Sitz am Meatus urethrae
sollte zum Ausschluss intraurethraler Condylomata acuminata eine Urethroskopie durchgeführt werden. Eine proktoskopische Untersuchung zum Ausschluss intraanaler kondylomatöser Veränderungen ist bei perianalen Condylomata acuminata erforderlich. Bei klinisch eindeutiger Diagnose neu aufgetretener Condylomata acuminata (. Abb. 13.23) ist eine histologische Abklärung nicht unbedingt notwendig. Allerdings sollte bei fraglichen Veränderungen oder bei häufig rezidivierenden Befunden nicht auf die histologische Abklärung verzichtet werden (Buckley und Fox 1988). > Differenzialdiagnostisch muss an eine HSIL der Vulva gedacht werden (. Abb. 13.24, 13.25, 13.26). Die Mikropapillomatosis labialis vulvae (. Abb. 13.27, 13.28), die einen Normalbefund darstellt, sollte unbedingt von Condylomata acuminata unterschieden werden und bedarf keiner Therapie.
Werden Condylomata acuminata zweifelsfrei nachgewiesen, stehen unterschiedliche Therapieverfahren zur Verfügung. Es existieren sowohl chirurgische als auch medikamentöse Behandlungsverfahren. Bei ausgedehnten Veränderungen wird die CO2 -Lasertherapie unter kolposkopischer Kon-
13
202
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
a
b
. Abb. 13.24 Condylomata acuminata in Verbindung mit einer HSIL der Vulva. An der vorderen Kommissur erkennt man ein Kondylom (a), während an der hinteren Kommissur eine schwere vulväre intraepitheliale Neoplasie nachweisbar ist (b)
13
a
b
. Abb. 13.25 Lichen sclerosus der Vulva mit rezidivierenden Condylomata acuminata bei einer 55-jährigen Patientin. Aufgrund des ungewöhnlichen Bildes sollte eine Biopsie durchgeführt werden
trolle empfohlen, die die besten kosmetischen Ergebnisse erzielt. Elektrochirurgische Verfahren führen dagegen zu Vernarbungen im Bereich der Vulva. In der Regel erfolgt die Operation in Vollnarkose. Bei umschriebenen Kondylomen ist eine Behandlung mit Podophyllotoxin als 0,5 %ige Lösung oder als 0,15 %ige Creme möglich. Diese Substanzen können von den Patientinnen selbst aufgetragen werden. Die 0,5 %ige Lösung (Wartec® ) ist zur Selbstbehandlung zugelassen.
Auch großflächige Kondylome der Vulva können mit einem sogenannten „immune response modifier“ behandelt werden, insbesondere mit einer 5%igen Imiquimodcreme (Aldara® ) (. Abb. 13.29). Als weiteres Präparat ist Veregen® verfügbar, eine Creme, welche aus einem Grüntee-Extrakt hergestellt wird und antioxidative Eigenschaften besitzt (Bhatia 2012). > Trichloressigsäure (TCA) in einer Konzentration von 70 oder 85 % führt nach Auftra-
203 13.6 Neoplastische Vulvaerkrankungen
. Abb. 13.26 Differenzialdiagnose Kondylom/VIN. Bei der 41-jährigen Patientin finden sich an der Innenseite der linken kleinen Labie einzeln stehende Effloreszenzen, welche an Condylomata acuminata erinnern, allerdings deutlich pigmentiert sind. Die Gewebeentnahme ergibt eine HSIL der Vulva mit Nachweis von HPV16. Direkt unterhalb der Klitoris besteht ein sehr kleiner erosiver Defekt (Pfeil). Histologisch zeigt sich eine HSIL der Vulva mit beginnender Invasion
gen auf die Haut zu Zellnekrosen. Es ist die einzige medikamentöse Therapie, welche zur Behandlung externer genitaler Warzen in der Schwangerschaft zugelassen ist.
TCA wird vom Arzt mit einem Wattetupfer auf die Warzen aufgebracht. Unter der Behandlung wird von den Patientinnen oft über Brennen und Schmerzen geklagt. Die Auftragung sollte daher nur in kleinsten Mengen erfolgen. Condylomata acuminata der Vulva, Vagina und Cervix uteri, die sich in der Schwanger-
. Abb. 13.27 Mikropapilloma labialis. Dies sollte nicht mit Condylomata acuminata verwechselt werden und ist nicht behandlungsbedürftig
schaft großflächig ausbreiten, sind problematisch. Neben der Gefahr von Verletzungen des Geburtskanals unter der Entbindung ist hier das Risiko einer peripartalen kindlichen Infektion mit HPV zu bedenken. Dieses scheint allerdings – unabhängig davon, ob die Condylomata acuminata in der Schwangerschaft entfernt werden oder nicht – gering zu sein (Watts et al. 1998). Trotz ausführlicher Aufklärung über das geringe Infektionsrisiko äußern dennoch die meisten Patientinnen den Wunsch nach einer pri-
. Abb. 13.28 Mikropapilloma labialis bei einer 21-jährigen Patientin mit Vulvodynie
13
204
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
mit einem kumulativen Entartungsrisiko von 50,0 %. Soweit es sich durch retrospektive Untersuchungen abschätzen lässt, scheint das Entartungsrisiko nicht sehr hoch zu sein. Bei einer Auswertung bei 303 Patientinnen (Wallbillich et al. 2012) entwickelten sieben Frauen (2,3 %) nach einem medianen Intervall von 109 Monaten (zwischen 12 und 327 Monaten) ein invasives Karzinom. Problematisch ist eine hohe Rezidivrate der Dysplasie, die nach Wallbillich et al. (2012) 28,7 % betrug. Raucherinnen litten signifikant häufiger unter Rezidiven. . Abb. 13.29 Condylomata acuminata. Der ausgedehnte Befall des Introitus konnte bei der 21-jährigen Patientin durch Imiquimod (Aldara® ) vollständig beseitigt werden
13
mären Sectio caesarea zur Reduktion des kindlichen Infektionsrisikos. Eine zwingende Indikation zur Durchführung einer Sectio besteht, wenn der Geburtskanal großflächig durch Condylomata acuminata verlegt ist. Bei geringfügigen Befunden besteht nur eine relative Indikation. In die Entscheidungsfindung muss in diesem Fall einfließen, ob mit einer zügigen Entbindung oder mit einem protrahierten Geburtsverlauf zu rechnen ist. Ein Spontanpartus wird bevorzugt, wenn es gelungen ist, in der Schwangerschaft diagnostizierte Condylomata acuminata bis zur abgeschlossenen 34. SSW operativ zu entfernen. Zur Entfernung der Kondylome bietet sich die kolposkopisch gesteuerte CO2 -Laservaporisation an. Eine medikamentöse Therapie zum Beispiel mit Imiquimod ist während der Schwangerschaft dagegen kontraindiziert. 13.6.2
Vulväre intraepitheliale Neoplasie (VIN/HSIL und d-VIN)
Eine HSIL der Vulva (VIN/HSIL) gilt analog zur höhergradigen zervikalen intraepithelialen Neoplasie (CIN2/CIN3) als Präkanzerose. Auf das von Thuijs et al. (2021) ermittelte Entartungsrisiko von 9,7 % (kumulativ über zehn Jahre) wurde bereits hingewiesen. Problematischer als die undifferenzierte VIN ist der Lichensclerosus-assoziierte differenzierte Typ (d-VIN)
> Offensichtlich stellt Rauchen einen Risikofaktor für die Entstehung einer VIN dar. Denn 40 % der Betroffenen waren aktive Raucherinnen und 26 % hatten in der Vergangenheit geraucht.
Die Hautveränderungen einer VIN sind in ihrem klinischen Bild sehr unterschiedlich. Es gibt papilläre oder pigmentierte Veränderungen, die kondylomatösen Charakter haben und früher als bowenoide Papulose bezeichnet wurden. Weitere typische Erscheinungsformen der VIN sind unpigmentierte, erhabene, teils papilläre Veränderungen, eventuell mit umschriebener Hyperkeratose. Weitaus seltener liegen großflächige erythroplakische Läsionen vor (. Abb. 13.19). Diese wurden früher als „Erythroplasie de Queyrat“ bezeichnet. . Abb. 13.30–13.34 sind Beispiele für die unterschiedlichsten Erscheinungsformen einer Vulvadysplasie. Die Abgrenzung von den seltenen Basaliomen der Vulva gelingt nur durch Biopsie (. Abb. 13.35, 13.36). Umschriebene Basaliome lassen sich meist problemlos operativ entfernen, auch wenn durch Imiquimod eine zugelassene topische Behandlungsoption besteht. Nicht selten ist eine HSIL der Vulva multifokal (. Abb. 13.37). Die intraepitheliale Neoplasie kann bis in die Analregion reichen. Auch ist es nicht ungewöhnlich, dass multizentrische Veränderungen einer intraepithelialen Neoplasie des unteren Genitaltrakts – insbesondere eine CIN – gleichzeitig vorliegen oder anamnestisch bekannt sind. Gleiches gilt für weitere HPV-assoziierte Veränderungen wie Condylomata acuminata.
205 13.6 Neoplastische Vulvaerkrankungen
. Abb. 13.30 Hyperpigmentierung bei HSIL der Vulva sowie AIN
. Abb. 13.32 HSIL der Vulva bei einer 36-jährigen Patientin. Die hyperkeratotischen Läsionen setzen sich auf die Vagina fort
. Abb. 13.31 Bei der unpigmentierten papillär erhabenen Epithelveränderung im Bereich der hinteren Kommissur handelt es sich um eine HSIL der Vulva
> In den letzten Jahren wurde eine zunehmende Zahl sowohl intraepithelialer als auch invasiver Läsionen bei ungewöhnlich jungen Frauen beobachtet. Diese liegen vorzugsweise im Bereich zwischen Klitoris und Urethra (7 Abschn. 13.6.4). Daher sollten alle persistierenden abnormen Befunde, insbesondere Epitheldefekte oder Ulzera, biopsiert werden, um jede Behandlungsverzögerung zu vermeiden, falls es sich um ein Vulvakarzinom handeln sollte.
. Abb. 13.33 Rezidivierende HSIL der Vulva. Bei der 61jährigen Patientin war bereits dreimal eine CO2 -Laservaporisation durchgeführt worden
> Die Behandlung der VIN erfolgt fast immer operativ, entweder durch CO2 -Laserresektion mit fokussiertem Laserstrahl bei umschriebenen Befunden, die nicht größer als 20 mm sind, oder durch CO2 -Laservaporisati-
13
206
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
. Abb. 13.34 HSIL der Vulva mit Erythroplakie der Introitusschleimhaut, vormals als „Erythroplasie de Queyrat“ bezeichnet
. Abb. 13.37 Multifokale VIN oberhalb des Präputiums clitoridis links, der linken und rechten kleinen Labie sowie der hinteren Kommissur
Der Vorteil der Laservaporisation gegenüber anderen Behandlungsmethoden besteht darin, dass ausgedehnte Befunde ohne eine Verstümmelung und Vernarbung behandelt werden können und Veränderungen an ungünstig gelegenen Stellen wie Klitoris oder perianal problemlos abgetragen werden können.
13 . Abb. 13.35 Basaliom der Vulva
on, wenn keinerlei Hinweise für eine Invasion bestehen. Die beiden Vorgehensweisen können auch kombiniert werden.
. Abb. 13.36 Basaliom der Vulva
> Aufgrund der Vorteile der CO2 -Laserchirurgie sind elektrochirurgische Verfahren und Operationen mit anderen Lasern zur Entfernung vulvärer intraepithelialer Neoplasien nicht mehr vertretbar.
207 13.6 Neoplastische Vulvaerkrankungen
Da es sich bei einer VIN um eine Präkanzerose und nicht um ein invasives Karzinom handelt, muss eine Resektion im Gesunden („R0“) nicht histopathologisch dokumentiert sein. Vielmehr erfolgt die Resektion ebenso wie bei der Operation der zervikalen Läsionen immer unter kolposkopischer Vergrößerung. Medikamentöse Behandlungsoptionen sind zurzeit noch sehr begrenzt. Eine therapeutische HPV-Impfung (Kenter et al. 2009) existiert nach wie vor nicht. Das zur topischen Behandlung von Condylomata acuminata eingesetzte Imiquimod kann prinzipiell auch zur Behandlung einer rezidivierenden VIN eingesetzt werden (van Seters et al. 2008, Terlou et al. 2011). Allerdings ist Imiquimod für diese Indikation nicht zugelassen.
13.6.3
Bei einem Morbus Paget der Vulva finden sich scharf abgegrenzte, hellrötlich verfärbte Areale mit inselartiger Auflagerung eines hyperkeratotischen weißen Epithels (. Abb. 13.38, 13.39, 13.40, 13.41). Kleine Herde werden nicht selten als Ekzem, großflächige Areale als genitale Pilzinfektion missinterpretiert. Die Patientinnen leiden manchmal über Jahre an Juckreiz und anderen Missempfindungen im Bereich der Vulva, bevor an die Diagnose gedacht und durch Gewebeentnahme nachgewiesen wird. Wenn Patientinnen die Vulvabeschwerden nur an einer bestimmten Stelle oder nur auf einer Seite der Vulva lokalisieren, so ist dies ein indirekter Hinweis, dass ein Morbus Paget vorliegen könnte. Ein invasives Wachstum des Morbus Paget ist vermutlich selten und geht mit einer guten Prognose einher, wenn die Erkrankung lokalisiert bleibt. Kilts et al. (2020) haben aus der amerikanischen Datenbank SEER („Surveillance, Epidemiology, and End Results“) 1268 Fälle von invasivem Morbus Paget zusammengetragen, die zwischen 1992 und 2016 diagnostiziert worden waren. 69,6 % der Patientinnen hatten nur eine lokale Erkrankung. Insgesamt betrug die krankheitsspezifische Überlebensrate nach fünf Jahren 95,5 %.
Morbus Paget der Vulva
Bei einem Morbus Paget der Vulva finden sich intraepithelial sowie im Bereich der Hautanhangsgebilde benigne adenoide Zellnester (Londero et al. 2013). Die Veränderungen beginnen an den behaarten Abschnitten der Vulva und betreffen vorzugsweise Patientinnen in der Postmenopause. Die Veränderungen können sich bis in die Leistenregion und perianal ausdehnen.
a . Abb. 13.38 Morbus Paget der Vulva. Bei der 69-jährigen Patientin bestand über 5 Jahre ein starker, auf die rechte Vulvahälfte beschränkter Juckreiz (a). Bei 15-facher kolpo-
b skopischer Vergrößerung des Befundes der rechten großen Labie (b) sieht man kleine Gewebsdefekte im Wechsel mit hyperkeratotischen Arealen
13
208
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
. Abb. 13.39 Morbus Paget der Vulva bei einer 77-jährigen Patientin. Die betroffenen Hautareale haben ein ekzemartiges Aussehen
Bei 2,8 % der Patientinnen mit invasivem Morbus Paget traten synchrone Karzinome auf, definiert als Manifestation innerhalb eines Jahres nach Diagnose des Morbus Paget. 15,4 % entwickelten nach mehr als einem Jahr ein sekundäres Karzinom. Synchrone Karzinome traten in der Brust, im Gastrointestinaltrakt sowie als Melanome auf. Die häufigsten sekundären Karzinome waren Mammakarzinom, sowie gastrointestinale und urogenitale Karzinome.
. Abb. 13.40 Rezidivierender Morbus Paget der Vulva. Bei der 75-jährigen Patientin war die Erkrankung erstmals 12 Jahre zuvor diagnostiziert worden
13
a
b
. Abb. 13.41 Rezidivierender Morbus Paget der Vulva. Die 80-jährige Patientin war durch lokale Resektionen sowie Imiquimod-Creme behandelt worden. Der Introitus ist durch die Voroperationen vernarbt (a). Es besteht ein Partialpro-
laps. Die Ausschnittvergrößerung des rechten Introitus (b) weist eine für die Erkrankung charakteristische Hyperkeratose auf
209 13.6 Neoplastische Vulvaerkrankungen
> Wegen der Möglichkeit von Zweitkarzinomen bei Morbus Paget der Vulva, insbesondere wenn es sich um eine invasive Form handelt, sollten Mammografie, Koloskopie, Zystoskopie und CT oder MRI des Beckens durchgeführt werden.
Ein Morbus Paget der Vulva wird primär chirurgisch behandelt. Unter anderem kann so eine invasive Erkrankung ausgeschlossen oder nachgewiesen werden. Da die makroskopische bzw. kolposkopische Begrenzung auf der Haut nicht mit der Ausbreitung der Erkrankung übereinstimmt, sind die Resektionsränder fast immer positiv, und es kommt häufig zu Rezidiven. Daher sollte man keine radikalen oder ultraradikalen Resektionen durchführen. Wenn es im Verlauf der Nachsorge zu einem klinisch manifesten Rezidiv kommt, wird mit dem „immune response modifier“ Imiquimod behandelt. Dies hat sich als hocheffektive Behandlungsoption erwiesen (Bertozzi et al. 2009, Londero et al. 2013, Luyten et al. 2006). Eine retrospektive Studie von Luyten et al. (2014) bei 21 Patientinnen ergab eine Ansprechrate von 81 %, wobei bei 11 Patientinnen (52 %) eine vollständige Remission erzielt wurde. > Aufgrund der günstigen Erfahrungen mit Imiquimod sollte mit den Patientinnen alternativ zu radikal-chirurgischen Maßnahmen die um-
a
schriebene Resektion mit anschließender Imiquimod-Behandlung „off label“ im Falle eines Rezidivs diskutiert werden.
13.6.4
Vulvakarzinom
> Die Epidemiologie des Vulvakarzinoms hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Sowohl präinvasive als auch invasive Läsionen nehmen zu und treten häufiger bei jüngeren Frauen auf (Hampl et al. 2008). Diese Karzinome bei jungen Frauen liegen sehr häufig im Bereich zwischen Klitoris und Urethra und werden als Mittellinienkarzinome bezeichnet.
