Koloniale Grüße aus Samoa: Eine Diskursanalyse von deutschen, englischen und US-amerikanischen Reisebeschreibungen aus Samoa von 1860-1916 9783839440186

The "Pearl of the South Seas" and a site of colonial interests: This book shows how highly ambivalent the isla

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German Pages 368 Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Einleitung
I. Theorie und Methode
1. Theoretischer Hintergrund
2. Methodische Überlegungen
3. Historische Verortung
II. Diskurslinien
Diskurslinien
4. Samoa – eine Südseeinsel
5. Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa
6. ‘Kolonialherren’ dreier Nationen
III. Ergebnisse
7. Zusammenfassung der Diskursmuster
8. Resümee und offene Fragen
Literaturverzeichnis
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Koloniale Grüße aus Samoa: Eine Diskursanalyse von deutschen, englischen und US-amerikanischen Reisebeschreibungen aus Samoa von 1860-1916
 9783839440186

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Gabriele Förderer Koloniale Grüße aus Samoa

Histoire | Band 120

Gabriele Förderer (Dr. phil.), geb. 1985, arbeitet in der Erwachsenenbildung und ist Lehrbeauftragte an der Universität zu Köln. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Kolonialzeit in der Südsee.

Gabriele Förderer

Koloniale Grüße aus Samoa Eine Diskursanalyse von deutschen, englischen und US-amerikanischen Reisebeschreibungen aus Samoa von 1860-1916

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: »Going to Samoan Picnic. Men waded ashore; Ladies were carried on Backs of Natives«. Aus: Wheeler, William Webb: A Glimpse of the Isles of the Pacific. St. Joseph, MO; Hardman Press, 1907. S. 22. Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4018-2 PDF-ISBN 978-3-8394-4018-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 9 Einleitung | 11

I Theorie und Methode | 13 1

2

Theoretischer Hintergrund | 15 1.1

Forschungsstand und Fragestellung | 15

1.2

Quellenlage und theoretischer Bezugsrahmen | 34

¨ Methodische Uberlegungen | 43 2.1 2.2

Die historische Diskursanalyse | 43 Das Quellensample und die Textgattung Reiseliteratur | 48

2.3

3

Besonderheiten der Reiseliteratur im kolonialen Kontext | 52

Historische Verortung | 61 3.1

Von Entdeckerfahrten‘ und ’ Kolonialerfahrungen in der S¨udsee | 61

3.2

Samoa – Perle‘ der S¨udsee – ’ eine kurze Akteursgeschichte | 67

II Diskurslinien | 81 4

Samoa – eine Sudseeinsel ¨ | 85 4.1

Die Ankunft und erste Eindr¨ucke | 86

4.2

Paradiesvorstellungen | 107 4.2.1

Zwischen Paradies und M¨archenland | 107

4.2.2

Unheimliche und bedrohliche Landschaften | 120

4.2.3

Besondere Orte Samoas | 125

4.2.4

Die Theorie des Paradieses – Zusammenfassung | 140

4.3

Anthropologische Vorstellungen u¨ ber Samoanerinnen und Samoaner | 147 4.3.1

Menschenbild | 148

4.3.2

Die polynesische Rasse‘ | 157 ’ Mischehen‘ und Mischlingsbev¨olkerung‘ | 161 ’ ’ Kannibalismus und Menschenfresserei‘ | 164 ’ Geschlechterkonstruktionen und -verh¨altnisse | 168

4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6

5

Das Menschenbild und seine theoretische Verortung – Zusammenfassung | 191

Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa | 199 5.1

5.2

Das Leben vor Ort | 200 5.1.1

Eingew¨ohnung und Akklimatisierung | 200

5.1.2

Die Versorgungslage | 203

5.1.3

Ein Spaziergang durch die Bucht von Apia | 207

5.1.4

¨ Zusammenfassende Uberlegungen | 213

Rituale und Gebr¨auche | 215 5.2.1

Kava – das Nationalgetr¨ank | 216

5.2.2

5.2.4

Siva – Native Dance‘ | 225 ’ Taupou – Queen of the Place‘ | 233 ’ Palolo – ein Wurm als Delikatesse | 237

5.2.5

¨ Zusammenfassende Uberlegungen | 242

5.2.3

5.3

Besuche beim h¨ochsten W¨urdentr¨ager | 246

6

Kolonialherren‘ dreier Nationen | 257 ’ 6.1 Die Geschichte des Missionswesens auf Samoa | 258 6.2

Das Schulwesen –

6.3

Sind die Samoaner bildungsf¨ahig?“ | 267 ” Internationale Befindlichkeiten | 276 6.3.1

Vorurteile und Konkurrenzverhalten der Kolonialm¨achte untereinander | 277

6.4

6.5

6.3.2

Tutuila und Upolu | 284

6.3.3

¨ Zusammenfassende Uberlegungen | 291

Zivilisationskritik und Schutzauftrag | 294 6.4.1

Zwischen zerst¨orendem und bewahrendem Einfluss | 294

6.4.2

Zivilisierungsprozesse‘ – ’ zwischen Adaption und Abgrenzung | 302

6.4.3

Fremdes Eigenes | 309

6.4.4

Zusammenfassung | 314

Auf Kulturmission: Die Frau als Kulturtr¨agerin | 317

III Ergebnisse | 327 7

Zusammenfassung der Diskursmuster | 329

8

Resumee ¨ und offene Fragen | 339

Literaturverzeichnis | 343

Danksagung

Diese Dissertation wurde an der Humanwissenschaftlichen Fakult¨at der Universit¨at zu K¨oln mit dem Titel Mit kolonialen Gr¨ußen . . . ‘ Darstellungen Samoas und ihre Funktionen ”’ in deutschen, englischen und US-amerikanischen Reisebeschreibungen 1860-1916. Eine historische Diskursanalyse“ im Juli 2016 angenommen. Das Projekt Promotion war nur durch den R¨uckhalt mir wichtiger Menschen m¨oglich, denen mein besonderer Dank gilt: Meine Betreuerin und Erstgutachterin Elke Kleinau hat mich von Anfang an wertsch¨atzend begleitet und mich mit ihrem fachlichen Rat sowie ihrer Bereitschaft zur konstruktiven Auseinandersetzung unterst¨utzt. Als Zweitgutachter hat Wolfgang Gippert mir mit immer wertvollen Anregungen und strukturierender Kritik zur Seite gestanden, vor allem, wenn mir der Durchblick fehlte. Den ersten thematischen Grundstein gelegt hat Petra G¨otte, die mich den kritischen Blick auf Bilder aus der Kolonialzeit und so viel mehr gelehrt hat. Ebenso von Beginn an begleitet und best¨arkt haben mich die konstruktiven und respektvollen Anregungen von Julia Siemoneit, die meine Arbeit bereichert haben und wachsen ließen. Bei Karla Verlinden erhielt ich u¨ ber viele hilfreiche Hinweise hinaus auch Raum zum Schreiben. Außerdem bin ich den Menschen dankbar, die mich durch ihr Interesse, ihre Nachfragen oder ihre Angebote zum Korrekturlesen best¨andig motiviert haben. Dazu geh¨oren vor allem Kornelia Sanden, Andreas Edelmeier, Benjamin Rettstadt und J¨oran Miltsch sowie alle Beteiligten im Forschungskolloquium. Christian Lorenczik hat mich bei der technischen Umsetzung in LATEX tatkr¨aftig unterst¨utzt, ebenso wie Petra Daniels mit ihrer umfassenden Kritik und Genauigkeit. Schließlich danke ich meinen Eltern Manfred und Brigitte F¨orderer, meinem Bruder Robert F¨orderer und Stefan Lorenczik, die mir diesen Weg erm¨oglicht, mich begleitet und mir immer R¨uckhalt gegeben haben. Um mit Otto E. Ehlers zu sprechen: Euch allen geb¨uhrt die Palme.

Einleitung Lange bevor in Deutschland um Mitternacht die Feuer” werksraketen in den Himmel geschossen werden, beginnt das neue Jahr im Zentralpazifik – und zwar 13 Stunden vorher. Als erste auf dem Globus k¨onnen die Bewohner von Samoa das neue Jahr begr¨ußen.“

Nachrichten u¨ ber Samoa, eine Inselgruppe im S¨udpazifik, finden regelm¨aßig Eingang in deutsche Medien. Sei es 2009 mit der Umstellung von Rechts- auf Linksverkehr,1 seit 2011 j¨ahrlich zu Silvester,2 oder in den letzten Jahren aufgrund von literarischen Neuerscheinungen und Ausstellungen.3 In diesen Artikeln finden sich vereinzelt Hinweise darauf, dass Samoa f¨ur kurze Zeit ab 1900 deutsche Kolonie gewesen ist; wenngleich ansonsten die Kolonialzeit in der S¨udsee eher in Vergessenheit geraten ist. H¨aufiger spielen die Verfasserinnen und Verfasser jedoch mit stereotypen Vorstellungen und Versatzst¨ucken, denen man sich sp¨atestens beim Aufschlagen eines Reisef¨uhrers u¨ ber die S¨udsee nicht mehr entziehen kann: Scattered over a vast expanse of empty ocean, these islands are a ” castaway’s dream come true. [. . . ] The idyllic norm in these small island nations involves lush, reef-fringed islands with sandy foreshores that virtually glow in the tropical sunshine. [. . . ] People here are so passionately idiosyncratic that almost every encounter yields a memorable moment.“ (McLachlan u. a. 2012: 2)

1

Vgl. Samoa will an den Anfang der Zeit. In: K¨olner Stadt-Anzeiger 108 (2011), 10. Mai

2

Obiges Zitat l¨asst sich zu Silvester in den Medien finden und beruht auf einer Mitteilung der dpa.

3

Die Neuauflage von Otto Ehlers’ Samoa. Die Perle der S¨udsee“ wurde rezensiert, vgl. K LUTE , ” H ILMAR: Leckerbissen des Kolonialismus.“ In: S¨uddeutsche Zeitung (2008), 5. Mai. Die letzte ” Ausstellung, die sich im Kontext der V¨olkerschauen‘ mit Samoa besch¨aftigte, fand vom 31.1.’ 5.10.2014 in M¨unchen unter dem Titel From Samoa with Love? Samoa-V¨olkerschauen im ” Deutschen Kaiserreich“ statt. Vgl. Unsere neuen Landsleute.“ In: D IE Z EIT 6 (2014), 30. Januar ” oder M AZZONI , I RA: Der H¨auptling bin ich.“ In: S¨uddeutsche Zeitung 29 (2014), 5. Februar. ” Weiterhin wurde Der Papalagi“ von Erich Scheurmann (1920) besprochen, vgl. S TEINFELD , ” T HOMAS: Heim auf die Insel.“ In: S¨uddeutsche Zeitung 4 (2016), 7. Januar. ”

12 | Koloniale Gruße aus Samoa ¨

W¨ahrend das gesellschaftliche Bewusstsein f¨ur die deutsche Kolonialzeit und insbesondere die S¨udseekolonien randst¨andig ist, erlebt die wissenschaftliche Aufarbeitung der Kolonialzeit – besonders seit dem Aufkommen der postkolonialen Theorie – eine Konjunktur. Zahlreiche Studien setzen sich etwa mit Aspekten des Fremden auseinander und auch die sozialgeschichtliche Rolle deutscher Frauen und ihre Beteiligung am Kolonialprojekt wird aus der Geschlechterperspektive beleuchtet.4 Insgesamt gesehen l¨asst sich aber feststellen, dass die Zahl der Studien zu afrikanischen Kolonien die zu den s¨udpazifischen (und auch asiatischen) um ein Vielfaches u¨ bersteigt. Wenn jedoch zur Deutschen S¨udsee‘ ge’ forscht wird, wird diese h¨aufig verk¨urzt unter den Aspekten des Mythos’ S¨udsee untersucht, oder als Gegenpol zu den afrikanischen Besitzungen verortet. Diese stereotypisierte Wahrnehmung soll in der vorliegenden Arbeit untersucht und aufgebrochen werden. Um zur Aufarbeitung des Kolonialismus in der S¨udsee beizutragen, wird der zur Kolonialzeit zeitgen¨ossische Diskurs u¨ ber Samoa untersucht. Als Quellengrundlage dienen Reiseberichte u¨ ber Samoa, die zwischen 1887 und 1919 ver¨offentlicht wurden. Die darin beschriebenen Reisen fanden zwischen 1860 und 1916 u¨ ber unterschiedlich lange Zeitr¨aume statt. Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert: Im ersten Teil (1) erfolgt die Darlegung des theoretischen Hintergrunds, was den Forschungsstand und die Fragestellung (1.1) sowie die Quellenlage und den theoretischen Bezugsrahmen (1.2) umfasst. Darauf folgen metho¨ dische Uberlegungen (2) zur historischen Diskursanalyse (2.1) und zum Quellensample (2.2). Zudem wird die Arbeit historisch verortet (3), sowohl innerhalb der ersten Kontaktsituationen aus europ¨aischer Sicht, der sogenannten Entdeckerfahrten‘, und im kolonialen ’ Setting (3.1) als auch im Kontext der samoanischen Akteursgeschichte (3.2). Im zweiten Teil werden die aus den Quellen herausgearbeiteten Diskurslinien er¨ortert, gegliedert in drei Kapitel. Das erste Kapitel widmet sich den Vorstellungen Samoas als S¨udseeinsel (4). Das zweite behandelt den Raum, in dem sich die Reisenden bewegten: ein Dazwischen (5) von pers¨onlicher Eingew¨ohnung und der Konfrontation mit samoanischen Sitten und Gebr¨auchen. Schließlich fokussiert das dritte Kapitel die Beziehungen der drei Kolonialm¨achte (Deutschland, England und USA) zueinander (6). Im dritten Teil werden die Ergebnisse als Diskursmuster (7) zusammengefasst, ein Res¨umee gezogen und Ausblick auf offene Fragen gegeben (8).

4

Vgl. bspw. Das Fremde. Reiseerfahrungen, Schreibformen und kulturelles Wissen“ von Honold ” und Scherpe (2003), Deutsche Frauen in den S¨udsee-Kolonien des Kaiserreichs. Alltag und ” Beziehungen zur indigenen Bev¨olkerung, 1884-1919“ von Loosen (2014a) oder Bildungsreisende ” und Arbeitsmigrantinnen. Auslandserfahrungen deutscher Lehrerinnen zwischen nationaler und internationaler Orientierung (1850-1920)“ von Gippert und Kleinau (2014).

I Theorie und Methode

1 Theoretischer Hintergrund

1.1 F ORSCHUNGSSTAND

UND

F RAGESTELLUNG

Das Themenfeld des Kolonialismus und seine Untersuchung anhand von Reiseliteratur kann aus mannigfaltigen Perspektiven und mit unterschiedlichen theoretischen Ans¨atzen betrachtet werden. Ausgehend von dem Bereich der Kolonialismusforschung wird im Folgenden der Bogen gespannt u¨ ber die postkolonialen Studien (die sich als interdisziplin¨arer Ansatz der Kultur-, Literatur-, Sozial- und auch Erziehungswissenschaften verstehen) zu den Critical Whiteness Studies. Auch die Gender Studies haben sich mit der kolonialen Vergangenheit und den Repr¨asentationen der Anderen‘ auseinandergesetzt, und insbesondere ’ die Zahl der Studien, die sich mit reisenden Frauen im kolonialen Kontext befassen, ist in den vergangenen Jahren angestiegen. F¨ur die Auseinandersetzung mit der S¨udsee ist zudem der Blick auf die bisherige Mythenforschung notwendig, die in der Literaturwissenschaft verortet ist. Dem schließen sich Betrachtungen zur Fremde bzw. Fremdheit an, bevor die Forschung zu Samoa aufgef¨uhrt wird. Abschließend wird der Forschungsstand f¨ur den Bereich der bildlichen Quellen skizziert.

Kolonialismus und Kolonien – eine Begriffsbestimmung Der Begriff des Kolonialismus legt eine epochale Begrenzung nahe, und auch die dazugeh¨origen Begriffe von Kolonie und Kolonisatoren scheinen zun¨achst leicht definierbar. Versucht man sich jedoch an einer tats¨achlichen Definition, kommen schnell Unsch¨arfen in

16 | Theoretischer Hintergrund

den Blick, vor allem in der Abgrenzung zu Begriffen wie Imperialismus oder Expansion.1 Der Historiker J¨urgen Osterhammel hat eine fruchtbare Begriffsbestimmung vorgelegt: Kolonisation‘ bezeichnet im Kern einen Prozeß der Landnahme, Kolonie‘ eine besondere ”’ ’ Art von politisch-gesellschaftlichem Personenverband, Kolonialismus‘ ein Herrschafts’ verh¨altnis [Herv. i. O.]“ (Osterhammel 2009: 8). Osterhammel unterscheidet zwischen sechs verschiedenen Expansionstypen bzw. -formen.2 Allerdings f¨allt es schwer, Samoa eindeutig ¨ in dieses Raster einzuordnen. Es weist Merkmale der Uberseeischen Siedlungskoloni” sation“ karibischen Typs“ auf (Osterhammel 2009: 11ff.), ist aber weder aus britischer, ” US-amerikanischer, noch deutscher Perspektive eine wirkliche Siedlungskolonie gewesen, da die Anzahl der einheimischen Bev¨olkerung immer u¨ ber der der Siedlerinnen und Siedler lag. Zudem erf¨ullt Samoa in Teilen die Bedingungen der St¨utzpunktvernetzung“, geht aber ” ¨ mit der Uberf¨ uhrung in deutsches bzw. US-amerikanisches Schutzgebiet dar¨uber hinaus. Unter den drei von Osterhammel definierten Kolonietypen3 sind die samoanischen Inseln den Beherrschungskolonien“ zuzuordnen: Die Aufteilung der Inseln war (1) das Resultat ” (milit¨arischer) Eroberung, nach einer l¨angeren Phase eines nicht landnehmenden Kontaktes (englisch/US-amerikanische Missionsarbeit, deutsche Handelsbeziehungen). Der (2) Zweck der Kolonie war die wirtschaftliche Ausbeutung sowie nationaler Prestigegewinn, mit einer (3) relativ geringf¨ugigen kolonialen Pr¨asenz prim¨ar in Gestalt von entsandten, nach dem ” Ende ihrer T¨atigkeit ins Mutterland zur¨uckkehrenden Zivilb¨urokraten, Soldaten sowie von

1

2

¨ Einen umfassenden Uberblick u¨ ber die deutsche Kolonialgeschichte gibt der Historiker Horst Gr¨under in seiner umfangreichen Materialsammlung Geschichte der deutschen Kolonien“ ” (Gr¨under 2004/1985). In einer a¨ lteren globalen Darstellung behandelt der Historiker Wolfgang Reinhard (1996) den Pazifikraum und insbesondere Samoa eher randst¨andig, doch pl¨adiert Reinhard auch 2010 noch f¨ur den Gebrauch seiner Definition von Kolonialismus (vgl. Reinhard 2010: 80), der zufolge Kolonialismus definiert sei als die Kontrolle eines Volkes u¨ ber ein fremdes ” unter wirtschaftlicher, politischer und ideologischer Ausnutzung der Entwicklungsdifferenz zwischen beiden“ (Reinhard 1996: 1). Problematisch daran ist insbesondere die Vorstellung von Entwicklung‘ und Volk‘. Das Beziehungsfeld zwischen deutscher Kolonialpolitik und dem ’ ’ Missionswesen untersucht der Historiker Klaus J. Bade (1984) in einem Band, in dem auch Samoa abgehandelt wird. Genaueres zur Begriffsbestimmung des europ¨aischen Imperialismus liefert der Sammelband des Historikers Wolfgang J. Mommsen (1979). Ein breites Begriffsfeld er¨offnet auch der Historiker Pascal Grosse (2000) mit seiner Studie zu Kolonialismus, Eugenik und b¨urgerlicher Gesellschaft.

Als sechs Expansionsformen benennt Osterhammel die Totalmigration“, die Massenhafte Indi” ” ¨ vidualmigration“, die Grenzkolonisation“, die Uberseeische Siedlungskolonie“ mit drei Typen: ” ” 1. neuenglisch“, 2. afrikanisch“ und 3. karibisch“, die Reichsbildenden Eroberungskriege“ ” ” ” ” und schließlich die St¨utzpunktvernetzung“ (Osterhammel 2009: 9ff.). ” 3 Er spricht von Beherrschungskolonien“, St¨utzpunktkolonien“ und Siedlungskolonien“ (Oster” ” ” hammel 2009: 17).

Forschungsstand und Fragestellung | 17

Gesch¨aftsleuten, nicht: von Siedlern!“ (Osterhammel 2009: 17). Weiterhin bestand eine (4) autokratische Regierung durch das Mutterland“ in Form eines Gouverneurssystems“ mit ” ” Elementen paternalistischer F¨ursorge“ (Osterhammel 2009: 17) gegen¨uber der samoani” schen Bev¨olkerung, was zumindest f¨ur den deutschen Gouverneur Solf explizit u¨ berliefert ist. Nach der Definition der Expansionsform und des Kolonietyps bleibt schließlich die Frage nach dem Verst¨andnis von Kolonialismus“. Osterhammel definiert: ” Kolonialismus ist eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen ” Entscheidungen u¨ ber die Lebensf¨uhrung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Ber¨ucksichtigung externer Interessen getroffen und tats¨achlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der Neuzeit in der ¨ Regel sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Uberzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen H¨oherwertigkeit beruhen [Herv. i. O.].“ (Osterhammel 2009: 21)

Die drei wesentlichen Punkte fasst Osterhammel kompakt zusammen: Erstens handle es sich um kein beliebiges Herrschaftsverh¨altnis zwischen Kollektiven, sondern um ein intendiertes, bei dem die kolonisierte Gesellschaft sowohl wirtschaftliche Interessen der kolonisierenden Gesellschaft verfolgen solle, als auch ihrer eigenen historischen Entwicklung beraubt und fremdgesteuert werde. Somit beruhe der moderne Kolonialismus darauf, periphere‘ Gesellschaften den Metropolen‘ dienstbar zu machen. Zweitens sei ’ ’ die kulturelle Andersartigkeit als Fremdheit von wesentlicher Bedeutung. Es werde eine Akkulturationsleitung der kolonisierten Gesellschaft erwartet, ohne dass eine nennenswerte Gegen-Akkulturation stattfinde.4 Drittens schließlich beinhalten die sendungsideologischen Rechtfertigungsdoktrinen ein Verst¨andnis des Herrschaftsverh¨altnisses, das durch die eigene H¨oherwertigkeit legitimiert werde, und sich als Auftrag gestalte: als g¨ottliche[r] ” Heilsplan der Heidenmission“, als weltliches Mandat zur Zivilisierung‘ der Barbaren‘ ’ ’ oder Wilden‘, als privilegiert zu tragende B¨urde des weißen Mannes‘“ (Osterhammel ’ ’ 2009: 20).

Forschungen zum deutschen Kolonialismus Die Kolonialzeit begann f¨ur Deutschland im Verh¨altnis zu anderes Nationen relativ sp¨at; erst 1884 erkl¨arte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck Gebiete im s¨udwestlichen Afrika zu deutschen Schutzgebieten. Die englische und auch die US-amerikanische Kolonialpolitik blickten zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine l¨angere Kolonialgeschichte zur¨uck. Der deutsche Kolonialismus verfolgte eine duale Strategie: Einerseits ging es politisch um

4

Auch wenn die Gegen-Akkulturationsleistung nicht augenf¨allig ist, so haben doch insbesondere die Postcolonial Studies herausgearbeitet, dass sie sehr wohl stattfinde und Kolonialismus immer auf einem wechselseitigen Prozess der Beeinflussung beruhe.

18 | Theoretischer Hintergrund

die Ansiedlung deutscher Auswanderinnen und Auswanderer, zum anderen o¨ konomisch um die Erschließung neuer M¨arkte zur Rohstoffgewinnung und Konsumptionsgebiete (vgl. Grosse 2000: 23). Die historische Aufarbeitung der Epoche‘ 5 des deutschen Kolonialismus ’ war lange gepr¨agt von der Unterstellung, dass Deutschland als late comer‘ nur wenige ’ kleine Kolonialgebiete und diese nur f¨ur einen verh¨altnism¨aßig kurzen Zeitraum besessen habe. Dementsprechend k¨onne die Auswirkung auf die deutsche Gesellschaft nur marginal gewesen sein.6 Gleichzeitig wurden in der Forschung lange Zeit vorrangig die afrikanischen Gebiete fokussiert, wodurch die kleineren deutschen Besitzungen – wie solche in Kiautschou und der S¨udsee – aus dem Blick gerieten. Gegen diese marginalisierende Einstellung wendet sich die Forschung der letzten Jahre vermehrt, unter anderem die Historiker und Afrikaforscher Andreas Eckert und Albert Wirz. In ihrem Aufsatz Wir nicht, die Anderen auch. Deutschland und der Kolonialismus“ ” (Eckert und Wirz 2002) stellen sie die These auf, dass Deutschland mit und ohne seine Kolonien eng mit dem Projekt Kolonialismus verbunden war und die Auswirkungen der kolonialen Erfahrungen weit u¨ ber 1918 hinaus Kultur und Gesellschaft beeinflussten (vgl. Eckert und Wirz 2002: 374).7 Trotz der immer wieder unterstellten geringen Auswirkung der Kolonialzeit auf die deutsche Gesellschaft, sei mit Frederick Cooper und Ann Laura Stoler zu fragen, welche Spuren die drei Dekaden des formalen‘ Kolonialismus in der ” ’ deutschen Gesellschaft hinterlassen [haben]“ (vgl. Eckert und Wirz 2002: 379). Damit pl¨adieren Eckert und Wirz f¨ur eine Forschungslandschaft, die sich der systematischen Erforschung des deutschen Kolonialismus aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive widmet und diesen aus seinem Dasein als Anh¨angsel der Geschichte“ (Eckert und Wirz ” 2002: 388) befreit.

5

Der Begriff der Epoche stellt immer eine nachtr¨agliche Sinnsetzung der geschichtsschreibenden Personen dar, insofern wird er hier in Anf¨uhrungsstrichen verwendet.

6 Vergleiche dazu auch Kundrus’ Einleitung zum Band Phantasiereiche“: Die geringe Resonanz ” ” mag darin begr¨undet sein, dass die deutsche Kolonialepoche jahrelang vornehmlich unter dem Verdikt der Marginalit¨at‘ abgehandelt wurde. Zu sp¨at, zu oberfl¨achlich und zu kurz sei der deutsche ’ Kolonialismus gewesen, um irgendwelche tiefergehenden Spuren hinterlassen zu haben, so lautet das Urteil“ (Kundrus 2003a: 9). Zudem k¨onnte die erst sp¨at einsetzende Aufarbeitung der Kolonialzeit in Deutschland damit zusammenh¨angen, dass es keine wortstarke Kolonialminderheit“ auf ” deutschem Territorium gab (vgl. Zantop 1999: 12). 7

Die deutsche Gesellschaft kam insbesondere durch die Vermarktung des Fremden“ in Werbung, ” Film und Fernsehen und u¨ ber V¨olkerschauen in Kontakt mit Kolonialismus, wie die Soziologin Stefanie Wolter herausgearbeitet hat (vgl. Wolter 2004). Zum Feld der V¨olkerschauen vgl. ebenfalls die Arbeiten von Hilke Thode-Arora (1989) und (2014).

Forschungsstand und Fragestellung | 19

Doch nicht nur f¨ur den klassischen Bereich der Geschichtswissenschaften bietet der Kolonialismus ein weites Untersuchungsfeld, sondern ebenso f¨ur Forscherinnen und Forscher aus den Literatur-, Kultur-, Sozial- und Erziehungswissenschaften.8 Eine etwas a¨ ltere, aber in Kernpunkten nach wie vor aufschlussreiche Studie f¨ur diese Begegnung stellt die Monographie von Urs Bitterli Die Wilden und die Zivilisierten“ ” (Bitterli 1976) dar, der seine Untersuchung weg von der Politik- und Wirtschaftsgeschichte hin zu einer Geistesgeschichte der Begegnung angelegt hat. Besonders seine Ausf¨uhrungen zur Akkulturation und Kulturverflechtung sowie zum Edlen Wilden9 , der in spezifischer N¨ahe zum Barbaren‘ stehe, sind f¨ur den hiesigen Kontext fruchtbar (vgl. Bitterli 1976: ’ 173ff.; 367ff.). Der deutsche Kolonialismus stellt einen Zeitraum dar, der sich nicht in seiner Realgeschichte ersch¨opft, sondern dem eine Phase der Kolonialphantasien“ vorausging. Die ” Germanistin Susanne Zantop hat dazu fruchtbare Ergebnisse geliefert (vgl. Zantop 1999).10 Die koloniale Ur-Fiktion“ sei die erotische Begegnung zwischen einem Europ¨aer und einer ” Eingeborenen‘, die je nach Kontext erweitert oder variiert werde (vgl. Zantop 1999: 10f.). ’ Insofern werde in den Kolonialfantasien sowohl die Funktion der Wunscherf¨ullung, als auch die Verquickung von sexuellem Begehren, Machttrieb und territorialen Besitzanspr¨uchen ausgedr¨uckt (vgl. Zantop 1999: 11). Das so typische Spannungsverh¨altnis zwischen An¨ ziehung und Ablehnung im kolonialen Kontext sei in den Uberschneidungen von Rasse‘’ und Sexualstereotypen begr¨undet, die wesentlich a¨ lter seien als die tats¨achliche koloniale Phase (vgl. Zantop 1999: 15).

Postkoloniale Einflusse ¨ War somit die pr¨akoloniale Phase beschrieben, konnten die postkolonialen Studien herausarbeiten, dass der Kolonialismus mit dem Wegfall der Kolonien (f¨ur Deutschland mit dem Ende des Ersten Weltkrieges) nicht einfach beendet war.11 Obwohl die postkoloniale Theorie im deutschsprachigen Raum lange Zeit vernachl¨assigte wurde, fand sie Eingang in

8

Die neueren Debatten innerhalb der Literatur- und Kulturwissenschaft(en) setzen sich mit ihrer interdisziplin¨aren Ausrichtung auseinander (vgl. Sch¨oßler 2006). Zudem beansprucht die inter¨ kulturelle Literaturwissenschaft im deutschsprachigen Raum – nicht unkritisiert – die Offnung der postkolonialen Perspektive f¨ur sich (vgl. Sch¨oßler 2006: 144). Ein weiterer interdisziplin¨arer ¨ Ansatz f¨ur das koloniale Feld ist in der historischen Anthropologie zu finden. Einen Uberblick u¨ ber diese Forschungsdisziplin geben z. B. D¨ulmen (2001) oder Dressel (1996).

9 Die Konnotationen und immanenten Bedeutungen des Begriffs des Edlen Wilden (noble savage) werden durch seine Großschreibung kenntlich gemacht. 10

Zantop untersucht in ihrem Band Kolonialfantasien, die S¨udamerika betreffen.

11 Zur genaueren Definition und Debatte um das Postkoloniale vgl. den Aufsatz Wann gab es das ” ’ Postkoloniale‘?“ von Stuart Hall (2002).

20 | Theoretischer Hintergrund

verschiedene Disziplinen, allen voran in die Geschichts-, Kultur- und Literaturwissenschaften. Mittlerweile bezeichnet Postkolonialismus eine kritische politische Analysekategorie, ” die die politischen, kulturellen und diskursiven Aspekte des unabgeschlossenen und in Deutschland verdr¨angten Kolonialdiskurses sichtbar macht“ 12 (Ha zit. n. Wollrad 2005: 44). Damit konnte die anf¨angliche Annahme der Forschung zum Kolonialismus revidiert werden, dass die europ¨aische Expansion [. . . ] zu einer irreversiblen Ver¨anderung indigener ” Gesellschaften [f¨uhrte], die wahlweise positiv (Kulturmission und Modernisierung) oder negativ (Unterdr¨uckung und Ausbeutung) konnotiert war. Europa habe mithin die Welt radikal ver¨andert, ohne selbst im Kern davon betroffen worden zu sein“ (Conrad 2001: 82). Anhand von Fallbeispielen, die den Zeitraum von 1750 bis 1980 abdecken, hat die Literaturwissenschaftlerin Mary Louise Pratt untersucht, inwiefern das Reisen – und insbesondere das Dar¨uber-Schreiben – Begriffe von Europa und dem Rest der Welt u¨ berhaupt erst definierte und somit das Verh¨altnis zwischen Metropole und Peripherie wesentlich pr¨agte (vgl. Pratt 2000). F¨ur den Begegnungsraum, in dem sich unterschiedliche Kulturen treffen und miteinander agieren, gebraucht sie den Begriff der contact zones“ (Pratt 2000: 4). In ” diesen R¨aumen finde der Prozess der transculturation“ statt, welcher – der postkolonialen ” Forderung nach Aufhebung einer monodirektionalen Vorstellung von Kulturaustausch entsprechend – davon ausgeht, dass sich in den Kontaktzonen ein zwar ungleicher, aber wechselseitiger Austausch ereigne (vgl. Pratt 2000: 6f.). Einen Beleg f¨ur die R¨uckwirkungen in die Metropole hat der Germanist Albert Gouaffo (2007) am Beispiel Kameruns gegeben. Anhand kolonialer Belletristik, Presseberichten und schließlich Zurschaustellungen von Kamerunerinnen und Kamerunern in V¨olkerschauen arbeitet er heraus, dass diese exotistischen Darstellungen wesentlich zum Nationenbildungsprozess Deutschlands beigetragen haben (vgl. Gouaffo 2007: 243ff.). Die Historikerin Birthe Kundrus konstatiert: Die postcolonial studies sensibilisieren ” ¨ seit Ende der 70er Jahre die anglo-amerikanische wissenschaftliche Offentlichkeit f¨ur das Wechselverh¨altnis von kolonisierenden M¨achten und Kolonisierten [Her. i. O.]“ (Kundrus 2003a: 8). Zudem erg¨anzt sie 2008: Als kulturwissenschaftliches Konzept betonen die ” colonial/postcolonial studies die Heterogenit¨at von multikulturellen Gesellschaften, als soziopolitisches Konzept setzen sie sich aber auch die Analyse von Machtstrukturen zur Aufgabe [Herv. i. O.].“ (Kundrus 2008: 131)

12

Sp¨atestens mit dieser Perspektive wird klar, dass ein chronologische[r] Epochenbegriff“ (Wollrad ” 2005: 44) nicht mehr haltbar ist. Eine kritische Einf¨uhrung in die postkoloniale Theorie von Said, Spivak und Bhabha gibt der Band von Castro Varela und Dhawan (2005). Vergleiche auch die Einf¨uhrung von Robert J. C. Young (2009).

Forschungsstand und Fragestellung | 21

Critical Whiteness und Gender Studies Damit r¨uckt ein weiterer Aspekt in den Fokus: Aus den angloamerikanischen Forschungsrichtungen der Postcolonial Studies und der Whiteness-Forschung entwickelten sich seit Mitte der 1990er Jahre die Critical Whiteness Studies. Sie verstehen sich als spezifisches Forschungsfeld der neueren Rassismusforschung (vgl. Tißberger 2006b: 8), gehen von der Problematik aus, dass Whiteness in der Regel diskursiv unsichtbar sei, und betonen die Notwendigkeit, im Zuge postkolonialer und dekonstruktivistischer Theoriebildung nicht nur Normativit¨aten wie Maskulinit¨at und Heterosexualit¨at, sondern auch Whiteness in den Blick zu nehmen (vgl. Wollrad 2005: 32).13 Dabei liegen zwei Annahmen von Whiteness zu Grunde: [Z]um einen handelt es sich um ein ver¨anderliches, historisch gewordenes ” Konstrukt, zum anderen um eine gesellschaftliche Realit¨at [Herv. i. O.].“ (Wollrad 2005: 37) Vor allem die Reisenden innerhalb der kolonialen Gesellschaften trugen zur Konstruktion dieser Kategorie bei, gleichzeitig geh¨orte es f¨ur sie zur gesellschaftlichen Realit¨at. Die Psychologin Martina Tißberger stellt den R¨uckgriff auf die christliche Terminologie von Licht und Schatten und die Schuld der Frau“, deretwegen die ersten Menschen aus dem ” Paradies vertrieben wurden, heraus. Dadurch werde die bin¨are Anordnung, die rassisti” sche und vergeschlechtlichte Gesellschafts- und Machtverh¨altnisse bis heute produziert und legitimiert“, bereits skizziert. Mit der Entdeckung‘ neuer Welten‘ schafft sich das ” ’ ’ europ¨aische (weiße, m¨annliche) Subjekt ein Territorium als Projektionsfl¨ache f¨ur all das, was es sich selbst in seiner eigenen Kultur verwehrt, bzw. dort nicht verwirklichen kann.“ (Tißberger 2006a: 19) Welche Perspektiven sich aus den Critical Whiteness Studies explizit f¨ur die Genderund Bildungsforschung ergeben, hat die Erziehungswissenschaftlerin Katharina Walgenbach untersucht.14 Sie h¨alt fest, dass sich bei Whiteness nicht allein die Frage der Pig”

Auf die einzelnen Str¨omungen innerhalb der Critical Whiteness Studies wie bspw. die New Abolitionists und die Critical Whiteness Pedagogy kann an dieser Stelle nicht n¨aher eingegangen werden. Vergleiche dazu den kompletten Band Weißsein im Widerspruch“ (Wollrad 2005). ” 14 Zu ihrer Forderung, Gender als interdependente Kategorie“ zu verstehen vgl. Walgenbach ” (2007), darin auch ihre Diskussion zum Intersectionality-Begriff nach Kimberl´e Crenshaw (vgl. Walgenbach 2007: 48f.). Vgl. in Bezug auf die Verkn¨upfung von Critical Whiteness Studies, Geschlechterforschung und Kolonialismus den Sammelband Weiße Blicke. Geschlechtermythen des ” Kolonialismus“ der Kunsthistorikerin und Geschlechterforscherin Viktoria Schmidt-Linsenhoff (2004). 13

22 | Theoretischer Hintergrund

mentierung“ stellt, sondern eine privilegierte Position“ markiert wird (Walgenbach 2008: ” 51).15 An der postkolonialen Theorie von Said und Bhabha hatte bereits Susanne Zantop bem¨angelt, dass diese sich nicht mit den Kategorien Geschlecht und Sexualit¨at auseinandersetze (vgl. Zantop 1999: 14). In den letzten Jahren hat die Zahl der Untersuchungen, die sich mit Frauen im kolonialen Kontext besch¨aftigen, allerdings deutlich zugenommen. ¨ Einen Uberblick u¨ ber die Motive und Ziele von Frauen im Kolonialprojekt Deutschlands gibt Lora Wildenthal in ihrem Artikel Rasse und Kultur. Frauenorganisationen in ” der deutschen Kolonialbewegung des Kaiserreichs“ (Wildenthal 2003). Demnach sicherten Frauen sich ihren Platz in der m¨annerdominierten Sph¨are, indem sie zun¨achst als Krankenschwestern in die Kolonien gingen, so auch nach Samoa ab 1905 (vgl. Wildenthal 2003: 204).16 Dar¨uber hinaus sollten Frauen ihre Rolle als weibliche Kolonistin“, als ” notwendige kulturelle, wirtschaftliche und politische Partnerin des Kolonisten“ finden, ” wo immer er auch hingehen w¨urde“ (Wildenthal 2003: 206). Wildenthal arbeitet heraus, ” dass sich die koloniale Frauenfrage‘ nicht mehr mit der Zahl unverheirateter Frauen in ’ der Heimat, sondern mit dem Mangel an Weißen17 Frauen in den Kolonien besch¨aftigte. Als Grundlage diente dabei die Rassentheorie‘, auf Basis derer Mischehen‘ und Ras’ ’ ’ senmischung‘ einged¨ammt werden, frauenrechtlerische Zugest¨andnisse jedoch vermieden werden sollten. Insofern ging es um die F¨orderung der Ansiedelung von Frauen in den Kolonien und ihre dortigen Aufgaben (vgl. Wildenthal 2003: 206f.). Und auch in der Heimat konnten Frauen neue Handlungsspielr¨aume gewinnen und den – so Wildenthal – imperialen Patriarchalismus“ außer Kraft setzen (Wildenthal 2003: 216). ” Unter dem Titel Frauen reisen in die Fremde“ (Habinger 2006a) hat die ” V¨olkerkundlerin18 Gabriele Habinger eine Studie vorgelegt, die sich mit publizierten

15

Als Beispiel f¨uhrt sie das Mischehenverbot‘ auf Samoa an: Vor diesem Verbot galten die Kinder ’ aus solchen Ehen als Weiße, sp¨ater sollten sie den Eingeborenen‘ zugerechnet werden (vgl. ’ Walgenbach 2008: 51).

16

Mit der Auswanderung deutscher Frauen nach Deutsch-S¨udwestafrika befassten sich schon fr¨uhe Studien in den 1990er Jahren, unter anderem Lora Wildenthal (1994) in ihrer Dissertation und die Historikerin Karen Smidt (1995). Vgl. auch Wildenthals sp¨atere Studie (Wildenthal 2001).

17

Um die diskursive Unsichtbarkeit aufzuheben und Weißsein als normative Kategorie zu kennzeichnen, wird in den Critical Whiteness Studies Weiß und Schwarz h¨aufig groß geschrieben. Um diese Sensibilisierung zu unterst¨utzen, verfahre ich in Anlehnung an Katharina Walgenbach ebenso, um g¨angige Lesweisen zu irritieren und die soziale Konstruktion von Whiteness zu ” unterstreichen“ (Walgenbach 2008: 47). Doch auch diese Art der Darstellung ist umstritten (vgl. z. B. Walgenbach 2008). ¨ V¨olkerkunde stellt in Osterreich an der Universit¨at Wien die Sammelbezeichnung f¨ur Ethnologie,

18

Kultur- und Sozialanthropologie dar.

Forschungsstand und Fragestellung | 23

Reiseerfahrungen von Frauen im 19. Jahrhundert auseinandersetzt, mit Blick auf die Konfrontation von Fremdem und Eigenem.19 Habinger greift dabei unter anderem auf das in den 90er Jahren von Martin Fuchs und Eberhard Berg benannte Konzept des Otherings“ ” zur¨uck. Dabei geht es darum, wie der westliche dominante Diskurs die Fremden‘ als ” ’ Gegenentwurf zur eigenen westlichen Identit¨at, also als Andere‘ definiert und konstruiert“ ’ (Habinger 2006a: 18). Damit gehe h¨aufig Distanzierung und Abwertung einher. Im Bezug auf Weibliche Blicke auf die S¨udsee“ wies Habinger bereits 2003 auf die Notwendigkeit ” hin, unterschiedliche Aspekte von Gender, bzw. Gender-spezifische[ ] Repr¨asentationen in ” den Texten“ zu ber¨ucksichtigen, um zu allgemein g¨ultigen Aussagen in der Analyse von ” Reisetexten im Allgemeinen, des kolonialen/rassistischen Diskurses und der westlichen Fremdwahrnehmung zu gelangen, wobei die Rolle der weißen/westlichen Frauen als un’ terlegenes Geschlecht der u¨ berlegenen Rasse‘ ebenso zu ber¨ucksichtigen ist wie ihre Rolle im kolonialen Setting und im kolonialen Diskurs“ (Habinger 2003: 217). Insbesondere ¨ die Versatzst¨ucke des Mythos’ S¨udsee bed¨urften, so Habinger, einer Uberpr¨ ufung anhand der Darstellungen von Frauen, um zu allgemeinen Aussagen zu gelangen (vgl. Habinger 2003: 187).20 Darstellungen in Quellen von Frauen, insbesondere die der b¨urgerlichen Frauenbewegung, untersuchte die Erziehungswissenschaftlerin Annette Dietrich (2007) und verkn¨upfte diese mit den Kategorien Rasse‘ und nationaler Identit¨at. Dietrich arbeitete ’ heraus, dass die Konstruktionen von Geschlecht eng an die Rassen‘- und Kolonialpolitik ’ gekoppelt waren (vgl. Dietrich 2007). Die blinden Flecken‘ in der bisherigen Kolonialismusforschung, die Birthe Kundrus ’ in der mangelnden geschlechtergeschichtlichen Perspektive sah, bearbeitete sie 2008. Sie zeichnet die bisherige Schwerpunktsetzung nach, die sich von der Thematisierung der organisierten Frauenkolonialbewegung im Kaiserreich u¨ ber die Problematik der Mischehe‘ ’ bis hin zu den Erfahrungen Schwarzer Deutscher in der Metropole erstrecke (vgl. Kundrus 2008: 134). Als bisheriges Forschungsdesiderat zeigt Kundrus eine Auseinandersetzung mit den S¨udseebesitzungen auf, die aufgrund der andersartigen Konnotation im Vergleich zu afrikanischen Besitzungen dazu beitragen kann, den Variantenreichtum der Gemengelage ”

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F¨ur eine fr¨uhere Darstellung der Rolle von Frauen im Kolonialismus und ihrer Funktion als Kulturtr¨agerinnen am Beispiel von Clara Brockmann vgl. Kleinau (2000).

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Auch wenn der Ansatz der vorliegenden Arbeit kein explizit vergleichender nach Gender-Aspekten ist, so kann m. E. Habingers Forderungen nachgekommen werden, da in der Analyse zum einen sowohl Texte von M¨annern als auch von Frauen ber¨ucksichtigt werden, und zum anderen eine breitere Diskursbestimmung als der eng gefasste Mythos S¨udsee vorliegt.

24 | Theoretischer Hintergrund

von race, class, gender, sex, empire, nation, religion [Herv. i. O.]“ abzubilden (Kundrus 2008: 144).21 Zudem ist die Studie von Livia Loosen im Feld der historischen Frauen- und Geschlechterforschung anzuf¨uhren (Loosen 2014a), die sich mit Frauen aus dem Kaiserreich besch¨aftigt, die in die deutschen S¨udseekolonien reisten und auswanderten.22 Ihr Untersuchungsfeld erstreckt sich dabei auf das gesamte Kolonialreich in der S¨udsee, was vor allem durch Vielfalt und Un¨ubersichtlichkeit gekennzeichnet ist. Loosen will in ihrer Arbeit eine m¨oglichst umfassende Untersuchung des Frauenlebens in den S¨udsee-Kolonien vorlegen, und spannt inhaltlich einen Bogen von der Ankunft u¨ ber den Alltag in den Kolonien hin zum Abschied. Als Ergebnisse h¨alt sie fest, dass Frauen in den S¨udsee-Kolonien vielschichtige Erfahrungen machten; zwar besaßen Frauen in der S¨udsee keine emanzipatorischen, aber gr¨oßere Handlungsspielr¨aume; sie differenzierten in ihren Schilderungen zwischen Edlen Wilden (Polynesien) und Menschenfressern‘ (Mikronesien), wobei die indigene ’ Bev¨olkerung nie als ebenb¨urtig wahrgenommen wurde. Zudem seien die verschiedenen Nationalit¨aten bis auf wenige Stereotype und Vorurteile harmonisch miteinander ausgekommen. Eine wechselseitigen Pr¨agung im Kontext der Kulturbegegnung zwischen Weißen Frauen und indigener Bev¨olkerung sieht Loosen nur an wenigen Stellen (vgl. Loosen 2014a: 589ff.).

Erziehungswissenschaftliche Perspektiven Der Sammelband Transkulturalit¨at“ aus den Erziehungswissenschaften von Wolfgang ” Gippert, Petra G¨otte und Elke Kleinau besch¨aftigt sich neben dem Konzept der Intersektionalit¨at mit dem Themenfeld der Transkulturalit¨at und Anwendungsbeispielen in der Genderund historischen Bildungsforschung (vgl. Gippert u. a. 2008a). Gippert (2009) gibt zudem ¨ einen Uberblick u¨ ber die Rollen von Frauen im Kolonialismus samt ihrer Bet¨atigungsfelder und Funktionen. Er konstatiert, dass trotz der Perspektive einer m¨annlichen Weißen Geschichtsschreibung Frauen von Anfang an am Projekt des Kolonialismus beteiligt gewesen seien – in Frauenverb¨anden, der christlichen Mission, als Reisende – und eine spezifisch ” ¨ weibliche Variante des kolonialen Uberlegenheitsgef¨ uhls“ entwickelt haben (Gippert 2009: 11). Auch der von der Afrikanistin Marianne Bechhaus-Geerst und Sinologin Mechthild Leutner herausgegebene Sammelband Frauen in den deutschen Kolonien“ (Bechhaus”

21

Vgl. zu den Kategorien Rasse‘, Klasse und Geschlecht auch den Band von Walgenbach (2005) ’ und ihren fr¨uheren Aufsatz (Walgenbach 2003).

22 Vergleiche auch den fr¨uheren Aufsatz Tr¨agerinnen deutscher Bildung, deutscher Zucht und ”’ Sitte‘. Alltag und Rollenbild deutscher Frauen in den S¨udseekolonien des Kaiserreichs“ (Loosen 2009).

Forschungsstand und Fragestellung | 25

Geerst und Leutner 2009) zeigt deutlich, dass Frauen am Kolonialprojekt beteiligt waren und welche Rolle(n) sie spielten.23 Unter dem Titel Bildungsreisende und Arbeitsmigrantinnen“ legen Wolfgang Gippert ” und Elke Kleinau schließlich einen umfangreichen Band zu Fremdheitserfahrungen von Lehrerinnen im Ausland im 19. und 20. Jahrhundert vor (Gippert und Kleinau 2014), der den kolonialen Kontext umfasst, aber weit dar¨uber hinausgeht.24 Kleinau und Gippert wenden neben der Betrachtung der Kategorien von Rasse‘, Klasse und Geschlecht das ’ kulturwissenschaftliche Konzept des Kulturtransfers (vgl. Espagne 1986) an, um mit der notwendige[n] Offenheit und eine[r] gewinnbringenden Perspektiverweiterung“ verschie” dene Lesarten der Quellen zu entwickeln, und erweitern dieses noch um intersektionale Perspektiven (Gippert und Kleinau 2014: 22). Unter dem Begriff der Intersektionalit¨at sei die Verschr¨ankung unterschiedlicher Differenzkategorien, im Wesentlichen Geschlecht, Nation, Rasse‘ und Klasse, zu fassen (vgl. Gippert und Kleinau 2014: 26). ’

Der Blick auf die Sudsee ¨ – Mythen, Stereotype und der Umgang mit der Fremde Wer sich mit der S¨udsee besch¨aftigt, kommt zwangsl¨aufig in Kontakt mit stereotypen Vorstellungen vom Mythos S¨udsee. Der Literaturwissenschaftler Russel A. Berman begr¨undet dies: Da aber der deutsche Kolonialismus aufgrund seiner K¨urze relativ arm an empiri” schem Stoff ist, w¨achst folglich die Bedeutung des Imagin¨aren und der Repr¨asentation, w¨achst die Bedeutung kulturwissenschaftlicher Forschung.“ (Berman 2003: 23) Zum Mythos S¨udsee erweist sich insbesondere das Buch von Hans Ritz Sehnsucht ” nach der S¨udsee“ (Ritz 1983) als fruchtbar. Ritz zeichnet den Mythos S¨udsee chronologisch anhand von Entdecker[n], Besucher[n]“, Meuterer[n], Aussteiger[n]“, Schrift” ” ” steller[n], Maler[n]“ und Klischees, Phrasen“ nach und zeigt schon hier die Br¨uche im ” mythischen Bild (Ritz 1983: 5). Schließlich verortet er die Sehnsucht nach der S¨udsee im zeitgen¨ossischen Hintergrund der 1980er Jahre als Wunsch, dem Unbehagen der modernen ” Kultur“ (Ritz 1983: 14) zu entkommen und positioniert sich als Kritiker dieser Form des Tourismus. Aufschlussreich an seinem Aufsatz ist die sich wiederholende Beschw¨orung des mythischen S¨udseebildes, das u¨ ber die Jahre seine Funktion wandelt, in seinen Motiven aber erstaunlich konstant bleibt. Insofern l¨auft eine Untersuchung der Reiseberichte unter

23

Zum Rassismus als Kategorie vgl. darin den Beitrag von Anette Dietrich (2009).

24

Trotz der insgesamt breiten Quellenlage (70 autobiografische Texte plus 500 Artikel) werden keine Quellen von Lehrerinnen in den Kolonialgebieten der S¨udsee untersucht.

26 | Theoretischer Hintergrund

dem Aspekt des Mythos’ S¨udsee Gefahr, keine neuen Ergebnisse zu liefern und stattdessen den Mythos weiter festzuschreiben.25 Im S¨udseekontext finden sich Entlehnungen aus der Vorstellungswelt des Goldenen Arkadiens, einer idyllischen Landschaft, die durch Frieden, Tugendhaftigkeit und Sorg¨ losigkeit gekennzeichnet ist. Einen Uberblick u¨ ber diese arkadischen Utopien gibt der Literaturwissenschaftler Klaus Garber, und er zeichnet ihre Entwicklung von den mythischen Urspr¨ungen bis ins 20. Jahrhundert nach (vgl. Garber 2009). Die Funktion von Mythen f¨ur die Entstehung vorkolonialer Fantasien greift Susanne Zantop in ihrem oben angef¨uhrten Band Kolonialphantasien“ (Zantop 1999) auf. Sie ” stellt dar, dass der Wunsch nach Kolonien schon deutlich vor der eigentlichen Phase der Kolonialzeit entstand und nur durch diese Fantasien u¨ berhaupt auf fruchtbaren Boden fallen konnte. Damit r¨aumte sie Sebastian Conrad zufolge insbesondere mit einer Annahme innerhalb der Rezeption Saids auf, dass der Nationalstaat eine notwendige Bedingung f¨ur Kolonialismus darstelle (vgl. Conrad 2001: 78f.).26 Auch der von Birthe Kundrus herausgegebene Sammelband Phantasiereiche“ (Kun” drus 2003c) geht den Fragen nach der phantastischen Dimension“ des Kolonialismus, ” den Vorstellungswelten und Deutungsstrukturen nach, ohne dabei die Realgeschichte aus dem Blick zu verlieren. Vielmehr fragt der Band nach der Bedeutung von Phan” tasien als wichtiges und lange Zeit untersch¨atztes Antriebsmoment in der kolonialen Bem¨achtigungsgeschichte“ (Kundrus 2003a: 8). In ihrer umfassenden Studie zu Stereotype[n] Paradiese[n]“ hat Gabriele D¨urbeck ” (2007) ein literaturwissenschaftliches Standardwerk vorgelegt, in dem sie sich mit der Darstellung des Fremden und ihrem Funktionswandel u¨ ber die verschiedenen Epochen der Kolonialzeit hinweg befasst. Theoretisch begr¨undet sind ihre Arbeiten in der Stereotypenforschung und der daraus entwickelten komparatistischen Imagologie.27 Dabei stellt sie

25

Daher will diese Arbeit einen Weg finden, neue Aspekte in die Untersuchung mit einzubeziehen und nur da, wo es notwendig ist, auf den Mythos zu rekurrieren. Zur neueren Mythenforschung zeigt auch Roland Barthes Abhandlung Mythen des Alltags“ (Barthes 2012) noch fruchtbare ” Ans¨atze. Zur begriffsgeschichtlichen Kl¨arung bietet sich die Einf¨uhrung Mythos“ von Robert A. ” Segal (2007) an.

26

F¨ur die Verkn¨upfung von Mythen und nationaler Identit¨at siehe u. a. Link und W¨ulfing (1991) oder M¨unkler (2009).

27 Innerhalb der Stereotypenforschung bezieht sich D¨urbeck auf Klaus Roth und arbeitet drei Funktionen von Stereotypen heraus: eine kognitive, eine affektiv- psychohygienische‘ und eine soziale ’ (vgl. D¨urbeck 2004: 351). Die komparatistische Imagologie kn¨upfe daran an und untersuche das ” Wie und Warum des Funktionierens von Stereotypen im literarischen Kommunikationsgef¨uge“, gehe weiterhin von der historischen Wandelbarkeit von Stereotypen aus“ und lasse schließlich die ” Wahrheitsfrage“ beiseite (D¨urbeck 2004: 353). Vor allem der letzte Punkt, dass es nicht darum ”

Forschungsstand und Fragestellung | 27

heraus, dass in den Quellen im wesentlichen sechs Diskurslinien nachgewiesen werden k¨onnen: (1) Missionierungs-, (2) Antimissionierungs-, (3) ethnographischer/geographischer, (4) wirtschaftlich-kolonialer, (5) antikolonialistischer und (6) touristischer Diskurs (vgl. D¨urbeck 2007: 36ff.). Quer dazu verortet sie zwei Interdiskurse: Rousseauismus und Darwinismus. W¨ahrend der aus der Aufkl¨arung stammende Rousseauismus Topoi des Edlen Wilden, des irdischen Paradieses und einer Zivilisationskritik sowie das Ideal einer egalit¨aren Gesellschaft aufweise, gehe der aus der zweiten H¨alfte des 19. Jahrhunderts stammende Darwinismus von einer biologistischen Entwicklung aus, die Rassismus beg¨unstige und das Aussterben indigener V¨olker als unaufhaltbar ansehe (vgl. D¨urbeck 2007: 40f.). Außerdem arbeitet D¨urbeck umfassende Darstellungs- und Authentifizierungsstrategien heraus, die sich in allen Quellen nachweisen lassen. Aufschlussreich ist vor allem das daraus von ihr entwickelte Konzept des Ozeanismus – in Abgrenzung zum Orientalismus (Said) bzw. Okzidentalismus (Susanne Zantop). Unter Ozeanismus wird die diskursiv und ” imaginativ pr¨aformierte Darstellung der historischen S¨udsee‘ und ihrer Bewohner durch ’ die westlichen Nationen“ verstanden (D¨urbeck 2004: 349).28 Vorl¨auferin zu D¨urbecks Studie ist die Arbeit der Literaturwissenschaftlerin Anja Hall (2008), die sich mit der Mythenbildung als Form von Fremdwahrnehmung besch¨aftigt. Anders als D¨urbeck geht sie nicht von sich wandelnden Stereotypen, sondern von Mythemen, Versatzst¨ucken des Mythos’ S¨udsee, aus, die aber genauso in bestimmten Schl¨usselphasen (vorkolonial, kolonial und postkolonial) der jeweils zeitgen¨ossischen Literatur ihre Funktion wandelten. Sie arbeitet heraus, dass der Mythos S¨udsee, der in den ersten beiden Phasen noch die wichtige Funktion habe, irritierende Fremderfahrung begreifbar zu machen und Fragen des interkulturellen Zusammenlebens zu strukturieren, in der postkolonialen Phase an Bedeutung verliere und lediglich ein Erz¨ahlelement unter vielen sei (vgl. Hall 2008: 220). In Bezug auf die Schilderungen des Landschaftsraumes sei zu beobachten, dass die Beschreibungen sich deutlich unterschieden im Hinblick auf den bedrohlichen und undurchdringlichen Dschungel‘ einerseits, und das Inselparadies‘ andererseits. Insgesamt ’ ’ entwickle sich das Darstellungsmuster von den anf¨anglichen arkadischen Entlehnungen hin zum Dreiklang Palme, Sonne, Meer‘, welchen schließlich die Tourismus-Industrie ’ aufgreife (vgl. Hall 2008: 222). Inhaltlich eng angelehnt, wenngleich kein direkter Bezug besteht, ist Halls Forschung an die Arbeit der Literaturwissenschaftlerin Christiane K¨uchler, die f¨ur das 18. Jahrhundert

gehe, den Wahrheitsgehalt der Darstellungen zu u¨ berpr¨ufen, sondern die Konstruktionsleistung und deren Funktion zu untersuchen, wird auch in der historischen Diskursanalyse grundlegend sein. 28

Vgl. dazu auch D¨urbeck (2006).

28 | Theoretischer Hintergrund

Rezeptionen der S¨udsee als Erotische Paradiese“ betrachtet hat (vgl. K¨uchler 2004).29 ” K¨uchler arbeitet anhand von Reiseberichten aus dem 18. Jahrhundert die in der Mythenforschung vernachl¨assigten Aspekte der erotischen Faszination und die Fixierung auf das Weibliche der Inseln heraus. Die Faszination von der S¨udsee im sp¨aten 18. Jahrhundert f¨uhrt sie auf ein erotisches Unbefriedigtsein des Lesers zur¨uck. Zus¨atzlich betrachtet K¨uchler ausgew¨ahlte Texte zur S¨udsee aus den Jahren zwischen 1770 und 1810. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass trotz der zunehmenden Verf¨ugbarkeit an Informationen u¨ ber die S¨udsee dies nicht zur Relativierung, sondern im Gegenteil zur Verengung der in den Reiseberichten ” relativ ausgewogenen Berichterstattung“ f¨uhrte (K¨uchler 2004: 213). Der – teils mythifizierten – Wahrnehmung der S¨udsee liegt die Auseinandersetzung von Eigenem und Fremdem zugrunde. Auch dazu liegt mittlerweile eine breite Forschung vor.30 Den Darstellungen des Fremden widmen sich auch die beiden Germanisten und Literaturwissenschaftler Alexander Honold und Klaus R. Scherpe (Honold und Scherpe 2003) in einem Sammelband. Leitende Aspekte bei der Zusammenstellung der Aufs¨atze betreffen das Verst¨andnis der Interdependenz von Identit¨at und Alterit¨at“; das Wissen ” u¨ ber die jeweilige Kultur sei ein wechselseitige[s] Bedingungsverh¨altnis“. Zudem stehe ” Kulturelles Wissen“ nicht mit seinem Wahrheitsgehalt‘, sondern mehr mit seinen Pro” ’ duktionsbedingungen im Fokus. Schließlich betonen die Herausgeber die Notwendigkeit ¨ einer interdisziplin¨aren Ausrichtung und Offnung f¨ur das Themenfeld der Fremde“ (vgl. ” Honold und Scherpe 2003: 7f.). Alexander Honold besch¨aftigt sich mit dem geografischen Bem¨achtigungsraum und geht der Frage nach kolonialen Strategien der (r¨aumlichen) Exploration nach (vgl. Honold 2003). Obwohl er sich in seinem Aufsatz auf Afrika, die Suche nach der Nilquelle, die Besteigung des Kibo (zeitgen¨ossisch: Kaiser-Wilhelm-Spitze) und schließlich den Ausbau der Eisenbahnlinie in Ostafrika bezieht, ist auch f¨ur den S¨udseeraum seine These g¨ultig, dass es sich bei der kolonialen Expedition um die Vorstellung eines leeren Raums“ handelte, der unbeschrieben und unbesiedelt sei [. . . ], ein herrenloses, ” ” herrenmenschenloses Terrain, das nur darauf warte, von zupackenden Eroberer- und Sied-

29

F¨ur die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung ist es u¨ blich, sowohl Reiseliteratur als auch fiktionale Texte in Form von Kolonialromanen f¨ur die Untersuchungen heranzuziehen; letztere werden in der vorliegenden Arbeit ausgespart.

30 Vgl. bspw. die Forschung des US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Stephen Greenblatt (1998), der den Bereich der Erfindung des Fremden“ in Reiseliteratur untersucht. Er dekonstruiert ” die Geschichte der Entdeckungen‘ und arbeitet Wahrnehmungs- und Wiedergabeverfahren heraus, ’ mit denen die Eroberer‘ die Neue Welt zu fassen versuchten. Einen Blick auf das Eigene und das ’ Fremde mit Bezug auf die Wahrnehmung des K¨orpers werfen die Autorinnen und Autoren in dem von der Germanistin Kerstin Gernig herausgegebenen Band Fremde K¨orper. Zur Konstruktion ” des Anderen in europ¨aischen Diskursen“ (Gernig 2001).

Forschungsstand und Fragestellung | 29

lertrecks in Besitz genommen zu werden“ (Honold 2003: 138).31 Klaus J. Scherpe dagegen befasst sich mit den ordnenden Kriterien in ethnografischen Texten (Scherpe 2003) und stellt eine Poetik der Beschreibung auf. Dabei geht es vor allem um die strukturellen Unterschiede in textuellen Reiseschilderungen, die unter anderem ethnografisch deskriptiv, narrativ oder auch exotistisch gestaltet sein k¨onnen. Zwar handelt es sich hier um ein literaturwissenschaftliches Theorem, doch ist f¨ur die vorliegende Arbeit insbesondere Scherpes Hinweis wichtig, dass der reinen Textproduktion einer Reisebeschreibung bereits die Bew¨altigung von Fremdheit immanent sei (vgl. Scherpe 2003: 18).

Forschungen mit Fokus auf Ozeanien und Samoa Aus ethnologischer Sicht betrachtet Hermann M¨uckler den Kolonialismus in Ozeanien“ ” (M¨uckler 2012); dieser Band stellt den dritten Teil einer Reihe dar, dem eine Einf¨uhrung in ” die Ethnologie Ozeaniens“ (M¨uckler 2009) und die Mission in Ozeanien“ (M¨uckler 2010) ” vorausgingen, und die Entkolonisierung und Konflikte in der Gegenwart in Ozeanien“ ” (M¨uckler 2013) nachfolgte. M¨uckler besch¨aftigt sich mit der Kolonialgeschichte in der gesamten S¨udsee, in Poly-, Mikro- und Melanesien und geht dabei auf die einzelnen nationalen Akteure ein; neben Spanien, England, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden nimmt er auch japanische und US-amerikanische Interessen in den Blick, und spannt so einen Bogen u¨ ber vier Jahrhunderte Entdeckungs‘- und Erschließungsgeschichte. Zur Fra’ ge nach Kolonialismus als Fremderfahrung“ gibt er einen strukturierten und eing¨angigen ” ¨ Uberblick (vgl. M¨uckler 2012: 33ff.).32 Der Fokus der vorliegenden Arbeit richtet sich auf die S¨udsee, auf die Inselgruppe Samoa, die von drei Großm¨achten vereinnahmt worden war: Deutschland, England und den USA. Die Forschungsliteratur im deutschsprachigen Raum zu Samoa in seiner kolonialen Phase ist u¨ berschaubar.33 Das Standardwerk u¨ ber die Geschichte der deutschen Kolonien in der S¨udsee hat der Historiker Hermann Hiery mit seinem Handbuch Die ”

31

Damit nimmt Honold auch Bezug auf Russel A. Berman, der an anderer Stelle die These vertritt (Berman 2003), dass die Kategorie Raum (statt Rasse‘) st¨arker in die Betrachtung des kolonialen ’ Projekts einfließen solle.

32

Dass die angewandte Ethnologie ohne jegliche Rezeption von bspw. postkolonialer Theorie zu fragw¨urdigen Ergebnissen kommt, zeigt der Band Auf Augenh¨ohe? Von Begegnungen mit der ” S¨udsee und angewandter Ethnologie“ (Kleinert und Lipp 2015).

33

F¨ur die a¨ ltere Forschung zur S¨udsee ab den 1970er Jahren vgl. die Darstellung bei Loosen ¨ (2014a): 19ff. Einen Uberblick u¨ ber West-Samoa aus sozialgeografischer Perspektive gibt Werner Hennings, die verwendeten Zahlen sind aus den 1990er Jahren. F¨ur einen Einblick in geografische, o¨ kologische und o¨ konomische Felder mag der Band n¨utzlich sein, ansonsten bleibt er jedoch hinter der aktuellen Forschung zur¨uck (vgl. Hennings 1996). Beispielsweise verwendet der Autor ausschließlich das m¨annliche Geschlecht und den Begriff H¨auptling‘ unreflektiert. ’

30 | Theoretischer Hintergrund

deutsche S¨udsee“ (Hiery 2001a) vorgelegt, in dem er f¨ur Mela-, Mikro- und Polynesien ein breites Themenspektrum liefert, von der naturr¨aumlichen Struktur und Tierwelt u¨ ber Schule, Ausbildung und die deutsche Sprache, hin zum Missionswesen und der Rechtsgeschichte.34 Der Geschichts- und Kulturwissenschaftler Sebastian Conrad kritisiert an dem Handbuch insbesondere den mitunter positiven und auch positivistischen Duktus einiger Artikel. Weiterhin bem¨angelt er die fehlende methodische Selbstreflexion sowie Rezeption postkolonialer Theorien und Diskussionen (vgl. Conrad 2001: 74f.). Erg¨anzt wird dieses Handbuch durch Bilder aus der deutschen S¨udsee“ (Hiery und Kelm 2005) sowie Das ” ” Deutsche Reich in der S¨udsee 1900-1921“ (Hiery 1995). Eine Analyse von Stereotypen und Mythen des spezifisch samoanischen Kontextes nimmt Kathrin DiPaolo in ihrer Dissertation vor (DiPaolo 2004). Sie beansprucht f¨ur ihre Arbeit die erstmalige Aufarbeitung der Ausgestaltung und Neudefinition des Konzeptes des Ozeanismus, obwohl sie D¨urbecks Forschungen bereits zur Kenntnis nimmt. Anhand ausgew¨ahlter Samoa-Romane der ersten H¨alfte des 20. Jahrhunderts, die sie zun¨achst in einen historischen, dann theoretischen und schließlich literaturwissenschaftlichen Kontext einordnet, arbeitet sie die Tendenz ihrer untersuchten Quellen heraus, nicht nur das ei” gentlich Fremde durch Belegung mit bekannten Motiven und Stereotypen [. . . ] bildhaft vertraut darzustellen“, sondern es als Teil einer neuen eigenen politischen Realit¨at und ” ¨ Identit¨at zu zeichnen“ (DiPaolo 2004: 5). Ahnlich der Ergebnisse Anja Halls kommt sie zu dem Schluss, dass sich die Darstellungsmuster verschoben: von der zivilisationskritischen Mission und Utopieflucht im 18. Jahrhundert hin zur Vermarktung des kolonialen Gedankens im 19. und 20. Jahrhundert (vgl. DiPaolo 2004: 326). Als Kartierungskategorien“ zur ” Stereotypisierung f¨uhrt sie drei Punkte an: 1. der fremde Außenraum (exotisches Insel” motiv und Vegetation), 2. der fremde Kulturraum (der Edle Wilde‘; Kolonialaufgaben) ’ und 3. der erotische Machtraum (die Beziehung zu fremder Frau und Kolonialterritorium)“ (DiPaolo 2004: 328). Problematisch an dieser Kategorisierung ist, dass diese f¨ur die f¨unf von DiPaolo untersuchten Romane stimmig sein mag, in der Verallgemeinerung jedoch keine trennscharfe Abgrenzung aufweist und somit die Frage, inwiefern das Inselmotiv und die Vegetation Bestandteil des Kolonialraumes sind und inwiefern die Beziehung zur fremden Frau‘ Bestandteil des Edlen Wilden ist, offen l¨asst. ’

34

Darin bereits mit einem Aufsatz vertreten ist der Historiker Simon Haberberger (2001), der weitergehend zu dem nicht klar als mythisch oder tats¨achlich einzuordnenden Aspekt des Kannibalismus, der Menschenfresserei‘, f¨ur den Raum Deutsch- und Britisch-Neuguinea vergleichend geforscht ’ hat (Haberberger 2007). Vgl. zum Themenfeld des Kannibalismus außerdem den Aufsatz von Michaela Holdenried (2001) sowie die Studie von Eva Bischoff (2011), die den postkolonialen Kannibalismus-Diskurs in Deutschland mit M¨annlichkeitskonstruktionen verkn¨upft.

Forschungsstand und Fragestellung | 31

2013 hat Thomas Schwarz eine Studie vorgelegt (Schwarz 2013), die sich mit der ozeanistischen Erotisierung Samoas besch¨aftigt und die Problematisierung von Hybridit¨at in diesem Kontext als Vorl¨aufer f¨ur den Nationalsozialismus kontextualisiert.35 Als zentralen Untersuchungsgegenstand benennt Schwarz das emotionale Regime36 , das die ” koloniale Kultur des deutschen Kaiserreichs errichtet“ habe (Schwarz 2013: 16). Damit w¨ahlt Schwarz einen theoretisch g¨anzlich anders gelagerten Schwerpunkt, als die sonstige Forschung zu Samoa. Als Ergebnis h¨alt er fest, dass die kolonialen Akteure durchdrungen seien von einem oft mit religi¨osen Untert¨onen artikulierten Verlangen, in eine rheto” risch tropikalisierte und erotisierte Szenographie einzutauchen“ und in ihrer exotistischen ” Sehnsucht“ danach strebten, die Grenze zwischen ihrem Ich und der tropischen Umwelt ” aufzul¨osen“ (Schwarz 2013: 267).

¨ Fotografische Zugange Weitere Studien, die sich explizit mit Samoa auseinandersetzen, liegen im deutschsprachigen Raum derzeit nicht vor. Daf¨ur gibt es einige Ans¨atze, die sich mit dem umfangreichen fotografischen Bestand auseinandersetzen. Unter dem Titel Bilder aus dem Paradies“ wid” mete sich 1995 im Rautenstrauch-Joest Museum in K¨oln eine Ausstellung den Fotografien, die in der Zeit zwischen 1875 und 1925 auf Samoa entstanden sind, und wesentlich zur Konstruktion eines zeitlosen“ Paradieses beitrugen sowie die Vorstellung von reinen‘, ” ” ’ das heißt von der westlichen Zivilisation unber¨uhrten‘ Rassen“ transportierten (Nordstr¨om ’ 1995: 16). Der dazu erschienene Tagungsband vereint entsprechende Theoriebeitr¨age unter anderem von Peter Mesenh¨oller und Hermann Hiery (vgl. Engelhard und Mesenh¨oller 1995). In ihrem Band Colonial Photography“ untersucht die Kulturwissenschaftlerin Anne ” Maxwell wie die kolonialen Bildwelten im Medium der Fotografie im Zuge der Weltausstellungen transportiert und verfestigt wurden. F¨ur die Darstellungen Samoas widmet sie sich speziell dem ortsans¨assigen neuseel¨andischen Fotografen Thomas Andrew, der

35

Dabei deutete u. a. schon Grosse (2000) an, dass eine solche Linearit¨at nicht gegeben sei; vergleiche auch den Aufsatz von Birthe Kundrus (2010). Da Schwarz sich vor allem Freuds Psychoanalyse bedient, richtet seine Studie insbesondere den Fokus auf die libidin¨osen Kr¨afte. Obwohl Schwarz vorgibt, diskursanalytisch vorzugehen und den ozeanistischen Diskurs zu untersuchen, ist sein Blick auf sexualisierte Darstellungen, koloniales und sexuelles Begehren verengt. Gleichermaßen psychoanalytisch geht Schwarz auch in einem fr¨uheren Aufsatz vor (vgl. Schwarz 2002).

36

Der Begriff geht auf William Reddy, einen Theoretiker der Emotionsgeschichte zur¨uck und bezeichnet ein Set von Gef¨uhlsnormen, die von der herrschenden bzw. gesellschaftlich dominanten ” Klasse gesetzt werden, aber mit den Gef¨uhlsnormen anderer Gruppen innerhalb der Gesellschaft kollidieren k¨onnen“ (Hitzer 2011).

32 | Theoretischer Hintergrund

insbesondere f¨ur seine Portraits von Samoanerinnen und Samoanern bekannt war (vgl. Maxwell 2000).37 Robert Tobin beschreibt in dem von Alexander Honold und Oliver Simons herausgegebenen Band Kolonialismus als Kultur“ (Honold und Simons 2002) ” u¨ berzeugend, wie in Bildern von Samoa Spiegelprozesse durch ein filigranes Austarieren von Angleichung und Entfremdung gestaltet werden (Tobin 2002). Peter Mesenh¨oller (2009) befasst sich ebenfalls mit Bildwelten in der deutschen S¨udsee. Er bezieht sich auf Fotografien, die im kolonialen Kontext entweder von Amateurfotografen oder von den in Apia ans¨assigen Fotostudios produziert wurden, und entlarvt die darin transportierten Frauenbilder als eurozentristische Sichtweisen. Zuletzt ist die Studie von Felix Axster 2014 erschienen (Axster 2014), in der er in drei Teilen zun¨achst Bildpostkarten aus dem Kolonialkrieg in Namibia, dann Karikaturen sexueller Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen und schließlich die Praxis des Sammelns untersucht.

Aktuelle Bezuge ¨ Schließlich gab es in j¨ungster Vergangenheit noch mediale Aufmerksamkeit f¨ur Samoa, da West-Samoa, also der ehemals deutsche, dann neuseel¨andische Teil der Inseln, im Jahr 2012 auf f¨unfzig Jahre Unabh¨angigkeit blicken konnte. Die aktuellen Herausforderungen, die samoanische Lebensweise (die Fa’a Samoa) zwischen Tradition und Moderne zu verorten, beleuchtet der dazu von dem Politikwissenschaftler Oliver Hasenkamp in Zusammenarbeit mit der Literaturwissenschaftlerin Julia Meinkert und dem Ethnologen Dominik Schieder herausgegebene Band Samoa: 50 Jahre Unabh¨angigkeit“ (Hasenkamp u. a. 2014) aus ” historischer, gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Perspektive. Die darin versammelten Aufs¨atze reichen inhaltlich von den Unterschieden zwischen deutscher und neuseel¨andischer Fremdherrschaft, der Beobachtung des matai‘-Titelsystems, u¨ ber die ’ durch Migration verursachten Herausforderungen, bis hin zur Bedeutung der samoanischen Tatauierung in der internationalen Tattoo-Szene als Zerrbild samoanischer Traditionen. Zudem fand von Mai bis Oktober 2014 im Museum f¨ur V¨olkerkunde in M¨unchen die Ausstellung From Samoa with Love?“ statt, deren Ausstellungskatalog auch Beitr¨age ” samoanischer Autoren beinhaltet (vgl. Thode-Arora 2014b). Das Themenspektrum der Beitr¨age reicht ebenfalls von der Fa’a Samoa u¨ ber das Ph¨anomen der V¨olkerschauen bis hin zu deutschen Fantasien u¨ ber Samoa. Thode-Arora h¨alt als Fazit der Ausstellung fest, dass die Samoanerinnen und Samoaner innerhalb der V¨olkerschauen keineswegs eine ” hilflose Opferrolle einnahmen“, sondern selbstbewusst handelnde Akteure [waren], die ” sich gegen Zumutungen zu wehren wussten, [. . . ] und ihre eigenen politischen Strategien mit dem Aufenthalt in Europa verfolgten“ (Thode-Arora 2014a: 201).

37

F¨ur den namibischen Kontext vgl. bspw. den Band The Colonising Camera“ von Hartmann u. a. ” (1998).

Forschungsstand und Fragestellung | 33

Fragestellung Der dargestellte Forschungsstand l¨asst erkennen, dass das Spektrum der Forschungen zur deutschen Kolonialzeit breit gef¨achert ist. Dank der interdisziplin¨aren Ausrichtung der postkolonialen Studien und auch der Critical Whiteness Studies befassen sich verschiedene Disziplinen mit der Aufarbeitung der Kolonialzeit. Auch wenn die Zahl der Studien zur S¨udsee steigt, so liegt sie im Vergleich zur Aufarbeitung der afrikanischen Kolonialzeit noch zur¨uck. Vor allem an Untersuchungen zu einzelnen S¨udseekolonien mangelt es; umfassende Studien wie die von Livia Loosen haben das Problem der Vereinheitlichung und ein breites Quellenspektrum zu bew¨altigen. Daher o¨ ffnet der Fokus auf kleinere Kolonialgebiete die Perspektive f¨ur die handelnden Akteurinnen und Akteure, soziale, politische und wirtschaftliche Facetten und schließlich die spezifischen Diskursstrukturen. Zwar nimmt die Zahl der Studien zu, die die Perspektive von Frauen fokussieren, hier droht aber die Gefahr, die m¨annliche‘ Perspektive aus dem Blick zu verlieren und als immer ’ schon gegeben anzunehmen. Zudem beschr¨anken sich diese Studien in der Regel bei ihren Quellen auf deutsche Frauen – vernachl¨assigen damit im Sinne der entangled histories38 die Tatsache, dass sich das koloniale Projekt nicht nur in Abgrenzung von jeweils einheimischen Bev¨olkerungen, sondern auch in ebensolcher von anderen europ¨aischen Nationen befand. Schließlich fungiert die positive Darstellung der S¨udsee h¨aufig vorschnell als Gegenpol zu negativen Darstellungen Afrikas. Die haupts¨achlich in den Literaturwissenschaften verankerten Forschungen zu S¨udsee-Mythen und Stereotypen sowie deren Wandelbarkeit werden in anderen Disziplinen mancherorts vereinfacht rezipiert. Insofern verdient die S¨udsee eine genauere Betrachtung dahingehend, ob und inwiefern Quellen tats¨achlich ausschließlich auf Stereotype des Mythos’ S¨udsee oder des Edlen Wilden rekurrieren. Somit stehen folgende Fragen im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit: 1. Wie gestaltete sich der Diskurs u¨ ber Samoa in Reiseberichten aus den involvierten Nationen: Deutschland, England und den USA? 2. Welche Diskurslinien lassen sich aus diesen Reiseberichten ableiten? 3. Welche Funktion(en) erf¨ullten diese Diskurslinien? 4. Gibt es Muster, nach denen die Diskurslinien verliefen und wenn, welche Funktion erf¨ullten sie? Diese Fragen sollen mittels einer historischen Diskursanalyse beantwortet werden, die Reiseberichte als Quellen verwendet. Der diskursanalytisch-explorative Zugang verengt die Ergebnisse nicht vorschnell auf etwa Aspekte des Mythos’ S¨udsee, sondern o¨ ffnet die

38

Vgl. dazu Kapitel 1.2.

34 | Theoretischer Hintergrund

Perspektive f¨ur diskursive Konstellationen. Die Auswahl von Quellen aller drei Nationen erweitert die deutsche‘ Perspektive und nimmt zudem die Facetten der entangled histories in ’ den Blick. Reiseberichte von M¨annern und Frauen erg¨anzen die bisherigen umfangreichen Studien, die ausschließlich Frauen in den S¨udseekolonien fokussieren. Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag dazu, die verwendeten Quellen u¨ ber Samoa aus der kolonialen Phase chronologisch zu ordnen und zu kontextualisieren sowie zueinander in Beziehung zu setzen. So erschließt sich die Repr¨asentation Samoas aus verschiedenen Blickwinkeln und offenbart in den zu Tage tretenden Diskurslinien die Themen und Interpretationsfolien der Kolonialisierenden. Zudem erm¨oglicht der diskursanalytische Zugang das Aufdecken neuer Perspektiven, ohne bestimmte Deutungsmuster (wie z. B. den Mythos S¨udsee) per se in die Quellen einzuschreiben. Die Konzentration auf eine S¨udseeinsel (bzw. Inselgruppe) erm¨oglicht ein ausdifferenziertes Bild, das nicht auf sonst notwendige Verallgemeinerungen und Unsch¨arfen zur¨uckgreifen muss. Mit der historischen Diskursanalyse wird der Blick auf die Praktiken der Konstruktion ” des Menschen“ gerichtet (vgl. Tenorth 2010: 139), damit wird die Selbstkonstruktion ” unter gesellschaftlichen Bedingungen“ beleuchtet (vgl. Tenorth 2010: 142). Die – notwendigerweise – eurozentristische Perspektive der Verfasserin als Weiße Frau ist mitbedacht und reflektiert. Die Quellenlage und der theoretische Bezugsrahmen werden im Folgenden genauer dargestellt.

1.2 Q UELLENLAGE

UND THEORETISCHER

B EZUGSRAHMEN

F¨ur die Kolonialzeit auf Samoa liegen umfangreiche Quellen vor. Neben den offiziellen Dokumenten des Reichskolonialamtes oder Sitzungsprotokollen aus dem Reichstag gibt es Zeitschriften, die als Organe verschiedener Vereine dienten (bspw. Kolonie und Heimat“ ” als Organ des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft39 ), genauso wie Zeitungsartikel. Dar¨uber hinaus gibt es eine große Bandbreite an Reiseliteratur und L¨anderschriften, von denjenigen verfasst, die in die Kolonien gereist sind und ihre Erfahrungen im Anschluss verschriftlichten und ver¨offentlichten. Dazu kommt ein un¨uberschaubarer Korpus an grauer Literatur, der in Archiven oder in Privatbesitz ist.40 Weiterhin liegt eine Vielzahl an fotografischen Quellen vor, deren systematische Auswertung differenzierte und frucht-

39

Dieses Medium verwendet Katharina Walgenbach (2005) vorrangig als Quelle.

40

Livia Loosen (2014a) hat in ihrer Studie auch mit solchem Material gearbeitet. Nicht zuletzt sind es die Missionen, die eigene Archive f¨uhren.

Quellenlage und theoretischer Bezugsrahmen | 35

bare Erkenntnisse verspr¨ache. Der Gebrauch von Fotografien innerhalb der Reiseberichte diente oft ausschließlich illustrativen Zwecken, sodass eine Aufarbeitung des Bildmaterials w¨unschenswert w¨are.41 Auswertungsmethoden zu bildlichen Quellen liegen mittlerweile vor,42 dennoch steckt die Aufarbeitung des fotografischen Quellenkorpus’ der S¨udsee – wie oben gezeigt – noch in ihren Anf¨angen. F¨ur die vorliegende Arbeit sind Reiseberichte von besonderem Interesse, als – wie Berman es bezeichnet – Schl¨usselgattung f¨ur die Kolonialstudien“ (Berman 2003: 26). ” Seiner Auffassung nach ist Reiseliteratur insbesondere dazu geeignet, Antworten auf Fragen wie: Wie [. . . ] vermag die Ber¨uhrung mit neuen Kulturen, mit neuen Lebens- und ” Denkformen die existierenden Diskursstrukturen zu ver¨andern?“ oder: K¨onnen Akteure ” mit anf¨anglich ann¨ahernd gleichem Diskurshintergrund auf neue Inhalte unterschiedlich reagieren?“ zu geben (Berman 2003: 26). F¨ur die vorliegende Arbeit wurden f¨unfzehn Quellen ausgew¨ahlt, die im weiteren Sinne als Reiseliteratur gelten k¨onnen.43 Dies sind die Texte von Reisenden, die sich zwischen 1860 und 1916 auf Samoa aufhielten. In chronologischer Reihenfolge ihres Aufenthaltes (soweit dieser datiert werden konnte) sind das namentlich: George Brown, William B. Churchward, Robert Louis Stevenson, Marie Fraser, Charles S. Greene, Otto E. Ehlers, Llewella Pierce Churchill, Michael Myers Shoemaker, Bartlett Tripp, Victor Arnold Barradale, Siegfried Genthe, Georg Wegener, Ernst von Hesse-Wartegg, Richard Deeken und Frieda Zieschank.44 Diese Autorinnen und Autoren sind in der bisherigen Forschung teilweise keine Unbekannten. In der deutschsprachigen Forschung sind vor allem die Texte von Frieda Zieschank45 , Richard Deeken46 , Ernst von Hesse-Wartegg47 und Otto E. Ehlers48 immer wieder Gegenstand von Untersuchungen gewesen; im Falle Zieschanks und Deekens wurden nicht nur ihre Reiseschilderungen, sondern auch ihre Kolonialromane herangezogen.

41

Doch auch in der zeitgen¨ossischen Forschung taucht mancherorts noch eine Bebilderung ohne quellenkritische Kontextualisierung auf. So z. B. bei Loosen (2014a): 59; 63 oder auch bei Schwarz (2013): 80; 87.

42

Vgl. beispielsweise die Arbeiten von Mietzner und Pilarczyk (2005) zur seriell-ikonografischen Fotoanalyse oder auch die Arbeit von Breckner (2010) zur interpretativen Bildanalyse.

43

Die Kriterien f¨ur die Auswahl sowie die Besonderheiten der Quellengattung werden in Kapitel 2 dargelegt.

44

Die genauen Lebens-, Reise- und Ver¨offentlichungsdaten finden sich auf Seite 50.

45

Vgl. u. a. DiPaolo (2004), Schwarz (2013), Wilke (2007), Samulski (2004)

46

Vgl. u. a. DiPaolo (2004), Wilke (2007), Schwarz (2013)

47

Vgl. u. a. Samulski (2004), Schwarz (2013)

48

Vgl. u. a. DiPaolo (2004), D¨urbeck (2004) und (2007), Haberberger (2007), Schwarz (2013)

36 | Theoretischer Hintergrund

In der englischsprachigen Forschung gibt es eine breite Auseinandersetzung mit dem Werk Robert Louis Stevensons.49 Zudem sind die Werke von Autoren wie George Brown50 und William B. Churchward in der ethnografischen Forschung als Quellen bekannt.51 In der bisherigen Forschung wurden die Texte der jeweiligen Autorinnen und Autoren unter spezifischen Gesichtspunkten herangezogen (Rolle der Frau bei Zieschank, Exotismus und Kolonialpropaganda bei Ehlers, o¨ konomische Prognosen bei Deeken etc.), in der vorliegenden Arbeit sollen die Reiseberichte dagegen in ihrer G¨anze explorativ und diskursanalytisch untersucht werden. Zudem ist eine Zusammenstellung aus englischsprachigen und deutschen Texten bislang nicht erfolgt. Die Quellen besitzen insofern besondere Aktualit¨at, da sie alle in den letzten f¨unfzehn Jahren neu aufgelegt wurden:52 so bei Churchward (2015), Hesse-Wartegg (2015), Genthe ¨ (2012), Wegener (2011)53 , Stevenson (2001) in deutscher Ubersetzung, Fraser (2015), Pierce Churchill (2015), Brown (2015), Greene (2015), Ehlers (2008), Myers Shoemaker (2013), Tripp (2013), Barradale (2012), Deeken (2011). Erstaunlicherweise gibt es ausgerechnet von Frieda Zieschanks Tagebuch keine Neuauflage.54

Theoretischer Bezugsrahmen Aus dem oben dargestellten Forschungsstand und den Fragestellungen ergeben sich spezifische theoretische Bez¨uge, die hier dargelegt werden. F¨ur die zeitliche Rahmung bietet sich zun¨achst eine Zeitspanne von knapp 90 Jahren an, in der die samoanische Inselgruppe von europ¨aischen und US-amerikanischen M¨achten entdeckt‘, vereinnahmt, beherrscht und ’ wieder verloren‘ wurde, und so eine bedeutende Rolle in der europ¨aischen Außen- und ’ Kolonialpolitik spielte. Davon ausgehend, dass die ersten Missionen in den 1830er Jahren dort ihre T¨atigkeit aufnahmen, markiert dies den Beginn des Untersuchungszeitraums, der sein Ende findet im Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als die Deutschen zwangsweise ihre Kolonialanspr¨uche aufgaben und Samoa (genauer gesagt: die o¨ stlichen Inseln) unter

49

Vergleiche insbesondere Jolly (2009), die u. a. den Text A Footnote to History“ einer genaueren ” Betrachtung unterzieht und auch dessen Rezeptionsgeschichte in Form eines Pressespiegels aufgreift (vgl. Jolly 2009: 100ff.).

50

Mit dem umfangreichen fotografischen Bestand William Browns besch¨aftigt sich u. a. Virginia-Lee Webb (1995).

51

Vgl. u. a. Williamson (2011)

52

Was der Neuver¨offentlichung zugrunde liegt, kann nur gemutmaßt werden. Die Regelschutzfrist im Urheberrecht (70 Jahre nach dem Tod des Autors oder der Autorin) w¨are in den meisten F¨allen schon fr¨uher abgelaufen.

53

Wegeners Text ist auch bei weiteren Verlagen bis 2015 neu aufgelegt worden.

54

Allerdings kursieren im Internet Angebote f¨ur limitierte Auflagen von Nachdrucken, die jedoch nicht u¨ ber den offiziellen Buchhandel laufen.

Quellenlage und theoretischer Bezugsrahmen | 37

neuseel¨andische Verwaltung gestellt wurde. Innerhalb der vorliegenden Quellen markiert die Reise von George Brown 1860 den Beginn; ausgehend vom Datum der Ver¨offentlichung beginnt die Darstellung bei William B. Churchward (1887). Das Ende des Untersuchungszeitraums liegt in beiden F¨allen bei Frieda Zieschank (1918), die den Beginn des Ersten Weltkrieges auf Samoa erlebte und deren Tagebuch bis 1916 reicht. Die Problematik, dass mit der Wahl Weißer Quellen im Kontext dieser Arbeit erneut eine Fremddarstellung der S¨udseeinseln erfolgt, ist der Autorin bewusst. Daher sei vorab betont, dass mit den herausgearbeiteten Ergebnissen kein wahres‘ Bild u¨ ber Samoa ’ gezeichnet, sondern die Muster der Bedeutungserzeugung von fremden, in diesem Fall also englischen, US-amerikanischen und deutschen Kolonisierenden, aufgezeigt werden k¨onnen. Welche Funktion diese Muster weiterhin haben, wird anschließend zu zeigen sein. Auch wenn der postkolonialen Forderung, indigene Autorinnen und Autoren – im Sinne Spivaks: Subalterne – sprechen zu lassen per se nicht nachgekommen werden kann, da das Nicht-Sprechen-K¨onnen konstituierendes Merkmal der Subalternen ist, so kann doch durch eine sensible Lesart der Weißen Quellen die hegemoniale Diskursstruktur aufgedeckt werden. Weiterhin bedient sich die vorliegende Arbeit einiger postkolonialer Perspektiven, vor allem der des Sprechens f¨ur und der Mimikry. Das postkoloniale Sprechen f¨ur, das auch die Anthropologie und Ethnografie besch¨aftigt, funktioniert u¨ ber eine Beschreibung des Anderen, die diesen repr¨asentiert und damit unsichtbar macht.55 Gayatri Spivak hat die Frage prominent diskutiert, ob die Subalternen f¨ur sich selbst sprechen k¨onnen, oder weiterhin einer Repr¨asentation (speaking for) unterworfen seien (vgl. Castro Varela und Dhawan 2005: 68ff.). Spivak geht von einem doppelten Sinn der Repr¨asentation aus: einerseits im k¨unstlerischen oder philosophischen Sinn als Darstellung‘, ’ und andererseits im politischen Sinne als Vertretung‘, wozu das Sprechen f¨ur geh¨ort (vgl. ’ Spivak 1994: 70). Aus dem kolonialen Kontext liegen Reisebeschreibungen vor, die die Menschen, Br¨auche und Landschaften auf Samoa beschreiben; diese Texte repr¨asentieren Samoa und k¨onnen, oder konnten, f¨ur eigene – europ¨aische – Zwecke nutzbar gemacht werden. Dies geschieht teils auf einer strukturellen Ebene, teils in expliziter Darstellung vermeintlich samoanischer Ansichten, ohne deren Autor oder Autorin beziehungsweise Sprecher oder Sprecherin zu identifizieren (bspw. Deeken: Jeder Samoaner wisse ganz genau . . . ). In beiden F¨allen verschwindet die Stimme des Anderen: Sie wird zun¨achst vom M¨undlichen ins Schriftliche u¨ berf¨uhrt und unterliegt zudem der Deutungshoheit des Schreibenden (vgl. Tyler 1993: 288f.). Dies macht deutlich, dass aus den untersuchten Quellen die Deutungsmuster und Sichtweisen des Repr¨asentanten (der Autorinnen und

55

Die Anthropologie versucht diesem Dilemma mithilfe des dialogischen Schreibens zu entkommen (vgl. Tyler 1993).

38 | Theoretischer Hintergrund

Autoren), nicht aber eine wie auch immer geartete Wahrheit oder gar die Sicht der Repr¨asentierten (der Samoanerinnen und Samoaner) hervorgehen. Es geht also nicht um das So-gewesen-Sein der kolonialen Ordnung“, sondern um den Versuch [. . . ], eine solche ” ” Ordnung herzustellen“ (Axster 2014: 215). Zudem ist das von Homi Bhabha diskutierte Konzept der Mimikry hilfreich, um Repr¨asentationen innerhalb der Reiseberichte zu verstehen. Mimikry wird definiert als ein Begehren des reformierten, erkennbaren Anderen. Sie stellt damit ein koloniales Subjekt ” her, welches wie der Kolonisator selbst ist und doch anders – nicht ganz/nicht weiß‘ (not ’ quite/not white) – wenn auch immer m¨annlich [Herv. i. O.]“ (Castro Varela und Dhawan 2005: 90). Einerseits soll damit koloniale Herrschaft gesichert werden, da nur der Kolonisator in der Lage sei, den letzten feinen Unterschied zwischen einem (in Bhabhas Fall) wahren Engl¨ander und seinem Nachahmer zu erkennen.56 Andererseits werde koloniale Herrschaft gerade dadurch br¨uchig, dass die Nachahmung nie perfekt und somit keine l¨uckenlose Kontrolle mehr m¨oglich sei (vgl. Castro Varela und Dhawan 2005: 90f.). Somit gilt: The ambivalence of colonial authority repeatedly turns from mimicry – a difference ” that is almost nothing but not quite – to menace – a difference that is almost total but not quite [Herv. i. O.]“ (Bhabha 2004: 131). Insofern nimmt die koloniale Mimikry immer auch die empfundene Fremdheit mit ihren faszinierenden und bedrohlichen Anteilen in den Blick. Wenn im Folgenden von Fremde oder Fremdheit die Rede ist, so gehe ich davon aus, dass nichts per se fremd ist, sondern es sich immer um den Ausdruck eines wechselseitigen Verh¨altnisses handelt. Das Fremde wird erst in Abgrenzung zum Eigenen fremd – und umgekehrt. Wie stark das Empfinden von Fremdheit f¨ur das jeweilige Subjekt ist, h¨angt von den pers¨onlichen Eigenschaften, Ordnungs- und Deutungsmustern der oder des Einzelnen ab. Das zum Ausdruck gebrachte Fremdheitsempfinden und die geschilderte Fremde h¨angen zudem von diskursiv konstituierten Faktoren ab.57 Um eine Alternative zur eurozentristischen Wahrnehmung zu geben, die sich in Begriffen wie Zivilisation‘, Entwicklung‘, Entdeckung‘ (siehe dazu Kapitel 2.3) nieder’ ’ ’ schl¨agt, gehe ich mit Shalini Randeria von einer Verflechtung der Geschichte(n) – sowohl von innereurop¨aischer als auch von der zwischen Metropole und Peripherie –, im Sinne von entangled histories aus, ohne den Austauschbeziehungen Gleichberechtigung oder ¨ Aquivalenz zu unterstellen (vgl. Conrad und Randeria 2002a: 17f.). Die wechselseitige

56

Bhabha entwickelt dieses Konzept in Bezug auf die britische Kolonialherrschaft in Indien (vgl. Bhabha 2004).

57

Ich gehe zudem davon aus, dass zwischen pers¨onlichem Empfinden und niedergeschriebenem Text Differenzen bestehen, da Sprache ein unvollst¨andiges System ist.

Quellenlage und theoretischer Bezugsrahmen | 39

Austauschbeziehung war an vielen Stellen hierarchisch und ungleichberechtigt strukturiert, in jedem Falle aber gab es sie. Weiterhin erf¨ullt die vorliegende Arbeit eine wesentliche Forderung der Critical Whiteness Studies: die Sichtbarmachung kolonialer Kontinuit¨aten mit Bezug auf hegemoniale Weiße Herrschaft. Somit setzt sie sich mit der Logik Weißer Herrschaft kritisch auseinander, die die Zeit des deutschen Kolonialismus mitsamt seinen Diskursen, in denen ” Vorstellungen von Weißsein und Schwarzsein explizit artikuliert wurden, nicht nur zu u¨ berspringen, sondern – damit einhergehend – gleichzeitig kolonialrassistische Begrifflichkeiten unver¨andert zu tradieren [versuche]“ (Priester zit. n. Wollrad 2005: 50). In Sachen Geschlecht gehe ich davon aus, dass Geschlechter in den Herkunftsgesellschaften gemacht‘ wurden, sich die Autorinnen und Autoren jeweils als Mann oder ’ Frau definierten und die jeweiligen Geschlechtszuschreibungen annahmen. Zudem gehe ich davon aus, dass schreibende M¨anner und Frauen jeweils eine andere Wahrnehmung oder Sicht auf die Dinge vor Ort hatten, nicht, weil sie einen typisch m¨annlichen‘ oder ’ typisch weiblichen‘ Blick h¨atten, sondern weil sie durch ihre geschlechtliche Verortung ’ spezifischen Zugang zu gesellschaftlichen Bereichen hatten, die sie beschreiben konnten. Elke Kleinau und Wolfgang Gippert arbeiten in ihrer Studie explizit heraus, dass der weiblich-europ¨aische Blick‘“ h¨aufig rassisierende Merkmale beinhalte, durch ei” ’ ” ne Begriffswahl, die ein Vorhandensein verschiedener menschlicher Rassen‘ und ihrer ’ Vermischung‘ impliziert; durch infantilisierende Darstellungen von Menschen anderer ’ Kulturen, die hierarchisierend sind und kulturelle Asymmetrien schaffen; durch Situationsbeschreibungen, die Assoziationen zum Tierreich hervorrufen oder die Menschen stark in die N¨ahe der Pflanzenwelt r¨ucken“ (Gippert und Kleinau 2014: 219). Grunds¨atzlich sind diese Beschreibungsmuster auch in den in dieser Arbeit untersuchten Quellen zu finden, ob sie in jedem Fall rassisch‘ begr¨undet sind, wird zu u¨ berpr¨ufen sein.58 ’ Anette Dietrich attestiert den Darstellungen Samoas innerhalb des kolonialen Diskurses einen besonderen Stellenwert, da diese von den Stereotypen des Edlen Wilden59 und des Mythos’ S¨udsee“ gepr¨agt seien (vgl. Dietrich 2009: 177). Vor allem die Sch¨onheit der ” Polynesierinnen sei ein Motiv des Diskurses: Sie wurden dabei erotisiert und sexualisiert, ” Bilder nackter samoanischer Frauen waren Ende des 19. Jahrhunderts im Deutschen Reich sehr begehrt“ (Dietrich 2009: 177). Es wird zu u¨ berpr¨ufen sein, ob sich der Diskurs u¨ ber Samoa tats¨achlich so stereotyp abzeichnet, oder ob die Forschung hier selbst einem

Weiterhin gehen Kleinau und Gippert davon aus, dass die Entwicklung der Naturv¨olker‘ zum ’ Kulturvolk‘ u¨ ber die Internalisierung deutscher Tugenden (P¨unktlichkeit, Ordnung, Sauberkeit, ’ Sittlichkeit, Fleiß, Pflichterf¨ullung und Loyalit¨at gegen¨uber den Kolonisierenden) erfolgen sollte. F¨ur Samoa stellt sich die Frage, welchen Einfluss die Germanisierung‘ tats¨achlich hatte. ’ 59 Vgl. zur Darstellung und Entwicklung des Stereotyps vom Edlen Wilden Hall (2008): 46-58.

58

40 | Theoretischer Hintergrund

Mythos aufsitzt. Neben der Betrachtung der verwendeten Stereotype erweist sich f¨ur einige Passagen innerhalb der Quellen der soziologische Ansatz von Erving Goffman (2009/1983) als fruchtbar. In seiner Studie Wir alle spielen Theater“ (The Presentation of Self in ” Everyday Life) entwickelt Goffman das Modell der Vorder- und Hinterb¨uhne f¨ur allt¨agliche soziale Interaktionen. Diese seien bestimmten Regeln unterworfen; so handhabe jede und jeder die eigene Rolle mit einem standardisierten Ausdrucksrepertoire“ (Goffman ” 2009/1983: 23). Das Ensemble bestehe aus all denjenigen Personen, die zum jeweiligen Rollenaufbau beitragen und damit voneinander abh¨angig und aufeinander angewiesen seien (vgl. Goffman 2009/1983: 75ff.). Die eigentliche Performance, die das Publikum von einer Rolle u¨ berzeugen solle, finde nun auf der Vorderb¨uhne statt. Von dieser sei sorgsam die Hinterb¨uhne abzugrenzen, da dieser Ort den durch die Darstellung hervorgerufenen Eindruck bewusst und selbstverst¨andlich widerlege (vgl. Goffman 2009/1983: 104). Gerade die Begegnungen zwischen Kolonialreisenden und einheimischer Bev¨olkerung lassen sich mithilfe dieser Methaphorik deuten. Auch wenn in etlichen Schilderungen das Konzept b¨urgerlicher Heteronormativit¨at geschlechtlicher Beziehungen lesbar ist, bedenke ich mit Robert Aldrich, dass homose” xuals – and homosexuality – played a far more significant and diverse role in colonialism than many would allow“ (Aldrich 2003: 6). Damit kommt auch die Homoerotik in einigen Quellen m¨annlicher Autoren in den Blick.60 Wie dargestellt, gehe ich in meiner Darlegung davon aus, dass es zwei Geschlechter (Mann/Frau) gibt, denen sich die Autorinnen und Autoren sowohl zugeh¨orig f¨uhlen, als auch ihnen begegnende Menschen zuordnen. Insofern verwende ich weder den Gender-Gap noch das Gender-Sternchen, sondern mache beide Geschlechter sichtbar, indem ich sie als Autorinnen und Autoren“ sowie Samoanerinnen und Samoaner“ ausschreibe. Dies ” ” f¨uhrt an einigen Stellen zu ungewollten Vereinheitlichungen, in denen aber jedes Schreiben verhaftet bleibt. Gleichermaßen forme ich vermeintlich homogene Gruppen, indem ich etwa von der einheimischen Bev¨olkerung“, Deutschen“, US-Amerikanerinnen und ” ” ” US-Amerikanern“ spreche, dessen bin ich mir bewusst.61 Zudem unterscheide ich lediglich zwischen den Nationalit¨aten deutsch, englisch und US-amerikanisch, ohne auf eine genaue-

60

Die Homosexualit¨at von Frauen mag es auch gegeben haben – Gippert und Kleinau arbeiten das in ihrer Studie am Beispiel Clara Brockmanns heraus (vgl. Gippert und Kleinau 2014: 240f.) –, allerdings war das koloniale Projekt eher m¨annlich besetzt, bot sich also f¨ur m¨annliche Homosexualit¨at mehr an als f¨ur weibliche. Zudem gab es in den Kolonien mehr M¨anner als Frauen, was das Vorkommen und Ausleben m¨annlicher Homosexualit¨at wesentlich wahrscheinlicher macht. Auf dieses Forschungsdesiderat lesbischer Beziehungen weist auch Aldrich hin (vgl. Aldrich 2003: 8).

61

Vgl. diese Problematik auch bei Zimmerer (2013): 16.

Quellenlage und theoretischer Bezugsrahmen | 41

re Differenzierung zwischen etwa englisch und schottisch (wie es f¨ur Stevenson eigentlich angemessen w¨are) einzugehen. Dabei lege ich Wert auf die Schreibweise US-amerikanisch, um nicht die Gleichsetzung des kontinentalen (Nord- und S¨ud-)Amerika mit den USA zu tradieren. Schließlich spreche ich von samoanischen Menschen einerseits und Weißen Menschen andererseits. In der Gruppe der Weißen subsumieren sich Angeh¨orige der USA62 sowie europ¨aischer Nationen, die auch mit dem Begriff westlich“ (an einigen Stellen ” auch nur europ¨aisch“) gefasst werden. Dabei geht es also weniger um eine geografische ” Verortung, als vielmehr um das dahinterstehende normative Konzept und die komplexe Idee des Westens und des Rests als Repr¨asentationssysteme (vgl. Hall 1992). Um den Begriff der Kultur zumindest anzureißen, ohne das weite kulturwissenschaftliche Diskursfeld aufgreifen zu k¨onnen, sei mit Birthe Kundrus kurz definiert, dass Kultur in dieser Arbeit als System von Selbst- und Fremddeutungen gedacht wird (vgl. Kundrus 2008: 131) und damit in systemtheoretischer Perspektive nach Luhmann ein Sinnsystem und einen Themenvorrat f¨ur Kommunikationszwecke darstellt (vgl. Burkart 2004: 11ff.).63 Abschließend sei erw¨ahnt, dass der explorative Quellenzugang an einigen Stellen zu Ergebnissen f¨uhrt, zu denen es (noch) keine Sekund¨arliteratur gibt oder die auf andere Disziplinen verweisen. Deutlich wird, dass besonders der Teil, der sich mit dem Mythos S¨udsee auseinandersetzt (Kapitel 4), breit beforscht wurde.64 Kapitel 5 geht f¨ur den samoanischen Kontext spezifisch auf das ein, was Livia Loosen als Alltag in den Kolonien untersucht hat. Der dritte Teil (Kapitel 6) vermag dagegen wieder an Forschungen zum Schulwesen, Missionswesen und zu Konzepten von Nationalit¨at anzuschließen.

Vereinzelt gab es auch Schwarze US-Amerikaner auf Samoa. Diese galten dann als besondere Spielart‘ der Weißen Rasse, vgl. die entsprechenden Schilderungen bei Genthe auf Seite 161. ’ 63 Kultur‘ ist kein Grundbegriff innerhalb Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Das Verst¨andnis ’ von Kultur als Sinnsystem mit bin¨aren Unterscheidungscodes erscheint f¨ur das hiesige Vorhaben jedoch fruchtbar, denn [b]ereits verf¨ugbare Differenzen sind Voraussetzung daf¨ur, daß etwas ” u¨ berhaupt als Information auftreten kann und Direktionswert f¨ur Anschlußselektionen gewinnt“ (Luhmann 2004: 248). In Bezug auf die untersuchten Quellen ist das bspw. die Differenzierung zwischen Eigenem und Fremden.

62

64

Dies l¨asst kritische R¨uckschl¨usse darauf zu, dass Forschende sich m¨oglicherweise als Subjekte selbst ihrer eigenen inneren Bilder bedienen und daher mit ihren Forschungsinteressen an Bekanntes ankn¨upfen.

¨ 2 Methodische Uberlegungen Die Behauptung, es gebe f¨ur Diskursanalysen, ob histo” rischer oder anderer Art, nicht die eine und umfassend g¨ultige Methode, ist ohne Zweifel zutreffend.“ ACHIM L ANDWEHR 2009: 100

Die im Zentrum der Arbeit stehende historische Diskursanalyse fußt nicht zuletzt auf der postkolonialen Annahme, dass koloniale Wissens- und Wahrheitsproduktionen nie ” allein außerhalb der imperialen Metropolen stattfanden. Vielmehr handelt es sich um eine kontinuierliche Wechselwirkung: Imaginationen u¨ ber Dienende und Bediente schrieben sich in die Kulturen der Kolonisierten ein, reisten in die Kolonialmetropolen, wurden dort rezipiert, modifiziert und fanden ihren Weg zur¨uck.“ (Hall zit. n. Wollrad 2005: 44) Gleiches leisteten die Reiseberichte aus der S¨udsee. Die Reisenden traten ihren Weg mit Imaginationen an, setzten sich mit ihnen vor Ort auseinander, beschrieben ihre Erfahrungen, die einen Diskurs formten, der sich wiederum in den Kulturen der Heimatl¨ander verfestigte.

2.1 D IE

HISTORISCHE

D ISKURSANALYSE

Dem zeitgen¨ossischen Sprechen und Schreiben u¨ ber das Ph¨anomen1 Samoa im kolonialen Kontext wird eine strukturierte und strukturierende Aussagefunktion unterstellt, das Feld also als Diskurs begriffen. Um innerhalb dieses Diskurses die Praktiken, Regeln und Funktionen der Bedeutungsherstellung zu erforschen, bedarf es zun¨achst einer Ann¨aherung an den Begriff des Diskurses sowie der Diskursanalyse. Der Diskursbegriff ist prominent mit Michel Foucault verbunden, der seine Bedeutung in der zweiten H¨alfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich pr¨agte. Trotz aussichtsreicher

1

Diskurse benennen innerhalb ihrer referenziellen Bez¨uge unterschiedliche Elemente und verbinden diese zu einer Ph¨anomenstruktur und -konstellation (vgl. Keller 2004: 99). In diesem Sinne sei der Begriff Ph¨anomen hier zu verstehen.

¨ 44 | Methodische Uberlegungen

Impulse f¨ur eine solche Analyse geben Foucaults Ausf¨uhrungen wenig konkrete methodologische Hinweise. Auch scheint sein Konzept ohne Hinzuziehung weiterer methodischer ¨ Uberlegungen zun¨achst widerspr¨uchlich f¨ur den hiesigen Kontext, da die Begriffe Diskurs und Diskursanalyse in Foucaults Werk nicht eindeutig definiert sind. Vielmehr sind es schillernde Gebilde, an deren theoretischer Fundierung Foucault u¨ ber die Jahre hinweg arbeitete und feilte. Vor allem seit seiner Antrittsvorlesung Die Ordnung des Diskurses“ ” am Coll`ege du France 1970 bekam der Diskurs eine neue Bestimmung (vgl. Koller und L¨uders 2004: 63). Macht und Begehren tauchten nun als konstituierende Faktoren auf. Der Ausgangsthese Foucaults zufolge, dass n¨amlich in jeder Gesellschaft die Produktion des ” Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert [werde] – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kr¨afte und die Gefahren des Diskurses zu b¨andigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialit¨at zu umgehen“ (Foucault 2012/1970: 10f.), lassen sich Diskurse nur durch die Aufdeckung dieser Prozeduren analysieren. Foucault konstatiert: Es herrscht zweifellos in ” unserer Gesellschaft [. . . ] eine tiefe Logophobie, eine stumme Angst vor jenen Ereignissen, vor jener Masse von gesagten Dingen, vor dem Auftauchen all jener Aussagen, [. . . ] vor jenem großen unaufh¨orlichen und ordnungslosen Rauschen des Diskurses.“ (Foucault 2012/1970: 33) Um diese Angst mit ihren Voraussetzungen und Folgen zu analysieren, m¨usse man, so Foucault, drei Entscheidungen treffen: [M]an muß unseren Willen zur Wahrheit in Frage ” stellen; man muß dem Diskurs seinen Ereignischarakter zur¨uckgeben; endlich muß man die Souver¨anit¨at des Signifikanten aufheben.“ (Foucault 2012/1970: 33) Hierin zeigen sich in komprimierter Form die beiden wesentlichen Problematiken f¨ur die Anwendung seiner Diskursanalyse: die Aufhebung der Souver¨anit¨at des Signifikanten, also des Autors2 , und die Verabschiedung von der Wahrheitssuche, im Prinzip also der hermeneutischen Auslegung. Foucault erkennt zwar die Existenz von Subjekten in ihrer Autorenfunktion an, betrachtet sie aber als f¨ur eine Analyse des Diskurses nachgeordnet bzw. ihre Verabschiedung f¨ur notwendig. Als Analysekriterien f¨uhrt Foucault vier Begriffe ein: Ereignis, Serie, Regelhaftigkeit und M¨oglichkeitsbedingung, die er, statt ihrer Komplement¨arbegriffe: Sch¨opfung, Einheit, Urspr¨unglichkeit und Bedeutung, f¨ur die Analyse verwenden m¨ochte. Letztere seien Begriffe der von ihm kritisierten Ideengeschichte, in der man u¨ bereinstimmend den Augenblick ” der Sch¨opfung, die Einheit eines Werks, einer Epoche oder eines Gedankens, das Siegel

2

Autor im Sinne Foucaults, daher nur in der m¨annlichen Form.

Die historische Diskursanalyse | 45

einer individuellen Originalit¨at und den unendlichen Schatz verborgener Bedeutungen suchte“ (Foucault 2012/1970: 35).3 Die Erziehungswissenschaftler Hans-Christoph Koller und Jenny L¨uders formulieren dazu: Eng mit den methodischen Grund¨atzen verkn¨upft ist zuletzt das, was man vielleicht den methodo” logischen Rahmen [Herv. i. O.] der Foucaultschen Diskursanalyse nennen k¨onnte. Es geht dabei vor allem um eine Abgrenzung [Herv. G. F.] zu den Methoden der (hermeneutischen) Exegese und der (strukturalistischen) linguistischen Formalisierung.“ (Koller und L¨uders 2004: 68)

Es gehe also nicht um den spezifischen Sinn oder den Signifikanten, sondern um den Diskurs mit seinen spezifischen L¨ucken und Diskontinuit¨aten“ (Koller und L¨uders 2004: ” 69). Ein alleiniger Bezug auf Foucaults Diskursverst¨andnis scheint daher f¨ur das hiesige Vorhaben zu begrenzt. Einen Kompromiss vermag die wissenssoziologische Diskursanalyse des Soziologen Reiner Keller darzustellen, der eine Br¨ucke schl¨agt zwischen den Ans¨atzen Foucaults und den wissenssoziologischen Arbeiten von Thomas Berger und Luckmann (1987) (vgl. Keller 2004: 56). Keller zufolge gehe es in einer Diskursanalyse darum, Pro” zesse der sozialen Konstruktion, Objektivation, Kommunikation und Legitimation von Sinn-, d.h. Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. sozialen (kollektiven) Akteuren zu rekonstruieren und die gesellschaftlichen Wirkungen dieser Prozesse zu analysieren“ (Keller 2004: 59). Foucaults Kritik an der Hermeneutik setzt Keller explizit entgegen: Diskursanalyse ist ” immer und notwendig ein Prozess hermeneutischer Textauslegung.“ (Keller 2004: 76) Auch die Positionen von Subjekten nimmt Keller innerhalb seiner Diskursanalyse wieder in den Blick. Es gehe nicht um die Rekonstruktion subjektiver Sinnzuschreibungen oder Wissens” vorr¨ate“, genauso wenig wie um subjektive‘ Fallstrukturen des biographischen Erz¨ahlens“ ”’ (Keller 2004: 78), worin sich das Vorgehen explizit etwa von der Biografieforschung abgrenzt, dennoch benennt Keller als wesentliches Ziel der Diskursforschung gerade die ”

3

Eine Fragestellung im Sinne Foucaults k¨onnte bspw. die Untersuchung der Genealogie des Mythos’ S¨udsee und dessen Funktion als Diskursserie“ sein (Foucault 2012/1970: 43). Hier ” bek¨ame man den Mythos in seiner Funktion und Verschiebung innerhalb der verschiedenen Disziplinen in den Blick: Religion, fr¨uhe Entdeckerschriften‘, Ethnografie, koloniale Schriften, ’ Literaturwissenschaften, Postcolonial Studies, Tourismusforschung etc. In dem Zusammenhang w¨are auch die Untersuchung der Bedeutung des Autors aufschlussreich; w¨ahrend fr¨uhe Sagen und religi¨ose Erz¨ahlungen ohne Autor auskommen, sind es gerade Autoren wie James Cook, Louis Antoine de Bougainville oder Otto E. Ehlers, die das Bild der S¨udsee im 18. und 19. Jahrhundert pr¨agen, wohingegen moderne touristische Beschreibungen wieder ohne Autor auskommen.

¨ 46 | Methodische Uberlegungen

Beantwortung der Frage, welches Wissen, welche Gegenst¨ande, Zusammenh¨ange, Eigenschaften, Subjektpositionen usw. durch Diskurse als wirklich‘ behauptet werden, mit ’ welchen Mitteln – etwa Deutungsschemata, story lines, moralische und a¨ sthetische Wertungen – dies geschieht, und welche unterschiedlichen Formationsregeln und -ressourcen diesen Prozessen zugrunde liegen“ (Keller 2004: 72). Mit der Voraussetzung von Hermeneutik als Auslegungsmethode und der Untersuchung von Subjektpositionen vermeidet Keller jene Problemstellen, die bei einer reinen Bezugnahme auf Foucault zu Grauzonen oder inneren Widerspr¨uchen der Argumentation f¨uhren k¨onnten. Innerhalb seiner Grundbegriffe definiert Keller den Diskurs als eine ” nach unterschiedlichen Kriterien abgrenzbare Aussagepraxis bzw. Gesamtheit von Aussageereignissen, die im Hinblick auf institutionell stabilisierte gemeinsame Strukturmuster, Praktiken, Regeln und Ressourcen der Bedeutungserzeugung untersucht werden“ (Keller 2004: 64). Da in der vorliegenden Studie ein historischer Kontext untersucht wird, scheint die historische Diskursanalyse des Historikers Achim Landwehr zielf¨uhrend.4 Landwehrs Leistung liegt nicht darin, den bisherigen Ausf¨uhrungen zur Diskursanalyse wesentlich Neues hinzuzuf¨ugen, sondern die Diskursanalyse f¨ur historische Fragestellungen nutzbar zu machen und dazu konkrete Vorgehensschritte vorzuschlagen. Er nimmt ebenfalls einen breiten Diskursbegriff als Ausgangspunkt: Als Diskurse werden [. . . ] geregelte und untrennbar mit Machtformen verkn¨upfte Ordnungsmuster ” verstanden, in denen diese Konstruktionsarbeit organisiert wird. [. . . ] Diskurse wirken dabei sowohl produktiv als auch restriktiv, sie sind strukturiert und bringen ihrerseits Strukturen hervor. [. . . ] Die historische Perspektive gewinnt hierbei besondere Relevanz, weil Diskurse keine andere Basis haben als ihre eigene Historizit¨at.“ (Landwehr 2009: 98f.)

Hier zeigt sich ebenfalls, dass es in der Analyse nicht darum geht, die tats¨achlichen‘ ’ Ereignisse5 und Begebenheiten auf Samoa zu rekonstruieren, oder, wie Keller sagen w¨urde: einem vorliegenden Aussageereignis genau eine wahre‘, absolute‘ bzw. objektive‘ Be” ’ ’ ’ deutung zuzurechnen“ (Keller 2004: 76), sondern dass vielmehr die Rekonstruktion der Ordnungs- und Strukturmuster des Diskursfeldes Samoa aus Sicht von europ¨aischen und US-amerikanischen zeitgen¨ossischen Autorinnen und Autoren im Vordergrund stehen. Die

Zu den Anforderungen an eine historische Diskursanalyse vgl. auch den Eintrag im Lexikon Kritische Diskursanalyse“ von J¨ager und Zimmermann (2010): 64f. ” 5 Im Sinne des Konstruktivismus wird davon ausgegangen, dass es keine objektiv erfassbare Wirklichkeit gibt, die hinter den Texten liegt, sondern dass prim¨ar die Konstruktionsarbeit des Subjekts und seine Deutungsmuster dargestellt und aus den Texten ablesbar sind.

4

Die historische Diskursanalyse | 47

Diskursanalyse kann also die Fragen beantworten: Wer darf legitimer Weise wo sprechen? ” Was darf/kann wie gesagt werden? [Herv. i. O.]“ (Keller 2004: 67) Die Perspektive ist gleichsam eine r¨uckw¨arts gerichtete; sie verwendet den Diskurs als Spiegel, um die Schreibenden und deren Subjektposition in den Blick zu nehmen. Der Diskurs ist nicht einfach die Summe all dessen, was zu einem Thema gesagt werden kann, sondern enth¨alt notwendigerweise restriktive und ausschließende Mechanismen, die festlegen, was u¨ berhaupt zu einer bestimmten Epoche (Zeit) von wem (Autor/Autorin) zu einem Gegenstandsbereich gesagt werden kann und darf – und was nicht. Somit kann eine Diskursanalyse nicht das vollst¨andige wahre‘ Bild dieses Gegenstandsbereiches nach’ zeichnen, sondern nimmt per se die Funktionsweise des Diskurses mit seinen Prinzipien in den Blick. Anhand der getroffenen Aussagen l¨asst sich also keine Wahrheit‘ in Bezug auf ’ den Gegenstand, wohl aber die Regelhaftigkeit f¨ur das Treffen von Aussagen betrachten. Es wird klar, wer sprechen darf, was gesagt werden darf und gleichzeitig auch, was nicht gesagt werden darf bzw. nicht geh¨ort wird. Um diese Ordnungsmuster in den Blick zu nehmen, bedarf es eines Quellenkorpus, anhand dessen die Ordnungs- und Strukturmuster sichtbar gemacht werden k¨onnen. Die Korpusbildung erfolgt methodisch von einem imagin¨aren hin zu einem virtuellen Korpus (vgl. Landwehr 2009: 101ff.). Im imagin¨aren Korpus, welches nie in G¨anze rekonstruierbar ist und die Gesamtheit der Aussagen zu einem Diskurs beinhaltet, k¨onnen Texte, audiovisuelle Medien, Artefakte oder soziale Praktiken zusammengef¨uhrt werden. Zentral ist die Wiederholung und die Gleichf¨ormigkeit von immer wieder a¨ hnlich Gesagtem oder ” Geschriebenem“ (Landwehr 2009: 102). Daraus k¨onnen Wissensordnungen und Wirklichkeitskonstruktionen rekonstruiert werden. Da meist aber nur ein Teil dieses Korpus erhalten oder recherchierbar ist, wird dieses von Landwehr als virtuelles Korpus bezeichnet. Aus diesem wiederum erfolgt die Auswahl eines konkreten Korpus. Die Zusammenstellung des Quellenkorpus erfolgt unter Ber¨ucksichtigung dreier Kriterien: Die Texte m¨ussen (1) sich mit dem Forschungsgegenstand befassen, untereinander semantische Beziehungen aufweisen und eine gemeinsame Aussagenstruktur besitzen, (2) den Eingrenzungen und Parametern des Forschungsraumes gen¨ugen und (3) einen intertextuellen Zusammenhang bilden (vgl. Busse/Teubert zit. n. Keller 2004: 24f.). Diesen Kriterien folgend, l¨asst sich das Textkorpus zum Diskurs u¨ ber Samoa als exemplarische S¨udseeinsel zusammenstellen. Aus den ausgew¨ahlten Quellen werden im weiteren Vorgehen Diskurslinien, oder auch Diskursstr¨ange, herausgearbeitet. Als solche werden Diskursfragmente gleichen ” Themas“ verstanden, aus denen sich der gesamte Diskurs zusammensetzt (vgl. J¨ager und Zimmermann 2010: 45f.). Bei der diskurstheoretischen Herangehensweise werden die bisherigen Forschungsergebnisse zwar ber¨ucksichtigt, aber nicht deduktiv angewendet. Stattdessen geht diese Arbeit zun¨achst explorativ-induktiv vor, leitet die Diskurslinien also

¨ 48 | Methodische Uberlegungen

aus den Quellen ab.6 Die Verflechtungen der Diskursstr¨ange, im Grunde also das Muster des Diskurses, werden in Teil 7 zusammengef¨uhrt. Das Diskursmuster geht von einer a¨ hnlichen Funktionsweise wie die Diskursverschr¨ankung aus (vgl. J¨ager und Zimmermann 2010: 47).

2.2 DAS Q UELLENSAMPLE UND DIE T EXTGATTUNG R EISELITERATUR Grunds¨atzlich kann mit der historischen Diskursanalyse ein sehr heterogenes Spektrum an Quellen herangezogen werden. Obgleich eine entsprechende Breite an Quellen auch f¨ur Samoa vorliegt, bezieht sich die vorliegende Arbeit auf die Gattung, die am aussichtsreichsten f¨ur die Beantwortung der Fragestellung erscheint: Reiseliteratur. Soweit diese in Form von Reiseberichten oder Zeitungsartikeln ver¨offentlicht wurde, trug sie zur Konstituierung des o¨ ffentlichen Diskurses u¨ ber Samoa bei, kann also diskurstheoretische Fragen nach den Machtpositionen und sprechenden Subjekten beantworten. Die Forschung zur Reiseliteratur ist mittlerweile etwas a¨ lteren Datums,7 geht aber nach wie vor von brauchbaren Annahmen aus, so bei Peter J. Brenner8 : [Die] gesellschaftlichen und historischen Voraussetzungen der Wahrnehmung und ihrer Beschreibung ” implizieren f¨ur die Reiseliteraturforschung die Forderung nach einer Untersuchung der Kulturmuster, der Wahrnehmungsmuster und der mentalit¨atsgeschichtlich bedingten Dispositionen, die in die Wahrnehmung und Beschreibung von erfahrener fremder Wirklichkeit eingehen.“ (Brenner 1990: 29)

Inhalt und Form eines Reiseberichts seien demnach als Ausdruck einer kultur- und zeits” pezifischen Mentalit¨at“ zu verstehen und erlaubten umgekehrt die Rekonstruktion solcher ” Mentalit¨aten“ (Brenner 1990: 29f.). Auch wenn die Analyse nicht auf eine kultur- oder mentalit¨atsgeschichtliche Betrachtung abzielt, bliebt festzuhalten, dass die den Reiseberichten immanenten (Wahrnehmungs-)Muster auch in der diskursanalytischen Herangehensweise

6

Der wesentliche Unterschied zu den Arbeiten von D¨urbeck besteht darin, dass sie sich als Literaturwissenschaftlerin auf Erkenntnisse der Steoreotypenforschung und komparatistischen Imagologie bezieht, w¨ahrend die Diskurslinien und Darstellungsstrategien der vorliegenden Arbeit aus der historischen Diskursanalyse hergeleitet werden. Mitunter kommen beide Verfahren zu a¨ hnlichen Ergebnissen.

7

Vgl. u. a. Link (1963), Wuthenow (1980), Fussel (1982), Brenner (1990).

8

Obgleich Brenner ein umfassendes Werk u¨ ber die Reiseliteratur vom Sp¨atmittelalter bis ins 20. Jahrhundert vorgelegt hat, spart sein Forschungs¨uberblick die Reisen im kolonialen Kontext sowie die dabei entstandenen Reiseberichte vollst¨andig aus.

Das Quellensample und die Textgattung Reiseliteratur | 49

von Bedeutung sind. Weiterhin ist eine Annahme des US-amerikanischen Literatur- und Kulturwissenschaftlers Paul Fussel9 hilfreich: A travel book, at its purest, is addressed to ” those who do not plan to follow the traveler at all,10 but who require the exotic or comic anomalies, wonders, and scandals of the literary form romance which their own place or time cannot entirely supply [Herv. i. O.].“ (Fussel 1982: 203) Fussel spricht damit die Rolle des Adressaten an. Obwohl die Reiseberichte an ein spezifisches Lesepublikum gerichtet und auf dessen Erwartungen hin angelegt sind, hat der Leser oder die Leserin keine Absicht, die (gelesene) Reise in irgendeiner Form nachzuahmen. ¨ Selbst die kolonial-motivierten Außerungen, die Weiße von der Auswanderung u¨ berzeugen wollten, tun dies zwar mit Appellcharakter, belassen die restliche Reiseerfahrung aber als individuell und einzigartig, als unnachahmbar‘. Travel books are a sub-species of memoir ’ ” in which the autobiographical narrative arises from the speaker’s encounter with distant or unfamiliar data, and in which the narrative – unlike that in a novel or romance – claims literal validity by constant reference to actuality.“ (Fussel 1982: 203) Im Gegensatz zum Roman beansprucht der Reisebericht aufgrund seiner aktuellen Bez¨uge Validit¨at. Den Lesenden werden die exotic or comic anomalies, wonders, and ” scandals“ der S¨udsee vorgestellt und durch den zeitgen¨ossischen politischen und sozialen Bezug authentifiziert. Damit steht Reiseliteratur komplement¨ar zu Selbsterfahrungen und -darstellungen und geh¨ort in die N¨ahe des autobiografischen Schrifttums (vgl. Wuthenow 1980: 123). Auch wenn die Reiseschilderungen einen Tatsachencharakter mit diversen Authentifizierungsstrategien besitzen, sagt das nur begrenzt etwas u¨ ber den Wahrheitsgehalt aus. Menschen konstruieren ihre Wirklichkeit, die im Wesentlichen soziokulturell gepr¨agt ist. Insofern k¨onnen innerhalb der Reiseberichte nur die Dinge beobachtet werden, die innerhalb der Codes‘ zur Welterkennung angelegt sind, und diese lassen R¨uckschl¨usse auf ’ die Wahrnehmung der Autorinnen und Autoren sowie diskursive Strukturen zu. Deshalb ” ist ihre Wirklichkeit, wie die von Erinnerungen, zugleich objektiv und subjektiv. Sie ist weder fiktiv noch allegorisch, sondern die reflektierte Vergegenw¨artigung von Erfahrung, die auf die weitere Weltauffassung ver¨andernd einwirken kann.“ (Wuthenow 1980: 124) Im weiteren Verlauf wird nicht gesondert zwischen Reiseliteratur, Reiseschilderung oder Reisebericht unterschieden.11 Voraussetzung f¨ur die Gattungszuordnung ist in diesem Kontext, dass die Autorinnen und Autoren im definierten Zeitraum (1830-1914)

9

Er setzt sich mit britischer Reiseliteratur zwischen den Weltkriegen auseinander, deren Merkmale aber auch auf die fr¨uheren Reiseschriften zutreffen.

10 Im Gegensatz dazu stehen Reisef¨uhrer, die sich an diejenigen richten, who plan to follow the ” traveler, doing what he has done, but more selectively“ (Fussel 1982: 203). 11

Die Literaturwissenschaften verm¨ogen an dieser Stelle feiner zu differenzieren, dies h¨atte aber f¨ur die vorliegende Arbeit keinen nennenswerten Mehrwert.

¨ 50 | Methodische Uberlegungen

pers¨onlich eine Reise oder einen l¨angeren Aufenthalt auf Samoa angetreten und anschließend schriftlich dar¨uber berichtet haben. Ein weiteres Kriterium ist, dass die Schreibenden dies mit autobiografischen Bez¨ugen, nicht in fiktionalen Texten wie etwa Romanen, verfassten. Wichtig ist die pers¨onliche Erfahrung und eigene Anschauung der Schreibenden, unabh¨angig davon, ob sie diese in Form von Tageb¨uchern (Zieschank), Autobiografien (Brown) oder klassischen‘ Reiseschilderungen (u. a. Ehlers) verarbeiteten. Zu welchem ’ Zeitpunkt die Ver¨offentlichung erfolgte, ob zeitnah in Form von Artikeln, erst sp¨ater als Monografie oder auch erst als R¨uckschau in einer Autobiografie, ist ein nachgeordnetes Kriterium f¨ur die Auswahl der Texte gewesen. Ausgew¨ahlt wurden f¨unfzehn Quellen, die nach den genannten Kriterien als zeitgen¨ossische Reiseberichte ver¨offentlicht wurden. Dabei handelt es sich in allen F¨allen um Monografien, unabh¨angig davon, ob Teile des Textes (auch) als Zeitungs- oder Zeitschriftenartikel ver¨offentlicht wurden. Da am Diskurs u¨ ber Samoa im Wesentlichen Angeh¨orige dreier Nationen beteiligt waren, werden dementsprechend Quellen von deutschen, englischen und US-amerikanischen Reisenden herangezogen. Die folgende Tabelle gibt einen ¨ Uberblick u¨ ber die zugeh¨origen Autorinnen und Autoren, ihre Lebensdaten, das Datum ihres Aufenthaltes sowie das Jahr der Ver¨offentlichung und schließlich ihre Nationalit¨at. ¨ Ubersicht der Autorinnen und Autoren der Quellen Name Brown, George Barradale, Victor Arnold Churchward, William B. Stevenson, Robert Louis Fraser, Marie Greene, Charles S. Ehlers, Otto E. Pierce Churchill, Llewella Myers Shoemaker, Michael Tripp, Bartlett Genthe, Siegfried Wegener, Georg Hesse-Wartegg, Ernst von Deeken, Richard Zieschank, Frieda

Lebensdaten 1835-1917 o. A.

Aufenthalt 1860-1874 1900 +/- 3 J.

Publikation 1908 1907

Nationalit¨at GB GB

1844-1920

1882-1885

1887

GB

1850-1894

1889-1894

1892

GB

o. A. o. A. 1855-1895 1858-1939

1892 1896 (?) 1895 1896-1897

1895 1896 1895 1902

GB U SA G ER U SA

1853-1924

1896

1898

U SA

1839-1911 1870-1904 1863-1939 1854-1918

1899 1899 1900 1901

1911 1908 1903/1919 1902

U SA G ER G ER G ER

1874-1914 o. A.

1901, 1902-1910 1906-1916

1901 1918

G ER G ER

Das Quellensample und die Textgattung Reiseliteratur | 51

Bei den drei Reiseberichten der Frauen handelt es sich nicht um alleinreisende Frauen; Frieda Zieschank und Llewella Pierce Churchill begleiteten jeweils ihre Ehem¨anner, Marie Fraser reiste in Begleitung ihrer Mutter, um Robert Louis Stevenson zu besuchen. Bei den M¨annern u¨ berwiegen die Schilderungen von Alleinreisenden (6) (Ehlers, Myers Shoemaker, Tripp, Genthe, Wegener, Hesse-Wartegg) gegen¨uber denjenigen, die in Begleitung ihrer Frauen oder Familien reisten (3) (Brown, Stevenson, Deeken), bei einigen geht es aus den Texten nicht hervor (3) (Barradale, Churchward, Greene).12 Mit dieser Auswahl wird ein m¨oglichst breites Spektrum abgedeckt in Bezug auf: •

Geschlecht: M¨anner (12) und Frauen (3)



Unterschiedliche Nationalit¨aten: Deutsch (6), US-amerikanisch (4), britisch (5)



Aufenthalte auf Samoa von 1860-1916



Aufenthaltsdauer von zwei Stunden (Myers Shoemaker) bis zu 14 Jahren (Brown)



Verschiedene Professionen bzw. Gr¨unde f¨ur den Aufenthalt: •

Missionare (2) (Brown und Barradale)



Politische Amtstr¨ager oder mit solchen verheiratet (3) (Churchward, Tripp und Pierce Churchill)





Schriftsteller (1) (Stevenson)



Siedlerinnen und Siedler (2) (Deeken und Zieschank)



Journalisten (2) (Ehlers und Genthe)



Sonstige Reisende und Schreibende (5) (Fraser, Greene, Myers Shoemaker, Wegener und Hesse-Wartegg)

Alter bei Ankunft auf Samoa – soweit Daten vorhanden sind – zwischen 27 (Deeken) und 60 Jahren (Tripp)

Die Heterogenit¨at soll sicherstellen, dass bestimmte Diskurslinien nicht vorschnell monokausal auf gewisse Differenzzuschreibungen wie Alter, Geschlecht oder Nationalit¨at zur¨uckgef¨uhrt werden k¨onnen. Das Sample ist jedoch im Bezug auf Klasse beschr¨ankt; es setzt sich u¨ berwiegend aus Angeh¨origen des (Bildungs-)B¨urgertums und des Adels zusammen; Vertreterinnen oder Vertreter der Arbeiterklasse fehlen. Das l¨asst sich einerseits aus der Textgattung erkl¨aren, andererseits aus der Zusammensetzung der Weißen Bev¨olkerung auf der Inselgruppe Samoa, die ausdr¨ucklich keine Siedlungskolonie war. Die

12

Die Lebensl¨aufe und vor allem die jeweiligen Reiseberichte werden im Rahmen der Akteursgeschichte auf Samoa (s. Kapitel 3.2) ausf¨uhrlicher abgehandelt.

¨ 52 | Methodische Uberlegungen

dazugeh¨origen Texte wurden im Zeitraum von 1887-1919 ver¨offentlicht.13 Die vorliegenden Quellen wurden in der jeweiligen Originalfassung untersucht, jeweils auf deutsch oder englisch, und soweit wie m¨oglich in der Erstauflage oder in unver¨anderten Neuauflagen. ¨ ¨ Bei den Ubersetzungen ins Deutsche handelt es sich um eigene Ubersetzungen.

2.3 B ESONDERHEITEN DER R EISELITERATUR IM KOLONIALEN KONTEXT Die Quellengattung Reiseliteratur weist spezifische Merkmale in Bezug auf den kolonialen Kontext auf. Dazu geh¨ort vor allem ein spezifischer Sprachgebrauch, dessen Vokabular in seiner Semantik bereits Herrschaftsverh¨altnisse herzustellen versuchte. Dieser Sprachgebrauch kumuliert in bestimmten Erz¨ahlkonventionen, die sich als typisch f¨ur das Schreiben u¨ ber Samoa herausstellten. Nachfolgend stehen die Authentifizierungsstrategien der Schreibenden im Fokus. Hierbei handelt es sich um einen Versuch, den Reiseberichten Tatsachencharakter und einen m¨oglichst hohen Wahrheitsgehalt sowie vermeintliche Objektivit¨at zu verleihen. Im Grunde geh¨ort dieses Vorgehen zu den zeitgen¨ossischen Schreibkonventionen, wird von den Autorinnen und Autoren aber weitreichender gehandhabt. Vor allem in den deutschsprachigen Quellen zeigen sich in der Beschreibung der Inselwelt wiederholt Vergleiche mit heimatlichen europ¨aischen Landschaften. Dieses auff¨allige Beschreibungsmuster, das auch der Authentifizierung dient, wird gesondert als Strategie der Fremdheitsbew¨altigung14 analysiert. Da die Parameter der vorliegenden Diskursanalyse einen sowohl geografisch als auch temporal klar umrissenen Raum mit einer verh¨altnism¨aßig geringen Anzahl handelnder Personen definieren, ergibt sich ein besonders dichter Diskurs u¨ ber Samoa, innerhalb dessen Grenzen den Schreibenden die jeweils anderen Texte u¨ ber diese S¨udseeinseln durchaus bekannt waren. Somit wird schließlich das diskurskonstituierende Kriterium des intertextuellen Zusammenhangs in den Fokus ger¨uckt.