. Abb. 13.42–13.48 zeigen überwiegend Beispiele für diese inzwischen häufige Lokalisation. Bis jetzt ist es nicht gelungen, diesen Mittellinienkarzinomen ein spezifisches molekularbiologisches Profil zuzuordnen. So besteht zum Beispiel keine signifikant häufigere HPV-Assoziation (Reuschenbach et al. 2013). Das subjektive Beschwerdebild von Patientinnen mit einem Plattenepithelkarzinom der Vulva ist uncharakteristisch. Eine typische Frühsymptomatik besteht nicht (. Abb. 13.49). Die Patientinnen klagen bei der Erstvorstellung über Pruritus vulvae, Schmerzen oder ein Wundgefühl an der Vulva. Bei gezielter Befragung
b
. Abb. 13.42 Mittellinienkarzinom der Vulva bei einer 30-jährigen Patientin. Die Läsion liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der Urethra (a). Mit der kolposkopischen Vergrößerung zeigt sich ein winziges Karzinomulkus (b)
13
210
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
. Abb. 13.43 Mittellinienkarzinom der Vulva bei einer 38jährigen Patientin an der Innenseite der rechten kleinen Labie in unmittelbarer Nähe zur Klitoris
13
geben viele Patientinnen an, dass die Beschwerden schon jahrelang bestehen. Seltener als über Schmerzen und Pruritus vulvae berichten die Patientinnen über leichte Blutungen oder über tastbare knotige Veränderungen des äußeren Genitales. Die meisten Mittellinienkarzinome im frühen Stadium verursachen keinerlei Symptome. Nicht selten wird ein Vulvakarzinom aber lange Zeit verschleppt. Manche Patientinnen ignorieren ihre Beschwerden, suchen aus Scham-
a
. Abb. 13.44 Vulvakarzinom in unmittelbarer Nachbarschaft zur Glans clitoridis. Die 59-jährige Patientin berichtete über einen brennenden Schmerz, der 7 Monate zuvor begonnen hatte
gefühl zunächst keinen Arzt auf und führen eine Selbstbehandlung durch (. Abb. 13.50). Auch von Seiten des betreuenden Arztes werden Befunde fehlinterpretiert und es werden wiederholt Lokalbehandlungen durchgeführt, ohne dass sich ein nennenswerter Therapieerfolg einstellt (. Abb. 13.51, 13.52). Es kann nicht oft genug betont werden, dass selbst bei sehr jungen Patientinnen an die Mög-
b
. Abb. 13.45 Mikrokarzinom der Vulva als Mittellinienkarzinom bei einer 59-jährigen Patientin. Der Tumor liegt unmittelbar der Klitoris an (a) und weist atypische Gefäße auf, welche unter dem Grünfilter deutlicher hervortreten (b)
211 13.6 Neoplastische Vulvaerkrankungen
a
b
. Abb. 13.46 Karzinom der Glans clitoridis bei einer 33jährigen Patientin. Eine HSIL der Vulva war vorausgegangen. Der noch relativ kleine Tumor hat einen Teil der Glans
a
c clitoridis destruiert (a). Unter starker kolposkopischer Vergrößerung (b) treten unter dem Grünfilter (c) die atypischen Tumorgefäße deutlich hervor
b
. Abb. 13.47 Karzinom im Bereich der Glans clitoridis bei einer 56-jährigen Patientin mit Ulzeration (a) und atypischen Gefäßen (b)
lichkeit eines Vulvakarzinoms gedacht werden muss, insbesondere wenn das Problem zwischen Klitoris und Urethra lokalisiert sein sollte. Die Diagnostik von Tumoren der Vulva beginnt immer mit einer Inspektion. Die gesamte Vulva wird subtil durchgemustert, wobei nicht auf das Kolposkop verzichtet werden sollte. Häufig sind auch benachbarte Organe – das Perineum, die Urethra und die Vagina – in das Tumorgeschehen einbezogen. Nicht selten finden sich multizentrische Befunde im Bereich des unteren Genitaltrakts, sodass eine zervikale intraepitheliale Neoplasie ausgeschlossen werden muss. Größere exophytische, klinisch verdächtige Vulvatumoren sind leicht zu diagnostizieren. Die histologische Befundbestätigung wird durch die
Entnahme einer repräsentativen Biopsie erzielt. Dabei muss der Operateur aber über eine gewisse Erfahrung in der makroskopischen und kolposkopischen Diagnostik verfügen: Wird die Biopsie aus einem nekrotischen Gewebeareal entnommen, kann der Pathologe nicht oder nur mit Mühe einen exakten histologischen Befund erstellen. In solchen Fällen sind weitere Probeentnahmen zur definitiven Diagnosestellung notwendig. Kleinere, weniger als 2 cm große Tumoren können problemlos exzidiert werden, abhängig von ihrer Lokalisation auch in Lokalanästhesie. Wird bei der Palpation eine Hautinduration festgestellt, so ist auch diese durch eine Biopsie abzuklären. Oftmals sind tief reichende Probeentnahmen notwendig, sodass auf eine Narko-
13
212
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
. Abb. 13.48 Vulvakarzinom bei einer 39-jährigen Patientin. In Anbetracht der zunehmenden Häufung von Mittellinienkarzinomen bei jungen Frauen ist diese Lokalisation im Bereich der rechten kleinen Labie ungewöhnlich
13
. Abb. 13.49 Periurethral gelegenes Vulvakarzinom. Dieser Befund wurde bei der 68-jährigen Patientin im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung entdeckt
seuntersuchung nicht verzichtet werden kann. Diese ist auch bei sehr schmerzhaften Befunden oder bei ausgeprägt stenosierenden Veränderungen erforderlich. Während der Narkose werden Gewebeproben zur histologischen Diagnosesicherung entnommen.
. Abb. 13.50 Fortgeschrittenes Vulvakarzinom. Neben dem makroskopisch fassbaren Vulvatumor entsprechen die rötlich verfärbten Hautareale einer derben Karzinominfiltration, welche bis an den Sphinkter heranreicht
213 13.6 Neoplastische Vulvaerkrankungen
. Abb. 13.51 Weit fortgeschrittenes Mittellinienkarzinom der Vulva bei einer 39-jährigen Patientin. Die Symptomatik wurde mindestens ein Jahr lang verkannt. Zum Zeitpunkt der Diagnose eines mittelgradig bis schlecht differenzierten Plattenepithelkarzinoms mit Lymphangiosis und Hämangiosis carcinomatosa fanden sich Lymphknotenmetastasen in beiden Leisten
13.6.5
Malignes Melanom der Vulva
Pigmentierte Läsionen an der Vulva sind bei sorgfältiger Untersuchung häufig zu sehen. Meist handelt es sich um eine harmlose Pigmentierungsstörung, die sog. Melanosis vulvae. Gelegentlich treten umschriebene Hyperpigmentierungen postinflammatorisch auf. Nur in etwa 2 % der Fälle handelt es sich um Nävi. > Nävuszellnävi der Vulva sollten besonders sorgfältig untersucht werden, um ein malignes Melanom auszuschließen, denn die Prognose der Erkrankung hängt ganz wesentlich von der Tiefeninfiltration des Melanoms zum Zeitpunkt der Diagnose ab. Leider sind Melanome der Vulva zum Zeitpunkt der Diagnosestellung oft weiter fortgeschritten als an anderen Körperstellen (. Abb. 13.53, 13.54).
Nach von Plattenepithel ausgehenden Karzinomen ist das Melanom der zweithäufigste Tu-
. Abb. 13.52 Fortgeschrittenes Mittellinienkarzinom bei einer 18-jährigen Patientin. Die Symptomatik hatte 6 Monate zuvor begonnen und wurde als Candida-Infektion fehlgedeutet. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung hatte das schlecht differenzierte Plattenepithelkarzinom einen Durchmesser von 4 cm
mor der Vulva. Warum es im Bereich der Vulva zu dieser Häufung von Melanomen kommt, ist unklar. Ein Zusammenhang mit HPV ist nicht nachgewiesen. Allerdings zeigen Sequenzierungsstudien, dass es sich bei gynäkologischen Melanomen möglicherweise um einen speziellen Subtyp handelt aufgrund des charakteristischen Mutationsmusters (Gadducci et al. 2018). Dies sollten zukünftige Studien zur „targeted therapy“ berücksichtigen. Vulväre Melanome besitzen c-KIT-, NRAS- und BRAFMutationen, was therapeutisch genutzt werden könnte. Eine spezielle Veränderung stellt der dysplastische Nävus dar, der sowohl sporadisch als auch bei Patientinnen mit Melanom auftritt. Diese Läsionen weisen einige irreguläre Züge auf: eine größere Ausdehnung, eine makulöse und eine papulöse Komponente, Asymmetrie, unregelmäßige Begrenzung, Pigmentierung sowie Auftreten auch auf vor Sonnenbestrahlung geschützter Haut. Das Melanomrisiko bei Patientinnen mit dysplastischem Nävus ist wahrscheinlich erhöht. Die Mehrzahl der Nävi wird wegen ihrer potenziellen Malignität exzidiert. Eine besonders großzügige Indikation zur Exzision sollte bei
13
214
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
. Abb. 13.54 Vulvamelanom bei einer 82-jährigen Patientin mit exophytischem Tumor und deutlicher Hyperpigmentierung im Randbereich
. Abb. 13.53 Melanom der Vulva mit unregelmäßiger Hyperpigmentierung
13
symptomatischen Nävi mit Irritation und Blutungen erfolgen. Die chirurgische Exzision muss im Gesunden erfolgen. Entgegen früheren Annahmen verschlechtert eine inzisionale Biopsie im Rahmen der diagnostischen Abklärung die Prognose eines Melanoms nicht und kann bedenkenlos durchgeführt werden (Pflugfelder et al. 2010). Trotzdem sollte wenn immer möglich eine vollständige
Resektion durchgeführt werden, da so die für die Therapieplanung wichtigen Parameter am zuverlässigsten bestimmt werden können (Sharma et al. 2016). Patientinnen mit einem malignen Melanom werden in enger Kooperation mit dermatologischen Onkolog/innen behandelt, da sich sowohl der Umfang der chirurgischen Resektion als auch die medikamentösen Folgetherapien wesentlich von der Vorgehensweise bei einem Plattenepithelkarzinom der Vulva unterscheiden. Insgesamt ist die Prognose eines Vulvamelanoms ungünstig mit 5-Jahres-Überlebensraten zwischen 37 und 50 % (Gadducci et al. 2018).
13
215 13.7 Fragen zur Selbstkontrolle – Kolposkopie der Vulva
13.7
Fragen zur Selbstkontrolle – Kolposkopie der Vulva
Ja 1 Im Bereich der Vulva ist eine Blickdiagnose eher möglich als im Bereich der Zervix.
2 Bei eindeutigem klinischem bzw. kolposkopischem Bild müssen Condylomata acuminata oder ein Lichen sclerosus der Vulva nicht in jedem Fall histologisch verifiziert werden.
Nein
3 Die Vulvazytologie ist eine wertvolle nichtinvasive Diagnosemethode, welche erste Hinweise auf eine spezifische Vulvaerkrankung geben kann.
4 Ebenso wie im Bereich von Zervix und Vagina werden bei der kolposkopischen Vulvadiagnostik regelmäßig der Essigsäuretest sowie die Schiller’sche Jodprobe eingesetzt.
5 Die Toluidinblauprobe ist aufgrund der bei Para- und Dyskeratosen des Epithels häufig unspezifisch blauen Reaktion nicht praktikabel. 6 Der Lichen sclerosus der Vulva ist zwar nicht in jedem Falle HPV-assoziiert, nimmt bei einer HPV31-Infektion allerdings einen schwerwiegenderen Verlauf.
7 Bei Patientinnen mit Lichen sclerosus in der Postmenopause ist die topische Östrogengabe die Therapie der ersten Wahl.
8 Ein Lichen sclerosus der Vulva kann vor Eintreten der Pubertät durch eine konsequente Kortisonbe- handlung vollständig geheilt werden. 9 Durch eine topische Langzeitbehandlung mit Kortison bei Lichen sclerosus der Vulva wird die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Vulvakarzinoms verringert.
10 Bei Lichen ruber planus der Vulva können Mundschleimhaut und Kopfhaut mitbetroffen sein.
11 Bei Lichen ruber planus der Vulva ist das Krebsrisiko im Bereich von Lippe, Zunge, Mundhöhle, Ösophagus, Larynx und Vulva erhöht.
12 Eine Mikropapillomatosis labialis der Vulva wird durch CO2 -Laservaporisation behandelt. 13 Der „Immune Response Modifier“ Imiquimod ist für die Behandlung von Condylomata acuminata der Vulva zugelassen sowie für die primäre Behandlung von Basaliomen.
14 Eine VIN1 sollte durch CO2 -Laservaporisation behandelt werden, während eine VIN2 bzw. VIN3 lokal reseziert werden muss. 15 Rauchen ist ein wichtiger Risikofaktor für die Entstehung einer vulvären intraepithelialen Neoplasie.
16 Die Behandlung der VIN erfolgt fast immer operativ, entweder durch CO2 -Laserresektion bei umschriebenen Befunden oder durch CO2 -Laservaporisation.
17 Eine topische Behandlung mit Imiquimod ist bei vulvärer intraepithelialer Neoplasie wirksam, jedoch nicht offiziell zugelassen.
18 Wegen der Möglichkeit von Zweitkarzinomen bei Morbus Paget der Vulva sollten Mammografie, Koloskopie, Zystoskopie und CT/MRT des Beckens durchgeführt werden.
19 Aufgrund der Wirksamkeit von Imiquimod bei Morbus Paget der Vulva sollte alternativ zu radikal- chirurgischen Maßnahmen die umschriebene Resektion mit anschließender Imiquimod-Behandlung im Falle eines Rezidivs angeboten werden.
20 Sogenannte Mittellinienkarzinome, die zwischen Klitoris und Urethra lokalisiert sind, treten gehäuft bei postmenopausalen Patientinnen auf. 21 Auffällige Befunde im Bereich der Vulva bei Patientinnen jeglichen Alters sollten entweder biopsiert oder kurzfristig nachuntersucht werden, um ein Vulvakarzinom frühzeitig zu erkennen.
216
Kapitel 13 Kolposkopie der Vulva
Ja 22 Der zweithäufigste maligne Befund im Bereich der Vulva ist das Adenokarzinom, gefolgt von Melanomen.
23 Bei einem klinischen Verdacht auf ein Vulvamelanom darf keine inzisionale Biopsie durchgeführt werden, da dies die Tumorzellausbreitung fördert.
Literatur
13
Nein
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13
219
HPV-Impfung Inhaltsverzeichnis 14.1
Struktur des HP-Virus – 220
14.2
Entwicklung der HPV-Impfung – 221
14.3
Indikationen zur HPV-Impfung (Gardasil9®) – 222
14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4
HPV-Impfung von Kindern und Jugendlichen – 223 HPV-Impfung von Jungen und Männern – 223 „Catch-up“-Impfung – 224 HPV-Impfung nach operativer Dysplasiebehandlung – 224
14.4
Effektivität der HPV-Impfung – 225
14.4.1 14.4.2
„Real-Life“-Effektivität der HPV-Impfstoffe – 225 Wirksamkeit der HPV-Impfung beim Adenocarcinoma in situ – 226 Prophylaxe von Condylomata acuminata durch Gardasil® – 227 Langfristige Auswirkungen der HPV-Impfung – 227
14.4.3 14.4.4
14.5
Nebenwirkungen der HPV-Impfung und das Risiko des „serotype replacement“ – 228
14.6
Auswirkungen der HPV-Impfung auf sekundäre Screeningprogramme – 228
14.7
Fragen zur Selbstkontrolle – HPV-Impfung – 229 Literatur – 229
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_14
14
220
Kapitel 14 HPV-Impfung
Impfstoffe gegen humane Papillomaviren sind in der Lage, HPV-assoziierte Präkanzerosen des weiblichen Genitales und HPV-assoziierte Krebserkrankungen zu verhindern. Dies gilt auch für HPV-induzierte Erkrankungen bei Männern. Insbesondere eröffnet die HPV-Impfung die Perspektive, die Karzinome der Cervix uteri weltweit zu eliminieren. In absehbarer Zeit müssen die Impfbemühungen jedoch durch das sekundäre Screening ergänzt werden. Da die Inzidenz HPV-assoziierter Erkrankungen nach und nach zurückgehen wird, müssen die sekundären Screeningstrategien kontinuierlich angepasst werden, damit sie weiterhin ein hohes Maß an Effektivität haben.
poskopie Präkanzerosen erkannt und damit die Entstehung des Zervixkarzinoms in einem großen Teil der Fälle verhindert werden. Allerdings setzen die diagnostischen und therapeutischen Bemühungen erst dann ein, wenn sich bereits eine HPV-bedingte Krebsvorstufe manifestiert hat. Dagegen wird durch die Impfung eine primäre bzw. primordiale Prävention (Strasser 1978) bewirkt. Durch die HPV-Impfung werden Antikörper gegen humane Papillomaviren gebildet, welche bei einem Erstkontakt mit dem Virus eine Infektion verhindern. > Eine bereits bestehende Infektion kann jedoch nicht mehr beseitigt werden. Demnach handelt es sich zurzeit um ein rein prophylaktisches Impfprinzip.
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14
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Harald zur Hausen vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg stellte bereits im Jahre 1974 die Hypothese auf, dass HP-Viren eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Zervixkarzinomen spielen. Mit diesen und weiteren Arbeiten legte zur Hausen die Grundlage für die Entwicklung der HPV-Impfung (zur Hausen 2009). Für diesen wichtigen Beitrag zur Krebsbekämpfung wurde ihm 2008 der Nobelpreis für Medizin verliehen. Die kolposkopische Diagnostik ist in diesem Zusammenhang Teil einer Strategie zur sekundären Prävention des Zervixkarzinoms. Zwar können durch Zytologie, HPV-Test und Kol-
Im Jahr 2006 wurde als erster Impfstoff Gardasil® in Europa zugelassen. 2007 folgte Cervarix® . Seit 2015 (in Europa) bzw. 2018 (in den USA) steht mit Gardasil9® ein weiter verbesserter Impfstoff zur Verfügung. Die Zulassung von Gardasil® und Cervarix® liegt ausreichend lange zurück, sodass bereits epidemiologische Daten vorliegen („real-life data“), welche die hohe Effektivität der HPV-Impfung belegen. Inzwischen haben 107 Mitgliedsstaaten der WHO (55 %) die HPV-Impfung offiziell eingeführt (Bruni et al. 2021) mit einer Impfrate zwischen 67 % (erste Impfung) und 53 % (letzte Impfung). Zum Thema „Impfprävention HPV-assoziierter Neoplasien“ existiert eine umfassende S3Leitlinie,1 die alle Detailfragen zur HPV-Impfung auf der Basis von Evidenz und einem Expertenkonsens beantwortet.
14.1
Struktur des HP-Virus
Um die Wirkungsweise von HPV-Impfstoffen verstehen zu können, sind Grundkenntnisse zur Struktur des HP-Virus notwendig. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf HPV16, den häufigsten Papillomavirus der High-RiskGruppe. 1
7 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/ 082-002l_S3_Impfpraevention-HPV-assoziierterNeoplasien_2020-07_01.pdf.
221 14.2 Entwicklung der HPV-Impfung
> Von den funktionellen E-Proteinen sind E6 und E7 von entscheidender Bedeutung für die Fähigkeit der als „high risk“ klassifizierten Viren, epidermale Zellen zu transformieren. E6 und E7 werden daher als Onkoproteine bezeichnet.
14.2
. Abb. 14.1 Schematische Darstellung des HPV16-Genoms
Das HPV-Genom besteht aus einer DNSDoppelhelix, welche ca. 7900 Basenpaare umfasst (. Abb. 14.1). Neben einer sogenannten Kontrollregion (LCR = „long control region“; Regulation der HPV-Genexpression) ist die Information für die Synthese von insgesamt zehn Proteinen codiert. Diese werden mit Bezug auf den Zeitpunkt ihrer Synthese innerhalb des viralen Replikationszyklus in frühe (E = „early“; E1 bis E8) und späte (L = „late“; L1 und L2) Proteine eingeteilt. Die L-Proteine und hier insbesondere L1 sind die Strukturproteine des Virus. L1 kodiert fünfeckige Kapselproteine (Capsomere), die sich automatisch zur kugelförmigen Virushülle arrangieren (. Tab. 14.1). Elektronenmikroskopisch ist das leere Hüllprotein dem echten Virus sehr ähnlich, sodass man von einem „virus-like particle“ (VLP) spricht.
Entwicklung der HPV-Impfung
Für die Herstellung der prophylaktischen Impfstoffe synthetisiert man virusähnliche Partikel aus dem L1-Protein (L1 VLP), welche im Körper die Synthese spezifischer Antikörper anregen. Dieses Impfprinzip wurde bei allen drei bisher verfügbaren Impfstoffen Gardasil® , Cervarix® und Gardasil9® verwirklicht. Das Ziel einer therapeutischen Impfstoffentwicklung zur sekundären Prävention (Rückbildung einer bereits bestehenden Präkanzerose) wäre dagegen die Aktivierung spezifischer T-Zellen, welche die HPV-infizierten dysplastischen Zellen zerstören können. Im Rahmen einer klinischen Studie von Kaufmann et al. (2007) wurde ein sogenanntes chimäres virusähnliches Partikel (CVLP) hergestellt, welches aus dem Hüllprotein L1 und dem Onkoprotein E7 besteht. 36 Patientinnen mit einer höhergradigen Dysplasie (CIN2 oder 3) wurden behandelt und mit einer Plazebogruppe verglichen. In der Tat konnten L1- und E7-spezifische zytotoxische T-Lymphozyten induziert werden. Bei 39 % der geimpften Patientinnen und 25 % der nicht geimpften Frauen bildete sich die höhergradige Dysplasie zurück, entweder zu einem Normalbefund oder zu einer leichten Dysplasie. Dieser Therapieeffekt war jedoch nicht statistisch signifikant.
. Tab. 14.1 Funktion der Virusproteine des HPV16-Genoms Protein
Funktion
L1
Primäres Strukturprotein; bildet sogenannte Capsomere, die sich zu virusähnlichen Strukturen zusammensetzen (VLP)
L2
Sekundäres Strukturprotein, welches sich an die Virus-DNS anlagern kann
E6
Störung des Tumorsupressors p53
E7
Inaktivierung des Retinoblastoma-Tumor-Supressorproteins Rb
14
222
Kapitel 14 HPV-Impfung
> Während das prophylaktische Impfprinzip in der Praxis zügig umgesetzt wurde und sich als sehr erfolgreich erwiesen hat, gibt es bisher keinen therapeutischen Impfstoff, der in naher Zukunft die Zulassungsreife erreichen wird.
14
Gardasil® und Cervarix® sind definitiv rein prophylaktische Impfstoffe. Hildesheim et al. (2007) untersuchten eine Gruppe von 18–25 Jahre alten Frauen, die zum Zeitpunkt der HPVImpfung einen positiven HPV-Test (HC2) hatten. Sechs und zwölf Monate nach der Impfung unterschied sich der Anteil der HPV-Positivität nicht zwischen geimpften und nicht geimpften Probandinnen. Impfstoffe, die auf dem beschriebenen L1VLP-Prinzip basieren, sind typenspezifisch. Demnach muss für jeden einzelnen HPV-Typ ein Impfstoff hergestellt werden. Naturgemäß konzentrierte man sich zunächst auf die häufigsten HPV-Typen. HPV16 und 18 sind in Europa mit 75 % aller Zervixkarzinome assoziiert. Außerdem gibt es eine Kreuzreaktion gegen phylogenetisch verwandte HPV-Typen. Die genetische Struktur von HPV16 ähnelt HPV31 und die von HPV18 dem HPV-Typ 45. Durch die hieraus resultierende Kreuzprotektion wird die Effektivität eines ausschließlich gegen HPV16 und 18 gerichteten Impfstoffes noch gesteigert. Bei Cervarix® wird der zusätzliche Effekt dieser Kreuzprotektion auf 5,1 % geschätzt (Schneider et al. 2007). Der Impfstoff Gardasil® ist zusätzlich gegen die weit verbreiteten Low-Risk-Typen HP6 und 11 gerichtet mit dem Ziel, dass es seltener zur Entstehung von Condylomata acuminata kommt. Im Jahre 2015 wurde schließlich der Impfstoff Gardasil9® eingeführt (Joura et al. 2015), der nicht nur gegen die HPV-Typen 6, 11, 16 und 18 gerichtet ist (wie Gardasil® ), sondern gegen fünf weitere HPV-High-Risk-Typen: HPV31, 33, 45, 52 und 58. Eine Studie an 14.215 Teilnehmerinnen, die entweder mit Gardasil® oder Gardasil9® geimpft wurden, zeigte eine vergleichbare Immunantwort. Die Nebenwirkungen an der Injektionsstelle traten bei Gardasil9® häufiger auf, da das aluminiumhaltige Adjuvans höher dosiert ist. In der Tat zeigte sich eine Effektivität von Gardasil9® gegen HPV-assoziierte Erkrankungen, welche
von den fünf zusätzlichen HPV-Typen ausgelöst werden. > Daher ist es wahrscheinlich, dass Gardasil9® die Krankheitslast HPV-assoziierter Erkrankungen noch effektiver steigern kann als die beiden Impfstoffe der ersten Generation. Daher ist Gardasil9® der Impfstoff der ersten Wahl.
Die prophylaktische Impfung besteht aus drei intramuskulären Injektionen, welche innerhalb eines halben Jahres verabreicht werden. Bei unter 15-Jährigen wird ein ausreichender Antikörpertiter bereits durch zwei Dosen erreicht. Weitere Studien werden zeigen, ob in bestimmten Konstellationen möglicherweise eine einmalige Injektion ausreichend ist (Stanley und Dull 2018). Bisher gibt es keine Hinweise, dass die HPV-Impfprotektion so stark abklingt, dass eine Boosterimpfung erforderlich ist. Für Cervarix® wurde demonstriert, dass nach 8,4 Jahren immer noch alle geimpften Frauen seropositiv waren und dass der Impftiter für HPV16 und 18 weiterhin einem Vielfachen des natürlichen Antikörpertiters entspricht (Roteli-Martins et al. 2012). Die beiden Impfstoffe Gardasil® und Cervarix® wurden hinsichtlich ihres Antikörpertiters direkt verglichen (Einstein et al. 2009). Hierbei bewirkt Cervarix® einen deutlich höheren Titer als Gardasil® . Ob dies auch einer längeren Wirksamkeit gleichzusetzen ist, lässt sich nicht abschließend beantworten.
14.3
Indikationen zur HPV-Impfung (Gardasil9®)
Laut aktueller Fachinformation (Stand: November 2021) heißt es zur Gardasil9® -Indikation: „GARDASIL 9 ist zur aktiven Immunisierung von Personen ab einem Alter von 9 Jahren gegen folgende HPV-Erkrankungen indiziert: 4 Vorstufen maligner Läsionen und Karzinome, die die Zervix, Vulva, Vagina und den Anus betreffen und die durch die ImpfstoffHPV-Typen verursacht werden. 4 Genitalwarzen (Condylomata acuminata), die durch spezifische HPV-Typen verursacht werden.“
14
223 14.3 Indikationen zur HPV-Impfung (Gardasil9®)
Demnach ist der Impfstoff für beide Geschlechter zugelassen und es gibt keine obere Altersbeschränkung. Für Kinder unter neun Jahre liegen keine Erfahrungen vor. Des Weiteren verweist die Fachinformation auf die offiziellen Impfempfehlungen. Diese werden in Deutschland von der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts in Berlin herausgegeben und regelmäßig aktualisiert. Im Epidemiologischen Bulletin 4/2022 vom 27.01.20222 wird die HPV-Impfung im Alter zwischen 9 und 14 Jahren empfohlen, wobei ein Alter zwischen 15 und 17 Jahren als „Nachholimpfzeitraum“ definiert wurde. Die STIKO führt in ihrer Empfehlung neben Gardasil9® noch den Impfstoff Cervarix® auf. Aus dem oben Gesagten ergibt sich jedoch eine klare Präferenz für Gardasil9® .
14.3.1
HPV-Impfung von Kindern und Jugendlichen
Die HPV-Impfung ist zugelassen ab einem Alter von neun Jahren. Bedingt durch die rein prophylaktische Natur der HPV-Impfstoffe ist die Impfung am effektivsten, wenn sie vor dem ersten Sexualkontakt durchgeführt wird. Durch eine zunehmende Zahl von Sexualpartnern erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, mit weiteren HPV-High-Risk-Typen in Kontakt zu kommen (Paavonen et al. 2007). Außerdem sind die erzielten Antikörpertiter bei jüngeren Personen grundsätzlich höher als bei älteren. Dies ist ein weiteres Argument, warum Mädchen und Jungen so früh wie möglich geimpft werden sollten, nach der STIKOEmpfehlung zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr. Bei Kindern und Jugendlichen in dieser Altersgruppe reichen zwei Impfdosen aus. Die zweite Dosis sollte nach frühestens sechs und nach spätestens zwölf Monaten gegeben werden. Bei älteren Personen wird die zweite Dosis bereits nach zwei Monaten gegeben und die dritte Dosis nach sechs Monaten. Auch wenn Sexualkontakte die häufigste Art der HPV-Infektion sind, so spielen andere Wege 2
7 https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/ Archiv/2022/Ausgaben/04_22.pdf?__blob= publicationFile.
der Übertragung ebenfalls eine Rolle (Sabeena et al. 2017), sodass ca. 14 % der Mädchen bereits vor der Kohabitarche positiv getestet wurden (Doerfler et al. 2009). Shew et al. (2013) identifizierten HPV-DNS bei 10 von 22 Mädchen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren, die angaben, noch keinen penetrativen Sex gehabt zu haben. Allerdings berichteten sieben der zehn positiv getesteten Mädchen von nicht penetrativen Sexualkontakten, welche ebenfalls zur HPV-Infektion beigetragen haben könnten. Kinder unter neun Jahren sollten nicht HPVgeimpft werden, da diese Altersgruppe in den Zulassungsstudien nicht berücksichtigt wurde und keine ausreichenden Daten vorliegen.
14.3.2
HPV-Impfung von Jungen und Männern
Schon länger wurde auch die Impfung von Jungen gefordert (Stanley 2012). Hierdurch könnten neben den bei Männern weit verbreiteten Genitalwarzen weitere HPV-assoziierte Krebserkrankungen verhindert werden (. Tab. 14.2). Im Gegensatz zum Zervixkarzinom gibt es für die übrigen in . Tab. 14.2 aufgeführten Tumorentitäten keine effektiven sekundären Präventionsmaßnahmen. Dies macht die primordiale Impfprävention umso wichtiger. Gardasil9® hat das Potenzial zum Schutz vor 90 % aller Analkarzinome, welche mit HPVHigh-Risk-Infektionen assoziiert sind, sowie vor einer signifikanten Zahl von oropharyngealen Karzinomen und Peniskarzinomen (Lieblong
. Tab. 14.2 Schätzung der jährlichen mit HPV6, 11, 16 und 18 assoziierten Neuerkrankungen bei Frauen und Männern in Europa (nach Stanley 2012)
Genitalwarzen
Frauen
Männer
289.000
325.700
Zervixkarzinom
23.250
–
Kopf- und Halskrebs
2530
12.700
Analkarzinom
2930
1700
Vulva- und Vaginalkarzinom
3850
Peniskarzinom
–
– 1090
Kapitel 14 HPV-Impfung
224
et al. 2019). Ebenfalls wichtig ist der Schutz vor HPV-Low-Risk-Typen, die für 90 % aller Genitalwarzen verantwortlich sind. In den Empfehlungen der STIKO wird folgerichtig nicht mehr zwischen den Geschlechtern unterschieden, was die Empfehlungen zur HPVImpfung betrifft. Ungefähr ein Drittel der 107 WHO-Mitgliedsstaaten, die die HPV-Impfung eingeführt haben, sind „gender neutral“, das heißt, sie stehen auch Männern zur Verfügung (Bruni et al. 2021).
14.3.3
„Catch-up“-Impfung
Der vonseiten der STIKO unterstützte Impfzeitraum ist ein Alter zwischen 9 und 17 Jahren. HPV-Impfungen bei älteren Personen werden als „Catch-up“-Impfung bezeichnet. Im Gegensatz zur amerikanischen Zulassung von Gardasil9® , die die Impfung nur bis zu einem Alter von 45 Jahren erlaubt, gibt es im Rahmen der europäischen Zulassung keine obere Altersbeschränkung. Die Empfehlungen der Leitlinie der American Cancer Society (ACS) (Saslow et al. 2020) und die deutsche S3-Leitlinie „Impfprävention HPV-assoziierter Neoplasien“ sind deckungsgleich. In der deutschen Leitlinie heißt es:
14
> „HPV-impfnaive Erwachsene im Alter von 18 bis 26 Jahren sollten unabhängig von ihrem Geschlecht gegen HPV geimpft werden.“
Personen im Alter von 27 Jahren oder älter sollte dagegen keine HPV-Impfung empfohlen werden. Nach der Literaturanalyse der ACS hat die Impfung keine ausreichende Effektivität, was die Krebsprävention betrifft, denn nur 0,5 % zusätzliche Krebsfälle und 0,4 % zusätzliche zervikale Präkanzerosen würden verhindert werden. > Wenn man sich für eine „Catch-up“-Impfung entscheidet, sollte gemäß Leitlinie keine HPV-Testung zur Entscheidungsfindung erfolgen.
Zurzeit existiert kein Testsystem, welches in der Lage wäre, einen möglichen Impferfolg vorauszusagen. Testverfahren zum Nachweis von
HPV-Proteinen oder HPV-spezifischen Antikörpern sind für die Routinediagnostik nicht ausreichend validiert. Insbesondere bei einer Impfung mit Gardasil9® ist es sehr wahrscheinlich, dass ein Patient/eine Patientin noch nicht mit allen HPV-Typen, gegen die geimpft wird, in Kontakt gekommen ist, sodass eine HPV-Protektion immer erreicht werden dürfte, auch unabhängig von Alter und sexueller Aktivität. Die eingangs zitierte HPV-Leitlinie von 2020 kommt nach Berücksichtigung aller bisher vorliegenden Daten zu dem Schluss, dass eine „Catch-up“-Impfung ab einem Alter von 27 Jahren, unabhängig vom Geschlecht, nicht zu empfehlen ist.
14.3.4
HPV-Impfung nach operativer Dysplasiebehandlung
Eine Subgruppenanalyse der Gardasil® -Impfstudien durch Joura et al. (2012) lässt vermuten, dass Patientinnen nach operativer Dysplasiebehandlung ebenfalls von einer HPV-Impfung profitieren. Denn hierdurch wird die Rezidivwahrscheinlichkeit der HPV-bedingten Präkanzerose verringert. Allerdings wurden bei dieser Studie keine Patientinnen nach Dysplasiediagnose bzw. Dysplasiebehandlung geimpft, denn Patientinnen, die bereits eine Dysplasiebehandlung hinter sich hatten, wurden bei den primären Gardasil® -Studien von vornherein ausgeschlossen. Vielmehr handelt es sich um die Auswertung einer Untergruppe von geimpften und nicht geimpften Patientinnen, die während der Nachbeobachtungszeit eine Dysplasie entwickelten. Es zeigte sich, dass geimpfte Patientinnen in der Folge eine signifikant geringere Wahrscheinlichkeit hatten, dass Rezidive auftraten im Vergleich zur Plazebogruppe. In dieser Studie wurden Dysplasiediagnosen nach Impfung bzw. nach Plazebogabe sozusagen als Surrogatmarker betrachtet mit der Überlegung, dass die Sequenz „Impfung – Dysplasiediagnose – geringere Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Dysplasierezidivs“ auch für die Sequenz „Dysplasiediagnose – Impfung – geringere Rezidivwahrscheinlichkeit“ gilt. Kang et al. (2013) impften 351 Patientinnen eine Woche nach erfolgter Dysplasiebehandlung
225 14.4 Effektivität der HPV-Impfung
und verglichen die Rezidivraten mit einem Kollektiv von Patientinnen, welche nicht geimpft worden waren. In der Tat war die Rezidivrate im geimpften Kollektiv signifikant niedriger als im Kontrollkollektiv (9 versus 27 Patientinnen mit Rezidiv). Inzwischen liegen die Ergebnisse zweier randomisierter Studien aus Italien vor, die bei Impfung mit Gardasil® um den Zeitpunkt der CINBehandlung eine signifikante Verringerung der nachfolgenden Rezidivwahrscheinlichkeit zeigen konnten. Ghelardi et al. (2018) ermittelten eine Risikoreduktion von 81,2 % (95 % Konfidenzintervall 34,3–95,7 %) für spätere Rezidive bei Impfung innerhalb von 30 Tagen nach der Operation. In der Studie von Pieralli et al. (2018) wurde die erste Injektion des quadrivalenten Impfstoffs drei Monate nach Dysplasiebehandlung gegeben. Die Rezidivrate der geimpften Patientinnen lag bei 3,4 % im Vergleich zu 13,5 % bei der ungeimpften Gruppe. In beiden Studien wurden nur Frauen bis zum Alter von 45 Jahren eingeschlossen. Eine Metaanalyse unterstreicht den signifikanten prophylaktischen Effekt der Postkonisationsimpfung (Jentschke et al. 2020). Statistisch gesehen kann durch die Impfung von 46 Patientinnen jeweils eine CIN2+-Läsion verhindert werden. > Die Konsensempfehlung der HPV-Leitlinie von 2020 lautet: „Bei HPV-impfnaiven Frauen mit zervikalen intraepithelialen Neoplasien (CIN) kann eine HPV-Impfung vor oder nach der Behandlung der CIN mit dem Ziel einer Reduktion der Wiedererkrankungsrate erwogen werden.“
14.4
Effektivität der HPV-Impfung
Mehr als 15 Jahre nach weltweiter Einführung der HPV-Impfung gibt es zunehmend Hinweise, dass die HPV-Impfung auch in der Realität (sog. „real-life data“) hocheffektiv ist, was die primäre Prävention HPV-assoziierter Erkrankungen betrifft. > Eine Cochrane-Analyse von Arbyn et al. (2018) kam zu dem Schluss, dass HPV-Impfstoffe hocheffizient sind, auch wenn aufgrund
der relativ kurzen Nachbeobachtungszeit in den Studien noch keine definitiven Schlussfolgerungen hinsichtlich des Zervixkarzinoms gezogen werden können. Todesfälle durch die Impfung wurden nicht identifiziert.
Allerdings wurden in der Folge mögliche methodische Probleme dieser Cochrane-Analyse diskutiert (Heneghan und Onakpoya 2019, Jørgensen et al. 2018).