13

Damit sind die Reiseerinnerungen Wegeners schon an der temporalen Grenze, denn mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Aufgabe s¨amtlicher Kolonien beginnt im deutschsprachigen Raum eine neue diskursive Auseinandersetzung mit kolonialrevisionistischen Z¨ugen, die hier keine Ber¨ucksichtigung findet. Von Wegener werden jedoch zwei Texte herangezogen, von denen der fr¨uhere gr¨oßeres Gewicht erh¨alt.

14 Es gibt diverse Strategien, um mit Fremdheit umzugehen, die der heimatlichen Vergleiche ist jedoch besonders augenf¨allig und soll daher hier gesondert untersucht werden.

Besonderheiten der Reiseliteratur im kolonialen Kontext | 53

¨ Kolonialer Sprachgebrauch und Erzahlkonventionen Das vorgestellte Quellensample besteht ausschließlich aus ver¨offentlichten Texten, insofern kommt der Sprache als Medium eine besondere Bedeutung zu. Gerade im kolonialen Kontext dient Sprache dazu, Hierarchien herzustellen und zu tradieren. Dies geschieht haupts¨achlich u¨ ber rassistische Konnotationen, die bei unreflektiertem Umgang ebenjene Differenzen festschreiben. F¨ur den afrikanischen Kontext gibt es bereits ein kritisches Nachschlagewerk, das sich mit den rassistischen Konnotationen bestimmter Begriffe besch¨aftigt (vgl. Arndt und Hornscheid 2004). Diese k¨onnen f¨ur den ozeanischen Kontext synonym hinterfragt werden. Einige der in den Quellen verwendeten Begriffe werden im Folgenden daher kurz beleuchtet. Einem Begriff von Zivilisation‘ liegt zu Grunde, dass er sich auf verschiedene Le’ bensbereiche beziehen kann. Schon Norbert Elias arbeitete heraus, dass es wenig gebe, was man nicht in einer zivilisierten‘ und in einer unzivilisierten‘ Form tun k¨onne, sei ’ ’ es das Zusammenleben von Mann und Frau, die Art des Wohnens, die gesellschaftliche Strukturierung oder das Alltagsleben (vgl. Elias 1989/1976a). Mit dieser Darstellung bezog Elias sich zun¨achst nur auf einen europ¨aischen Kontext, doch davon abgeleitet bieten sich im kolonialen Kontext vielf¨altige Aspekte, die nach diesem Kriterium bewertet werden k¨onnen. Damit geht in der Regel eine positive Aufwertung der eigenen Gesellschaft in negativer Abgrenzung zu einer fremden Gesellschaft einher. Bis heute wird dieses Konzept ” dabei im Sinne einer Legitimation westlicher Wertvorstellungen und vor allem westlicher Machtanspr¨uche verwendet“ (Arndt und Hornscheid 2004: 221). Problematisch ist, dass der Begriff eine evolution¨are Abfolge von Entwicklung suggeriert; ihm unterliegt die Vorstellung eines Entwicklungsverlaufs, an dessen Anfang defizit¨are Naturv¨olker‘ und an ’ dessen Ende entwickeltere‘ Kulturv¨olker‘ stehen. Insofern befinden sich die kolonialisie’ ’ renden handelnden Personen in einer vermeintlich u¨ berlegenen Position und beanspruchen die Deutungshoheit, wodurch es sowohl zu Machtaus¨ubung kommt, als auch zu einer Manifestation des rassistischen und hegemonialen Diskurses“ (Arndt und Hornscheid ” 2004: 222). Um diese defizit¨are Unterstellung nicht weiter zu tradieren, oder sie zumindest sichtbar zu machen, wird der Begriff Zivilisation‘ daher in Anf¨uhrungsstrichen verwendet. ’ Ihr Pendant findet die Zivilisation‘ im Begriff des Primitiven‘. Auch damit geht eine ’ ’ Abwertung des Anderen und eine Setzung der eigenen kulturellen Identit¨at als Norm einher (vgl. Arndt und Hornscheid 2004: 191). Einer a¨ hnlichen Dynamik folgt in diesem Sinne auch der Begriff der Entwicklung‘, zumindest, was den gew¨ahlten historischen Kontext ’ angeht.

¨ 54 | Methodische Uberlegungen

Diesen u¨ bergeordneten Begriffen k¨onnen verschiedene andere Ausdr¨ucke an die Seite gestellt werden: Eingeborene/r‘, Dschungel‘, Urwald‘ 15 , H¨auptling‘, Mischling‘, Wil’ ’ ’ ’ ’ ’ der‘, Naturvolk‘, um nur einige zu nennen, die in den englischsprachigen Quellen ihre ’ Entsprechungen finden.16 Ihnen allen ist gemein, dass sie versuchen, (a) eine hierarchische Differenz zwischen dem Eigenen und dem Fremden, (b) eine N¨ahe der einheimischen kolonialisierten Bev¨olkerung zur Natur, (c) eine Homogenisierung der Gesellschaft sowie (d) die Abwertung der Anderen herzustellen und eine normative eurozentristische Perspektive darstellen.17 Trotz der eventuell besseren Lesbarkeit und der bequemeren Schreibweise wird bei diversen Begriffen nicht auf die Setzung einfacher Anf¨uhrungsstriche verzichtet. Zum einen sind diese Begriffe unbequem, zum anderen gehen sie von Entwicklungs‘-, Gesellschafts’ oder schlimmstenfalls Rassemodellen‘ aus, die hegemoniale Diskurse repr¨asentieren, auf ’ die aufmerksam zu machen notwendig ist.18 In den untersuchten Quellen tauchen diese Begriffe wiederholt auf; die oder der Lesende m¨oge die immanenten Bedeutungen im Hinterkopf behalten. Neben dem Gebrauch von kolonialspezifischer Sprache zeigen sich in den untersuchten Quellen gewisse Erz¨ahlkonventionen. Damit werden wiederkehrende Muster der Darstellung bezeichnet, die sich einerseits in S¨atzen wie I must not leave these beautiful islands ” without saying something of [. . . ]“ (Tripp 1911: 137) a¨ ußern, und die einen Hinweis auf ein mitgedachtes Lesepublikum geben, dessen Erwartungen der Autor oder die Autorin zu ¨ erf¨ullen versuchte. Andererseits werden solche Außerungen als Hinweise in der Analyse dazu genutzt, aus den Reiseberichten induktiv die Diskurslinien zu ermitteln, die in Teil II untersucht werden.

¨ Textstellen wie die von Barradale, in denen er eine Ubersetzung des Begriffs bush‘ vornimmt, ’ geh¨oren eher zur Ausnahme: The islands are almost covered with forestland, which those who ” live in Samoa call the bush‘. If you have relations in Australia, you may have heard them speak ’ of living in the bush‘; that means what we should mean by a forest.“ (Barradale 1907: 97) ’ 16 Einzig der Begriff chief‘ ist im Englischen in einer besseren Position, da er auch im heutigen ’ Kontext noch f¨ur bspw. Vorstandsvorsitzende (CEO – Chief Executive Officer) gebraucht wird.

15

17

Zu dieser Perspektive geh¨ort dar¨uber hinaus der von den Seefahrten gepr¨agte Begriff der Ent’ deckung‘, bei dem zumeist nicht kommuniziert wird, f¨ur wen es u¨ berhaupt eine Entdeckung‘ ’ darstellt, und dem die Vorstellung der Kolonien als leerer Raum immanent ist.

18

Auf die daraus resultierende Herausforderung, entsprechende Begriffe zu ersetzen, ohne L¨ucken oder Schweigen zu produzieren, sei hier ohne umfassende L¨osung hingewiesen.

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Strategien zur Authentifizierung Wie angesprochen besitzen Reiseberichte aufgrund der gattungstypisch immanenten aktuellen Bez¨uge – constant reference to actuality“ (Fussel 1982: 203) – eine h¨ohere Au” thentizit¨at als vergleichsweise Romane. F¨ur diese Authentizit¨at und die Herstellung eines wahrheitsgem¨aßen Charakters der Schilderungen verwendeten die Autorinnen und Autoren bestimmte Strategien. D¨urbeck hat diverse Strategien zur Authentifizierung in Reiseberichten herausgearbeitet. Am g¨angigsten sind Autopsiebehauptung und die Verwendung ” geographischer Denotate sowie die Nennung historischer Personen und die Anf¨uhrung einzelner Ausdr¨ucke aus indigenen Sprachen“ (D¨urbeck 2007: 26). Diese Strategien werden erg¨anzt durch die Verwendung der Ich-Form sowie die Beigabe von Abbildungsmaterial19 (Karten und Fotografien) (vgl. D¨urbeck 2007: 27). Solche lassen sich auch in den vorliegenden Quellen nachweisen, teilweise explizit, wie bei Llewella Pierce Churchill: [I]t ” is all the record of real experience, the few bright spots in an official position which was after all but an exile. The fish were indeed taken, the birds were indeed killed, it is all fact.“ (Pierce Churchill 1902: 272f.) Der Gebrauch der Ich-Form, erg¨anzt um pers¨onliche Anmerkungen, erf¨ullte einen a¨ hnlichen Zweck. Unfortunately, I have to wear glasses, and in Samoa I had to be continu” ally taking them off to rub them so that I could see plainly.“ (Barradale 1907: 83) Grunds¨atzlich verwendeten die Autorinnen und Autoren diverse Authentifizierungsstrategien um zu belegen, dass ihre Schilderungen den Tatsachen entsprachen und keine Fiktion waren. Ernst von Hesse-Wartegg legte beispielsweise Zeugnis dar¨uber ab, wann er die entsprechenden Aufzeichnungen gemacht hatte: Die vorliegenden Schilderungen wurden ” fast durchweg w¨ahrend der Fahrt von Zeit zu Zeit unmittelbar nach den empfangenen Eindr¨ucken und Mitteilungen niedergeschrieben“ (Hesse-Wartegg 1902: VI). Dabei sei es kein wissenschaftliches Werk“, das er zu schreiben beabsichtige, sondern nur eine allgemeine ” ” Schilderung von Land und Leuten f¨ur das große Lesepublikum“ (Hesse-Wartegg 1902: VI).20 Auch das von D¨urbeck angesprochene Einflechten indigener Begriffe geschah, etwa bei Siegfried Genthe: Ein samoanischer Ali‘, jene hinterlistige Bambusrolle, auf der man ” ’ hierzulande sein m¨udes Haupt des Abends zu betten pflegt [. . . ] [Herv. i. O.]“ (Genthe 1908: 139f.), oder auch bei Frieda Zieschank: Im fale tele‘ wurden durch die Vorh¨ange ” ’ aus tapa‘ (Rindenstoff) einzelne Schlafr¨aume abgeteilt [. . . ]“ (Zieschank 1918: 35). ’

19

Das in den Reiseberichten abgedruckte Bildmaterial verdiente eine eigene Untersuchung.

20

Auch an sp¨aterer Stelle nahm er darauf Bezug: Das Haus in Matautu, an der S¨udk¨uste von ” Upolu, in welchem ich diese Zeilen schrieb, ist eine derartige Agentur der Firma [Herv. G. F.].“ (Hesse-Wartegg 1902: 278)

¨ 56 | Methodische Uberlegungen

Zum Teil wurde w¨ortliche Rede verwendet, um den genauen Ablauf einer Konversation zu dokumentieren.21 Namen von zeitgen¨ossischen Personen und Orten wurden genannt, so bei Ehlers: Herr Konsul Biermann empfahl mir als Unterschlupf das [. . . ] International” Hotel“ (Ehlers 2008/1895: 63), oder bei Myers Shoemaker: Meeting our consul, Mr. ” C[hurchill, G. F.]22 , as I came back to the ship, he remarked [. . . ]“ (Myers Shoemaker 1898: 43). Gerade die Nennung eines offiziellen Beamten oder eines Hotelnamens mit exakter Lagebeschreibung sollten die Reiseschilderungen als objektiv und korrekt auszeichnen. Insofern zeichnet sich ab, dass die Autorinnen und Autoren explizit f¨ur ein heimatliches Lesepublikum schrieben, welches sie von der Echtheit‘ ihrer Erfahrung u¨ berzeugen woll’ ten.23 Zudem wollten sie die Bed¨urfnisse und Erwartungen der Leserschaft“ (Habinger ” 2003: 208) erf¨ullen. Wenn dies – nicht zuletzt durch die verschiedenen Strategien der Authentifizierung – gelingen sollte, galt es die erlebte Fremdheit so in Worten auszudr¨ucken, dass sie auch ebenjener Leserschaft zug¨anglich war.

¨ Heimatliche Vergleiche als Strategie der Fremdheitsbewaltigung Da, wie Habinger es ausdr¨uckt, die Wortwahl“ immer wieder auf die Normabweichung“, ” ” auf die Differenz zum Eigenen‘ als das Bekannte, Allt¨agliche, Vertraute, aber auch Nor” ’ male“ (Habinger 2003: 208) verwies, bedurfte es gleichermaßen Darstellungsstrategien, die diese Differenz verringerten. Dazu verwendeten die Autorinnen und Autoren insbesondere bei geografischen Beschreibungen Vergleiche zu heimatlichen Orten. Die Insel ¨ Savai’i, vulkanischen Ursprungs, wurde dazu mit dem Atna auf Sizilien verglichen (vgl. Genthe (1908): 89f., Wegener (1903): 29) oder mit dem rheinischen Siebengebirge (vgl. Genthe 1908: 90). Die Berge Upolus dagegen erinnerten an das Matterhorn, die kleine Insel Nu’utele mit ihren Felsk¨usten an Helgoland (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 282). Der Wald erinnerte an einigen Stellen an einen Buchenwald in Th¨uringen (vgl. Ehlers 2008/1895: ¨ 138), w¨ahrend Gew¨asser Ahnlichkeiten zu Seen in den Alpen besaßen (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 262). Diese Beispiele m¨ogen gen¨ugen, um einen Eindruck von der landschaftlichen Darstellung in Bezug auf die dem heimatlichen Lesepublikum bekannten Orte zu vermitteln. F¨ur die Analyse der weiteren Textstellen ist von Bedeutung, daraus nicht auf eine tats¨achliche ¨ Ahnlichkeit zwischen samoanischen und europ¨aischen Geografien zu schließen, sondern die Ausf¨uhrungen als Versuch zu verstehen, (a) m¨oglichst authentisch zu berichten, (b) sich

21

Vgl. u. a. Hesse-Wartegg (1902): 275f., Ehlers (2008/1895): 56; 82; 140

22

Hier handelt es sich um den Ehemann von Llewella Pierce Churchill.

23

Die Autorit¨at und Authentizit¨at, die die Autorinnen und Autoren mit der strategischen Darstellung ihrer Erfahrung erreichen wollten, a¨ hnelt den Verfahren der feldforschenden Ethnografie (vgl. Clifford 1993).

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selbst als reiseerfahren und weltgewandt darzustellen und zu positionieren und schließlich (c) die Fremdheit zu bew¨altigen, indem die Deutungshoheit im Prozess des Schreibens durch Angleichung an vertrautes Terrain zur¨uckerlangt wird. Dazu kommen die von Kundrus herausgearbeiteten Funktionen, die aus dem afrikani¨ schen Kontext, genauer: Deutsch-S¨udwest, f¨ur beschriebene Ahnlichkeiten mit deutschen ” Gegenden“ (Kundrus 2003b: 158) bekannt sind: Zun¨achst einmal sollten diese Analogien die totale Fremdheit der Landschaft gerade in der Perspek” tive derjenigen eind¨ammen, die dort ihr weiteres Leben verbringen wollten. Zweitens mußte dieses Unbekannte den Daheimgebliebenen beschreibbar, nachvollziehbar gemacht werden. Drittens sollten die Qualit¨at des Ortes, das Potential und die Vorz¨uge der Kolonie betont werden. Viertens ging es um die Erkl¨arung des Besitzanspruches.“ (Kundrus 2003b: 158)

Eine simple Feststellung wie, dass die Bucht von Apia der von Neapel gleiche, ist diskursanalytisch also kein unbedeutender geografischer Vergleich, sondern zeigt die Vielschichtigkeit des Textes auf, in dem auf Konzepte von Raum, Fremdheit, Herrschaft und Legitimation verwiesen wird.

Intertextuelle Verweise Ein intertextueller Bedeutungszusammenhang zwischen den Quellen ist von der Diskursanalyse f¨ur die Zusammenstellung des Korpus explizit gefordert. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass Intertextualit¨at auch in den Literaturwissenschaften ein gebr¨auchliches Konzept darstellt, das sich nicht in der vermeintlich umgangssprachlichen Bedeutung desselben ersch¨opft.24 Es geht an dieser Stelle nicht darum, die literaturwissenschaftliche Intertextualit¨at der untersuchten Quellen herauszuarbeiten, sich aber der Annahmen von relationality, interconnectedness and interdependence“ (Allen 2000: 5) der Texte zu bedie” nen. [T]he term intertextuality promotes a new vision of meaning, and thus of authorship ” and reading: a vision resistant to ingrained notions of originality, uniqueness, singularity and autonomy.“ (Allen 2000: 6) Die Reiseberichte wurden nicht autonom verfasst, sondern spiegeln soziale und politische Verh¨altnisse wider, bedienen sich ihrerseits vorhandener Texte, und genau diese expliziten intertextuellen Bez¨uge‘ k¨onnen hier nachgewiesen ’ werden.25 Damit erh¨alt der explizite Verweis auf solche Bez¨uge zwar vermeintlich beson-

24

Zur genaueren Definition der Intertextualit¨atstheorie vgl. Sch¨oßler (2006): 219-224.

25

Die nachfolgende Auflistung der intertextuellen Verweise erhebt keinen Anspruch auf Vollst¨andigkeit. Zudem beschr¨ankt sie sich auf die Bez¨uge, die zu Schriften u¨ ber die S¨udsee hergestellt wurden und l¨asst Zitate aus anderen literarischen Werken unber¨ucksichtigt.

¨ 58 | Methodische Uberlegungen

deres Gewicht; diesem sind aber die immanenten inhaltlichen Bez¨uge (aus denen sich die Dirkuslinien konstituieren) gedanklich an die Seite zu stellen. Charles S. Greene zum Beispiel bediente sich verschiedener Passagen aus anderen Texten. Die Schilderungen von William Churchward waren ihm bekannt (vgl. Greene 1896: 13), er zitierte daraus Abschnitte u¨ ber die Pflanzenwelt und rekurrierte auf Beschreibungen des dortigen Katholizismus (vgl. Greene 1896: 22). Marie Frasers Report zog er heran, um die einheimischen V¨ogel zu beschreiben (vgl. Greene 1896: 14f.) und auf die Bekleidung der samoanischen Bev¨olkerung einzugehen (vgl. Greene 1896: 17). Auch auf die von ihr erw¨ahnte Geburtstagsfeier im Hause Robert Louis Stevensons nahm er Bezug (vgl. Greene 1896: 40f.). F¨ur einen Abriss zur samoanischen Geschichte zitierte Greene wiederum einen Bericht des amerikanischen Konsuls J. H. Mulligan (vgl. Greene 1896: 24ff.), der bis Februar 1896 auf Samoa im Amt war.26 Statt einer eigenen Darstellung des Sturmes von 1889 verwies er auf das entsprechende Kapitel in Stevensons Werk (Stevenson 1895/1892) A Footnote to History“ (vgl. Greene 1896: 36).27 Zudem zitierte er ausf¨uhrlich einen ” Bericht eines in Apia ans¨assigen US-Amerikaners, H. J. Moors (vgl. Greene 1896: 43f. und 46ff.). Richard Deeken hatte die Texte von Otto Ehlers gelesen und zitierte w¨ortlich den letzten Satz daraus (vgl. Deeken 1901: 225f.), zudem griff er die von Ehlers erz¨ahlte Geschichte seiner Bekanntschaft mit Sifilina auf, deren Mann ihm vorgestellt wurde (vgl. Deeken 1901: 72). Ernst von Hesse-Wartegg stellte fest: Eine ganze Menge von Bildern und Beschrei” bungen haben den deutschen Leserkreis in der j¨ungsten Zeit mit Samoa einigermaßen vertraut gemacht“ (Hesse-Wartegg 1902: 246). Auch er hatte Ehlers gelesen und bezog sich bei seiner Einsch¨atzung des Norddeutschen Lloyds auf ihn (vgl. Hesse-Wartegg 1902: VI). Außerdem zitierte Hesse-Wartegg Ehlers indirekt, indem er der Bucht von Falifa die ” Palme“ zuerkannte, w¨ahrend zuvor Ehlers festgehalten hatte, dass den Samoanern die Palme“ als dem liebensw¨urdigste[n] Volk der Erde“ (Ehlers 2008/1895: 65) geb¨uhre. ” ” Weiterhin hatte Hesse-Wartegg den Bericht Churchwards gelesen und nutzte ihn f¨ur die Beschreibung einer katholischen Kirche in Falifa (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 291). Die

F¨ur den/die Leser/in ergeben die inhaltlichen Bez¨uge auf Personen und Ereignisse ohne Kenntnis derselben an dieser Stelle – noch – keinen Sinn. Daher mag ein R¨uckblick auf dieses Kapitel in Kenntnis des gesamten Textes der Arbeit mehr Aufschluss geben. 26

Bemerkenswert ist, dass J. H. Mulligan laut San Francisco Call am 7. Februar sein R¨ucktrittsgesuch einreichte, mit dem Kommentar: A man holding the position of Consul on that faraway island ” [. . . ] is practically buried.“ (o.A. 1896)

27

Die Texte Frasers und Stevensons zitierte Greene noch an weiteren Stellen (vgl. u. a. Greene 1896: 40 und 41f.).

Besonderheiten der Reiseliteratur im kolonialen Kontext | 59

¨ Ubersetzung musste er selber vorgenommen haben, da Churchwards Text nach bisheriger Recherche nicht ins Deutsche u¨ bersetzt worden ist. Zudem wurde in den Reiseberichten mit Bezug auf die heimatlichen Vergleiche tats¨achlich eine interne Debatte dar¨uber gef¨uhrt, ob die Bucht von Apia mit der von Neapel vergleichbar sei. Churchward hatte dazu schon festgehalten, dass jemand, der diese Behauptung aufstelle, nur an einem der beiden Orte gewesen sein k¨onne (vgl. Churchward 1887: 19). Hesse-Wartegg a¨ ußerte sich a¨ hnlich, dass jemand mit dieser Meinung Neapel nicht aus eigener Anschauung kenne, gestand Apia aber eine gewisse Sch¨onheit zu (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 211) und bezeichnete es anschließend in Anf¨uhrungsstrichen als Neapel‘ der S¨udsee“ (Hesse-Wartegg 1902: 289). Genthe war es, der ebenfalls den ”’ Vergleich gebrauchte: Man m¨ußte schon den Golf von Neapel oder Salerno an ihren ” ¨ g¨unstigsten Tagen heranziehen, wenn man in unseren Breiten etwas Ahnliches zeigen wollte.“ (Genthe 1908: 209) Genthe zeigte sich auch als Kenner von Churchwards zweitem Buch Blackbirding“ ” (Churchward 1888), dessen Titel er mit Drosselfang“ u¨ bersetzte (Genthe 1908: 101). Er ” hielt sich gleichzeitig mit der internationalen Kommission 1899 auf Samoa auf, deren Abgesandten er hin und wieder begegnete (vgl. Genthe 1908: 4; 8; 70f.; 77). Insofern k¨onnte man die Berichte Tripps und Genthes an einigen Stellen vergleichend lesen. Schließlich bezeichnete Genthe Burton Dibbs (1898) als Klassiker[ ] Samoas“ (Genthe 1908: ” 216), benannte zudem einige Missionsver¨offentlichungen als seine Informationsquellen, bem¨angelte aber die Tatsache, daß Samoa fast ein noch jungfr¨auliches Gebiet f¨ur den ” wissenschaftlichen Forscher“ geblieben sei (Genthe 1908: 88). Auch Zieschank zeigte sich als Kennerin diverser Samoa-Literatur. Sie bezog sich zum einen auf die zwei B¨ande von Augustin Kr¨amer (Kr¨amer 1902/1903), der das ethnografische Standardwerk u¨ ber die Samoa-Inseln verfasst hatte (vgl. Zieschank 1918: 12). Zum anderen zitierte sie Franz Reinecke (1902), der prophezeit hatte, dass man nach 10 bis 20 Jahren ” [. . . ] auf Deutsch-Samoa kaum noch echte Samoaner finden [k¨onne]“ (Reinecke, zit. n. Zieschank 1918: 12). Zieschank hielt sich einige Jahre zeitgleich mit Deeken auf Samoa auf, mit dem sie bekannt war und dem sie mitunter auch begegnete (vgl. Zieschank 1918: 66; 76; 78). Bartlett Tripp schließlich machte sich mit der Literatur u¨ ber Samoa erst im Laufe seiner Schiffsreise vertraut; zumindest ein Beleg daf¨ur, dass auch ihm selbige zur Verf¨ugung stand: Our first work was one of inquiry. Our knowledge of Samoa and its people was ” what we had learned from books.“ (Tripp 1911: 32) Der wohl bekannteste zeitgen¨ossische Weiße auf den samoanischen Inseln war Robert Louis Stevenson. Ihn zitierten die meisten der anderen Autorinnen und Autoren, entweder

¨ 60 | Methodische Uberlegungen

mit Bezug auf seine Person, sein Werk oder auch sein Anwesen Vailima.28 George Brown lernte Robert Louis Stevenson bei einem seiner sp¨ateren Besuche auf Samoa kennen, woraus sich eine Freundschaft entwickelte. Stevenson bot an, Browns Biografie zu schreiben, was jener aber ablehnte. Schließlich starb Stevenson zu fr¨uh, als dass Brown noch auf das Angebot zur¨uckkommen konnte: To myself personally he was most kind, and it has always ” been a source of great regret to me that I was not able to avail myself of his great wish to write the story of my life.“ (Brown 2013/1908: 64)29 Insgesamt unterst¨utzt die Darstellung des intertextuellen Bedeutungszusammenhangs die These, dass der Diskurs u¨ ber Samoa sehr dicht gef¨uhrt wurde.

28

Vgl. u. a. Greene (1896): 39ff., Hesse-Wartegg (1902): 250, Tripp (1911): 177ff., Myers Shoemaker (1898): 42, Genthe (1908): 209ff., Deeken (1901): 29ff.

29

Diese Begebenheit ist in Stevensons Briefen und in der Sekund¨arliteratur belegt. R. L. Stevenson ” found in him [Brown, G. F.], as in James Chalmers of New Guinea, a hero, and wanted to write his biography in 1890.“ (Gunson 1969)

3 Historische Verortung Es w¨are eine ungemein fesselnde Aufgabe, der ” Lebensgeschichte jedes einzelnen Bewohners dieser merkw¨urdigen Stadt nachzusp¨uren, die Ausbeute an romantischen Erz¨ahlungen w¨urde f¨ur manchen Band spannender S¨udseegeschichten ausreichen.“ S IEGFRIED G ENTHE 1908: 25

Da die vorliegenden Reiseberichte den Zeitraum von 1860-1916 abdecken, erfolgt eine kurze historische Verortung des Untersuchungszeitraumes. Kapitel 3.1 geht auf die ersten ¨ westlichen Expeditionen in die S¨udsee ein und gibt einen Uberblick u¨ ber die dortigen deutschen, englischen und US-amerikanischen Kolonialerfahren. Kapitel 3.2 fokussiert die politik-, sozial- und milit¨argeschichtlichen Ereignisse auf Samoa unter besonderer Ber¨ucksichtigung der untersuchten handelnden Akteurinnen und Akteure.

3.1 VON E NTDECKERFAHRTEN ‘ ’ KOLONIALERFAHRUNGEN IN

UND DER

¨ S UDSEE

Die erste Bezeichnung des S¨udpazifik als S¨udsee“, bzw. als Mar del Sur“ soll auf das ” ” Jahr 1513 und den spanischen Seefahrer Vasco N´un˜ ez de Balboa (1475-1519) w¨ahrend seiner Panama-Durchquerung zur¨uckgehen (vgl. Wendt 2013: 43).1 Forschungs- und Entdeckungs‘-Reisende waren seit dem 16. Jahrhundert immer wie’ der auf der Suche nach terra australis incognita, dem fiktiven S¨udkontinent, der nach antiken und mittelalterlichen Vorstellungen den n¨ordlichen Kontinent im Gleichgewicht

1

Die Bezeichnung als Stiller Ozean“ wird dagegen dem portugiesischen Seefahrer Ferdinand ” Magellan (1480-1521) zugeschrieben, der sieben Jahre sp¨ater (1520) beim Versuch der Weltumseglung im S¨udpazifik außergew¨ohnlich gutes Wetter erlebte, und daher auf einen stillen“ Ozean ” schloss (vgl. Wendt 2013: 43). Darauf geht auch die Bezeichnung als pazifischer“ Ozean zur¨uck. ”

62 | Historische Verortung

halten musste. Daf¨ur wurden wiederholt Expeditionen ausgestattet, die den Auftrag erhielten, das Pazifische Meer2 zu erforschen und bestenfalls Land in Besitz zu nehmen. So wurde der niederl¨andische Seefahrer Jacob Roggeveen (1659-1729) von der Niederl¨andischen Westindienkompanie mit drei Schiffen ausgestattet, um in den Jahren 172122 die S¨udsee zu erkunden. Auf ihn gehen etwa die Benennung der Osterinsel“ und der ” samoanischen Inselgruppe als Schifferinseln“ zur¨uck. Seine Beobachtungen hielt er in ” einem Reisebericht fest: Twee jahrige reyze rondom de wereld met drie scheper (1721) ” door last v.d.: Nederl Westind, Maatschappen“ (vgl. Roggeveen 1728).3 Im Auftrag der franz¨osischen Regierung sollte Louis Antoine de Bougainville (17291811) die Welt umsegeln, und er erreichte dabei auch die S¨udsee. Seine Reise dauerte vier Jahre, von 1766-1769, und auch er verfasste einen ausf¨uhrlichen Reisebericht dazu: Voyage autour du monde par la fr´egate du roi la Boudeuse et la flˆute l’Etoile en 1766, ” 1767, 1768 et 1769“ (Bougainville 1771). Darin bezeichnete er das Landesinnere von Tahiti bereits als Garten Eden‘ und verhalf dem Bild von gl¨ucklichen Menschen, die ein sorgloses ’ Leben unverdorben von zivilisatorischen Einfl¨ussen f¨uhrten, zu weiterer Popularit¨at. Diese Schilderungen waren James Cook (1728-1779) bekannt, als er wenig sp¨ater seine drei S¨udseereisen unternahm: die erste 1768-1771, die zweite 1772-1775 und schließlich seine letzte Reise, bei der er zu Tode kam, 1776-1779. Cook segelte im Auftrag der englischen Krone beziehungsweise der Royal Society, und wurde bei seiner zweiten Reise von den Deutschen Johann Reinhold Forster4 und dessen Sohn Georg Forster begleitet, die wiederum den offiziellen Reisebericht A Voyage round the World“ verfassen sollten (vgl. ” Dove 1878).5 Die Reiseberichte dieser Fahrten waren in verschiedenen Sprachen verf¨ugbar, konnten so also den zeitgen¨ossischen Diskurs und die Vorstellungen fremder L¨ander un-

2

Aus zeitgen¨ossischer Sicht war man sich nicht immer bewusst, dass es sich nicht um ein Meer, sondern einen Ozean handelte.

3

Einige seiner Aufzeichnungen, u. a. sein Logbuch, wurden gut 100 Jahre sp¨ater ver¨offentlicht, und erst 1970 auf Englisch unter dem Titel The Journal of Jacob Roggeveen“ gesammelt ” herausgegeben (vgl. Sharp 1970).

4

Forster hatte bereits Bougainvilles Reisebericht ins Englische u¨ bersetzt, war also bestens mit dem ¨ Inhalt vertraut (vgl. Bougainville 1772b). Die deutsche Ubersetzung aus demselben Jahr (vgl. Bougainville 1772a) kann vermutlich Georg Forster zugeschrieben werden (vgl. K¨uchler 2004: 47).

5

Zwar erhielten die beiden Forsters zun¨achst den Auftrag, den Reisebericht zu verfassen, er wurde ihnen aber wieder entzogen. Das erkl¨art die Ver¨offentlichung der beiden unterschiedlichen Texte A Voyage round the World“, der Georg Forster (1777) zugeschrieben wird, und des sp¨ateren ” Observations made during a Voyage round the World“, der auf Johann Forster (1778) zur¨uckgeht ” (vgl. Dove 1878).

Von Entdeckerfahrten‘ und Kolonialerfahrungen in der Sudsee | 63 ¨ ’

terf¨uttern und anreichern. Daraus speisten sich wiederum die von Zantop herausgearbeiteten vorkolonialen Fantasien. Somit war der S¨udpazifik f¨ur die Deutschen seit dem 18. Jahrhundert kein inhaltsleerer Raum mehr. Gerade die Beteiligung von Deutschen an Expeditionen in die S¨udsee, – so Johann Reinhold und Georg Forster, die auf den Reisen von James Cook dabei waren, sowie Carl Friedrich Behrens (vgl. Behrens 1923), der Jacob Roggeveen begleitet hatte (vgl. M¨uckler 2012: 167) – hatten viel zum Wissen im deutschsprachigen Raum beigetragen. Da die Politik- und Milit¨argeschichte im S¨udpazifik in der Forschung bereits ausreichend dargelegt wurde6 , wird hier lediglich ein kurzer verortender Abriss erfolgen, um den Hintergrund der handelnden Akteurinnen und Akteure einordnen zu k¨onnen.7

Die deutsche Kolonialzeit im Sudpazifik ¨ Die tats¨achlichen deutschen Kolonien oder Schutzgebiete in der S¨udsee entwickelten sich aus Handelsst¨utzpunkten. Die Firma von Johann Cesar Godeffroy, die sp¨atere DH&PG (Deutsche Handels- und Plantagengesellschaft), hielt bereits 1870 einen Anteil von circa 70% des Gesamthandels in der S¨udsee, den sie u¨ ber Handelsstationen und -st¨utzpunkte verwaltete. Doch es bedurfte noch der Deutschen Reichsgr¨undung 1871, bevor Gebiete dieser Art zu deutschen Kolonien werden konnten. In den 1870er Jahren schloss das Deutsche Reich zun¨achst noch Freundschaftsvertr¨age unter anderem mit Tonga, den Inseln der Elliceund der Marshall-Gruppe sowie Samoa (vgl. M¨uckler 2012: 170f.). Bis 1900 entwickelte sich ein deutsches Kolonialreich in der S¨udsee, das aus Gebieten in Deutsch-Mikronesien – wozu die Marianen, Karolinen, Palau- und Marshall-Inseln und Nauru geh¨orten – sowie Teilen Neuguineas (Deutsch-Neuguinea) und Samoas bestand (vgl. Gr¨under 2004/1985: 170). Verwaltungstechnisch orientierte man sich an dem Vorgehen der Briten und versuchte sich am Prinzip der indirect rule. Auf Neuguinea wurde unter dem Gouverneur Albert Hahl (1868-1945) eine F¨uhrungsebene geschaffen, die sich aus hochrangigen einheimischen Ortsvorstehern zusammensetzte, die dezentral die Interessen der Kolonialmacht vertreten sollten (vgl. M¨uckler 2012: 178f.). Von Neuguinea aus wurden außerdem die mikronesischen Gebiete verwaltet. Samoa, das nach den Interessenskonflikten sowohl mit den Briten, als auch mit den US-Amerikanern zur H¨alfte deutsches Kolonialgebiet war,

6

Vgl. dazu u. a. Gr¨under (2004/1985) oder M¨uckler (2012).

7

Den zuletzt erschienenen Abriss zur samoanischen Geschichte vom Beginn der deutschen Kolonialherrschaft bis zur Unabh¨angigkeit verfasste Livia Loosen (2014b) in dem Band von Hasenkamp u. a. (2014). Vgl. außerdem Hempenstall (2001) oder Hempenstall (2014).

64 | Historische Verortung

wurde von Wilhelm Solf als erstem Gouverneur verwaltet.8 W¨ahrend sich in Neuguinea die Zahl der Weißen Ansiedelnden in den Jahren 1908-1914 aufgrund gesteigerter Exportwerte f¨ur Kopra verdoppelt hatte, waren die mikronesischen Gebiete und auch Samoa, als polynesische Inselgruppe, nicht als Siedlungskolonie gedacht; man versuchte sogar, eine ” gezielte Einwanderung von weißen Europ¨aern m¨oglichst zu unterbinden [. . . ] um lokale Gesellschaften zu sch¨utzen“ (M¨uckler 2012: 181).9 Neben den kolonialen Aktivit¨aten war es den Deutschen vornehmlich daran gelegen, Expeditionen auf die verschiedenen Inseln der S¨udsee zu schicken, um diese zu untersuchen, zu kartografieren und zu kategorisieren. Dazu wurden insbesondere von der Firma Godeffroy Schiffe ausgestattet, um zoologische, ” botanische, ethnologische und anthropologische Studien zu betreiben“ (M¨uckler 2012: 168).10 Die Kolonien waren ein traditionsloser Gelegenheitsgewinn, auf den Deutschland ” durch keine fr¨uhneuzeitliche Kolonialgeschichte vorbereitet war“ (Osterhammel und Conrad 2004: 20), was f¨ur afrikanische wie ozeanische Kolonialgebiete gleichermaßen galt.

Die britische Kolonialzeit im Sudpazifik ¨ Im Gegensatz zum Deutschen Reich konnte England auf eine lange Zeit kolonialer Herrschaft zur¨uckblicken. Noch aus dem 18. Jahrhundert stammte der Besitz der traditionellen ’ Kolonien‘ (vgl. Schnurmann 2001: 204) Kanada, Australien und Indien – die dreizehn Staaten in Amerika hatten sich 1776 bereits ihre Unabh¨angigkeit als United States of America erk¨ampft. Weiterhin besaß England Kolonien in Asien und S¨udafrika, dort vorrangig, um den Seeweg nach Indien zu sichern. Neben seinen traditionellen Kolonien‘ vertrat England auch Interessen in Ozeani’ en. Durch die diversen Expeditionen in den s¨udpazifischen Raum war dieser von den Engl¨andern maßgeblich erkundet worden. Bereits 1840 wurde zwischen England und Maori-Chiefs in Waitangi (Neuseeland) ein Vertrag unterzeichnet, der die Souver¨anit¨at u¨ ber die Insel der englischen Krone zusprach. Zwei Jahre zuvor war Pitcairn, der Zufluchtsort der Meuterer der Bounty, britisches Protektorat geworden. Nach Neuseeland war die Fidji-Gruppe die n¨achstbedeutende Kolonie Englands im s¨udpazifischen Raum. Hier war

8

Zur Biografie von Wilhelm Solf vgl. Vietsch (1961) sowie neuerdings Hempenstall und Mochida (2005).

9 Hierin gr¨undete auch der Konflikt zwischen Gouverneur Solf und Richard Deeken, der die Interessen der Deutschen Samoa-Gesellschaft verfolgte, deren Ziel durchaus die Ansiedlung deutscher Weißer war. Vgl. Kapitel 3.2. 10

In den Jahren 1861-1885 betrieb die Firma Godeffroy auch das ethnografisch/anthropologische Museum Godeffroy in Hamburg (vgl. M¨uckler 2012: 168). Zu den Expeditionen im Einzelnen, auch denen der Briten und US-Amerikaner, vgl. M¨uckler (2012): 186ff.

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es Sir Arthur Gordon (1829-1912), der die britische Kolonialverwaltung nach dem Prinzip der indirect rule aufbaute und mit Hilfe der einheimischen Chiefs den Great Council of ” Chiefs“ (GCC) ins Leben rief (vgl. M¨uckler 2012: 121f.).11 1881 erfolgte der Anschluss der Rotuma Inseln an Fidji. Neuguinea wurde erst nach den deutschen Interessensbekundungen und der damit offenbar werdenden Rivalit¨at 1884 in Teilen zum Protektorat und 1888 zur Kolonie erkl¨art (vgl. M¨uckler 2012: 128).12 Dem schlossen sich Protektorate u¨ ber die Gilbert- und Ellice-Inseln an. Als die Auseinandersetzungen um das kleine Inselreich Samoa ihrem H¨ohepunkt zusteuerten und das Deutsche Reich seinen Anspruch auf die Inseln als Kolonien geltend machte, befand sich England im ersten Burenkrieg, der das Ansehen des Empire nachhaltig sch¨adigen sollte. Von daher zeigte sich England, wie bereits auf der Afrika-Konferenz von 1884/85,13 verhandlungsbereit und stimmte einem erneuten Austausch territorialen Besitzes zu. Die Salomonen, die sich teilweise bereits in britischem Besitz befanden, wurden im Zuge der auf Samoa geschlossenen Abkommen um vier kleinere Inseln erweitert, die Deutschland im Gegenzug f¨ur den Verzicht englischer Anspr¨uche auf Samoa u¨ bergab (vgl. M¨uckler 2012: 130). Schließlich geh¨orten noch Teile Neu-Guineas und diverse kleinere Inselgruppen zu den britischen Kolonien der S¨udsee sowie ab 1900 Tonga, das sich aus eigenem Interesse dem britischen Schutz unterstellte (vgl. M¨uckler 2012: 137).14 Verwaltet wurde dieses Kolonialgebiet ab 1877 zentral von Fidji aus, wo die Western Pacific High Commission (WHPC) ihren Sitz hatte. Gegr¨undet worden war die WHPC, um dem illegalen Arbeitskr¨aftehandel (Blackbirding) zu begegnen. Zudem wurden administrative Aufgaben in den Bereichen Gesundheitswesen, Steuerwesen, Kommunikation, ” Landpolitik und o¨ ffentliche Arbeiten“ von dort gesteuert (vgl. M¨uckler 2012: 136f.). Mit dieser Verwaltungsstruktur und der Verantwortlichkeit des High Commissioners unterschied sich England wesentlich von den anderen in der S¨udsee handelnden kolonialen Akteuren.

11

Von 1880-1883 war besagter Arthur Gordon als High Commissioner t¨atig und stand als solcher in Kontakt zu dem auf Samoa anwesenden William B. Churchward.

12

Zur Abgrenzung der Begriffe Kolonie“ und Protektorat“ vgl. M¨uckler (2012): 69ff. ” ” Der Einstieg des Deutschen Reiches in die kolonialen Expansionsbestrebungen nach seiner Gr¨undung 1871 hatte in den Auseinandersetzungen um afrikanische Territorien Absprachen und Verhandlungen notwendig gemacht. Auf der Afrika-Konferenz 1884/85 in Berlin, die die Aufteilung des Kongo zum Gegenstand hatte, einigten sich Deutschland und England auf einen Austausch: Helgoland, das bisher von den Briten gehalten wurde, ging in deutsches Gebiet u¨ ber, w¨ahrend sich Deutschland im Gegenzug aus afrikanischen Gebieten zur¨uckzog, die Englands Position gegen¨uber Frankreich und Italien st¨arkten (vgl. Schnurmann 2001: 210).

13

14

Der Vollst¨andigkeit halber seien hier die noch Fehlenden genannt: die Neu-Hebriden, Niue, die Cook-, Union- und Phoenix-Inseln.

66 | Historische Verortung

Im Gegensatz zur deutschen Kolonialzeit, deren Geschichtsschreibung sich erst von dem Label der Marginalit¨at befreien musste, war der Imperialismus f¨ur England weder ein ” Anh¨angsel der britischen Geschichte noch Ausdruck einer Phase seiner industriellen Entwicklung, [. . . ] sondern integraler Bestandteil der Konfiguration der britischen Gesellschaft“ (Cain und Hopkins zit. n. Conrad und Randeria 2002b: 39).

Die US-amerikanische Kolonialzeit im Sudpazifik ¨ Die US-amerikanische u¨ berseeische Expansion war folglich von der Annahme gepr¨agt, mit Europa um M¨arkte und Einflussgebiete konkurrieren zu m¨ussen (vgl. Adams 2000b: 128), daher besaßen die Kolonien u¨ berwiegend strategisch-milit¨arischen Nutzen f¨ur die USA. Zudem hing die Expansionspolitik stark mit der Monroe-Doktrin zusammen (vgl. M¨uckler 2012: 201), die ein Einmischen Europas in (nord- und s¨ud-)amerikanische Verh¨altnisse unterbinden und gleichzeitig den US-Einfluss in der westlichen Hemisph¨are, wozu auch die umliegenden Inseln geh¨orten, absichern sollte. Insbesondere hatten die USA ein Interesse an Hawaii als strategischem St¨utzpunkt f¨ur Handelsbeziehungen, das nach langen Auseinandersetzungen 1898 annektiert wurde. Der Spanisch-Amerikanische-Krieg von 1898 f¨uhrte dazu, dass die USA die Philippinen15 (neben Kuba, Puerto Rico und Guam) als Kolonie u¨ bernahmen. Dabei war das erste Abkommen auf Samoa zwischen samoanischen W¨urdentr¨agern und Repr¨asentanten der USA bereits 1839 geschlossen worden (vgl. Stuart 2007: 17). Auch auf den Phoenix- und Line-Inseln, die zum britischen Kolonialgebiet z¨ahlten, gab es schon 1856 f¨ur einzelne Inseln Absprachen (Guano Islands Act) bez¨uglich Lagerst¨atten f¨ur Guano16 (vgl. M¨uckler 2012: 208). Einige dieser Inseln wurden in den folgenden Jahren US-amerikanisch. 1900 schließlich u¨ bernahmen die USA die o¨ stlichen Samoa-Inseln, die westlichen gingen in deutschen Besitz u¨ ber.17

15

Auch wenn die Philippinen nicht mehr zum klassisch ozeanischen Gebiet Mikronesiens, oder Melanesiens geh¨oren, so liegen sie doch im S¨udpazifik und werden deshalb hier aufgez¨ahlt.

16 Guano entsteht durch Exkremente von Seev¨ogeln, Pinguinen oder Kormoranen, mitunter auch von Flederm¨ausen und wird in der Landwirtschaft als D¨unger verwendet. 17

Die Entwicklung Amerikanisch-Samoas und insbesondere Tutuilas aus US-amerikanischer Sicht schildert J.A.C. Gray (1960). Seine kommentierte Bibliografie pr¨asentiert eine umfangreiche Sammlung von u¨ berwiegend englischsprachigen Quellen zu Samoa. Von den in dieser Arbeit untersuchten tauchen bei ihm die Texte von Pierce Churchill, Tripp, Churchward, Brown, Zieschank, Deeken, Greene und Stevenson auf. ¨ Ahnlich wie in Darstellungen der deutschen Geschichte wird auch die US-amerikanische Geschichte Samoas mitunter verk¨urzt und sogar fehlerhaft dargestellt, so bspw. in den beiden B¨anden von Adams (2000b): 128f. oder Adams (2000a): 36ff.

Samoa – Perle‘ der Sudsee – eine kurze Akteursgeschichte | 67 ¨ ’

¨ 3.2 S AMOA – P ERLE ‘ DER S UDSEE – ’ EINE KURZE A KTEURSGESCHICHTE Die Inselgruppe Samoa liegt im S¨udpazifik, o¨ stlich von Australien und auf halber Strecke zwischen Neuseeland und Hawaii. Das Klima ist tropisch mit durchschnittlichen Temperaturen zwischen 24 und 28◦ C und einer hohen Luftfeuchtigkeit. Die Gruppe besteht insgesamt aus mehr als zehn Inseln, von denen einige kleinere Felseninseln unbewohnt sind. Die beiden gr¨oßten Inseln, Upolu und Savai’i, sowie die in der Passage zwischen diesen beiden liegenden Inseln Manono und Apolima geh¨orten ab 1900 zum deutschen Kolonialbesitz, w¨ahrend Manua und Tutuila mit Rose-Island in US-amerikanischen Besitz u¨ bergingen und bis heute Amerikanisch-Samoa bilden. Fl¨achenm¨aßig sind die Inseln Die Samoa-Inseln

Quelle: Beilage zu Woerl: Samoa, Land und Leute (vgl. Woerl 1901)

Upolu und Savai’i mit ca. 2.800 km2 zusammen geringf¨ugig gr¨oßer als Luxemburg mit 2.580 km2 .18 Die Bev¨olkerung wurde 1900 f¨ur die deutschen Inseln auf ungef¨ahr 33.000

18

Amerikanisch-Samoa besitzt eine Fl¨ache von 199 km2 .

68 | Historische Verortung

Samoaner und Samoanerinnen gesch¨atzt (vgl. Wegener 1903: 39), die Weiße Bev¨olkerung auf ca. 400 Menschen (vgl. Wegener 1903: 53). Apia, die Hauptstadt Upolus stellte lange Zeit den wichtigsten Handelsst¨utzpunkt dar und bekam erst nach der Teilung der Inseln durch Pago Pago auf Tutuila Konkurrenz, nicht zuletzt durch dessen sicheren Hafen und den Ausbau zur US-amerikanischen Marinestation. Die folgende Darstellung der politik-, sozial- und milit¨argeschichtlichen Ereignisse auf Samoa von Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts soll nicht dar¨uber hinwegt¨auschen, dass eine solche Zusammenstellung immer eine nachtr¨agliche Sinnkonstruktion darstellt, die sich in diesem Falle an den Lebensl¨aufen der untersuchten Autorinnen und Autoren und den von ihnen geschilderten Ereignissen orientiert.

¨ Missionsgeschichte und die Anfange Weißer Besiedelung Die Verkn¨upfung von europ¨aischer und samoanischer Geschichte beginnt, l¨asst man die Entdeckerfahrten‘ außen vor, im fr¨uhen 19. Jahrhundert. In den 1830er Jahren siedelten sich ’ die ersten europ¨aischen Missionare auf den samoanischen Inseln an: John Williams (17961839) und Charles Barff, die der London Missionary Society angeh¨orten (vgl. Bargatzky 2001: 623). 1845 ließen sich auch die franz¨osischen katholischen Missionare der Societas Mariae auf Samoa nieder (vgl. Bargatzky 2001: 623). Zwischen den einzelnen Missionen, der London Missionary Society (LMS), der Wesleyan Missionary Society (WMS) und den katholischen Maristen entwickelte sich schnell eine konfessionelle Rivalit¨at, die die religi¨os-konfessionelle Aufspaltung“ der samoanischen Bev¨olkerung anheizte und direkt ” in die zunehmenden Interessenskollisionen europ¨aischer Imperialm¨achte“ hineinspielte ” (Gr¨under 2001: 638). Chronologisch betrachtet, war es die Wesleyan Missionary Society, die den Titel der ersten ans¨assigen Mission f¨ur sich beanspruchen konnte, da bereits 1828 christliche Tongaer – die bei der WMS ausgebildet worden waren – das Evangelium nach Samoa brachten (vgl. Kurze 1900: 93). Die LMS nahm 1830 mit der Ankunft John Williams ihre Arbeit auf, dabei verweilte Williams selber nicht lange auf Samoa, sondern kehrte nach England zur¨uck, um dort f¨ur die Entsendung weiterer Missionare zu werben. Erst 1836 trafen die sehnlichst erwarteten 6 Missionare – wir f¨uhren hier ihre Namen auf: Barnden, A.W. ” Murray, Macdonald, Hardie, Heath und Mills –“ (Kurze 1900: 77) auf Samoa ein. Zu dem Zeitpunkt hatten die wesleyanischen Missionare Peter Turner und M. Wilson seit 1835 bereits ihren festen Wohnsitz auf der Inselgruppe eingerichtet (vgl. Kurze 1900: 93). Erst 1838 erreichte sie durch John Williams das offizielle Abberufungsschreiben ihrer Direktion in England (vgl. Kurze 1900: 94), dem die wesleyanische Mission auch

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nachkam.19 Der R¨uckzug der WMS war allerdings nicht von langer Dauer; im Jahr 1857 wurde der Missionar M[artin, G. F.] Dyson im Archipel und zwar auf Manono“ stationiert, ” dem dann in den n¨achsten Jahren noch einige Gef¨ahrten folgten“ (Kurze 1900: 96). So ” erkl¨art sich auch, weshalb der Missionar Reverent George Brown (1835-1917), der von 1860-1874 auf Samoa stationiert war, noch der WMS zugeh¨orig sein konnte. Brown war erst auf Umwegen in die Missionslaufbahn eingestiegen; zuvor hatte er sich unter anderem im medizinischen, chemischen und im Textilbereich versucht, bevor er sich als Matrose verdingte (Brown 2013/1908: 7f.). Schließlich verschlug es ihn 1855 nach Neuseeland, wo er bei seinem Onkel und seiner Tante, Rev. T. and Mrs. Buddle“ (Brown 2013/1908: 17) ” lebte. W¨ahrend seiner Zeit in diesem christlichen Haushalt fand Brown seine Berufung: Living as I was in the family of one of the old New Zealand missionaries, and being associated ” continually with one of the grandest missionaries that God ever gave to our Fiji mission, the Rev. R. B. Lyth, I had often thought of devoting my life to mission work. [. . . ] When Mr. Harding20 spoke to me, I told him that I was willing to offer myself exclusively for foreign mission work, and that, if accepted, my desire was to go to Fiji.“ (Brown 2013/1908: 18f.)

Browns Wunsch, nach Fiji entsandt zu werden, wurde zun¨achst entsprochen, but this was ” changed during the conference to Samoa“ (Brown 2013/1908: 20). Vor seiner Abreise heiratete er S. L. Wallis, die ihn nach Samoa begleitete. Auf ihrem Weg u¨ ber Sydney wurde Brown ordiniert, bevor die beiden am 30. Oktober 1860 in Samoa ankamen. Dort blieben sie mit wechselnden Wohnorten bis 1874 stationiert, als Brown nach New Britain entsandt wurde. In seiner Autobiografie schrieb Brown u¨ ber seinen Werdegang, seine Berufung, seine Zeit auf Samoa und die Missionsgeschichte dort. Kurze21 schreibt u¨ ber ihn: Einer der t¨uchtigsten Missionare, den die Wesleyaner auf Samoa gehabt haben, war G. Brown, ihr ” gegenw¨artiger Missionsdirektor; er hat von 1860-1874 auf Manono und Savaii in reichem Segen gearbeitet. Noch im vorigen Jahr hat er von Sydney aus auf einer Inspektionsreise sein altes Missi-

19

Der R¨uckzug der WMS erfolgte mit der Empfehlung an ihre Gemeinden, sich der LMS anzuschließen. Dem wurde aber nur teilweise Folge geleistet. Stattdessen wandten sich die Gemeinden an die Muttergesellschaft in Tonga, die wiederum native teachers‘ entsandte, sodass eine Art ’ methodistischer Freikirche auf Samoa entstand (vgl. Kurze 1900: 94ff.).

20

Reverent Lyth und Isaac Harding waren Teilnehmer des w¨ochentlichen Monday prayer-meeting‘, ’ das auch Brown regelm¨aßig besuchte (vgl. Brown 2013/1908: 18).

21

G¨unter Kurze (1850-1918) war Pfarrer in Bornshain und verfasste 1900 Samoa. Das Land, ” die Leute und die Mission“ (Kurze 1900). Darin beschreibt er ausf¨uhrlich die Geschichte der Missionen auf Samoa, vorrangig aus Sicht der LMS. Bis zuletzt bleibt unklar, welches Interesse er damit verfolgt bzw. wie er der LMS verbunden ist.

70 | Historische Verortung

onsfeld wieder besucht und viel zur Verst¨arkung eines freundschaftlichen Verh¨altnisses zwischen den Wesleyanischen und Londoner Missionsgemeinden beitragen [sic!].“ (Kurze 1900: 96f.)

Ein anderer – der LMS zugeh¨origer – Missionar war Victor Arnold Barradale, der sein 1907 ver¨offentlichtes Buch Pearls of the Pacific“ als Lehrbuch den Kindern in der Heimat ” widmete.22 Barradale selber hielt sich drei Jahre auf den samoanischen Inseln auf; aus seinen Schilderungen wird deutlich, dass dies die Jahre um 1900 gewesen sein m¨ussen, da er das Aufziehen der Deutschen Flagge am 1. M¨arz 1900 vor Ort miterlebte. Sein Buch hatte sowohl informierenden als auch (f¨ur die Unterst¨utzung der LMS) werbenden Charakter. Didaktisch geschickt f¨uhrte er seine Leserinnen und Leser nicht nur anhand von Karten durch die fr¨uheren und aktuellen Gegebenheiten auf den Inseln. Die Missionare der London Missionary Society setzten von Anfang an darauf, die samoanische Bev¨olkerung zu literalisieren, um das Evangelium zu verbreiten. Hierzu wurde nicht ausschließlich die englische Sprache oder das sp¨ater weit verbreitete Pidgin-English verwendet, sondern die Bibeltexte wurden ins Samoanische u¨ bersetzt. Aufgrund der zahlenm¨aßig nur kleinen Gruppe europ¨aischer Missionare wurden fr¨uh Samoaner eingesetzt, die als native teachers“ (Latukefu und Sinclair 1982: 2) die Mission unterst¨utzten. Die ” LMS entwickelte sich rasant: [B]y 1840, the three main islands of Upolu, Savai’i, and Tutuila were covered with a net-work of ” mission centres. A printing press was established in 1839 and was soon putting out a number of publications in Samoan. By 1855 the whole New Testament was translated into Samoan and distributed among church members. Five years later, the whole Bible was printed in Samoan. Malua Theological College was established in 1844 for the training of Samoan pastors. In 1895, there were eight European men, two European women, 142 ordained native agents, 184 native preachers, 5,743 church members, 209 schools, and 7,715 scholars.“ (Sinclair 1982: 7)

Innerhalb von gut 60 Jahren hatte sich eine Infrastruktur herausgebildet, die zwar mit wenigen europ¨aischen Missionaren arbeitete, dar¨uber hinaus aber – seit 1844 und der Gr¨undung des Malua Colleges23 – Samoanerinnen und Samoaner ausbildete, die im Dienste der Missionen ausgesandt wurden. Neben dem theologischen College gr¨undete die LMS die Leulumoega High School, die auf die Laufbahn am Malua College vorbereiten sollte und an der die Kinder neben tropical agriculture“ auch in carpentry, concrete work, plumbing, ” ”

22

Solche Darstellungen waren nicht un¨ublich. F¨ur den afrikanischen Raum existiert bspw. Der ” armen Heidenkinder Freud und Leid“ (Emonts 1923).

23

Es gab – und gibt bis heute – zwei Aufnahmekriterien an der Malua: Die Bewerber durften keine Matai“-Titel tragen (keine Familienvorst¨ande sein, also keine Machtposition besetzen) und ” durften nur außerhalb ihrer eigenen Dorfgemeinschaft dienen (vgl. Sinclair 1982: 11).

Samoa – Perle‘ der Sudsee – eine kurze Akteursgeschichte | 71 ¨ ’

blacksmithing“ oder boat building“ unterrichtet wurden (Sinclair 1982: 9). Zus¨atzlich gab ” es f¨ur M¨adchen die Papauta school, an der neben Charakterbildung und missionarischen Impulsen European habits“ (Sinclair 1982: 9) vermittelt werden sollten. Gleichzeitig ” wurden den M¨adchen handwerkliche F¨ahigkeiten beigebracht – N¨ahen, Waschen, B¨ugeln, Korbflechterei –, um sie als potenzielle Ehefrauen f¨ur die Abg¨anger des Malua attraktiv zu machen und sie auf ihre Aufgabe der Christian Work“ vorzubereiten (Sinclair 1982: ” 9f.). Eine parallele Struktur gab es auch bei der WMS; in Lufilufi befand sich das wesleyanische Missionsseminar f¨ur junge M¨anner (vgl. Kurze 1900: 97). Auch die franz¨osische katholische Mission, die seit 1845 auf Samoa ihre Arbeit tat, richtete schließlich in Vaea bei Apia ein Seminar zur Heranziehung eingeborener Katechisten“ ein (Kurze 1900: 100). ” F¨ur den sp¨ateren ersten deutschen Gouverneur, Wilhelm Solf, blieb die gewachsene Bedeutung der ans¨assigen Missionen ein strittiges Thema, das er in seine Kolonialpolitik zu integrieren versuchte. Solf bejahte durchaus ihren Auftrag, den weniger entwickelten V¨olkern das Licht der Kultur‘ zu brin” ’ gen, und er sah in ihrer kulturerzieherischen T¨atigkeit eine wertvolle St¨utze des Kolonialstaates. Aber er bezeichnete es als einseitig und . . . einen verh¨angnisvolle(n) Irrtum‘, [. . . ] wenn der Kolonialstaat ’ diese Aufgabe der kulturellen Vermittlung und Erziehung den Missionaren allein u¨ berlassen w¨urde.“ (Gr¨under 2001: 643f.)

Der Einfluss der LMS – und letztlich aller Missionen – auf die Erziehung und Ausbildung der Samoanerinnen und Samoaner fand seinen Niederschlag auch im gesellschaftlichen Leben, wo er einige Ver¨anderungen herbeif¨uhrte: Sex and family relations received top billing from the missionaries. For example, polygamy was ” abolished and certain customary marriage rights including the exchange of goods and the public testing of virginity were prohibited; adultery, fornication, prostitution and obscenity in word and action were also prohibited; the celebration of monogamous marriage in church was to replace customary marriages; new standards of dress were imposed, including full coverage for women, and when at worship, shirts or coats for men; traditional hair styles of long hair for men and short hair for women were reversed to adopt hair styles appropriate‘ to the individuals’ sex; internal partitioning of houses ’ and more liberal use of the external blinds were also encouraged for modesty’s sake.“ (Sinclair 1982: 10)

Weitere Lebensbereiche oder Gebr¨auche waren durch Verbote von T¨atowierungen, Alkoholgenuss, Anwendung von Magie bei Erkrankungen, Beerdigungsrituale und Kava-Trinken betroffen (Sinclair 1982: 11). Hier zeigt sich deutlich der Ansatz, entsprechende Rituale

72 | Historische Verortung

durch christliche Handlungsweisen zu ersetzen und somit die einheimische Religion obsolet werden zu lassen. Ob dies tats¨achlich gelang, bleibt jedoch fraglich.24

Ausbau von Handelsbeziehungen und politische Unruhen Ab 1850 war das deutsche Handelshaus Johann Caesar Godeffroy & Sohn in Apia ans¨assig, von wo es ein weites Netz von Handelswegen in der S¨udsee spannte, um deutsche Handelsinteressen zu vertreten. Da nun neben den englischen und US-amerikanischen Missionaren die deutsche Handelsgesellschaft auf den Inseln ans¨assig war, entbrannten Konflikte um die Verwaltung der Inseln. Die Samoa-Konferenz von 1879 legte fest, dass die US-Amerikaner den Hafen auf Pago Pago als Kohlestation nutzen konnten, w¨ahrend die Deutschen den Hafen Saluafata auf Upolu erwarben. Weiterhin sollte die Verwaltung Apias, der Hauptstadt Upolus, durch einen Munizipalrat gew¨ahrleistet werden und der Bezirk um Apia neutrales Gebiet sein. Erster Konsul war ab 1864 der Deutsche Theodor Weber, der vorrangig die Interessen des Hamburger Handelshauses vertrat. Wegen des drohenden Bankrotts des Handelshauses in den 1870er Jahren wandte man sich an den deutschen Reichstag, um Samoa zu einem deutschen Schutzgebiet zu erkl¨aren und Unterst¨utzung aus der Heimat zu bekommen. Der Reichstag unter Bismarck ließ die Vorlage jedoch scheitern. Das Handelshaus Godeffroy ging in Konkurs und wurde in die Deutsche Handels- und Plantagengesellschaft der S¨udsee-Inseln zu Hamburg“ (DH&PG) ” mit englischer Beteiligung u¨ berf¨uhrt. In den 1880er Jahren f¨uhrten Interessenskonflikte um die samoanische K¨onigsw¨urde‘ ’ immer wieder zu b¨urgerkriegs¨ahnlichen Zust¨anden auf der Insel.25 In diese Zeit f¨allt der Aufenthalt des Briten William B. Churchward (1844-1920), der ab 1882 f¨ur drei Jahre britischer Konsul auf Samoa war. Churchward war der Sohn eines politisch unbedeutenden Grundbesitzers in England (vgl. Bassett 2013). Nach seiner Erziehung an Privatschulen und in Frankreich ging er zur Armee. Er war in S¨udafrika und Tasmanien, bevor er schließlich Konsul in Apia wurde. Erst nach seinem insgesamt vierj¨ahrigen Aufenthalt in der S¨udsee heiratete er und verstarb schließlich 1920 (vgl. Bassett 2013). 1887 wurden seine Schilderungen My Consulate in Samoa. A Record Of Four Years Sojourn In The ” Navigators Islands, With Personal Experiences Of King Malietoa Laupepa, His Country And His Men“ (Churchward 1887) ver¨offentlicht.

24

Auch hier ist es eine Sache des Standpunkts: W¨ahrend Missionare mit dem Verlauf der Ereignisse unzufrieden waren, sch¨atzten Ethnologen die Entwicklung als positiv ein (vgl. Bargatzky 2001: 624).

25

In den Quellen machten sich die meisten Autorinnen und Autoren nicht die M¨uhe der Beschreibung, sondern fassten die Zeit als Kriegswirren“ zusammen. ”

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Als der h¨ochste samoanische W¨urdentr¨ager, Malietoa Talavu, im Jahr 1881 starb (vgl. Wegener, in: Genthe 1908: XIV), konkurrierten drei Personen miteinander um die Nachfolge: Malietoa Laupepa, Tamasese und Mataafa. Zun¨achst wurde Malietoa Laupepa zum K¨onig ausgerufen, da er die meisten Titel auf sich vereinigte; [he] held the three ” names of Malietoa, Natoaitele, and Tamasoalii; Tamasese held that of Tuiaana; and Mataafa that of Tuiatua“ (Stevenson 1895/1892: 5). Schließlich rebellierte Tamasese 1885 gegen Malietoa Laupepa. Tamasese wurde dabei von den Deutschen unterst¨utzt, w¨ahrend Malietoa eher die Unterst¨utzung der angloame” rikanischen Partei“ genoss (Wegener, in: Genthe 1908: XIV). Aufgrund internationaler Einmischungen und Intrigen wurde Tamasese letztlich zum K¨onig‘ ausgerufen. Malietoa ’ wurde, nach aufw¨andiger Verfolgung, schließlich von den Deutschen ins Exil geschickt (vgl. Stevenson 1895/1892: 78ff.). Gegen Tamasese wiederum spielte die angloamerikanische ” Partei nunmehr den dritten Thronanw¨arter, Mataafa, aus“ (Wegener, in: Genthe 1908: XV). Somit entbrannte nun der Krieg zwischen Tamaseses und Mataafas Parteien.26 Schließlich kam es bei Streitigkeiten dar¨uber, die beiden Parteien zu entwaffnen, zu dem Gefecht von Vailele vom 8. Dezember 1888.27 Insgesamt lagen aufgrund der versch¨arften Situation in Apia sieben Kriegsschiffe vor Anker. Die deutschen Schiffe Olga, Adler und Eber standen den amerikanischen Schiffen Trenton, Vandalia und Nipsic, sowie dem britischen Kriegsschiff Calliope gegen¨uber (vgl. Greene 1896: 37), als sich im Jahr 1889 der Great Hurricane of Samoa“ ereignete. Da alle ” beteiligten Personen so sehr mit den Vorkommnissen an Land besch¨aftigt waren, achtete niemand auf die Zeichen des aufkommenden Sturms (vgl. Stevenson 1895/1892: 250). Unter normalen Umst¨anden und ohne die aufgebaute Drohkulisse h¨atte wohl ein jedes der Schiffe bei diesem Anblick den Hafen verlassen, doch so hielten sie in der Bucht aus (vgl. Greene 1896: 35). Im Laufe des Sturms kenterten die meisten der Kriegsschiffe, sie sanken oder strandeten, so wie die deutsche Adler, innerhalb der Bucht. F¨ur die havarierten Schiffe und ihrem Besatzungen erfolgte eine Rettungsaktion, die anscheinend keine R¨ucksicht mehr auf nationale Rivalit¨aten, Freund oder Feind nahm; insbesondere die samoanische Bev¨olkerung beteiligte sich an der Rettung der Seem¨anner (vgl. Greene 1896: 36f.).

26

Diesen Ereignissen widmete Stevenson eigene monatsgetreue Kapitel, legte den Schwerpunkt aber auf die europ¨aischen und US-amerikanischen Vertreter, die im Hintergrund die F¨aden zogen (vgl. Stevenson 1895/1892: C HAPTER IV-VIII).

27

Einige Deutsche und Samoaner waren unter den Opfern. Diesem Gefecht ging bereits ein deutsches Bombardement der Insel Manono voran, welches Wegener unterschl¨agt. Stevenson jedoch berichtet davon (vgl. Stevenson 1895/1892: 118ff.). Stevenson setzte sich außerdem damit auseinander, wer zuerst das Feuer er¨offnete (vgl. Stevenson 1895/1892: 217).

74 | Historische Verortung

Den Sturm selber hatte keine/r der Autorinnen oder Autoren erlebt, allerdings bezeugte noch das Wrack der Adler, deren Eisenrumpf noch lange Zeit als Mahnmal am Strand von Apia lag, das Ereignis. Dieses Wrack hatte sich im Laufe der Jahre zu einer Art touristischen Sehensw¨urdigkeit entwickelt.28 Durch diese Lage kam es schließlich zur Berliner Samoa-Konferenz von 1889, die Malietoa aus seinem Exil zur¨uckholte und wieder als K¨onig‘ einsetzte, wenn auch unter ’ der gemeinschaftlichen Oberhoheit des englischen, deutschen und US-amerikanischen Konsuls (vgl. Wegener, in: Genthe 1908: XV). Den gesamten Zeitraum der Jahre 1883-1892 beschreibt Robert Louis Stevenson (18501894) in A Footnote to History. Eight years of Trouble in Samoa“ 29 (Stevenson 1895/1892), ” obwohl sein tats¨achlicher Aufenthalt auf Upolu die sp¨ateren Jahre von 1889/90 bis zu seinem Tod im Jahre 1894 umfasste. Stevenson wurde am 13. November 1850 in Edinburgh, Schottland, geboren. 1880 heiratete er die zehn Jahre a¨ ltere Fanny Osbourne, die zwei Kinder, Lloyd und Belle, mit in die Ehe brachte. Gemeinsam lebten sie in Schottland, bis Stevensons Gesundheitszustand mehrere Aufenthalte in der Schweiz notwendig machte. Auf der Suche nach einem seiner Lungenerkrankung zutr¨aglichen Klima verließ Stevenson mit seiner Frau schließlich Europa und zog in die USA, New York State, von wo aus er Reisen in die S¨udsee unternahm. Ende des Jahres 1889 besuchten sie zum ersten Mal die Samoa-Inseln, wo er eine Plantage in der N¨ahe von Apia erwarb, der er den Namen Vailima gab. Im Oktober 1890 u¨ bersiedelte er endg¨ultig mit seiner Familie – seiner Frau Fanny, seiner Schwiegermutter Margaret, seinen Stiefkindern Lloyd und Belle sowie de-

28

Als Mahnmal wird es in vielen Quellen schon bei der Einfahrt in die Bucht von Apia geschildert. Vergleiche Myers Shoemaker (1898): 41f., Deeken (1901): 19f., Ehlers (2008/1895): 57; 63f., Tripp (1911): 147f., Genthe (1908): 3, Wegener (1903): 26.

29

Im deutschsprachigen Raum war A Footnote to History“ durch das Verlagshaus Tauchnitz ” in Leipniz bekannt, das schon fr¨uh fremdsprachige Editionen herausgegeben hatte, so auch Stevensons Text 1892. Als fremdsprachige Edition herausgegeben, wurde es anschließend als antideutsches Pamphlet konfisziert, das Verlagshaus zudem mit einem Bußgeld belegt (vgl. Todd und Bowden 1988: 419; 609f.). In einem zeitgen¨ossischen Artikel des National Observer“ wird ” die Verbrennung‘ von Stevensons Text in Deutschland kritisch beleuchtet und nicht ganz ohne ’ Schadenfreude betrachtet (o.A. 1893: 612f.). Bekannt geworden ist Stevenson vor allem durch seine Romane Die Schatzinsel“ (Treasure Island) ” (Stevenson 1883) und Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ (Strange Case of Dr. Jekyll ” and Mr. Hyde) (Stevenson 1886). Sein Werk mit Bezug auf seine Zeit in der S¨udsee umfasst verschiedene Genres. Erz¨ahlungen wie The Beach of Fales`a“ (Stevenson 1893) (Der Strand von ” Falesa, 1960), The Bottle Imp“ (Stevenson 1893) (Der Flaschenkobold, 1986), Reiseberichte wie ” In the South Seas“ (Stevenson 1896) (In der S¨udsee, 1972) und seine zeitgeschichtliche Schrift ” A Footnote to History. Eight Years of Trouble in Samoa“ (Stevenson 1895/1892) (Eine Fußnote ” zur Geschichte – Acht Jahre Unruhen auf Samoa, 2001) entstanden auf Samoa.

Samoa – Perle‘ der Sudsee – eine kurze Akteursgeschichte | 75 ¨ ’

ren Ehemann Joseph Strong und Sohn Austin – nach Samoa. Stevenson genoss bei der samoanischen Bev¨olkerung anscheinend großes Ansehen und war dort als Tusitala‘, als ’ Geschichtenerz¨ahler, bekannt. Auch die deutschen Reisenden brachten ihm Achtung entgegen, obwohl englischen Zeitgenossen sonst eher mit Skepsis oder nationaler Konkurrenz begegnet wurde.30 Gegen Ende des Jahres 1892 reiste Marie Fraser mit ihrer Mutter nach Samoa. Marie Fraser war das Patenkind des englischen Schriftstellers James Payne, der wiederum mit Stevenson befreundet war.31 Payne schrieb daher auch das Vorwort zu Frasers Ausgabe In Stevenson’s Samoa“ (Fraser 1895). Marie Fraser selbst war Schauspielerin – wenn ” auch anscheinend keine begnadete (vgl. Mehew in Stevenson 1997: 525) – und hatte vor ihrer Reise in Edinburgh und London auf der B¨uhne gestanden (Terry 1996: 174). Sie begegnete bereits kurz nach ihrer Ankunft Robert Louis Stevenson, bei dem die beiden Frauen nach Weihnachten einen l¨angeren Aufenthalt hatten.32 1893 reisten Marie Fraser und ihre Begleiterin wieder in die Heimat, Stevenson verstarb im Dezember des Jahres 1894. Seinen Tod nahm Fraser unter anderem zum Anlass, u¨ ber ihre Zeit auf Samoa zu berichten; in ihrem Schlusswort nahm sie Bezug auf Stevensons letzte Ruhest¨atte. Frasers Text war dem US-Amerikaner Charles S. Greene vertraut, als er seine Reise nach Samoa antrat und dar¨uber einen Reisebericht verfasste, der weniger sein eigenes Erleben als vielmehr die g¨angigen Themen, die mit Samoa verbunden wurden, enthielt (vgl. Greene 1896). In seinem Reisebericht belegt Greene selber nicht, ob er tats¨achlich auf Samoa gewesen ist oder nicht, und deshalb aus anderen Texten zitiert. Eine Rezension aus dem Jahre 1896 spricht aber von seinem tats¨achlichen Aufenthalt auf Samoa: During ” his stay he appears to have had a pleasant sojourn, and his recollections of the place and people are very charming and satisfactory.“ (o.A. 1896: 1)

30

F¨ur manche der Autorinnen und Autoren waren die samoanischen Inseln eng mit Stevenson verkn¨upft und schon im zeitgen¨ossischen kolonialen Kontext besuchten einige Reisende explizit ¨ die samoanischen Inseln, um entweder Stevenson selbst oder sp¨ater sein Grab bzw. die Uberreste seines Anwesens Vailima zu besuchen.

31

Payne war es auch, der Stevensons Texte dem Leipziger Verlagshaus Tauchnitz vorschlug. In der Folge ver¨offentlichte Tauchnitz alle g¨angigen Werke des schottischen Autors (vgl. Todd und Bowden 1988: 1014).

32

W¨ahrend die Schilderungen Frasers schw¨armerisch und sehr positiv verfasst sind, schrieb Stevenson nach ihrer Abreise in einem Brief an seine Mutter: The guests [the Frasers, G. F.] have ” gone (so to speak) to glory. I can only say that we find their memory sweeter than their presence. They proved to be a pair of exceptionally silly women [. . . ]. Things got strained towards the end of the visit, the family kissed and sat down to a kind of love-feast behind their departing backs.“ (Stevenson 1997: 525)

76 | Historische Verortung

Kurz nach Stevensons Tod hatte ein weiterer Mann einen im Vergleich zu seinem sp¨ateren Bekanntheitsgrad eher kurzen Aufenthalt auf Samoa: Otto E. Ehlers (1855-1895). Ehlers, ein guter Freund des ostafrikanischen Kolonisators und Abenteurers Carl Peters, mit dem er nach Deutsch-Ostafrika gereist war, hatte bereits mehrere Reiseberichte aus Indien, China und Korea verfasst.33 Aufgrund der Konflikte um die K¨onigsw¨urde‘ war Samoa ’ auch in den deutschen Medien stark pr¨asent, weshalb Ehlers sich auf den Weg in die S¨udsee gemacht hatte und von dort f¨ur die K¨olnische Zeitung Briefe aus dem F¨unften Welttheil“ ” schrieb. Nun war er f¨ur drei Monate nach Samoa gekommen, um Zeuge des historischen Ereignisses zu werden, wenn Samoa deutsche Kolonie w¨urde. Da dieses Ereignis noch f¨unf Jahre auf sich warten lassen sollte, plante er eine Exkursion zur Nord-S¨ud-Durchquerung Neu-Guineas, bei der er unter ungekl¨arten Umst¨anden34 zu Tode kam. Seine Bezeichnung Samoas als Perle der S¨udsee“ pr¨agt die Wahrnehmung der Inselgruppe bis heute und auch ” ohne eine Untersuchung der genaueren Rezeptionsgeschichte liegt die Vermutung nahe, dass er in zeitgen¨ossischen deutschsprachigen Kreisen zu den meistgelesenen Autoren u¨ ber Samoa geh¨orte. Ehlers und Stevenson waren schon tot, als Llewella Pierce Churchill (1858-1939) mit ihrer Familie nach Samoa reiste. Ihr Mann, Konsul William Churchill, hatte noch in den USA Bekanntschaft mit Robert Louis Stevenson gemacht. William Churchill hatte von 1884 bis 1888 bereits mehrere Reisen in die S¨udsee unternommen, unter anderem nach Samoa, Fiji, Australien und Neuseeland. 1888 traf er nicht nur Stevenson in San Francisco, dem er die samoanischen Inseln empfahl, sondern auch seine sp¨atere Frau Llewella Pierce Clough, die zu diesem Zeitpunkt noch verheiratet war und aus dieser Ehe auch einen Sohn, Perry, mitbrachte. Nach ihrer Scheidung heiratete sie Churchill, der ihren Sohn adoptierte. Der Posten des amerikanischen Konsuls in Apia war seit 1891 vakant oder nur kommissarisch besetzt. Trotz fehlender diplomatischer oder juristischer Ausbildung bewarb sich Churchill um das Amt und f¨uhrte seine journalistischen F¨ahigkeiten und Kenntnisse der S¨udseesprachen an. Wiederholt wurde er abgelehnt, bis schließlich im Jahr 1896 wieder b¨urgerkriegs¨ahnliche Zust¨ande einen offiziellen Konsul Amerikas notwendig zu machen schienen und Churchill von Pr¨asident Cleveland im Juli nach Samoa entsandt wurde. Llewella und ihr Sohn begleiteten ihn. (Vgl. Theroux 1995: 97ff.) Seine Amtszeit dauerte lediglich anderthalb Jahre, und im November 1897 verließ die Familie die Insel

33

Schon in seiner Jugend war Ehlers schriftstellerisch t¨atig und hatte als junger Mann bereits ¨ ausgiebige Reisen durch Deutschland und Osterreich gemacht (vgl. Br¨ummer 1876: 167).

34

Mythen ranken sich um seinen Tod. Die beliebteste zeitgen¨ossische Erz¨ahlung war vermutlich die, dass er wegen schlechter Vorbereitung der Expedition Opfer des Hungerkannibalismus geworden war (vgl. D¨urbeck (2007): 192 oder auch Hiery (2008): 178).

Samoa – Perle‘ der Sudsee – eine kurze Akteursgeschichte | 77 ¨ ’

wieder. 1902 erschien Pierce Churchills Buch Samoa ’Uma. Where Life is different“ ” (Pierce Churchill 1902), worin sie ihre Zeit auf Samoa beschreibt.35 1896 machte Michael Myers Shoemaker (1853-1924) einen kurzen Abstecher nach Samoa. Der aus Kentucky stammende Autor bereiste Australien und Ozeanien, und hatte die Gelegenheit, auf Samoa f¨ur zwei Stunden an Land zu gehen (vgl. Myers Shoemaker 1898: 42). Trotz der K¨urze seines Aufenthalts widmete er Samoa ein kurzes Kapitel innerhalb seiner kompletten Reiseschilderung. Auf Samoa begegnete er dem amerikanischen Konsul Churchill, Ehemann von Llewella Pierce Churchill, und gab die kurze Konversation mit ihm wieder (Myers Shoemaker 1898: 43). Er hielt sich zu einer Zeit auf Samoa auf, als die Unruhen wieder entbrannt waren, Myers Shoemaker beschrieb die Situation als state ” of chaos just now“ (Myers Shoemaker 1898: 44). Mataafa hatte gegen Malietoa rebelliert und war daf¨ur selbst ins Exil geschickt worden. Tamasese war zwischenzeitlich verstorben, doch einer seiner S¨ohne setzte den Kampf gegen Malietoa fort. Die Lage war kritisch, als auch Malietoa 1898 schließlich verstarb. Die samoanische Bev¨olkerung w¨ahlte Mataafa zu seinem Nachfolger, der nun aus dem Exil zur¨uckkehrte und von den Deutschen unterst¨utzt wurde. Die Engl¨ander unterst¨utzen Mataafa nicht mehr, da er ein starker Anh¨anger der katholischen Mission geworden war, die wiederum der englischen protestantischen Mission rivalisierend gegen¨uberstand. Stattdessen proklamierten die Engl¨ander den Sohn Malietoa Laupepas, Malietoa Tanu, zum K¨onig (vgl. Wegener, in: Genthe 1908: XVI), der auch von der US-amerikanischen Marine unterst¨utzt wurde. Mataafas Partei konnte sich aber gegen Tanus Partei behaupten, die wiederum von einem eintreffenden US-amerikanischen Kriegsschiff Unterst¨utzung erhielt. Diese erneuten Kriegszust¨ande f¨uhrten 1899 zur Einberufung einer weiteren Samoa-Konferenz und zur Entsendung einer internationalen Kommission, der Diplomaten aller drei L¨ander angeh¨orten (f¨ur Deutschland war dies Hermann Speck von Sternburg, f¨ur die Briten C.N.E. Eliot und f¨ur die USA Bartlett Tripp), und die die Entwaffnung der samoanischen Parteien, die Befriedung des Landes und schließlich die Aufteilung der Inseln zum Ziel hatte.

Vom Tridominion zur Inselteilung Mitglied eben dieser Kommission, die sich von Mai bis Juli auf Samoa aufhielt, war der aus Maine stammende Amerikaner Honorable Bartlett Tripp (1839-1911), Rechtsanwalt und Diplomat, der mit seiner Darstellung die Innensicht auf das Handeln der Kommission gibt. Zur gleichen Zeit war auch Siegfried Genthe (1870-1904) auf Samoa, entsandt von der K¨olnischen Rundschau, um u¨ ber den Besuch der internationalen Kommission zu berichten. Genthe, geboren in Berlin, aufgewachsen in Hamburg als Sohn eines Gymnasiallehrers und

35

W¨ahrend der Zeit auf Samoa erkrankte Llewellas Sohn an Typhus und wurde vom deutschen Hafenarzt Dr. Bernhard Funk behandelt, dem sie die Ausgabe ihres Buches widmete.

78 | Historische Verortung

sp¨ateren Schulleiters,36 begann schon fr¨uh mit schriftstellerischen T¨atigkeiten. Er studierte zun¨achst in Jena romanische, englische und deutsche Philologie, sp¨ater in Marburg neben Philologie auch Geografie, worin er schließlich promovierte. F¨ur die K¨olnische Rundschau“ ” wurde er als Vertreter nach New York und Washington entsandt, als sich die Lage auf Samoa zuspitzte, dorthin geschickt. Seine Reisebriefe aus Samoa“ (Genthe 1908) wurden ” vom 5. Oktober 1899 bis zum 6. April 1900 in der K¨olnischen Zeitung“ ver¨offentlicht. ” Nach seiner Zeit auf Samoa reiste er zun¨achst zur¨uck in die USA, von wo aus er jedoch bald als Kriegsberichterstatter nach China aufbrach. Nach diesem Aufenthalt bereiste er Korea, bevor er u¨ ber Moskau nach Europa und schließlich nach Deutschland zur¨uckkehrte. Doch der Aufenthalt in der Heimat sollte nicht lange dauern, da Genthe bald als Vertreter nach Paris und von dort 1903 nach Marokko entsandt wurde. In Marokko blieb Genthe ¨ ungef¨ahr ein Jahr, bis er im M¨arz 1904 bei einem bewaffneten Uberfall t¨odlich verletzt wurde. Georg Wegener (1863-1939), der auch in Marburg Geografie studiert hatte und ein Freund Genthes war, gab dessen Reiseberichte in drei B¨anden37 heraus, um Genthes Andenken zu wahren. In seinen Reiseschilderungen aus Samoa zeichnete Genthe ein sehr ausf¨uhrliches und genaues Bild des Inselreiches. Doch auch er erlebte das Aufziehen der deutschen Reichsflagge nicht. Die internationale Kommission bereitete den Weg f¨ur das Samoa-Abkommen, welches eine friedliche L¨osung bot. The war cloud which had hung ” so ominously over Apia and these beautiful islands had disappeared, and the sun of civil liberty was now shining with light unrestrained, for the benefit and protection of all.“ (Tripp 1911: 108) Samoa verlor seine Unabh¨angigkeit und wurde geteilt. Die beiden kleineren Inseln Tutuila und Manua gingen in US-amerikanischen Besitz u¨ ber, w¨ahrend Upolu und Savaii, die beiden gr¨oßeren westlichen Inseln, zur deutschen Kolonie wurden. Großbritannien zog sich aus Samoa zur¨uck, daf¨ur verzichtete Deutschland auf seine Anspr¨uche auf die Tongainseln und trat die Salomoninseln Choiseul und Ysabel an die Engl¨ander ab (vgl. Hiery 2001b: 649). So konnte am 1. M¨arz 1900 die Reichsflagge in Apia aufgezogen werden und gleichzeitig der bisherige Konsul Wilhelm Solf zum Kaiserlichen Gouverneur ernannt werden. Mataafa erhielt den Titel Alii Sili, was soviel wie Oberster H¨auptling‘ bedeutete, ’ womit die K¨onigsw¨urde‘ offiziell abgeschafft war. Außerdem wurden die samoanischen ’ Rebellen entwaffnet, wodurch ein Einhalten des Friedens sichergestellt werden sollte.

36

Hermann Genthe war zun¨achst Lehrer am evangelischen Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin und wurde sp¨ater Direktor am Wilhelm-Gymnasium in Hamburg (vgl. Wegener, in: Genthe 1905: XIII).

37

Der erste Teil Korea“ erschien 1905 (Genthe 1905), Marokko“ folgte 1906 (Genthe 1906), 1908 ” ” erschien der dritte Band der Reiseschilderungen Samoa“ (Genthe 1908). ”

Samoa – Perle‘ der Sudsee – eine kurze Akteursgeschichte | 79 ¨ ’

Das Interesse an der neuen‘ deutschen Kolonie war groß, was sich an der Vielzahl ’ der Reiseschriften aus dem Jahre 1900 zeigte. Im Mai 190038 hatte Georg Wegener die Gelegenheit, seine von der Verlagshandlung“ (Wegener 1903: Vorwort) gef¨orderte Reise ” nach Samoa und zu den anderen S¨udseeinseln anzutreten. Seine Schilderungen wurden in der Reihe Land und Leute. Monographien zur Erdkunde“ 1903 herausgegeben. Weiterhin ” wurden 1919 seine Reiseerinnerungen unter dem Titel Der Zaubermantel. Erinnerungen ” eines Weltreisenden“ (Wegener 1925/1919) ver¨offentlicht. Auch ein Blick in sein Vorwort zu der Samoa“-Ausgabe von Siegfried Genthe lohnt sich. Hier zeichnete Wegener den ” historischen Umriss der Ereignisse auf Samoa nach, insbesondere die Kriegswirren‘, die ’ die Vorgeschichte zu Genthes Reise lieferten (vgl. Wegener, in: Genthe 1908: IX-XX). Das Interesse von Ernst von Hesse-Wartegg (1854-1918) bei seiner S¨udseereise lag darin, die Kenntnis der deutschen Kolonien in der S¨udsee in weitere Kreise zu tragen und ” das Interesse an den kolonialen Bestrebungen und an der Ausbreitung deutscher Arbeit in fernen L¨andern wach zu erhalten“ (Hesse-Wartegg 1902: VI). Obwohl Hesse-Wartegg als der Reiseschriftsteller im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gilt und er unz¨ahlige Reisetexte verfasste,39 ist u¨ ber sein Leben so gut wie nichts bekannt. Er heiratete 1882 die Operns¨angerin Minnie Hauk, doch auch ihre Autobiografie gibt keine R¨uckschl¨usse auf sein Leben (vgl. Hauk 1925).40 Obwohl Samoa nun offiziell deutsche Kolonie wurde, verfolgte Gouverneur Solf weiterhin seine paternalistische Politik des Schutzes und der Bewahrung der einheimischen kulturellen Identit¨at. Solf sah das Gleichgewicht zwischen einheimischer Bev¨olkerung und deutschen Siedlerinnen und Siedlern gef¨ahrdet, womit er in Konflikt mit denjenigen Vertretern deutscher Kolonialpolitik geriet, die den Ausbau Samoas zur Siedlungskolonie bef¨urworteten und anstrebten, namentlich vertreten durch Richard Deeken (1874-1914). Dieser verfolgte die Interessen der Opposition der siedlungspolitisch orientierten Kolonial” politiker in Deutschland und entsprechender Gegner des Gouverneurs in Samoa“ (Gr¨under 2004/1985: 184).41 Diese schlossen sich im Alldeutschen Pflanzerverein“ zusammen. ”

38

Im Zaubermantel“ berichtet Wegener, dass er seinen Geburtstag, den 31. Mai, auf Samoa verbringt ” (vgl. Wegener 1925/1919: Kap. 3), was R¨uckschl¨usse auf den Zeitpunkt seines Aufenthaltes zul¨asst.

39

Als Auswahl seien hier die folgenden Reiseberichte genannt, die seinem Samoa-Reisebericht vorausgingen: Kanada und Neu-Fundland. Nach eigenen Reisen und Beobachtungen“ (Hesse” Wartegg 1888), Mexiko. Land und Leute“ (Hesse-Wartegg 1890) und Schantung und Deutsch” ” China. Von Kiatschou ins Heilige Land von China und vom Jangtsekiang nach Peking“ (HesseWartegg 1898).

40

Obwohl Hesse-Wartegg in Wien geboren wurde (vgl. o.A. 1959: 305), wird er hier als deutschsprachiger Autor behandelt.

41

Eine Darstellung des Konflikts findet sich bei Loosen (2014a): 80f.

80 | Historische Verortung

Deeken, außerdem Gr¨under der Deutschen Samoa-Gesellschaft zum Anbau von Kakao, ” Kautschuk und Kopra“, war von 1902 bis 1910 auf Samoa ans¨assig. Er lebte dort mit seiner Frau Elisabeth, mit der er insgesamt sechs Kinder hatte. Die Gegnerschaft zu Solf und die damit verbundenen Machtspiele bestimmten im Wesentlichen seinen Aufenthalt auf Samoa. 1910 kehrte er mit seiner Familie nach Deutschland zur¨uck. Neben seinem Werk Manuia Samoa!“ (Deeken 1901)42 hinterließ Richard Deeken f¨unf weitere Monografien ” und vielz¨ahlige Berichte und Aufs¨atze.43 Seit 1906 befand sich zeitgleich zu Deeken auch Frieda Zieschank auf Samoa. Sie verfasste u¨ ber ihre Zeit auf Samoa ihre Autobiografie Ein Jahrzehnt in Samoa. 1906-1916“ ” (Zieschank 1918). Zieschank war mit ihrem Mann, der als Arzt f¨ur die Angestellten der DH&PG zust¨andig war, nach Samoa gekommen (vgl. Walgenbach 2005: 297). Dort kam auch ihr gemeinsames Kind zur Welt. Wegen des Ersten Weltkrieges und der Besetzung Samoas durch die Neuseel¨ander musste sie 1916 nach Deutschland zur¨uckkehren. Diese Zusammenstellung der auf Samoa handelnden deutschen, britischen und amerikanischen Akteurinnen und Akteure muss notwendigerweise unvollst¨andig bleiben. Festzuhalten ist, dass die kolonialherrschaftliche Society‘ zahlenm¨aßig eher klein war; zwischen ’ 1902 und 1914 stieg die Anzahl der europ¨aischen Menschen zwar von 347 auf 600 Personen, was bei einer samoanischen Bev¨olkerung von rund 33.000 Menschen aber einen eher geringen Anteil ausmachte (vgl. Hiery 2001b: 650).

42

Hier schildert Deeken seine Erlebnisse, die er w¨ahrend seiner Reise durch die S¨udsee aus gesundheitlichen Gr¨unden gemacht hat und gibt zudem Berechnungen wirtschaftlicher Erfolge an, die man mit der Auswanderung nach Samoa erwirtschaften k¨onne (vgl. Deeken 1901: 207ff.). Durch die auszugsweise Publikation in der Deutschen Kolonialzeitung“ erfuhren diese Darstellungen ” besondere Aufmerksamkeit (vgl. o.A. 1901).

43

Zu nennen sind hier unter anderem Die Aussichten der Kakaokultur“ (Deeken 1902a), Rauschen” ” de Palmen. Bunte Erz¨ahlungen und Novellen aus der S¨udsee“ (Deeken 1902b), Die Karolinen. ” Nach eigenen Reisebeobachtungen, a¨ lteren Monographien und den neuesten amtlichen Berichten“ (Deeken 1912) und Rassenehre. Ein Roman aus der S¨udsee“ (Deeken 1913). ”

II Diskurslinien

Diskurslinien

Nachdem nun der theoretisch-methodische und der historische Rahmen abgesteckt sind, werden die aus den Quellen entwickelten Diskurslinien dargestellt und auf ihre Funktionen untersucht. In gewissen Teilen verlaufen diese Diskurslinien u¨ ber Samoa stereotyp, bedienen sich des Mythos’ S¨udsee und des Bildes vom Edlen Wilden. Betrachtet man jedoch die Quellen in ihrer G¨anze und in ihrem diskursiven Zusammenhang, so zeigt sich, dass es eine wesentlich breitere Palette an Themen und Darstellungsfunktionen gibt. Das Vorgehen innerhalb der einzelnen Diskurslinien ist ein sich wiederholendes: Zun¨achst werden die Darstellungen der Autorinnen und Autoren, die den entsprechenden Diskursstrang innerhalb ihres Textes aufgreifen, betrachtet und diskursanalytisch diskutiert. Um eine vorschnelle Lesart und Deutung der Texte zu vermeiden, wird erst in den je¨ weils zusammenfassenden Uberlegungen und theoretischen Verortungen Sekund¨arliteratur – soweit vorhanden – hinzugezogen. Dort werden auch die Funktionen der einzelnen Diskurslinien herausgestellt. Damit sollen die ersten drei eingangs dargestellten Forschungsfragen beantwortet werden: 1. Wie gestaltete sich der Diskurs u¨ ber Samoa in Reiseberichten aus den involvierten Nationen: Deutschland, England und USA? 2. Welche Diskurslinien lassen sich aus diesen Reiseberichten ableiten? 3. Welche Funktion(en) erf¨ullten diese Diskurslinien? Kapitel 4 beginnt mit den Beschreibungen der Ankunft auf der Insel (4.1). Daran schließen sich die Betrachtungen der Paradiesvorstellungen (4.2) an, die sich auf verschiedene Orte der Inselgruppe beziehen. W¨ahrend diese paradiesischen Beschreibungen auf die Landschaft abzielen, geht der nachfolgende Teil auf die Vorstellungen u¨ ber die samoanische Bev¨olkerung und das Menschenbild (4.3) ein.

84 | Diskurslinien

Kapitel 5 befasst sich mit den Gegebenheiten auf der Inselgruppe, mit denen die Reisenden im Laufe ihres Aufenthaltes unweigerlich in Kontakt kamen. Dabei wird unterschieden zwischen dem Blick auf das Eigene (5.1): die eigene Akklimatisation, die Versorgungslage und Apia als europ¨aisierte Stadt, und auf das Fremde: samoanische Rituale, Sitten und Gebr¨auche (5.2). Schließlich wird in Kapitel 6 der Blick gespiegelt, da die Wahrnehmung des Anderen den Blick unweigerlich auf das Eigene zur¨ucklenkt. Hier werden zun¨achst die Darstellungen des Missions- (6.1) und anschließend des Schulwesens (6.2) diskutiert. Mit der Teilung der Inselgruppe geraten unterschiedliche nationale Befindlichkeiten (6.3) in den Fokus, die sich insbesondere in der empfundenen Konkurrenz und Rivalit¨at der westlichen Nationen a¨ ußern. Die eigene Positionierung der Autorinnen und Autoren oszilliert zwischen Kritik an der Herkunftsgesellschaft und einem Schutzauftrag gegen¨uber der einheimischen Bev¨olkerung (6.4), und setzt eine Auseinandersetzung mit der eigenen Zivilisiertheit‘ und der Bedeutung ’ dieser f¨ur die samoanische Bev¨olkerung in Gang. Den Abschluss bildet die Betrachtung der Vorstellungen u¨ ber die Implementierung der eigenen Kultur in der Fremde, was sich im Wesentlichen in der Rolle der Weißen Frau manifestiert (6.5).

4 Samoa – eine Sudseeinsel ¨ In ganz Samoa dreht sich alles um die Kokosnuß.“ ” E RNST VON H ESSE -WARTEGG 1902: 276

W¨ahrend andere Gew¨asser bereits mit europ¨aischen Sagenwelten und historischen Ereignissen verkn¨upft waren, mangelte es der S¨udsee aus europ¨aischer Sicht daran. Dieses Meer hier [. . . ] ist [. . . ] unserer Kultur bisher das fremdeste geblieben. Keine altvertraute Sage ” umkleidet f¨ur uns seine Wasser mit poetischem Schimmer, keine Sindbad-M¨archen, keine Odyssee, keine Kraken- und Malstrom-Geschichten werden uns hier lebendig.1 Auch keine der alten historischen Erinnerungen hat hier ihren Schauplatz, keine Ph¨onizierflotten schwammen hier, keine Wikingsschiffe und keine Armada.“ (Wegener 1925/1919: Kap. 1)

Die S¨udsee bot mit ihren diversen kleinen und großen Inseln eine Projektionsfl¨ache, um paradiesische Vorstellungen zu u¨ bertragen und zu verorten. Dieses Kapitel ist bewusst nicht mit Mythos S¨udsee“ u¨ berschrieben, da dies lediglich dazu beitr¨uge, ebenjenen festzu” schreiben. Dies wird aber der Quellenlage nicht gerecht, die sich wesentlich facettenreicher pr¨asentiert.

1

Statt altvertrauter Sagen rankten sich aber Mythen und Legenden um den Piraten und Beachcomber Bully Hayes, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Gew¨asser der S¨udsee unsicher machte und damit diversen Autorinnen und Autoren bekannt war (vgl. Churchward (1887): 245ff., Genthe (1908): 34ff., Zieschank (1918): 114, Fraser (1895): 75f., Hesse-Wartegg (1902): 185). 1890 wurde ein Roman u¨ ber ihn ver¨offentlicht: Die Geißel der S¨udsee. Leben und Thaten eines ” Freibeuters der Jetztzeit“ (Kern 1890), der die Abenteuer dieses Freibeuters erz¨ahlte. Darin heißt es: [D]er hier geschilderte Kapit¨an Hayes [ist] eine geschichtliche Gestalt und zahlreichen ” von dem Verfasser befragten Gew¨ahrsm¨annern pers¨onlich bekannt gewesen. Alle geben zu, daß Bully Hayes manche Vorz¨uge besaß, daß er unerschrocken, großm¨utig, klug, gebildet und ein Wohlth¨ater der Armen war, aber ein geschworener Feind aller staatlichen Ordnung, der auf den Inseln lebenden Mission¨are und der europ¨aischen Kaufleute und Pflanzer, welche seine Dienste verschm¨ahten.“ (Kern 1890: Vorwort)

86 | Samoa – eine Sudseeinsel ¨

Insbesondere unter Ber¨ucksichtigung des von Wegener ge¨außerten Gedankens ist die Betrachtung der Ankunftsschilderungen der Autorinnen und Autoren aufschlussreich (4.1). Wie wird die Ankunft auf der Insel geschildert, wie der erste Eindruck beschrieben? In den nachfolgenden Berichten wird schnell deutlich werden: Ein ganz weißer Fleck waren die S¨udsee-Inseln f¨ur die Reisenden nicht. Auch wenn es keine Sagen- oder M¨archenwelt gab, die in der S¨udsee spielte, so wurde auf nicht geografisch verortete Paradiesvorstellungen rekurriert. Zudem etablierte sich mit der h¨aufigen Frequentierung der Inseln durch Reisende und der Verschriftlichung ihrer Reisen eine sehr genaue Vorstellung von den Inseln. Diese Vorstellung wurde bei tats¨achlicher Ankunft zun¨achst abgeglichen und u¨ berpr¨uft. So ergibt es sich, dass sich die Beschreibungen des ersten Eindrucks durchaus a¨ hneln, sich eine Art Erz¨ahlkonvention andeutet. Daran schließen sich die Paradiesvorstellungen (4.2) an, die in den Reiseberichten offenbar werden. H¨aufig stellt sich direkt nach den ersten Szenen der Ankunft und des Zurechtfindens eine mythisch anmutende Beschreibung der Inseln ein. Oft taucht die Bezeichnung als Paradies‘ auf. Da paradiesisch‘ aber nicht auf eindeutige Sinngebung ’ ’ verweist, sondern zumeist nur eine Beschreibung f¨ur einen in irgendeiner Art und Weise sch¨on‘ gearteten Zustand darstellt, verdient das, was mit paradiesisch eigentlich bezeichnet ’ wird, einen genaueren Blick. Es stellt sich die Frage: Wie sieht das Paradies aus, das hier beschrieben wird? Welche Facetten und Funktionen besitzt und erf¨ullt es? Und: An welche Vorstellungswelten kn¨upft es an? In Kapitel 4.3 erfolgt schließlich eine Untersuchung u¨ ber die Darstellungen der auf der Insel lebenden samoanischen Menschen. Der Fokus richtet sich auf verschiedene Facetten des Menschenbildes, von rassischen‘ Vorstellungen u¨ ber die Frage nach Kannibalismus ’ hin zu Geschlechterkonstruktionen und -verh¨altnissen. Somit kann u¨ berpr¨uft werden, ob und inwiefern sich der S¨udseediskurs vom afrikanischen Diskurs unterscheidet und ob die Menschen in der S¨udsee tats¨achlich als Edle Wilde verortet werden.

4.1 D IE A NKUNFT

UND ERSTE

¨ E INDR UCKE

Einen anderen Weg als Samoa mit dem Schiff zu erreichen, gab es f¨ur die Kolonialreisenden noch nicht.2 Schiffe verkehrten von Neuseeland oder Australien und liefen die Inseln mit einer gewissen Regelm¨aßigkeit an. Dabei wurden die H¨afen in Apia auf Upolu und Pago Pago auf Tutuila angelaufen. Die meisten Autorinnen und Autoren berichteten von ihren jeweiligen Ankunftsszenen und ihren ersten Blicken auf die Insel Upolu. Bei George

2

Selbst heutzutage verf¨ugen einige S¨udseeinseln zwar u¨ ber kleinere (Sport-)Flugh¨afen, in der Regel wird der letzte Teil der Reise – vor allem zu den Samoa-Inseln – mit dem Schiff zur¨uckgelegt.

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Brown klang das eher n¨uchtern: The end of the matter was that we went on to our own ” appointment, and arrived at Samoa on October 30.“ (Brown 2013/1908: 24) Er fuhr fort: We did not reach the shore until about three o’clock in the morning, after the crew had been pulling ” nearly all night in heavily laden boats and having had to come through a passage which was very seldom smooth, and often a very dangerous one. As soon as we were clear of the ship, the vessel was on her way back to Tonga.“ (Brown 2013/1908: 25)

F¨ur ihn war das Ankommen unspektakul¨ar, die gef¨ahrlichen Aspekte, wie das Durchfahren der Passage, standen im Vordergrund. Ganz anders erlebte es Otto E. Ehlers, der angesichts des Anblicks ins Schw¨armen geriet: Im Westen tauchte die matt leuchtende Scheibe des Vollmonds in die Wogen, w¨ahrend im Osten ein ” rosiger Schein das Nahen der Sonne verk¨undete. Und in diesem zauberhaften Zwielichte, aus opalfarbig schillernder Flut sich erhebend, lag vor mir, vom Fuße zum Gipfel in dem u¨ ppigsten Tropengr¨une prangend, die Insel Upolu. Wo soll ich armer Reisender Worte hernehmen, den wunderbaren Reiz dieses Bildes zu schildern, wie in trockener Prosa den Zauber eines lyrischen Gedichtes, den Duft eines Bl¨utenstraußes wiedergeben?“ (Ehlers 2008/1895: 55f.)

Ehlers befand sich in einem Dazwischen: Auf der einen Seite ging der Mond unter, gleichzeitig k¨undigte das Licht den nahenden Aufgang der Sonne an. Dieses besondere Zwielicht“ ” und vermutlich auch seine eigene Position, am Ende der (An-)Reise, kurz vor der Ankunft – also auch dazwischen‘ – machten f¨ur Ehlers den Zauber dieser Szene aus. Gleich mit ’ dem ersten Blick nahm er das tropische Gr¨un wahr, das die Gipfel der Berge bekleidete, und rang um Worte, den Anblick zu schildern.3 ¨ Ahnlich schilderte Siegfried Genthe seine Ankunft, der wie Ehlers mit dem Sonnenaufgang auf Upolu ankam. Noch ist die Sonne nicht u¨ ber der Kimm emporgetaucht, an den vor uns aufsteigenden Bergen h¨angt ” noch der Morgennebel und in leise flatternden Fetzen fegt, von frischer Passatbrise getrieben, ein d¨unner Schleier u¨ ber die munter d¨unende See. Da schießt mit einem Male der erste Feuerstrahl im Osten u¨ berm Wasser hervor, und gleich darauf sendet der ganze strahlende Sonnenball ein grelles Licht in die Welt, wie mit heller Fanfare den jungen Tag verk¨undend.“ (Genthe 1908: 1)

W¨ahrend Ehlers noch das Zwielicht beschrieb und von matt leuchtende[r] Scheibe“ bzw. ” rosige[m] Schein“ schrieb, sprach Genthe vom strahlenden Sonnenball“ und grelle[n] ” ” ” Licht“. Auch die helle[ ] Fanfare“ spricht f¨ur eine dynamische und aktive Funktion des ”

3

Der pathetische Stil war typisch f¨ur Ehlers, zeigt sich aber auch in anderen Reiseberichten.

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Sonnenaufgangs und des damit anbrechenden Tages. Doch nicht nur der Tag wird begr¨ußt, auch die Ankunft des Schiffes scheint eine solche Begr¨ußung wert zu sein. Vor uns breitet sich ein entz¨uckendes Bild aus: die Bucht von Apia in ihrer Einrahmung von hohen, ” bis zum Gipfel dichtbewaldeten Bergen, von Palmenstrand und Korallenriff. Es ist wie ein lieblicher Talkessel in unseren deutschen Mittelgebirgen ans Meer versetzt und mit Palmen ausgeschm¨uckt. L¨angs des Ufers zieht sich in langgeschwungener Linie die Stadt hin, anscheinend eine einzige Straße bildend, mit zahlreichen europ¨aischen H¨ausern, zum Teil im Gr¨unen verborgen [. . . ].“ (Genthe 1908: 1f.)

Wo Ehlers bei der Beschreibung des tropischen Gr¨uns stehen geblieben war, rahmte Genthe das Bild, indem er den Blick schweifen ließ vom Strand bis hinauf zu den Berggipfeln. Diese dichtbewaldeten Berge erinnerten ihn an heimatliche Mittelgebirge.4 Somit konnte er einerseits die eigene Fremdheitserfahrung bew¨altigen, und andererseits seinem imaginierten Lesepublikum einen Ankn¨upfungspunkt bieten. Genthe sortierte die Anzeichen von Zivilisation‘ im Bilde und erw¨ahnte die Anwesenheit von europ¨aischen H¨ausern. ’ Damit machte er deutlich, dass die sich ihm darbietende Landschaft kulturell besetzt war, und nicht rein nat¨urlich‘ und unber¨uhrt war. Insgesamt erschien ihm der Anblick als ein ’ friedliche[s] Bild paradiesischer Sch¨onheit und Stille“ (Genthe 1908: 2). ” Der Sonnenaufgang schien die u¨ bliche Ankunftszeit f¨ur die Schiffe zu sein und ein gutes Motiv, um den Reisebericht zu beginnen, denn auch Marie Fraser schilderte selbigen. After several weeks of delightful cruising in the Pacific, visiting beautiful tropic islands, one morning ” the sun rose like a ball of fire, flooding the world with a golden lustre, and out of the ocean, regal in its colouring of purple and gold in the early light, we saw far away in the distance the rugged outline of the Samoan, or Navigator Islands, a complete contrast to the last group we had visited – the Friendly Islands [. . . ].“ (Fraser 1895: 3)

Das von Fraser beschriebene Lichtspiel gleicht dem von Genthe geschilderten. Auch bei ihr stieg die Sonne wie ein Feuerball“ aus den Fluten und tauchte alles in ein k¨onigliches‘ ” ’ ( regal“) Licht in den Farben Purpur und Gold. Fraser erlebte einen erhabenen Anblick, ” der sich auch in der anschließenden Landschaftsbeschreibung niederschl¨agt: The Samoan ” Islands, Savaii,5 Upolu und Tutuila, rise out of the sea to an altitude of from four to five thousand feet, the great undulating slopes of the mountains densely clothed with forest,

4

Auf die von den Autorinnen und Autoren gezogenen Parallelen zu heimatlichen Landschaften wurde bereits an anderer Stelle eingegangen. Vergleiche Kapitel 2.3, Seite 56.

5 F¨ur die Schreibweise des Inselnamens kursieren in den Quellen verschiedene Varianten: Savaii, Sawaii, Savai, Savai’i. Ich verwende im Folgenden die heute g¨angige deutsche Schreibweise Savai’i.

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which in many places crowns the very topmost ridges and waves clear against the blue sky, while round the base innumerable coral bays gleam white in the fierce light.“ (Fraser 1895: 3f.) Fraser machte den Unterschied zum Anblick benachbarter Inseln, hier der FidschiGruppe, deutlich: Diese erhoben sich nicht weit aus den Wellen, gerieten dadurch sp¨ater in den Blick und waren durch palmenges¨aumte Ufer charakterisiert (vgl. Fraser 1895: 3). Upolus Gipfel mit ihrer H¨ohe von five thousand feet“ 6 entfalteten dementsprechend eine ” beeindruckende Wirkung auf die Neuank¨ommlinge. Fraser verließ die Schilderung des direkten, prim¨aren Eindrucks, und griff auf Wissen zur¨uck, welches sie bereits u¨ ber die Inseln besaß oder nachtr¨aglich im Schreibprozess einf¨ugte. Deutlich wird das daran, dass sie von den drei gr¨oßeren Inseln spricht: Savai’i, Upolu und Tutuila, die der Dampfer bei der Ankunft gar nicht notwendigerweise alle passierte. In der Regel waren neben Upolu, mit dem Ziel Apia, lediglich die Gipfel Savai’is vom Schiff aus zu erblicken. Ihre Schilderungen erweitern die Szenerie noch um die Korallenriffe, die man durch das klare Wasser und aufgrund der Sonnenreflektionen vermutlich gut sehen konnte. Damit gab sie der Szenerie im Vergleich zu Ehlers und Genthe einen breiteren Rahmen. Richard Deeken erg¨anzte seinen Eindruck um geologische Zusammenh¨ange. Aber die Sch¨onheit dieses Teiles der Insel ist unbeschreiblich. Infolge ihres vulkanischen Ursprungs ” erheben sich die Berge in den k¨uhnsten Linien. Ein u¨ ppig-gr¨uner Wald erstreckt sich von der See bis hinauf zu den h¨ochsten Bergesgipfeln, von deren Abh¨angen, deutlich erkennbar, zahlreiche B¨ache in silberklaren Wasserf¨allen herabst¨urzen, um dann in ruhigerem Laufe sich zwischen Kokospalmen, aus deren Schatten die braunen zierlichen H¨auser der Eingeborenen hervorleuchten, hindurchzuschl¨angeln, dem Meere zu.“ (Deeken 1901: 19)

Als Kategorie f¨uhrte Deeken hier den Sch¨onheitsbegriff ein. Die Sch¨onheit der Insel sei zwar unbeschreiblich“, dennoch f¨uhrte er f¨ur sein Lesepublikum eine Beschreibung aus. ” Wiederum beinhaltet die Szenerie das Gr¨un des Waldes, der sich bis zu den Berggipfeln erstreckt. Deeken erg¨anzte das bisherige Bild um die Wasserf¨alle und um das Farbenspiel: u¨ ppig-gr¨uner Wald, silberklare Wasserf¨alle, braune H¨auser. W¨ahrend Genthe sich auf die europ¨aischen‘ H¨auser beschr¨ankt hatte, f¨uhrte Deeken die H¨auser der Eingeborenen‘ an. ’ ’ Damit markierte er die Landschaft als bewohnt, jedoch nicht unbedingt zivilisiert‘ oder ’ kulturell gepr¨agt. Weiterhin wird den Eingeborenen‘ die Farbe Braun f¨ur ihre H¨auser ’ zugeordnet. Die europ¨aischen H¨auser bei Genthe waren dagegen ohne farbliche Zuweisung

6

Der h¨ochste Berg Savai’is hat eine H¨ohe von 1858 m, der h¨ochste Upolus 1079 m. Mit ihrer Sch¨atzung von 4000-5000 Fuß (=1200-1500m) liegt Fraser also ganz gut.

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ausgekommen.7 Auch auf den Sonnenaufgang verzichtete Deeken nicht: Jetzt gerade ” taucht die Sonne am fernen Horizonte aus dem Wasser hervor, Meer und Berge mit einer Flut purpurgoldigen Lichtes u¨ berstrahlend. Die Perle der S¨udsee‘, in lauterem Sonnengolde ’ gefaßt! Ein Bild, welches in seiner packenden Sch¨onheit einfach nicht wiederzugeben ist.“ (Deeken 1901: 19) Das Farbenspiel gleicht dem von Fraser und erg¨anzt seine vorangegangene Aufz¨ahlung um purpurgoldenes Licht. Er verwendete ebenfalls das Bild der Perle der S¨udsee“, den ” Titel von Ehlers’ Schilderungen und eine Bezeichnung, die noch des o¨ fteren auftauchen wird. Genau wie Ehlers rang Deeken um Worte f¨ur den sch¨onen Anblick, der nicht ” wiederzugeben“ sei, schilderte ihn aber ausf¨uhrlich. Bartlett Tripp ging seine Schilderung a¨ hnlich sachlich wie Brown an, gab auch das genaue Ankunftsdatum und seine Position an. On the morning of May 13, 1899, we arrived off the island Upolu, at a point a few miles east of the ” harbor of Apia. The sun was just emerging from the eastern sea, its rays were just lighting up the green summits of the island mountains in front of us. The sea was calm and quiet, save that continous billowy motion, that restless swell which never ceases and which is ever reminding you of that terrible reserve force it can bring into action when it desires.“ (Tripp 1911: 27f.)

Der Sonnenaufgang und die gr¨un bewaldeten Berge sind ein vertrautes Bild, neu sind die Anspielungen Tripps auf die Wellenbewegungen und die damit m¨oglicherweise einhergehenden Gefahren. Trotz der Bezeichnung als Stiller Ozean‘ rief Tripp in Erinnerung, ’ welche Naturgewalt die in der S¨udsee aufkommenden St¨urme sein k¨onnen.8 In seiner Wortwahl restless swell which never ceases [Herv. G. F.]“ zeigt sich symbolisch, dass die ” Bedrohung durch die Natur permanent und unterschwellig war, Tripp zudem von einer personifizierten Natur ausging, die ein Verlangen‘ (desire) besaß. Er beließ es jedoch bei ’ der mahnenden Anspielung und kn¨upfte inhaltlich an Ehlers’ Frage an: Wo soll ich armer ” Reisender Worte hernehmen [. . . ]?“ (Ehlers 2008/1895: 55f.) Wo Ehlers die beschreibenden Worte fehlten, Genthe heimatliche Vergleiche heranzog und Deeken den Anblick als nicht ” wiederzugeben“ charakterisierte, versuchte Tripp es u¨ ber die bildnerische Darstellung, die aber auch zum Scheitern verurteilt sei. No artist can paint such a landscape; the peculiar blending of color; the grandeur and magnificence of ” the scene which would evoke criticism of the painter’s canvas, fill the beholder of nature’s picture with

7 8

In den Critical Whiteness Studies ist dies genau die kritisierte strukturelle Unsichtbarkeit der Differenzkategorie Weiß“. ” Ihm waren schließlich auch die Ereignisse und Auswirkungen des Hurrikans von 1889 in Erinnerung.

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awe and admiration. [. . . ] I have never seen so splendid a combination of beauty and grandeur as a sunrise in Samoa.“ (Tripp 1911: 28)

Das Farbenspiel mit Worten zu beschreiben, schien Tripp zu wenig zu sein, selbst ein Maler k¨onne die Farben sowie die Sch¨onheit und Erhabenheit eines Sonnenaufgangs nicht einfangen. Und auch mit dem Stift sei man zum Scheitern verurteilt: The splendor ” and brilliancy of the scene is indescribable by pen.“ (Tripp 1911: 29) Somit wird der Anblick zum Privileg, der nur mit den eigenen Augen – also bei pers¨onlicher Anwesenheit – wahrzunehmen und zu erfassen ist. Ernst von Hesse-Wartegg geh¨orte zu den wenigen, die keinen Sonnenaufgang schilderten. Immer mehr sch¨alten sich die gewaltigen Berge von Sawaii aus der dunstigen ” Tropenatmosph¨are, immer sch¨oner gestaltete sich die großartige Brandung l¨angs der aus weißen Korallen gebildeten Klippen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 209) Seine Schilderungen steigern sich, als liefen sie stillschweigend auf eine Art Klimax hinaus; je mehr von der Insel sichtbar wird, umso sch¨oner scheint sie zu sein. Dabei spielt eine Rolle, dass Hesse-Wartegg mit der Sichtung der samoanischen Inseln die einsame ” S¨udsee“ (Hesse-Wartegg 1902: 209) hinter sich lassen konnte und nun wieder Land in Sicht war. Die Darstellung der Farben sowie das Spiel von Licht und Schatten, und der Hell-/Dunkelkontraste sind bei ihm ein wesentliches Darstellungsmittel: Zun¨achst, um uns herum das hier in wunderbarem Blau strahlende Meer mit seinen langen, glatten ” Wogen, dann der weiße Brandungsstreifen, der die K¨usten umlagert, dann die hellgr¨unen Kokosnußplantagen am K¨ustensaum, dann der dunkle, dichte Urwald, der sich die einzelnen Bergketten hinaufzieht bis zur h¨ochsten und auch manche der wolkenumzogenen Gipfel bekleidet [Herv. G. F.].“ (Hesse-Wartegg 1902: 210)

Auch dieser Beschreibung ist eine Steigerung immanent: Vom glatten‘ und strahlenden‘ ’ ’ Meer wird es bis zum dichten Urwald‘ und den wolkenumzogenen Gipfeln‘ immer ’ ’ dunkler, gleichzeitig undurchdringlicher und schwerer zu vereinnahmen. Zeichen von Besiedelung tauchen bei Hesse-Wartegg nicht auf. Symbolisch ist die Eroberung‘ bezie’ hungsweise Vereinnahmung durch den Reisenden dargestellt; Blicke vom Schiff aus und auch das Anlanden am K¨ustensaum sind verh¨altnism¨aßig leicht, w¨ahrend der Versuch, ins Landesinnere vorzudringen, deutlich schwieriger wird. Im Aneignungsprozess ist bereits Widerstand enthalten. Gleichzeitig, so erkl¨arte Hesse-Wartegg, waren es gerade diese Berggipfel, die f¨ur Apia eine besondere Kulisse boten. Diese immergr¨unen Berge mit ihren h¨aufig in Wolken geh¨ullten Gipfeln und ihren abwechslungs” reichen Umrissen sind es, welche der Bucht von Apia ihren Reiz verleihen. Nichts anderes. G¨abe es keine Berge um Apia, dann w¨are der an und f¨ur sich schon so unsichere klippenbes¨ate Hafen f¨ur den Touristen gar nicht des Besuches wert.“ (Hesse-Wartegg 1902: 211f.)

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Neben dieser Einsch¨atzung der Bedeutung der gr¨unen Berggipfel u¨ berrascht vor allem Hesse-Warteggs Selbstverortung als Tourist. Reisende, die um die Jahrhundertwende die Kolonialgebiete besuchten, kamen in der Regel als Siedlerinnen und Siedler oder als Forschungsreisende, teilweise mit journalistischer Absicht. Genthe untermauert die These, dass der Anblick der hohen gr¨unen Berge eine Besonderheit f¨ur die Reisenden war. Nur wer einmal an der K¨uste Siziliens, etwa von Messina nach Catania, entlang gefahren ist und in ” ¨ einer Entfernung von vielleicht 30 Kilometern den gewaltigen Kegel des Atna hat in die verschleiernden Wolken hineinragen sehen, kann sich einen Begriff machen von dem gewaltigen Eindruck, den die Bergfeste Savaii von Bord eines ansegelnden Schiffes aus macht mit ihrer dunkelblauen Einrahmung des leuchtenden s¨udlichen Meeres, dem schmalen Saum blendendweißen Gischts an ihren starken Felsenufern und der weithin rollenden Brandung auf dem Korallenriff, das die gesamte K¨uste fast ohne Unterbrechung umschließt.“ (Genthe 1908: 89f.)

Um die Gipfel Savai’is beschreiben zu k¨onnen, bem¨uhte Genthe ebenfalls den Vergleich mit europ¨aischen Landschaften. Diese waren der Bezugspunkt, mit dem sich die samoanischen Inseln messen mussten. Um den Eindruck nachempfinden zu k¨onnen, m¨usse der oder die Lesende entweder auch in Samoa oder zumindest in Sizilien gewesen sein. Frieda Zieschank schilderte ihre erstmalige Ankunft auf Samoa nicht. Als sie aber nach einem Zwischenaufenthalt in Deutschland 1908 nach Samoa zur¨uckkehrte, gab sie ihre Eindr¨ucke wieder – wissend, was sie vor Ort erwartete. Und wir kehrten doch zur¨uck! Ach die Sehnsucht daheim nach der blauen S¨udsee, nach dem verlorenen ” Paradies! [. . . ] Nach weiter Fahrt u¨ ber Australien lag es dann endlich wieder vor uns, das liebliche Bild: Apia mit seinen palmenbeschatteten hellen H¨auschen und die hinter ihm aufragenden gr¨unbewaldeten Bergketten. Und gl¨uckselig gr¨ußten wir: Talofa Samoa!‘ 9“ (Zieschank 1918: 80) ’

Es zeigt sich, dass die geologische Beschaffenheit der Insel nicht nur beim ersten Anblick faszinierte, sondern ein Wiedererkennungsmerkmal f¨ur Reisende und R¨uckkehrende darstellte. Aufschlussreich ist, dass selbst Zieschank ihre (Wieder-)Ankunft mithilfe der bekannten Motive – Palmen, H¨auschen, Bergketten – beschrieb, und nicht etwa auf einzelne Geb¨aude oder signifikante Punkte verwies, womit sie sich als Einheimische‘ zu erkennen ’ gegeben h¨atte. Doch nicht alle Autorinnen und Autoren schilderten ihre Ankunft positiv besetzt. Einer dieser wenigen war der britische Konsul10 William B. Churchward. Sein Schiff erreichte am

9 10

Samoanischer Gruß. W¨ortlich: Ich liebe Dich.‘“ (Zieschank 1918: 80) ” ’ Die Bezeichnungen Gouverneur und Konsul werden hier synonym verwendet.

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3. Oktober 1881 die samoanischen Inseln im Abendgrauen, sodass es u¨ ber Nacht noch vor ¨ der K¨uste ankern musste. Wie schon Marie Fraser, unternahm er die letzte Uberfahrt von den Freundschaftsinseln (Friendly Group), genauer: von Tonga. F¨ur seine sp¨ate Ankunft nannte er, außer dem nachlassenden Wind, keinen besonderen Grund (vgl. Churchward 1887: 16). The next morning everyone was on deck the very first thing, when we found the ship, which had ” been standing off shore under the easiest possible sail all night, was about eight miles from the island, which at that distance, and in the weak light, appeared an uninviting, lofty, dull mass of verdure, as dark in colour as a pine forest.“ (Churchward 1887: 17)

Kontr¨ar zu den bisherigen Schilderungen erlebte Churchward die Ansicht der Insel im Morgengrauen als nicht einladend, nahm das Gr¨un lediglich als dumpfe Masse und insgesamt dunkel wahr. Statt auf den Strand und die Bucht von Apia, fiel Churchwards Blick auf das deutsche Kriegsschiff, welches noch immer im Hafen vor Anker lag. Approaching nearer and nearer, with the morning light increasing apace, we were in time able to ” distinguish the masts of the shipping in harbour, amongst which, although there were some threemasted ships of good size, were to be distinguished the lofty spars of the ever-present German man-of-war.“ (Churchward 1887: 17)

Churchward, der als eventueller zuk¨unftiger britischer Gouverneur auf dem Weg nach Samoa war,11 nahm insbesondere die m¨ogliche Bedrohung der rivalisierenden Nation wahr, und dar¨uber hinaus zur Kenntnis, dass Samoa nicht ausschließlich das friedliche Eiland war, dessen Bild die anderen Reisenden bislang gezeichnet hatten. Ob es potenzielle Auseinandersetzungen zwischen Einheimischen und Europ¨aern oder innereurop¨aische Konflikte waren, f¨ur die das deutsche Kriegsschiff ein Symbol darstellte, ließ Churchward offen. Doch er war nicht der Einzige, dem Anzeichen des Krieges auffielen. Auch acht Jahre sp¨ater waren diese besonders f¨ur Tripp pr¨asent. The army of Tanu was in full view as we entered the harbour, while in the distance could be seen the ” fortifications and troops of the hostile forces of Mataafa.12 Drums were beating and flags were flying. It was a warlike scene which presented itself as we steamed into the harbor of Apia on the 13th of May, 1899.“ (Tripp 1911: 45)

11

Dass Churchward diese politische Funktion u¨ bernahm, stand nicht von Anfang seiner Reise an fest.

12

Zum Zeitpunkt der eingesetzten Kommission befanden sich die Anh¨anger Mataafas und Tanus im Konflikt um die K¨onigsw¨urde des verstorbenen Malietoa Laupepe. Die Streitigkeit zu schlichten, war unter anderem Aufgabe der Kommission.

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Tripp war als Mitglied der internationalen Kommission in politischer Funktion nach Samoa gekommen. Insofern nahm er, wie der britische Gouverneur, die entsprechenden Kriegszeichen nicht nur wahr, sondern auch in seine Schilderungen auf. Einhergehend mit der Ankunft wurde der erste Kontakt zu ans¨assigen Menschen, hier: Samoanerinnen und Samoanern, aber auch Zugezogenen aus anderen Teilen der Welt, beschrieben. Da mit dem Schiff in der Regel nicht nur Passagiere, sondern vor allem Nahrungsmittel und die Post ankamen, wurde es schon seit der ersten Sichtung am Strand in Apia erwartet. Dort setzte ein buntes Treiben ein: Kolonialbeamte warteten auf Anweisungen von ihren jeweiligen Regierungen, Zugezogene auf Nachrichten, Klatsch und Tratsch aus der Heimat und den benachbarten Inseln, Samoanerinnen und Samoaner betrieben Handel mit den ankommenden Reisenden. Wieder ist Churchward derjenige, der mit negativen Erwartungen der Begegnung mit Samoanerinnen und Samoanern entgegensah (vgl. Churchward 1887: 3), diese Meinung aber gleich revidierte. About a mile off the reef to windward, we hove-to and picked up the pilot, an American citizen, one ” of the oldest and most respected inhabitants of Samoa, who had been waiting for us in his whaleboat, manned by four splendid-looking Samoans, whose favourable appearance gave me that good opinion of the race that I never after had occasion to change.“ (Churchward 1887: 18)

Das gef¨allige Erscheinungsbild‘ der vier Samoaner, das nicht weiter ausgef¨uhrt wurde, ’ f¨uhrte zu Churchwards positiver Meinung, obwohl er zuvor noch den Ger¨uchten Glauben geschenkt hatte, dass das Leben auf Samoa eine einzige Orgie‘ und es mit dem Anstand ’ nicht weit her sei (vgl. Churchward 1887: 3). Weiter kam Churchward nicht mit seinen ¨ Uberlegungen, denn nun wurde er dem gesch¨aftigen Treiben der Ankunft ausgesetzt. The anchor was no sooner down than a crowd of visitors, white, native, and half-caste, poured on ” board, and then began the martyrdom of our genial supercargo. It was nothing but Mr. B. Johnstone! ’ Hi! I say, where are my things?‘ What is the price of copra?‘ Got any hats? I’ll take all you have ’ ’ got!‘ Any papers, old cock?‘ Jim Smith’s dead!‘ Laurina is looking out for you on shore!‘ etc., etc.“ ’ ’ ’ (Churchward 1887: 18)

Die Schar der Besucherinnen und Besucher, die an Bord kam, teilte Churchward sogleich ein in Weiße‘, Eingeborene‘ und Mischlinge‘. Er f¨uhrte nicht weiter aus, anhand ’ ’ ’ welcher Kriterien oder Erkennungsmerkmale er die Unterscheidung vornahm. In Gedanken u¨ berpr¨ufte Churchward jeden, der ihm begegnete, daraufhin, ob dieser seinen Bef¨urchtungen entsprach: Bearing in mind the awful tales I had been told during my ” journey of the sort of men I should meet in Samoa, I scanned my new acquaintances closely,

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but failed to see anything particularly dreadful about them, either in manner or appearance.“ (Churchward 1887: 19) Die genauere Betrachtung des Verhaltens und der Erscheinung gaben Churchward jedoch keinen Anlass, sein Misstrauen aufrecht zu erhalten. Das gef¨allige Aussehen gen¨ugte offenbar als Kriterium, eine positive Auffassung u¨ ber die samoanischen M¨anner zu rechtfertigen. ¨ Ahnlich turbulent beschrieb Ehlers sein erstes Zusammentreffen mit ans¨assigen Menschen. Mit dem Glockenschlage acht warfen wir Anker, und w¨ahrend die Alameda‘ von einer ganzen ” ’ Flotte von Kanus und Booten umringt wurde, in denen Eingeborene allerhand Seltenheiten: Muscheln, Korallen, K¨orbchen und F¨acher aus Blattstreifen des Pandanus, Bananen, Orangen, Passionsfr¨uchte und Kokosn¨usse feilboten, drangen durch alles Gel¨arme und Get¨ose hindurch von dem im Hafen liegenden deutschen Kreuzer Falke‘ die Kl¨ange der herrlichen Wacht am Rhein‘ zu uns her¨uber.“ ’ ’ (Ehlers 2008/1895: 58)

Was Ehlers hier als Seltenheiten“ beschrieb, bezieht sich auf seinen eigenen geografischen, ” kulturellen und gesellschaftlichen Hintergrund, vor dem diese Gegenst¨ande selten sind, es spiegelt seinen europ¨aischen Blickwinkel wider. Bananen, Orangen, Kokosn¨usse – all das geh¨orte zu den allt¨aglichen Nahrungsmitteln auf Samoa und war weder selten, noch kostbar, was er erst im Laufe seines Aufenthaltes erkennen sollte. In diesen vielf¨altigen fremden Eindr¨ucken fand Ehlers seinen Ankerpunkt: Die Falke‘ spielte die Wacht am ’ ’ Rhein‘, ein ihm bekanntes Volks- und Soldatenlied, das die deutsche Heimat f¨ur ihn selbst an diesem entfernten Ort pr¨asent werden ließ. Die Wacht am Rhein‘, die Mitte des 19. ’ Jahrhunderts so etwas wie eine inoffizielle deutsche Nationalhymne gewesen war, war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vielfach parodiert worden. Insofern ist es an dieser Stelle nicht eindeutig, ob Ehlers w¨ahrend der Ankunft tats¨achlich ein St¨uck Heimat in der Fremde verortete, oder ob er mit einem ironischen L¨acheln auf das vermeintlich Deutsche blickt. [I]n der n¨achsten Minute war das Deck mit Eingeborenen und Europ¨aern u¨ berf¨ullt. Die ersteren ” imponierten mir durch ihre vollendet sch¨onen K¨orperformen, ihre sympathischen Gesichtsz¨uge, ihre malerische Tracht – H¨ufttuch, Bl¨atter- und Blumengewinde – und ihr eher anschmiegendes als aufdringliches Wesen, letztere durch ihre St¨arke, nicht etwa ihre k¨orperliche, sondern durch diejenige, die sie nicht nur in ihren Hemden, sondern auch in ihren weißen Anz¨ugen zur Schau trugen.“ (Ehlers 2008/1895: 58)

Ehlers klassifizierte die an Bord Kommenden in Eingeborene‘ und Europ¨aer. Diesen ’ ordnete er jeweils unterschiedliche Erkennungsmerkmale zu, durch die sie ihm imponierten. Die Samoanerinnen und Samoaner fielen ihm – a¨ hnlich wie Churchward – durch ihr Aussehen, ihre K¨orper und Gesichter, sowie die malerische Tracht“ auf. Hier k¨onnte ”

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wieder Ehlers’ leicht ironischer Blick aufblitzen, da er die Tracht als H¨ufttuch, Bl¨atter” und Blumengewinde“ spezifizierte, was aus europ¨aischer Perspektive nicht die Kategorie einer angemessenen Bekleidung erf¨ullte, nicht einmal als Kleidung‘ zu bezeichnen war. ’ Das intendierte Augenzwinkern verkommt mit der Gegendarstellung der Europ¨aer eher zur Selbstdarstellung als Weltreisender‘ bzw. zu g¨onnerhaftem Wohlwollen. Die an Bord ’ kommenden Europ¨aer trugen n¨amlich Hemden und weiße Anz¨uge, die einerseits ihre gesellschaftliche St¨arke zum Ausdruck bringen sollten, es andererseits auch im w¨ortlichen Sinne taten, da die weiße M¨annerkleidung gest¨arkt wurde, um sie leichter gl¨atten zu k¨onnen und Verschmutzung zu verhindern.13 Somit betrachtete Ehlers beide Gruppen gleichermaßen ironisch, wobei er Samoanerinnen und Samoaner als Menschen von gewisser Sch¨onheit mit einem anschmiegende[n] Wesen“ von den starken Europ¨aern‘ abgrenzte. ” ’ Genthes Beschreibung der Ankunft mit der Alameda‘ a¨ hnelte der Ehlers’, wenngleich ’ sie insgesamt ausf¨uhrlicher ausfiel. Noch ehe der Postdampfer Anker geworfen hat, schießen von allen Seiten die Kanus der Eingeborenen ” und zahlreiche europ¨aische Boote heran. Ein ausgeh¨ohlter Baumstamm mit einem durch Bast zusammengeschn¨urten Ausleger – jener das Kentern verhindernden bekannten Erfindung der S¨udseeschiffer – und ein Paddelruder, das ist die ganze Schiffsausr¨ustung des Samoaners.“ (Genthe 1908: 4f.)

Dass die Kanus und anderen Boote [heran]schießen“, bevor das Postschiff den Anker ” geworfen hat, zeigt, dass dieses bereits erwartet wurde. Genthe kn¨upfte mit seiner Schilderung der Kanus und ihrer Handhabung an die Kunstfertigkeit der Samoanerinnen und Samoaner (aber auch die der Bev¨olkerungen anderer S¨udseeinseln) im Umgang mit ihren Schiffen an, was der Inselgruppe bereits seit Jacob Roggeveen den Namen Schifferinseln eingebracht hatte. Der Gebrauch des Singulars bei der Samoaner“ macht deutlich, dass ” Genthe hier in rassischen‘ Kategorien denkt: Der Samoaner an sich vermag mit einem ’ ’ Kanu umzugehen‘, was zu einer Homogenisierung der Bev¨olkerung f¨uhrt: Wie bei ei” nem großen Kristallisationsverfahren schießen diese kleinen, schmalen Dinger auf uns zu, und im Augenblick ist das Deck des Dampfers u¨ berf¨ullt mit braunen Menschenkindern, M¨annlein und Weiblein und Kindern, die allerhand Sachen zum Verkauf anbieten.“ (Genthe 1908: 5) Obwohl neben den samoanischen Kanus auch europ¨aische Boote an den Postdampfer herangefahren waren, war das Deck nur von braunen Menschenkindern“ u¨ berf¨ullt. Hier ” erfolgte die Zuschreibung der samoanischen Bev¨olkerung als braune‘ Menschen, eine ’ Farbgebung, die sich durch die gesamten Reiseberichte ziehen wird. Auch an fr¨uherer Stelle

13

Ehlers f¨uhrte dazu weiter aus: Man st¨arkt hier außer den Hemden auch die Beinkleider und ” R¨ocke derart, daß sie eher einer steifen Pappmasse als einem Gewebe gleichen [. . . ].“ (Ehlers 2008/1895: 58)

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wurde samoanisch‘ bereits mit braun‘ konnotiert, als Deeken die braunen zierlichen ’ ’ ” H¨auser[ ] der Eingeborenen“ sah (Deeken 1901: 19). Genthe benutzte in dieser Passage auff¨allige Verkleinerungsformen. Zum einen sprach er von Menschenkindern, zum anderen von M¨annlein und Weiblein. Diese Verniedlichung kn¨upft an die Homogenisierung an, und ¨ dient der Legitimierung des eigenen Uberlegenheitsanspruchs. Die samoanische Kleidung beschrieb Genthe anders als Ehlers und bewertete sie unterschiedlich. Hier die Apiaer erscheinen zwar fast ausnahmslos in bedruckten Baumwollstoffen, die sie von den ” weißen H¨andlern am Strande gekauft haben, und haben sogar außer dem H¨ufttuch meist noch ein Unterhemd oder gar Flanellzeug europ¨aischer Mache angezogen – sonst aber laufen sie noch ganz echt als Wilde‘ umher, ohne Schuhe, Str¨umpfe und Kopfbedeckung. Nicht einen einzigen sehe ich in ’ Hosen, die den Kanaken Hawaiis selbst in den entlegensten Teilen der Inselgruppe schon unentbehrlich geworden sind.“ (Genthe 1908: 5f.)