14.4.1
„Real-Life“-Effektivität der HPV-Impfstoffe
Viele der Daten zur Effektivität der HPV-Impfstoffe kommen aus Australien, da hier schon früh eine hohe Impfrate von mehr als 70 % erreicht wurde. Bereits 2011 und 2013 wurde über einen dramatischen Rückgang von Condylomata acuminata berichtet (siehe unten). Im Jahre 2011 lagen die ersten Daten zum Rückgang der höhergradigen Zervixdysplasien bei jungen Frauen bis 18 Jahre vor (Brotherton et al. 2011). Markowitz et al. (2019) bestimmten typenspezifische HPV-DNS von HPV6, 11, 16 und 18 dem Impfspektrum von Gardasil® entsprechend. Die Bestimmungen erfolgten in zytologischen Abstrichen bei 20- bis 29-jährigen Frauen in zwei verschiedenen Zeiträumen: 2012–2013 und 2015–2016. In dieser Zeit fiel die typenspezifische HPV-Prävalenz um 78 % bei den 20- bis 24-Jährigen und um 38 % bei 25–29 Jahre alten Frauen. Interessanterweise wurde auch ein Effekt bei nichtgeimpften Frauen gesehen als Ausdruck einer Herdenimmunität. Eine der wichtigsten Arbeiten stammt von Luostarinen et al. (2018). Zwei altersstandardisierte Kohorten von geimpften und nicht geimpften Frauen aus dem finnischen Krebsregister wurden verglichen. Bei nicht geimpften Frauen wurde achtmal ein Zervixkarzinom identifiziert sowie ein Vulvakarzinom und einmal ein oropharyngeales Karzinom. In der geimpften Gruppe erkrankte dagegen keine einzige Patientin. > Die finnische Studie präsentiert damit erstmals „Real-Life“-Evidenz, dass die HPVImpfung tatsächlich vor Karzinomerkrankungen schützt.
14
226
14
Kapitel 14 HPV-Impfung
. Abb. 14.2 Rückgang der CIN2+-Läsionen bei Mädchen und Frauen während der ersten 7 Jahre nach HPV-Impfung (bivalente Impfstoffe, Länder mit hoher Impfrate). Die deutlichste Reduktion (51 %) ist in der Altersgruppe 15–19 Jahre
zu beobachten gefolgt von der Gruppe der 20–24 Jahre alten Frauen (31 %). In den Altersgruppen ab 25 Jahren, die in der Regel nicht geimpft worden waren, lässt sich dagegen keine Änderung beobachten. (Nach Drolet et al. 2019)
Drolet et al. (2019) führten eine Metaanalyse zum „population level impact“ durch. Es zeigte sich, dass 5–8 Jahre nach Impfung die HPV16und 18-Prävalenz bei 13–19 Jahre alten Mädchen um 83 % zurückgegangen war. Bei 20- bis 24-Jährigen war die Prävalenz um 66 % zurückgegangen. Die Diagnose anogenitaler Warzen ging ebenfalls zurück, abhängig von der untersuchten Altersgruppe: 67 % (15–19 Jahre), 54 % (20–24 Jahre) und 31 % (25–29 Jahre). Am bedeutendsten ist die Tatsache, dass die Diagnose von CIN2+-Läsionen dramatisch zurückging, und zwar um 51 % (15–19 Jahre) bzw. 31 % (20–24 Jahre) (. Abb. 14.2). Impfprogramme mit hoher Impfrate und unter Einschluss von Jungen und Männern bewirkten erwartungsgemäß einen deutlicheren Herdeneffekt.
14.4.2
Wirksamkeit der HPVImpfung beim Adenocarcinoma in situ
Alle drei HPV-Impfstoffe sind auch gegen glanduläre Läsionen wirksam, was einen großen Vorteil darstellt bei der schwierigen Diagnose und Therapie des Adenocarcinoma in situ. Lehtinen et al. (2012) konnten zeigen, dass Cervarix® tatsächlich zu einer Prävention des ACIS in der Lage ist. Sanjose et al. (2010) vermuten, dass die Impfprävention glandulärer Läsionen höher ist als die Prävention plattenepithelialer Veränderungen, da ACIS und Adenokarzinome der Zervix am häufigsten mit den HPVTypen 16, 18 und 45 assoziiert sind (. Tab. 14.3). Bei Gardasil® und Cervarix® besteht eine Kreuzprotektion zwischen HPV18 und HPV45, da die beiden HPV-Typen strukturell sehr ähnlich sind. Bei Gardasil9® ist HPV45 einer der HPV-Typen, gegen die unmittelbar geimpft wird. Theoretisch könnten bis zu 94 % aller glandulären Läsionen durch HPV-Impfung verhindert werden.
227 14.4 Effektivität der HPV-Impfung
. Tab. 14.3 Häufigkeit der HP-Virustypen in Adenokarzinomen und Plattenepithelkarzinomen (nach de Sanjose et al. 2010) Häufigkeit (%) HPV-Typ
Adenokarzinome Plattenepithelkarzinome
16
50
62
18
32
8
45
12
5
Insgesamt 94
75
Inzwischen liegen erste epidemiologische Daten vor, die die vermutete Effektivität der HPV-Impfung beim Adenocarcinoma in situ in den USA belegen (Cleveland et al. 2019). Zwischen 2012 und 2015 ist in der Altersgruppe 21–24 Jahre ein signifikanter Rückgang des Adenocarcinoma in situ zu verzeichnen. Dagegen steigt bei 30- bis 39-jährigen Frauen die Inzidenz weiter an. Dies ist darauf zurückzuführen, dass ein Teil der 21- bis 24-Jährigen gegen HPV geimpft wurde, damals noch mit Gardasil® oder Cervarix® . Gardasil9® dürfte noch effektiver sein.
14.4.3
Prophylaxe von Condylomata acuminata durch Gardasil®
Gardasil® und Gardasil9® sind auch gegen die HPV-Low-Risk-Typen 6 und 11 gerichtet, die für die Entstehung der Genitalwarzen (Condylomata acuminata) verantwortlich sind. Aufgrund der sexuellen Übertragbarkeit von Kondylomen und der hohen Rezidivraten nach medikamentöser oder operativer Behandlung stellt dies ein belastendes Problem für die betroffenen Patientinnen dar. In Australien, wo die quadrivalente HPVImpfung bereits 2007 für Schulkinder sowie Frauen unter 28 Jahren eingeführt wurde, erwies sich die Kondylomprävention als ausgesprochen effizient. Read et al. (2011) berichteten, dass in einer der größten STD-Kliniken in Melbourne die Zahl der Patientinnen mit Genitalwarzen seit Einführung der Gardasil® -Impfung drastisch zurückgegangen sei. Dies gilt insbesondere für die Altersgruppe der unter 21-jährigen Frauen und
heterosexuellen Männer. Bei den 21- bis 29Jährigen ist dieser Rückgang weniger deutlich. Dagegen ist die Kondylomhäufigkeit bei Frauen und heterosexuellen Männern, die älter als 29 Jahre sind, unverändert hoch. Gleiches gilt für Männer, die gleichgeschlechtlichen Verkehr haben. Eine Zusammenfassung von Daten aus acht australischen Zentren, welche Patienten mit Geschlechtskrankheiten behandeln, ergab, dass im Jahr 2011 keine einzige Frau unter 21 Jahren unter Condylomata acuminata litt, wenn sie mit Gardasil® geimpft worden war (Ali et al. 2013). Bei rezidivierenden Condylomata acuminata beobachteten Yang et al. (2019) überraschenderweise einen therapieartigen Effekt der Gardasil® Impfung. Bei 14 von 30 Patientinnen (47 %) kam es zu einer Komplettremission und bei 5 Patientinnen (17 %) zu einer Teilremission. Bei sehr ausgedehntem Kondylombefall mit problematischen Lokalisationen ist in Einzelfällen eine HPV-Impfung (Gardasil9® ) zu diskutieren.
14.4.4
Langfristige Auswirkungen der HPV-Impfung
Seit Einführung der HPV-Impfstoffe wurde immer wieder versucht, den Effekt der HPV-Impfung vorauszusagen, solange noch keine Registerdaten zur Verfügung standen (Schneider et al. 2007). Inzwischen liegen „Real-Life“Daten vor, sodass mit neuen Modellrechnungen Prognosen über die zukünftige Inzidenz des Zervixkarzinoms und seiner Vorstufen gemacht werden könnten. Eine australische Gruppe um Hall et al. (2019) kommt zu dem Schluss, dass das Gesundheitsproblem „Zervixkarzinom“ innerhalb der nächsten 20 Jahre praktisch eliminiert werden kann, sofern die hohe Impfrate und die Teilnahme am sekundären Screening in Australien aufrechterhalten werden kann. Brisson et al. (2020) errechneten eine Reduktion der Zervixkarzinome um 97 %, insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Letztlich könne die Erkrankung in den nächsten 100 Jahren durch die HPV-Impfung völlig eliminiert werden, ggf. in Kombination mit
14
Kapitel 14 HPV-Impfung
228
einem sekundären Screening von zwei Untersuchungen während der gesamten Lebenszeit. > Die HPV-Impfung hat das Potenzial, dass erstmals in der Geschichte der Menschheit eine Krebserkrankung vollständig eliminiert wird (Saslow et al. 2020).
14.5
14
Nebenwirkungen der HPVImpfung und das Risiko des „serotype replacement“
Die Nebenwirkungsprofile von Gardasil® , Cervarix® und Gardasil9® sind ähnlich. Bei einem Direktvergleich zwischen den beiden HPVImpfstoffen der ersten Generation gab es keine signifikanten Unterschiede (Einstein et al. 2009). Am häufigsten werden Hautreaktionen an der Einstichstelle beobachtet, insbesondere bei Gardasil9® (Moreira et al. 2016). HPV-Impfstoffe wurden verschiedentlich mit der Auslösung schwerwiegender Erkrankungen in Zusammenhang gebracht, u. a. mit Multipler Sklerose (Sutton et al. 2009). Letztlich ließ sich kein Zusammenhang mit der Entstehung dieser oder anderer schwerwiegender Erkrankungen nachweisen. Todesfälle im Zusammenhang mit der HPV-Impfung sind nicht aufgetreten (Arbyn et al. 2018). Denkbar wäre, dass durch Elimination von HPV16 und 18 andere Viren der High-RiskGruppe deren Platz einnehmen im Sinne eines sogenannten „serotype replacement“ (Wheeler et al. 2009). Allerdings ist die Mutationstendenz von HP-Viren im Gegensatz zu Bakterien, bei denen solche Verdrängungseffekte beobachtet werden, sehr gering. Nach wie vor ist jedoch Vorsicht angebracht. Man et al. (2020) entwickelten ein Transmissi-
onsmodell, bei dem ein Impfvirus und ein NichtImpfvirus konkurrieren. Nach diesen Erkenntnissen sei es noch zu früh, um ein „serotype replacement“ ganz auszuschließen, und die Häufigkeit der Nicht-Impfviren sollte weiter beobachtet werden, um eine Tendenz zum „serotype replacement“ rechtzeitig zu erfassen.
14.6
Auswirkungen der HPVImpfung auf sekundäre Screeningprogramme
> Strategien des sekundären Zervixkarzinomscreenings müssen in Zukunft kontinuierlich angepasst werden, wenn die CIN-Prävalenz durch HPV-Impfung abnimmt.
Lei et al. (2020) wiesen anhand von Daten des schwedischen Krebsregisters nach, dass durch die HPV-Impfung der positive Vorhersagewert der Zytologie gesenkt wird, insbesondere wenn in einem frühen Lebensalter geimpft wird. Die Autoren schlagen deshalb vor, entweder die Screeninghäufigkeit bei HPV-geimpften Frauen zu reduzieren oder ein primäres HPV-Screening durchzuführen in Kombination mit einer HPV16/18-Typisierung. Denn ein HPV16/18positives Testergebnis bei geimpften Patientinnen repräsentiert häufiger als im nicht geimpften Kollektiv eine HPV-Persistenz. Aufgrund der zu erwartenden Ineffizienz des zytologischen Screenings bei geimpften Frauen sagen Sundström et al. (2021) voraus, dass in naher Zukunft ein HPV-basiertes Screening in Kombination mit einer geeigneten Biomarkerbestimmung auch bei sehr jungen Frauen sinnvoll sein wird. Die p16/Ki67-Doppelfärbung wäre einer der potenziellen Biomarker (7 Abschn. 5.5).
14
229 Literatur
14.7
Fragen zur Selbstkontrolle – HPV-Impfung
Ja
1 Die HPV-Impfung ist prophylaktisch, hat in Einzelfällen jedoch auch einen therapeutischen Effekt. 2 Gardasil9® ist gegen sieben HPV-High-Risk-Viren gerichtet sowie zwei HPV-Low-Risk-Typen.
3 Der HPV-Impfstoff besteht aus sog. Capsomeren, die sich zu virusähnlichen Strukturen (VLP) zusammensetzen.
4 In den USA ist bereits ein rein therapeutisch wirksamer HPV-Impfstoff (HPVex® ) zugelassen, nicht jedoch in Europa. 5 Gemäß der europäischen Zulassung darf Gardasil9® ab einem Alter von 9 Jahren verabreicht werden.
Nein
6 Gemäß der europäischen Zulassung dürfte einer bereits 60-jährigen Patientin Gardasil9® nicht mehr verabreicht werden.
7 Bei einer HPV-Impfung vor Erreichen des 20. Lebensjahrs ist eine zweimalige Gabe des Impfstoffs ausreichend.
8 Die Ständige Impfkommission (STIKO) unterscheidet bei ihren Empfehlungen zur HPV-Impfung nicht zwischen den Geschlechtern.
9 Nach den deutschen Leitlinien sollten HPV-impfnaive Erwachsene im Alter von 18 bis 26 Jahren unabhängig von ihrem Geschlecht gegen HPV geimpft werden (sogenannte „Catch-up“-Impfung).
10 Bei Patientinnen bis zum Alter von 45 Jahren kann nach Dysplasiebehandlung eine HPV-Impfung diskutiert werden mit dem Ziel einer Reduktion der Rezidivwahrscheinlichkeit (sog. Postkonisationsimpfung).
11 Durch eine gegen die HPV-Low-Risk-Viren 6 und 11 gerichtete HPV-Impfung wird der Großteil aller Erkrankungen mit Condylomata acuminata bei Frauen und Männern verhindert.
12 Bisher gibt es keine „Real-Life“-Daten, die beweisen, dass durch die HPV-Impfung signifikant seltener Zervixkarzinome auftreten.
13 Während eine HPV-Impfung die Häufigkeit von CIN2+-Läsionen signifikant reduziert, hat die Impfung nur einen marginalen Effekt auf die Häufigkeit des Adenocarcinoma in situ der Zervix.
14 Die HPV-Impfung hat das Potenzial, dass erstmals in der Geschichte der Menschheit eine Krebserkrankung vollständig eliminiert wird.
15 Die Strategien des Zervixkarzinomscreenings müssen in Zukunft kontinuierlich angepasst werden, da die CIN-Prävalenz durch HPV-Impfung abnimmt.
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230
14
Kapitel 14 HPV-Impfung
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14
233
Psychologische Aspekte Inhaltsverzeichnis 15.1
Psychische Auswirkungen einer auffälligen Screeningdiagnose – 234
15.2
Strategien zur Stressreduktion im Rahmen der Dysplasiesprechstunde – 235
15.3
Fragen zur Selbstkontrolle – Psychologische Aspekte – 236 Literatur – 236
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_15
15
Kapitel 15 Psychologische Aspekte
234
Die psychologische Belastung durch die Mitteilung eines auffälligen zytologischen Befundes bzw. eines positiven HPV-Tests und die nachfolgende Abklärung mittels Kolposkopie kann ganz erheblich sein und muss im Umgang mit der Patientin angemessen berücksichtigt werden.
i Fragen zur Wissensüberprüfung per SN Flashcards App Mit der kostenlosen Flashcard-App „SN Flashcards“ können Sie Ihr Wissen anhand von Fragen überprüfen und Themen vertiefen. Für die Nutzung folgen Sie bitte den folgenden Anweisungen: 1. Gehen Sie auf 7 https://flashcards. springernature.com/login 2. Erstellen Sie ein Benutzerkonto, indem Sie Ihre Mailadresse angeben und ein Passwort vergeben. 3. Verwenden Sie den folgenden Link, um Zugang zu Ihrem SN Flashcards Set zu erhalten: 7 www.sn.pub/A0DTec Sollte der Link fehlen oder nicht funktionieren, senden Sie uns bitte eine E-Mail mit dem Betreff „SN Flashcards“ und dem Buchtitel an [email protected].
15.1
15
Psychische Auswirkungen einer auffälligen Screeningdiagnose
und damit auch vor einem Zervixkarzinom – ist sehr ausgeprägt.
Die Ängste, die durch die Mitteilung eines auffälligen Abstrichs ausgelöst werden, können ein solches Ausmaß annehmen, dass eine junge, beschwerdefreie Frau plötzlich das Gefühl hat, eine „Patientin“ zu sein. Lauver et al. (1999) befragten Frauen mit auffälligem Zervixabstrich. Die Patientinnen äußerten die Angst, die Bedeutung der Abstrichdiagnose nicht richtig zu verstehen. Darüber hinaus hatten Patientinnen Angst vor Krebs, vor Unfruchtbarkeit und vor einer sexuellen Übertragung einer HPV-Infektion. Eine Metaanalyse quantitativer Studien, die das psychologische „outcome“ bei Frauen mit histologisch verifizierter CIN-Diagnose untersucht hatten (Frederiksen et al. 2015), dokumentiert einen negativen psychologischen Einfluss. Hierbei hat das Ergebnis eines Pap-Abstrichs bereits ähnliche Konsequenzen wie eine histologisch verifizierte Dysplasie. Darüber hinaus unterschied sich das psychologische „outcome“ nicht bei Patientinnen mit CIN und Karzinom. Demnach betrachten viele Patientinnen die Dysplasiediagnose als ebenso schwerwiegend wie die Krebsdiagnose. > Die Tatsache, dass eine Dysplasiesprechstunde keine „Krebsambulanz“ darstellt, sondern vielmehr eine spezialisierte diagnostische Sprechstunde ist, um ggf. durch einen kleinen operativen Eingriff ein zukünftiges Krebsrisiko zu vermeiden, kann schwer zu vermitteln sein.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vorsorgeabstrich bei einer völlig beschwerdefreien Patientin pathologisch ausfällt, ist relativ hoch. Schätzungsweise 3 % der Abstriche lassen eine Dys- Durch eine unglückliche Terminologie von Ärzt/ plasie vermuten. Weitere 3 % werden als unklar innen und Patientinnen wird unter Umständen eingestuft. Darüber hinaus kommen bei Frauen eine latent vorhandene Krebsangst noch geab 35 Jahren positive HPV-Testergebnisse dazu. schürt. Beispiele hierfür sind: Demgegenüber steht eine relativ geringe Zahl tatsächlicher Karzinomerkrankungen der Zervix1 „Carcinoma in situ“ mit ca. 4100 Fällen pro Jahr in Deutschland (GE- Dieser alternative Ausdruck für eine höhergraKID 2021). dige Dysplasie (HSIL) bzw. eine CIN3 wird von der histopathologischen WHO-Nomenklatur („squamous cell carcinoma in situ“) immer > Es ist wenig wahrscheinlich, dass eine Frau noch als akzeptabel eingestuft (WHO Classifibei einem auffälligen Vorsorgeabstrich und/ cation of Tumours Editorial Board 2020). Eine oder einem positiven HPV-Test bereits eine Verwechslung mit einem invasiven Karzinom Krebserkrankung hat. Dies wird jedoch von durch die Patientin ist naheliegend und kann leider Patientin vollkommen anders wahrgenomder häufig beobachtet werden. men. Die Angst vor Krebs im Allgemeinen –
235 15.2 Strategien zur Stressreduktion im Rahmen der Dysplasiesprechstunde
1 „High-Risk-HP-Virus“, „Krebsviren“, „Krebsimpfung“
Die Tatsache, dass HP-Viren historisch bedingt in eine „Low-Risk“- und „High-Risk“Gruppe eingeteilt werden, kann zu der Interpretation führen, dass ein „hohen Risiko für Krebs“ besteht. Dies wird durch die fälschliche Bezeichnung „Krebsviren“ verstärkt. Alle diese Ausdrücke einschließlich der Bezeichnung „Krebsimpfung“ für die HPV-Impfung sollten in der Arzt-Patientinnen-Kommunikation vermieden werden. > Leider hat die Erkenntnis, dass praktisch jeder genitalen Dysplasie sowie den meisten Zervixkarzinomen eine Infektion mit HPV zugrunde liegt, den problematischen Nebeneffekt, dass diese Erkrankung nun als sexuell übertragbar und damit als besonders diskriminierend wahrgenommen wird.