Statt der malerischen Tracht‘ trugen die Bewohnerinnen und Bewohner Apias europ¨aische ’ Kleidung, oder genauer, auf europ¨aische Art gemachte Kleidung: H¨ufttuch, Unterhemd oder Flanellhemden. Hierin deutet sich an, dass der bisherige beschriebene Handel eben nicht nur in die eine Richtung – samoanische H¨andlerinnen und H¨andler verkaufen an europ¨aische Reisende –, sondern ebenso umgekehrt – Weiße H¨andler verkaufen an Samoanerinnen und Samoaner – erfolgte. Die genannte Kleidung, obwohl bei einem solchen Weißen H¨andler erstanden, w¨urde Genthe sicherlich als einem Europ¨aer nicht angemessen, sondern als Nachahmung ansehen. Die fehlenden Schuhe, Str¨umpfe und Kopfbedeckung ließen die samoanischen Menschen in seinen Augen gleich wieder zu Wilden‘ werden. Genthe selbst ’ setzte dieses Wort in einfache Anf¨uhrungsstriche, distanzierte sich damit wohl aber nur von einem Teil der Konnotation. Durch die Kunstfertigkeit im Umgang mit den Kanus und die Sch¨onheit der Menschen schien den Samoanerinnen und Samoanern einerseits ein gewisser Grad an Zivilisiertheit‘ zuerkannt zu werden, andererseits entsprachen sie den ’ Stereotypen des Wilden‘ in seiner Nacktheit. Diese Nacktheit definierte Genthe zugleich ’ als positiv, indem er sie von den Kanaken Hawaiis“ abgrenzte, die wiederum durch das ” Tragen der Hosen bereits Teile der vermeintlichen Urspr¨unglichkeit eingeb¨ußt hatten. Man ist u¨ berrascht, in den Samoanern lauter ungemein stattliche, schlank gewachsene Menschen zu ” sehen, mit breiter Brust und gewaltigen Gliedern, alle ohne Ausnahme ebenm¨aßig und stark wie wenig bevorzugte Athleten bei uns. Auch die Frauen sind prachtvoll gewachsen, besonders in der Jugend.“ (Genthe 1908: 6)

Genthe ging u¨ ber die bisherigen Ausf¨uhrungen Ehlers’ und Churchwards hinaus, indem er die Sch¨onheit genauer, aber in sich ambivalent beschrieb. Die M¨anner bezeichnete er als stattlich“, schlank“, ebenm¨aßig“ und stark“, im Grunde positive Eigenschaften, aber ” ” ” ” eben wie wenig bevorzugte Athleten bei uns [Herv. G. F.]“. Man k¨onnte Genthes Aussage ”

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auch in einem anderen Sinne erg¨anzen: wie bei nur wenigen bevorzugten Athleten bei ” uns“. Dies w¨urde den Fokus weg von der Ambivalenz, hin zur k¨orperlichen Sch¨onheit der Samoaner und gleichzeitig auf den zeitgen¨ossischen europ¨aischen K¨orperkult und die Verehrung des (sch¨onen) K¨orpers richten. Zwar war k¨orperliche St¨arke in der Heimat eher ein Merkmal der Arbeiterschicht, von der sich das B¨urgertum sorgsam abzugrenzen suchte, doch galt ein schlanker, wohlproportionierter K¨orper im ausgehenden 19. Jahrhundert auch beim B¨urgertum als Sch¨onheitsideal. Gleichwohl galt k¨orperliche St¨arke einer geistigen Bildung gegen¨uber als unterlegen. Insofern war es f¨ur Genthe m¨oglich, die samoanischen ¨ M¨anner mit dieser Attribuierung zu schildern, da er seinen eigenen Uberlegenheitsanspruch jederzeit u¨ ber seinen gebildeten Geist wahren konnte. Auch die Frauen, die prachtvoll“ ” gewachsen waren, – der Ausdruck erinnert eher an morphologische Beschreibungen innerhalb der Flora – sind dies besonders“ und vermutlich auch ausschließlich in ihrer Jugend. ” Genthe konnte sie beim Interagieren mit den Passagieren genau betrachten. Kleine, halberwachsene M¨adchen belustigen sich damit, vom Kanu aus nach Geldst¨ucken zu tauchen, ” die sie sich von den u¨ ber der Reeling lehnenden Reisenden herunterwerfen lassen, und so, wie sie sind, mit H¨ufttuch und Blumenkette um den Hals, springen sie kopf¨uber ins Wasser, tauchen nach der rasch sinkenden M¨unze und zeigen beim Schwimmen die wunderbare Entwicklung ihrer jungen Glieder.“ (Genthe 1908: 6)

Die samoanischen M¨adchen erscheinen also nicht als Gespr¨achs- oder gar Handelspartnerinnen an Bord, sondern u¨ bernehmen den Part der Belustigung und des Amusements f¨ur die ankommenden Passagiere, umgeben diese mit spielerischer Leichtigkeit. Gleichzeitig befriedigten sie einen als unschuldig getarnten voyeuristischen Blick. Damit stellte Genthe diese Frauen als den Weißen Blicken verf¨ugbar dar. Durch die Art der Bekleidung grenzte Genthe Einheimische und Europ¨aer vermeintlich klar voneinander ab, wobei diese Gruppen an sich schon nicht trennscharf unterscheidbar waren. Zwischen diesen halbnackten S¨udseemenschen bewegen sich die ersten weißen Ank¨ommlinge vom ” Lande. In stattlichen Booten mit der Dienstflagge ihres Landes im Heck sind die Konsuln der drei Vertragsm¨achte l¨angsseits gekommen, der Hafenarzt und der Oberrichter f¨uhren die samoanischen Landesfarben, die wie der Danebrog14 aussehen mit einem Stern im linken oberen Felde.“ (Genthe 1908: 6)

Neben der Leichtigkeit der tauchenden samoanischen M¨adchen nahm Genthe die Stattlichkeit der Vertreter der drei Vertragsm¨achte wahr. Die jeweiligen Konsuln sowie der Arzt

14

Bezeichnung f¨ur die d¨anische Flagge.

Die Ankunft und erste Eindrucke | 99 ¨

und der Richter verorteten sich jeweils durch die Flagge, die sie f¨uhrten. Genthe machte eine klare hierarchische Unterscheidung zwischen der kindlich anmutenden samoanischen Bev¨olkerung und den als erwachsen und zivilisiert‘ geschilderten Europ¨aern. ’ Marie Frasers erste Schilderungen der Samoanerinnen und Samoaner bezog sich auf deren allt¨agliche T¨atigkeiten. Vom Schiff aus sah Fraser Samoanerinnen und Samoaner beim Fischfang, beschrieb sie aus der Distanz und nicht erst beim Einfahren in den Hafen. By the time the sun was high in the heavens, blazing down on our white decks, where the pitch ” bubbled in the seams, we were skirting along the coast of Upolu; and on the beach could be seen clusters of little brown houses, made of palm-leaves, and dark-coloured native skimming over the water in outrigger canoes, fishing, or wading about with spears in their hands – a favourite method of catching fish, in which they are experts.“ (Fraser 1895: 4)

Die fischenden samoanischen M¨anner und Frauen geh¨orten f¨ur Fraser zur Szenerie, genau wie die am Ufer vorbeiziehenden Pflanzen und Geb¨aude, ohne dass sie ihnen weitere Aufmerksamkeit zukommen ließ. Auch Fraser sprach von brown houses“, die aus Palmen” bl¨attern gefertigt wurden. Die Hautfarbe der Menschen beschrieb sie als dark-coloured“, ” blieb also im Konsens, dass die Menschen in verschiedenen Braunt¨onen und nicht als Schwarz geschildert wurden. Fraser griff wiederum auf Wissen zur¨uck, als sie konstatierte, dass die Samoanerinnen und Samoaner Experten‘ darin seien, mit ihren Speeren Fische zu ’ fangen. Durch die zeitverz¨ogerte Niederschrift ließ sie zus¨atzliche Informationen einfließen. Insofern bediente sie hier, wie Genthe, den Teil des homogenisierenden Stereotyps, der der samoanischen Bev¨olkerung die Beherrschung dieser Methode des Fischfanges generell unterstellte. ¨ Ahnlich studierend‘ betrachtete auch Charles Greene die Menschen w¨ahrend seiner ’ Ankunft. Er erlebte die u¨ bliche gesch¨aftige Ankunftssituation, schrieb aber nichts u¨ ber die Tageszeit, zu der er ankam. As the great ship approaches, a narrow dot of blue is found between the raging combers on either ” side, and the great ship glides safely into the peaceful waters of the harbor. Soon a swarm of boats surrounds the great black hull, and all is bustle and excitement. There are the natives to be studied, in the swarming canoes, each with its outrigger. There is the shore to be looked at, and the boundless wonders of the tropical foliage.“ (Greene 1896: 9)

Bei seiner Ankunft in den peaceful waters“ 15 wurde der Schiffsrumpf von kleineren ” Booten umringt, und statt konkreter Schilderungen schien Greene lediglich in der Lage zu sein, auf das Vorhandensein dieser Boote sowie der K¨uste und des tropischen Bl¨atterdachs

15

Ein Trugschluss, wie die bereits erfolgten Anspielungen auf mitunter heftige St¨urme belegen.

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hinzuweisen. Mit der F¨ulle der boundless wonders“ schien er u¨ berfordert zu sein, den ” Bedarf an Zeit um die Eindr¨ucke zu sortieren, konnte er jedoch artikulieren: One can hardly be held responsible for giving a clear account of his impressions that first day; for the ” strange and new, the beautiful and the marvelous, crowd in upon him till he ceases to do more than look and wonder and drink in all these curious sights, and leave to calmer times the setting in order of what he sees.“ 16 (Greene 1896: 10)

Mit Begriffen wie beautiful“ und marvelous“ bediente er eher das mythische Bild der ” ” S¨udsee, deren Eindr¨ucke aufzuschreiben er sich erst zu ruhiger Stunde in der Lage sah. Als Bew¨altigungsstrategie f¨ur die Fremdheit nutzte Greene den Zeitfaktor. Zum einen war der Zeitgewinn durch eine sp¨atere Niederschrift einer Sortierung der Eindr¨ucke dienlich, zum anderen konnte die tats¨achliche Verarbeitung der erlebten Fremdheit auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Genau wie Genthe und Ehlers war auch Georg Wegener an Bord der Alameda‘, des ’ Postdampfers von San Francisco, in Apia angekommen. Im Gegensatz zu den beiden beschrieb Wegener kein Gewusel und keinen Trubel im Hafen; ruhig und gesittet ging bei ihm alles vonstatten. Vorsichtig war unsere Alameda‘ durch die auch bei ruhigem Wetter Aufmerksamkeit erheischende ” ’ ¨ Offnung zwischen den Korallenb¨anken hineingesteuert. Die Ankerkette rasselte nieder, noch weit vom Ufer. Eine gr¨oßere Landungsbr¨ucke zum Anlegen gab es in Apia nicht. Boote vermittelten den Verkehr.“ (Wegener 1925/1919: Kap. 2)

Ein wichtiges Detail f¨uhrte Wegener hier an: Ein Anlanden wie in einem ausgebauten Hafen Europas war auf Upolu nicht m¨oglich. Daher war es notwendig, ein gutes St¨uck vor dem Ufer schon den Anker zu setzen und sich von kleineren Booten u¨ bersetzen zu lassen, oder sich von samoanischen M¨annern an Land tragen zu lassen, nicht ohne Auswirkungen auf das vermeintlich w¨urdevolle Auftreten als Weißer.17 Dieses retardierte Ankommen muss im Kontrast zur vermeintlich leichten Vereinnahmung der Inseln gelesen werden. W¨ahrend die Schilderungen zumeist von einer freundlichen Aufnahme sprachen, kann beobachtet werden, dass der Zugang nicht an allen Stellen reibungslos verlief. Zum einen

Die Figur des traveler[s]“ (Greene 1896: 10), aus deren Sicht hier berichtet wird, genau wie ” der best¨andige Gebrauch des Passivs, wie im vorangegangenen Zitat, ließen anf¨anglich Zweifel aufkommen, ob Greene tats¨achlich selbst auf Samoa war, da er sich nicht der g¨angigen Authentifizierungsstrategien bediente. Andererseits gebrauchte auch Myers Shoemaker die Figur des traveller[s]“ in seinen Schilderungen (vgl. Myers Shoemaker 1898: 42). ” 17 Auf Situationen, in denen sich Weiße von Samoanern u¨ bers Wasser tragen ließen, geht Kapitel 6.4.3 n¨aher ein.

16

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unterschlagen die meisten Quellen, wie nun bei Wegener deutlich wurde, die Tatsache, dass ¨ ein weiteres Ubersetzen oder gar Tragen notwendig war, um an Land zu gelangen, und zum anderen klang bereits an, dass dieses Land nicht grunds¨atzlich einseh- und einnehmbar war, sich im Gegenteil mit Urwald‘ oder Wolkenschleiern verh¨ullte. ’ Wegener erkl¨arte die Bedeutung der Schiffsverbindung in die USA, mit deren Postdampfer er gerade angekommen war. Die Ankunft des Postdampfers von San Francisco, der die monatlich einmalige Verbindung mit der ” Heimat bringt – die Postzeit ist ungef¨ahr 27 Tage von Berlin –, bildet eins der Hauptereignisse im Leben der hiesigen Europ¨aer und ist die große Sensation auch f¨ur die Eingeborenen Apias. Alles aber spielte sich u¨ berraschend ruhig ab. P¨unktlich und stramm, wie man es von deutschen Beamten gewohnt ist, erschienen die drei offiziellen Pers¨onlichkeiten, der Arzt, der Postmeister, der Zollinspektor, an Bord, sonst zun¨achst niemand.“ (Wegener 1925/1919: Kap. 2)

Diese Darstellung a¨ hnelte den Ausf¨uhrungen Genthes, der sorgsam zwischen samoanischer Bev¨olkerung und europ¨aischen Beamten unterschieden hatte. Wegener erlebt im Prinzip die gleiche Ankunft wie schon Ehlers und Genthe, allerdings blieb das große Willkommen‘ ’ bei ihm aus. Das Gew¨uhl und Geschrei“ (s.u.), welches Wegener sicherlich nicht nur aus ” asiatischen H¨afen, sondern vor allem aus anderen Berichten kannte und erwartete, fand nicht statt. Rings um das Schiff nichts von jenem bunten Gew¨uhl und Geschrei, wie man es in asiatischen H¨afen ” ¨ gewohnt ist. Nur ein paar mit bescheiden wartenden braunen Ruderern besetzte Uberfahrtsboote europ¨aischer Bauart lagen unten, die am Heck eine Tafelaufschrift trugen, daß sie obrigkeitlich ’ zugelassen‘ seien: alles h¨ochst korrekt, ordentlich und – ein bisschen n¨uchtern! [. . . ] [E]inige Minuten sp¨ater sprang ich ans Land – mitten in der Weite des Großen Ozeans auf deutschen Boden!“ (Wegener 1925/1919: Kap. 2)

So kam ihm seine Ankunft n¨uchtern“ vor. Wiederum wurden die Ruderer als braun“ ” ” ¨ beschrieben, die Boote, die zur Uberfahrt zugelassen waren, jedoch von europ¨aischer Bauart. Widerspr¨uchlich wirkt das Statement, die Ankunft des Postdampfers sei ein Hauptereignis“ ” und eine große Sensation“ im Leben von Einheimischen und Europ¨aern, wo sich doch ” offensichtlich an diesem Tage niemand so recht daf¨ur zu interessieren schien. So blieb ihm lediglich die Sensation des Ankommens auf deutschem Boden, mitten im Großen Ozean. Die preußischen Tugenden erschienen in diesen Momenten f¨ur Wegener pr¨asent. Es gab zum einen ein Hinweisschild, zum anderen wirkte auf ihn alles korrekt“ und ordentlich“ – ” ” dieses deutsche‘ Element f¨uhrte jedoch auch zu dem Erlebnis der N¨uchternheit. ’

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Bis man in Apia auf die Ankunft des Schiffes aufmerksam wurde, erschienen auch bei Michael Myers Shoemaker keinerlei Kanus auf dem Wasser, was insbesondere bei n¨achtlicher Ankunftszeit der Fall war. About three o’clock in the morning of September 5th, we were awakened by the sudden cessation ” of the regular beat of the screw, and on looking out found that the ocean had vanished, and, save for a little patch of water, nothing but green mountains were in sight. It was too early as yet to see the town of Samoa, and the natives evidently were unaware of our arrival as no canoes appeared upon the waters. This state of affairs, however, did not last long.“ (Myers Shoemaker 1898: 41)

Doch bevor die Sonne aufgegangen war, kamen Samoanerinnen und Samoaner in Kanus an das Boot heran, mit der u¨ blichen Ausstattung an Fr¨uchten, Matten und Schmuck zum Verkauf. Myers Shoemaker verbrachte von allen Autorinnen und Autoren die k¨urzeste Zeit auf Samoa. Insofern schien er auch am wenigsten auf seinen Aufenthalt vorbereitet zu sein, wie Details seiner Schilderung verraten. Statt von Apia sprach er von der town ” of Samoa“ und generell von Samoa, anstatt zu differenzieren, dass er auf Upolu anlegte. Myers Shoemaker erblickte mit dem ersten Licht des Tages dann die H¨auser im Hafen, bevor sein Blick auf das Wrack des deutschen Kriegsschiffes Adler‘ fiel, das seit dem ’ Sturm von 1889 dort lag. Von dort wanderte sein Blick unmittelbar zu dem Berg, auf dem Robert Louis Stevenson seine letzte Ruhest¨atte gefunden hatte. (Vgl. Myers Shoemaker 1898: 42) Insofern gleicht Myers Shoemakers Bericht am ehesten einem touristischen Journal, in dem er die points of interest‘ abarbeitet, ohne Gelegenheit, die Insel selbst zu ’ erkunden. W¨ahrend die bisherigen Erz¨ahlenden einen Standort auf dem ankommenden Schiff innehatten und somit vom Wasser aus auf Apia blickten, nahm Llewella Pierce Churchill den entgegengesetzten Blickwinkel ein und schaute vom Strand auf das ankommende Schiff und den Trubel im Hafen. It is a frequent sight and not at all an unusual one to the residents, ” although the tourist passengers are undoubtedly duly impressed.“ (Pierce Churchill 1902: 294) Durch den Perspektivwechsel wird deutlich, dass das, was die Autorinnen und Autoren bisher als scheinbar einmaliges und außergew¨ohnliches Ereignis schilderten, von der anderen Seite aus gesehen zum Alltag auf Samoa geh¨orte. Durch die vier- bis sechsw¨ochentliche Frequenz der Schiffsankunft – Wegener sprach von der monatlich einmalige[n] Verbin” dung“ – blieb es ein nicht tagt¨agliches Ereignis in Apia, doch der Ablauf war routiniert.18 Das Anlegen der samoanischen Kanus an den Schiffen ist also nicht der von Ehlers unter-

18

Dieser routinierte Ablauf wiederholte sich nicht nur im Hafen von Apia, sondern wurde auch durchlaufen, wenn die Reisenden andere Inseln der Samoa-Gruppe besuchten, so beispielsweise bei Genthe auf Savai’i (vgl. Genthe 1908: 79f.).

Die Ankunft und erste Eindrucke | 103 ¨

stellten Neugierde an den europ¨aischen Menschen geschuldet, sondern verlief nach einem strukturierten Drehbuch, genau wie das Austauschen von Neuigkeiten, das Abladen der Waren und der gesellschaftliche Austausch am Strand von Apia. Marie Fraser best¨atigte das Bild von Pierce Churchill und u¨ bte gleichzeitig eine verh¨altnism¨aßig moderne Kritik an den Reisenden, die sich nicht gen¨ugend Zeit nahmen. Hence travellers on board the American mail boat who come ashore for an hour or two see nothing ” of the real Samoan; they stroll along the beach, past the row of straggling stores and bars, and buy a few fans and clubs, specially made for the mail-boat passengers. [. . . ] After which they return to the boat with a poor impression of the courtesy of the native, and perhaps disappointed with his lack of picturesque dress, as many of the Samoans who live on the beach attempt to clothe themselves with a European motive running through their dress.“ 19 (Fraser 1895: 125)

Geht man davon aus, dass das Ankommen des Postdampfers als gesellschaftliches Ereignis einem solchen Drehbuch folgte, kann man mit Erving Goffman argumentieren, dass es eine Vorder- und eine Hinterb¨uhne gab (vgl. Goffman 2009/1983). Auf der vorderen B¨uhne spielte sich das ab, was die Touristen und allgemein die ankommenden Reisenden sehen und wahrnehmen sollten. Da spielte das gesch¨aftige Treiben eine wichtige Rolle, das Interesse an den Ank¨ommlingen und die Exotik im Angebot der fliegenden H¨andlerinnen und H¨andler. Genauso geh¨orte der Empfang durch die Offiziellen zu diesem Setting. Frieda Zieschank erlebte das Ankommen des Dampfers regelm¨aßig und gab einen Blick auf die Hinterb¨uhne‘, die den Touristen in der Regel verborgen blieb: ’ Anders sieht Apia aus an den Dampfertagen, die zugleich die Post aus der Heimat und der u¨ brigen Welt ” bringen. [. . . ] Da ist der Hafen lebendig! [. . . ] Die Eingeborenen treiben schwunghaften Handel mit ihnen [den Fremden, G. F.]. [. . . ] Sehr niedlich ist immer das halb verst¨andnisinnige, halb besch¨amte Grinsen, wenn sie aus Versehen einen alten Ansiedler angesprochen haben und dann ihren Irrtum erkennen. Das gibt dann jedesmal ein kleines gegenseitiges Vergn¨ugen.“ (Zieschank 1918: 54f.)

Auf der Hinterb¨uhne spielte sich das ab, was den Neuank¨ommlingen zun¨achst verborgen bleiben sollte: die ver¨anderten und erh¨ohten Preise, die wissenden Blicke zwischen H¨andlerinnen und H¨andlern auf der einen und ans¨assigen Europ¨aerinnen und Europ¨aern auf der anderen Seite, und allgemein das Wissen um die Austauschbarkeit des sich wiederholenden Ereignisses.20 An dieser Stelle scheint das Verh¨altnis zwischen samoanischer

19

Damit trifft sie im Kern ihrer Kritik Reisende wie Michael Myers Shoemaker.

20

An sp¨aterer Stelle wird in Hesse-Warteggs Beschreibung nochmal der Unterschied zwischen Vorder- und Hinterb¨uhne deutlich: Kam ich beispielsweise unversehens in ein Dorf, so fand ich ” die M¨adchen in ihrer bronzefarbenen Haut und Lawalawa prangen; verweilte ich aber nur kurze Zeit, so erschienen sie schon mit brennroten großen Hibiscusbl¨uten in ihrem u¨ ppigen, h¨aufig durch

104 | Samoa – eine Sudseeinsel ¨

und europ¨aischer Bev¨olkerung beinahe komplizenhaft, da beide Gruppen die l¨angere Anwesenheit auf der Insel im Vergleich zu den Neuankommenden einte.

Zusammenfassung Die vorangegangenen Texte von dreizehn der f¨unfzehn Autorinnen und Autoren zeigen, wie durch die Beschreibung der Ankunft und der damit einhergehenden ersten Eindr¨ucke diese Diskurslinie konstituiert wurde.21 Zusammenfassend lassen sich folgende Punkte festhalten: Alle Reisenden trafen nach unterschiedlichen Zwischenstationen per Schiff in Apia ein. Dies erm¨oglichte ihnen zun¨achst den Blick auf die gesamte Nordk¨uste der Insel Upolu. Dabei fielen den Reisenden als erstes die charakteristischen hohen, bis zu den Gipfeln dichtbewaldeten Berge auf. Den deutschen Autorinnen und Autoren k¨onnte hier eine besondere Affinit¨at zum Deutschen Wald‘ unterstellt werden, eine Untersuchung ’ der Bedeutung des Tropen- bzw. Urwaldes steht noch aus.22 Weiterhin geh¨orten zur landschaftlichen Beschreibung die vorgelagerten Korallenb¨anke, Wasserf¨alle, der Strand und die Bucht von Apia, die durch H¨auser verschiedener Einwohnergruppen und unterschiedlichen Baustils gekennzeichnet war. Im Hafen selbst wurde unterschieden zwischen Booten einheimischer und europ¨aischer Bauart, außerdem lagen teilweise deutsche Kriegsschiffe vor Anker. Trotz vereinzelter Andeutungen von Bedrohlichkeit oder Gefahr, die von der dunklen Masse‘ der Insel oder der potentiellen Gewalt der Wellen ausging, u¨ berwogen ’ Schilderungen der Sch¨onheit und Friedlichkeit. Zudem ist die in den meisten Reiseberichten gleiche Ankunftszeit bzw. -situation augenf¨allig. Der erlebte Sonnenaufgang war ein geeignetes Motiv, den Bericht auch sinnbildlich und mit rituellem Charakter beginnen zu lassen. Vermutlich war der besondere Eindruck auch der Tatsache geschuldet, dass die meisten Autorinnen und Autoren zuvor in St¨adten und nicht an der K¨uste gelebt hatten, der Sonnenaufgang mit freiem Blick also ein seltenes und besonderes Ereignis in ihrer bisherigen Lebenswelt darstellte. Das Motiv des

Kalk entf¨arbten semmelblonden oder auch nat¨urlichen schwarzen Haar, und um den Hals waren Blumenketten gewunden, die u¨ ber die Brust herabfielen [Herv. G. F.].“ (Hesse-Wartegg 1902: ¨ 242) Im Uberraschungsmoment, in dem Hesse-Wartegg ein Blick auf die Hinterb¨uhne gelang, trugen die samoanischen Frauen lediglich das Lava Lava, ein H¨ufttuch, erst mit dem Verweilen des Fremden wurden Bl¨utenschmuck und besonderes Haarstyling auf der Vorderb¨uhne pr¨asentiert. 21

Die hier nicht ber¨ucksichtigten Quellen sind die von Robert Louis Stevenson und Victor Arnold Barradale. Dies liegt im Charakter ihrer Niederschriften begr¨undet; es gibt darin keine Beschreibung ihrer Ankunft.

22

Dieser Themenbereich wird im nachfolgenden Kapitel behandelt, wenn es um die Konstruktionen des Paradieses und damit einhergehende Entlehnungen beim M¨archenwald‘ geht (vgl. Kapitel ’ 4.2.4). Zur Auseinandersetzung mit dem Wald der Deutschen vgl. Breymayer und Ulrich (2011a).

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Lichtbringens, der Erleuchtung und des anbrechenden Tages wurde in keinem der Texte explizit ausgedeutet, bietet sich aber vor dem gesamtkolonialen Kontext als Deutungsfolie an. Somit vermag der Sonnenaufgang sinnbildlich f¨ur das anbrechende zivilisierte‘ und ’ aufgekl¨arte23 Zeitalter stehen, obwohl Samoa nicht den Ruf der Dunkelheit hatte, der man das Licht bringen m¨usse – wie es im Zeitalter der Aufkl¨arung mit dem Mittelalter, im kolonialen Kontext aber mit dem afrikanischen Kontinent konnotiert wurde. Es bildete sich also eine Art Ankunfts-Topos heraus, eine standardisierte Er¨offnung eines samoanischen Reiseberichts, dessen Vorgabe selbst Zieschank noch folgte, als sie auf die Insel zur¨uckkehrte. Die Schilderungen a¨ hneln dabei auff¨allig den Ankunftsschilderungen auf Tahiti, so etwa der Georg Forsters (vgl. Wendt 2013: 41). Die Darstellungen der Szenerie als Landschaftsmalerei erf¨ullten, um mit Mary Louise Pratt zu sprechen, drei wesentliche Funktionen: First [. . . ] the landscape is estheticized.“ ” (Pratt 2000: 204) Indem die besehene Landschaft als Bildkomposition beschrieben wird (im Vordergrund die Bucht von Apia, im Hintergrund die sich erhebenden Berge), und Freude ( pleasure“) bei ihrem Anblick empfunden wird, wird sie aufgewertet und erh¨alt ” eine Bedeutung. Als zweites erh¨alt die beschriebene Landschaft density of meaning“, eine ” besondere Dichte der Bedeutung‘. Dies wird durch den Gebrauch zahlreicher Adjektive ’ erreicht, insbesondere von Farb-Adjektiven. Pratt arbeitet heraus, dass, indem nun nicht die reinen Farben benannt werden, sondern diese einen Zusatz erhalten (hier z. B. silberklar‘, ’ purpurgoldig‘, wunderbares Blau‘), zus¨atzliches Material und Objekte in die Szene gelegt ’ ’ werden, die die fremde Landschaft mit der explorer’s home culture“ koppeln, w¨ahrend ” wissenschaftliches Vokabular komplett abwesend sei. Als dritte Funktion benennt Pratt die relation of mastery“, da die Metapher des Bildes bereits nahe lege, dass das, was der oder ” die Beschreibende sehe, alles sei, was es zu sehen gebe. (Vgl. Pratt 2000: 204)24 Der Autor oder die Autorin sei dementsprechend both the viewer there to judge and appreciate it, ” and the verbal painter who produces it for others“ (Pratt 2000: 205). Damit habe er oder sie the power, if not to possess, at least to evaluate this scene“ (Pratt 2000: 205). ” Indem die Autorinnen und Autoren also auf das Stilmittel der Bildbeschreibung zur¨uckgriffen, a¨ sthetisierten sie die Landschaft; luden sie mit Bedeutung auf, indem sie nicht sachlich (wissenschaftlich) beschrieben, sondern ihren eigenen kulturellen Hintergrund in die Beschreibung legten; und sicherten sich somit die Deutungshoheit u¨ ber das Wahrgenommene, das sie einem Lesepublikum pr¨asentierten.25

23

Im Englischen nicht umsonst: Enlightenment“, bzw. im Franz¨osischen: Si`ecle des Lumi`eres“. ” ” 24 Pratt spricht hier auch von der monarch-of-all-I-survey scene“ (Pratt 2000: 205), was recht ” passend die Haltung der Beschreibenden zum Ausdruck bringt.

25

Dieses Vorgehen war gebr¨auchlich und wird vor allem bei den Schilderungen des Samea-Berges wiederholt, vgl. Kapitel 4.2.3.

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Das Zusammentreffen mit den ersten Menschen vor Ort machte deutlich, dass von Beginn an Unterscheidungen zwischen Menschengruppen getroffen wurden, dieses Wissen also nicht erst vor Ort erworben wurde, sondern dieser Filter schon vorhanden war. Woran Eingeborene‘, Mischlinge‘ und Europ¨aer‘ a¨ ußerlich unterschieden werden k¨onnen, wird ’ ’ ’ nicht weiter ausgef¨uhrt. In der Unterteilung zwischen Samoanerinnen und Samoanern einerseits sowie Europ¨aerinnen und Europ¨aern andererseits deuten sich unterschiedliche Aufgaben f¨ur beide Gruppen w¨ahrend der Ankunft des Schiffes im Hafen an. Europ¨aer kommen in ihren gesellschaftspolitischen Funktionen als Arzt, Richter und Gouverneur, in jedem Falle aber als einzelne Individuen an Bord, stehen f¨ur St¨arke und geordnete Verh¨altnisse. Samoanerinnen und Samoanern f¨allt dagegen die Aufgabe zu, zun¨achst mit ihren Kanus f¨ur die angemessene Illustration der Inselkulisse, sp¨ater f¨ur das bunte Treiben im Hafen zu sorgen, das Deck zu u¨ berfluten‘, schwungvollen Handel zu treiben und ’ die Matrosen mit Tauchspielen zu unterhalten. Dabei werden sie als k¨orperlich sch¨on und attraktiv, ihr Wesen als angenehm beschrieben. Auff¨allig ist die Beschreibung ihrer Hautfarbe als braun, womit eine wichtige Unterscheidung zu anderen Kolonialgebieten aller drei kolonisierenden Nationen getroffen wird. Außer diesem diffus sch¨onen Bild erh¨alt das Lesepublikum jedoch noch keine genaueren Schilderungen der Menschen, geschweige denn Schilderungen von einzelnen Menschen, mit denen Begegnungen stattfanden. Ohne hier Inhalte des Kapitels u¨ ber das Menschenbild bzw. rassische Verortungen‘ vorwegzunehmen ’ (vgl. Kapitel 4.3), deuten sich insbesondere in den Beschreibungen Genthes schon diverse Darstellungsstrategien an: Rassisierung‘, Homogenisierung und Verniedlichung. ’ Schließlich l¨asst sich die gesamte Ankunftsszene als ein Wechselspiel von Ankommenden und Ans¨assigen beschreiben, was wesentliche Charakterz¨uge eines Drehbuches mit Vorder- und Hinterb¨uhne aufweist, deren Theorie Goffman so passend entwickelt (vgl. Goffman 2009/1983). Sichtbar wird dies erst durch den Perspektivwechsel der schon l¨anger ans¨assigen Autorinnen und Autoren, in diesem Falle der Autorinnen Zieschank, Fraser und Pierce Churchill. Selbst Ehlers zwischenzeitlich ironischer Blick ließe sich mit Goffman deuten, wenn Ehlers zeitweise in die Rolle des Zynikers“ f¨allt (Goffman 2009/1983: ” 20). Gleiches trifft auf Zieschanks halb verst¨andnisinnige[s], halb besch¨amte[s] Grinsen“ ” zwischen H¨andlern und Ans¨assigen zu: Innerhalb des Ensembles herrscht Vertraulichkeit, ” entwickelt sich zumeist Solidarit¨at, und Geheimnisse, die das Schauspiel verraten k¨onnten, werden gemeinsam geh¨utet.“ (Goffman 2009/1983: 217) Insgesamt bietet die Darstellung der Ankunftsszenen und der ersten Kontaktsituationen mit der einheimischen Bev¨olkerung diverse Ankn¨upfungspunkte, die in den folgenden Kapiteln aufgegriffen werden. Zun¨achst folgt die Untersuchung der Paradieskonstruktionen, daran schließt sich eine genauere Betrachtung des vermittelten Bildes der einheimischen Bev¨olkerung an.

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4.2 PARADIESVORSTELLUNGEN Die folgenden Kapitel nehmen zun¨achst den Paradiesbegriff mit seinen diversen Entlehnungen in den Blick (4.2.1), genauso wie die ambivalente Sichtweise mit ihren Gefahren (4.2.2), insbesondere des Vulkanismus (S. 123). Anschließend werden die verschiedenen Orte dargestellt, die zum typischen Ausflugsprogramm f¨ur Reisende geh¨orten und an die sich in besonderer Weise stereotype Vorstellungen kn¨upften (4.2.3). Das war zum einen der Samea-Berg im Westen Upolus (S. 125), die kleine Felseninsel Apolima (S. 128), die in der Meerenge zwischen Savai’i und Upolu gelegen war, weiterhin die Sliding Rocks‘ ’ der Papase’ea-Wasserf¨alle im S¨uden von Apia (S. 132) samt weiterer Badegelegenheiten und schließlich Savai’i, die gr¨oßte Insel der Gruppe, die f¨ur das echte‘ und unverf¨alschte‘ ’ ’ Samoa stand (S. 137). Die Ergebnisse werden in Kapitel 4.2.4 theoretisch verortet.

¨ 4.2.1 Zwischen Paradies und Marchenland Die Darstellung der samoanischen Inseln als Paradies ist eng verkn¨upft mit dem Mythos S¨udsee und durch eine stereotypisierte Wahrnehmung gekennzeichnet.26 Indem Reisende die samoanischen Inseln bereits im 18. Jahrhundert mit paradiesischen Attributen bedacht hatten, schufen sie großartige Kulissen, vor denen dann die Sehns¨uchte und Tagtr¨aume“ ” der sp¨ateren Reisenden Gestalt annahmen (vgl. Samulski 2004: 332). Den Prototyp dieser stereotypen Vorstellung u¨ ber die S¨udsee lieferte Hesse-Wartegg. Seine Fahrt, so schrieb er, war eine Reise von einem Paradies zum anderen, denn viele von den kleinen P¨unktchen der ” Landkarte sind die entz¨uckendsten Inseln und Inselchen, welche unser Erdball aufzuweisen hat“ (Hesse-Wartegg 1902: 202). Auf diesen Fahrten durch den Stillen Ozean“ war er ” durch ihr Klima, die Großartigkeit ihrer Vegetation, die paradiesische Einfachheit und ” Nat¨urlichkeit ihrer Einwohner in Entz¨ucken versetzt“ (Hesse-Wartegg 1902: 202). Dies f¨uhrte er auch in Abgrenzung zu europ¨aischen Inseln aus: Was sind Korfu, Madeira, ” Korsika und andere im Vergleiche zu Samoa! Wo giebt es ein so wunderbar gleichm¨aßiges, warmes Klima, so herrliche Palmenw¨alder, so sch¨one Berge, so idyllisches, friedliches Leben und einen so pr¨achtigen Schlag gutm¨utiger, freundlicher, fr¨ohlicher Naturmenschen wie hier?“ (Hesse-Wartegg 1902: 290) Hier zeichnen sich bereits drei Bestandteile des paradiesischen‘ Stereotyps ab: die ’ ¨ Sch¨onheit der Inseln, der Uberfluss der Natur und die Urspr¨unglichkeit der Bewohnerinnen und Bewohner. Diese drei Motive werden in den Reiseberichten immer wieder auftauchen,

26

Auch wenn hier schon Aspekte des Menschenbildes zur Sprache kommen, soll der Fokus zun¨achst noch auf den Beschreibungen der Inselwelt und paradiesischen Entlehnungen liegen. Die Darstellungen der samoanischen Menschen werden in allen Facetten in Kapitel 4.3 behandelt.

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geh¨oren im engeren Sinne – aber nicht ausschließlich – zum Diskurs um Vorstellungen des Paradieses. Gleichermaßen haben Vorstellungen von Arkadien und entsprechende Menschenbilder ihre Anteile, genau wie Ansichten des M¨archenwaldes, Aussteigerfantasien, Traumsequenzen und Gefahren der vorgefundenen Umgebung. Die Vorstellungen lebten insbesondere von der abgeschiedenen Lage der Inseln. Wenn man einen Globus an der Stelle, wo unser Heimatland liegt, in gerader Richtung ” durchstechen w¨urde, so k¨ame man auf seiner andern Seite ungef¨ahr da heraus, wo im gewaltigen Stillen Ozean unsere fernste Kolonie ihr M¨archendasein tr¨aumt!“ (Zieschank 1918: 7) Die weite Entfernung und prinzipielle Unerreichbarkeit lassen die Inseln zu einem M¨archenland werden. Die geografische Verortung der Samoa-Inseln als Antipoden Deutschlands, wie Frieda ¨ Zieschank sie hier vornahm, ist soweit korrekt. Ahnlich hatte auch Victor Arnold Barradale sie lokalisiert: In fact, Samoa is just about as far away from England as it can be.“ ” (Barradale 1907: 16) Und auch Hesse-Wartegg stellte einen Zusammenhang her zwischen der Lage als Antipoden und paradiesisch sch¨onen Zust¨anden: Nirgends verweilte ich ” lieber, nirgends verweilen auch heute noch meine Gedanken und Erinnerungen lieber als bei dieser Perle der S¨udsee‘, diesem Tropenparadiese, das nur leider so unendlich weit weg ’ von der Heimat bei unseren Antipoden gelegen ist.“ (Hesse-Wartegg 1902: 246) Da sich bei Hesse-Wartegg die Lage der Inseln vor allem durch ihre Abgeschiedenheit auszeichnete, durften zumindest die Gedanken dort verweilen. Einmal auf Samoa angekommen, gab es f¨ur die Reisenden verschiedene Wege, sich Zugang zur samoanischen Inselwelt zu verschaffen. Siegfried Genthe hatte sich f¨ur seine Erkundungen ein Pferd geliehen und brach damit zu seinen Unternehmungen auf: Es gibt ” nicht Herrlicheres als auf gutem Pferde in leichtem Galopp in den Busch hineinzureiten und die k¨ostliche K¨uhle zu genießen, die einem der u¨ brige Tag versagt; auch in den Tropen hat Morgenstunde Gold im Munde, das Gold einer nachhaltigen Erfrischung von Leib und Seele.“ (Genthe 1908: 53) Mit dem Eindringen in den Busch‘, oft auch in den jungfr¨aulichen Busch‘, benutzte ’ ’ Genthe ein g¨angiges Motiv der Kolonialliteratur. An anderer Stelle sprach er davon, dass man im jungfr¨aulichen, urwaldm¨aßigen Busche reiten“ k¨onne, als ob man der erste und ” ” einzige Weiße im Lande w¨are“ (Genthe 1908: 55). Die sexuelle Konnotation ist h¨aufig mit dem Spiel von Weiblichkeit und M¨annlichkeit ausgedr¨uckt worden, die Inselwelt als weiblich konnotierte Fl¨ache, die der m¨annlich besetzte Reiter penetriert. Die Natur der Insel ist dabei auf vielf¨altige Weise weiblich gepr¨agt, mitunter dar¨uber, dass sie Nahrung ¨ ¨ hervorbringt. Und gerade die Uppigkeit der Natur und der Uberfluss an Nahrung sind das, was die Autorinnen und Autoren wiederholt schildern, teilweise mit neidvollen Anteilen, wenn der Gegensatz zur heimatlichen M¨uhsal des Ackerbaus bedacht wurde, obwohl die hier schreibenden Autorinnen und Autoren alle mindestens dem B¨urgertum angeh¨orten.

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So dr¨uckte Ernst von Hesse-Wartegg es aus: Die u¨ ppige Tropennatur bietet ihnen [den ” Inselbewohnenden, G. F.] alles, ohne daß sie darum zu arbeiten brauchen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 309) Um mit Nahrung versorgt zu werden, war ihm zufolge also keine Arbeit notwendig. Dies schilderte auch William Churchward. They have a fine climate, abundance of native food requiring no cultivation whatever, such as cocoa” nuts and bread-fruit to be had simply for the gathering, the former not even asking for the exertion of cooking. The sea produces fish in abundance, and the reefs afford many other edible animals, the capture of which is merely classed amongst their national sports, whilst the cultivation of the taro and yam require but a minimum of labour; and then, even is all these resources fail, there is still left the wild yam in the bush, to be had for the searching, and the tamu, a giant sort of taro, which no drought can ever kill.“ (Churchward 1887: 320)

Der Arbeitsaufwand hielt sich Churchward zufolge in Grenzen, da etliche Obstsorten keine ¨ weitere Zubereitung ben¨otigten, Nahrung im Uberfluss vorhanden war, und selbst das Fischen eher als Sport, denn als Arbeit angesehen wurde. Auch Otto Ehlers erkl¨arte die Samoanerinnen und Samoaner zu Kindern‘ der Natur, die f¨ur ihren Lebensunterhalt nicht ’ mit schwerer Arbeit aufkommen mussten, da die Natur eine freundliche war. ¨ Alles gedeiht in einer beispiellosen Uppigkeit, und wenn in diesem herrlichen Lande zeitweise in ” einigen Distrikten dennoch eine Knappheit der Lebensmittel eintritt, so ist daran ausschließlich die von den Samoanern allem Anschein nach auf Lebensdauer engagierte Kriegsfurie, nicht aber die ihr Lieblingskind geradezu verh¨atschelnde Mutter Natur schuld.“ (Ehlers 2008/1895: 67)

Im Kriegstreiben sah er den Grund daf¨ur, dass in seltenen F¨allen Lebensmittelknappheit eintrat, insbesondere dann, wenn B¨aume niedergebrannt wurden. Durch die Personifizierungen von Kriegsfurie“ und Mutter Natur“ wird deutlich, dass das Lieblingskind“, ” ” ” also die samoanische Bev¨olkerung, objektiviert wurde, und den Einfl¨ussen seiner Umwelt, die wiederum personifiziert wurde, ausgesetzt war. Den Samoanerinnen und Samoanern wurde vermeintlich etwas in den Schoß gelegt, es passierte ihnen, ohne dass sie einen aktiven Anteil daran – geschweige denn Verantwortung daf¨ur – h¨atten.27 Die Natur taucht in der Funktion der n¨ahrenden Mutter auf, die alle in ihr lebenden Kreaturen versorgt, seien es Menschen oder Tiere, womit sie gegen¨uber der samoanischen Bev¨olkerung eine entm¨undigende Funktion u¨ bernehmen kann, da sie sie in die Lage von Kindern versetzt. Der kultivierte‘ Weiße Mann hat sich dagegen die Natur untertan gemacht und sich emanzipiert. ’

27

Die Unschuld‘ der Kinder‘ ist also eine doppelte: Zum einen wissen sie nicht um die Dinge ’ ’ der vermeintlich zivilisierten‘ Welt wie bspw. Tugend und Moral, und zum anderen k¨onnen sie ’ nicht handeln, da sie fremdbestimmt sind und sich noch nicht emanzipiert haben, also noch nicht erwachsen geworden sind.

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Die Auswahl an Obst und Gem¨use wurde bereits bei den Ankunftsschilderungen angedeutet, da diese Dinge den Neuank¨ommlingen auch zum Verkauf angeboten wurden. Dem hatte Churchward noch Details hinzuzuf¨ugen: Amongst other delicacies must not be ” forgotten the various kinds of worms and maggots, the former procured from the reef, the latter from rotten wood, which form side-dishes at every well-regulated Samoan banquet.“ (Churchward 1887: 355) Nicht nur das Ernten von Obst und Gem¨use war m¨oglich, auch das Riff und verrottendes Holz boten mit W¨urmern und Maden eine nahrhafte Erg¨anzung des Speiseplans. Diese Fruchtbarkeit brachte Zieschank mit einem plakativen Bild auf den Punkt. Man sagt hier, um die Fruchtbarkeit des Bodens drastisch zu schildern, daß ” ein Besenstiel, einige Tage draußen stehen gelassen, Wurzel schl¨agt. “ (Zieschank 1918: 20) Der Preis, den man f¨ur die Fruchtbarkeit des Landes zu zahlen hatte, wie heftige Regenf¨alle, schien ein geringer zu sein (vgl. Zieschank 1918: 10). Myers Shoemaker nahm bei seinem kurzen Aufenthalt vor allem den einfachen‘ Lebensstil wahr: Life here ’ ” appeares to be passed in dreamful ease. It takes but little, a few bananas or bread-fruit, to keep the engine going, and a man has but to stretch his hand without moving to pluck one or both [. . . ].“(Myers Shoemaker 1898: 43) Zu ber¨ucksichtigen bleibt bei Myers Shoemakers Schilderungen, dass er sich zwei Stunden auf Samoa aufhielt, ohne je den Alltag auf den Inseln zu erleben. Die Fruchtbarkeit des Landes a¨ ußerte sich auch in den Naturbeschreibungen, n¨amlich in der vorherrschenden Farbe Gr¨un, die schon zu Beginn der Reiseberichte auff¨allig war. Der unvergleichliche Reiz der S¨udseelandschaft beruht nicht zum wenigsten auf dem ” herrlichen und u¨ berreichen Gr¨un, das alles Land bedeckt, soweit das Auge reicht.“ (Genthe 1908: 89) Bei Genthe war dieses Gr¨un positiv konnotiert, dr¨uckte Fruchtbarkeit aus und entbehrte aller bedrohlichen Konnotationen. Neben den gr¨unen W¨aldern der Berge waren es vor allem die Kokospalmen, die das Landschaftsbild pr¨agten: Behind, again, is the ” shore proper, deeply fringed with graceful cocoa-nut palms, whose lofty heads, proudly erect, crowned with their elegant lace-like leaves, seem to keep watch and ward over the many beehive-like native houses peeping out here and there from amongst their tall stems.“ (Churchward 1887: 37) Auch bei Churchward zeigte sich eine personifizierte Natur, in der die Kokospalmen Wache hielten u¨ ber die einheimischen H¨auser. Insgesamt wurde ein stimmungsvolles Bild entworfen: Alles ist nur Linie und Stimmung. Aber w e l c h e Stimmung und w e l c h e Linien! Die Erhabenheit ” dieser Tausende von schlanken, zum Himmel strebenden, mattget¨onten St¨ammen mit ihren hochoben [!] im Winde leise sich wiegenden Kronen und die Stimmung einer gewaltigen, unendlichen Fruchtbarkeit, die u¨ ber allem liegt, ist unbeschreiblich! [Herv. i. O.]“ (Zieschank 1918: 39)

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Die gewaltige[ ], unendliche[ ] Fruchtbarkeit“, die Zieschank benannte, wirkte fast schon ” u¨ berbordend, regelrecht erdr¨uckend. Bezugnehmend auf die christliche Vorstellung des Paradieses beschrieb Deeken folgende Situation: Ich mache mich indessen an eine genauere Inspizierung der Lagune, doch wer beschreibt mein ” Erstaunen, als ich die B¨usche zur Seite biege und in einer kleinen Einbuchtung der Lagune zwei allerliebste junge M¨adchen, von denen eine mit so sch¨onen regelm¨aßigen Z¨ugen, wie ich sie bisher in Samoa noch nicht gesehen hatte, entdeckte. [. . . ] Da standen nun die beiden in ihrer ganzen nat¨urlichen Sch¨onheit wie Eva vor dem S¨undenfalle.“ (Deeken 1901: 127f.)

Die erotische Komponente dieser Szene soll an anderer Stelle diskutiert werden, wichtig ist hier, dass bei Deeken die Paradiesbewohnerinnen nat¨urlich‘ sch¨on und unschuldig sind, ’ ¨ und damit einen Gegenpol zu den faulen‘ Bewohnern bilden k¨onnen. Durch den Uberfluss ’ an Nahrung und deren einfache Verf¨ugbarkeit entstand das Bild der Samoanerinnen und Samoaner als faule Menschen,28 die nicht an einer Weiterentwicklung interessiert seien (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 307). Hesse-Wartegg blieb bei der homogenisierenden Darstellung, in der die samoanische Bev¨olkerung keiner Arbeit nachzugehen brauchte. Was die gl¨ucklichen Eingeborenen f¨ur ihr bescheidenes Leben brauchen, w¨achst rings um ihre ” H¨utten; ihre Lebensmittel, Kleider, Ger¨atschaften, Brennmaterial, Licht, Getr¨anke, alles w¨achst auf den B¨aumen. Jede Insel ist eine Art Schlaraffenland, wo dem Menschen die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, er braucht ihn nur aufzusperren. Arbeit, schweres Abm¨uhen und Abplagen, Hasten und Jagen nach Erwerb giebt es nicht, kein Mensch ist reicher als sein Nachbar, denn unter den gl¨ucklichen Leutchen herrscht noch G¨utergemeinschaft.“ (Hesse-Wartegg 1902: 205)

Die Vorstellung, auf die er anspielte, ist die des Schlaraffenlandes. Diese geht auf biblische Stellen zur¨uck, nach denen es ein Land gibt, in dem Milch und Honig fließen (vgl. u. a. 5. Mose 6, 5)29 und ewiges Nichtstun m¨oglich ist, da einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Weiterhin gibt es dort einen Jungbrunnen, sodass das Verweilen ohne Altern m¨oglich ist. Mit der Charakterisierung Samoas als solches Land beschrieb HesseWartegg zwar aus seiner Sicht vermeintlich zutreffende Umst¨ande, verkannte aber die gesellschaftliche Differenzierung und die Lebensumst¨ande der samoanischen Bev¨olkerung vollkommen.30

28

Die weiteren Stereotype u¨ ber die samoanische Bev¨olkerung werden in Kapitel 4.3 abgehandelt.

29

Dieser und allen weiteren Bibelpassagen liegt als Bibeltext die Luther¨ubersetzung in der revidierten Fassung von 1984 zugrunde.

30

Die Darstellung der einheimischen Bev¨olkerung als vermeintlich klassenlose Gesellschaft ist wiederum eine Strategie, die eigene Herrschaft zu sichern. Vergleiche dazu auch Kapitel 4.3.6.

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Genthe stellte dar, wie ein Ausritt am fr¨uhen Morgen einem solchen Jungbrunnen gleichk¨ame: Wie auf den r¨uhrend unbeholfenen Gem¨alden unserer mittelalterlichen Maler verhutzelte oder todes” matte M¨annlein und Weiblein auf der einen Seite in den Jungbrunnen hineinsteigen, um auf der andern wieder herauszukommen als neugeborene Menschen, jugendstark und lebensfroh, so verj¨ungt man sich hier im tropischen Lande auf dem morgendlichen Ritt durch den k¨uhlen Wald oder am Strande entlang, wo die Brandung u¨ bers Riff braust und der stets lebendige Passat einem die Stirn f¨achelt.“ (Genthe 1908: 53)

Ein wenig anders verortete Genthe dieses Paradies‘ dann – sowohl abgrenzend, als auch ’ steigernd – zu den Vorstellungen des Landes, in dessen T¨alern Milch und Honig fließt. Und das verleiht eben Savaii wie allen S¨udsee-Inseln solch besonderen Reiz, das Fehlen alles ” Starren und Kahlen, Berge hoch und gewaltig, aber gr¨un bis oben hinauf, ein Paradies nicht mit den herk¨ommlichen T¨alern, darinnen Milch und Honig fleußt, sondern von kr¨aftigeren Umrissen, in der gl¨ucklichen Vereinigung von Meer und Gebirge die st¨arkeren Wirkungen aufweisend, die der Landschaftsmaler zum ewig blauen Himmel und zur tropischen Pflanzenwelt noch hinzuf¨ugen k¨onnte.“ (Genthe 1908: 90f.)

Die Mischung aus Meer und Gebirge schien Genthe handfester zu sein als die diffuse Vorstellung eines Schlaraffenlandes. Somit schien Samoa das bessere Schlaraffenland zu sein. Diese Entlehnungen hatten ihren Ursprung nicht ausschließlich in der biblischen Anspielung, sondern auch in der M¨archenwelt. Als solche wurden die samoanischen Inseln fast noch h¨aufiger beschrieben; als M¨archenwelt mit mythischen und magischen Anteilen. Dementsprechend schien die ganze geschilderte Landschaft zu leben: The whole country ” wakes into life, as it were, by magic.“ (Churchward 1887: 36) Damit kamen nicht nur menschliche Bewohnerinnen und Bewohner in Frage, sondern es er¨offneten sich weitere M¨oglichkeiten. M¨archenwald! Muß da nicht ein Elflein sich in den Lianenschlingen ” schaukeln, oder Waldschrat hinter dem m¨achtigen Farnwedel hervorlugen? Und wenn es Nixen g¨abe – wo anders sollten sie zu finden sein, wenn nicht in dem gr¨unen Wasser dieses Kratersees?“ (Zieschank 1918: 46f.) Sowohl das Paradies als auch das M¨archenland beschrieb einen Ort, der nicht in der realen Welt existierte, sondern einer Fiktion entstieg. Dies erm¨oglichte das Vorkommen fabelhafter Wesen wie Feen, Elfen oder Kobolde, die sich in der Pflanzenwelt tummelten. Die erlebte Landschaft wird als Projektionsfl¨ache verwendet, die das Vorhandensein tats¨achlicher Bewohnerinnen und Bewohner ausblendet und stattdessen von einem leeren ’ Raum‘ ausgeht.

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Insbesondere der Lanutoo, ein See in einem erloschenen Vulkankrater, und seine Umgebung gaben eine gute Folie ab: Endlich waren wir oben. Und da lag der stille, gr¨une ” See im unergr¨undlichen Kraterkessel vor uns, umkr¨anzt vom herrlichsten M¨archenwalde.“ (Zieschank 1918: 44) Der Kratersee war zwar kein geheimer Ort – mehrere der Autorinnen und Autoren hatten ihn besucht –, doch bedurfte es eines gewissen Aufwandes zun¨achst den Krater zu besteigen, um dann mit dem Anblick des Sees belohnt zu werden. Eine Stunde k¨ostlichen Wanderns im M¨archenwalde! Einzelne B¨aume sind kaum zu unterscheiden, ” jeder mit Tausenden von phantastischen Farnen, Flechten und Orchideen behangen, ein Stamm durch ungez¨ahlte Ranken und Lianen mit den andern verbunden, ein Bl¨atterdach w¨olbt sich u¨ ber dem andern. Kein Stamm ist zu sehen, dichte Kleider von Schmarotzerpflanzen umh¨ullen sie, baumhohe Farne ragen zwischen ihnen hervor. Der Fuß versinkt im dichten, saftigen Polster von Moosen und Orchideen.“ (Zieschank 1918: 46)

Es mochte den heimatlichen Leser oder die Leserin u¨ berraschen, dass Orchideen ein Polster am Boden bilden konnten, da sie in der Heimat doch als kostbare und empfindliche Pflanzen bekannt waren. Dieser Anblick schien f¨ur Zieschank der geeignete Platz, um M¨archen- und Fabelwesen zu verorten. Obwohl dem Wald in M¨archenerz¨ahlungen auch etwas Bedrohliches und Unheimliches immanent ist, nahm Zieschank auf diese Facette keinen Bezug. Die im Folgenden gebotene Eile war keine Flucht, sondern der Tatsache geschuldet, dass Zieschank und ihre Begleiter verbotenerweise ihre Pferde mit zum Kratersee genommen hatten und von dem dortigen Aufsichtf¨uhrenden ertappt zu werden drohten: Wir selbst ” bestiegen eiligst unsere verbotenen Tiere und ritten aus dem M¨archenreich wieder hinab zu den Wohnst¨atten der Menschen!“ (Zieschank 1918: 47) Es klang, als ob sie den Olymp bestiegen h¨atte, und nun wieder hinab m¨usse. Churchward, der im Laufe seines Berichts doch noch eine detailreiche, und im Gegensatz zur Beschreibung seiner Ankunft positive Sonnenaufgangsszene schilderte, konstatierte, dass es sich um eine Szene aus einem M¨archenland handeln m¨usse: It is, indeed, like ” a scene from fairyland“ (Churchward 1887: 35f.). Charles Greene stilisierte die erlebte Landschaft dahingehend, dass an diesem Ort alles besser sei, der Sonnenschein, das Mondlicht, die Pflanzen – man schien an einem Ort angekommen zu sein, nach dem man sich sonst nur sehnen konnte: No words can give, no pictures can convey, the dreamy tropical ” atmosphere that throws its veil over every landscape, making the sunshine more glorious, the moonlight more romantic, and giving a splendor to sunsets and sunrises that may not be found except in the tropic regions of this great ocean.“ (Greene 1896: 49) Der Eindruck des Lichts k¨onne weder durch Worte, noch durch gemalte Farben eingefangen werden, so Greene. Neben die Beschreibungen des Sonnenaufgangs treten in der Regel im Laufe der Erz¨ahlungen die des Mondaufgangs oder daran gekoppelt des Sonnenuntergangs. Zieschank kreierte im Sinne Greenes eine traumhaft anmutende Atmosph¨are

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des romantic moonlight‘: Leise erhellte sich der o¨ stliche Horizont, und dann stieg der ’ ” Mond in leuchtender Pracht u¨ ber dem Meere auf, eine breite Silberstraße u¨ ber das Meer sendend und den Urwald und den stillen Traumsee mit schimmerndem Licht u¨ bergießend. Es war ein wunderbarer Anblick voll traumhafter Sch¨onheit! Unvergeßliche Stunden der tropischen Bergnacht!“ (Zieschank 1918: 45) Ihr Eindruck schien nur schwer verortbar zu sein, sie befand sich, wie eingangs Ehlers, in einem Dazwischen, und war tief beeindruckt. An anderer Stelle hatte sie bereits eine Vollmondnacht geschildert: Kann es etwas K¨ostlicheres geben als solch eine Vollmondnacht in einem Samoadorf? Was sind gegen ” solche Stunden die Gen¨usse im u¨ berf¨ullten Theater oder Konzertsaal? Wie fl¨ussiges Silber schimmernd, dehnt sich draußen der gewaltige Ozean. Bl¨auliches Licht liegt u¨ ber dem Lande und auf den leise im Abendwinde sich wiegenden Kronen stolzer Palmen hoch oben unter dem hellen Himmel. Wundervoll in dieses Bild stimmend, schmiegen sich die malerischen H¨utten der Eingeborenen an den Strand mit den braunen blumengeschm¨uckten Kindern dieses Paradieses. Dahinter nachtet geheimnisvoll der undurchdringliche Urwald, und fern am Außenriff rauscht der Brandung Ewigkeitslied!“ (Zieschank 1918: 34)

Sie grenzte die Naturerfahrung der Nacht auf Samoa von einer abendlichen Kulturerfahrung in der Heimat ab, zugunsten der ersteren. Mit ihrer Wortwahl des u¨ berf¨ullten“ Theaters ” oder Konzertsaals u¨ bte sie zugleich Kulturkritik. Die Zieschank umgebenden Dinge werden personalisiert; die Palmenkronen wiegen sich‘, der Ozean dehnt sich‘, die H¨utten schmie’ ’ ’ gen sich an‘. Insofern ist alles belebt, oder wie Churchward es ausgedr¨uckt hatte: durch Magie zum Leben erweckt. Obwohl ihr der Urwald“ geheimnisvoll und undurchdringlich“ ” ” erschien, erhielt er keine bedrohliche Konnotation, sondern diente der Abgeschlossenheit der Kulisse. Ausschlaggebend f¨ur diese Stimmung war das Mondlicht, was auch Barradale so wahrnahm. A breadfruit plantation, or garden, seen in the moonlight, with the native ” houses nestling among the trees, is one of the most beautiful sights to be seen even in the lovely island-pearls of the Pacific.“ (Barradale 1907: 68f.) Der Mondschein bot nicht nur im Kontext der ruhigen Nacht die richtige Atmosph¨are f¨ur zauberhafte Momente. Pierce Churchill, die auf n¨achtliche Fledermausjagd31 gegangen war, erlebte einen beeindruckenden Anblick. The vampire was out of range, but for the moment the scene lasted it was a marvelous picture. The ” great bat was soaring somewhere between me and the moon, and for a second or more was outlined fairly within the bright disk of radiance. Every detail was in perfect silhouette, even to the eager head

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Mit Flederm¨ausen sind nicht die europ¨aischen, eher kleinen Exemplare gemeint; die Fl¨ugelspannweite der samoanischen bats“ entsprach durchschnittlich 90-120 cm: In size they ” ” averaged from three to four feet of wing spread, only one falling as low as thirty inches, and several spreading over fifty inches.“ (Pierce Churchill 1902: 211)

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and snapping jaws, and the claws at the last joint of the wings seemed to catch on the very edge of the moon. It was only a glimpse, but while it lasted it was a perfect picture.“ (Pierce Churchill 1902: 210)

Dieses perfekte Bild‘, konnten nicht nur Vollmondn¨achte bieten. Auch Churchward merkte ’ w¨ahrend einer Schiffsfahrt an, dass gerade hier alles perfekt sei: It was not too warm nor ” too cool; it was simply perfect“ (Churchward 1887: 237), und sprach beim Anblick der native brown houses“ mit ihren Einwohnern von einem most perfect picture“ (Churchward ” ” 1887: 86f.). F¨ur Deeken schwang bereits vor seiner Ankunft bei dem Wort Samoa eine besondere Bedeutung mit. Nun sollte ich bald im australischen Deutschland sein! Samoa! ” Welcher m¨archenhafte Zauber ist nicht mit diesem einen Worte verkn¨upft!“ (Deeken 1901: 10) Entsprechende Reiseberichte, Erz¨ahlungen und wenige Fotos von den samoanischen Inseln, erg¨anzt um bereits g¨angige Vorstellungen u¨ ber die S¨udsee, reichten offenbar aus, um auch bei noch nicht Dagewesenen innere Bilder auszul¨osen. Ja, es ist wahr, das Meer mit seinen gigantischen, stets wechselnden Sch¨onheiten, mit seinem ” m¨archenhaften Farbenzauber, mit seinen unermeßlichen Tiefen, deren Sch¨onheiten und Schrecken keines Menschen Auge gesehen hat, noch jemals sehen wird, mit seinen Wolkenschleiern, bald dr¨auend, bald so fein und durchsichtig, wie das zarteste Seidengewebe, das Meer mit seiner Himmelskuppel, deren emporstrebenden, in einander verlaufenden Linien von den Sternen, wie von goldenen N¨ageln zusammengehalten werden und deren Fundament – der Horizont – in seinem mathematisch abgezirkelten Kreise durch nichts, nichts unterbrochen wird, ist ein einziges, großes Gotteshaus, ein Riesendom, wie ihn so pr¨achtig, so andachts- und stimmungsvoll keine irdische Macht errichten kann.“ (Deeken 1901: 18)

Deeken verkl¨arte seine Darstellung sakral. Die erlebte Erhabenheit des Anblicks schien ihn zu u¨ berw¨altigen, sodass er zur Erkl¨arung eine h¨ohere Macht anf¨uhrte. Um die erlebte Stimmung zu beschreiben, lokalisierte Churchward auch Figuren aus der griechischen Mythologie in der Flora der Inseln. The bush was very beautiful with all the glories of Samoan forest colouring. Fern trees, [. . . ] made a ” retreat from the sun and heat worthy of the Naiads’ Queen32 in her most wondrously beautiful, that in truth I should not have been at all surprised to have seen one of these mythological personages at any point of the river.“ (Churchward 1887: 290)

Die Natur zeigte sich f¨ur Churchward in protektiver Weise freundlich; Farne und Bl¨atter spendeten Schatten, luden also zum Verweilen ein. Durch die mythologischen Anspielungen entr¨uckte Churchward die Landschaft der Realit¨at, in der Kriterien wie die Urbarmachung oder N¨utzlichkeit von Pflanzen im Vordergrund gestanden h¨atten. So konnte er die Muße

32

Die Najaden sind in der griechischen Mythologie eine Art Wassernymphen.

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legitimieren und den Anblick genießen. Auch auf Bootsfahrten gab Churchward sich Tr¨aumereien hin: Looking over the side of the boat when making the passage, it required ” but small effort of imagination to realize what I should judge to be the sensation of floating through the air in a balloon. The boat seemed to be balancing on nothing, so bright and clear was the water.“ (Churchward 1887: 236) Die Fahrt u¨ ber die Korallenriffe regte Churchwards Vorstellungskraft an und zeigte die m¨ogliche Projektionsfl¨ache der Wasserlandschaft. Somit bot nicht nur das Land mit seinen Flussl¨aufen Anregungen f¨ur m¨archenhafte oder mythische Szenen, sondern auch die Unterwasserwelt. Churchward rekurrierte anschließend erneut auf M¨archen- und romantische Landschaften, in denen Schl¨osser und Burgen vorkamen. Here again imagination would need but small incentive to picture amongst the darker corals any ” picturesque ruin of ancient castle or donjon-keep that the mind might direct the eye to trace. Diving to and fro through fairy caverns, or perhaps in and out of the windows of imaginary castles, apparently enjoying the highest spirits, were shoals upon shoals of brilliantly coloured fish [. . . ].“ (Churchward 1887: 236f.)

Schl¨osser und Burgen entsprachen einer gewissen Vorstellung von wilder Romantik, und auch der Anblick urspr¨unglich urbar gemachter Grundst¨ucke, die wieder der Natur u¨ berlassen worden waren, konnte daran ankn¨upfen. Die wenigen Monate [. . . ] hatten ” das ganze Grundst¨uck in eine romantische Wildnis verwandelt, in unzul¨angliches Dschungel, als ob ein Dornr¨oschen dort verzaubert schliefe und auf den erl¨osenden Ritter warte.“ (Genthe 1908: 54) So ergab sich die Kulisse f¨ur ein M¨archen, in dem urspr¨unglich die Dornenhecken 100 Jahre sich selbst u¨ berlassen waren und das gesamte Schloss abgeschirmt ¨ und u¨ berwuchert hatten. Ahnlich wie Zieschank eingangs von der tr¨aumenden‘ Kolonie ’ gesprochen hatte, zeichnete Genthe das Bild einer schlafenden Landschaft, die erst noch auf jemanden wartete, der sie erweckte. Nun lag es nahe, diese erl¨osende‘ Rolle f¨ur sich ’ zu beanspruchen. Zu den romantischen Szenerien, die Genthe wahrnahm, geh¨orte vor allem das Kriterium der Urspr¨unglichkeit und Unber¨uhrtheit. Die Lage [Falealupos, G. F.] ist herrlich, und ” an landschaftlichem Reiz und wilder, unber¨uhrter S¨udseeromantik kann die schwarze Basaltk¨uste mit ihren gewaltigen Strandbl¨ocken und der donnernden Brandung nicht u¨ bertroffen werden.“ (Genthe 1908: 124) Mit der romantische[n] Wildnis“ (Genthe 1908: 54), die er zuvor in Anbetracht des ” verwilderten Grundst¨ucks geschildert hatte, wies dieser Anblick an der K¨uste nicht mehr ¨ viele Gemeinsamkeiten auf. Ahnlichkeiten bestehen in der Kraft und St¨arke der Natur, die sich hier in der donnernden Brandung“ a¨ ußert und zuvor durch die R¨uckeroberung des ” Grundst¨uckes aufgefallen war. Doch was genau die wilde[ ] S¨udseeromantik“ ausmachte, ” u¨ berl¨asst Genthe seinen Leserinnen und Lesern. Neben der M¨archenlandschaft, welche

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im Wesentlichen die Funktion erf¨ullte, Stimmungen und Gef¨uhle der Beobachtenden beschreibbar zu machen, wurde viel u¨ ber die Sch¨onheit der Inseln in klassischer Weise geschrieben. Bei Churchward war die griechische Mythologie in Form der Najaden schon angeklungen, Wegener baute diesen Aspekt der klassischen‘ Sch¨onheit weiter aus. ’ In geradezu klassischer Liniensch¨onheit schwang sich vor uns das weiche Gestade, ein Fluß rauschte ” dort zwischen dunklen Felsbl¨ocken ins Meer und Baumst¨amme lagen als Br¨ucke von einem Ufer zum andern dar¨uber. Reizende Gruppen von buntgekleideten Frauen, schlanken, blumengeschm¨uckten M¨adchen, nackten, braunen Kindern weilten u¨ berall am Strande und belebten das entz¨uckende Bild so wunderbar, als h¨atte sie ein genialer K¨unstler hineinkomponiert. [. . . ] Mir aber war es die ganze Zeit ¨ ais gewesen, als sei ich um Jahrtausende zur¨uckversetzt in eine Welt, wie sie wohl an den Ufern der Ag¨ zu den Zeiten Homers gebl¨uht hat.“ (Wegener 1925/1919: Kap. 4)

Er bediente sich der Darstellungsweise der Szene als Bildbeschreibung mit durchdachter Komposition. Wegener lehnte seine Beschreibung an die Gem¨alde des Klassizismus mit griechischem Sch¨onheitsideal an. Die Frauen, M¨adchen und Kinder, die Wegener anf¨uhrte, dienen als malerisches Stilmittel, als belebende Staffage, und bleiben damit nebens¨achlich. Hier offenbarte sich seine komplette Projektionsleistung, das vermeintlich typisch Samoanische tritt in den Hintergrund und verblasst, daf¨ur wird die Szene an die ¨ ais verlagert. Somit deutet sich das Ausmaß der Verschiebung an: Samoa wird nicht als Ag¨ solches wahrgenommen, sondern dient als Folie, auf die beliebig projiziert werden kann – zumindest, was Paradiesvorstellungen angeht. Die getroffenen Aussagen der Autorinnen und Autoren beziehen sich an dieser Stelle also nicht auf eine wie auch immer geartete samoanische Wirklichkeit‘, sondern entlarven eigene Vorstellungsmuster und Transferleis’ tungen. Gleichzeitig wird Samoa eine Geschichtslosigkeit unterstellt und die Landschaft als Folie f¨ur die europ¨aische Geschichte vereinnahmt, indem Szenen der griechischen Antike nach Samoa verlagert werden.

Die Zauberin‘ Sudsee ¨ ’

Die S¨udsee schien die Menschen, die nicht dort geboren waren, zu ver¨andern und ihre Maßst¨abe zu verschieben. So berichtete Pierce Churchill von Fischfang mit Speer und Fackel, einer Technik, die sie in der Heimat aus moralischen Gr¨unden sicherlich verweigert h¨atte: The only excuse that can be offered is to plead the custom of the country, and ” Samoa must be taken as a fair excuse for all sorts of moral derelictions. Just why all moral sense vanishes in Samoa must be the study of the practical and dogmatic moralist.“ (Pierce Churchill 1902: 127) Ohne den Kontext des Fischfangs k¨onnte dieser Ausschnitt auch gut einen sexuellen moralischen Verfall beschreiben. Der m¨ogliche moralische oder sittliche Verfall musste im Diskurs ein bereits bekannter Topos sein, sonst k¨onnte es Pierce Churchill hier nicht dem Lesepublikum u¨ berlassen, ihre moralischen derelictions“ ”

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ausschließlich Samoa als Verursacher und nicht ihrer eigenen Pers¨onlichkeit zuzuschreiben. Herauszufinden, warum der Sinn f¨ur Moral in Samoa verschwinde, u¨ berließ Pierce Churchill dem praktischen und dogmatischen Moralisten, wen auch immer sie hier im Kopf hatte. Damit konnte sie sich von ihrer eigenen Verantwortung lossagen und sich gleichzeitig ¨ die Erlaubnis f¨ur alle weiteren potenziellen Ubertretungen moralischer Werte einholen, da diese wiederum dem spezifischen Einfluss Samoas zugeschrieben werden konnten. Die S¨udsee, oder Samoa, wurde also wegen des – gestatteten – moralischen Verfalls zur Gefahrenquelle. Diesem wieder zu entkommen war schwierig, da an die Vorstellungen der Sch¨onheit auch das Gef¨uhl der Sehnsucht gekoppelt war. Einmal dem Zauber der S¨udsee verfallen, w¨urde man sich immer nach ihr zur¨ucksehnen. F¨ur Zieschank l¨oste das Gl¨uck auf Samoa sogar das Heimweh auf: Eins steht jedenfalls unzweifelhaft fest: ich f¨uhle mich ” unbeschreiblich gl¨ucklich hier und habe noch nicht die leiseste Sehnsucht nach der Heimat empfunden!“ (Zieschank 1918: 17) In ihrer eigenen Definition befand sie sich schließlich auf deutschem Boden, war also in der Heimat. Auch Churchward erlebte diesen Moment, in dem er sich f¨uhlte, als wolle er f¨ur immer verweilen: Not a sound was heard but the rushing of the water, which seemes as though it were the natural silence ” of the place. With this sensation, everything was so quiet and peaceful that, for a moment, one lost all desire to proceed farther on, and wished to remain in this wonderful haven of glorious rest for the remainder of existence.“ (Churchward 1887: 178)

Aufgrund der Freundlichkeit der Natur wurde es m¨oglich, das Leben zu entschleunigen und zu vereinfachen, was einen bedeutenden Widerspruch zum industrialisierten Europa darstellte, denn dort galt es, m¨oglichst schnell Entwicklungen voranzutreiben und auf keinen Fall zum Stillstand zu kommen. Eine Ver¨anderung dieser Maßst¨abe schien zwar m¨oglich, wurde etwa von Pierce Churchill auch umgesetzt, dennoch war den hier Schreibenden aus kolonialer Perspektive h¨ochstens die Sehnsucht danach gestattet. W¨urde man tats¨achlich einen einfacheren Lebensstil annehmen, ginge die gesellschaftlich bessere Position verloren, die sich aus der Zivilisiertheit‘ der Kolonialherren und -damen ergab, und man geriete in ’ den Verdacht der Degeneration‘. Stille und Friedlichkeit entschleunigten das Erleben derart, ’ dass der Wunsch entstand, innezuhalten und nicht weiter voranzuschreiten. Hier zeigt sich fast schon ein modernes Ph¨anomen: In einer sich schneller entwickelnden Gesellschaft steigert sich die Sehnsucht nach Orten, an denen Entschleunigung und Ausruhen m¨oglich sind und eine gewisse Reizarmut herrscht. Deeken beschrieb a¨ hnliche Empfindungen, personalisierte nun die gesamte S¨udsee als verf¨uhrende Kraft, die Menschen in ihren Bann ziehe. Ja, es ist ein Ding mit der S¨udsee! Sie ist schlimmer als die verf¨uhrerische Nixe, von der je Dichter ” gesungen. Sie h¨alt auch den mit eisernen Banden fest, der einmal sich ihr genaht. Wer je ihren

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ewigen goldenen Sommer gesehen, wer je das melodische Rauschen ihrer Palmen geh¨ort, wer je ihre a¨ therische, lebensst¨arkende Luft geatmet, wer je die duftenden Wohlger¨uche ihrer farbenreichen M¨archenblumen aufgesogen, wer je den Pulsschlag ihres sanften, sorgenfreien Herzens gef¨uhlt, der ist ihr unwiderruflich verfallen. [. . . ] [U]nd die Zauberin S¨udsee‘ wird bis an seines Lebens Ende der ’ Gegenstand seiner innigsten Sehnsucht sein.“ (Deeken 1901: 149f.)

Letztlich beschrieb Deeken ein stereotypes Wunschbild. Gerade er, der auf Samoa den Pflanzerverein gegr¨undet hatte und sich vorrangig dem Kakaoanbau widmete, fand sicher kein Paradies‘ vor, in dem man erntete, ohne zu s¨aen. Deutlich wurde aber in Deekens ’ Ausf¨uhrungen, wie sehr der Aufenthalt in der S¨udsee die Menschen ver¨anderte (was kein spezifisches Kennzeichen der S¨udsee, aber vermutlich des Reisens ist), wie stark also die Auseinandersetzung mit Eigenem und Fremdem war. Obwohl die Zauberin S¨udsee‘ Menschen ver¨anderte und Sehnsucht ein h¨aufig ’ ge¨außertes Gef¨uhl war, gab es auch kritische Stimmen dazu. F¨ur die drei Tage, die ich in ” dem gastlichen, liebensw¨urdigen Hause zubrachte, war alles sehr interessant, aber auf die Dauer muß es in diesem S¨udseeparadiese zum Sterben langweilig sein!“ (Hesse-Wartegg 1902: 281) Hesse-Wartegg brachte es auf den Punkt: Das Paradies‘ war im Grunde nur ’ zu ertragen, wenn es eben nicht von Dauer war. W¨urde man den Rest seiner Tage in der S¨udsee verbringen, verl¨oren Landschaft und Menschen sehr schnell ihren Reiz, der in der Beschr¨anktheit des Aufenthaltes lag. Auch Frieda Zieschank, die ja davon auszugehen hatte, viel Zeit auf Samoa zu verbringen, lernte den Aufenthalt erst zu dem Zeitpunkt zu sch¨atzen, als sie f¨ur eine gewisse Zeit nach Deutschland zur¨uckkehren musste und eine R¨uckkehr nach Samoa zun¨achst fraglich erschien (vgl. Zieschank 1918: 80f.). Die Anziehungskraft und das Geheimnisvolle der Inseln lag zudem darin begr¨undet, dass sie noch nicht l¨uckenlos erforscht waren und gerade das Hinterland nur mit gewagten und aufw¨andigen Einzelexpeditionen zug¨anglich war, und damit viel Projektionsfl¨ache offen ließ. Hesse-Wartegg konstatierte zu Recht: [E]s werden u¨ berhaupt wohl noch Jahre ” vergehen, ehe dieses malerische St¨uck Deutschland in der S¨udsee erforscht sein wird.“ (Hesse-Wartegg 1902: 282) Einerseits gestand man der Inselwelt also zu, in Teilen unerforscht zu bleiben, andererseits spann man schon eifrig an Phantasien, was man aus der vorgefundenen Landschaft machen k¨onnte, wenn man Mittel und Wege gefunden h¨atte. W¨are der Urwald im Inneren weniger dicht, g¨abe es irgendwelche Lichtungen, Straßen, Wege, dann ” k¨onnte Sawaii bei guten Dampfverbindungen bald zu einer Art Schweiz in der S¨udsee werden, denn die Berge mit ihren weiten Th¨alern, lauschigen Kraterseen, ihren grotesken Zerkl¨uftungen, wilden, von Sturzb¨achen durchbrausten Schluchten bilden zusammen in der That ein Land von wunderbarer, romantischer Sch¨onheit. [. . . ] Hier oben lernte ich erst die wahre Sch¨onheit Samoas kennen und ahnen, was sich aus diesem Inselreiche mit einigem Fleiß machen lassen k¨onnte.“ (Hesse-Wartegg 1902: 317)

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Insgesamt pr¨asentierte sich also ein facettenreiches und in Teilen ambivalentes Bild der S¨udseeinsel als paradiesischer Ort.

4.2.2 Unheimliche und bedrohliche Landschaften Die Landschaftsschilderungen bewegten sich bislang in dem Raum zwischen Paradies und M¨archenland mit diversen Sch¨onheitsaspekten. Bezeichnungen der Pflanzenwelt als Busch‘, wie sie den afrikanischen Kontext kennzeichneten, waren selten und grenzten ’ Samoa in der Regel von der Bedrohung durch den Busch‘ ab. ’ W¨ahrend damit in Afrika h¨aufig die Vorstellung von Krankheiten, Sumpf und Fieber einherging, stellte Genthe dazu fest: Zwar ist die Luft [. . . ] feucht wie in einem Treibhause ” und die Ausd¨unstungen der u¨ ppig wuchernden Pflanzen lassen an Sumpffieber und andere Schrecken denken. Das sind aber hierzulande Schreckgespenster, die nur selten greifbare Gestalt annehmen und den ruhig und vern¨unftig Lebenden verschonen.“ (Genthe 1908: 55) Dennoch barg auch die samoanische Inselwelt Gefahren. So wie die Fruchtbarkeit der Landschaft an einigen Stellen u¨ berbordend und erdr¨uckend wirken konnte, schien es mit der Vielfalt an Pflanzen auch zu sein. Genthe schilderte die Pflanzenwelt als mitunter erdr¨uckend im w¨ortlichen Sinne: Schlimmer als die Hindernisse, die vom Boden aufwachsen, sind die Schlinggew¨achse, die sich mit ” ihren z¨ahen Ranken pl¨otzlich einem um die Kehle legen, w¨ahrend das Pferd ruhig weiter geht und kalten Blutes unsere Erdrosselung vorbereitet. Die Sch¨oßlinge der Lianen und a¨ hnlich verderblicher Urwaldpflanzen sind so stark und schon fr¨uhzeitig so holzig, daß man sie mit der Hand gar nicht zerreißen kann. [. . . ] Das sind aber auch die einzigen Gefahren, die einen im samoanischen Busch bedrohen.“ (Genthe 1908: 54f.)

Genaugenommen waren es in diesen Situationen aber nicht die Schlinggew¨achse, von denen eine Gefahr ausging, sondern die erh¨ohte Position auf dem Pferd und gleichzeitig die Unachtsamkeit der Reitenden. Die Flora war zudem das Vornehmliche, was es bei Ausfl¨ugen in den Wald zu Fuß oder zu Pferd zu sehen gab. Die Fauna beschr¨ankte sich auf kleinere Arten, haupts¨achlich V¨ogel und Insekten. Insofern schienen auch die Gefahren, die von der Natur ausgingen, zun¨achst u¨ berschaubar zu sein. Wilde Tiere gibt es nicht im samoanischen Walde, ja nicht einmal zahme. Die ge” samte Tierwelt dieser Inseln ist ungemein schwach entwickelt und arm an Arten.“ (Genthe 1908: 55)

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Dass die Fauna auf den samoanischen Inseln schwach ausgebildet war, gab der Atmosph¨are bei Wanderungen teilweise eine unheimliche Facette, da die im Wald u¨ blicherweise zu erwartenden Ger¨ausche ausblieben und die so entstandene Stille noch schwerer einzuordnen und zu ertragen war. Die lautlose Stille des samoanischen Waldes hat etwas Unheimliches. Das Kr¨achzen und schrille ” Schreien tropischer V¨ogel, das Grunzen und Br¨ullen von Affen und Raubtieren, das den Urwald der s¨udlichen Festl¨ander erf¨ullt, fehlt hier ganz; denn es gibt außer stummen Eidechsen und schweigsamen fliegenden F¨uchsen, die u¨ berdies erst mit der D¨ammerung ihr Versteck verlassen, nichts, was die u¨ berreiche Pflanzenwelt beleben k¨onnte.“ (Genthe 1908: 125f.)

Trotz der Schilderung der Pflanzenwelt als most harmoniously“ und really beautiful“ ” ” klang bei Churchward an, dass dieser Anblick als too severe monotony of the green“ ” empfunden werden k¨onne, sodass der Anblick vereinzelter Hibiscusbl¨uten eine regelrechte Erleichterung‘ darstelle (Churchward 1887: 108). So stimmungsvoll die Landschaft also ’ bisher geschildert wurde, so unheimlich konnte sie werden, wenn die Unterschiede zu den imaginierten Feenwelten ins Bewusstsein drangen. Dann wurde die Empfindung der Fremde wieder pr¨asent, die durch die Aufladung mit m¨archenhaften Motiven gut unterdr¨uckt werden konnte, und Aspekte von Bedrohung und Gefahr kamen auf. Vorrangig schienen Busch‘ ’ und Dschungel‘ auf Samoa immer – wenn auch heißer, so doch – sauberer Natur zu ’ sein. Dass es auch die andere Seite gab, bei der man vor Sumpf-Fieber Angst bekommen konnte, Mangroven eine eigene Atmosph¨are schufen und es nicht die von Genthe erw¨ahnten Schreckgespenster“ waren, davon berichtete Churchward. ” Paddling slowly up this narrow channel, with barely room to clear our outrigger, between two solid ” walls of dark olive-green mangroves of lugubrious aspect, with their bare roots gnarled and twisted, slimy with fœtid mud, writhing like serpents in the direst agony, we passed along by no means impressed with the aspect of the first portion of our venture, but which, however, served as a very effective preparation for the pleasant surprise awaiting us.“ 33 (Churchward 1887: 113f.)

Auch wenn diese Schilderung Churchwards vornehmlich dazu diente, einen Kontrast zu der nachfolgenden Szene aufzubauen, so zeigt sie auch, dass es Orte auf Samoa gab, an denen Mangroven es unm¨oglich machten, den Bootsausleger zu benutzen, und die Pflanzen schleimig‘, feucht‘ und schlangengleich‘ wirkten. Der Landschaft waren also beide ’ ’ ’

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Es u¨ berrascht nicht, dass dieser Wasserpfad in einen gerade zum Leben erwachenden, beautiful ” little lagoon“ f¨uhrte, with the young morning sun which, not yet risen clear of the tall trees to the ” eastward, threw across the whole basin a most weird light, adding a wonderful charm to one of the prettiest peeps that I ever saw.“ (Churchward 1887: 114)

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Seiten – friedlich paradiesisch und aggressiv gef¨ahrlich – inh¨arent, und oftmals gen¨ugte schon die steigende Sonne, einen Ort von dem einen ins andere Extrem zu verwandeln. [W]here was the ardent desire to pass life away in such surroundings? Nowhere; but there was a very ” strong one to go and shuffle off the mortal coil anywhere else. The fierce sun, even now strong, had converted what under the same circumstances would have been a sister terrestrial paradise to the one we had so enjoyed in the morning, into as undesirable location to pass one minute more than was strictly necessary in, as could well be imagined.“ (Churchward 1887: 119)

Das Paradies‘ konnte sich also in einen unwirtlichen und grausamen Ort verwandeln, in ’ dem man keine weitere Minute mehr zu verbringen vermochte. Als Churchward auf einer Exkursion vom Einbruch der Dunkelheit u¨ berrascht wurde, und er samt seiner Begleiter die Nacht unvorbereitet draußen verbringen musste, konnte er auch die gefahrvolle Seite wahrnehmen. Dabei machte er ebenfalls Erfahrung mit der unheimlichen lautlose[n] Stille“ ” (Genthe 1908: 55): The silence of the bush, barring the demoniacal mosquito music, was intense, and how wearily the ” miserable hours did pass, until the first faint dawn appeared, when we could at least stamp about to restore the circulation of our almost frozen limbs! It does seem rather odd to chronicle freezing experience in the tropics, but that such experience was ours I shall for ever have the most vivid of uncomfortable recollections.“ (Churchward 1887: 289f.)

An Schilderungen der Romantik des Mondlichtes war in diesem Moment nicht zu denken. Obwohl die Natur als freundlich dargestellt wurde, und auch die warmen Temperaturen daran ihren Anteil hatten, so wurde es in der Nacht empfindlich k¨uhl. Ohne Vorbereitung war es f¨ur Churchward also eine lange und kalte Nacht. Innerhalb der Reiseberichte brauchte es auch solche Momente, um die Erz¨ahlung spannend zu halten und die Exotik beizubehalten, da der Bericht sonst langweilig ausgefallen w¨are. Sch¨onheit alleine war nicht auf Dauer zu ertragen, ohne erm¨udend zu wirken. Insofern schilderte Zieschank auch den zum tropischen Klima geh¨origen starken Regen, f¨ur europ¨aische Verh¨altnisse also schlechtes Wetter. Das dr¨ohnt auf das Wellblechdach, das rieselt und pl¨atschert rings ums Haus, daß man meint, man ” m¨usse mit fortschwimmen! Kurze, heftige Regenb¨oen r¨utteln am Dachblech, an den hochgezogenen Bambusvorh¨angen der Veranden. Klatschend schlagen die Wedel der Kokospalmen zusammen, riesige d¨urre Palmzweige sausen nieder, mit dem starken Schaft m¨achtig auf dem Boden aufschlagend. Dann und wann h¨ort man eine Nuß niederplumpsen!“ (Zieschank 1918: 42)

Erst durch die Schilderungen beider Erfahrungen gewannen die Reiseberichte an Tiefe, und auch an Authentizit¨at. Genau wie die erlebte Natur in ihrer Sch¨onheit und F¨ulle erdr¨uckend und erm¨udend wirkte, konnten auch die Beschreibung so klingen. Um also eine

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gewisse Grundspannung aufrechterhalten zu k¨onnen, bedurfte es der Wahrnehmung und auch der Schilderung potenzieller Gefahren. Dabei waren gez¨ahmte‘ Gefahren besonders ’ gut geeignet, um romantisiert dargestellt zu werden: der starke Regen, den man trocken im Haus erlebte, enge und schleimige Mangrovens¨umpfe, die in eine wunderbare Lagune m¨undeten, bedrohliche Stille in dem Wissen, dass es keine wilden Tiere gibt.

Vulkanismus Die tats¨achliche latente Gefahr durch den vulkanischen Ursprung schien von die Reisenden nicht als solche wahrgenommen zu werden. Zieschank betonte zun¨achst die damit einhergehenden Vorteile. Lava und Basaltbl¨ocke bilden u¨ berhaupt das Fundament des ” samoanischen Bodens, der aber fast u¨ berall mit einer unersch¨opflich fruchtbaren Humusschicht bedeckt ist.“ (Zieschank 1918: 9) Im Mai 1908 machte sie einen Ausflug nach Savai’i, wo einer der Vulkane aktiv war, dessen Feuerschein auch von Mulinuu (Upolu) zu sehen war. Auf diesen Ausflug begleitete sie Richard Deeken (vgl. Zieschank 1918: 66). Das Naturspiel, das die Gruppe vom Wasser aus beobachtete, beschrieb Zieschank als Genuss und gewaltiges Schauspiel: Wie ein riesiger Wasserfall, so w¨alzte sich fl¨ussiges Feuer von der hohen Lavamauer ins Meer hinab, ” das brodelnd und zischend sich wehrte! Berghoch stiegen die rotgl¨uhenden Dampfwolken zum Himmel auf! Unweit neben dem großen rauschte ein kleinerer Feuerfall, auch mehrere Meter hoch, in die kochende See.“ (Zieschank 1918: 68)

Zieschanks Emotionalit¨at ob des Anblicks a¨ ußert sich im Gebrauch der Ausrufungszeichen. Zeichen von Furcht schilderte sie jedoch nicht. Stattdessen war sie von der Ur’ ¨ spr¨unglichkeit‘ beeindruckt: Uberw¨ altigend war dieser Feuerzauber! Und doch ber¨uhrte ” etwas anderes, Unscheinbares noch tiefer.“ (Zieschank 1918: 68) Dieses andere‘ war eine ’ feine, gr¨une Decke“, die sich an dem erkalteten Gestein bildete, was Zieschank zur Be” schw¨orung eines Anfangsmythos‘ verleitete: Neues Leben entstand, neues Land in seinen ’ ” Uranf¨angen!“ (Zieschank 1918: 69). Statt der augenscheinlichen Bedrohung verkn¨upfte sie Vulkanismus mit dem Ursprung des Lebens und der Fruchtbarkeit des Bodens und begr¨undete letztere damit. Barradale schilderte dagegen die zerst¨orerische Komponente eines Vulkanausbruch anhand des aus seiner Sicht 1902 zuletzt erfolgten: They [the islands, G. F.] were thrown up from beneath the sea by earthquakes or volcanic eruptions, ” and you will be sorry to hear that several volcanoes are burning now on the island of Savaii, and doing a great deal of damage. For two hundred years or more these volcanoes had been quiet, and large forest trees had grown and covered the mountain sides with a beautiful coat of green; but in November, 1902, there were terrible earthquakes for ten days, and then a hole was torn in a mountain-top, and flames shot high into the air, and red-hot lava flowed down into the valley, burning everything that it touched.“ (Barradale 1907: 87)

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Die geschilderten Ausbr¨uche ereigneten sich ebenfalls auf Savai’i, der gr¨oßten der Inseln, und damit nicht auf der Insel mit den meisten – insbesondere europ¨aischen – Bewohnerinnen und Bewohnern, Upolu. Statt dem Beginn des Lebens fokussierte Barradale die vernichtenden Folgen des heißen Lavaflusses. Richard Deeken ließ nicht mehr u¨ ber den Vulkanismus verlauten als eine knappe Randbemerkung, als er von der Pflanzung Mulifanua auf den Samea-Berg stieg und die Aussicht beschrieb:34 Rings um uns rauschende, wogende Palmenwipfel, im Hintergrunde dichter, ” dunkelgr¨uner Urwald, allm¨ahlich ansteigend und in ein welliges Bergland u¨ bergehend, aus dem der Kegelstumpf des Tofua, eines erloschenen Vulkanes, mit seinen scharf markierten Linien hervortrat.“ (Deeken 1901: 160) Die Sch¨onheit der Umgebung ließ die Bemerkung u¨ ber den erloschenen Vulkan randst¨andig wirken und blendete die m¨oglichen Konsequenzen eines Vulkanausbruchs aus. Georg Wegener dagegen, der zwei Jahr vor dem Ausbruch von 1902 auf Samoa gewesen war, dessen Ver¨offentlichung im Januar 1903 (vgl. Wegener 1903: 30) aber nach den Ereignissen erfolgte, erw¨ahnte die vulkanischen Aktivit¨aten durchaus als Gefahrenpotenzial: Ein neuer Ausbruch nach einem so tiefen Schlummerzustand der vulkanischen Kr¨afte ” ist immer besonders bedenklich, und nicht immer beginnt eine Eruptionsepoche mit dem Hauptausbruch. Jedenfalls m¨ussen wir mit der Tatsache, daß der Vulkanismus von Samoa noch lebendig ist, aufmerksam rechnen.“ (Wegener 1903: 32) Wegener schrieb diese Zeilen f¨ur seine Ver¨offentlichung rein geographische[n] Cha” rakter[s]“ (Wegener 1903: 16), nicht als Reisetagebuch. Insofern war die Gefahr f¨ur ihn keine direkte mehr, sondern als geografische erw¨ahnenswert. Ehlers dagegen beließ es bei seinem Ausflug zum Samea-Berg bei einer Andeutung auf den Vulkanismus, formulierte jedoch deutlicher als Deeken. Durch Palmenw¨alder, Urwald und Brotfruchtpflanzungen in sanften Windungen bergansteigend, ” f¨uhrt der Weg auf einen Gipfel einer 120 Meter u¨ ber dem Meeresspiegel sich erhebenden bewaldeten Anh¨ohe. An einem mit Palmen bepflanzten Krater erkennt man, daß es hier in grauer Vorzeit weniger friedlich ausgesehen hat als heute.“ (Ehlers 2008/1895: 101)

Obwohl Ehlers die Aktivit¨at des Vulkankraters in grauer Vorzeit“ verortete, f¨uhrte Zie” schank sogar noch einen weiteren Ausbruch nach 1902 im Jahre 1905 an: Auf Savai fand ” noch im August 1905 ein neuer vulkanischer Ausbruch statt und eine ganze Reihe von Jahren blieb dieser j¨ungste Krater in T¨atigkeit, ungeheure Str¨ome gl¨uhender Lava nach dem Meere hinabsendend.“ (Zieschank 1918: 9)

34

Deeken erlebte vermutlich die Ausbr¨uche von 1902 auf Savai’i – und Zieschank zufolge die von 1908 –, behandelte in seinem 1901 ver¨offentlichten Text aber die Ereignisse seiner Reise desselben Jahres.

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Insofern konnten die samoanischen Inseln durch die Mischung aus Faszination und auch Furcht eine starke Anziehungskraft auf die Reisenden aus¨uben. Der vulkanische Ursprung geh¨orte jedoch lediglich unter geologischen Aspekten zum Diskurs u¨ ber Samoa. Das Gefahrenpotenzial und insbesondere das zeitgen¨ossische Geschehen wurde nur randst¨andig aufgegriffen. Es scheint, als sei die Bedrohung dieser Naturgewalt zu abstrakt, als dass sie wirklich ins Bewusstsein gerufen werden konnte und sollte. Stattdessen wurde der Fokus auf die Sehnsucht und die pers¨onlichen Ver¨anderungen vor Ort verschoben.

4.2.3 Besondere Orte Samoas Verschiedene Orte schienen zum typischen Besuchsprogramm auf Samoa zu geh¨oren und wurden wiederholt beschrieben.

Die Aussicht vom Samea-Berg Innerhalb der Schilderungen des an sich schon paradiesischen‘ Upolu nahm die Aussicht ’ vom Samea-Berg eine besondere Stellung ein. Die Pflanzungsstation der DH&PG Mulifanua, die zumindest die deutschen Reisenden mit hoher Wahrscheinlichkeit besuchten, lag auf halber H¨ohe dieses Berges. Am Westende Upolus gelegen, hatte man von dort den Ausblick auf die kleinen Inseln Apolima und Manono sowie die gr¨oßte Insel, Savai’i. Und auch als landschaftlicher Hintergrund f¨ur Apia erf¨ullte der Berg eine besondere Funktion: Vom ” Apiaberg u¨ berragt, unter Kokospalmenwipfeln um die sch¨ongeschwungene Meeresbucht herumgruppiert, macht sie [die Stadt Apia, G. F.] von außen einen ungemein reizenden Eindruck.“ (Wegener 1903: 54) Otto Ehlers schw¨armte von diesem Ort: Man kann sich kaum ein idyllischeres Pl¨atzchen denken als das hoch oben, weitab von allem Weltge” triebe gelegene, von bl¨utenbedeckten, halb verwilderten Rosenb¨uschen und in der Seebrise leise hin und her sich wiegenden Palmen umgebene Stationsh¨auschen, von dessen Veranda aus man u¨ ber ein Meer von Palmen hinweg auf die perlmuttergleich im Morgenlichte schillernde S¨udsee hinabblickt. Vor uns liegen – von Opalen eingefaßten Smaragden vergleichbar – die Inseln Manono und Apolima, w¨ahrend das m¨achtige Savaii, in bl¨aulich schimmernden Flor geh¨ullt, in weichen Formen sich vom leicht bew¨olkten Himmel abhebt.“ (Ehlers 2008/1895: 101f.)

Die Abgeschiedenheit und die halb verwilderten Rosenb¨usche“ a¨ hneln den Dornr¨oschen” ¨ Entlehnungen Genthes. Auff¨allig ist die erh¨ohte Position, die Ehlers einen guten Uberblick gew¨ahrte, genauso wie sein Versuch, den Leser oder die Leserin gleich an seine Seite zu holen ( vor uns liegen“ [Herv. G. F.]) und ihn oder sie an diesem Ausblick teilhaben zu ” lassen. Die drei Inseln beschrieb Ehlers feminisierend; die kleineren Insel lagen vor ihm‘, ’ Savai’i war zwar m¨achtig“, besaß aber zugleich weiche[ ] Formen“ und war lediglich in ” ”

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einen schimmernden Flor geh¨ullt“. Seine Attribuierung der Insel Savai’i a¨ hnelt in gewisser ” Weise der der samoanischen M¨anner, worin sich die feminisierende Strategie wiederholt. Richard Deekens Schilderungen, zu denen auch die Bemerkung u¨ ber den Vulkan geh¨orte (s. S. 124), gleichen denen Ehlers’ verbl¨uffend. So lagen wir da, auf die Ellenbogen gest¨utzt, und genossen mit vollen Z¨ugen eine wunderbare, unbe” schreibliche Aussicht. [. . . ] Vor uns lagen, von goldigem Sonnenlichte u¨ berflutet, die Felseneilande Manono und Apolima, umgeben von den ruhigen Fluten des Oceans, dessen satte Farben, auf dem Riffe mit einem durchsichtigen Smaragdgr¨un beginnend, allm¨ahlich in ein Azurblau u¨ bergingen und sich schließlich mit einem nebelhaften Violett in die Himmelst¨one mischten. Am Horizonte aber stiegen aus den Fluten die leicht verschwommenen Umrisse des hochbergigen Savaii, der gr¨oßten und fruchtbarsten der Samoa-Inseln, hervor.“ (Deeken 1901: 160)

Die Lichtverh¨altnisse waren a¨ hnlich, bei Ehlers schimmerte die S¨udsee perlmuttergleich ” im Morgenlichte“, bei Deeken wurde sie von goldigem Sonnenlichte u¨ berflutet“. Ehlers ” verglich Apolima und Manono mit von Opalen eingefassten Smaragden“, und auch Deeken ” beschrieb sie als [s]maragdgr¨un“. Dass Deeken seine Schilderungen bewusst an Ehlers ” anlehnte oder gar von ihm abschrieb, ist unwahrscheinlich, jedoch wird deutlich, dass der Fokus der beiden Schreibenden auf dieselben Dinge in ihrer jeweiligen Umgebung gerichtet war. Dies ist weniger eine Aussage u¨ ber die tats¨achliche Aussicht, als vielmehr dar¨uber, innerhalb welcher Diskurs- und Wahrnehmungsmuster sich die Autorinnen und Autoren bewegten. F¨ur Siegfried Genthe schien dieser Ort gleichermaßen ein besonderer auf der Insel Upolu zu sein. Die Perle der ausgedehnten Besitzung ist das Vorwerk Samea, hoch oben ” auf einem sanft ansteigenden Vulkankegel gelegen, der eine entz¨uckende Fernsicht bietet u¨ ber das Westende der Insel, u¨ ber die Meerenge [. . . ] mit Manono und Apolima und dem m¨achtigen Savaii [Herv. G. F.].“ (Genthe 1908: 208f.) Die Pose, die k¨orperliche Haltung, in der die Aussicht wahrgenommen wurde, a¨ hnelte der Deekens. Deeken lag im Gras, auf die Ellenbogen gest¨utzt, und auch Genthe sprach davon, in die Knie sinken zu wollen (s.u.). Seine Empfindungen versuchte er in Analogie zu einem Bild zusammenzufassen: Vor so viel Sch¨onheit m¨ochte man in die Knie sinken ” wie das einsame Menschenkind in Klingers ergreifendem Hymnus An die Sch¨onheit‘ 35 , ’ u¨ berw¨altigt und beseligt zugleich.“ (Genthe 1908: 209) Auf der Radierung aus dem Jahr 1890 von Max Klinger, die Genthe hier anf¨uhrte, ist ein Mensch von hinten zu sehen, der am Ufer eines Meeres, mit Blickrichtung auf das Wasser und von B¨aumen umgeben, auf die Knie niedergesunken ist und den Kopf in den H¨anden verbirgt. In a¨ hnlicher Position w¨are Genthes Blick vom Samea-Berg aufs Meer denkbar.

35

Max Klinger (1857-1920) war ein zeitgen¨ossischer deutscher Maler und Bildhauer.

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Seine Beschreibung wich jedoch insofern von denen Ehlers’ und Deekens ab, als dass er, wie schon an fr¨uherer Stelle, heimatliche Vergleiche bem¨uhte: Der Blick auf die See ” mit ihren gr¨unen Inseln war u¨ ber alle Beschreibung sch¨on. Man m¨ußte schon den Golf von Neapel oder Salerno an ihren g¨unstigsten Tagen heranziehen, wenn man in unseren Breiten ¨ etwas Ahnliches zeigen wollte.“ (Genthe 1908: 209) Auch der landschaftsmalenden ” Natur“ – man beachte wiederum die Personifizierung der Natur – gel¨ange nur an ihren ” gl¨ucklichsten Tagen“ eine solche Verblendung [. . . ] [der] schillernden Regenbogenfarben“ ” (Genthe 1908: 209). Die Darstellungsstrategien der drei Autoren unterscheiden sich an dieser Stelle voneinander. W¨ahrend Ehlers und Deeken ihre Aussicht vom Samea-Berg haupts¨achlich u¨ ber das Licht- und Farbenspiel gestalten und ein Bild der Idylle entwerfen, gebrauchte Genthe heimatliche Ankn¨upfungspunkte und die Figur des Landschaftsmalers, um die Aussicht zu schildern. Ehlers hatte die Gelegenheit, mehrere Tage auf dem Samea-Berg in der Pflanzungsstation zu verbringen, was ihm der Direktor der DH&PG erm¨oglicht hatte: Und Tag f¨ur Tag ” werd’ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so sch¨on!36 [. . . ] [D]enn dies ist just das Pl¨atzchen, welches ich gebrauche, um zu vergessen, daß ich ein staubgeborener Erdenwurm bin. Innerhalb acht Tagen werde ich vom Sameaberge Besitz genommen haben [. . . ].“ (Ehlers 2008/1895: 102) Deutlich f¨allt Ehlers’ imperialistische Aussage ins Auge, dass er den Samea-Berg in acht Tagen in Besitz“ genommen haben werde. Erstaunlich ist ” seine Bemerkung, er k¨onne dort vergessen, dass er ein staubgeborener Erdenwurm“ sei. In ” Kombination mit der Eroberung‘ des Berges erscheint eine Aufbesserung des Selbstwertes ’ plausibel. Andererseits nimmt man es Ehlers nach seinen diversen ironischen Darstellungen nicht mehr ab, dass er sich selbst wirklich als Erdenwurm“ betrachtete. Sein Versprechen ” an diejenigen, die ihn in seiner Einsamkeit“ besuchten, dass ein guter Trunk“ bereit sei, ” ” unter B¨urgen mit seinem gute[n] Namen“ und seinem gute[n] Durst“ (Ehlers 2008/1895: ” ” 102), lassen auch hier auf eine selbstironische Darstellung schließen. Dort oben lebte er in vermeintlicher Abgeschiedenheit.37 Ehlers’ R¨uckzug schien darin begr¨undet zu sein, dass er sich in Apia nicht sonderlich wohl gef¨uhlt hatte, was im

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Mit diesem Zitat aus Goethes Faust“, mit dem Faust den Pakt mit Mephisto besiegelt, dr¨uckt ” Ehlers das Erleben eines perfekten Momentes aus, in dem das Danach keine Rolle mehr spielt. Das Zitat in Faust“ geht weiter: Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern ” ” zugrunde geh’n.“

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Ungef¨ahr vierzehn Tage verbrachte ich schreibend, lesend oder in dem dolcesten far niente auf ” dem Sameaberge.“ (Ehlers 2008/1895: 124) Tats¨achlich bekam er jedoch regelm¨aßig Besuch von anderen ans¨assigen Deutschen und auch der Rebellen‘-K¨onig Tamasese stattete ihm dort einen ’ Besuch ab (vgl. Ehlers 2008/1895: 128ff.).

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Wesentlichen an der vermeintlich mangelnden Gastfreundschaft der anderen Europ¨aerinnen und Europ¨aer gelegen hatte (vgl. Ehlers 2008/1895: 119f.). Vermutlich hatte dieses UnwohlF¨uhlen zu seinem flucht¨ahnlichen Aufenthalt auf der Pflanzungsstation gef¨uhrt. Insofern bot der Samea-Berg einen guten R¨uckzugsort. Deutlich geht aus den Schilderungen hervor, wie der Panoramablick u¨ ber die kleineren samoanischen Inseln eine symbolische Aneignung der Landschaft erm¨oglichte. Die Reisenden u¨ berblickten hier nicht willk¨urliche Landschaften, sondern solche, die potenziell (oder bereits geschehen) in ihren nationalen Besitz u¨ bergehen sollten. Somit schauten sie auf ihr‘ Land. Die erh¨ohte Position entsprach dabei ihrer eigenen Stellung als Eroberer‘. ’ ’ Auff¨allig bleiben jedoch die unterschiedlichen Darstellungsstrategien, die jeweils einen anderen Umgang mit der Fremde zeigen. W¨ahrend Genthes Schilderungen komparatistisch waren, schienen sie f¨ur Ehlers Ausdruck der eigenen Situiertheit und bei Deeken u¨ berblicksgenerierend zu sein. F¨ur Genthe hatte der Vergleich mit der Heimat eine ordnende Funktion in Bezug auf die Fremde, aber auch f¨ur seine Leserinnen und Leser. Im Bildungsb¨urgertum waren Reiseziele in Italien (und Berichte dar¨uber) bekannt, sodass Genthe seine Eindr¨ucke f¨ur sein Lesepublikum vergleichend einordnen konnte. Auch das dolceste[ ] far niente“ (Ehlers 2008/1895: 124), von dem Ehlers sprach, steht in diesem ” Kontext. F¨ur Ehlers stand die Funktion als R¨uckzugsort vor der Fremde im Vordergrund, w¨ahrend Deeken in seiner Draufsicht die einzelnen Elemente zueinander in Beziehung setzen konnte. Das vom Samea-Berg aus betrachtete Apolima, eine der kleineren Inseln, schien ein gleichermaßen besonderer Ort in Samoa zu sein, und war vielen einen Besuch wert.

Die Passage nach Apolima Apolima, eine der kleineren Samoainseln, war aufgrund ihrer Beschaffenheit als erloschener Vulkan in der Form einer hohlen Hand38 nur durch einen sehr engen Zugang, eine ca. 4,5 m breite Fahrrinne (vgl. Genthe 1908: 192), erreichbar. Um die innen liegende Sch¨onheit erblicken zu k¨onnen, mussten die Autorinnen und Autoren die Gefahren der Anreise u¨ ber Wasser und durch diese Passage bew¨altigen. Die Beschreibungen enthielten also eine gewisse Spannung, da sie die faszinierende Sch¨onheit der Natur mit der Gefahr bei der Anreise kombinierten. Llewella Pierce Churchill beschrieb ihre Reise nach Apolima in einem eigenen Kapitel. Dabei schilderte sie die notwendige Anreise noch ausf¨uhrlicher als Apolima selbst. Dort mit einem Boot anzulanden,

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Diese Bezeichnung gebrauchten die Autorinnen wiederholt (vgl. Genthe 1908: 193). Pierce Churchill sprach bspw. von der samoanischen Bezeichnung, die the hollow of the hand“ be” deute (Pierce Churchill 1902: 101). Wegener u¨ bersetzte den Namen in a¨ hnlicher Richtung mit Handteller“ (Wegener 1903: 28). ”

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bedeutete, bis vor die Felsspalte zu fahren und dort auf eine g¨unstige Welle zu warten, die das Boot genau durch die L¨ucke ins Innere trug, ohne es an den umgrenzenden Felsen zu zerschmettern (vgl. Pierce Churchill 1902: 105f.). Sehr bildlich schilderte Pierce Churchill die Option, wenn man es mit dem Boot nicht schaffen sollte. W¨ahrend des Wartens auf die richtige Welle, was f¨ur sie eine gef¨uhlte Ewigkeit dauerte, war immer wieder ein Blick ins Innere, in den sicheren Hafen, m¨oglich: All at once the gateway opens in plain sight before you; you can feast your eyes on the ” marvelous beauty of such a landscape as is to be found nowhere else in the world, you pluck up courage and are now as anxious to get in and see more, as but a moment ago you were wishing you were well out of it.“ (Pierce Churchill 1902: 106) Der vielversprechende Anblick ließ Pierce Churchill ihre Furcht u¨ berwinden, und die Aussicht auf das Ankommen wog die Gefahr auf. Nach bangem Warten durchquerte sie die Passage erfolgreich. Apolima is worth the seeing. To have missed it is to be blind to one of the natural wonders ” of the world. It stands alone in a class alone.“ (Pierce Churchill 1902: 99) Doch so sehr Pierce Churchill von der Sch¨onheit der Insel schw¨armte und sie deren Sch¨onheit faszinierte – the beauty of Apolima springs suddenly on the sight, so suddenly ” as to seem almost an illusion“ (Pierce Churchill 1902: 101) – lag der Schwerpunkt ihrer Beschreibung vorrangig in der Darstellung ihrer Anreise.Die Ankunft erwies sich f¨ur Pierce Churchill als eine doppelt erfolgreiche: Die ans¨assigen Menschen auf Apolima begr¨ußten sie herzlich – und insbesondere, weil sie eine Frau war: [T]hey ask the crew whether the lady was frightened when the boat came through the pass, and when ” they get the answer that she was courageous they turn to congratulations and say how very few ladies have ever ventured that trip, and how it often happens with white men who have come through the gap that they were too weak to take a step for a long time afterward.“ (Pierce Churchill 1902: 110)

Pierce Churchill positionierte sich dementsprechend als mutige und nicht zimperliche Frau, womit sie sich sogar st¨arker zeigte als einige der Weißen m¨annlichen Reisenden. Um aber nicht anmaßend, sondern bescheiden zu wirken, schloss sie nach der ausf¨uhrlichen Beschreibung ihres Abenteuers mit gl¨ucklichem Ausgang mit der simplen Bemerkung: Such is getting into Apolima.“ (Pierce Churchill 1902: 110) ” ¨ William Churchward dagegen war das Ubersetzen nach Apolima nicht m¨oglich, obwohl er es versuchte. Seine Schilderung war im Gegensatz zu Pierce Churchills knapp und n¨uchtern gehalten. Up early the next morning, we intended to pay a visit to Apolim¯a, the adjacent island, one of the ” greatest curiosities in Samoa as an impregnable natural fortress, with only one small entrance, and perfectly unapproachable in certain states of the weather, but were unlucky enough to have exactly hit upon such a time, and in consequence had to give up the trip.“ (Churchward 1887: 198f.)

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F¨ur ihn stand die Funktion Apolimas als festungsgleicher R¨uckzugsort im Vordergrund. Im Kriegsfalle konnte die enge Passage gut gegen Eindringlinge verteidigt werden (vgl. Pierce Churchill 1902: 102), weshalb Apolima sich als natural fortress“ eignete. Pierce ” Churchill hatte auf diesen Aspekt nur kurz verwiesen, als sie erkl¨arte, dass der Name Apolima the idea of protection, a place of refuge“ mit sich tr¨uge (Pierce Churchill 1902: 101). ” Insofern war der Abbruch der Expedition f¨ur Churchward die Folge der nat¨urlichen wetterbedingten Zugangsbeschr¨ankung, was alle anderen erfolgreichen Expeditionen st¨arker hervortreten l¨asst. Siegfried Genthes Beschreibung seiner erfolgreichen Anlandung a¨ hnelt der von Pierce Churchill: Auf den ersten Blick erkennt man die vulkanische Natur Apolimas. Es ist nichts ” als ein vollkommener Krater, dessen n¨ordliche Wand niedergerissen und an einer schmalen Stelle zum Einfahrtstor erweitert worden ist. [. . . ] Hineinzukommen in dieses kleine Becken ist aber die Hauptschwierigkeit, ein Bootsman¨over, das nur von ganz erfahrenen Lotsen gewagt werden kann.“ (Genthe 1908: 191) Je st¨arker Genthe die Gefahren betonte, als desto wertvoller konnte er anschließend die Anblicke im Inneren der Insel beschreiben. Innerhalb seiner Darstellung a¨ nderte er die Tempusform, wechselte u¨ bergangslos vom Imperfekt ins Pr¨asens und wieder zur¨uck, so dass Lesende sich zwischenzeitlich mitten im Geschehen w¨ahnen konnten (vgl. Genthe 1908: 192). Die Ausgangslage und das Warten vor der Einfahrt schilderte Genthe a¨ hnlich wie Pierce Churchill. Schon sieht es aus, als m¨ußte die n¨achste heranrollende Welle das Boot nehmen, es verkanten und auf ” den Klippen zerschmettern – da reckt sich Mulipola39 , sobald er die neue Welle das Heck des Bootes heben f¨uhlt, rasch etwas in die H¨ohe, beißt die Z¨ahne auf seiner glimmenden Pfeife zusammen, nimmt die Ruderpinne stark in die Hand und st¨oßt zwei kurze Befehle hervor: Vavevave malosi!‘ (rasch, ’ rasch, alle Kraft) und mit einem heftigen Ruck fliegen wir hinein in den inneren Hafen [Herv. i. O.].“ (Genthe 1908: 192)

Schließlich gelang also die Einfahrt durch die schmale Rinne“ (Genthe 1908: 192), was ” a¨ hnlich des Reitens in den Busch sexualisiert gelesen werden kann. Dazu passt sowohl das in die H¨ohe Recken‘ ihres Bootsf¨uhrers, der heftige[ ] Ruck“, bevor es dann ruhiger wurde, ’ ” als auch Genthes sp¨atere Bemerkung, dass die ersten Weißen Besucher Apolimas deren Ruf jungfr¨aulicher Unber¨uhrtheit“ zerst¨ort h¨atten (Genthe 1908: 193). Die Erleichterung ” Genthes u¨ ber die Ankunft wurde in den n¨achsten Zeilen deutlich. ¨ Hier ist alles glatt und ruhig. Der Ubergang ist so pl¨otzlich und so wunderbar, daß wir uns nicht ” enthalten k¨onnen, dem wackeren Steurer ein Malie Mulipola!‘ zuzurufen, Bravo, gutgemacht, was ’

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Ein Samoaner von Manono, Genthes Steuermann.

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ihm viel Freude zu machen scheint. Drinnen hatte eine große Menschenmenge dem aufregenden Schauspiel zugeschaut und nahm uns nun mit Jubel in Empfang [Herv. i. O.].“ (Genthe 1908: 192)

Wiederum gab es Zuschauer, die die erfolgreiche Ankunft des Bootes begr¨ußten, und insbesondere Genthe als Weißen Mann. Selten genug kommen weiße Besucher, dies ” Felsennest zu besuchen.“ (Genthe 1908: 192) Damit scheinen Genthes Schilderungen also auch die Funktion der Selbstdarstellung als Abenteurer und (sexueller) Eroberer zu besitzen. Otto Ehlers dagegen enthielt seinen Leserinnen und Lesern seine Erfahrungen zu Apolima vor. Er deutete zwar an, dass er einen Ausflug dorthin unternommen habe; [a]uch ” einen Ausflug nach den Inseln Apolima und Manono unternahmen wir“ (Ehlers 2008/1895: 125), beschrieb aber im Folgenden lediglich seinen Aufenthalt auf der zweiten Insel. Denkbar w¨are, dass er, a¨ hnlich Churchward, wetterbedingt die Passage nicht machen konnte, oder dass er Apolima lediglich der Vollst¨andigkeit halber auff¨uhrte. Ernst von Hesse-Wartegg besuchte seinem eigenen Bericht zufolge Apolima nicht, integrierte aber eine Fotografie der schmalen Passage in seinen Text (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 299), die an dieser Stelle illustrativen Zwecken diente. Georg Wegener betonte, a¨ hnlich Churchward, im Wesentlichen den milit¨arischen Vorteil Apolimas in Kombination mit ihrer Sch¨onheit: Die Insel Apolima ist eines der reizvollsten und merkw¨urdigsten Gebilde der S¨udsee. [. . . ] Die ganze ” H¨ohlung des [. . . ] großen Kraterkessels ist mit Plantagen von Kokospalmen, Brotb¨aumen und anderen Nutzpflanzen erf¨ullt. Ein kleines sauberes Dorf nimmt den vom Wasser nicht bedeckten Boden des Kraters ein. Auch ein S¨ußwasserquell ist vorhanden, kurz, alles, was eine belagerte Festung braucht.“ (Wegener 1903: 28)

Wegener arbeitete sich an den Kriterien der Wasser- und Nahrungsversorgung sowie der M¨oglichkeit von Wohnraum ab. Da diese erf¨ullt waren, vermochte Apolima in seiner Vorstellung einer Belagerung standhalten. Auch die Gefahren der Anreise erw¨ahnte er: Nur an dieser Stelle ist ein Zugang zu Apolima m¨oglich. Aber auch hier nur bei ruhigem Wasser ” und unter F¨uhrung eines genau ortskundigen Schiffers, der es versteht, im rechten Moment zwischen dem brausenden Schaum und Schwall der Brandungswellen das Boot hindurch zu steuern. Ist dieser aufregende Moment vor¨uber und die schmale Klippengasse passiert, dann sieht man sich staunend auf dem spiegelnd ruhigen Wasser einer kleinen Binnenlagune, die den sch¨onsten und sichersten Hafen f¨ur die Boote der Samoaner abgibt.“ (Wegener 1903: 28)

¨ Dabei a¨ hnelt der Ubergang der wilden, aufgepeitschten See hin zu der Ruhe im Inneren Apolimas stark der Schilderung Genthes. Sowohl bei Genthe als auch bei Wegener spielte

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der ortskundige Bootsf¨uhrer die entscheidende Rolle, um wohlbehalten in die Bucht Apolimas einfahren zu k¨onnen. Apolima erschien in den Schilderungen als eine kleine Insel, f¨ur deren Besuch gewisse Gefahren auf sich zu nehmen waren. Insofern geh¨orte Apolima nicht in die Kategorie der stereotypen S¨udseeinsel, die die Reisenden bereitwillig aufnahm und ihnen die zum Leben notwendigen Dinge in den Schoß legte‘. Andererseits war die Faszination, die diese ’ Insel auf die Reisenden aus¨ubte, keine geringere. Statt der leichten Zug¨anglichkeit wurde st¨arker die u¨ berwundene Gefahr betont, die den nun offenbaren Anblick von Sch¨onheit im Inneren noch wertvoller machte. Weiterhin wurde die Insel unter milit¨arischen Aspekten betrachtet und die immanente nat¨urliche N¨utzlichkeit herausgestellt. Die Eroberung‘ und ’ Vereinnahmung besaß – wie gezeigt – auch erotische Untert¨one und folgte sexualisierten Darstellungsmustern. Schließlich war das Ankommen vor Publikum sowohl f¨ur Weiße M¨anner wie auch Frauen von besonderer Bedeutung. Weitere Orte, die ohne gef¨ahrliche Anreise aufgesucht werden konnten, waren die vielen Badegelegenheiten Samoas.

¨ Die Papase’ea-Wasserfalle und andere Badegelegenheiten Ein weiterer besonderer – und weniger gefahrvoller – Ort, den die meisten Reisenden besuchten, waren die Wasserf¨alle und der sliding-rock“ 40 des P¯ap¯ase¯a“ 41 (Churchward ” ” 1887: 160) s¨udlich von Apia.42 William Churchward zufolge war dies einer der ersten Orte, die man Fremden normalerweise zeigte und ohne dessen Besuch man offenbar nicht behaupten durfte, Apia gesehen zu haben (vgl. Churchward 1887: 160). Auch f¨ur ihn geh¨orte der Ausflug zum Papase’ea zum u¨ blichen Programm, das er mit Neuank¨ommlingen auf Samoa absolvierte. Of course, the first thing was a pilgrimage to the sliding-rock ” [. . . ].“ (Churchward 1887: 197) Der Weg zum Papase’ea hatte den Vorteil, dass er zu Pferde zu bew¨altigen war, w¨ahrend andere Badepl¨atze oft einen langen Marsch durch die W¨alder voraussetzten. A trip to Papase’ea is always a picnic and merrymaking, for ” there is something invigorating about the water of the mountain stream, which is so much cooler than any water on the beach as almost to seem cold, that it is impossible to avoid growing rapidly hungry.“ (Pierce Churchill 1902: 260) Auf Pierce Churchill hatte der Ort eine erfrischende, den Appetit anregende Wirkung, vor allem dadurch, dass

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Diese Wasserrutsche war in der Heimat vermutlich gut bekannt, da sie als Postkartenmotiv kursierte (vgl. Thode-Arora 2014b: 145f.)

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Auch hier gibt es in den Quellen verschiedene Schreibweisen. Ich verwende im Folgenden die Schreibweise Papase’ea.

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Auch an anderen Badepl¨atzen gab es h¨aufig Wasserf¨alle, deren erfrischende Wirkung die Anstrengungen des Ausflugs dorthin zu rechtfertigen schienen.

Paradiesvorstellungen | 133

das Wasser hier deutlich k¨uhler als in der Meeresbrandung war. Der Wasserfall war ihrer Schilderung zufolge ein dreifacher; es gab einen kleineren, der aus einer H¨ohe von ungef¨ahr anderthalb Metern ins Becken fiel, einen mittleren mit einer H¨ohe von knapp vier Metern und schließlich den h¨ochsten, von dem aus man u¨ ber die Felsenrutsche aus einer H¨ohe von gut neun Metern in die Tiefe fiel (vgl. Pierce Churchill 1902: 266). The Samoans ” call these falls respectively the swimming places for children, for women and for men.“ (Pierce Churchill 1902: 266) Pierce Churchill beschrieb zudem den Verlauf des Flusses oberhalb des Wasserfalls und die umliegenden kleineren Becken (vgl. Pierce Churchill 1902: 267), verzichtete aber auf Beschreibungen in Anlehnung an M¨archenwelten oder Nixen, die sich im Wasser tummelten. Nach seiner Zeit auf dem Sameaberg kehrte auch Otto Ehlers f¨ur die letzten Tage seines Aufenthaltes nach Apia zur¨uck und unternahm von dort aus noch Ausfl¨uge zu einzelnen ” hervorragend sch¨onen Punkten“ (Ehlers 2008/1895: 135). Da wurde in erster Linie der ” Papasea mit einem Besuche bedacht, ein weniger durch seine Sch¨onheit als durch den Umstand, daß er den Schauplatz eigenartiger Spiele abgibt, ber¨uhmter Wasserfall.“ (Ehlers 2008/1895: 135) Aus den bisherigen paradiesischen‘ Beschreibungen der verschiedenen ’ samoanischen Orte hatte man den Eindruck gewinnen k¨onnen, dass auch diese Wasserf¨alle landschaftlich sch¨on seien. Immerhin bezeichnete Ehlers das Becken im Folgenden noch als reizend[ ]“ (Ehlers 2008/1895: 135). Mit dem eigenartige[n] Spiele“ deutete er an, ” ” dass der Papase’ea mit seiner Felsenrutsche die Gelegenheit bot, als Weißer Mann mit samoanischen Frauen gemeinsam die Rutschpartie zu machen.43 Aus etwa zwanzig Fuß H¨ohe st¨urzt das Wasser u¨ ber einen glatten, im Winkel von vielleicht 60 Grad ” abfallenden Felsblock in ein reizendes Becken. Ein Hauptvergn¨ugen der Samoaner besteht nun darin, zum Fall hinaufzuklettern und sich von den Wassern den Felsblock hinunter in das Becken bef¨ordern zu lassen.“ (Ehlers 2008/1895: 135)

Doch war der Besuch des Papase’ea und die Benutzung der Wasserrutsche witterungsund jahreszeitlich bedingt nicht uneingeschr¨ankt m¨oglich. Leider war der Papasea f¨ur ” mich ein Reinfall, denn er war v¨ollig wasserleer, so daß mein Besuch ohne Wein, Weib, Gesang und Rutschpartie verlaufen mußte.“ (Ehlers 2008/1895: 135) Wein, Weib und ” Gesang“ – mit der Erg¨anzung um die Rutschpartie“ – spielte auf den Martin Luther ” zugeschriebenen Vers Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein ” Leben lang“ an und brachte zum einen Ehlers’ Situation auf den Punkt, betonte aber auch

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In den meisten Schilderungen der Autorinnen und Autoren tauchen gr¨oßere Badegesellschaften auf, in deren Rahmen man einen Ausflug zum Papase’ea machte. Diese Beschreibungen der Menschen w¨urden aber den Fokus auf das Menschenbild und weg von der landschaftlichen Beschreibung richten, daher werden sie erst im Kapitel 4.3 behandelt.

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seinen Lebensstil, besonders den auf Samoa zu pflegenden. Daf¨ur hatte Ehlers in Lufi Lufi, an der Nordostk¨uste Upolus, mehr Gl¨uck. Nirgendwo auf unserem Planeten bieten sich dem Menschen verlockendere Badepl¨atze als in Samoa. ” Die verschiedenen Inseln, vor allen Upolu und Savaii, sind reich an kristallklaren, aus den Bergen kommenden Wasserl¨aufen, so daß man an vielen Stellen das See- und Flußbaden mit einander in bequemster Weise verbinden kann. Ein solches Pl¨atzchen fanden wir auch in der N¨ahe von Lufi Lufi. Das Wasser sprudelte aus einer tiefen Felsh¨ohle hervor, die in ihrem Innern lebhaft an die ber¨uhmte Grotte von Capri erinnerte.“ (Ehlers 2008/1895: 111)

Deutlich wird in Ehlers’ Begeisterung im Superlativ, dass es die verlockendsten Badepl¨atze des Planeten seien. Gerade die Kombination der Gew¨asser faszinierte ihn. Als heimatlicher Vergleich diente die italienische Grotta Azzura, die blaue Grotte, auf Capri. Der Abglanz des intensiv blauen Wassers, in dem unsere Leiber wie eitel Silber gl¨anzten, ließ auch ” die Felsw¨ande in bl¨aulichem Lichte erscheinen, und w¨are B¨ocklin zur Stelle gewesen, ich glaube, er w¨urde entz¨uckt zu Palette und Pinsel gegriffen und letzteren nicht eher wieder in den Schoß gelegt haben, als bis er uns auf die Leinwand gezaubert h¨atte.“ (Ehlers 2008/1895: 111)

Neben der europ¨aischen Verortung benutzte er das Motiv des Landschaftsmalers, der diesmal jedoch nicht davon absah, das Bild zu malen, sondern von der Sch¨onheit motiviert und angetrieben wurde. Arnold B¨ocklin (1827-1901) war f¨ur Ehlers ein zeitgen¨ossischer Schweizer Maler, einen unmittelbaren Bezug zwischen diesem und Samoa oder Capri gab es aber nicht, jedenfalls nicht in Form von spezifischen Gem¨alden, auf die Ehlers anspielen k¨onnte. Jedoch geh¨orte Capri neben der Bucht von Neapel, Rom oder Florenz zu den klassischen Reisezielen des Bildungsb¨urgertums, die literarisch popul¨ar beschrieben waren. Schließlich beschrieb Ehlers auch noch die Anteile der m¨archenhaften‘ Wahrnehmung. ’ Eine unbeschreibliche Wonne war es, bald in dieser m¨archenhaft sch¨onen Grotte, bald in einem vor ” derselben liegenden, von Felsen gebildeten Becken herumzupl¨atschern und dann wieder in das leise atmende Meer hinauszuschwimmen, Korallen unter uns und u¨ ber uns der Himmel. Wo außer in Samoa kann man solches Gl¨uck genießen?“ (Ehlers 2008/1895: 111)

Dieser Gl¨ucksmoment erinnert an das von Pierce Churchill und Churchward beschriebene Motiv des perfect picture‘. Im Gegensatz zur sonstigen Sch¨onheit‘ war es ein sehr ’ ’ pers¨onliches Empfinden, das Ehlers schilderte, wenn er von Gl¨uck“ sprach. Tats¨achlich ” schien der Badeplatz bei Lufi Lufi durch seine geografische Beschaffenheit ein besonderer Ort zu sein.

Paradiesvorstellungen | 135

Laut Wegener trat dort aus dem Hohlraum eines alten Lavastroms eine Quelle unterirdisch in die See hinaus (vgl. Wegener 1903: 25). Die Eingeborenen haben vor ihren Eingang einen kleinen Damm gegen die See aufgef¨uhrt, so ” daß ein kleines S¨ußwasserbecken entstanden ist, das zu einem Teil, hart am Meere, noch unter freiem Himmel liegt, zum anderen weit in den tiefen Schatten der Grotte hineinreicht. So ist das entz¨uckendste Badebassin geschaffen, das sich denken l¨aßt; man kann das Bad nach Belieben in dem strahlenden Tropenlicht unter Kokospalmen angesichts der rauschenden See oder im geheimnisvoll k¨uhlen D¨ammerschatten des Berginnern nehmen.“ (Wegener 1903: 25)

Damit verband der Badeplatz von Lufi Lufi die M¨oglichkeit des Schwimmens unter freiem Himmel und innerhalb der Grotte. Im Grunde sind damit zwei haupts¨achliche Konnotationen der stereotypen S¨udseeinsel angesprochen. Auf der einen Seite stehen der Sonnenschein und die Kokospalmen f¨ur die freundliche, gebende Natur, auf der anderen Seite ist der Zugang ins Innere, ins Geheimnisvolle‘ und K¨uhle‘ m¨oglich. Somit erkl¨art sich die ’ ’ besondere Faszination, die die Autorinnen und Autoren schilderten. An anderer Stelle beschrieb Frieda Zieschank die Umgebung der Wasserf¨alle von Falefa. Hier ist außer dem Pfade alles Wildnis, dichter tropischer Busch. Und ganz unten auf dem Grunde ” der Schlucht pl¨atschert ein lieblicher Fluß u¨ ber das Lavagestein. Ein Wasserfall rauscht von der H¨ohe herab und bietet f¨ur den, dem das Schwimmbad nicht gen¨ugt, noch eine kr¨aftige Dusche. In dieser unber¨uhrten und unbelauschten Einsamkeit sein Bad zu nehmen, ist immer von neuem ein k¨ostliches Erlebnis. Was ist dagegen Norderney und Ostende?“ (Zieschank 1918: 77)

Sie betonte die unber¨uhrte[ ] und unbelauschte[ ] Einsamkeit“. Man fragt sich, weshalb ” dieser Ort unbelauscht‘ sein sollte. Die ostfriesische Insel Norderney und das belgische ’ Ostende konnten Zieschank zufolge dieser samoanischen Landschaft nichts entgegensetzen. Dabei war vermutlich das Kriterium des Vergleiches die Abgeschiedenheit, denn Wasserf¨alle oder dichte Vegetation hatten (und haben) Norderney und Ostende wahrlich nicht zu bieten. Churchward beschrieb einen weiteren Ausflug zu einer Badegelegenheit. Er und seine Begleiter waren mit dem Boot in Falelatai, an der S¨udwestk¨uste Upolus, angelangt, wo sie fr¨uh am n¨achsten Morgen auf Palolo-Fang44 gehen wollten. Er schilderte die dortige Sch¨onheit der Wasserf¨alle. Set right in the centre of this beautiful background was a magnificent waterfall, tumbling from a ” height of quite sixty feet into a lovely little lake, formed in a deep gorge whose steep sides covered

44

Palolo ist die Bezeichnung f¨ur einen Wurm, der als Delikatesse gilt. Mehr zu den besonderen Umst¨anden des Fangs in Kapitel 5.2.4.

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with verdure are most faithfully reflected on the bosom of the mirror-like water. Brilliant and vivid coloured flowers abound, whilst soaring aloft, with widespread arms, in all their graceful beauty the cocoa-nut palms seem to invite the confidence of all nature slumbering beneath, hushed to sleep by the lullaby of the never-ceasing crash of the falling waters.“ (Churchward 1887: 232)

Die belebte, fast schon beseelte Natur wird auch hier deutlich in ihrer Personifizierung; die Palmen erwarben das Vertrauen der Umgebung, die Wasserf¨alle sangen ein Schlaflied. Das nie endende Rauschen‘ der Wasserf¨alle a¨ hnelt Zieschanks oben zitierter Beschreibung ’ fern am Außenriff rauscht der Brandung Ewigkeitslied“ (Zieschank 1918: 34) und spiegelt ” die Zeitlosigkeit der Szene wider. Mithilfe der beseelten Natur und des ewigen‘ Kreislaufs ’ kn¨upfte Churchward wiederum an das Bild des Schlaraffenlandes an, in dem man nicht alterte, und in dem sich nichts ver¨anderte. Genthe beschrieb einen weiteren Badeplatz am Fluss Vaisigano, etwas n¨aher an Apia gelegen. Diesmal aber nur eine kleine Strecke, bis ” zu einem prachtvollen kleinen Wasserfall, den der Vaisigano wenige Minuten von meinem Gasthof entfernt bildet und zu einem der sch¨onsten Badepl¨atze gemacht hat, die mir bisher begegnet sind. [. . . ] Eine sch¨onere Einrahmung, als dieses kleine Pl¨atzchen sie besitzt, l¨aßt sich gar nicht denken.“ (Genthe 1908: 56) Auch hier ist es das Motiv des perfect picture‘, ’ das bei Genthe anklingt. Immerhin schr¨ankte er seine Bewertung als sch¨onster Badeplatz‘ ’ auf die ihm bisher begegneten ein, ohne den Ort (wie Ehlers) zum sch¨onsten des Planeten zu erkl¨aren. Der Vaisigano bot den Reisenden mehrere Badepl¨atze, die Genthe besuchte, und wo das Wasser, wie von Pierce Churchill beschrieben, stets eine k¨ostliche K¨uhle ” bewahrt, wie sie das Meer in Samoa leider nie bietet“ (Genthe 1908: 60). Insofern erkl¨arte er den Papaloloa zu einem der sch¨onsten Badepl¨atze im Lande“ (Genthe 1908: 61). ” Wasserlandschaften schienen auch Pierce Churchill zu beeindrucken. In der N¨ahe des amerikanischen Konsulates, wo sie wohnte, gab es im Vaiala Reef ein Becken, das sie durch Zufall entdeckte und das sie wegen der dort vorkommenden Fische faszinierte. I swam across the pool and took a position where I could study its details. Experience alone can yield ” any faintest conception of the marvelous beauties of these pools in South Sea reefs; mere words of description would seem turgid, and no one would venture to put on canvas the brilliant colors which alone could do justice to the oceanic garden.“ (Pierce Churchill 1902: 112f.)

Das Motiv des Landschaftsmalers ist bereits bekannt, im Gegensatz zu Ehlers konstatierte Pierce Churchill, die entsprechenden Farben nicht auf die Leinwand bringen zu k¨onnen. Die vermeintliche Unbeschreibbarkeit der Szenerie hielt sie jedoch nicht davon ab, doch eine solche abzugeben. The corals are covered with vivid colors such as the rainbow alone can match, the tip of every stony ” spray and twig in this submarine shrubbery is as gay as the brightest flowers in longshore gardens, and the gentle flow of the water gives them a semblance of motion such as they would possess if they

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were really plants instead of stalks of solid limestone that cut and tear whatever is dashed upon them. In and among the trunks and branches, the water seeming almost a sort of atmosphere, fly schools of painted fish, which in their thousand hues rival the brightest birds and butterflies of the upper air.“ (Pierce Churchill 1902: 113)

Die belebte Unterwasserwelt a¨ hnelt den Beschreibungen, die schon Churchward verfasst hatte (vgl. S. 116). Sogar mit den V¨ogeln und Schmetterlingen in der Luft konnte es die Szenerie unter der Wasseroberfl¨ache Pierce Churchill zufolge aufnehmen. Doch auch Gefahren lauerten dort. Der Kalkstein der Korallen war scharfkantig und f¨uhrte bei unvorsichtiger Ber¨uhrung Schnittwunden und Verletzungen herbei. Somit konnte Pierce Churchill das Becken nur aus einer sicheren Position ergr¨unden, sie blieb also Beobachterin.

Das echte‘ Samoa – Savai’i ’

Obwohl die Autorinnen und Autoren die Samoa-Inseln als einen paradiesischen‘ Ort ’ beschrieben, der deutlich hinter der Zivilisationsstufe‘ der Europ¨aerinnen und Europ¨aer ’ zur¨ucklag, waren sie gleichzeitig auf der Suche nach dem echten‘, wahren‘ und ur’ ’ ’ spr¨unglichen‘ Samoa, wie es vor der Ankunft der Weißen gewesen war. Das fanden sie der Quellenlage nach auf Savai’i, der zweitgr¨oßten der Samoa-Inseln. Im Gegensatz zu Upolu besaß Savai’i die h¨oheren Berge, war also im Landesinneren kaum zug¨anglich und an den europ¨aischen Schiffsverkehr nur begrenzt angeschlossen.

Wohl noch niemals hat ein Wagenrad den unbefahrenen Boden dieser Perle des Stillen Ozeans‘ ” ’ entweiht und wird ihn voraussichtlich auch noch auf Jahrzehnte hinaus unber¨uhrt lassen, denn Sawaii hat keine Straßen und Br¨ucken und wird sie trotz allem Respekt f¨ur die f¨ursorgliche kaiserliche Verwaltung auch vor Ablauf eines Jahrzehntes kaum erhalten.“ (Hesse-Wartegg 1902: 315)

Obgleich die Insel damit in Hesse-Warteggs Augen als r¨uckst¨andig‘ h¨atte gelten m¨ussen, ’ galt Savai’i als unber¨uhrt und fast heilig‘, denn der ohnehin schwierige Ausbau von ’ Infrastruktur h¨atte eine Entweihung‘ bedeutet. Dennoch wollte Hesse-Wartegg die Insel ’ Touristen zug¨anglich machen: W¨urde ein kleiner Dampfer den regelm¨aßigen Verkehr ” mit Sawaii erm¨oglichen, dann sollte der Besuch dieser Insel zu den Glanzpunkten einer Touristenreise nach der S¨udsee geh¨oren, denn nur wenige Inseln besitzen eine gr¨oßere Pracht der Tropennatur wie Sawaii.“ (Hesse-Wartegg 1902: 300) Mit dem Einrichten der Schiffsverbindung und der besseren Zug¨anglichkeit w¨urden jedoch gerade die Voraussetzungen f¨ur das Bestehen dieser Pracht der Tropennatur“ zerst¨ort ” werden: Auf andern Gruppen, die schon ebensoviel und in ebenso ununterbrochener Folge ” von europ¨aischen Einfl¨ussen bedroht worden sind wie Samoa, w¨urde man vergeblich nach so echten Bildern polynesischen Lebens suchen, wie sie sich auf Savaii m¨uhelos beobachten lassen.“ (Genthe 1908: 69)

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Genthe bezeichnete den europ¨aischen Einfluss sogar als Bedrohung‘ und sah es als ’ besondere Leistung Savai’is an, sich dieser bislang widersetzt zu haben. Im heutigen Samoanischen bedeutet das Wort Savaii soviel wie altert¨umlich, echt, und ohne damit ” eine der u¨ blichen volkst¨umlichen Erkl¨arungen des Namens der Insel geben zu wollen, glaube ich vielmehr daran zeigen zu k¨onnen, daß den Samoanern der andern Inseln die Gebr¨auche von Savaii als besonders altert¨umlich bemerkenswert erschienen sind und sie mit Savaii etwas wirklich echt Samoanisches bezeichnen wollen.“ (Genthe 1908: 69f.)

Genthe spielte hier den Ball an die Samoanerinnen und Samoaner zur¨uck, die mit der Bezeichnung Savai’i‘ genau das zum Ausdruck br¨achten, wonach die Europ¨aerinnen und ’ Europ¨aer auf der Suche waren: das Altert¨umliche‘ und Echte‘. Außerdem stellte Genthe ’ ’ heraus, dass dieses echte Bild polynesischen Lebens‘ einzigartig unter den kolonialisierten ’ S¨udseeinseln sei. Hesse-Wartegg gab die gleiche Empfehlung, sich von Apia und Upolu abzuwenden und die Urspr¨unglichkeit“ auf Savai’i zu suchen. ” Wer in Samoa noch das unverf¨alschte Leben und Treiben der Eingeborenen und dazu ein paradiesi” sches Land in seiner ganzen Urspr¨unglichkeit kennen lernen will, so wie es noch vor der Herrschaft der weißen Rasse war, der darf sich nicht mit einem Besuche der Insel Upolu und ihrer Hauptstadt Apia begn¨ugen, sondern muß nach der gr¨oßten Samoainsel, nach Sawaii.“ (Hesse-Wartegg 1902: 298)

Worin genau die Urspr¨unglichkeit bestand, nach der die Reisenden suchten, deutete sich im folgenden Zitat an. Ungeachtet der Anwesenheit zahlreicher Weißer, die hier ans¨assig sind und Handel treiben, haben ” sie ihre angestammten Sitten und Gebr¨auche bis auf den heutigen Tag bewahrt. Sie haben trotz des Einflusses der Missionare gl¨ucklicherweise unsere Trachten noch nicht angenommen und zeigen sich in jener reizenden Urspr¨unglichkeit, die den M¨annern und noch mehr den Frauen dieses herrlichen Menschenschlages so vortrefflich steht.“ (Hesse-Wartegg 1902: 205)

Insofern waren es nicht nur die landschaftlichen Sch¨onheiten, die Savai’i besonders auszeichneten, sondern zudem die Verhaltensweisen der Einheimischen. Die Betonung der Urspr¨unglichkeit‘ der Bekleidung, insbesondere bei Frauen, also deren Nacktheit, l¨asst ’ R¨uckschl¨usse auf Hesse-Warteggs Vorstellung von vermeintlicher Freiz¨ugigkeit zu. Bemerkenswert ist die Wertsch¨atzung, die sowohl bei Genthe als auch bei Hesse-Wartegg zum Ausdruck gebracht wurde, dass eine Zivilisierung‘ noch nicht in dem Maße stattgefunden ’ habe. Die vermeintliche R¨uckst¨andigkeit der samoanischen Bev¨olkerung wurde an dieser Stelle nicht zu deren Nachteil gedeutet, sondern positiv dargestellt. Die Zukunftsaussichten, die Genthe vorhersah, blieben dagegen d¨uster. Wir befinden uns in einer Kultur, deren ” ¨ Alter kein V¨olkerkundiger zu sch¨atzen vermag, deren letzte unverf¨alschte Außerung aber

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jeder mit Andacht beobachten sollte als etwas ehrw¨urdig Altert¨umliches, langsam und selbst¨andig Gewordenes, das schon dem kommenden Geschlecht nur noch dem H¨orensagen nach bekannt sein wird.“ (Genthe 1908: 83) Und weiter: Die wilde Romantik der S¨udsee, ” das bluttriefende Flibustiertum hat ausgelebt. Und auch die anziehenderen Seiten idyllischen Insellebens werden mit dem langsam, aber unaufhaltsam weiter vordringenden Einfluß von Mission und Handel rasch genug verschwinden.“ (Genthe 1908: 101) Jedoch war die samoanische Bev¨olkerung zum Zeitpunkt von Genthes Reisebericht bereits seit 70 Jahren unter dem Einfluss von Missionaren und europ¨aischen Ansiedlerinnen und Ansiedlern. Das ließ Genthe feststellen, wie n¨uchtern und allt¨aglich diese S¨udseeidylle ” jetzt geworden ist, die einst Dichter und Romanschreiber zu den schw¨armerischsten Verz¨uckungen begeisterte“ (Genthe 1908: 101). Schaut man sich die Quellen allerdings bis hierher an, haben sie von den Darstellungen der einstigen Dichter und Romanschreiber nicht viel verloren, auch wenn sie sich in einem anderen zeitgen¨ossischen Kontext bewegten. Als Rat gab Genthe den Romantik-Interessierten auf den Weg: Wer heute noch wirkliche ” Romantik finden will, muß sie suchen, wo der Weiße mit seinem t¨otenden Kulturhobel noch nicht gew¨utet hat.“ (Genthe 1908: 102) Dies mutet paradox an, da er zuvor attestiert hatte, dass es diese Romantik nicht mehr gebe. Dennoch verortete schließlich auch er das wenige, was es noch an Romantik in der S¨udsee zu finden g¨abe, auf Savai’i. [M]it der Entfernung von Apia und seinen gleichhobelnden Einfl¨ussen w¨achst die Wahrscheinlichkeit, ” in Samoa noch die S¨udsee zu finden, echt und in alter Sch¨one, wie sie selbst auf viel sp¨ater von Weißen besiedelten Inselgruppen nicht mehr zu genießen ist. Das hatte ich schon in Savaii gesehen, und in Manua, den o¨ stlichsten Samoa-Inseln, sollte ich dieselbe Erfahrung in einem lehrreichen Gegenst¨uck machen.“ (Genthe 1908: 278)

Obwohl Samoa bereits diverse Sehnsuchtsvorstellungen erf¨ullte und im Vergleich zur europ¨aischen Heimat urspr¨unglich‘ geblieben war, zeigte sich in den Schilderungen, dass ’ die Suche nach der unber¨uhrten‘ Natur und Urspr¨unglichkeit‘ weiterging. M¨oglicherweise ’ ’ verbarg sich hinter dieser Suche auch eine alte Vorstellung von Tahiti, wo ein Naturzustand ” zu existieren [schien], wie ihn Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) beschrieben hatte. Die Menschen waren liebenswert und gastfreundlich, es gab keine Standesunterschiede, jeder hatte Teil an dem, was die tropische Natur schenkte. [. . . ] [Die Europ¨aer] f¨uhlten sich an die Ideale der klassischen Antike erinnert.“ (Wendt 2013: 46) Das alles hoffte man nun auf Samoa zu finden. Darin offenbarte sich das Dilemma jeder und jedes Reisenden: Unber¨uhrte L¨ander konnten nicht gleichzeitig erkundet werden und unber¨uhrt bleiben. Weiterhin wurde deutlich, dass die Reisenden eine doppelte Argumentationslogik benutzten: Die Inseln waren unter europ¨aischer Herrschaft, was Nat¨urlichkeit und Urspr¨unglichkeit zerst¨orte, gleichzeitig war aber auf Savai’i ein St¨uck dieser Unber¨uhrtheit

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erhalten geblieben, was nun als Verdienst der Kolonialm¨achte gedeutet wurde. Diese Leistung wurde also nicht der samoanischen Bev¨olkerung zugeschrieben, sondern dem Erm¨oglichungsspielraum, welchen die europ¨aischen Kolonialm¨achte diesen gestatteten.

4.2.4 Die Theorie des Paradieses – Zusammenfassung In den Beschreibungen der samoanischen Inseln l¨asst sich eine stereotypisierte Wahrnehmung ausmachen. Wilke fasst die wesentlichen f¨unf Elemente nach Ritz zusammen: die ” Sehnsucht nach dem leibhaftigen Paradies, das Unbehagen an der modernen Kultur, die Vorstellung von der Insel als utopischem Ort, die Erfahrung von oder auch nur Projektion der S¨udsee als Ort verlockender Sexualit¨at und die Idee von einem Ort noch unzerst¨orter Natur“ (Wilke 2007: 199).45 Stuart Hall als Vertreter der Postkolonialen Theorie arbeitete a¨ hnliche Schl¨usselthemen‘ in westlichen Beschreibungen der Neuen Welt‘ heraus: ’ ’ (a) The Golden World; an Earthly Paradise; ” (b) the simple, innocent life; (c) the lack of developed social organization and civil society; (d) people living in a pure state of Natur; (e) the frank and open sexuality; the nakedness; the beauty of the women.“ 46 (Hall 1992: 300)

In diesen Bildern und Metaphern eines Earthly Paradise, a Golden Age, or Utopia“ k¨onne ” man erkennen, wie eine powerful European fantasy“ konstruiert werde (Hall 1992: 301). ” Samoa wird mit ebendiesen Attributen beschrieben. Es wurde als Paradies‘ beschrieben, ’ das sich durch sein Klima, seine Fruchtbarkeit und die Nat¨urlichkeit seiner Bewohnerinnen und Bewohner auszeichnete. Damit ging eine feminisierte Darstellung der Inseln einher, die eine Eroberung‘ durch die m¨annlichen Weißen Reisenden m¨oglich machte. Gleichzeitig ’ ¨ wurde ein m¨utterlicher Topos verwendet, um die Uppigkeit der Natur, die ihre Kinder‘ ’ ern¨ahrte, zu beschreiben. Nicht selten war diese Natur belebt, wenn nicht gar beseelt. Auch durch seine abgeschiedene Lage bot Samoa eine breite Projektionsfl¨ache. Wie gezeigt, beschrieben alle Autorinnen und Autoren die Inselgruppe Samoa als einen sch¨onen Ort. Daf¨ur gebrauchten sie in der Regel den Begriff des Paradieses. Paradiesisch‘ ’ ist jedoch nicht nur mit sch¨on‘ gleichzusetzen, sondern bezieht sich auf verschiedene ’ Paradiesvorstellungen und Entlehnungen religi¨osen, mythischen und allgemeinen Wissens.

45

Vergleiche im Original: Ritz (1983): 11ff.

46

In diesem Kapitel liegt der Schwerpunkt auf (a). Die Punkte (b)-(e) kommen im nachfolgenden Kapitel 4.3 zum Tragen.

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Im Wesentlichen rekurrierten die Schreibenden auf vier Versatzst¨ucke. Zun¨achst sind da die Schilderungen, die auf klassische‘ Motive verweisen – Wegener bezieht sich etwa ’ auf Homer (vgl. Wegener 1925/1919: Kap. 4) – und die sich mit den Vorstellungen von Arkadien und einem Goldenen Zeitalter‘ (1) abbilden lassen. Angereichert wird dieses Bild ’ h¨aufig durch Elemente der griechischen Mythologie. Weiterhin erscheinen Anspielungen auf das christliche oder biblische Bild des Paradieses (2) als einen Garten Eden (vgl. Deeken 1901: 128) oder auch als Schlaraffenland (vgl. z. B. Hesse-Wartegg 1902: 205). Und schließlich wurde einerseits der M¨archenwald (3) als Vergleich f¨ur die Beschreibung der Inselwelt gew¨ahlt, andererseits der Tropenwald (4).

Goldenes Arkadien Arkadien bezeichnet zun¨achst lediglich eine griechische Landschaft im Zentrum der Peloponnes, verh¨altnism¨aßig karg, in der in der Antike Hirten lebten. Die Vorstellung von Arkadien als Idylle, Ort des Friedens und der Tugend, ist dagegen eine Erfindung des r¨omischen Dichters Vergil. Vergil (70-19 v.Chr.) bezog sich mit seiner Hirten- und Arkadiendichtung auf seinen Vorg¨anger Theokrit, der bereits die Idyllen‘ verfasst und damit ’ die Gattung begr¨undet hatte47 (vgl. Garber 2009: 33f.). Arkadien galt als Hirtenland, und damit auch als Heimat des Hirtengottes Pan, sodass diese Umgebung eine gute Folie f¨ur Vergils Dichtung abgab. Arkadien wurde zu einem Ort, an dem Menschen dichten, singen und friedlich miteinander leben konnten, ein Zufluchtsort mit Friedensversprechen vor dem restlichen Weltgeschehen. Arkadien ist hier nicht ein Land wie jedes andere, obwohl Sparta benachbart, ist es vielmehr ein ” Zustand: das Goldene Zeitalter, das auch nicht ein Zeitalter ist wie andere, sondern der Zustand außer der Zeit. Arkadien ist f¨ur Griechenland und die abendl¨andische Renaissance der mythologische Ort einer schlichten wunschlosen Seligkeit, zu der ihre Vollkommenheit ebenso geh¨ort, als daß sie verloren ist.“ (Alewyn zit. n. Garber 2009: 12)

Dabei war Arkadien keineswegs ein unpolitischer Ort. Alle Autorinnen und Autoren der Arkadien- oder Sch¨aferdichtung nutzten die Form auch, um ihr k¨unstlerisches, ihr soziales, ” ja nicht selten ihr politisches Selbstverst¨andnis vorzutragen“ und Arkadien als sozialen ” Kontrastraum[ ]“ zu entwickeln (Garber 2009: 53). Dabei ist Arkadien abzugrenzen von der griechischen Vorstellung des Elysions. W¨ahrend Arkadien gleichzeitig Zustand und geografischer Ort ist – und damit im Diesseits liegt – ist das Elysion, die Insel der ’ Seligen‘, ein Ort im Jenseits, an den die verstorbenen Helden oder die, denen die G¨otter Unsterblichkeit schenkten, gelangen.

47

Theokrits Idyllen‘ spielten jedoch noch im Norden Siziliens. ’

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Das Bild des Goldenen Arkadiens‘, mit seinem Versprechen von Frieden, Sorglosig’ keit, Tugendhaftigkeit, Freiz¨ugigkeit und Idylle blieb erhalten. Eng damit verkn¨upft sind Bez¨uge auf eine Goldene Zeit“, die durch das unschuldige Kindheitsalter der Menschen“ ” ” gekennzeichnet ist, in dem die Menschen ohne Betr¨ubnis, fern von M¨uhen und Leiden, ” g¨ottergleich lebten“ und in dem die Erde von sich aus alle Nahrung spendete und der Tod ” nur ein Einschlafen war“ (Brunner 1966: 62). Aufgrund der Schlechtigkeit der Zeiten“ sind ” Vorstellungen von einem Goldenen Zeitalter“ vor allem mit dem Gef¨uhl der Sehnsucht ” verkn¨upft (Brunner 1966: 62), wie bei William Churchward und Frieda Zieschank deutlich wurde. Goldene Zeit‘ meint Stehenbleiben der linear fortschreitenden geschichtlichen ”’ Zeit, Herausgenommensein aus ihrem Ablauf, Dauer, Ewigkeit.“ (Brunner 1966: 61) Damit gingen nicht umgesetzte Aussteigerfantasien einher; wer einmal in der S¨udsee gewesen sei, der sehne sich f¨ur den Rest seines Lebens danach, dorthin zur¨uckzukehren. Doch dass es dort auch langweilig sein konnte, wurde mitgedacht (Hesse-Wartegg). Die Autorinnen und Autoren schrieben nicht ausschließlich aus pers¨onlicher Perspektive, sondern vor allem im kolonialen Kontext. Insofern taucht das Motiv der Sehnsucht und der Ewigkeit zwar in den Schilderungen auf, wird aber in Kombination mit dem Kindheits’ alter der Menschen‘ vorrangig zur Unterordnung der einheimischen Bev¨olkerung benutzt. Zudem war in dem Herausgenommensein aus dem geschichtlichen Ablauf‘ keinerlei ’ Entwicklung angelegt, vielmehr wurde ein Zustand konstatiert. Insofern konnte gar keine Entwicklung der samoanischen Bev¨olkerung zu einem zivilisierteren‘ Status hin erfolgen. ’ Einen wichtigen Stellenwert nimmt in den Reiseberichten die Tatsache ein, dass es sich bei Samoa um eine Inselgruppe handelt.48 Es ist also keine gew¨ohnliche‘ Landschaft, die ’ Insel als besonderer Bedeutungsraum hebt die Abgeschiedenheit hervor; dieser Raum ist ” vom Kontinent der bestehenden Kulturen hermetisch abgeschlossen“ (Brunner 1966: 68). Nicht zuf¨allig wurde die Insel immer wieder als Raumform f¨ur Sozialutopien gew¨ahlt (vgl. Brunner 1966: 68). Dadurch entsteht eine deutliche Dialektik: Die geografische Beschaffenheit Samoas als Insel erm¨oglicht eine positive Darstellung, da sie an Erz¨ahltraditionen und mythische Inselvorstellungen ankn¨upfen konnte, gleichzeitig wurde damit Samoas untergeordneter‘ Status determiniert, da Stillstand und Nicht-Weiterentwicklung in dieser ’ Inselwelt angelegt waren. Auch wenn die arkadischen Beschreibungen paradiesischen Zust¨anden a¨ hneln, gibt es doch signifikante Unterschiede zur biblischen Vorstellung des Paradieses als Garten Eden.

48

F¨ur eine ausf¨uhrlichere Darstellung des Inselmotivs in der Literaturwissenschaft siehe Hall (2008): 59-65.

Paradiesvorstellungen | 143

Das biblische Paradies und das Schlaraffenland Der Garten, oder das Paradies, liegt nach christlicher Vorstellung im Osten Edens, einem Land, durch das ein Fluss fließt, der sich hinter dem Garten in vier Flussl¨aufe aufteilt (u. a. Euphrat und Tigris) (vgl. 1. Mose 2, 10-14). Im Garten selber gibt es allerlei Pflanzen, den Baum der Erkenntnis von Gut und B¨ose und den des Lebens, und neben alle[n] Tiere[n] ” auf dem Felde und alle[n] V¨ogeln[n] unter dem Himmel“ (1. Mose 2, 19) lediglich zwei Menschen: Adam und Eva. Der paradiesische Zustand ist im Wesentlichen durch deren Nacktheit und damit verbundene Unkenntnis von Gut und B¨ose verbunden. Die Natur ist freundlich und ern¨ahrt die beiden ohne große M¨uhe, was sich erst mit dem S¨undenfall und der Vertreibung aus dem Paradies a¨ ndert. Nach dem Essen der Fr¨uchte vom Baum der Erkenntnis wird der Garten f¨ur die Menschen zu einem verlorenen Paradies. Damit sie nicht auch noch vom Baum des Lebens essen und damit ewig leben k¨onnen, werden sie von Gott aus dem Paradies vertrieben. Gleichzeitig straft Gott sie: Dem Boden kann nun nur noch mit M¨uhe und Schweiß Nahrung abgewonnen werden; die Frau soll bei der Geburt der Kinder Schmerzen leiden (vgl. 1. Mose 3, 16-17). Diese klassische christliche Paradiesbeschreibung l¨asst sich mit den von Hall genannten Punkten des innocent life“, pure state of Nature“ und nakedness“ (Hall 1992: 300) ” ” ” verbinden. Grunds¨atzlich gleicht Samoa jedoch nicht dem biblischen Paradies, sondern beschrieb eher die Sehnsucht, dieses verlorene‘ Paradies wiederzufinden. ’ Zus¨atzlich tauchen biblische Entlehnungen des Schlaraffenlandes auf. Dieses Land, in dem Milch und Honig fließen, einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen und in dem man nicht alterte (vgl. u a. 5. Mose 6, 3), rekurrierte auf die stereotypen Anteile der Freundlichkeit der Natur sowie auf das arkadische Ewigkeitstopos.

¨ Der Marchenwald Die Vorstellung eines M¨archenwaldes bezieht sich nicht auf die heute bekannten M¨archenw¨alder wie etwa in Ludwigsburg, Saalburg oder Altenberg. M¨archenw¨alder als Freizeitparks wurden erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ins Leben gerufen. Der hier von den Schreibenden und insbesondere Frieda Zieschank genannte M¨archenwald ist vielmehr an die Vorstellung des Waldes angelehnt, der in vielen M¨archen, wie beispielsweise denen der Br¨uder Grimm, eine Rolle spielt oder die Kulisse bietet.49 Dabei geht es nicht darum, dass diese M¨archen ihre Kulisse in den S¨udseew¨aldern Samoas h¨atten finden k¨onnen, sondern, dass es sich bei der vorgefundenen Flora um unbekannte und die Fantasie anregende Anblicke handelte. Aus den Landschaftsbeschreibungen geht hervor, dass in diesen Orten Feen, Zauberinnen, Kobolde oder andere magische Wesen leben k¨onnten. Hierin a¨ ußert sich

49

So bspw. in den M¨archen von H¨ansel und Gretel, Rotk¨appchen, Der Wolf und die sieben Geißlein etc.

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vor allem der erlebte Gegensatz zwischen industrialisierter Herkunftsgesellschaft und damit einhergehender kultivierter Landschaft, die dem Prinzip der N¨utzlichkeit untergeordnet wurde. Auf Samoa, wo – mit Ausnahme europ¨aischer Plantagen – das Land zu großen Teilen nicht urbar gemacht worden war, durfte die Pflanzenwelt die Fantasie anregen. Orte konnten als magisch, traumhaft oder romantisch beschrieben werden und all die Attribute erhalten, die der rationalisierten Sichtweise in der Heimat nicht standhielten. Dabei stellte der M¨archenwald als solcher eine ambivalente Kulisse dar, er war sowohl idyllisch als auch bedrohlich. Ihn zu betreten gleiche einer Reifepr¨ufung; wer den Wald unbeschadet wieder verlassen k¨onne, der k¨onne reich, gl¨ucklich und m¨undig werden (vgl. Breymayer und Ulrich 2011b: 20f.). Zudem war der Wald im ausgehenden 19. Jahrhundert Zufluchtsort f¨ur die von den Auswirkungen der fortschreitenden Industrialisierung gestressten Stadtbewohnenden (vgl. Breymayer und Ulrich 2011b: 29), woraus sich ein ganzer Tourismuszweig entwickelte.50 Schließlich vermittelte die Mythenforschung des 19. Jahrhunderts das Bild eines beseelten Waldes, in dessen Baumst¨umpfen durchaus Waldgeister wohnen konnten (vgl. Lehmann 2011: 43).

Der tropische Wald Neben den Schilderungen des M¨archenwalds gibt es auch Ans¨atze, den vorgefundenen Wald in seiner Fremdheit zu beschreiben. Wie Michael Flitner herausstellt, diente der (Tropen-)Wald als Antithese zum deutschen Wald (vgl. Flitner 2000b: 10).51 Statt Ordnung herrsche Chaos, die Vielfalt der samoanischen Natur stand im Gegensatz zu den Monokulturen und geordneten Laub- oder Mischw¨aldern. Darin dr¨uckt sich ein weiterer Aspekt aus, den Albert Wirz benennt. Ihm zufolge gelten W¨alder als Inbegriff des Wilden und ” Kulturlosen.52 Und wo keine Kultur ist, da gibt es bekanntlich außer der Naturgeschichte auch keine Geschichte“ (Wirz 2000: 23). Busch“ ( bush“), Dschungel“ und Urwald“ 53 ” ” ” ” sind die Begriffe, mit denen auch die Autorinnen und Autoren die sich ihnen bietende

50

Dies war nicht zuletzt der Jugend- und Reformbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts geschuldet.

51

Die in seinem Band vorgelegten Beitr¨age besch¨aftigen sich im kolonialen Kontext u¨ berwiegend mit dem afrikanischen Wald, eine Betrachtung der Vegetation der S¨udsee steht noch aus. Allerdings mag Samoa mit seinen dichten W¨aldern als untypisches Beispiel f¨ur die Vegetation von S¨udseeInseln stehen.

52

F¨ur den deutschen‘ Wald, der ja deutlich anders konnotiert sei, gelte diese Leugnung der ’ ” Geschichte“ als zentrale Denkfigur im westlichen Denken“, so Wirz (Wirz 2000: 23). ” 53 Der Begriff des Urwaldes bezeichnet im biologischen Sinn ein Waldgebiet, das von jedem menschlichen Eingriff freigeblieben ist (vgl. Wirz 2000: 25). Auch wenn das Hinterland Samoas nur d¨unn besiedelt war, so d¨urfte es sich im strengen Sinne nicht um einen Urwald gehandelt haben.

Paradiesvorstellungen | 145

Landschaft schildern. Dabei war der Begriff des Urwaldes mit dem Aufkommen des Darwinismus einem Bedeutungswandel unterlegen. Hatte er zun¨achst das irdische Paradies‘ ’ repr¨asentiert, so stand er nun f¨ur das urzeitliche Chaos“, aus dem heraus im Sinne Darwins ” Lebensformen hierarchisch geordnet wurden (vgl. Wirz 2000). Deutlich zeigt sich in den Quellen jedoch, dass die Bezeichnung als Urwald oder Busch mit der Konnotation des Paradieses durchaus konform ging.54 Obwohl das Land oder die Waldgebiete als belebt, in Teilen auch besiedelt wahrgenommen wurden, schienen sie gleichzeitig in Niemandes Besitz und damit f¨ur koloniale Inbesitznahme geeignet zu sein. In der Summe konnten die Autorinnen und Autoren also auf ein vielf¨altiges Bildangebot zur¨uckgreifen, um ihre Empfindungen einem Lesepublikum zu schildern.55 Um ihre Eindr¨ucke schildern zu k¨onnen, verwendeten die Schreibenden das Motiv des Landschaftsmalers, der entweder versuchte, die Farben und Eindr¨ucke auf die Leinwand zu bringen, oder eben daran scheiterte. Damit waren die Beschreibungen nicht eigent” lich originell, sondern sch¨opften v.a. aus dem romantischen Bilderkanon.“ Gleichzeitig pr¨asentierten sich die Autorinnen und Autoren im Sinne des b¨urgerlichen Kulturpro” ¨ gramms“ als empf¨anglich f¨ur Empfindungen des Asthetischen“. (Kundrus 2003b: 140) ” W¨ahrend bei den Ankunftsszenen der Sonnenaufgang von besonderer Bedeutung war, waren es hier die N¨achte bei Mondschein, die eine besondere Atmosph¨are schufen und die Autorinnen und Autoren vom perfect picture‘ sprechen ließen. ’ Doch die paradiesische Landschaft war f¨ur die Autorinnen und Autoren nicht vollkommen frei von Gefahren. Auch wenn die Fauna als nicht sonderlich ausgepr¨agt beschrieben wurde, so barg doch die Flora Bedrohungen in Form von Schlinggew¨achsen und unheimlicher Stille. Mit der abstrakten Bedrohung durch tropische Krankheiten setzten sich die Schreibenden auch auseinander, betonten jedoch, dass diese auf Samoa Schreckgespenster‘ ’ seien. Damit unterscheiden sich die Darstellungen deutlich vom afrikanischen Diskurs. Auch das samoanische Paradies konnte in der Nacht zur Herausforderung werden f¨ur den, der sich unzureichend vorbereitet draußen aufhielt. Die dagegen tats¨achliche latente Gefahr, die vom vulkanischen Ursprung der Inseln ausging, wurde nur von Wegener als solche begriffen.56 Bei der Schilderung von Bedrohungen auf Samoa ging es weniger darum, Samoa als gef¨ahrlichen oder gar feindlichen

54

F¨ur Schilderungen der afrikanischen Natur mag das anders ausgesehen haben.

55

Die Bedeutung der Waldsymbolik unterschied sich jedoch unter den Nationen; f¨ur Engl¨anderinnen und Engl¨ander war es vermutlich nicht notwendig, ihren Machtanspruch aus der Typik einer ” nationalen Landschaft“ abzuleiten (Lehmann 2011: 46). Zur deutschen‘ Waldsymbolik vgl. ’ Gippert und Kleinau (2014): 200-204.

56

Die Ansichten von Lavafl¨ussen und Rauchwolken sp¨aterer Vulkanausbr¨uche auf Savai’i zwischen 1905 und 1911 wurden als Postkartenmotive ver¨offentlicht (vgl. Nordstr¨om 1995: 30).

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Ort zu schildern. Vielmehr erf¨ullen diese Beschreibungen die Funktion, die Reisenden als mutige Menschen darzustellen und ihren Erz¨ahlungen den Hauch eines Abenteuers zu verleihen. So wurde Spannung aufgebaut, um die Faszination f¨ur diese Inseln beim heimatlichen Lesepublikum zu steigern. Schließlich verfolgten die Autorinnen und Autoren den langfristigen Plan, durch ihre geschilderten Anstrengungen und auf sich genommenen Gefahren eine Vereinnahmung der Inseln oder deren Besitz zu rechtfertigen. Dazu passt die beschriebene Sehnsucht nach der S¨udsee, mit der diese Empfindung naturalisiert wurde. Innerhalb dieser Kulisse kristallisieren sich besondere Orte heraus, die verschiedene Aspekte des gezeichneten Bildes deutlich machen oder auch konterkarieren. Vom Samea-Berg hatten die Reisenden eine besondere Aussicht auf das Meer und die anderen Inseln der Gruppe: Manono, Apolima und Savai’i. Der erh¨ohte Blick ist aus kolonialer Perspektive ein besonderer Standpunkt; ließ er doch die damals nun zum Deutschen Reich geh¨orenden Inseln dem Betrachter zu F¨ußen liegen. Gleichzeitig nehmen mehrere der Autoren eine liegende oder hockende Position ein, was die besondere Bedeutung des Anblicks widerspiegelt. Apolima, von dort sichtbar, ist durch seine geografische Beschaffenheit als nat¨urliche Festung als außergew¨ohnliche Insel geschildert worden. W¨ahrend die Beschreibungen Apolimas selbst recht knapp ausfallen, wird der Weg dorthin von den Schreibenden als Abenteuer stilisiert. Insofern erf¨ullten die Beschreibungen Apolimas vor allem die Funktion, den eigenen Mut herauszustellen, was f¨ur Pierce Churchill als Frau eine besondere Rolle spielte, aber auch f¨ur Genthe von Bedeutung war. Das Einfahren in den ruhigen Hafen Apolimas durch die enge und bedrohliche Passage besaß zudem eine erotische Komponente. Insofern brachten die Schilderungen Apolimas wesentlich andere Aspekte der S¨udseeinseln zum Vorschein, als es die stereotypisierten Beschreibungen Upolus zuvor getan hatten. Hier ¨ ging es nicht mehr um Freundlichkeit, Sanftheit und Uppigkeit der Natur, sondern um ihr Gefahrenpotenzial, die Notwendigkeit, die Insel zu penetrieren‘, indem man in den Hafen ’ einfuhr, einer Mutprobe gleich, f¨ur deren Bestehen man mit dem Besitz‘ eines strategisch ’ wertvollen Ortes belohnt wurde. Der Papase’ea und andere Badegelegenheiten sind Kennzeichen der samoanischen Landschaft. Bereits bei den Ankunftsschilderungen tauchen die im Hintergrund zu sehenden Wasserf¨alle auf, die nun aus n¨achster N¨ahe begutachtet werden. Dabei zeichnen sich diese Orte zum einen durch ihre besondere Sch¨onheit, gerade Lufi Lufi aber durch die Kombination aus Offenheit und Geheimnis aus. Die Badepl¨atze konkurrieren mit den Beschreibungen des perfect picture‘. Schließlich klingt das Motiv der arkadischen Ewigkeit ’ – der Zeitlosigkeit – an, die auf Samoa herrsche. Zum Schluss wird durch die Schilderungen Savai’is die Kategorie der Urspr¨unglichkeit und Unber¨uhrtheit eingef¨uhrt. Hier handelt es sich sowohl um ein Versatzst¨uck der verlorenen paradiesischen Zust¨ande, die man hier nun wiedergefunden zu haben glaubte, als

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auch um eine Anspielung auf den arkadischen Zustand, demzufolge die Ereignisse der geschichtlichen (Weiter-)Entwicklung entzogen seien. Somit sind die Schilderungen Ausdruck der lebensweltlichen Suche nach Sch¨onheit und Authentizit¨at, nach der Ganzheit ” des gesellschaftlichen Systems, des Einsseins und des Friedens mit sich selbst – in einer Zeit zunehmender Verst¨adterung und Massenkultur“ (Kundrus 2003b: 140). Damit ist diesen Schilderungen eine latente Zivilisationskritik57 unterlegt, die auch den Schilderungen der Goldenen Zeit‘ immanent ist (vgl. Brunner 1966: 66). Die Vorschl¨age, Savai’i ’ touristisch zu erschließen, k¨ampfen mit dem Dilemma, unber¨uhrte Orte durch einen Besuch zu ver¨andern und nicht mehr urspr¨unglich belassen zu k¨onnen.

4.3 A NTHROPOLOGISCHE VORSTELLUNGEN ¨ UBER S AMOANERINNEN UND S AMOANER Mit derselben Selbstverst¨andlichkeit, wie heutige Reiseberichte von Land und Leuten erz¨ahlen, widmeten sich die meisten Autorinnen und Autoren der Beschreibung der samoanischen Bev¨olkerung. Insgesamt wurde die samoanische Bev¨olkerung zwar als Teil der Inselwelt begriffen, blieb aber randst¨andig, was Pers¨onlichkeiten anging. In seltenen F¨allen wurden samoanische M¨anner oder Frauen mit Namen erw¨ahnt, Ausnahmen stellten enge Hausbedienstete, manchmal Frauen und der jeweils machthabende K¨onig‘ dar. ’ Der erste Kontakt zu ans¨assigen Menschen fand bereits mit der Ankunft auf Samoa statt und auch in allen mit der Inselwelt verkn¨upften Vorstellungen und Analogien sind die Inseln bewohnt. Neben die M¨archen- und Fabelwesen, deren Anwesenheit in etlichen Quellen imaginiert wurde, traten die menschlichen Bewohnerinnen und Bewohner Samoas. Ihnen begegneten die Autorinnen und Autoren in einem besonderen kolonialen Kontext als Missionare, Beamte, Siedlerinnen und Siedler, Journalisten, Touristinnen und Touristen oder in Begleitung ihrer Ehem¨anner. Verkn¨upft mit dem zeitgen¨ossischen Rassediskurs‘ stellen sich nun verschiedene ’ Fragen nach dem Menschenbild (4.3.1). Wie werden die Samoanerinnen und Samoaner wahrgenommen, als gut oder b¨ose, wohlgesonnen oder feindlich gesinnt? L¨asst sich an bekannte Stereotype des Edlen Wilden oder der Naturkinder‘ ankn¨upfen? Sind die ange’ troffenen Menschen zu sch¨utzen oder zu unterwerfen? Dem schließen sich Fragen nach der Einordnung innerhalb zeitgen¨ossischer rassischer‘ Annahmen an. Die Unterscheidung ’ zwischen Menschenbild und Rasse‘ kann nicht trennscharf erfolgen, da beide Konzepte ’ ¨ miteinander verquickt sind. Dennoch gibt es in den Quellen explizite Außerungen zu

57

Damit ausf¨uhrlich besch¨aftigt sich Kapitel 6.4.

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rassischer Zugeh¨origkeit‘, die die samoanische Bev¨olkerung von Menschen anderer In’ seln oder geografischer Gebiete abgrenzen. Wenn im Kontext von afrikanischen Kolonien von Schwarzen Menschen die Rede ist, l¨age zun¨achst die Vermutung nahe, dass auch die S¨udseebewohnerinnen und -bewohner als solche bezeichnet w¨urden, wobei hier zwischen mela-, mikro- und polynesischen Inselgruppen unterschieden werden muss. F¨ur Samoa aber grenzen sich die Schilderungen durchweg von dieser Bezeichnung ab. Die Inselbewohnerinnen und -bewohner werden an keiner Stelle als Schwarz, sondern als braun – in allen Schattierungen u¨ ber kastanienbraun bis bronzefarben – markiert. Diese Schilderungen, verstanden als rassisierende‘ Zuordnung, werden im Kapitel 4.3.2 diskutiert. ’ Auch die Frage nach der Mischlingsbev¨olkerung‘ (4.3.3) stellen die Texte der Autorin’ nen und Autoren, waren doch Verbindungen von samoanischen Frauen und europ¨aischen M¨annern keine Seltenheit.Weiterhin richtet sich der Fokus auf die Schilderungen kannibalistischer Rituale auf Samoa (4.3.4). Hier geht es um Sicherheitsaspekte der Reisenden, zugleich jedoch um zivilisatorische‘ Fragen und die Entwicklungsstufe der samoanischen ’ Bev¨olkerung.Schließlich sollen die geschlechtsspezifischen Konstruktionen von Weiblichkeit und M¨annlichkeit sowie das Geschlechterverh¨altnis herausgearbeitet werden, was R¨uckschl¨usse auf die Selbstverortung der Schreibenden zul¨asst (4.3.5). In Kapitel 4.3.6 werden die Ergebnisse zusammengefasst und theoretisch verortet.

4.3.1 Menschenbild Grunds¨atzlich war die einheimische Bev¨olkerung nicht besonders zahlreich, Tripp sch¨atzte ihre Zahl und fasste grundlegende Eigenschaften zusammen: The estimated native population is about 35,000. It is slowly decreasing, which seems to be the destiny ” of the barbarian race at the approach of civilization. They are Polynesian in type and among the finest specimens of their race, tall, large, and muscular, with a dignity and presence that would become nobility and excite the envy of the stage.“ (Tripp 1911: 154)

Er spielte damit auf die Erz¨ahlung des Untergangs der urspr¨unglichen Naturv¨olker‘ bei ’ Kontakt mit Kulturv¨olkern‘ an, wobei er der einheimischen Bev¨olkerung polynesischen ’ ’ Typs‘ durchaus positive Eigenschaften bescheinigte. Wie auch in den Ankunftsszenen bereits erkennbar, betrachteten die Autorinnen und Autoren die samoanische Bev¨olkerung u¨ berwiegend als homogene Entit¨at. Selten wurden einzelne Individuen benannt, und noch seltener im w¨ortlichen Sinne be-nannt, also mit Namen genannt, sondern stattdessen Eigenschaften f¨ur das gesamte samoanische Volk‘ ’ definiert.

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So auch bei Brown, der nicht nur positive Eigenschaften der Samoanerinnen und Samoaner wahrnahm, sondern sich auch ihrer Schw¨achen bewusst war: I have repeatedly said that the Samoans were, at all events in my time, a very kind and lovable people; ” but it is equally correct to say that they were a people quick to resent an insult or injury, and quite ready to fight with their neighbours for what we would think most trivial causes.“ (Brown 2013/1908: 42)

Der H¨oflichkeit und Liebensw¨urdigkeit der Bwohnerinnen und Bewohner stellte Brown eine gewisse Empfindlichkeit und die Bereitschaft zu K¨ampfen aus trivialen Gr¨unden‘ entgegen. ’ In der folgenden Passage von Wegener zeichnen sich diverse Facetten ab: Abgrenzung von anderen S¨udseenationen, Nation, Naturkinder‘, Liebensw¨urdigkeit. ’ Die Samoaner sind eine ungew¨ohnlich liebensw¨urdige Nation von heiterem, fr¨ohlichem Grundzug, ” hochentwickelter Gastlichkeit und vielfach ritterlicher Gesinnung. Daß daneben auch Z¨uge eines naiven Egoismus und gelegentlich aufflammender Grausamkeit zu erkennen sind, darf, wie bemerkt, bei einem der Natur der Kinder nahestehenden Naturvolke nicht auffallen, und daß ein kriegerischer Zug in ihnen lebt, wie sie durch die vielen und hartn¨ackigen Parteik¨ampfe der letzten Jahrzehnte besonders gezeigt haben, wird der Angeh¨orige einer kriegst¨uchtigen Nation eher als Lob, denn als einen Tadel ansehen. Ihre geistige Beweglichkeit, ihr nat¨urlicher, bildungsf¨ahiger Verstand erheben sie weit u¨ ber das Niveau der V¨olker, die unsere melanesische Kolonie bewohnen.“ (Wegener 1903: 41)

In dieser Passage steckt ein breites Spektrum m¨oglicher Beschreibungsans¨atze und seine Ambivalenz. Zun¨achst werden die Samoanerinnen und Samoaner als Nation‘ bezeichnet, ’ und das von jemandem, der die Reichsgr¨undung und K¨ampfe um den Nationenbegriff als Kind schon mitbekommen hatte. Im gleichen Satz rekurriert Wegener auf die Ritterlichkeit, eine Tugend, die in feudalen Strukturen und im Mittelalter beheimatet ist. Kaum einen Halbsatz weiter, benennt er die samoanische Bev¨olkerung wieder als Kinder“ und Natur” ” volk“, was mit dem Begriff einer Nation nur schwer u¨ berein zu bringen ist. Dennoch l¨asst er eine Ann¨aherung an die deutsche Bev¨olkerung zu, wenn er auf ihren Kriegsmut abhebt. Der letzte Satz mag nun wieder Orientierung bringen; auch wenn die Samoanerinnen und Samoaner in letzter Konsequenz nicht mit den Deutschen mithalten k¨onnen, so heben sie sich zumindest von Bewohnerinnen und Bewohnern der melanesischen Inseln deutlich ab, womit der gemeinsame Bezugsrahmen wieder hergestellt ist: Sowohl die deutsche, als auch ¨ die samoanische Rasse‘ zeichnen sich durch Uberlegenheit aus, wobei die deutsche der ’ samoanischen jedoch u¨ bergeordnet ist. Wegeners diffuse Schilderungen spiegeln hier auch ein ungekl¨artes Rollenverst¨andnis wider, immerhin musste der Spagat zwischen Ausdruck von Bewunderung und gleichzeitig legitimiertem Herrschaftsanspruch gelingen. Die Autorinnen und Autoren versuchten sich wiederholt an kompakten Zusammenfassungen der Eigenschaften der Samoaner und Samoanerinnern. Insgesamt zeigt sich eine

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breite Palette an vermeintlichen Eigenschaften und Charakterz¨ugen. So fasste Zieschank zusammen: Die hervorstechendsten Eigenschaften der braunen Menschen sind Liebensw¨urdigkeit, H¨oflichkeit und ” – souver¨ane Verachtung unn¨otiger Arbeit oder ihnen unn¨otig erscheinender! Ihr Intellekt ist bedeutend; alle k¨onnen lesen und schreiben, ganz besonders aber reden! Der Samoaner redet wie ein Buch! Er bedient sich stets einer blumenreichen Ausdrucksweise, und die Leidenschaft f¨ur die Ausschm¨uckung seiner Rede geht so weit, daß Frau Wahrheit trauernd ihr Haupt verh¨ullen muß! Dabei handelt es sich selten um zielbewußte L¨ugen, sondern nur um Freude am Spiel der Phantasie.“ (Zieschank 1918: 25)

An sp¨aterer Stelle f¨ugte sie hinzu: Intelligent und bildungsf¨ahig sind sie alle, ihr Grund” charakter zeigt keine wesentliche Verschiedenheit von dem unsern [. . . ].“ (Zieschank 1918: 108) W¨ahrend Zieschank der samoanischen Bev¨olkerung Bildungsf¨ahigkeit und Intelligenz nachsagte, vor allem aufgrund ihrer rednerischen F¨ahigkeiten, kam Pierce Churchill zu einem anderen Ergebnis: The Samoan intelligence does not take kindly to innovations ” of any sort, a thing which can be done just as the fancy moves seems to them scarcely worth doing, the real things of life are governed by set rules and forms and ceremonies.“ (Pierce Churchill 1902: 85) Deutlich wird, dass samoanisches Leben durch Regeln und Zeremonien strukturiert sei.58 Sie belegte die mangelnde Bildungsf¨ahigkeit etwa damit, dass den Menschen auf Samoa bildliche Darstellungen fremd waren, und sie diese, so Pierce Churchill, nicht lesen‘ ’ k¨onnten. The pictorial is entirely absent. [. . . ] Races much lower in the scale of development make rude pictures ” of men and animals; the Samoans not only are utterly unable to draw even a suggestion of an object set before them, but they seem at a loss to recognize even the most faithful reproduction of an object. Thus only is it possible to explain how it comes that most Samoans, when looking at a photograph, turn it a quarter of the way around instead of holding it with the bottom of the picture horizontal.“ (Pierce Churchill 1902: 77f.)

Da der Umgang mit Fotografien und bildlichen Darstellungen f¨ur Europ¨aerinnen und Europ¨aer eine Selbstverst¨andlichkeit darstellte, machte sie die samoanische Bev¨olkerung hier l¨acherlich. Die wohl kompakteste Beschreibung der Samoanerinnen und Samoaner lieferte Charles S. Greene, indem er festhielt: [T]hey are a noble race, simple, honest, affectionate, ” and above all hospitable. They have strict ideas of etiquette, and their ceremonies among themselves are full of polite expressions and punctilious observances.“ (Greene 1896: 16f.) Greene betonte an verschiedenen Stellen, dass es f¨ur interessierte Reisende unabdingbar

58

Diesen Aspekt lohnt es sich im Hinterkopf zu behalten, wenn an sp¨aterer Stelle auf das s¨uße ’ Nichtstun‘ der samoanischen Bev¨olkerung angespielt wird.

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sei, nicht nur die samoanische Bev¨olkerung rund um Apia zu betrachten und sich nicht auf die Kenntnisse zu verlassen, die Ausstellungen oder Berichte in der Heimat vermittelten (vgl. Greene 1896: 17), sondern Samoa fernab von Apia zu erkunden, um den nat¨urlichen ’ Zustand‘ mit all seinen strange and beautiful customs“ (Greene 1896: 18) zu erleben. Im ” Anschluss an diese Aufforderung berichtete Greene jedoch wiederum von Taupou, Kava und Palolo,59 also den gleichen Br¨auchen und Ereignissen, an denen sich bereits andere Schilderungen abgearbeitet hatten, und f¨ur deren Erleben ein Besuch Apias ausreichte. Insofern durchbricht auch er hier nicht das stereotype Darstellungsmuster. Michael Myers Shoemaker war kaum von Bord des Schiffes gegangen, als ihm die ersten Samoanerinnen und Samoaner auffielen, deren Erscheinungsbild er beschrieb: The traveller is at once impressed with the unusually fine appearance of the natives. The men are ” strong and muscular and healthy-looking, while the women might certainly be called robust. [. . . ] The natives are pleasant-mannered and perfectly friendly, and a stranger may travel alone over the land with perfect safety.“ (Myers Shoemaker 1898: 42)

Neben den k¨orperlichen Beschreibungen taucht der Sicherheitsaspekt auf. Von den samoanischen M¨annern schien zun¨achst keine Gefahr auszugehen, ein wichtiger Aspekt f¨ur Europ¨aer, denen in der Entdeckungsgeschichte‘ nicht alle Inselbewohner freundlich ’ gesonnen gewesen waren. Bartlett Tripp hatte Mataafa und dreizehn Chiefs an Bord der Badger geholt, um Verhandlungen u¨ ber die Entwaffnung zu f¨uhren,60 und gab nachfolgend die Charakterisierung der samoanischen Bev¨olkerung: The Samoans are a light-hearted, good-natured people, ” a passionate, emotional race, quick to resent and ready to forgive. They have nothing sullen or treacherous in their character. They are all an amiable, simple, confiding people.“ (Tripp 1911: 104) Ihn faszinierte ihr aufbrausendes Temperament und die gleichzeitige Bereitschaft, schnell zu vergeben, was an Browns Darstellung erinnert. No other race of ” people on the globe perhaps are angered so quickly and forgive so readily.“ (Tripp 1911: 104) Die Szene auf der Badger beschrieb er noch genauer. Their bodies [Mataafas und seiner Chiefs, G. F.] were freshly oiled, which brought out distinctly ” the brilliant tattooing of the trunk and limbs (a relic of barbarian customs to which every tribe still religiosly adheres), and the splendid muscles of the limbs and body were displayed to best advantage by their native dignity of carriage, which is a distinguishing feature of their race.“ (Tripp 1911: 54f.)

59

Mehr dazu in Kapitel 5.

60

Wie eingangs dargestellt, war Tripp Mitglied der internationalen Kommission, die die Inseln befrieden sollte. Dazu wurden Mataafa und sp¨ater auch sein Konkurrent Tanu zu Verhandlungen auf die Badger geladen (vgl. Tripp 1911: 52ff.).

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Das Ein¨olen der K¨orper schien von m¨annlichen Autoren als eher beeindruckend wiedergegeben zu werden, w¨ahrend sich Frieda Zieschank vor allem an dem damit einhergehenden Geruch st¨orte:61 Man lebt so best¨andig unter ihren freundlichen, gutm¨utigen, aber un” endlich neugierigen Blicken, und besonders f¨allt mir der starke Geruch ihrer o¨ lgetr¨ankten K¨orper auf die Nerven. Ich muß gestehen, daß deshalb bis jetzt die Samoaner f¨ur mich eher zu den Plagen als den Sch¨onheiten des Landes z¨ahlen! Nur mit M¨uhe ringe ich mich dazu durch, sie objektiv zu betrachten.“ (Zieschank 1918: 22) Zieschank machte im Folgenden den Versuch, diese objektiv zu schildern. Doch aus ihren Zeilen wird bereits die Fremdheitserfahrung deutlich. Freundlichkeit und Gutm¨utigkeit geh¨orten zwar auch zu den Eigenschaften, die Zieschank der samoanischen Bev¨olkerung zuschrieb, doch fielen ihr ebenso deren neugierige[ ] Blicke“ auf; sie st¨orte sich an den ” musternden Blicken. Im Grunde war es aber Zieschank selbst, die die Samoanerinnen und Samoaner best¨andig beobachtete, um dem heimatlichen Lesepublikum einen Eindruck schildern zu k¨onnen. Schlussendlich offenbarte sie durch ihre Beschwerde ihre exponierte Stellung; sie war eine Fremde, die beobachtet werden konnte, da sie sich nicht in einer – zahlenm¨aßig gr¨oßeren – Menge verstecken konnte. Neben Zieschank war es im Wesentlichen Llewella Pierce Churchill, die den verkl¨arenden Darstellungen etwas entgegenhielt und auf negative Eigenschaften rekurrierte. From the distant view-point the Samoans have been made to appear as a noble race of men, filled ” with high aspirations, generous, capable of governing themselves if only they are protected from the rapacity of the white man. It is only on the nearer view that it is seen that with more truth it might be said of them that they are greedy and grasping, puffed up with a sense of their own importance, untruthful and never to be relied upon, for no obligation has been found which has proved sufficiently solemn to bind them.“ (Pierce Churchill 1902: 14)

Damit wandte sie sich explizit gegen u¨ bliche Darstellungen und offenbart, welche Eigenschaften, fast schon Tugenden, Pierce Churchill wichtig waren: Bescheidenheit, Ehrlichkeit und Verl¨asslichkeit geh¨orten dazu. Bei ihrer Beschreibung der schwimmerischen Qualit¨aten der Samoanerinnen und Samoaner scheint es, als beschreibe Pierce Churchill eine Tierrasse. They are almost to be classed as amphibious, so much at home are they in and on the sea. ” They swim before they walk, they have to learn locomotion on land, swimming seems to come by instinct.“ (Pierce Churchill 1902: 88) Und weiter: They do not swim after the ” methods taught in schools. Theirs is a natural stroke, such as is used by all quadrupeds whose bodies balance in water much as the human body floats.“ (Pierce Churchill 1902: 89)

61

Vergleiche dazu in Kapitel 4.3.5 die Ausf¨uhrungen Genthes und Churchwards.

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Ihre Schwimmbewegungen seien der nat¨urliche Bewegungsablauf des krabbelnden Kleinkindes; einem im Sand krabbelnden Kind werde ein kleiner Stoß versetzt, und schon befinde es sich in seinem nat¨urlichem Element, dem Ozean (vgl. Pierce Churchill 1902: 89f.). Der Gebrauch von biologistischer Sprache – Pierce Churchill spricht sowohl von der Kategorisierung als Amphibien, von Fortbewegung an Land, als auch von Instinkt und Vierbeinern – zeigt, dass sie hier nicht auf Augenh¨ohe von der samoanischen Bev¨olkerung spricht, sondern diese als eine lediglich menschen¨ahnliche Spezies betrachtet, f¨ur deren Beschreibung und Kategorisierung Vergleiche mit der Tierwelt n¨aher l¨agen. William Churchward begegnete bei einem seiner Ausfl¨uge zuf¨allig einer Gruppe von Sch¨ulerinnen und Sch¨ulern, die ihre Entlassungsfeier begingen und verortete sie bereits im Fiktionalen. Each little creature, book or slate in hand, came as far as possible towards us on the rock, waving tiny ” hands in joyous glee, and pipping out shrill crows of welcome in the quaintest manner. With fat, small, rotund, shining bodies, naked to the waist, and their big, dark lustrous eyes glitterin with merriment, they were perfect dark cherubs in appearance, and worthy of a place in any picture.“ (Churchward 1887: 197f.)

Hier werden die Kinder als perfekte dunkle Engel‘, dunkle Cherubim‘, dargestellt, und ’ ’ mit den großen Augen sowie einer runden, wohlgen¨ahrten Statur positiv attribuiert. Gegen¨uber den europ¨aischen Fremden hatte die samoanische Bev¨olkerung oftmals die Position eines Natur‘- bzw. Kindervolkes‘ einzunehmen. Dies implizierte verschiedene ’ ’ Aussagen. Zun¨achst galten Kinder gegen¨uber Erwachsenen als unterlegen und noch nicht weit genug entwickelt. Somit fand eine Hierarchisierung statt. Gleichzeitig galten Kinder per se als schutzbed¨urftig, konnten dementsprechend auf besondere Aufmerksamkeit hoffen und durften paternalisiert werden. Dar¨uber hinaus war damit auch die Vorstellung konnotiert, dass Kinder die Wahrheit sprechen, auf ihr Wort also besonderer Verlass sei. Statt aber Samoanerinnen und Samoaner selber sprechen zu lassen, sprach man f¨ur sie, konnte sich damit also des Wahrheitsanspruches bedienen. Zudem konnte man ihnen Liebensw¨urdigkeit, Sch¨onheit sowie diverse Attribute zuschreiben und auf deren G¨ultigkeit bestehen, ohne sich um – gleichberechtigten – Widerspruch oder kontr¨are Darstellungen k¨ummern zu m¨ussen. Und schließlich folgte man mit dieser Darstellung einer Lebensaltermetaphorik, die die samoanische Bev¨olkerung als in einer kindlichen Entwicklungsstufe verhaftet sah, der europ¨aische V¨olker bereits entwachsen seien. Ich beginne mit Samoa. Hier betrat ich zum ersten Male einen unserer Tropenarchipele, und wohl ” war deshalb der Eindruck ihrer Landschaft und ihres Volkes besonders stark; allein auch am Ende meiner Wanderung blieb mir die Meinung, daß dieser Archipel der anmutreichste unter unseren mit so

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viel Sch¨onheit gesegneten Besitzt¨umern im Stillen Meer, dieses Volk das liebensw¨urdigste unter den unserm Schutz unterstellten Kinderv¨olkern jener fernen Welt vorstellt.“ (Wegener 1903: 18)

Aus der Schilderung als Kinder‘ ergab sich der legitimatorische Anspruch des Schutzes ’ und der Beherrschung. An etlichen Stellen wurde die samoanische Bev¨olkerung als noch im Naturzustand befindlich beschrieben. Dieser Zustand wurde im Gegensatz zur zivili’ sierten‘ westlichen Welt nicht notwendigerweise als r¨uckst¨andig, sondern im Gegenteil als verlorener Zustand eingestuft, nach dem sich zu sehnen durchaus legitim erschien. So unendlich anmutig die Landschaft Samoas ist: dasjenige, was f¨ur den fremden Besucher den ” Hauptreiz der wunderbaren Inselwelt ausmacht und sein Herz f¨ur immer mit Sehnsucht erf¨ullt, was einen Hauch zarter Poesie dar¨uber ausgießt, ist doch die Sch¨onheit und Liebensw¨urdigkeit der Bev¨olkerung, die dort unter feinen Palmen wandelt. K¨orperliche und geistige Anmut, die Einfachheit eines Naturvolkes und der poetische Adel homerischer Menschen treten uns in ihnen entgegen. Ebenso wie die Kinder, mit denen man sie reiferen Kulturv¨olkern gegen¨uber gern vergleicht, ermangeln sie der Fehler nicht, allein ich kenne keinen unbefangenen, offenherzigen Beobachter, der sie in l¨angerem Umgange nicht auch liebgewonnen h¨atte.“ (Wegener 1903: 39)

Wegener benannte die bin¨aren Unterscheidungsmerkmale explizit: Naturvolk‘ auf der ’ einen, Kulturvolk‘ auf der anderen Seite, Einfachheit‘ gegen¨uber Reife‘. Zudem lassen ’ ’ ’ sich die im vorangegangenen Kapitel bereits dargestellten Entlehnungen des Goldenen Arkadiens nachweisen. Genthe fasste es kompakt zusammen: Trotz 70 Jahren Christentums ” und einem halben Jahrhundert europ¨aischen Handels stehen die Samoaner, allein von allen S¨udseev¨olkern, noch heute ganz auf der Stufe des unverdorbenen Naturkindes.“ (Genthe 1908: 278) Trotz der zivilisatorischen‘ Unterlegenheit behielten die Insulanerinnen und ’ ¨ Insulaner ihre moralische Uberlegenheit u¨ ber die europ¨aischen Fremden. Dies implizierte, dass der weiter entwickelte‘ Mensch nicht notwendigerweise auch zum besseren‘ ’ ’ Menschen wurde, da das Naturkind‘ zumindest seine Unverdorbenheit behielt. ’ Neben dem Begriff des Kindes taucht an einigen Stellen der des Wilden‘ bzw. Edlen ’ Wilden auf: Here [in Apolima, G. F.], apart from the world in a veritable garden of Eden ” in its beauty, live a people free from guile, true types of manly and womanly beauty; giants in strength, yet simple and trusting as children, – noble savages.“ (Moors zit. n. Greene 1896: 48) Diese Edlen Wilden leben noch im paradiesischen Zustand vor dem S¨undenfall. Auch Churchward ließ diese Bezeichnung fast beil¨aufig fallen, [a] lot of noble savages were ” scattered about the village [Pago Pago, G. F.][. . . ]“ (Churchward 1887: 342). Mitunter findet sich der Begriff des Wilden‘ auch in den Quellen in Anf¨uhrungsstriche gesetzt (vgl. ’ u. a. Zieschank 1918: 107). Derart auch bei Hesse-Wartegg, dem zufolge die einheimischen Menschen einerseits nicht genug der Wildheit‘ und andererseits zu viel einer harmonischen ’

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Wunschvorstellung enthielten, was die Bezeichnung als Wilder‘ unpassend erscheinen ’ ließ. Sie wollen allein gelassen werden und gl¨ucklich sein. Hier, unter den gr¨unen Domen der ” sch¨ongeschwungenen Palmenwedel, im Schatten der strotzenden, dunkelgr¨unen Brotfruchtb¨aume, in diesen leichten, luftigen, einfachen H¨utten, fern von allem Kummer, allen Sorgen unserer so viel gepriesenen Kultur, hier lernt man erst, was Gl¨uck wirklich heißt. F¨ur die Eingeborenen bedeutet Gl¨uck Sorglosigkeit. Liegt ein solcher Wilder‘ [sic!] auf seiner Matte, sein h¨ubsches, molliges Liebchen zur ’ Seite, so braucht er sich nicht um die Zukunft zu k¨ummern.“ (Hesse-Wartegg 1902: 206)

Das sorgenfreie Leben war ein weiteres Kriterium, das die Autorinnen und Autoren der samoanischen Bev¨olkerung immer wieder nachsagten. Die paradiesische Umgebung erlaube es ihren Bewohnerinnen und Bewohnern, ein vermeintlich sorgenfreies Leben zu f¨uhren, in Ruhe und ohne den Stress der zivilisierten‘ Welt. Zieschank versuchte es plakativ auf den ’ Punkt zu bringen: Die Hauptsache im Leben der Samoaner ist Tanz und Spiel.“ (Zieschank ” 1918: 26) So auch Genthe: In der Tat, bei diesen gl¨ucklichen Tagedieben, die von fr¨uh bis ” sp¨at in g¨ottlicher Faulheit schlemmen und nur Lachen, Singen und Plaudern, Essen und Rauchen als Berufst¨atigkeit zu kennen scheinen, ist der Tanz geradezu eine gesundheitliche Notwendigkeit.“ (Genthe 1908: 105f.) Diese g¨ottliche Faulheit“ verkennt jedoch das durchaus strukturierte Leben, von ” dem die Quellen bereits berichteten. Greene zeichnete ein simples Bild von dem, was es zum Gl¨uck eines samoanischen Menschen brauche. With kava to drink and cocoanuts, ” breadfruit, taro, and yams to eat, aided by fish from the ocean and streams, and occasional fowl or pig cooked faa Samoa‘ – Samoan style, – that is, wrapped in banana leaves and ’ bakes on hot stones, in a hole in the ground, clambake fashion, – the natives are happy [Herv. i. O.].“ (Greene 1896: 21) Damit schloss er sich der g¨angigen Deutungsweise an, dass ein einfacher Lebensstil automatisch zu einem gl¨ucklichen Leben f¨uhre. Pierce Churchill ließ dazu wie in einem Nebensatz fallen: A long nap during the day is looked upon as a necessity by everybody, ” and all make a point of taking it when and where they may.“ (Pierce Churchill 1902: 41f.) Pausen und Mittagsschl¨afchen einzulegen war den Quellen zufolge m¨oglich, da die Samoanerinnen und Samoaner keiner Erwerbsarbeit nachzugehen hatten. Sie sch¨atzen ” die Natur nur insoweit, als sie ihnen alle ihre Bed¨urfnisse liefert, ohne daß sie zu arbeiten brauchen, und sind deshalb nach ihrer Art gl¨ucklich.“ (Hesse-Wartegg 1902: 263) Die ¨ Uppigkeit der Natur verursache also die Faulheit der Menschen, die diesen – Genthe zufolge – jedoch nicht zum Nachteil gereiche. Man sollte meinen, daß Leute, die unter tropischem Himmel den ganzen lieben langen Tag auf ” der B¨arenhaut oder in diesem Falle auf ihren weichen, aus Pandangbl¨attern geflochtenen Matten

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liegen, kr¨anklich und schw¨achlich werden und gar bald durch den Mangel an Bewegung und T¨atigkeit zugrunde gehen m¨ußten. Es gibt wohl kaum ein Volk unter der Sonne, das die Faulheit, das s¨uße Nichtstun so sehr zum obersten Grundsatz der Lebensf¨uhrung gemacht h¨atte wie das samoanische.“ (Genthe 1908: 103)

Dabei waren die Samoanerinnen und Samoaner weit entfernt davon, nichts zu tun. Als Kategorie diente jedoch die Weiße Sicht der (Erwerbs-)Arbeit, alle anderen T¨atigkeiten wurden nicht anerkannt. Hesse-Wartegg a¨ ußerte sogar Verst¨andnis f¨ur diese Lebensf¨uhrung. Bei dieser Ueppigkeit ist es erkl¨arlich, warum die guten Leutchen lieber faulenzen als arbeiten. Bei ” einiger Anstrengung k¨onnten sie ganz wohlhabende Leute sein und alle ihre kleinen W¨unsche so leicht befriedigen. Sie essen f¨ur ihr Leben gern P¨okelfleisch, Speck und Lachs in B¨uchsen, ihre Frauen und M¨adchen naschen mit Vorliebe Lollis (Bonbons). Aber die M¨anner sind zu faul, um ihre eigenen W¨unsche zu befriedigen, und zu wenig galant, um jene ihrer Weiber zu erf¨ullen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 263)

Hesse-Wartegg spielte auf die ersten Versuche der Missionare an, die samoanischen Menschen zur Erwerbsarbeit zu erziehen, was sich jedoch als erfolglos herausgestellt hatte, da der Lebensunterhalt auch ohne eine solche bestritten werden konnte. So begr¨undeten viele der sp¨ateren Autorinnen und Autoren die Tatsache, dass die samoanische Bev¨olkerung sich noch nicht signifikant weiterentwickelt habe. Darin a¨ ußert sich vor allem die eurozentristische Vorstellung von der Verkn¨upfung von Arbeit und Wohlstand. Man sieht, der Samoaner braucht sich um seine Kleidung und seinen Unterhalt nicht viel zu k¨ummern. ” Seine Inseln geben ihm alles, was er bedarf, wozu also europ¨aische Artikel kaufen? Wozu arbeiten? In absehbarer Zeit wird also auf eine besondere Steigerung des bis jetzt recht unbedeutenden Handels mit den Eingeborenen nicht zu rechnen sein.“ (Hesse-Wartegg 1902: 310)

Gleichzeitig wurde diese R¨uckst¨andigkeit‘ positiv bewertet, hier unverf¨alscht“, an anderen ’ ” Stellen als echt‘ und urspr¨unglich‘ bezeichnet.62 Zieschank betrachtete das Thema Arbeit ’ ’ a¨ hnlich wie Hesse-Wartegg: Der Samoaner ist kein regelm¨aßiger Arbeiter, wenigstens bis ” jetzt noch nicht. Er hat es eben nicht n¨otig! Die wunderbare Fruchtbarkeit seines Landes erf¨ullt alle seine Bed¨urfnisse, ohne daß er sich anzustrengen braucht.“ (Zieschank 1918: ¨ 96) Ahnlich dr¨uckte es Hesse-Wartegg aus: Die g¨utige Mutter Natur sorgt f¨ur die Samoaner in so reichlichem Maße, daß sie zur Arbeit und damit ” auch zum Erwerb nur schwer erzogen werden k¨onnen, und deshalb ist bei ihnen auch alles beim alten geblieben, wie es vor hundert Jahren und noch fr¨uher war, besonders auf der Insel Sawaii, wo sie

62

Prominentes Beispiel daf¨ur sind die Schilderungen u¨ ber Savai’i (Kapitel 4.2.3).

Anthropologische Vorstellungen uber Samoanerinnen und Samoaner | 157 ¨

mit Europ¨aern nur wenig, in manchen Teilen u¨ berhaupt nicht in Ber¨uhrung kommen. Kein Volk der S¨udsee hat seine altangestammten Sitten und Gebr¨auche so unverf¨alscht erhalten wie die Bewohner der neuesten deutschen Kolonie.“ (Hesse-Wartegg 1902: 312)

Churchward war dagegen einer der wenigen, die nicht in dieses Darstellungsmuster verfielen. Er lieferte kaum Stellen, die die Liebensw¨urdigkeit oder Sch¨onheit der samoanischen Bev¨olkerung beschreiben, daf¨ur schien das Wahrgenommene f¨ur ihn kaum in Worte zu fassen zu sein, die empfundene Fremdheit kaum einen Ausdruck zu finden. So zu einem Anlass, als er bei einem Waldspaziergang eine Gruppe samoanischer M¨anner und Frauen traf, die dabei waren, Material f¨ur den Hausbau zu sammeln, also arbeiteten‘. ’ All engaged in the work are dressed most fantastically, wearing every kind of bush ornament pro” curable. They crown their heads with heavy garlands of bush creepers, thickly studded with the brightest-coloured bush flowers. [. . . ] Altogether their appearance is most weird and strikingly primitive. I don’t know anything to compare it to.“ (Churchward 1887: 169)

Churchward stieß hier offenbar an die Grenzen des f¨ur ihn Beschreibbaren. W¨ahrend Landschaften in der Regel mit europ¨aischen Vergleichen fassbar wurden, ließ sich kein entsprechendes Pendant zu dem primitiven‘ Aussehen der Samoanerinnen und Samoaner ’ im Busch‘ finden. Doch zeigt sich hierin, dass die samoanische Bev¨olkerung durchaus in ’ der Natur arbeitete, die Menschen also zum einen einer T¨atigkeit nachgingen und ihnen zum anderen nicht alles von der Natur fertig gegeben wurde. Doch dies wurde aus Weißer Sicht nicht gesehen, geschweige denn anerkannt. Die rassisierenden‘ Untert¨one und dazugeh¨origen Konstruktionen werden nun im ’ Folgenden n¨aher beleuchtet.

4.3.2 Die polynesische Rasse‘ ’ In Bezug auf den S¨udseeraum ist von Bedeutung, dass zwischen Polynesien, Mikronesien und Melanesien sowie den zugeh¨origen Rassen‘ unterschieden wurde. Dabei schnitt ’ Polynesien im Gegensatz zu den anderen beiden Gebieten meist am vorteilhaftesten ab. Wir unterscheiden deshalb in der S¨udsee heute drei Hauptst¨amme: die Melanesier mit mehr oder ” minder neger¨ahnlich dunkler Hautfarbe, langem Sch¨adel und krausem Haupthaar; die Polynesier mit hellbrauner Haut, kurzem Sch¨adel und schlichtem Haar; und endlich die Mikronesier mit nicht so einfach zu schildernden Charakterz¨ugen, die aber im großen und ganzen den Polynesiern n¨aher verwandt sind als den Melanesiern.“ (Wegener 1903: 16)

Dabei stand fest; [d]ie Eingeborenen von Samoa geh¨oren, wie die von Tonga, Rarotonga, ” Tahiti, Havai [!], Marquesas, Paumotu und die Maori in Neuseeland, der polynesischen

158 | Samoa – eine Sudseeinsel ¨

Rasse an“ (Zieschank 1918: 11). Die Quellen zeigen, dass die Abgrenzung der Samoanerinnen und Samoaner in zweifacher Hinsicht erfolgte. Zun¨achst wurden sie von den Rassen‘ ’ anderer S¨udseev¨olker abgehoben, als besser und u¨ berlegen dargestellt. Damit jedoch nicht die Vermutung aufkam, dass sie damit der Weißen Rasse‘ ann¨ahernd ebenb¨urtig wurden, ’ mussten sie dieser gegen¨uber wiederum abgewertet werden. In diesem Zwischenraum bewegen sich die Schilderungen. Die klare Abgrenzung des paradiesischen Zustandes auf Samoa von melanesischen Gebieten, was Inselwelt und Menschen umfasste, machte Hesse-Wartegg deutlich. Aber weiter gegen Westen, in der auf der Landkarte mit Melanesien bezeichneten Inselwelt, die ” gr¨oßtenteils dem Deutschen Reiche geh¨ort, leben die Eingeborenen heute noch mit geringen Ausnahmen im Urzustande, und sind auch ihre Inseln paradiesisch, so kann man es von den Menschen keineswegs behaupten.“ (Hesse-Wartegg 1902: 203)

Diese seien n¨amlich noch die schlimmsten Menschenfresser“ (Hesse-Wartegg 1902: 203), ” und niemals sei der Teufel“ den Europ¨aern in abschreckenderer Gestalt vor Augen ” ” gef¨uhrt worden, als sie die Eingeborenen dieser Inseln im gew¨ohnlichen Leben zeigen“ (Hesse-Wartegg 1902: 203f.). Die kupferfarbigen, durch Hautkrankheiten entstellten, wie mit kleinen Fischschuppen bedeckten ” K¨orper [der Melanesier, G. F.] sind mit Ausnahme eines handgroßen, mit einem geflochtenen Mattenst¨uck bedeckten Fleckes zwischen den Beinen vollst¨andig nackt. Die wilden Gesichter mit den blutr¨unstigen Augen und wulstigen Lippen sind mit fettem Ruß eingerieben, und u¨ ber die Backen sind fingerdicke rote und gelbe Streifen aufgeschmiert. [. . . ] Bei manchen dieser grauenhaften Kerle ist die eine H¨alfte des Kopfes glatt rasiert, das Haar der anderen H¨alfte weiß oder gelb oder brennrot gef¨arbt.“ (Hesse-Wartegg 1902: 204)

Die Bev¨olkerung anderer S¨udseeinseln schien sich deutlich von den Samoanerinnen und Samoanern zu unterscheiden. Auffallende Merkmale waren f¨ur Hesse-Wartegg ihre Hautkrankheiten, ihre Nacktheit, die Gesichtsbemalung und damit einhergehende bedrohliche Erscheinung. Auch Kannibalismus stellte laut Hesse-Wartegg eine unmittelbare Bedrohung f¨ur Europ¨aerinnen und Europ¨aer dar.63 Dieses Bild vermittelte Hesse-Wartegg auf stark emotionaler Ebene, appellierte mehr an die Vorstellungskraft seiner Leserinnen und Leser, statt sachgem¨aße Beschreibungen zu liefern. [W]ilde Gesichter“, blutr¨unstige Augen“ ” ” und grauenhafte Kerle“ offenbaren sich als Zuschreibungen, die die Imagination und ” Emotionen der Lesenden anregen sollten, denn inwiefern ein Gesicht wild“ aussieht oder ” Augen blutr¨unstig“ erscheinen, bleibt der Fantasie u¨ berlassen. ”

63

Ausf¨uhrlicher zum Thema Kannibalismus vgl. Kapitel 4.3.4.

Anthropologische Vorstellungen uber Samoanerinnen und Samoaner | 159 ¨

Diese Darstellungen kontrastieren stark zu denen von Samoanerinnen und Samoanern. Diese hatten, den Schilderungen zufolge, keine unmittelbar wahrnehmbaren Hautkrankheiten, machten also einen gesunden Eindruck auf die ankommenden Europ¨aerinnen und Europ¨aer. Insofern ging von den Einwohnerinnen und Einwohnern Samoas keine Ansteckungsgefahr aus. Weiter wurden melanesische Menschen als – bis auf die Bedeckung der Genitalien – vollst¨andig nackt beschrieben. Nacktheit erhielt hier die deutliche Konnotation der Unzivilisiertheit‘. ’ Diesen Zustand hatten die Samoanerinnen und Samoaner Zieschank zufolge dank der Missionsarbeit bereits u¨ berwunden: Die Sittlichkeitsprediger der Missionen aber ” bem¨uhten sich mit heißem Eifer, den Kindern des samoanischen Paradieses den Apfel der Erkenntnis beizubringen. Vermutlich ist es ihnen schwerer geworden als seinerzeit der biblischen Schlange, den Harmlosen klar zu machen, daß sie nackt seien!“ (Zieschank 1918: 24) Dementsprechend wurden die Menschen auf Samoa in den Texten nach der Missionierungsphase durchweg als (leicht) bekleidet beschrieben, obwohl die Oberk¨orper der Menschen, wenn sie nicht gerade europ¨aische Kleidung adaptiert hatten, noch immer nackt waren, doch wurden sie durch eine positivere Wortwahl gekennzeichnet, die gleichzeitig die Hierarchie zwischen ihnen und den – bekleideten – Europ¨aerinnen und Europ¨aern ausdr¨uckte. W¨ahrend schließlich von den Melanesierinnen und Melanesiern ein Gefahrenpotenzial ausging, die Farbe im Gesicht assoziierte Kriegsbemalung‘ – Blutrunst‘, ’ ’ Wildheit‘ und Grauen‘ greifen a¨ hnliche Vorstellungswelten auf –, waren die Samoane’ ’ rinnen und Samoaner im Gegensatz dazu deutlich positiver konnotiert: Sanftheit, Freundlichkeit, H¨oflichkeit und eine gewisse sexuelle Attraktion waren die vorherrschenden Begrifflichkeiten. Auch innerhalb der polynesischen Inselstaaten hoben sich die samoanischen Menschen von beispielsweise den tongaischen Menschen ab: Neben den Tonganern gelten die Samoa” ner als die wohlgebildetsten unter den polynesischen V¨olkern. Sie sind auch nach unseren Sch¨onheitsbegriffen h¨ochst wohlgef¨allig gebildet. Nicht gerade immer die Gesichter, wohl aber K¨orperwuchs und Haltung.“ (Wegener 1903: 39) Die Abgrenzungen von Rassen‘ erfolgten also auf verschiedenen Ebenen. Hesse’ Wartegg a¨ ußerte sich positiv u¨ ber die Bewohnerinnen und Bewohner Samoas. Erst jenseits von Fidschi, in dem herrlichen Tonga, in dem noch herrlicheren Samoa lernt man den ” wunderbaren Reiz der S¨udsee kennen. Die liebensw¨urdige, k¨orperlich so sch¨one Bev¨olkerung dieser Inselgruppen hat niemals dem Kannibalismus gehuldigt64 , sie war den fremden Eindringlingen gegen¨uber

64

Verglichen mit den anderen Quellen (siehe Kapitel 4.3.4) scheint Hesse-Wartegg hier nicht gut informiert zu sein.

160 | Samoa – eine Sudseeinsel ¨

stets freundlich und zuvorkommend, und man bewegt sich dort in den lauschigen Palmenw¨aldern, wie in den einfachen H¨utten der Eingeborenen in vollkommener Sicherheit.“ (Hesse-Wartegg 1902: 205)

Auch Hesse-Wartegg sah Samoa Tonga u¨ berlegen. Der Sicherheitsaspekt, den Samoa europ¨aischen Reisenden versprach, stellte das Hauptargument f¨ur Hesse-Wartegg dar, und damit auch das haupts¨achliche Abgrenzungsmerkmal gegen¨uber melanesischen Inseln. Greene bringt seine Vorstellungen der samoanischen Rasse‘ in Anlehnung an ’ J. H. Mulligan, den 1896 amtierenden US-amerikanischen Konsul, auf den Punkt: The ” people are the finest savage race in existence, they are light brown in color and are remarkably well developed physically. They originally came to Samoa over eight hundred years ago from the Island of Sumatra.“ (Greene 1896: 24) Die Ursprungsgeschichte, auf die Greene rekurriert, war eine der g¨angigen Legenden, wie die ersten Menschen nach Samoa kamen. Der Geschichte nach machten sich weniger als 50 Menschen in Kanus auf den Weg, landeten zun¨achst auf Hawaii und wurden von dort weitergeschickt, bis sie schließlich auf Samoa Fuß fassten. Greene schilderte weiterhin die K¨ampfe gegen die Tongaer, die zwischenzeitlich die samoanischen Inseln besetzten und auch den Kannibalismus auf diese Inselgruppe trugen. Schließlich wurden die Tongaer aber von der Insel verbannt und auch der Kannibalismus wurde vor der Ankunft der ersten Weißen Missionare schon nicht mehr praktiziert, so Greene (vgl. Greene 1896: 25ff.). So wie Greene hier die samoanische Rasse‘ ’ farblich als light brown“ markierte, war auch in anderen Schilderungen die Verkn¨upfung ” zwischen rassischer‘ Zugeh¨origkeit und Hautfarbe augenscheinlich. Barradale erkl¨arte ’ seinem heimatlichen Publikum – sein Text richtete sich ja an Kinder – die Herleitung der Hautfarbe der Samoanerinnen und Samoaner. Samoans are not black, and do not like being called black, anymore than you would like to be called ” niggers‘. The have black eyes and hair, but their skin is brown, a very pretty olive-brown colour; some ’ are darker than others, but none are darker than chocolate, so you see it is quite wrong to call them black‘.“ (Barradale 1907: 61) ’

Außerdem seien die Samoaner a proud race, and they are proud of their colour.“ (Bar” radale 1907: 62) Indem Barradale auf der einen Seite die Hautfarbe durchweg positiv als olivenbraun‘ bzw. schokoladenfarbig‘ bezeichnete und auf der anderen Seite den ’ ’ Stolz der samoanischen Bev¨olkerung auf ihre Hautfarbe betonte, u¨ bte er sich nicht nur in der Homogenisierung der Bev¨olkerung, sondern sprach auch f¨ur sie, was den Wahrheitsgehalt seiner Darstellung erh¨ohen sollte. Zieschank grenzte die braune‘ samoanische ’ Bev¨olkerung sorgsam von den Schwarzen Arbeitern von anderen Inseln ab. Die Schwarzen [Arbeiter, G. F.] sind fast durchweg harmlose, gutm¨utige (manchmal auch ungezogene) ” Kinder. Ihre Intelligenz ist beschr¨ankt, aber sie sind meist ihren weißen Herren treu ergeben. Dem

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Herrentum m¨ussen ihnen gegen¨uber immer recht kr¨aftige Lichter aufgesetzt werden; wer sie am st¨arksten anbr¨ullen kann, ist h¨ochster Herr.“ (Zieschank 1918: 98f.)

Hierin zeigt sich deutlich der Unterschied zu Samoanerinnen und Samoanern, die sie als bildungsf¨ahig, intelligent und sprachgewandt bezeichnet hatte. Der Diskurs um die Hautfarbe trieb mitunter auch seltsame Stilbl¨uten, wie Genthe belegte. Als bemerkenswertester Charakter gilt ein amerikanischer Neger, der schon seit Jahrzehnten in Atua ” auf Upolu ans¨assig ist und sich stolz als den a¨ ltesten weißen Ansiedler auf Samoa bezeichnet. Denn der Neger, der aus den Vereinigten Staaten kommt und sich in seiner W¨urde als freier amerikanischer B¨urger f¨uhlt, hat daf¨ur gesorgt, daß die Eingeborenen ihn als eine Spielart der weißen Durchbrecher ’ des Himmelsgew¨olbes‘ ansehen, ihn mit Alii, H¨auptling, anreden und sich geehrt f¨uhlen, wenn er mit ihnen freundschaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen sucht.“ (Genthe 1908: 99)

Diese Anekdote verweist par excellence auf das Gemacht-Sein von bin¨aren Unterscheidungscodes, genauso auf die Konstruktions- sowie Dekonstruktionsarbeit, die mit dem Denken in Kategorien einhergeht. Vor allem zeigt sich, dass Whiteness ein Machtkonzept darstellt, das nicht auf tats¨achliche Hautfarbe rekurriert, so dass die Bezeichnung in diesem Fall nichts mit dem Bezeichneten zu tun haben muss. Eng mit der Frage nach Rasse‘ und Hautfarbe ist die Frage nach der Reinheit‘ und ’ ’ Vermischung‘ der Rassen‘ verkn¨upft. Diese wird im folgenden Kapitel dargelegt. ’ ’

¨ 4.3.3 Mischehen‘ und Mischlingsbevolkerung‘ ’ ’ Durch den Kontakt zwischen der samoanischen Bev¨olkerung und Weißen Frauen und M¨annern, oder zuvor anderen Inselbev¨olkerungen, stellte sich f¨ur die Autorinnen und Autoren die Frage nach der Rassenreinheit‘. ’ Diese erfolgte nach zwei Kriterien, zun¨achst in Bezug auf die S¨udseev¨olker untereinander. Dazu kam Zieschank zu dem Schluss: Aber trotz der einstigen Beziehungen zu den ” Nachbararchipelen kann man sagen, daß im großen und ganzen die samoanische Volksrasse ziemlich rein geblieben ist.“ (Zieschank 1918: 11f.) Auf der anderen Seite galt es sowohl die Frage zu kl¨aren, inwiefern es durch Verbindungen zwischen Weißen M¨annern und samoanischen Frauen zu Rassenunreinheit‘ ’ gekommen war, als auch, wie man mit der Mischlingsbev¨olkerung‘ umzugehen habe. Die ’ Auseinandersetzung mit diesem Thema geh¨orte f¨ur Zieschank notwendigerweise dazu, wenn man u¨ ber Samoa schrieb. Wer u¨ ber Samoa schreiben will, darf sich um die Mischlingsfrage nicht herumdr¨ucken, so schwierig ” dies Kapitel auch ist, denn sie hat im Lande selbst große Wichtigkeit erlangt. Daß sich fr¨uher die allermeisten Ansiedler mit farbigen Frauen verbanden, habe ich bereits erw¨ahnt. [. . . ] Dazu kommt

162 | Samoa – eine Sudseeinsel ¨

¨ das anziehende Außere, das die jungen M¨adchen – wenigstens im Gegensatze zu andern Farbigen – besitzen.“ (Zieschank 1918: 107)

Zieschanks Wortwahl ist an dieser Stelle wohlbedacht. Wie sie vorher schon hatte anklingen lassen, standen die Samoanerinnen und Samoaner u¨ ber anderen Naturv¨olkern‘, was sie ’ aber nicht die Distanz zum deutschen Kulturvolk‘ u¨ berwinden ließ. Zu den Mischlingen‘ ’ ’ hatte Zieschank einen klaren Standpunkt: Aber wir m¨ussen mit dem Halbweisenproblem ” [!] fertig werden! Sie sind nun einmal da, die Kinder deutscher M¨anner, und deshalb sollten wir nicht nur das braune, sondern auch das weiße Blut in ihnen sehen, und das ist zum Teil von bester Art!“ (Zieschank 1918: 108f.) Damit a¨ ußerte Zieschank eine verh¨altnism¨aßig liberale Auffassung. Dagegen betrachtete Pierce Churchill die aufkommende Bev¨olkerung der Mischlinge‘ bzw. Halbkaste‘ ’ ’ als yet no considerable element in the population, either in numbers or in influence“ ” (Pierce Churchill 1902: 215f.). Dennoch vertrat sie die g¨angige Meinung, die Rassen’ mischung‘ br¨achte in den Kindern das jeweils schlechte Element der Eltern hervor: the ” worst traits of each stock seem most to thrive, although there are exceptions to confirm the rule“ (Pierce Churchill 1902: 216). Offensichtlich ging sie davon aus, dass eine Mischung lediglich zwischen Weißen M¨annern und Samoanerinnen vorkam; aufgrund der geringen Zahl Weißer Frauen war der umgekehrte Fall tats¨achlich verh¨altnism¨aßig selten, wenn nicht ausgeschlossen. Und auch nur von dem weiblichen Teil [der samoanischen Frauen, G. F.] ” brauchen wir zu sprechen, denn daß eine weiße Frau sich nichtebenbl¨utig [!] verbindet, ist ausgeschlossen.“ (Zieschank 1918: 108) Unabh¨angig davon, wie das Kind also erzogen wurde, blieben ihm – Pierce Churchill zufolge – nur die Optionen, ein etwas besserer Samoaner oder aber ein minderwertiger Europ¨aer zu werden (vgl. Pierce Churchill 1902: 216). Diese Einstellung entsprach durchaus jener der Mehrheit, was die zeitgen¨ossische Ansicht anbelangte. Im Bezug auf die gesellschaftlichen Verh¨altnisse in Samoa ist dieses Einheiraten Weißer, und noch ” dazu Deutscher, in die kanakische Rasse nicht vorteilhaft. Die Stellung der herrschenden weißen Rasse und vornehmlich der deutschen Nation wird dadurch keineswegs gehoben, es werden im Gegenteil die Weißen durch solche Ehen mitunter auf das Niveau der Polynesier herabgezogen, besonders wenn die Ehe, wie es in einem so warmen, fruchtbaren Lande gar nicht anders zu erwarten ist, reichen Kindersegen zur Folge hat.“ (Hesse-Wartegg 1902: 218)

In der Auseinandersetzung mit dem direkten Kontakt zwischen Weißen und der samoanischen Bev¨olkerung zeigt sich, dass die u¨ berwiegend positive und wohlgesonnene Schilderung der Einheimischen ein abruptes Ende nimmt, sobald die vermeintliche Vormachtstellung gef¨ahrdet wird. Hesse-Wartegg stellt klar, dass die Weiße Rasse‘ auch die herrschen’ ” de“ sei. Zudem argumentierte er biologistisch, indem die Fruchtbarkeit des Landes nun

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nicht mehr auf die Flora beschr¨ankt sei, sondern auch reichen Kindersegen“ in mensch” lichen Beziehungen nach sich ziehe. Auch er vertrat die These, dass bei einer Mischung die schlechten Eigenschaften beider Rassen‘ weitergegeben w¨urden: Viele von ihnen ’ ” bekommen als ihr Erbteil die Laster zweier Rassen in die Wiege mit, und die weitere Entwicklung dieses fremdartigen Elementes, ebenso wie seine Stellung zwischen den beiden Rassen ist heute noch gar nicht abzusehen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 218) F¨ur Hesse-Wartegg waren es insbesondere die samoanischen Frauen, die die M¨anner verf¨uhrten, die also den aktiven Part u¨ bernahmen. Damit bleibt er eng an der biblischen Auslegung, dass Eva ihren Mann verf¨uhrte und ihn ins Ungl¨uck st¨urzte. Sind die Samoner auch stramme, große Kerle mit bewundernswertem K¨orperbau, so ziehen die ” D¨amchen von Apia doch recht h¨aufig diese uniformierten Meerg¨otter mit der Seemannskappe ihren nackten Landsleuten vor. Beweis daf¨ur sind die vielen Mischehen und die netten hellbraunen Mischlingsbengel, die in der Straße unter meinen Fenstern ihren Schabernack trieben.“ (Hesse-Wartegg 1902: 229)

Obwohl Zieschank in ihrer grunds¨atzlichen Einstellung zur Rassenmischung‘ eine ganz ’ klare Position hatte – Kein vern¨unftiger Mensch kann von mir verlangen und wird erwarten, ” daß ich, als deutsche Frau, eine Rassenmischung bef¨urworte!“ (Zieschank 1918: 108) –, zeigte sie sich in der Frage, wie man mit der Mischlingsbev¨olkerung‘ umgehen sollte, ’ deutlich liberaler und pragmatischer. Zum deutschen Manne geh¨ort naturgem¨aß die deutsche Frau. Dar¨uber bedarf es keines Wortes! ” Aber ich kann mit dem besten Willen nicht einsehen, daß eine Gefahr f¨ur die Allgemeinheit in den samoanischen Mischlingen besteht. [. . . ] Nicht der bei sp¨ateren Generationen so geringe Teil samoanischen Blutes ist es, der die Mischlinge von uns trennt, sondern die Erziehung! [. . . ] Wenn die M¨anner, die mit Mischblut verheiratet sind, ihre Kinder zur Erziehung nach Deutschland senden, – und die meisten tun das jetzt –, so werden gute, vollwertige Deutsche aus ihnen.“ (Zieschank 1918: 109)

Zieschanks Argumentation ging also weg von der biologistischen Rassetheorie‘ hin zu ’ einer kulturalistischen Auffassung von Rasse‘, in der das Deutschtum u¨ ber Erziehung ’ vermittelt werden sollte. Eine a¨ hnliche Position vertrat auch Genthe, der sogar der These der Vererbung ausschließlich schlechter Eigenschaften zu widersprechen versuchte. [D]ie wenigen vollb¨urtigen Damen europ¨aischer Abstammung – die zurzeit in Apia ans¨assigen kann ” man an den Fingern einer Hand abz¨ahlen – t¨aten auch gut daran, ihren christlichen Mitschwestern‘ ’ etwas mehr vers¨ohnliches Entgegenkommen zu zeigen, besonders da die samoanischen Mischlinge durchaus nicht wie solche anderer V¨olker – Levantiner, Eurasier, s¨udafrikanische Bastarde – nur die schlechten Seiten beider Eltern aufweisen; fast ausnahmslos haben die Halbblutsamoaner sich die liebensw¨urdigen Eigenschaften ihrer M¨utter bewahrt und von ihren weißen V¨atern meist nichts als eine gewisse Kenntnis von deren Sprache angenommen.“ (Genthe 1908: 28)

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Ab 1912 galt auch f¨ur Samoa das Mischehenverbot‘, das Wilhelm Solf in seiner Funk’ tion als Kolonialstaatssekret¨ar erlassen hatte, welches nicht zuletzt mit dem Schutz der samoanischen Bev¨olkerung begr¨undet wurde.65

4.3.4 Kannibalismus und Menschenfresserei‘ ’ Die Frage, ob auf den S¨udsee-Inseln Kannibalismus praktiziert wurde und wenn, in welchem Umfang, besch¨aftigt Forschende noch heute.66 Anscheinend geht von dieser Fragestellung noch immer eine gewisse Faszination aus. F¨ur die Autorinnen und Autoren, die Samoa bereisten, geh¨orte das Thema teilweise zur mythischen Gefahrenwelt, im Grunde stellte sich die Frage im Zusammenhang der Risikoeinsch¨atzung ihrer Unternehmung. Der grundlegende Tenor der Schilderungen beschrieb die polynesischen Inseln – und damit auch Samoa – als nicht (mehr) kannibalistisch. Charles S. Greene erl¨auterte historisch argumentierend, dass Kannibalismus auf den samoanischen Inseln zwar u¨ blich gewesen war, da dieser Brauch durch die Tongaerinnen und Tongaer nach Samoa getragen worden war, die nach der ersten Besiedelung Samoas durch Menschen aus der Region um Sumatra dort eine Fremdherrschaft ausge¨ubt hatten. Der Kannibalismus hielt sich, Greenes Erz¨ahlung nach, auch nach der Vertreibung der Tongaerinnen und Tongaer noch eine ganze Weile, verschwand aber noch vor der Ankunft der ersten Missionare (vgl. Greene 1896: 25ff.). The practice of cannibalism survived the departure of its introduers for full three ” hundred years, but was abandoned by the Samoans some time before the arrival of the first white men.“ (Greene 1896: 27) Wenn Kannibalismus in den Quellen also ein Thema ist, dann zumeist mit dem Hinweis darauf, dass es sich um tongaische oder melanesische Arbeitskr¨afte handele, die ihn praktizierten. Die Pferde sind gesattelt‘, meldete der kleine, krausk¨opfige Salomons-Insulaner, welcher [. . . ] mit ”’ seinem artig t¨atowierten, erdschwarzen Gesichte und seinen blendendweißen Z¨ahnen gar nicht den Eindruck eines b¨osartigen Menschenfressers machte, der er, wie alle seine Stammesgenossen vor seiner Ankunft auf Samoa zweifellos gewesen ist, wie er andererseits auch nach seiner demn¨achstigen R¨uckkehr ganz gewiß, wenn sich die Gelegenheit macht, eine wohl pr¨aparierte Suppe carnis humanae‘ ’ nicht verschm¨ahen wird. – Dieselbe soll u¨ brigens, wie mir verschiedene Salomonsleute versicherten, wenn sachgem¨aß zubereitet und mit allen erforderlichen Zuthaten, als zerhackten Yams, zarten Tarobl¨attern und anderem Gr¨unkraut, in W¨urfel geschnittenem Schweinespeck [. . . ] versehen, ganz vorz¨uglich, a¨ hnlich wie Kalbfleisch-Bouillon mit Gem¨useeinlage schmecken [Herv. i. O.].“ (Deeken 1901: 147)

65

Weitere Mischeheverbote f¨ur Deutsch-S¨udwest und Ostafrika waren bereits 1905 in Kraft getreten.

66

Vgl. bspw. Haberberger (2007).

Anthropologische Vorstellungen uber Samoanerinnen und Samoaner | 165 ¨

Aus Deekens Erz¨ahlung wird deutlich, dass es hier im Grunde um die schaurige Faszination ging, die die Frage nach dem Menschenfressertum‘ beim heimatlichen Lesepublikum ’ anklingen ließ, der man sich vor allem im sicheren Wohnzimmer auf dem Sofa widmen konnte, a¨ hnlich Gespenster- und Gruselgeschichten. Der T¨ater‘ wird hier durch sein ’ erdschwarzes Gesicht“ gekennzeichnet, in dem die blendendweißen Z¨ahne“ noch st¨arker ” ” zutage treten, und damit deutlich von den Samoanern abgehoben. Auch Ehlers ging die Schilderung humoristisch an.67 Nach Aussage der nach Samoa gebrachten Salomoninsulaner soll unser Fleisch bei den Kannibalen ” aber keineswegs als der Leckerbissen gelten, der zu sein wir uns einbilden. Wir schmecken tranig‘, ’ werden nur faute de mieux verspeist, und einem richtigen Gourmet l¨auft bei unserem Anblick das Wasser durchaus nicht im Munde zusammen. Hoffentlich wird Henriette Davidis68 nicht sobald ins Salomonische u¨ bersetzt, sonst k¨onnten die Herren Kannibalen leicht erfahren, daß Trangeschmack sich durch Abkochen mit Heu verliert.“ (Ehlers 2008/1895: 97)

Die Koketterie mit der eigenen Genießbarkeit oder Schmackhaftigkeit dient als Bew¨altigungsstrategie der Fremdheitserfahrung. Bei Pierce Churchill waren es gleichermaßen die Schwarzen Arbeiter, denen Kannibalismus zugeschrieben wurde. We [. . . ] escape ” the black-boy cannibals who have run away from the German plantations and have made their wild abode near that waterfall.“ (Pierce Churchill 1902: 206f.) Da Pierce Churchill in ¨ der zitierten Passage die Gefahren ihrer Jagd-Expedition in starker Ubertreibung aufz¨ahlte, um die abergl¨aubische Angst ihrer Bediensteten zu parodieren, bleibt an dieser Stelle unklar, ob sie sich lediglich g¨angiger Stereotype bediente oder ihre eigene Meinung wiedergab. Ihr schien aber bekannt zu sein, dass Kannibalismus auf Samoa urspr¨unglich nicht praktiziert wurde. When a whaler stopped at an island it was expected that there would be runaways, and this was just as ” much the case among the arrant cannibals of Fiji and the Marquesas as in Samoa and Hawaii, where the practice of man-eating was remembered only as a dradful custom of remote savages from whom the people sprang.“ (Pierce Churchill 1902: 214)

In Kontakt kam man auf Samoa mit diesen black boys“, da sie als Arbeitskr¨afte in den ” Kokosnussplantagen angeheuert wurden. Pierce Churchill beschrieb sie: The black boy ” is not a pretty fellow to look at, one knows that he is a cannibal who has laid aside his special proclivities only for a season [. . . ].“ (Pierce Churchill 1902: 234) Die Bezeichnung

67

Ironischerweise war es Ehlers, der unter ungekl¨arten Umst¨anden in Neu-Guinea ums Leben kam, der Legende nach Opfer des Hungerkannibalismus wurde (vgl. Hahl, zit.n. Hiery 2008: 178).

68

Henriette Davidis (1801-1876) war eine bekannte Autorin diverser Kochb¨ucher.

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als Kannibale schien f¨ur die Schwarzen Arbeiter durchaus gel¨aufig zu sein. Auch William Churchward f¨uhrte sie beil¨aufig an, als er schilderte, wie einer der Jungen f¨ur ihn eine Kokosnuss erntete: I never saw an appearantly easier performance than Cæsar’s69 climbing, ” nor one that put me more in mind of monkeydom, for the boy, a very good and amiable one out of his own country, where he is professionally a cannibal, was ugly enough to put to shame any gorilla.“ (Churchward 1887: 107f.) Ansonsten waren sich die Quellen relativ einig, dass auf Samoa kein Kannibalismus mehr praktiziert wurde, wenngleich sie dar¨uber auseinander gingen, ob er jemals praktiziert worden war. It has been said that the Samoans never were cannibals, but for the veracity ” of this statement I am afraid there is little proof but their own word. One thing certain, however, is that there has been no instance of man-eating within the memory of any white‘ ’ [. . . ].“ (Churchward 1887: 193f.) ¨ Ahnlich beschrieb es auch Robert Louis Stevenson. [T]he Samoans are not cannibals, ” do not seem to remember any period when they were, and regard the practice with a disfavour equal to our own.“ (Stevenson 1895/1892: 32) Victor Arnold Barradale schilderte noch die Verh¨altnisse vor Ankunft der Missionare, vor allem, um den Legitimationsanspruch seiner eigenen Missionsgesellschaft zu rechtfertigen. Seinem Bericht zufolge wurde Kannibalismus auf Samoa lediglich zu ausgew¨ahlten Anl¨assen praktiziert, was eher f¨ur rituellen Kannibalismus spricht: Then cannibalism, the eating of human flesh, was sometimes ” practised, though not so much as in other heathen countries – New Guinea for example. Indeed, an old Samoan once told me that human flesh was only eaten in war-time, not because it was liked, but simply to show how they hated their enemies.“ (Barradale 1907: 45f.) Den Verdienst an der Ver¨anderung der Verh¨altnisse schrieb Ernst von Hesse-Wartegg den fr¨uhen Missionaren zu, obwohl den anderen Quellen zufolge der praktizierte Kannibalismus bereits weit vor deren Ankunft aufgeh¨ort hatte: Hier, ebenso wie auf den ” meisten anderen Inseln sind die Missionare der protestantischen Londonmission schon seit Jahrzehnten th¨atig [. . . ]. Es ist nicht zu verkennen, daß dank ihren Bem¨uhungen geordnete friedliche Verh¨altnisse unter diese fr¨uher so kriegslustigen St¨amme gekommen sind und daß der Kannibalismus sowie das T¨oten ihrer eigenen Kinder g¨anzlich aufgeh¨ort hat [. . . ].“ (Hesse-Wartegg 1902: 326f.) Siegfried Genthe war neben Deeken einer der wenigen Autoren, die neben dem Kannibalismus auch vom Menschenfressertum‘ sprachen: ’ Ein großer Teil dieser von den Bismarckinseln oder von den Neuen Hebriden eingef¨uhrten Papua sind ” Menschenfresser, wenn sie auch sehr bald nach ihrer Ankunft auf der Pflanzung sich des long pig‘ zu ’

69

Ein Junge von den Neu-Hebriden, der von der DH&PG nach Samoa gebracht worden war, und nun Churchward zu Diensten stand.

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sch¨amen lernen. [. . . ] Die Samoaner f¨uhlen sich mit Recht weit erhaben u¨ ber diese armen schwarzen Teufel der weiter westlich gelesenen Inselgruppen, ja sie sehen sie nicht einmal als Menschen an. Sie nennen sie einfach Mea uli‘, schwarze Dinger, und sehen in ihrer Menschenfresservergangenheit ’ den Beweis f¨ur ihre tierische Natur. Und doch unterliegt es keinem Zweifel, daß auch die Samoaner fr¨uherer Zeit nicht frei von diesem Makel der S¨udseev¨olker gewesen sind [Herv. i. O.].“ (Genthe 1908: 207)

Richard Deeken verortete den Kannibalismus in Anlehnung an die Missionsberichte in der Phase der Fremdherrschaft durch Tonga: Der Kannibalismus, welchen die Samoaner von ” den Fremden [Tongaern, G. F.] angenommen hatten, wurde aber noch volle 3 Jahrhunderte beibehalten, bis er, etwa hundert Jahre vor Ankunft der ersten Weißen, von Malietoa Palealai abgeschafft wurde.“ (Deeken 1901: 58) Abgesehen von den Schilderungen Genthes, der noch von einem aktuellen Fall von Kannibalismus unter den melanesischen Arbeitern zu berichten wusste (vgl. Genthe 1908: 207), gab es noch eine Erz¨ahlung von Churchward, der berichtete, dass ein alter Mann diesen Brauch wieder aufleben lassen wollte, und damit seine Umgebung in Angst und Schrecken versetzte, oder ihr zumindest auf die Nerven ging. This respectable old gentleman – all right in every other respect – had suddenly taken into his head ” that he should like to resume ancient Samoan customs, and hungered for human flesh to vary the monotony of his yam and taro. It appeared when at home he would sit in his house like a spider in his web, and every fat boy whom he saw pass he would hunt all down the town with wild howls and watering mouth, seeking to convert the well-favoured youth into the long pork‘ of his ancestors for the ’ satisfaction of his horrible craving. He at last became a regular nuisance; no baby was safe anywhere while he was about, and the mothers were in continual apprehension of coming home one fine day and finding the creature polishing off the last wing-bone of their latest treasure.“ (Churchward 1887: 192f.)

Doch scheint auch diese Episode weit davon entfernt zu sein, eine Bezeichnung der samoanischen Bev¨olkerung als Kannibalen zu rechtfertigen. Marie Fraser zufolge war es schlicht die Frage, wen man um Auskunft ersuchte, um differierende Antworten und Verortungen zu erhalten. When Billy was asked if he ever saw white men eaten, he protested vehemently, and assured us it was ” not his island, but an adjacted one, where they did that. It is a remarkable thing, but every Solomon Islander I ever met, with the exception of one old hoary heathen, no matter from which of the group he came, always asserted it was on a neighbouring island where they ate folk.“ (Fraser 1895: 60f.)

Insofern wird deutlich, dass der Brauch des Kannibalismus, unabh¨angig von seiner Auspr¨agung, in den aufgef¨uhrten Quellen mehr zum Geschichtenschatz u¨ ber die S¨udsee geh¨orte und daher in seiner Darstellung verh¨altnism¨aßig homogen betrachtet wurde. Kannibalismus diente als Kategorie der Entfremdung nicht-samoanischer Arbeiter, die damit abgewertet

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und auf eine zivilisatorisch‘ niedrigere Stufe gestellt werden sollten. Mitunter schien ’ die Bezeichnung als Kannibale durchaus beil¨aufig und gedankenlos verwendet worden zu sein, ohne auf reale Verh¨altnisse zu rekurrieren. Insgesamt wird mit Bezug auf den bereits diskutierten Rassediskurs‘ deutlich, dass Kannibalismus und Menschenfresserei‘ ’ ’ mit Andersartigkeit und Schwarzer Hautfarbe einhergingen, hier aber in gez¨ahmter Form vorzufinden waren. Insofern diente die Gruselkomponente der Erh¨ohung der Spannung und der Attraktion der Schilderungen, sodass dem Erlebten der Hauch von Gefahr anhaftete und der Autor oder die Autorin mutig erscheinen konnte, sich auf eine solche Insel zu wagen. Einzelne F¨alle und die Erinnerung an vergangene Zeiten dienten somit der Authentifizierung, durften aber nicht in tats¨achliche Bedrohungsszenarien umschlagen.

¨ 4.3.5 Geschlechterkonstruktionen und -verhaltnisse Die Darstellungen der einheimischen Bev¨olkerung beziehen sich nicht ausschließlich auf Samoanerinnen und Samoaner als Inselbewohnende, sondern deuten diverse Geschlechterkonstruktionen an. Damit werden nicht nur Weiblichkeiten und M¨annlichkeiten auf samoanischer Seite festgeschrieben, sondern die Autorinnen und Autoren verorten sich auch selbst in ihrer spezifischen M¨annlich- bzw. Weiblichkeit.70 Zudem versuchen die Schreibenden, eine Ordnung des Geschlechterverh¨altnisses herzustellen, indem sie insbesondere auf die Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern rekurrieren.71

Weiblichkeitskonstruktionen Elemente stereotyper Darstellungen, wie Erotisierung, Sexualisierung sowie die Beschreibung von Nacktheit72 und sexueller Verf¨ugbarkeit der Samoanerinnen, sind in den vorangegangen Kapiteln bereits angeklungen. Ihr Bezugsrahmen ist neben paradiesischen oder arkadischen Vorstellungswelten vor allem durch das Bild Tahitis zu Zeiten der Ent’ deckerfahrten‘ gekennzeichnet. Gerade bei James Cook, der auf Tahiti ein neues Kythera –

70

Die Akteurinnen und Akteure gehen von einem bin¨aren Geschlechterverh¨altnis aus, das an dieser Stelle notwendigerweise reproduziert werden muss.

71

Die Arbeitsteilung nach Geschlecht und die daraus resultierende Frauenfrage der S¨udsee“ wurde ” – hier nicht mit Bezug auf die Weißen Frauen, sondern indigene Frauen – auch in der Heimat diskutiert, dabei jedoch nicht zwischen den unterschiedlichen Inseln differenziert, was in Teilen zu Schlussfolgerungen f¨uhrte, die in den hier untersuchten Texten f¨ur Samoa nicht best¨atigt werden konnten (vgl. Blum 1899/1900).

72

Nacktheit muss in diesem Kontext als mit Normen und Werten aufgeladenes Konstrukt verstanden werden, das nicht nur das Nicht-Tragen von Kleidung bedeutet, sondern verschiedene Aussagen sowohl zur sexuellen Verf¨ugbarkeit als auch zum zivilisatorischen‘ Entwicklungsstand macht. ’ Nacktheit erscheint hier als wesentliche eurozentristische Kategorie.

Anthropologische Vorstellungen uber Samoanerinnen und Samoaner | 169 ¨

den Wohnsitz der Aphrodite – gefunden zu haben glaubte, erf¨ullte die Freiz¨ugigkeit der Frauen die Bedingungen des Macht- und Eroberungsraumes Weißer M¨anner. Im kolonialen Kontext des sp¨aten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wird die Darstellungsform noch aus diesem Diskurs gespeist, nimmt aber auch andere Elemente mit ihren je spezifischen Funktionen auf. Sexualit¨at spielt durchaus noch eine Rolle, doch bewegt sie sich im Wesentlichen im Spannungsfeld von Tugend und Anstand auf der einen sowie Erotik und Verf¨uhrung auf der anderen Seite. Dem Weiblichkeitskonstrukt ist also die Polarisierung zwischen den Figuren Heilige‘ 73 und Hure‘ immanent, einem verh¨altnism¨aßig alten Bild. ’ ’ Im heimatlichen Kontext waren Schilderungen von Sexualit¨at nur begrenzt m¨oglich, f¨ur Frauen war ihre Darstellung g¨anzlich tabuisiert. Insofern enthalten die Schilderungen eine Art Topos, der sicherstellt, dass das Beschriebene die Kriterien von Sitte und Anstand einhielt. An den Stellen, an denen sich Grenz¨uberschreitungen andeuten, wird die Situation unter Bezug auf die immanente Nat¨urlichkeit geschildert, die wiederum anschlussf¨ahig ist an paradiesische Zust¨ande oder gar den Naturzustand. William Churchward machte deutlich, dass ein Zuviel an Sexualit¨at kein w¨unschenswerter Zustand mehr sei. I heard the most awful tales of my land of promise, being told on ” every hand that life there was one continued orgie, and decency very much at a discount.“ (Churchward 1887: 3) Er belegte hiermit, dass die andauernde Orgie‘ noch immer zu den ’ bildlichen Versatzst¨ucken geh¨orte, tahitianische Zust¨ande jedoch u¨ berwunden waren und nun unter der Kategorie des Anstandes zu bewerten waren. Somit rekurrierte er auf die Facette von Sexualit¨at, die unter Z¨ugellosigkeit und Verfall der Sitten fiel. Doch auch die sittliche Konfrontation mit nackten Menschen schilderte er. The ladies, like the men, [. . . ] ” love to dress after the Adamite plan, in nothing but the natural products of their native bush; and very charming a nice-looking girl looks when so simply arrayed.“ (Churchward 1887: 170) Dennoch fand Churchward an dieser Stelle keine Worte, die den Anblick der nackten Menschen explizit schildern w¨urden. Stattdessen benutzte er den Adamitischen ’ Plan‘ als Metapher. Mit diesem christlichen Bezug machte Churchward die Unschuldigkeit und damit Tugenhaftigkeit der Szene deutlich, da Adam erst nach dem S¨undenfall und der Vertreibung aus dem Paradies Kleidung anlegte, vorher aber nackt auftrat. Churchward fuhr fort, dass auf Neuankommende die Bekleidung der Samoanerinnen sicherlich zu d¨urftig wirkte (vgl. Churchward 1887: 170); so konnte er deutlich machen, dass er sich selbst nicht mehr zu ebenjenen z¨ahlte, die besch¨amt auf die Freiz¨ugigkeit der samoanischen Frauen reagierten.74 Mit der Zeit verwandelte sich die peinliche Ber¨uhrtheit also in Wertsch¨atzung der vermeintlichen Nat¨urlichkeit‘ dieser Art der K¨orperbedeckung mit wenigen Pflanzen ’

73

Auf die Verk¨orperung der Heiligen‘, der tugendhaften Frau in Gestalt der Taupou, der Dorfjung’ frau, wird an sp¨aterer Stelle noch ausf¨uhrlich eingegangen, vgl. Kapitel 5.2.2, Seite 225.

74

Kurz nach seiner Ankunft war das noch anders (vgl. Churchward 1887: 88f.).

170 | Samoa – eine Sudseeinsel ¨

oder Bl¨uten. Damit bewegt er sich genau im oben dargestellten Muster: Zun¨achst reagierte er auf den Anblick und den m¨oglichen K¨orperkontakt mit einer nackten Samoanerin mit Flucht (hastig schwamm er ans andere Ufer des Sees (vgl. Churchward 1887: 88f.)), sp¨ater betonte er die Nat¨urlichkeit der leichten Bekleidung, die nur noch auf den Neuank¨ommling unzul¨anglich wirken d¨urfe. Auch Genthe machte die Sexualit¨at der Samoanerinnen und Samoaner mithilfe eines christlichen Bezuges anschlussf¨ahig. Der Samoaner ist sonst in Liebesangelegenheiten durchaus nicht a¨ ngstlich, und wenn auch die ” w¨uste Sittenlosigkeit anderer S¨udseev¨olker bei den in jeder Beziehung bewundernswert maßvollen Bewohnern dieser Inseln g¨anzlich unbekannt geblieben ist, so darf der Verkehr der Geschlechter untereinander auch in Samoa nicht nach dem christlichen Katechismus beurteilt werden.“ (Genthe 1908: 129)

Einerseits beschrieb er die samoanischen M¨anner und Frauen als sittsam und maßvoll, was sie von tahitianischem, und damit triebhaftem und z¨ugellosem Verhalten abgrenzte, andererseits w¨urden sie den Grunds¨atzen des Katechismus, also den christlichen Sittsamkeitsvorschriften, nicht gen¨ugen. Mit seiner Aussage, dass auch in Samoa [Herv. G. F.]“ ” der Katechismus nicht der alleinige Maßstab sein d¨urfe, verr¨at Genthe, dass er hier ebenso u¨ ber seine eigene kulturelle Geschlechterkonstruktion spricht. Wie sehr die positive Konnotation der tugendhaften M¨adchen Samoas sowie die mythische Vorstellung sexueller Verf¨ugbarkeit die Schilderungen der Autoren pr¨agte und welch hohe Anziehungskraft und Faszination sie auf die reisenden M¨anner anscheinend aus¨ubten, wird bei Ernst von Hesse-Wartegg deutlich. Betrat ich eine H¨utte, so wurden mir von der Hausfrau sofort ein paar aus Pandanusbl¨attern geflochtene ” Matten zugeschoben, oder sie lud mich ein, neben ihr auf ihrer Matte Platz zu nehmen, eine verf¨angliche Sache, denn die Samoanerinnen von Sawaii sind noch keineswegs so zivilisiert‘ wie ihre Schwestern ’ in Upolu. Sie tragen als einziges Kleidungsst¨uck immer noch das Lendentuch, und der Oberk¨orper, sowie die unteren Gliedmaßen sind nur in nat¨urliche Anmut gekleidet.“ (Hesse-Wartegg 1902: 306)

W¨ahrend er sonst die Tugendhaftigkeit der Samoanerinnen betonte, verwies Hesse-Wartegg hier auf die Verf¨anglichkeit der Situation. Doch stellt sich die Frage, von wem sie an dieser Stelle eigentlich ausging. Da das Lendentuch f¨ur die Samoanerinnen u¨ bliche Kleidung darstellte (sieht man von europ¨aischen Gebr¨auchen ab), war ihre weitgehende Unbekleidetheit vermutlich nicht als intendierte Verf¨uhrung eines europ¨aischen Mannes gemeint.75

75

Letztlich l¨asst sich u¨ ber die Motive der samoanischen Frau nur spekulieren. Unabh¨angig von ihrer Motivation l¨asst sich aber die Deutungs- und Darstellungsleistung Hesse-Warteggs beobachten.

Anthropologische Vorstellungen uber Samoanerinnen und Samoaner | 171 ¨

Um jedoch eine intendierte Verf¨uhrung zu unterstellen, musste Hesse-Wartegg entweder mit seiner Verkn¨upfung von Unzivilisiertheit‘ und Tugendhaftigkeit‘ brechen, oder seine ’ ’ Empfindung als eigene sexuelle Projektion offenbaren. Darin zeigt sich, dass er durchaus sexuelle Gedanken hatte, die er sublimieren musste. Somit kann er einerseits seinen zivilisierten‘ Entwicklungsstand beweisen, da er in der Lage ist, seine Triebhaftigkeit ’ zu unterdr¨ucken und nicht in aktives Handeln zu u¨ berf¨uhren. Andererseits sublimiert er sein Verlangen, indem er beschreibt, dass die Beine der Samoanerin in nat¨urliche Anmut ” gekleidet“ waren. So rekurriert er, wie schon Churchward, auf die Nat¨urlichkeit der Situation, und f¨uhrt gleichzeitig eine sexuelle Ent-ladung u¨ ber eine a¨ sthetische Auf-ladung herbei. Insofern braucht er die Frage nach eigenem und fremdem Begehren nicht mehr zu beantworten, sondern kann die Situation unter dem Aspekt der nat¨urlichen Sch¨onheit‘ ’ beurteilen. Eine a¨ hnlich aufgeladene Situation erlebte Richard Deeken. [M]it ruhigem Gewissen durfte ich mich jetzt der L¨ange nach auf den weichen Matten des Hauses ” ausstrecken, w¨ahrend Sch¨on Tofi‘ 76 sich mir zu H¨aupten setzte und meinen Kopf auf ihren Schoß ’ bettete, mir die Schl¨afen streichend und das Haar krauend [!], w¨ahrend Tiga mit ihrem Bast-F¨acher mir angenehme K¨uhlung zuwedelte und mir erfrischende Kokosnußmilch zu trinken gab.“ (Deeken 1901: 131f.)

Die Verf¨anglichkeit, um bei Hesse-Warteggs Begriff zu bleiben, dieser Situation benannte Deeken nicht selbst, sondern legte sie seinem heimatlichen Publikum in den Mund: Unsere ” Damen – nat¨urlich nur die a¨ lteren – m¨ogen vielleicht manche samoanische Sitten most ’ shocking‘ finden und ihre Respektnasen r¨umpfen, aber l¨andlich, sittlich‘, und in Samoa ’ lebt man eben fa’a Samoa d.h. nach samoanischer Sitte.“ (Deeken 1901: 132) Indem Deeken die Schockiertheit‘ den a¨ lteren Damen in den Mund legte, rekurrierte er auf die ’ ¨ Funktion der Alteren als Anstandsdamen und W¨achterinnen der Tugend. Gleichzeitig sprach er damit die j¨ungeren Damen an, die sich mit ihm solidarisieren und eine gewisse Lockerung der Sitten begr¨ußen und attraktiv finden konnten. Mit dem leicht abgewandelten Verweis auf die Nat¨urlichkeit, hier auf die samoanische Lebensweise, kann Deeken die Situation wiederum aufl¨osen. Neben die Facette der Heiligen tritt hier ein m¨utterliches Weiblichkeitskonstrukt. Die beiden Frauen k¨ummern sich um Deeken und versorgen ihn. In Bezug auf die fr¨uhere Begegnung mit Sch¨on-Tofi wie Eva ” vor dem S¨undenfalle“ (Deeken 1901: 128), die an dieser Stelle trotz ihrer Unschuld ein

76

Deeken war Sch¨on-Tofi bereits an fr¨uherer Stelle begegnet. Wie im Kapitel Paradiesvorstellungen geschildert, stand sie bei seiner Inspektion der Lagune vor ihm wie Eva vor dem S¨undenfalle“ ” (Deeken 1901: 128). Anschließend stellte sich heraus, dass sie die Taupou des Dorfes Mali´e war. Diese Stelle ist eine der wenigen Passagen, in denen samoanische Frauen mit Namen benannt werden, doch ist es auch hier die Taupou.

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verf¨uhrendes Element aufwies, spannt sich hier der Bogen zwischen Heiliger‘ und Hure‘. ’ ’ Wissend, wie diese Erz¨ahlung auf sein deutsches Publikum wirken musste, u¨ berzeichnete und karikierte Deeken das Bild anschließend, indem er es in ein heimatliches Setting transportierte und damit deutlich machte, dass die geschilderte Situation nur in ihrem gegebenen Kontext Sinn ergab. Er stellte sich vor, dass bei seiner Heimkehr nach Berlin die Tochter des Hauses ebenfalls seinen Kopf in ihren Schoß legen und sein Haar zerzausen w¨urde, w¨ahrend ihre Mutter auf dem Boden s¨aße, ihn mit Sekt und Austern f¨utternd (vgl. Deeken 1901: 132), eine durchaus provokante Vorstellung f¨ur sein heimatliches Publikum und auch f¨ur seine Ehefrau, die mit ihm auf Samoa lebte. Doch trotz der Bezugnahme auf die fa’a Samoa“ verortete sich Deeken nach wie vor in der heimatlichen Gesellschaft. ” Indem er die Damen zu zitieren weiß, macht er deutlich, dass die heimatlichen Maßst¨abe noch immer Bezugspunkt f¨ur ihn sind, er also nicht Gefahr l¨auft, sich der samoanischen Gesellschaft anzun¨ahern, also zu degenerieren‘. ’ Darin wird die Kontextualisierungsarbeit f¨ur reisende Menschen deutlich. In der Fremde begegnen sie Gebr¨auchen und Gewohnheiten, die in ihrer jeweiligen Umgebung Sinn ¨ agt man diese jedoch eins zu eins machen und nicht hinterfragt werden m¨ussen. Ubertr¨ in die heimatlichen Gegebenheiten, wie es hier Deeken tat, offenbart sich erst durch die (provokante) Karikatur des Erlebten, welche Anpassungsleistung Reisende w¨ahrend ihres Aufenthaltes bereits geleistet hatten, indem sie schilderungsw¨urdige Erlebnisse ausw¨ahlten und darstellten.77 Otto Ehlers beschrieb eine a¨ hnliche Situation wie Deeken, in der die m¨utterlichen Aspekte des Weiblichkeitskonstruktes zum Tragen kommen. Als eine neben mir sitzende Samoanerin sah, daß ich mich vergeblich bem¨uhte, das [. . . ] aus Kokos” nußfleisch bereitete Fai-ai mit den Fingern zum Munde zu f¨uhren, nahm sie ein St¨uckchen ger¨osteter Brotfrucht, fischte damit den Brei aus der Bananent¨ute und fing an mich zu f¨uttern. Ich fraß aus der Hand wie ein gez¨ahmtes Eichk¨atzchen, bis ich dachte, daß es genug sei des grausamen Spiels.“ (Ehlers 2008/1895: 126)

Das Gef¨uttert-Werden, das f¨ur Ehlers nur eine gewisse Zeit zu ertragen war – vermutlich genau so lange, bis sein Hunger gestillt war – versetzte ihn in eine kindliche Position, w¨ahrend die Samoanerin eine m¨utterliche einnehmen konnte. Mit dem Abbruch der Situation erfolgte der Versuch der R¨uckeroberung seiner eigenen M¨annlichkeit. Dazu passt, dass

77

Der gleiche Effekt tritt ein, wenn man den kolonialen Sprachgebrauch dekontextualisiert. W¨ahrend es innerhalb der samoanischen Gesellschaft f¨ur Reisende und ans¨assige Fremde angemessen er¨ scheint, von H¨auptlingen‘ etc. zu sprechen, wird erst bei der Ubertragung auf bspw. deutsche ’ Verh¨altnisse eine Irritation ausgel¨ost. Den deutschen Kaiser w¨urde niemand der Akteurinnen oder Akteure als H¨auptling der Deutschen‘ bezeichnen. Genau hierin offenbart sich der unterschiedli’ che Maßstab, an dem Verh¨altnisse bemessen und hierarchisiert werden.

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er sich anschließend, a¨ hnlich Deeken, den Kopf kraulen ließ, doch auch diese Situation abbricht. Die Dame, die mich so liebevoll gef¨uttert, nahm, sobald sie sich von der Tafel erhoben hatte, meinen ” Kopf in ihren Schoß und massierte denselben. Nichts ist mir angenehmer, als wenn mir jemand den Kopf krault – ich bin in dieser Hinsicht der reine Kakadu –, aber die H¨ande der oder des Kraulenden d¨urfen nicht, wie es hier der Fall war, nach Schweinefett riechen. Ich entzog daher dem Schoße der liebensw¨urdigen Dame meinen Kopf und streckte ihr daf¨ur die Beine entgegen, worauf sie zu meinem Leidwesen, allem Anscheine nach ein wenig verschnupft, zur Seite r¨uckte.“ (Ehlers 2008/1895: 126)

Mit dem Hinweis auf den Schweinefettgeruch an den H¨anden der samoanischen Frau wird die ganze Szene wiederum ent-sexualisiert.78 Mit dem Entgegenstrecken der Beine versuchte Ehlers nun seine m¨annliche Dominanz wiederzugewinnen, was aber an dem m¨utterlichen Konstrukt scheitert, denn die Mutter‘ hat sowohl n¨ahrende und versorgende ’ Aspekte, kann aber auch willk¨urlich ihre Aufmerksamkeit und Liebe wieder entziehen, wie hier geschehen. Da es zu den Aufgaben der Taupou geh¨orte, sich um das Wohlergehen der G¨aste zu k¨ummern, ihre weiteren Aufgaben und Darstellungen aber an anderer Stelle (vgl. Kapitel 5.2.2) diskutiert werden, ist es hier lediglich wichtig, dass es sich um keine außergew¨ohnlichen Begebenheiten handelte. Auch Genthe wurde von einer Taupou gef¨uttert, und machte das Mutter-Motiv explizit. Die Dorfehrenjungfrau [. . . ] beginnt uns zu f¨uttern, als ob wir kleine Kinder w¨aren, die noch nicht ” ohne die Hilfe der Mutter essen k¨onnen. Sie sucht die besten St¨ucke des weichgekochten Talo f¨ur uns heraus [. . . ]. Wer nie mit den Fingern gegessen hat, wird erstaunt sein, wie ungeschickt sich ein gebildeter Mitteleurop¨aer dabei anstellen kann, wie schwierig es ist, bei solch naturw¨uchsigem Eßverfahren u¨ berhaupt einigermaßen mit Anstand satt zu werden.“ (Genthe 1908: 133f.)

Genthe nahm an dieser Stelle wahr, dass ein Rollenwechsel stattfand, obwohl er zu seiner Verteidigung noch anf¨uhrte, dass es schwer sei, mit den Fingern zu essen, wenn man Besteck gewohnt sei. Damit unternahm er den Versuch, seine eigene Unf¨ahigkeit und seine ¨ Ungeschicktheit‘ mit kultureller Uberlegenheit zu rechtfertigen. ’ Genthe, und ebenso Deeken und Ehlers werden von den samoanischen Frauen gef¨uttert und ern¨ahrt. Damit k¨onnen die als (Natur-)Kinder geschilderten Frauen hier in eine u¨ berlegene Position gelangen – Deeken, Ehlers und Genthe werden an dieser Stelle zu Kindern. Genthe ist dieser Aspekt durchaus bewusst, Ehlers und Deeken versuchen, so scheint es, die Situation karikierend zu u¨ berspielen. Im Anschluss ließ Genthe sich aus

78

D¨urbeck verortet die Pointe dieser Szene ebenfalls nicht in ihrem erotischen Gehalt, sondern ¨ in der Herstellung von Distanz und der Vergewisserung von kultureller Uberlegenheit – hier exemplarisch am Geruchsempfinden (vgl. D¨urbeck 2006: 49).

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rein medizinischen‘ Gr¨unden massieren, was die (sittliche) Ber¨uhrung durch die Frauen ’ erm¨oglichte und legitimierte. [D]ann geben sie sich mit Genuß jenem wunderbaren Kneten der Muskeln hin, das die samoanischen ” M¨adchen so vortrefflich verstehen. Dies Lomilomi‘ ist eine ungemein wohlt¨atige Handreichung, die ’ dem Fremdling auf Wunsch gleich nach seiner Ankunft im Fale Tele79 geboten wird. Bei Kopfschmerzen oder nach erm¨udendem Marsch oder Ritt wirkt es Wunder, und bei langen Ruderfahrten wird die Leistungsf¨ahigkeit der Armmuskeln durch gr¨undliches und sachverst¨andiges Kneten verdoppelt.“ (Genthe 1908: 222)

Bei seiner weiteren Beschreibung lag der Fokus nun mehr darauf, dass die M¨anner nur d¨urftig bekleidet waren, als dass die Ber¨uhrung durch Frauenh¨ande in den Mittelpunkt geriet. Im Gegensatz zu Ehlers’ gescheitertem Versuch waren die samoanischen Frauen an dieser Stelle durchaus dazu bereit, die M¨anner zu massieren. So sind denn bald das ger¨aumige Herbergshaus des Dorfes und eine weitere H¨utte des Dorfes in ” eine Art t¨urkischen Bades ohne Dampf verwandelt; mehr als ein Dutzend mangelhaft bekleideter brauner Gestalten bedecken den Boden, und die M¨adchen sind eifrig dabei, die mit duftendem Kokos¨ol eingeriebenen Gliedmaßen zu streichen, zu klopfen, zu kneten und in jeder erdenklichen Weise nach den Regeln samoanischer Lomilomik¨unste zu bearbeiten.“ (Genthe 1908: 223)

Insgesamt ist in der erotischen Darstellung und der Bezugnahme auf die vermeintliche Freiz¨ugigkeit der samoanischen Frauen eine Abgrenzung zum pr¨uden deutschen Kaiserreich mit seinen Sexual- und Moralvorstellungen zu erkennen, zumindest, was die Texte der deutschen Autoren angeht. Doch auch in den anderen Herkunftsgesellschaften war sexuelle Freiz¨ugigkeit eher verp¨ont. In den bisherigen Schilderungen zeigt sich jedoch, dass der Kontakt zu samoanischen Frauen sich nicht ausschließlich um T¨andelei oder erotische Anspielungen drehte. Stattdessen offenbart sich eine Auseinandersetzung mit dem Tugend- und Anstandsverst¨andnis genauso wie ein Rollentausch. Gerade die Schilderungen der samoanischen Frauen, die die M¨anner f¨uttern, sollen aus m¨annlicher‘ Sicht ’ den Zugriff auf und die Verf¨ugbarkeit (diesmal nicht ausschließlich sexuell) samoanischer Frauen untermauern. Zudem versuchen diese Darstellungen, die eigene M¨annlichkeit als begehrenswert zu beschreiben, weshalb die samoanischen Frauen ihnen zu Diensten sind. Dabei verkennen die Autoren jedoch, dass sie sich in einem m¨utterlich-kindlichen Schema bewegen, was eigentlich ihre Abh¨angigkeit und Unterlegenheit dokumentiert. Lediglich Genthe war sich dieser Lage bewusst, insofern diente seine Beschreibungen dazu, u¨ ber den Schreibprozess die Kontrolle wiederzuerlangen, die er in der Situation selbst verloren hatte.

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Hierbei handelt es sich um das Versammlungshaus, das es in jedem Dorf gab, und in dem G¨aste beherbergt wurden.

Anthropologische Vorstellungen uber Samoanerinnen und Samoaner | 175 ¨

Die Auseinandersetzung mit der Kleidung der Samoanerinnen findet in mehreren Quellen statt. Genaugenommen handelt es sich dabei um die Auseinandersetzung mit dem K¨orper und der Ver-k¨orperung samoanischer Frauen. Dass leichte Bekleidung dem Klima angepasst sei, galt als Argument in mehreren Reiseberichten, allerdings schien dies in allen F¨allen nur f¨ur die samoanische Bev¨olkerung zu gelten: Weiße hatten trotz allem die heimatlichen Kleidervorschriften einzuhalten und bedeckten die wesentlichen Teile ihrer Haut mit langen Hosen, Hemden, R¨ocken oder hochgeschlossenen Blusen. Insofern wurde u¨ ber die Kleidung auch der Stand der Zivilisiertheit‘ diskutiert. Die ’ klimatische Anpassung wurde mitunter auch zur Modefrage der samoanischen Bev¨olkerung erkl¨art: Die Samoaner sind entschieden Leute von gutem Geschmack und wissen, daß der ” Laubkranz in den Haaren und die nackten Beine ihnen viel besser stehen als der sch¨onste Filzhut und schwarze Lederstiefel.“ (Hesse-Wartegg 1902: 232) Hesse-Wartegg gebrauchte hier wiederum den Bezugspunkt der a¨ sthetischen Sch¨onheit, um nackte Haut thematisieren zu k¨onnen. Der Laubkranz im Haar rekurrierte auf arkadische Vorstellungen, w¨ahrend der Filzhut und Lederstiefel auf heimatliche Bekleidungsgebr¨auche verwiesen. Dadurch, dass den samoanischen Menschen die leichte Bekleidung vermeintlich besser stehe, brachte Hesse-Wartegg auch zum Ausdruck, dass sie europ¨aische Kleidung gar nicht erst probieren sollten, um die Ann¨aherung an die Weiße Gesellschaft nicht zu stark werden zu lassen. Doch selbst wenn sich Samoanerinnen bekleideten, so schien der Stoff mehr zu betonen, denn zu verbergen. Der d¨unne Stoff, weiß oder farbig, l¨aßt die ungemein u¨ ppigen Reize, deren sich die Samoanerinnen in ” h¨oherem Maße erfreuen als die Frauen irgend eines anderen mir bekannten Volkes, leicht erkennen. Gl¨ucklicherweise wird diese, augenscheinlich nach dem Gewicht zu berechnende Sch¨onheit der Samoanerinnen mit viel Anmut getragen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 233)

Auch hier wird nur metaphorisch der ausladende Busen der samoanischen Frauen beschrieben, eine explizite Wortwahl w¨are nicht mit Tugend und Anstand zu vereinbaren gewesen. Erneut greift Hesse-Wartegg auf den Begriff der Anmut“ zur¨uck, was den Wei” ßen Blick auf den K¨orper der Samoanerinnen legitimiert, dem zugleich die erotisierte Komponente unterlegt wird. Dadurch, dass die samoanischen Frauen eben nicht mehr nackt‘ sind, wird statt Sexualit¨at und Triebhaftigkeit nun Erotik und Verf¨uhrung m¨oglich. ’ Nach Hesse-Wartegg war es das Werk ebenjener Frauen, Seem¨anner der Kriegsschiffe an sich zu binden und zur Mischlingsbev¨olkerung‘ beizutragen, was genau auf das Konstrukt ’ der verf¨uhrenden, gef¨ahrlichen Frau anspielt. Es sind haupts¨achlich die feisten Kanakenm¨adchen, deren Sch¨onheitsgrad nach dem Gewicht gerech” net werden k¨onnte, sowie die zahlreichen Half casts‘ d.h. Mischlinge, welche besonders die Matrosen ’ der Kriegsschiffe umgarnen, kaffeebraune und Caf´e au lait-gelbe Loreleis, welche am Meeresstrande

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die heißbl¨utigen Schiffer in ihre Netze locken und mit ihrem etwas derben Liebesget¨andel so fest halten, daß manche nach Ablauf ihrer Dienstzeit, statt mit dem Abl¨osungstransport nach der Heimat zu ihrer getreuen Hulda80 zur¨uckzukehren, hier bleiben, ihren fr¨uheren Beruf im Zivilleben fortsetzen und in leicht l¨osbarer Ehe mit ihren kanakischen H¨alften fleißig zur Vermehrung der Mischlingsbev¨olkerung beitragen [Herv. i. O.].“ (Hesse-Wartegg 1902: 218)

In Bezug auf die Kategorie Klasse‘ konstruierte Hesse-Wartegg seine eigene M¨annlichkeit ’ hier auch in Abgrenzung zu den Matrosen“ (Hesse-Wartegg 1902: 218) und weiter unten ” zu den Seeleuten und Globetrottern“ (Hesse-Wartegg 1902: 236). Diese seien es, die unter ” Umst¨anden den Absprung‘ nicht schafften und bei einer Samoanerin blieben, anstatt zu ’ ihrer Frau in die Heimat zur¨uckzukehren. Deutlich wird die gegens¨atzliche Attribuierung der getreuen“ Hulda und der lockenden‘ Lorelei. Mit der Bezeichnung der Frauen als ” ’ Lorelei sprach er die M¨anner von ihrer eigenen Verantwortung los, denn bereits Lorelei verzauberte M¨anner durch ihre Sch¨onheit und ihren Gesang, und machte sie willenlos und st¨urzte sie ins Ungl¨uck. Hesse-Wartegg r¨uckte die Samoanerinnen sogar in die N¨ahe der Prostitutierten. Wenn man die Samoanerinnen zu Hause oder auf der Straße sieht, wenn man sie bei ihren Spielen, ” T¨anzen, Unterhaltungen aller Art beobachtet und die freie, aller Scheu bare Umgangsweise mit den M¨annern wahrnimmt, dann ist man leicht geneigt, daraus wenig Vorteilhaftes in Bezug auf ihre Tugend zu schließen. In der That besitzen die lustigen Weiber von Samoa81 bei den Seeleuten und fl¨uchtigen Globetrotters keinen besonders guten Ruf. Allein es w¨are weit gefehlt, aus den wenigen Exemplaren, die sich in der von Fremden viel besuchten Hafenstadt Apia zum Amusement der letzteren aufhalten, auf das weibliche Geschlecht in Samoa im allgemeinen zu schließen. Bei wenigen Naturv¨olkern wird auf die Tugend ein verh¨altnism¨aßig so hoher Wert gelegt, wie bei den Samoanern.“ (Hesse-Wartegg 1902: 236)

Geht man von der zeitgen¨ossischen Definition des Wortes sich prostituieren‘ im Sinne ’ von sich zu ungeziemenden oder unanst¨andigen dingen gebrauchen lassen‘ (besonders in ”’ geschlechtlicher beziehung) [sic!]“ (Grimm und Grimm 1889: 2174), so ist das Liebes”

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Hesse-Wartegg verwendete den typisch‘ germanischen Namen Hulda vermutlich einerseits in ’ Bezug auf das Berliner Volkslied Ist denn kein Stuhl da f¨ur meine Hulda“ (W. Wolff, 1899), ” welches im zeitgen¨ossischen Kontext bekannt war, andererseits als Wortspiel auf die Huld‘ (= ’ Gunst), die die Frauen in der Heimat ihren (Ehe-)M¨annern gew¨ahrten. Der biblische Bezug auf die – eher unbekannte – Prophetin des Alten Testaments (vgl. 2 K¨on 22, 14-20 und 2 Chr 34, 22-28) ist marginal.