Verbreitet sind Schuldgefühle, dass der auffällige Screeningbefund bzw. die manifeste Diagnose bis hin zum Karzinom der Cervix uteri die Folge sexueller Promiskuität ist. Im Falle eines festen Partners wird der positive HPV-Test unter Umständen als Zeichen der Untreue gedeutet. Ebenfalls häufig ist die Angst vor der Ansteckung des Partners, verbunden mit einem Gefühl der Unsauberkeit. Die psychische Reaktion im Zusammenhang mit einem auffälligen Abstrich und/oder einem positiven HPV-Test kann latente Partnerkonflikte oder subklinische psychische Erkrankungen zum Vorschein bringen oder verstärken. Hierbei ist die Fokussierung auf eine rein sexuelle Genese von Dysplasie und Zervixkarzinom objektiv falsch (Doerfler et al. 2009, Shew et al. 2013, Sabeena et al. 2017). Regelmäßig wird die historische Arbeit von Rigoni-Stern zur Mortalität des „Uteruskarzinoms“ aus dem Jahr 1842 (englische Übersetzung von de Stavola 1987) falsch zitiert (zur Hausen 2009) und auf die vereinfachte und nicht zu haltende Feststellung gebracht: „Prostituierte sterben häufig am Zervixkarzinom. Nonnen erkranken sehr selten an einem Zervixkarzinom.“ > Viele junge Frauen haben durch die Mitteilung eines auffälligen Abstrichergebnisses das erste Mal das Gefühl, mit einer potenziell
lebensbedrohenden Krankheit wie Krebs in Berührung zu kommen.
Lerman et al. (1991) stellten fest, dass sich ca. ein Viertel der befragten Frauen durch die Diagnose eines auffälligen Vorsorgeabstrichs in ihren täglichen Verrichtungen beeinträchtigt fühlt. Bei der Hälfte der Patientinnen wurde das Sexualleben negativ beeinflusst und 40 % der Frauen litten unter Schlafstörungen. Interessanterweise waren diese Ängste noch ausgeprägter, wenn von der Möglichkeit einer weiteren Abklärung mittels Kolposkopie zunächst kein Gebrauch gemacht wurde. Mithilfe der „Impact of Event Scale“ ermittelten Sharp et al. (2011) bei Frauen mit leichtgradigen Zellveränderungen, bei denen eine Abklärungskolposkopie durchgeführt wurde, eine erhebliche psychische Belastung. Dies galt auch für diejenigen Patientinnen, bei denen kein weiterer auffälliger Befund festgestellt wurde. Die kolposkopische Untersuchung besitzt sowohl eine beruhigende als auch eine belastende Komponente. Jones et al. (1996) stellten fest, dass befragte Patientinnen bei Verdacht auf eine leichte Dysplasie die sofortige Kolposkopie einer Wiederholung des zytologischen Abstrichs vorziehen würden. Jedoch beklagten 47 % der Frauen, die sofort kolposkopiert wurden, Angst vor Krebs. Bei den ausschließlich weiter zytologisch überwachten Patientinnen waren es dagegen nur 33 %. > Besonders problematisch ist die psychologische Belastung während einer Schwangerschaft. Denn die Dysplasiediagnose, welche nicht selten als Krebsdiagnose fehlgedeutet wird, wird als unmittelbare Bedrohung für das eigene Leben und das des ungeborenen Kindes wahrgenommen.
15.2
Strategien zur Stressreduktion im Rahmen der Dysplasiesprechstunde
Ärzt/innen sind nicht in der Lage, zuverlässig zu beurteilen, wie sehr einzelne Patientinnen unter einer psychologischen Belastung stehen. Auch eine scheinbar ruhige Patientin kommt nicht not-
15
Kapitel 15 Psychologische Aspekte
236
wendigerweise besser mit ihren Angstgefühlen zurecht. Daher gibt es kurz gehaltene Fragebögen, die nachweislich die objektive Evaluation unterstützen, wie zum Beispiel: 4 PEAPS-Q („Psychosocial Effects of Abnormal Pap Smears Questionnaire“) von Bennetts et al. aus dem Jahr 1995 (Bennetts et al. 1995, Stinnett 2000) 4 CDDQ („Cervical Dysplasia Distress Questionnaire“) von Shinn et al. (2004), der aus dem PEAPS-Q weiterentwickelt wurde und 23 Fragen umfasst Darüber hinaus können ganz konkrete Maßnahmen die psychologische Verarbeitung der Patientin günstig beeinflussen. Idealerweise setzt die Information und Aufklärung der Patientin schon vor der Vorstellung in der Dysplasiesprechstunde ein. Die Patientin muss wissen, dass Vorsorgeabstrich und/oder HPV-Test häufiger auffällig sind und keinesfalls mit der seltenen Krebsdiagnose gleichzusetzen sind. Die Resultate der im Rahmen einer Dysplasiesprechstunde erhobenen Zusatzuntersuchungen – vor allem des Biopsieergebnisses – soll-
15.3
ten zügig übermittelt werden. Das Zeitintervall zwischen der Mitteilung eines auffälligen Abstrichergebnisses und dem Sprechstundentermin zur Kolposkopie spielt ebenfalls eine Rolle. Eine lange Wartezeit verstärkt nachweislich die Ängste der Patientin (Gath et al. 1995). Die Videokolposkopie ist ein gutes Mittel, um die Kommunikation mit der Patientin zu unterstützen. Denn die Patientin wird aktiv in den diagnostischen Ablauf mit einbezogen und ein anatomischer Bezug kann hergestellt werden. Laut Nugent und Tamlyn-Leaman (1992) kannten ca. 40 % der befragten Frauen die Lokalisation der Zervix nicht. Nach einer randomisierten Studie von Walsh et al. (2004) können durch die Videokolposkopie Angstreaktionen und Schmerzen im Vergleich zu einem Kontrollkollektiv signifikant reduziert werden. Allerdings konnte dies durch eine prospektiv-randomisierte Studien nicht verifiziert werden (Hilal et al. 2017). Auch konnten Hilal et al. (2018) unter Studienbedingungen keine Angstreduktion durch Musik (Mozart) während der kolposkopischen Untersuchung nachweisen.
Fragen zur Selbstkontrolle – Psychologische Aspekte
Ja
15
1 Ausdrücke wie „Carcinoma in situ“, „Krebsviren“ oder „Krebsimpfung“ sind missverständlich, schüren unnötige Ängste und sollten grundsätzlich vermieden werden.
Nein
2 Patientinnen mit HPV-assoziierten Präkanzerosen müssen darüber aufgeklärt werden, dass eine Veränderung ihres Lebenswandels (z. B. Promiskuität) das Risiko für die Entstehung eines Karzinoms verringern kann.
3 Unter Studienbedingungen konnte eine Angstreduktion durch Musik (Beethoven) während der kolposkopischen Untersuchung nachgewiesen werden.
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15
239
Zervixkarzinomscreening in Ländern mit geringen Ressourcen Inhaltsverzeichnis 16.1
Häufigkeit des Zervixkarzinoms aus globaler Perspektive – 240
16.2
HPV-Impfung – 241
16.3
Sekundäre Präventionsstrategien – 242
16.3.1 16.3.2 16.3.3
Zytologisches Screening – 242 Visuelle Inspektion der Zervix (VIA und VILI) – 243 HPV-Test – 244
16.4
Behandlung HPV-assoziierter Erkrankungen – 244
16.5
Behandlung des Zervixkarzinoms – 245
16.6
Zusammenfassung und Ausblick – 246
16.7
Fragen zur Selbstkontrolle – Zervixkarzinomscreening in Ländern mit geringen Ressourcen – 247 Literatur – 247
Unter Mitarbeit von Dr. Widyorini Hanafy, SpOG, OBGYN (National Cancer Center “Dharmais” Jakarta, Indonesien) and John France Rwegoshora, MD (Head of Department of Obstetrics Gynecology Mbeya Consultant Hospital, Mbeya, Tanzania)
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_16
16
240
Kapitel 16 Zervixkarzinomscreening in Ländern mit geringen Ressourcen
Dieses Buch befasst sich mit dem Zervixkarzinomscreening in Deutschland, einem typischen Industrieland mit großen Ressourcen und einem jahrzehntelangen erfolgreichen Vorsorgeprogramm. Das nachfolgende Kapitel soll die Problematik aus einer globalen Perspektive betrachten. Denn in den meisten Ländern der Welt reichen die Ressourcen nicht für ein effektives Vorsorgeprogramm, und Inzidenz und Mortalität des Zervixkarzinoms sind sehr hoch. Solche Länder benötigen zumindest in der Anfangsphase sehr viele andere Strategien, als sich diese zum Beispiel in Deutschland etabliert haben.
i Fragen zur Wissensüberprüfung per SN Flashcards App Mit der kostenlosen Flashcard-App „SN Flashcards“ können Sie Ihr Wissen anhand von Fragen überprüfen und Themen vertiefen. Für die Nutzung folgen Sie bitte den folgenden Anweisungen: 1. Gehen Sie auf 7 https://flashcards. springernature.com/login 2. Erstellen Sie ein Benutzerkonto, indem Sie Ihre Mailadresse angeben und ein Passwort vergeben. 3. Verwenden Sie den folgenden Link, um Zugang zu Ihrem SN Flashcards Set zu erhalten: 7 www.sn.pub/A0DTec
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16.1
Häufigkeit des Zervixkarzinoms aus globaler Perspektive
Die weitaus höchste Zahl an Zervixkarzinomen (ca. 85 %) tritt in Entwicklungsländern auf. . Abb. 16.1 und 16.2 zeigen die altersstandardisierten Inzidenz- und Mortalitätsraten für 2018 aus dem „World Cancer Report“ von 2020 (Wild et al. 2020). Offensichtlich sind Länder in Afrika südlich der Sahara (Subsahara) ganz besonders betroffen: 4 Zervixkarzinome sind nach Brustkrebs die zweithäufigste Krebsart von Frauen. 4 Eine größere Zahl von Frauen stirbt am Zervixkarzinom als an Brustkrebs. 4 Sowohl Präventionsmaßnahmen als auch Behandlungsmöglichkeiten bei manifester Erkrankung sind selten vorhanden. 4 Im Vergleich zu Industrieländern sind die Inzidenzraten in Subsahara-Afrika zweifach höher. 4 Die Zervixkarzinommortalität ist sogar dreifach höher.
16
≥ 26,0 18,1–26,0 11,5–18,1 7,3–11,5 < 7,3
. Abb. 16.1 Weltweit altersstandardisierte Inzidenzraten für das Zervixkarzinom pro 100.000 Personen für 2018 aus dem „World Cancer Report“ von 2020 (Wild et al. 2020)
241 16.2 HPV-Impfung
≥ 17,3 9,4–17,3 5,5–9,4 2,7–5,5 < 2,7
. Abb. 16.2 Weltweit altersstandardisierte Mortalitätsraten für das Zervixkarzinom pro 100.000 Personen für 2018 aus dem „World Cancer Report“ von 2020 (Wild et al. 2020)
Der WHO Report macht deutlich, dass die Armutsrate – der Anteil der Bevölkerung, der in extremer Armut lebt – sehr stark mit Inzidenz und Mortalität des Zervixkarzinoms korreliert. > Die hohe Zahl an Zervixkarzinomen in Verbindung mit der hohen Zahl an Mammakarzinomen bedingt, dass in Subsahara-Afrika sehr viel mehr Frauen an Krebs erkranken als Männer.
16.2
HPV-Impfung
Da alle sekundären Screeningprogramme relativ aufwendig sind, wäre es erst recht in Entwicklungsländern sinnvoll, HPV-Impfprogramme voranzutreiben. Inzwischen ist abzusehen, dass die HPV-Impfung hocheffektiv ist und mit Gardasil9® ein Impfstoff zur Verfügung steht, der die langfristige Perspektive bietet, das Zervixkarzinom fast vollständig zu eliminieren. Eine Voraussetzung, damit die HPV-Impfung in den besonders betroffenen Gebieten wie Subsahara-Afrika genauso wirksam ist wie zum Beispiel in Europa, wäre eine ähnliche Verteilung der HPV-Subtypen. Betrachtet man die globale Verbreitung verschiedener HPV-Typen, so zeigt sich unter anderem, dass HPV16 sig-
nifikant häufiger in Europa verbreitet ist als in Subsahara-Afrika (Clifford et al. 2005). Mcharo et al. (2021) führten eine Subtypisierung in einem Kollektiv in Tansania, Ostafrika, durch und folgerten, dass HPV16, 18 und 45 im Vordergrund stehen. HPV35, welches nicht Teil des Gardasil9® -Spektrums ist, besitzt ein hohes Potenzial, höhergradige Zervixdysplasien bei HIVPatientinnen auszulösen. Auf jeden Fall ist es von Vorteil, dass Gardasil9® ein größeres Spektrum an HPV-Typen abdeckt als die HPV-Impfstoffe der ersten Generation. Natürlich gibt es zahlreiche Hindernisse für die Einführung einer HPV-Impfung in ressourcenarmen Ländern, insbesondere die relativ hohen Kosten. Nichtsdestotrotz wurden vom Hersteller gesponserte HPV-Impfprogramme initiiert, unter anderem in Bhutan, Bolivien, Kambodscha, Kamerun, Haiti, Lesotho und Nepal (Ladner et al. 2012). Darüber hinaus gibt es die Global Alliance for Vaccines and Immunization (GAV)1 , welche HPV-Impfprogramme in Entwicklungsländern unterstützt.
1
7 www.gavi.org.
16
242
Kapitel 16 Zervixkarzinomscreening in Ländern mit geringen Ressourcen
16.3
Sekundäre Präventionsstrategien
Selbst wenn effektive HPV-Impfprogramme jetzt schon zur Verfügung stünden, so wird die Krankheitslast durch das Zervixkarzinom in armen Ländern noch auf lange Zeit so hoch sein, dass sekundäre Präventionsstrategien eine wichtige Rolle spielen. Gakidou et al. (2008) analysierten das Zervixkarzinomscreening in 57 Ländern. Bezüglich eines zytologischen Screenings beträgt die Abdeckung der Bevölkerung in Entwicklungsländern durchschnittlich 19 % verglichen mit 63 % in den Industrieländern. Am wenigstens war das Zytologiescreening in Bangladesch verbreitet (1 %). Die besten Werte fanden sich für Brasilien (73 %). Screeningstrategien, die sich in Ländern mit hohen Ressourcen bewährt haben, können nicht ohne weiteres in Entwicklungsländern eingesetzt werden und umgekehrt. Neben Aufwand für Personal und Infrastruktur usw. gibt es hierfür auch epidemiologische Gründe. Vereinfacht ausgedrückt: Je höher die Prävalenz des Zervixkarzinoms und seiner Vorstufen, desto effektiver sind zunächst auch weniger sensitive Screeningverfahren (z. B. VIA und VILI), während in Ländern wie Deutschland, in denen seit Jahrzehnten ein Screening durchgeführt wird, die Prävalenz inzwischen so niedrig ist, dass die Sensitivität des rein zytologischen Screenings an seine Grenzen stößt und folgerichtig durch sensitivere Verfahren wie den HPV-Test ergänzt wurde.
16
16.3.1
Zytologisches Screening
Zweifellos hat sich der Pap-Test als das wertvollste Verfahren erwiesen und kann als Goldstandard des Zervixkarzinomscreenings angesehen werden. Der extreme Rückgang des Zervixkarzinoms in fast allen westlichen Ländern ist fast ausschließlich auf das zytologische Screening zurückzuführen. > Allerdings gibt es eine Reihe von Gründen, warum das zytologische Screening nicht für Länder mit geringen Ressourcen geeignet ist bzw. nicht ausreichend effektiv sein wird.
Ein wesentliches Problem ist die Notwendigkeit von hochqualifiziertem Personal, welches kontinuierlicher Fortbildung bedarf mit einem umfassenden System der Qualitätskontrolle. Häufig steht nur eine sehr geringe Zahl von geschulten Pathologen zur Verfügung. In Subsahara-Afrika steht maximal ein Zehntel der Zahl von Pathologen zur Verfügung im Vergleich zu reichen Ländern (Adesina et al. 2013). Diese sind meist in den größeren Städten zu finden, was das Problem zusätzlich verschärft. Hinzu kommt, dass die Prävalenz der HIVInfektionen sehr hoch ist. Hierdurch ist zum einen die Prävalenz der Präkanzerosen und des Zervixkarzinoms zusätzlich erhöht. Zum anderen finden sich in den zytologischen Abstrichen vermehrt entzündliche Veränderungen, welche die Rate unklarer Abstriche stark ansteigen lässt. In einer Untersuchung von Bayer (2011) hatten 44 % der HIV-infizierten Frauen als auffällig eingestufte Pap-Abstriche. Der Pap-Test ist kein „Point-of-Care“-Testverfahren, wie es aus logistischen Gründen vorteilhaft wäre. Abstriche müssen beschriftet, verpackt und versandt werden. Eine klare Zuordnung muss immer gewährleistet sein. Eine zuverlässige Dokumentation der Patientinnendaten ist eine Grundvoraussetzung. Wenn die Abstrichergebnisse vorliegen, was abhängig von den Laborkapazitäten nicht Tage, sondern eher Wochen und Monate dauern kann, müssen Patientinnen mit auffälligem Ergebnis erneut einbestellt, untersucht und gegebenenfalls behandelt werden. Die Compliance für wiederholte Untersuchungen ist oft niedrig aufgrund kultureller, finanzieller und geografischer Faktoren, sodass viele Patientinnen kein zweites Mal gesehen werden. Effektiver ist dagegen ein „Point-of-Care“Test in Verbindung mit einer „See-and-Treat“Strategie wie die nachfolgend beschriebene visuelle Inspektion der Zervix (VIA bzw. VILI) in Verbindung mit einer unmittelbaren kryochirurgischen Behandlung bei entsprechendem Befundergebnis.