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Hier spielte Hesse-Wartegg auf Die lustigen Weiber von Windsor“, eine Kom¨odie von William ” Shakespeare und die gleichnamige Berliner Oper von Otto Nicolai an. In der Kom¨odie ist es Sir John Falstaff, der zwei Frauen gleichzeitig den Hof macht. Als sie ihm auf die Schliche kommen, verb¨unden sie sich gegen ihn, um ihn zu blamieren.

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get¨andel“ und der damit einhergehende schlechte Ruf in begrifflicher N¨ahe zur Prostitution zu verorten. Das Deutsche W¨orterbuch von Friedrich Ludwig Karl Weigand von 1860 kennt etwa den Begriff Prostitution‘ oder sich prostituieren‘ nicht. Unter dem Begriff ’ ’ der Hurerei‘ findet sich sp¨ater dagegen lediglich der Ehebruch“ oder außerehelicher ’ ” ” Beischlaf“ (Weigand 1878: 834). Im Hafen von Apia schien es also – nach dieser Definition – sich prostituierende Samoanerinnen zu geben, die Seeleuten und Reisenden, die sich nur kurz auf Samoa – und damit u¨ berwiegend in Apia – aufhielten, zur Verf¨ugung standen. Geht man von der moderneren Bedeutung aus, dass eine sexuelle Handlung entgeltlich erfolgt, so muss von dem Tatbestand der Prostitution jedoch Abstand genommen werden. Wenn die braunen, dunkel glut¨augigen M¨adchen dem freien Seemann so zugethan sind, so spielt ” vielleicht auch ein bißchen Neugierde mit. Sie haben geh¨ort, die Weißen k¨ussen einander, indem sie ihre Lippen mit gr¨oßerem oder geringerem Schnalzen und entsprechender Innigkeit ber¨uhren. Das m¨ochten sie nun f¨ur ihr Leben gerne auch einmal lernen, denn die Aermsten kennen den Kuß noch nicht! [. . . ] Thatsache ist, daß die Lippenber¨uhrung bei den Samoanern auf Grund der wissenschaftlichen Versuche der deutschen Seeleute wenigstens in Apia mit großer Heftigkeit um sich greift.“ 82 (Hesse-Wartegg 1902: 230)

Die Neugierde als Motiv f¨ur sexuelle Handlungen spricht in diesem Zusammenhang jedoch gegen Prostitution. Stattdessen werden den Samoanerinnen hier sexuelles Interesse und sexuelle Praktiken, in Form des K¨ussens, zugestanden. Dies steht jedoch dem b¨urgerlichen Diskurs entgegen, der Frauen keine eigene Sexualit¨at außerhalb der reproduktiven und damit einhergehenden Mutterschaft zugestand. Doch zeigte die Praxis des K¨ussens eher den kindlich nachahmenden als den verf¨uhrerischen Anteil der Samoanerinnen. Insofern diente die Beschreibung lediglich der hierarchisierenden Unterordnung, indem die Weißen M¨anner den samoanischen Frauen zeigen konnten, wie gewisse sexuelle Praktiken funktionierten. Damit bricht insbesondere das Bild der zuvor genannten Lorelei, die sich ihrer Reize durchaus bewusst ist und sie intendiert einsetzen kann. Stattdessen befinden sich die samoanischen Frauen hier ebenfalls auf der Stufe der Kinder.

82

Genthe a¨ ußerte jedoch, dass das K¨ussen bei den samoanischen M¨adchen gar nicht so beliebt sei. Neuerdings gibt es in der Sprache Apias auch ein Wort Kisi‘, womit ein richtiger Kuß nach Art ” ’ der Papalagi bezeichnet werden soll. Diese Art der Begr¨ußung ist jedoch durchaus unbeliebt bei den Eingeborenen, die sie wohl nur aus Spaß gelegentlich nachahmen.“ (Genthe 1908: 235)

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An sp¨aterer Stelle erkl¨arte Hesse-Wartegg, woher die leichten M¨adchen‘ kamen: ’ Ihr Los [das der Nebenfrauen83 , die von samoanischen Frauen bereits mit in die Ehe gebracht wurden, ” G. F.] ist nur insofern ein trauriges, als sie sich bei Lebzeiten ihres sogenannten Gatten bei Todesstrafe nicht wieder verm¨ahlen d¨urfen. Sie suchen sich auf andere Art zu am¨usieren, und aus solchen Frauen rekrutiert sich haupts¨achlich das weibliche oder besser unweibliche Element, das die Seefahrer in dem Hafen von Apia vorfinden und das den Frauen von Samoa mit Unrecht zu ihrem keineswegs besonders guten Ruf in der S¨udsee verholfen hat.“ (Hesse-Wartegg 1902: 241)

Auf diesem Wege konnte Hesse-Wartegg die negative Beurteilung samoanischer Frauen trotz seiner ausf¨uhrlichen Schilderungen relativieren und auf eine kleinere Gruppe bestimmter Frauen reduzieren. Prostitution (im oben genannten Sinne) blieb also Hesse-Wartegg zufolge das Schicksal‘ nicht mehr gebrauchter Nebenfrauen. Bemerkenswert an diesen ’ Passagen bleibt, dass außer Hesse-Wartegg niemand der anderen Autoren oder Autorinnen Bemerkungen in diese Richtung machte. Das in die Heimat vermittelte Bild der samoanischen Frauen blieb im Grunde ein positives, in dem großer Wert auf die Betonung der Tugendhaftigkeit gelegt wurde. Die Anspr¨uche an die Tugendhaftigkeit der Samoanerinnen oszillieren also merklich zwischen den Frauenbildern. Das leichte M¨adchen, das sich zum Amusement“ der Matro” sen und anderer Reisender im Hafen aufh¨alt, wurde verurteilt, die tugendhaften M¨adchen Samoas waren dagegen positiv konnotiert und bewegten sich in einem nat¨urlichen‘ Rah’ men. Daran arbeiteten die Autoren auch ihre jeweils eigene M¨annlichkeitskonstruktion ab. Grunds¨atzlich entspricht es ihrer Konstruktion von M¨annlichkeit, dass samoanischen Frauen als untergeordnet angesehen, zwischen Heiliger‘ und Hure‘ verortet werden und ’ ’ damit die m¨annliche Deutungshoheit in den Mittelpunkt ger¨uckt wird. Als M¨anner sind die Autoren also zivilisierter‘ als die einheimischen Frauen, da sie ihre Triebe unter’ dr¨ucken und sublimieren k¨onnen. Sie sind es, die die Situationen je nach erotisierenden oder a¨ sthetischen Aspekten auf- oder entladen k¨onnen und die zudem den Zugriff auf die K¨orper der Frauen haben, und sei es lediglich mit Blicken. Schließlich fehlt noch der Blick, den die Autorinnen auf samoanische Frauen warfen.84 Deutlich wird in der Quellenlage, dass weibliche Autoren nur wenig u¨ ber einheimische Frauen schrieben, was nicht im Kontext der eigenen Rolle als Kulturtr¨agerin‘ (wie bei ’

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Anscheinend war es u¨ blich, dass samoanische Frauen sogenannte Ehrendamen, also Nebenfrauen, mit in die Ehe brachten, um ihren Gatten auch zu Zeiten z. B. ihrer Schwangerschaft unterhalten zu wissen. Hin und wieder wurden auch diese Frauen schwanger, zogen sich zu ihren Familien zur¨uck bzw. prostituierten sich, da ihnen eine Hochzeit, wie oben zitiert, verboten war (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 241).

84

Marie Fraser behandelt in ihrem Kapitel u¨ ber Frauen lediglich die Taupous, vgl. Kapitel 5.2.2.

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Zieschank) oder im Zusammenhang mit der Taupou stand (was an sp¨aterer Stelle behandelt wird). Darin zeigt sich deutlich das Nicht-Gesagte als Pendant zum m¨annlich dominierten Diskurs u¨ ber samoanische Frauen. Die wenigen Stellen, die es gibt, klingen bei Pierce Churchill beispielsweise so: The position of woman [!] among the Samoans is, when ” all things are considered, not only satisfactory but enviable. [. . . ] She is by no means the drudge and beast of burden which women in other rude communities are; she has a voice in affairs.“ (Pierce Churchill 1902: 34) Pierce Churchill f¨uhrte anschließend noch weiter aus, welche Aufgaben und Privilegien der samoanischen Frau zustehen (vgl. Pierce Churchill 1902: 34ff.). Deutlich wird, dass sie den samoanischen Frauen durchaus eine beneidenswerte Position zugesteht. Obwohl sie lediglich von der Vergleichsgruppe anderer rude ” communities“ spricht, scheint sie die Postition der samoanischen Frauen implizit mit der der US-amerikanischen Hausfrau abzugleichen. Fraglich ist, von welchen unkultivierten ’ Gesellschaften‘ sie spricht, wenn sie samoanische Frauen von der dortigen Rolle als Ar’ beitssklavin‘ und Lasttier‘ abgrenzt. Insgesamt sei die Position der samoanischen Frauen ’ also durchaus eine vergleichbar beneidenswerte, f¨ur Pierce Churchill jedoch nur im Vergleich zu anderen unzivilisierten‘ Gesellschaften. Das Zugest¨andnis, dass diese Position ’ auch f¨ur sie als US-Amerikanerin beneidenswert ist, kann nicht verbalisiert werden. Auch bei Frieda Zieschank ging es um den neidvollen Blick oder die Rivalit¨at zu den einheimischen Frauen. W¨ahrend sich der neidvolle Blick, wie bei Pierce Churchill angeklungen, auf die gesellschaftliche Position richtete, bestand die Rivalit¨at vor allem im jeweiligen Verh¨altnis zu Weißen M¨annern. Der Bedarf, sich daran abzuarbeiten, war f¨ur Frieda Zieschank als deutsche Autorin offenbar ein h¨oherer, als bei der englischen und der US-amerikanischen Autorin. Als Strategie, sich von samoanischen Frauen einerseits abzugrenzen und sich andererseits u¨ berlegen zu positionieren, verwendete Zieschank den Bezug zum Sch¨onheitsideal samoanischer Frauen. Die Samoanerinnen? Ihre Sch¨onheit ” ist so unendlich oft gepriesen, daß es wohl als Rivalit¨at der Geschlechtsgenossin w¨urde bel¨achelt werden, wenn ich sie nur mit starken Einschr¨ankungen gelten lassen kann.“ (Zieschank 1918: 23) Zieschank schrieb mit Blick auf ihr Lesepublikum und versuchte, dessen m¨oglichem Vorwurf mangelnder Objektivit¨at zuvorzukommen. F¨ur sie war die Sch¨onheit der Frauen nur eingeschr¨ankt g¨ultig. Ihr Bezugsrahmen ist ein doppelter; im Vergleich zu Frauen aus Afrika, Neuguinea, Fidji oder Australien erkannte Zieschank sie als die sch¨oneren Vertreterinnen an (vgl. Zieschank 1918: 23), doch konnten sie im Vergleich zu Weißen Frauen nicht bestehen. Von allen f a r b i g e n St¨ammen sind sie sicherlich die ” sch¨onsten Vertreterinnen. Aber meiner Ansicht nach k¨onnen sie den Vergleich mit der w e i ß e n Frau nicht aushalten [. . . ] [Herv. i. O.].“ (Zieschank 1918: 23) Die beschr¨ankte Sch¨onheit bezieht sich sowohl auf den Vergleich mit unterschiedlichen Rassen‘, als ’ auch auf das Lebensalter der Frauen, da Zieschank ihre Sch¨onheit nur im zartesten ” Jungfrauenalter“ als wirklich reizvoll“ empfindet (Zieschank 1918: 23). In diesem Alter ”

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sind die samoanischen Frauen noch Kinder oder Jugendliche, die der Weißen Frau als Ehefrau in Bezug auf M¨anner noch keine Konkurrenz machen k¨onnen (oder es zumindest nach b¨urgerlichen Anstandsvorstellungen nicht k¨onnen sollten). Sch¨onheit diente hier also als Konzept, das sich einerseits auf rein k¨orperliche Aspekte bezog, die verg¨anglich waren. Andererseits erm¨oglichte die Dichotomie zwischen k¨orperlicher Sch¨onheit und geistiger Sch¨onheit zu unterscheiden und letztere aufzuwerten. Im Bezug auf Bildung und Treue war die Weiße Frau einer Samoanerin also noch immer u¨ berlegen. In diesen kurzen Ausschnitten zeigt sich, dass die Autorinnen sich einerseits wenig an dem erotisch und sexuell aufgeladenen Diskurs u¨ ber Weiblichkeit beteiligen. Die feminisierte Darstellung und sexuelle Aufladung war eher das Thema m¨annlicher Reiseberichte (vgl. dazu auch Habinger 2003: 187). Stattdessen nehmen die beiden weiblichen Reisenden einerseits die – beneidenswerte – gesellschaftliche Stellung der samoanischen Frauen in den Blick (Pierce Churchill) und arbeiten sich andererseits am m¨annlichen Diskurs ab, indem sie die positive Darstellung brechen und ihr nur eingeschr¨ankte G¨ultigkeit zugestehen (Zieschank). Gleichzeitig schauen sie mit einem eindeutig rassisierenden‘ Blick auf die ’ samoanischen Frauen, um sich die u¨ berlegene Position zu sichern. Wie dargestellt, sind die Weiblichkeitsdarstellung samoanischer Frauen stark abh¨angig vom Geschlecht der Schreibenden. Bei den hier analysierten Autoren oszillieren die Darstellungen zwischen Tugendhaftigkeit und Verf¨uhrung. Sie greifen auf Weiblichkeitsbilder von Hure‘ und Heiliger‘ sowie Mutter zur¨uck. Dabei konstruieren die Autoren gleicher’ ’ maßen ihre eigene M¨annlichkeit als hegemonial u¨ berlegen, an br¨uchigen Stellen erscheinen sie jedoch auch als Kinder. Ihre eigene Sexualit¨at arbeiten sie an den Anstands- und Moralvorstellungen der Heimatgesellschaft ab, um insbesondere den legitimatorischen Herrschaftsanspruch nicht zu verlieren, wenn sie sich der Z¨ugellosigkeit und Triebhaftigkeit hing¨aben. K¨orperliche Ber¨uhrungen von samoanischen Frauen werden von den Autoren entweder karikierend beschrieben, oder als unschuldig‘ verortet, um keine Sittlichkeitsregeln ’ zu u¨ bertreten. Die Weißen Autorinnen beteiligen sich dagegen nicht am sexualisierten Diskurs, konstruieren ihre eigene Weiblichkeit nicht u¨ ber eine sexuelle Komponente. Stattdessen bezie¨ hen sie gesellschaftliche Positionen und Aufgaben mit ein, um die eigene Uberlegenheit sichtbar zu machen und sich m¨annlichen Schreibenden gegen¨uber zu positionieren. Als unterlegenes Geschlecht der u¨ berlegenen Rasse“ (Habinger 2003: 217) geht es f¨ur sie ” vorrangig um eine Verortung innerhalb des Weißen Geschlechterverh¨altnisses.85

85

Zur speziellen Funktion der Frauen als Kulturtr¨agerinnen‘ vgl. Kapitel 6.5. ’

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¨ Mannlichkeitskonstruktionen Mehrere Quellen widmen sich der Beschreibung der samoanischen Menschen und differenzieren dabei explizit zwischen M¨annern und Frauen. Diese Schilderungen stehen im gleichen doppelten Bezugssystem, wie schon die Eigenschaften der rassischen‘ Zugeh¨origkeit: ’ Einerseits wird die Sch¨onheit von Frauen und M¨annern gegeneinander abgegrenzt, andererseits orientiert sich dieser Sch¨onheitsbegriff an europ¨aischen Sch¨onheitsidealen. Verschiedene Autorinnen und Autoren kommen zu a¨ hnlichen Ergebnissen: Die Sch¨onheit der Frauen ist eher auf ihre Jugend beschr¨ankt. Auch die M¨anner sind k¨orperlich sch¨on, ihre platten Nasen und Gesichter entsprechen aber nicht dem europ¨aischen Sch¨onheitsideal. Und insgesamt vermag die Sch¨onheit beider Geschlechter nicht gegen europ¨aische Sch¨onheiten anzukommen. So Wegener: Ber¨uhmt und von allen Reisenden begeistert gepriesen ist ” die Sch¨onheit der Frau. Allein vom a¨ sthetischen Standpunkt sind die M¨anner mindestens ebenso sch¨on. Es sind hochgewachsene, oft das Durchschnittsmaß des Europ¨aers erheblich u¨ berragende Erscheinungen von schlankem, kraftvollem Wuchs und prangender Gliederf¨ulle.“ (Wegener 1903: 39f.) M¨anner werden u¨ ber den Sch¨onheitsbegriff charakterisiert – unter diesem Aspekt d¨urfen sie sogar in der K¨orpergr¨oße die Europ¨aer u¨ berragen, weil man sie u¨ ber die Sch¨onheit jederzeit wieder feminisieren und damit der eigenen M¨annlichkeit unterordnen k¨onnte. Das vornehme Rostbraun oder hellr¨otliche Braun der Haut gibt den mit w¨urdevoll gelassenen Bewe” gungen dahinwandelnden Gestalten das Gepr¨age lebendig gewordener antiker Bildwerke. Das Haar ist schwarz und schlicht, das Auge dunkel und voll Leben, die Backenknochen stehen etwas hervor, die Nase ist kurz und breit; nicht die H¨ohe und Sch¨arfe des Nasenr¨uckens gilt, wie bei uns, als Sch¨onheit, sondern die Plattheit, der infolgedessen im Kindheitsalter gelegentlich nachgeholfen werden soll.“ (Wegener 1903: 40)

Wiederum wird die Hautfarbe als Braun definiert. Die Gestalten sind dem arkadischen Raum entlehnt. Ihre Gesichtsz¨uge mit den platten Nasen reduzieren die Dominanz und markante Merkmale, sodass davon keine Bedrohung f¨ur die europ¨aischen M¨anner auszugehen vermag. Die beschriebene Sch¨onheit erf¨ullt eine a¨ hnliche Funktion: Sie reduziert die Bedrohlichkeit und die M¨annlichkeit. Beiden Geschlechtern kommt zugute, daß ihr eingeborener Stolz sie bis heute noch ihre wunderbar ” kleidsame, den nat¨urlichen Wuchs nirgends einengende Tracht hat beibehalten lassen, und daß die Gewohnheit, sich wohlanst¨andig in Haltung und Geb¨arden zu geben, im Laufe der Generationen den K¨orper gleichsam mit nat¨urlicher Anmut durchtr¨ankt hat.“ (Wegener 1903: 40)

Die Auseinandersetzung mit der Bekleidung taucht hier nun auch zur Beschreibung der samoanischen M¨anner auf. Wie schon bei den Darstellungen der Frauen betonte die Schilderung der kleidsamen Tracht eigentlich mehr ihre Abwesenheit. Damit offenbarte sich dem

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Betrachter die K¨orperlichkeit der samoanischen M¨anner und machte diese K¨orper verf¨ugbar. Hier ist es Wegener, der den von Hesse-Wartegg bereits bekannten Topos der nat¨urlichen ” Anmut“ anf¨uhrt. Indem Wegener sich auf die Nat¨urlichkeit‘ der Bekleidung, und auch auf ’ die Selbstverst¨andlichkeit des Blickes konzentriert, legitimiert er die Vereinnahmung und Unterordnung der samoanischen M¨anner. Frieda Zieschanks Schilderung samoanischer M¨anner, die im Gegensatz zu samoanischen Frauen positiv ist, gleicht in den Grundz¨ugen stark der von Wegener verfassten. W¨ahrend Zieschank mit der k¨orperlichen Sch¨onheit der samoanischen Frauen konkurrierte und diese deshalb relativieren musste, konnte sie die samoanischen M¨anner als potenzielle Objekte ihrer Begierde dagegen als durchaus sch¨on‘ schildern. ’ Sie sind ja nun wirklich eine der sch¨onsten Menschenrassen, wenigstens in bezug auf K¨orperbau, ” und ganz besonders ist das von den m¨annlichen Vertretern des Volkes zu sagen. Einen Samoaner von niedrigem Wuchs habe ich noch nicht gesehen, und sehr selten findet man von Natur Verkr¨uppelte. Fast alle sind groß, mindestens erreichen sie unsere Mittelgr¨oße, wundervoll ebenm¨aßig gewachsen und muskul¨os. Ein samoanischer schlanker J¨ungling, bl¨utengeschm¨uckt die Kava kredenzend, ist ein Modell, das die gr¨oßten altgriechischen K¨unstler begeistert h¨atte!“ (Zieschank 1918: 23)

Auch f¨ur Zieschanks Blicke waren die K¨orper der samoanischen M¨anner verf¨ugbar, gleichermaßen spielte sie auf die K¨orpergr¨oße, die Bekleidung und den (Bl¨uten-)Schmuck an, was ihrer Beschreibung eine morphologische Komponente gibt, die ihre eigene ¨ Uberlegenheit ausdr¨uckt. Indem sie die samoanischen M¨anner biologistisch beschreibt, vermag sie sie in der Natur, im Tierreich verorten, wor¨uber sie selbst als Kulturmensch‘ ’ erhaben ist. Mit ihrem Bezug auf den altgriechischen K¨unstler benutzte sie eine g¨angige Erz¨ahlkonvention. Die Hautfarbe ist hell kastanienbraun. Die Gesichtsz¨uge sind allerdings nicht sch¨on, ” die breite fleischige Nase und die dicken, aber stark geschwungenen Lippen sagen wenigstens unserm Geschmack nicht zu, jedoch mildert der sympathische, liebensw¨urdige Ausdruck viel dabei.“ (Zieschank 1918: 23) Hier sind es neben der Nasenform die Lippen, die einen deutlichen Unterschied f¨ur Zieschank zum europ¨aischen Sch¨onheitsideal machen. Auch f¨ur sie ist es wichtig, die Hautfarbe als kastanienbraun“ zu beschreiben, womit erst ” ¨ die Offnung f¨ur eine a¨ sthetisch sch¨one Wahrnehmung gegeben wurde, da Schwarz im Rassediskurs‘ ja anders belegt gewesen w¨are. ’ Die Darstellung Hesse-Warteggs a¨ hnelt den vorangegangenen, was den Bezug von Sch¨onheit, K¨orperlichkeit und – in diesem Falle – r¨omischen Bildwelten angeht: Sie sehen ” aus wie R¨omer zur Zeit des Nero, herrliche Menschen mit Torsos, wie sie ein Praxiteles86 nicht sch¨oner in Marmor meißeln k¨onnte, mit Armen und Beinen, um deren Muskelpracht

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Ein Bildhauer der griechischen Antike (ca. 370-330 v. Chr.).

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sie ein englischer Ringk¨ampfer87 beneiden k¨onnte, und sch¨onen, m¨annlichen Gesichtern.“ (Hesse-Wartegg 1902: 231) Hesse-Wartegg vermischte diverse bildliche Entlehnungen. Die R¨omer standen f¨ur eine imperialistische Gesellschaft, wobei der Bezug an dieser Stelle u¨ ber ihre k¨orperliche Darstellung erfolgte. Mit Praxiteles erg¨anzte Hesse-Wartegg seine Darstellung um eine griechische Komponente, bevor er sie um einen englischen Ringk¨ampfer erweiterte. Hier war es also zun¨achst die m¨annliche Sch¨onheit, die HesseWartegg herauszustellen suchte. Gleichzeitig wird der stetige eurozentristische Vergleich deutlich; selbst im Aussehen der Einheimischen wird europ¨aische Geschichte reproduziert. Dadurch werden die samoanischen M¨anner in die europ¨aische Historie integriert und samoanische Geschichtslosigkeit unterstellt. Hesse-Wartegg fuhr fort: Große schwarze Augen blicken unter den dichten Brauen hervor, der h¨ubsch geformte Mund mit ” allerdings etwas wulstigen Lippen wird von einem kleinen Schnurrb¨artchen umrahmt, und die Z¨ahne sind so klein, so blendendweiß und regelm¨aßig wie Perlenschn¨ure. Das Haar ist kurz gestutzt, borstenartig vom Kopfe abstehend, von vielen wird es auch fingerlang getragen und ringelt sich dann in leichten Locken um die Schl¨afen und das Genick. [. . . ] Aber ihr sch¨onster Schmuck sind doch die Blumenkr¨anze, die sie vom Halse h¨angend auf der nackten Brust tragen und die gr¨unen wie Lorbeer aussehenden Kr¨anze, mit denen sie ihr Haupt schm¨ucken. Dies im Verein mit ihren kr¨aftigen Gestalten giebt ihnen das Aussehen r¨omischer Gladiatoren.“ (Hesse-Wartegg 1902: 231)

Die große[n] schwarze[n] Augen“ erinnern an die Darstellung der braunen, dunkel ” ” glut¨augigen M¨adchen“ (Hesse-Wartegg 1902: 230). W¨ahrend Hesse-Wartegg das r¨omische Erscheinungsbild hier als Sch¨onheitsmerkmal definiert, stellte umgekehrt die europ¨aische‘ ’ pr¨agnante Nase f¨ur die samoanische Bev¨olkerung kein Sch¨onheitsideal dar: Unsere Ad” lernasen, oder wie die Samoaner sie nennen, Kanoenasen, sind nach ihren Begriffen arge Sch¨onheitsfehler.“ (Hesse-Wartegg 1902: 237) Darin zeigt sich der Konstruktionscharakter der Kategorie Sch¨onheit“. Hesse-Wartegg beschrieb die Gesichter als m¨annlich‘ und ” ’ ¨ zugleich sch¨on‘, mit der Ahnlichkeit zu r¨omischen Gladiatoren sprach er ihnen auch St¨arke ’ und Kampfkraft zu. Mit dieser romantisierten Darstellung geraten die den Gladiatoren eigene Brutalit¨at und niedere gesellschaftliche Stellung aus dem Blick. Damit grenzte er die samoanischen M¨anner von dem weiblichen samoanischen Sch¨onheitskonstrukt ab, und gleichzeitig machte diese Attribuierung deutlich, dass sich diese samoanischen M¨anner auch pr¨agnant von europ¨aischen Herren‘ unterschieden. Zugleich tragen die Schilderungen ’ Hesse-Warteggs deutlich homoerotische Z¨uge, insbesondere, da die Beschreibungen von

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Ringen, aber noch mehr das Boxen, war seit dem 18. Jahrhundert in England eine weit verbreitete Sportart, die nicht nur von der Arbeiterschicht, sondern durchaus von den Gentlemen ausge¨ubt wurde. Diese trainierten eigens f¨ur den Wettkampf ihre K¨orperkraft und Muskelst¨arke“ (Maurer ” 2010: 33).

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Sch¨onheit in einem sexualisierten und naturalisierten Kontext verortet sind. Die Bez¨uge zur griechischen Antike untermauern dieses Bild, da diese ebenfalls durch Homoerotik gekennzeichnet war. Weiterhin passt dazu auffallend, dass Hesse-Wartegg die M¨anner positiv darstellte, die Frauen dagegen als nur begrenzt sch¨on wahrnahm. Wirklich sch¨one Samoanerinnen habe ich in Apia nicht gesehen. Die Gesichter sind zu fleischig, ” die Lippen, zwischen denen die herrlichsten Z¨ahne durchschimmern, zu wulstig. Ihre schwarzen, großen, feurigen Augen werden von dichten, schwarzen Brauen umrahmt und ihr u¨ ppiges Haar lose herabfallend oder zu einem leichten Knoten gebunden getragen. Wie die M¨anner, so pflegen auch die Frauen ihrem Haar durch Kalk eine r¨otliche F¨arbung zu geben.“ 88 (Hesse-Wartegg 1902: 233)

Hesse-Wartegg beschrieb die Frauen nun mit den zum Teil gleichen Worten, wie zuvor die M¨anner; wulstige Lippen“ und dichte Brauen“ tauchen an beiden Stellen auf. Mit dieser ” ” Physiognomie attribuierte Hesse-Wartegg die Frauen m¨annlich‘: sie f¨arbten ihr Haar sogar ’ [w]ie die M¨anner“. Genthe setzte sich ebenfalls mit dem Blick auf die K¨orper auseinander. ” Es war ein Anblick f¨ur die G¨otter: die braunen, muskelgeschwellten Leiber der Ruderer, die sich ” trotz Gesangs und fr¨ohlichen Gel¨achters mit Macht in die Riemen legten, die sch¨ongeformten ausdrucksvollen K¨opfe mit frischem Gr¨un umwunden, auf dem Wasser die glitzernde Sonne und die gischtspr¨uhenden munteren Wellen der blauen Flut, und im Hintergrunde Upolu mit seinem Palmenstrand und dichtbelaubten Bergen. O Thalatta,89 o Samoa!“ (Genthe 1908: 184f.)

Auch Genthes Beschreibung rekurriert auf die m¨annliche Sch¨onheit in Kombination mit der St¨arke, die f¨ur das Rudern notwendig war. Doch die geschilderte Kraft wird bereits in die Ruderbewegung u¨ berf¨uhrt, also kanalisiert, und besitzt somit kein Bedrohungspotenzial f¨ur den Weißen Mann. Insgesamt spielt das Bild mit der Einbindung in seine Umgebung mit Wasser, Strand und Bergen. Dazu kam an einigen Stellen die Schilderungen von einge¨olten K¨orpern: Der meist v¨ollig nackte oder nur mit einer Blumenkette geschm¨uckte Oberk¨orper gl¨anzt unter dem ” frischen Anstrich von Kokos¨ol, und unter der pr¨achtig gleichm¨aßig hellbraunen Haut bewegen sich

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Obwohl diese Beschreibung negativ konnotiert ist, benutzte er dieselbe an anderer Stelle, um die folgende Situation deutlich positiver zu schildern: Kam ich beispielsweise unversehens in ein ” Dorf, so fand ich die M¨adchen in ihrer bronzefarbenen Haut und Lawalawa prangen; verweilte ich aber nur kurze Zeit, so erschienen sie schon mit brennroten großen Hibiscusbl¨uten in ihrem u¨ ppigen, h¨aufig durch Kalk entf¨arbten semmelblonden oder auch nat¨urlichen schwarzen Haar, und um den Hals waren Blumenketten gewunden, die u¨ ber die Brust herabfielen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 242)

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Dieser Gruß an die See spielt wiederum auf die griechische Sagenwelt an.

Anthropologische Vorstellungen uber Samoanerinnen und Samoaner | 185 ¨

die riesigen Muskeln, deren ungew¨ohnliche Entwicklung der Samoaner von sich selbst so gern r¨uhmt, wenn er zwischen sich und andern V¨olkern Vergleiche anstellt.“ (Genthe 1908: 28)

Genthe stellte es so dar, als ob die Samoaner selber ihre muskul¨osen K¨orper beschreiben und mit anderen V¨olkern vergleichen w¨urden, dabei ist es doch gerade die europ¨aische ¨ Perspektive, die diese Vergleiche anstellt. Mittels der Muskul¨osit¨at und eben der Olschicht ¨ konnte Genthe explizit zum Ausdruck bringen, dass der Oberk¨orper nackt“ sei. Ahnlich ” hatte auch Hesse-Wartegg von der nackten Brust“ gesprochen (Hesse-Wartegg 1902: 231). ” Doch diese Nacktheit ist aufgrund der dadurch zum Vorschein kommenden St¨arke keine anz¨ugliche, wenngleich sie auch hier stark homoerotische Z¨uge tr¨agt. In diese Darstellungen l¨asst sich Churchward problemlos einreihen. Auch er beschrieb ¨ den Ausdruck von St¨arke – und wiederum den die Nacktheit der Oberk¨orper, das Ol, Pflanzenschmuck im Haar. After the infants came six grown men fantastically dressed, naked to the waist, shining in the firelight ” with strongly-scented oil – the aroma of which, not unpleasantly, silled the house. Their heads were crowned with loose green wreaths, permitting stray leaves to hang somewhat over their foreheads, giving them quite a Bacchic appearance.“ (Churchward 1887: 228)

Die samoanischen M¨anner unterlagen in den Quellen also einer ganz bestimmten Darstellungsstrategie, vor allem durch die m¨annlichen Autoren.90 Sie wurden, genau wie die Frauen, in ihrer Sch¨onheit‘ beschrieben. Indem M¨anner als sch¨on‘ bezeichnet wurden, ’ ’ wurden sie – im zeitgen¨ossischen Kontext – gleichermaßen feminisiert, ihnen wurde das spezifisch M¨annliche‘ abgesprochen, sodass die eigene M¨annlichkeit ungef¨ahrdet blieb. ’ Durch diese ent-m¨annlichende Strategie gelang es den Autoren, sich letztlich als die einzigen M¨anner‘ in der auf Samoa anwesenden Gesellschaft zu verorten. Somit konnten sie ’ die Insel in Besitz nehmen und vereinnahmen, die anwesende Bev¨olkerung in ihrer Dominanz als zu vernachl¨assigende Gr¨oße betrachten. Somit gab es auch keinen Widerstand gegen das koloniale Projekt, dessen Rechtm¨aßigkeit so selbstverst¨andlich angenommen werden konnte. Dadurch konnte die eigene Position auf der Insel gesichert und die eigene ¨ Uberlegenheit demonstriert werden. Neben der feminisierenden Sch¨onheit gab es Schilderungen, die eine m¨annliche Sch¨onheit beschrieben, die mit k¨orperlicher St¨arke einherging. Diese war aus europ¨aischer Perspektive durchaus bewundernswert, mitunter homoerotisch, jedoch nicht bedrohlich und rivalisierend.

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¨ Ahnlich wie bei den Weiblichkeitskonstruktionen der Blick auf die samoanische Frau, die Taupou, noch aussteht, fehlt hier noch der Blick auf den samoanischen Mann, den K¨onig‘ bzw. h¨ochsten ’ W¨urdentr¨ager. Dies erfolgt in Kapitel 5.3.

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Deutlich wird in den M¨annlichkeitskonstruktionen, dass die samoanischen M¨anner ebenso den Blicken verf¨ugbar erscheinen, wie die samoanischen Frauen. Auch die M¨anner sind durch die leichte Bekleidung den Weißen Blicken ausgesetzt und werden deren Wahrnehmungskategorien untergeordnet. Insbesondere wurde der Fokus auf die K¨orperlichkeit der einheimischen Bev¨olkerung gelegt, womit sie sich von der geistigen St¨arke und Intelligenz der Weißen unterschieden.

¨ ¨ Das Geschlechterverhaltnis zwischen samoanischen Mannern und Frauen anhand der Aufgabenteilung Das Geschlechterverh¨altnis zwischen Weißen M¨annern (und auch Frauen) und einheimischen Frauen und M¨annern war ein hierarchisches. Die Autorinnen und Autoren versuchten dieses auch auf die Schilderungen der geschlechtsspezifischen Aufgabenverteilung zu u¨ bertragen, indem sie davon ausgingen, dass samoanischen M¨annern und Frauen unterschiedliche Aufgaben zufielen, die Frau dem Manne im Grunde aber untergeordnet sei. Der Blick auf das Rollenverst¨andnis von M¨annern und Frauen innerhalb der samoanischen Gesellschaft zeigt, innerhalb welcher Kriterien Autorinnen und Autoren zu beobachten in der Lage waren. W¨ahrend in den Herkunftsgesellschaften die Einteilung in eine private und eine o¨ ffentliche Sph¨are mit jeweiliger Geschlechtszuweisung vorherrschte – zumindest was das B¨urgertum betraf, und damit die Autorinnen und Autoren – so war dieses f¨ur die samoanische Gesellschaft nicht in gleicher Weise zu beobachten. Zun¨achst gingen die Autorinnen und Autoren von einer a¨ hnlichen Rollenverteilung aus und arbeiteten sich an einem Geschlechterverst¨andnis anderer primitiver‘ Gesellschaften ’ ab, in denen Frauen ihren M¨annern deutlich nachgeordnet waren. Man sollte [. . . ] annehmen, daß die Samoaner [. . . ] die Frau als ein ihnen nicht ebenb¨urtiges Wesen ” ansehen. Dies ist aber nicht der Fall. Die Samoaner zeigen dem weiblichen Geschlechte gegen¨uber eine gewisse Ritterlichkeit; sie lassen die Frauen keine schwere Arbeit verrichten, sondern besorgen diese selbst, ja, den M¨annern obliegt nicht nur die Herbeischaffung, sondern auch die Zubereitung der Speisen. Frauen aus vornehmen Familien erfreuen sich des gr¨oßten Ansehens, ja sie k¨onnen selbst Titel und hohe Aemter bis zur Regentschaft u¨ ber ganze Distrikte erlangen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 242)

Auf den m¨oglichen Titelerwerb der samoanischen Frauen hatte auch Pierce Churchill angespielt, Hesse-Wartegg wiederholte die M¨oglichkeiten des gesellschaftlichen Aufstiegs f¨ur Frauen als Taupous. Das Geschlechterverh¨altnis konstituiert sich bei ihm bin¨ar: Die M¨anner verhalten sich ritterlich“ gegen¨uber den Frauen, denen – aufgrund ihres Geschlechtes ” – keine schwere Arbeit zugemutet werde, womit eine Vorstellung vom schwachen Ge’ schlecht‘ zutage tritt. Das Kochen sprach Hesse-Wartegg den M¨annern als Aufgabe zu. Die b¨urgerliche Rollenverteilung sah dagegen kaum M¨oglichkeiten f¨ur Frauen in politischen

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¨ Amtern, geschweige denn f¨ur M¨anner im Haushalt vor. Doch dieser Bruch wurde nicht immer als solcher wahrgenommen. Pierce Churchill beispielsweise beschrieb die Aufgaben der Frau ganz deutlich als die einer Hausfrau‘. Her domestic cares are summed in the duty ’ ” to be the housewife. Hers is the task to wade the lagoon for the smaller fish, to weave the mats, to beat the tutuga bark into the siapo cloth, to cook, to manage the affairs of the home.“ (Pierce Churchill 1902: 35) Pierce Churchill nahm die Unterschiede zu einer europ¨aischen Hausfrau nicht wahr: das Fischen geh¨orte in der Heimat nicht zu den Aufgaben der Frauen, und auf Samoa war das Kochen nicht ausschließliche Aufgabe der Frauen. Insofern verkennt ihre Darstellung Differenzen zwischen Weißen und samoanischen Hausfrauen. An der gesellschaftlichen Stellung der Frau arbeitete sich auch Wegener ab: Die Stellung der Frau u¨ berhaupt ist bei den Samoanern im allgemeinen sehr viel angenehmer, als ” wir bei den Naturv¨olkern zu sehen gewohnt sind. Die schwere Arbeit, soweit von solcher in Samoa u¨ berhaupt die Rede sein kann, selbst das Kochen und Backen, u¨ bernehmen die M¨anner. Sie [die Frauen, G. F.] besch¨aftigen sich mit der Bereitung des Tapazeuges aus Baumbast, mit Flechten der Matten und der Herstellung kleinerer Hausger¨ate, mit der Wartung der Kinder und leichterer Feldarbeit. Den vornehmeren Frauen wird oft mit außerordentlicher Ehrfurcht entgegengetreten. Im allgemeinen hat man den Eindruck, als ob der a¨ sthetisch feinf¨uhlige Samoaner vor allem die Sch¨onheit der Frau sch¨atzt und sie als den Schmuck seines Daseins betrachtet.“ (Wegener 1903: 42)

Wegener spielte auf die f¨ur Frauen nachteilige Rollenverteilung in anderen Naturv¨olkern‘ ’ an, der gegen¨uber die Rolle samoanischer Frauen auf ihn privilegiert wirkte. Zudem vergleicht er mit der europ¨aisch-b¨urgerlichen Gesellschaft. In die m¨annliche Sph¨are f¨allt bei ihm die schwere Arbeit“, deren Existenz er aber in ” Abrede stellte. Insofern kann sich in seiner Wahrnehmung der samoanische Mann nicht als m¨annlich‘ positionieren, da ihm die definierende und St¨arke erfordernde Aufgabe fehlt. ’ Der Frau sind lediglich die leichteren Aufgaben zugedacht, ansonsten wird sie als dem Mann zugeh¨orig geschildert, der sie begehren kann. Im Zaubermantel“ gab Wegener eine ” a¨ hnliche Einsch¨atzung der Aufgabenteilung ab und lenkte den Fokus auf den Wert der Sch¨onheit der Frau als Begleiterin und Objekt der Begierde ihres Mannes. Der f¨ur Sch¨onheit und Anmut ungemein empf¨angliche Samoaner scheint in der Frau in erster Linie ” den Schmuck seines Daseins zu erblicken. Aber nicht etwa im Sinne des Mohammedaners, der seine Haremsodaliske als den willenlosen, im Grunde verachteten Gegenstand seines Begehrens betrachtet, sondern die Frau hat eine sehr freie, selbst¨andige Stellung.“ (Wegener 1925/1919: Kap. 5)

Das auf Samoa gelebte Rollenverh¨altnis muss ihm verh¨altnism¨aßig fremd vorgekommen sein. W¨ahrend in der Heimat die Aufgaben im B¨urgertum nach o¨ ffentlicher und privater Sph¨are aufgeteilt waren, wurde hier a¨ hnlich der europ¨aischen, l¨andlichen (Vor-)Moderne nach der k¨orperlichen Anstrengung der Aufgaben unterschieden. Doch auch dieses Kriteri-

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um zieht sich nicht stringent durch. Insofern kn¨upfte Wegener an die Sch¨onheit der Frau und das Begehren des Mannes an, um zumindest ein anschlussf¨ahiges bin¨ares Geschlechterverh¨altnis hervorzubringen. Ein Bereich, in dem die Geschlechterkonstruktion deutlich zutage tritt, ist das Waschen der W¨asche. Das Waschen, das insbesondere in der Heimat harte, k¨orperliche Arbeit f¨ur Frauen oder weiblichen Bedienstete bedeutete, durfte das Bild des Paradieses und des s¨ußen Nichtstuns‘ nicht zerst¨oren. Wohlgemerkt wurde europ¨aische W¨asche gewaschen, ’ denn die samoanische Bekleidung bestand aus wesentlich weniger Einzelteilen, die nur teilweise waschbar waren. Damit diese Arbeit nun guten Gewissens an samoanische Frauen delegiert werden durfte, mussten die Begleitumst¨ande der Arbeit entsprechend unterhaltsam f¨ur die samoanischen Frauen beschrieben werden. Die Kunstfertigkeit des Waschens und auch B¨ugelns wurde, Barradale zufolge (vgl. Barradale 1907: 114), den Frauen in den Missionsschulen beigebracht, einer europ¨aischen Institution, um ein europ¨aisches Bed¨urfnis nach sauberer W¨asche zu erf¨ullen. Barradale erkl¨arte seinen jugendlichen Leserinnen und Lesern: If it happened to be low tide when you passed, you might see several women standing in one of these ” pools banging something with all their might on big stones [. . . ]. [. . . ] They are only washing clothes! [. . . ] And it should be added that Samoan women and girls who have been trained by missionaries’ wives and lady missionaries can often wash and starch and iron in a way that would do credit even to a steam laundry.“ (Barradale 1907: 114)

Die Missionarsschulen u¨ bertrugen das ihnen bekannte Geschlechterverh¨altnis auf die samoanische Gesellschaft, indem sie die samoanischen Frauen – eben nicht M¨anner und Frauen – darin unterrichteten. Ehlers bezog sich in seiner Darstellung auf die Kategorie Klasse“, wenn er u¨ ber das Waschen als weibliche‘ Aufgabe berichtete. ” ’ Das Waschen ist eine der wenigen Besch¨aftigungen, die von den Samoanern oder vielmehr Samo” anerinnen nicht unter ihrer W¨urde gehalten wird. Selbst Damen aus den h¨oheren St¨anden scheuen sich nicht, das B¨ugeleisen in ihre zarten H¨ande zu nehmen, und wem es besonderes Vergn¨ugen macht, seine W¨asche von einer Prinzessin von Gebl¨ut besorgen zu lassen, f¨ur den d¨urfte Samoa das geeignete Land sein.“ (Ehlers 2008/1895: 59)

Ehlers beschrieb die klassen¨ubergreifende T¨atigkeit des W¨aschemachens, u¨ ber die er seine eigene M¨annlichkeit konstruierte. Seine eigene Stellung als Weißer Mann sicherte ihm eine vermeintlich u¨ berlegene Position als begehrenswertes Subjekt, f¨ur das sogar eine samoanische Prinzessin von Gebl¨ut“ die W¨asche erledigen w¨urde. ”

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Zieschank verzichtete auf die Darstellung der Anstrengung des Waschens, und romantisierte die T¨atigkeit. Eine beliebte Arbeit der Samoanerinnen ist das Waschen. F¨ur die u¨ brigen Sterblichen z¨ahlt diese ” Besch¨aftigung wirklich als Arbeit, die samoanischen Frauen aber machen eine angenehme Unterhaltung daraus. Wie zu einem Kaffeeklatsch vereint, hocken sie in Gesellschaft im Wasser der flachen Flußl¨aufe, die W¨aschest¨ucke zum Zwecke der Reinigung auf den dort lagernden Lavabl¨ocken reibend und mit Holzkn¨utteln klopfend.“ (Zieschank 1918: 27)

Der Kaffeeklatsch ist eine Anspielung auf die b¨urgerlichen Damen-Treffen, die dem Austausch von Neuigkeiten dienten. In a¨ hnlicher Leichtigkeit funktioniere auf Samoa das Treffen zum W¨aschemachen, es sei eine beliebte Arbeit“ und angenehme Unterhaltung“. ” ” Zieschank ging es zwar auch um die Zuteilung der Arbeit in eine weibliche Sph¨are, aber gleichzeitig um die Hierarchisierung gegen¨uber wirkliche[r] Arbeit“, welche die samoa” nische Bev¨olkerung kaum hatte. Insofern wurde dem Waschen trotz seiner k¨orperlichen Anstrengung der Charakter der Arbeit aberkannt, da die samoanischen Frauen daraus eben eine angenehme Unterhaltung“ machten. Damit rekurrierte Zieschank auf das Versatzst¨uck ” ¨ des faulen‘ Einheimischen, der im nat¨urlichen Uberfluss leben konnte. ’ Und auch Genthe widmete dem Waschen eine ausf¨uhrliche Passage, in der er die Unf¨ahigkeit der Samoanerinnen herausarbeitete, die W¨asche nach europ¨aischen Standards zu machen. Von St¨arken und B¨ugeln hat nat¨urlich so eine samoanische Waschfrau herzlich wenig Ahnung. Sie sitzt ” mit ihrer W¨asche im Fluß und bearbeitet unter einer tollen Seifenverschwendung die ihr anvertrauten Lavalava Papalagi‘ so lange auf rauhen Steinen und mit einer h¨olzernen Keule, bis ihr der Arm ’ erm¨udet [. . . ].“ (Genthe 1908: 219f.)

Somit blieb das Waschen in seiner Ausf¨uhrung eine Kunstfertigkeit, die die Samoanerinnen lediglich nachzuahmen in der Lage waren, die sie aber nicht mit gleicher Geschicklichkeit und Sorgfalt wie Weiße Frauen erledigen konnten, obwohl Barradale noch die Fertigkeiten im Waschen und St¨arken und B¨ugeln gelobt hatte. Ihm ging es um die positive Darstellung der Missionsarbeit, w¨ahrend Genthe sich als kulturell u¨ berlegen zu positionieren versuchte. Daher assoziierte er durch die Schilderung des Gebrauchs der rauhen Steine“ und der ” h¨olzernen Keule“ primitive Zust¨ande. Das Kochen und die Feldarbeit wurden als Aufgabe ” der samoanischen M¨anner beschrieben. Das Kochen liegt dem samoanischen Manne ob, die Frau k¨ummert sich im allgemeinen wenig darum. ” Ebenso hat sie nicht viel mit der Feldarbeit zu schaffen. Allzu anstrengend ist diese T¨atigkeit u¨ berhaupt nicht, denn der Samoaner baut nicht viel mehr, als er f¨ur seine eigenen Bed¨urfnisse braucht. [. . . ] So lebt er sein paradiesisches Dasein, ohne Sorgen und Existenzkampf!“ (Zieschank 1918: 27)

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Zieschank bezog sich auf den Aspekt der k¨orperlichen Anstrengung, den selbst die Feldarbeit nicht aufweise, genausowenig wie oben das Waschen. Damit konnte sie u¨ ber das paradiesische Dasein“ die faulen‘ Einheimischen konstruieren und sich selbst als fleißige ” ’ Frau davon abgrenzen. W¨ahrend die meisten Autorinnen und Autoren berichten, dass das Kochen zu den Aufgaben der M¨anner geh¨orte, schreibt Hesse-Wartegg es M¨annern und Frauen gleichermaßen zu: Kochherde und dergleichen giebt es in der samoanischen K¨uche, wo u¨ brigens der ” Mann ebenso kocht wie die Frau, nicht.“ (Hesse-Wartegg 1902: 309) Churchward beschrieb die Pflichten von M¨annern und Frauen sehr differenziert. Cutting timber for house-building and the erection of houses is the men’s duty, but the thatch-making, ” carrying, and plaiting, the weaving of the venetians for the sides, and the carriage of beach-gravel for the floor, belong to the women’s department. Planting, cooking, and fishing are performed by both sexes alike, and it is no shame for a high chief to assist in the family cookery, or to play second-fiddle to a professional carpenter in the building of a house.“ (Churchward 1887: 320)

F¨ur Churchward war keine klare Zuordnung ersichtlich, wem welche Aufgaben zufielen. K¨orperliche Arbeit verrichteten beide Geschlechter, auch nach gesellschaftlicher Stellung wurde offenbar nicht unterschieden, genauso wenig wie nach T¨atigkeiten im Haushalt ¨ oder in der Offentlichkeit. Pierce Churchill benannte die Zuordnung von unterschiedlichen Aufgaben f¨ur Frauen und M¨anner anhand der verschiedenen Arten des Fischfangs, die jeweils von M¨annern und Frauen ausge¨ubt wurden (vgl. Pierce Churchill 1902: 130).91 Dies konnte sie unmittelbar beobachten, als die Vorbereitungen f¨ur ihren n¨achtlichen Fischfang getroffen wurden. Tanoa, ihr Bediensteter, hatte Kokosnussbl¨atter gesammelt, aus denen Fackeln gefertigt wurden. But here enters the comical division of labor between the sexes in Samoa. Tanoa could gather the ” leaves and strew them in the sun to dry, but when it came to collecting them in bunches and putting the cords about them, he was forbidden to help, for that was women’s work, and I had to wait for Saletemu to come under the guidance of Talolo. The making of the spear, however, was entirely man’s work, and Tanoa set about it.“ (Pierce Churchill 1902: 132)

Als comical“ bezeichnete sie die Arbeitsteilung, deren Prinzip den Autorinnen und Au” toren nicht durchschaubar war. Unabh¨angig davon, ob man comical“ nun mit komisch‘ ” ’ im Sinne von lustig‘, witzig‘ oder aber im Sinne von merkw¨urdig‘, skurril‘ u¨ bersetzt, ’ ’ ’ ’ so verweist der Begriff auf eine gewisse Sprachlosigkeit. Pierce Churchill konnte die

91

Marie Fraser widmete sich der Aufgabenverteilung kaum, erw¨ahnte aber, dass M¨anner mit dem Speer in der See fischen gingen, w¨ahrend Frauen Flusskrebse fingen (vgl. Fraser 1895: 54).

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geschlechtsspezifische Aufgabenteilung nicht nachvollziehbar beschreiben und musste sich daher einer Umschreibung bedienen. In der Nicht-Nachvollziehbarkeit der Ordnungskriterien zeigte sich ihre eigene Fremdheitserfahrung in Bezug auf das samoanische Leben. In den Schilderungen schien sich kein eindeutiges Kriterium herauszukristallisieren, nach ¨ dem die Aufgabenverteilung auf Samoa zwischen M¨annern und Frauen erfolgte. Uber die Erf¨ullung von Aufgaben und T¨atigkeiten konnte somit keine geschlechtliche Zuordnung strukturiert werden. Eine Hinterfragung der eigenen Kategorien von privat/¨offentlich oder leichter/schwerer Arbeit konnten die Schreibenden ebensowenig vollziehen.

4.3.6 Das Menschenbild und seine theoretische Verortung – Zusammenfassung Den Quellen liegt ein facettenreiches und breit gef¨achertes Menschenbild zugrunde. Neben die in der paradiesischen Inselwelt beheimateten Fabelwesen und M¨archengestalten treten Samoanerinnen und Samoaner als einheimische Bev¨olkerung. Diese werden als homogene Gruppe betrachtet, einzelne Individuen kommen selten zum Vorschein, lediglich Bedienstete, W¨urdentr¨ager und einige Frauen werden mit Namen benannt. Das h¨angt vor allen mit der unterstellten Zeitlosigkeit und dem auf Dauer und Ewigkeit angelegten Zustand zusammen: Die Zeit steht‘ in Utopia still, es gibt keine Handlung und keine Figuren, ” ’ denn es gibt auch keine Individualit¨at oder ein individuelles Schicksal.“ (Brunner 1966: 68) F¨ur den kolonialen Kontext heißt das, dass zwar das Einzelschicksal des oder der jeweiligen Reisenden individuell geschildert wurde, die samoanische Bev¨olkerung davon aber ausgeschlossen war. Von den samoanischen Menschen geht nur ein sehr begrenztes Gefahrenpotenzial aus; H¨oflichkeit und Liebensw¨urdigkeit werden als die herausragenden Eigenschaften genannt. Zudem u¨ bernehmen die Autorinnen und Autoren eine, wie Gabriele D¨urbeck es bezeichnet, fundamentale These aus der Kulturanthropologie der Sp¨ataufkl¨arung“: Die ” Lebensaltermetaphorik“ gehe davon aus, dass die als solche bezeichneten Naturv¨olker‘ ” ’ das Stadium der Kindheit der Menschheit repr¨asentierten (D¨urbeck 2004: 357).92 Insofern deutet die Darstellung der samoanischen Bev¨olkerung als Kinder“, Naturkin” ” der“ oder Naturvolk“ nicht nur eine Hierarchisierung in der Gegen¨uberstellung von Natur ” und Kultur an, sondern auch innerhalb des (zeitlichen) Entwicklungsverlaufes, in dem die Weißen Kolonialisierenden schon im Erwachsenenalter angekommen, die kolonialisierten Samoanerinnen und Samoaner jedoch auf der Stufe des Kindesalters zur¨uckgeblieben seien. Letzterer Hierarchisierung ist zu eigen, dass sie unver¨anderbar ist, zumindest, was die zeitgen¨ossische Generation angeht. Selbst wenn die samoanische Bev¨olkerung gleichermaßen

92

Ebenso bei Wirz (2000): 28 und auch bei Brunner (1966): 62.

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Kulturleistungen vollbr¨achte oder Weiße Kultur adaptierte, so k¨onnte sie doch nicht die Zeit aufholen, die ihr die Europ¨aerinnen und Europ¨aer voraus seien. Die mit der Homogenisierung der Bev¨olkerung generell unterstellte klassenlose Gesellschaft – (c) the lack of developed social organization and civil society“ (Hall 1992: ” 300) – kann f¨ur den samoanischen Kontext nicht gelten.93 Obwohl den Autorinnen und Autoren starke Regularien in Form von Ritualen und Zeremonien auffallen, sind sie nicht in der Lage, diese als Situiertheit der Gesellschaft zu beschreiben. Stattdessen werden die Maßst¨abe der Moderne, die die westliche Zivilisation‘ als Spitze der Entwicklung und ’ damit als Ideal betrachten, aufgegriffen. Habinger schreibt dazu: Auch in den Reiseberichten der Europ¨aerinnen wurden ” die Grundpfeiler dieses europ¨aischen Wertesystems, aber auch die Vorstellung der ¨ Uberlegenheit der westlichen Zivilisation und das in der Aufkl¨arung herausgebildete gesellschaftliche Entwicklungsmodell h¨aufig unhinterfragt als Maßstab f¨ur die Beurteilung des Fremden herangezogen. Einen zentralen Aspekt stellte die Tugend des Fleißes dar, Faulheit und M¨ußiggang wurden dagegen heftig abgelehnt.“ (Habinger 2003: 195) Faulheit und M¨ußiggang gingen insbesondere mit der Freundlichkeit der Natur einher, die den Menschen auf Samoa alles in den Schoß lege. Hier rekurrieren die Schilderungen durchaus auf das mythische Bild der S¨udsee, gehen aber dar¨uber hinaus. All dem unterliegt der rassisch‘ gepr¨agte Diskurs des 19. und 20. Jahrhunderts, obwohl die Auseinanderset’ zung mit Menschenrassen‘ schon a¨ lter ist. Dies deutet sich in den Quellen subtil durch ’ biologistische Schilderungen an, die die samoanische Bev¨olkerung mit einer gewissen ¨ N¨ahe zum Tierreich verorten, geht aber auch aus expliziten Außerungen und Bez¨ugen hervor. Doch der Rassediskurs‘ oder ein damit einhergehender Rassenkampf‘ ist letztlich ’ ’ keine Motivation f¨ur die kolonialen Bestrebungen auf Samoa. Bermans Pl¨adoyer, statt Rasse‘ besser Raum‘ als zentrale Kategorie zu denken, ’ ’ scheint hier diskursiv anschlussf¨ahig zu sein (vgl. Berman 2003: 27). Das europ¨aische ” Kolonialunternehmen, einschließlich seiner deutschen Variante, ging von einer revidierten Auffassung des Raumes aus. Es reduzierte die Welt auf eine homogene Geometrie, die nun offen wurde f¨ur ein beharrliches Reisen, einen rationalisierten Handel und eine milit¨arische Strategie.“ 94 (Berman 2003: 27)

93

F¨ur eine Darstellung der Ausdifferenzierung der politischen und sozialen Institutionen innerhalb Samoas vgl. Bargatzky (2001).

94

F¨ur die Deutschen stand Berman zufolge eher die Sorge im Fokus, deutsche B¨urgerinnen und B¨urger als Auswandernde in die Vereinigten Staaten zu verlieren (vgl. Berman 2003: 27). Dahinter stehe ein neomerkantilistisches Prinzip, das den nationalen Wohlstand an der Bev¨olkerungszahl messe (vgl. Grosse 2000: 25). Schaut man in die Quellen, so formulierte Zieschank in diese Richtung: [Es] d¨unkt [. . . ] ganz unfaßbar, daß j¨ahrlich Scharen von Deutschen in fremde L¨ander ” ziehen, um andern V¨olkern deutsche Kraft, Arbeit und Kapital zuzuf¨uhren!“ (Zieschank 1918: 87)

Anthropologische Vorstellungen uber Samoanerinnen und Samoaner | 193 ¨

Dennoch beh¨alt Berman rassistische Grundstr¨omungen im Blick; diese kamen wohl ” eher indirekt zum Tragen, n¨amlich in der Marginalisierung der jeweiligen einheimischen Bev¨olkerung der zu erobernden Gebiete, die in den meisten der raumkonzentrierten kolonialen Vorstellungen schlicht ausgeblendet wurde.“ (Berman 2003: 27) Genau das l¨asst sich auch in den vorliegenden Quellen beobachten, vor allem, wenn man die politischen und wirtschaftlichen Pl¨ane f¨ur Samoa betrachtet. Die samoanische Bev¨olkerung wurde zwar wahrgenommen, und jede und jeder Reisende trat in irgendeiner Weise in Kontakt mit ihr, doch blieb sie letztlich randst¨andig in dem Sinne, dass sie nicht zu einem handelnden, aktiven Gegen¨uber wurde. Obwohl die samoanische Bev¨olkerung in ihrem Lebensraum‘ ’ dargestellt wird, widmen sich die Quellen erstaunlich wenig dem Zusammenspiel von Mensch und Natur. Die Natur wird lediglich als u¨ berschw¨anglich gebend konstruiert, w¨ahrend die samoanische Bev¨olkerung passiv empfangend dargestellt wird. Das Beschaffen von Material f¨ur die Herstellung von Kleidung oder auch f¨ur den Hausbau wird zwar erw¨ahnt, jedoch nicht als Wissensleistung der Bev¨olkerung benannt. Auch die Kenntnis von un-/genießbaren Pflanzen wird nicht als Wissen‘ verbucht. Doch unabh¨angig des ’ motivationalen Konzeptes von Raum oder Rasse‘ ordneten die Quellen die samoanische ’ Bev¨olkerung rassisierend‘ ein. Deutlich wird das in der Abgrenzung zu mikro- und mela’ nesischen Inselbewohnenden, sowie der Betonung der braunen Hautfarbe. Grunds¨atzlich fallen die Samoanerinnen und Samoaner damit sogar aus dem Rassenschema‘ von Roten, ’ Gelben, Schwarzen und Weißen Menschenrassen‘ heraus. K¨uchler stellt dar, dass die ’ Schwierigkeit, die Ozeanier‘ in dieses Schema einzuordnen, bereits den Rassetheoreti’ ’ kern‘ (Kant, Herder, Meiners, Blumenbach) bekannt war. Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) f¨uhrte schließlich eine f¨unfte Menschenrasse‘ ein, um die V¨olker‘ der S¨udsee ’ ’ in das Schema einzuordnen (vgl. K¨uchler 2004: 76ff.). Doch spiegelt die Farbe Braun den Zwischenraum und den doppelten Bezugsrahmen exakt wider, in dem sich die Schilderungen bewegten. Einerseits waren sie anderen V¨olkern u¨ berlegen, andererseits durfte die Ann¨aherung an Weiße nicht zu weit gehen. Dabei galten sie durchaus als bildungsf¨ahig und intelligent.95 In Bezug auf die Selbstverortung der Autorinnen und Autoren, die sich ja in Abgrenzung zu den braunen Menschen als Weiß darstellten, l¨asst sich mit Katharina Walgenbach festhalten, dass [d]urch die Fremdheitserfahrungen der deutschen Kolonistin” nen [. . . ] die strukturelle Unsichtbarkeit‘ von Whiteness aufgehoben und Imaginationen ’ von Weißer Kultur bzw. Identit¨at explizit kommuniziert [wurden]“ (Walgenbach 2008: 53f.). Das Gleiche gilt hier auch f¨ur die m¨annlichen Kolonisten. W¨ahrend Whiteness in der

Die Einrichtung deutscher Siedlungsgebiete sollte dieser Tendenz entgegenwirken (vgl. Grosse 2000: 25), womit sich ein starkes Motiv f¨ur die F¨orderung der Auswanderung nach DeutschS¨udwest ergibt (vgl. Gippert und Kleinau 2014: 223ff.). 95

Vgl. dazu auch die dargestellte Debatte in Kapitel 6.2.

194 | Samoa – eine Sudseeinsel ¨

eigenen Heimat strukturell unsichtbar war, wurde es in der kolonialen Erfahrung auf Samoa zum ordnenden Kriterium, das Hierarchien legitimierte. Whiteness als dekonstruierbares Machtkonzept zeigte sich insbesondere in den Schilderungen von Siegfried Genthe. Den aus dem Rassediskurs‘ hergeleiteten Fragen nach Reinheit der Rasse‘ und den Folgen ’ ’ von Mischehen‘ gehen die Quellen ebenfalls nach. Dabei geht die europ¨aische Definition ’ lediglich von Ehen zwischen Samoanerinnenn (in zu vernachl¨assigend geringer Zahl auch Samoanern) und Weißen aus. Dabei legt Samulski dar, dass es bereits vor Ankunft der ersten Weißen Mischehen‘ auf Samoa gab, die in den h¨oheren Gesellschaftsschichten ’ zwischen Samoa und Tonga, Fidschi oder Uvea u¨ blich waren und die als Bereicherung der eigenen Gesellschaft angesehen wurden (vgl. Samulski 2004: 330f.). Die Problematik der europ¨aischen Mischehen‘ wurde in Samoa (so wie in zwei weiteren Kolonien: ’ S¨udwestafrika und Ostafrika) durch ein Eheverbot geregelt (vgl. Wildenthal 2003: 205). Doch trotz des Eheverbots kam es nat¨urlich auch weiterhin zu sexuellen Kontakten zwischen Weißen M¨annern und Samoanerinnen. Damit wird eine Thematik angeschnitten, mit der sich vor allem Weiße Frauen auseinandersetzten, worauf das Kapitel zur Frau als ” Kulturtr¨agerin“ (6.5) noch genauer eingeht. Bis hierhin folgen die Darstellungen der Argumentationslinie, dass sich bei Mischlingskindern‘ die schlechten Eigenschaften der Eltern ’ fortschreiben w¨urden. Doch wurden diese Kinder nicht notwendigerweise als Bedrohung empfunden, vielmehr schien man nicht genau absehen zu k¨onnen, was aus ihnen werden sollte. Eine akute Gefahr ging von ihnen nicht aus. Das Argument der Rassenreinheit‘ war ’ Lora Wildenthal zufolge jedoch ein wichtiges Argument der frauenbewegten Kolonialistinnen. Sie konstruierten u¨ ber das Argument, als einzige zu einer rassenreinen‘ Reproduktion ’ beitragen zu k¨onnen, ihren Platz und Partizipation am Kolonialprojekt (vgl. Wildenthal 2003: 203).96 F¨ur Pascal Grosse l¨asst sich die Mischehenfrage‘ auf den Grundkonflikt ’ reduzieren, wie das eugenische Postulat der Rassenreinheit mit der sexuellen Autonomie ” von M¨annern in Einklang zu bringen sei“ (Grosse zit. n. Kundrus 2008: 146). Denn schließlich u¨ berf¨uhrte diese Diskussion die m¨annliche Sexualit¨at aus der Privatsph¨are in eine neue ¨ Offentlichkeit (vgl. Grosse 2000: 14). Da das Verbot jedoch auf Samoa erst 1912 in Kraft trat, nahm von den fr¨uher datierten Quellen keine darauf expliziten Bezug. Die Komponente des Menschenbildes, die den Ritus des Kannibalismus aufgriff, ist in den Quellen verh¨altnism¨aßig homogen geschildert worden. Man war sich weitgehend dar¨uber einig, dass auf Samoa kein Kannibalismus mehr praktiziert wurde, und dieser in fr¨uherer Zeit von tongaischen Menschen auf Samoa eingef¨uhrt worden war.97 Damit

96

Mehr zu der rechtfertigenden Argumentation von Frauen im Kapitel 6.5 Kulturtr¨agerin“, wo ” insbesondere die Position von Frieda Zieschank deutlich wird.

97

Wie schwierig und vorurteilsbehaftet auch heute noch Forschung zum Themenfeld Kannibalismus ist, macht Simon Haberberger in seiner Einleitung deutlich (vgl. Haberberger 2007).

Anthropologische Vorstellungen uber Samoanerinnen und Samoaner | 195 ¨

unterscheidet sich Samoa signifikant von Deutsch-Neuguinea, wo Haberberger zufolge Kannibalismus weitverbreitet war und in vielf¨altigen Formen vorkam“ (Haberberger 2007: ” 207). Insofern erhalten Bez¨uge auf kannibalistische Praktiken auf Samoa lediglich unter exotisierender Perspektive oder unter dem Sicherheitsaspekt der eigenen Unternehmung Gewicht.98 Die Geschlechterkonstruktionen sind wesentlich heterogener. Gabriele Habinger arbeitet heraus, dass die S¨udseeinseln eine Projektionsfl¨ache“ waren, ein Paradies, das ” ” nicht zuletzt sexuell konnotiert war“ (Habinger 2003: 185).99 Sie argumentiert, dass diese sexuelle Konnotation aber ein vorrangig m¨annliches‘ Darstellungsmuster war. In der ’ Analyse der Reiseberichte zeigt sich, dass die samoanischen Inseln durchaus paradiesisch konnotiert waren, und auch, dass damit eine Aufladung mit erotisierten und sexualisierten Darstellungen einherging, doch gleichen diese nicht den Darstellungen der Entdecker’ fahrten‘, die in diesem Falle Tahiti als Utopie sexueller Freiheit entworfen hatten (vgl. Habinger 2003: 185). Stattdessen ist der Diskurs u¨ ber die samoanische Bev¨olkerung gekennzeichnet von den b¨urgerlichen Anstands- und Moralvorstellungen des Kaiserreichs sowie der englischen und US-amerikanischen Heimatgesellschaften. Im deutschen Kaiserreich hatte die Sittlichkeitsdebatte innerhalb der Frauenbewegung besonderes Gewicht (vgl. Dietrich 2007: 313). Mesenh¨oller arbeitet im Kontext der fotografisch transportierten Bildwelten genau das heraus: Die Reduktion auf den vordergr¨undig erotischen Aspekt ” [. . . ] vermag letztlich mehr u¨ ber die Herrschaftsanspr¨uche und b¨urgerliche Sexualmoral der europ¨aischen Gesellschaften als u¨ ber die fremde Kultur auszusagen.“ (Mesenh¨oller 2009: 216) Der Diskurs oszilliert zwischen den Weiblichkeitsdarstellungen der Heiligen‘ und ’ der Hure‘. Vor allem bei den Darstellungen Frieda Zieschanks zeigt sich das, was auch ’ Habinger f¨ur reisende Frauen herausarbeitete: Die samoanischen Frauen werden tendenziell als entsexualisiert und nur eingeschr¨ankt als sch¨on beschrieben.100 Damit werden sie auch als Konkurrentinnen ausgeschaltet. Deutlich zeigte sich die unterschiedliche Wahrnehmung von weiblichen und m¨annlichen Schreibenden. W¨ahrend die Autoren eher auf das Spiel

98

Diese Argumente benutzen auch die Kannibalismus-Skeptiker wie Erwin Frank und Annerose Menninger, um dazulegen, dass Kannibalismus nie fester Bestandteil einer Kultur gewesen sei“ ” (Haberberger 2007: 14). Unabh¨angig davon, ob und in welcher Form Kannibalismus auf Samoa praktiziert wurde, gestaltet sich der europ¨aische Diskurs dar¨uber homogen. K¨uchler bezeichnet f¨ur das 18. Jahrhundert Kannibalismus als unterdr¨ucktes Trauma des B¨urgertums in exotischer Gewandung (vgl. K¨uchler 2004: 138).

99

Den Begriff der Projektionsfl¨ache verwendet auch Martina Tißberger (vgl. Tißberger 2006a: 19).

100

Habinger sieht die Gr¨unde daf¨ur sowohl in einem Verstoß gegen die Vorstellungen von b¨urgerlicher Weiblichkeit, wie Mutterliebe, Keuschheit oder Schamhaftigkeit, als auch darin, dass die einheimischen Frauen f¨ur Weiße Frauen keine Objekte der Begierde darstellten (vgl. Habinger 2003: 191f.).

196 | Samoa – eine Sudseeinsel ¨

von Hure‘ und Heiliger‘ eingingen, mitunter in m¨utterliche Darstellungen verfielen, und ’ ’ dar¨uber ihre eigene hegemoniale M¨annlichkeit konstruierten, waren f¨ur die Autorinnen eher gesellschaftliche Spielr¨aume von Bedeutung sowie ihre eigene Positionierung als unterlegenes Geschlecht der u¨ berlegenen Rasse“ (Habinger). ” Das Konzept der hegemonialen M¨annlichkeit“ 101 von Connell (1999) eignet sich an ” dieser Stelle, um die M¨annlichkeitskonstruktionen Weißer M¨anner in den Blick zu nehmen. Mit den Konzepten von Hegemonie, Unterordnung, Komplizenschaft und Marginalisierung (Maculinities, Subordination, Complicity, Marginalization) (vgl. Connell 1995) gelingt es den Weißen Schreibenden, sowohl ihre eigene heterosexuelle und dominante M¨annlichkeit zu legitimieren, als auch die samoanischen M¨anner unterzuordnen. Da Marginalisierung immer relativ zur Erm¨achtigung hegemonialer M¨annlichkeit der dominanten Gruppe“ ” ¨ entstehe, kann sogar die Athletik und Asthetik der samoanischen M¨anner als Vorbild der hegemonialen M¨annlichkeit dienen, ohne dass samoanische M¨anner damit ein gr¨oßeres ” Maß an Autorit¨at“ erhielten (Connell 1999: 102). Auch die Autoren, die in ihren Schilderungen samoanische M¨anner nicht als explizit untergeordnet beschreiben, k¨onnen aufgrund der Komplizenschaft zur hegemonialen M¨annlichkeit von dem daraus entstehenden Vorteil als patriarchale Dividende“ (Connell 1999: 100) profitieren. ” In der Darstellung der samoanischen M¨anner fallen feminisierende Beschreibungen ins Auge, eine weitere Strategie der Unterordnung. Deutlich wird, dass von den M¨annern keine aktive Gefahren ausgehen, auch wenn sie St¨arke besitzen, scheint diese jederzeit beherrschbar zu sein. Die h¨aufige Verortung in arkadischen R¨aumen entr¨uckt sie zudem dem zeitgen¨ossischen Kontext und positioniert die Weißen M¨anner als ihre Nachfolger in der Inselwelt. Aus den feminisierten Darstellungen samoanischer M¨anner lasse sich, Tobin zufolge, sowohl das koloniale Mittel der Beherrschung ablesen, als auch m¨annliches Begehren nach den beherrschten M¨annern (vgl. Tobin 2002: 210). In Bezug auf homoerotische Schilderungen darf nicht leichtfertig gefolgert werden, dass alle derart beschreibenden Autoren homosexuell waren. Dennoch lohnt es sich, den Aspekt mitzudenken, dass feminisierte oder idealisierte Darstellungen nicht nur Ausdruck von hierarchisierenden Legitimationsstrategien sein mussten, sondern sehr wohl homosexuelle Interessen widerspiegeln konnten. Diese wurden jedoch nicht explizit ge¨außert. Aldrich h¨alt fest: Having homosexual proclivities does not necessarily imply sexual (or, ” more specifically, genital) relations with someone else“, doch das bedeute nicht, that ” sexual needs were not present“ (Aldrich 2003: 3). Obwohl Feminisierung ein g¨angiges Darstellungsmuster war, durfte diese nicht in offene Homosexualit¨at umschlagen (vgl. Tobin 2002: 215).

101

Im englischen Original: Masculinities (Connell 1995).

Anthropologische Vorstellungen uber Samoanerinnen und Samoaner | 197 ¨

Das Geschlechterverh¨altnis wird insgesamt als ein hierarchisches beschrieben, in dem Weiße M¨anner und Frauen (in dieser Reihenfolge) samoanischen M¨annern und Frauen u¨ berlegen waren. Sowohl samoanische M¨anner als auch Frauen waren f¨ur die Autorinnen und Autoren verf¨ugbar, vor allem, da die Bekleidung blicklichen Zugriff auf die K¨orper erlaubte. Mit dieser k¨orperlichen Verortung ging noch eine weitere Funktion einher: Mit ” der Trennung und Hierarchisierung von Geist und K¨orper ging die Aufwertung von ersterem und die Abwertung von letztgenanntem einher. Der abgewertete Teil gilt als verk¨orpert‘ ’ durch Schwarze, Frauen und die ArbeiterInnenschicht, w¨ahrend weiße europ¨aische M¨anner als Repr¨asentanten von Geist und Intelligenz gelten.“ (Tißberger 2006a: 22) Obwohl auch die Diskussion um Bildungsf¨ahigkeit durchaus gef¨uhrt wurde, standen k¨orperliche Aspekt der samoanischen Bev¨olkerung zumeist im Vordergrund. Intelligenz und Geist waren auch hier eine Weiße Dom¨ane, w¨ahrend die samoanische Bev¨olkerung u¨ ber ihre k¨orperliche Verortung abgewertet wurde. Das heißt jedoch nicht, dass sie negativ dargestellt wurden; ihre k¨orperliche Sch¨onheit wurde durchaus gelobt, dennoch wird die Hierarchisierung u¨ ber den Gebrauch der Kategorie K¨orper“ erreicht.102 ” Damit folgen die Darstellungen dem Konzept von Schwarz – Weiblichkeit – Mate” rie“ versus Weiß – M¨annlichkeit – Geist“ (Husmann-Kastein 2006: 46). Die samoani” schen M¨anner k¨onnen durch ihre Feminisierung, vor dem Hintergrund normativer Weißer M¨annlichkeit, innerhalb der Materie‘ verortet werden. Somit konstituieren sich in Ab’ grenzung von individueller Weißer M¨annlichkeit“ und dem b¨urgerlichen Ideal[ ] Weißer ” ” Weiblichkeit“ (Husmann-Kastein 2006: 55) schwarz codierte Bilder“ (Husmann-Kastein ” 2006: 49), die den Herrschaftsanspruch der Weißen Kolonisierenden legitimieren sollten. Die eurozentristischen Vergleiche mit R¨omern oder Griechen unterst¨utzen das p¨adagogische Projekt“, durch das die Welt historisiert, in die Geschichte eingeholt“ ” ” werden konnte (Conrad und Randeria 2002a: 36).103 Die unterstellte Geschichtslosigkeit der samoanischen Bev¨olkerung diente dazu, die eigene geschichtliche Entwicklung und ¨ den Fortschritt als h¨ohere Entwicklungsstufe und damit Uberlegenheit zu definieren (vgl. Conrad und Randeria 2002a: 36). ¨ Ahnlich ambivalent wird auch die geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung beschrieben. F¨ur die Heimat galt, dass [m]it der Industrialisierung, der Durchsetzung der kapitalis” tischen Produktionsweise und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Entwicklungen

102

¨ Ahnlich konstituiert sich auch der Diskurs von Frauen in Deutsch-S¨udwest, bspw. bei Clara Brockmann (vgl. Gippert und Kleinau 2014: 248f.).

103

Damit gehen zugleich Bestrebungen einher, außereurop¨aische Geschichte aus dem Bereich der Geschichtswissenschaft zu verbannen und an die Regionalwissenschaften zu delegieren (vgl. Conrad und Randeria 2002a: 21), womit diese der europ¨aischen Geschichte nicht mehr sichtbar gegen¨ubertritt.

198 | Samoa – eine Sudseeinsel ¨

[. . . ] sich im B¨urgertum o¨ ffentliche und private Sph¨are und damit m¨annliche und weibliche ¨ T¨atigkeitsfelder auseinander[dividierten]“. Die b¨urgerlich-m¨annliche Offentlichkeit war der Ort der Nationalisierung, Vergeschlechtlichung und Klassifizierung“, w¨ahrend die ” privatisierte H¨auslichkeit auf Werten der F¨ursorge, M¨utterlichkeit etc. beruhte.“ (Dietrich 2007: 295f.) Nicht nur nach Ernst von Hesse-Warteggs Darstellung gab es keine sichtbare Trennung von o¨ ffentlicher und privater Sph¨are. Auch eine Verteilung der Aufgaben nach dem Maß der k¨orperlichen Anstrengung schien nicht gegeben zu sein; die meisten Aufgaben wurden von beiden Geschlechtern ausgef¨uhrt, bis auf das W¨aschemachen und gewisse zugeordnete Bereiche. Insofern konnte das Geschlechterverh¨altnis nicht nach bekannten Kriterien strukturiert werden und blieb comical‘ (Pierce Churchill). Somit mussten die ’ Beschreibungen der Geschlechterrollen innerhalb der Wahrnehmungsmuster verbleiben, die die Autorinnen und Autoren kennen und in denen sie zu denken vermochten.104 Schließlich bleibt festzuhalten, dass die diversen Darstellungen dazu dienen, die eigene Herrschaft zu legitimieren und die hierarchisch h¨ohere Position zu festigen. Da die samoanische Bev¨olkerung noch im Kindheitsalter‘ befindlich ist, bedarf sie der Hilfe der ’ westlichen Nationen, die damit ihren Zivilisierungsauftrag‘ erhalten. Durch die Zivilisie’ ’ rung‘ kommt es zu einer Z¨ahmung des Wilden‘, weshalb die Autorinnen und Autoren an ’ einigen Stellen Szenen konstruieren m¨ussen, die die Exotik und Wildheit f¨ur ein heimatliches Lesepublikum aufrechterhalten. Insgesamt schreiben die Weißen Autorinnen und Autoren ihre privilegierte Position fest, indem sie an keiner Stelle die Rechtm¨aßigkeit des kolonialen Projektes hinterfragen.105 Insofern zeigt sich als Strategie der von Stuart Hall gepr¨agte Begriff mis-recognizing difference (Hall 1992: 303), also die Unf¨ahigkeit, kulturelle ” Differenz wahrzunehmen und anzuerkennen“, statt dessen erfolge die Fremdrepr¨asentation ” in Form von Stereotypisierung“ (Habinger 2003: 196).106

104

¨ Ahnliches arbeiten die Afrikanisten John L. und Jean Comaroff f¨ur den missionarischen Kontext in Afrika heraus. Die dortigen Missionare waren nicht in der Lage, die diffizilen gesellschaftlichen und politischen Strukturen der Tswana zu erkennen und versuchten daher, eurozentristische Strukturen zu schaffen: M¨anner und Frauen sollten sich erg¨anzen, die einen im o¨ ffentlichen‘ ” ’ Bereich der Produktion, die anderen im privaten‘ der Reproduktion.“ (Comaroff und Comaroff ’ 2002: 255f.)

105

Gleiches arbeitet Livia Loosen f¨ur Frauen im gesamten S¨udseeraum heraus; die indigene Bev¨olkerung werde nie als ebenb¨urtig wahrgenommen, trotz mitunter positiver Darstellung (vgl. Loosen 2014a: 601).

106 In den 1970ern, also vor dem Durchbruch der Postcolonial Studies in Deutschland, hatte Bitterli [m]issionarisches Sendungsbewußtsein, monokapitalistische Wirtschaftsdoktrin und das Bewußt” ¨ sein der milit¨arischen Uberlegenheit“ als die entscheidenden Faktoren definiert, die ein tieferes, ” verantwortungsbewußtes Verst¨andnis f¨ur den eigenst¨andigen Charakter archaischer Kulturen letztlich verhinderten“ (Bitterli 1976: 175).

5 Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa When the Samoans first saw white people, they called ” them papalagi, which means shot from the sky‘. They ’ were so astonished that they thought they could not belong to the same world as themselves [. . . ][Herv. i. O.].“ V ICTOR A RNOLD BARRADALE 1907: 233

Papalagi, u¨ bersetzt als shot from the sky“ (Barradale 1907: 133), burst through the ” ” heavens“ (Churchward 1887: 226) oder Durchbrecher des Himmelsgew¨olbes“ (Genthe ” 1908: 57), war die samoanische Bezeichnung f¨ur die Fremden, die diese an etlichen Stellen adaptierten und als Selbstbezeichnung aufgriffen.1 Damit verbanden sich Vorstellungen des Lebens der Weißen auf Samoa, die in Kapitel 5.1 er¨ortert werden. Insbesondere die Anpassungsleistung der Weißen wurde in der bisherigen Forschung wenig betrachtet. Dem Begriff der Papalagi wird der der Fa’a Samoa an die Seite gestellt: Fa’a Samoa ” als Begriff f¨ur die samoanische Art zu leben und den way of life der Inselnation im Pazifik umfasst Gesellschaftsstruktur, Religion, Mythen und Legenden sowie die um das H¨auptlingssystem herum angesiedelten traditionellen kulturellen Praktiken [Herv. i. O.].“ (Hunkin 2014: 19) Den Darstellungen der Fa’a Samoa, die im Wesentlichen den traditionellen Diskurslinien entspricht, mit Schilderungen des Palolo (vgl. Kapitel 5.2.4) aber dar¨uber hinaus geht, widmet sich Kapitel 5.2. Die Kontakte der Reisenden mit dem samoanischen Gesellschaftsgef¨uge in Form von Besuchen beim jeweiligen K¨onig‘ umfasst Kapitel 5.3 und ’ bildet damit das Dazwischen ab, in dem sich die Reisenden bewegten.

1

Der Sage nach waren die S¨udseebewohnerinnen und -bewohner mit dem Anblick der großen europ¨aischen Segelschiffe unvertraut, sodass sie die Segel nicht als solche erkannten, sondern f¨ur L¨ocher im Himmel hielten, durch die die Weißen M¨anner zu ihnen herabstiegen (vgl. Genthe 1908: 56f.).

200 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

5.1 DAS L EBEN

VOR

O RT

Ein eigenes Alltagsleben gestaltete sich lediglich f¨ur die Autorinnen und Autoren, die eine l¨angere Zeit auf den Inseln verbrachten. Nicht alle thematisierten das t¨agliche Leben gleichermaßen. Gekennzeichnet war das Leben vor Ort zun¨achst durch die erforderliche Eingew¨ohnung und Akklimatisierung (5.1.1) auf den Inseln. Der Begriff der Akklimatisierung wird hier in Bedeutungsn¨ahe zu Eingew¨ohnung verwendet und nur begrenzt als Anspielung auf die zeitgen¨ossische Akklimatisierungsdebatte2 . Dazu kamen Fragen zur Versorgungslage (5.1.2), jedoch nicht aus stereotypisiert verkl¨arter Sicht, sondern tats¨achlich konkret: Welche Nahrungsmittel standen zur Verf¨ugung und wie konnten sie beschafft werden? Verhielt sich die Natur auch den Weißen gegen¨uber f¨ursorglich und verh¨atschelnd“ (Ehlers 2008/1895: 67)? Schließlich konzentrierte sich das Weiße Leben ” in Apia (5.1.3), der Hafenstadt Upolus, welche als prim¨are Anlaufstelle eine besondere Position im Inselgef¨uge einnahm. F¨ur die Beschreibung war ein imaginierter Spaziergang an der K¨ustenlinie entlang ein beliebtes Stilmittel. Zudem rekurrierten die Schreibenden auf Apias fr¨uheren Ruf als H¨olle des Pazifik‘ und setzten sich mit seiner zeitgen¨ossischen ’ Bedeutung auseinander.

¨ 5.1.1 Eingewohnung und Akklimatisierung Samoa war im Vergleich zur jeweiligen Heimat der Autorinnen und Autoren territorial wesentlich kleiner und auch geografisch abgelegen, was in deutschen und britischen Quellen st¨arker zutage tritt als in US-amerikanischen. Vor allem der Mangel an regelm¨aßigen3 (heimatlichen) Nachrichten machte den Schreibenden zu schaffen, f¨uhrte er ihnen doch ihre abgeschiedene Lage vor Augen. Pierce Churchill fand daf¨ur die folgenden Worte: For dreary weeks of uneventful days ” the white people are cut off from the earth as much as if they were camped in the mountains of the moon; more so, even, for in the moon there would be a chance to see the earth, in Apia there is nothing to see but the empty rim of the Pacific Ocean.“ (Pierce Churchill 1902: 291f.) Drastisch klingen ihre Worte, wenn sie zum Ausdruck bringt, dass man selbst auf dem Mond der Erde noch n¨aher w¨are, als auf dieser abgeschnittenen Insel, wo es nur den

2

Hier ging es darum, ob Weiße und insbesondere Weiße Frauen in den klimatischen Bedingungen der Kolonien u¨ berhaupt lebensf¨ahig“ waren (Dietrich 2009: 180). Wenn sie nicht anpassungsf¨ahig ” waren, drohte – in den afrikanischen Kolonien – die Gefahr der Verkafferung“ (Dietrich 2009: ” 180).

3

Regelm¨aßig traf zwar Post mit den Dampfschiffen ein, jedoch war die Taktung im bestenfalls zweiw¨ochentlichen Rhythmus im Vergleich zum heimatlichen Informationsaustausch eher lang.

Das Leben vor Ort | 201

leeren Horizont des Ozeans zu sehen g¨abe. Der Blick auf den empty rim“ deutet an, dass ” sie regelm¨aßig Ausschau nach Schiffen hielt, die neue Nachrichten bringen konnten. Doch solange diese nicht am Horizont erschienen, war man auf den eigenen, verh¨altnism¨aßig kleinen, Aktionsradius auf der Inselwelt beschr¨ankt. Pierce Churchill stellte ihre eigene Anpassungsleistung dar, indem sie u¨ ber die Touristen schrieb, die das tats¨achliche Leben auf Samoa untersch¨atzt hatten. They were tourists. They had filled themselves up on all the poetry of Polynesian life and had come ” down to see the reality. They had found that the romance made no mention of the discomforts of sleeping on coarse gravel, of eating dirty food of uncouth taste, of walking wearily over jagged rocks or perspiringly under the dense canopies of the trees of unbroken forest.“ (Pierce Churchill 1902: 246f.)

Es gab also durchaus einen Unterschied zwischen der poetry of Polynesian life“ und ” reality“. Obwohl Pierce Churchill hier u¨ ber junge M¨anner sprach, die als, wie sie sagte, ” Touristen nach Samoa kamen, traf der Kern ihrer Aussage vermutlich auf jede und jeden Samoa-Reisenden zu. Das paradiesische Bild blendete gewisse Sachverhalte aus und konnte im Grunde nur aus der Distanz aufrecht erhalten werden. F¨ur das tats¨achliche Leben vor Ort war also ein Arrangieren mit den genannten discomforts“ notwendig. ” Die reizarme Umgebung f¨uhrte zu einem anderen Zeitempfinden, die Tage schienen langsamer zu vergehen, was die Eingew¨ohnung f¨ur Churchward schwierig machte. Time ” now for some weeks hung very heavily on my hands, to the unpleasantness of which was added the sickening consequent on acclimatization, and what with prickly-heat and slight febrile attacks, together with having to fight mosquitoes and flies all day, I had rather a bad time of it.“ (Churchward 1887: 94f.) Wie Pierce Churchill von dreary weeks“ sprach, so empfand auch Churchward die ” Wochen heavily on [his] hands“. Zudem hatte er sich mit Fieber und Mosquitos aus” einanderzusetzen. Fieberattacken, wie Churchward sie beschrieb, kamen in den anderen Reiseberichten nicht vor. Zwar ist das Klima auf Samoa durchaus tropisch, da es aber keine S¨umpfe oder Feuchtgebiete gibt, wurde in den Reiseberichten keine Verbreitung typisch tropischer Krankheiten, wie Malaria, Gelbfieber und anderer berichtet. Lediglich Tripp f¨uhrte an, dass es in den sluggish streams and pools“ zu Malaria kommen k¨onne (Tripp ” 1911: 152). Zugleich konstatierte er: The climate is free from epidemics such as cholera, ” small pox, yellow fever, burbonic plague etc.“ (Tripp 1911: 152). Ebenso beschrieb Deeken die Vorz¨uge des samoanischen Klimas: Dazu kommt nun noch, daß Samoa das denkbar ” gesundeste Klima besitzt, daß es sich u¨ berhaupt in jeder Beziehung ganz vorz¨uglich zur

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Aufnahme deutscher Ansiedler eignet.“ (Deeken 1901: VII) F¨ur ihn stand somit außer Frage, dass Samoa f¨ur Siedlerinnen und Siedler geeignet war.4 Churchward machte sich wegen seiner Symptome ernsthafte Sorgen, dass er schlicht verr¨uckt‘ w¨urde. ’ It is a common saying here that after two years’ sojourn in Samoa a man becomes hopelessly mad; ” but with all the foregoing discomforts and annoyances, in addition to the sorrow of acclimatization I was then undergoing, I was very much afraid that for me the regulation period would be considerably shortened.“ (Churchward 1887: 134)

Bei Churchward trug sicherlich auch seine pers¨onliche Situation zu diesem Empfinden bei. Er befand sich noch in der Entscheidungsphase, ob er als Berater in Malietoas Dienste treten wollte, welches keine leichte Aufgabe zu werden versprach, weshalb er die T¨atigkeit zun¨achst auch ablehnte (vgl. Churchward 1887: 95f.). Doch seine Bef¨urchtungen, hope” lessly mad“ zu werden, bargen auch einen Ausweg. The saying goes on to predict that the patient might recover if he should not stop over the third ” year; but that if he does, it is far better for him to sell his trousers, oil himself, and take to native life altogether, for he is of no use anywhere alse; and when comes to observe the cabbage-like sort of existence some people lead in the islands, there may seem to be some truth in it.“ (Churchward 1887: 134f.)

Hierin zeigt sich wieder die unterschiedliche Bewertung der samoanischen und der Weißen Bev¨olkerung. Einerseits hatte Churchward Samoanerinnen und Samoaner eingangs durchaus positiv geschildert, andererseits war es lediglich ein native life“, das diese f¨uhrten, ” ohne irgendwo sonst von Gebrauch zu sein‘. Gleichzeitig zielte diese Einsch¨atzung auf die ’ Weiße Bev¨olkerung ab, deren Verwandlung in einen Wilden‘ denkbar simpel vonstatten ’ gehen konnte: Ein Weißer brauchte lediglich seine Hosen zu verkaufen und seinen K¨orper einzu¨olen und geh¨orte damit zum native life“ – und w¨are ebenso nirgends sonst von ” ¨ Gebrauch. Bemerkenswert ist, dass der Ubergang zum native life“ scheinbar recht leicht ” geschehen konnte; die zivilisatorisch h¨ohere Entwicklungsstufe‘ dem Weißen also keinen ’ Schutz bot. Insofern definierte sich Churchward u¨ ber eine sinnstiftende Lebensweise, die ¨ sich in einem angemessenen Außeren manifestierte und die gebraucht‘ wurde. In Be’ zug auf die Akklimatisierung war es also wichtig, dass diese in einem u¨ berschaubaren Zeitrahmen vonstatten ging, oder eben gar nicht.

4

Deeken selbst war wegen eines Lungenleidens zun¨achst f¨ur ein Jahr in die S¨udsee geschickt worden, bevor er schließlich f¨ur mehrere Jahre nach Samoa zog.

Das Leben vor Ort | 203

Frieda Zieschank schien f¨ur ihre Reise mental gut vorbereitet gewesen zu sein. Sie benannte sowohl negative wie auch positive Aspekte vor Ort und bem¨uhte sich, auch an den Schwierigkeiten positive Seiten zu finden. Sie erkl¨arte: Und dabei sind die a¨ ußeren ” Lebensverh¨altnisse, in die man hier gestellt wird, doch denkbar primitive!“ (Zieschank 1918: 17), und setzte dabei einfach‘ mit primitiv‘ gleich. In ihrem eigenen Heim f¨uhlte sie ’ ’ sich wohl: Wie unter einer Hecke von Marschall-Niel-Rosen, aber duftlosen, tr¨aumt hier ” unser winziges Heim, denn Bl¨uten und Bl¨atter des umkleidenden Rankenschmucks haben ¨ genau die Farben dieser meiner Lieblingsblume. Also Lage und Außeres entz¨uckend!“ (Zieschank 1918: 18) Schließlich zeigt sich, dass sie sich schon vor ihrer Abreise gedanklich mit dem auf sie Zukommenden auseinandergesetzt hatte, und sich diese Einsch¨atzung offenbar auch als realistisch erwies: Es hieß also: an vieles sich gew¨ohnen! [. . . ] Zu meinem Gl¨uck war ” ich ohne irgendwelche bestimmte Vorstellungen hergekommen, von Entt¨auschung konnte also trotz alledem keine Rede sein. Nur, daß alles anders, als daheim sein w¨urde, hatte ich vorausgesetzt. Na, und das war’s ja auch!“ (Zieschank 1918: 19) Ihre Haltung, m¨oglichst ohne Erwartungen in die Fremde zu gehen, sollte sie also vor Entt¨auschungen sch¨utzen. Zudem dr¨uckte sich darin ihr Bem¨uhen aus, als tapfere und wagemutige Frau ihrem Mann zur Seite zu stehen, ganz so, wie es sich f¨ur eine Kulturtr¨agerin‘ ziemte. Auch die anfangs wahrgenommenen Unterschiede zur Heimat ’ formulierte sie: Tag und Nacht lebt man bei offenen T¨uren und Fenstern, denn jeder ” Luftzug wird als angenehme Erfrischung empfunden. Der in der Heimat so gef¨urchtete Zug‘ wird hier nach M¨oglichkeit k¨unstlich hergestellt. Selbst beim st¨arksten Passat klagt ’ niemand, daß es zieht‘!“ (Zieschank 1918: 22) ’ F¨ur Zieschank waren es vor allem ihre Aufgabe als deutsche‘ Frau und der R¨uckhalt ’ f¨ur ihren Mann, wor¨uber sie sich definierte. Insofern geh¨orte es zu ihrer Selbstdefinition, sich als starke und anpackende Frau zu verorten, die ihrem Mann eine solche St¨utze sein konnte.5

5.1.2 Die Versorgungslage Geht man von den bereits bekannten paradiesischen Schilderungen der samoanischen Inseln aus, und beh¨alt man insbesondere die Beschreibungen der gl¨ucklichen Naturkinder‘, ’ denen die Natur alles zum Leben Notwendige liefere, im Hinterkopf, so sollte man meinen, dass man auch als Zugereiste/r oder Zugezogene/r durchaus ein sorgenfreies Leben auf Samoa leben k¨onnte. Doch als Papalagi hatte man auf Samoa im Verh¨altnis zur Heimat

5

Weiter insbesondere zu Zieschanks selbstgew¨ahlter Aufgabe als Tr¨agerin einer Kulturmission im Kapitel 6.5.

204 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

ein eingeschr¨anktes Leben, was in Bezug auf den Erhalt von Nachrichten bereits dargelegt wurde. Nicht alle Autorinnen und Autoren f¨uhrten Entbehrungen explizit an, denn schließlich geh¨orte es zum Abenteuer, das man erlebte und erleben wollte, nicht die beste Ausstattung zu haben. Llewella Pierce Churchill benannte dagegen ganz explizit, worauf man im t¨aglichen Leben verzichten musste. Zun¨achst gab es viele gewohnte Lebensmittel nicht: Man ern¨ahrte sich aus Dosen, die Fisch, Rindfleisch oder Suppe enthielten. Beyond ” the inevitable tin of something there is practically nothing.“ (Pierce Churchill 1902: 284) Frische Milch war eine seltene Sache, genauso gab es keine Kartoffeln. Die Versorgung mit lokalem Obst und Gem¨use beschrieb sie als schwierig. Samoans are irregular providers of the fruits of the earth, for high prices they peddle spasmodically ” when pressed by need of coin. Sometimes it is possible to get tomatoes the size of a moderately large marble, sometimes string beans a yard long, sometimes cucumbers for stewing. Breadfruit and taro are accepted under protest as a substitute for the potato, the yam is rarely to be had, the umala is a soggy and red sweet potato and seldom obtainable [Herv. i. O.].“ (Pierce Churchill 1902: 286)

Bartlett Tripp stimmte darin mit Pierce Churchill u¨ berein. The vegetables of the temperate zone, such as potatoes, cabbage, etc., are rarely attempted to be ” grown here. They grow to enormous size but are woody, coarse, and fibrous, as well as insipid in taste; vegetables eaten by the white people are brought from New Zealand and Australia or in cans from the States. Taro and yams, a kind of turnip beet or potato, are grown here in abundance. They are eaten by the natives and sometimes by the whites. They are unlike anything found in the temperate zone and when cooked in the native ovens with fruit and meats are sometimes palatable.“ (Tripp 1911: 161)

Ihm zufolge wurde tats¨achlich Obst und Gem¨use eher noch von Neuseeland oder in Dosen aus den Staaten importiert, anstatt dass auf die Vorr¨ate auf Samoa zur¨uckgegriffen wurde. Immerhin r¨aumte Tripp noch ein, dass das einheimische Gem¨use manchmal ’ ¨ genießbar‘ sei. An diesen Stellen zeigt sich sehr deutlich, dass die Uppigkeit der Natur zwar wahrgenommen wurde und durchaus zur Darstellungswelt geh¨orte, in letzter Konsequenz aber nicht den eigenen Bed¨urfnissen an bekanntem Obst und Gem¨use entsprach. Was die Natur lieferte, war zwar mehr als ausreichend, um die samoanische Bev¨olkerung zu ern¨ahren, war aber der eigenen Erfahrung fremd und daher mangelhaft. Pierce Churchill und Tripp u¨ berraschen mit ihrer dramatischen Schilderung der Lage. Andere Autorinnen und Autoren hatten eher die Vielfalt von Obst und Gem¨use beschrieben, das zwar anders als in der Heimat, aber in H¨ulle und F¨ulle vorhanden sei. So beispielsweise Frieda Zieschank: Die Landesfr¨uchte bereichern den Tisch des Weißen mehr wie ausreichend. Da sind besonders der ” Taro und Yam, knollenartige, unserer Kartoffel im Geschmack a¨ hnliche Gew¨achse, Brotfrucht und

Das Leben vor Ort | 205

Bananen in H¨ulle und F¨ulle. Und welche pr¨achtigen! Die k¨ummerlichen Dinger, die man in der Heimat f¨ur schweres Geld kauft, w¨urde man hier h¨ochstens ans Vieh verf¨uttern. Als k¨ostlichste Frucht ist die Ananas zu nennen, die nirgends auf der ganzen Welt aromatischer und saftreicher gedeiht. Außerdem noch Mangos, Vis, Apfelsinen, Zitronen, Papayen, Butterbirnen und Passionsfr¨uchte. Frisches Fleisch ist in Apia t¨aglich zu haben, und auch die ferner gelegenen Pflanzungen versorgen sich wenigstens einmal w¨ochentlich damit.“ (Zieschank 1918: 20f.)

W¨ahrend Tripp und Pierce Churchill eher betonten, was es nicht gab, stellte Zieschank die ¨ vorhandenen Obst- und Gem¨usesorten und deren Ahnlichkeiten mit den heimischen dar. Auch die M¨oglichkeit, sich mit Fleisch zu versorgen, arbeitete sie klar heraus. Hesse-Wartegg dagegen betonte die defizit¨are Situation Apias und im Gegensatz zu Zieschank auch den Mangel an frischem Fleisch, was vor allem durch die fehlende K¨uhlm¨oglichkeit verursacht wurde. Urs¨achlich f¨uhrte er dies auf die nicht vorhandene Marktstruktur zur¨uck. Es fehlt an alle Ecken und Enden. Apia, wie u¨ berhaupt ganz Samoa hat noch keinen Schuster, keinen ” Schneider, Glaser, Schlosser, M¨obeltischer, keinen Handwerker u¨ berhaupt, ausgenommen Zimmerleute und Schmiede. Es giebt keinen Gem¨use-, Frucht, Fisch- und Fleischmarkt; zieht man sich die Gem¨use und Fr¨uchte nicht selbst, so sind sie, wenn u¨ berhaupt, nur von anderen Pflanzern aufzutreiben. Fische sind sehr selten zu haben, Eis fehlt g¨anzlich, ebenso wie noch vieles andere. Ob Apia jemals sich so weit entwickeln wird, um einen hinreichend eintr¨aglichen Markt f¨ur all das heute noch Fehlende zu bilden, m¨ochte ich bezweifeln.“ (Hesse-Wartegg 1902: 227)

Hesse-Wartegg legte hier an die Verh¨altnisse in Apia einen europ¨aischen Maßstab an. Die von ihm aufgef¨uhrten, fehlenden Handwerker waren bislang auf den Inseln nicht notwendig, da der u¨ bliche Hausbau auf Glas und Metallarbeiten verzichtete. Schuster und Schneider w¨aren nur f¨ur die europ¨aische und US-amerikanische Bev¨olkerung sinnvoll gewesen, da die Samoanerinnen und Samoaner in ihrer Bekleidung auf Schuhe verzichteten und Kleidung aus pflanzlichen Materialien herstellten, die nicht geschneidert werden mussten. Die Einf¨uhrung eines Marktes h¨atte gleichfalls nur f¨ur Europ¨aerinnen und Europ¨aer Sinn ergeben, doch den Erfahrungen der anderen Reiseberichte folgend war es unproblematisch, an entsprechende Lebensmittel zu kommen, ohne einen eigenen Garten zu bewirtschaften. Dass Fische selten zu haben waren, scheint den anderen Schilderungen zufolge eher unwahrscheinlich. Gerade die Tatsache, dass Samoanerinnen und Samoaner regelm¨aßig zum Fischfang gingen, ließ eine Knappheit an Fisch kaum zu. Richtig ist, dass diese nicht zum Verkauf bestimmt waren, da es nur eine gering ausgepr¨agte Geldwirtschaft gab, dennoch waren sie verf¨ugbar. Eis dagegen war tats¨achlich nur dann verf¨ugbar, wenn Marineschiffe mit Eismaschinen anlegten, dann gab es f¨ur einen begrenzten Zeitraum

206 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

Eis auf den Inseln.6 Insgesamt scheint der erlebte Mangel bei Hesse-Wartegg eher seinen Wunsch nach vertrauten Handelsstrukturen auszudr¨ucken, als ein wirkliches Fehlen von Nahrungsmitteln oder Dienstleistungen abzubilden. Lebensmittel und frisches Fleisch entsprechend zu k¨uhlen, schien auf Samoa eine große Herausforderung darzustellen. Solange kein Eis oder eine andere K¨uhlm¨oglichkeit vorhanden war, war es also nicht m¨oglich, verderbliche Lebensmittel aufzubewahren, was den Effekt hatte, statt mit Aufbewahrung strikt nach Bedarf zu haushalten ohne Vorr¨ate anzulegen. Genthe spann den Gedanken weiter: Wenn Apia erst seine eigene Eismaschine habe, [d]ann werden die beiden Schl¨achter, die jetzt jede Woche oder alle vierzehn Tage ” einmal frisch schlachten, t¨aglich zum Schlachtbeil greifen und ein Luxus wird einreißen, der an die Zeiten des r¨omischen Kaiserreiches erinnert.“ (Genthe 1908: 45) Obwohl Samoa ¨ in den vorangegangenen Kapiteln mit paradiesischen Zust¨anden und dem Uberfluss an Nahrung konnotiert worden war, gebrauchte Genthe hier nun das Bild des r¨omischen Kaiserreichs, um den Luxus zu umschreiben. Damit unterstellte er der samoanischen Gesellschaft einerseits eine Geschichtslosigkeit, indem er die Inseln zum Schauplatz europ¨aischer Geschichte machte. Zum anderen setzte er dem samoanischen Naturvolk‘ ’ nun die R¨omer als Kulturvolk‘ mit imperialen Bestrebungen entgegen. ’ Insgesamt wird deutlich, dass Samoa trotz seiner paradiesischen Qualit¨aten nicht alle pers¨onlichen Bed¨urfnisse der Reisenden erf¨ullte. Insbesondere eine gute Versorgungslage, sowohl mit Nahrung, als auch mit Nachrichten, stellte f¨ur die Weiße Gesellschaft auf Samoa eine wichtige Quelle der pers¨onlichen Zufriedenheit dar. Nun erkl¨art sich schließlich, warum die als gl¨uckliche Naturkinder‘ (vgl. Kapitel 4.3.1) ’ beschriebenen Samoanerinnen und Samoaner elementarer Bestandteil der Beschreibungen waren, die letztlich die Bezeichnung Samoas als Paradies legitimierten. Das Motiv Paradies‘ ’ brauchte Bewohnerinnen und Bewohner, die darin gl¨ucklich waren, und die auf einer Entwicklungsstufe‘ standen, in der man mit dieser Nat¨urlichkeit‘ zufrieden war. Die ’ ’ Autorinnen und Autoren der Reiseberichte offenbaren dagegen den Widerspruch zwischen Aufenthalt im Paradies und pers¨onlicher Zufriedenheit – f¨uhren dies jedoch hierarchisierend auf ihre kulturell weiterentwickelten Bed¨urfnisse zur¨uck. Somit konstruieren sie in den Samoanerinnen und Samoanern ihr Gegenbild als Naturkinder‘. ’

6

Eis gibt’s zwar f¨ur gew¨ohnlich nicht; nur wenn die Dampfer hereinkommen, gelingt es den ” Wirten, vielleicht ein paar Pfund zu erstehen und damit f¨ur einen oder anderthalb Tage die Getr¨anke k¨uhl und ihre Schenke durch dieses einfache Mittel von morgens bis abends gef¨ullt zu haben.“ (Genthe 1908: 45)

Das Leben vor Ort | 207

5.1.3 Ein Spaziergang durch die Bucht von Apia Das Zentrum der Weißen Bev¨olkerung lag in Apia, der Hauptstadt Upolus (vgl. Abb. S. 67).7 Diesen Hafen fuhren die Postdampfer an, hier gab es zwischenzeitlich mehrere Hotels und Wirtschaften. Die Bucht von Apia mit ihren verstreuten Ortschaften war in der Regel das Erste, was Ankommende – nach der Gesamtansicht der Inseln vom Wasser aus – wahrnahmen. Gerne schilderten die Reisenden in ihren Texten die Bucht von Apia, indem sie einen imagin¨aren Spaziergang mit ihren Leserinnen und Lesern machten, und dabei die verschiedenen D¨orfer vorstellten. Stevenson benutzte dieses Bild, um Apia in seiner Gesamtbreite der Bucht zu beschreiben, und seinen Leserinnen und Lesern einen Spaziergang von der einen zur anderen K¨ustenseite zu empfehlen. Verschiedene andere Autoren sollten darauf zur¨uckkommen. Apia, the port and mart, is the seat of the political sickness of Samoa. [. . . ] The western horn is ” Mulinuu, the eastern, Matautu; and from one to the other of these extremes, I ask the reader to walk. He will find more of the history of Samoa spread before his eyes in that excursion, than has yet been collected in the blue-books or the white-books of the world.“ (Stevenson 1895/1892: 20f.)

Bei den weiteren Schilderungen unterschied Stevenson sehr genau, wem die entsprechenden Anwesen geh¨orten; in Klammern setzte er deren Nationalit¨at: Deutsch, Englisch oder USAmerikanisch (vgl. Stevenson 1895/1892: 21f.). W¨ahrend in den Ankunftsschilderungen darauf rekurriert wurde, dass man bei der Einfahrt in den Hafen Apias an der K¨uste u¨ berall auch samoanische H¨auser zwischen den Palmen erblicken konnte, beschrieb Stevenson deren Abwesenheit. Kaum H¨auser von Samoanerinnen und Samoanern, geschweige denn Personen, seien seinen Leserinnen und Lesern auf ihrem imaginierten Spaziergang begegnet: The handful of whites have everything; the natives walk in a foreign town.“ (Stevenson ” 1895/1892: 24) Genthe bezog sich anscheinend auf Stevenson, sowohl was den Spaziergang, als auch die Geschichte Samoas betraf. In der Tat zieht sich Apia u¨ ber mehr als sechs Kilometer am Strande hin, nicht weniger als sieben ” D¨orfer umfassend, die auch als v¨ollig miteinander verwachsene Stadtteile noch ihre getrennten Namen f¨uhren. Ein Schlendergang durch diese aneinandergeleimten D¨orfer, die nur nach der See zu einen europ¨aischen Anstrich haben, bringt dem Kundigen die ganze wechselreiche Geschichte Samoas ins Ged¨achtnis.“ (Genthe 1908: 12)

7

Samoanische Ortsbezeichnungen wurden, wie auch aus Kapitel 4.2.3 (Besondere Orte Samoas) hervorging, beibehalten – im Gegensatz zu anderen Kolonialgebieten fand keine Umbenennung statt.

208 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

Bei ihm hatten die D¨orfer lediglich zu einer Seite einen europ¨aischen Anstrich“, waren ” es also nicht in letzter Konsequenz.8 Die Anzahl der D¨orfer sowie die Sch¨atzungen der Einwohnerzahlen gingen hin und wieder auseinander, je nachdem, worauf der Fokus der Schilderungen gerade lag oder wie umfassend diese waren. Die ganze Stadt besteht aus vier Dorfschaften [. . . ]. In der Mitte des Halbkreises liegt das eigentliche ” Apia, o¨ stlich davon das Dorf Matautu mit den englischen und amerikanischen Konsulatsgeb¨auden, westlich das Dorf Matafele, welches fast ganz von der imposanten Faktorei der Deutschen Handelsund Plantagengesellschaft der S¨udsee eingenommen wird, und daran schließt sich das auf schmaler Landzunge gelegene Mulinu mit dem Palaste‘ des K¨onigs Malietoa und einigen Regierungsgeb¨auden.“ ’ (Ehlers 2008/1895: 61)

Ehlers nahm ausschließlich die offiziellen Geb¨aude der Verwaltung und des Handels wahr. Den Palast‘Malietoas setzte er in Anf¨uhrungsstriche, um ihn von europ¨aischen Vorstellun’ ¨ gen abzugrenzen. Ahnlich Stevenson verortete Ehlers die H¨utten der Eingeborenen [. . . ] ” erst am Ende von Mulinu“ (Ehlers 2008/1895: 61), also im Anschluss an den samoanischen K¨onigspalast. Weiter bescheinigte er Apia den Eindruck eines erst vor kurzem gegr¨undeten ” Badeorts“ (Ehlers 2008/1895: 61). Richard Deeken teilte Ehlers’ Z¨ahlweise der D¨orfer und gab an, dass die Einwohnerzahl Apias etwa 2000 Menschen betrug, davon fast 300 Weiße, von denen die Mehrheit Deutsche seien (vgl. Deeken 1901: 23). Georg Wegener dagegen sprach von einer Einwohnerzahl von 1000 Menschen in Apia, wobei die rund 300 Weißen bereits eingerechnet waren (vgl. Wegener 1903: 54). Nicht ersichtlich wird, ob er sich wie die anderen Autoren auf den Zusammenschluss der D¨orfer, oder auf das eigentliche[ ] Apia“ (Deeken 1901: 23) als ” einzelnes Dorf bezieht. Charles Greene und Michael Myers Shoemaker beschrieben beide, dass die einheimische Bev¨olkerung der ausl¨andischen gewichen war und nun nicht an der Wasserfront, sondern am Flussufer angesiedelt war (vgl. Myers Shoemaker 1898: 42). Greene z¨ahlte a¨ hnlich wie Ehlers die offiziellen Geb¨aude auf, erg¨anzte aber noch einige: The principal buildings in the straggling line on the curving beach of Apia are the consulates, the ” Catholic cathedral, for here the Bishop of all the South Sea islands has his residence, the churches of the several Protestant denominations, the warehouses of the Hamburg Company and other trading concerns, the new Tivoli Hotel, and many other creditable buildings, a few of them solidly built of cut coral rock. The natives, it is hardly needful to mention, have been crowded away from the water front.“ (Greene 1896: 11f.)

8

Das gleiche Bild des a¨ ußeren Anstrichs‘ bzw. einer Schicht‘ findet sich in den Beschreibungen ’ ’ der Adaption des Christentums, vgl. Kapitel 6.1.

Das Leben vor Ort | 209

Apia schien als Zentrum der Weißen die Einheimischen an den Rand verdr¨angt zu haben und war nun eine europ¨aisierte (Klein-)Stadt. So wie Stevenson es bereits angedeutet hatte, waren zu seinen Zeiten der Hafen und Markt von Apia der Sitz der political sickness“ ” (Stevenson 1895/1892: 20) von Samoa. Das lag in seinen Augen vor allem an dem Klatsch, der sich – aufgrund mangelnder Nachrichten von außen – immer weiter um sich selbst drehte: Every one tells everything he knows; that is our country sickness. Nearly everyone ” has been betrayed at times, and told a trifle more; the way our sickness takes the predisposed. And the news flies, and the tongues wag, and fists are shaken. Pot boil and cauldron bubble!“ (Stevenson 1895/1892: 26) Diesen Klatsch kennt man bereits aus dem afrikanischen Kontext, wo er ein Kontroll” mittel von sozialen Gruppen“ darstellt (Gippert und Kleinau 2014: 243) und in Anlehnung an Norbert Elias zwar keine integrierende Funktion besitze, aber R¨uckschl¨usse auf die Integration einer Gruppe zulasse (vgl. Elias und Scotson 1990: 180). Bezieht man in Stevensons Schilderungen mit ein, dass von den rund 400 Weißen, die auf Samoa lebten, rund 300 in der n¨aheren Umgebung Apias ans¨assig waren (vgl. Wegener 1903: 53), wird verst¨andlich, wieso es zu den entsprechenden Klatschkan¨alen und -strukturen kommen konnte. Stevenson bevorzugte als Konsequenz seiner kritischen Haltung Apia gegen¨uber die Abgeschiedenheit der Villa Vailima. W¨ahrend die Samoanerinnen und Samoaner, dieses Geschehen [l]ike a child“ verfolgten, und der Weißen Leute am Strand u¨ berdr¨ussig w¨urden, ” konnte Stevenson auch den Ursprung benennen: But the true centre of trouble, the head of ” the boil of which Samoa languishes, is the German firm.“ (Stevenson 1895/1892: 27f.) Die Angeh¨origen der DH&PG hatten zu Stevensons Zeiten einen großen Anteil an der Weißen Bev¨olkerung und die Faktorei in Matafele (vgl. Ehlers 2008/1895: 61) war sehr pr¨asent. Doch diese Kr¨afte schienen harmlos zu sein, im Vergleich zu den fr¨uheren‘ Zeiten, in ’ denen Apia den Ruf der H¨olle des Pazifik‘ genossen hatte. ’

¨ Apia – Holle des Pazifik“ ”

It is used to be that Apia was called the hell of the Pacific. They claim that it has undergone ” a great improvement. Well, those who profess to know say that it was a great deal worse before the hurricane.“ 9 (Pierce Churchill 1902: 290) Als hell of the Pacific“ sei Apia ” beschrieben worden, insbesondere vor 1889. Doch die Zust¨ande h¨atten sich gebessert, auch wenn Pierce Churchill nicht deutlich machte, woran sie diese bemaß. Auch Churchward rekurrierte auf diese Bezeichnung, die er nicht mehr aus eigener Anschauung kannte. It was, according to report, a very pandemonium, and at that time ” well deserved the name of the Hell of the Pacific‘!“ (Churchward 1887: 71) Dieser Zustand ’

9

Hier spielte sie auf den Great Hurricane im Jahre 1889 an.

210 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

sollte aber mit der Einf¨uhrung des Munizipalrates 1887 u¨ berwunden werden – erfolgreich, wie es schien. Salutary regulations were rapidly made and put into force, and soon Apia emerged from its degraded ” status as the Hell of the Pacific‘, into a well-ordered district, with a community particularly jealous of ’ the maintenance of law and order; where property and person were as safe as they would be anywhere in England; and whose criminal record would compare most favourably, in proportion to its inhabitants, with any seaport town in the world.“ (Churchward 1887: 75)

Als Bezugspunkte benannte Churchward nun das englische Festland und andere Hafenst¨adte, was die Darstellungen Apias ein wenig erdete. Immerhin konnte es in England im ausgehenden 19. Jahrhundert in gr¨oßeren St¨adten auch sehr gef¨ahrlich werden, und Hafenst¨adte besitzen von jeher den Ruf einer besonders hohen Kriminalit¨at, da sie vorrangig Transitorte sind. Insofern f¨uhrten die [s]alutary regulations“ dazu, dass die Schilderung ” Apias als H¨olle etwas von ihrer Dramatik verlor und kontextualisiert wurde; immerhin befand sich Apia auf einer S¨udseeinsel, der man eher paradiesische Zust¨ande unterstellte. Hierin zeigt sich der deutliche Unterschied zwischen der naturalisierten Wahrnehmung der Inselwelt und ihrer verdichteten, zivilisierteren‘ und europ¨aisierten Orte, an denen die ’ Einheimischen zu randst¨andigen Figuren wurden. Obwohl sich die Zust¨ande laut Churchwards Darstellung zum Besseren gewandelt hatten, gab es sp¨atere Kritiker der zeitgen¨ossischen Zust¨ande, die die alte Zeit mit Abenteuern verbanden und sie romantisiert und verkl¨art darstellten. Ja, die guten alten Zeiten f¨ur Apia sind nun vor¨uber, am Ende des 19. Jahrhunderts haben Kultur ” und Sitte auch in der Hautstadt der samoanischen Inseln ihren Einzug gehalten, und die Romantik der S¨udsee ist verschwunden und enth¨ullt sich nur dem emsigen Forscher bei g¨unstiger Gelegenheit und n¨achtlicher Stunde, wenn er mit Ausdauer seine Zeit und manchen guten Tropfen opfert, bis sich die Schleusen der Erinnerung der Alten o¨ ffnen, die noch Zeugen waren jener wilden Tage, da Apia in einem ununterbrochenen Taumel lebte von Trunk- und Genußsucht, da auch die ernsteren Leute, die ihres Berufes wegen herausgekommen waren, nicht leicht sich dem Zauber des r¨ucksichtslosen Herrentums entziehen konnten, das der Weiße dem Eingeborenen gegen¨uber beanspruchte.“ (Genthe 1908: 41)

Genthe offenbarte sich auch hier als Suchender nach der Urspr¨unglichkeit und Romantik der S¨udsee. Die alten Zeiten“ waren f¨ur ihn gute[ ]“, in denen das Herrentum“ auf die ” ” ” ernsteren Leute“ einen Zauber ausge¨ubt habe. Mit diesem Verweis auf die guten alten Zei” ten verharmloste er die Hierarchisierung und Unterordnung der samoanischen Bev¨olkerung, indem er diese dem Zeitgeist zuschrieb und nicht als bewusstes und intendiertes Handeln der Weißen auffasste. In ihrer Bewertung der Hauptstadt Apia gingen die Berichte mitunter also deutlich auseinander.

Das Leben vor Ort | 211

Die Bedeutung Apias Ehlers kam zu dem Urteil, nie ein freundlicheres Seest¨adtchen kennen gelernt zu haben ” als Apia“, mit h¨ubschen bescheidenen Holzh¨auschen“ und vom Nichtstun lebenden ” ” Menschen“ (Ehlers 2008/1895: 61). Dieses positive Urteil erstaunt, da er an anderer Stelle herausgestellt hatte, dass er sich in Apia nicht willkommen f¨uhlte (bei der Weißen Bev¨olkerung wohlgemerkt),10 und daher einen Großteil seiner Tage – wie beschrieben – auf dem Sameaberg verbrachte (vgl. Kapitel 4.2.3). Genthe fasste pointiert zusammen: Die ungeheure L¨acherlichkeit der v¨olligen Verh¨altnislosigkeit zwischen politischer und sonsti” ger Bedeutung [Apias, G. F.] wird einem erst klar, wenn einem ein l¨angerer Aufenthalt in dieser merkw¨urdigen Kleinstadt den genauern Einblick verschafft hat in die Kleinlichkeit des ganzen Betriebes von Schildb¨urgerlichkeit und politischem Gr¨oßenwahn, der sich hier in diesem internationalen Dorf auf einer der sch¨onsten S¨udsee-Inseln seit Jahrzehnten abspielt zum Gesp¨ott der ganzen gebildeten Welt und zur nimmerruhenden Sorge der Diplomaten.“ (Genthe 1908: 11)

Aufgrund seines Aufenthaltes f¨uhlte er sich nun in der Position, die L¨acherlichkeit“ ” als solche benennen zu k¨onnen. Mit der Schildb¨urgerlichkeit“ spielte Genthe auf die ” bekannten Schildb¨urgerstreiche aus dem Lalebuch an, in dem die Schildb¨urger unter anderem ein Rathaus ohne Fenster bauen und dann versuchen, das Sonnenlicht in Eimern hereinzutragen, oder vorhaben, Salz selber anzubauen, indem sie den gesamten Acker mit Salz bestreuen. Dabei sind die B¨urger Schildas eigentlich weise Menschen, die sich lediglich als Narren ausgeben.11 Bei Genthe sind es die Diplomaten und die gebildete Welt, die die Kleinlichkeit des Betriebs“ seit l¨angerem durchschauen. Da er nun auch ” Einsicht in die Verh¨altnisse hat, kann er sich selbst ebenfalls als zur gebildeten Welt geh¨orig verorten. Schließlich zielt seine Einsch¨atzung auf die Erlangung von mehr Authentizit¨at: Wir bleiben also lieber bei den Kriegsschiffen, ohne Eismaschine12 und bleiben, was wir ”

10

Frieda Zieschank hatte dagegen positive Erfahrungen gemacht: Ebenso wie die Eingeborenen ” u¨ ben auch die papalagi‘ (Weißen) eine unbegrenzte Gastfreundschaft. Zu jeder Tages- und, ’ ich m¨ochte fast sagen, auch Nachtzeit kann man den Bekannten ins Haus schneien. Immer herrscht herzliche Freude u¨ ber einen Besuch, er wird fr¨ohlich aufgenommen und ungezwungen bewirtet.“ (Zieschank 1918: 52) Vermutlich liegt die unterschiedliche Bewertung am jeweiligen Aufenthaltsstatus; Zieschank war ans¨assig und zudem Frau des Arztes, Ehlers war lediglich ein Durchreisender.

11

Vgl. dazu die beiden aktuellen Nachdrucke des Lalebuchs bzw. der Schildb¨urgergeschichten von Ertz (2011) oder auch Schwab (2014).

12

Da Apia keine Eismaschine hatte und somit frisches Fleisch nicht lagern konnte, musste auf B¨uchsenfleisch zur¨uckgegriffen werden. Daher bedurfte es also best¨andig eines Grundes, um ein Kriegsschiff anzufordern, auf dem es eine Eismaschine gab. Insofern – so stellte es Gen-

212 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

sind, oder nach den wilden Tagen der Walfischj¨ager und Beachcomber wieder geworden sind: eine artige, niedliche Kleinstadt mit einem bißchen politischen Gr¨oßenwahn und etwas viel Geistlichkeit.“ (Genthe 1908: 46) Seine Haltung war vermutlich seinem Empfinden geschuldet, dass die guten alten ’ Zeiten‘ nun vorbei seien. Seine Forderung, anzuerkennen, dass man eine artige, niedliche ” Kleinstadt“ sei, will jedoch nicht so recht zu den hochtrabenden Pl¨anen der deutschen Kolonialherren passen, die Apia als Weltstadt‘ zu konstruieren versuchten, um das n¨otige ’ Gewicht und die entsprechende Bedeutung f¨ur ihre Bem¨uhungen zu erlangen. Wegener schloss sich Genthes Darstellung an. Allerdings muss der Ank¨ommling erst u¨ ber das Erstaunen hinwegkommen, das er u¨ ber das Miß” verh¨altnis zwischen der Weltber¨uhmtheit des Ortes und seiner wirklichen Unbedeutendheit empfindet. Apia besteht eigentlich nur aus einer einzigen, weder sch¨onen [. . . ] noch stattlichen Straße, die von niedrigen in weiten Zwischenr¨aumen stehenden tropischen Holzh¨ausern gebildet wird.“ (Wegener 1903: 54)

Seiner Auffassung nach verdiente Apia kaum den Namen Stadt, sondern war lediglich eine Ansammlung weitverstreuter Holzh¨auser. Auch Wegener fiel der Widerspruch zwischen dem Bekanntheitsgrad Apias und dessen tats¨achlichem Erscheinungsbild auf. Weiterhin stand die Frage zur Diskussion, unter wessen Einfluss Apia nun eigentlich stehe. Die deutschen Schreibenden h¨atten es gerne gesehen, wenn Apia als deutsche Stadt in Erscheinung tr¨ate: Daß in Apia unter den daselbst lebenden etwa 200 Weißen das ” deutsche Element st¨arker als das englische oder amerikanische vertreten ist, erkennt man auf Schritt und Tritt.“ (Ehlers 2008/1895: 62) Doch Hesse-Wartegg berichtete: Apia ist trotz der großen Zahl ans¨assiger Deutscher seinem Grundton und Verkehr nach eine englische ” Stadt, wo jeder englisch spricht und schreibt, aber es d¨urfte nicht mehr lange brauchen, bis in Apia die deutsche Sprache ebenso vorherrschen wird, wie im Jahr 1900 die englische. [. . . ] Die Deutschen bilden etwa die H¨alfte der weißen Einwohner von Apia, seit der am 2. M¨arz 1900 erfolgten Flaggenhissung durch das Reich d¨urften sie sogar stark in der Mehrheit sein, teils durch den Zugang deutscher Beamten, teils durch die Anziehungskraft des sch¨onen Geschlechts.“ (Hesse-Wartegg 1902: 217)

Trotz der Flaggenhissung zeigte sich, dass die Umgangssprache lange Zeit das PidginEnglisch gewesen war, welches Entlehnungen aller vor Ort vertretenen Sprachen nutzte, in der zugrundeliegenden Grammatik aber dem Englischen am n¨achsten war. Auch der lange Einfluss der (englischen und franz¨osischen) Missionsstationen hatte Upolu, und damit

the humoristisch dar – seien viele Unruhen‘ darauf zur¨uckzuf¨uhren, dass die Weiße Commu’ nity des B¨uchsenfleisches u¨ berdr¨ussig sei (vgl. Genthe 1908: 45f.), was in seiner Logik den Schildb¨urgergeschichten a¨ hnelt.

Das Leben vor Ort | 213

Apia, gepr¨agt. Dennoch setzte Hesse-Wartegg Hoffnungen auf die kommende Entwicklung Apias, das nunmehr offiziell deutsch war.

¨ 5.1.4 Zusammenfassende Uberlegungen Wie Frieda Zieschank es formuliert hatte, – Es hieß also: an vieles sich gew¨ohnen!“ ” (Zieschank 1918: 19) – erforderte das Leben vor Ort eine Anpassungsleistung von den Reisenden. Jede und jeder der neu Ankommenden musste sich im Land erst akklimatisieren, an die Gegebenheiten gew¨ohnen und Ver¨anderungen der bisherigen Lebensweise hinnehmen. Diese discomforts“ (Pierce Churchill 1902: 247) kommen in den Quellen ” jedoch verh¨altnism¨aßig selten vor. Wenn sie benannt wurden, dann von denjenigen, die als residents‘ l¨anger auf der Insel blieben, hier also Llewella Pierce Churchill, William Church’ ward und Frieda Zieschank. Dar¨uber hinaus wurde der Beschreibung dieser unkomfortablen Tatsachen wenig Gewicht verliehen. William Churchward hatte mit k¨orperlichen Symptomen zu k¨ampfen; Fieberanf¨allen, der Angst vor dem Verr¨ucktwerden (becoming mad), Llewella Pierce Churchill litt besonders unter der Abgeschiedenheit und dem Mangel an Nachrichten aus der Heimat, und f¨ur Frieda Zieschank war alles anders als in der Heimat. Diese Erfahrungen nutzten die Schreibenden in unterschiedlicher Art und Weise f¨ur ihre Selbstverortung. F¨ur Churchward war es Zeichen seiner h¨oheren Entwicklungsstufe‘, dass er die genann’ ten Akklimatisierungsprobleme hatte. Seiner Logik gem¨aß steht der Anpassungsleistung des kulturell weiterentwickelten Menschen der R¨uckfall ins native life‘ gegen¨uber. Insofern ’ sind seine Beschwerden Beleg daf¨ur, dass er dar¨uber erhaben ist. Pierce Churchill nutzte die eigene Anpassungsleistung an die discomforts‘, um sich ’ geringsch¨atzend u¨ ber Neuank¨ommlinge zu a¨ ußern, denen diese Auseinandersetzung noch bevorstand. Damit konnte sie sich selbst als tapfere Frau konstituieren, die mutig mit den an sie gestellten Herausforderungen umging, und realistisch die Lebensverh¨altnisse einsch¨atzen konnte. ¨ Ahnlich ging auch Frieda Zieschank vor, die vorgab, v¨ollig ohne Erwartungen nach Samoa gekommen zu sein. Dies diente ebenfalls der Selbstverortung als tatkr¨aftige Frau, die ihrem Mann zur Seite stand.13

13

Damit soll keine automatische Geschlechterzuordnung unterstellt werden. Doch hatte Zieschank es sich explizit auf die Fahne geschrieben, ihrem Mann als deutsche Frau beizustehen und sah sich selbst als Tr¨agerin einer Kulturmission“ (vgl. Kapitel 6.5), was diese Lesart nahe legt. ”

214 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

Die Akklimatisationsdebatte14 , wie sie vor allem in der deutschen Heimat gef¨uhrt wurde, nahm in den Berichten der Autorinnen und Autoren selbst kaum Raum ein. Da Samoa aus deutscher Sicht nie in dem Maße als Siedlungskolonie gedacht war wie etwa Deutsch-S¨udwest (vgl. Gr¨under 2004/1985: 181ff.), stellte sich die Frage nicht. Die Debatte wurde daher vorrangig f¨ur den afrikanischen Kontext gef¨uhrt, wobei es zun¨achst darum ging, ob Weiße die wirtschaftliche Produktion“ selbstst¨andig in die Hand nehmen ” k¨onnten, und sp¨ater um die Frage, ob sie psychisch und nervlich“ das Klima vertr¨ugen ” (Kundrus 2003b: 163). F¨ur Samoa stand außer Frage, dass Menschen aus der samoanischen Bev¨olkerung nicht als Arbeitskr¨afte zu gebrauchen waren, weshalb Melanesier und Chinesen als Kontraktarbeiter importiert‘ wurden. Dass Weiße selber arbeiten oder nicht arbeiten ’ k¨onnten, stand nicht zur Debatte. Die Diskussion um die Degeneration‘ und Verkafferung“ ’ ” (Dietrich 2009: 180) – in diesem Kontext sprach man von Verkanakerung‘ (vgl. Samulski ’ 2004: 335) – wurde lediglich in Bezug auf die Rassenmischung‘ und Mischehen‘ gef¨uhrt, ’ ’ nicht aber mit Blick auf die generelle Konstitution Weißer. Dass das Akklimatisieren in einer neuen Heimat, die sich zudem klimatisch von Europa stark unterschied, eine gewisse Eingew¨ohnungsphase erforderte, u¨ berrascht nicht. Auch die grunds¨atzliche Beschr¨anktheit der Verh¨altnisse, vor allem in Bezug auf Apia, den Nachrichtenverkehr und anderes entspricht eher den normalen‘ Erfahrungen eines oder ’ einer Reisenden. Erstaunlich ist jedoch, dass Samoa, als vorher erkl¨artes Paradies und M¨archenwelt, die Neuank¨ommlinge nicht mit der gleichen Freundlichkeit aufnahm, die es den Landeskindern‘ entgegenbrachte. ’ Dies zeigte sich besonders in der Versorgungslage, die durchaus unterschiedlich bewertet wurde. Obwohl es eine Vielfalt an Obst und Gem¨use – mit mehr oder weniger ¨ großen Ahnlichkeiten zu heimatlichen Nahrungsmitteln – gab, stand die Frage nach der (freien) Verf¨ugbarkeit im Raum. Waren Reisende zu Gast, konnten sie sich darauf verlassen, mit vielf¨altigen Speisen versorgt zu werden. Wer aber auf eigene Faust und m¨oglichst autark reisen wollte, fand keine entsprechende Marktstruktur vor, die Nahrungsmittel zur Verf¨ugung gestellt h¨atte. Erst als Siedler oder Siedlerin mit eigenem Anwesen konnte man Subsistenzwirtschaft betreiben. Das Denken in den Kriterien der Marktstruktur offenbart also vorrangig den eurozentristischen Blickwinkel. F¨ur die Autorinnen und Autoren bedeutete das, obwohl sie paradiesische und m¨archenhafte Zust¨ande beschrieben, konnten sie ¨ an diesen jedoch selber nicht teilhaben, da sie nicht dazugeh¨orten‘. Uberspitzt formuliert: ’ Die Reisenden hatten zwar das verlorene Paradies (wieder-)gefunden, es war aber nicht alltagstauglich.

14

Ausf¨uhrlicher zu Verlauf und Inhalt der Debatte vgl. Kundrus (2003b): 162-173, vgl. auch Grosse (2000): 53-95.

¨ Rituale und Gebrauche | 215

Stattdessen spielte sich das gesellschaftliche Leben vorrangig in und um Apia ab. F¨ur die Darstellung dieser Kleinstadt war die Metapher eines Spaziergangs gebr¨auchlich. ¨ Ahnlich der Darstellungsweise als Bildbeschreibung erf¨ullt der Spaziergang die Funktion, zum einen den Blick der Lesenden zu lenken, zum anderen die Deutungshoheit u¨ ber das Beschriebene zu haben und sich selbst zudem als F¨uhrer oder F¨uhrerin, als Autorit¨atsperson, zu stilisieren. Die Aufz¨ahlung der verschiedenen D¨orfer, die Apia bildeten, geschah uneinheitlich und auch die Wahrnehmungen der diversen Geb¨aude differierte. Deutlich machten die Autorinnen und Autoren jedoch, dass es sich bei Apia um eine Weiße Stadt handelte, in der die samoanische Bev¨olkerung randst¨andig war. Dennoch symbolisierte die Beibehaltung des Stadtnamens Apia die Tatsache, dass die Bewahrung der einheimischen Kultur im Zentrum stand – auf die Umbenennung zugunsten einer symbolischen Germanisierung‘“ ” ’ (Wendt 2013: 49) verzichtete man auch bei der Inselteilung im Jahr 1900. Die Darstellungen Apias als H¨olle des Pazifik‘ rekurrieren entweder auf die stabilisie’ rende Funktion des europ¨aischen Einflusses oder beschw¨oren eine gute alte Zeit‘, in der ’ es noch Abenteuer gab. Die durch die Reisen tats¨achlich erfolgte Konfrontation mit diesem Ort offenbarte den Widerspruch zwischen erlebter Wirklichkeit und vorausgeeiltem Ruf. Da die Schilderungen Apias jedoch sowohl ein erneutes Manifestieren der Zuschreibungen darstellen und auch semantisch drastisch angelegt sind ( ungeheure L¨acherlichkeit‘, v¨ollige ’ ’ Verh¨altnislosigkeit‘, Unbedeutendheit‘ vs. Weltber¨uhmtheit‘), fallen die Schreibenden ’ ’ hinter ihre eigene Forderung, Apia als h¨ubsche Kleinstadt zu begreifen, zur¨uck. Schließlich setzen sich insbesondere die deutschen Quellen mit der nationalen Pr¨agung von Upolus Hauptstadt auseinander, worin sich konkurrierende Einfl¨usse offenbaren. So oder so stellt Apia den Dreh- und Angelpunkt der Weißen Gesellschaft auf Samoa dar: als zentraler Ort mit der politischen Verwaltungsstruktur, dem Hafen als Versorgungsstruktur und gesellschaftlichen Funktionen, die sich beispielsweise im von Stevenson erw¨ahnten Klatsch a¨ ußern.

5.2 R ITUALE

UND

¨ G EBR AUCHE

Nach ihrem Eintreffen in Apia kamen die Reisenden schnell mit den einheimischen Menschen und deren Ritualen und Gebr¨auchen in Kontakt. Allen voran ist dies der Brauch des Kava-Trinkens (5.2.1). Kava ist ein Getr¨ank, das aus der Wurzel des Pfefferstrauches gewonnen und zu zeremoniellen Anl¨assen und insbesondere zur Begr¨ußung getrunken wurde.15 Außerdem geh¨ort zu dem Ritual die Auff¨uhrung einer Siva (5.2.2), des traditionellen

15

Trotz der a¨ hnlichen Schreibweise hat dieses Getr¨ank nichts mit dem spanischen Schaumwein Cava gemeinsam. Die eigentlich korrekte Form Ava“ taucht zwar in einigen Berichten auf, scheint sich ”

216 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

Tanzes. Dieser steht in enger Verbindung zu Schilderungen der Taupou (5.2.3), welcher w¨ahrend einer Siva die Leitung oblag und die besondere Aufgaben und Pflichten in der samoanischen Gesellschaft erf¨ullte.16 W¨ahrend diese Rituale, speziell die Siva, besonders f¨ur die Fremden inszeniert wurden, war das Fangen des Palolo-Wurmes (5.2.4) denjenigen vorbehalten, die sich l¨angerfristig (und zum richtigen Zeitpunkt) auf der Insel aufhielten, Kontakte zu Einheimischen pflegten, und zu diesem Ereignis mitgenommen wurden.