243 16.3 Sekundäre Präventionsstrategien
16.3.2
Visuelle Inspektion der Zervix führt. Ein Spekulum wird eingeführt und die Essigprobe durchgeführt (. Abb. 16.3). „VIA (VIA und VILI)
Die visuelle Inspektion der Zervix stellt ein sehr einfaches Mittel zur Reduktion der Zahl der Zervixkarzinome dar und wird in ressourcenarmen Ländern offiziell von der WHO empfohlen, wenn zum Beispiel kein HPV-Screening möglich ist. Die am häufigsten angewandte Technik wird als „visual inspection with acetic acid“ (VIA) bezeichnet und wird in der Regel von einer Krankenschwester, einer Hebamme oder einer speziell hierfür ausgebildeten Person durchge-
. Abb. 16.3 „Visual inspection with acetic acid“ (VIA) als primäres Zervixkarzinomscreening in Ländern mit geringen Ressourcen und hoher Zervixkarzinominzidenz
positive“ ist ein intensiv essigweißer Befund, der mit bloßem Auge wahrgenommen wird, wie dies bei einem großen Teil der „major change“Veränderungen der Fall sein dürfte. Im Sinne einer „See-and-Treat“-Strategie werden solche Patientinnen in gleicher Sitzung mittels Kryochirurgie behandelt. Interessanterweise lässt sich die Schiller’sche Jodprobe – ohne Essigsäureprobe – ebenfalls zum rein visuellen Screening verwenden. Dieses Verfahren wird als „visual inspection with Lugol’s iodine“ (VILI) bezeichnet. Wesentliches Beurteilungskriterium eines VILIpositiven Befundes sind jodnegative bzw. jodgelbe Befunde, die in enger Nachbarschaft zur Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze, also innerhalb der Transformationszone, gelegen sind. Eine Metaanalyse von Fokom-Domgue et al. (2015) hat ergeben, dass VILI eine signifikant höhere Sensitivität besitzt, was die Diagnose von plattenepithelialen Präkanzerosen betrifft, als VIA oder selbst der HPV-Test, wobei die Auswahl der Studien auf Länder SubsaharaAfrikas beschränkt war. Die wichtigste Studie zum Nachweis der Effektivität der Essigsäureprobe (VIA) wurde von Surendra Shastri vom Tata Memorial Hospital in Mumbai durchgeführt (Shastri et al. 2014). Die Frauen wurden alle zwei Jahre für
. Abb. 16.4 Zervixkarzinom durch zweijährliches VIA-Screening in Indien. Nach 12 Jahren ist die Mortalität um 31 % zurückgegangen
16
Kapitel 16 Zervixkarzinomscreening in Ländern mit geringen Ressourcen
244
einen Zeitraum von zwölf Jahren von hierfür speziell ausgebildetem nichtärztlichem Personal untersucht. Die Untersuchung war prospektivrandomisiert durchgeführt worden, was eine heftige ethische Diskussion auslöste. Am Ende des Untersuchungszeitraums war die Mortalität am Zervixkarzinom in der gescreenten Gruppe um 31 % niedriger (. Abb. 16.4). Shastri et al. folgerten, dass durch eine alle zwei Jahre stattfindende VIA-Untersuchung jedes Jahr 22.000 Zervixkarzinom-Todesfälle in Indien und 72.000 Todesfälle in Entwicklungsländern weltweit verhindert werden könnten.
16.3.3
16
HPV-Test
Das HPV-Screening besitzt eine Reihe von Vorteilen in einkommensschwachen Ländern. Sowohl im Vergleich mit dem zytologischen Abstrich als auch mit dem visuellen Screening (VIA, VILI) ist der HPV-Test weniger subjektiv und gut standardisierbar mit hoher Reproduzierbarkeit. Darüber hinaus ist die Qualität des Abstrichmaterials weniger entscheidend, was dagegen für den Pap-Test ein großes Problem darstellt. Auf der einen Seite ist die Sensitivität des HPV-Tests mit 96 % sehr hoch (Cuzick et al. 2006, Koliopoulos et al. 2007). Andererseits ist die Spezifität nicht ausreichend, um Patientinnen mit positivem Testergebnis sofort zu behandeln ohne vorherige Triage. Nach den Empfehlungen der WHO sollte diese Triage in einem VIAoder VILI-Screening bestehen (World Health Organization 2014). Nur Patientinnen mit positivem HPV-Test und VIA- oder VILI-positivem Befund werden dann kryochirurgisch behandelt. > Ein weiterer vorteilhafter Aspekt des HPVScreenings ist die Möglichkeit der Probenentnahme durch die Patientinnen.
Dies kann durch Direktabstrich aus der Vagina geschehen, mithilfe eines Tampon-Tests oder sogar aus einer Urinprobe. Belinson et al. (2001) untersuchten mehrere HPV-Screeningverfahren in einer ländlichen Provinz Chinas und fanden eine Sensitivität für die Detektion von CIN2+Läsionen von 83 % und eine Spezifität von 86 %.
Eine brasilianische Studie (Lorenzi et al. 2013) konnte keine Unterschiede bei der HPV-HighRisk-Rate feststellen, wenn die Proben von den Patientinnen selbst oder von Fachpersonal entnommen worden waren.
16.4
Behandlung HPV-assoziierter Erkrankungen
Wenn ein visuelles Screening mit VIA oder VILI durchgeführt wird, empfiehlt die WHO die Kryotherapie, vorzugsweise in einer Sitzung im Sinne eines „See-and-Treat“-Konzeptes (World Health Organization 2014). Das heißt, es erfolgt keine Biopsie zur histologischen Verifizierung der Dysplasie. Das Konzept ist deshalb geeignet für ein Umfeld, in dem kein Pathologe oder anderes Fachpersonal zur Verfügung stehen. Die Kryotherapie (7 Abschn. 10.2.3) kann von einer Schwester oder Hebamme durchgeführt werden und es ist keine Anästhesie erforderlich. Voraussetzung für die Kryotherapie ist, dass die zu behandelnde Läsion vollständig einsehbar ist und von der Kryosonde komplett abgedeckt werden kann. Selbstverständlich dürfen keine Verdachtsmomente für einen invasiven Prozess vorliegen. Falls die Geometrie einer zu behandelnden Läsion für die Kryotherapie ungeeignet ist, sollte eine Resektion mit der LEEPSchlinge durchgeführt werden. Auf die Interaktion zwischen HIV und HPV wurde bereits hingewiesen. Aufgrund der Arbeiten von Petry et al. (1994, 1996) wurde die zervikale Dysplasie als AIDS-definierende Erkrankung angesehen. Offensichtlich fördert nicht nur die HIV-Infektion HPV-assoziierte Erkrankungen bedingt durch bestimmte immunologische Mechanismen, die vor allem den HPV16-Subtyp betreffen (Mbuya et al. 2021). Auch bei einer HPV-Infektion der Zervix wird die HIVInfektion begünstigt, da sich vermehrt aktivierte CD4-Zellen nachweisen lassen. Dies könnte eine HIV-Infektion begünstigen (Mbuya et al. 2020). Die in vielen Teilen der Welt endemische Schistosomiasis nimmt ebenfalls Einfluss auf das Immunsystem der infizierten Personen. Auch hier wird eine Interaktion mit HPV-Infektion sowie dem Effekt einer HPV-Impfung diskutiert (Bullington et al. 2021).
245 16.5 Behandlung des Zervixkarzinoms
Als Konsequenz aus der Tatsache, dass eine HIV-Infektion ein hohes Risiko für HPV-assoziierte Erkrankungen bedingt, schlagen Mwanahamuntu et al. (2009) vor, Screeningprogramme mit VIA/VILI und Kryochirurgie direkt mit HIV-Ambulanzen zu verlinken, wie dies zum Beispiel in Sambia der Fall ist.
16.5
Behandlung des Zervixkarzinoms
In den meisten Ländern mit sehr hoher Zervixkarzinominzidenz und fehlenden Ressourcen für das Screening werden Patientinnen mit manifestem Zervixkarzinom nur unzureichend oder überhaupt nicht behandelt. Bei den meisten Patientinnen wird die Erkrankung in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Laut der Statistik aus . Abb. 16.5 befinden sich ca. drei Viertel aller Patientinnen in einem inoperablen Stadium, typischerweise Stadium FIGO IIIB. Diese Stadienverteilung dürfte in allen Regionen der Welt, in denen kein effektives sekundäres Screeningprogramm besteht, gleich sein (siehe Indonesien: Suryapratama 2010). Falls überhaupt operiert wird, dann nur im Sinne einer einfachen Hysterektomie und nicht im Umfang einer Radikaloperation. Bei der Mehrzahl der Patientinnen ist aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums eine primäre Radiochemotherapie angebracht. Oft sind die Kapazitäten der onkologischen Zentren nicht ausreichend für die große Zahl der zu behandelnden Patientinnen, und es kommt zu zeitlichen
. Abb. 16.5 Klinisches FIGO-Stadium von 29 konsekutiven Patientinnen mit Zervixkarzinom in Mbeya, Tansania, die für eine mögliche Operation evaluiert wurden (eige-
. Abb. 16.6 Myoma in statu nascendi
Verzögerungen der Behandlung, welche nachweislich zu einem noch höheren Stadium führen (Kantelhardt et al. 2014). Des Öfteren stehen die behandelnden Ärzte vor dem Problem, dass keine zeitnahe histologische Diagnose zur Verfügung steht. Einerseits ist bei den meisten fortgeschrittenen Zervixkarzinomen eine Blickdiagnose möglich. Andererseits besteht ein Risiko für folgenreiche Fehldiagnosen. Ein Myoma in statu nascendi (. Abb. 16.6) oder ein Chorionkarzinom (. Abb. 16.7) könnten ein Zervixkarzinom vortäuschen. Sowohl Myome als auch Chorionkarzinome kommen in bestimmten Ländern, einschließlich Subsahara-Afrika, signifikant häufi-
ne Daten). Bei mindestens 72 % der Patientinnen war die Erkrankung von vornherein als inoperabel einzuschätzen (Stadium IIIA, IIIB, IVA). (Nach Shastri et al. 2014)
16
246
Kapitel 16 Zervixkarzinomscreening in Ländern mit geringen Ressourcen
in reicheren Ländern durchgeführt. Während das klassische und in Deutschland sehr gut etablierte zytologische Screening für Entwicklungsländer ungeeignet ist, wäre umgekehrt ein reines visuelles Screening in westlichen Ländern undenkbar aufgrund der unzureichenden Genauigkeit. Auch steht das Problem der Compliance in entwickelten Ländern nicht im Vordergrund. > Die HPV-Impfung von Mädchen und Jungen in einem möglichst frühen Alter ist und bleibt die wirkungsvollste Strategie, um die Erkrankung des Zervixkarzinoms mittel- und langfristig zu eliminieren.
. Abb. 16.7 Chorionkarzinom mit 8 cm großem exophytischen Tumor
ger vor als zum Beispiel bei der europäischen Bevölkerung.
16.6
Zusammenfassung und Ausblick
In diesem Kapitel wurden alternative Screening- und Behandlungsstrategien diskutiert, wie sie in Ländern mit geringen Ressourcen angewendet werden. Manche dieser Strategien, wie zum Beispiel das HPV-Screening, werden auch
16
Dies gilt für alle Länder unabhängig von deren Ressourcen. Sobald eine ausreichende Impfabdeckung besteht, müssen die sekundären Screeningverfahren in den jeweiligen Ländern angepasst werden (Sankaranarayanan et al. 2015). Sukzessiv müssen sensitivere Methoden eingesetzt werden. Die Sensitivität der Zytologie wird nicht mehr ausreichen und kurze Screeningintervalle von ein bis drei Jahren sind ebenfalls nicht mehr angebracht. Es ist zu hoffen, dass sich die sekundären Screeningstrategien allmählich angleichen werden. Sankaranarayanan et al. (2015) schreiben, dass in einem solchen „Postvaccination“-Szenarium ein HPV-basiertes Screening, welches mit einem etwas höheren Alter beginnt und alle 7 bis 10 Jahre durchgeführt wird, die angemessenste Option für alle Länder sein wird.
16
247 Literatur
16.7
Fragen zur Selbstkontrolle – Zervixkarzinomscreening in Ländern mit geringen Ressourcen
Ja 1 Aus globaler Sicht sind Zervixkarzinome nach Brustkrebs die zweithäufigste Krebsart bei Frauen.
2 Weltweit stirbt eine größere Zahl von Frauen am Zervixkarzinom als an Brustkrebs.
Nein
3 Der Pap-Test ist die Methode der Wahl für das sekundäre Zervixkarzinomscreening in Entwicklungsländern.
4 Vorteil des Pap-Tests ist die Tatsache, dass es sich um ein „Point-of-Care“-Verfahren handelt.
5 Die visuelle Inspektion der Zervix nach Essigsäureprobe ohne optische Vergrößerung (VIA) stellt ein sehr einfaches Mittel zur Reduktion der Zahl der Zervixkarzinome dar und wird in ressourcenarmen Ländern von der WHO empfohlen, wenn aus finanziellen und/oder organisatorischen Gründen kein HPV-Screening möglich ist. 6 Die visuelle Inspektion der Zervix nach Schiller’scher Jodprobe ohne vorherige Essigsäureanwendung (VILI) ist im Rahmen des sekundären Zervixkarzinomscreenings signifikant besser als eine VIA.
7 Eine prospektive Studie aus Indien hat gezeigt, dass durch zweijährliches VIA-Screening die Zervixkarzinommortalität um 88 % reduziert werden kann. 8 Bei VIA-Positivität wird vorzugsweise die Kryobehandlung der Zervix eingesetzt im Sinne einer „See-and-Treat“-Strategie.
9 In Regionen ohne Zervixkarzinomscreening werden drei Viertel der Zervixkarzinome in einem inoperablen Stadium (FIGO IIIA und höher) diagnostiziert.
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248
Kapitel 16 Zervixkarzinomscreening in Ländern mit geringen Ressourcen
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249
Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde Inhaltsverzeichnis 17.1
Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden – 250
17.1.1 17.1.2
Zervix und Vagina – 250 Vulva – 311
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 R.J. Lellé, V. Küppers, Kolposkopie in der Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66898-6_17
17
250
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
17.1
Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
17.1.1
Zervix und Vagina
Übung 1 1 Portio nach Essigsäureprobe. Bei der 21-jährigen Patientin wurde 9 Monate zuvor ein Pap IIID2 festgestellt.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Von welcher Stelle/welchen Stellen würden Sie eine Biopsie entnehmen? Welche Diagnose vermuten Sie? Die Patientin ist nicht HPV-geimpft. Ist eine Nachimpfung sinnvoll?
17
Kolposkopie: adäquat, T1 (Ektopie), abnormer Befund: in allen 4 Quadranten schmales zart essigweißes Band, „minor change“ Biopsie zum Beispiel bei 12 Uhr und/oder 6 Uhr im Bereich des essigweißen Epithels Ein „minor change“ spricht für eine unreife Metaplasie oder eine leichte Dysplasie. Bei Pap IIID2 wird eine CIN2 vermutet. Eine HPV-Impfung („Catch-up“-Impfung) ist bis einschließlich des 26. Lebensjahrs sinnvoll, unabhängig vom HPV-Status.
251 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 2 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe. Die Patientin ist 70 Jahre alt und stellt sich zur Abklärungskolposkopie bei Pap III-p vor. Der HPV-Test (HC2) ist negativ.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Welche Diagnose vermuten Sie? Wie sollte weiter vorgegangen werden? Kolposkopie: nicht adäquat (Atrophie), T3, petechiale Blutungen, Schiller’sche Jodprobe negativ Es handelt sich um eine ausgeprägte Atrophie des Plattenepithels. Eine weitere Beurteilung ist nicht möglich und sinnvoll. Der auffällige zytologische Befund hängt unter Umständen ebenfalls mit der Atrophie zusammen. Die Kolposkopie sollte nach lokaler Östrogenbehandlung wiederholt werden.
17
252
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 3 1 Portio nach Essigsäureprobe. Die Patientin ist 53 Jahre alt und klagt über rezidivierende Pilzinfektionen der Scheide.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: nicht adäquat (Entzündung), T3 Die entzündungsbedingt betonten Gefäße verleihen der Portio ein erdbeerartiges Aussehen. Wenn ein solcher Befund im Rahmen der Abklärungskolposkopie festgestellt wird, so muss zunächst eine Entzündungsbehandlung durchgeführt werden, um adäquate Untersuchungsbedingungen zu gewährleisten.
17
253 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 4 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Welche Diagnose vermuten Sie? Kolposkopie: adäquat, T1 (Ektopie), abnormer Befund: in allen 4 Quadranten schmales zart essigweißes und teilweises transparentes Band, „minor change“ Ein „minor change“ spricht für eine unreife Metaplasie oder eine leichte Dysplasie.
17
254
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 5 1 Portio bei 12 Uhr nach Essigsäureprobe. Bei der 27-jährigen Patientin besteht der zytologische Verdacht auf eine leichtgradige Dysplasie (Pap IIID1).
Beschreiben und graduieren Sie die essigweiße Läsion! Bei 12 Uhr sieht man im Bereich des Zervikalkanaleingangs ein scharf begrenztes essigweißes Areal, welches teilweise transparent ist und ein regelmäßiges Mosaik aufweist. Es handelt sich um einen „minor change“ (Grad 1).
17
255 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 6 1 Portio nativ und nach Essigsäureprobe. Die Patientin ist 37 Jahre alt und stellt sich zur Abklärungskolposkopie bei Pap IVa-p vor. Der HPV-Test (HC2) ist positiv.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Welche Diagnose vermuten Sie? Kolposkopie: adäquat, T3 (ggf. T2), intensiv essigweißes Epithel im Bereich der beiden ventralen Quadranten, „major change“ mit typischem „ridge sign“ Bei einem „major change“/„ridge sign“ ist eine höhergradige Dysplasie zu vermuten (CIN2 oder CIN3). Eine weitere Graduierung ist kolposkopisch nicht möglich, auch wenn die Pap-Gruppe IVa-p eine hohe Spezifität besitzt und auf eine CIN3 hinweist. In der Tat wurde eine CIN3 histologisch gesichert.
17
256
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 7 1 Ausschnitt der Portio nach Essigsäureprobe, nach Schiller’scher Jodprobe sowie bei Anwendung des Kogan-Spekulums. Die Patientin ist 32 Jahre alt.
Beschreiben und graduieren Sie den Befund im Bereich der ventralen Muttermundlippe! Welche Diagnose vermuten Sie?
17
Kolposkopie: adäquat, T2, scharf berandetes essigweißes Epithel bei 12 Uhr, partiell transparent, leicht erhaben, „minor change“ (Grad 1) Mit dem Kogan-Spekulum kann die Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze visualisiert werden. Das essigweiße Epithel weist sowohl Kennzeichen eines „minor change“ auf (transparent, regelmäßiges Mosaik) als auch eines „major change“ (scharfer Rand, leicht erhaben). Bei der Schiller’schen Jodprobe ist das Areal nicht homogen negativ und weist kleine jodpositive Binnenstrukturen auf. Dies könnte ein Hinweis sein, dass es sich doch nicht um einen „major change“ handelt. Histologisch wurde eine CIN1 nachgewiesen.
257 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 8 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe. Die Patientin ist 41 Jahre alt und stellt sich wegen einer HSIL der Vulva vor.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Welche Diagnose vermuten Sie? Kolposkopie: adäquat, T3, bei der Essigprobe diskretes regelmäßiges Mosaik, scharf berandetes jodnegatives Areal außerhalb der Transformationszone in den dorsalen Quadranten, „minor change“ Nach der kolposkopischen Nomenklatur Rio 2011 wird ein solcher Befund der Schiller’schen Jodprobe als abnorm angesehen und gleichzeitig als unspezifisch eingestuft. Da das jodnegative Areal außerhalb der Transformationszone liegt, ist eine höhergradige Dysplasie unwahrscheinlich. Die Biopsie ergab lediglich eine CIN1. Aufgrund des Befundes bei der Essigsäureprobe erfolgt die Einstufung als „minor change“.
17
258
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 9 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe sowie Ausschnittvergrößerung zentral. Die Patientin ist 26 Jahre alt.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund!
17
Kolposkopie: adäquat, T1, teilweise intensiv essigweißes Epithel zirkulär um den Zervikalkanaleingang mit „inner border lesion“ bei 2 Uhr, „major change“ Die Gewebeprobe wurde aus dem Bereich der „inner border lesion“ zervikalkanalnah entnommen und ergab eine HSIL/CIN3.
259 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 10 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3 (oder T2), teils intensiv essigweißes Epithel in allen 4 Quadranten mit „cuffed open glands“, „major change“
17
260
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 11 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
17
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3 (oder T2), teils intensiv essigweißes Epithel in allen 4 Quadranten mit prominentem irregulären Mosaik, „major change“, Fäden einer Intrauterinspirale
261 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 12 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe sowie einige Minuten nach Auftragen der Essiglösung
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3 (oder T2), deutlich erhabenes, intensiv essigweißes Epithel vor allem in den ventralen Quadranten sowie links dorsal mit prominenten unregelmäßigen Mosaik sowie unregelmäßiger grober Punktierung, „major change“
17
262
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 13 1 Portio nach Essigsäureprobe. Der Pfeil markiert den Eingang des Zervikalkanals.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, massiv deformierte Zervix mit Substanzverlust, Ulzeration und atypischen Gefäßen. Es besteht der Verdacht auf einen invasiven Prozess. Bei der erst 26 Jahre alten Patientin bestand ein 6 cm großes Adenokarzinom der Zervix.
17
263 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 14 1 Portio nach Essigsäureprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3 (evtl. T2), intensiv essigweißes Epithel vor allem im Bereich des rechten ventralen Quadranten, hier mit unregelmäßigem Mosaik, polypöses Gewebe im Zervikalkanaleingang und im Bereich des linken dorsalen Quadranten; Verdacht auf Invasion Bei der 38-jährigen Patientin besteht ein Plattenepithelkarzinom der Zervix auf dem Boden einer schweren zervikalen intraepithelialen Neoplasie (CIN3).
17
264
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 15 1 Ventrale Muttermundlippe nativ und nach Essigsäureprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze bei der gezeigten Ausschnittsvergrößerung nicht beurteilbar, Tumorbildung an der ventralen Muttermundlippe mit atypischen Gefäßen, die sowohl vor als auch nach Essigsäureanwendung deutlich hervortreten, Verdacht auf invasiven Prozess Bei der 32 Jahre alten Patientin wurde ein Adenokarzinom der Zervix diagnostiziert.
17
265 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 16 1 Portio nativ und nach Essigsäureprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, polypöse Tumorbildung, welche vor allem die ventrale Muttermundlippe betrifft und diese vorwölbt; Verdacht auf ein Zervixkarzinom Die Patientin ist 29 Jahre alt. Bei dem Tumor handelt es sich um ein Adenokarzinom der Zervix. Aufgrund der Vorwölbung der ventralen Muttermundlippe mit grob-polypösen Formationen und den suspekten Gefäßformationen nach Essigprobe kann es sich nicht um eine Ektopie handeln.
17
266
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 17 1 Portio nach Essigsäureprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, exophytisch wachsender und unregelmäßig geformter Tumor anstelle einer Portio, atypische Gefäße, Karzinomverdacht Die Patientin ist 30 Jahre alt und hat ein lokal fortgeschrittenes Plattenepithelkarzinom der Zervix.
17
267 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 18 1 Portio nach Essigsäureprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, statt einer Portio exophytischer Tumor, der die proximale Vagina ausfüllt, mit unregelmäßiger Oberfläche und atypischen Gefäßen, Karzinomverdacht Bei der 52 Jahre alten Patientin besteht ein 7 7 cm großes Plattenepithelkarzinom (FIGO IB3).
17
268
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 19 1 Portio nach Essigsäureprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, Substanzdefekt und zerfallendes blutendes Gewebe zentral, Karzinomverdacht 32-jährige Patientin mit einem Plattenepithelkarzinom der Zervix (FIGO IB1)
17
269 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 20 1 Portio nach Essigsäureprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, tumoröse Vorwölbung der dorsalen Muttermundlippe, unregelmäßige Oberfläche und im gesamten sichtbaren Bereich atypische Gefäßstrukturen, Karzinomverdacht 52-jährige Patientin mit einem lokal fortgeschrittenen Plattenepithelkarzinom der Zervix
17
270
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 21 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe sowie Ausschnittvergrößerung des rechten ventralen Quadranten nach Essigsäureprobe und mit Grünfilter
17
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, polypöse Strukturen im Bereich der gesamten Ektozervix, an der ventralen Muttermundlippe Substanzdefekt, in der Ausschnittsvergrößerung atypische Gefäße, Karzinomverdacht 31-jährige Patientin mit einem Plattenepithelkarzinom der Zervix (FIGO Stadium IB1)
271 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 22 1 Portio nach Essigsäureprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, anstelle der Portio knolliger Tumor mit Blutung und Nekrose, ventral atypische Gefäße, Karzinomverdacht 60-jährige Patientin mit einem fortgeschrittenen adenosquamösen Karzinom der Zervix
17
272
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 23 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe sowie mit KoganSpekulum. Die Patientin ist 29 Jahre alt und befindet sich in der 16. SSW.
17
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, diffuses teils intensiv essigweißes Epithel mit „inner border lesion“ (linker ventraler Quadrant) und angedeuteten „cuffed open glands“ (rechter ventraler Quadrant), „major change“, großflächig jodnegativ Histologisch gesicherte CIN3 (16. SSW)
273 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 24 1 Portio nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe sowie Ausschnittvergrößerung von 2 Uhr. Bei der 31-jährigen Patientin war bereits zweimal eine LEEP durchgeführt worden. Bei der letzten Operation 3 Monate zuvor wurde eine CIN3 nachgewiesen.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T1, deutlicher Substanzdefekt, keine Stenosierung, ventral innerhalb der neu gebildeten Transformationszone essigweiß mit unregelmäßiger Punktierung, „major change“? Das kolposkopische Bild erinnert an einen „major change“, ist aber nur schwach essigweiß. Eine solche Punktierung wird manchmal im Anschluss an eine LEEP beobachtet. Die Patientin hat keine Dysplasie.
17
274
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 25 1 Distale Vagina nativ. Bei der 36-jährigen Patientin war 5 Monate zuvor eine Episiotomie durchgeführt worden.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: polypöses, gefäßreiches Gewebe, welches auf Berührung blutet, Verdacht auf Granulationsgewebe Das Granulationsgewebe befindet sich im Bereich der Episiotomie, auch wenn eine vaginale Narbe aufgrund der besonderen Regenerationsfähigkeit der Scheidenhaut nicht sichtbar ist.
17
275 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 26 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe. Die 31-jährige Patientin ist in der 6. SSW. Indikation für die Abklärungskolposkopie war ein Pap IVa-g.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T1, eher zart essigweißes Gewebe, welches nach peripher unscharf begrenzt ist, „minor change“ Auch wenn die Zytologie ein Adenocarcinoma in situ vermuten lässt, ließ sich lediglich eine plattenepitheliale Dysplasie (CIN3) nachweisen. Die Biopsie wurde bei 6 Uhr aus dem Bereich der Plattenepithel-Zylinderepithel-Grenze entnommen. Kolposkopischer („minor change“) und histologischer (HSIL/CIN3) Befund korrelieren bei diesem Szenarium nicht.
17
276
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 27 1 Portio nach Essigsäureprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T1, intensiv essigweißes Gewebe im rechten und linken dorsalen Quadranten („major change“) Die Patientin ist 38 Jahre alt. Eine Biopsie bei 7 Uhr ergab eine HSIL/CIN2.
17
277 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 28 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T2, bei 12 Uhr erhabenes intensiv essigweißes Areal, „major change“ Die 29-jährige Patientin stellte sich wegen eines Abstrichs der Pap-Gruppe IVa-p in der Dysplasiesprechstunde vor. Die Biopsie bei 12 Uhr (zervikalkanalnah) ergab eine HSIL/CIN2.
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278
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 29 1 Portio nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T1, Substanzdefekt wie nach Konisation/LEEP, Ovula Nabothii bei 3 Uhr sowie bei 8 Uhr, keine essigweißen Areale, unauffälliger kolposkopischer Befund Bei der 36-jährigen Patientin war 7 Monate zuvor eine LEEP wegen CIN2 durchgeführt worden. Jetzt ist der zytologische Befund unauffällig, während der HPV-Test (HC2) noch positiv ist.
17
279 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 30 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T1, im linken und vor allem im rechten dorsalen Quadranten intensiv essigweißes Epithel, „major change“ Die 40-jährige Patientin stellte sich wegen eines Abstrichs der Pap-Gruppe IIID2 in der Dysplasiesprechstunde vor. Die Biopsie bei 6 Uhr ergab eine HSIL/CIN3.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 31 1 Portio nach Essigsäureprobe, mit Kogan-Spekulum und nach Schiller’scher Jodprobe. Bei der 40-jährigen Patientin war 6 Monate zuvor eine HSIL/CIN3 diagnostiziert und durch LEEP behandelt worden (siehe Übung 30).
17 Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T2, Substanzdefekt, keine essigweiße Reaktion, Ektozervix vollständig jodpositiv, kein kolposkopischer Dysplasieverdacht Die diskrete Weißfärbung mit unscharfer Begrenzung und betonten Gefäßen ist durch die vorausgegangene Operation bedingt. Der zytologische Abstrich entspricht einem Pap II-a und der HPV-Test (HC2) ist negativ geworden.
281 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 32 1 Portio nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T1, Substanzdefekt, kleine Ektopie, zart essigweißer Saum ventral, „minor change“ Bei der 34-jährigen Patientin war 11 Monate zuvor eine CIN3 durch LEEP abgetragen worden. Der zytologische Abstrich war jetzt unauffällig und der HPV-Test (HC2), der präoperativ positiv war, ist jetzt negativ geworden. Der schmale essigweiße Saum ist durch einen beginnenden, noch unreifen metaplastischen Umbau bedingt, ebenso die angedeutete zarte Punktierung bei 12 Uhr.
17
282
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 33 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
17
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, im Nativbild kleine Hyperkeratose bei 6 Uhr, in beiden ventralen Quadranten intensiv essigweißes Epithel, etwas weniger dicht auch im Bereich der dorsalen Muttermundlippe, „major change“ Bei der 45-jährigen Patientin ergab eine Biopsie bei 12 Uhr eine HSIL/CIN3.
283 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 34 1 Portio nach Essigsäureprobe sowie Ausschnittvergrößerung der ventralen Muttermundlippe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, im Bereich der ventralen Muttermundlippe teilweise intensiv essigweißes Gewebe mit Mosaik und teils unregelmäßiger Punktierung, „major change“ Bei der 34-jährigen Patientin war 4 Monate zuvor eine CIN3 durch LEEP-Resektion und CO2 -Laservaporisation entfernt worden. Der zytologische Befund war zum Zeitpunkt der Untersuchung unauffällig. Auch wenn es sich hier lediglich um postoperative Veränderungen handelt, sollte großzügig biopsiert werden, um eine Persistenz der Dysplasie auszuschließen.
17
284
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 35 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T1, im linken und rechten ventralen sowie im rechten dorsalen Quadranten grob essigweißes Gewebe, „major change“ Bei der erst 23-jährigen Patientin hatte eine Biopsie bei 12 Uhr eine HSIL/CIN3 ergeben.
17
285 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 36 1 Portio nach Essigsäureprobe, mit Kogan-Spekulum und nach Schiller’scher Jodprobe.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T2, in allen 4 Quadranten erhabenes intensiv essigweißes Epithel mit „inner border lesion“ bei 11 Uhr, jodgelbes Gewebe innerhalb der Transformationszone in den beiden rechten Quadranten, „major change“ Die 25-jährige Patientin war für HPV16 positiv. Die Gewebeprobe bei 11 Uhr ergab eine HSIL/ CIN3.
17
286
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 37 1 Portio nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, in allen 4 Quadranten grob essigweißes Epithel mit unregelmäßigem Mosaik und Punktierung, welches sich ventral auf die Vagina fortsetzt, „major change“ Bei der 32-jährigen nulligraviden Patientin war 5 Jahre zuvor eine Konisation bei HSIL/CIN3 durchgeführt worden. Nun war erneut eine CIN3 aufgetreten. Das ausgedehnte Rezidiv wurde durch eine Kombination von LEEP-Resektion und CO2 -Laservaporisation behandelt.
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287 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 38 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T1, schollige Hyperkeratose im Bereich des rechten ventralen Quadranten, prominente, aber nicht atypische Gefäße, intensiv essigweißes Epithel in allen 4 Quadranten, jodgelbes Gewebe innerhalb der Transformationszone, vor allem im rechten ventralen Quadranten, „major change“ Bei der 25-jährigen Patientin zeigte die Biopsie bei 12 Uhr eine HSIL/CIN3.
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288
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 39 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
17 Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3 (oder T2), vor Essigprobe zahlreiche prominente Gefäße unterschiedlichen Kalibers, welche keine Atypie-Merkmale aufweisen, zart essigweißes Gewebe in allen 4 Quadranten mit unscharfer peripherer Begrenzung, „minor change“ Bei der 37-jährigen Patientin ergab die Biopsie bei 3 Uhr eine CIN3. In diesem Bereich ist die essigweiße Färbung intensiver. Dieser Befund hätte auch als „major change“ klassifiziert werden können.
289 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 40 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, vor Essigsäureprobe polymorphes Gefäßmuster über der gesamten Ektozervix, fraglich atypisch, nach Essigprobe Gefäße weniger betont, großflächig erhabenes essigweißes Epithel mit grober Punktierung (12 Uhr) und unregelmäßigem Mosaik (10 Uhr), „major change“ Bei der 30-jährigen Patientin wurde letztlich eine HSIL/CIN3 diagnostiziert.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 41 1 Portio nach Essigsäureprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T1, über alle 4 Quadranten scharf begrenztes essigweißes Gewebe mit unregelmäßigem Mosaik, „major change“ Das kolposkopische Bild erfüllt zwar alle Kriterien für einen „major change“. Allerdings konnte bei wiederholten Gewebeentnahmen keine HSIL nachgewiesen werden. Auch der HPV-Test (HC2) war negativ.
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291 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 42 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe, mit Kogan-Spekulum und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, keine essigweiße Reaktion, Ektozervix vollständig jodpositiv, unauffälliger kolposkopischer Befund Die 36-jährige Patientin stellte sich aufgrund einer Pap-Gruppe IVa-p zur Abklärungskolposkopie vor. Sie hatte zweimal durch Sectio entbunden. Die endozervikale Kürettage ergab eine HSIL/ CIN3.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 43 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
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Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T2 (Kogan-Spekulum), teils intensiv essigweißes Epithel in allen 4 Quadranten, „major change“ Die 26-jährigen Patientin war HIV-positiv. Eine Biopsie bei 2 Uhr ergab eine HSIL/CIN3.
293 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 44 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T1, an der ventralen Muttermundlippe intensiv essigweißes Epithel mit „ridge sign“, „major change“, im Bereich der dorsalen Quadranten eher zart essigweiß, „minor change“ Bei der 34-jährigen Patientin war während der Schwangerschaft eine HSIL/CIN3 diagnostiziert worden mit Persistenz 10 Wochen postpartal.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 45 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, schollige Hyperkeratose im linken und rechten dorsalen Quadranten, unspezifische Veränderung
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Die 29-jährige Patientin ist HIV positiv und hatte sich aufgrund eines Pap IVb-p zur Abklärung vorgestellt. Letztlich konnte eine HSIL/CIN3 verifiziert werden.
295 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 46 1 Portio nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, deutlicher Substanzdefekt mit Zervixstenose, keine Essigsäurereaktion, unspezifischer Ausfall der Jodprobe Bei der 36-jährigen nulligraviden Patientin wurde dreimal eine Konisation bei CIN3 durchgeführt. Der kolposkopische Befund wurde 20 Monate nach der dritten Operation dokumentiert. Zytologie und HPV-Test sprachen zu diesem Zeitpunkt für ein erneutes Rezidiv.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 47 1 Portio nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
17 Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, intensiv essigweißes Gewebe unmittelbar am Zervikalkanaleingang, unspezifische Jodreaktion dorsal und peripher, „major change“ Bei der 31-jährigen Patientin war während der Schwangerschaft konisiert worden, jedoch wurde lediglich eine HSIL/CIN3 nachgewiesen. Eine nachfolgende Zervixstenose wurde mit der LEEPSchlinge eröffnet, ein weiteres Rezidiv wurde wieder mit der LEEP-Schlinge abgetragen. Auch jetzt bestand wieder ein Rezidiv im Sinne einer HSIL/CIN3.
297 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 48 1 Portio nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3 (oder T2), großflächig über alle 4 Quadranten erhabene essigweiße Bezirke, welche an flache Kondylome erinnern, nach Jodprobe schmale jodpositive Epithelbrücken, „major change“ Bei der 34-jährigen Patientin fand sich 4 Monate nach Konisation bei HSIL/CIN2 ein diffuses Rezidiv (HSIL/CIN2/CIN3).