¨ 5.2.1 Kava – das Nationalgetrank Um die Herkunft der Kava-Wurzel ranken sich Legenden, die von einigen Schreibenden zitiert wurden. Die Kurzfassung lautete, dass ein samoanischen M¨adchen, das von Fidji nach Hause zur¨uckkehren wollte, u¨ berlegte, was es N¨utzliches mitbringen konnte. Da ihm nichts einfiel, setzte es sich auf einen H¨ugel, von wo aus es eine Ratte beobachtete, die zun¨achst an einem Pflanzenst¨angel knabberte und daraufhin einschlief. Als die Ratte erwachte, fraß sie von einer anderen Wurzel, die sie k¨uhn und stark werden ließ. Also beschloss das M¨adchen, beide Pflanzen mitzunehmen, wodurch sowohl Zuckerrohr als auch die Kava-Wurzel nach Samoa kamen (vgl. Churchward 1887: 48f.). Pierce Churchill erz¨ahlte die Sage in zwei anderen, in Teilen a¨ hnlichen Fassungen. Ihr zufolge war es ein junger Bursche, der seinen Vater jeden Morgen das Haus verlassen sah, aber nicht wusste, wohin dieser ging. Also folgte er ihm heimlich und entdeckte, dass der Vater zu den Helden in den Himmel ging, wo Kava getrunken wurde. Nachdem der junge Mann f¨ur seine Neugierde zuerst get¨otet werden sollte, erhielt er die Chance, sein Leben zu retten, indem er den wilden Kava-Busch b¨andigte, was ihm gelang. In der zweiten Variante gab der sterbende K¨onig von Fidji die Anweisung, nach seinem Tod seinen K¨orper zu begraben und sich um die Pflanzen zu k¨ummern, die auf seinem Grab wachsen w¨urden. An seinem Kopfende wuchs Kava, zu seinen F¨ußen Zuckerrohr. Wiederum war es eine Ratte, die erst an der einen Pflanze, der Kava, knabberte und taumelte, und anschließend vom Zuckerrohr fraß und sich erholte, was die Menschen den Gebrauch dieser Pflanzen lehrte. (Vgl. Pierce Churchill 1902: 60)

aber nicht durchgesetzt zu haben. Its proper name is Av¯a‘, which somehow or other has of late ” ’ years adopted an initial K. This innovation, however, is not generally in vogue amongst the natives themselves.“ (Churchward 1887: 48) Auch Genthe spricht von Ava (vgl. Genthe 1908: 84). Innerhalb der verschiedenen Schreibweisen verwende ich die Form Kava. 16 Da die Taupou insbesondere f¨ur das Aus¨uben der Gastfreundschaft verantwortlich war und ihre Schilderungen mit der Zubereitung der Kava sowie der Durchf¨uhrung einer Siva verkn¨upft waren, werden diese inhaltlich unter der Kapitel¨uberschrift 5.2 aufgef¨uhrt, strukturell geh¨orten sie zu Kapitel 5.3.

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Wie wurde das Getr¨ank nun aus der Kava-Wurzel zubereitet? Sie wurde dazu – zumeist von Frauen – gekaut, in sp¨ateren Jahren lediglich zerrieben, und mit Wasser aufgegossen. Dann wurden die groben Fasern herausgesiebt und die fertige Kava schließlich in einer kleinen Sch¨ussel serviert. Dabei war es von zeremonieller Bedeutung, dass der dem Rang nach h¨ochste Gast als erstes die Kava gereicht bekam, danach alle weiteren Personen – mit Ausnahme samoanischer Frauen – ihrem Rang entsprechend. Dieses Ritual geh¨orte zum festen Ablauf von politischen Versammlungen, besonderen Anl¨assen und – wie in den meisten Quellen – der Begr¨ußung von Fremden; die zeitgen¨ossischen Details der Kava-Zeremonie unterscheiden sich jedoch von Quelle zu Quelle. Die Zubereitungsart, Aussehen und Geschmack sowie schließlich die Bedeutung der Kava waren beliebte Themen in den Quellen. Genthe beispielsweise k¨undigte an, seine eigenen Schilderungen auf technische Details zu beschr¨anken, da schon soviel von durch” reisenden Fremden geschrieben worden [war]“ (Genthe 1908: 84), hielt diese Ansage jedoch nicht ein. Woraus die Kava gemacht wurde, schien zum common sense zu geh¨oren, nicht nur Genthe benannte die Pflanze explizit. Es ist die getrocknete Wurzel einer Pfefferstaude (Piper methysticum),17 hier Ava genannt, bei den ” Europ¨aern nach der auf andern Inselgruppen u¨ blichen Form besser als Kava bekannt. Die Polynesier machen daraus ein Getr¨ank, das neben der frischen Milch der jungen Kokosnuß eigentlich das einzige Getr¨ank ist, das sie besitzen.“ 18 (Genthe 1908: 83)

Das Besitzen‘ von Getr¨anken, wie Genthe es bezeichnet, macht seinen eurozentristischen ’ Blickwinkel deutlich und zeigt, dass er besitzen‘ im Sinne von erfunden haben‘ oder ’ ’

17

Greene beschrieb ebenfalls die Zubereitung der Wurzel des Piper methysticum“ (Greene 1896: ” 19). Aufschlussreich ist hier, dass die Ava bereits einen lateinischen Namen besitzt. Zur Bedeutung der imperialistischen und eurozentristischen Nomenklatur f¨ur Pflanzen vgl. Schiebinger (2004).

18 Die Kokosmilch als Getr¨ank beschrieb neben Genthe noch Ehlers: Im allgemeinen vermag ich ” mich, als echter Sohn meines Vaterlandes, f¨ur temperenzlerische Getr¨anke nicht zu begeistern, aber die Milch einer in der Morgenfrische gepfl¨uckten und von der Hand einer jugendlichen, braunen Hebe kredenzten Nuß der Kokospalme ist ein ganz besonderer Saft, ein Trank f¨ur G¨otter wie f¨ur Sterbliche.“ (Ehlers 2008/1895: 70) Auch Genthe schw¨armte: Der Trunk ist wirklich k¨ostlich. ” Die sogenannte Kokosmilch ist hell und klar wie Wasser, weich und s¨uß im Geschmack wie ein zu Zuckerwasser verd¨unnter Fruchtsaft und von erfrischender K¨uhle, da die dicke Faserh¨ulle den Kern mit Erfolg gegen die Strahlen der Sonne gesch¨utzt hat. Der Samoaner hat kein anderes Getr¨ank als dieses, das ihm die Natur fix und fertig bietet.“ (Genthe 1908: 127) Und auch HesseWartegg stimmte mit ein: Ein k¨ostlicheres Getr¨ank als die Milch einer jungen, gr¨unen Kokosnuß ” giebt es in den Tropen nicht; es stellt nicht nur Kawa, sondern f¨ur meinen Geschmack auch den besten Champagner in den Schatten, denn es erfrischt und k¨uhlt in wunderbarer Weise. [. . . ] Wie schade, daß Kokospalmen nicht auch am Rhein Fr¨uchte tragen!“ (Hesse-Wartegg 1902: 261)

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urspr¨unglich zu Verf¨ugung stehen‘ meint, denn sp¨atestens mit Ankunft der ersten Weißen ’ und dem Errichten von Handelsstationen waren auch europ¨aische Getr¨anke auf Samoa im Umlauf – Bier und Gin seien hier nur am Rande erw¨ahnt – und grunds¨atzlich war bei der F¨ulle an Obstsorten auch das Herstellen von S¨aften m¨oglich. Insofern unterscheidet Genthe deutlich zwischen den nat¨urlichen‘ Getr¨anken Samoas und der Gesamtheit der zur ’ Verf¨ugung stehenden Getr¨anke. Churchward widmete sich der Kava in seinem Text sehr ausf¨uhrlich. Neben der Darstellung der Legende sah er sich verpflichtet, seine Leserinnen und Leser in die mysteries ” of the brewing“ einzuweihen, welches immer die Natur of a ceremony“, zu besonderen ” Anl¨assen sogar die of a mysterious rite“ bes¨aße (Churchward 1887: 48). Die tiefere Be” deutung des Kava-Umtrunkes tauchte nur in wenigen Quellen auf. Tats¨achlich ging es nicht nur darum, dem oder der Neuangekommenen eine Erfrischung anzubieten, sondern ein tiefergehendes Verst¨andnis von Freundschaft zum Ausdruck zu bringen. Deeken nannte zwei Interpretationen. Zum einen: Diese Kava-Wurzel wird mit dem Namen uso‘ (Bruder) ” ’ ¨ bezeichnet; die Uberreichung einer solchen Wurzel und die darauf folgende Bereitung eines Getr¨ankes aus derselben bedeutet so viel als: Wir wollen Dich als Bruder in unserer ’ ¨ Mitte aufnehmen‘ [Herv. i. O.].“ (Deeken 1901: 87) Hier geh¨ort schon das Uberreichen der Wurzel mit zum Ritual, diese wurde h¨aufig als Gastgeschenk mitgebracht. Und zum anderen: Die Kava war fertig, und dreimaliges H¨andeklatschen k¨undigte den feierlichsten Moment des Abends ” an, wo der Fremde in der ihm gereichten Schale Kava die Liebe und Freundschaft seiner Gastgeber, welche die jungen M¨adchen sorgf¨altig in die Kava hineingekaut haben – denn das ist der tiefere Sinn des Kauens der Wurzel – zu sich nimmt.“ (Deeken 1901: 139)

Unabh¨angig davon, ob diese Auslegungen Deekens ethnologisch korrekt sind, bezieht sich Deeken selbst in den Kreis der Empf¨anger der Kava ein, sagt also implizit aus, dass er ebenfalls als Bruder“ aufgenommen und Liebe und Freundschaft“ seiner Gastgeber ” ” empfangen habe. Damit bricht das bisherige rassisch‘ hierarchische Argumentationsmuster ’ Deekens, denn als Bruder‘ ist er den Samoanerinnen und Samoanern ebenb¨urtig, nicht ’ mehr u¨ berlegen. Zudem erinnert das Empfangen von Liebe und Freundschaft u¨ ber die Nahrung an die christliche Vorstellung des Abendmahls. Barradale fasste die Bedeutung pragmatischer auf und erkl¨arte seinem kindlichen Lesepublikum den Brauch des Kava-Trinkens in einfachen Worten: If a Samoan chief ” wishes to give you a hearty welcome to his house, he will call his daughters to come and make kava. They take a piece of the dry root and grate it. In olden days it was chewed, but now that the people are more civilized, they have it grated [Herv. i. O.].“ (Barradale 1907: 73)

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Das Willkommenheißen durch den chief“ stand als Bedeutung also im Vordergrund. ” Obwohl Barradale hier die zivilisatorische Entwicklung anhand der Zubereitungsart nachweisen wollte, schilderten die meisten anderen Autorinnen und Autoren, auch bei sp¨ateren Aufenthalten, noch den Brauch der Zubereitung durch Kauen. Nicht nur die Zubereitungsart war f¨ur Barradale befremdlich, auch das Aussehen der Kava schien ihm nicht zu behagen. ¨ Zudem stellte er Uberlegungen u¨ ber die berauschende Wirkung an. It is not a nice-looking drink. It looks like greenish soap-suds! Nor has it at all a pleasant taste; but ” there is one good thing about it. It does not easily intoxicate. I have heard it said that if people drink too much, it makes them drunk in their legs; it paralyzes their lower limbs, and they have to sit where they are till the effect wears off [Herv. i. O.].“ (Barradale 1907: 73)

Barradale spekulierte offenbar darauf, dass sein junges Lesepublikum seinen Text unter Aufsicht der Eltern las, denn die Informationen u¨ ber die berauschende Wirkung der Kava war f¨ur j¨ungere Leserinnen und Leser eher nebens¨achlich. Auch Hesse-Wartegg widmete sich der Frage, ob Kava ein Rauschmittel sei, und kam zu dem Schluss: Kawa ist nicht ” berauschend. Er steigt nicht zu Kopfe, ja im Gegenteil, der Kopf wird klarer, daf¨ur legt er sich wie Blei auf die Beine, so daß man sich nach einigen Schalen kaum wieder vom Erdboden erheben kann.“ (Hesse-Wartegg 1902: 260) Er best¨atigte das, was Barradale schon hatte anklingen lassen: Kava machte anscheinend nicht betrunken, bewirkte aber bei u¨ berm¨aßigem Genuss eine Bet¨aubung der unteren Gliedmaßen. In den Worten Tripps: It is not intoxicating, though some one has said that ‘while it does not affect the head ” it tangles the heels.’“ (Tripp 1911: 174) W¨ahrend die Reisenden also eine Substanz zu trinken bekamen, von der sie nicht genau sagen konnten, wie sie wirkte, und die sich der Einordnung in bekannte Formen und Folgen von Rauschmittelverzehr entzog, hatten sie sich gleichzeitig mit deren Aussehen auseinanderzusetzen. Churchward beschrieb das Aussehen der fertiggestellten Kava als turbid greenish” yellow colour“, das dem uneingeweihten Fremden‘ by no means an inviting appearance as ’ ” a desirable potation“ gebe (Churchward 1887: 55). Er erlebte die Zubereitung durch Kauen; [i]n Samoa it is invariably chewed by young girls“ (Churchward 1887: 51), f¨ugte dem aber ” noch hinzu, dass es einen jungen Mann gebe, dessen Aufgabe es war, die kauenden jungen Frauen mit geschnittenen St¨ucken der Kava-Wurzel zu versorgen: Perseveringly, however, he will continue to supply the ladies with piece after piece of sliced root, until ” in time it becomes a physical impossibility for the most capacious mouth amongst them to contain any more, and the facial attractions of these dusky ones are considerably discounted by the distended condition of their cheeks.“ (Churchward 1887: 54)

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Die an sich schon f¨ur Churchward ungewohnte Zubereitungsart wurde in ihrer Fremdartigkeit also noch durch den Anblick der vollgestopften Backen19 der jungen Frauen gesteigert. Ebenso erlebte es Hesse-Wartegg. Ein, zwei drei St¨ucke befanden sich schon in dem Munde einer jeden; ihre Backen waren schon ” betr¨achtlich angeschwollen, aber der dienstfertige J¨ungling bot ihnen immer mehr St¨ucke dar, bis es schließlich eine physische Unm¨oglichkeit war, mehr Vorrat einzunehmen. Die verzerrten Backen und die krampfhaft arbeitenden Kinnladen boten einen keineswegs a¨ sthetischen Anblick.“ (Hesse-Wartegg 1902: 258)

Beide Autoren verwenden den Terminus der physical impossibility“ also der physischen ” ” Unm¨oglichkeit“, was darauf schließen l¨asst, dass entweder Hesse-Wartegg Churchwards Text kannte, oder diese Art der Beschreibung eine im Diskurs g¨angige war. Hesse-Wartegg und Churchward sprachen den kauenden Damen beide den Sch¨onheitswert ab, worin sich der Bewertungsmaßstab abzeichnet. Selbst in dieser Rolle als Kava-Zubereitende sollten sie noch sch¨on anzusehen sein. Der Anblick schien f¨ur die europ¨aischen M¨anner befremdlich zu sein, gemessen an der Detailtreue, mit der sie den Prozess des Zerkauens schilderten. Dieser Brei wird in den Backentaschen aufbewahrt, w¨ahrend die Z¨ahne immer neue St¨ucke Kavawur” zel zerkleinern, bis der Mund zu voll ist, und der zermalmte Kavabrei mit den Fingern aus dem Munde genommen, in die Bowle gelegt und mit Wasser vermengt wird. Und so fort, bis gen¨ugend zerkleinert ist, um den Trunk zu bereiten.“ (Deeken 1901: 138)

Auch Greene schilderte es so: [T]he girls [. . . ] chew it up into a fine pulp. This they store ” in their cheeks and take in fresh slices until the burden becomes too great, when the mass is ejected into the bowl and water is poured on it.“ (Greene 1896: 19) Europ¨aische Tischsitten, die vorgaben, lediglich kleine Bissen in den Mund zu nehmen, mit geschlossenem Mund zu kauen und diesen erst wieder zu o¨ ffnen, wenn alles heruntergeschluckt war, stehen deutlich kontr¨ar zu dieser Zubereitungsart, sowohl was die Masse der zu zerkauenden Wurzeln angeht, als auch das sp¨atere Wieder-aus-dem-Mund-Nehmen, was sonst lediglich im Tierreich insbesondere von V¨ogeln bekannt ist. Erst zu sp¨aterer Zeit, als Zieschanks Reisetagebuch geschrieben und ver¨offentlicht wurde, schien das Zerreiben der Wurzel, von dem auch schon Barradale gesprochen hatte, als u¨ bliche Zubereitungsart – zumindest f¨ur Europ¨aerinnen und Europ¨aer – zu gelten. Mit geheimer Angst sahen wir dem Kommenden entgegen, aber Gott sei Dank, die Kavawurzel wurde ” hier zwischen flachen Steinen zerrieben. Die Bereitungsart ist sonst n¨amlich die, daß die Wurzel

19

Backen“ deutet im Grunde eine morphologische Betrachtung an; bei Menschen w¨are der Aus” druck Wangen“ korrekt. ”

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von jungen M¨adchen zerkaut wird. Nur mit R¨ucksicht auf Europ¨aer w¨ahlt man jetzt h¨aufiger die Steinm¨uhle.“ (Zieschank 1918: 33)

Nach dem Kauen oder Zerreiben der Wurzel wurde der Brei im Wasser noch mit den ¨ H¨anden durchgeknetet, was die Asthetik f¨ur die Beschreibenden nicht besser machte: In hinzugegossenem Wasser knetete die Taupou die zerkleinerte Wurzel gr¨undlich mit ” den H¨anden durch – auch gerade kein appetitreizender Anblick!“ (Zieschank 1918: 33) Zieschank f¨uhrte als eine von wenigen explizit den Aspekt an, dass die Kava generell nur von M¨annern getrunken wurde, oder lediglich Weißen Frauen angeboten, nicht aber von samoanischen Frauen getrunken wurde (vgl. Zieschank 1918: 33). Zu dieser historischen Entwicklung erkl¨arte Genthe: Urspr¨unglich war die Ava f¨ur die Frauen tapu‘, heilig und ” ’ unantastbar. Erst sp¨ater gestattete man den unverheirateten M¨adchen, die Wurzel zu kauen und f¨ur die M¨anner zurechtzumachen. Trinken darf auch heute in keinem Teile Samoas die Frau von diesem Ehrentrank.“ (Genthe 1908: 289) Weißen Frauen kam also eine besondere Stellung bei diesem Ritual zu. Darin zeigt sich, wie sich der Brauch des Kava-Trinkens durch die Fremden ver¨anderte. W¨ahrend Barradale noch auf eine zivilisatorische Entwicklung der samoanischen Bev¨olkerung hingewiesen hatte, die sich in dem Zerreiben statt Zerkauen der Wurzel zeige, klingt es bei Zieschank eher nach einem Gefallen, den die Einheimischen den Europ¨aerinnen und Europ¨aern machten, ohne die urspr¨ungliche Form jedoch zu ver¨andern. Trotz dieser Form der Zubereitung und des wenig ansprechenden Aussehens – HesseWartegg bezeichnete die Masse als in Farbe und Aussehen a¨ hnlich einer Kartoffelsuppe“ ” (Hesse-Wartegg 1902: 258) – h¨atte ein Ablehnen des Getr¨anks eine grobe Unh¨oflichkeit bedeutet, so schildern es zumindest die Quellen, was ein Ausschlagen eines Kava-Angebotes unm¨oglich machte. Greene sprach davon, dass eine Ablehnung schlimmer sei als to decline ” to drink whisky out of a tin cup with a cowboy“ (Greene 1896: 20). Manche Leserinnen ” werden u¨ ber die Zubereitung der Kawa nicht geringes Grauen empfinden und sich wundern, wie ich denn derlei Getr¨ank herunterbekommen konnte. Aber man muß davon trinken, um nicht einen groben Verstoß gegen die von den Samoanern sorgf¨altig gepflegte H¨oflichkeit zu begehen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 260) ¨ Trotz aller Uberlegenheitsanspr¨ uche ordneten sich die Weißen hier den H¨oflichkeitsund Anstandsregeln der samoanischen Bev¨olkerung unter. Die Kava wurde nach der Fertigstellung von einer Samoanerin an alle Anwesenden verteilt, wobei großer Wert darauf gelegt wurde, dass dies entsprechend des jeweiligen Ranges in der korrekten Reihenfolge geschah. Diese Ausgabe mutete bei Hesse-Wartegg wie ein Abendmahl an: Hier ist der Becher ”’ des Gastes.‘ Daraufhin trippelte meine bronzefarbige Hebe auf mich zu und reichte mir

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den Becher.“ (Hesse-Wartegg 1902: 259) Er legte zudem Wert darauf, sich als Kenner der samoanischen Sitten zu pr¨asentieren, als es um die R¨uckgabe des Bechers ging. Statt ihn [den Becher, G. F.] indessen dem M¨adchen zur¨uckzugeben, schleuderte ich ihn nach samoa” nischer Sitte mit einer Drehung u¨ ber die Matten hinweg der Taupou zu, so daß er in der That vor ihren F¨ußen liegen blieb. Ueber die ernsten Gesichter der Anwesenden, die mich aufmerksam beobachtet hatten, glitt ein Zug der Befriedigung, und der alte H¨auptling, der neben mir saß, murmelte mir einige Worte des Beifalls zu.“ (Hesse-Wartegg 1902: 259)

Hesse-Wartegg vollf¨uhrte beifallheischend das gedrehte Zur¨uckschleudern der Schale. Der Zug der Befriedigung“, den er auf den anwesenden Gesichtern zu sehen glaubte und die ” Beifallsworte des H¨auptlings“, die er seinem Lesepublikum schilderte, lobten seine Ge” schicklichkeit. Notwendig im Sinne der Einhaltung gewisser H¨oflichkeitsregeln war diese Art der R¨uckgabe jedoch nicht; das Zur¨uckgeben der Schale an das austeilende M¨adchen w¨are m¨oglich gewesen. Diese samoanische Sitte erschien Hesse-Wartegg nachahmenswert und nachahmbar, ohne dass er sich dem Vorwurf der Degeneration‘ auszusetzen h¨atte. ’ ¨ Andererseits betont es seine eigene Uberlegenheit, da er selbst als Nicht-Samoaner in der Lage war, diese Technik auszuf¨uhren. In der Diskussion u¨ ber den Geschmack der Kava weisen die Quellen eine gewisse Bandbreite auf. Die Beschreibungen reichen von Ekel und Abscheu bis u¨ ber Seifenwasservergleiche hin zu gem¨aßigten Urteilen. Otto Ehlers als Kava-Skeptiker fand wenig ¨ schonende Worte f¨ur den Geschmack. Es hat mich stets die allergr¨oßte Uberwindung ” gekostet, von dieser widerlichen Fl¨ussigkeit zu trinken, und ich habe mir jedesmal M¨uhe geben m¨ussen, nicht seekrank nach dem Kava-Genuß zu werden.“ Weiter beschrieb er, dass er jeden Schluck – um seinen Gastgebern den Gefallen zu tun – l¨achelnden Antlitzes [. . . ] ” mit wahrer Todesverachtung“ zu sich nahm. So fasste er zusammen: [M]ir [erschien] die ” Kava als ein u¨ bles Getr¨ank, dessen Geschmack eher an Seifenwasser als an irgend etwas anderes erinnerte.“ (Ehlers 2008/1895: 84f.) Schließlich setzte er noch hinzu: Nachdem ” ich in Samoa gesehen habe, daß sogar Europ¨aer mit der Zeit sich zu leidenschaftlichen Kavatrinkern heranbilden k¨onnen, bin ich u¨ berzeugt, daß der Mensch es mit etwas gutem Willen auch allm¨ahlich dahin bringen kann, seifenwassers¨uchtig zu werden.“ (Ehlers 2008/1895: 85) Den Begriff der Todesverachtung“ griff Genthe w¨ortlich auf, auch wenn seine Abscheu ” hier durch die samoanischen Worterkl¨arungen an Stellenwert verlor. [I]n einem Zuge trinkt man mit Todesverachtung das Zeug hinunter, versucht die unwillk¨urliche ” Grimasse zu verbergen, die einem wohl oder u¨ bel ins Gesicht kommt, und sagt mit sauers¨ußer Miene faafeti‘ (danke sch¨on) zu dem von allen Seiten zugerufenen manuia!‘, das genau nach Bedeutung ’ ’ und Brauch unserem Prosit‘ entspricht [Herv. i. O.].“ (Genthe 1908: 85) ’

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Statt der Kunstfertigkeit in der R¨uckgabe des Bechers stellte Genthe hier die der Selbstbeherrschung heraus, mit der er sogar noch in der Lage war, die passenden samoanischen Vokabeln anzuwenden. Insofern ahmte er in a¨ hnlicher Weise wie Hesse-Wartegg die samoanischen Gebr¨auche nach und zeigte sich angepasst. Den Geschmack betreffend blieben einige Beschreibungen gem¨aßigt und emotionslos. So schrieb Pierce Churchill: The taste is perhaps not exactly that of stale dishwater – ” with which it has been compared – but it is at the same time not exactly anything else.“ ¨ (Pierce Churchill 1902: 67) Ahnlich a¨ ußerte sich Tripp im Gesamturteil: Some of my ” associates affected a partiality for kava, but I must confess I should not prefer it as a common drink.“ (Tripp 1911: 176) ¨ Obwohl es die meisten Autorinnen und Autoren als Uberwindung beschrieben, die Kava beim ersten Mal zu sich zu nehmen, gab es durchaus Stimmen, die von einem Gew¨ohnungseffekt berichteten: The taste of the beverage to the virgin palate is by no ” means tempting, being somewhat of the flavour of soapsuds with a curious twang of ginger about it; leaving, however, after swallowing, a not unpleasant sense of smoothness in the mouth.“ (Churchward 1887: 58) Churchward sprach hier von dem jungfr¨aulichen Gaumen‘, der den Geschmack der ’ Kava noch nicht gew¨ohnt sei, der aber dort ein angenehmes Gef¨uhl hinterlasse. Der Vergleich mit Seifenwasser zieht sich durch die Quellen, auch Barradale hatte ihn eingangs gebraucht. Den von Churchward erw¨ahnten Hauch von Ingwer‘ beschrieb Hesse-Wartegg ’ a¨ hnlich. Wie der Kawatrank schmeckt? Wie Seifenwasser, d. h. wenn man ihn das erste Mal trinkt. Seifen” wasser, etwas mit Ingwer versetzt. Aber hat denn jemandem der erste Schluck Bier, den er in seinem Leben genommen, besonders gut geschmeckt? Man lernt sehr bald die angenehmen erquickenden Eigenschaften des Kawa verstehen, und nach langen M¨arschen in der Tropensonne giebt es kein vortrefflicheres Getr¨ank.“ (Hesse-Wartegg 1902: 260)

¨ Auch hier ist es lediglich der ungewohnte Gaumen, der die Ahnlichkeit mit Seifenwasser wahrnehme. Hesse-Wartegg verteidigte die erste Kava mit dem Vergleich des ersten Biergenusses, eine dem europ¨aischen Lesepublikum vertraute Erfahrung. In gleicher Weise erfordere es eine Gew¨ohnungsphase, bis man Kava genießen und sch¨atzen k¨onne. So sah es auch Greene, dem Kava als passend zu Klima und Ort erschien. At first ” strangers do not like kava, it looks like soapy water, and has a disagreeable odor. [. . . ] Their objections do not last long, however, and after a few drinks, they learn to take it as eagerly as the natives. It seems to suit the place and climate better than any other beverage.“ (Greene 1896: 20) Nach der Eingew¨ohnung w¨urden auch Weiße das Getr¨ank genauso eagerly“ ” wie die natives“ trinken. Greene betonte auch die N¨utzlichkeit der Kava, die zum Klima ” besser passen w¨urde, als alle anderen Getr¨anke. Diese zweckhafte Begr¨undung diente als

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quasi-naturwissenschaftliche Rechtfertigung daf¨ur, ein Getr¨ank anzunehmen, das doch offensichtlich von den natives“ erschaffen wurde. Wenn man dieses also schon trotz des ” ¨ unappetitlichen Außeren und schlechten Geschmacks der H¨oflichkeit halber trinken musste, und dann auch noch Gefallen daran fand, konnte man es zumindest naturwissenschaftlich und unter Gesundheitsaspekten legitimieren. Genthe vollf¨uhrte nach seiner anf¨anglichen Abscheu eine regelrechte Kehrtwende, folgte aber dem gleichen Argumentationsmuster wie Greene. Man hat die Ava als das entsetzlichste aller je vom Menschen erfundenen Getr¨anke geschildert und es ” als unglaubliche Geschmacksverirrung hingestellt, daß sogar Europ¨aer sich daran gew¨ohnt haben. Das Aussehen der gr¨unlichgrauen, unklaren Fl¨ussigkeit und der etwas seifige Geschmack sind sicherlich anfangs alles eher als ermutigend, aber schon nach wenigen Versuchen wird man die wohlt¨atige Wirkung sch¨atzen, die nach einem heißen Weg oder rauher Seefahrt den Nerven sehr viel zutr¨aglicher ist, als irgendein geistiges Getr¨ank es in diesem Klima sein kann.“ (Genthe 1908: 84)

Genthes Einsch¨atzung u¨ berrascht, da er sich vorher neben Ehlers als gr¨oßter Ver¨achter des Geschmacks der Kava dargestellt hatte und somit selber zu denjenigen geh¨orte, die Ava“ als entsetzlichste[s] aller je vom Menschen erfundenen Getr¨anke“ beschrieben hatte. ” ” Insofern erliegt er seiner eigenen eingangs dargestellten Geschmacksverirrung“, wenn er ” nun die positiven Aspekte der Kava aufz¨ahlt. Doch auch andere Quellen a¨ ußerten ihren Meinungswechsel mit Bezug auf den Gew¨ohnungseffekt. Gewiß ist auch das seifenwasser¨ahnliche Aussehen des Kavagetr¨ankes nicht gerade vertrauenerwe” ckend f¨ur den Fremden, zudem ist der scharfe Geruch auch nicht u¨ berm¨aßig angenehm. Aber schon nach ganz kurzem Aufenthalte in Samoa schwinden alle Einwendungen, und der Fremde lernt bald die Kava sch¨atzen, da sie ein selten erfrischendes und durststillendes Getr¨ank ist.“ (Deeken 1901: 138f.)

In dieser Passage von Deeken – und auch in der nachfolgenden von Churchward – ist zun¨achst von dem Fremden“ die Rede, dem das Kava-Trinken merkw¨urdig bis abstoßend ” erscheint. Mit der Gew¨ohnung an dieses Getr¨ank schien der Fremde“ seine Fremdheit ” u¨ berwunden zu haben und sich den Gebr¨auchen der Insel angepasst zu haben. There can be no doubt that the preparation of Kava, as practised in Samoa, is in the abstract repugnant ” to European tastes and ideas, and that there is every excuse for entertaining a sensation of disgust with regard to it; but nevertheless, as a fact, it is not very long before the feeling wears off, and the stranger takes to the national beverage as kindly, if not more so, than the native himself.“ (Churchward 1887: 57)

Bei Churchward u¨ berwindet der Fremde nicht nur seine Fremdheit, sondern u¨ bertrifft sogar noch den native“ selbst. Hier ging es also nicht nur darum, einen Akklimatisationsprozess ”

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zu schildern, sondern diesen Brauch zu adaptieren und darin die einheimische Bev¨olkerung zu u¨ bertrumpfen, a¨ hnlich, wie es oben auch Hesse-Wartegg geschildert hatte. Pierce Churchill nahm darauf Bezug, dass die Weißen im Laufe der Zeit genauso viel Kava tr¨anken wie die Einheimischen, a¨ ußerte aber zugleich ihr Unverst¨andnis dar¨uber (vgl. Pierce Churchill 1902: 67). In den Darstellungen der Kava manifestierten sich also verschiedene Formen des Umgangs mit diesem einheimischen Brauch, mit dem alle Reisenden in Kontakt kamen.

5.2.2 Siva – Native Dance‘ ’ Mit der Zeremonie des Kava-Trinkens ging in vielen F¨allen und vor allem bei festlichen Gelegenheiten die Auff¨uhrung einer Siva20 , einer Tanzdarbietung, einher. Die Siva wurde in der Regel von Frauen und M¨adchen aufgef¨uhrt, teilweise aber auch von den M¨annern. Die Taupou, die Ehrendame, leitete die Vorf¨uhrung an und dirigierte gewissermaßen die anderen Frauen. Da die Siva eine festliche Angelegenheit war, waren die T¨anzerinnen und T¨anzer besonders zurechtgemacht und traten h¨aufig mit Kopfschmuck, Blumenketten, Lendenschurz und einge¨olten K¨orpern auf. Begleitet wurde der Tanz von Gesang und Trommelmusik. Die Darbietung begann normalerweise im Sitzen mit Bewegungen des Kopfes, der Arme und untergeschlagenen Beine, steigerte sich h¨aufig aber bis zum Tanz im Stand mit extatischen Bewegungen. Bis auf Myers Shoemaker, dessen Aufenthalt nur zwei Stunden betrug, erlebten vermutlich alle Autorinnen und Autoren eine Siva, auch wenn einige wenige sie nicht explizit schilderten.21 Auch in der Heimat waren Siva-Auff¨uhrungen als Motive von Fotografien und Postkarten bekannt. Insofern versuchten die Autorinnen und Autoren im Wesentlichen, ihre Eindr¨ucke der Vorf¨uhrung zu schildern und dabei besonders auf Details zu achten, die ihre Beschreibung von denen anderer abheben w¨urde. Hesse-Wartegg begann dementsprechend damit, klarzustellen, dass Siva nicht den Tanz, sondern den dazugeh¨origen Gesang bezeichne. Siwa heißt der nationale, gew¨ohnlich mit ” Tanz verbundene Gesang der Samoaner. [. . . ] Dergleichen kann man doch in der Welt nirgends als nur in Samoa sehen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 243) Da die Siva auf Samoa einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hatte, entwickelte sich ein regelrechter touristischer Zweig, der solche Auff¨uhrungen vor allem f¨ur Kurzzeitg¨aste organisierte. Dementsprechend galt es bald, eine touristische‘ Siva von einer echten‘ zu unterscheiden. These dances ’ ’ ”

20

Auch hier existieren unterschiedliche Schreibweisen: Siva, Siwa, Sivasiva. Ich habe mich f¨ur die Schreibweise Siva entschieden.

21

Stevenson beschrieb bspw. keine Siva, die von Marie Fraser geschilderte fand aber in seinem Haus statt.

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given by both sexes are the great native attraction and are always among the entertainments extended to visitors to these islands.“ (Tripp 1911: 124) Genthe fand f¨ur die touristische Auff¨uhrung der Siva deutliche Worte, sah ihr Entstehen aber vorrangig durch die Reisegewohnheiten der S¨udseebesucherinnen und -besucher verursacht. Was in Apia den ungl¨ucklichen Dampferfahrg¨asten geboten wird, die, w¨ahrend Post und frisches Obst ” an Bord genommen werden, mit h¨aßlicher Hast unter F¨uhrung zivilisierter‘ Eingeborener Leben und ’ ’ Treiben‘ der Samoaner studieren wollen, damit sie nachher ein Buch dar¨uber schreiben k¨onnen, das w¨urde kein Samoaner als Sivasiva wiedererkennen, es ist nichts als ein rohes und geschmackloses Zerrbild.“ (Genthe 1908: 106f.)

Kritisch mutet auch seine Bemerkung damit sie nachher ein Buch dar¨uber schreiben ” k¨onnen“ an. Gerade er, der f¨ur seinen Text sehr sorgf¨altig recherchiert hatte und diesen ausf¨uhrlich gestaltete, st¨orte sich offensichtlich an den Reisenden, die schon auf Grundlage eines sehr kurzen Aufenthaltes Reiseschilderungen verfassten und ver¨offentlichten. Zu einem Sivasiva, einem richtigen Tanzfest, geh¨ort, wie zu allem in Samoa, furchtbar viel Zeit. ” Mit unerm¨udlicher Ausdauer wird die ganze Nacht dem Frohsinn geopfert, gesungen und getanzt, gescherzt und gelacht, und f¨ur den Zuschauer w¨urde es schließlich eine schwierige Aufgabe sein, der ins Unendliche ausgesponnenen Vorf¨uhrung mit gleichbleibender Teilnahme zu folgen, wenn nicht der T¨anzer und S¨anger eine steigernde Erregung sich bem¨achtigte, die, je weiter die Nacht vorschreitet, den Gesamteindruck der eigenartigen Veranstaltung immer phantastischer und wilder machte, bis am Ende eine alle Grenzen u¨ berschreitende Ausgelassenheit der Auff¨uhrung von selbst ein Ende gebietet.“ (Genthe 1908: 110)

Und damit waren die Lesenden mittendrin in den vielf¨altigen Schilderungen einer Siva. W¨ahrend die Autorinnen und Autoren u¨ ber die eigentliche Siva gar nicht so viele Worte verlieren – immerhin war es ja eine Veranstaltung, die ein paar Stunden dauern konnte – beschreiben sie h¨aufig die Vorbereitungen und den ersten Auftritt der Tanzenden. Nachdem Tisch und Speisereste fortger¨aumt waren, erschienen mit Gesang und H¨andeklatschen ” zwei mit Sch¨urzen aus den goldigroten Bl¨attern der Dracaena terminalis bekleidete und mit Blumen geschm¨uckte junge M¨adchen in Begleitung eines schlank wie eine Arekapalme gewachsenen, laubbekr¨anzten, o¨ lgl¨anzenden J¨unglings, und der Siva begann. Es wurde nur kurze Zeit, daf¨ur aber mit um so gr¨oßerem Feuer getanzt, ohne daß dabei die Grenzen des Anstandes u¨ berschritten wurden.“ (Ehlers 2008/1895: 127)

Die Schilderungen der Tanzenden entsprechen den Mustern der Menschenbeschreibungen, wie sie in Kapitel 4.3 vorgestellt wurden. M¨anner wie Frauen wurden als leicht bekleidet, mit Blumen geschm¨uckt beschrieben und hatten oftmals einge¨olte K¨orper. Den Eindruck

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der Nat¨urlichkeit‘ stellte Ehlers u¨ ber den Gebrauch der spezifischen Pflanzennamen her, ’ obgleich auch die Frage nach dem Anstand der Veranstaltung mitschwang. Die T¨anzerinnen und T¨anzer wurden in den Mittelpunkt gestellt, ohne auf den eigentlichen Tanz besonders detailgetreu einzugehen. Ebenso verfuhr Hesse-Wartegg in seiner Darstellung. Man denke sich ein Dutzend M¨adchen im bl¨uhendsten Alter, der Mehrzahl nach nicht nur in der ” beaut´e du diable‘ prangend, sondern von wirklicher Sch¨onheit auch nach europ¨aischen Begriffen, ’ ohne irgend eine andere Kleidung als einen kurzen Lendenschurz aus wohlriechenden Bl¨attern. Die ¨ in jugendlicher Uppigkeit strotzenden K¨orper sind ganz mit duftendem Palm¨ol eingesalbt, daß die Formen gl¨anzen wie polierte Bronze; das reiche Haar f¨allt in langen Wellen u¨ ber die Schultern auf den R¨ucken herab und tr¨agt als einzigen Schmuck Blumenkr¨anze; a¨ hnliche Ketten h¨angen den reizenden Erscheinungen um den Hals und sind vielleicht auch unter dem Knie um ein Bein gebunden. Die Gesichter strahlen vor Aufregung, wonniges L¨acheln spielt um den Mund und l¨aßt die blendend weißen Zahnreihen sehen. So t¨anzeln diese paradiesischen Gestalten mit anmutigen Armbewegungen herein und kauern mit gekreuzten Beinen in zwei Reihen auf den Matten nieder [Herv. i. O.].“ (Hesse-Wartegg 1902: 243)

Gerade Hesse-Wartegg, der betont hatte, dass ihm wirklich sch¨one Samoanerinnen“ ” (Hesse-Wartegg 1902: 233) nicht begegnet seien, hob in diesem Kontext die wirkliche[ ] ” Sch¨onheit“, sogar nach europ¨aischen Begriffen“ hervor. Der besondere Kontext und die ” Stimmung des Abends machten sich also in den Schilderungen bemerkbar. Auch Zieschank beschrieb die Vorbereitungen f¨ur die Vorf¨uhrung. ¨ eingerieben, die H¨uften mit feinen Kein samoanisches Fest ohne Siva! Die K¨orper gl¨anzend mit Ol ” Matten und luftigen Tanzg¨urteln festlich umh¨ullt, mit Bl¨utenkr¨anzen geschm¨uckt, setzten sich die T¨anzer und T¨anzerinnen im Halbkreis auf dem Dorfplatz nieder. In ihrer Mitte thronte die Taupou, stolz geschm¨uckt mit der tuiga‘, einem abenteuerlichen Kopfputz aus Menschenhaaren und Muschel’ spiegeln. In einiger Entfernung hockten die Zuschauer, die als Orchester mit monotonem Summen und Klopfen, scharf taktierend, den Tanz begleiteten.“ (Zieschank 1918: 34)

Da Zieschank den Kopfschmuck explizit erw¨ahnte, lohnt sich ein Blick auf die Kleidung der Tanzenden. F¨ur europ¨aische Verh¨altnisse waren die Tanzenden sicher unzureichend gekleidet, doch wenn man die Fotografien der Taupou im Festschmuck betrachtet, f¨allt auf, dass diese zum einen einen Kopfschmuck tr¨agt, der an den kriegerischen Kopfschmuck der M¨anner oder W¨urdentr¨ager erinnert, und zum anderen mitsamt der Bl¨atterr¨ocke und Blumengewinde um den Hals alles andere als unbedeckt daherkam.22 Besonders viel Haut

22

Fotografien der Taupou gibt es u. a. bei Myers Shoemaker (1911: 46), hier unpassenderweise mit dem Untertitel A S AMOAN A MAZON“, oder Pierce Churchill (1902: 52). Abbildungen des ” Kopfschmuckes der M¨anner finden sich u. a. bei Myers Shoemaker (1911: 42) oder Greene (1896:

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¨ war also je nach Uppigkeit der Bekleidung mit pflanzlichen Materialien nicht zu sehen, obwohl das f¨ur zeitgen¨ossische Vorstellungen von sittlicher Bekleidung noch zu viel war. Nach der Beschreibung der Vorbereitung begann der eigentliche Tanz, den Marie Fraser im Hause Robert Louis Stevensons erlebte. We all sat on the floor, the tobacco was passed round, and we gave ourselves up to the enjoyment of ” witnessing the siva, or native dance. They chanted extempore verses concerning all present, swaying their supple bodies to the rhythm, moving their hands and arms in lithe, fantastic movements, now fast, now slow, and as far as possible illustrating by their actions the bulk of the songs.“ (Fraser 1895: 35)

Wie Fraser beschrieb, wurden die Ges¨ange improvisiert, folgten also keinen festen Texten, wie es im europ¨aischen Verst¨andnis vorgesehen war. Die Bewegungen dienten der malerischen Unterst¨utzung der Worte, bei denen ihr vor allem die Geschmeidigkeit dieser auffiel ( supple“ und lithe“ haben a¨ hnliche Bedeutungen). ” ” Wegener, der schon einiges u¨ ber Siva-T¨anze in fr¨uheren Beschreibungen gelesen hatte, erwartete gespannt die Vorf¨uhrung und zeigte sich begeistert. Die ersten Touren waren ziemlich gemessen und langsam: allm¨ahlich jedoch wurden die Rhythmen ” immer schneller und lebhafter, die Oberk¨orper bewegten sich rascher und rascher, die M¨adchen begannen sich auf den untergeschlagenen Beinen zu wiegen, neigten sich hierhin und dorthin; immer aber klappten Rhythmus der Musik und die anmutigen Bewegungen aufs genaueste; in einem so gl¨anzenden Drill, daß wir nach jeder Tour in ein lautes mal´ıe‘ den Bravoruf der Samoaner, ausbrachen.“ ’ (Wegener 1925/1919: Kap. 5)

Auch Hesse-Wartegg schilderte diese Reaktion; Alles klatscht in die H¨ande und ruft Mali´e, ” Mali´e, das samoanische Bravo‘“ (Hesse-Wartegg 1902: 245). ’ Der Ablauf des Tanzes hatte h¨aufig einen sich steigernden Charakter, f¨ur den Begriffe wie Ekstase oder Orgie gew¨ahlt wurden, die eine sexuellen Konnotation nicht verhehlten. Beide Begriffe entstammen einem religi¨osen Kontext: W¨ahrend die Ekstase eine Art Trance oder entr¨uckten Zustand bezeichnet, wird bei einer Orgie das gew¨ohnliche Maß u¨ berschritten, insbesondere das der sexuellen Sitten. Ein Genuß war es, die erstaunliche Gelenkigkeit der braunen K¨orper, besonders der ” Taupou, bewundern zu k¨onnen. Bis in jede Fingerspitze hinein lebten sie in der Extase des Tanzes!“ (Zieschank 1918: 35) Die k¨orperliche Gelenkigkeit, oder wie von Fraser formuliert: die Geschmeidigkeit der Bewegungen, fiel den Schreibenden besonders auf, da ausladende Gesten in der Heimat un¨ublich waren, sich nicht schickten, und insbesondere das

16). Da Fotografien i. d. R. keine eigenen Seitenzahlen haben, sind daher die jeweils angrenzenden Seitenzahlen genannt.

¨ Rituale und Gebrauche | 229

Wahren der Contenance von Bedeutung war. Deutlicher noch wird die sexuelle Konnotation des Ritts‘ bei Hesse-Wartegg. ’ [B]ei der dritten noch rascheren Strophe schlagen die M¨adchen mit der flachen Hand auf ihre nackten ” Schenkel und lassen diese selbst die Bewegungen mitmachen, und so wird der Takt immer schneller, die Bewegungen werden immer toller, bis bei der letzten Strophe die ganzen K¨orper trotz ihrer sitzenden Stellung mittanzen, a¨ hnlich als w¨urden sie von einem hochtrabenden Pferde im Takte emporgeschnellt.“ (Hesse-Wartegg 1902: 245)

In Hesse-Warteggs Wahrnehmung tanzten sich die M¨adchen in Ekstase; das Schlagen auf die nackten Schenkel f¨uhrte wom¨oglich zu Sexualfantasien, wobei die Dame, dem Bild des Ritts gem¨aß, beim Sex auf dem Manne sitze. Je nach Intensit¨at konnte aus dem Ekstatischen jedoch auch etwas D¨amonisches werden. They generally commence the dance while in a sitting posture with motions of the head, arms, and ” body. This continues with an increased energy of movement until the actor springs to his feet, throws off gradually every vesture of garment, and with violent gestures of arms, head, and legs goes through the wild figures of the native dance to the music of native instrument, accompanied by the chant of the dancer himself, which increases in strength and volume as the movements of the dance become more rapid and violent, until at its height it is turned into an orgie, a wild scene of gyrations and gesticulations, accompanied by barbaric music and demoniac cries and yells. The dancer becomes drunk with excitement, and his wild tones and gestures are like those of a drunken man or maniac.“ (Tripp 1911: 123f.)

Die orgastische Steigerung im Tanz spiegelte sich auch in Churchwards Attribuierung wider; von native“ u¨ ber barbaric“ und demoniac“ hin zu wild“ und maniac“. Bemerkenswert ” ” ” ” ” ist, dass diese Schilderung in seinem Text weder besonders eingeleitet, noch anschließend bewertend eingeordnet wurde.23 These same quiet-looking and demure damsels are quite capable of becoming so excited over their ” dancing, as really to lose all command of their actions, distorting their countenances in the most hideous manner, and performing such undesirable antics, that a feeling of disgust soon supervenes, and they appear at last more like a lot of demons let loose from below, than the angels upon earth they at first appeared.“ (Churchward 1887: 230)

Die Steigerung der t¨anzerischen Bewegungen musste also nicht notwendigerweise zu einem H¨ohepunkt f¨uhren, sondern konnte sich auch in ihr Gegenteil verkehren, was auf Church-

23

Er begann den Abschnitt lediglich mit: We attended several dances and other native entertainments ” given in our honor while at Pago Pago.“ (Tripp 1911: 123) Seine Schilderungen gingen nahtlos weiter: We took photographs of the entire harbor [. . . ]. (Tripp 1911: 124) ”

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ward unerw¨unscht‘ wirkte und worauf er mit Abscheu‘ reagierte. Die Darbietungen ’ ’ waren also ein Balanceakt, der in seiner Wahrnehmung zwischen angels upon earth“ und ” demons“ oszillierte, wobei lediglich der Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen eine ” spannungsgeladene und sexuell attraktive Siva ausmachte. Solche Auff¨uhrungen gingen in der Regel u¨ ber das u¨ bliche Maß einer Siva hinaus. Genthe stellte dar, dass es neben der Siva eine weitere Art der Vorf¨uhrung gebe, der ein auch intendierter sexueller Charakter immanent sei. Dem Zuschauer wird sofort klar, daß jetzt der von den Missionaren so verfolgte po´ula‘ beginnt; die ” ’ recht deutlichen Anspielungen lassen in der Gewagtheit von Wort und Geb¨arde keinen Zweifel mehr dar¨uber. [. . . ] Immerhin ist der geschlechtliche Charakter auch dieser T¨anze unverkennbar, und wenn gar der omin¨ose Sang ert¨ont Aue le faa muli paipai‘, dann ist es f¨ur zimperliche Gem¨uter h¨ochste ’ Zeit, zu verschwinden. Die Zierlichkeit der Formen wird auch jetzt noch durchaus gewahrt, und wer sich nicht durch unangebrachte Erinnerungen an europ¨aische Anstandsgesetze den unbefangenen Sinn f¨ur die Beurteilung eines v¨ollig nat¨urlichen daseinsfrohen V¨olkchens hat beeintr¨achtigen lassen, wird beim besten Willen nichts Anst¨oßiges finden k¨onnen, selbst nicht in den ausgelassensten Auff¨uhrungen der Nachtkurzweil‘[Herv. i. O.].“ (Genthe 1908: 115) ’

Diese Art des Tanzes war es auch, die von den Missionaren als heathen dances“ betitelt ” wurden (Brown 2013/1908: 51). Das Kriterium, von dem die Bewertung abhing, war das des Anstandes und der Z¨uchtigkeit. Obwohl diese Darbietung in der Heimat sicherlich als anst¨oßig empfunden worden w¨aren, bem¨uhte sich Genthe, die Nat¨urlichkeit und den Ausdruck von Lebensfreude herauszustellen. Und obwohl Genthe sich selbst als nicht zimperlichen Gem¨utes pr¨asentierte und den geschlechtlichen Charakter“ der Darbietung ” erkannte, attestierte er dieser Nachtkurzweil“ Unanst¨oßigkeit. Somit legitimierte er einer” seits f¨ur sich selbst den Genuss dieser Auff¨uhrung und andererseits die Darstellung f¨ur sein Lesepublikum. Dadurch, dass er so deutliche argumentative Anstrengungen unternahm, l¨asst sich r¨uckschließen, dass die europ¨aischen Anstandsgesetze“ an ebenso vielen Stellen ” u¨ bertreten wurden. Von einem tats¨achlich unz¨uchtigen‘ Ausgang einer Siva berichtete ’ Hesse-Wartegg. Aufgeregt durch die Bewegungen, durch Getr¨anke und den Beifall, die Bewunderung der Zuseher ” werden die Bewegungen immer wilder, immer k¨uhner, die anderen M¨adchen erheben sich, um sich an dem Tanz zu beteiligen, junge M¨anner springen hinzu, der Blumenschmuck wird von den H¨uften gerissen, und die ganze Siwa artet dann in einer Mulipaipai‘ aus, mit Unz¨uchtigkeiten, welche zeigen, ’ daß die Samoaner trotz aller H¨oflichkeit und Liebensw¨urdigkeit doch eben nur S¨udseeinsulaner sind.“ (Hesse-Wartegg 1902: 246)

Hesse-Wartegg und Genthe benutzen den gleichen Begriff der Mulipaipai‘ f¨ur diese Art ’ der Vorf¨uhrung, insofern l¨asst sich folgern, dass die Szene bei Genthe ein a¨ hnliches Ende

¨ Rituale und Gebrauche | 231

genommen hatte. Mit seiner Bewertung, dass die Samoaner trotz aller H¨oflichkeit und ” Liebensw¨urdigkeit doch eben nur S¨udseeinsulaner sind“, offenbart Hesse-Wartegg seine grunds¨atzliche Erwartungshaltung gegen¨uber Menschen der S¨udsee. In der Auff¨uhrung der Siva und in ihrer Steigerung zur Mulipaipai, entsprechen die samoanischen Menschen dem Bild sexueller Freiz¨ugigkeit und erf¨ullen damit die Erwartungen Hesse-Warteggs. Im Grunde spiegelt sich darin ein grunds¨atzliches Misstrauen gegen¨uber der bisherigen Wahrnehmung als h¨ofliche und liebensw¨urdige Menschen wider, was nicht so recht zu den eigenen Vorstellungen passen wollte. So zeigt sich das Ausmaß des mis-recognizing difference, was lediglich ein Beobachten innerhalb der eigenen Unterscheidungskriterien erm¨oglicht und ein (An-)Erkennen kultureller Differenzen verhindert. Richard Deeken rechtfertige seine Wahrnehmung a¨ hnlich wie Genthe, indem er zwar die durchaus sexuell konnotierte Steigerung der Szene beschrieb, gleichzeitig aber die Nat¨urlichkeit der Auff¨uhrung betonte. Auff¨allig ist der Tempuswechsel innerhalb seiner Beschreibung: Die Erz¨ahlung im Imperfekt rahmt die Situation, die im Pr¨asens geschildert wird und damit besondere Intensit¨at und Unvermitteltheit ausdr¨uckt. Auch die Verk¨urzung der S¨atze und der Gebrauch von Abs¨atzen (hier wie im Original wiedergegeben) heben diese Szene aus Deekens sonstigen Schilderungen heraus. Immer wilder und schneller schlugen die Zuschauer den Takt auf den Matten, immer toller tanzten ” die M¨adchen, aber ohne daß ihre Bewegungen an Eleganz und Sittsamkeit verloren. Wie Wellenlinien laufen die Bewegungen durch die glatten, schmiegsamen K¨orper, von den Fingerspitzen bis hinab zu den Zehen alles eine Harmonie. Die schwarzen Augen zucken Blitze, und freudige Jauchzer schallen durch die stille Tropennacht. Immer rasender, immer rasender wird der Takt. Aufschreien die T¨anzerinnen in wilder Leidenschaft. Weg fliegen die Blumen, weg die Kr¨anze, weg die Tanzr¨ockchen der jungfr¨aulichen T¨anzerinnen. Aber trotzdem war dieser Tanz sittsam und keusch, denn er war der Ausbruch eines nat¨urlichen Feuers, einer nat¨urlichen Leidenschaft, und nicht die raffinierte Ausgeburt sinnlicher L¨uste. – – –“ (Deeken 1901: 142f.)

Diese Beschreibung Deekens sticht deutlich aus den anderen Beschreibungen hervor. Vor allem durch die angepasste Form spiegelt sich der Inhalt des Geschehens wider. Der rasende Takt bis hin zum Aufschrei der T¨anzerinnen hat ganz klar den Aufbau eines sexuellen Aktes, die Jungfr¨aulichkeit der T¨anzerinnen vermag die Gedankenwelt nur mehr anzuregen. Der abrupte Wechsel in der Satzl¨ange und das Hervorheben von Keuschheit und Sittsamkeit wirkt erzwungen und scheint sowohl der eigenen Rechtfertigung, als auch der Beruhigung des lesenden Publikums zu dienen, das sich lediglich in nat¨urliche‘ Schilderungen vertieft ’ hatte.

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Pierce Churchill fand f¨ur die Beschreibung und Einordnung der Siva verh¨altnism¨aßig n¨uchterne Worte, vor allem verglichen mit den oben zitierten ekstatischen Darstellungen. The Samoan dance, the siva, is a natural accompaniment of the music. The dance is a calisthenic ” exhibition24 with the aid of song, it is only in rare cases pantomimic. It is entirely an exhibition and designed for the entertainment of spectators, without whom there could be no dance. It is devoid of the element of mutuality which marks the waltz and some other great national dances, it is devoid of other meaning than the display of grace, agility, or the grotesque [Herv. i. O.].“ (Pierce Churchill 1902: 71)

Aus ihren Worten wird deutlich, dass das Publikum eine wesentliche Rolle spielte, ohne es g¨abe es keine Siva. Weiter sprach Pierce Churchill der Siva jede weitere Bedeutung außer der Darstellung von Anmut, Gewandtheit oder ihrem Gegenteil, der Groteske, ab.25 Dies steht zwar inhaltlich nicht unbedingt kontr¨ar zu den Schilderungen der Autorinnen und Autoren, die vor allem die ekstatische Ausformung beschrieben, dennoch erschienen deren Schilderungen wesentlich (inhalts-)aufgeladener. Den nicht vorhandenen Symbolcharakter der Bewegungen betonte Pierce Churchill erneut: The motions are in no sense symbolic, ” there is no interpretation to be put upon any pose or change of poses, they are calisthenic and no more.“ (Pierce Churchill 1902: 72) Das, was jedoch auch Pierce Churchill als symboltr¨achtige Darstellung beschrieb, ist das, was auf die Siva folgte: taualunga“ (Pier” ce Churchill 1902: 76), und vermutlich bei Deeken und Genthe Mulipaipai hieß. W¨ahrend sie die Siva noch als clean performance“ (Pierce Churchill 1902: 76) bezeichnete, traf das ” ihrer Aussage nach auf den zweiten Teil der Unterhaltung nur mehr begrenzt zu: This is ” danced erect and employs the whole body, it varies from a mere march to a rudely dramatic performance. [. . . ] Beginning as a burlesque and piece of grotesque horseplay, it soon passes all bounds which would be set by a good taste, which it is idle to expect from savages.“ (Pierce Churchill 1902: 76) Im Gegensatz zu den obigen Schilderungen von Genthe und Deeken wurden in der von Pierce Churchill so bezeichneten Taualunga durchaus die Grenzen des Anstandes und guten Geschmacks u¨ berschritten, was man von den Wilden‘ aber auch nicht anders erwarten ’ k¨onne. An dieser Stelle argumentierte sie aus der scheinbar u¨ berlegenen Position der Weißen Frau, der die Deutungshoheit u¨ ber Geschmack oblag. Als Beispiel f¨ur eine solche Vorf¨uhrung beschrieb Pierce Churchill nun aber nicht – wie erwartbar – eine entsprechende Szene zwischen Mann und Frau, sondern die Parodie auf einen Marineoffizier, der an Land exerzierte (vgl. Pierce Churchill 1902: 76). Sie machte nicht deutlich, aus welchen Gr¨unden sie die Taualunga verurteilte, ob wegen der Parodie auf einen Offizier oder doch wegen

24

Entspricht Gymnastik¨ubungen.

25

Pierce Churchills Aussagen widersprechen den Beschreibungen, die in der Siva eine pantomimische Darstellung von z. B. Fischfang- oder Jagdszenen sahen.

¨ Rituale und Gebrauche | 233

der m¨oglichen – hier jedoch nicht explizit geschilderten – erotischen Komponente der Vorf¨uhrung. Wie bei Frieda Zieschank angeklungen, war an der Siva in der Regel die Taupou des Dorfes beteiligt. Auf ihre Darstellungen soll sich nun der Fokus richten.

5.2.3 Taupou – Queen of the Place‘ ’ Begrifflich l¨asst sich die Taupou26 mit den Worten Churchwards folgendermaßen definieren: Taup¯o is the Samoan name for the maid of a village. [. . . ] From the first day of her ” instalment to the day of her dethronement for bad behaviour [. . . ] she is virtually the queen of the place.“ (Churchward 1887: 348) Das Amt der Taupou wurde den Schilderungen zufolge nicht als Geburtsrecht ausge¨ubt, sondern war ein Ehrenamt: In each village there ” is always a tapo, or chief maiden. She is sometimes the local chief’s daughter, but merely a damsel of good family. Frequently she is chosen for the position when a mere baby, and remains tapo for years, or till she is married.“ (Fraser 1895: 105) Die Taupou wurde als Kleinkind ausgew¨ahlt, auf ihre Rolle vorbereitet und behielt sie l¨angstens bis zu ihrer eigenen Heirat.27 Die Taupou – jedes Dorf besitzt eine solche – stammt stets aus einer Familie von Rang und ist von ” kleinauf f¨ur ihr Ehrenamt erzogen. W¨ahrend sonst die samoanischen M¨adchen bis zu ihrer Verheiratung unbeschr¨ankte Freiheit genießen, wird sorgf¨altig u¨ ber Jungfr¨aulichkeit und Ruf der Taupou gewacht, stets ist sie von besondern [!] Tugendw¨achterinnen umgeben.“ (Zieschank 1918: 30)

Vor allem war die Taupou die Frau, mit der alle Reisenden im Laufe ihres Besuches in Ber¨uhrung kamen. Im Grunde wurde die Taupou auch in allen Texten erw¨ahnt, Ausnahmen sind George Brown und Robert Louis Stevenson.28 Jedes samoanische Dorf hatte eine sol-

26

In den Reiseberichten kursieren verschiedene Schreibweisen: Taupou, Taupo, Tapo etc. Dies ist vermutlich der unterschiedlichen Kenntnis der samoanischen Orthografie geschuldet bzw. den Unterschieden in der Aussprache des Englischen und Deutschen. Im Folgenden wird die Schreibweise Taupou verwendet.

27

Dar¨uber, ob es die Tochter eines H¨auptlings‘ sein musste oder nicht, gingen die Quellentexte ’ auseinander. Hesse-Warteggs stellte es bspw. so dar: Jedes gr¨oßere Dorf hat eine solche Tau” pou, gew¨ohnlich die sch¨onste Tochter des H¨auptlings.“ (Hesse-Wartegg 1902: 238) Ein Grund f¨ur die unterschiedlichen Darstellungen k¨onnte darin liegen, dass die Reisenden das komplexe System verwandtschaftlicher Beziehungen, das z. B. auch Adoptivkinder kannte, nicht zur G¨anze durchschauten.

28

Brown, der sich in seinen Ausf¨uhrungen im Wesentlichen auf seine Biografie im Kontext der Missionsarbeit fokussierte, gab weder Schilderungen der Physiognomie von samoanischen M¨annern und Frauen noch denen der Taupou Raum. Lediglich in seinen Abbildungen finden sich mehrere

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che junge Frau, die repr¨asentative Aufgaben in der Dorfgemeinschaft u¨ bernahm und unter anderem f¨ur die Bewirtung von G¨asten zust¨andig war. Wegener erkl¨arte ihre Aufgaben: [J]edes gr¨oßere Dorf [erw¨ahlt] sich eine taupo, eine Ehrenjungfrau [. . . ]: eine H¨auptlingstochter, ” die gleichsam die gesellschaftliche Vertreterin des Dorfes ist, bei feierlichen Gelegenheiten den Ehrentrunk, die Kawa, bereitet und bei großen Tanzauff¨uhrungen die Vort¨anzerin abgibt. Kommt ein hochstehender Gast, so empf¨angt sie ihn, bewirtet ihn im faletele, dem Gemeindehaus, unterh¨alt ihn, massiert ihm wohl auch den Kopf, bereitet ihm abends das Lager und schl¨aft die Nacht an seiner Seite [Herv. i. O.].“ (Wegener 1925/1919: Kap. 5)

Die Taupou war also an den oben geschilderten Ritualen der Kava und der Siva in der Regel beteiligt. Aus dieser Aufgabenbeschreibung erkl¨aren sich auch die Erfahrungen, die Otto Ehlers und Richard Deeken mit den Taupous machten, die ihnen jeweils den Kopf massierten, was beide zu ausf¨uhrlichen Schilderungen veranlasst hatte.29 Richard Deekens Beschreibung der Taupou a¨ hnelte der Wegeners; sie sollte sich vor allem um das Wohl des Fremden“ k¨ummern, damit er einen guten Eindruck [. . . ] mit ” ” forttr¨agt“ (Deeken 1901: 134f.). Hesse-Wartegg beschrieb ihre Aufgaben ausf¨uhrlicher und betonte die Bedeutung ihres Amtes: Kurz, sie steht nicht nur an der Spitze der weiblichen ” Tugend, sondern sie ist der Stolz des ganzen Dorfes und wird gewissermaßen auch als gemeinschaftlicher Besitz angesehen, u¨ ber den eifers¨uchtig gewacht wird.“ (Hesse-Wartegg 1902: 238) Dem f¨ugte Zieschank noch hinzu: Alle grobe Arbeit wird ihr fern gehalten, sie ” hat nur die Pflicht, tugendhaft, sch¨on und grazi¨os zu sein!“ (Zieschank 1918: 30) Im Amt der Taupou vereinigten sich verschiedene Anforderungen, die an die Rolle der b¨urgerlichen Dame des Hauses‘ erinnern. Auch diese hatte im Wesentlichen Re’ pr¨asentationspflichten wie das Bewirten der G¨aste zu erledigen, war zudem aber noch f¨ur den Haushalt und die Delegation der Dienstboten zust¨andig. Die Zust¨andigkeit f¨ur schwere Arbeiten sprach Zieschank der Taupou jedoch ab. M¨oglicherweise sitzt sie in ihrer Darstellung aber dem a¨ ußeren Schein auf. Diejenigen, die auf der Insel verschiedene D¨orfer besuchten, waren mit großer Wahrscheinlichkeit in Kontakt mit der jeweiligen Taupou gekommen. Oftmals wurde ihre Sch¨onheit gepriesen, genauso oft ihre Jungfr¨aulichkeit betont.

typische Bilder von leicht bekleideten samoanischen Frauen bzw. jungen M¨adchen. Auch Stevenson hielt sich nicht mit entsprechenden Schilderungen auf, da sein Augenmerk auf die politischen Verh¨altnisse gerichtet war. 29

Vgl. Kapitel 4.3.5.

¨ Rituale und Gebrauche | 235

Deeken war bei seinem Ausritt, wie an anderer Stelle geschildert,30 der Taupou Tofi begegnet: Sch¨on Tofi‘ war Taupou des Dorfes Malie, und f¨unf Gef¨ahrtinnen, von denen Tiga eine war, wach”’ ten u¨ ber ihre Tugend. Deshalb auch mußte Sch¨on Tofi‘ mit einer ihrer Gef¨ahrtinnen im Dorfe ’ zur¨uckbleiben, denn es konnte sich ja ereignen, [. . . ] daß ein Fremder zum Dorfe kam und Gastfreundschaft ben¨otigte.“ (Deeken 1901: 137)

Die Taupou war eine der wenigen Personen, die mit ihrem Namen benannt wurde, auch ihre Begleiterin wurde namentlich genannt. Dies dr¨uckt die enge Verbundenheit aus, die Deeken ihr gegen¨uber empfand. Ruft man sich die oben aufgef¨uhrte Schilderung der Siva in Erinnerung, die Deeken lebhaft beschrieben und bei der Tofi getanzt hatte, wird dies erkl¨arlich. Sie war ihm beim Tanz besonders aufgefallen. Seltsame Erscheinungen. Halb Elfen, halb Bacchantinnen. Sch¨on Tofi‘ aber u¨ berstrahlte alle an ’ ” Sch¨onheit. Ein wundersames Feuer gl¨anzte in ihren großen, dunklen Augen und ihr klassischer, mit ¨ leicht gesalbter K¨orper zitterte unbewußt im Vorgef¨uhle der Leidenschaft, welche beim duftendem Ole Tanz in ihrer ganzen Gr¨oße zum Ausbruch kam.“ (Deeken 1901: 140f.)

Die sexuelle Projektionsfl¨ache ist un¨ubersehbar, doch gab es gab keinerlei Schilderungen sexueller Praktiken.31 Deutlich ist auch das Spannungsverh¨altnis, in dem sich Deekens Schilderung bewegt. Mit ihrem gesalbten K¨orper‘, in ihrer Tugendhaftigkeit und Jung’ fr¨aulichkeit entsprach sie dem Bild der Heiligen‘, mit ihrem Zittern‘ und dem Ausbruch ’ ’ ’ der Leidenschaft‘ verk¨orperte sie dagegen das Bild der Hure‘. Diesen Zwiespalt versuchte ’ Deeken mit den einleitenden Worten Seltsame Erscheinungen. Halb Elfen, halb Bacchan” tinnen“ zu fassen. Die Bacchantinnen waren die Anh¨angerinnen des Weingottes Bacchus, und standen f¨ur Enthemmung und Orgien. Elfen sind dagegen Fabelwesen, die sich durch ¨ ihre u¨ bermenschliche Sch¨onheit und Anmut auszeichnen, denen jedes Ubermaß aber fremd ist und die mitunter als geschlechtslos gelten.

30

Vgl. Kapitel 4.2 (Seite 111): Eine der beiden Frauen, die nackt vor ihm standen, war Sch¨on Tofi‘ ’ (vgl. Deeken 1901: 127f).

31

Lediglich an sp¨aterer Stelle schilderte Deeken eine traumhafte Sequenz: [S]chließlich kam ” dann noch Sch¨on Tofi‘, nicht etwa, um mir Stirne und Schl¨afen zu streicheln, nein, sie beugte ’ sich mit zartem L¨acheln langsam zu mir herunter, ganz langsam, um mir einen langen, langen Abschiedskuß zu geben.“ (Deeken 1901: 220f.)

236 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

Ehlers hatte statt mit Sch¨on Tofi‘ Bekanntschaft mit Sifilina gemacht, der Pflegetoch’ ter des Arztes Bernhard Funk, bei dem er zu Gast war (vgl. Ehlers 2008/1895: 82). Auch 32

ihm fiel sie besonders beim Tanz auf. Den G¨asten gegen¨uber hatten etwa ein Dutzend Samoaner mit bekr¨anzten Oberk¨orpern und blumen” geschm¨ucktem Haar Platz genommen, und in ihrer Mitte saß gl¨uckstrahlenden Antlitzes eine kaum sechzehnj¨ahrige Samoanerin, die in ihrem phantastischen, aus roten Federn, Spiegeln, blinkenden Muschelst¨ucken u.s.w. zusammengesetzten Kopfputz und ihrem oben wie unten nach M¨oglichkeit gek¨urzten, halb europ¨aischen, halb samoanischen Gewande aussah wie eine kleine M¨archenprinzessin.“ (Ehlers 2008/1895: 82)

Trotz des aufw¨andigen Kopfschmuckes beschrieb Ehlers ihr Gewand als halb europ¨aisch und halb samoanisch, wobei mit der Bezeichnung als M¨archenprinzessin“ der europ¨aische ” Anteil der Wahrnehmung u¨ berwiegt. Die Fremdheit in ihrem Aussehen konnte er durch diese Metapher reduzieren, indem er sie in der M¨archenwelt verortete. Sifilina entwickelte sich zu einer Art Freundin von Ehlers, mit der er gerne kokettierte. Schon an dieser Stelle merkte er an: Ich hatte dann auch sp¨ater noch mehrfach Gelegenheit, Sifilina als um” schw¨armte Ballsch¨onheit zu bewundern. Nirgendwo hat sie mir indessen – ausgenommen im Wasser, doch das ist eine andere Geschichte – einen so tiefen Eindruck gemacht wie an diesem ersten Abende unserer Bekanntschaft.“ (Ehlers 2008/1895: 82) Dieser Abend des Kennenlernens endete typischerweise mit der Siva, die Sifilina anleitete. Dazu konstatierte Ehlers, obgleich er zuvor noch Sifilinas Bekleidung beschrieben hatte: Da, wie schon angedeutet, bei dieser Gelegenheit die Tanzenden ausschließlich ihre eigene Haut ” zu Markte tragen und sich nur eine m¨oglichst dicke Lage Kokosnuߨol, ein G`ene irgend welcher Art dagegen nicht auflegen, d¨urfte ein solcher Anschauungsunterricht auf die Seelen der Kinder nach europ¨aischen Begriffen nicht gerade veredelnd wirken. Die Samoaner scheinen jedoch anderer Ansicht zu sein, und wir m¨ussen ihnen die Verantwortung u¨ berlassen. Uns gegen¨uber k¨onnen sie trotz aller Leichtlebigkeit dreist behaupten: Wir Wilden sind doch bessere Menschen.‘“ (Ehlers 2008/1895: 103) ’

Ehlers merkte, wenn auch nur indirekt, an, dass eine Siva die europ¨aischen Grenzen von Anstand u¨ berschreite. Der samoanischen Bev¨olkerung gestand er eine gewisse Eigenverantwortung im Umgang mit ihrer Nacktheit zu, die wiederum ihre Bezeichnung als Wilde“ legitimierte und auf das Bild des Edlen Wilden als besseren, weil naturverbundenen ” und unverdorbenen Menschen rekurrierte. Unter Bezug auf die Leichtlebigkeit und die

32

Es schien durchaus u¨ blich zu sein, leibliche Kinder als Pflegekinder in andere Familien zu geben. Letztlich war Erziehung nicht nur Aufgabe der (leiblichen) Eltern, sondern eine gemeinschaftliche Aufgabe.

¨ Rituale und Gebrauche | 237

Nat¨urlichkeit der Samoanerinnen und Samoaner konnte Ehlers so f¨ur sich einen Umgang mit der Situation finden, der mit den europ¨aischen Anstandsregeln kompatibel war. Die vorangegangene Anspielung auf die Situation im Wasser“ l¨oste Ehlers erst an ” sp¨aterer Stelle auf. Im Laufe seines Aufenthaltes hatte er mit Funk, dessen Frau sowie einigen weiteren Damen, darunter ebenjene Sifilina, einen Ausflug zum Lanutoo unternommen, wo es einen Kratersee gab. Dort vergn¨ugte sich die Gesellschaft beim Baden (vgl. Ehlers 2008/1895: 141f.). Ob es nun, wie Ehlers’ urspr¨ungliche Anspielung ja vermuten ließ, zu einer sexuellen oder zumindest erotischen Begegnung zwischen ihm und Sifilina gekommen war, blieb vage. Nichts verj¨ungt den Menschen mehr als solche Erlebnisse, und ” als ich nach nahezu einst¨undigem Tummeln im Wasser und einem Faun- und Nixenspiel mit Sifilina wieder ans Land stieg, f¨uhlte ich mich wie neugeboren.“ (Ehlers 2008/1895: 142) Festzuhalten bleibt, dass Ehlers seinen erotisierten Blick beibehielt und damit insbesondere die Damenwelt betrachtete. Explizite Situationen zu schildern, h¨atte vermutlich seinem Selbstbild als weltgewandter Gentleman widersprochen und w¨are u¨ ber die Grenzen der Anstandsvorstellungen seiner Zeit hinausgegangen. Die Symbolfigur der sexuell freiz¨ugigen Frau wird hier zwar in Person der Taupou aufgeladen, die Vorstellung aber von keinem der berichtenden M¨anner ausgelebt – oder zumindest nicht geschildert. Die Beschreibungen sowohl der Taupou als auch der Siva oszillieren zwischen Tugendhaftigkeit und Verf¨uhrung. Projektionsfl¨ache wurde die Taupou insbesondere dadurch, dass sie f¨ur koloniale Herren ein Tabu darstellte; absolut unber¨uhrbar blieb. Deeken betonte noch einmal, wie streng der Umgang in dieser Hinsicht mit der Taupou war. Wenngleich die Sitten der Samoaner durch die Ber¨uhrung mit den Weißen erheblich ” lockerer geworden sind, so hat sich, besonders was die unverheirateten M¨adchen anbetrifft, die alte Sittenstrenge doch noch ziemlich erhalten und wird mit besonderer Sch¨arfe auf die Taupou-M¨adchen angewendet.“ (Deeken 1901: 136) Insofern erh¨alt die Taupou hier den Status der Heiligen‘, ihre Darstellungen schwanken zwischen den bekannten Bildern der ’ Hure‘ und der Heiligen‘. ’ ’

5.2.4 Palolo – ein Wurm als Delikatesse W¨ahrend der Kava-Umtrunk, eine Siva-Vorf¨uhrung und die Begegnung mit der Taupou zum g¨angigen Repertoire geh¨orten, das schon Touristen mit verh¨altnism¨aßig kurzem Aufenthalt pr¨asentiert wurde, gab es Ereignisse und Gebr¨auche, die nicht auf Fremde ausgerichtet waren und an denen diese nur unter besonderen Umst¨anden teilhaben konnten. Dazu geh¨orte das Palolo-Fangen, das sich einmal im Jahr zu einer bestimmten Zeit abspielte, und f¨ur die samoanische Bev¨olkerung ein besonderer Anlass war. The day on which ” the palolo was expected was the great gala day of the year.“ (Brown 2013/1908: 54)

238 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

Fremden war der Zugang beschr¨ankt, da sie samoanische Kontakte ben¨otigten und zudem zum richtigen Zeitpunkt auf Samoa sein mussten. Dies traf auf Llewella Pierce Churchill, William Churchward, Ernst von Hesse-Wartegg und George Brown zu.33 Die Namensgebung des Wurms erkl¨arte Hesse-Wartegg mit dem hohen Eiweißgehalt der Hinterleiber: Die beliebteste Delikatesse, welche die See den Samoanern darbietet, ist ” indessen der Palolowurm. Der Palolo ist ein langer, fadend¨unner Wurm von verschiedener bunter F¨arbung und fettigem, o¨ ligem Inhalt, deshalb auch sein Name von Lolo, d. h. fettig, und Pa‘ bersten oder aufbrechen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 265) Damit positionierte ’ sich Hesse-Wartegg nicht nur als Teilnehmer eines Palolo-Fangs, sondern zugleich als Eingeweihter, was das korrekte samoanische Vokabular betraf. Der Palolo, der biologisch zum Stamm der Ringelw¨urmer geh¨ort, ist ein Wurm der im S¨udpazifik, insbesondere auf Samoa und Fidji, verbreitet ist und dort im Korallengestein lebt. Seine K¨orperl¨ange variiert zwischen 40 und 70 cm. Ein- bis zweimal im Jahr l¨ost sich der hintere Teil des K¨orpers mit einer L¨ange von rund 30 cm ab und steigt an die Oberfl¨ache. Dies geschieht zu Fortpflanzungszwecken, da die Hinterleiber jeweils Spermien und Eier enthalten. Bei Sonnenaufgang platzen die Wurmteile auf, sodass aus den Eiern und Spermien neue Larven entstehen k¨onnen, die wieder unter die Meeresoberfl¨ache absinken. Daher muss der Wurm in der fr¨uhen Morgend¨ammerung gefangen werden. Das Erscheinen des Wurmes richtet sich nach den Mondphasen und wurde von der samoanischen Bev¨olkerung genau berechnet, um in der Nacht rechtzeitig auf Fang zu gehen, wie es Churchward beschrieb: The Palolo is a very curious thread-like sea-worm, appearing ” in the reef-openings once a year, only for the single hour immediately before sunrise. On their arrival the natives assemble in their canoes and scoop them up in bailers of all sorts, esteeming them immensely as an edible delicacy.“ (Churchward 1887: 87) Hier sprach Churchward von den natives“, die in ihren Kanus auf das Erscheinen des faden¨ahnlichen ” ’ Wurms‘ warteten, doch sp¨ater hatte er selber Gelegenheit, dabei zu sein. Greene erkl¨arte das Erscheinen des Palolo simple zusammenfassend: At certain times ” in the year, a curious sea-worm called palolo, comes to the surface of the ocean at sunrise, and these are considered a great delicacy [Herv. i. O.].“ 34 (Greene 1896: 21) Auch Pierce Churchill formulierte, dass diese Speise als große Delikatesse galt. That is all the palolo ” is – a wriggling worm in the sea. But the South Sea people know no greater delicacy.“ (Pierce Churchill 1902: 143)

33

Der L¨ange ihres Aufenthaltes nach zu urteilen, h¨atten auch Robert Louis Stevenson, Frieda Zieschank und Victor Arnold Barradale das Palolo-Fangen erleben k¨onnen, schilderten es jedoch nicht in den vorliegenden Texten.

34

Greene f¨uhrte den Palolo zwar an, nahm aber vermutlich nicht selbst an einem Palolo-Fang teil.

¨ Rituale und Gebrauche | 239

Alle drei englischsprachigen Schreibenden benutzen die Bezeichnung der delicacy“ ” f¨ur den Palolo, obwohl sie ihn zugleich als thread-like sea-worm“ (Churchward), curious ” ” sea-worm“ 35 (Greene) oder wriggling worm in the sea“ (Pierce Churchill) bezeichneten; ” offenbar also wenig Vertrauen in seinen Status als Delikatesse‘ hatten. ’ Im Oktober sollte der Palolo auftauchen. Alle Reisenden, die zu dieser Zeit auf Samoa waren, bekamen die Vorbereitung f¨ur den Fang und das anschließende Festmahl mit, durften im besten Falle sogar mit auf See gehen. In Churchwards Fall war es kurz nach seiner Ankunft, dass der Palolo-Fang wieder bevorstand. Auch Pierce Churchill, die generell an allem, was Fischfang betraf, interessiert war, ließ diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen. Dazu musste man, mit Kanus und Netzen ausgestattet, mitten in der Nacht aufs Wasser hinausfahren (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 265), um mit der Morgend¨ammerung und der beginnenden Flut m¨oglichst viele aufsteigende W¨urmer in sein Kanu schaufeln zu k¨onnen. In ihrem Erz¨ahlduktus bediente sich Pierce Churchill wieder der Form, in der sie auch ihre Ankunft auf Apolima geschildert hatte: in der dritten Person verallgemeinernd. All at once, and at once from every side of you, you hear the shout, Ta palolo! U-U-U! Ta palolo!‘ ’ ” ( Struck palolo! Oh, ho! Struck palolo!‘) [. . . ] All of a sudden you bethink yourself to look at your ’ own pool, bare as you knew it to be. Bare? did you say? Why, it’s fairly alive with masses floating up from the coral grove over which you are poised. You sweep your net and find that you have a bunch of wrigglers in it. Details are impossible in the obscurity, but you are moved to raise the Samoan cry, and on your own account you shout Ta palolo!‘ [Herv. i. O.]“ (Pierce Churchill 1902: 150f.) ’

Man kann aus ihren Worten die sich u¨ bertragende Aufregung herauslesen, die dieser n¨achtliche Ausflug mit sich brachte. Nicht nur das nerv¨ose Warten in der Dunkelheit auf das Auftauchen des Wurmes trug zu dieser Erregung bei, sondern auch die Tatsache, dass sie als einzige Weiße, und insbesondere als einzige Weiße Frau an etwas teil hatte, was keine selbstverst¨andliche Erfahrung war. Insofern ließ sie sich von der Stimmung anstecken und stimmte in den Ruf mit ein. Das tats¨achliche Fischen des Wurmes aus dem Wasser dauerte ihrer Schilderung zufolge nicht l¨anger als eine halbe Stunde, bis keine W¨urmer mehr aus dem Wasser aufstiegen (vgl. Pierce Churchill 1902: 151). Den Aufbruch zum Palolo-Fang, inklusive fr¨uhem Aufstehen und Warten im Korallenriff, beschrieb Churchward a¨ hnlich wie Pierce Churchill (vgl. Churchward 1887: 90f.). Allerdings zeigte sich der Palolo-Wurm an diesem Morgen nicht, sondern w¨urde erst vier Wochen sp¨ater auftauchen, sodass die Kanus unverrichteter Dinge wieder ans Ufer

35

Bereits an anderen Stellen hatte Greene Churchwards Text zitiert, insofern kann der Begriff sea-worm“ an dieser Stelle ebenfalls eine Entlehnung sein (vgl. Kapitel 2.3). ”

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zur¨uckkehrten (vgl. Churchward 1887: 91). Bei seinem zweiten Besuch in Falelatai sollte er dagegen Erfolg haben. [S]uddenly, as if let loose at the one exact time, were to be seen wriggling and writhing up from the ” nethermost depths, millions upon millions of long thread-like worms of many colours [. . . ]. Up they came in myriads until the surface was thickly covered with one solid vermiculating mass of living animals. Shouting and laughing, everyone now plied his or her scoop as busily as possible, baling up the writhing delicacies at top speed, to make as good use of the short time available as could be.“ (Churchward 1887: 124f.)

Auch bei Churchward wird die nerv¨ose Anspannung deutlich, die dem erl¨osenden Auftauchen des Palolo voranging. Aus seiner Formulierung his or her scoop“ geht hervor, ” dass sowohl M¨anner als auch Frauen an dem n¨achtlichen Wurm-Fang beteiligt waren. Als es jedoch um das Probieren der vermeintlichen Delikatesse ging, z¨ogerte er. Our share ” of these doubtful delicacies was three great pailsful of an almost solid mass of repulsive coloured worms, writhing und twisting about in slimy embrace, in anything but an inviting manner for creating an appetite.“ (Churchward 1887: 125) Sein empfundener Ekel bei der Vorstellung, diese Masse von widerw¨artig gef¨arbten W¨urmern‘ zu essen, die sich in ’ ’ schleimiger Umarmung wanden und drehten‘, kommt deutlich zum Vorschein. Erst in verarbeiteter Form konnte Churchward dem Geschmack etwas abgewinnen. Although I tried to harden myself to tackle this forbidding-looking tit-bit au naturel with a piece of ” stick, I could not manage it; and our hosts, seeing the failure, had some cooked. In that state they were in appearance like balls of dark-green spinach, and by no means unpalatable, tasting somewhat like a mixture of oysters and seaweed [Herv. i. O.].“ (Churchward 1887: 126)

Da Churchward es nicht u¨ ber sich brachte, die W¨urmer roh zu sich zu nehmen, bekam er sie in gekochtem Zustand vorgesetzt, in dem er sie als einigermaßen schmackhaft empfand. Die englische Fassung l¨asst an dieser Stelle keine eindeutige Interpretation dar¨uber zu, ob die samoanischen Gastgeber – seeing the failure“ – hier die Ablehnung‘ Churchwards oder ” ’ ihren eigenen Fehler‘ (ihm Speise in diesem Zustand anzubieten) bemerkten. Churchwards ’ Beschreibungen des Aussehens und des Geschmacks als a¨ hnlich dunkelgr¨unem Spinat‘ ’ und eine Mischung aus Austern und Seegras‘ ordneten seine Empfindung in europ¨aisierte ’ Wahrnehmungsmuster ein. Hesse-Wartegg beschrieb das Auftauchen des Palolo a¨ hnlich detailgetreu wie Pierce Churchill und Churchward. Auch er sprach von der geradezu dickfl¨ussig“ gewordenen ” Wasseroberfl¨ache, und auch er fand den Wurm an sich widerlich: Mit lautem Geschrei ” und Freudenausbr¨uchen werden nun die Sch¨opfk¨ubel so h¨aufig und hastig wie nur m¨oglich ins Wasser getaucht, um nur ja recht große Mengen dieser scheußlichen W¨urmer zu fangen [. . . ] [Herv. G. F.].“ (Hesse-Wartegg 1902: 265)

¨ Rituale und Gebrauche | 241

Auch der Missionar George Brown zeigte sich u¨ berrascht u¨ ber die Massen an W¨urmern, die auf einmal im Wasser erschienen; and at once the fun commenced“ (Brown 2013/1908: ” 55). F¨ur ihn betraf der Brauch des Palolo-Fangens noch einen ganz anderen Bereich, denn da der Fang mitunter auf einen Sonntag fiel, an dem nach streng christlicher Auslegung nicht gearbeitet, also auch nicht gefischt werden durfte, brachte dies die christianisierten Samoanerinnen und Samoaner in Gewissenskonflikte, was die Einhaltung des christlichen Gebotes betraf. These people knew that if it was wrong to get the palolo on the Sunday, ” it was equally wrong for them to eat those which had been caught on the Sunday by other people; and yet it was to them a terrible temptation. This was their great delicacy, and this was the only chance they would have of getting it.“ (Brown 2013/1908: 56) Einer der o¨ rtlichen Priester l¨oste die Situation jedoch geschickt, indem er auf eine Stelle im Paulusbrief an die Korinther verwies, in der es heißt: Wenn euch einer von den ” Ungl¨aubigen einl¨adt und ihr wollt hingehen, so eßt alles, was euch vorgesetzt wird, und forscht nicht nach, damit ihr das Gewissen nicht beschwert.“ (1. Kor. 10: 27) Somit konnte der Palolo doch verzehrt werden. F¨ur Brown war dieses Erlebnis eine von vielen Situationen, in denen die samoanischen Sch¨ulerinnen und Sch¨uler ihre Bibelkenntnis bewiesen (vgl. Brown 2013/1908: 56). Alle vier Darstellungen bringen zwar dem Wurm und seinem Aussehen gegen¨uber eine gewisse Skepsis ob seiner Genießbarkeit zum Ausdruck, erkennen aber ebenfalls an, dass der Wurm bei der samoanischen Bev¨olkerung als Delikatesse gilt, ohne dies weiter zu werten oder sich davon abzugrenzen. Vermutlich trugen die Rahmenbedingungen dieser Unternehmung zu dieser besonderen Bewertung bei. Zum einen waren die Schreibenden jeweils alleine bei diesem Ausflug unterwegs, ohne andere Europ¨aerinnen oder Europ¨aer. Dies, sowie die n¨achtliche Zeit, schuf eine besondere Atmosph¨are und Verbundenheit, was sich in ¨ dem Ubertragen der Aufregung ausdr¨uckte. Vermutlich war die Darstellung weiterhin der Tatsache geschuldet, dass es eben keine (oder wenige) Vergleichsdarstellungen gab, die die Wahrnehmung vorweg h¨atten lenken k¨onnen. Beim Palolo-Fang fand gerade kein Programm auf der Vorderb¨uhne f¨ur die Fremden statt, stattdessen konnten sie hier Teil des Ensembles sein.

242 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

¨ 5.2.5 Zusammenfassende Uberlegungen Auf Samoa gab es vielf¨altige Gebr¨auche und Rituale, denen die reisenden Autorinnen und Autoren w¨ahrend ihres Aufenthaltes begegneten. Als Begr¨ußung und bei offiziellen Anl¨assen gab es Kava, ein Getr¨ank, das aus der Wurzel des Pfefferstrauches hergestellt wurde, und das im Zentrum eines elaborate system of social ceremonial“ stand (Williamson ” 2011: 51).36 Die Legenden u¨ ber die Herkunft dieser Pflanze waren einzelnen Quellen zu entnehmen. Die Zubereitung erfolgte entweder durch Kauen oder durch Zerreiben der Wurzel und anschließendem Vermengen mit Wasser. Die ver¨anderte Zubereitungsform des Zerreibens wurde von den Schreibenden wahlweise als zivilisatorische Weiterentwicklung oder als Entgegenkommen f¨ur die Weißen gedeutet. Dennoch machten die meisten der Autorinnen und Autoren die Erfahrung der gekauten Zubereitung. Dies schienen sie zwar als abstoßend zu empfinden, u¨ berwanden sich aber dennoch, die Kava, den H¨oflichkeitsregeln entsprechend, zu sich zu nehmen. Die Schilderungen des seifenwasser¨ahnlichen Geschmacks gab es in unterschiedlicher Auspr¨agung, doch trotz des an einigen Stellen geschilderten massiven Ekels berichtete die Mehrzahl von einem Gew¨ohnungseffekt, der das Getr¨ank schließlich angenehm und dem Klima angepasst erscheinen ließe. Der zugeh¨orige Regelkanon wurde von einigen Autoren beherrscht, die in der formvollendeten R¨uckgabe des Bechers oder im Gebrauch des korrekten samoanischen Vokabulars ihre F¨ahigkeiten demonstrierten. In Kombination mit dem geschmacklichen Gew¨ohnungseffekt schienen die Europ¨aerinnen und Europ¨aer die samoanische Bev¨olkerung u¨ bertrumpfen zu wollen. Darin ¨ offenbarte sich zum einen die Performanz der eigenen Uberlegenheit und zum anderen ein grunds¨atzlicher Versuch der Vereinnahmung und Einverleibung gewisser Praktiken. Die Kava-Zeremonie blieb somit kein Ritual, das man bei Samoanerinnen und Samoanern beobachtete, sondern das man mit der Zeit selber erlernte, verinnerlichte und sich somit einverleibte. Wichtig bleibt dennoch das Detail, dass die Kava von den Autorinnen und Autoren nicht selber zubereitet wurde, sondern immer f¨ur diese bereitet wurde. Insofern st¨oßt die Einverleibung an ihre Grenzen und wird u¨ ber die Hierarchisierung (Bediente/r – Dienende/r) zu kompensieren versucht. Vor allem f¨ur die Weißen Frauen zeigte sich in der Kava-Zeremonie ihre besondere Position. W¨ahrend die Kava samoanischen Frauen versagt war, und außer der Taupou in der Regel keine Frauen anwesend waren (vgl. Mesenh¨oller 2009: 217), durften die Autorinnen daran teilnehmen.37

36

Auch f¨ur die zeitgen¨ossische Ethnologie sind die Reiseberichte, und insbesondere der Churchwards, noch wichtige Quellen, die ein a¨ hnlich breit gef¨achertes Darstellungsspektrum abbilden, wie die oben genannten Schilderungen.

37 Die ethnologische Darstellung gibt keinen Hinweis darauf, wer die Kava zu sich nahm und ob Frauen zugelassen waren (vgl. Williamson 2011: 51-70).

¨ Rituale und Gebrauche | 243

Bei der Tanzvorf¨uhrung einer Siva blieben die Autorinnen und Autoren dagegen Zuschauende, die in das Geschehen selbst nicht involviert waren. Die Beobachtenden des Tanzes legten großen Wert auf eine genaue Wiedergabe von Details, wobei der Tanz als solcher kaum beschreibbar war. Die Empfindung der Reisenden schwankte zwischen Bewunderung der gelenkigen und geschmeidigen Bewegungen einerseits und Abwertung von manischen und orgiastischen Bewegungen andererseits. W¨ahrend die eine Form als engelsgleich beschrieben wurde, wirkte die andere d¨amonisch. Zudem wurde von den Reisenden unterschieden, ob es sich um eine echte‘ Siva oder um ein f¨ur Touristen ’ aufgef¨uhrtes Zerrbild‘ handelte. Gemeinsam ist den Schilderungen, dass sie eine ekstati’ sche Steigerung hin auf eine Klimax beschreiben, die durchaus der Form eines sexuellen Aktes entspricht. Dabei unterscheiden die Quellen zwischen einer Siva‘, der keinerlei ’ Anz¨uglichkeit innewohne, und einer Mulipaipai, einer entfesselten Darstellung, die in einer Orgie m¨unden k¨onne. Die sexuelle Aufladung wurde besonders in den Texten von Ernst von Hesse-Wartegg und Richard Deeken sichtbar. Da sich die Schilderungen im Kern daran abarbeiten, ob eine solche Darbietung noch die Formen europ¨aischen Anstands bewahre oder nicht – selbst wenn sie es nicht taten, wurde u¨ ber die Nat¨urlichkeit‘ der Situation ’ oder u¨ ber die unterstellte Lebensfreude der Samoanerinnen und Samoaner nachtr¨aglich die Legitimation zur Schilderung der Gegebenheiten eingeholt – blieb die tats¨achliche Funktion einer Siva im Hintergrund. Lediglich aus den Schilderungen Pierce Churchills und Frasers l¨asst sich schließen, dass der Tanz eine gesellschaftspolitische Funktion hatte, die in improvisierten Ges¨angen und Parodien aktuelle gesellschaftsrelevante Ereignisse kommunizierte und somit zu einer oralen Geschichtstradierung beitrug. Dem europ¨aischen Lesepublikum wurde dagegen lediglich die sexuelle Projektionsfl¨ache pr¨asentiert. Durchgef¨uhrt und angeleitet wurde eine Siva in der Regel von der Taupou, der jeweiligen Ehrendame des Dorfes. Den Taupous oblagen die Repr¨asentationspflichten bei offiziellen Anl¨assen, im Krieg und bei der Bewirtung von Fremden. Die Betreuung von G¨asten spielte sich auch auf einer k¨orperlichen Ebene ab: den Kopf kraulen und des Nachts das Bett mit dem Gast teilen geh¨orte zu ihren Aufgaben. Gleichzeitig war die Taupou der Inbegriff von Tugend, was – insbesondere die m¨annlichen – Autoren in ein Dilemma brachte. Einerseits wurde die Taupou, eine h¨ubsche junge Frau, von den Reisenden – nicht zuletzt wegen ihrer besonderen Zugewandtheit – als Verf¨uhrung und begehrenswertes Objekt geschildert, andererseits war sie f¨ur die M¨anner tabu, da von ihrem Anstand ihr sozialer Status abhing.38 Dieses Spannungsverh¨altnis l¨asst sich im Topos der Heiligen‘ ’

38

Die Enthnologie geht davon aus, dass es unterschiedliche Gebr¨auche in Bezug auf das Sexualverhalten von unverheirateten samoanischen Frauen je nach gesellschaftlicher Stellung gebe, diese erlaubten great laxity to the lower class-girls, but imposed more decorum upon those of the ” better classes“ (Williamson 2011: 160). W¨are diese gesellschaftliche Stellung der Frauen in den

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und Hure‘ fassen, erg¨anzt wird es durch das Bild der Mutter, welches die versorgenden ’ Aspekte ber¨ucksichtigt. Insofern stellt die Taupou den Inbegriff des stereotypisiert wahrgenommenen Weiblichkeitskonstruktes dar (vgl. auch Kapitel 4.3.5). Gleichzeitig war die Taupou eine der wenigen Personen, die den Autorinnen und Autoren eine namentliche Nennung wert waren, wie es bei Richard Deeken und Otto Ehlers mit Sch¨on Tofi und Sifilina deutlich wurde. In den Begegnungen mit der Taupou konnten die Reisenden einen Teil ihrer mythisierten Erwartungen ausleben, n¨amlich die Verf¨ugbarkeit einer einheimischen Frau, wenn auch nicht in sexueller Hinsicht. Somit konnten sie sich f¨ur ihr Lesepublikum als Ehreng¨aste‘ ’ darstellen, denen diese W¨urden zuteil wurden. Dar¨uber hinaus lassen die Schilderungen ¨ R¨uckschl¨usse auf das gew¨unschte Weiblichkeitskonstrukt zu. Ahnlich D¨urbecks Darstellungen erfreuten sich die Autoren an der sittsamen Aufmerksamkeit der Taupou, ohne die dahinterstehende patriarchale Sozialstruktur zu thematisieren (vgl. D¨urbeck 2004: 355). Im Gegensatz zu den Ritualen um Kava, Siva und die Taupou, geh¨orte der j¨ahrliche Palolo-Fang zu den untypischeren Erlebnissen. Die Reisenden, die daran teilnehmen konnten, schilderten den aus dem Wasser zu sch¨opfenden Wurm allesamt als S¨udsee-Delikatesse, empfanden selbst aber einen gewissen Ekel davor. Der Palolo-Fang lief ritualisiert ab: Man fuhr noch vor Sonnenaufgang aufs Meer hinaus, wartete auf die aufsteigenden W¨urmer und schaufelte davon so viele wie m¨oglich in sein Boot, bevor das erste Sonnenlicht dem Spektakel ein Ende setzte. Alle Reisenden berichteten davon, dass sich sowohl die nerv¨ose Anspannung, als auch die freudige Erwartung auf sie u¨ bertragen h¨atten, dass sie in die Rufe einstimmten und schließlich genau wie Samoanerinnen und Samoaner mit vollen H¨anden Palolo-W¨urmer aus dem Wasser ins Boot hievten. An dieser Stelle ging es also nicht um ein Nachahmen oder gar Bessermachen der samoanischen Sitten, wie bei der Kava-Zeremonie oder der Becher-R¨uckgabe, und auch nicht um die teilnehmende Beobachtung, wie bei der Siva, sondern um das Mitmachen, das Mitgerissen-Werden und eine Form des Eingeweiht-Seins. Die Autorinnen und Autoren gebrauchen f¨ur die Schilderung des Ereignisses kein Unterscheidungskriterium wie zivilisiert/unzivilisiert‘, betonen nicht die Primitivit¨at‘ der Fangmethode und stellen keine ’ ’ abwertenden Vergleiche zu europ¨aischen Delikatessen her. All dies spielt keine Rolle, stattdessen steht das pers¨onliche Erleben in der Gemeinschaft im Vordergrund. Urs¨achlich mag das darin begr¨undet sein, dass ein Palolo-Fang einerseits ein einzigartiges Erlebnis war, was nicht beliebig reproduzierbar war. Auch der Verzehr der W¨urmer war andererseits auf wenige Tage beschr¨ankt, da dieser nach dem Fang nicht haltbar gemacht werden konnte. Zudem war der Palolo zwar Bestandteil des diskursiven Wissens (immerhin erw¨ahnten–

Reiseberichten zu einem fr¨uheren Zeitpunkt schon zur Sprache gekommen, h¨atte die Konstruktion einer klassenlosen und homogenen einheimischen Bev¨olkerung nicht mehr funktioniert.

¨ Rituale und Gebrauche | 245

rechnet man Greene hinzu – ein Drittel der untersuchten Quellen den Palolo), er geh¨orte aber nicht zum verl¨asslichen Erwartungshorizont einer durchschnittlichen Samoa-Reise. Die Kenntnis und Beschreibung der einheimischen Br¨auche erf¨ullte in den Schilderungen insgesamt folgende Funktionen: Begreift man sowohl Kava, als auch Siva und den Palolo-Fang als Rituale aufgrund ihrer weitgehend gleichf¨ormig ausgef¨uhrte[n] Hand” lungsabl¨aufe“, so kann man davon ausgehen, dass sie sich wiederholende Lebensereignisse (hier: Begr¨ußung, Besuch, Bewirtung, Kommunikation mit Personen unterschiedlicher Position und eben Fangzeit einer Delikatesse) vereinfachen und stabilisieren und dadurch grundlegende Handlungskompetenz [schaffen]“, soziale Prozesse [strukturieren]“ und ” ” ein Gef¨uhl der Zusammengeh¨origkeit [vermitteln]“ sollten (Schaub und Zenke 1995: 291). ” F¨ur die Reisenden stellte die Teilnahme an solchen Ritualen eine M¨oglichkeit dar, die Fremdheit zu u¨ berwinden und einen geregelten und stabilen sozialen Ablauf herzustellen. Indem sie diesen anschließend ihrem Lesepublikum pr¨asentierten, konnten Reisende zum einen ihr Wissen darstellen, zum anderen konnten sie die Deutungshoheit u¨ bernehmen und durch den Prozess des Schreibens die letzten Unsicherheiten ausr¨aumen. Wie beispielsweise die Reihenfolge der Kava-Ausgabe funktionierte, mochten die Reisenden vielleicht vom Prinzip her verstehen, waren aber nicht in der Lage, diese Reihenfolge selber zu benennen. F¨ur den Reisebericht war aber nur die passive Rezeption von Bedeutung. Alles, was in der Schilderung z¨ahlte, war die Tatsache, dass sie selber als Ehrengast einen der ersten Becher erhielten und das mit der Logik der Becherausgabe begr¨unden konnten. Genauso bei der Siva: Der tiefere Sinn der Tanzdarbietung erschloss sich den Autorinnen und Autoren nicht, die Beschreibungen schwankten zwischen pantomimischer Darstellung‘ ’ und reinen Gymnastik¨ubungen‘. In der Schilderung f¨ur die Heimat setzte sich aber die ’ sexuelle Projektionsfl¨ache durch den sich steigernden Charakter des Tanzes durch. Die Taupou erf¨ullte dabei das vorher bereits konstruierte Weiblichkeitsmodell. W¨ahrend Teile der Kava-Zeremonie den Weißen noch nachahmungswert erschienen, so berichtet keiner der Autorinnen oder Autoren davon, an einer Siva aktiv beteiligt gewesen zu sein. Anders verhielt es sich beim Palolo-Fang. Hieran partizipierten die Weißen ohne gleichzeitig die Abgrenzung zum Eigenen vorzunehmen. Fast schien es, als begegneten sie hier dem – wie Genthe sagen w¨urde – echten‘ Samoa, ohne es zu ’ bemerken. In dieser Situation zeichnet sich ein besonderes Zusammengeh¨origkeitsgef¨uhl zwischen Samoanerinnen und Samoanern und ihren Weißen G¨asten ab, das an anderen Stellen wesentlich st¨arker durch den kolonialen Kontext gepr¨agt und hierarchisiert war.

246 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

5.3 B ESUCHE

¨ BEIM H OCHSTEN

¨ ¨ W URDENTR AGER

Die Reisenden kamen durch ihren Aufenthalt auf Samoa zwangsl¨aufig mit dem dortigen Gesellschaftssystem in Ber¨uhrung. Auch wenn sich die Autorinnen und Autoren auf Samoa innerhalb eines europ¨aischen Rechts- und Verwaltungssystems bewegten, dessen Strukturen Missionen sowie europ¨aische Siedlerinnen und Siedler geschaffen hatten, beschrieben sie ebenfalls das parallele samoanische Gesellschaftssystem. Ohne dieses hier in die Tiefe gehend wiederzugeben, sei soviel gesagt, dass es wenig mit europ¨aischen Gesellschaftsund Staatsmodellen gemein hatte. (Staats-)Oberhaupt in Samoa war derjenige, der die meisten Titel auf sich vereinigen konnte. Von diesen Ehrentiteln gab es f¨unf verschiedene, die jeweils in Familienbesitz waren. Das Vereinigen mehrerer Titel auf einer Person f¨uhrte zu einer Art K¨onigsw¨urde, die als solche jedoch erst von den Missionaren eingef¨uhrt worden war.39 Samoa in seiner ” vorchristlichen Zeit kannte kein K¨onigtum, die Monarchie in der verderblichen Form des Wahlk¨onigtums ist eine Erfindung der Missionare, die im Jahre 1830 ihren Einzug auf den bis dahin fast v¨ollig unber¨uhrt gebliebenen Inseln hielten.“ (Genthe 1908: 12) Nach dem Besuch der Kommission 1899 wurde diese K¨onigsw¨urde‘ generell abge’ schafft und stattdessen der Titel des Alii Sili ( h¨ochster W¨urdentr¨ager‘) verliehen. Somit ’ sollte das samoanische Oberhaupt hierarchisch unter dem deutschen Gouverneur angesiedelt werden. Ungeachtet dessen sprachen die Texte vor und auch nach 1900 meist vom K¨onig‘, wenn sie entweder Malietoa Laupepa oder sp¨ater Mataafa beschrieben. ’

Malietoa Laupepa In zwei der fr¨uhen Reiseberichte wird von Besuchen bei Malietoa Laupepa als dem K¨onig‘ ’ gesprochen. Der eine Text stammt von William Churchward, der als offizieller britischer Berater f¨ur den samoanischen K¨onig‘ entsandt worden war, der andere von Otto Ehlers, ’ der den Munizipalit¨ats-Pr¨asidenten auf dessen Besuch zu Laupepa begleitete. Churchward wurde bei Malietoa Laupepa vorgeladen und beschrieb dessen Erscheinungsbild: I found him to be an intellectual and pleasant-looking man of about forty ” years of age, with a very agreeable und subdued manner of address, without the slightest suggestion of the savage about him.“ (Churchward 1887: 63) Die Kategorien, in denen Churchward urteilte, waren einerseits Aussehen und Verhalten, andererseits die Frage, ob er hier einem Wilden‘ gegen¨uberstehe. Obwohl Laupepas Erscheinungsbild pleasant’ ” looking“ und seine Art des Sprechens angenehm‘ bis unterw¨urfig‘ war, hielt Churchward ’ ’

39

Insofern bringt die Bezeichnung K¨onig‘ eine eurozentrische Staatsvorstellung und europ¨aische ’ Konstruktionsleistung zum Ausdruck, weshalb der Begriff im gesamten Text in einfachen Anf¨uhrungsstrichen verwendet wird.

¨ ¨ Besuche beim hochsten Wurdentr ager | 247 ¨

nach Anzeichen von Wildheit‘ Ausschau. Zugleich hatte er den Eindruck, in Laupepa ’ einem studious man“ gegen¨uberzustehen, eine Vermutung, die sich best¨atigen sollte, da ” dieser am Malua-College unterrichtet worden war (vgl. Churchward 1887: 63). Insofern gestand er Laupepa durchaus Intellekt und Bildungsf¨ahigkeit zu, was er durch dessen Bildungsbiografie best¨atigt sah. Dem zeremoniellen Ablauf gem¨aß wurde die Kava bereitet, bevor die Besprechung zwischen Laupepa, Churchward und f¨unfzig weiteren Herren begann (vgl. Churchward 1887: 64f.). Die aus Bananenbl¨attern gerollten Zigarren durfte Churchward als Nichtraucher nach seinem ersten Zug ablehnen: The King, however, ” seeing my embarrassment, signed me to put away the deadly selui‘, and I was not long ’ in obeying his Majesty’s first command.“ (Churchward 1887: 67) Hierin wird zum einen deutlich, dass Churchward die royale Bezeichnung King“ und his Majesty“ f¨ur Mailetoa ” ” Leupepa verwendete, und zum anderen, dass das Ablehnen von – in diesem Fall – einer Zigarre nicht als Bruch mit der H¨oflichkeitsetikette geahndet, sondern gestattet wurde. Ehlers gab eine umfassende Beschreibung Laupepas ab, die in Teilen mit der Churchwards u¨ bereinstimmt, andererseits aber widerspr¨uchlich ist. Der K¨onig, der ein niedliches, in europ¨aischem Stil erbautes, aus zwei gr¨oßeren Zimmern und zwei ” Schlafkammern bestehendes Holzh¨auschen bewohnt, empfing mich mit ausnehmender Freundlichkeit. Er ist allem Anscheine nach ein hoher Vierziger, wie alle seine Landsleute von hellbrauner Hautfarbe, wohlgebaut, mit gutm¨utigem, nicht sonderlich intelligentem Gesichtsausdruck, kleinem ergrauten Schnurrbart und graumeliertem, kurzgestutztem, aufrechtstehendem Haupthaar.“ (Ehlers 2008/1895: 85f.)

Ehlers’ Alterseinsch¨atzung deckt sich insofern mit der von Churchward, als er selbst gut zehn Jahre sp¨ater auf Samoa war. Im Vergleich der Hautfarbe erscheint der K¨onig‘ ’ gew¨ohnlich, er sei wie alle seine Landsleue“, hebe sich k¨orperlich nicht hervor, sei zudem ” freundlich und gutm¨utig. Gleichzeitig machte er auf Ehlers keinen intelligenten Eindruck, was Churchward anders beschrieben hatte. Um die feisten H¨uften trug er ein weißes Baumwollentuch und erschien nach unten stark genug ” dekolletiert, um selbst den weitgehendsten Anforderungen des Pfarrers Kneipp vollauf gerecht zu werden. Einfach wie die Gewandung Seiner Majest¨at ist auch die Einrichtung des K¨oniglichen Wohngemaches und Audienzsaales.“ (Ehlers 2008/1895: 86)

Deutlich wird die von Ehlers empfundene Einfachheit der Erscheinung, sowohl in der Person Malietoa Laupepas, als auch in der r¨aumlichen Ausstattung. Das Holzh¨auschen“ hatte ” Ehlers an fr¨uherer Stelle bereits als Palast[ ]‘ des K¨onigs Malietoas“ (Ehlers 2008/1895: ”’ 31) bezeichnet, und an dieser Stelle selbst in Anf¨uhrungsstriche gesetzt. Die Tatsache, dass es im europ¨aischen Stil erbaut war, diente Ehlers als Hinweis daf¨ur, wer an diesem Ort der eigentliche Machthaber war: die Weiße Verwaltung, nicht aber Laupepa selber.

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Ruft man sich zudem Ehlers’ Ankunftsschilderung in Erinnerung, bei der ihm die an Bord kommenden Samoaner durch ihre vollendet sch¨onen K¨orperformen“ und ihre malerische ” ” Tracht“ imponierten (Ehlers 2008/1895: 58), so wirkt die Schilderung des K¨onigs‘ mit dem ’ kurzen Baumwolltuch eher l¨acherlich. Doch trotz dieser wenig k¨oniglichen‘ Erscheinung ’ nutzte Ehlers seine Darstellung, um sich als Laupepa ebenb¨urtig zu pr¨asentieren. Ich begr¨ußte Seine Majest¨at nicht nur in seiner Eigenschaft als Landesherrn, sondern auch als ” Kollegen; denn gleich mir hat Malietoa große Reisen unternommen, wenn auch nicht in ganz so ungezwungener Weise wie ich, wof¨ur er aber andererseits den Vorteil hatte, seine Reisekosten vom Deutschen Reiche getragen zu sehen, w¨ahrend ich leider die meinigen aus eigenen Mitteln bestreiten muß.“ (Ehlers 2008/1895: 86)

Ehlers’ Aussage, Malietoa als Kollegen“ zu begr¨ußen, und sich mit ihm auf eine Stufe ” zu stellen, gleicht die Positionen der beiden M¨anner an. Die Kollegialit¨at und damit die Ebenb¨urtigkeit stellte er mit Bezug auf das Reisen her, wohl wissend, dass Laupepa seinerzeit unfreiwillig ins Exil geschickt worden war, w¨ahrend Ehlers seine Reise spontan und aus Neugierde antrat, weil Samoa in den Zeitungen so pr¨asent war (vgl. Ehlers 2008/1895: 9f.).40 Ehlers’ Aussage funktioniert in zwei Richtungen: Zum einen bringt sie seine Selbstverortung zum Ausdruck, dass er einem K¨onig‘ a¨ hnlich sei, zum anderen konstruiert sie ’ Laupepa als gew¨ohnlichen Reisenden. In beiden F¨allen dient die Darstellungsstrategie der Entthronung und Entm¨annlichung Laupepas. Ehlers tat dies auch, indem er – als Einziger – die Frau Laupepas und deren Beziehung beschrieb. [Ihre Majest¨at die K¨onigin] mag einst, bevor sie mit Zepter und Krone gespielt hat, schlank wie eine ” Tanne gewesen sein, heute ist sie keine Sylphe41 mehr, sondern im Gegenteil rund wie eine Tonne. Auch daß es ihr nicht an der n¨otigen Energie mangelt, ihrem Gatten zu Zeiten das Zepter aus der Hand zu nehmen, erkennt man auf den ersten Blick, und ich w¨urde sogar so weit gehen, zu behaupten, daß sie die K¨oniglichen Hosen anhat und den Pantoffel schwingt, wenn es in Samoa Hosen und Pantoffeln g¨abe.“ (Ehlers 2008/1895: 88)

Mit dieser Darstellung untergrub Ehlers zus¨atzlich die eigentlich respektgebietende Figur Laupepa, der nicht nur Spielfigur der Kolonialm¨achte, sondern auch seiner eigenen Frau war. Mit seinem Blick auf die Geschlechterverh¨altnisse zwischen Laupepa und seiner Frau und der immanenten Vorstellung b¨urgerlicher Paarbeziehungen, in denen die Frau dem Manne untertan war, gelingt es Ehlers jedoch, den Fokus weg von der mythischen Aufladung

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Zu dem Zeitpunkt hielt er sich gerade in Sri Lanka auf und traf spontan den Entschluss, nach Samoa zu fahren (vgl. Ehlers 2008/1895: 9f.).

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Ein Naturgeist mit einem sehr filigranen K¨orper.

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der S¨udseebewohnenden zu verschieben, hin zu einer – noch immer stereotypisierten – Darstellung, die aber einer verkl¨arenden Komponente entbehrt.

Mataafa ¨ Ahnlich sahen die Darstellungen Mataafas aus, dabei unterlagen die Zusammenk¨unfte mit Mataafa einer wechselhaften Geschichte. Robert Louis Stevenson, Siegfried Genthe, Richard Deeken und Ernst von Hesse Wartegg beschrieben jeweils ihren Besuch bei Mataafa. Bartlett Tripp hatte durch seine Kommissionsarbeit Kontakt zu Mataafa, lernte ihn als Verhandlungspartner und rebel king“ kennen (Tripp 1911: 24, Abb.). ” Wie schon bei Malietoa Laupepa begannen die Beschreibungen Mataafas zun¨achst bei seinem Aussehen und seinen Eigenschaften. Bei Stevenson lautete das folgendermaßen: Tall but not heavy, with eager eyes and a marked appearance of courage and capacity, ” Mataafa makes an admirable figure in the eyes of Europeans; to those of his countrymen, he may seem not always to preserve that quiescence of manner which is thought becoming in the great.“ (Stevenson 1895/1892: 158) W¨ahrend europ¨aische Menschen in Mataafa eine bewundernswerte‘ Pers¨onlichkeit ’ sahen, legte Stevenson den Samoanerinnen und Samoanern eine andere Wahrnehmung in den Mund, die jene in sich ruhende Haltung“ vermissten, die man großen M¨annern ” ” als geziemend erachtet“ (Stevenson 2001/1892: 121). Sp¨ater erg¨anzte er: He is of a tall ” and powerful person, sixty years of age, white-haired and with a white moustache; his eyes bright and quiet; his jaw perceptibly underhung, which gives him something of the impression of a benevolent mastiff; his manners dignified and a thought insinuating, with an air of a Catholic prelate.“ (Stevenson 1895/1892: 312) Obwohl Stevenson den Ruf hatte, sich sehr f¨ur die samoanische Bev¨olkerung einzusetzen und diese besonders positiv zu schildern, bediente auch er sich europ¨aischer Darstellungsstrategien. Die Beschreibung als benevolent mastiff“, als gutm¨utige Dogge‘, ” ’ ist dabei noch der augenscheinlichste Vergleich, der den ansonsten als tall and powerful“ ” geschilderten Mann wieder relativiert. Die Altersangabe ist, wie bei Malietoa Laupepa, eine Sch¨atzung, deren Beleg schwierig ist.42 Mataafa war zudem bekennender Katholik, was

42

Zieschank bemerkte, dass die Menschen auf Samoa ihre genauen Geburtsdaten nicht kannten: [D]as Land tr¨agt ein immergr¨unes Kleid, weshalb es ziemlich begreiflich ist, daß die Eingeborenen ” selten ihr Alter genau anzugeben wissen. (Sie rechnen gew¨ohnlich nach großen Ereignissen vor‘ ’ oder nach dem letzten Kriege‘ und a¨ hnlich.)“ (Zieschank 1918: 10) Churchward berichtete ’ ¨ Ahnliches: You may ask an old man to all appearance about eighty how old he is, and he will, ” after considerable thought, absurdly reply that he does not quite know, but may possibly be as much as eight or nine, although he will tell you that he is very aged.“ (Churchward 1887: 321f.) Hesse-Wartegg beschrieb, dass Mataafa auf die Frage nach seinem Alter und Geburtsort

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sich in seiner Gestik niederschlug. Auf Stevensons Beschreibung nahm Genthe direkten Bezug. Er [Mataafa, G. F.] ist ein echter Samoaner mit m¨achtigen Gliedmaßen, etwa 1,85 Meter hoch, und ” auf den breiten Schultern sitzt ein gewaltiger Kopf, der sehr an die bekannten Z¨uge Francesco Crispis erinnert, des italienischen Staatsmannes. Von der Seite gesehen, erscheint sein Sch¨adel etwas prognath, was Stevenson zu dem Vergleich mit der gutm¨utigen Buldogge‘ veranlaßte. Sieht man ihm aber in die ’ großen, klaren Augen, die ruhig und milde unter gewaltigen Augenbrauen hervorleuchten, so f¨uhlt man, daß in diesem massigen Sch¨adel nicht nur viel Klugheit, sondern auch G¨ute und Wohlwollen wohnt.“ (Genthe 1908: 172)

¨ Die angedeutete Ahnlichkeit zu Francesco Crispi (1818-1901) lag im Wesentlichen in den weißen Haaren und im markanten Bart begr¨undet. Wie schon bei den Beschreibungen der Landschaft war Genthe offenbar auf der Suche nach dem echten‘ Samoa, oder – wie ’ hier – nach einem echten‘ Samoaner. Anstatt aber auszuf¨uhren, was Mataafa zu einem ’ solchen machte, beschrieb Genthe Details, die eher untypisch f¨ur einen Samoaner waren; ¨ mit 1,85m war er gr¨oßer als samoanische M¨anner im Durchschnitt, und die Ahnlichkeit zu Crispi r¨uckte ihn eher in die N¨ahe europ¨aischer Erscheinungen. Ansonsten blieb Genthe bei Stevensons Beschreibungsform, nahm auf die gutm¨utige Bulldogge“ Bezug und beschrieb ” den Ausdruck der Augen und die ausgestrahlte G¨ute. Auch an anderer Stelle hatte er sich durchweg positiv u¨ ber Mataafa ge¨außert und betont, dass dieser einen hervorragenden ” Platz unter den großen H¨auptlingen dieses letzten unabh¨angigen F¨urstentums der S¨udsee“ einnahm (Genthe 1908: 167). Mit der Bezeichnung als F¨urstentum konnte Genthe sowohl auf die territoriale Gr¨oße Samoas anspielen, als auch auf das politische System. Die Benennung als unabh¨angig kann sich lediglich darauf beziehen, dass Samoa der letzte Inselstaat war, der von europ¨aischen M¨achten annektiert wurde, denn bereits zu Zeiten seines Besuches war Samoa nicht mehr unabh¨angig. Die Bezugsgr¨oße des Kompliments – n¨amlich die anderen H¨auptlinge“ dieses F¨urstentums, die in Bezug auf europ¨aische ” Geschicke keinerlei Machtposition hatten – l¨asst es bedeutungslos werden. Mataafa hatte Genthe zufolge in dieser Zeit eine bedeutende Rolle als Krieger und ” Staatsmann“ gespielt, was ihn zu dem interessantesten Vertreter der an klugen und kraftvol” len M¨annern so reichen polynesischen Rasse [machte, G. F.], zu einem wirklich großen Charakter, der Teilnahme und Bewunderung verdient“ (Genthe 1908: 167). Die Zuschreibungen als Krieger“ und Staatsmann“ wirken euphemistisch, da sie nur f¨ur eine verh¨altnism¨aßig ” ” kleine (territoriale wie machtpolitische) Sph¨are G¨ultigkeit besitzen. Dass Genthe seine Anerkennung u¨ ber diese Attribuierung zum Ausdruck bringt, zeigt jedoch, dass der Ausdruck

antwortete, er w¨are schon sehr alt, und wegen seines Geburtsortes m¨ußte er seine Eltern befragen, ” die aber leider schon tot sind“ (Hesse-Wartegg 1902: 227).

¨ ¨ Besuche beim hochsten Wurdentr ager | 251 ¨

von St¨arke und ein staatsm¨annisches Auftreten zu seinen Werten geh¨orte, genau wie die anschließend benannten Tugenden Klugheit und Kraft.43 Doch in der erneuten Betrachtung unter k¨orperlichen Sch¨onheitskriterien zeigte sich die Entm¨annlichungsstrategie der Weißen Herren: Nach unseren Begriffen ist Mataafa kein sch¨oner Mann, und von der Seite gesehen macht das große, ” fleischige Gesicht mit den starken Unterkiefern keinen besonders g¨unstigen Eindruck. Die Nase ist flach und breit, aber gerade das gilt seinen Landsleuten f¨ur sch¨on.“ (Genthe 1908: 172)

Dabei war es unerheblich, ob Mataafa nun nach europ¨aischen oder samoanischen Maßst¨aben als sch¨on anzusehen war oder nicht, aus Genthes Sicht war lediglich von Bedeutung, ihn u¨ berhaupt nach diesen Kriterien zu beurteilen. Genthe hatte dar¨uber hinaus die M¨oglichkeit wahrgenommen, an einem Fono, einer Versammlung der W¨urdentr¨ager, teilzunehmen. Aus rund f¨unfzig Personen bestand dieses Treffen, das die Funktion einer politischen Versammlung hatte. In diesem Kontext benannte er einige dieser Politiker mit Namen (vgl. Genthe 1908: 182f.). Genthes Vergleiche orientierten sich an der r¨omischen und griechischen Welt, wenn er von einem Gesicht wie ein r¨omischer Kaiser“ oder einem ” ” K¨orper wie Herkules“ sprach (Genthe 1908: 182). Es war eine echt homerische Szene. Die halbnackten Helden mit den gewaltigen Gliedmaßen, die ” sch¨onen Reden, die große offene hallenf¨ormige H¨utte am Wasser, das grelle Sonnenlicht draußen, gegen das sich die sitzenden Gestalten der Mitglieder des großen Rates wie scharfe Schattenrisse abhoben, und die wahrhaft epische Breite und W¨urde, womit sich alles in alten, festen Formen wie vor Jahrhunderten bewegte.“ (Genthe 1908: 184)

Durch die griechischen Bez¨uge bescheinigte Genthe der Versammlung etwas Altehrw¨urdiges von historischer Gr¨oße, etwas wonach insbesondere er w¨ahrend seines Auf-

43

Je europ¨aischer bzw. gebildeter sich ein Samoaner pr¨asentierte, umso st¨arker waren die Versuche, ihn wieder als unzivilisiert‘ darzustellen. Deutlich wird dies an einer Passage Genthes, bei ’ der es um einen Neffen Mataafas geht, der sowohl des Englischen, als auch des Franz¨osischen m¨achtig war und einige Worte Deutsch beherrschte: Es war recht sonderbar mit diesem auffallend ” sch¨onen, kr¨aftigen Wilden‘, der außer einem H¨uftentuch und einer Blumenkette um den Hals keine ’ weitere Kleidung trug, in glattem Englisch sprechen zu k¨onnen, das ihm gel¨aufig und fehlerfrei von den Lippen floß. Ja, der halbnackte Barbar mischte zu meiner grenzenlosen Bewunderung auch einiges Deutsch in seine Begr¨ußungsansprache, die er mit soviel Anstand und nat¨urlicher W¨urde vorbrachte, daß ich mich von meinem Erstaunen u¨ ber den Gegensatz zwischen seiner urwaldm¨aßigen Erscheinung [Herv. G. F.] und seinem gewandten Benehmen noch nicht erholt hatte, als er mich fragte: Ah, monsieur le docteur, est-ce que vous aimez mieux a converser en ’ franc(!)ais?‘ [Herv. i. O.]“ (Genthe 1908: 170)

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enthaltes immer wieder suchte.44 Gleichzeitig entr¨uckte er damit die Szene der Realit¨at, da sie f¨ur ihn f¨ur ein R¨uckblick in alte Zeiten, eine romantische Fiktion, darstellte. Die versammelten H¨auptlinge waren ohne Ausnahme, wie Mataafa selbst, große Krieger vor dem ” Herrn, die manchen Strauß unter sich selbst und gegen die Fremden ausgefochten und manche Narbe an ihren reckenhaften Leibern aufzuweisen hatten. Und hier saßen sie wie die Abgesandten europ¨aischer Großm¨achte, die Geschicke ihres Landes miteinander beratend und bereitend.“ (Genthe 1908: 184)

Der abschließende Vergleich mit europ¨aischen Großm¨achten verkehrt sich nach den vorangegangenen Beschreibungen ins Gegenteil, da die Darstellungen als halbnackte Helden“ ” mit sch¨onen Reden“ im Sonnenlicht“ kontr¨ar zu den politischen Versammlungen in ” ” der Heimat wirken mussten. Die Ernsthaftigkeit der Szenerie versuchte Genthe zwar zu betonen, und auch seine eigene Begeisterung ob der Teilnahme an diesem Ereignis klingt durch; gleichzeitig bleibt er seiner eurozentristischen Sicht verhaftet. Die anwesenden Samoaner sind wie die Abgesandten europ¨aischer Großm¨achte“, ahmen diese aus Genthes ” Sicht nach. In der Nachahmung und in der bem¨uhten und bedeutungsvollen Ernsthaftigkeit einerseits, und der aus europ¨aischer Sicht geringen Tragweite des Fonos andererseits liegt ein Spannungsverh¨altnis, in dem Genthe durch seinen paternalistischen Grundton dem Verhalten der samoanischen M¨anner Kindlichkeit‘ unterstellt. Dies verharmloste zum ’ einen den Zweck des Fonos als politisches Gremium, spielte dessen Bedeutung herab, und verniedlichte zum anderen die samoanischen M¨anner, was letztlich wiederum ihre Unterlegenheit betonen sollte. Genthes Begegnungen mit Mataafa spielten sich im gleichen Zeitraum ab, in dem die internationale Kommission auf Samoa eingesetzt war. Bartlett Tripp als Mitglied der Kommission begegnete Mataafa in dieser Konfliktsituation, die er zu schlichten hatte. Bevor Tripp die Person Mataafas beschrieb, schilderte er zun¨achst den Hergang der K¨onigswahlen‘ als Grund f¨ur die Unruhen, die er trotz aller Studien zugab, nicht ganz ’ verstanden zu haben (vgl. Tripp 1911: 33ff.). Nun sollte er zwischen Mataafa und dessen Konkurrenten Tanu vermitteln, wie schon bei seiner Ankunft angeklungen (vgl. Tripp 1911: 45). Die erste pers¨onliche Begegnung erfolgte an Bord der Badger‘, wohin Mataafa im ’ Zuge der Verhandlungen geladen wurde, und wohin er mit dreizehn Begleitern kam. Seine Kleidung fiel Tripp als erstes auf: Mataafa was clad in a long white robe which came down to his feet and was partially gathered at the ” waist by some form of belt but flowing somewhat loosely about his large stalwart form, giving him, with his dignified mien and presence, something of the appearance of a Roman Senator.“ (Tripp 1911: 54)

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Vergleiche Kapitel 4.2.3.

¨ ¨ Besuche beim hochsten Wurdentr ager | 253 ¨

Offensichtlich fiel es Tripp schwer, die Erscheinung Mataafas in passende Worte zu fassen, erkennbar an seinen umschreibenden Worten some form“, somewhat loosely“ und so” ” ” mething of the appearance“.45 Der Vergleich mit einem r¨omischen Senator positionierte Mataafa dagegen deutlich innerhalb einer europ¨aischen Geschichte, in der die r¨omischen Senatoren m¨achtige Politiker waren, und den R¨omern bedeutende Kriegsk¨unste zugesprochen wurden. Damit entsprach Mataafa dem, was Genthe oben Staatsmann und Krieger“ ” genannt hatte (Genthe 1908: 167). Die Darstellung Tripps zeigt, dass er Mataafa als Verhandlungspartner durchaus ernst nahm und – auf Verhandlungsebene – als ebenb¨urtig ansah. Daf¨ur sprechen sowohl die Abgrenzung zu den anderen chiefs“, die mit den Eigenschaften ” ihrer native race“ charakterisiert werden, statt mit europ¨aischen Entlehnungen (Tripp 1911: ” 54f.), als auch die Wiedergabe der Reden Mataafas w¨ahrend der Verhandlung (vgl. Tripp 1911: 59ff.).46 Richard Deeken begegnete Mataafa als die Inseln befriedet und geteilt waren, und begann seine Darstellung Mataafas, dem einer seiner ersten Besuche galt, zun¨achst a¨ hnlich positiv wie Genthe (vgl. Deeken 1901: 81). Mataafa ist ohne Frage eine der sympathischsten Pers¨onlichkeiten Samoas. Er genießt, besonders ” nach seiner Ernennung zum Alii Sili, bei dem weitaus gr¨oßten Teile des samoanischen Volkes unumschr¨anktes k¨onigliches Ansehen, obgleich anderseits jeder Samoaner ganz genau weiß, daß nur Se. Majest¨at der Deutsche Kaiser Herrscher u¨ ber Samoa ist, und auf seine j¨ungst erworbene Zugeh¨origkeit zum Deutschen Reiche nicht weniger stolz ist.“ (Deeken 1901: 81)

Deeken unterstellte an dieser Stelle zun¨achst, dass jeder Samoaner und jede Samoanerin sich bewusst sei, dass ihr Herrscher nun der Kaiser im fernen Deutschland sei. Zudem legte er ihnen ein Zugeh¨origkeitsgef¨uhl samt Stolz in den Mund, was der Praxis des Sprechens f¨ur die samoanische Bev¨olkerung entspricht, und vorrangig f¨ur das heimatliche Lesepublikum gedacht war. Insofern verfolgte Deeken dieselbe Intention wie Genthe: einerseits zwar das Vorhandensein politischer Strukturen und auch die eigene Position als Weißer Mann

Weniger Probleme hatte er bei den 13 Begleitern Mataafas, die offenbar mehr seinen Erwartungen entsprachen: His thirteen chiefs were naked except the lava lavas or loin cloths about their ” persons. Their bodies were freshly oiled [. . . ], and the splendid muscels of the limbs and body were displayed to best advantage by their native dignity of carriage, which is a distinguishing feature of their race.“ (Tripp 1911: 54f.) Die Kleidung der chiefs‘ konnte Tripp eindeutig als ’ Lava Lava ausmachen, und auch der Anblick der einge¨olten K¨orper war ein bekannter Anblick f¨ur ihn, da er diesen sogleich mit der native dignity“ in Verbindung bringen konnte. ” 46 Dies entspricht zugleich einer Authentifizierungsstrategie, die Tripps Schilderungen als wahr‘ ’ herausstellen soll. Auch wenn es der Praktik des Sprechens f¨ur entspricht, dr¨uckt die Wiedergabe des Wortlauts an dieser Stelle eher Tripps Wunsch aus, seine geleistete Arbeit als gewissenhaft und sorgf¨altig darzustellen.

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in diesem Gef¨uge darzustellen, andererseits jedoch die Eingliederung des samoanischen Systems in ein gr¨oßeres – in diesem Fall das Deutsche Kaiserreich – und die Loyalit¨at ¨ gegen¨uber dessen Oberhaupt, dem Kaiser, zu betonen. Ahnlich ist die Beschreibung des Gegenbesuchs Mataafas in der Villa Vailima zu bewerten: Darin waren jedoch alle ei” nig, daß der Uebergang Samoas in deutschen Besitz f¨ur dieses ein großes Gl¨uck sei. Se. Majest¨at der deutsche [!] Kaiser genießt zweifellos die aufrichtigste Liebe dieser seiner ¨ neuesten Unterthanen.“ (Deeken 1901: 90) Ahnlich Genthes Darstellung attestierte Deeken Mataafa eine aufrechte kriegerische Haltung“ sowie ein w¨urdevolles Benehmen“, was ” ” einen imponierenden Eindruck“ auf seine G¨aste mache (Deeken 1901: 84). Schließlich ” offenbart sich in den folgenden beiden Zitaten noch die vermeintliche R¨uckst¨andigkeit der samoanischen Ausstattung: Da die Samoaner sich stets mit u¨ bergeschlagenen Beinen auf ” den Boden setzen, so giebt es in der Residenz Mataafas auch keine St¨uhle und ebenfalls keinen Tisch.“ (Deeken 1901: 85) Deeken zeigt seine Selbstverortung in diesem Kontext und erl¨autert die Ehre, die ihm erwiesen wurde: Mataafa lud mich mit einer eleganten ” Handbewegung ein, auf seiner Sitzmatte Platz zu nehmen, was bei den Samoanern als eine besondere Auszeichnung gilt.“ (Deeken 1901: 86) Insofern verfolgte Deeken eine a¨ hnliche Darstellungsstrategie wie Otto Ehlers, die abwechselnd die Aufwertung der eigenen, und die Abwertung der anderen Person beabsichtigte. Im Gegensatz zu den bisherigen Autoren, denen die Bezeichnung K¨onig‘ und Seine ’ ’ Majest¨at‘ leicht u¨ ber die Lippen gingen, vermied Ernst von Hesse-Wartegg es, Mataafa als K¨onig‘ der samoanischen Bev¨olkerung zu bezeichnen. Stattdessen bevorzugte er ’ die Bezeichnung H¨auptling‘ oder Oberh¨auptling“ (Hesse-Wartegg 1902: 223). Auch ’ ” ¨ Charlie Taylor, erkl¨arte er, dass diesem doch mit Blick auf den offiziellen Ubersetzer, beigebracht werden solle, dass Mataafa nicht K¨onig Samoas von Gottes Gnaden ist, ” sondern einfach ein Oberh¨auptling von Gouverneurs Gnaden‘, der eine j¨ahrliche Apanage ’ von dreitausend Mark erh¨alt [Herv. G. F.]“ (Hesse-Wartegg 1902: 224). Im Prinzip lag Hesse-Wartegg mit seiner Kritik richtig, denn die K¨onigsw¨urde‘ war seit dem Besuch der ’ zweiten Samoa-Kommission tats¨achlich abgeschafft und stattdessen der Titel des Alii Sili eingef¨uhrt worden. Diese Betrachtungsweise vernachl¨assigt jedoch, dass Mataafa nicht erst seit der Ankunft der Weißen eine herausragende Position in der samoanischen Bev¨olkerung besaß. Insofern war die Ernennung durch den Gouverneur bei Weitem nicht die einzige Legitimation, derer sich Mataafa sicher sein konnte. Hesse-Wartegg weist mit Vehemenz ¨ auf die vermeintliche Uberbewertung Mataafas hin. Bedauerlicherweise ist von mancher Seite mit Mataafa viel zu viel Aufhebens gemacht worden; man ” hat diesen schlauen, u¨ brigens sonst ganz biederen Kanaken in der That wie einen F¨ursten behandelt, so daß er anf¨angt, es selbst zu glauben, und der Gouverneur hat seine liebe Not, dem Karnickel wieder den europ¨aischen F¨urstenmantel abzunehmen, welcher ihm, fig¨urlich gesprochen, im Laufe der j¨ungsten Zeit umgeh¨angt worden ist.“ (Hesse-Wartegg 1902: 224)

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Hesse-Warteggs Geringsch¨atzung richtete sich einerseits gegen Mataafa selbst, den er als Kanaken“ und Karnickel“ beschimpfte, zugleich andererseits gegen diejenigen – insbeson” ” dere Europ¨aer – die Mataafa hofiert hatten. Widerspr¨uchlich wurden seine Ausf¨uhrungen jedoch sp¨atestens dann, als Hesse-Wartegg selber den Besuch bei Mataafa machte, auch wenn er sich alle M¨uhe gab, diesen Besuch in seiner Bedeutung herabzuspielen. Betritt ein Gast das Haus, so werden von den M¨adchen sofort feine Matten u¨ ber den Kiesboden ” gebreitet, und das geschah auch, als ich unangemeldet die H¨utte Mataafas betrat. Um Audienz bitten giebt es hier nicht. Der K¨onig‘ kann sich auch nicht verleugnen lassen, denn man erblickt schon von ’ weitem alle unter dem Flugdach anwesenden Personen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 225)

Hesse-Wartegg schilderte den nun folgenden Besuch bei Mataafa bem¨uht lapidar, doch wirkt die betonte Bedeutungslosigkeit, die er Mataafa zusprach und die gleichzeitige Positionierung als sein Ehrengast angestrengt. Er [Mataafa, G. F.] saß mit nacktem Oberk¨orper und gekreuzten nackten Beinen auf seinen Matten ” an einem Ende der Plattform allein; ihm gegen¨uber am anderen Ende kauerten ein paar Leute seines Hofstaats‘, darunter der Salelefi oder Hofnarr‘. Bei meinem Eintritt erhob sich der stattliche alte Herr ’ ’ vom Boden, reichte mir die Rechte und lud mich ein, neben ihm auf den Matten Platz zu nehmen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 225f.)