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 49 1 Portio nativ mit intrazervikaler Bürste, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
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Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, massiver Substanzdefekt, Zervikalkanaleingang im Scheidenniveau, unspezifische jodnegative Reaktion Bei der 55-jährigen Patientin wurde 5 Jahre zuvor eine Konisation bei HSIL/CIN3 durchgeführt. Eine weitere Konisation 1 1/2 Jahre zuvor hatte keine Dysplasie ergeben. Aus dem jodnegativen Bereich nahe 4 Uhr zeigte sich überraschenderweise eine HSIL/CIN2.
299 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 50 1 Portio nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: nicht adäquat (Atrophie), T3 Bei der 57-jährigen Patientin war 7 Monate zuvor eine Konisation bei HSIL/CIN3 erfolgt. Auch das endozervikale Kürettagematerial erhielt Anteile der schweren Dysplasie. Eine erneute LEEPResektion ergab eine intrazervikal gelegene Persistenz der HSIL/CIN3.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 51 1 Portio nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, Substanzdefekt, Zervixstenose Bei der 46-jährigen Patientin war 20 Jahre zuvor und ein weiteres Mal 5 Jahre zuvor eine Konisation durchgeführt worden. Seither ist der Zervikalkanaleingang stark stenosiert, sodass keine intrazervikale Abstrichentnahme möglich ist. Letztlich wurde eine diagnostische LEEP-Resektion durchgeführt ohne Dysplasienachweis.
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Übung 52 1 Vagina nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, mehrere scharf begrenzte intensiv essigweiße und zum Teil erhabene essigweiße Areale, die jodnegativ sind Bei der 68-jährigen Patientin wurde 30 Jahre zuvor ein Uterus myomatosus von abdominal entfernt. 8 Jahre zuvor erfolgte eine Lebertransplantation. Unter der immunsuppressiven Behandlung entwickelte sich sowohl eine vulväre als auch eine vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN3).
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 53 1 Portio nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe. Die Patientin ist 29 Jahre alt und befindet sich in der 16. SSW.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3 (oder T2), ventrale Quadranten mit zart essigweißem Epithel, „minor change“, dorsale Quadranten intensiv essigweißes Epithel, insbesondere bei 6 Uhr, „major change“ Die Indikation zur Abklärungskolposkopie war ein Pap IVa-p. Die Biopsie von 6 Uhr ergab eine HSIL/CIN3.
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303 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 54 1 Portio nach Essigsäureprobe und rechte laterale Vagina nach Schiller’scher Jodprobe. Bei der 28-jährigen Patientin war 7 Monate zuvor eine Konisation durchgeführt worden mit dem histologischen Nachweis einer CIN3. 2 Monate nach der Operation ist der zytologische Abstrich immer noch auffällig (Pap IIID2).
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T1, Substanzdefekt, zart essigweißer Rand, vor allem im Bereich der vorderen Muttermundlippe, „minor change“, im Bereich der Vagina mehrere scharf begrenzte, leicht erhabene jodnegative Epithelbezirke, hier Verdacht auf HSIL/VAIN Die Biopsie aus dem jodnegativen Vaginalepithel bestätigte die Verdachtsdiagnose einer HSIL/ VAIN3. Diese Veränderungen lagen unmittelbar neben der Zervix im rechten oberen Scheidengewölbe.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 55 1 Portio nativ und nach Essigsäureprobe. Bei der 65-jährigen Patientin bestand seit 13 Jahren eine chronisch-lymphatische Leukämie. Ein Jahr zuvor war ein Plattenepithelkarzinom aus dem Kopfbereich entfernt worden. Nun war der Vorsorgeabstrich auffällig.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, Blutung auf Berührung, atypische Gefäße an der ventralen Muttermundlippe, Ablösung des Epithels an der dorsalen Muttermundlippe, hier mit grober und intensiv essigweißer Anfärbung, Karzinomverdacht Histologisch handelte es sich um ein Plattenepithelkarzinom der Zervix im klinischen Stadium nach FIGO IIA.
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305 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 56 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe. Bei der 47-jährigen Patientin bestanden seit einem halben Jahr unregelmäßige Blutungen mit Metrorrhagie. Der zytologische Abstrich wurde als Pap IVa-p klassifiziert.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, Niveaudifferenzen, atypische Gefäße, Epithelablösungen bei Essigsäureprobe, Karzinomverdacht Die Gewebeentnahmen zeigten ein Plattenepithelkarzinom der Zervix im klinischen Stadium nach FIGO IB.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 57 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe, nach Schiller’scher Jodprobe sowie mit Kogan-Spekulum. Die 36-jährige Patientin war in der 8. Woche schwanger. Der zytologische Abstrich hatte einen Pap IVb-p ergeben.
17 Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T2, über alle 4 Quadranten intensiv essigweißes Epithel, mit zentral jodgelber Anfärbung, fragliche beginnende Ulzeration bei 6 Uhr, „major change“ mit fraglicher beginnender Invasion Letztlich wurde aufgrund des zytologischen und kolposkopischen Invasionsverdachts in der 9. SSW konisiert und eine Cerclage gelegt. Es fand sich eine ausgedehnte CIN3 unter Einbeziehung der endozervikalen Drüsen. Der Karzinomverdacht bestätigte sich nicht. In der 11. SSW kam es zu einem Spontanabort.
307 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 58 1 Portio nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe. Die 40-jährige Patientin hatte wiederholt einen auffälligen Abstrich im Sinne der Pap-Gruppen IIID1 und IIID2 und stellt sich deshalb zur Abklärungskolposkopie vor.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3, suspekte polypöse Strukturen im Bereich der Ektozervix, Karzinomverdacht Histologisch handelt es sich um ein Adenokarzinom der Zervix.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 59 1 Portio nativ, nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe. Die 28-jährige zweitgravide Patientin befindet sich in der 24. SSW.
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Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T1, bei 12 Uhr umschriebenes erhabenes, grob essigweißes Gewebsareal, mit jodgelber Reaktion, unspezifisches jodnegatives Areal bei 12 Uhr und 4 Uhr, jeweils außerhalb der Transformationszone gelegen, insgesamt „major change“ Histologisch wurde eine CIN3 nachgewiesen.
309 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 60 1 Portio nach Essigsäureprobe und nach Schiller’scher Jodprobe. Bei der 33-jährigen erstgraviden Patientin besteht eine Schwangerschaft in der 17. Woche.
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3 (oder T2), grob essigweißes Epithel im Bereich der ventralen Quadranten mit „periglandular cuffing“, „major change“ Die Gewebeentnahme bei 12 Uhr ergab eine HSIL/CIN3.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 61 1 Portio nach Essigsäureprobe
Beschreiben Sie den kolposkopischen Befund! Kolposkopie: adäquat, T3 (oder T2), dorsale Muttermundlippe partiell durch Schleim bedeckt, vor allem ventral umschriebenes intensiv essigweißes Epithel mit scharfem Rand, „major change“ Die 26-jährige Patientin hatte 3 Monate zuvor entbunden. Bereits während der Schwangerschaft war eine HSIL/CIN3 nachgewiesen worden, welche postpartal nachweislich persistiert.
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311 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
17.1.2
Vulva
Übung 1 1 Die Patientin ist 92 Jahre alt und hatte 8 Jahre zuvor eine spezifische dermatologische Erkrankung (siehe Auflösung). Seit 2 Jahren hatte sie nun zunehmende Beschwerden.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Die gesamte Vulva ist angeschwollen. Es besteht eine unscharf nach peripher begrenzte Rötung. Die linke große Labie ist noch stärker erythroplakisch als das übrige Gewebe. Die Hautoberfläche weist Niveaudifferenzen auf und an einigen Stellen Hyperkeratosen. Ulzerationen finden sich nicht. Morbus Paget der Vulva Mit 84 Jahren war die Diagnose gestellt worden. Der Befund wurde makroskopisch vollständig reseziert. Alle Absetzungsränder waren positiv. Eine weitere Behandlung erfolgte damals nicht.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 2 1 Die 38-jährige Patientin wird von ihrem Frauenarzt zur Kondylombehandlung überwiesen. Sie hat seit 2 Jahren eine an Größe zunehmende „Warze“ im Bereich des Damms in unmittelbarer Nähe zum Anus bemerkt. Dieser Befund bereitet ihr zunehmend Beschwerden beim Sitzen.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Man erkennt einen tumorösen Prozess, welcher einen schmalen Stiel aufweist. Bei stärkerer Vergrößerung sieht man mosaikartig angeordnete Hyperkeratosen. Epitheldefekte sind nicht erkennbar. HSIL der Vulva Das makroskopische bzw. kolposkopische Bild ist untypisch für ein Kondylom. Vielmehr ist eine HSIL der Vulva zu vermuten. Letztlich bestätigte sich die Diagnose. Gleichzeitig fand sich eine beginnende Invasion (Plattenepithelkarzinom der Vulva als Mikrokarzinom mit einer Invasionstiefe von weniger als 1 mm).
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313 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 3 1 Die 57-jährige Patientin wurde bereits 8 Wochen lang wegen eines therapieresistenten Ulkus im Bereich der ventralen Vulva behandelt. Da sich keine Besserung einstellt, wird sie zur weiteren Abklärung in der Dysplasiesprechstunde vorgestellt. Die Bilder zeigen den Hautbefund vor und nach Essigsäureprobe.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Die Haut ist atrophisch. In der Nativaufnahme ist ein Einreißen der Haut beim Spreizen des Introitus zu erkennen. Es findet sich eine großflächige erythroplakische Veränderung mit atypischen Gefäßen. Nach Essigsäureprobe demarkiert sich ein Areal mit grobscholligem essigweißem Epithel. HSIL der Vulva (uVIN) Histologisch findet sich darüber hinaus ein Übergang in ein mikroinvasives Plattenepithelkarzinom der Vulva. Die Lokalisation entspricht einem Mittellinienkarzinom.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 4 1 Die Patientin ist 38 Jahre alt und berichtete, dass in den vergangenen 10 Jahren immer wieder Kondylome aufgetreten waren. Sie wurde nun erneut zur Behandlung von Condylomata acuminata überwiesen.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Interlabial rechts findet sich eine großflächige Hyperkeratose mit Hyperpigmentierung nach lateral zu. Der mediale Aspekt weist ein Ulkus auf. Vulvakarzinom auf dem Boden einer HSIL der Vulva (uVIN) Der laterale Aspekt des beschriebenen Befundes legt eine Präkanzerose nahe. Jedoch muss aufgrund der Ulzeration der Verdacht auf ein Vulvakarzinom geäußert werden. In der Tat handelte es sich um ein verhornendes Plattenepithelkarzinom auf dem Boden einer HSIL, welches eine horizontale Ausbreitung von 2 cm aufwies und eine Infiltrationstiefe von 5 mm.
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315 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 5 1 Die 48-jährige Patientin wird wegen einer „Pigmentstörung“ der Vulva zur Abklärungskolposkopie überwiesen. Sie hat keinerlei subjektive Beschwerden.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Im Bereich der rechten Labieninnenseite sowie der Urethralöffnung besteht eine flächige dunkle bis bläuliche Pigmentierung. Darüber hinaus sieht man in der Vagina ähnliche Hyperpigmentierungen. Malignes Melanom der Vulva und der Vagina Die Gewebeentnahmen von periurethral und von vaginal bestätigen die Verdachtsdiagnose.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 6 1 Die 30-jährige Patientin stellte sich in der 33. SSW in der Dysplasiesprechstunde vor.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Im Bereich des verhornenden Epithels der Vulva, an Labium majus und hinterer Kommissur, finden sich wenige Millimeter große makulaähnliche Effloreszenzen. Condylomata acuminata
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317 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 7 1 Bei der 49-jährigen Patientin bestand seit 16 Jahren eine stenosierende Hauterkrankung im Bereich der Vulva und Vagina. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt ihr erstes Kind vaginal geboren. Neben der Episiotomie war es zu ausgedehnten Hauteinrissen gekommen. Eine weitere Schwangerschaft wurde per Sectio beendet, weil sich wieder eine Stenose gebildet hatte. Ein Jahr nach operativer Korrektur der Synechie klagt die Patientin erstmals über Symptome im Bereich der Mundschleimhäute.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Der Introitus vulvae ist durch eine Synechie der Labia majora und minora fast vollständig verschlossen. Lediglich dorsal besteht noch eine wenige Millimeter große Öffnung, durch den sich ein kleiner Wattetupfer einführen lässt. Die Vulvahaut selbst ist etwas gerötet, sonst aber unauffällig. Lichen ruber planus der Vulva
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318
Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 8 1 Bei der 56-jährigen Patientin, ehemalige Raucherin, wird eine Auffälligkeit im Bereich des linken Introitus bemerkt.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? An der Außenseite der kleinen Labie links sieht man einen unscharf begrenzten, teils leukoplakischen, teils erythroplakischen Epithelbezirk. HSIL der Vulva (uVIN) Am Introitus vulvae links besteht ein hyperpigmentiertes Areal, welches jedoch lediglich einer Pigmentverschiebung entspricht und keinen Krankheitswert besitzt.
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319 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 9 1 Bei der 43-jährigen Patientin wurde im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung ein winziges Ulkus zwischen Klitoris und Urethra identifiziert.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Zwischen Klitoris und Urethralöffnung und etwas nach links zu befindet sich ein kleiner Epitheldefekt mit randständiger Hyperkeratose. HSIL der Vulva (uVIN) Die Lokalisation der beschriebenen Läsion bei der noch relativ jungen Patientin entspricht der eines Mittellinienkarzinoms. Letztlich fand sich jedoch lediglich eine Präkanzerose.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 10 1 Die 35-jährige Patientin ist starke Raucherin. 4 Monate zuvor klagte sie über Juckreiz und Brennen an der Vulva. Eine Vulvabiopsie ergab ein „Carcinoma in situ“ (HSIL der Vulva).
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Zwischen Klitoris und Urethra sieht man scharf berandetes gerötetes Epithel mit polypösem (ulzerativem?) Charakter. Die Urethralöffnung ist ebenfalls betroffen. HSIL der Vulva mit fraglicher Invasion Die Lokalisation wäre typisch für ein sogenanntes Mittellinienkarzinom. Die Exzision mithilfe des CO2 -Lasers ergab jedoch ausschließlich eine Präkanzerose.
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321 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 11 1 Die 46-jährige Patientin ist starke Raucherin. 4 Jahre zuvor war eine vaginale Hysterektomie wegen einer CIN-Problematik durchgeführt worden. Im Bereich der Vulva sind bereits zahlreiche CO2-Laservaporisationen erfolgt.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Das Präputium clitoridis sowie der ventrale Ansatz der kleinen Labien sind im Vergleich zur umgebenden Haut diskret leukoplakisch und etwas hypertrophiert. HSIL der Vulva (uVIN)
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 12 1 Die 46-jährige Patientin ist starke Raucherin. 4 Jahre zuvor war eine vaginale Hysterektomie wegen einer CIN-Problematik durchgeführt worden. Im Bereich der Vulva sind bereits zahlreiche CO2-Laservaporisationen erfolgt.
Beschreiben Sie den (perianalen) Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Perianal bei 12 Uhr ist die Haut hypertrophiert und weist deutliche Pigmentverschiebungen auf. Anale intraepitheliale Neoplasie Grad 3 (AIN3) Die Veränderungen im Bereich des Präputium clitoridis wurden bereits in Übung 11 besprochen.
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323 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 13 1 Die 54-jährige Patientin klagt über Schmerzen und Juckreiz im Bereich der Vulva. Bereits seit 20 Jahren hat die Patientin Beschwerden im Bereich der Vulva.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Es besteht eine ausgeprägte Atrophie der kleinen Labien sowie der Klitorisregion. Im Bereich der vorderen Kommissur besteht eine Synechie. Darüber hinaus finden sich Unterblutungen und oberflächliche Hautdefekte, insbesondere rechts ventral. Lichen sclerosus Bei einem solch ausgeprägten klinischen Bild müssen multiple Biopsien entnommen werden, um ein Karzinom auszuschließen. Bei dem dargestellten Befund handelt es sich lediglich um Kratzeffekte.
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 14 1 Bei der 54-jährigen Patientin besteht seit mehr als 20 Jahren ein Lichen sclerosus der Vulva.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Es besteht ein Lichen sclerosus mit vollständiger Atrophie des Genitales. Die kleinen Labien sind vollständig verschwunden. Im Bereich des linken Introitus bzw. der großen Labie wölbt sich ein Tumor vor. Vulvakarzinom auf dem Boden eines Lichen sclerosus
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325 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 15 1 Die 75-jährige Patientin hatte den Arzt aufgesucht, weil sie selbst einen Tumor im Bereich der Vulva bemerkt hatte.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Die Labia minora sind völlig verstrichen. Am Introitus links findet sich ein exophytischer, mehrknolliger Tumor mit atypischen Gefäßen. Vulvakarzinom auf dem Boden eines Lichen sclerosus
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 16 1 Bei einem Wechsel des Facharztes wird bei der beschwerdefreien Patientin der Verdacht auf ein Vulvakarzinom geäußert.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Das äußere Genitale ist stark atrophiert. Die kleinen Labien sind nicht mehr abgrenzbar und die Klitorisregion hat sich ebenfalls zurückgebildet. Im Bereich des rechten Labium majus findet sich schmierig belegtes und auf Berührung blutendes Ulkus mit wulstigem Rand und atypischen Gefäßen ventral. Auf der kontralateralen Seite erkennt man eine beginnende Tumorbildung noch ohne Ulzeration. Vulvakarzinom auf dem Boden eines Lichen sclerosus mit „Abklatschtumor“ kontralateral.
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327 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 17 1 Die erst 33-jährige Patientin klagte über eine extrem schmerzhafte subklitorale Läsion.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Zwischen Klitoris und Urethra zwei mit gelbem Sekret belegte Ulzera mit gerötetem Rand Vulvakarzinom (Mittellinienkarzinom)
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Kapitel 17 Übungen zur Differenzialdiagnose kolposkopischer Befunde
Übung 18 1 80-jährige Patientin mit Vulvabeschwerden
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Der Introitus klafft bei großer Rektozele (Partialprolaps). Der gesamte rechte Vulvabereich bis perianal weist eine ekzematöse Verdickung und Rötung auf mit zum Teil konfluierenden hyperkeratotischen Arealen. Morbus Paget der Vulva
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329 17.1 Fragen und Antworten zu kolposkopischen Befunden
Übung 19 1 Die 68-jährige Patientin wird nach Lebertransplantation mit Immunsuppressiva behandelt.
Beschreiben Sie den Befund! Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Die Vulva ist atrophisch mit Rückbildung der kleinen Labien und des Klitorisbereichs. Insbesondere die ventrale Vulva weist ein polymorphes Bild im Sinne von Hyperpigmentierung, Hyperkeratose und vereinzelt Erythroplakien auf. Lichen sclerosus, HSIL der Vulva (uVIN)
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