Zun¨achst grenzte sich Hesse-Wartegg also durch die Schilderung Mataafas als nackt“ ” ab, auch setzte er den Begriff Hofstaat in Anf¨uhrungsstriche, um sowohl Distanzierung ¨ als auch die Ubertreibung deutlich zu machen. Deeken zufolge erwies Mataafa HesseWartegg gleichwohl die Ehre, ihn zum Platznehmen neben sich auf den Matten einzuladen. Die schemenhaft skizzierte Unterhaltung zwischen den beiden M¨annern drehte sich um Belanglosigkeiten, wobei Hesse-Wartegg es sich nicht nehmen ließ, darauf hinzuweisen, dass Mataafa ihm seinen eigenen Kava-Becher anbot, aus welchem sonst niemand trinken ” darf“ (Hesse-Wartegg 1902: 227).

Zusammenfassung Die Reisenden begegneten w¨ahrend ihrer Aufenthalte dem samoanischen K¨onig‘ Malietoa ’ Laupepa und dem sp¨ateren Alii Sili Mataafa. Beide Beschreibungen Laupepas arbeiten ¨ sich zun¨achst an seinem Außeren und seinem Auftreten ab. Churchward fand keinerlei Anzeichen daf¨ur, einem Wilden‘ gegen¨uberzustehen, sondern einem intelligenten und ’ bildungsf¨ahigen Mann. Ehlers beurteilte dies anders; sein Fokus lag darauf, die eigene Weiße Vormachtstellung zu demonstrieren. Daf¨ur demontierte er Laupepas Stellung, indem er ihn als Reisenden, statt in seiner politischen Funktion, und zudem unter dem Pantoffel seiner Frau stehend, schilderte. Gleichzeitig wertete Ehlers seine eigene Position damit auf.

256 | Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa

Die Begegnungen mit dem sp¨ateren Machthaber Mataafa fanden in unterschiedlichen Kontexten statt. Auch er wurde zun¨achst mit Blick auf k¨orperliche Aspekte und seine ¨ Erscheinung beschrieben. Sein Außeres wurde mit verschiedenen Figuren der Politik- und Machtgeschichte konnotiert, sei es Franscesco Crispi, sei es ein katholischer Pr¨alat, griechischer Held oder r¨omischer Senator. Diese Bezeichnungen lassen sich in Genthes Worten unter Staatsmann und Krieger‘ zusammenfassen. Als solchen erlebte ihn insbesondere ’ Tripp, der mit ihm w¨ahrend der Unruhen Verhandlungen f¨uhren musste. Den einzigen Kontrapunkt stellt Hesse-Wartegg dar, der auf die u¨ berbewertete Rolle Mataafas hinwies und auf eine Betitelung als Oberh¨auptling‘ bestand. ’ Es sei Anja Hall zufolge bezeichnend, dass nur die Angeh¨origen der H¨auptlingsfamilien ” [. . . ] als ausgestaltete Figuren“ Eingang in die Schilderungen finden. Die eurozentristische Haltung komme darin besonders zum Tragen, da [n]ur Angeh¨orige der h¨ochsten ” Hierarchiestufe“ als ad¨aquate Partner“ angesehen wurden (Hall 2008: 150). ” Insgesamt zeigt sich in den jeweiligen Schilderungen der h¨ochsten samoanischen W¨urdentr¨ager, Malietoa Laupepa und Mataafa, die exemplarische Ausf¨uhrung der in den M¨annlichkeitskonstruktionen benannten Strategien. Es ist ein diffiziles Konstrukt von M¨annlichkeit, an dem sich die Autoren abarbeiten, bei dem es um die Bewahrung der eigenen hegemonialen Stellung (Connell) bei gleichzeitiger Unterordnung des Anderen geht. Dabei muss jedoch eine gewisse Ebenb¨urtigkeit‘ zun¨achst hergestellt werden, um ’ die eigene Leistung u¨ berhaupt zu legitimieren. Schließlich kann dar¨uber, den o¨ rtlichen Machthaber zu dominieren – und damit den Inbegriff von M¨annlichkeit auf der Insel –, die Weiße Herrschaft gesichert werden. Gleichzeitig nutzen die Autoren die Darstellungen durchaus zur pers¨onlichen Selbstverortung, indem sie herausstellen, dass sie beim K¨onig‘ empfangen wurden, dieser ihnen ’ sogar die Ehre erboten habe, mit ihm die Kava zu trinken und auf seiner Matte Platz zu nehmen. Selbst bei Hesse-Wartegg erf¨ullt die Schilderung die gleiche Funktion, denn er stellt sich in der Position dar, den fremden K¨onig‘ in die Schranken weisen und dessen ’ Stellung beurteilen zu k¨onnen. Das authentifizierte die Reiseberichte und war f¨ur das Lesepublikum attraktiv. Die jeweiligen Besuche beim h¨ochsten W¨urdentr¨ager k¨onnen insgesamt als Antritts’ besuche‘ verstanden werden. Mit dieser Perspektive wird zum einen deutlich, dass die Autoren, die entsprechende Begegnungen schilderten, ihre Reise in politischer Funktion oder mit Mandat wahrnahmen: wahlweise mit journalistischem Interesse, politischem Amt oder auch schriftstellerischer T¨atigkeit. Zum anderen l¨asst sich damit erkl¨aren, dass bei den drei Autorinnen jegliche Schilderungen dieser Besuche fehlen, da sie keine eigene politische Funktion besaßen, sondern sich entweder als Begleiterinnen ihrer M¨anner oder als Besucherinnen Stevensons bewegten.

6 Kolonialherren‘ dreier Nationen ’ Ihr Besitz in diesen fernen Gegenden ist unzweifelhaft ” ein bedeutender Faktor f¨ur das a¨ ußere Ansehen Deutschlands im Rate der V¨olker, und auch das halte ich f¨ur einen idealen Wert, daß Deutschland hier in die Lage versetzt wird, kleine Paradiese der Erde vor ihrer Vernichtung zu sch¨utzen.“ G EORG W EGENER 1903: 148

Kolonialreisende arbeiteten sich nicht nur an Vorstellungen u¨ ber die Inselwelt und das Spannungsfeld von Papalagi-Life und Fa’a Samoa ab – gerade Samoa bot auf engstem Raum die Auseinandersetzung mit dem Eigenen in Bezug auf die Nationalit¨at. Besonders hier verflochten sich im Sinne der entangled histories die Geschichte(n) dreier Kolonialherren‘. ’ Kapitel 6.1 widmet sich dem Missionswesen, das maßgeblich von englischsprachigen Nationen getragen wurde und daher die Kritik der deutschen Reisenden herausforderte. Schilderungen der Besuche in den Missionsschulen und der deutschen Schule sowie ¨ Uberlegungen zum Schulwesen (6.2) fanden ihren Platz in den Texten, wozu vor allem die Debatte um die Frage der Bildungsf¨ahigkeit der samoanischen Bev¨olkerung geh¨orte. Internationale Befindlichkeiten, die in den vorangegangenen Kapiteln bereits anklangen, werden in Kapitel 6.3 diskutiert. Die eigene Abgrenzung erfolgte nicht nur gegen¨uber der einheimischen Bev¨olkerung, sondern auch gegen¨uber der eigenen Herkunftsgesellschaft und den anderen Kolonialm¨achten und oszillierte zwischen Zivilisationskritik und Schutzauftrag (6.4). Schließlich r¨uckt die besondere Stellung der deutschen Frau als Kulturtr¨agerin (6.5) in den Fokus, der sich insbesondere Frieda Zieschank verpflichtet f¨uhlte.

258 | Kolonialherren‘ dreier Nationen ’

6.1 D IE G ESCHICHTE

DES

M ISSIONSWESENS

AUF

S AMOA

Missionare waren auf Samoa lange vor den Handelsh¨ausern und Weißen Siedlerinnen und Siedlern ans¨assig. Zum Zeitpunkt der Inselteilung konnten die Missionare der LMS schon auf eine fast 70-j¨ahrige Geschichte zur¨uckblicken, und auch andere Missionen wie die WMS und die Maristen hatten eine entsprechende Infrastruktur ausgebildet (vgl. Kapitel 3.2). Einen besonderen Einblick ins Missionswesens gew¨ahren die Schriften der beiden Missionare George Brown und Victor Arnold Barradale. Brown beschreibt die Zust¨ande seiner Zeit auf Samoa zwischen 1860 und 1874, Barradale die Verh¨altnisse um 19001 . W¨ahrend die beiden mit dreißig bis vierzig Jahren Abstand2 die Innensicht der Missionsarbeit schildern, spiegeln Darstellungen der anderen Autorinnen und Autoren die Außensicht auf die Missionen und deren Handeln wider. Als Brown auf Samoa ankam, hatte die Inselgruppe bereits eine rund dreißigj¨ahrige Missionierungsgeschichte hinter sich. Kirchen und Stationen waren errichtet, das Theologische Institut Malua gegr¨undet und diverse Schulen leisteten seit Jahren ihre Arbeit. Auch existierte eine Bibel auf Samoanisch, die die Arbeit vor Ort erleichterte. Seine eigene Sprachkenntnis des Samoanischen empfand Brown als Bindeglied zwischen sich und der Bev¨olkerung, die ihm eine positive Aufnahme und Akzeptanz erm¨oglichte: I may say, ” without egotism, that I was very popular with the people, and I always feel thankful that I still retain their confidence and love. Amongst the causes of my kindly treatment by the Samoans was the fact that I readily acquired sufficient of their language to speak and preach to them.“ (Brown 2013/1908: 31) Brown befand sich in seiner Rolle als Missionar im st¨andigen Kontakt zu der einheimi¨ schen Bev¨olkerung. Uber die Verbreitung des Christentums machte er sich keine Illusionen: When I began my work in Samoa most of the people were professing Christians, though ” with many of our people in the outlying parts of Savaii this was only a profession, and heathen practices and dances were still carried on by them.“ (Brown 2013/1908: 35) Die Kombination aus bekennendem Christentum und gleichzeitiger Ausf¨uhrung heid’ nischer‘ Rituale war insbesondere auf Savai’i u¨ blich, wo Brown stationiert war. Dennoch waren lediglich ein alter Chief‘ und einige Mitglieder seiner Familie noch bekennende ’

1

Barradale war drei Jahre auf Samoa, genaue Jahresangaben sind seinem Text nicht zu entnehmen, aber das Aufziehen der deutschen Flagge am 1. M¨arz 1900 erlebte er vor Ort (vgl. Barradale 1907: 54).

2

Obwohl ihre Aufenthalte auf Samoa rund 40 Jahre auseinander liegen, wurden ihre Schilderungen kurz nacheinander 1907 (Barradale) und 1908 (Brown) ver¨offentlicht. Dies liegt u. a. im autobiografischen Ansatz Browns begr¨undet, der sein ganzes Leben schildert.

Die Geschichte des Missionswesens auf Samoa | 259

Heiden. Brown versuchte zwar, diese zu bekehren, aber ohne Erfolg (vgl. Brown 2013/1908: 35). Neben seinen allt¨aglichen Aufgaben lag einer von Browns Arbeitsschwerpunkten im ¨ Unterrichten an einer Schule in Satupaitea, deren Besuch auf den Ubergang in die Missionsschule in Lufilufi vorbereiten sollte (vgl. Brown 2013/1908: 31). Unterst¨utzt wurde Brown an der Schule, aber auch in seiner sonstigen Arbeit, von native teachers‘, die in ’ den Missionsschulen gelernt hatten, und nun eigene missionarische Arbeiten u¨ bernehmen konnten. Diese ausgepr¨agte Infrastruktur auf Basis einheimischer ausgebildeter Prediger und ordinierter Priester, wie auch Barradale sie schilderte, wurde in den weiteren Reiseberichten so gut wie nicht thematisiert.3 It may not have occurred to you that there are brown ” missionaries as well as white doing the work of God and obeying the great command of our Lord, but some of the hardest and noblest work in the South Seas has been done by brown missionaries [Herv. i. O.].“ (Barradale 1907: 27) Barradale sah eine wesentliche Leistung der Missionen darin, den Menschen durch Erziehung und Schulbildung eine sinnvolle Art der Bet¨atigung aufzuzeigen. Denn in Alt-Samoa [t]hese Samoan children grew up to be idle and ignorant; they could not read or write; in fact, there ” was no language they could write and no books for them to read! But not only did they grow up to be ignorant and idle; they became wicked too, because they were idle. [. . . ] They had little to do because they did not know how to do much, and so they got into all sorts of mischief and lived very bad lives“ (Barradale 1907: 47).

Die geschilderte Unt¨atigkeit der Kinder entsprach den Vorstellungen des Menschenbildes, die darauf abzielten, die samoanische Bev¨olkerung als faul darzustellen, weil sie f¨ur ihren Lebensunterhalt nicht zu arbeiten brauchten, und laut Barradales Vorstellung nicht wussten, was sie tun sollten. Diesem Zustand konnten die Missionen abhelfen. Now the missionaries have built many schools, and written many Samoan books, and are teaching the ” people carpentry and printing and gardening and other useful trades. A large number of the men, and most of the boys and girls in the mission schools, know much more than their fathers and grandfathers did. They know how to use their hands and their brains, and to occupy their time profitably; and, as a result, they will grow up to be better men and women than those who had no schooling at all.“ (Barradale 1907: 47)

3

Lediglich Churchward bildete eine Ausnahme: These Samoan teachers are to be found almost ” everywhere, and most invaribly well sustain the best characteristics of the amiable nation to which they belong, and do credit to the noble efforts of the gentlemen who have rescued them from ignorance and heathendom.“ (Churchward 1887: 80f.)

260 | Kolonialherren‘ dreier Nationen ’

Das, was hier als Erfolgsgeschichte der Missionen dargestellt wurde, hatte weitreichende Konsequenzen. Hinter der Vermittlung von Kenntnissen im Schreiner- und Druckerhandwerk sowie im G¨artnern steht nicht nur eine – aus europ¨aischer Sicht – Verbesserung des Lebensstandards, sondern die Indoktrinierung europ¨aischer Werte. Es wurde u¨ berhaupt erst ein Begriff von Zeit‘ eingef¨uhrt und die vorhandene Zeit sollte sinnvoll‘ genutzt werden. ’ ’ Nutzen‘ und N¨utzlichkeit‘ standen als Werte im Vordergrund. ’ ’ Durch den gezielten Anbau von Pflanzen wurde nicht mehr nur f¨ur den Eigenbedarf produziert, sondern ein Mehrwert geschaffen. Hier wurden also kapitalistische Grundwerte eingef¨uhrt. Die Erziehung‘ der samoanischen Bev¨olkerung zur geregelten Arbeit erleichterte es ’ den sich ansiedelnden Firmen und Gewerben, diese als Arbeitskr¨afte zu gewinnen – was sich aber bis zuletzt als schwierig herausstellen sollte. Die Einf¨uhrung einer Druckerpresse diente der Verbreitung von Missionszeitschriften und der samoanischen Bibel. Grundlegender war aber die Tatsache, dass einer bis dahin m¨undlichen Kultur nun eine Schriftkultur gegeben wurde. Wie Barradale beschreibt, wurden von den Missionen B¨ucher auf Samoanisch geschrieben, es wurde eine Grammatik verfasst und nicht zuletzt die Bibel u¨ bersetzt. Dies alles hatte einschneidende Auswirkungen auf die samoanische Gesellschaft. Barradale zog ein Res¨umee der Missionsarbeit: The Samoans to-day have still many faults; they often quarrel, just like other people; but in spite ” of these things, they are happy and contented for the most part; they are courteous and polite and hospitable to one another, and to visitors from other lands. [. . . ] Superstitions are fast dying out. No longer do the people worship their old heathen gods, but instead many of them worship God and know Christ to be their Lord and Saviour.“ (Barradale 1907: 51)

Der Prozess der Christianisierung war also noch nicht abgeschlossen, doch die von Reisenden wahrnehmbaren Eigenschaften der samoanischen Bev¨olkerung stellte Barradale als Verdienst der Missionen dar, w¨ahrend andere Autorinnen und Autoren diese als nat¨urliche‘ ’ Eigenschaften der Samoanerinnen und Samoaner beschrieben hatten. Das So-Sein der samoanischen Bev¨olkerung vor der Missionierung l¨asst sich anhand Weißer Quellen nicht beobachten, daf¨ur aber die Instrumentalisierung der positiven Eigenschaften als Legitimation der eigenen (Mission-)Arbeit als Lichtbringer‘. Barradale ’ benutzte daf¨ur das g¨angige biblische Bild: The days of darkness have passed away“ 4 ”

4

Barradale bezieht sich hier auf den ersten Brief des Petrus, in dem es heißt: Ihr aber seid das ” auserw¨ahlte Geschlecht, die k¨onigliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, daß ihr verk¨undigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem

Die Geschichte des Missionswesens auf Samoa | 261

(Barradale 1907: 52). Das sp¨atere Kapitel Samoa: As it is“ schloss Barradale mit den ” Worten: [T]he best thing about this work is this, and this is what I hope you will remember: – by the printing, ” just as by the carpentry classes and the school for tropical gardening, the Samoans are being taught how to use their hands and brains and wisely spend their time. In these and other ways they are being kept out of mischief and sin, and are becoming better and wiser men.“ (Barradale 1907: 128)

Deutlich wird darin, dass die Missionen die Deutungshoheit u¨ ber ein erf¨ulltes und gl¨uckliches Leben beanspruchten, genau wie dar¨uber, was als S¨unde‘ zu ahnden war. ’ Die Vermittlung von handwerklichen T¨atigkeiten und das Wissen um den Gebrauch der eigenen H¨ande und des Kopfes machte die einheimische Bev¨olkerung zu besseren‘ und ’ vor allem weiseren‘ Menschen. Dementsprechend wenig Wert wurde auf das genuine ’ Wissen der Einheimischen gelegt, oder es wurde nicht als Wissen anerkannt. Obwohl Brown und Barradale immer wieder die christliche Botschaft des Friedens predigten und darauf einen guten Teil ihrer erfolgreichen Arbeit zur¨uckf¨uhrten, waren ihre – oder die missionarischen – Errungenschaften eher zivilisatorischer Art. F¨ur Churchward pers¨onlich spielten die Missionare eine ganz pragmatische Rolle zur Unterst¨utzung seiner politischen Arbeit. Er fand ihre Arbeit hilfreich und verteidigte sie in seiner Darstellung. I, personally, have found all missionaries that I have had the privilege of dealing with, men of sterling ” zeal and probity, interfering in no way in affairs beyond their strict sphere of action; and I am most happy to have an opportunity of acknowledging how greatly I am indebted to them for many little but important assistances in social Samoan problems, of interest to myself and most useful in directing my public relations with the natives.“ (Churchward 1887: 85)

Als eifrige‘ und rechtschaffende‘ Menschen bezeichnete Churchward die Missionare, die ’ ’ ihm insbesondere bei sozialen Problemen assistierten und eine Br¨ucke zu den Einheimischen bauten. Richard Deeken dagegen bem¨angelte in seinem Bericht die Gespaltenheit der Missionslandschaft und wetterte gegen die Missionen. Anscheinend gab es um die Jahrhundertwende einen Disput um die nicht-deutschen Missionsgesellschaften auf Samoa. G¨unter Kurze zufolge waren es vorrangig Otto E. Ehlers, Bernhard von B¨ulow und Franz Reinecke, die die negative Darstellung befeuerten. In seiner Schrift Samoa. Das Land, die Leute und die Mission“ (Kurze 1900) versuchte er ” in seinem letzten Kapitel, mit diesen aufzur¨aumen und eine Gegendarstellung zu verfassen

wunderbaren Licht [. . . ].“ (1. Petrus 1: 9) (Entsprechend auf Englisch: [. . . ] that you may declare ” the praises of him who called you out of darkness into his wonderful light.“)

262 | Kolonialherren‘ dreier Nationen ’

(vgl. Kurze 1900: 100ff.). Auch wenn Kurzes Text dem Deekens voranging, griff letzterer wieder a¨ hnliche Argumente wie seine Vorredner Ehlers, von B¨ulow und Reinecke auf. Haupts¨achlich kritisierte Deeken, dass die Rivalit¨at der Missionsgesellschaften zu einem zerrissenen Christentum f¨uhre, die Missionen nicht deutsch seien, dementsprechend keine deutschen‘ Werte vermitteln k¨onnten und (Spenden-)Gelder durch zweifelhafte ’ Absichten von Missionaren veruntreut w¨urden (vgl. Deeken 1901: 105ff.). Er bediente sich dazu einer eindr¨ucklichen Wortwahl: Ein Krebsschaden, an dem Samoa krankt und ” voraussichtlich stets kranken wird, ist das Vorhandensein zu vieler religi¨oser Bekenntnisse.“ (Deeken 1901: 105f.) Den legitimatorischen Anspruch seiner Aussage sicherte er sich u¨ ber die Erfahrungen, die er auf anderen S¨udseeinseln gemacht hatte: Was ich hier sage, ” habe ich in der ganzen S¨udsee best¨atigt gefunden, von Hawaii bis Neu-Seeland, von den Karolinen bis Samoa.“ (Deeken 1901: 111) Schließlich fasste er zusammen: Mit einem ” Worte, es ist emp¨orend, was religi¨oser Fanatismus und Habgier, deren die Mehrzahl der Missionare offen bezichtigt wird, auf Samoa zu Wege gebracht haben. M¨ussen derartige Zust¨ande nicht das Herz eines jeden Christen auf das tiefste betr¨uben?!“ (Deeken 1901: 107) Mit dem fragenden Ausruf holte er die Zustimmung seiner Leserinnen und Leser ein. Als weiteres emp¨orendes Beispiel schilderte er die Situation, dass die Feierlichkeiten zum Geburtstag des Kaisers von den Missionaren untersagt worden waren, da dieser auf einen Sonntag fiel. Im Grunde handelte es sich um die gleiche Problematik, wie sie auch Brown im Bezug auf den Fang und Verzehr des Palolo geschildert hatte. Da in der Angelegenheit des Palolo ein Umgehen des eigentlichen Verbots m¨oglich war, in der von Deeken geschilderten Situation jedoch nicht, sah Deeken darin einen gezielten Angriff der Missionen auf die deutsche Verwaltung. Das sind Intrigen, die unter dem Deckmantel ” der Religionen gegen die Person unseres Kaisers und damit gegen das gesamte deutsche Volk gerichtet sind. Ich u¨ berlasse es meinen Lesern, sich nunmehr selbst ein Urteil zu bilden.“ (Deeken 1901: 112) Auch hier rief Deeken das Lesepublikum um ein Urteil an. Eigentlich hatte er im letzten Kapitel noch der samoanischen Bev¨olkerung eine leichte ’ Erregbarkeit‘ (vgl. Deeken 1901: 74) bescheinigt – genau wie von anderen Autorinnen und Autoren ihre Empfindlichkeit bei Beleidigungen betont wurde –, offenbarte nun aber bei der vermeintlichen Respektlosigkeit dem Kaiser gegen¨uber seine eigene. Auch Zieschank erhoffte sich von den Missionen nicht nur die Erledigung der genuin christlichen Aufgaben, sondern zudem eine Festigung der Unterordnung unter die Weißen. Der Missionar hat die Seelen seiner Gemeinde v¨ollig in der Hand, und seine Aufgabe ist es, nicht nur ” die christliche Lehre zu verbreiten, sondern die Naturkinder auch der weißen Rasse, der herrschenden Nation, n¨aher zu bringen und ihr zu gewinnen. Und wie ist es damit hier bestellt? Es ist zum Weinen und das Herz wird einem bitterschwer, wenn man diese Zust¨ande mitansehen muß.“ (Zieschank 1918: 71)

Die Geschichte des Missionswesens auf Samoa | 263

Doch offenbar kamen die Missionsgesellschaften dem nicht im gew¨unschten Maße nach. Erschwert wurde Zieschanks Wunsch dadurch, dass es keine deutschen Missionsgesellschaften5 gab und sich trotz der gemeinsamen Konfessionalit¨at nationale Rivalit¨aten Bann brachen. Wer die Briten kennt, kann nicht glauben, daß sie jemals ihr Bestreben, englisches Wesen zu verbreiten, ” und ihren Sinn f¨ur business‘ verleugnen w¨urden. Da sitzen noch die alten Missionare im Lande, die ’ einst eifrig gegen die Deutschen intrigiert haben. Es ist nicht anzunehmen, daß sie das jetzt lassen k¨onnen, wenn es auch nur noch in versteckter Weise geschehen darf. Und w e n n sie es wirklich fertig br¨achten, das Hetzen aufzugeben, – darauf, f¨ur das Britentum zu wirken, verzichten sie bestimmt nicht! Und das kommt hier ziemlich auf dasselbe heraus! [Herv. i. O.]“ (Zieschank 1918: 72)

Sie vertrat eine a¨ hnliche Position wie Deeken, gerade was das Misstrauen gegen¨uber den nicht deutschen Missionaren anging. Dagegen hatte Hesse-Wartegg Kontakt zur katholischen Mission und a¨ ußerte sich durchweg positiv u¨ ber deren Bischof, Pierre Broyer, der von 1896-1918 (vgl. Wolters 2015) seinen Dienst auf Samoa tat, und er schrieb ihm einige Verdienste im Kontext der deutschen Regierungs¨ubernahme zu: Obschon Franzose, wie ” die Mehrzahl seiner Missionare, war er der erste, der sich der neu eingesetzten deutschen Regierung mit Rat und That zur Verf¨ugung stellte, im Gegensatz zu den englischen und amerikanischen Missionaren sofort in den Missionsschulen deutsch lehren ließ und die Herbeiziehung deutscher Missionare veranlasste.“ (Hesse-Wartegg 1902: 247) Broyers Einfluss sei es auch zu verdanken gewesen, dass die mit der Einf¨uhrung der deutschen ” Herrschaft verbundenen Umw¨alzungen so glatt und ohne St¨orung abgelaufen sind und Samoa sich seither politischer Ruhe erfreute“ (Hesse-Wartegg 1902: 247). Hesse-Wartegg hatte von Bischof Broyer weitreichende Unterst¨utzung bei seinem Vorhaben, die Insel auf diversen Wegen zu durchqueren, erhalten. Unter anderem hatte Broyer ihn beraten und Missionsdiener zur Verf¨ugung gestellt (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 247). Insgesamt beurteilte Hesse-Wartegg den Erfolg der Missionen eher skeptisch. Wie andere Autorinnen und Autoren auch, zeigte er auf, dass die Samoaner zwar dem Namen nach Christen waren, das Christentum aber nicht sonderlich tief verankert war. Christen sind die Samoaner alle, ohne Ausnahme. Ob sie den Begriff des wahren Christentums ” wirklich erfaßt haben, bezweifle ich. Nach der Art, wie die Kinder in den Schulen gedankenlos die

5

Die Missionsgesellschaften standen unter englischer, franz¨osischer oder US-amerikanischer Verwaltung (vgl. Kapitel 3.2). Deutsche Missionsgesellschaften wie die bayerisch-lutherische Neuendettelsauer und die Rheinische Missionsgesellschaft sowie die Liebenzeller Mission waren in Neuguinea bzw. auf den Karolinen niedergelassen (vgl. Reinhard 2013: 289). Lediglich einzelne deutsche Missionare wurden nach Samoa entsandt (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 247).

264 | Kolonialherren‘ dreier Nationen ’ christlichen Lehren auswendig lernen, und nach den Gespr¨achen, die ich mit Samoanern gepflegt habe, scheint mir das Christentum nur, wie der Engl¨ander sagt, skin deep zu sitzen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 305)

Denn trotz der Allgegenw¨artigkeit von Kirchen verschiedener Konfessionen, so HesseWartegg, seien die Bewohner dieser englisch-protestantischen D¨orfer in ihrem Leben, ” ihren Trachten und mitunter recht eigent¨umlichen Sitten die Alten geblieben.“ (HesseWartegg 1902: 281) Auch Greene dr¨uckte es a¨ hnlich aus: The Samoans are all, nominally ” at least [Herv. G. F.], Christians.“ (Greene 1896: 22) Georg Wegener betrachtete die Arbeit der Missionen gleichsam kritisch, auch wenn seine Kritik nicht so sehr auf die Alltagspraxen der Missionsarbeit, sondern mehr auf deren Nachhaltigkeit zielte, und er ihr insgesamt nur einen kurzen Abschnitt widmete: Die Samoaner sind heute ausnahmslos Christen, soweit man durch die Wassertaufe und sonnt¨agliches ” Beten und Singen mit Jacken und Strohh¨uten in einer Missionskirche Christ wird. [. . . ] Haben die Missionare zum Gl¨uck auf die alten Sitten ihren zerst¨orenden Einfluß nur zum Teil aus¨uben k¨onnen, so ist im Ged¨achtnis des heutigen Volkes von den alten mythologischen Anschauungen doch nur noch Weniges und Unklares zur¨uckgeblieben.“ (Wegener 1903: 48)

Wegener spielte mit den Jacken und Strohh¨uten“ auf die Bekleidung der Missionierten an. ” Die christianisierte Bev¨olkerung trug – zumindest zum Gottesdienst – Kleidung nach europ¨aischem Vorbild. Wegener kritisierte hier, dass eine Ver¨anderung des Erscheinungsbildes noch keinen Christen ausmache. Die alten Sitten‘, denen auch sein Forschungsinteresse ’ galt, hatten f¨ur ihn einen zu erhaltenden Wert, er verfiel hier dem Mythos des Urzustandes‘, ’ den es zu bewahren und zu erforschen gelte. Die mythologischen Anschauungen dagegen seien bereits zum gr¨oßten Teil verloren. Die Vorbereitungen der Samoanerinnen auf den w¨ochentlichen sonnt¨aglichen Gottesdienst beschrieb Churchward folgendermaßen: The native costume is soon thrown aside, when the preliminary snow-white garment takes its place, to ” be followed by petticoats, and over all a long flowing dress, generally of some gay-patterned muslin; and in course of time, amidst the almost deafening laughing, chattering, chaffing, and hooking and tying one another up, the bevy of damsels stands completely metamorphosed in semi-papalagi (foreign) costume [. . . ].“ (Churchward 1887: 265)

Churchwards Bezeichnung des Kost¨ums als semi-papalagi“ fiel in einen eigenartigen ” Zwischenraum. Einerseits war die Bekleidung der Samoanerinnen nicht mehr als origin¨ar‘ ’ samoanisch zu bezeichnen, andererseits war sie auch nicht vollst¨andig europ¨aisch. Churchward benutzte nicht die Bezeichnung semi-european‘, sondern das samoanische Wort ’ papalagi“. Damit kann er sich doppelt abgrenzen: Zum einen ist das Kost¨um nur halb“ ” ”

Die Geschichte des Missionswesens auf Samoa | 265

in seinem Stil. Zum anderen ist es das, was die Samoanerinnen f¨ur europ¨aisch halten; es ist ihre eigene Benennung f¨ur die Fremden. Somit stellte Churchward klar, dass die samoanischen Frauen auch in ihrer Verwandlung‘ nicht zu europ¨aischen Damen werden, ’ sondern lediglich verkleidet“ (kost¨umiert) bleiben. Dennoch gestand er den Damen zu, ” dass sie durch ihre Glaubenszugeh¨origkeit zu Schwestern“ der Weißen Damen in der Hei” mat wurden, wenn sie nach dem Gottesdienst ihren diversen Besch¨aftigungen nachgingen (vgl. Churchward 1887: 268). Seine Schilderungen drehen sich also um die Frage nach Echtheit und stellen eine gewisse Form der Mimikry dar. Die Samoanerinnen imitierten hier die Weißen Damen, sie verwandelten sich aber nicht in solche, da der Charakter der Kost¨umierung durchg¨angig erhalten blieb. Auf den gleichen Aspekt zielte Genthe mit seiner etwas u¨ berspitzten Darstellung ab. Und sieht er [der Missionar, G. F.] dann seine guten Sch¨aflein in der Kirche versammelt, ehrbar ” angetan mit dem Gewande der christlichen Kultur‘, dann mag sein Herz h¨oher schlagen in dem ’ Bewußtsein, einen großen Sieg errungen zu haben u¨ ber das finstere Heidentum mit seinen barbarischen Br¨auchen.“ (Genthe 1908: 50)

Mit dem Gewande der christlichen Kultur“ spielte Genthe auf die scheußlichen langen ” ” Nachtkittel[ ]“ (Genthe 1908: 50) an, mit denen die samoanischen Frauen sonntags in der Kirche zu erscheinen hatten. Insofern trifft seine Kritik einen a¨ hnlichen Punkt wie Wegener, n¨amlich den, dass der Grad der Christianisierung an der Bekleidung der Samoanerinnen und Samoaner abzulesen sei. Llewella Pierce Churchill erw¨ahnte in ihrem Text die Vielfalt der Religionsgemeinschaften, die jedoch ohne theologische Kontroversen untereinander ausk¨amen (vgl. Pierce Churchill 1902: 219). Damit lag ihre Einsch¨atzung kontr¨ar zu den bisherigen Darstellungen der deutschen Autoren. Sie sch¨atzte an den Missionen im Wesentlichen nicht nur die Christianisierung, sondern ebenso die damit einhergehende Literalisierung und Strukturierung des einheimischen Lebensalltags. Not only are the Samoans all Christians by name, they are a literate people and make a showing far ” ahead of communities much older and much more cultured. Excluding those who are so old that they had passed the learning age when school facilities were offered, it is safe to say that the Samoan who is unable to read, to write and to cipher is singular in his ignorance.“ (Pierce Churchill 1902: 220)

Tripp stimmte in der Bewertung der Missionen mit ihr u¨ berein. The missionaries establis” hed churches here very early, about 1840, and their work has been successful and its results of great benefit to these people. Nearly every native can read and write, and the people are generally moral and temperate in their habits of life.“ (Tripp 1911: 155)

266 | Kolonialherren‘ dreier Nationen ’

Die Punkte, die Pierce Churchill und Tripp ansprachen, betrafen keine Glaubens-, sondern Kulturaspekte. Lesen und Schreiben als Kulturform wurden in den eingef¨uhrten Schulen gelehrt; außerdem seien die Samoanerinnen und Samoaner nun auch in ihren Lebensgewohnheiten gem¨aßigt‘ und moralisch‘. M¨oglicherweise spielte hier noch eine ’ ’ alte Vorstellung der sittlich und moralisch verfallenen S¨udseeinseln eine Rolle.

Zusammenfassung Die Missionare waren im Grunde die ersten Weißen, die sich dauerhaft auf den s¨udpazifischen Inseln, auch auf Samoa, ansiedelten. Ihre genuine Aufgabe blieb nicht auf die Bekehrung und Verk¨undigung des Evangeliums beschr¨ankt, sondern erweiterte sich um die Etablierung europ¨aischer Normen und Werte und die damit einhergehende Zivilisierung‘ der einheimischen Bev¨olkerung. Insofern stellen die Missionare Brown und ’ Barradale vor allem die Einrichtung von Schulen als Erfolg der Missionsarbeit dar. Mit einem funktionierendem Schulwesen, das die Menschen alphabetisierte, ihnen die Begriffe von Zeit‘, Produktivit¨at‘ und damit N¨utzlichkeit‘ (Gr¨under spricht von Konsum“, ’ ’ ’ ” Bedarf“ und Luxus“ (vgl. Gr¨under 2001: 641)) und zudem handwerkliche F¨ahigkeiten ” ” vermittelte, war es zu verschmerzen, wenn sich die christlichen Gebr¨auche nicht allerorten durchsetzten und heidnische‘ Rituale noch immer praktiziert wurden. Der Anteil der ’ ” Mission bei der Umorientierung der einheimischen Gesellschaft von einer urspr¨unglich ¨ reinen Subsistenzwirtschaft zu einer an Uberschuß und Export orientierten o¨ konomischen Haltung war daher betr¨achtlich.“ (Gr¨under 2001: 641) Immerhin waren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nominell so gut wie alle Samoanerinnen und Samoaner Christen. F¨ur die politischen Amtsinhaber wie Churchward waren die Missionen eine hilfreiche Institution, die die Verbindung zur samoanischen Gesellschaft herstellen konnte. Auch Hesse-Wartegg profitierte von der Infrastruktur und Hilfestellung der franz¨osischen Mission und insbesondere ihres Bischofs Broyer. Doch gerade weil der Einflussbereich der Missionen die Religionsvermittlung weit u¨ berschritt, entz¨undeten sich schnell Konflikte aufgrund der unterschiedlichen nationalen Herkunft der Missionen und der politischen Verwaltung. Insbesondere in deutschsprachigen Texten wurde eine Debatte ausgetragen, ob Missionen auf Samoa das Land – oder zumindest die deutsche Verwaltung – sch¨adigten oder nicht. Deeken und Zieschank vertraten dabei die Position, dass Deutschland seine eigenen Missionare entsenden m¨usse, damit in den englischen und franz¨osischen Stationen nicht weiter R¨anke geschmiedet w¨urden. Darin, dass die Samoanerinnen und Samoaner lediglich dem Namen nach Christen waren, waren sich Hesse-Wartegg, Wegener und Greene einig. Churchward und Genthe berichteten davon, dass sich insbesondere die Frauen f¨ur die Gottesdienste nach vermeintlich europ¨aischen Standards zurecht machten, sich also verkleideten.

¨ Das Schulwesen – Sind die Samoaner bildungsfahig?“ | 267 ”

Pierce Churchill und Tripp dagegen hielten sich mit der Frage nach der Tiefe des Christentums nicht lange auf, sondern lobten die erfolgte Literalisierung und die M¨aßigung der Lebensgewohnheiten. Insgesamt hatten die Missionen also eine umfassende Aufgabe als Vermittler von Kulturwerten zu bew¨altigen und wesentliche Vorarbeit f¨ur die sp¨ater eintreffenden Handelsvertreter sowie Siedlerinnen und Siedler geleistet. Dementsprechend beanspruchten die Missionen auch die Deutungshoheit dar¨uber, dass das, was sie den Einheimischen vermittelt hatten, der bessere Weg der Lebensf¨uhrung sei. Inwiefern die samoanische Bev¨olkerung dies annahm oder letztlich nur eine Maskerade auff¨uhrte, ist nur schwer zu rekonstruieren. Ber¨ucksichtigen sollte man aber in jedem Falle, dass die Autorinnen und Autoren, die – wie in Kapitel 4.3 geschildert – eine ganz bestimmte stereotype Vorstellung der S¨udseemenschen hatten, nie eine unber¨uhrte‘ Bev¨olkerung betrachteten. Insofern ’ kollidieren die Darstellungen der Samoanerinnen und Samoaner an einigen Stellen mit den Lesarten im missionarischen Kontext. Trotz aller Anerkennung f¨ur die Missionen wegen der vermittelten Kulturwerte, hatten die Weißen Reisenden vermutlich gar kein Interesse daran, dass Samoa vollst¨andig christianisiert wurde. Schließlich machten die samoanischen Sitten und Gebr¨auche, wie sie in Kapitel 5.2 dargelegt wurden, einen wesentlichen Anteil an der Faszination der Inseln aus und erf¨ullten wichtige Funktionen. Wenn in den Reiseberichten also u¨ ber Missionen gesprochen wird, geht es neben der Vermittlung von christlichen Werten um ein Aushandeln von Machtpositionen bez¨uglich der Deutungshoheit, sp¨atestens seit 1900 auch um internationale Rivalit¨aten, die die samoanische Bev¨olkerung eigentlich außen vor lassen.

6.2 DAS S CHULWESEN – S IND DIE S AMOANER ”

¨ BILDUNGSF AHIG ?“

Das Schulwesen auf Samoa war im Wesentlichen durch die Missionsgesellschaften aufund ausgebaut worden. Da die gr¨oßeren Missionen (LMS und WMS) mit native teachers‘ ’ arbeiteten und diese dementsprechend ausgebildet werden mussten, richteten sie Seminarschulen sowohl f¨ur Jungen als auch f¨ur M¨adchen ein. Auf Seiten der LMS bereitete die Leulumoega High School auf die theologische Laufbahn am Malua College vor. W¨ahrend das Malua College f¨ur die m¨annlichen Samoaner gedacht war, konnten M¨adchen die Papauta School besuchen. Die Schule der WMS befand sich in Lufilufi, w¨ahrend die Maristen ihren Seminarstandort in Vaea hatte. Victor Arnold Barradale richtete seinen Text als Angeh¨origer der LMS explizit an Kinder und Jugendliche und versuchte, diesen die Entwicklung des samoanischen Schulwesens ¨ nahe zu bringen. Ahnlich wie bei der Beschreibung des Missionwesens begann er seine

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Erz¨ahlung damit, die Zust¨ande vor dem Eintreffen der Missionare zu schildern: They had ” no idea of any such thing as education. [. . . ] To tell you the truth, they were great dunces. But you must not blame them for that. They were dunces, not because they would not, but because they did not know how to, learn.“ (Barradale 1907: 129) Doch dagegen gingen die Missionare an. Zun¨achst wurde die Bibel ins Samoanische u¨ bersetzt, sodass es eine Textgrundlage gab, anhand derer unterrichtet werden konnte. Schließlich richtete die LMS in jedem Dorf eine sogenannte Village School“ ein, in der ” die Kinder Grundkenntnisse im Lesen und Schreiben, Geografie und einfacher Mathematik erwerben konnten (Barradale 1907: 132). An die Village Schools schlossen sich die Higher Schools“ an, derer es sieben gab, eine ” in jedem Distrikt Upolus (vgl. Barradale 1907: 134). Da der Schulweg f¨ur einige Sch¨uler sehr weit gewesen w¨are, waren diese Schulen Internate. Sie bereiteten durch Vermittlung von Reading, Writing, Composition, Arithmetic, Geography, Samoan Grammar, and ” Scripture, especially Old Testament History and the Life of Jesus“ (Barradale 1907: 135) ¨ auf den Ubergang nach Leulumoega oder das Malua Institut vor. Auch die Schulen f¨ur M¨adchen f¨uhrte Barradale an, zum einen die Papauta-Schule in Deutsch-Samoa und zum anderen die High School in Atauloma, auf Tutuila, dem US-amerikanischen Teil der Inseln. Er erkl¨arte, dass in den beiden Schulen jeweils der deutsche oder englischsprachige Unterricht im Vordergrund stehe, ging aber nicht weiter auf politische Hintergr¨unde ein. Stattdessen appellierte Barradale an seine jungen Leserinnen, ihre M¨utter danach zu fragen, was es bedeute, dass die Hauptaufgabe der Schulen darin bestehe, wertvolle Arbeit for ” the present and future uplifting of Samoan womanhood“ zu leisten. (Vgl. Barradale 1907: 138f.). Somit gab er den Ball an die Eltern oder M¨utter zur¨uck, mit ihren T¨ochtern u¨ ber die vermeintliche Sittenlosigkeit und anderes – wie auch immer sie diese Anspielung jeweils auslegen mochten – zu sprechen. Insgesamt legte Barradale den Fokus seiner Schilderungen auf die missionarische Erziehung und widmete der Beschreibung des Malua Institutes ein weiteres Kapitel (vgl. Barradale 1907: 139ff.). Malua Institut und Papauta Schule sowie Atauloma sollten ihm zufolge dann ineinandergreifen, wenn es um Beziehungen zwischen Sch¨ulern der einen und Sch¨ulerinnen der anderen Schule ging. [I]t is a good thing for the Malua student, ” especially if he marries a girl from either of the High Schools at Papauta or Atauloma, who not only loves Jesus, but has been well-trained for the position of a minister’s wife.“ (Barradale 1907: 146) Insofern waren die Missionsschulen durchaus Lebensschulen, die einerseits auf die Erziehung ihrer Sch¨ulerinnen und Sch¨uler ausgerichtet waren, in gleichem Maße aber zur Erhaltung und Reproduktion des gesamten Systems beitragen sollten.

¨ Das Schulwesen – Sind die Samoaner bildungsfahig?“ | 269 ”

¨ Mit der Ubernahme der Inseln Upolu und Savaii durch das Deutsche Reich sollte die Erziehung der jungen Samoanerinnen und Samoaner nicht mehr nur in missionarischer Hand liegen, obwohl die Missionsschulen weiterhin bestehen blieben. Die deutsche Schule wurde in Apia eingerichtet. Besucherinnen und Besucher Samoas ließen sich gerne durch die Schulen f¨uhren. So besichtigten Siegfried Genthe und Otto Ehlers jeweils die deutsche Schule in Apia, w¨ahrend Richard Deeken von einem Besuch in der M¨adchenschule Papauta berichtete. Zugleich spielte sich in Deutschland eine Debatte u¨ ber die Frage der Bildungsf¨ahigkeit der samoanischen Bev¨olkerung ab. Bernhard von B¨ulow hatte dazu in der Deutschen ” Kolonialzeitung“ einen entsprechenden Aufsatz ver¨offentlicht, der in der Heimat breit diskutiert wurde.6 Darin kam von B¨ulow zu folgendem Ergebnis: Im allgemeinen muß ” man die Frage, ob die Samoaner bildungsf¨ahig seien, unter der Bedingung bejahen, daß die zu Bildenden zeitlebens von ihrer Heimat ferngehalten werden [Herv. i. O.].“ (B¨ulow 1899: 58) Sobald ein junger Mann in seine Heimat zur¨uckkehre, so w¨urde er umgehend die eingeborenen Sitten und Liebhabereien“ (B¨ulow 1899: 58) wieder aufnehmen. Trotz ” der Einschr¨ankungen, die Bernhard von B¨ulow hier zu verankern versuchte, blieb seine Grundaussage, dass die Samoanerinnen und Samoaner bildungsf¨ahig seien. Dennoch versuchte er, diese Aussage zu revidieren; da man nicht ein Volk[ ] von 30 000“ außer ” Landes in ein k¨uhles Klima“ bringen k¨onne, sei leider diese Frage auf das Bestimmteste zu ” ” verneinen, und es bleibt f¨ur die Samoainseln nur die tr¨ube Aussicht, daß deren vollst¨andige Kultivierung erst nach dem Aussterben der jetzigen Generation m¨oglich sein wird, eine Perspektive, die um so trostloser ist, als den Eingeborenen augenscheinlich viele gute Eigenschaften innewohnen.“ (B¨ulow 1899: 58) Auf diese heimatliche Diskussion nahmen die Reisenden jedoch keinen erkennbaren Bezug, vielmehr schilderten sie ihre Schulbesuche unbefangen von dieser Debatte, und stellten keine grundlegenden Fragen zur Bildungsf¨ahigkeit. Otto Ehlers f¨uhrte seinen Besuch der deutschen Schule nicht sonderlich ausf¨uhrlich aus: Sogar eine deutsche Schule, die sich eines regen Besuches nicht nur von Europ¨aern der verschiedenen ” Nationalit¨aten, sondern auch von Eingeborenen erfreut, ist in Apia vorhanden. Ich hatte Gelegenheit, daselbst einer Pr¨ufung beizuwohnen, w¨ahrend der ich mir entsetzlich ungebildet vorkam, da ich durch mehr als einer der von den Sch¨ulern beantworteten Fragen in Verlegenheit gesetzt worden w¨are.“ 7 (Ehlers 2008/1895: 62)

Eine Gegendarstellung zu von B¨ulow verfasste G¨unter Kurze (1899) mit seinem Aufsatz Der ” Missionskritiker‘ von B¨ulow und die Samoa-Mission.“ ’ 7 Trotz der K¨urze seiner Schilderung versah Ehlers sie noch mit einem Seitenhieb auf den Unterrichtsinhalt, der ihm bei einer gestellten Aufgabe [m]ehr amerikanisch als deutsch“ (Ehlers ” 2008/1895: 62) erschien. 6

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Das Vorf¨uhren von Pr¨ufungen war u¨ blich, sobald Besuch kam. Ehlers dr¨uckte hier seinen Stolz auf die nachkommende Generation aus, genauso wie auf die internationale Anerkennung der Schule. Siegfried Genthe betrachtete die Gr¨undung der deutschen Schule vorrangig vor dem Hintergrund der Mischehen‘ und damit dem Problem der Mischlingskinder‘:8 ’ ’ Die Kinder der Mischehen nehmen viel mehr von der Mutter an als vom Vater, sie werden also ” mehr als zur H¨alfte Samoaner sein. Diese in den ersten Lebensjahren selbstverst¨andliche Entwicklung nimmt sp¨aterhin in dem Maße zu, daß das Deutschtum in dem heranwachsenden Kinde u¨ berhaupt Gefahr l¨auft, unterdr¨uckt zu werden und unfehlbar schon im ersten Gliede der Nachkommenschaft verl¨oschen w¨urde, wenn nicht hier die Schule mit ihrer volkstumerhaltenden Kraft einsetzte.“ (Genthe 1908: 145f.)

Genthe f¨uhrte weiter aus, dass die auf Samoa geborenen Kinder ausschließlich in der ” Gesellschaft der Eingeborenen“ (Genthe 1908: 146) aufwuchsen, der Einfluss des deutschen Vaters also einen geringeren Anteil an der Lebenswirklichkeit des Kindes ausmache, als derjenige der samoanischen Umgebung. Um zumindest die Weitergabe der deutschen Sprache an die nachkommende Generation sicherzustellen, bedurfte es seiner Meinung nach einer deutschen Schule. So lobte er: Da tut also Erziehung durch deutsche Lehrer bitter not, und nicht hoch genug kann man es der kleinen ” deutschen Gemeinde Samoas anrechnen, daß sie in der rechtzeitigen Erkenntnis der großen Gefahr, worin das Deutschtum schwebt, sich einen Lehrer aus der Heimat kommen ließ, der das kommende Geschlecht von Deutsch-Samoanern vor weiterer Entdeutschung bewahren soll.“ (Genthe 1908: 146)

Im Gegenzug dazu betonte er, dass weder Engl¨anderinnen und Engl¨ander noch USAmerikanerinnen und US-Amerikaner bislang eigene Schulen eingerichtet h¨atten und deren Kindern lediglich die Missionsschulen zur Verf¨ugung st¨unden, deren Unterricht einen ganz besonderen Beigeschmack“ habe (Genthe 1908: 30). Das Curriculum dieser ” Missionsschulen, die nicht nur von den sogenannten armen Heidenkindern, sondern in ” Ermangelung anderer Erziehungsanstalten auch von den Weißen und Mischlingen besucht wurden“ (Genthe 1908: 147), beschrieb Genthe als auf biblische Geschichte und etwas ” Rechnen“ (Genthe 1908: 148) begrenzt, womit er nicht ganz richtig lag, wenn man den Berichten von Barradale oder Brown Glauben schenkt. Genthe bezeichnete die deutsche Schule im Gegensatz zu den bisherigen Missionsschulen als regelrechtes Lernparadies“ ” (Genthe 1908: 149), dessen einzige Eintrittsbedingung die Teilnahme am deutschen Unterricht sei.

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Darin vertrat er eine a¨ hnliche Position wie von B¨ulow (vgl. B¨ulow 1899: 58).

¨ Das Schulwesen – Sind die Samoaner bildungsfahig?“ | 271 ”

¨ Ahnlich wie sp¨ater Richard Deeken beschreibt Genthe, dass er sich bei seinem Besuch in der Schule wie der gestrenge Herr Kreisschulinspektor“ vorgekommen sei, da sich die ” Sch¨ulerinnen und Sch¨uler bei seinem Eintreten mit der Geschwindigkeit und Strammheit“ ” einer preußischen Schule“ erhoben h¨atten (Genthe 1908: 150). Zum Zeitpunkt seines ” Besuches besuchten 60 Kinder die deutsche Schule; M¨adchen und Jungen wurden zusammen, aber getrennt sitzend, unterrichtet (vgl. Genthe 1908: 150f.). W¨ahrend der 25 w¨ochentlichen Unterrichtsstunden wurden die Sch¨ulerinnen und Sch¨uler vorrangig in den F¨achern Deutsch und Rechnen unterrichtet, weiterhin in Geschichte, Erdkunde, Singen, ” Schreiben, Zeichnen, Turnen und Spielen“ (Genthe 1908: 155). Die Unterrichtsinhalte waren angepasst an die Lebenswirklichkeit der Kinder; w¨ahrend zwar in Erz¨ahlungen F¨uchse und Weintrauben, Mops und Spitz vorkamen, wurde der Anschauungsunterricht ansonsten anhand samoanischer Gegebenheiten abgehalten: etwa an Kokospalmen, Brotfr¨uchten und Korallen. In Erdkunde wurde die Geografie Samoas bis nach Australien und schließlich Amerika thematisiert; in Geschichte wurde die j¨ungere Missionsgeschichte ” und Handelsentwicklung“ auf Samoa unterrichtet (Genthe 1908: 155f). Genthe zeigte sich beeindruckt davon, [w]ieviel neuzeitliche Erziehungsgrunds¨atze ” und liebende Ausdauer schließlich erreichen k¨onnen“ (Genthe 1908: 156) und zitierte einen kurzen Aufsatz einer samoanischen Sch¨ulerin, die u¨ ber einen Ausflug auf den Kreuzer Cormoran berichtete. Sein Res¨umee lautete: F¨ur ein braunh¨autiges, barf¨ußiges Samoam¨adel, ” das erst seit wenigen Monaten sich mit Europens H¨oflichkeit u¨ bert¨unchen l¨aßt, wirklich nicht u¨ bel.“ (Genthe 1908: 157) In diesem Fazit kommt Genthes Kulturchauvinismus zum Ausdruck. Statt von einer Sch¨ulerin (diesen Begriff h¨atte er f¨ur ein deutsches M¨adchen sicherlich gebraucht) spricht er von einem Samoam¨adel“, das er anhand seiner Hautfar” be und des Bekleidungsstatus seiner F¨uße charakterisiert. Genthes Bewusstsein f¨ur die Barf¨ußigkeit des M¨adchens l¨asst sich mit seiner Klasse‘– seinem eigenen b¨urgerlichen ’ Hintergrund – erkl¨aren. W¨ahrend es f¨ur Arbeiter- oder Bauernkinder im Sommer u¨ blich war, barfuß oder in einfachen Holzschuhen zu gehen, geh¨orten Schuhe zu den b¨urgerlichen Statussymbolen. Nicht u¨ bel“ dr¨uckt Genthes eigenen scheinbar u¨ berlegenen Status aus, ” durch den er es sich leisten kann, ihre Leistung wohlwollend zur Kenntnis zu nehmen. ¨ Ahnlich hatte er zuvor argumentiert, als er das Erlernen der deutschen Sprache philologisch betrachtete und bemerkte: [J]a, einige wenige Samoaner waren mir begegnet, die ” ganz glatt und ohne jeglichen fremden Akzent ganze zusammenh¨angende deutsche S¨atze hervorbringen konnten“ (Genthe 1908: 151). Hier zeigt sich, dass in seinem Verst¨andnis Samoanerinnen oder Samoaner, die u¨ ber deutsche Grundkenntnisse verf¨ugen, die Sprache wie Laute hervorbringen“ statt sie zu sprechen“; zumal es umgekehrt – wie Genthe selber ” ” feststellte – den wenigsten Europ¨aerinnen und Europ¨aern gelang, das Samoanische auf einem grammatikalisch komplexeren Niveau zu erlernen.

272 | Kolonialherren‘ dreier Nationen ’

Das vorrangige Ziel der schulischen Bildung sah Genthe in der Bewahrung und Vermittlung des Deutschtums, was durch das reine gesellschaftliche Leben auf den Inseln sonst nicht gew¨ahrleistet gewesen w¨are. Inwiefern hier deutsche‘ Tugenden und Werte ’ vermittelt wurden, ging aus seinen Schilderungen nicht hervor. Wesentliches Moment schien die deutsche Unterrichtssprache f¨ur ihn zu sein; Anschauungsunterricht, Geschichte und Erdkunde waren an die Lebenswirklichkeit auf Samoa angepasst, sodass ein Unterrichten deutscher Schulf¨acher unendlich erschwer[t]“ wurde (Genthe 1908: 156). ” Wie oben angedeutet, nutzte auch Richard Deeken sein Kapitel Schulinspektor auf ” Reisen“ zun¨achst dazu, seine Kritik an den Missionen und deren Schulen darzustellen. Zur deutschen Schule in Apia a¨ ußerte er sich nur kurz: Unter den Schulen verdient in allererster Linie die von Lehrer Damm9 und Pastor Holzhausen geleitete ” ¨ deutsche Schule‘ in Apia hervorgehoben zu werden. Uber dieselbe ist bereits so viel ver¨offentlicht ’ worden, daß ich dem wirklich nichts mehr hinzuf¨ugen k¨onnte außer dem Wunsche, daß noch mehr derartige deutsche Schulen auch f¨ur Samoaner errichtet werden m¨ochten.“ (Deeken 1901: 115)

Deeken entschloss sich dazu, seinen Besuch in der Papauta-M¨adchenschule zu schildern, da diese [s]eine sch¨onen Leserinnen insbesondere interessiert“ (Deeken 1901: 115). Er ” offenbarte in seinen Schilderungen ebenfalls seinen chauvinistischen und sexualisierten Blick, wenn er die abgelegene Lage der Schule und ihre Sch¨ulerinnen beschreibt, die ihre ” gl¨anzenden Broncek¨orperchen“ in dem nahegelegenen Bach baden (Deeken 1901: 116). Die Schlafr¨aume befinden sich oben im Schulgeb¨aude, wo nachts fa’a Samoa die Matten ausgerollt ” werden, auf denen dann die kleinen Schwarzk¨opfchen von des Tages M¨uhe und Last ausruhen, um am n¨achsten Morgen frisch gest¨arkt die schwierige Arbeit des Lesens, Schreibens und Rechnens wieder aufzunehmen.“ (Deeken 1901: 116)

Als Leiterin war zur Zeit von Deekens Besuch eine Deutsche t¨atig, auf deren stets wach” same[s] deutsche[s] Frauenauge“ (Deeken 1901: 117) er die gute Organisation und den sauberen Zustand der Einrichtung zur¨uckf¨uhrte. Deeken beschrieb, dass er in Papauta f¨alschlicherweise als Schulinspektor wahrgenommen wurde, welcher sie Knall auf Fall ” u¨ berrumpelt hatte“, obwohl er doch lediglich ein harmlose[r] Reisende[r]“ sei. F¨ur ihn ” veranstalteten die 90 Sch¨ulerinnen des Seminars eine musikalische Auff¨uhrung, bei der einiges schiefging. Schließlich l¨oste sich die Spannung der Situation aber durch Deekens Lachen auf, durch das er sich gleichzeitig als Nicht-Schulinspektor enttarnte und seine erste Schulinspektion“ beendete (Deeken 1901: 121). Obwohl Deeken den Anspruch ”

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Lehrer Damm ist derjenige, der auch Genthe durch die Schule gef¨uhrt hatte.

¨ Das Schulwesen – Sind die Samoaner bildungsfahig?“ | 273 ”

a¨ ußerte, auch all’ das Gute“ (Deeken 1901: 121), das er in der Schule gesehen hatte, zu ” beschreiben, fiel sein Bericht an dieser Stelle eher knapp aus: Die Ausbildung der jungen M¨adchen ist mehr als zufriedenstellend und ist derjenigen auf unseren ” Volksschulen ganz gewiß ebenb¨urtig. [. . . ] Diese gl¨anzenden Resultate sind lediglich ein Verdienst der aufopferungsfreudigen Th¨atigkeit der Schulvorsteherin, und ich hoffe nur das eine, n¨amlich, daß sie mich wegen der Indiskretion, indem ich die intimissima der Schule hier ausplaudere, bei meiner R¨uckkehr nach Samoa nicht zur Rechenschaft ziehen wird.“ (Deeken 1901: 121f.)

Besonders bei Deeken wird deutlich, dass es im Grunde nicht darum ging, einen irgendwie gearteten Schulalltag zu schildern oder sachliche Auskunft dar¨uber zu geben, wie die Erziehung der samoanischen Kinder und Jugendlichen vonstatten ging. Stattdessen nutzte er die Schilderungen seines Schulbesuches als Folie, sich selbst darzustellen und zu kokettieren. Statt eines Schulalltags wurde vielmehr ein Miniaturparadies geschildert: Unter den Augen der deutschen Dame durften sich die M¨adchen in der Natur tummeln, w¨ahrend ihre Schulbildung romantisiert dargestellt wurde. Die umfassende Kritik an der Missionsarbeit, die Deeken ja vorangestellt hatte, spielte in der Schilderung der Schule keine Rolle mehr, obwohl diese von der LMS unterhalten wurde und die M¨adchen auf ihre Aufgaben im Missionsleben vorbereitet werden sollten. Diese Seite blendete er vollst¨andig aus und reduzierte den Bericht auf die Darstellung von Weiblichkeitskonstrukten, hier am Beispiel der Sch¨ulerinnen. Frieda Zieschank, die 1907 auf Samoa Mutter wurde (vgl. Zieschank 1918: 60), setzte sich mit dem Schulwesen insbesondere im Hinblick auf ihre Tochter auseinander. Es schien u¨ blich zu sein, die Kinder f¨ur die schulische Erziehung nach Australien zu schicken, sich also von ihnen zu trennen (vgl. Zieschank 1918: 60). Ein großes Hindernis in der schulischen Bildung sah Zieschank insbesondere in der heterogenen Klassenzusammensetzung in Bezug auf die Deutschkenntnisse. Eine Regierungsschule haben wir hier, die aber nur f¨ur die Elementarf¨acher gen¨ugen k¨onnte. Drei ” bis vier Lehrkr¨afte sind angestellt, weiße und halbweiße Kinder zu unterrichten. Da die halbweißen Kinder meist ohne jede Kenntnis der deutschen Sprache eintreten, w¨are das Amt des Lehrers dadurch ungeheuer erschwert, wenn nicht die fast durchweg starke Begabung dieser Sch¨uler die Aufgabe etwas erleichterte.“ (Zieschank 1918: 60)

Zugleich sprach sie den halbweißen“ Kindern eine hohe sprachliche Begabung zu, sodass ” diese schnell aufholen konnten: Allerdings w¨are zu w¨unschen, daß es m¨oglich w¨are, f¨ur die ” von Haus aus deutsch sprechenden weißen und halbweißen Kinder besondere Klassen einzurichten, so daß diese nicht gen¨otigt sind, im Zusammenarbeiten mit den fremdsprachigen unn¨otige Zeit zu verlieren, besonders da in den Tropen Schulstunden doppelt anstrengen.“ (Zieschank 1918: 61) Dazu kamen f¨ur Zieschank noch gen¨ugend erschwerende Bedin-

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gungen eines regelm¨aßigen Schulbesuchs, angefangen bei der mangelnden F¨ursorge der Eltern u¨ ber weite Entfernungen zur Schule, bis hin zu den Witterungsbedingungen (vgl. Zieschank 1918: 60). Pierce Churchill f¨ugte diesen bisherigen Beschreibungen den Blick aus englischer Perspektive hinzu und berichtete, welche Stationen die Kinder bis zum Besuch der Missionsschulen Malua oder Papauta zur¨uckgelegt hatten. The infant is taken at the earliest feasible age into a system of compulsory education which is a part ” of the community life. Each morning and again at evening the children of the village are required to attend upon the native pastor, the faife’au, at his home. Here they are taught in classes in the ordinary studies of primary education [Herv. i. O.].“ (Pierce Churchill 1902: 220)

Nach dieser Dorfschule, in der M¨adchen und Jungen koedukativ unterrichtet wurden, gingen sie nach bestandenen Examina weiter in die boarding schools“, die getrenntgeschlechtlich ” waren und von denen es jeweils eine pro Distrikt gab (vgl. Pierce Churchill 1902: 221). Here begins the education in English, not only the language but manners as well. The pupils not ” only have to learn to speak English, but they have to serve a considerable portion of their time in the domestic employ of the English missionaries in charge of the schools in order that they may acquire familiarity with the routine of foreign customs.“ (Pierce Churchill 1902: 220)

Diese englischsprachige Erziehung traf nach 1900 vermutlich lediglich auf den amerikanischen Teil der Samoa-Inseln zu. Die talentiertesten Sch¨ulerinnen und Sch¨uler konnten nach dieser boarding school“ auf die Missionsschulen gehen, die Jungen nach Malua, die ” M¨adchen nach Papauta. Die Wirksamkeit der schulischen Bildung sprach Pierce Churchill dem College, soweit es Malua betraf, jedoch ab. No Malua graduate, be he pastor or king, has been able to instil into the communities under his charge ” the lessons of European methods which have been instilled into his mind; no Malua graduate is known to have had the moral hardihood to practise in his own life the lessons he has learned. This the Mission authorities confess.“ (Pierce Churchill 1902: 223)

Somit schien die Wirksamkeit des Unterrichts also eher begrenzt zu sein; Pierce Churchill stellte sowohl die Weitergabe der erlernten europ¨aischen Methoden‘ als auch die eigene ’ Anwendung dieser in Frage. Churchward besuchte das Malua College, das zu seiner Zeit etwa f¨unfzig bis sechzig Sch¨uler beherbergte (vgl. Churchward 1887: 80). Neben der Funktionsweise und dem Aufbau des Colleges richtete er seinen Blick darauf, was aus den Sch¨ulern wurde, nachdem sie zu Pastoren ausgebildet worden waren und das College verlassen hatten. Seine generelle

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Einsch¨atzung fiel eher kritisch aus, da einige der M¨anner ihre privilegierte soziale Stellung missbrauchten, die ihnen ihre Erziehung und Bildung eingebracht hatten.10 Many of the pastors, as they are called, feeling the great power over their more ignorant countrymen ” that education has given them, cannot curb their ambition, and beyond their missionary influence assert a sort of temporal authority, ruling the districts in which they live with a veritable rod of iron, and in a manner worthy of the old Presbyterian ascetics.“ (Churchward 1887: 81)

Dies stellte im Vergleich zu Pierce Churchills Beschreibungen das andere Extrem dar: entweder, die Absolventen konnten nichts des Gelernten anwenden, oder es machte sie anmaßend.

Zusammenfassung Obwohl es auf Samoa keine Schulpflicht gab (vgl. Zieschank 1918: 60), war das Schulsystem, zumindest soweit es von den Missionen geleitet wurde, ein ausgekl¨ugeltes. Die Missionsschulen bauten aufeinander auf und sollten M¨adchen und Jungen jeweils f¨ur den Dienst in der Gemeinde erziehen. Wie schon in Kapitel 6.1 angerissen, bestand die Missionsarbeit sowohl aus bekehrender, wie auch zivilisatorischer‘ Arbeit, was in den ’ Unterrichtsf¨achern seine Entsprechung fand. W¨ahrend u¨ berwiegend samoanische Kinder in den Missionsschulen unterrichtet wurden, wurde f¨ur die Weißen und halbweißen‘ Kinder ’ 1888 die deutsche Schule gegr¨undet, die 1906 in eine Regierungsschule u¨ berf¨uhrt wurde. Mehrere der Reisenden besuchten eine der Schulen und berichteten davon. Die Auseinandersetzung mit dem Schulwesen erfolgte dabei unabh¨angig von der in der deutschen Heimat gef¨uhrten Debatte um die Bildungsf¨ahigkeit der Samoanerinnen und Samoaner, wurden daf¨ur aber an einigen Stellen mit einer Missionskritik verkn¨upft. Barradale und Brown schilderten dagegen die Schulen im Wesentlichen als Errungenschaften der Missionen. Genthe setzte mit seiner Kritik bei den Mischlingskindern‘ an, die eines deutschen ’ Lehrers bedurften, um der Entdeutschung‘ entgegenzuwirken. Die Beschreibungen seines ’ Schulbesuches zeigten im Wesentlichen seinen kulturchauvinistisch gepr¨agten Blick. Deeken verfiel dagegen in romantisierte und sexualisierte Darstellungen des Schulalltags im M¨adcheninternat, nachdem er sich an der Missionskritik abgearbeitet hatte. Insofern ging es ihm eher um eine Selbstdarstellung, als um eine Schilderung des Schulalltags. Frieda Zieschank betraf die Frage nach dem Schulwesen ganz pers¨onlich; auch wenn ihre Tochter

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Womit sie eigentlich ziemlich genau die European methods‘ weitergaben . . . ’ Einer dieser ehemaligen Sch¨uler hatte es sogar vollbracht, auf die Inseln der Ellice-Gruppe zu reisen und diese formal, im Namen K¨onig Malietoas f¨ur Samoa, zu annektieren (vgl. Churchward 1887: 83f.).

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noch ein Kleinkind war, setzte sie sich damit auseinander, wo und wie diese sp¨ater zur Schule gehen w¨urde. Sie stellte die Schwierigkeiten des Schulbesuchs heraus und forderte homogene Klassenzusammensetzungen, damit die deutschsprachigen Kinder nicht von fremdsprachigen Kindern am Lernfortschritt gehindert w¨urden. Pierce Churchill f¨ugte den Darstellungen die fr¨uhkindliche Bildung im Schulsystem hinzu und kritisierte die geringe Nachhaltigkeit der Bildung an den Colleges. Churchward dagegen schilderte das andere Extrem, n¨amlich dass die Absolventen in ihre Heimatd¨orfer zur¨uckkehrten und aufgrund der genossenen Bildung anmaßend eine gesellschaftlich h¨ohere Position beanspruchten. Aus diesen unterschiedlichen Herangehensweisen an das Thema schulische Bildung‘ ’ wird deutlich, dass die Autorinnen und Autoren je unterschiedliche Ziele mit ihren Darstellungen verfolgten. Einige besch¨aftigten sich nur nebenbei oder der Vollst¨andigkeit halber mit der Thematik, andere waren pers¨onlich betroffen. Die beiden Missionare waren maßgeblich an den Schulsystemen beteiligt, Brown unterrichtete sogar an einer Schule, die auf das Seminar in Lufilufi vorbereitete. F¨ur die deutschen Autorinnen und Autoren war es von Bedeutung, die Schule als deutschtumsvermittelnde‘ Instanz zu begreifen, um die eigene ’ Herrschaft zu sichern. Dabei sind die Beschreibungen des Missions- und des Schulwesens in ihrer Darstellungsart a¨ hnlich geformt, nicht nur, weil Missionen und Schulen kaum trennbar waren. Mit demselben Argument, mit dem Frieda Zieschank deutsche Missionen gefordert hatte, pochte etwa Genthe auf den Unterricht durch einen deutschen Lehrer.

6.3 I NTERNATIONALE B EFINDLICHKEITEN Wie aus der Historie Samoas und den bisherigen Kapiteln deutlich wurde, war Samoa Streitobjekt dreier Nationen. Insofern fanden in den Quellen nationale Rivalit¨aten und Befindlichkeiten ihren Ausdruck, so wie sie sich auch in den Beschreibungen des Missionsund Schulwesens niederschlugen. Einen Schwerpunkt bilden dabei die wechselseitigen Vorurteile und die Konkurrenz (6.3.1) von deutschen und US-amerikanischen Autorinnen und Autoren, da diese beiden Nationen die Inseln ab M¨arz 1900 unter sich aufgeteilt hatten. Diese kristallisieren sich in stereotypen und diskriminierenden Vorstellungen u¨ ber die jeweils andere Nation, symbolisch ausgetragen im Blick auf die beiden jeweils gr¨oßeren Inseln Tutuila und Upolu (6.3.2). Die Ergebnisse werden in Kapitel 6.3.3 zusammengef¨uhrt.

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6.3.1 Vorurteile und Konkurrenzverhalten ¨ der Kolonialmachte untereinander Schon weit vor der Aufteilung der Inseln gab es Konkurrenz innerhalb der europ¨aisch/ US-amerikanischen Gesellschaft. F¨ur die Ans¨assigen geh¨orte die feine Unterscheidung, wer woher kam und welches Haus einen Besitzer oder eine Besitzerin welcher Nation hatte, l¨angst zum Alltag. In Stevensons bekannter Beschreibung von Apia wurde deutlich, dass die Dreiteilung f¨ur ihn zum Lebensalltag geh¨orte. In Mulinuu, das er als property of the ” German firm“ beschrieb, sah man German bars and stores and the German Consulate“. ” Eine kleine Br¨ucke bildete die Grenze, behind is Matafele; beyond, Apia proper; behind, ” Germans are supreme; beyond, with but few exceptions, all is Anglo-Saxon“ (Stevenson 1895/1892: 21). Dort finde man englische stores“, the English mission, the office of the ” ” English newspaper, the English church, and the old American consulate“, ein St¨uckchen weiter die British and the new American consulates“ (Stevenson 1895/1892: 22). ” Aus diesem Blickwinkel zeigt sich, wie pr¨asent die Kategorie Nationalit¨at f¨ur Stevenson war. Zugleich deutete sich die Verworrenheit politischer Zust¨ande dadurch an, dass auf engstem Raum die drei Konsulate (deutsch, britisch und US-amerikanisch) angesiedelt ¨ waren. Weiter schilderte Stevenson seinen Arger u¨ ber die Deutsche Firma‘ (die Deutsche ’ Handels- & Plantagengesellschaft) und deren Vorgehen auf Samoa. Die Konkurrenz der Weißen untereinander beschrieb Stevenson als im Grunde humorvolles Spiel – [o]ther ” whites take part in our brabbles, while temper holds out, with a certain schoolboy entertainment“ (Stevenson 1895/1892: 33) –, doch die Deutschen wollten dabei nicht mitspielen: In the Germans alone, no trace of humour is to be observed, and their solemnity is accom” panied by a touchiness often beyond belief. Patriotism flies in arms about a hen; and if you comment upon the colour of a Dutch umbrella, you have cast a stone against the German emperor.“ (Stevenson 1895/1892: 33f.) Einzig die Deutschen seien humorlos, ernsthaft11 und u¨ berempfindlich, insbesondere in Bezug auf ihren Patriotismus. In den Vertretern und Arbeitern der DH&PG fand Stevenson den typischen Tr¨ager dieser deutschen Eigenschaften. Dennoch versuchte er in der Gesamtbewertung einigermaßen objektiv und damit auch selbstkritisch zu bleiben. Even ” on the field of Samoa, though German faults and aggressions make up the burthen of my story, they have been nowise alone. Three nations were engaged in this infinitesimal affray, and not one appears with credit.“ (Stevenson 1895/1892: 38) Gleichermaßen ausgewogen versuchte Stevenson zu berichten, wenn es um villages shelled on very trifling grounds by ” Germans“ ging, denn the like has been done [. . . ] by ourselves of England“ (Stevenson ”

11

¨ In der deutschen Ubersetzung heißt es: [I]hre Schmallippigkeit geht mit einer oft schier unglaub” lichen Empfindsamkeit einher“ (Stevenson 2001/1892: 33).

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1895/1892: 39). Von den drei involvierten Nationen ging Stevenson zufolge keine ehrenhaft aus seiner Geschichte hervor, auch wenn er den USA noch die cleanest hands“ (Stevenson ” 1895/1892: 38) bescheinigte. Churchward benutzte die samoanische Bev¨olkerung als Legitimation, um seine Argumentation zu st¨utzen. Ihm ging es wesentlich darum, dass Samoa unter die Herrschaft einer Macht gestellt w¨urde, sodass die Rivalit¨aten untereinander aufh¨orten. They are painfully ” aware of their hopeless weakness, and heartily sick of the shuttlecock, no-child-of-mine sort of existence that they have to endure, tossed about between three nationalities, each jealous of the other, and who will neither let them alone nor take them up.“ (Churchward 1887: 219) Die samoanische Bev¨olkerung sah Churchward als die Leidtragenden an, die, einem Federball gleich, zwischen den drei Vertragsm¨achten hin- und hergespielt w¨urden, ohne dass eine wirklich die Verantwortung u¨ bernehmen w¨urde. Nicht ganz u¨ berraschend konstatierte Churchward dann: Their choice for annexation is most decidedly British.“ ” (Churchward 1887: 219) Weiter schilderte Churchward die Empfindlichkeiten der deutschen Ansiedlerinnen und Ansiedler, denen daran gelegen sei, allen britischen Einfluss – auch nichtige Anl¨asse betreffend – m¨oglichst gering zu halten oder schlechtzumachen.12 The Germans were loud in their condemnation of cricket, seeing in it, quite irrespective of ” probable reduced supply of natives produce for them to deal in, an inclination to favour things British, which it always was their studied practice to condemn and underrate, to the glorification of their own importance [. . . ].“ (Churchward 1887: 144) Cricket, welches die Britinnen und Briten eingef¨uhrt hatten, war zeitweise sehr beliebt bei der samoanischen Bev¨olkerung und wurde rund um Apia gespielt. Diese Spiele, die u¨ ber mehrere Tage gehen konnten, vermochte die deutsche Munizipalit¨at zwar in den Provinzen nicht zu verbieten, stellte aber das Spielfeld von Apia unter Auflagen, sodass dort de facto nicht mehr gespielt werden konnte (vgl. Churchward 1887: 144). Dieser Versuch eines Verbotes stellte f¨ur Churchward wiederum einen Beweis deutscher Empfindlichkeit dar. Obwohl sich die Restriktion im Grunde gegen den englischen Einfluss richten sollte, wurden die Samoanerinnen und Samoaner, die L¨ucken in dieser Regelung zu finden suchten, sanktioniert: Shortly after this incident the Germans were very much down upon ” the natives, finding fault with everything they did, and continually informing them that their insignificant little group was insulting the great German Empire; and they eventually forbade the King, under dire penalties, to play the game called cricket‘ at his seat of ’ government.“ (Churchward 1887: 147)

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Die von ihm geschilderte Episode erinnert an die Beschwerde Deekens u¨ ber die untersagten sonnt¨aglichen Feierlichkeiten zu Kaisers Geburtstag, vgl. S. 262.

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Die Begr¨undung der Deutschen, mit der der K¨onig‘ nun auch auf seinem eigenen ’ Grundst¨uck nicht mehr Cricket spielen durfte, da er damit den Deutschen Kaiser beleidige, passte in das Bild der empfindsamen Deutschen, ohne dass Churchward dieses explizit benennen musste. Auch weitere Anekdoten schilderte er, in denen er sich dar¨uber lustig machte. Am Weihnachtsabend 1881 war ein britisches Schiff, die Richmond, in Apia vor Anker gegan¨ gen (vgl. Churchward 1887: 161). Uber den Landgang der Crew berichtete Churchward: One rather amusing thing was a body of these men going into the German Consulate and ” demanding dinner; and when told that it was not an hotel, wanting to know Why they hung ’ out that black fowl as a sign if it was not a restaurant?‘ The sign was the German eagle, the Consular coat of arms.“ (Churchward 1887: 162) Diese Texte waren den deutschen Reisenden durchaus bekannt, zumindest HesseWartegg und Genthe13 hatten Churchwards Bericht gelesen (vgl. Kapitel 2.3), a¨ ußerten sich aber nicht dazu. Neben den zugeschriebenen stereotypen Charaktereigenschaften gerieten also Nationalsymbole, hier der deutsche Adler, ins Visier der Befindlichkeiten und Anfeindungen. Umgekehrt geschah dies aus deutscher Perspektive teilweise schon bei der Ankunft auf Samoa. Genthes Ankunftsschilderung wurde bereits im entsprechenden Kapitel (4.1) besprochen, doch muss hier noch ein Detail hinzugenommen werden, dass oben ausgelassen wurde. Das dortige Zitat (vgl. S. 88): L¨angs des Ufers zieht sich in langgeschwungener ” Linie die Stadt hin, anscheinend eine einzige Straße bildend, mit zahlreichen europ¨aischen H¨ausern, zum Teil im Gr¨unen verborgen“, geht weiter: mit Wellblechdach und Holzw¨anden, vor allen eines auff¨allig durch schreierische Namensaufschrift in ” Riesenbuchstaben – nat¨urlich die Behausung eines amerikanischen H¨andlers, der es sich nicht versagen kann, mit dieser lauten Anpreisung nach der Art amerikanischer Gesch¨aftsst¨adte einen h¨aßlichen Mißton hineinzubringen und dieses friedliche Bild paradiesischer Sch¨onheit und Stille.“ (Genthe 1908: 1f.)

Bereits mit dem Einfahren in den Hafen wird dem Leser und der Leserin also deutlich gemacht, dass der amerikanische H¨andler ein St¨orfaktor im ansonsten sch¨onen Bild sei, da die Art der amerikanischen Gesch¨aftsst¨adte“ laut, h¨aßlich und schreierisch sei. ”

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Genthe hatte zwar nur dessen Buch Drosselfang“ explizit zitiert, dennoch ist es nicht unwahr” scheinlich, dass ihm ebenfalls der Bericht u¨ ber die Konsulatszeit bekannt war.

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Gleichermaßen schilderte es Ehlers, der seiner Beschreibung der in dem u¨ ppigsten ” Tropengr¨une prangend[en] [. . . ] Insel Upolu“ (Ehlers 2008/1895: 55) eine Begebenheit an Bord hinzuf¨ugte. Ein soeben aus seiner Kabine tretender und in hohem Bogen u¨ ber die Reling ins Meer spuckender ” Amerikaner riß mich mit den Worten: It’s an elegant country, isn’t it?‘ aus allen Himmeln. Ich w¨are ’ dem Mann am liebsten mit einem seiner eigenen ausgetretenen rotledernen Pantoffeln u¨ ber den Mund gefahren. An elegant country‘ nannte dieses Scheusal das vor uns liegende Paradies und f¨ugte dann ’ hinzu: I hope Am¨orrica will not give it away to England or Germany.‘“ (Ehlers 2008/1895: 56) ’

Hoch emotional reagierte Ehlers hier auf den US-Amerikaner, der offenbar den fast schon sakralen Eindruck nicht teilte und daher – in Ehlers’ Wahrnehmung respektlos – u¨ ber die Reling spuckte. Das Ausspucken empfand Ehlers offenbar als Ausdruck h¨ochster Geringsch¨atzung und Respektlosigkeit, was eindeutig seiner kulturellen Pr¨agung und Vorstellung von H¨oflichkeit zuzuordnen ist. Da Ehlers jedoch auf die imaginierte T¨atlichkeit verzichtete, tat er zumindest mit der Feder Amerika Gewalt an, indem er den Dialekt des USAmerikaners lautschriftlich wiedergab und als Am¨orrica“ festhielt. Durch diese Episode ” schien Ehlers recht abrupt von seiner pathetischen Darstellung auf den Boden zur¨uckgeholt worden zu sein. Abgrenzungen zu den USA erfolgten nicht zuletzt durch die Schilderungen von Marinesoldaten. Das Erscheinungsbild deutscher Matrosen schilderte Genthe mit einem gewissen Stolz und kontrastierend zum Auftreten der US-amerikanischen Marine. Unsere deutschen Jungen [Matrosen, G. F.] sehen denn doch anders aus als die fremden Blaujacken, ” sie sind in tadellos weißes Zeug – das zu Hause nur zur Parade getragen wird – geh¨ullt, und aus dem kleidsamen blauen Exerzierkragen schauen lauter offene ehrliche Gesichter hervor, die nichts zu tun haben mit der Klasse von Desperados, die so oft als letzte Zuflucht in der amerikanischen Marine Dienste genommen haben.“ (Genthe 1908: 30)

Die deutschen Matrosen wurden von Genthe als Tr¨ager deutscher Tugenden, hier: Sauberkeit, Ehrlichkeit und St¨arke, stilisiert. Mit den weißen Uniformen hoben sie sich zudem von den dunklen (blauen) Jacken der US-Amerikaner ab, die Genthe als Desperados“ ” bezeichnete und deren Betragen seiner Ansicht nach zu w¨unschen u¨ brig ließ. Seit gestern schon sind die Mannschaften des im Hafen liegenden amerikanischen Hilfskreuzers und ” Kohlenschiffes auf Urlaub – eine ungemein rohe, z¨ugellose Gesellschaft. Schon beim Nachhausekommen bemerke ich einen davon v¨ollig betrunken vorm Hause im Grase liegen und seinen Rausch von gestern ausschlafen.“ (Genthe 1908: 58)

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Hierin zeigte sich wiederum, dass die amerikanischen Mannschaften den preußischen Tugenden nicht entsprachen; w¨ahrend Genthe an den deutschen Marinesoldaten ihre St¨arke und ihr Benehmen sch¨atzte, so fielen die amerikanischen Soldaten durch Trunkenheit, Lautst¨arke und Disziplinlosigkeit auf. Die deutschen Marinesoldaten beschrieb Genthe als Jungen“, deren einzelne Gesichter er wahrnahm. Damit erhielten sie den Status von etwas ” Besonderem, w¨ahrend die US-Marines als Klasse von Desperados“ ( eine[r] davon“ lag ” ” im Gras) ihre Individualit¨at verloren. Doch nicht nur den Gegensatz zur deutschen Marine zeigte Genthe auf, sondern auch den zur samoanischen Bev¨olkerung, die sich ihm zufolge auf einer moralisch h¨oheren Stufe sehen durfte. Da sind wir Wilden doch bessere Menschen!‘ Das d¨urfen die Samoaner ”’ von sich wirklich mit Recht sagen, wenn sie die wilden Gesellen von den englischen und amerikanischen Kriegsschiffen ihr Geld vertun sehen, als ob der Rausch das h¨ochste aller G¨uter f¨ur sie w¨are.“ (Genthe 1908: 62) Die Bezeichnung wild“ benutzte Genthe an dieser Stelle sowohl f¨ur die englischen ” und US-amerikanischen Gesellen“, als auch f¨ur die samoanische Bev¨olkerung, die er den ” Matrosen in diesem Falle u¨ berordnete. Im Vergleich war die samoanische Bev¨olkerung enthaltsam und sparsam, und vertrat damit auch preußische Tugenden. Insgesamt sah Genthe in der nie ruhende[n] Eifersucht“ und dem absichtlich gesch¨urte[n] Gegensatz ” ” zwischen den Missionaren der verschiedenen Kirchen“ die haupts¨achliche Ursache f¨ur die Schw¨achung des europ¨aischen Einflusses (Genthe 1908: 48). Auch Myers Shoemaker hatte in den unterschiedlichen Interessen, von denen er Deutschland den gr¨oßten Teil zusprach, danach England und den USA schließlich einen nachgeordneten, und in den constant petty wars between the natives“, den Hauptgrund ” gesehen, dass der Zustand auf den Inseln not a happy one“ sei. (Vgl. Myers Shoemaker ” 1898: 43f.) Die Missionen wiederum f¨uhlten sich nicht notwendigerweise der entsendenden Nation verpflichtet. Barradale versuchte, sich aus der nationalen Zugeh¨origkeit herauszuhalten. I ” have told you that Samoa is not a British colony. It partly belongs to Germany and partly to the United States of America. But the London Missionary Society was the first Missionary Society to go there, and it is of the work that it has done, and is still doing so well, that I wish to write.“ (Barradale 1907: 15f.) Insbesondere von den deutschen Autorinnen und Autoren war die Stellung der Missionen als subversiv wahrgenommen worden, wohingegen Barradale ihre Legitimation ausschließlich aus ihrem Status als Zuerst-Dagewesene und ihrer geleisteten Arbeit herleitete. Hesse-Wartegg und sp¨ater auch Zieschank deuteten dagegen an, dass nicht die Missionen, sondern erst das kraftvolle und zielbewußte Auftreten des Deutschen Reiches“ und ” die Ausbreitung deutschen Handels“ in der S¨udsee den Fokus anderer M¨achte dorthin ” gelenkt h¨atte, um [. . . ] von den herrenlosen Inseln zu ergattern, was noch zu ergattern ”

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war, andererseits auch, um die losen Bande, welche verschiedene Inselgruppen an diese M¨achte kn¨upften, strammer anzuziehen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 322) Wie dargestellt, waren zur Zeit der Anf¨ange der DH&PG bereits die englischen Missionare auf der Inselgruppe vertreten, zu denen die deutsche Firma in Konkurrenz trat, was den Einfluss anging. Dies Aufbl¨uhen deutschen Handels [des Hauses Godeffroy, G. F.] aber weckte bald den Neid und die ” Habgier der Engl¨ander und Amerikaner, die beide, wenn es sich um Gesch¨afte und geldliche Vorteile handelt, R¨ucksichten nicht kennen. Bald tauchten deren Agenten auf und versuchten, den deutschen Einfluß bei den Eingeborenen zu untergraben.“ (Zieschank 1918: 8)

Neid und Habgier sind die Eigenschaften, mit denen Engl¨ander und US-Amerikaner charakterisiert werden. Damit bilden sie in Zieschanks Selbstdarstellung den Gegenpol zur Bescheidenheit, aber auch zum vermeintlich rechtm¨aßigen Anspruch des Deutschen Reiches auf die samoanischen Inseln. Auch hier geriet die samoanische Bev¨olkerung zwischen die Fronten, wenn es um das Untergraben von Autorit¨aten ging. Neben den Vorurteilen und Stereotypen gegen¨uber den anderen Nationen, waren die Reiseberichte wesentlich von einem Konkurrenzdenken gepr¨agt. Insbesondere ließ sich das nach der Inselteilung an den Texten der deutschen Autoren ablesen. Vor allem der Besitz und die Sicherung von strategisch wichtigen Punkten, in diesem Falle der Hafenanlagen, besch¨aftigte die Schreibenden. Die Insel Upolu war zwar u¨ ber die Bucht von Apia f¨ur Schiffe ansteuerbar, allerdings barg dieser Hafen, besonders bei starken St¨urmen, durchaus Gefahren. Einen besser gesch¨utzten Hafen besaß die Insel Tutuila mit Pago Pago, die zum US-amerikanischen Teil der Inseln geh¨orte. Mit diesen beiden konkurrierenden H¨afen stellte sich die Frage, welcher nun von den Schifffahrtslinien – die von Australien oder San Francisco starteten und damit tendenziell USA-freundlich waren – angelaufen werde und mit welchen Konsequenzen. Richard Deeken, der insgesamt in seinen Schilderungen einen stark wirtschaftlichen Fokus beibeh¨alt, forderte einen Ausbau des Hafens in Apia: F¨ur den Hafen von Apia ” muß unbedingt so bald als m¨oglich etwas geschehen, oder es muß an einem anderen g¨unstigeren Platze Deutsch-Samoas eine Hafenanlage geschaffen werden, denn sonst wird der Schiffsverkehr sich in der That g¨anzlich von Deutsch-Samoa fort nach Pago Pago ziehen [. . . ].“ (Deeken 1901: 22) Da die Schiffsverbindung, wie in Kapitel 4.1 gezeigt, nicht nur Reisende, sondern vor allem Nachrichten, Lebensmittel und Nachschub jeglicher Art nach Samoa brachte, hatte bislang Apia eine besondere Bedeutung als Knotenpunkt und gleichzeitig als Handelsstation f¨ur die DH&PG. Diese Vormachtstellung drohte Deutsch-Samoa mit dem Ausbau des

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Hafens in Pago Pago zu verlieren.14 Diesen Bedarf an guten Hafenanlagen sah Deeken insbesondere darin begr¨undet, dass [wir] [m]it Samoa [. . . ] einen außerordentlich wichtigen ” St¨utzpunkt in der o¨ stlichen H¨alfte der S¨udsee gewonnen [haben], dessen Wichtigkeit f¨ur unsern Handel und unsere Schiffahrt schon jetzt eine ziemlich große ist.“ (Deeken 1901: V) Weiter kritisierte er die heimatliche Regierung: Wir haben in Samoa sowohl politisch als auch kommerziell mit einer erbitterten Konkurrenz der ” Amerikaner zu rechnen, welche, wenn wir ihr nicht sofort energisch entgegentreten, unsere Kolonie allerdings ganz empfindlich sch¨adigen wird. Diese Gefahr scheint in Deutschland jedoch noch gar nicht gen¨ugend erkannt zu sein.“ (Deeken 1901: 22)

Die außenpolitischen Pl¨ane Deutschlands schienen f¨ur Samoa noch nicht langfristig entwickelt worden zu sein, was ein kurzfristiges Handeln verhinderte. Das bem¨angelte auch Genthe, als er darauf hinwies, dass Deutschland nicht entschlossen genug reagiere und die Chance auf einen guten Hafen verpasse: W¨ahrend zu Hause in Deutschland die stubenho” ckenden Kolonialgr¨ubler noch u¨ ber die Wertlosigkeit Samoas redeten, machten sich die Amerikaner ganz ohne Sang und Klang, aber mit viel Geld daran, den einzig guten Hafen der Inselgruppe f¨ur sich auszubauen.“ (Genthe 1908: 241) Genthe kritisierte den fehlenden R¨uckhalt in der Heimat, wo kaum jemand die SamoaInseln aus eigener Anschauung kannte. Was Deeken und Genthe noch als Bef¨urchtung formuliert hatten, schien kurze Zeit sp¨ater eingetreten zu sein. Hesse-Wartegg berichtete davon, dass die Dampfer nun tats¨achlich nicht mehr Apia, sondern Pago Pago anliefen: Seit Samoa deutsch und die kleine Insel Tutuila amerikanisch geworden ist, fahren diese ” Dampfer an Apia vor¨uber und legen daf¨ur im amerikanischen Hafen Pago-Pago auf Tutuila an, und Deutsch-Samoa hat das leere Nachsehen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 297) Damit verschoben sich die Machtverh¨altnisse. W¨ahrend zu Zeiten der Munizipalverwaltung alle drei Nationen ein Interesse daran hatten, dass Apia das Zentrum der internationalen Beziehungen blieb, war es nur konsequent, dass mit der Inselteilung auch eine Aufteilung der Einflusssph¨aren einherging und die US-amerikanische Bev¨olkerung innerhalb ihres eigenen Gebietes ein Machtzentrum etablierte. Es ist geradezu besch¨amend, daß diese deutsche Kolonie ohne jede Verbindung mit der ” Außenwelt ist, und das hat sie der Liebensw¨urdigkeit der Amerikaner zu danken.“ (HesseWartegg 1902: 297) Das, was Hesse-Wartegg hier nun ironisch der Liebensw¨urdigkeit der ” Amerikaner“ zuschrieb, war, zumindest Genthe und Deeken zufolge, eher die Konsequenz aus dem z¨ogerlichen Verhalten der eigenen heimatlichen Politik.

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Deeken zufolge ging dieser erst seiner Vollendung entgegen (vgl. Deeken 1901: 22).

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Neben dem Hetzen gegen die jeweils andere Regierung war es immer ein gutes Argument, die samoanische Bev¨olkerung als Spielball zu benutzen und ihnen Unzufriedenheit mit der einen oder anderen Vertragsmacht zu unterstellen. Dies geschah in beide Richtungen, was Deeken aufbrausen ließ. Die Amerikaner bezeichnen Pago Pago schlechthin als den port of entrance‘ f¨ur die Samoagruppe ” ’ und ich habe in den verschiedensten amerikanischen Zeitungen die ebenso naive als unversch¨amte Behauptung gelesen, daß der sich m¨achtig entfaltende amerikanische Handel auf Tutuila die Eingeborenen Deutsch-Samoas, welche u¨ berhaupt mit der deutschen Regierung im h¨ochsten Grade unzufrieden seien, zur Massenauswanderung in das amerikanische Gebiet verleite [Herv. i. O.].“ (Deeken 1901: 16f.)

So wie Churchward eingangs postuliert hatte, dass sich die Samoaner, vor die Wahl gestellt, f¨ur eine britische Verwaltung entscheiden w¨urden, formulierte wohl jede und jeder der Reisenden dasselbe f¨ur die eigene Nation, und Kolonialpropaganda geh¨orte vermutlich auch in allen Zeitungen zum Tagesgesch¨aft, was das Konkurrenzdenken in beide Richtungen sch¨urte.

6.3.2 Tutuila und Upolu An dieser Stelle lohnt sich ein genauerer Blick auf die Darstellungen Tutuilas und anschließend Upolus.

Das US-amerikanische Samoa: Tutuila W¨ahrend die Insel Upolu mit Apia bis ins Jahr 1900 das Zentrum der Weißen Bev¨olkerung, und Savai’i die Insel war, die sich ihre Urspr¨unglichkeit‘ am ehesten erhalten hatte (vgl. ’ Kapitel 4.2.3), genoss Tutuila, seit es unter US-amerikanische Verwaltung gestellt worden war, einen zweifelhaften Ruf. Obwohl dort der besser gesch¨utzte Hafen Pago Pago lag, wo zudem eine amerikanische Kohlestation eingerichtet wurde, gab es zur dortigen Bev¨olkerung zwiesp¨altige Aussagen. Zumindest in den Schilderungen der deutschen Reiseberichte kann darin zum Teil eine indirekte Revanche vermutet werden, die der strategisch besseren Lage des Hafens geschuldet war.15 Doch schon vor der Teilung hatte Ehlers geschrieben: Schon in Pango-Pango und im Dorf Fangasar war uns aufgefallen, daß ” die Eingeborenen Tutuilas sich gegen uns weit weniger bescheiden und liebensw¨urdig

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Da keine englischsprachigen Quellen aus dem Zeitraum nach der Inselteilung in dieser Arbeit untersucht werden, kann lediglich dargestellt werden, wie die deutschsprachigen Texte Tutuila beschrieben. F¨ur englischsprachige Schilderungen k¨onnten beispielsweise Wheeler (1907) oder Poyer Kniskern (1933) herangezogen werden.

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zeigten, als wir es sonst von den Samoanern gewohnt waren.“ (Ehlers 2008/1895: 118) Ehlers markierte einen Unterschied im Verhalten der samoanischen Bev¨olkerung. Was den Grund daf¨ur darstellte, vermochte Ehlers nicht klar herauszustellen, er vermutete ihn aber wahlweise im Einfluss der Franzosen oder US-Amerikaner. Ob dieser auff¨allige Mangel an Achtung vor dem Europ¨aer noch eine Folge der vor u¨ ber hundert ” Jahren geschehenen Niedermetzelung der Franzosen ist oder ob die den Hafen von Pango-Pango des o¨ fteren anlaufenden amerikanischen Handels- und Kriegsfahrzeuge den weißen Mann in Mißkredit gebracht haben, wage ich nicht zu entscheiden.“ (Ehlers 2008/1895: 119)

Deutlich wird, dass er diese wesentlich andere Haltung“ (Ehlers 2008/1895: 119) nicht ” rassisch‘ begr¨undet, also auf eine eventuell unterschiedliche Abstammung‘ der Bewoh’ ’ nerinnen und Bewohner Upolus und Tutuilas zur¨uckf¨uhrt, sondern auf Einfl¨usse durch Weiße. Zum Ende seiner Reise blieb Deeken noch drei Tage auf Tutuila, das mittlerweile zu Amerikanisch-Samoa geh¨orte, um von dort den Dampfer in die Heimat zu nehmen. Seine Beschreibung der Einheimischen klingt drastisch: Das frechste und diebischste Eingeborenenpack, welches ich je gesehen habe, habe ich auf Tutuila ” angetroffen, die urspr¨unglich sch¨on gebauten Gestalten von Schmutz starrend und von furchtbaren, ansteckenden Krankheiten zerfressen, welche die amerikanischen Matrosen ihnen als freundliche Liebesgabe der Civilisation gebracht haben.“ (Deeken 1901: 222)

Das gesunde Erscheinungsbild, dass die samoanische Bev¨olkerung insbesondere von Bewohnerinnen und Bewohnern anderer S¨udseeinseln abhob, war auf Tutuila laut Deeken nicht mehr gegeben. Grund daf¨ur waren seiner Einsch¨atzung nach der amerikanische Einfluss sowie Geschlechtskrankheiten, die sich die samoanischen Frauen von amerikanischen Matrosen zugezogen hatten. Die Auswirkungen dessen waren fatal. In Deekens Beschreibung blieb nichts mehr von den ansonsten paradiesisch anmutenden Gestalten u¨ brig, die er auf Savaii und Upolu beschrieben hatte. Stattdessen bezeichnete er die Menschen nun als Eingeborenenpack“, kaum mehr menschenw¨urdig. Kurz, einen krasseren Gegensatz zu ” ” den liebensw¨urdigen und treuherzigen Samoanern Upolus und Savaiis kann es gar nicht geben.“ (Deeken 1901: 222) Dies gab ihm Gelegenheit, der amerikanischen Verwaltung die F¨ahigkeit abzusprechen, sich um den Schutz der einheimischen Bev¨olkerung entsprechend zu k¨ummern, wenn nun schon solche Zust¨ande herrschten. Weiter sprach Deeken explizit u¨ ber die amerikanische Verwaltung: Die Verwaltung des amerikanischen Samoa ist allerdings ebenso verrottet wie daheim in den Staa” ten. Die amerikanischen Beamten vertiefen sich mit eben demselben Eifer in den stillen Frieden der Whiskyflasche, wie die unsrigen in den staubvergilbter Aktenst¨oße und paragraphentriefender

286 | Kolonialherren‘ dreier Nationen ’ Gesetzesbestimmungen. Der amerikanische Gouverneur von Samoa soll es nun ganz besonders arg treiben und mit einer Willk¨ur regieren, daß es selbst den freien Amerikanern im Mutterlande zu bunt wird, und man schon zu meiner Zeit von einer Abberufung sprach, die auch in der That k¨urzlich erfolgt ist.“ 16 (Deeken 1901: 224f.)

Deeken spielte mit dem Stereotyp der deutschen B¨urokratie, um das Maß des USamerikanischen Alkoholkonsums zu pointieren.17 Die Rechtm¨aßigkeit seiner Kritik sah Deeken in der Abberufung“ des Gouverneurs best¨atigt. ” Genthe kam in seiner Beurteilung Tutuilas zu a¨ hnlichen Ergebnissen, allerdings schob er die Schuld daf¨ur nicht der US-amerikanischen Verwaltung zu, sondern sah sie rassisch‘ ’ bedingt. Wirklich scheint die Verachtung, die auf den westlichen Inseln den Tutuilaern ” entgegengebracht wird, nicht nur in vor¨ubergehender Verstimmung ihre Ursachen zu haben, sondern in Rassenverschiedenheit begr¨undet zu sein.“ (Genthe 1908: 255) Diese a¨ ußerte sich bereits im Auftreten eines H¨auptlings‘: Von der offenen Freundlichkeit, die auf Savaii ’ ” und Upolu die H¨auptlinge schon a¨ ußerlich als die Erlesenen des Volkes kennzeichnet, war bei diesem hohen Herrn nichts zu sp¨uren, der sich stolz sogar Tui Tutuila‘, Herr von ganz ’ Tutuila, nennt [. . . ].“ (Genthe 1908: 255) Schließlich gaben Genthes Ausf¨uhrungen Hinweise auf das, was man heutzutage als Folge des Tourismus kennt: Boshafte Seelen meinen sogar, man k¨onne auf Tutuila ” u¨ berhaupt nichts echt Samoanisches mehr kaufen, alles w¨urde in Birmingham gemacht, wie das ja mit zahllosen ethnographischen Artikeln geschieht.“ 18 (Genthe 1908: 251) Insgesamt erkannten die deutschen Autoren durchaus die Rivalit¨at und Konkurrenz, die ihnen durch die US-amerikanische Verwaltung und insbesondere den Besitz des besseren Hafens drohte oder schon eingetreten war. Gleichzeitig beschrieben sie die Bev¨olkerung Tutuilas als eher abstoßend und keinesfalls liebenswert. Diese Beschreibungen fallen insofern ins Gewicht, da sie kontr¨ar zum sonstigen Menschenbild stehen. Nicht zuletzt beruhte der (selbsterteilte)

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Deeken spielte auf den ersten amtierenden Gouverneur von Amerikanisch-Samoa, Benjamin Franklin Tilley (1848-1907) an, der das Amt als Kommandant der U.S. Marinestation Tutuila von Februar 1900 bis Juni 1901 ausf¨uhrte. Mit seiner ansonsten durchaus umsichtigen Politik hatte dieser sich unter den H¨andlern Feinde gemacht. Im April 1901 wurde er wegen drunkenness and ” immorality“ angeklagt und vor ein Milit¨argericht gestellt, von welchem er aber freigesprochen wurde. W¨ahrend des Verfahrens war er von seinem Amt freigestellt, setzte es danach aber fort, bis er nach wenigen Wochen zum Kapit¨an bef¨ordert und nach San Francisco versetzt wurde (vgl. Stuart 2007: 96ff.). F¨ur ausf¨uhrlichere Schilderungen der Ereignisse auf Tutuila und um Tilley vgl. Gray (1960): 105-139.

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Vermutlich a¨ ußerte sich hierin auch sein Unmut u¨ ber die deutsche Verwaltung durch Gouverneur Solf, mit dem er – wie eingangs in Kapitel 3.2 dargestellt – in Konflikt geraten war.

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Immerhin wurden auch Bildpostkarten mit samoanischen Motiven in Deutschland gedruckt und f¨ur den Verkauf zur¨uck nach Samoa geschickt (vgl. Nordstr¨om 1995: 22).

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Legitimationsanspruch der Deutschen darauf, ebenjene Bev¨olkerung zu sch¨utzen und sie vor den allzu verderblichen Einfl¨ussen der Zivilisation fernzuhalten. Insofern wurde hier der US-amerikanischen Verwaltung zum einen die F¨ahigkeit abgesprochen, sich um dieses sch¨utzenswerte‘ Volk zu k¨ummern, und zum zweiten wurde das ’ Begehren nach dem Besitz Pago Pagos gemindert, da dieser mit einem hohen Preis erkauft werden musste. Ernsthafte Bestrebungen, Pago Pago in deutschen Besitz zu u¨ berf¨uhren, gab es sowieso nicht, stattdessen wurde darauf hingearbeitet, den Hafen von Apia entsprechend konkurrenzf¨ahig auszubauen, was aber bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht geschehen sollte.

Das deutsche Samoa: Upolu Der 1. M¨arz 1900 stellte einen Wendepunkt in der deutschen Kolonialgeschichte dar, als auf der Insel Upolu schließlich die deutsche Fahne aufgezogen wurde. Die zeitgen¨ossische, breit gef¨uhrte Diskussion um die politischen Verh¨altnisse Samoas veranlasste viele Autorinnen und Autoren, sich zu diesem Tag explizit zu a¨ ußern. Dabei zeigt sich in den Darstellungen, die sich wesentlich von denen des US-amerikanischen Tutuilas unterscheiden, dass dieses Ereignis vor Ort vermeintlich durchweg positiv aufgenommen wurde. Ernst von Hesse-Wartegg war w¨ahrend der Flaggenhissung selbst vor Ort, genau wie Victor Arnold Barradale, Deeken war zum 1. Jahrestag dieses Ereignisses auf der Insel. Alle anderen berichteten von ihren sp¨ateren Erfahrungen oder fr¨uheren Einsch¨atzungen. Otto Ehlers hatte bereits bei seinem Besuch auf die geleistete Arbeit hingewiesen, die von Deutschen auf Samoa vollbracht worden war. Mit deutschem Kapital und deutscher ” Tatkraft ist hier in Samoa etwas geleistet worden, worauf wir als Nation stolz zu sein ein volles Recht haben.“ (Ehlers 2008/1895: 97f.) Darunter fiel f¨ur ihn die Urbarmachung des Urwalds, um Pflanzungen anzulegen. Seine Schilderung spiegelt insbesondere die preußische Auffassung wider, dass man sich mit Fleiß und Anstrengung etwas verdienen m¨usse, und nur wer mit eigenen Augen den samoanischen Urwald und die der Wildnis ” abgerungenen pr¨achtigen Pflanzungen gesehen hat, kann sich eine Vorstellung von der Arbeit machen, die hier bew¨altigt werden mußte“ (Ehlers 2008/1895: 98). Damit ebnete er den argumentativen Boden f¨ur die Inbesitznahme der Inseln durch das Deutsche Reich, und hoffte auf eine baldige politische L¨osung f¨ur ein deutsches Samoa“. ” Hoffentlich gelingt es in k u¨ r z e s t e r Zeit, auf diplomatischem Wege England und Amerika dahin zu ” bringen, ihre Anspr¨uche auf Samoa endg¨ultig fallen zu lassen. [. . . ] Ein deutsches Samoa kann f¨ur uns eine wertvolle Kolonie werden. [. . . ] Samoa ist – das kann nicht oft genug gesagt werden – des Schweißes selbst der Edelsten wert [Herv. i. O.].“ (Ehlers 2008/1895: 145f.)

Schließlich war es nach dem Besuch der internationalen Kommission 1899 soweit, dass die politische L¨osung durch Teilung der Inseln eintraf. Victor Arnold Barradale schilderte

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die Ereignisse um den 1. M¨arz 1900, bei denen er pers¨onlich zugegen war. The flag of ” Germany was raised on the island of Upolu, and that of the United States of America in Tutuila, but as the two ceremonies were very much alike, I shall tell you of the former event, partly because I saw it, and partly because the German colony includes the greater portion of Samoa.“ (Barradale 1907: 54) W¨ahrend deutsche Reisende die Worte des Gouverneurs Solf wiedergaben (s. u.), zitierte Barradale aus der Predigt des anwesenden Bischofs. Ohne diese hier wiederzugeben, gen¨ugt Barradales Nachsatz, um seine Intention deutlich zu machen: Indeed, the religious service appealed deeply to the Samoan, and impressed them ” more than all the ceremonies that followed.“ (Barradale 1907: 57) Insgesamt sah Barradale die Installierung der deutschen Regierung positiv, da sie auch der Arbeit der Missionen ruhigere und stabilere gesellschaftliche Verh¨altnisse bescherte, und er berichtete zugleich von der US-amerikanischen Flaggenhissung u¨ ber Tutuila, die ungef¨ahr zeitgleich stattfand, in den deutschen Quellen aber vernachl¨assigt wurde. Der Schwerpunkt seiner Erz¨ahlung lag deutlich auf dem Anteil der LMS an der Feierlichkeit (vgl. Barradale 1907: 57ff.), deren eigentliche Bedeutung f¨ur die samoanische Bev¨olkerung nachrangig erschien. F¨ur ihn war vor allem wichtig, dass die K¨ampfe und Kriege nun ein Ende nahmen. March I, 1900, ” is also to be remembered for the establishment of a well-ordered rule amongst a people whose frequent quarrelings and fightings had often hindered the work of the missionaries of the Gospel of Peace.“ (Barradale 1907: 60) F¨ur Barradale war dementsprechend das in der Teilung liegende Friedensversprechen von vorrangiger Bedeutung. Dass dieser Frieden auf Dauer gegeben sein w¨urde, bezweifelte Deeken nicht nur aufgrund des Temperaments des samoanischen Volkes‘ (vgl. Deeken 1901: 74), sondern auch, da die antideutschen ’ ” Elemente, zu denen nicht in letzter Linie die amerikanischen und englischen Missionare geh¨oren, einen nicht zu untersch¨atzenden Einfluß auf einen großen Teil der Eingeborenen haben, und diesen Einfluß ganz gewiß nicht zur Unterst¨utzung der deutschen Herrschaft verwenden“ (Deeken 1901: 70). Diese Bedenken dienten Deeken schon an anderer Stelle zur Kritik am Missionswesen (vgl. Kapitel 6.1). Die Nachricht der politischen Teilung der Inseln musste auf dem ganzen Archipel zun¨achst verbreitet werden, weshalb der deutsche Gouverneur Solf die Aufgabe u¨ bernahm, in die verschiedenen Ortschaften zu reisen und sich dort der Loyalit¨at der W¨urdentr¨ager zu versichern. Hesse-Wartegg, der dies in Teilen miterlebte, zeichnete die Ansprache entsprechend auf: Ihr d¨urft nicht glauben‘, so sagte er [Solf, G. F.] zu den H¨auptlingen (die Missionare hatten sich ”’ inzwischen dicht um das Haus gedr¨angt), der große deutsche Kaiser, die K¨onigin von England und der ’ Pr¨asident der Vereinigten Staaten schließen Vertr¨age f¨ur einen Tag oder ein Jahr. Der Vertrag, welcher dem Deutschen Reich Upolu und Sawaii zuspricht, ist f¨ur ewige Zeiten geschlossen worden und‘, dabei hob er feierlich die Rechte, Deutschland hat die Macht, darauf zu sehen, daß dieser Vertrag ’ auch eingehalten wird!‘“ (Hesse-Wartegg 1902: 275)

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Mit der Zitation von Solfs Rede konnte Hesse-Wartegg zun¨achst authentifizieren, dass er an den erw¨ahnten Ereignissen tats¨achlich teilgehabt hatte; nicht nur den Wortlaut, auch die Gestik Solfs und Details der Umgebung schilderte er. In der Aufz¨ahlung erschienen die Staatsoberh¨aupter Deutschlands, Englands und der Vereinigten Staaten vermeintlich gleichberechtigt, doch nur der deutsche Kaiser wird als groß“ attribuiert. Unabh¨angig ” davon, wem zuvor die Loyalit¨at der Einheimischen gegolten hatte, stand Deutschland nun als ebenso m¨achtig – wenn nicht sogar m¨achtiger da. Weiterhin beschrieb HesseWartegg die Entwicklung seit der Teilung. Das Deutschtum macht dort [in Apia, G. F.] ” seit der Besitzergreifung Samoas durch das Reich u¨ berraschend schnelle Fortschritte, es treffen immer mehr Deutsche ein, und augenblicklich ist die deutsche Sprache gewiß schon vorherrschend.“ (Hesse-Wartegg 1902: 318) Wie oben dargestellt (vgl. Kapitel 5.1.3), arbeiteten sich die Schreibenden daran ab, ob insbesondere Apia eher eine deutsche oder englische Stadt sei, gerade was den Gebrauch des Pidgin-Englisch als Umgangssprache betraf. Insofern bescheinigte Hesse-Wartegg dem Deutschtum in Apia hier Fortschritte. Gleiches nahm auch Zieschank noch ein paar Jahre sp¨ater wahr: Das ganze Leben gestaltete sich jetzt anders, die Geselligkeit wurde ” anregender und vielseitiger. Immer mehr schwand das englische Element und das deutsche trat st¨arker und reiner hervor.“ (Zieschank 1918: 81) Neben dem wachsenden deutschen Einfluss gab es f¨ur Wegener weitere positive Aspekte: Wie sch¨on war es doch, daß uns mit dieser Inselgruppe gerade derjenige Archipel der ” S¨udsee in die H¨ande gefallen, in welchem sich die sonst bei der Ber¨uhrung mit den Weißen rasch verschwindende polynesische Kultur noch fast ganz rein erhalten hat.“ (Wegener 1925/1919: Kap. 3) Im Gegensatz zu den Schilderungen Tutuilas hatte man, Wegener zufolge, ein Gebiet in seinen Besitz gebracht, das noch etwas von seiner urspr¨unglichen‘ polynesischen Kultur ’ bewahrt hatte. Mit Blick auf die Missionsgeschichte (vgl. 6.1) wirkt diese Aussage euphemistisch. Das, was sich erhalten hatte, war die europ¨aisierte Variante der samoanischen Kultur, die einem europ¨aisierten Blick ausgesetzt war und die von Europ¨aerinnen und Europ¨aern anhaltend ent-fremdet, also verst¨andlich gemacht wurde. Wegener konnte diesen unausgesprochen Schutzauftrag aber nutzen, um die eigene bewahrende‘ Herrschaft zu ’ legitimieren. ¨ Deeken schilderte die deutsche Ubernahme als regelrechte Erl¨osung: Endlich war ” Samoa deutsch geworden, und es war, als wenn ein Aufatmen der Erleichterung durch die ganze Bev¨olkerung, durch ganz Samoa ging.“ (Deeken 1901: 32) Deeken stellte hier den befreienden Charakter der politischen L¨osung heraus. Die Erleichterung war sicherlich nicht ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass ein Teil Samoas nun deutsch geworden war, sondern dass damit insgesamt eine politische L¨osung f¨ur den teilweise krisenhaft anmutenden Zustand auf Samoa gefunden und damit die Empfehlungen der internatio-

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nalen Kommission umgesetzt worden waren. Weiterhin stellte Deeken die vermeintliche Notwendigkeit heraus, mit der sich das Deutsche Reich an der Weltpolitik und damit insbesondere am Kolonialerwerb zu beteiligen habe. Wenn auch diese Erkenntnis noch nicht in den breiten Schichten des deutschen Volkes“ angekommen war, sei doch Deutschland ” ” g e z w u n g e n [. . . ], sich auf bisher kaum betretenen Pfade u¨ berseeischer Weltpolitik, auf denen der Handel bereits seit Jahrzehnten vorausgeeilt ist, zu begeben, wenn es sich nicht aus seiner bisherigen politischen und wirtschaftlichen Stellung herausdr¨angen lassen will [Herv. i. O.].“ (Deeken 1901: II) Wirtschaftliche und politische Motive trieben Deeken an; nicht zuletzt sch¨urte er die Legende des Volkes ohne Raum‘, das expandieren m¨usse, um weiterhin die gesamte ’ Bev¨olkerung ern¨ahren zu k¨onnen: Der seit Jahrhunderten durchgepfl¨ugte und durchge” siebte Boden des kleinen Deutschland kann nicht mehr die 55 Millionen seiner Bewohner ern¨ahren.“ (Deeken 1901: III) Dementsprechend stellte der 1. M¨arz 1900 nicht nur einen Tag großer Erleichterung dar, sondern auch den Tag des gr¨oßten Jubels, der maßlosen ” Freude, den Samoa jemals gesehen hat“ (Deeken 1901: 33).19 Auch f¨ur Frieda Zieschank war die Teilung der Inseln eine reinliche Scheidung“ (Zieschank 1918: 8), die die Kr¨onung ” der K¨ampfe darstellte: Nach dreiundvierzig Jahren tapfern unentwegten Ausharrens, nach ” h¨artesten K¨ampfen und Sorgen dort im fernen S¨udmeer, sahen unsere Landsleute ihr Streben gekr¨ont: am 1. M¨arz 1900 wurde die deutsche Reichsflagge auf Mulinuu, dem alten samoanischen K¨onigssitz gehißt!“ (Zieschank 1918: 9) Das Aufziehen der Fahne auf Mulinuu war f¨ur Zieschank von besonderer symbolischer Bedeutung. Schließlich transportierte es die Botschaft, dass die Zeit der samoanischen Herrscher nun vor¨uber sei, und diese Position den Deutschen geh¨ore. Obwohl sich dieses Zeichen an die anderen Nationen und die samoanische Bev¨olkerung gleichermaßen richtete, bescheinigte Zieschank letzterer ein durchweg positives Verh¨altnis zu den deutschen Herrschern‘. Die Herleitung der Freude der samoanischen Bev¨olkerung wirkt jedoch ’ konstruiert. Das Verh¨altnis der Eingeborenen zu den Weißen war stets ein ausgezeichnetes bis auf die Unruhen, ” die durch die gewissenlosen Hetzereien der Engl¨ander und Amerikaner bei der letzten K¨onigswahl hervorgerufen waren. Nirgendwo auf der Welt kann unter farbigen St¨ammen der Weiße seines Lebens so sicher sein wie hier. Namentlich wir Deutschen haben stets im besten Einvernehmen mit den Samoanern gelebt. So wurde auch die Flaggenhissung von diesen freudig begr¨ußt.“ (Zieschank 1918: 70)

19

Deeken war wohlgemerkt nicht am 1. M¨arz 1900 zugegen, sondern erlebte den ersten Jahrestag 1901 auf Samoa.

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Die Schuld an den Wirren um die K¨onigswahl‘ sah Zieschank einseitig bei den ’ US-Amerikanern und Engl¨andern, reflektierte ihren eigenen Anteil als Angeh¨orige der deutschen Nation nicht.20 Die samoanische Bev¨olkerung dagegen wurde zu Rechtfertigungszwecken herangezogen, das Zusammenleben sei stets im besten Einvernehmen“ ” erfolgt. Hier sprach also erneut jemand f¨ur die samoanische Bev¨olkerung, die wahlweise – je nach Herkunft des Autoren oder der Autorin – die englische, US-amerikanische oder deutsche Schutzherrschaft bevorzugte. Zwar a¨ ußerten manche Autorinnen und Autoren Zweifel an dem positiven Einfluss, den die westliche Kultur und Zivilisation‘ u¨ ber Samoa ’ gebracht habe, doch hinterfragte niemand explizit den Herrschaftsanspruch der eigenen Nation. F¨ur alle Schreibenden schien es eine unhinterfragbare Pr¨amisse zu sein, sich die Inselgruppe untertan zu machen und in das Gesellschaftsgef¨uge der Samoanerinnen und Samoaner einzugreifen zu d¨urfen. Zudem wurde die samoanische Bev¨olkerung im Zuge des Sprechens f¨ur instrumentalisiert; entweder, um den eigenen Herrschaftsanspruch zu festigen, oder um den fremden Einfluss der jeweils anderen Nationen zu diskreditieren.

¨ 6.3.3 Zusammenfassende Uberlegungen Eine gewisse Internationalit¨at pr¨agte das Erscheinungsbild Samoas, insbesondere Apias, in allen Texten. Deren Allt¨aglichkeit zeigte Stevenson bei seinem Spaziergang durch die Bucht von Apia. Mit der Rivalit¨at zwischen den Weißen Nationen gingen bestimmte Stereotype und Vorurteile einher. Stevenson benannte die Deutschen als humorlos und u¨ berempfindlich, sah aber auch den britischen Anteil an gewissen Streitereien. Gegenseitig warfen sich Deutsche und Briten vor, die samoanische Bev¨olkerung jeweils f¨ur ihre Zwecke zu instrumentalisieren und Intrigen gegen die Verwaltung der jeweils anderen Nation zu spinnen, so zeigten es die Texte von Churchward und Deeken. Die Diskussionen um die Einf¨uhrung des Crickets durch die britischen und die Unterbindungsversuche durch die deutschen Siedlerinnen und Siedler spiegeln symptomatisch, wie anhand einer Sportart – in diesem Falle – britische Selbstverortungen und Konstruktionen von M¨annlichkeit (English masculinity) gestaltet wurden (vgl. Woollacott 2006: 84).21

20

Die zitierten Passagen Zieschanks geh¨oren zu ihren Tagebucheintr¨agen aus dem Mai 1908 (vgl. Zieschank 1918: 65). Ob ihre Aufzeichnungen f¨ur die Ver¨offentlichung ggf. u¨ berarbeitet wurden, und ihre anti-englische Haltung auf den Ersten Weltkrieg und den Verlust der Kolonien zur¨uckzuf¨uhren ist, findet hier keine Ber¨ucksichtigung.

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Woollacott zufolge stellte das Cricket-Feld einen Ort dar, an dem sich colonial“ und metropolian ” ” men“ begegneten (Woollacott 2006: 9), M¨annlichkeiten und imperialistische Performanz ausgehandelt wurden. F¨ur den samoanischen Kontext trifft dies nur in Teilen zu, da sich am Cricketspiel

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Loosens Ergebnis, dass deutsche Frauen Vorurteile gegen¨uber englischen und franz¨osischen Missionen a¨ ußerten (vgl. Loosen 2014a: 595), darf also im Umfang der Vorurteile und in ihrer Wechselseitigkeit erweitert werden. Auch wenn die unterschiedlichen Nationen insofern gut harmonierten, dass es nicht zu Auseinandersetzungen kam, so war die gegenseitige Wahrnehmung doch deutlich vorurteilsbehaftet. Die eigentliche Konkurrenz lag aber zwischen Angeh¨origen der deutschen Nation und den USA in den jeweiligen Interessen an Samoa begr¨undet. Ehlers und Genthe nutzten beide ihre Texte, um ein Bild der US-Amerikaner zu entwickeln, welches ein Gegenbild zu den preußischen Tugenden darstellte. Der deutschen Nationsgr¨undung ging eine lange Suche nach einer nationalen Identit¨at voraus, die ” aufgrund der fehlenden staatlichen Einheit als Kulturnation imaginiert wurde. [. . . ] Der Rekurs auf eine gemeinsame Kultur als identit¨atsstiftendes Merkmal konnte die Zersplitterung Deutschlands, die eine Herausbildung des Nationalbewusstseins u¨ ber ein gemeinsames Territorium ausschloss, ideologisch kitten.“ (Dietrich 2007: 57)

Auf politischer und wirtschaftlicher Ebene drehte sich die Rivalit¨at um die strategisch bedeutsamen Punkte: die H¨afen. W¨ahrend die USA auf Tutuila eine Kohlestation besaßen und einen Ausbau des dortigen Hafens forcierten, f¨urchteten die deutschen Autoren mit dem Abzug der Schifffahrtslinien von Upolu die Bedeutungslosigkeit Apias. Als dies tats¨achlich eintrat, wurden die Argumente, insbesondere von Hesse-Wartegg jedoch auf der pers¨onlichen Ebene ausgetauscht. ¨ Zum Zeitpunkt der Ubernahme Tutuilas durch die USA gab es noch keinen konkreten Plan, wie das Leben vor Ort geordnet und verwaltet werden sollte (vgl. Stuart 2007: 92). Da Tutuila als U.S. Marinestation gef¨uhrt wurde, mussten keine Beschl¨usse der heimatlichen Außenpolitik abgewartet werden. Letztlich erwiesen sich die vorherrschenden milit¨arischen Strukturen als praktikabel, da sie die Offiziere im Vergleich zur deutschen Verwaltung handlungsf¨ahiger machten. Der Marineoffizier, der als Kommandant mit relativ hoher Handlungsfreiheit eingesetzt wurde, war Benjamin Franklin Tilley (vgl. Stuart 2007: 91ff.). Dagegen verlor Upolu mit der Verlagerung des Schiffsverkehrs nach Pago Pago empfindlich an Bedeutung und vor allem seine Verbindung zur Außenwelt. Dies rief Klagen der deutschen Autorinnen und Autoren u¨ ber die Tr¨agheit der heimatlichen Verwaltung hervor. Die Einheimischen Tutuilas hingegen wurden als degeneriert und in ihrem Verhalten als deutlich unterschiedlich zu den Einheimischen der anderen Inseln wahrgenommen, womit eine gewisse Parallele zwischen der US-amerikanischen Verwaltung und dem Status

auch Frauen beteiligten, dennoch mag dies einen zus¨atzlichen Erkl¨arungsansatz f¨ur die deutschen Verbotsversuche bieten.

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der Einheimischen gezogen werden sollte. Dies kulminierte in Deekens Ausdruck des Eingeborenenpacks‘. ’ Die entsprechende Gegendarstellung fand sich in den Schilderungen Deutsch-Samoas, wo am 1. M¨arz 1900 die Reichsflagge aufgezogen wurde, was eine rituelle Handlung mit einem pr¨agnanten Symbol darstellte. Damit gewinnt die Frage nach den Mythen und Sym” bolen, Normen und Metaphern an Bedeutung, die im Zuge einer kulturellen Konstruktion der Nation maßgeblich w¨urden.“ (Haupt und Tacke 1996: 264) Die Schilderungen dieses Ereignisses betrafen einseitig Deutsch-Samoa und ließen die Ereignisse in AmerikanischSamoa außen vor. Die deutschen Schreibenden konstruierten sowohl ihre Fremdherrschaft als von der samoanischen Bev¨olkerung freudig begr¨ußt‘ (Zieschank), als auch sich selbst ’ als die besseren Kolonialherren‘. Die Funktionsweise dieser Darstellung glich der des ’ sp¨ateren Mythos’ vom treuen Askari‘, der die zivilisatorische[ ] Bef¨ahigung“ der Deut’ ” schen und die Akzeptanz der [deutschen] Kolonisierer bei der Bev¨olkerung“ bezeugen ” sollte (Gissibl 2008: 216).22 Br¨uche in dieser Konstruktionsleistung zeichnen sich bereits bei Barradale ab, da in seiner Darstellung die rahmende Zeremonie eine deutlich h¨ohere Bedeutung f¨ur die einheimische Bev¨olkerung hatte, als die damit verbundene Macht¨ubernahme der Deutschen. Wegener konstruierte u¨ ber die (noch) erhaltene polynesische Kultur einen Schutzauftrag f¨ur die deutsche Herrschaft und legitimierte sie damit. Deutlich wird, dass die beschriebene Konkurrenz und die wechselseitigen Vorurteile der europ¨aischen Nationen untereinander einem anderen Argumentationsmuster folgen, als die gegen¨uber der samoanischen Bev¨olkerung. W¨ahrend die samoanische Bev¨olkerung eher u¨ ber Naturalisierungen, Unterstellungen mangelnder Zivilisiertheit‘ und Entwicklung‘ ’ ’ hierarchisch untergeordnet wurde, funktionierten diese Muster gegen¨uber den anderen Nationen auf einer anderen Ebene, in ihrer Dynamik im Grunde aber a¨ hnlich. Die anderen Kolonialm¨achte, insbesondere in der Auseinandersetzung zwischen Deutschland und den USA, versuchte man stattdessen u¨ ber kognitive Aspekte zu degradieren. So zielen Stereotype wie Humorlosigkeit oder schlechtes Benehmen auf ein gewisses Verst¨andnis von Humor und Manieren ab. Gerade in der Episode Genthes mit unterschiedlicher Wahrnehmung der deutschen Matrosen und US-amerikanischen Blaujacken wird der Gegensatz nicht u¨ ber physische Merkmale, sondern u¨ ber die Ausstrahlung von – aus Genthes Sicht preußischen – Tugenden konstruiert. Da man sich offenbar bewusst ist, auf einer a¨ hnlichen Zivilisationsstufe‘ zu stehen, findet die Auseinandersetzung auf der ’ Ebene der jeweiligen Norm- und Wertvorstellungen statt. [I]n dem Maße n¨amlich, wie ” sich die Nationen in ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisation angleichen und die internationale Verflechtung zunimmt, w¨achst der Zwang zur Unterscheidung, auf der die nationale Selbstdefinition beruht [. . . ].“ (Jeismann 1991: 86)

22

Vgl. dazu außerdem Michels (2008).

294 | Kolonialherren‘ dreier Nationen ’

Die Konstituierung einer deutschen‘ Nationalit¨at scheint f¨ur die entsprechenden Ak’ teurinnen und Akteure wichtiger zu sein, als sie das etwa f¨ur Britinnen und Briten war. Hier d¨urfte sich die l¨angere Kolonialerfahrung Englands niederschlagen, deren Abgrenzungsund Identit¨atsprozesse eher gegen¨uber Indien stattgefunden hatten, w¨ahrend das noch junge Deutsche Reich sich seiner eigenen Nationalit¨at und deren Merkmalen noch nicht sicher war. Nationale Identit¨at erscheint, in diesem Licht betrachtet, nicht als statische und stabile ” Gr¨oße, sondern als Teil eines st¨andigen Prozesses der Definition und Neudefinition sozialer Beziehungen.“ (Haupt und Tacke 1996: 264) Die samoanische Bev¨olkerung war der vermeintliche Nutznießer dieser Konflikte und trat in den Schilderungen aus ihrer Rolle des unm¨undigen Kindes‘ heraus und wurde in ’ der Rolle des Wahrheitssprechenden‘ verortet, was eine weitere Facette einer kindlichen ’ Wahrnehmung repr¨asentierte ( Kindermund tut Wahrheit kund‘). Mithilfe der Praktik des ’ Sprechens f¨ur instrumentalisierte man sie jedoch wiederum, um die eigene Herrschaft als gew¨unscht zu legitimieren. Daraus generierte man einen Schutzauftrag, der die Bewahrung der einheimischen Bev¨olkerung zum Inhalt hatte, genau wie Schutz vor den Intrigen der Konkurrenzm¨achte.

6.4 Z IVILISATIONSKRITIK

UND

S CHUTZAUFTRAG

Die koloniale Begegnung auf Samoa f¨uhrte in allen beteiligten Gesellschaften zu Ver¨anderungen und anderen Sichtweisen. Die Autorinnen und Autoren nahmen sich nun im Spiegel der Anderen wahr und a¨ ußerten Kritik an der heimatlichen Gesellschaft. Dabei bewegten sich die Schreibenden in dem Raum zwischen der Zivilisationskritik, die den zerst¨orerischen Einfluss der Zivilisation‘ auf andere V¨olker betonte, und der dar’ aus resultierenden Forderung, die einheimischen Gesellschaften zu bewahren, also einem Schutzauftrag gerecht zu werden (6.4.1). Die Auseinandersetzung mit der Alkoholproblematik ist dabei eine exemplarische Facette. Der Kontakt zu Weißen war gepr¨agt von der Adaption Weißer Gegenst¨ande und Gebr¨auche, gleichzeitig auch von der Abgrenzung demgegen¨uber (6.4.2). Schließlich wurden die Reisenden mit ihrem Eigenen in entfremdeter Weise (6.4.3) konfrontiert.

¨ 6.4.1 Zwischen zerstorendem und bewahrendem Einfluss William Churchward beurteilte die Samoanerinnen und Samoaner als die faulsten‘ und ’ zugleich die gl¨ucklichsten‘ Menschen auf der Erde, f¨ugte dem aber hinzu: – that is, before ’ ” the arrival of the whites“ (Churchward 1887: 319). Daraus l¨asst sich zweierlei ablesen: Zum einen sprach Churchward hier von den Weißen‘, es handelt sich also nicht um Konkurrenz ’

Zivilisationskritik und Schutzauftrag | 295

zwischen Weißen Nationen, sondern um eine zivilisatorische‘ Abgrenzung zwischen ’ Weiß und nicht-Weiß. Zum anderen ist die Position der Weißen ambivalent besetzt, da samoanischen Menschen nun zwar nicht mehr die gl¨ucklichsten, aber auch nicht mehr die faulsten seien. Churchward attestierte der samoanischen Bev¨olkerung die Unf¨ahigkeit, alleine eine stabile Regierung zu bilden. The Samoan nation is, without doubt, quite incapable of ” forming and carrying on for any length of time anything like a stable Government by themselves, and the natives are well aware that such is the case.“ (Churchward 1887: 218) Er versicherte sich der Wahrheit‘ seiner Aussage, indem er der samoanischen Bev¨olkerung ’ ein Bewusstsein f¨ur ihre eigene Unf¨ahigkeit unterstellte. Diese Unf¨ahigkeit legitimierte wiederum Bem¨uhungen der Weißen, f¨ur stabile Verh¨altnisse zu sorgen. Doch mit der Unterst¨utzung der Vertragsm¨achte kaufte sich die samoanische Bev¨olkerung Nachteile ein, da sie nur einen geringen Nutzen f¨ur die Einheimischen brachten und vielfach als Grundlage for many an act of oppression“ (Churchward 1887: 219) bildeten.23 ” Im Gegenteil wurden die vermeintlich Sicherheit und Stabilit¨at bringenden Vertr¨age dazu ausgelegt, die Einheimischen zu u¨ bervorteilen oder zu unterdr¨ucken. Dennoch argumentierte Churchward: Samoa never will be settled until some Power takes her in hand.“ ” (Churchward 1887: 219) Obwohl er wahrnahm, dass die foreign Powers“ (Churchward ” 1887: 219) der samoanischen Bev¨olkerung nicht ausschließlich positive Entwicklungen brachten, sondern im Gegenteil u¨ berhaupt erst zu Unruhen beitrugen, pl¨adierte er f¨ur eine Macht¨ubernahme durch eine der Nationen. Da er selber als Berater Malietoas angefragt worden war, setzte er sich mit der Rolle auseinander, die ausl¨andische Beobachter und Berater auf Samoa gespielt hatten, um seine eigene Entscheidung sorgf¨altig abzuw¨agen. Churchward konstatierte, dass alle Berater letztlich ihre position of authority“ nur in der Absicht of robbing them“ genutzt h¨atten, ” ” w¨ahrend sich die samoanischen W¨urdentr¨ager erhofft hatten, einen Ausweg aus der social ” confusion“ (Churchward 1887: 103) zu finden. They had seen, also, each foreigner whom ” they had employed take their dollars on the most flimsy pretexts, and finally fade away in turn, leaving them in a worse condition than before.“ (Churchward 1887: 104) Churchwards letztliche Ablehnung der Beraterposition resultierte aus diesen negativen Beispielen und stieß auf das Unverst¨andnis der Samoanerinnen und Samoaner, welches ihn umso mehr kr¨ankte, da diese nicht nachvollziehen konnten, dass er es aus ernsthaften Gr¨unden getan hatte (vgl. Churchward 1887: 104). Obwohl er selber durchaus den Reiz dieser Rolle sah, wollte er sich nicht in die Reihen der vorangegangenen Berater stellen. Fraglich bleibt, ob

23

Bei den Vertr¨agen ging es in diesem Fall um die Ratifizierung von Landverk¨aufen, die in der Tat h¨aufig zu Ungunsten der samoanischen Bev¨olkerung ausgelegt wurden.

296 | Kolonialherren‘ dreier Nationen ’

er Angst hatte, in gleiche Muster zu verfallen, oder tats¨achlich die Position vertrat, dass die samoanische Bev¨olkerung ganz ohne Berater am besten gestellt w¨are. Churchward hatte also den schlechten Einfluss der Weißen wahrgenommen, der zu Benachteiligungen f¨ur die samoanische Bev¨olkerung f¨uhrte. Einen zerst¨orerischen Einfluss auf dieselbe unterstellten mehrere der Schreibenden. Es ist leider eine nicht zu leugnende ” Thatsache, daß die Eingeborenen auf allen Inseln der S¨udsee, wo sie mit der weißen Rasse in n¨ahere Ber¨uhrung gekommen sind, dem Aussterben entgegen gehen.“ (Deeken 1901: 196) Deeken zeichnete ein pessimistisches Bild des europ¨aischen Einflusses auf die samoanische Bev¨olkerung, indem er feststellte, dass [d]ie kleine Zahl der samoanischen Eingeborenen [. . . ] gewiß nicht in ihrem Besitzrechte beein” tr¨achtigt, noch sonst in ihren althergebrachten Lebensgewohnheiten durch die Neuordnung der Verh¨altnisse gest¨ort werden [darf], da sie dadurch, wie fast alle V¨olker der S¨udsee, einem rapiden Untergange zugef¨uhrt werden. Im Gegenteil, wir m¨ussen danach streben, die Zahl dieses edlen und hochgebildeten V¨olkchens zu vermehren.“ (Deeken 1901: VII)

Damit spielte er auf die Praxis der Landverk¨aufe an, die schon Churchward bem¨angelt hatte, und die schließlich von der deutschen Verwaltung reglementiert wurde. Aus dem drohenden Untergang“ des samoanischen Volkes leitete Deeken eine biologistisch anmutende ” Forderung ab, die dem modernen Vorgehen, das bei bedrohten Tier- oder Pflanzenarten praktiziert wird, a¨ hnelt: unter Artenschutz stellen und vermehren. Was seine Forderung zudem impliziert, ist der Aufbau von parallelen Sozialstrukturen, denn wie sonst sollte eine Weiße Regierung installiert werden, die keine Lebensgewohnheiten der einheimischen Bev¨olkerung ber¨uhrte. Deekens bewahrender Ansatz wirkt paradox, da er sich an dem Spagat versuchte, die Verh¨altnisse politisch neu zu ordnen, ohne damit Einfluss auf alther” gebrachte Lebensgewohnheiten“ zu nehmen. Dies ist nicht zuletzt darin begr¨undet, dass er die samoanische Bev¨olkerung als edles‘ und hochgebildetes‘ Volk bezeichnete, zugleich ’ ’ aber seiner kolonialen Sicht verhaftet blieb, die eine hierarchische Unterordnung dieses Volkes verlangte. Die positiven Aspekte des Menschenbildes und nicht zuletzt die gegen¨uber anderen S¨udseev¨olkern erhabene Positionierung der samoanischen Bev¨olkerung, f¨uhrten zu der Forderung nach Bewahrung dieser Eigenschaften und damit zum Schutzauftrag gegen¨uber den Einheimischen. Wegener sprach davon, bei der Betrachtung des weiße[n] Element[s]“ einen Zwie” ” spalt“ zu empfinden (Wegener 1903: 52). Einerseits kann er [der Verfasser, G. F.] nur mit schmerzlichem Bedauern beobachten, wie die eu” rop¨aische Zivilisation, einer vernichtenden Flutwelle gleich, alle kulturellen Besonderheiten auf dem Erdballe zu zerst¨oren im Werke ist, andererseits kann er t¨uchtiger Arbeit der weißen Volksgenossen in diesen fremden Gegenden seine Hochachtung und Sympathie nicht versagen.“ (Wegener 1903: 52)

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Wegener ging grunds¨atzlich, wie auch Deeken, von einem zerst¨orendem Einfluss der Zivilisation‘ auf andere Kulturen aus. Doch die t¨uchtige[ ] Arbeit“, die auf Samoa geleistet ’ ” wurde, rang ihm Respekt ab, da sie den Werten der Tatkraft und des Fleißes entsprach. Gleichzeitig leitete er aus der drohenden Zerst¨orung einen Schutzauftrag ab: Es schien mir eine Ehrenpflicht Deutschlands zu sein, nachdem diese Inseln nach endlosen Wirren ” unter unsern Schutz gekommen, daf¨ur zu sorgen, daß diese Gesinnung, und das V¨olkchen selbst mit ihr, nicht, wie anderw¨arts u¨ berall, r¨ucksichtslos durch die Weißen und ihre Wirtschaftsexperimente vernichtet w¨urden [. . . ].“ (Wegener 1925/1919: Kap. 3)

Diese Ehrenpflicht Deutschlands“ begr¨undete Wegener in zwei Aspekten. Einerseits trug ” das positive Bild der samoanischen Bev¨olkerung dazu bei, die er als kindlich einfach“ ” wahrnahm, weshalb sie als Kinder‘ per se einem gewissen Schutz unterlagen. Zudem waren ’ sie u¨ bergossen mit einem Hauch von Poesie und nat¨urlichem Adel, einem klassischen ” Schimmer, wie wir ihn bei den Griechen des heroischen Zeitalters finden“ (Wegener 1925/1919: Kap. 3), womit Wegener sie im Grunde als Teil seiner eigenen Kultur beschrieb, die er zu sch¨utzen habe.24 Andererseits imaginierte er Deutschland als reiche[n] und ” vornehme[n] Mann“, der nun in dem ihm zugefallenen Rosengarten nicht die Rosen ” herausreißen wird, um auch hier noch Kartoffeln zu pflanzen“ (Wegener 1925/1919: Kap. 3).25 W¨ahrend die Rosen in ihrer Metaphorik f¨ur etwas Stolzes und Sch¨ones, also f¨ur die Besonderheit der samoanischen Kultur stehen, symbolisieren die Kartoffeln ein typisch‘ ’ deutsches Gew¨achs. Insgesamt sei es f¨ur das deutsche Volk also eine Frage der Ehre, das samoanische Volk vor der Vernichtung zu bewahren. Genthe ging ebenfalls davon aus, dass der Zivilisation‘ tendenziell ein sch¨adlicher ’ Einfluss innewohne, sah die Verh¨altnisse auf Samoa aber anders gelagert: Freuen wir ” uns vielmehr dar¨uber, daß unsere Landsleute hier sich noch nicht auf das hohe Pferd der Selbstanbetung gesetzt und noch etwas Achtung und Freundschaft u¨ brig haben f¨ur eines der liebensw¨urdigsten V¨olker, die man auf der Erde finden kann.“ (Genthe 1908: 27) Rassenhochmut“ sei der Grund, warum gesellschaftliches Leben auf anderen S¨udseeinseln ” vergifte[t]“ sei (Genthe 1908: 27), doch dieser sei gl¨ucklicherweise f¨ur Samoa nicht ” gegeben. In Genthes Bewertung war der Kontakt zwischen europ¨aischer und samoanischer Bev¨olkerung ein durchaus freundschaftlicher. Die in anderen Kolonien praktizierte Selbstanbetung“ sah Genthe durchaus kritisch. ”

24

Die Einbettung in die griechische Antike erfolgte auch hier durch die Unterstellung einer samoanischen Geschichtslosigkeit.

25

Das Bild des reichen Mannes, der sich ein gewisses Luxusgut leistet, benutzte Wegener bereits in seinem 1903 erschienenem Band Deutschland im Stillen Ozean“ (vgl. Wegener 1903: 149). ”

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Auch Frieda Zieschank urteilte, dass der Einfluss der Europ¨aerinnen und Europ¨aer auf Samoa in anderer Weise gewirkt habe, als auf anderen Inseln. Man kann getrost behaupten, daß kaum irgendwo ein Naturvolk so unber¨uhrt und unbesch¨adigt die ” Ausbreitung der Zivilisation neben sich ertrug, wie in Samoa. [. . . ] Dies ist ein Ergebnis, auf das wir mit Recht stolz sein d¨urfen, ganz besonders im Hinblick auf das Schicksal der den Samoanern engverwandten andern polynesischen St¨amme, der Maori und der Eingeborenen von Tahiti und Havai [!].“ (Zieschank 1918: 12)

Somit ging sie zwar implizit auch von einem zerst¨orenden Einfluss aus, der sich aber auf Samoa nicht entfaltet habe. Daraus leitete sie ab, als Nation Stolz sein zu d¨urfen. Ihre Darstellung, dass die samoanische Bev¨olkerung die Zivilisation‘ neben sich ertrug“, ’ ” gleicht Deekens Streben nach dem Aufbau paralleler Strukturen. W¨ahrend Genthe und Zieschank noch einen zerst¨orerischen Einfluss wahrnehmen, daraus aber keinen expliziten Schutzauftrag mehr ableiten, sah Hesse-Wartegg weder das eine, noch das andere. Hesse-Wartegg versuchte sich an einer Einordnung der Kulturleistungen der samoanischen Bev¨olkerung. Den hohen Kulturgrad“, den er ihnen zugestand, h¨atten sie ” aus sich selbst heraus“ (Hesse-Wartegg 1902: 310) erreicht. Doch wenn Samoa schon vor ” ” zwei Jahrzehnten unter die deutsche Herrschaft gekommen [w¨are], [. . . ] w¨urden [sie] heute die Achtung der zivilisierten Welt in noch weit h¨oherem Grade genießen“ (Hesse-Wartegg 1902: 310f.). Mit der Wertsch¨atzung des samoanischen Kulturgrades ging es Hesse-Wartegg folglich nicht darum, daf¨ur zu argumentieren, die samoanische Bev¨olkerung sich selbst zu u¨ berlassen, sondern lediglich darum, deren (Entwicklungs-)Potenzial aufzuzeigen, denn mit Hilfe einer deutschen Herrschaft w¨urden sie noch gr¨oßere Achtung genießen. Obwohl er betonte, dass sie verdienen, mit achtungsvollem Ernst behandelt zu werden“ (Hesse” Wartegg 1902: 311), schien er dies nicht aus Sorge um ihr Wohlbefinden, sondern aus seiner u¨ berlegenen Position einer protegierenden Nation heraus zu fordern. Wer den Samoanern Respekt erweise, der respektiere auch den deutschen Kaiser, so seine Logik. Den Entwicklungsstatus‘ der samoanischen Bev¨olkerung hierarchisierte Hesse’ Wartegg nach geografischer Lage. Samoa habe von der europ¨aischen Kultur viel weniger ” angenommen [. . . ] als die Bewohner von Fidschi, Tonga oder gar Hawai“, auf Upolu seien die Samoaner an der S¨udk¨uste [. . . ] deshalb auch viel urspr¨unglicher als jene an der ” Nordk¨uste“ (Hesse-Wartegg 1902: 256), wohingegen sich Sawaii [. . . ] noch vollst¨andig ” im Urzustande“ (Hesse-Wartegg 1902: 318) befinde. Aus der Unber¨uhrtheit‘ Savai’is (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 315) leitete Hesse-Wartegg ’ nicht nur einen Schutzauftrag der deutschen Verwaltung ab, sondern ein Mandat: Freilich ” muß auch die Regierung eingreifen [. . . ].“ (Hesse-Wartegg 1902: 318) Die Pracht der Tro” pennatur“ Savai’is (Hesse-Wartegg 1902: 300) wollte er daher auch Touristen zug¨anglich machen (vgl. Kapitel 4.2.3). Hesse-Wartegg sah also Potenzial in der Entwicklung‘ der ’

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samoanischen Bev¨olkerung, die es in seiner Wahrnehmung nicht zu sch¨utzen oder zu bewahren galt, sondern die sich unter der deutschen Herrschaft erst entfalten sollte. Die Ursachen f¨ur den zerst¨orerischen Aspekt der Zivilisation‘ sah Deeken in verschie’ denen Punkten: Schuld hieran tragen die von den Weißen eingeschleppten Krankheiten, ” [. . . ] ferner der fr¨uher von den Kaufleuten schrankenlos eingef¨uhrte Alkohol und die, den Eingeborenen aufgedr¨angte, dem Klima und ihrer Lebensweise nicht entsprechende europ¨aische Kleidung.“ (Deeken 1901: 196) Insbesondere mit dem Punkt des Alkoholkonsums besch¨aftigten sich auch die Texte der anderen Autorinnen und Autoren. Auf vielen S¨udseeinseln (und auch in anderen Kolonien) war Alkoholismus sowohl f¨ur Einheimische als auch f¨ur Fremde ein durchaus ernstzunehmendes Problem, um das die Schreibenden wussten.

Alkoholismus – (k)ein Problem auf Samoa? Vor allem das Bild des Edlen Wilden und seine Vertreibung auf dem amerikanischen Kontinent war gepr¨agt von der willentlich in Kauf genommenen Abh¨angigkeit von harten Alkoholika und den resultierenden Suchtproblematiken. Gleiches bef¨urchteten einige Autorinnen und Autoren ebenfalls f¨ur die samoanischen Inseln und betrachteten daher die Verf¨ugbarkeit von und den Umgang mit alkoholischen Getr¨anken kritisch bis besorgt – sowohl f¨ur die samoanische als auch die Weiße Bev¨olkerung. F¨ur Churchward betraf dies insbesondere die Verf¨ugbarkeit von billigem Gin, der als Tauschgut in die S¨udsee kam. The graeter part of their [white traders’, G. F.] misdoings is distinctly attributable to the malign ” influence of square-face26 , which is to be procured direct from Hamburg at the marvellously cheap price of about eightpence per bottle. This is the vile, poisonous trade gin, one of the principal articles of barter all over the Pacific, and which has caused so much desolation amongst the various native races.“ (Churchward 1887: 31)

Obwohl Churchward hier auch auf die Folgen f¨ur die native races“ anspielte, schien der ” Alkoholkonsum auf Samoa eher unter der europ¨aischen oder amerikanischen Bev¨olkerung und dort insbesondere unter eben jenen H¨andlern oder Beachcombern verbreitet gewesen zu sein, wo er es schon zu sprichw¨ortlicher Bedeutung gebracht hatte. Inquiring once for a certain trader in Savaii, I was told in the most serious manner in the world, Oh, ” ’ you have no chance of seeing him. He is across the bay having a baby!‘ Seeing my astonishment, it was soon explained to me that such an expression was merely a synonym for going to bed with a case of square-face and not getting up until it was all consumed.“ (Churchward 1887: 31)

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Mit square face“ bezeichnete man die g¨angigen vierkantigen Flaschen, in denen Gin abgef¨ullt ” wurde.

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Alkoholkonsum war also unter den H¨andlern verbreitet und wurde toleriert. Die Versorgung der Einheimischen mit alkoholischen Getr¨anken wurde dagegen unter Strafe gestellt, was ein gewisses Problembewusstsein belegt. One of the first restrictions forbade, under heavy ” penalty, the supplying of liquor to natives of any Pacific Island; the beneficial effect of which regulation was immediately felt.“ (Churchward 1887: 74) Auch Pierce Churchill wusste, dass Gin die g¨angige Tauschw¨ahrung in der S¨udsee (vgl. Pierce Churchill 1902: 228), aber f¨ur die Einheimischen schon immer uninteressant gewesen sei. Even when they [the Samoans, G. F.] could have all the liquor they might want, they did not want any. ” Now they want still less. Kava is enough to them, and it is just as well so. Under no circumstances of Samoan affairs does one have to guard against the spread of the drink habit. The Samoan does not drink.“ (Pierce Churchill 1902: 228)

Das Verbot, Alkohol an Samoanerinnen und Samoaner zu verkaufen, erachtete Pierce Churchill f¨ur wirkungslos, da diese außer Kava keinen Bedarf an anderen Getr¨anken h¨atten, man m¨usse also nicht weiter gegen die Verbreitung des Alkoholkonsums vorgehen. Ehlers best¨atigte die bisherigen Beschreibungen, dass die Schnapsflasche hier nicht ” die gleichen Triumphe gefeiert [habe] wie unter anderen Naturv¨olkern“ (Ehlers 2008/1895: 71f.). Den Verdienst daran rechnete er den Missionaren, nicht den europ¨aischen und USamerikanischen H¨andler an. Ob das den Missionaren zu danken ist, weiß ich nicht, aber ich will einmal großm¨utig sein und es ” ihnen auf das Gewinnkonto schreiben [. . . ]. Die europ¨aischen und amerikanischen H¨andler d¨urften kaum das Verdienst, die Samoaner vom Saufen abgehalten zu haben, f¨ur sich in Anspruch nehmen. Sie w¨urden, selbst wenn ihre Kunden von Natur eine Idiosynkrasie gegen allen Alkohol bes¨aßen [. . . ], sicherlich ihr M¨oglichstes getan haben, die Branntweinflasche popul¨ar zu machen.“ (Ehlers 2008/1895: 71f.)

Einen tats¨achlichen Grund f¨ur die Abstinenz der samoanischen Bev¨olkerung vermochte auch Ehlers nicht zu benennen. Er hielt aber fest, dass ihm kein betrunkener Samoaner ” begegnet“ sei, obwohl keiner ein Glas ihm angebotenen deutschen Bieres verschm¨aht ” h¨atte“ (Ehlers 2008/1895: 71f.). Auch Genthe best¨atigte, dass Alkoholismus kein Problem unter der samoanischen Bev¨olkerung darstellte. Bisher hat der Samoaner gl¨ucklicherweise noch keinen Geschmack ” an der Ava Papalagi‘, wie er alle starken geistigen Getr¨anke nennt, gefunden, und nur ’ vereinzelte M¨anner in Apia und wenigen Orten außerhalb stehen in dem Ruf, der Verf¨uhrung durch gewissenlose Weiße unterlegen zu sein.“ (Genthe 1908: 305)

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Wenn es also zur Trunkenheit unter Samoanern gekommen war, dann waren sie von Weißen dazu verleitet worden, so Genthe. Und auch Barradale best¨atigte den Umgang mit Alkohol von Seiten der Regierung und der einheimischen Bev¨olkerung. The German and American gouvernments also have made laws forbidding white traders to supply ” the natives with alcoholic drinks, and these laws are strictly enforced. As a result, the work of the missionary has not been hindered, as it has been in so many places, by the introduction of rum and gin and other spirituous liquors.“ (Barradale 1907: 73)

F¨ur Barradale stand dabei im Vordergrund, dass die Arbeit der Missionare erleichtert wurde, da sie nicht mit Suchtproblemen der zu Bekehrenden k¨ampfen mussten. Deeken war sich des Potenzials der Alkoholproblematik27 bewusst, zeigte sich aber erfreut u¨ ber die nat¨urliche Abneigung der Samoaner gegen scharfe, alkoholische Getr¨anke“ ” (Deeken 1901: 197). Im Umgang mit Alkoholismus und Suchtproblemen zeigte sich in den Darstellungen also ein anderer Verlauf als in anderen Kolonialgebieten. Anscheinend hatte das fr¨uhe Verbot von Alkohol, sowie eine gewisse Abneigung der samoanischen Bev¨olkerung gegen¨uber alkoholischen Getr¨anken, in der Summe dazu beigetragen, dass das Gefahrenpotenzial zwar thematisiert wurde, jedoch keinen tats¨achlich eingetreten Sachverhalt beschrieb. Gleichzeitig wurde deutlich, dass Alkoholkonsum zur Lebenswirklichkeit der Schreibenden geh¨orte – sei es Ehlers, der vom deutschen Bier sprach oder Deeken, der die Deutschen selbst vor dem Konsum von Alkohol warnte. Dar¨uber hinaus werden keine Kategorien er¨offnet, ¨ wie etwa eine moralische Uberlegenheit der samoanischen Bev¨olkerung aufgrund ihrer Abstinenz oder eine Herabw¨urdigung, da sie f¨ur solche Getr¨anke nicht zu begeistern war. In Genthes Beschreibung erhalten die Samoanerinnen und Samoaner eine leicht kindliche Note, so als ob die Ava Papalagi‘ ein Erwachsenengetr¨ank sei, und derjenige, der es ’ ihnen zur Verf¨ugung stelle, handle gewissenlos‘. Insgesamt reichten die Ausf¨uhrungen der ’ samoanischen Bev¨olkerung jedoch weder zum Vorteil noch zum Nachteil.

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Deeken sah die Problematik im Gegenteil eher bei den Weißen Ansiedlern gegeben: Leider wird ” auf dem Gebiete des Trinkens von uns Deutschen im Auslande noch viel zu viel ges¨undigt und dies ist meiner Meinung nach ein Hauptgrund, daß wir in tropischen Gegenden als Kolonisatoren bei weitem nicht die gl¨anzenden Erfolge haben, wie in den gem¨aßigten Zonen.“ (Deeken 1901: 24) Und weiter: Nur derjenige Deutsche sollte in die Tropen und besonders in unsere Kolonien ” gehen – sofern er seine bedeutungsvolle Aufgabe als Tr¨ager deutscher Kultur ernst nimmt – der dem Alkohol gegen¨uber enthaltsam oder zum wenigsten widerstandsf¨ahig ist.“ (Deeken 1901: 25)

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6.4.2 Zivilisierungsprozesse‘ – ’ zwischen Adaption und Abgrenzung Mit Ankunft der Missionare auf den samoanischen Inseln war ein Prozess in Gang gesetzt worden, der sich nicht auf die Einfuhr europ¨aischer G¨uter, wie zum Beispiel Alkohol, beschr¨ankte, sondern sich vor allem um die Vermittlung von Wissen und Werten drehte. Die Missionsstationen versuchten, die einheimische Bev¨olkerung sowohl zu christianisieren als auch zu zivilisieren‘ (vgl. Kapitel 6.1), ihnen also die Maßst¨abe und Wertvorstellungen ’ ihrer heimatlichen Gesellschaften n¨aherzubringen. Dazu geh¨orte es auch, Begriffe von ¨ Arbeit, Produktivit¨at, Okonomie u¨ berhaupt erst einzuf¨uhren. Die Autorinnen und Autoren fungierten w¨ahrend ihrer Reisen als Beobachterinnen und Beobachter, ob und inwieweit der Prozess der Adaption auf samoanischer Seite von Erfolg gekr¨ont war, oder ob es zu Abgrenzungen kam. ¨ Barradale zeichnete nach, wie die Uberlegungen aus Missionssicht aussahen: But the ” missionaries soon saw that if the people were to become really good Christians, they must learn to be diligent and industrious. So they not only preached about Jesus, but began to teach the people many other useful things.“ (Barradale 1907: 100ff.) Um gute Christen‘ zu werden, sollten die Samoanerinnen und Samoaner lernen, flei’ ’ ßig‘ und arbeitsam‘ zu werden. Dementsprechend unterrichteten die Missionare sie im ’ Schreinern und G¨artnern sowie im Buchdruck (vgl. Barradale 1907: 102). Zudem f¨uhrten sie die Schriftsprache ein. They formed an alphabet, and at last made the written language ” as complete as the spoken. They wrote simple books in Samoan, and, after many years, they translated the whole of the Bible.“ (Barradale 1907: 129) Damit wurde vor allem die kulturelle Wissensvermittlung massiv ver¨andert. W¨ahrend es auf Samoa noch u¨ blich gewesen war, Wissen oral zu transportieren, etwa in Form von Ges¨angen und Geschichten, so war es nun grunds¨atzlich m¨oglich, dieses Wissen personenunabh¨angig festzuhalten und zu bewahren. Indem es den Missionaren oblag, simple books“ auf Samoanisch zu ” verfassen, ging es nicht darum, die samoanische(n) Geschichte(n) festzuhalten, sondern europ¨aische Erz¨ahlungen in die samoanische Kultur einzuschreiben. W¨ahrend die samoanische Bev¨olkerung Produktion lernen sollte und die Zeit sinnvoll und nutzbringend zu gestalten, wurde ihr stillschweigend ein kapitalistisches Grundsystem vermittelt. Obwohl Samoanerinnen und Samoanern von Europa und den Heimatgesellschaften berichtet wurde, kannten nur die wenigsten diese aus eigener Anschauung. Das veranlasste ¨ Genthe zu der paternalistischen Außerung: Es hat ein großes v¨olkerpsychologisches Interesse, zu beobachten, wie ein naives Menschenkind mit ” dem kleinen Erfahrungskreis und sp¨arlichem Vorrat von Anschauungsbegriffen sich einer neuen Welt gegen¨uber verh¨alt, von der er trotz des Verkehrs mit den Weißen auch nicht die leiseste Vorstellung erworben hat, wie jemand, der bisher nur Kokospalmen und das blaue Meer, seine W¨alder und das

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brandende Riff gesehen hat, sich zu Eisenbahn und wolkenkratzenden Steinh¨ausern, zu Luftballons und Fernsprechern stellt.“ (Genthe 1908: 18)

Trotz des Lerneffekts, den der Aufenthalt der Fremden auf der Insel bislang gehabt hatte, bemerkte Genthe zu Recht, dass die samoanische Bev¨olkerung dennoch noch keinerlei Verst¨andnis von entsprechenden Dingen in Europa hatte.28 Die Tatsache, dass Samoanerinnen und Samoaner viele Dinge nur aus den Erz¨ahlungen kannten, stellte ein Ungleichgewicht her und er bem¨uhte gleichzeitig das Bild des Menschenalters, um die samoanische Bev¨olkerung als naives Menschenkind“ darzustellen. Zudem betrachtete er den Prozess ” der Kulturbegegnung einseitig, als ob es nur die Samoanerinnen und Samoaner seien, die in diesem Kontakt zu Weißen neuen Dingen begegneten. Seine eigene Anpassungsleistung an die samoanischen Gegebenheiten thematisierte Genthe nicht. Stattdessen rechnete er den Weißen das Verdienst an, die samoanische Bev¨olkerung in ein neues Zeitalter emporgehoben zu haben. ¨ Seit kaum sechs Jahrzehnten hat sich nun auf diesen Inseln der Ubergang von der Steinzeit zum Eisen ” vollzogen, mit einer Pl¨otzlichkeit, wie sie im nat¨urlichen Entwicklungsgang eines zur Kultur aufsteigenden urspr¨unglichen Volkes nur ein Naturwunder h¨atte bewirken k¨onnen. Und f¨ur die Samoaner ist das erste Erscheinen der Durchbrecher des Himmelsgew¨olbes‘ ein Wunder gewesen.“ (Genthe 1908: ’ 104)

¨ Diesen schnellen Ubergang bezeichnete Genthe als Naturwunder“, genau wie die An” kunft der Weißen, was die Europ¨aerinnen und Europ¨aer gewissermaßen zu Heilsbringern stilisierte. Doch mit dem Aufstieg‘ ins Metallzeitalter ging auch die Adaption anderer ’ Gegenst¨ande einher und nicht zuletzt eine Ver¨anderung kultureller Praktiken: Es muß f¨ur ” die Samoaner der Steinzeit eine ungeheure Arbeit gewesen sein, einen solchen Baumriesen zu f¨allen, zu gl¨atten und zurechtzustutzen mit den unzul¨anglichen Ger¨aten aus Stein und Muschelkalk, die ihre einzigen Hilfsmittel waren, ehe die Weißen ihnen Eisen und Stahl brachten.“ (Genthe 1908: 233) Die Steinzeit beschreibt eine Epoche der Menschheitsgeschichte, die zumindest in Europa schon seit mehreren Tausend Jahren vor Christus vom Metallzeitalter abgel¨ost wurde. Im europ¨aischen Kontext – und f¨ur ein europ¨aisches Lesepublikum – war der Begriff mit etwas Veraltetem und Zur¨uckgebliebenem konnotiert, weshalb Genthe den Begriff bewusst w¨ahlte, auch wenn dieser epochengeschichtlich die Werkzeuge der samoanischen Bev¨olkerung treffend beschrieb – zumindest in der Zeit vor der Einmischung durch

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Nur wenige Samoanerinnen und Samoaner hatten bisher die Reise nach Europa angetreten, und wenn war dies i. d. R. im Kontext der V¨olkerschauen bzw. im Falle Malietoa Laupepas im Zuge des Zwangsexils geschehen.

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Fremde. Die herbeigef¨uhrte Ver¨anderung bewertete Genthe lediglich aus eurozentristischer Perspektive unter den Kategorien der Zeitersparnis und der Arbeitserleichterung. Die auf Samoa vorhandenen und tats¨achlich benutzten Gegenst¨ande westlicher Kultur stellte Zieschank jedoch als begrenzt dar: Nur einzelne Artikel moderner Kultur haben ” st¨arkern [!] Eingang bei ihnen gefunden, so vor allem Kutschierwagen, N¨ahmaschinen und Pl¨atteisen. Die Samoanerinnen sind sehr geschickte und flinke Schneiderinnen, und eine N¨ahmaschine ist fast in jeder Familie zu finden!“ (Zieschank 1918: 26) N¨ahmaschinen und B¨ugeleisen ergeben in Zieschanks Darstellung erst ab dem Zeitpunkt einen Sinn, als auch europ¨aisierte Kleidung Eingang in die samoanischen Lebensgewohnheiten gefunden hatte. Dies war zumindest f¨ur den sonnt¨aglichen Gottesdienstbesuch (vgl. Kapitel 6.1) der Fall. Zum gleichen Zeitpunkt forderten die Europ¨aerinnen und Europ¨aer, die samoanische Kultur m¨oglichst rein und urspr¨unglich‘ zu erhalten, den Einfluss ’ auf Sitten und Gebr¨auche also zu begrenzen. Dementsprechend erfreut zeigten sich die Schreibenden, wenn Weiße Gebr¨auche nur wenig u¨ bernommen wurden.29 Fraser hatte, im Gegensatz zu Zieschank, zu einem fr¨uheren Zeitpunkt festgehalten: Thank Heaven! ” the Samoans have not yet adopted European dress, and the atrocious velveteens can be pardoned on account of the quaint and picturesque cut to which they are subjected.“ (Fraser 1895: 95f.) Die grauenhaften Samtstoffe‘ konnte Fraser ihnen noch verzeihen, da sie im’ merhin einen idyllischen‘ und malerischen‘ Schnitt aufwiesen. Auch Genthe hatte noch ’ ’ lobend erw¨ahnt, dass in Apia die Eingeborenen noch halbnackt umherlaufen“, und man ” nicht einen einzigen Samoaner [. . . ] in europ¨aischen Hosen finden“ (Genthe 1908: 47) ” k¨onne. Deeken hatte dagegen oben zum Ausdruck gebracht, dass die unpassende adaptierte europ¨aische Kleidung zu Krankheiten unter der samoanischen Bev¨olkerung f¨uhre, da sie dem Klima nicht angemessen sei (vgl. Deeken 1901: 196). Ehlers deckte dagegen neben den von Zieschank genannten Gegenst¨anden und der Bekleidung noch weitere Gebrauchsgegenst¨ande auf, die Eingang in den samoanischen Alltag gefunden hatten. Daß die Kultur, die alle Welt beleckt, auch auf Samoa sich erstreckt und daß zum Leidwesen des ” Besuchers, zum Vorteil der Kaufleute und zur Befriedigung der Missionare in einer Anzahl Familien die christliche Petroleumlampe deutschen Fabrikates an Stelle des unchristlichen Herdfeuers getreten ist, daß es samoanische H¨auser gibt, in denen sich neben der Kava-Bowle auch die N¨ahmaschine,

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Hier muss klar unterschieden werden zwischen solchen Gebr¨auchen und Einstellungen, die der europ¨aischen Bev¨olkerung nutzten und die sie zum Aufbau einer stabilen Gesellschaftsordnung auf Samoa brauchten, und denen, die das echte‘ Samoa verf¨alschten und zerst¨orten. Erstere ’ Ver¨anderungen waren durchaus erw¨unscht, w¨ahrend es bei letzteren darum ging, die Bev¨olkerung vor den zerst¨orerischen Einfl¨ussen zu bewahren, vgl. Kapitel 6.4.1.

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die Schwarzwalduhr, der Schaukelstuhl und wom¨oglich eine Flasche Lohses Maigl¨ockchen-Parf¨um befinden, darf nicht verschwiegen werden.“ (Ehlers 2008/1895: 71)

Treffsicher deckte Ehlers die Motive der einzelnen Akteursgruppen auf: Zum Leidwesen ” des Besuchers“ gab es diese Dinge auf Samoa, die Urspr¨unglichkeit‘ war also nicht ’ gegeben; zum Vorteil der Kaufleute“ war es, da diese daran verdienen konnten, nachdem ” sie k¨unstliche Bed¨urfnisse geweckt hatten; und schließlich diente es zur Befriedigung ” der Missionare“, da die Kulturg¨uter eine Weiterentwicklung der Bev¨olkerung suggerierten. Ehlers bezog dementsprechend in seinem Urteil Position als Reisender: Aber solche ” Haushaltungen sind auch heute noch, Gott sei Dank, Ausnahmen und gelten auch bei den Eingeborenen nicht als faa Samoa‘.“ (Ehlers 2008/1895: 71) Auch Genthe spielte darauf ’ an, dass Bed¨urfnisse bei der samoanischen Bev¨olkerung k¨unstlich geweckt worden waren. Dinge, die selbst einem zivilisierten Mitteleurop¨aer leicht entbehrlich sind, mußte der k¨unstlich eitel ” oder abergl¨aubisch gemachte Wilde f¨ur schweres Geld kaufen: die small fellow bottle water belong ’ stink‘ ist noch heute auf vielen Inseln ein heiß begehrter Besitz, aber nur reiche H¨auptlinge haben die Mittel, sich den Luxus einer Flasche K¨olnischen Wassers zu g¨onnen, das auch in der S¨udsee nichts verliert von seinem Wohlgeruch – oder Wohlgeschmack? – trotz des erg¨otzlichen pidschin-englischen Namens [Herv. i. O.].“ (Genthe 1908: 23)

W¨ahrend die Wilden“ k¨unstlich eitel“ und abergl¨aubisch“ gemacht worden wa” ” ” ren, hatte sich der zivilisierte Mitteleurop¨aer“ Genthe zufolge bereits von den ” bed¨urfnissuggerierenden Tendenzen emanzipiert und konnte auf bestimmte Dinge verzichten. Auf Samoa dagegen wurde das K¨olnisch Wasser zum Luxusgut und Statussymbol, das sich nur wohlhabende Menschen ( reiche H¨auptlinge“) leisten konnten, w¨ahrend es ” in Deutschland zu den allt¨aglichen Gebrauchsgegenst¨anden b¨urgerlicher Frauen geh¨orte, worin sich Genthes Feminisierung der samoanischen M¨anner zeigt. Insofern wird an den bisherigen Beispielen deutlich, dass die Adaption westlicher Kulturgegenst¨ande nicht zu einer Angleichung des Kulturstatus f¨uhrte, sondern von den Schreibenden eher l¨acherlich gemacht wurde und als Nachahmung, als Mimikry, empfunden wurde. Obwohl die adaptierten Gegenst¨ande in Europa als Ausdruck von Kultur anerkannt waren, galt das noch lange nicht f¨ur den samoanischen Kontext. Es handelte sich um eine Weiße Deutungsweise, dass Samoanerinnen und Samoaner europ¨aische Gegenst¨ande adaptierten, um kulturell auf eine h¨ohere Stufe zu gelangen. Umgekehrt wurde das Mitbringen von samoanischen Gegenst¨anden, wie Fliegenwedel oder Kava-Schalen, lediglich im touristischen Kontext als Souvenirkauf gesehen, nicht als Adaption der samoanischen Kultur. Von Kulturtransfer kann also keine Rede sein. So sehr die Autorinnen und Autoren damit besch¨aftigt waren, die Adaption europ¨aischer Gegenst¨ande durch Samoanerinnen und Samoaner zu beschreiben, so dezent erschienen

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die T¨one, die die samoanische Bev¨olkerung in einem sich bewusst abgrenzenden Verhalten in Bezug auf eigene Wissensinhalte beschrieben. Diese abgrenzenden Tendenzen gab es durchaus: Rarely in these days does one hear the chanting of the old legends; the older ” people are becoming very jealous that the knowledge of them shall not spread among the Papalangi foreigners, the younger people are scantily familiar with the old forms of intoning.“ (Pierce Churchill 1902: 70) Was Pierce Churchill andeutete, hatte weitreichende Folgen. Die Bemerkung, dass die a¨ ltere Bev¨olkerung darauf achte, dass die alten Legenden nicht unter der Weißen Bev¨olkerung bekannt w¨urden, impliziert, dass die samoanische Bev¨olkerung ihr Wissen nicht mit den Fremden teilen mochte. Bislang wurde eher geschildert, wie gastfreundlich, offen und zuvorkommend die Samaonerinnen und Samoaner auf Besucherinnen und Besucher reagierten. Hier offenbarte sich dagegen eine sorgf¨altig konstruierte – Goffman’sche – B¨uhne samt dazugeh¨origer Hinterb¨uhne. Auf der Vorderb¨uhne fand dementsprechend der gut inszenierte Austausch europ¨aischer Waren und deren Handhabe statt, w¨ahrend auf der Hinterb¨uhne das eigene kulturhistorische Wissen sorgsam verborgen blieb und nur aufmerksamen Besucherinnen oder Besuchern, wie hier Pierce Churchill, u¨ berhaupt kenntlich war. W¨ahrend es aus Weißer Sicht die samoanische Bev¨olkerung war, der der Zugang zu europ¨aischen Kulturg¨utern wegen ihrer mangelnden Zivilisiertheit‘ verwehrt ’ blieb, war es nun die koloniale Gesellschaft, vor der Informationen sorgsam zur¨uckgehalten wurden – mit Inkaufnahme des Verlustes der, in diesem Falle, alten Sagengeschichten. Fraglich bleibt, ob sich die koloniale Bev¨olkerung des Vorhandenseins der Hinterb¨uhne (um in Goffmans Metaphorik zu bleiben) u¨ berhaupt bewusst war, oder ob vermeintliche ¨ Uberlegenheit hier blinde Flecken entstehen ließ. Eine bewusste T¨auschung wurde der samoanischen Bev¨olkerung jedoch nicht unterstellt. Das Wissen der a¨ lteren Generation und ihre Verschwiegenheit gegen¨uber den Fremden wiederholte Pierce Churchill an sp¨aterer Stelle im Zusammenhang mit dem Palolo-Wurm: This account of the palolo is derived from personal observation and from careful talk with ” the oldest Samoans, who yet retain the knowledge that belonged to their race before the white people came upsetting things in general.“ (Pierce Churchill 1902: 144) Pierce Churchills Ausf¨uhrungen offenbarten dementsprechend eine sehr sensible Wahrnehmung ihrer Umwelt. In anderen Quellen tauchen a¨ hnliche Bemerkungen nicht auf;30 offenbar geh¨orte dieser Bereich im Diskurs zu den Dingen, u¨ ber die nicht gesprochen

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Eine Ausnahme stellte Genthe dar, dessen Erkl¨arung der Geheimhaltung jedoch die Weiße Position zu st¨arken suchte: Dem Fremden, der nicht dauernde Beziehungen zu den Eingeborenen ” ankn¨upfen kann, ist es unm¨oglich, die Geheimnisse vorchristlicher Gebr¨auche aufzudecken, da die selbstbewußten Samoaner nichts mehr zu vermeiden suchen, als in den Augen der Weißen l¨acherlich zu erscheinen.“ (Genthe 1908: 228f.)

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wurden, denn in letzter Konsequenz h¨atte dies die Darstellung eines absichtsvollen, taktierenden Verhaltens der samoanischen Bev¨olkerung ausgedr¨uckt, das mit dem Menschenbild des naiven, unzivilisierten Naturkindes‘ nicht vereinbar gewesen w¨are. ’

Grenzen des Zivilisierungsprozesses‘ ’

In der abgrenzenden Haltung der samoanischen Bev¨olkerung ist bereits eine Grenze der Zivilisierung‘ aufgezeigt. Diese war den Reisenden jedoch nicht immer bewusst; statt’ dessen nahmen sie aber Unterschiede zu ihren Heimatgesellschaften wahr. Zudem gibt es Textpassagen, in denen Autorinnen und Autoren explizit auf Unterschiede verweisen, die auch nach geleisteter Missionierungs- und Zivilisierungsarbeit‘ f¨ur die Schreibenden noch ’ augenscheinlich waren. Darin zeigt sich vor allem, dass zwar eine Angleichung stattgefunden hatte, etliche Werte und Einstellungen aber nicht transportiert werden konnten, wohlgemerkt: aus Weißer Perspektive. Indem die Autorinnen und Autoren auf die entsprechenden Sachverhalte hinweisen, werden ihre Unterscheidungskriterien sichtbar. Die Schreibenden setzten daf¨ur in der Regel beim gesellschaftlichen Leben an. Barradale beschrieb: The Samoans do not know what ” private life is, and they do not understand why English people sometimes like to be quiet in their own homes.“ (Barradale 1907: 64) In der Gastlichkeit offenbarte sich ein unterschiedliches Verst¨andnis von Eigentum. Die samoanische Gesellschaft wies eher Strukturen mit gemeinschaftlichem Eigentum auf, im Gegensatz zu Vorstellungen von Privateigentum der Weißen. Der Umgang mit Eigentum hatte Auswirkungen auf die – aus europ¨aischer Perspektive gedachte – Einstellung zu Arbeit, und außerdem konnten Vorkommnisse wie Diebst¨ahle damit erkl¨art und relativiert werden. [D]ie Samoaner haben eben f¨ur Diebst¨ahle dieser Art kein richtiges Verst¨andnis. Sie sind sich nicht ” bewußt, eine nach europ¨aischem Gesetz strafbare That zu begehen, und es wird ihnen erst beigebracht werden m¨ussen. Gerade die H¨auptlinge kennen unsere u¨ berfeine Unterscheidung zwischen Mein und Dein nicht so recht, wie die Europ¨aer an der S¨udk¨uste von Upolu es w¨unschen.“ (Hesse-Wartegg 1902: 286f.)

Hesse-Wartegg war bewusst, dass es sich hier um europ¨aische Vorgaben handelte, f¨ur die auf Samoa kein Bewusstsein bestand.31 Gleichzeitig kritisierte er die Kategorie von Mein ”

31

Diese differenzierende Haltung kam nicht in allen Quellen zum Ausdruck. Ehlers berichtete u¨ ber Tutuila, wie oben dargestellt mit Seitenhieb auf den US-amerikanischen Einfluss: Jedenfalls ” l¨aßt sich nicht leugnen, daß die Bev¨olkerung Tutuilas dem Europ¨aer gegen¨uber eine wesentlich andere Haltung zur Schau tr¨agt als diejenige der u¨ brigen Inseln der Gruppe. [. . . ] Daß mir mein

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und Dein“ als u¨ berfein“, wobei die darin geforderte Nachl¨assigkeit im Umgang lediglich ” f¨ur den samoanischen Kontext Bestand haben sollte, nicht f¨ur den heimatlichen. Genau wie Barradale spielte er auf ein unterschiedliches Verst¨andnis von Privatsph¨are und Eigentum an: Aber die Samoaner kennen eben den Begriff von Th¨ur und Thor nicht. In Samoa giebt es bei den ” Eingeborenen nicht eine einzige Th¨ure, ein einziges Fenster oder eine Treppe. Ihre H¨utten sind, wie schon erw¨ahnt, nach allen Seiten offen, brauchen also weder Fenster noch Th¨uren, und da sie so niedrig sind, daß das Dachgeb¨alk mit der Hand erreicht werden kann, auch keine Treppen. Selbst ihre Beth¨auser und Kirchen haben wohl Th¨ur- und Fenster¨offnungen, aber diese sind u¨ berall leer.“ (Hesse-Wartegg 1902: 317)

Ob die samoanische Bev¨olkerung tats¨achlich keine Privatsph¨are und kein Privateigentum kannte, kann aus den Schilderungen nicht abgelesen werden. Was sich aber zeigt, ist, dass die europ¨aischen Zeichen, wie geschlossene Fenster und T¨uren oder grundst¨ucksbegrenzende Hecken oder Mauern von Samoanerinnen und Samoanern nicht als solche gelesen‘ wurden.32 ’ Churchward beschrieb in dem Kontext die folgende Situation, als sich eine Gruppe samoanischer Frauen seinem Haus n¨aherte: I was very glad, however, to see them stop on the propriety side of the hedge; but even had they gone ” on I should not have condemned them as immodest for so doing, not being one of those sojourners in strange parts who insist upon forcing everything they see into comparison with home customs and manners, and blame or approve as their country’s standard is attained or exceeded.“ (Churchward 1887: 230)

Die Ankommenden waren in diesem Falle samoanische Frauen, die eine Art Siva auff¨uhren wollten. Auff¨allig ist, dass Churchward in den Grundst¨ucksgrenzen (hier: die Hecke) dachte und ihm auffiel, dass die Gruppe diese gerade noch einhielt, obwohl er zu betonen versuchte, dass er eben nicht die gleichen Maßst¨abe wie in der Heimat anlegen w¨urde. Schließlich war es der Umgang mit Arbeit, der den Schreibenden ungew¨ohnlich erschien, und bei dem die Zivilisation‘ vermeintlich gescheitert war. Barradale erkl¨arte die ’ Ursache f¨ur den mangelnden Arbeitseifer der samoanischen Bev¨olkerung, der sich auch

Schnupftuch aus der Tasche gestohlen wurde, erw¨ahne ich nur nebenbei.“ (Ehlers 2008/1895: 119) 32

Eine Konfliktsituation, die durch unterschiedliche Vorstellungen von Eigentum verursacht wurde, schildert auch Pia Schmid (2008). Anders als in ihrem Beispiel eines Missionars, der die Indianer‘ ’ zur Rede stellt, kommt es im samoanischen Kontext zu keinen Kontaktversuchen, um die Anderen zu verstehen und damit eine effektivere Ausnutzung zu erreichen (vgl. Schmid 2008: 113ff.).

Zivilisationskritik und Schutzauftrag | 309

schon in den Naturbeschreibungen und der Fruchtbarkeit des Bodens bemerkbar gemacht hatte. The ground has only to be scratched or ‘tickled’ with a stick, and a large supply of vegetables and ” fruits may be grown. This will partly account for the fact that the Samoan are not hard workers. I do not like to call them idle. I love the Samoans, and perhaps that would be too hard a name to call them. Besides, if we white people had our living so bountifully provided for us by Nature, I am not so sure that we should work as we do [Herv. i. O.].“ (Barradale 1907: 99)

Barradale kehrte die Perspektive ein St¨uck weit um, indem er sich vorzustellen versuchte, ob die Weißen unter a¨ hnlichen Bedingungen auch noch hart arbeiten w¨urden. Damit hob Barradale die biologistische Komponente der Rassetheorie‘ auf, indem er das Verhalten der ’ Menschen in ihrer Sozialit¨at und eben nicht mehr in ihrer biologischen Rasse‘ begr¨undet ’ sah. Auch Stevenson versuchte wiederholt, die Perspektive der samoanischen Bev¨olkerung einzunehmen und durch deren Augen einen Blick auf das Geschehen zu richten: For the Samoan besides, there is something barbaric, unhandsome, and absurd in the ides of thus ” growing food only to send it from the land and sell it. A man at home who should turn all Yorkshire into one wheatfield, and anually burn his harvest on the altar of Mumbo-Jumbo, might impress ourselves not much otherwise.“ (Stevenson 1895/1892: 40)

Seine Kritik setzte mehr noch beim kapitalistischen System und dem Unverst¨andnis der Tatsache gegen¨uber an, eine Ernte zu verkaufen und zu verschiffen, statt sie f¨ur die eigenen Belange zu gebrauchen. Das Verkaufen von Lebensmitteln m¨usse f¨ur die samoanische Bev¨olkerung einer Empfindung gleichen, wie f¨ur europ¨aische Menschen das geschilderte Verbrennen der Ernte. Obwohl die samoanische Bev¨olkerung einige westliche Kulturg¨uter in ihren Alltag integriert hatte, blieben wesentliche Differenzen in den Kategorien des Eigentums, der Privatsph¨are und der (Erwerbs-)Arbeit bestehen, was die Wahrnehmung der Autorinnen und Autoren betraf.

6.4.3 Fremdes Eigenes Im Kontakt mit dem Fremden begegneten sich die Autorinnen und Autoren selbst, da sie das Eigene in Abgrenzung zum Fremden konstruierten. An den Stellen, wo Unterschiede undifferenziert und lediglich innerhalb der eigenen Unterscheidungskriterien wahrgenommen werden konnten (mis-recognizing difference), geschah dies mit entsprechender Differenzblindheit, f¨uhrte an anderen Stellen aber auch zu einer Selbsterkennung im Spiegel des

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Anderen. In der Auseinandersetzung mit der Gastlichkeit vollbrachte Ehlers einen solchen Spiegelprozess. Abgesehen davon, daß die samoanische Gastfreundschaft in vielen F¨allen von Europ¨aern mißbraucht ” worden ist, muß der Umstand, daß die in Apia wohnenden Europ¨aer ihre Samoa besuchenden Landsleute in Gasth¨ausern wohnen lassen, anstatt ihnen Gastfreundschaft zu erweisen, die Samoaner notgedrungen zu der Ansicht bringen, daß die Aus¨ubung der Gastfreundschaft unter den Europ¨aern nicht f¨ur vornehm gilt.“ (Ehlers 2008/1895: 74f.)

Dass Gastfreundschaft oder hier Gastlichkeit“ der samoanischen Bev¨olkerung zugespro” chen wurde, wiederholt sich in den Quellen. Ehlers ging dar¨uber hinaus, indem er attestierte, dass Samoanerinnen und Samoaner zwangsl¨aufig aus dem Verhalten der europ¨aischen Bev¨olkerung R¨uckschl¨usse ziehen m¨ussten, dass solche Gastlichkeit bei Weißen kein Wert sei, da es f¨ur diese u¨ blich sei, G¨aste nicht im eigenen Haus unterzubringen, sondern in Gasth¨ausern oder Hotels einzuquartieren. Diese Folgerung mag aus europ¨aischer Perspektive nicht korrekt sein, da das Unterbringen in einem Hotel der Bequemlichkeit und dem ¨ Komfort des Gastes geschuldet sein mag, doch das Wesentliche an Ehlers’ Außerung ist etwas anderes. Er kehrte an dieser Stelle die Perspektive um, so dass er sehen konnte, wie die (europ¨aischen) Fremden aus einheimischer Perspektive wahrgenommen und bewertet wurden.33 Immer wieder begegneten die Reisenden den Spuren ihrer Vorg¨angerinnen und Vorg¨anger, die europ¨aische Gebrauchsgegenst¨ande auf den Inseln eingef¨uhrt und hinterlassen hatten. Nachdem Hesse-Wartegg nach einem anstrengenden Marsch durch das Landesinnere an der S¨udk¨uste Upolus angekommen war, wurde er in gastfreundlicher Weise empfangen und beschrieb das Interieur. Neben den brennenden Kokosnußh¨ulsen in der Mitte der H¨utte spendete auch eine Petroleumlampe ” Licht, an die Tragbalken waren ein paar Heiligenbilder und Ausschnitte aus illustrierten Zeitungen aufgeklebt, und an einer Seite stand zwischen einer N¨ahmaschine und einer verschließbaren Truhe ein Stuhl.“ 34 (Hesse-Wartegg 1902: 257)

33

Nat¨urlich handelt es sich hier um eine Form des Sprechens f¨ur die samoanische Bev¨olkerung, die hier die Kritik an den eigenen Landleuten transportieren soll. Dennoch f¨uhrt Ehlers’ Aussage an dieser Stelle zu einer Umkehrung der Perspektive und eine Hinterfragung der eigenen Praxis. Ob dieser R¨uckschluss korrekt ist, kann nicht beantwortet werden.

34 Das Vorkommen europ¨aischer Gegenst¨ande variierte dabei von Ortschaft zu Ortschaft: So wohnen ” sie denn hier in ihren kleinen offenen H¨utten, ganz so wie vor ihrer Entdeckung durch die Weißen, und ich war u¨ berrascht, in den D¨orfern von Safata so a¨ ußerst wenig Gegenst¨ande europ¨aischen Ursprungs zu finden.“ (Hesse-Wartegg 1902: 263f.)

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Hesse-Wartegg mutmaßte, dass diese Gegenst¨ande nicht st¨andiges Eigentum seiner Gastgeber waren, sondern zu seinen Ehren herbeigeschafft worden waren (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 257), also nicht in ihrer eigentlichen Funktion, sondern zu Repr¨asentationszwecken aufgestellt worden waren. Daf¨ur spricht auch, dass keiner der Samoaner auf dem einzigen Stuhl Platz nahm, sondern dieser Hesse-Wartegg angeboten wurde. Nachdem er dieses Angebot ausgeschlagen hatte und nach samoanischer Art auf den Matten Platz ” nahm“, bemerkte er, dass das sichtliche Befriedigung [erregte]“ (Hesse-Wartegg 1902: ” 257). Insofern war der (Nicht-)Gebrauch des Stuhls in dieser Situation kein Zeugnis von (Un-) Zivilisiertheit‘, sondern ein Ausdruck der gegenseitigen Anerkennung der Br¨auche, ’ hier ausgedr¨uckt durch die unterschiedlichen Sitzweisen. Im Verlauf seiner Reise wohnte Hesse-Wartegg auch dem offiziellen ersten Besuch von Gouverneur Solf an der S¨udk¨uste Upolus bei, wo er sich u¨ ber St¨uhle in u¨ berraschend anderer Weise a¨ ußerte. Die weißen Teilnehmer an dem Fono h¨atten sicher etwas darum gegeben, auf St¨uhlen sitzen zu d¨urfen, ” statt in engen Hosen auf dem nur mit d¨unnen Matten bedeckten Kiesboden stundenlang kauern zu m¨ussen; aber die Samoaner kennen noch keine St¨uhle, und selbst bei ihrem obersten Chef Mataafa in Apia mußte ich in seiner einfachen H¨utte auf dem Boden hocken.“ (Hesse-Wartegg 1902: 274)

Bei seinem Besuch bei Mataafa war es also noch ein Muss‘, auf dem Boden zu sitzen, ’ w¨ahrend er ebendieses freiwillig und wohl auch mit dem Ziel, die anwesenden Samoanerinnen und Samoaner zu beeindrucken, bei seinem Besuch an der S¨udk¨uste getan hatte. Hier zeigt sich die widerspr¨uchliche Haltung, die Hesse-Wartegg im Laufe seine Reiseschilderungen entwickelte: Je nach Kontext wurden Gegebenheiten unterschiedlich belegt und gedeutet. W¨ahrend das Sitzen auf dem Boden in der einen Situation Hesse-Warteggs Gewandtheit in den einheimischen kulturellen Sitten ausdr¨ucken soll, so stellte es in anderer Situation, beim Besuch Mataafas, dessen R¨uckst¨andigkeit insbesondere im Vergleich zum deutschen Gouverneur Solf dar. Umgekehrt stießen die Schreibenden mancherorts mit ihren europ¨aischen Gewohnheiten an ihre Grenzen. So beispielsweise, wenn sie sich in f¨ur sie u¨ blicher Kleidung auf der Insel bewegten und an verschiedenen Stellen Wasserl¨aufen begegneten, oder von einem Boote an Land kommen mussten. Bei solchen Gelegenheiten war es u¨ blich, sich u¨ bers Wasser tragen zu lassen. So beschrieb es Hesse-Wartegg auch von Gouverneur Solf. [E]s blieb dem Vertreter des Deutschen Reiches [Solf, G. F.] nichts u¨ brig, als den R¨ucken eines ” kr¨aftigen Matrosen zu besteigen und sich wie ein Baby nach dem Boot tragen zu lassen. Ebenso that es das milit¨arische und Civilgefolge des Gouverneurs, und die jungen M¨adchen am Strande lachten sich u¨ ber diesen drolligen Anblick fast das Herz aus dem Leibe.“ (Hesse-Wartegg 1902: 276)

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Hier dienten die jungen M¨adchen“ als Kulisse, die es erlaubte, die ganze Einlage humorvoll ” aufzunehmen. Bei Zieschank lief die gleiche Situation mit a¨ hnlicher Komik ab, sie behielt jedoch eher ihre W¨urde im Auge. Die Samoaner sprangen schnell ins Wasser, das ihnen bis weit u¨ ber die Knie ging und streckten ” einladend ihre Arme nach uns aus. Was blieb uns anderes u¨ brig? Mit einem gelinden Gruseln legte ich meinen Arm um einen schweiß- und o¨ lgl¨anzenden braunen Nacken und ließ mich an Land tragen. Die Herren wurden Huckepack bef¨ordert. Es war wohl ein sehr komisches Bild, eigentlich der W¨urde des Weißen nicht sehr angemessen, aber wir fanden sie schnell wieder, als wir festen Boden unter den F¨ußen hatten!“ (Zieschank 1918: 29)

Obwohl sie hier von einem Gruseln“ sprach, das sie empfand, als sie den Arm um den ” Nacken des Samoaners legte, milderten doch die anderen Eindr¨ucke diese Wahrnehmung. Immerhin streckte er ihr die Arme einladend“ entgegen, es war nur eigentlich“ ihrer ” ” W¨urde nicht angemessen, die sie zudem schnell wieder[fand]“. Den k¨orperlichen Kontakt ” zu einem samoanischen Mann beschrieb sie zwar grundlegend anders, als die Weißen M¨anner Kontakte zu samoanischen Frauen geschildert hatten, und folgte mit ihrer Darstellung dem sozial erw¨unschten Verhalten, dass K¨orperkontakt zwischen Frauen und (unbekannten) M¨annern nicht schicklich war. Sie relativierte ihren vermeintlichen Ekel“ ” aber in ihrer weiteren Schilderung. Genthe kam wiederum auf das Getragenwerden zur¨uck. Das letzte St¨uck muß gewatet, oder besser noch, damit man die M¨uhe des Stiefelausziehens spart, ” auf dem R¨ucken eines st¨ammigen Giganten zur¨uckgelegt werden. Die Samoaner haben eine ganz besondere Art, die weißen H¨auptlinge‘ an Land zu tragen: sie nehmen sie, als ob es sich um ein Kind ’ von 50 Pfund handelte, einfach um die Mitte des Leibes und tragen sie im Geschwindschritt durch das flache Wasser.“ (Genthe 1908: 76f.)

An dieser Stelle war es Genthe selbst, der sich wie ein Kind behandelt f¨uhlte, weil er getragen wurde. Zugleich ließ er sich aber als weißer H¨auptling“ bezeichnen, womit er ” seine u¨ berlegene Position sicherte. Bei Genthe und im Folgenden auch bei Hesse-Wartegg sind es insbesondere die Stiefel als Teil der europ¨aischen Bekleidung, mit der sie bei der Durchquerung von Wasserwegen gehindert werden. Dabei grenzte Hesse-Wartegg explizit samoanische gegen europ¨aische Bekleidung ab: Die nur mit einem Lawalawa (Lendentuch) bekleideten Samoaner, M¨anner wie Frauen, nehmen ” dasselbe an diesen Fl¨ussen einfach ab und durchschreiten sie ohne R¨ucksicht auf Ebbe und Flut. Aber f¨ur den behosten und bestiefelten Europ¨aer ist die Sache lange nicht so einfach, und kann er sich bei Niedrigwasser wohl von einem Samoaner f¨ur Geld und gute Worte, haupts¨achlich aber Geld, hin¨ubertragen lassen, so ist dies zur Flutzeit ohne Einlaufen des Salzwassers in seine Stiefelsch¨afte und ein Sitzbad doch kaum m¨oglich.“ (Hesse-Wartegg 1902: 314)

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Die eigene Kleidung und die Umst¨andlichkeit ihres Ablegens sowie die eigenen Sittlich¨ keitsvorstellungen, sich nicht in der Offentlichkeit zu entkleiden, ließen die Autoren hier in Nachteil geraten. Die Samoanerinnen und Samoanern waren dagegen zwar im Vorteil, ihnen wurde die leichte Kleidung aber gleichzeitig als Ausdruck ihrer Unzivilisiertheit‘ ’ ausgelegt. Neben der Konfrontation mit der mangelnden Praktikabilit¨at der eigenen Kleidung, begegneten die Autorinnen und Autoren auch anderen unerwarteten heimischen Zeichen. Ungef¨ahr eine halbe Stunde vom Ziele entfernt, sahen wir uns mitten im Urwalde vor einer Geset” zestafel stehen: Weiter hinauf d¨urfen keine Pferde mitgef¨uhrt werden, Zuwiderhandlungen werden ’ mit 20 Mark Geldstrafe geb¨ußt.‘ Wir guckten uns verbl¨ufft an und mußten laut lachen. Es lebe der deutsche Schutzmann! Hier, mitten im samoanischen Urwald stand er ehrfurchtgebietend und drohend vor uns, wenn auch nur als verwittertes Schriftschild.“ (Zieschank 1918: 43)

Zieschank begegnete dieser Tafel auf einem ihrer Ausfl¨uge. W¨ahrend der Schutzmann in der Heimat als Vertreter von Recht und Ordnung galt und ihm Folge zu leisten war, waren seine Anweisungen hier lediglich auf einem verwittertem Schild“ angeschlagen. ” Das kontr¨are Zusammentreffen von Schutzmann“ und Urwald“, also Ordnung in der Un” ” ordnung, entlockte Zieschank Gel¨achter, weil sie die Diskrepanz zwischen Bezeichnendem (verwittertes Schild) und Bezeichnetem (deutsche Ordnung) wahrnahm. ¨ Ahnliches begegnete auch Genthe, der einen durchaus ironischen Blick auf die vermeintlichen Errungenschaften der Zivilisation‘ warf. ’ Der Steg, an dem unser samoanischer Steuermann uns absetzt, tr¨agt den Namen Bismarckbr¨ucke‘. ” ’ Das mutet gleich heimatlich an, und damit auch die Erinnerung an vaterl¨andische Zucht und Ordnung nicht fehle, ist unter dem Namensschild eine Inschrift auf deutsch und samoanisch befestigt, die besagt, daß diese stolze Bismarckbr¨ucke – ein kl¨aglicher kleiner Brettersteg – nur f¨ur die Boote der kaiserlichen Marine bestimmt sei.“ (Genthe 1908: 7)

Genthes Wahrnehmung erfolgte nach einem a¨ hnlichen Muster. Die Diskrepanz zwischen dem kl¨agliche[n] kleine[n] Brettersteg“ und seiner Bezeichnung als Bismarckbr¨ucke“, ” ” die Zucht und Ordnung“ rep¨asentieren sollte, rief seine ironisierte Darstellung hervor. ” Humor deutet sich also als Wahrnehmungsstrategie des fremden Eigenen an. Weiterhin begegnete den Schreibenden ihre Herkunftsgesellschaft dann in entfremdeter Form, wenn die samoanische Bev¨olkerung gewisse Dinge nachahmte, also in der Mimikry. In Hesse-Warteggs Beschreibung war das nach der Parade der Matrosen zu Ehren von ¨ Gouverneur Solf nach der deutschen Ubernahme der Fall. Die gelenkigen Eingeborenen mit ihren wie Gummischn¨ure geschmeidigen Gliedmaßen konnten gar ” nicht begreifen, wie man den Oberk¨orper so steif und gerade halten und mit den Beinen dennoch so

314 | Kolonialherren‘ dreier Nationen ’ wagrecht ausgreifen k¨onne [. . . ]. Weder die Flagge, noch die Uniform des Gouverneurs, noch die ganze Festlichkeit machten auf die Leute so tiefen Eindruck wie dieses Defilieren, und am Abend konnte man Knaben wie M¨adchen auf dem Festplatz sehen, die sich ganz ernstlich in dem alten preußischen Parademarsch ein¨ubten. Ein k¨ostlicher Anblick.“ (Hesse-Wartegg 1902: 304)

Der Versuch, das Exerzieren der Matrosen nachzuahmen, wirkte auf Hesse-Wartegg befremdlich, doch wiederum schilderte er es als lustige Situation. Was in der Heimat Ordnung und Disziplin zum Ausdruck gebracht h¨atte, wurde hier zum kindlichen Spiel. So wie die Reisenden mit ihren eigenen Gebrauchsgegenst¨anden konfrontiert wurden, so a¨ nderten sich gleichermaßen Gewohnheiten. Wie nachhaltig diese Ver¨anderungen mitunter waren, demonstrierte Fraser schließlich in einer Nebenbemerkung: There is a standard ” joke among white settlers, which is, that people who have lived long among the islands, after they return to civilisation seldom altogether lose the habit of tapping their bread on the edge of the table before putting a piece into their mouths.“ (Fraser 1895: 53) Menschen, die too long under a tropic sun in the Pacific“ (Fraser 1895: 54) gelebt h¨atten, w¨urden ” die Angewohnheit, mit dem Brot auf den Tisch zu klopfen, um m¨oglichst viele Ameisen abzusch¨utteln, auch in der Heimat nicht mehr ablegen. Die Gegebenheiten auf Samoa konfrontierten die Autorinnen und Autoren also mit ihren eigenen Sitten und Gebr¨auchen und zwangen sie zur Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Zivilisiertheit‘. ’

6.4.4 Zusammenfassung In Bezug auf das Wechselspiel von zerst¨orendem Zivilisationseinfluss‘ und bewahrendem ’ Schutzauftrag vertraten die Autorinnen und Autoren Auffassungen unterschiedlicher Auspr¨agung.35 Churchward war der Meinung, dem negativen Einfluss am besten durch sein eigenes Heraushalten begegnen zu k¨onnen. Er betonte, dass Weiße Berater der samoanischen Bev¨olkerung bislang nicht zum Vorteil gereicht h¨atten. Deeken war ebenfalls von einem vernichtenden Einfluss u¨ berzeugt, sah die L¨osung aber in einem Schutzraum f¨ur die samoanische Bev¨olkerung, in dem sich m¨oglichst die Zahl der Einheimischen erh¨ohen sollte. Wegener sprach explizit von einem Zwiespalt, in dem er sich befinde, und sah es als Ehrensache Deutschlands an, sowohl die samoanische Bev¨olkerung zu sch¨utzen, als auch die geleistete Arbeit von Deutschen zu wertsch¨atzen. Genthe dagegen sah das Verh¨altnis zu

35

Bitterli zufolge war die positive Beurteilung der einheimischen Bev¨olkerung, die sich im Schutzauftrag ausdr¨uckte, lediglich die Projektion der Kritik an der eigenen Kultur (vgl. Bitterli 1976: 179). Insofern wird der Diskurs um den zerst¨orenden oder bewahrenden Einfluss als Zivilisations’ kritik‘ gelesen.

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den Einheimischen von Freundschaft und Achtung gepr¨agt. Zieschanks Auffassung a¨ hnelte der Deekens, wenn sie betonte, dass es ein nationaler Verdienst sei, dass sich die samoanische Bev¨olkerung parallel zur Ausbreitung der Zivilisation erhalten habe. Hesse-Wartegg dagegen war kein Verfechter des Schutzauftrages, sondern sah es als Aufgabe Deutschlands an, das den Samoanerinnen und Samoanern innewohnende Potenzial auszusch¨opfen, um das Ansehen der eigenen Nation zu mehren. Das zum Ausdruck gebrachte Spannungsverh¨altnis zwischen Idealisierung der einheimischen Bev¨olkerung, Schutzauftrag und drohender Vernichtung l¨asst sich mit den von D¨urbeck definierten Interdiskursen des Rousseauismus und Darwinismus erkl¨aren. W¨ahrend die Idealisierung Merkmal einer rousseauistischen Vorstellung ist, geht der Darwinismus davon aus, dass das Aussterben der indigenen Bev¨olkerung naturgesetzlich hingenommen werden m¨usse. Zugleich eigne er sich damit f¨ur Kritik an der Kolonialherrschaft (vgl. D¨urbeck 2007: 41f.). Zwischen diesen Polen bewegen sich auch die Schilderungen der Autorinnen und Autoren. Begr¨undet sah Deeken den vernichtenden Zivilisationseinfluss in einer Reihe von Faktoren, von denen mehrere Autorinnen und Autoren das Thema des Alkoholkonsums in ihren Texten aufgriffen. Dabei wird deutlich, dass Alkoholkonsum eher ein Thema der Weißen H¨andler als der Einheimischen war. Gin war als Tauschw¨ahrung in der S¨udsee etabliert, wurde aber von der samoanischen Bev¨olkerung selbst nicht konsumiert. Die Beschreibungen tendierten alle in dieselbe Richtung, sie betonen, dass die Samoanerinnen und Samoaner nicht trinken, auch wenn keiner der Schreibenden eine Begr¨undung daf¨ur liefern konnte. Insofern unterschied sich der koloniale Alltag deutlich von dem in anderen Kolonien, wo einheimische Bev¨olkerungen teilweise gezielt in die Alkoholabh¨angigkeit gef¨uhrt worden waren, um bessere Kontrolle u¨ ber sie zu erlangen. Alkohol geh¨orte offenbar zu den europ¨aischen G¨utern, von denen sich die samoanische Bev¨olkerung abgrenzte. Andere Dinge dagegen wurden adaptiert. Die Missionen hatten ihren Eifer darauf verwendet, diverse handwerkliche T¨atigkeiten zu verbreiten, wie das Schreinern, G¨artnern oder den Buchdruck, dem die Literalisierung vorausgegangen war. Genthe f¨ugte diesen Kulturtechniken den Erwerb von Metall hinzu, der mit der Ankunft der Weißen einherging. Damit habe die samoanische Bev¨olkerung den Sprung aus der Steinzeit geschafft. Seine Ausf¨uhrungen vernachl¨assigen jedoch, dass den Einheimischen zwar nun gewisse Werkzeuge aus Eisen und Stahl zur Verf¨ugung standen, sie aber noch immer keine metallverarbeitende Gesellschaft waren, da sie die G¨uter lediglich fertig importierten. W¨ahrend Barradale und Genthe Kulturtechniken schilderten, arbeiteten sich andere Autorinnen und Autoren an einzelnen Kulturgegenst¨anden ab und zeigten eher ein materiales Verst¨andnis von Kultur, das sich in einzelnen Objekten manifestierte. Europ¨aische Gegenst¨ande wie N¨ahmaschinen, Lampen oder Kleidung fanden Eingang in den samoanischen Alltag. Ob die Objekte tats¨achlich ihrer Funktion gem¨aß benutzt wurden

316 | Kolonialherren‘ dreier Nationen ’

oder lediglich Dekorationen darstellen, blieb in den Texten offen. Der Besitz solcher Gegenst¨ande wurde auf k¨unstlich geweckte Bed¨urfnisse zur¨uckgef¨uhrt, da viele Gegenst¨ande auf Samoa nutzlos blieben. Pierce Churchill machte dagegen deutlich, dass sich die samoanische Bev¨olkerung nicht nur vom Gebrauch gewisser europ¨aischer Kulturg¨uter abgrenzte, sondern umgekehrt insbesondere die a¨ ltere Generation sorgf¨altig Wissen vor den Weißen abschirmte. Dass sie die Einzige ist, die darauf Bezug nimmt, offenbart den blinden Fleck der anderen Schilderungen, die konsequenterweise davon ausgehen, dass der Kulturtransfer nur monodirektional funktioniere, und es nur die Weißen w¨aren, die etwas zu vermitteln h¨atten. In dieser abgrenzenden Haltung zeigt sich bereits eine Form der Grenze im Zivilisie’ rungsprozess‘. Weiterhin wurde aufgezeigt, dass auch in der Vermittlung von Werten wie Privateigentum, Privatsph¨are oder Erwerbsarbeit aus europ¨aischer Sicht kaum Fortschritte erzielt werden konnten. Doch trotz des vermeintlichen Mangels an Zivilisiertheit‘, war es ’ genau das, was die Autorinnen und Autoren faszinierte. Genthe stellte dazu fragend fest: Wenn man [. . . ] sich den Straßenverkehr abspielen sieht in Formen, die in nichts an die mehr als ” sechzigj¨ahrige Anwesenheit der Weißen erinnern, dann kann man sich der Frage nicht erwehren: Warum hat Samoa, warum selbst Apia sich inmitten dieser langen Beeinflussung durch Fremde, durch Missionen und durch das nie ruhende Interessenspiel der fremden Nationen so echt, so unverf¨alscht erhalten, wie es in der ganzen S¨udsee unter a¨ hnlichen Bedingungen nicht zum zweitenmal vorkommt?“ (Genthe 1908: 47)

Das Lob auf die Urspr¨unglichkeit‘ und Echtheit‘ konnte als Maßstab f¨ur Kultur- und ’ ’ Zivilisationskritik genutzt werden. Dies zeigt sich im Besonderen, wenn den Autorinnen und Autoren im Kontakt mit den Einheimischen ihre eigenen Kulturg¨uter in entfremdeter Form wieder begegneten. Ehlers gelangte zu der Erkenntnis, dass die europ¨aische Form von Gastfreundschaft aus einer anderen Perspektive ein verqueres Konstrukt darstellte. HesseWartegg verweigerte den Gebrauch des eigenen Kulturgutes, des Stuhls, und setzte sich lieber auf der Matte nieder, obwohl er darin an anderer Stelle wieder eine R¨uckst¨andigkeit festmachte. Die europ¨aische Kleidung, die als Abgrenzung zur Nacktheit an vielen Stellen einer Hierarchisierung dienlich gewesen war, hinderte die Reisenden nun an einer unkomplizierten Durchquerung von Wasserl¨aufen oder beim Anlegen der Boote. Somit f¨uhrte es zu Szenen, bei denen sich die Weißen wie Kinder tragen lassen mussten, um nicht nass zu werden. Hier und auch in den weiteren Szenen, wo die Reisenden mit heimatlichen Werten konfrontiert wurden, diente Humor oder Komik als erl¨osendes Moment. Die Zivilisationskritik richtete sich gegen die heimatlichen Gesellschaften, die damit zugleich die Referenzpunkte blieben. Die dortigen Normen und Werte blieben als unterscheidende Kategorien erhalten, wurden also nicht in Frage gestellt (vgl. Habinger 2006b: 72). Inhaltlich kritisierten die Autorinnen und Autoren indirekt die Verst¨adterung,

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Beschleunigung und Affektiertheit der eigenen Gesellschaft. Diese Kritik war keine neue: Auch die Verfasser der Reiseberichte der Entdeckerfahrten‘ benutzten ihre Texte bereits, ’ um die Verbildetheit‘ und Affektiertheit‘ der europ¨aischen Zivilisation‘ anzuprangern ’ ’ ’ (vgl. Wendt 2013: 47). Zugleich offenbart sich im Zivilisationsgedanken‘ der Grundwiderspruch des kolonia’ len Vorhabens: Einerseits wurde rhetorisch propagiert, dass die Kolonisierten das Potenzial bes¨aßen, zivilisiert‘ zu werden, andererseits ging Zivilisiertheit‘ gerade mit dem Mythos ’ ’ der Reinheit der eigenen Rasse‘ einher (vgl. Maxwell 2000: 3). ’ ¨ Die geaußerte Perspektive auf die Ver a¨ nderung der Wahrnehmung der zugereisten Personen macht vor allem die in der postkolonialen Theorie vertretene These deutlich, nach der Kolonialisierung‘ nie einen monodirektionaler Prozess nach dem Modell des Senders ’ und Empf¨angers darstellt, sondern einen Prozess mit Wechselwirkungen markiert. Die Schreibenden waren nicht nur als Vertreterinnen und Vertreter ihrer Heimatnation auf Samoa, die die einheimische Bev¨olkerung mit ihrer Kultur‘ konfrontierte, sondern wurden ’ auch umgekehrt dem Einfluss der Inselwelt ausgesetzt, der sie ver¨anderte.

¨ 6.5 AUF K ULTURMISSION : D IE F RAU ALS K ULTURTR AGERIN Neben der Auseinandersetzung mit dem Missions- und Schulwesen, der nationalen Herkunft und dem damit verbundenen zivilisatorischen Standpunkt, tritt als letzte Komponente die kulturelle Verortung der Schreibenden in den Fokus. Diese ist insbesondere innerhalb der deutschsprachigen Quellen thematisiert worden. Der Begriff der Kultur muss an dieser Stelle in seinem Konstruktionscharakter verstanden werden, der sich nicht in einem materialen Verst¨andnis ersch¨opft, sondern aus dem Kontext der Quellen heraus definiert wird. Zu beobachten ist, dass sich weder Marie Fraser noch Llewella Pierce Churchill mit a¨ hnlichen Fragen nach kultureller Verortung und ihrer jeweiligen Rolle als Frauen auseinandersetzten. Dies mag darin begr¨undet liegen, dass Fraser als Bewunderin Stevensons einen touristischen und weniger politischen Reisebericht verfasste, und f¨ur Pierce Churchill als US-Amerikanerin eine eigene kulturelle Vergewisserung und Verortung nicht mehr in dem Maße notwendig erschien, wie f¨ur Frieda Zieschank als deutsche Frau. Insbesondere f¨ur Frieda Zieschank spielte der Kulturbegriff eine besondere Rolle, da sie sich als Frau und als Kulturtr¨agerin‘ verstand. Immer wieder ist von der wirklich ’ ” segensreiche[n] Kulturarbeit“ (Zieschank 1918: 7) die Rede, welche die Deutschen in der S¨udsee geleistet h¨atten, und deren Fortf¨uhrung nicht zuletzt die Aufgabe der ans¨assigen deutschen Frauen sei. Gleichzeitig seien deutsche‘ Werte auf Samoa st¨andig bedroht; ’ Zieschank sprach vom gef¨ahrdeten Deutschtum“ (Zieschank 1918: 8). Grundlegend geht ”

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ihrem Kulturverst¨andnis voraus, dass die Familie die kleinste Einheit eines soziokulturellen gesellschaftlichen Gef¨uges bilde und diese dementsprechend besonders in den Kolonien zu f¨ordern sei. Und was w¨are wohl mehr geeignet, ein neues Land mit unserm Volkstum zu ” durchdringen, als das Wurzelschlagen der deutschen Familie.“ (Zieschank 1918: 13) Hier ¨ zeigte sich, dass Zieschank die Familie als kleinste Einheit, als Samen‘, ansah. Uberhaupt ’ bediente sie sich einer biologistischen Sprache, die Begriffe aus der Pflanzenwelt adaptierte, so hier der Begriff des Wurzelschlagen[s]“. Doch nicht jede Familie schien in Zieschanks ” Verst¨andnis geeignet zu sein, sich als Siedler auf Samoa niederzulassen: Ein starker Zuzug ” von nicht kapitalkr¨aftigen Leuten w¨are sicher nicht zum Guten ausgeschlagen.“ (Zieschank 1918: 15) Das Kriterium des Zuzugs war f¨ur sie ein pekuni¨ares. Der Zunahme der Kakaokultivierung geschuldet, nahm sie einen deutlichen Wandel im Bild der ansiedelnden Menschen wahr. W¨ahrend diese fr¨uher vielfach aus zuf¨allig in der S¨udsee h¨angengebliebenen Seeleuten, H¨andlern usw. ” bestanden, die teils ein ungebundenes Junggesellenleben f¨uhrten, teils mit farbigen und Halbblutfrauen verheiratet waren, kamen nun zielbewußte junge deutsche Pflanzer ins Land, viele von ihnen mit ihren Frauen. Und deutsches Familienleben bl¨uhte unter dem s¨udlichen Himmel auf und machte das Land erst wirklich zur deutschen Kolonie!“ (Zieschank 1918: 15f.)

Auch hier war es die Familie, an der Zieschank das Deutschtum festmachte. [D]eutsches ” Familienleben“ kontrastierte sie zu dem Junggesellenleben“ und Mischehen‘, in denen ” ’ ihrer Meinung nach keine kulturellen Werte vermittelt werden konnten. Dennoch verlangte sie auch von diesen Familien, dass dort Deutsch gesprochen werde, was besonders aufgrund des umgangssprachlichen Pidgin-Englisch problematisch war. Gerade den alten Ansied” lern“ warf sie in dem Zusammenhang vor, aus Bequemlichkeit“ kaum zu versuchen, ihre ” Frauen zur deutschen Sprache zu bekehren“ (Zieschank 1918: 56). Und dies ist meiner ” ” Ansicht nach die schlimmste Unterlassungss¨unde, denn gerade in der Familie muß das Deutschtum wurzeln!“ (Zieschank 1918: 57f.) Sie stellte das Deutschtum als eine Art Pflanze dar, die innerhalb der deutschen Familie gedeihen solle. Aufgrund der Schutzherrschaft Deutschlands u¨ ber Samoa schien die Identifikation mit der Heimat mitunter nachzulassen. Auch daf¨ur hatte Zieschank eine Erkl¨arung. Immer reden a¨ ltere Leute von der guten, alten Zeit!‘ [. . . ] Damals waren wir deutsch, viel deutscher ” ’ ’ als jetzt!‘ behaupten sie. [. . . ] Klarer ausgedr¨uckt m¨ußte es n¨amlich heißen: Wir f u¨ h l t e n deutscher, ’ weil wir f¨ur unser Deutschtum bangen und k¨ampfen mußten!‘ In den langen schweren Jahren, die der Besitzergreifung der Inseln voraus gingen, war es ganz nat¨urlich, daß sich unsere Landsleute inniger zusammen geschlossen hatten gegen die fremden Elemente [Herv. i. O.].“ (Zieschank 1918: 56)

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Die a¨ ußere Bedrohung‘ erwies sich als zusammenschweißender Einfluss auf die ’ ans¨assigen Deutschen. Die eigentliche Verdeutschung“ musste noch gef¨ordert werden. ” Dies beschrieb Zieschank w¨ahrend ihrer Schwangerschaft als ganz besondere Aufgabe. Deutscher Boden ist es ja, auf dem unser Kindchen geboren werden wird, deutsches Land in der ” fernsten Ecke der Welt. [. . . ] Daß das Deutschtum hier im Lande selbst noch nicht rein und unverf¨alscht hervortritt – was verschl¨agt es? Desto reizvoller ist die Aufgabe, an der Verdeutschung mitzuwirken. Und das tut jeder gute Deutsche hier, ob hoher Beamter oder einfacher Handwerker, ob Mann, ob Frau, einfach nur durch sein Vorhandensein.“ (Zieschank 1918: 59)

Je nach Argumentationslogik benutzte Zieschank das noch nicht rein[e]“ Deutschtum ” entweder als Problemanzeiger, wie bei den Familien mit deutschem Vater und samoanischer Mutter, oder als reizvolle[ ]“ Herausforderung f¨ur jeden gute[n] Deutsche[n]“. Mal reichte ” ” die bloße Anwesenheit aus, mal sollte aktiv am Deutschtum gearbeitet werden. Was nun das Deutschtum aber – abgesehen von der deutschen Sprache – ausmache, definierte sie nicht genauer, es schien sich aber im Familienbild zu manifestieren. Als Vorbild f¨ur gegl¨ucktes Familienleben stellte sie die Familie Richard Deekens dar, die sie w¨ahrend ihres Aufenthaltes kennengelernt hatte. Was mir bisher immer unklar als das Ideal des hiesigen Lebens vorgeschwebt hatte, hier fand ich es ” verk¨orpert! Echtes deutsches Familienleben bl¨uhte hier oben unter den gl¨ucklichsten Bedingungen. Umgeben von drei rotb¨ackigen, blondlockigen Kindern, das j¨ungste noch auf dem Arm, und dabei schon wieder in Erwartung neuen Zuwachses, so trat uns die reizende junge Hausfrau an der Seite ihres Gatten entgegen.“ (Zieschank 1918: 64)

Zieschank selbst bezeichnete ihr Ideal als unklar“, bis es sich hier im Familienleben mit ” mehreren blondgelockten Kindern konstatierte. Deeken beschrieb das ideale Familienbild a¨ hnlich, und sah es in der Familie Schmidt auf der Pflanzung Tunaimato verk¨orpert. Auf der ger¨aumigen, blumenumrankten Veranda begr¨ußen uns der Besitzer und seine junge, im ” vollsten Glanze der Jugendfrische stehende Frau [. . . ]. Und neben den beiden ein kleines, allerliebstes Blondk¨opfchen mit langen, den Nacken herabwallenden Locken. Drei Jahre hatte der kleine Schelm, aber er blickte mit seinen großen, blauen Augen schon recht keck in die Welt und begr¨ußte den Fremdling, indem er ihm unverzagt sein kleines Patschh¨andchen gab.“ (Deeken 1901)

Beiden Schilderungen ist gemein, dass die M¨utter als reizend“ oder im Glanze der ” ” Jugendfrische“ stehend beschrieben werden, die Kinder haben blonde Haare, rote Wangen, blaue Augen, scheinen also germanischen Kriterien zu gen¨ugen. Schließlich stehen sowohl bei Deeken als auch bei Zieschank die Frauen als M¨utter im Mittelpunkt, sind also, soweit sie die Kinder tragen, sogar im wortw¨ortlichen Sinne Tr¨agerinnen der Kulturmission‘. ’

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Anscheinend beobachtete man die Eheschließungen der Ansiedler sehr genau, vor allem, da eine Mischehe‘ zwar verrufen, im Laufe der Zeit auch verboten worden war (vgl. ’ Kapitel 4.3.3), aber M¨annern dennoch als attraktive Alternative zur Verf¨ugung stand. Dann aber entwickelte sich die tats¨achliche Anzahl deutscher Frauen auf Samoa mit den Jahren. Mit welcher Freude wurde deshalb von uns Frauen jede neu ankommende Landsm¨annin ” begr¨ußt! Wie gern half man ihr mit Rat und Tat u¨ ber den schweren Anfang fort! Und mit der Zeit, besonders in den letzten sechs Jahren, nahm ihre Zahl schnell zu.“ (Zieschank 1918: 104) Zieschank handelte ganz im Interesse des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft, der Frauen organisiert in die Kolonien entsandte, als Gouvernanten, Lehrerinnen, Krankenschwestern oder auch um dort einen Ehemann zu finden. Vor Ort wurden diese Frauen von den schon ans¨assigen unterst¨utzt.36 Ihren Report u¨ ber ihre Zeit auf Samoa sah Zieschank vor allem auch als Beitrag, die deutschen Kolonialgebiete bekannt zu machen, um so den Zuzug derer, die die entsprechenden Bedingungen erf¨ullten, in die Kolonien zu f¨ordern, da noch weite[ ] Fl¨achen herrlichen jungfr¨aulichen Bodens [. . . ] der Erschließung ” harren“ (Zieschank 1918: 87): Selbstverst¨andlich geh¨oren nur t¨uchtige, strebsame Leute ” mit unbedingter Selbstdisziplin in die Kolonien – die Besten sind gerade gut genug f¨ur die Pionierarbeit da draußen!“ (Zieschank 1918: 87f.) Sie betrachtete vor allem die menschliche Arbeitskraft als Kapital f¨ur die Entwicklung der Kolonien. Zudem untermauerte sie den Mythos der herrenlosen Gebiete‘, die die Inseln angeblich darstellten. ’ Dass die Familiengr¨undung in den Kolonien – sah man von Mischehen‘ ab – eine ’ schwierige Angelegenheit war, bemerkte auch Genthe: Den wenigsten Europ¨aern hier ” draußen ist es verg¨onnt, eine Landsm¨annin oder u¨ berhaupt eine Weiße als Frau heimzuf¨uhren.“ (Genthe 1908: 142) Schließlich ginge die Abgeschiedenheit auf den Inseln mit v¨olliger Vereinsamung, Losl¨osung von der Heimat und schließlich gar mit dem politi” schen und tats¨achlichen Verlust der Nationalit¨at“ (Genthe 1908: 142) einher. Daher betonte auch Genthe die bedeutende Rolle der Frau: Zurzeit gibt es nicht ein Dutzend deutscher ” Frauen und M¨adchen in Apia, und auch wohl fr¨uher hat zu keiner Zeit die echte deutsche Landsm¨annin in der deutschen Kolonie eine gr¨oßere Rolle gespielt.“ (Genthe 1908: 143) Dabei wurden die Frauen, die den Weg in die Kolonien wagten, laut Zieschank mit besonderer Wertsch¨atzung entsch¨adigt. [E]ine Frau [ist] draußen ihrem Manne unendlich ” viel mehr [. . . ], als sie ihm in den meisten F¨allen in der Heimat w¨are; sie ist ihm in viel h¨oherem Maße Gef¨ahrtin und Gehilfin.“ (Zieschank 1918: 104) Doch daf¨ur habe sie zu akzeptieren, dass sie auf alles, was man so gemeinhin unter Vergn¨ugungen versteht“ ”

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Ob Zieschank Mitglied im Frauenbund war, geht aus ihrem Text nicht hervor, da sie aber in dessen Zeitschrift Kolonie und Heimat‘ ver¨offentlichte, darf zumindest eine gewisse N¨ahe unterstellt ’ werden.

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(Zieschank 1918: 104) verzichten m¨usse. Dies entsprach vermutlich der gr¨oßere[n] Rolle“, ” die Genthe zufolge die Frau in den Kolonien spielen w¨urde. Insofern schlussfolgerte Zieschank: Was der deutschen Frau ihr Los noch besonders versch¨ont, ist das Gef¨uhl, das ” bald in jeder erwacht, ob einfache Aufseher- oder wohlhabende Privatpflanzersfrau, daß sie d i e T r a¨ g e r i n e i n e r w i c h t i g e n K u l t u r m i s s i o n ist [Herv. i. O.].“ (Zieschank 1918: 105) Mit ihrer Anwesenheit in den Kolonien, bestenfalls durch eine Familiengr¨undung, trage die deutsche Frau also dazu bei, die (deutsche) Kultur in den Kolonien zu festigen, sodass das Deutschtum insgesamt gest¨arkt w¨urde. Gerade im Hinblick auf die Gestaltung des Heimes habe die Frau also eine bedeutende Aufgabe zu erf¨ullen, so Zieschank. Mit dieser Aufgabe konstruierte Zieschank im Wesentlichen ihr Weiblichkeitsbild, was im Vergleich zu dem in der Heimat nicht emanzipierter war. Wie bei Genthe schon angedeutet, machten sich auch die Autoren Gedanken u¨ ber die deutsche Kultur und ihr Erstarken in der Fremde. Dabei zeigt sich, dass sie das von Zieschank gegebene Versprechen, die Frau besonders als Gef¨ahrtin und Gehilfin“ zu ” wertsch¨atzen, nicht unbedingt einl¨osten. Deeken sprach allen Siedlern die Rolle eines Kulturtr¨agers zu: Nur derjenige Deutsche sollte in die Tropen und besonders in unsere ” Kolonien gehen – sofern er seine bedeutungsvolle Aufgabe als Tr¨ager deutscher Kultur ernst nimmt – der dem Alkohol gegen¨uber enthaltsam oder zum wenigsten widerstandsf¨ahig ist [Herv. G. F.].“ (Deeken 1901: 25) Das Kriterium der Widerstandsf¨ahigkeit gegen¨uber Alkohol deutet ein m¨annlich gepr¨agtes Bild an. Wenn ein solcher Mann in den Kolonien erfolgreich sei, m¨usse auch das Leben an seiner Seite f¨ur eine Weiße Frau ein angenehmes sein. Kann es denn wirklich etwas Netteres geben, als die kleine, reizende Frau eines Mannes zu sein, ” bei dem die angehenden Pralinees und die so lecker schmeckenden Katzenzungen nur so auf den B¨aumen wachsen, in einem von Palmen umrauschten, blumenerstickten Knusper-Knusper-H¨auschen zu wohnen – und die herzerfrischende, duftige Luft des paradiesischen Samoa zu atmen?“ (Deeken 1901: 120)

Diese Schilderung Deekens w¨are sicher nicht im Sinne Zieschanks gewesen, die mit der Rolle der Kulturtr¨agerin vor allem ein h¨oheres Ansehen verband, als Deeken hier zum Ausdruck brachte. Dieser stellte eben nicht die wertvolle Aufgabe der Frau in den Vordergrund, sondern betonte das vermeintlich sorgenfreie Leben, das einer Frau an der Seite eines Pflanzers geboten w¨urde. Doch zugleich konstatierte er: Zierp¨uppchen und Sa” lonk¨atzchen sind in Samoa nat¨urlich nicht brauchbar, wohl aber verst¨andige und energische M¨adchen, welche h¨ohere Ideale haben“ (Deeken 1901: 188). Den Widerspruch zwischen den energische[n] M¨adchen“ mit h¨ohere[n] Idealen“ und der zuvor geschilderten klei” ” ” ne[n], reizende[n] Frau“, die Pralinen und Katzenzungen geboten bek¨ame, thematisierte

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Deeken nicht. Erkl¨aren l¨asst sich dieser Widerspruch mit der unterschiedlichen Kontextualisierung seiner Textstellen. Erstere verwendete Deeken, um f¨ur die Auswanderung nach Samoa zum Kakaoanbau und f¨ur die Unterst¨utzung der Frauen zu werben. Letztere und die ¨ was es brauche, um folgenden Aussagen stehen im Zusammenhang mit den Uberlegungen, aus Samoa eine deutsche‘ Kolonie zu machen. Seine Forderung a¨ hnelt der Zieschanks: ’ Doch hoffe ich, daß auch mancher andere es jetzt begreiflich finden wird, warum wir gerade f¨ur ” diejenigen Menschen, deren Beruf es ist, als Pioniere einer h¨oheren Kultur in unsern Kolonien zu lehren und zu leben, die Verheiratung mit einer deutschen Frau zur Forderung machen m¨ussen. Ist nicht gerade sie dazu berufen und geschaffen, deutschen Geist und deutsche Sitten in den Kolonien auszubreiten und den Frauen und Kindern der Eingeborenen n¨utzliche Dinge zu lehren und u¨ berall vers¨ohnend und lindern dort einzugreifen, wo sie rauhe Hand des leider zuweilen selbsts¨uchtigen Ansiedlers der Humanit¨at und der deutschen Civilisation eine Wunde geschlagen hat?“ (Deeken 1901: 188ff.)

Das Weiblichkeitskonstrukt, was Deeken hier zum Ausdruck brachte, unterstellte deutschen Frauen eine Berufung‘, allein durch ihre Anwesenheit bereits Deutschtum verbreiten ’ zu k¨onnen; sie seien außerdem geschaffen“, um zu vermitteln und zu schlichten, um ” so eine Br¨ucke zwischen der m¨annlich-europ¨aisch gepr¨agten Gesellschaft einerseits und der weiblich-einheimischen Bev¨olkerung andererseits zu bauen und deutsche Werte zu transportieren. In dieser bin¨aren Geschlechterkonstruktion offenbart sich auch sein eigenes hegemoniales M¨annlichkeitskonstrukt, das Frauen dominierte und die Deutungshoheit u¨ ber deren nat¨urliche‘ Aufgabe verlangte. ’ Auch Hesse-Wartegg griff zu seiner Zeit die Frauenfrage‘ auf. Deutsche Frauen soll’ ten in seiner Darstellung einen korrigierenden Einfluss auf die M¨anner aus¨uben, die den Maßstab zur Bewertung der Kanakenweiber“ (Hesse-Wartegg 1902: 219) verloren h¨atten. ” Wenn also endlich gen¨ugend gesunde[ ], nette[ ] deutsche[ ] M¨adel“ nach Samoa k¨amen, so ” k¨onnten die weißen Junggesellen [. . . ] standesgem¨aß‘ eine nette weiße rotbackige, blond” ’ haarige germanische Hulda heiraten“, die ebenso blondsch¨opfigen, pausbackigen, weißen ” Jungen das Leben [. . . ] schenken“ k¨onne. Somit sei der kanakische[n] Weiberwirtschaft“ ” bald ein Ende gesetzt (Hesse-Wartegg 1902: 219). Hesse-Wartegg war der einzige, der die samoanischen Frauen u¨ berhaupt und wiederholt als Kanaken“ bezeichnete. Obwohl er ” hier das Ansiedeln Weißer Frauen favorisierte, sprach er u¨ ber diese im Grunde genauso herablassend, wie u¨ ber die samoanischen Frauen. Weiße Frauen erf¨ullten in seinen Augen lediglich die Funktion, f¨ur m¨annlichen Nachwuchs zu sorgen, und k¨onnten waggonweise“ ” (Hesse-Wartegg 1902: 219) angeliefert werden, wie eine Ware. Hier ging es also weder um pers¨onliche Eigenschaften, St¨arken und Schw¨achen, noch um die Kultur, die eine Frau in sich trage, oder gar eine erf¨ullte Beziehung zwischen deutschen M¨annern und Frauen in der S¨udsee, sondern lediglich um Aspekte der Rasseerhaltung‘ und -reinheit. Letztlich ’

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er¨offnete Hesse-Wartegg in seinen Schilderungen einen ganzen Heiratsmarkt, indem er anmerkte, dass s¨amtliche deutschen Beamten noch nicht vergeben seien, und deren Vorz¨uge schilderte. Auch die DH&PG hielt Hesse-Wartegg zufolge noch einige Junggesellen f¨ur Weiße Frauen bereit (vgl. Hesse-Wartegg 1902: 219). Im Grunde widersprach Hesse-Wartegg mit seinen Anpreisungen der auf Samoa ans¨assigen Junggesellen und der Werbung um deutsche Frauen den u¨ blichen Darstellungen der M¨oglichkeit der Ansiedelung. Prinzipiell war Samoa keine Siedlungskolonie; im Deutschen Reich wurde nicht aktiv f¨ur eine Auswanderung geworben.37 Und w¨ahrend die anderen Quellen darauf verwiesen hatten, dass zwar Frauen unbedingt erw¨unscht seien, so sollte jede und jeder Zuwandernde doch genau pr¨ufen, ob er oder sie die passenden Grundeigenschaften mitbr¨achten. Doch dann sollte die Frauen eine bedeutungsvolle Aufgabe erwarten, die sie – zumindest in Zieschanks Darstellung – an der Seite ihres Mannes in ganz anderer Weise erf¨ullen konnte als in der Heimat.

¨ Zusammenfassende Uberlegungen Das Ansinnen, Samoa zu einer deutschen‘ Kolonie zu machen, sollte u¨ ber deutsches‘ ’ ’ Familienleben und besondere Stellung der Frau als Kulturtr¨agerin‘ erreicht werden. Da ’ Samoa nicht als Siedlungskolonie angelegt war und so keine Einwanderung stattfand, lebten u¨ berwiegend Beamte und Handelsangestellte im Land. Das Verh¨altnis von weißen ” M¨annern zu weißen Frauen betrug 1901 273 zu 74, 1914 436 zu 164. 1902 standen 118 ledigen weißen M¨annern lediglich 28 gegen¨uber, die eine weiße Ehefrau an ihrer Seite hatten, 1914 betrug das Verh¨altnis 231 zu 82.“ (Samulski 2004: 335) Dementsprechend betonten Autoren wie Genthe und Deeken die Notwendigkeit, Frauen anzusiedeln, w¨ahrend Hesse-Wartegg offensiv die Vorz¨uge der noch zu vergebenden Junggesellen schilderte. Damit ging, wie bei Deeken gezeigt, eine Romantisierung und Idealisierung des Alltags einer Pflanzersfrau‘ einher (vgl. Habinger 2003: 213), der auch Zieschank stellenweise ’ folgte. Das koloniale Projekt stellte sich als Raum dar, in dem Geschlechterverh¨altnisse ausgehandelt wurden. Laut Berman wurde unterstellt, dass die weiße deutsche, europ¨aische ” Frau der Enge eines bevormundenden Europas w¨urde entrinnen k¨onnen, um in den Kolonien neue M¨oglichkeiten einer Selbstentfaltung und -behauptung zu finden“. Damit wurden Bilder weiblicher Macht“ oder Erm¨achtigung“ geschaffen. (Vgl. Berman 2003: 27) ” ” Dass Frauen am Kolonialprojekt durchaus beteiligt waren, und dieses nicht ausschließlich

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Dies war nicht zuletzt Gouverneur Solfs Verdienst, der Richard Deekens Bestrebungen und damit die des alldeutschen Pflanzervereins, Samoa zu einer Siedlungskolonie zu machen, ablehnte (vgl. Gr¨under 2004/1985: 184f.) und in der Einwanderungsfrage u¨ berhaupt einen zur¨uckhaltenden Standpunkt einnahm.

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als m¨annliches konnotiert“ (Habinger 2003: 213) werden konnte, ist unumstritten (vgl. ” Kapitel 1.1), inwiefern sich tats¨achliche Erm¨oglichungsr¨aume f¨ur Frauen boten, muss im Einzelfall abgewogen werden. Komplementarit¨at der Geschlechter – ganz im Sinne ” des b¨urgerlichen Geschlechtermodells – schrieben gegen anf¨angliche Widerst¨ande und u¨ ber alle internen Konflikte hinweg die Kolonialinteressierten auf ihre Fahnen.“(Kundrus 2003b: 283) Diese Programmatik, die auch Zieschank ausrief, wertete die deutsche Frau als Partnerin ihres Mannes zun¨achst auf. Laut Kundrus war die Zielversion dieser Partizipation ” [. . . ] aber weniger, mehr Mitwirkungsrechte und Verantwortung f¨ur weiße deutsche Frauen zu fordern als vielmehr eine hierarchische, segregierte Rassenordnung in den Kolonien abzusichern“ (Kundrus 2003a: 13). Kolonialinteressierte Frauen sahen sich vor die Frage gestellt, ob in den Kolonien die gleichen moralischen, sexuellen und rechtlichen Normen ” und Werte gelten sollten wie im Deutschen Reich – oder nicht.“ (Wildenthal 2003: 204) Das Problem der unerw¨unschten Rassenmischung‘ wurde in Samoa mit einem Eheverbot ’ zu l¨osen versucht. Damit r¨uckte die Weiße Frau in den Fokus, denn wenn ihre Zahl in den Kolonien stieg, w¨urden die Weißen M¨anner diese bevorzugt als Partnerin w¨ahlen, so die Argumentationsmuster Zieschanks, Hesse-Warteggs und Deekens. Die besondere Aufgabe der Frau sah Zieschank schließlich in ihrer kulturvermittelnden Rolle. Worin die deutsche‘ Kultur bestand, definierte Zieschank jedoch nicht. Die ’ H¨auslichkeit, das deutsche Heim‘, das Frieda Zieschank postulierte, korrespondierte mit ’ der Innerlichkeit der (deutschen) Werte (vgl. Link und Gerhard 1991: 22).38 Damit konnte Zieschank sich von der einheimischen Bev¨olkerung abgrenzen. Der Zivilisationsprozess als Kulturfortschritt war in diesem Denken nur durch die Integration der ” deutschen Frau‘ erreichbar, die – in Abgrenzung zu den kulturlosen‘ Gesellschaften der s¨udlichen ’ ’ Halbkugel – die Kultur verk¨orperte. [. . . ] Die deutsche Frau‘ blieb in all diesen Konstruktionen eine ’ flexible Metapher der Ab- und Ausgrenzung, die als Selbstentwurf den Gegensatz zu den Afrikanerinnen oder Ozeanerinnen markierte [Herv. i. O.].“ (Kundrus 2008: 141)

Doch die Abgrenzung erfolgte nicht nur in Richtung der einheimischen Frauen, sondern erf¨ullte eine besondere Funktion im Hinblick auf die Weißen M¨anner. Indem die Weiße Frau als Kulturfaktor“ gedacht wurde, wurde die klassisch europ¨aisch-philosophische[ ] ” ” Tradition“ aufgebrochen und deutsche M¨anner somit der Natur und deutsche Frauen ” der Kultur zugeordnet [Herv. i. O.]“ (Walgenbach 2008: 55). Weiße M¨anner galten als potenziell gef¨ahrdet, kulturell zu degenerieren‘, was sich in u¨ berm¨aßigem Alkoholkon’ sum, Verarmung oder eben Mischehen‘ zeigte (vgl. Walgenbach 2008: 54). In dieser ’ ”

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Das wiederum kn¨upft an an die Abgrenzungen, die Genthe oben gemacht hatte; die deutschen Matrosen fielen ihm durch ihre (innere) Bescheidenheit, die US-amerikanischen durch ihre (¨außeren) schlechten Umgangsformen und ihr lautes Auftreten auf.

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nationalen Notsituation fungierte die deutsche Frau‘ als Retterin, als ethnisch, national, ’ kulturell und klassen-sozial stimmige und notwendige Erg¨anzung.“ (Kundrus 2003b: 283) Dementsprechend sollte die Weiße Frau die instabilen Grenzen zwischen der kolonisierten ” Bev¨olkerung und der weißen Siedlergemeinschaft sichern. Die Begr¨undung der Partizipation von Frauen changierte demnach zwischen ihrer Bestimmung als Bewahrerinnen der Rasse‘ und der Kultur“ (Dietrich 2009: 184). Der Auftrag an die Frauen, als Vermitt’ lerin deutscher Kultur zu dienen, war mitunter expliziter Auftrag des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft (vgl. Walgenbach 2005: 92). Zieschanks verwendete das Bild der Familie als Pflanze, die Wurzeln und Bl¨uten treibe, als Sinnbild des Deutschtums. Die organische Beschreibung als Baum, Wald oder allgemein Pflanze, legte es nahe, andere Nationen als mechanisch oder maschinell negativ ” davon abzugrenzen“ (Link und Gerhard 1991: 27). Die Hierarchisierung funktionierte in diesem Fall in umgekehrter Sortierung: Die Pflanze (als der Natur zugeh¨orig) wird der Mechanik/Maschine (Kultur) u¨ bergeordnet, w¨ahrend mit Bezug auf die samoanische Bev¨olkerung zwischen Naturvolk‘ und Kulturvolk‘ umgekehrt hierarchisiert wurde. ’ ’ Insgesamt erf¨ullt die Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau f¨ur Zieschank insbesondere die Funktion der Aufwertung der eigenen Position durch Romantisierung und Idealisierung ihres Alltagslebens auf Samoa. Damit einher gingen, auch f¨ur Deeken, Genthe und Hesse-Wartegg, nationalistische Argumentationsmuster, die das Deutschtum von den anderen kolonialisierenden M¨achten abgrenzten. Schließlich folgte auch auf Samoa durch die Aufwertung der Frau keine Emanzipierung von patriarchalen Strukturen, sie blieb stattdessen b¨urgerlichen Geschlechterverh¨altnissen verhaftet.

III Ergebnisse

7 Zusammenfassung der Diskursmuster

Um die letzte der eingangs gestellten Fragen nach den Diskurslinien und deren Funktion zu beantworten, fehlt noch ein abschließender Blick auf die Muster, nach denen die aufgef¨uhrten Diskurslinien verliefen.1 Die vorangegangenen Kapitel haben gezeigt, dass sich der Diskurs u¨ ber Samoa aus vielf¨altigen Diskurslinien und -str¨angen zusammensetzte. Aufgeteilt wurden diese in drei große Bereiche; Kapitel 4 Samoa – eine S¨udseeinsel“ befasste ” sich mit der Ankunft und den ersten Eindr¨ucken der Reisenden sowie Vorstellungen der paradiesischen‘ Landschaft und des westlichen Menschenbildes von den Samoanerinnen ’ und Samoanern. Kapitel 5 Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa“ nahm Bezug auf ” das Dazwischen, in dem sich die Reisenden bewegten, sowohl in Bezug auf ihre eigene Eingew¨ohnung vor Ort, als auch auf die Rituale und Gebr¨auche der Einheimischen. Dazu geh¨orte nicht zuletzt der Besuch beim jeweiligen h¨ochsten W¨urdentr¨ager. Kapitel 6 Kolonialherren‘ dreier Nationen“ legte schließlich den Schwerpunkt auf die nationalen ”’ Selbstverortungen, die sich insbesondere in Schilderungen des Missions- und Schulwesens niederschlugen und sich explizit in internationalen Befindlichkeiten a¨ ußerten. Die Auseinandersetzung mit dem Eigenen oszillierte zwischen Zivilisationskritik und Schutzauftrag und fand ihren besonderen Ausdruck in der Rolle der Frau als Kulturtr¨agerin‘. ’ Diese Diskurslinien wurden aus den f¨unfzehn untersuchten Quellen als gemeinsame Aus¨ sagenstruktur herausgearbeitet. Die nachfolgende Grafik gibt einen Uberblick u¨ ber die Diskursbeteiligung, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln zitiert wurde. Horizontal

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Als Diskursmuster wird in a¨ hnlicher Weise das gefasst, was die kritische Diskursanalyse als Diskursverschr¨ankung“ bezeichnet; Diskursstr¨ange k¨onnen sich in Teilbereichen miteinander ” verschr¨anken und dadurch bestimmte Effekte produzieren (vgl. J¨ager und Zimmermann 2010: 47).

330 | Ergebnisse

finden sich die Namensk¨urzel2 der Autorinnen und Autoren, vertikal die entsprechende Kapitelnummerierung. ¨ Ubersicht der Diskursbeteiligung Kap. 4.1 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.3 6.1 6.2 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.5

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Die gesetzten Kreuze geben u¨ ber Verschiedenes Auskunft: Zum einen kann f¨ur die einzelne Autorin oder den einzelnen Autor nachvollzogen werden, welche Themen sie oder er im Text behandelte, wo also inhaltliche Schwerpunkte lagen. Andererseits wird anhand der Kapitelzuweisung transparent, wie groß die Beteiligung an der jeweiligen Diskurslinie war.3 Betrachtet man die drei thematischen Schwerpunkte (Kapitel 4: Samoa – eine S¨udseeinsel, Kapitel 5: Zwischen Papalagi-Life und Fa’a Samoa, Kapitel 6: Kolonialherren‘ dreier ’ Nationen), so zeigt sich, dass alle drei in Bezug auf die Quellen in etwa gleich gewichtet sind. Das Themenspektrum ist also breit gef¨achert – der Mythos S¨udsee ist lediglich ein

Abgek¨urzt sind PC“: Llewella Pierce Churchill und MS“: Michael Myers Shoemaker sowie ” ” RS“: Robert Louis Stevenson. ” 3 Die Tabelle ist rein desriptiv und spiegelt den Stand dieser Arbeit wider. Das schließt nicht aus, dass die Autorinnen oder Autoren auch zu den hier nicht markierten Bereichen etwas beigetragen haben.

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Zusammenfassung der Diskursmuster | 331

Teil der Schilderungen. Die Beteiligung an den einzelnen Diskurslinien, nach Nationalit¨at unterschieden, zeigt, dass die Quellen englischer Autorinnen und Autoren den geringsten Anteil ausmachen, die deutschsprachigen dagegen den gr¨oßten. Dies spiegelt einerseits die Quellenlage (4 G B, 5 U SA, 6 G ER), andererseits die historische Entwicklung insofern wider, dass sich Engl¨anderinnen und Engl¨ander fr¨uh auf Samoa aufhielten, ihre kolonialen Anspr¨uche dann aber fallen ließen und die Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in der Folge zwischen Deutschen und US-Amerikanerinnen und -Amerikanern stattfand. Schließlich l¨asst sich ablesen, dass unter den deutschen Autorinnen und Autoren Frieda Zieschank, Siegfried Genthe, Ernst von Hesse-Wartegg und Otto Ehlers inhaltlich breit aufgestellte ¨ Texte verfassten. Ahnlich umfangreich folgen die Texte der US-amerikanischen Schreibenden William Churchward und Llewella Pierce Churchill. Die englischen Texte setzen dagegen gezielte Schwerpunkte etwa beim Missionswesen oder politischen Aspekten. Den einzelnen Diskurslinien wurden unterschiedliche Funktionen nachgewiesen. In den Ankunftsschilderungen zeigte sich, dass diese eine Erz¨ahlkonvention bedienten, die sich als Ankunfts-Topos a¨ ußerte. Das besondere Staunen der Ankommenden bez¨uglich der hohen gr¨unen Berge Upolus und Savai’i kann damit begr¨undet werden, dass [d]er Wald ” und das Meer [. . . ] aufs Anschaulichste [repr¨asentieren], was wir unter Natur‘ verstehen“ ’ (Lehmann 2011: 44). Insofern l¨asst sich die besondere Attraktivit¨at Samoas erkl¨aren, da auf der Insel Wald und Meer kombiniert waren. Die Reisenden kamen mit gewissen Erwartungen und Vorstellungen nach Samoa, was ihnen die Einordnung von den ihnen begegnenden Menschen nach ihrer Rasse‘ direkt erm¨oglichte. Die Anlehnungen an Bildbeschreibungen ’ und das Motiv des Landschaftsmalers erf¨ullten die Funktion, die Landschaft a¨ sthetisch aufzuladen und in Besitz zu nehmen (monarch-of-all-I-survey scene). Die Inbesitznahme wurde durch die Performance einer Goffman’schen Vorder- und Hinterb¨uhne gebrochen. Samoa bot aufgrund seiner Raumform als Insel besondere Determinanten f¨ur die Wahrnehmung als Paradies‘. Entlehnungen der Bildwelt des Goldenen Arkadien hatten die ’ Funktion, Samoa in seiner Abgeschiedenheit und Idylle zu idealisieren und gleichzeitig u¨ ber die Unterstellung eines unentwickelten‘, geschichtslosen Zustands einen leeren Raum‘ zu ’ ’ ¨ konstruieren, der der Vereinnahmung und Eroberung harrte. Ahnlich aufgeladen waren die Raumkonzepte des christlichen Paradieses und der europ¨aischen M¨archenwelt. Wesentliche Gefahren, abgesehen von der latenten Bedrohung durch den vulkanischen Ursprung der Inseln, gingen von der Inselwelt nicht aus, was den Mythos der Freundlichkeit der Natur speiste. Anhand exemplarischer Orte betrachteten die Reisenden verschiedene Schaupl¨atze der Inseln. Die Schilderungen der Aussicht vom Samea-Berg erlaubten die Vereinnahmung der zu F¨ußen liegenden Szenerie. Apolima dagegen konnte lediglich unter g¨unstigen Bedingungen angelaufen (penetriert) werden, und diente der Darstellung von eigenem Mut und Furchtlosigkeit. Badepl¨atze wie die Papase’ea-Wasserf¨alle oder Lufi-Lufi boten Gelegenheit, arkadische Sch¨onheit wahrzunehmen und f¨ur erotische Begegnungen. Savai’i

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dagegen erf¨ullte die Sehnsucht nach Unber¨uhrtheit und Urspr¨unglichkeit, die auf Upolu nicht in dem Maße wahrgenommen wurde. In dieser Suche lag eine Zivilisationskritik, die auch den Schilderungen als Paradies oder Goldenes Arkadien latent immanent war. Dem Kontext dieser Bildwelten entsprechend, wurde die einheimische Bev¨olkerung geschildert. In der unterstellten Zeitlosigkeit und R¨uckst¨andigkeit bedurfte es keiner Individuen, weshalb nur wenige samoanische Menschen mit Namen benannt wurden. Gleichzeitig wurde die einheimische Bev¨olkerung als im Menschheitsalter der Kindheit begriffen und ihr eine homogene und klassenlose Gesellschaft unterstellt. Diese Zuschreibungen waren facettenreich und wechselweise positiv und negativ konnotiert. Bitterli erkl¨art das mit der engen Kopplung des Edlen Wilden an das Barbarentum: Eine große Zahl der lobenden Attribute, welche das Bild des edlen Wilden‘ bestimmen sollten, ” ’ gehen unmittelbar aus dem hervor, was man zuzeiten als Wesensmerkmale des Barbarentums zu erkennen glaubte: Einfachheit und Anspruchslosigkeit stehen in diesem Sinne komplement¨ar zur Primitivit¨at; Unschuld und Unvoreingenommenheit treten an die Stelle kindischer Unvernunft und Dumpfheit; Faulheit wird durch ruhiges Behagen, Gesetzlosigkeit durch nat¨urliche Daseinsharmonie, Triebhaftigkeit durch unbesorgte Lebensfreude ersetzt.“ (Bitterli 1976: 373)

Die positiven und negativen Setzungen der samoanischen Bev¨olkerung lassen sich in letzter Konsequenz also als zwei Seiten der gleichen Medaille lesen, je nachdem, welche Positionierung gerade aus unterschiedlichen Gr¨unden im Vordergrund stand. Diese mythischen Anteile waren anschlussf¨ahig an eine imperialistische und rassis¨ tische Grundhaltung, die den eigenen Uberlegenheitsund Herrschaftsanspruch sichern und legitimieren sollte. Dabei war die rassische‘ Stellung von Samoanerinnen und Samoa’ nern nicht zweifelsfrei gekl¨art; die Argumentationen pendelten zwischen Ann¨aherung und Abgrenzung: In den Samoanern finden deutsche Wissenschaftler eine Blutsverwandtschaft, die noch enger wird, ” da man sich wie das samoanische Volk vom fremden Blut‘ bedroht f¨uhlt. Da der deutsche Kolo’ nialismus in Samoa diese rassische Reinheit selbst bedroht, muß der Deutsche sich wieder von den ¨ Samoanern unterscheiden, seine Uberlegenheit postulieren, um sein Eindringen in die fremde Kultur zu rechtfertigen.“ (Tobin 2002: 215)

Das machte die Auseinandersetzung mit der eigenen Whiteness notwendig und brach das Schema der strukturellen Unsichtbarkeit als Kategorie auf. In Bezug auf die anderen ozeanischen Rassen‘ Mikronesiens und Melanesiens nahmen die Polynesierinnen und ’ Polynesier eine h¨ohere Position ein, was sich in den Schilderungen zu kannibalistischen Praktiken zeigte, die durchweg auf anderen Inseln verortet wurden. Der kulturelle Unterschied, der dem einen Volk scheinbar Superiorit¨at und dem ” anderen Inferiorit¨at verlieh“, drohte bei einer Vermischung die Legitimationsbasis der ”

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Herrschenden“ zu untergraben (Samulski 2004: 354). Doch zeigte sich insbesondere bei der Frage der Mischlingsbev¨olkerung‘, dass das Thema vor Ort verh¨altnism¨aßig ’ liberal behandelt, das Konzept von Rasse‘ an etlichen Stellen br¨uchig und stattdessen auf ’ kulturalistische Deutungen rekurriert wurde. Die Diskurslinie u¨ ber die samoanische Gesellschaft war gepr¨agt von der erotischen Aufladung der samoanischen Frauenbilder, der Vorstellungen von Anstand, Moral und Sittlichkeit gegen¨uberstanden. Die Darstellungen samoanischer Frauen, die von M¨annern verfasst wurden, bewegten sich zwischen den Bildern der Heiligen‘ und der Hure‘. Weiße ’ ’ Frauen beschrieben die Samoanerinnen eher entsexualisiert, begrenzt sch¨on, und bem¨uhten sich, sie als Konkurrentinnen herabzuspielen. Samoanische M¨anner hingegen wurden von m¨annlichen und weiblichen Schreibenden als sch¨on bezeichnet. F¨ur Frauen war die erotische Aufladung der samoanischen M¨anner nur eingeschr¨ankt m¨oglich, da eine solche den Sexualvorstellungen der Heimatgesellschaft widersprochen h¨atte, in der Frauen keine eigene Sexualit¨at zugesprochen wurde. M¨anner legten dagegen eine homoerotische Sicht an den Tag, die jedoch nicht in offene Homosexualit¨at umschlagen durfte. Prinzipiell arbeiteten sich die Schreibenden mit Hilfe von Darstellungen samoanischer M¨anner und Frauen an ihren eigenen Weiblichkeits- und M¨annlichkeitskonstruktionen und an den damit einhergehenden Geschlechterverh¨altnissen ab. In Bezug auf die Geschlechterverh¨altnisse innerhalb der samoanischen Gesellschaft erwiesen sich die Autorinnen und Autoren mitunter als unf¨ahig, Unterscheidungskriterien außerhalb ihrer eigenen zu erkennen. Damit blieben sie differenzblind. Die b¨urgerliche Trennung von privater und o¨ ffentlicher Sph¨are sowie die l¨andlich vormoderne Auffassung einer Aufgabenteilung nach der Schwere der zu verrichtenden Arbeiten bildeten die Wahrnehmungsfolien, mit deren Hilfe die erlebten Verh¨altnisse jedoch nicht trennscharf eingeordnet werden konnten. Die stereotypisierte Darstellung diente letztlich der Sicherung der eigenen Privilegiertheit. Auf Samoa bewegten sich die Reisenden in einem Dazwischen aus eigenen Vorstellungen, Bed¨urfnissen und dem, was ihnen als Fremdes gegen¨uberstand. Mit der eigenen Eingew¨ohnung wurde den Schreibenden bewusst, dass Samoa [. . . ] nie dieses Paradies ” ¨ der uneingeschr¨ankten Freiheit und des Lebens im Uberfluß [war], wie es der westliche Mythos von der sagenhaften S¨udsee seit dem ersten Kontakt mit dieser Gegend perpetuiert hatte“ (Hempenstall 2001: 692). Neben die mythisch entlehnte Darstellung traten zuneh¨ mend praktische Uberlegungen zur Akklimatisierung, zu drohenden Krankheiten und zur Versorgungslage. Da die paradiesischen Schilderungen Samoa aufgewertet hatten, musste ¨ die eigene Uberlegenheit gesichert werden, indem auch die Nachteile aufgezeigt wurden. Gleichzeitig brach damit die stereotypisierte Wahrnehmung und wurde ambivalent. Schilderungen Apias erfolgten in Form eines imaginierten Spaziergangs durch die Bucht und bedienten damit eine Erz¨ahlkonvention. Da Apia das Zentrum der europ¨aisch-

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amerikanischen Gesellschaft bis zur Teilung der Inseln darstellte, konnte die Stadt durch die Beschreibung vereinnahmt werden. Gleichzeitig geriet der Widerspruch zwischen ihrem Ruf und den tats¨achlichen Verh¨altnissen in den Blick. In der Auseinandersetzung mit samoanischen Ritualen und Gebr¨auchen fokussierten die Quellen insbesondere auf die Kava-Zubereitung und die Siva-Auff¨uhrungen. Anhand des Kava-Rituals konnten sich die Autorinnen und Autoren mit Geschmacksvorstellungen und der zugeh¨origen Zeremonie auseinandersetzen. Die Schilderungen erf¨ullten ebenfalls die ¨ Funktion, die eigene Uberlegenheit darzustellen – indem die Zubereitung f¨ur die Reisenden erfolgte und diese die Ehre des ersten Bechers als Aufwertung auffassten. Mitunter fand die Mimikry hier umgekehrt statt, wenn Einzelne versuchten, die Samoaner in ihren Fertigkeiten – etwa der Becherr¨uckgabe – nachzuahmen und zu u¨ bertrumpfen. Die Siva erwies sich dagegen als Folie, auf der erotisierte Vorstellungen und W¨unsche abgebildet werden konnten. Nicht selten a¨ hnelte der Aufbau der Beschreibung einem sexuellen Akt. Damit wurden einerseits Bed¨urfnisse des heimatlichen Lesepublikums befriedigt, andererseits konnte die eigene Kultiviertheit‘ im Gegensatz zur Nat¨urlichkeit‘ ’ ’ der Samoanerinnen und Samoaner postuliert werden. Dazu geh¨orten die Schilderungen der Taupou, der die Leitung solcher T¨anze oblag. In ihrer Beschreibung kristallisierte sich das komplexe und ambivalente Weiblichkeitskonstrukt heraus, das im Blick auf samoanische Frauen im Allgemeinen hergeleitet wurde. Die Darstellung der Taupou und auch samoanischer Frauen insgesamt spielte mit den Facetten der Heiligen‘ und der Hure‘ ’ ’ sowie einer m¨utterlichen Imagination. Dagegen verzichteten die Berichte u¨ ber den Palolo-Fang weitgehend auf stereotype Darstellungen samoanischer Menschen. Das pers¨onliche Erleben derjenigen Autorinnen und Autoren, die zum richtigen Zeitpunkt auf Samoa waren, stand im Vordergrund. Diese als Rituale verstandenen Erlebnisse hatten die Funktion, soziale Abl¨aufe zu strukturieren und ein Gef¨uhl der Zusammengeh¨origkeit zu vermitteln. Im Gegensatz zu den Lesenden geh¨orten die Autorinnen und Autoren dazu‘, waren also keine Fremden mehr. ’ ¨ Ahnlich wie sich in der Taupou Weiblichkeitskonstruktionen manifestierten, galt dies f¨ur den h¨ochsten W¨urdentr¨ager und die M¨annlichkeitskonstruktionen. Ihm gegen¨uber wendeten die Autoren diverse Strategien an, um sich Mataafa oder Malietoa als ebenb¨urtig bis u¨ berlegen darzustellen. Das erf¨ullte die Funktion, die W¨urdentr¨ager zu ent-m¨annlichen, sodass die Weißen als einzige M¨anner auf der Insel verblieben. Parallel zur samoanischen Gesellschaft installierten die Akteurinnen und Akteure ein europ¨aisch-amerikanisches Gesellschaftssystem, das durch Missionen, ein Schulwesen und eine Verwaltungsstruktur gepr¨agt war. Dar¨uber, wie weit von einer Christianisierung der samoanischen Gesellschaft ausgegangen werden konnte, machten sich die Schreibenden keine Illusionen. Gleichzeitig wertsch¨atzten sie die zivilisierende‘ Funktion der Missionen, ’ die den Alltag strukturiert und europ¨aische Normen und Werte etabliert hatten. Obwohl

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der deutsche Kolonialismus u¨ berhaupt kaum durch religi¨osen Eifer gekennzeichnet [war]“ ” (Tobin 2002: 199) und keine deutschen Missionen vertreten waren, entz¨undeten sich erste nationale Rivalit¨aten aus deutscher Sicht am Missionswesen. ¨ Ahnlich konspirativ argumentierten deutsche Schreibende in Bezug auf das Schulwesen, das zu großen Teilen in der Hand der Missionen lag. Trotz der Bestrebungen, deutsche Schulen einzurichten und Deutsch als Unterrichtssprache durchzusetzen, blieben diese Bem¨uhungen in den Anf¨angen stecken. Die Schulbesichtigungen der deutschen Autoren offenbarten sich mehr als Selbstdarstellungen denn als tats¨achliche Schulbeschreibungen. Insofern richteten sich diese Passagen ebenfalls an ein heimatliches Publikum, dem die Sicherung deutscher Werte durch ein entsprechendes Schulsystem vermittelt werden sollte. Im Sinne der entangled histories waren nicht nur die Geschichte(n) der jeweiligen europ¨aischen Metropolen (Deutschland, England, USA) und der Peripherie (Samoa) verflochten, sondern auch die der drei Kolonialm¨achte untereinander. Insofern f¨uhrten Beziehungen nicht nur zwischen europ¨aischem Eigenen und ozeanischem Fremden zu kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Aushandlungsprozessen, sondern auch zu Br¨uchen und Grenzziehungen zwischen den westlichen Nationen. Internationale Befindlichkeiten nahmen daher einen breiten Teil der Schilderungen ein. Die Internationalit¨at Apias geh¨orte zum vertrauten Erscheinungsbild, ebenso wurde die versuchte Einflussnahme auf die samoanische Bev¨olkerung als allt¨aglich beschrieben. Die eigentliche Rivalit¨at spielte sich mit Blick auf die Inselteilung zwischen US-amerikanischen und deutschen Schreibenden ab. Dementsprechend wurde in den deutschen Quellen Tutuila ab- und Upolu aufgewertet. Damit einher gingen Vorstellungen eigener kultureller und nationaler Werte, die durch die jeweils andere Nation bedroht oder gerade in der Abgrenzung als Eigenes definiert wurden. Die samoanische Bev¨olkerung geriet an dieser Stelle als diskursiver Spielball zwischen die jeweiligen Konstruktionsprozesse. Da sich die Schilderungen zwischen latenter Zivilisationskritik und Schutzauftrag bewegten, war die samoanische Bev¨olkerung das Objekt, dem letzterer galt. Mit Samulski gesprochen bleibt die Beobachtung, dass die deutsche Kolonialverwaltung in Samoa aus einer Mischung von verkl¨arend-romantisierenden ” ( Schutz‘ der Samoaner und ihrer naturverhafteten‘ Kultur), diskriminierenden (samoanische, chine’ ’ sische, melanesische Inferiorit¨at‘, Verweigerung deutscher Rechte) und machtpolitischen Motiven ’ (begrenzte samoanische Selbstverwaltung) Rassismus praktizierte“ (Samulski 2004: 355).

Unkritisch wurde die These des Untergangs indigener Gesellschaften bei Kontakt mit Kulturv¨olkern‘ forterz¨ahlt, obwohl einige Quellen einen Zwiespalt oder die Hoffnung ’ thematisierten, dass es in diesem Falle anders sein k¨onne. Immerhin konnte der Alkoholkonsum als vernichtender Einflussfaktor ausgeschlossen werden.

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Den Gebrauch verschiedener Kulturtechniken und -gegenst¨ande, die Adaption und auch die Abgrenzung von diesen, schilderten die Texte im Hinblick auf die eigene kulturelle ¨ Uberlegenheit. Zugleich nahmen die Autorinnen und Autoren Differenzen im Hinblick auf Kategorien wie Erwerbsarbeit, Eigentum oder Privatsph¨are wahr. An den Punkten, an denen den Reisenden ihre eigenen Kulturpraktiken wiedergespiegelt wurden, begegnete ihnen ihr Eigenes in entfremdeter Form. Dies konnte in der Konfrontation mit Beschilderungen oder auch mit der eigenen Kleidung und der Frage nach deren Zweckhaftigkeit geschehen. Gerade in diesen Auseinandersetzungen zeigte sich, dass das koloniale Projekt nicht nur monodirektional verlief. In der Betrachtung der Weißen Frau als Kulturtr¨agerin kamen schließlich sowohl Konstruktionen von Geschlechterverh¨altnissen in Bezug auf die Metropole sowie das zugrundeliegende Kultur- und Nationalverst¨andnis zum Tragen. W¨ahrend letzteres nicht klar definiert wurde, erfuhren die Frauen u¨ ber die entsprechende Weiblichkeitskonstruktion in ihrer Rolle eine Aufwertung. Als Partnerinnen ihrer M¨anner oblag ihnen hier die besondere Aufgabe, die Familie als Ort des Deutschtums zu gestalten. Daher erfolgte eine Distanzierung zu Mischehen‘, in denen die M¨anner zu degenerieren‘ drohten. Insofern ’ ’ verortete man die Frauen in der Kultur, die M¨anner in der Natur. Die Auseinandersetzungen innerhalb der Texte sollten (f¨ur Zieschank) die eigene Position aufwerten oder (f¨ur die Autoren) das koloniale Projekt unter Zuhilfenahme der deutschen Frauen bef¨ordern. Alle dargestellten Diskurslinien und die darin enthaltenen stereotypen Versatzst¨ucke vereinen in sich ambivalente Anteile. Genau diese Anteile f¨uhren dazu, dass Stereotype zum einen nicht leicht widerlegbar sind, und damit zum anderen eine anhaltende Lebensdauer beweisen, worin sie wirkm¨achtig erscheinen. For it is the force of ambivalence that gives the colonial stereotype its currency: ensures its repetability ” in changing historical and discoursive conjunctures; informs its strategies of individuation and marginalisation; produces that effect of probabilistic truth and predictability which, for the stereotype, must always be in excess of what can be empirically proved or logically construed [Herv. i. O.].“ (Bhabha 1983: 18)

Das mache das koloniale Stereotyp zu einer complex, ambivalent, contradictory mode of ” representation, as anxious as it is assertive [. . . ]“ (Bhabha 1983: 22). Komplexit¨at, Ambivalenz und Widerspr¨uchlichkeit, die Bhabha als Kennzeichen dieser Stereotype formuliert, konnten in den Diskurslinien u¨ ber Samoa gleichermaßen nachgewiesen werden. W¨ahrend jedem dieser Str¨ange eigene Funktionsweisen und Funktionen unterliegen, erhalten sie ihre Wirkm¨achtigkeit erst in ihrer Verschr¨ankung. An die mythischen Anteile der paradiesischen Vorstellungen konnten Konstrukte von Rasse‘ und zivilisatorischer Entwicklung‘ angedockt werden, sodass nicht mehr trenn’ ’ scharf ist, was Ursache und was Wirkung ist. Determinierte die Raumform Insel die

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Vorstellung von ( Entwicklungs‘-)Stillstand, Geschichtslosigkeit und Edlen Wilden, oder ’ ¨ wurden diese Aspekte aufgrund vermeintlicher rassischer‘ Uberlegenheit betont und zur ’ Legitimierung der Vereinnahmung verwendet? In jedem Falle f¨uhrte erst die Verschr¨ankung der unterstellten paradiesischen Zust¨ande (in all ihren Facetten) mit rassisierenden‘ Kon’ zepten und dem kolonialen Kontext zur Wirkm¨achtigkeit des Stereotyps, erhielt gleichzeitig (durch all ihre Facetten) Komplexit¨at und Ambivalenz. ¨ Ahnlich funktionierten die Prozesse des Otherings im Hinblick auf Rituale und Gebr¨auche. Um im Wechselspiel das Eigene definierbar und abgrenzbar zu machen, wurde die Fremde sorgsam konstruiert – in einem Spannungsfeld von Angleichung und Abgrenzung. In der Beschreibung von Ritualen a¨ ußerte sich das in der Herabw¨urdigung von Praktiken als primitiv‘ oder unzivilisiert‘ und der gleichzeitigen Aufwertung durch die Darstellung, ’ ’ die offenbarte, dass das Geschilderte nicht nur das eigene Erleben lohnte, sondern auch der Verschriftlichung wert war. Zugleich war Samoa ein Spiegelbild f¨ur Deutschland“, so ” formuliert es Tobin, in dem die Deutschen sowohl sich selbst als auch eine Umkehrung ” ihrer selbst sehen wollten. In den Samoanern fand der deutsche Blick gewisse Schw¨achen, die aber nie so groß werden durften, daß sie ein schlechtes Licht auf die Deutschen warfen“ (Tobin 2002: 215). Schließlich verbanden sich mit Aussagen u¨ ber Samoa Vorstellungen eigener Nationalit¨at und Kultur. An der vermeintlich kulturlosen‘ samoanischen Gesellschaft konnte sich ’ diese Diskurslinie jedoch nicht abarbeiten, weshalb sie mit dem Missionswesen oder den Schulen verschr¨ankt wurde. Im Sprechen u¨ ber Missionen ging es nicht mehr darum, ob religi¨os missioniert werde, sondern um die Frage, ob die zivilisatorische‘ Missionierung ’ der eigenen Nationalit¨at im Wege stand. Auch hier fanden Otheringprozesse statt. Da die Inhalte des Kultur- und Nationalit¨atsbegriffes in den deutschsprachigen Quellen nicht benannt wurden, funktionierte er umso mehr u¨ ber die Abgrenzung von den anderen europ¨aisch-amerikanischen Nationen. Somit zeigten sich indirekt die eigenen Vorstellungen von – in diesem Fall – christlichen Werten und preußischen Tugenden. Daher ergibt es Sinn, den Diskurs u¨ ber Samoa nicht als eine Ansammlung verschiedener Str¨ange, sondern als ein komplexes, ambivalentes und widerspr¨uchliches Diskursmuster zu begreifen, in dem sich die Diskurslinien u¨ berkreuzten, verschr¨ankten und miteinander verwoben – und dadurch wirkm¨achtiger wurden.

8 Resumee ¨ und offene Fragen Ich nehme Abschied von Samoa f¨ur alle Zeiten. [. . . ] ” Samoa ist – das kann nicht oft genug gesagt werden – des Schweißes selbst der Edelsten wert.“ OTTO E. E HLERS 1895: 146

In Bezug auf die eingangs gestellten Forschungsfragen 1. Wie gestaltete sich der Diskurs u¨ ber Samoa in Reiseberichten aus den involvierten Nationen: Deutschland, England und USA? 2. Welche Diskurslinien lassen sich aus diesen Reiseberichten ableiten? 3. Welche Funktion(en) erf¨ullten diese Diskurslinien? 4. Gibt es Muster, nach denen die Diskurslinien verliefen und wenn, welche Funktion erf¨ullten sie? kann geantwortet werden, dass sich der Diskurs in der untersuchten Reiseliteratur, bestehend aus f¨unfzehn Quellen von deutschen, englischen und US-amerikanischen Autorinnen und Autoren, facettenreich und breit aufgef¨achert darstellte. Die als solche definierten Diskurslinien lassen sich in drei große Bereiche gliedern, die sich von Schilderungen mit dem Fokus auf die S¨udseeinsel, u¨ ber das Dazwischen zwischen dem Leben als Weiße oder Weißer auf Samoa und den einheimischen Gebr¨auchen, hin zu Auseinandersetzungen mit dem Eigenen und insbesondere der eigenen Kultur und Nationalit¨at erstreckten. Darin enthalten sind weitere Facetten, in denen Paradiesvorstellungen, das Menschenbild, spezifische Rituale, die Zivilisationskritik und der Schutzauftrag beschrieben werden. Diese Diskurslinien erf¨ullten ein breites Spektrum an Funktionen, was von Strategien der Vereinnahmung, Herrschaftssicherung und Legitimation, u¨ ber die eigene M¨annlichkeitsund Weiblichkeitskonstruktion und die Konstruktion von Geschlechterverh¨altnissen, bis ¨ zu Darstellungen der eigenen ( zivilisatorischen‘/ nationalen/ kulturellen) Uberlegenheit ’

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und der Annahme spezifischer Rollen f¨ur Weiße Frauen reichte. Da die einzelnen Diskurslinien nicht unabh¨angig voneinander (ent-)standen, sondern es durch Verflechtungen zur Steigerung der Komplexit¨at, Ambivalenz und Widerspr¨uchlichkeit kam, ist es sinnvoll, von einem Diskursmuster zu sprechen, welches den Effekt hatte, die Wirkm¨achtigkeit einzelner Diskurslinien zu erh¨ohen. In diesen Ergebnissen zeigt sich, dass die in der bisherigen Forschung getroffenen Aussagen zur Funktionsweise des Diskurses u¨ ber S¨udseekolonien – zumindest in Bezug auf Samoa – zu kurz greifen und dies in zweierlei Hinsicht: Zum einen wurde deutlich, dass das westliche Menschenbild u¨ ber die (samoanische) Bev¨olkerung wesentlich ausdifferenzierter ist, als es die bisherige Forschung herausgearbeitet hat. Eine komplement¨are Gegen¨uberstellung der afrikanischen und ozeanischen Kolonialgebiete f¨allt notwendigerweise dann simplifizierend aus, wenn dem Schwarzen, negativ besetzten Gebiet leichtfertig eine Aussagenstruktur u¨ ber die S¨udseekolonien gegen¨ubergestellt wird, die u¨ berwiegend von der Vorstellung des ( braunen‘) Edlen Wilden ’ und positiv gepr¨agt ist1 – obgleich die Schilderungen Samoas innerhalb der untersuchten Reiseberichte in der Tendenz positiver ausfielen. Zum anderen macht die ausdifferenzierte Darlegung des Menschenbildes deutlich, dass sich dieses eben nicht in Schilderungen des Edlen Wilden ersch¨opft. Insofern lautet das Pl¨adoyer, den Diskurs u¨ ber Samoa in Bezug auf das Menschenbild nicht auf einem Kontinuum verortet zu sehen, dessen linear verbundene Extreme die des Edlen und Unedlen Wilden sind,2 sondern diesen Diskurs in seiner Verschr¨ankung und Verflechtung als komplexes Muster zu begreifen. Dar¨uberhinaus lassen sich zwar in allen untersuchten Texten verh¨altnism¨aßig leicht Anteile einer Darstellung des Mythos S¨udsee‘ ausmachen – die Reisetexte gehen aber weit ’ dar¨uber hinaus. Insofern erwies es sich als fruchtbar, in der historischen Diskursanalyse explorativ-induktiv vorzugehen und nicht ausschließlich mythische Anteile aufzugreifen. Diese stellten sich im Diskursmuster als Verflechtungen dar, weshalb sie an vielen Stellen pr¨asent, aber nicht das eigentliche Argumentationsmuster waren. Somit gerieten die stark ausdifferenzierten Reiseberichte in ihrer G¨anze in den Blick, die erst deutlich machten, welche Anstrengungen und Konstruktionsleistungen die Reisenden unternehmen mussten, um das Eigene und das Fremde zu konstituieren und zu bew¨altigen.

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Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es ausdifferenzierte Forschungen zu den afrikanischen Kolonialgebieten gibt, die auch deren Komplexit¨at und Ambivalenz erfassen. Dennoch wird auch diesen Darstellungen mitunter ein simplifizierendes Bild der S¨udseekolonien gegen¨ubergestellt.

2

Bei Livia Loosen waren ebensolche Extreme die der edlen Wilden“ und wilden Menschenfresser“ ” ” (Loosen 2014a: 601).

Resumee und offene Fragen | 341 ¨

In der Auswertung der Quellen von deutschen, englischen und US-amerikanischen Reisenden hat sich gezeigt, dass es stellenweise zwar Unterschiede in der inhaltlichen Schwerpunktsetzung (etwa das Thema nationale Kultur) gab, sich die jeweiligen Diskurslinien aber insgesamt verh¨altnism¨aßig a¨ hnlich gestalteten. Nation‘ als Differenzkategorie ’ besitzt also eine beschr¨ankte Aussagekraft in diesem Diskurs. Dementsprechend erscheint ein Aufbrechen von Nationalgeschichten‘ zugunsten anderer Kategorien (bspw. Reiseer’ fahrungen, Umgang mit der Fremde und anderer) als vielversprechend. Die Betrachtung von Quellen, die sich auf einen verh¨altnism¨aßig begrenzten Raum bezogen, o¨ ffnete den Blick f¨ur lokale Spezifika (besondere Orte, Rituale, Rivalit¨aten) und durchlief nicht die sonst notwendige Verallgemeinerung von Aussagen u¨ ber den S¨udseeraum, die einer Betrachtung gr¨oßerer R¨aume immanent ist. Als vergleichende Studien b¨oten sich an dieser Stelle Untersuchungen zu weiteren S¨udseeinseln an, die die bisherigen Kontrastierungen zwischen Polynesien, Mikronesien und Melanesien in den Blick nehmen k¨onnten. Obwohl die Forschungsdesiderate aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive (zuletzt von Birthe Kundrus (2008) benannt) noch nicht aufgearbeitet sind, erscheint es sinnvoll, bei den Untersuchungen zur Kolonialzeit nicht ausschließlich auf von Frauen verfasste Quellen zur¨uckzugreifen, sondern auch Reiseschilderungen von M¨annern einzubeziehen, da sie, wie bei der Diskussion um Frieda Zieschank gezeigt, weitere Perspektiven er¨offnen k¨onnen. Weitere Einblicke in die Repr¨asentationen Samoas und der S¨udsee bietet auch das umfangreiche fotografische Quellenmaterial, das bislang lediglich illustrativen Charakter innerhalb der Reiseberichte besitzt und das einer systematischen Auswertung harrt. In den Fotografien gerinnt‘ der koloniale Blick und gibt damit Auskunft u¨ ber spezifische Motive ’ und ihre Darstellungsstrategien. F¨ur die Biografieforschung w¨are es eine Aufgabe, sich den einzelnen Autorinnen und Autorinnen zu widmen. Otto E. Ehlers, Siegfried Genthe, Richard Deeken und auch Ernst von Hesse-Wartegg verfassten eine Vielzahl von Reiseberichten, aus denen sich im L¨angsschnitt herauslesen ließe, wie Eigen- und Fremdkonstruktionen im Laufe eines Lebens oder in Bezug auf unterschiedliche geografische Orte gestaltet wurden. Aus Sicht der postkolonialen Theorie w¨are eine Rezeptionsgeschichte der Reiseberichte fruchtbar, um die R¨uckwirkungen auf die Metropole sichtbar zu machen. Abschließend hat die vorliegende Arbeit dazu beigetragen, den kolonialen Einfl¨ussen auf die S¨udseeinselgruppe Samoa – unter Bezugnahme auf die entangled histories – nachzugehen und die spezifischen Diskursstrukturen herauszuarbeiten.

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